Lebensende: Was wir wissen - was wir hoffen. Ein Überblick 3766845675, 9783766845672

Die Endlichkeit des Lebens ruft Unbehagen und Ängste hervor. Statt die Augen vor dem Unausweichlichem zu verschließen, m

133 59 7MB

German Pages 166 Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Das eigene Lebensende
Früher war alles besser?
Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts
Mein soziales Lebensende
Krankheit und Sterbeprozess
Meine Bestattung
Mediale Inszenierung von Sterben, Tod und Lebensende
Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende
Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!
Literatur
Recommend Papers

Lebensende: Was wir wissen - was wir hoffen. Ein Überblick
 3766845675, 9783766845672

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Lebensende: Was wir wissen - was wir hoffen.

Larissa Carina Seelbach Lebensende

Larissa Carina Seelbach

Lebensende Was wir wissen – was wir hoffen Ein Überblick

Calwer Verlag Stuttgart

eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4570–2 © 2021 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart. Alle Inhalte, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, Kopieren und Bearbeiten der Datei, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://www.dnb.de abrufbar.

ISBN 978–3–7668–4567–2 © 2021 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Umschlaggestaltung: Karin Class, Calwer Verlag Umschlagbild: © Petra Bork / pixelio.de Druck und Verarbeitung: Mazowieckie Centrum Poligrafii – 05-270 Marki (Polen) – ul. Słoneczna 3C – www.buecherdrucken24.de Internet: www.calwer.com E-mail: [email protected]

Inhalt

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Das eigene Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 9 13 17 20

Die beunruhigende Gewissheit der eigenen Vergänglichkeit . . . . . . . . . . . . Endlichkeit zur Sprache bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstorganisation und Selbstoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wann endet menschliches Leben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Früher war alles besser? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Der Tod – Konstante in allen Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Die Kunst des Sterbens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Schonungslose Ritualverarmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Mein soziales Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Einsamkeit – lebendig vergessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Erschwernisse im pfleglichen Umgang mit Sterbenden . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Krankheit und Sterbeprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Krankheitsvermeidung als Statussymbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Outsourcing des Lebensendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Ängste, Symptomlinderung und die Unwägbarkeiten im eigenen Sterbeprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

5

Inhalt

Meine Bestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Totenfürsorge – eine Kulturleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Feststellung und Anzeigen des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Totenwäsche und Ankleiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Aufbahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Aussegnung, Transport des Leichnams, Wahl des Sarges . . . . . . . . . . . . . . 74 Trauerfeier und Bestattungsriten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Bestatter und Bestatterinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Friedhöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Grabstätte und Grabgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Erdbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Einäscherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Beisetzung der Asche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Alternativen bzw. Ergänzungen zur Erd- und Aschebestattung . . . . . . . . . 93 Sozial- und Ordnungsamtsbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Anonyme Bestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Quo vadis Bestattungskultur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Mediale Inszenierung von Sterben, Tod und Lebensende . . . . . . . . . . . . 103 Todesnähe ohne (Sende-)Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Öffentliche Trauerformen im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Christliche Thanatagogik und die frohe Botschaft für mein Leben(sende) . . . 128 Glaubwürdige Sehnsucht nach Abrundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Die Kunst zu glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Das letzte Wort über mein Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

6

Einleitung

Einleitung

Ist mit dem Tod alles aus? Gibt es mich schlicht nicht mehr, wenn ich meinen letzten Atemzug gemacht habe? Mein Lebensende lässt keinen Raum für Beschönigungen, Wunschdenken und Ausflüchte, sondern nötigt zur Fokussierung auf das Wesentliche.1 Was glaube ich, woran hängt mein Herz, wenn es wirklich darauf ankommt?2 Worauf, genauer gesagt, wem vertraue ich dann? Dieses Buch bringt Erkenntnisse, Erfahrungen und Anregungen aus unterschiedlichsten Gesellschafts-, Professions- und Wissenschaftsbereichen miteinander ins Gespräch, möchte Perspektiven aufzeigen und Erkundungswege skizzieren, auf denen man sich mit dieser existentiellen Frage auseinandersetzen kann. Ausgangspunkt ist die Einzigartigkeit des Themas. Sterben und Tod betreffen alle Menschen. Ganz individuell, ganz persönlich und unentrinnbar gehen sie jeden Einzelnen und jede Einzelne an. Mein perspektivisches Lebensende wirft Fragen nach der Planbarkeit meines Lebens auf. Gibt es bewährte Verhaltensmuster, die ich mir zu eigen machen kann? Eine historische Spurensuche soll hierzu u.a. die Bewältigungsstrategien früherer Zeiten nachzeichnen und die häufig geäußerte Annahme, dass Sterben und Tod damals besser bewältigt wurden, auf den Prüfstand stellen. Anschließend werden Kontrollversuche, Trends und Entwicklungen, die heute unseren Umgang mit Sterben und Tod prägen, beschrieben. Die zunehmende Vereinsamung ist solch eine Entwicklung. Sie kann ein „soziales Lebensende“ beschleunigen, das unabhängig von Krankheit und Sterbeprozess Leid verursacht. Rückt der Tod näher, kann man selbst oder das persönliche Umfeld mit Unsicherheit, Berührungsängsten und Überlastung reagieren. Handlungswissen unterstützt und entlastet in dieser Situation wie auch bei allen nach dem Tod anstehenden Herausforderungen rund um die Organisation der Bestattung. Solche alltagspraktischen Kenntnisse heben sich von der medialen Inszenierung von Sterben, Tod und Lebensende ab. Internet und Fernsehen grundieren zwar unser 1 Dieses Buch wurde von Herrn Dr. Berthold Brohm vom Calwer Verlag sehr engagiert betreut und verdankt ihm wichtige Impulse, Hinweise und Weichenstellungen. 2 Vgl. Herman Dembowski, Was glauben wir wirklich?, in: Ernstpeter Maurer (Hg.), Grundlinien der Dogmatik (FS Gerhard Sauter), Rheinbach 2005, 321–328; hier: 321; vgl. Jörg Zink, Auferstehung, Stuttgart 2005, 8: „Ich habe Gründe, so zu glauben. (…) Darum lebe ich mit meinem Herzen, mit meinem Verstand und mit allen Erfahrungen meines Lebens in eine bestimmte Richtung.“

7

Einleitung

Lebensgefühl und konfrontieren uns mit der Allgegenwart des Todes, sie bereiten aber nicht adäquat auf die Begegnung mit Verstorbenen oder gar auf das eigene Lebensende vor. Ist eine solche Einstimmung überhaupt möglich? Der nachvollziehbare Versuch, sich quasi einen emotionalen „Aufprallschutz“3 zuzulegen, wird nicht selten mithilfe von Büchern unternommen. Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende veranschaulichen dies exemplarisch. Nach all diesen Schritten wird es Zeit, zu verweilen und Ausschau zu halten. Die frohe Botschaft des Christentums soll dabei einladend ermutigen, den eigenen Blick zu weiten und aus der Hoffnung heraus zu leben, dass der Tod nicht das letzte Wort über das Leben haben muss. Besonders diejenigen, die sich als Gemeindepädagogen und Gemeindepädagoginnen, als Pfarrer und Pfarrerinnen oder als Ehrenamtliche im kirchlichen Kontext mit dem Lebensende auseinandersetzen, werden sich immer wieder selbst Auskunft geben müssen, worin ihr Trost im Leben und im Sterben besteht, und wie sie diesen Trost glaubwürdig und professionell mitteilen können. Die Tatsache, dass das eigene Lebensende von jedem Leser und von jeder Leserin ganz unterschiedlich betrachtet wird und je nach präferierter Sichtweise eine abweichende Einschätzung erfährt, steht außer Frage.4 Dieser individuellen Motivationslage kann sowohl mit „intellektueller Reflexion“5 als auch ganz konkret mit „alltagspragmatischem Wissen“6 entsprochen werden, die passend zu kombinieren und zu dosieren jedem und jeder selbst überlassen ist. Zur ergänzenden und vertiefenden Lektüre sollen die zahlreichen Belege in den Fußnoten ermutigen. Nicht angestrebt wird Expertenwissen in einem exklusiven Sinn, wohl aber Expertenwissen in einem eigenständig zu erwerbenden und individuell relevanten Maß. Mein eigenes unabwendbares Lebensende legt es mir dringlich nahe, zur Expertin bzw. zum Experten meines Lebens, meiner Vergänglichkeit, meiner Grenzen und meiner über all dies hinausweisenden Hoffnungen zu werden.

3 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland. Wie wir dem Tod wieder einen Platz in unserem Leben einräumen können, Frankfurt am Main 2008, 242. 4 Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Thanatologie im Überblick, Wiesbaden 22010, 7. 5 Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes. Perspektiven einer wissenssoziologischen Thanatologie, Wiesbaden 2017, 238. 6 Ebd.

8

Die beunruhigende Gewissheit der eigenen Vergänglichkeit

Das eigene Lebensende

Die beunruhigende Gewissheit der eigenen Vergänglichkeit Die Lebenden von heute sind naturgemäß die Sterbenden von morgen, so dass die persönliche Betroffenheit allenfalls hinausgezögert, nicht aber vermieden werden kann. Hinzu kommt, dass die zahlenstarken Babyboomer im Alter einen nicht übersehbaren „Sterbeboom“ herbeiführen werden.7 Das Lebensende wird sichtbarer denn je werden.8 Mit dieser Sichtbarkeit wird auch die Nachfrage nach Orientierungswissen wachsen.9 Sterben und Tod auszublenden, wird also zunehmend schwerer. Dabei besteht unser Problem nicht im Tod selbst, sondern vielmehr empfinden wir die Gewissheit des einstigen Todes als problematisch.10 Unter allen Geschöpfen kann nur der Mensch sein eigenes Lebensende voraussehen und entsprechende, hinauszögernde Maßnahmen ergreifen.11 Der eigene Anfang und das eigene Ende lagen für den christlich geprägten Menschen über Jahrhunderte hinweg in Gottes Hand. Das stand außer Frage und stellte eine Ruhe in Aussicht, die innerweltlich nicht aus eigener Kraft heraus zu erzielen war. Der Kirchenvater Augustin brachte dies in seinen „Bekenntnissen“ auf den Punkt, indem er Gott – seine Leserschaft unmittelbar einbeziehend – ansprach: „… denn auf dich hin hast du uns gemacht, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.“12 Hier tritt neben tiefer Zuversicht auch eine Spannung zutage. Im Leben gibt es Unruhe, etwas, was uns um- und antreibt, möglicherweise aber auch zerreibt oder zermürbt. Das war zu Augustins Zeiten schon so und ist es heute mehr denn je. Das Lebensgefühl im 21. Jahrhundert lässt sich dennoch kaum mit historischen oder gar pauschalisierenden Schablonen ermessen und geht mit allen möglichen 7 Vgl. ebd., 13. 8 Vgl. Thomas Macho, Kristin Marek, Die neue Sichtbarkeit des Todes, in: Dies. (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, 9–21; hier: 9. 9 Vgl. Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 14. 10 Vgl. Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden, in: Reinhard Blomert, Heike Hammer, Johan Heilbron, Annette Treibel, Nico Wilterdink (Hg.), Norbert Elias. Gesammelte Schriften (Bd. 6), Amsterdam 2002, 12. 11 Vgl. ebd., 11. 12 Augustinus, Bekenntnisse, übers. von Kurt Flasch, Burkhard Mojsisch, Stuttgart 1993, 33.

9

Das eigene Lebensende

Annahmen, nicht aber mit einer allgemeingültigen Gewissheit einher. Ulrich Beck fand 1997 drastische Worte für dieses nach wie vor vorherrschende Phänomen: „In den Hohlräumen, welche die einmal regierenden großen Selbstverständlichkeiten mit ihrer Entzauberung hinterlassen, entstehen Trümmerspielplätze des eigenen Lebens.“13 Der Theologe Hermann Dembowski beschreibt solche „Trümmerspielplätze“ als die Hoffnung, die wir als Gesellschaft in die uns seiner Ansicht nach anmanipulierten Lebensmächte „Machen“, „Haben“ und „Sicherheit“ setzen.14 Das „Machen“ suggeriert, wir haben alles im Griff, sind aktive Macher, die das Leben gestalten, ihm kreativ Konturen verleihen. Das „Haben“ verspricht Reserven, Rücklagen und Problemlösungen auf Vorrat. Die „Sicherheit“ ergibt sich aus dem, was wir gemacht haben, was wir haben, und muss beschützt werden. Das geschieht, indem wir uns von allem abgrenzen, was uns verunsichert.15 Zu Lebzeiten erhöhen die Lebensmächte „Machen“, „Haben“ und „Sicherheit“ den Druck und den Stress der Einzelnen. Indem wir über so viele Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten verfügen, bleibt uns nur die Selektivität und das Risiko, das eigene Leben falsch auszurichten, es doch nicht in den Griff zu bekommen.16 Solche Lebensmächte werden am Lebensende nichtig sein. Am Ende meines Lebens werde ich nichts machen, nichts haben und keine Sicherheit verspüren, oder? Was glaube ich wirklich, wenn es darauf ankommt? Wem glaube ich wirklich? Diese Frage muss und kann jeder und jede nur für sich alleine beantworten. Mein Lebensende ist untrennbar verzahnt mit der Frage nach dem, was mich im Leben und im Sterben trägt. Wenn all meine Kontrollversuche, mein Machen, mein Haben und meine Sicherheit nicht mehr sein werden – kommt dann etwas? Das, was einmal sicher schien, nämlich der christliche Glaube, der von der Mehrheit als orientierungsstiftende Größe akzeptiert wurde, ist nunmehr nichts weiter als eine Option unter vielen. Die vermeintlichen Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten, haben eine Entgrenzung sondergleichen erfahren, doch diese hat ihren Preis, den nicht alle zu zahlen in der Lage sein mögen. Gemeint ist der Zwang, ein eigenes Leben führen zu müssen, den die hochdifferenzierte Gesellschaft ausübt17, der oft als ein „Handeln-Müssen“18 erfahren wird. Diese Aktivi13 Ulrich Beck, Was meint „eigenes Leben“?, in: Ders., Ulf Erdmann-Ziegler (Hg.), Eigenes Leben. Ausflüge in die unbekannte Gesellschaft, in der wir leben, München 1997, 9–17; hier: 10. 14 Vgl. Herman Dembowski, Was glauben wir wirklich?, a.a.O., 322. 15 Vgl. ebd., 323. 16 Vgl. Frank Mathwig, Zwischen Leben und Tod. Die Suizidhilfediskussion in der Schweiz aus theologisch-ethischer Sicht, Zürich 2010, 80. 17 Vgl. Ulrich Beck, Was meint „eigenes Leben“?, a.a.O., 10. 18 Nina Jakoby, Michaela Thönnes, Einleitung – Zur Soziologie des Sterbens, in: Dies. (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 1–9; hier: 5.

10

Die beunruhigende Gewissheit der eigenen Vergänglichkeit

tätserwartung macht auch vor dem Lebensende nicht halt, so dass der Eindruck einer anzustrebenden „Sterbeoptimierung“19 aufkommen kann. Sterben ist ein eng mit dem sozialen Leben verbundener und dennoch vor allem ein individueller Akt, den die Soziologie seit Jahrzehnten – auch unter der Bezeichnung „Thanatosoziologie“ – als eine unter vielen speziellen Soziologien in den Blick nimmt.20 Der erste Teil der Wortverbindung geht zurück auf „Thanatos“, den Namen des griechischen Gottes des Todes, dem älteren Bruder von Hypnos, dem Gott des Schlafes. Thanatos hatte die Aufgabe, die Menschen in die Hades genannte Unterwelt zu bringen.21 Die „Soziologie“ verweist in dieser Wortverbindung u.a. auf die Bedeutung des Todes für das menschliche Zusammenleben und dessen Gestaltung. Frank Thieme, Lehrbeauftragter für Sozialwissenschaft an der RuhrUniversität Bochum und Autor des Buches „Sterben und Tod in Deutschland“22, sieht diese soziologische Relevanz darin, dass Menschen bei der materiellen und mentalen Bewältigung des Todes nicht beliebig verfahren, sondern kulturellen Normen und Mustern folgen würden, also diesbezüglich gesellschaftlich geprägt seien.23 Gesellschaftliche und individuelle Deutungsmuster greifen ineinander, wie Felix Tirschmann in seiner Dissertationsschrift „Der Alltag des Todes. Perspektiven einer wissenssoziologischen Thanatologie“ beschreibt: „Die Wahl zwischen objektivem Expertenwissen, intersubjektivem Meinungswissen oder subjektivem Erfahrungswissen obliegt nun jeder und jedem Einzelnen. Alle sind Experten. (…) Zugleich repräsentiert jede individuelle Todesdeutung einen historisch konkreten Ausschnitt eines gesellschaftlichen Wissensvorrats, aus dem sich jede und jeder zwanglos bedienen kann (…).“24 Angesichts eines Trauerfalls bzw. angesichts des eigenen Lebensendes wird es eher die Ausnahme als die Regel sein, dass sowohl die Zeit als auch die Energie zur Verfügung stehen, um sich dem dringlichen „Handlungsproblem“25 aus ausschließ19 Ebd. 20 Vgl. hierzu ebd., 2; Reimer Gronemeyer, Projekt Lebensende, in: Annette Großbongardt, Rainer Traub (Hg.), Das Ende des Lebens. Ein Buch über das Sterben, München 2013, 250–259; hier: 258; Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland. Eine Einführung in die Thanatosoziologie, Wiesbaden 2018, 1: „Die Soziologie des Todes – fachlich korrekt Thanatosoziologie genannt – ist eine in Deutschland wenig beachtete spezielle Soziologie.“; Klaus Feldmann, Art.: Soziologie, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 62–74; hier: 62: „Die Soziologie des Suizids verfügt über einen anerkannten Anfang: Le suicide von Durkheim (…), die Thanatosoziologie dagegen nicht. (…) Doch insgesamt gibt es keine thanatologische Kontinuität in der Soziologie bis zur Mitte des 20. Jh.s.“ 21 Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 7. 22 Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O. 23 Ebd., 2. 24 Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 8. 25 Ebd.

11

Das eigene Lebensende

lich eigener Kraft umfänglich und annehmbar zu stellen. Schnittstellenmanager und Schnittstellenmanagerinnen, die die persönliche Ebene mit der gesellschaftlichen verbinden und auch professionell kompetent sind, über diese Ebenen hinaus zu fragen, wären eine große Hilfe. Wer möchte, kann solche Schnittstellenmanager und Schnittstellenmanagerinnen etwa in Gemeindepädagogen und Gemeindepädagoginnen sowie in Pfarrern und Pfarrerinnen finden. Sie gilt es immer wieder neu zu sensibilisieren und zu informieren, da die todesbedingte Schnittstellenkompetenz im Zuge der demographischen Entwicklung eine größere Bedeutung gewinnen wird. Das „Überangebot an Todbedeutungen“26, welches sich in Internet, Fernsehen und auf dem Buchmarkt widerspiegelt, führt im akuten Trauerfall eher zu einer überfordernden Unübersichtlichkeit, als dass es eine situationsbezogene, empathische Unterstützung darstellen könnte. Für diese empathische Unterstützung bedarf es Menschen, die in der Lage sind, die notwendige Komplexitätsreduktion professionell und situationssensibel zu verantworten. Die Alltagsbedeutung des Lebensendes mir nahe stehender Personen sowie die existentielle Dimension meines eigenen Lebensendes sind situativ und biographisch bedingt und in ihrer Unmittelbarkeit nicht wissenschaftlich kontrolliert.27 Dennoch sprengen meine Fragen den Horizont meines Lebens und verlangen nach mehr, nach Erklärungen und Klarheit, nach Austausch, nicht zuletzt, um der vermeintlichen Austauschbarkeit und Nichtigkeit der eigenen Existenz argumentativ und sachlich etwas entgegensetzen zu können. Die Deutung meines Lebensendes findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern ist verbunden mit meiner individuellen und zugleich gesellschaftlich geprägten Weltanschauung, die auf sie ordnende Normen, Werten und Erfahrungen basiert.28 Egal, wie viele Studien und Untersuchungen sich mit dem Themenfeld Sterben und Tod befassen, ihnen allen ist das Problem gemeinsam, dass sie nicht von Sterbenden stammen, obwohl es gelegentlich durchaus Sterbende gibt, die ihre Gedanken zu Papier bringen.29 Die Frage, was nach dem Tod zu erwarten ist, ruft heute vielfach Ratlosigkeit hervor. Der Medizinsoziologe Allan Kellehear erachtet persönliche Unsicherheit am Ende des Lebens als wahrscheinlich, weil die Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten keine sozial geteilte Zustimmung mit sich bringe, Ängste fördere und für Ambiguität sorge.30 Laut Thieme seien religiöse Erlösungsversprechen entwertet, 26 27 28 29

Ebd., 16. Vgl. ebd., 233. Vgl. ebd., 21. Vgl. Armin Nassehi, Irmhild Saake, Kontexturen des Todes. Eine Neubestimmung soziologischer Thanatologie, in: Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hg.), Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, Berlin 2004, 31–54; hier: 31, die die „empirische Nicht-Erfahrbarkeit“ des Todesthemas betonen. 30 Vgl. Allan Kellehear, Current social trends and challenges for the dying person, in: Nina Ja-

12

Endlichkeit zur Sprache bringen

weil sie verzichtbar geworden seien.31 Diese These unterstützt der Mediziner Günther Loewit, der es als gefährlich erachtet, falls das Leben lediglich als Aneinanderreihung von Lusterlebnissen verstanden werde, da so der Tod keine Erlösung mehr versprechen würde.32 Christliche Fundamente sind weggebrochen oder brechen weg, so dass sie als Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Begrenztheit der eigenen Existenz nicht herangezogen werden bzw. explizit nicht in Betracht gezogen werden wollen.33 Die drängenden Fragen bleiben. Wie werde ich sterben? Welche Bedeutung hat mein Tod? Hat er überhaupt eine Bedeutung? Wenn er keine Bedeutung hat, ein „gesellschaftliches Nullereignis“34 ist, war dann auch mein Leben bedeutungs- und belanglos? Die Fragekette lässt sich beliebig fortsetzen. Es könnte der ultimative Schrecken für den modernen Menschen sein, den eigenen Tod letztlich als belanglos ansehen zu müssen. Der Theologe und Soziologieprofessor Reimer Gronemeyer attestiert jeder und jedem Einzelnen eine Zerreißprobe. Mit dem Zwang zur radikalen Individualisierung gehe der Verlust aller Traditionen, Konventionen und Bindungen einher und mache das Individuum paradoxerweise austauschbar.35 Werfe ich einen ersten Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung meines Lebensendes, ist der Befund ernüchternd. Mein Tod ist und bleibt beunruhigend, ein furchteinflößendes „Rätsel“36, eine meiner Selbstbestimmung entzogene Zumutung, und trotzdem zählt er zu meinen „Lebensgewissheiten“37.

Endlichkeit zur Sprache bringen Aus medizinischer Sicht ist der Tod „jener Zustand eines Körpers, dessen Lebensfunktionen irreversibel erloschen sind“38. Allerdings ist es so, dass sich kein

31 32 33 34 35 36 37 38

koby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens, a.a.O., 11–27; hier: 24f.; vgl. ebd., 23: “It has become ‘unanswerable‘ because the grand narratives (the big, overarching stories about creation, the good life and the good death, and the nature of God behind all the previous three) of traditional religions are being jostled and mixed by global diversity and competition. (…) These grand narratives of the ultimate destination of those who die have been broken at worst or seriously undermined at best.“ Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 5. Vgl. Günther Loewit, Sterben. Zwischen Würde und Geschäft, Wien 2014, 92. Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 185. Klaus Feldmann, Art.: Soziologie, a.a.O., 66. Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 163. Vincenzo Paglia, Bruder Tod. In Würde leben und in Würde sterben. Mit einer Einführung von Manfred Lütz, Freiburg im Breisgau 2017, 51. Nikolaus Schneider, Das Richtige sagen können, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline. Prominente über Leben und Sterben, Zürich 2015, 285–294; hier: 285. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 19.

13

Das eigene Lebensende

eindeutiges und für alle konsensfähiges Todesverständnis abzeichnet39, was sich bereits daraus ergibt, dass die Wahrnehmung von Sterben und Tod eine kulturell geprägte ist.40 Mit der Pluralität der Lebensstil-Konstrukte geht die Pluralität der Todesentwürfe einher.41 Sterben bleibt ein schwer definierbares Geschehen, wie der Soziologieprofessor Klaus Feldmann veranschaulicht, indem er den öffentlichen Sterbediskursen eine sozio-kulturelle, rechtliche, medizinische, technologische und interaktive Rahmung bescheinigt.42 Frei nach dem Motto: „Gut, dass wir darüber gesprochen haben“ erzielen Themen wie Sterben und Tod eine gesellschaftliche und mediale Präsenz, die sich in einem enormen Kommunikationsbedürfnis niederschlägt.43 Mediziner wie der Amerikaner Haider Warraich gehen mitunter davon aus, dass Gedanken an den Tod stresslindernd seien und es einige Möglichkeiten gäbe, die Auseinandersetzung mit dem Tod zu fördern. Beliebtheit erfreuten sich etwa Todescafés und Todessalons, wo man beim Essen und Trinken, über den Tod ins Gespräch kommen könne. Das universitäre Lehrangebot stelle sich ebenfalls auf die Nachfrage nach Todesthemen ein. Wer quasi rund um die Uhr der eigenen Vergänglichkeit bewusst sein möchte, erwirbt sich vielleicht eine Uhr namens Tikker, die anzeigt, welche Lebenszeit dem Träger im Falle eines natürlichen Todes vermutlich noch bleibt. Ist selbst das nicht intensiv genug, gibt es noch den japanischen Trend, sich im Sarg fotografieren zu lassen, um später auf jeden Fall buchstäblich richtig zu liegen.44 Ziel dieser „positiver Tod“ genannten Bewegung sei es, sowohl mit Sterbenden als auch mit jüngeren Menschen, die noch nicht mir ihrer Sterblichkeit klarkämen, offen über den Tod zu reden.45 Franz Müntefering, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), sieht im Sterben einen wichtigen Teil des Lebens, über dessen Qualität es sich zu sprechen lohne.46 Gemäß dem Soziologen Jean 39 Vgl. Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, in: Dies. (Hg), Warum der Tod kein Sterben kennt. Neue Einsichten zu unserer Lebenszeit, Darmstadt 2011, 13–28; hier: 25. 40 Vgl. Dies., Zeitgemäße Choreographien bei der Begegnung mit Leben und Tod, in: Dies. (Hg.), Warum der Tod kein Sterben kennt, a.a.O., 211–228; hier: 212. 41 Vgl. Christian Schüle, Wie wir sterben lernen. Ein Essay, München 2013, 160. 42 Klaus Feldmann, Art.: Soziologie, a.a.O., 63. 43 Vgl. Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt. Was wir für ein gutes Sterben tun können, Frankfurt am Main 2018, 162f. Hier werden an die hundert Umschreibungen für Sterben und Tod aufgelistet. 44 Haider Warraich, Wie wir heute sterben. Über die Biologie des Todes und wie sich das Ende unseres Lebens verändert hat, München 2018, 292. 45 Ebd. 46 Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort. Wie die alternde Gesellschaft dem Tod begegnen will (hg. vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung), Berlin 2020 (https://www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/PDF/BI_Auf-ein-Sterbenswort_Online_201005.pdf; aufgerufen am 23.04.2021), 32.

14

Endlichkeit zur Sprache bringen

Ziegler könnte der „Kampf für die Reintegration des Todes in das westliche Kollektivbewusstsein“47 gar der Ausgangspunkt „für die bedeutsamste Revolution unseres Jahrhunderts“48 werden. Manchen reicht es allerdings schon als Ergebnis aus, dass der Tod „alle Konstruktionen gesellschaftlicher Hierarchie“49 infrage stelle und deshalb ein befreiendes Potential habe. Man arrangiert sich quasi mit dem „Nicht-Verstehenmüssen“50. Verglichen mit dem Tod, gewinnt fast jedes Leben an Attraktivität.51 Ebenfalls bezogen auf ein rein diesseitiges Leben wendet sich z.B. die Psychologin Ulrike Scheuermann dem Gedankenspiel zu, was wäre, „Wenn morgen mein letzter Tag wär“, und verspricht ihrer Leserschaft: „So finden Sie heraus, was im Leben wirklich zählt.“52 Wenn es uns gelänge, der „Restangst“ vor dem Lebensende standzuhalten und mit ihr zu leben, dann könnten wir zu der „tieferen Erkenntnis“ gelangen: „Im Grunde bin ich sicher. Es wird immer einen Weg geben. Mein Selbst ist unverletzlich.“53 Solche, wie eine Unzahl ähnlicher Aussagen, die nicht selten auch als Buchtitel dienen, verschleiern beschönigend unsere Angst, indem sie durch Planung und vermeintliche Kenntnis den Umgang mit Sterben und Tod verwässern.54 Wir geraten auf diese Weise wieder in den Sog der trügerischen Lebensmächte „Machen“, „Haben“ und „Sicherheit“. Langfristig geht diese Rechnung nicht auf und war sicherlich auch nicht das, was der Verfasser von Psalm 90 mit seiner Aufforderung „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Ps 90,12) im Sinn hatte. Dort, wo Sterben zum häufigen, alltäglichen und öffentlichen Konversationsthema wird, stellt sich mitunter leicht die Illusion von Planbarkeit und Kontrolle ein. Die Hoffnung auf das ewige Leben, die zugleich eine kritische Betrachtung des zeitlichen Lebens nahelegt, gerät aus dem Blick. Die Folge ist eine historisch einzigartige „kulturelle Armut“55 sowie das ernüchternde Erleben der eigenen Ver47 Jean Ziegler, Das Geheimnis des Lebens liegt im Tod, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline, a.a.O., 101–107; hier: 107. 48 Ebd. 49 Ulrich Beck, Eigener Tod – eigenes Leben. Vergänglichkeitshoffnungen, in: Ders., Ulf Erdmann-Ziegler (Hg.), Eigenes Leben, a.a.O., 124–129; hier: 128. 50 Vgl. Christiane zu Salm, Weiterleben. Nach dem Verlust eines geliebten Menschen, München 2016, 7. 51 Vgl. Ulrich Beck, Eigener Tod – eigenes Leben, a.a.O., 128. 52 Ulrike Scheuermann, Wenn morgen mein letzter Tag wär. So finden Sie heraus, was im Leben wirklich zählt, München 2013. 53 Ebd., 16. 54 Vgl. Margret M. Baltes, Altern und Tod in der psychologischen Forschung, in: Rolf Winau, Hans Peter Rosemeier (Hg.), Tod und Sterben, Berlin u.ö. 1984, 237–251; hier: 248: „Wir wissen heute, daß die emotionale Qualität ,Angst‘ vor dem Tod für jeden von uns einen anderen Inhalt haben kann.“ 55 Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 162.

15

Das eigene Lebensende

gänglichkeit als „Systemabbruch“56. Solch ein Systemabbruch hat kein tröstendes Potential. Die Investition von Aufmerksamkeit und Engagement konzentriert sich in der Regel auf intakte Systeme. Der Soziologe und Thanatologe Klaus Feldmann bilanziert dementsprechend, dass Sterbende und Tote keine Lobby hätten57 und der Tod einem „nicht mehr reparaturfähigen Maschinenschaden“58 gleichkäme. Bereits die etwaig präferierte Bezeichnung „Tod“ oder „Lebensende“ impliziert möglicherweise eine Haltung, wenngleich man bei oberflächlicher Betrachtung einwenden könnte, dass der Tod stets das Ende des Lebens ist. Wird der Anfang des Lebens als gottgegebenes Geschenk verstanden, liegt es nahe, auch das Ende des Lebens mit Gott in Beziehung zu bringen, ganz so, wie Augustin es tat, wenn er sich auf Gott hin geschaffen und zu Gott hin gezogen wusste. Diese christliche Deutung des Begriffs „Lebensende“ muss nicht geteilt werden und wird es je nach Bezugswissenschaft auch nicht.59 Für die folgende Diskussion und den im Titel gewählten Terminus „Lebensende“ ist neben der christlichen Interpretation ferner entscheidend, dass selbst wenn Gott je nach eigenem Empfinden keine Rolle für mein Leben spielen würde, es aber dennoch um „mein Leben“ ginge, das ein Ende finden wird. Der Begriff „Lebensende“ bringt diese persönliche Dimension eher zum Ausdruck als das Wort „Tod“. „Mein Tod“ steht zwar sachlich, nicht aber emotional in einer unlösbaren Beziehung zu meinem Leben. So unscharf der Tod selbst bleibt, so deutlich ist doch die Tatsache, dass er mein Leben beendet und mich als den Menschen, der ich ein Leben lang war, geworden bin bzw. glaubte zu sein, zu einem irreversiblen Zielpunkt führt. Nehme ich mein Lebensende ernst, ändert dies auch die Wahrnehmung meines Lebens und seiner „Sinnarchitektur“60. Mein Leben ist einzigartig und gerade deswegen für mich kostbar.61 Ohne metaphysischen Bezug beginnt und endet mein Leben allerdings mit mir selbst.62 Ich verstehe mich dann als „von Grund auf unabhängige[s] Einzelwesen, als Monade ohne Fenster, als vereinzelte[s] Subjekt“63, drehe mich im Kreis und komme nicht weiter. Mein Verstand hilft hier nicht, denn der Tod setzt meinem Wissen eine Grenze, lässt eine Reihe von existentiellen Fragen offen64, die ich auch nicht durch 56 57 58 59

60 61 62 63 64

16

Ebd. Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 7. Vgl. ebd., 28. Vgl. Joachim Wittkowski, Sterben – Ende ohne Anfang?, in: Ders., Hans Strenge (Hg.), Warum der Tod kein Sterben kennt, a.a.O., 29–104; hier: 72: „Besonders unbestimmt bleibt der Begriff des Lebensendes. Betreuung am Ende des Lebens (‘end of life care‘) bezieht sich auf Patienten, die sich in entsprechende Pflege begeben. Entspricht das Ende des Lebens somit dem Beginn des Sterbens?“ Ulrich Beck, Eigener Tod – eigenes Leben, a.a.O., 125. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden, a.a.O., 56. Vgl. Dietrich Korsch, Antwort auf Grundfragen christlichen Glaubens. Dogmatik als integ-

Selbstorganisation und Selbstoptimierung

Gespräche überwinden werde. Selbst einstige Selbstverständlichkeiten werden aus der Perspektive des Lebensendes fraglich, so dass plötzlich zu klären ist: Was ist überhaupt mein Leben?

Selbstorganisation und Selbstoptimierung Befreit und beraubt von Vorgaben muss ich mein eigenes Leben führen, kann dies jedoch nicht, da die alten allgemeingültigen Zwänge durch neue, von Personen und Kontexten abhängige Zwänge ersetzt werden. Ulrich Beck macht klar: „Das eigene Leben ist gar kein eigenes Leben!“65 Eine rein selbstbestimmte Lebensführung ist nicht möglich. Immer wird es Faktoren geben, die die eigene Entscheidungsfreiheit eingrenzen. Diese Faktoren reichen z.B. von Staatsformen und Klimabedingungen über Besitzverhältnisse, Bildungsunterschiede, Wohnorte und deren Infrastruktur bis hin zu zwischenmenschlichen und familiären Konstellationen. Es sind nicht mehr die bindenden Traditionen vergangener Zeiten, sondern fremdbestimmte Weichenstellungen, wie etwa meine Abhängigkeit von Institutionen und Beziehungen, die mich zur Selbstorganisation nötigen und mir keine andere Wahl lassen, als unentwegt meine Biographie zu konstruieren und zu inszenieren.66 Ich werde zum „biographischen Planungsbüro“67 meiner selbst, bin zur Aktivität verurteilt, selbst wenn ich untätig bleibe. Aus diesem „Machen“, der Aktivitätsverpflichtung, ergibt sich als Kehrseite, dass Scheitern zu meinem eigenen Scheitern wird, dessen persönliche Dramatik keine Abfederung erfährt.68 Ob ich scheitern werde oder nicht, liegt nicht immer in meiner eigenen Hand. In einer Welt, die „unentrinnbar global vernetzt ist“69, könnten sich sogar scheinbare Selbstverständlichkeiten wie reine Luft und Trinkwasser zum Luxusgut entwickeln und sich somit letztlich meinem Zugriff entziehen.70 Der Zwang zur Selbstverwirklichung lastet trotzdem auf mir. Ich muss mich im Zuge der Enttraditionalisierung selbst definieren, eine unfassbare Fülle widersprüchlicher Informationen reflektieren, sie auf mich beziehen,

65

66 67 68 69 70

rative Disziplin, Tübingen 2016, 246; vgl. Günther Loewit, Sterben, a.a.O., 47: „Aber wann endet das Leben, wann beginnt das Sterben? Wann endet das Sterben, wann tritt der Tod endgültig ein? Und was ist der Tod? Warum hat der Tod zwar einen Anfangspunkt, aber kein Ende? Wie lange ist ein Mensch tot?“ Ulrich Beck, Was meint „eigenes Leben“?, a.a.O., 10f.; vgl. Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden, a.a.O., 58: „Auch der Versuch, in dem Leben eines einzelnen Menschen einen Sinn zu finden, der unabhängig von dem ist, was dieses Leben für andere Menschen bedeutet, ist vergeblich.“ Vgl. Ulrich Beck, Was meint „eigenes Leben“?, a.a.O., 11f. Ebd., 12. Vgl. ebd. Ebd., 13. Ebd.

17

Das eigene Lebensende

und zugleich habe ich mit meinen Sozialkontakten zu interagieren.71 Aus dieser permanenten Herausforderung folgt: „Das eigene Leben ist ein experimentelles Leben. Überlieferte Lebensrezepturen und Rollenstereotypen versagen.“72 Nicht nur das eigene Leben, sondern auch das eigene Lebensende ist ein Projekt, d.h. das letzte Projekt des Lebens, das im Kontext einer „Multioptions- und Entscheidungsgesellschaft“73 selbstbestimmt zu gestalten ist. Die Soziologin und Psychologin Stephanie Stadelbacher erklärt dementsprechend: „Es gibt – im Gegensatz zur traditionellen kollektivierten ,Sterbekunst‘ – keine routinisierten und ritualisierten Gemeinplätze im individuellen Sterben.“74 Ähnlich deutet dies die katholische Theologin und Philosophin Nina Streeck, deren Forschungsschwerpunkt u.a. ethische Fragen am Lebensende sind. Sie erkennt „Optimierungsbestrebungen“ und geht davon aus, dass es für den heutigen Umgang mit dem Lebensende typisch sei, Sterben als etwas zu betrachten, das man besser oder eben auch schlechter machen könne.75 Gewünscht werde, sterbend im empathischen Sinne man selbst bzw. mit sich selbst eins zu sein.76 „Gut stirbt, wer im Sterben authentisch bleibt.“77 Entsprechende Anstrengungen versprechen ein umso besseres Sterben, quasi eine „Sterbeoptimierung“78, wobei die Gestaltung auch misslingen oder gar nicht erst in Angriff genommen werden kann.79 Hand in Hand gehe diese Wertung mit einer Steigerungs- und Herstellungslogik, die jeder Form von Optimierung zugrunde liege und die mit dem Verständnis des Todes als Widerfahrnis nicht vereinbar sei.80 Nicht nur der Tod, sondern der Sterbende selbst wird am Ende unweigerlich zum „Symbol dieses Scheiterns moderner Machbarkeitsfantasien“81. Laut Reimer Gronemeyer habe sich das Individuum zwar aus den Fesseln der Tradition befreit, ringe nun aber – wie Laokoon mit den Schlangen – unablässig mit den selbst zu treffenden Entscheidungen, so dass zur selbstgemachten Bio71 Vgl. ebd., 14f. 72 Ebd., 14. 73 Stephanie Stadelbacher, Das Lebensende als Randgebiet des Sozialen? Zur Praxis des ,guten‘ Sterbens zu Hause am Beispiel der ambulanten Hospiz- und Palliativarbeit, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens, a.a.O., 49–70; hier: 55. 74 Ebd. 75 Nina Streeck, Sterben, wie man gelebt hat. Die Optimierung des Lebensendes, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens, a.a.O., 29–48; hier: 30. 76 Nina Streeck, Jedem seinen eigenen Tod. Authentizität als ethisches Ideal am Lebensende, Frankfurt am Main 2020, 14. 77 Ebd., 18. 78 Nina Streeck, Sterben, wie man gelebt hat, a.a.O., 30. 79 Vgl. ebd., 31. 80 Ebd., 37f. 81 Stephanie Stadelbacher, Das Lebensende als Randgebiet des Sozialen?, a.a.O., 53; vgl. Fulbert Steffensky, Mut zur Endlichkeit. Sterben in einer Gesellschaft der Sieger, Stuttgart 2007, 6: „Wir haben das Bewusstsein der Sterblichkeit und der Endlichkeit verloren. Wie entkommt man dem ziellosen Machbarkeitswahn, von dem die Medizin nicht verschont ist?“

18

Selbstorganisation und Selbstoptimierung

graphie folglich auch der selbstgemachte Tod gehöre.82 Das ist ein ernüchternder Befund. Der Blick auf den Menschen hat sich verändert. Es sind nicht länger die liebenden Augen Gottes, in denen ich als gottebenbildliche Kreatur meine Würde und mein außer Frage stehendes Ansehen habe, sondern es ist der kalte und entleerte Blick einer Gesellschaft, für die mein Lebensende nicht ins Gewicht fallen wird, der auf mir lastet. Ich bin lediglich ein winziger Teil eines Gesamtsystems und als solcher austauschbar, nicht ansatzweise dauerhaft systemrelevant.83 Als Einzelsystem, das trotz aller Reparatur- und Verbesserungsbemühungen zum Scheitern verurteilt ist, bin ich im Letzten auf mich selbst verwiesen und muss meinem Verfall ins ungeschönte Gesicht schauen. Der Reporter Roland Schulz nimmt eine sehr nüchterne Sichtweise ein und erläutert, wie Körperfunktionen Schritt für Schritt nachlassen. So sinke ab dreißig die Herzleistung, ab vierzig lasse die Muskelmasse nach, ab fünfzig die Knochendichte, ab sechzig fehle ein Drittel der Zähne und ab siebzig habe man ein geschrumpftes Hirn in Schädel, bis letztlich keine weitere Abnutzung mehr möglich sei und das System auseinanderfalle.84 Anders als Schulz setzt der Medizinethiker, Neurologe und Palliativmediziner Ralf J. Jox den physiologischen Sterbebeginn des Menschen sogar schon im Alter zwischen zehn und dreißig Jahren an, „da in dieser Zeit viele physiologische Parameter und Leistungsfunktionen ihren Höhepunkt erreichen, um nach und nach wieder abzufallen“85, was also einen denkbar frühen Systemschaden bedeuten würde. Was können wir tun, wenn ein System zu versagen droht? Wir bringen es erst einmal in Sicherheit. Dann versuchen wir, sollte das System nicht mehr optimierbar sein, seine Funktionsfähigkeit zu erhalten, damit der schlimmste Fall nicht oder zumindest noch nicht eintritt. Den ultimativen Verlust dieser Funktionsfähigkeit wollen wir uns nicht ausmalen, ihn so lange wie möglich weit von uns halten. Um die uns ängstigende Endlichkeit abzufedern, sehnen wir uns nach einer Art „Aufprallschutz“86, der jedoch unweigerlich eine Selbsttäuschung bleiben muss. Nicht selten wird dieser Aufprallschutz in der Optimierung des eigenen Körpers, in der akribischen Vorbereitung auf alle nur denkbaren Eventualitäten und im detailfreudigen Wissenserwerb über den Sterbeprozess gesucht. Der Tod sei, so der Erzbischof Vincenzo Paglia, heute aus den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft so eingehend wie noch nie durchleuchtet worden.87 Parado82 Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 177f. 83 Vgl. ebd., 162f. 84 Roland Schulz, So sterben wir. Unser Ende und was wir darüber wissen sollten, München 2018, 32. 85 Ralf J. Jox, Sterben lassen. Über Entscheidungen am Ende des Lebens, Reinbek bei Hamburg, 2013, 34. 86 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 242. 87 Vgl. Vincenzo Paglia, Bruder Tod, a.a.O., 53.

19

Das eigene Lebensende

xerweise stünde der heutige Mensch dennoch dem Tod in kultureller Hinsicht hilfloser als je zuvor gegenüber, wenngleich er über effektivere Mittel als je zuvor verfüge, den Tod längst möglich hinauszuzögern.88 Hilflosigkeit ist schwer auszuhalten und verlangt nach Bewältigungsstrategien, zu denen auch das Bestreben nach exklusiven Einsichten zählt. Der geheimnisumwitterte Tod komme, schreibt der Mediziner Sherwin B. Nuland, nicht nur mit Angst, sondern auch mit Faszination daher und übe auf den Menschen eine ähnliche Anziehungskraft aus, wie die Kerzenflamme dies bei Motten tue.89

Wann endet menschliches Leben? Unsicherheit, Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit stellen sich angesichts des Lebensendes ein und resultieren aus gesellschaftlichen Entwicklungen, deren Grundton wir uns bewusst oder unbewusst zu eigen gemacht haben. In einer Wettbewerbsgesellschaft, der die „Grundidee der Geldförmigkeit aller Beziehungen“90 sowie der „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“91 anhaftet, könnte im Zuge einer radikal gelebten Diesseitigkeit der Sinn und das Verständnis für den zweckfreien Wert des menschlichen Miteinanders, für uneigennützige Zuwendung und für den hoffnungsvollen Blick über die reine Diesseitigkeit hinaus Mangelware werden. Das kommt einem Armutszeugnis gleich. Zu einer radikal säkularisierten und hochgradig individualisierten Existenzweise geselle sich eine neue metaphysische Verlorenheit, die das Individuum auf seine Rolle als Konsument von Waren und Dienstleistungen reduziere.92 Blieb den Christen und Christinnen früherer Jahrhunderte trotz geringerer Lebenserwartung und wenig Ausgestaltungsmöglichkeiten des eigenen Lebens die Hoffnung auf das ewige Leben bei Gott, so hat der moderne Mensch das Linsengericht der höheren Lebenserwartung und der unüberschaubaren Möglichkeiten bei hoffnungsloser Restlaufzeit auszulöffeln. Ulrich Beck macht klar: „Das eigene Leben ist das Diesseitsleben, sein Ende ist das Ende. Es gibt ein Leben vor dem Tod. Man muß hinzufügen: nur eines.“93 Ohne den Glauben an die Auferstehung entsteht das Bedürfnis, aus diesem einen Leben möglichst viel „herauszuholen“.94 Der Tod, das Ende meines einen und 88 89 90 91 92 93

Vgl. ebd., 52. Vgl. Sherwin B. Nuland, Wie wir sterben. Ein Ende in Würde?, München 1994, 15. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 250. Ebd. Vgl. ebd., 48. Ulrich Beck, Was meint „eigenes Leben“?, a.a.O., 16; vgl. Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 13: „Der Zeitgenosse will Trost im Diesseits, weil ihn ein Jenseits nicht mehr überzeugt.“ 94 Vgl. Alexander Lahl, Hoffnung auf ewiges Leben. Entscheidung und Auferstehung im Tod, Freiburg im Breisgau 2009, 347.

20

Wann endet menschliches Leben?

einzigen Lebens, ist dann lediglich die „Austrittsbescheinigung aus dem Verein der Lebenden“95. Was bin ich, wenn ich diesen „Verein der Lebenden“ verlassen habe? Welche Gewissheit bleibt mir? Selbst die Redewendung „Gewiss ist nur der Tod“ trügt. Denn wann endet überhaupt das menschliche Leben? Auf diese Frage gibt es angesichts einer Vielzahl von Definitionen und zur Beweisführung eingesetzten Methoden ähnlich wie bei der Bestimmung des Lebensanfangs keine verbindliche, allgemeingültige Antwort.96 Der Internist Michael de Ridder hält es für eine Entscheidungsaufgabe der medizinisch-wissenschaftlich beratenen Gesetzgebung, wo genau man die Zäsur „Tod“ auf der Zeitskala im Sterbeprozess festlegen solle, und betont, dass es geschichtlich betrachtet aufgrund zeitgebundener Faktoren nie das eine Todeskonzept gegeben habe.97 Für Feldmann ist die Festlegung des Lebensendes keine natürliche, sondern eine soziale Tatsache.98 Die Übereinkunft, dass der irreversible Ausfall aller Hirnfunktionen als Todeskonzept dienen soll, wurde erst 1968 durch eine Ad-hoc-Kommission von Medizinern, Juristen und Theologen an der Harvard Medical School getroffen und hatte einen konkreten Sinn und Zweck: „Zäsur und Voraussetzung zur Organentnahme zu sein.“99 Aus dem sinnlosen Hirntod wird so qua Umdeutung die sinnvolle „Legitimationsgrundlage der Organentnahme“100. Die Frage bleibt dennoch: „Ist der Hirntod der Tod des Menschen?“101 Sollte es nicht auch legitim sein dürfen, „möglicherweise 95 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 56. 96 Vgl. Oliver Müller, Altern. Sterben. Tod. Die Vergänglichkeit des Menschen aus der Sicht der Naturwissenschaften, Gütersloh 2019, 33. 97 Vgl. Michael de Ridder, Wie wollen wir sterben? Ein ärztliches Plädoyer für eine neue Sterbekultur in Zeiten der Hochleistungsmedizin, München 2010, 49; vgl. zur Schwierigkeit einer biologischen Todesdefinition Frank Erbguth, Art.: Medizin, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 39–49; hier: 41f. 98 Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 20. 99 Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 93; vgl. ebd.: „Ohne Hirntod gäbe es keine Lebendorgantransplantation und keine Transplantationsmedizin. Anhand des Hirntod-Kriteriums macht man den Menschen zum plünderbaren Materiallager.“; vgl. Michael de Ridder, Wie wollen wir sterben?, a.a.O., 53: „Weder Herztod noch Hirntod geben Auskunft darüber, was der Tod ist. Vielmehr sind Herztod und Hirntod zwei unterschiedliche, doch gleichrangige Kriterien desselben Todes. Der Hirntod bestimmt ihn allein nach neurologischen Kriterien, der Herz-Kreislauftod allein nach den Kriterien des Herzstillstands und denen eines nicht mehr vorhandenen Blutdrucks.“; vgl. Frank Erbguth, Art.: Medizin, a.a.O., 43f.; vgl. Dominik Groß, Jasmin Grande, Art.: Sterbeprozess – medizingeschichtlich, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 75–83; hier: 79; vgl. Fuat Oduncu, Art.: Hirntod – medizinisch, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 98–103; vgl. Gian Domenico Borasio, Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen, München 22014, 22. 100 Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 76. 101 Giovanni Maio, Medizin ohne Maß? Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit, Stuttgart 2014, 130; vgl. Werner Schneider, Der „gesicherte“ Tod. Zur diskursiven

21

Das eigene Lebensende

unaufhebbares Nichtwissen stehen zu lassen, ohne eine Klarheit zu suggerieren, die es bei der Definition des Todes (…) nicht wirklich geben kann“102? Nicht nur das Lebensende ist schwer exakt einzugrenzen, sondern auch das Sterben bzw. der Prozess des Sterbens. Eine subjektive Wahrnehmung, ab wann sich das eigene Lebensende unabweisbar abzeichnet und somit der Sterbeprozess einsetzt, lässt sich wissenschaftlich kaum verallgemeinerbar abbilden.103 Ob eine Definition überhaupt möglich ist, bleibt fraglich.104 Die Reflexion über Sterben und Tod ist menschlich und gehört zum bzw. ins Leben105, wie es z.B. der Titel des jährlich stattfindenden Fachkongresses „Leben und Tod“ auf den Punkt bringt106 und wie es auch die bekannte Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross stets betonte: „Wenn wir wirklich leben wollen, müssen wir den Mut zur Erkenntnis haben, daß letzten Endes das Leben sehr kurz ist und daß alles, was wir tun, zählt. Wenn der Abend unseres Lebens anbricht, werden wir hoffentlich die Möglichkeit haben, zurückzublicken und zu sagen: ,Es war die Mühe wert, denn ich habe wirklich gelebt.‘“107 Um dies sagen zu können, müssen wir sprachfähig sein. Laut Felix Tirschmann zeichnet sich eine „neue Sagbarkeit des Sterbens“ ab, die keineswegs ein Nischenphänomen sei. Vielmehr handele es sich um eine gesellschaftliche Entwicklung, die neue Artikulationsmöglichkeiten eröffne.108 Von einer grundsätzlichen Verdrängung des Todes in der gegenwärOrdnung des Lebensendes in der Moderne, in: Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hg.), Thanatosoziologie, a.a.O., 55–79; hier: 59: „Die Hirntod-Definition wirft die Frage auf, wo, wie und mit welcher Sicherheit die Grenze zwischen Leben und Tod gezogen werden kann und auf welchen Gewissheiten die darauf bezogenen Todesdeutungen beruhen könnten, … .“ 102 Giovanni Maio, Medizin ohne Maß?, a.a.O., 137. 103 Vgl. Michael Rosentreter, Der Sterbeprozess im Spannungsfeld von Kommunikation und Motivation, in: Ders., Dominik Groß, Stephanie Kaiser (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, Kassel 2010 (http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-3-89958-960-3. volltext.frei.pdf; aufgerufen am 23.04.2021), 191–201; hier: 191. 104 Vgl. Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 14: „Wann jemand ein Sterbender ist und wann der Prozess des Sterbens beginnt, scheint recht unklar – schlimmer noch, als unterschiedliche Positionen dazu sind, ist, dass es überhaupt keine explizite Definition des Sterbevorgangs gibt.“ 105 Vgl. Ulrich H. J. Körtner, Bedenken, daß wir sterben müssen. Sterben und Tod in Theologie und medizinischer Ethik, München 1996, 7. 106 www.leben-und-tod.de; aufgerufen am 23.04.2021. 107 Elisabeth Kübler-Ross, Der Tod als Teil meines persönlichen Lebens, in: Dies. (Hg.), Reif werden zum Tode, München 2003, 259–272; hier: 272. 108 Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 238; vgl. Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle, Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, in: Dies. (Hg.), Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, Berlin 2004, 11–27; hier: 26: „Die Todesbewusstheit (…) könnte ein Topos sein, der eine neue generationelle Lebensphase in der Öffentlichkeit verankert, die für immer mehr Menschen (die immer älter werden) im Lebenslauf erwartet werden kann und sich neben das ,aktive Alter‘ stellt. Sie befindet sich aber bei weitem nicht in der Sterbephase, sondern partizipiert noch aktiv an der öffentlichen Kommunikation – und verändert damit auch die Bedeutung des Todes in der gesamten Gesellschaft.“

22

Wann endet menschliches Leben?

tigen Gesellschaft kann also wahrlich nicht mehr die Rede sein, so dass diese „unterkomplex formulierte These“109 durch „die These einer plurivalenten Ausdifferenzierung von Tod und Trauer“110 zu ersetzen ist.111 Als entscheidend für die Kommunikation über den Tod bzw. für die Verdrängung des Todes erweisen sich insbesondere die „Deutungs- und Bedeutungszusammenhänge einer soziohistorisch konkreten Interpretationsgemeinschaft.“112 Dennoch beklagen drei von vier der vom Berliner-Institut für Bevölkerung und Entwicklung mit Hilfe des Allensbacher Instituts für Demoskopie im November 2019 in 1.298 persönlichen Interviews Befragten, dass das Thema Sterben verdrängt werde.113 Es wird der Wunsch geäußert, die Gesellschaft möge einen anderen Umgang mit dem Sterben ebenso wie einen diesbezüglichen Austausch in neuen, offenen Gesprächsräumen finden.114 Der Tod sei als Gemeinschaftsaufgabe, die Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und jeden Einzelnen fordere, zu erkennen.115 Angestrebt werde, innerhalb der professionellen Strukturen und auch im bürgerschaftlichen Miteinander eine Sorgekultur zu fördern.116 Das Sterben am Ende eines durchschnittlich langen Lebens solle nicht länger ein Randdasein in der öffentlichen Auseinandersetzung fristen, sondern in der Wahrnehmung alltäglicher werden.117 Da fast ein Drittel der Gesellschaft zur Generation der sogenannten Babyboomer zählt, die älter wird und sich somit dem Tod nähert, wird das Lebensende unweigerlich eine stärkere Berücksichtigung erfahren müssen. Die Zahl der zu versorgenden Sterbenden wächst, und Abschiede im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis werden häufiger. Für das Lebensgefühl sind dies prägende Erfahrungen. „Vielerorts dürften die Einwohner sich eher beim Leichenschmaus treffen als bei der Einschulung ihrer Enkel.“118 109 Rainer Schützeichel, Sinnwelten des Trauerns. Eine Analyse der Professionalisierung von Trauerarbeit, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens, a.a.O., 113–134; hier: 130. 110 Ebd. 111 Vgl. zur Verdrängungsdiskussion Klaus Feldmann, Art.: Soziologie, a.a.O., 66; vgl. die Auflistung der Pro- und Contra-Argumente zur Verdrängungsthese von Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 61–64. 112 Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 7. 113 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 5; 14. 114 Vgl. ebd., 5. 115 Vgl. ebd., 46. 116 Ebd., 5. 117 Vgl. ebd., 10. 118 Catherina Hinz, Susanne Kutz, Konrad Lampart, Vorwort: Das Sterben ins Leben tragen, in: Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 6f.; hier: 6.

23

Das eigene Lebensende

Theologie und Kirche stehen angesichts dieser Entwicklung vor besonderen Herausforderungen. Sie prägen und gestalten von ihrem Selbstverständnis her eine Sorgekultur mit und sind aufgefordert, ihre entsprechende Professionalität auch im interdisziplinären Austausch permanent zu reflektieren, zu modifizieren und zu optimieren. Die fortschreitende Säkularisierung hat für das Selbst- und Fremdbild kirchlicher Unterstützungsangebote erhebliche Folgen gehabt, so dass diese sich immer wieder aufs Neue als „Orientierungspunkt im Umgang mit dem Sterben“119 und als kompetent an den biographischen Schnittpunkten beweisen müssen.

119 Ebd., 21.

24

Der Wann Tod endet – Konstante menschliches in allenLeben? Zeiten

Früher war alles besser?

Der Tod – Konstante in allen Zeiten Wenn von „früher“ die Rede ist, kann dies – als eine Möglichkeit unter vielen – die Geschichte der Menschheit umfassen. Diese reiche, um eine von zahlreichen Theorien exemplarisch anzuführen, gut 8000 Generationen zurück und in ihr seien 200 Milliarden Menschen – so Statistiker – bereits gestorben.120 Heute würden jede Minute über einhundert und somit jeden Tag mehr als 150000 Menschen sterben.121 Sie tun dies trotz der enormen Anzahl jeder und jede für sich allein. So ist Sterben sowohl ein alltägliches Geschehen als auch für die Betroffenen das einzigartigste Ereignis schlechthin.122 Tod und Leben können kulturell nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Ebenso wenig kann das Sterben gesellschaftlich ausgeblendet werden, da die Folgen, wie der Philosoph Robert Spaemann zu Bedenken gibt, ansonsten überaus bedenklich seien: „Wo Sterben nicht als Teil des Lebens verstanden und kultiviert wird, da beginnt die Zivilisation des Todes.“123 Eine die Lebenden und die Toten betreffende Zivilisationsleistung ist der Umgang mit Verstorbenen. Schon im 6. Jahrhundert vor Christus gab Chilon von Sparta, einer der Sieben Weisen Griechenlands, folgende, gerne auf Latein zitierte Parole aus: „De mortuis nil nisi bene dicendum. (Über die Toten rede nur wohlwollend.)“124 Mit Eintritt des Todes wurde somit ein kommunikativer Verhaltenskodex für die Überlebenden geschaffen. Wenn wir über in der Vergangenheit liegendes Sterben und frühere Tode sprechen, ist zu berücksichtigen, dass unsere Kenntnis lückenhaft ist und bleiben muss. Der Sozial- und Kulturhistoriker Norbert Fischer legt Wert auf die Feststellung, dass Sterben und Tod bei Oberschichten, wie Adel, Geistlichkeit und Bürgertum, angesichts der Quellenlage ungleich besser dokumentiert seien als bei unteren sozialen Schichten, die diesbezüglich weitgehend unbekannt blieben.125 120 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 28f. 121 Vgl. ebd., 67. 122 Ebd. 123 Robert Spaemann, Gerrit Hohendorf, Fuat S. Oduncu, Vom guten Sterben. Warum es keinen assistierten Tod geben darf. Mit einem Vorwort von Manfred Lütz, Freiburg im Breisgau 2015, 158. 124 Sue Black, Alles, was bleibt. Mein Leben mit dem Tod, Köln 2018, 173. 125 Norbert Fischer, Art.: Sterben und Tod in der Neuzeit, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 6–15; hier: 7.

25

Früher war alles besser?

Früher starb man anders, besonders deshalb, weil man in der Regel nicht so lange lebte. Im Mittelalter wurde nur etwa die Hälfte aller Kinder überhaupt 14 Jahre alt. Frauen erreichten im 14. und 15. Jahrhundert aufgrund der mit Schwangerschaften und Geburten einhergehenden Risiken ein durchschnittliches Alter von 29,8 Jahren und Männer eines von 40 bis 60 Jahren. Sogar 1870 verstarb noch ein Viertel der halbwüchsigen Kinder, was den Tod zu einer permanenten Größe im Leben und Lebensgefühl nahezu jeder Familie gemacht haben dürfte.126 Starb es sich denn wenigstens früher besser? War man eher auf den Tod eingestellt und wurde liebevoll im Kreis der Familie durch die schwerste Zeit getragen? Gehörte der Tod schlichtweg zum Leben dazu? Der viel zitierte Klassiker „Geschichte des Todes“ des französischen Historikers Philippe Ariès konstatiert das „jahrtausendelange Überdauern einer nahezu unveränderlichen Einstellung zum Tod“127, spricht von der „Fügung ins Unvermeidliche“128 und vom „gezähmten Tod“ vergangener Tage: „Die alte Einstellung, für die der Tod nah und vertraut und zugleich abgeschwächt und kaum fühlbar war, steht in schroffem Gegensatz zur unsrigen, für die er so angsteinflößend ist, daß wir ihn kaum beim Namen zu nennen wagen. Aus diesem Grunde meinen wir, wenn wir diesen vertrauten Tod den gezähmten nennen, damit nicht, daß er früher wild war und inzwischen domestiziert worden ist. Wir wollen im Gegenteil sagen, daß er heute wild geworden ist, während er es vordem nicht war. Der älteste Tod war der gezähmte.“129 Von Kritik verschont geblieben ist diese recht allgemeine Deutung nicht.130 Ernst Engelke, ehemaliger Professor für Soziale Arbeit und professioneller Begleiter Sterbender, hält nicht viel von einer Glorifizierung vergangener Haltungen zu Sterben und Tod. Schwerkranke und Sterbende seien ihren Krankheiten ziemlich schutzlos ausgeliefert gewesen, hätten starke Schmerzen zu ertragen gehabt und nur über äußerst begrenzte ärztliche Hilfe verfügt. Den Angehörigen sei nichts anderes übriggeblieben, als die vor Schmerzen schreienden Sterbenskranken auszuhalten.131 Das Lebensende in früheren Zeiten ist ebenso wenig verallgemeinerbar und abschließend bewertbar, wie es dies heute ist. 126 Vgl. C. Juliane Vieregge, Lass uns über den Tod reden, Berlin 2019, 292; Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 2. 127 Philippe Ariès, Geschichte des Todes, München 1982, 43. 128 Ebd., 40. 129 Ebd., 42; vgl. Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, Frankfurt am Main 2016, 145: „,Zahm‘ heißt nicht ,wohlwollend‘, ,nah‘ nicht willkommen, ,vertraut‘ nicht, daß der Tod ohne Widerwillen angenommen wurde.“; vgl. ebd., 147: „Man könnte daher meinen, worauf sich Ariès Rede von der ,Zahmheit‘ des vormodernen Todes beziehe, sei bloß die bis zum Anbruch des Zeitalters der Vernunft unbezweifelte, allgemeine Voraussetzung, daß gegen das grausame Los der Menschen kein Kraut gewachsen war.“ 130 Vgl. z. B. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben. Wie wir besser damit umgehen, Reinbek bei Hamburg 2015, 31. 131 Ebd., 33.

26

Die Kunst des Sterbens

Die Kunst des Sterbens Die christliche Tradition empfahl über viele Jahrhunderte hinweg, sich auf das Lebensende vorzubereiten. Erwägungen, wann und wie dies am besten geschehen soll, sind natürlich nicht ausschließlich christlicher Natur, sondern dürften so alt wie die Menschheit selbst sein.132 Bis in die Antike reicht die christliche Praxis der seelsorgerlichen Sterbebegleitung133, deren Fokus sich im Mittelalter vermehrt auf die Frage nach dem ewigen Heil bzw. der ewigen Verdammnis verschob, so dass Handreichungen für Seelsorger und Sterbende sehr gefragt waren.134 Besondere Dringlichkeit erhielt die Vorbereitung auf das Sterben in Krisenzeiten, wie etwa während der Pestepidemien, denen eine unmittelbare Bedeutung für die Entstehung der Ars-moriendi-Literatur zugeschrieben wird.135 Die „ars moriendi“, die „Kunst des Sterbens“, war ein höchst gefragter „Ratgeber im mittelalterlichen Sinn“136, der mit Texten und Bildern bei dieser Vorbereitung zum Sterben helfen sollte. Unter dem Begriff „Ars“ ist dabei die Fähigkeit zu verstehen, „nach einem in ein bestimmtes Regelsystem gefaßten Wissen zu handeln.“137 Eine „regelrechte ars moriendi-Literatur“138 lässt sich schon anhand früher Manuskripte bis ins elfte Jahrhundert zurückverfolgen und verdeutlicht, welche Fragen Priester Sterbenden stellten.139 Sowohl Sterbebegleiter, also z. B. Priester, Ärzte und Angehörige, als auch jeder Christ und jede Christin, die sich auf das eigene Sterben einstellen wollten, verfügten durch die Ars-moriendi-Literatur über eine diesbezügliche Handreichung140, so dass von der Präsenz mittelalterlichen Handlungswissens im 132 Vgl. Settimo Monteverde, Der vorgesetzte Tod, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline, a.a.O., 49–57; hier: 55. 133 Vgl. Markus Rothaar, Art.: Sterbebegleitung, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 225–228; hier: 225: „Unter dem Begriff ,Sterbebegleitung‘ werden zumeist all diejenigen Tätigkeiten und Maßnahmen zusammengefasst, die dazu dienen, einem Menschen in seiner letzten Lebensphase Unterstützung zu geben und Beistand zu leisten.“ 134 Vgl. Austra Reinis, Art.: Ars moriendi – Ritual- und Textgeschichte, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 159–165; hier: 159. 135 Vgl. Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, in: Harald Wagner, Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi. Erwägungen zur Kunst des Sterbens, Freiburg im Breisgau 1989, 15–44; hier: 24. 136 Hildegard Elisabeth Keller, Von Mäusen und Minuten. Geschichten über die Endlichkeit, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline, a.a.O., 11–26; hier: 15. 137 Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, a.a.O., 17. 138 Ulrich Volp, Der menschliche Tod in den christlichen Gemeinden, in: Ders. (Hg.), Tod, a.a.O., 117–161; hier: 136. 139 Ebd. 140 Vgl. Harald Wagner, Einleitung. Von einer Theologie des Todes zur Theologie des Sterbens, in: Ders., Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi, a.a.O., 9–13; hier: 11.

27

Früher war alles besser?

Blick auf den Sterbeprozess die Rede sein kann. Als „ein theologisches Herzstück der Ars moriendi“141 gilt die Anselm von Canterbury (1034–1109) zugeschriebene “Admonitio Anselmi“142, die zeitlos die Bedeutung des Erlösungstodes Jesu Christi und deren entscheidende Relevanz für die menschliche Hoffnung zum Ausdruck bringt.143 Ab dem zwölften Jahrhundert verstärkte sich die Sorge um das eigene Seelenheil insofern, als ein Individualisierungsprozess einsetzte, der mit dem Aufblühen der Städte, einer größeren Mobilität, der Gründung von Universitäten und einer stärkeren beruflichen Differenzierung in Verbindung gebracht wird, wenngleich der und die Einzelne sich nach wie vor stark ins Kollektiv eingeordnet wusste.144 In dieser Zeit stieg ebenfalls das Bedürfnis, ein Testament zu machen, Seelenmessen zu organisieren, sich auf dem Totenbett zu bekehren und Grabplastiken mit Personendarstellungen zu versehen.145 Der Kanon der Ars-moriendi-Literatur erfuhr eine permanente Erweiterung. Dies zeigt sich auch in der von Johannes Gerson (1363–1429) verfassten Version146, die zugleich als Namensgeberin der Gattung fungierte.147 Im Vordergrund der mittelalterlichen Auseinandersetzung mit der Unausweichlichkeit des Todes ist im Gegensatz zur Gegenwart die Zielbestimmung zu betrachten, die darin bestand, die begrenzte Lebenszeit nach Gottes Willen zu gestalten und auf diesem Wege zur ewigen Seligkeit, zum Leben bei Gott, gelangen zu können.148 Die Beschäftigung mit dem Tod war im Mittelalter also der „Ansporn zu einem gottgefälligen Leben“149 und verdichtete sich in einem Lebensgefühl, das die Vergänglichkeit irdischer Werte betonte. Die Möglichkeit eines plötzlichen Todes, der heute vielfach als wünschenswert erscheint, erfüllte die mittelalterlichen Christen und Christinnen mit Schrecken, bedeutete dies doch, unvorbereitet und ohne anteilnehmende Begleitung das Leben zu beenden.150 141 Vgl. Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, a.a.O., 27. 142 Vgl. hierzu ausführlicher ebd., 26f. 143 Vgl. ebd., 27. 144 Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 44. 145 Vgl. ebd. 146 Vgl. Ulrich Volp, Der menschliche Tod in den christlichen Gemeinden, a.a.O., 136; vgl. Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, a.a.O., 27f. 147 Vgl. Austra Reinis, Art.: Ars moriendi – Ritual- und Textgeschichte, a.a.O., 159: „Als wegweisendes Beispiel dieser neuen Gattung gilt v.a. der ihr den Namen verleihende dritte Teil De arte moriendi des Opus Tripartitum (um 1408) von Johannes Gerson (1363–1429).“ 148 Vgl. Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, a.a.O., 18f.; vgl. ebd., 19: „Gerade von dieser Zielbestimmung her erleichtert sich aber auch die Annahme des Todes für den Gläubigen. (…) Es kommt für den Gläubigen alles darauf an, so zu leben, daß er nach seinem Tod die ewige Seligkeit geschenkt bekommt.“ 149 Vgl. ebd., 20. 150 Vgl. ebd.

28

Die Kunst des Sterbens

Von der Vorbereitung auf das eigene Lebensende konnte und wollte sich der mittelalterliche Christ im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild machen. Eine sogenannte „Bilder-ars“151 bzw. die „Ars moriendi der fünf Anfechtungen“152 setzt sich aus elf Holzschnitten und entsprechenden Texten zusammen, deren Autorenschaft umstritten ist153, und veranschaulicht die folgenden Themen: „Glaubenszweifel – Aufruf zum Glauben; Verzweiflung – Ruf zur Hoffnung; Ungeduld – Ermahnung zur Geduld; Selbstüberheblichkeit – Mahnung zur Demut; Habsucht, Geiz – Aufforderung zum Weltverzicht und zur Weltverleugnung; das Abschlußbild stellt die Todesstunde dar.“154 Wie unter einem Brennglas kommen wesentliche Stadien des früheren Lebens zum Vorschein. Die begangenen Verfehlungen veranschaulichen die Notwendigkeit zur endgültigen Entscheidung im Angesicht des Todes. Dabei geht es nicht allein um eine Art Lebensbilanz, wenngleich der Kranke im Mittelpunkt steht. Entscheidend ist die Fokussierung der Bilder-Ars auf den Glauben, der allein Barmherzigkeit und Rettung in Aussicht stellt.155 Da nur wenige Menschen lesen konnten, kam den Holzschnitten eine besondere Bedeutung zu, wie die Expertin für deutsche Literatur Hildegard Elisabeth Keller beschreibt: „Die elf Holzschnitte führen die Leser in eine ritualisierte christliche Vorstellung dessen ein, was im und um einen Sterbenden vor sich geht. Wie auf einer Bühne treten kirchliches Personal, die Trinität Gottes, die Muttergottes, Heilige, Engel und – zahlenmäßig dominant – Teufel nacheinander in die Kammer der Sterbenden.“156 Hergestellt wurde dieser spätmittelalterliche Bestseller in Ermangelung von beweglichen Lettern als sogenanntes Blockbuch, das mit Holzstöcken gedruckt wurde. Eine überregionale Verbreitung war aufgrund der beachtlichen Nachfrage gegeben.157 Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tod hat auch im Motiv des sogenannten „Totentanzes“ seinen Niederschlag gefunden, dessen Aussagekraft sich den Betrachtenden direkt erschloss.158 Alle werden ohne Rücksicht auf Alter oder gesellschaftlichen Stand vom Tod zum Tanz aufgefordert, da der Tod niemanden übergeht.159 151 Vgl. ebd., 32. 152 Vgl. ebd. 153 Vgl. ebd. 154 Ebd., 33. 155 Vgl. ebd., 35. 156 Hildegard Elisabeth Keller, Von Mäusen und Minuten, a.a.O., 15. 157 Vgl. ebd., 14f. 158 Vgl. Hans Schadewaldt, Bilder vom Tod. Meditationen über Totentänze, in: Rolf Winau, Peter Rosemeier (Hg.), Tod und Sterben, a.a.O., 77–101; hier: 81: „Als älteste Totentanzdarstellung wird heute ein Fresko in der Abteikirche La Chaise-Dieu in der Auvergne angesehen, das nach neuesten Forschungen zwischen 1390 und 1410 entstanden ist.“ 159 Vgl. Reimer Gronemeyer, Andreas Heller, In Ruhe sterben. Was wir uns wünschen und was die moderne Medizin nicht leisten kann, München 2014, 49.

29

Früher war alles besser?

Der Reformator Martin Luther, dessen Schriften mit Hilfe des Buchdruckes leichter verbreitet werden konnten, kam wiederholt in seinen Werken auf das Sterben zu sprechen, so etwa 1519 mit der Schrift „Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben“ (WA 2, 680–697) und 1527 mit „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ (WA 23, 338–386).160 Der Sterbende solle sich auf Christus, Wort und Sakrament konzentrieren und wissen, dass die Augen Gottes, Christi, der Engel, der Heiligen und aller Christen auf ihn sehen würden (WA 2, 695).161 Sowohl die Reformation als auch die Gegenreformation dürften den kirchlichen Anspruch auf das umkämpfte Individuum verstärkt haben.162 Eine Gemeinsamkeit der früheren Bereitung zum Sterben und der heutigen Wiederentdeckung einer ars moriendi ist die Einsicht, dass Sterben nicht ohne die Bewältigung von Konflikten möglich ist.163 Ein wesentlicher Unterschied ist aber die Zahl der an diesem Prozess beteiligten Personen. Man konnte früher in der Regel davon ausgehen, die letzten Augenblicke des Lebens nicht allein verbringen zu müssen, wenngleich Ariès‘ Feststellung sehr pauschal anmutet: „Man starb immer öffentlich.“164 Der Abschied von den Toten, die sogenannte Totenwache, ist eine Seltenheit geworden. Während sich früher Familien, Verwandte, Freunde und Nachbarn gemeinsam im Trauerhaus versammelten, sind diese Treffen mittlerweile Ausnahmeerscheinungen. Solch eine geregelt ablaufende Interaktion mit anderen Menschen ermöglicht jedoch Orientierung, Sicherheit, emotionale Unterstützung sowie die Gewissheit der Zusammengehörigkeit.165 Sie simplifiziert komplex und überfordernd anmutende Situationen, indem ein haltstiftendes Handlungsgerüst gegeben wird, das wohlwollendes Verständnis beim sozialen Umfeld der Trauernden voraussetzen kann. Ariès hält die „vertraute Einfachheit“ neben der Öffentlichkeit für eine Charakteristik des rituellen Todes.166 Die Funktion des Rituals besteht u.a. in der „Stabilisierung in Belastungssituationen“167. 160 Vgl. Hans-Martin Barth, Leben und sterben können. Brechungen der spätmittelalterlichen „ars moriendi“ in der Theologie Martin Luthers, in: Harald Wagner, Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi, a.a.O., 45–66; hier: 53. 161 Vgl. Thomas Klie, Bestattungskultur, in: Ulrich Volp (Hg.), Tod, a.a.O., 201–253; hier: 226; vgl. zu Luthers theologischer Auseinandersetzung mit dem Sterben Hans-Martin Barth, Leben und sterben können, a.a.O., 45–66. 162 Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 45. 163 Vgl. Franz-Josef Illhardt, Art.: Ars moriendi – aktuelle Wiederentdeckung, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 170–174; hier: 171. 164 Philippe Ariès, Geschichte des Todes, a.a.O., 30; vgl. Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden, a.a.O., 24. 165 Vgl. Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 18. 166 Philippe Ariès, Geschichte des Todes, a.a.O., 30. 167 Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 18.

30

Schonungslose Ritualverarmung

Teil dieses öffentlichen und ritualisierten Sterbe- und Trauerprozesses war die unhinterfragte Zuständigkeit der Familie und des nahen Umfeldes. Eine Verweigerung der anteilnehmenden Fürsorge kam nicht in Frage und die Unterstützung durch die Nachbarschaft bzw. die Dorfgemeinschaft war eine Selbstverständlichkeit. In dem Maße, in dem sich professionelle Spezialisierungen, Kompetenzen und Angebote rund um die Versorgung von Sterbenden und Verstorbenen herausbildeten, gingen zahlreiche Gewissheiten und damit eine Handlungsorientierung verloren. So steht nicht länger fest, wer die Totenwaschung vornehmen wird, wer gegebenenfalls den Pfarrer oder die Pfarrerin verständigen soll, wer den Sarg oder die Urne zur letzten Ruhestätte trägt, wer sich um Blumenschmuck, die etwaige Einladung der Trauergäste und um vieles mehr zu kümmern hat. Begegneten sich früher angesichts eines Trauerfalls einander vertraute Menschen, wird der Leichnam heute meist Fremden anvertraut.

Schonungslose Ritualverarmung Rituale im Umfeld des Todes sind sowohl Ausdruck von Vertrautheit als auch Urheber dieser Vertrautheit. Sie reduzieren Ängste vor dem Unbekannten.168 Verzichten wir auf das Ritual, bleibt uns auch seine wohltuende Wirkung verwehrt, und eine „rituelle Verarmung“169 stellt sich ein. Unsere Gesellschaft akzeptiert Trauer primär als etwas Privates und trennt sich damit von dem Jahrtausende alten Brauch, die Zeit der Trauer als öffentliches Ereignis zu begehen.170 Starken Gefühlen wie Verzweiflung, Kummer und seelischer Not nach dem Verlust einer geliebten Person wird in der Öffentlichkeit kaum noch Raum und Zeit zugestanden.171 Das ehemals akzeptierte Trauerjahr war wie eine „Schonfrist“, die es den Hinterbliebenen ermöglichen sollte, alle Jahreszeiten und Festtage erstmalig ohne die verstorbene Person zu durchleben und dabei auf die verständnisvolle Rücksicht ihres Umfeldes zu vertrauen. Veranschaulicht wurde dieser Ausnahmezustand durch schwarze Trauerkleidung.172 Mit dem Wegfall dieser Bräuche wird Trauer 168 Vgl. ebd. 169 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 89. 170 Vgl. Marco Frenschkowski, Art.: Religionswissenschaft, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 15–27; hier: 19: „Die Totenklage und die Zeit der Trauer sind in traditionellen Gesellschaften in hohem Maße öffentliche Ereignisse. (…) Erst die allerjüngste Vergangenheit hat eine Privatisierung des Todes und der Trauer mit sich gebracht, an der außer der Familie allenfalls sehr enge Freunde Anteil nehmen.“ 171 Vgl. Susanne Conrad, Sterben für Anfänger. Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können, Berlin 2013, 160. 172 Vgl. ebd., 169.

31

Früher war alles besser?

unsichtbar und behutsame Schonung unwahrscheinlich. Sprach- und Hilflosigkeit gegenüber Tod und Trauer sind die häufige Folge.173 Wie wichtig diese Zeit der Trauer ist, führt der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio aus, indem er die Verarbeitung von Verlusten mit einem Schweizer Käse vergleicht. „Je älter wir werden, desto mehr und größere Verlusterlebnisse sammeln sich in unserer Lebensgeschichte an (…). Jedem dieser Verluste seinen Platz in unserem Leben zu geben, das entstandene Loch als Teil unserer Identität zu akzeptieren und mit den Erinnerungen weiterzuleben, ist ein Teil dessen, was persönliches Wachstum und menschliche Reifung ausmacht.“174 Früher war die Trauer eine gesellschaftlich akzeptierte und verankerte Praxis, heute ist sie Gegenstand der Forschung und ein individuell zu lösendes Problem.175 Um das Lebensende akzeptieren zu können, müssten u.a. Sterben und Tod weniger abstrakt sein. Während der Tod über Jahrtausende hinweg ein offensichtlicher Bekannter, eine für jeden permanente Bedrohung und letztlich ein nicht zu negierender Bestandteil des eigenen familiären Lebens war, sehen heute viele Erwachsene den ersten Leichnam dann, wenn ihre Eltern sterben und sie sich selbst schon jenseits der Lebensmitte befinden. Diese Nichtsichtbarkeit von Sterben und Tod, wenn es um konkrete Menschen und nicht etwa um die mediale Thematisierung bzw. Inszenierung geht, ist Teil unserer gegenwärtigen Kultur. Zu allen Zeiten war die Art und Weise, wie das menschliche Leben endet, begleitet und begriffen wird, eingebettet in das jeweilige kulturelle Selbstverständnis und bedingt durch Wertvorstellungen, Normen und die konventionelle Moral der jeweiligen Epoche.176 Für unsere Zeit diagnostiziert der Ethiker Settimo Monteverde: „In einem Umfeld pluraler Lebensentwürfe ist es unwahrscheinlich, dass es gelingt, sich auf eine konsensfähige Vorstellung des guten Sterbens zu einigen (…).“177

173 Vgl. Marco Frenschkowski, Art.: Religionswissenschaft, a.a.O., 19. 174 Gian Domenico Borasio, Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen, München 22014, 88. 175 Vgl. zu Theorien des Trauerns und zur Trauerforschung Joachim Wittkowski, Art.: Psychologie, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 50–61; hier: 54–58. 176 Vgl. Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 15. 177 Settimo Monteverde, Der vorgesetzte Tod, a.a.O., 56.

32

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert Schonungslose des Ritualverarmung Kontrollverlusts

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts Das Lebensgefühl und die Eigenarten der Gegenwart kommen nicht zuletzt in Trends und „Megatrends“178 zum Ausdruck. Zu diesen Eigenarten zählen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die „Entfremdung des Menschen von Gott und Natur“179, die „Individualisierung“180, die „Beschleunigung“181, die „Ökonomisierung“182, die „Reflexivität“183, die „Professionalisierung“184, das „Verbergen und Verschleiern“185, die „Medikalisierung“186 und die „Institutionalisierung“187. Einige dieser Trends und Entwicklungen sollen betrachtet werden, da sie nicht nur für unser Verständnis vom Leben relevant sind, sondern auch unsere Einstellung zu unserem Lebensende mitbestimmen. Die „Entfremdung des Menschen von Gott und Natur“188 geht mit dem Nachlassen religiöser Bindungen und Orientierung einher. Es entsteht eine „neue metaphysische Verlorenheit“189, da Gottes Zuständigkeit als Herr über Leben und Tod alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.190 Wie und warum diese metaphysische Heimatlosigkeit mit der Individualisierung logisch verbunden ist, veranschaulicht 178 Hans Strenge, Joachim Wittkowski, Zeitgemäße Choreographien bei der Begegnung mit Leben und Tod, a.a.O., 224; vgl. zu den Merkmalen von Megatrends Heinzpeter Hempelmann, Milieus, Megatrends und Mentalitäten. Beobachtungen zur Ausdifferenzierung der Bestattungskultur, in: Ders., Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 52–73; hier: 53. 179 Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 19. 180 Ebd., 19; Dies., Zeitgemäße Choreographien bei der Begegnung mit Leben und Tod, a.a.O., 224. 181 Dies., Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 19. 182 Ebd., 20; Dies., Zeitgemäße Choreographien bei der Begegnung mit Leben und Tod, a.a.O., 224. 183 Dies., Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 20f. 184 Dies., Zeitgemäße Choreographien bei der Begegnung mit Leben und Tod, a.a.O., 224. 185 Ebd. 186 Vgl. z.B. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 68. 187 Vgl. z.B. ebd. 188 Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 19. 189 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 48. 190 Vgl. Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 19.

33

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts

die Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Marianne Gronemeyer: „Der auf seine Vernunft pochende neuzeitliche Mensch gewinnt ohne eigenes Zutun, durch sein bloßes Dasein keine Existenz als Individuum. Er muß sich vielmehr selbst erschaffen (…). Indem er sich auf seine Vernunft beruft, tritt er heraus aus der heilsgeschichtlichen Ordnung, in der er seine fraglose Stellung, seinen vorherbestimmten Ort, einen zuverlässigen Halt und einen unbezweifelbaren Lebenssinn hatte. (…) Seine Freiheit besteht darin, sich zu besondern, und sein Risiko darin, an der Selbsterschaffung zu scheitern. Vormodern konnte jemand sein Seelenheil, nicht aber sich selbst verfehlen.“191 Dem unruhigen Herzen, von dem Augustin einst sprach, bleibt nicht länger die Heimkehr zu Gott als ultimative Hoffnung, sondern das Leben wird zur einzigen Gelegenheit und die Diesseitshoffnung alternativlos.192 Aus der „Jenseitsverkümmerung“193 wurde eine „Diesseitsobsession“194, denn das Sterben kommt ohne Trost.195 Das ruft sowohl enorme Verlustängste als auch hohe Erwartungen an die eigene Person hervor. Niemals wird die dem Menschen zur Verfügung stehende Zeit ausreichen, der „Aufgabe der Selbsterschaffung und Selbstverbesserung“196 gerecht zu werden, so dass diese unvollendet bleiben muss und der Tod in jedem Fall zu früh eintritt.197 Um dies überhaupt aushalten zu können, wird die „Aussicht auf unerschöpflichen Lebensreichtum“198 zur Maxime, während dem Tod eine „Verbannung aus der Sphäre des Lebens“199 zu Teil wird. Diese Tendenz macht auch vor der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht Halt. So stellt der Soziologe Matthias Meitzler fest, dass sich die Soziologie bislang nur sehr zaghaft mit der Individualisierung der „letzten Dinge“ auseinandergesetzt habe und somit der gesellschaftlichen Omnipräsenz und Tragweite des Todes trotz der Teildisziplin „Thanatosoziologie“ bislang nicht gerecht geworden sei.200 Im deutschsprachigen Raum fehlt es an Fachzeitschriften und einem Lehrstuhl zur 191 Marianne Gronemeyer, Das Leben als letzte Gelegenheit. Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit, Darmstadt 21996, 22. 192 Vgl. ebd., 24. 193 Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 104. 194 Ebd. 195 Vgl. Günther Loewit, Sterben, a.a.O., 21: „Studien belegen allerdings, dass uns das Paradies der westlichen Wohlstandsgesellschaft auch unglücklich und depressiv macht. Aus dem biblisch-symbolischen Fegefeuer ist oftmals das Burn-out zu Lebzeiten geworden. Der Glaube an ein erstrebenswertes Jenseits ist mit zunehmender materieller Sättigung deutlich geschwunden.“ 196 Marianne Gronemeyer, Das Leben als letzte Gelegenheit, a.a.O., 24. 197 Vgl. ebd. 198 Ebd., 25. 199 Ebd. 200 Vgl. Matthias Meitzler, Postexistentielle Existenzbastelei, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 133–162; hier: 138.

34

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts

Erforschung der Thematik 201, obwohl der Bedarf offensichtlich ist. Lebenswelten, Sinngebung, Erwartungen an die Normalität verändern sich und mit ihnen wandeln sich unsere Handlungsweisen. Dies hat Folgen für den Umgang mit der Sterblichkeit.202 Insofern, als kollektive Szenarien ihre Verbindlichkeit verloren hätten, könnte es zu einem stärkeren Versuch der individuellen Aneignung des Todes kommen oder – auch dies hält der Soziologe Thorsten Benkel für eine Möglichkeit – es wäre genau umgekehrt: „Die kollektiven Elemente des Todes und der Todeserklärung könnten Schaden genommen haben, weil sich individualisierte Alternativen aufdrängen und verbreiten konnten.“203 Der Tod sei nicht losgelöst von sozialen Strukturen zu denken, so dass gesellschaftliche Änderungen auch Änderungen des Lebensendes mit sich bringen würden.204 Als Folge der Individualisierung sehen Wittkowski und Strenge heutiges Sterben als Privatangelegenheit an: „Aus einer Angelegenheit der Gemeinschaft ist eine Angelegenheit des Einzelnen geworden. (…) Eine Allgemeinverbindlichkeit dieses Rituals gibt es nicht mehr, jeder ist sein eigener Regisseur.“205 Der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer ist laut Benkel „als Echo gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen“206 zu akzeptieren, und es zeichne sich empirisch eine Individualisierungstendenz des Sepukralen ab. Ein „spätpostmodernes ,anything goes‘“ entpuppt sich „als individualisierungstheoretisch analysierbarer Re-Konstruktionszwang gesellschaftlicher Angebote und Leistungen unter der Regie des auf sich selbst zurückgeworfenen Subjekts.“207 Der Theologe und Philosoph Heinzpeter Hempelmann sieht das Individuum, das, konfrontiert mit Sterben und Tod, unter besonderem Stress stehe, nun zu einer selbständigen Orientierungsleistung aufgefordert, ohne hierbei länger auf die Unterstützung durch verlorengegangenes traditionelles Handlungswissen zurückgreifen zu können.208 So ist auch der letzte Lebensabschnitt unter die Herausforderung der Flexibilisierung geraten.209 Ähnlich der Lebensplanung wird die Planung des eigenen Sterbens selbstverständlicher werden210. Das Bedürfnis nach Absicherung, Orien201 Vgl. Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 80. 202 Vgl. Matthias Meitzler, Postexistentielle Existenzbastelei, a.a.O., 138. 203 Thorsten Benkel, Der lebendige Tod. Ein Vorwort, in: Ders. (Hg.), Die Zukunft des Todes, a.a.O., 7–9; hier: 7. 204 Vgl. ebd., 8. 205 Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 21f. 206 Thorsten Benkel, Symbolische Präsenz. Der Status der Identität nach dem Ende der Identität, in: Ders. (Hg.), Die Zukunft des Todes, a.a.O., 11–40; hier: 33. 207 Ebd., 35. 208 Vgl. Heinzpeter Hempelmann, Milieus, Megatrends und Mentalitäten, a.a.O., 64. 209 Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 25f. 210 Vgl. ebd., 185.

35

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts

tierung und Kontrolle nimmt zu. Reimer Gronemeyer fragt, „wann das absurde, aber verbreitete Motto: ,Erfolgreich altern‘ überboten wird und sich in dem Slogan: ,Wie sterbe ich richtig‘ fortsetzt.“211 Unvorhergesehenes ist unerwünscht und ruft das Verlangen nach Absicherung, nach einem „Risikomanagement“212 hervor, da – wie die Ökonomie lehre – Menschen risikoadvers seien.213 Hinzu kommt, dass unser Lebenstempo immer rasanter wird und die Möglichkeiten, unsere Zeit zu nutzen, immer vielfältiger sind.214 Die Intensivierung des Lebens, die gesundheitliche Optimierung des eigenen Körpers, das Aneinanderreihen von Events, Erfolgen und Highlights mögen sich vorübergehend sehr „lebendig“, wenn nicht gar „unbesiegbar“ anfühlen, sie sind langfristig aber nicht in der Lage, darüber hinwegzutäuschen, dass die Lebenszeit trotz aller Anstrengungen eine begrenzte sein wird. Intensivierungsbestrebungen anderer Art finden sich in der Medizin und in der Ökonomie, die nicht selten miteinander verflochten sind. Der heutige Tod zeichnet sich besonders durch Ungleichheit aus und die Erfahrungen mit ihm werden auf der Grundlage des medizinischen Fortschritts, aber auch des sozialen und ökonomischen Wandels gemacht.215 Mitunter kann so eine eigentlich reiche Gesellschaft sehr arme Züge aufweisen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn alles einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterstellt wird, was bei der professionellen Unterstützung und Begleitung Sterbender besonders schmerzlich ist. Zwischenmenschliche Nähe und zeitintensive Zuwendung sind besonders am Lebensende unbezahlbar und wertvoll, fallen aber zu oft Effektivitätsanforderungen und wirtschaftlichen Optimierungsbestrebungen zum Opfer. Ist der Tod dann erst einmal eingetreten, stehen vielleicht andere Kosten-Nutzen-Abwägungen an, etwa wenn es um die höchst komplizierte Erforschung der Todesursache geht.216 Die Todesursache eindeutig zu klären, ist kostenintensiv. In Deutschland werden nur zwischen ein und zwei Prozent aller Toten gerichtsmedizinisch obduziert, so dass Michael Tsokos, der Leiter des Instituts für Rechts211 Ebd., 199; vgl. Ders., Hospiz, Hospizbewegung und Palliative Care in Europa, in: Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hg.), Thanatosoziologie, a.a.O., 207–217; hier: 212f. 212 Frank Mathwig, Zwischen Leben und Tod, a.a.O., 96. 213 Vgl. ebd., 97. 214 Vgl. Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 20. 215 Vgl. Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 51. 216 Vgl. zur Geschichte der Sektion unter der Überschrift „Was Leichen lehren (…)“ Carmen Thomas, Berührungsängste? Vom Umgang mit der Leiche, Köln 1994, 202–213; vgl. HansBernhard Wuermeling, Art.: Todesursachen, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 109–113; hier 109.

36

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts

medizin der Berliner Charité, die Vermutung äußert, dass die Angaben auf etwa jedem zweiten Totenschein fehlerhaft seien und ferner jedes zweite Tötungsdelikt unerkannt bleibe.217 Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass jede Obduktion „einen erheblichen Eingriff in die Integrität eines toten Menschen“218 bedeutet und es daher einer stringenten Rechtfertigung für ihre Durchführung bedarf. 219 Die Todesursache zu kennen, ist für den diesseitsorientierten Menschen von enormer Bedeutung, da die Hoffnung mitschwingt, dass bekannte Ursachen besser vermieden werden können als unbekannte. Reimer Gronemeyer regt – sicherlich mit Blick auf natürliche Todesursachen – zu folgender Überlegung an: „Müssen wir den Tod unbedingt immer auf einen bestimmten Grund zurückführen? Warum sagen wir nicht einfach: ,Er ist gestorben, weil er geboren wurde‘?“220 Diese Aussage würde zumindest immer zutreffend sein. An diesem Punkt hört die Gleichheit angesichts des Lebensendes allerdings bereits auf. Die Lebenserwartung221 in Deutschland ist auch von sozialen Faktoren abhängig, woraus folgt: „Wer arm ist, stirbt früher.“222 Kosten-Nutzen-Erwägungen machen auch vor zwischenmenschlichen Beziehungen nicht Halt. „Rechnet sich das für mich? Stehen meine Investitionen in diese Beziehung in einem günstigen Verhältnis zu dem Gewinn, den ich daraus ziehe?“223 Zwar ist diese Haltung kein Alleinstellungsmerkmal unserer Zeit, sondern dürfte in allen Epochen eine Rolle gespielt haben, aber Wittkowski und Strenge betonen, dass das Ausmaß dieser Haltung für die Moderne kennzeichnend 217 Vgl. Oliver Müller, Altern. Sterben. Tod, a.a.O., 181. 218 Klaus-Steffen Saternus, Art.: Obduktion – rechtsmedizinisch, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 253–257; hier: 253. 219 Vgl. ebd., 253: „Gesetzliche Regelungen nehmen den Angehörigen, den zur Totensorge Verpflichteten, in diesem Fall die Entscheidung ab. Die Obduktion wird im öffentlichen Interesse durchgeführt.“ 220 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 59. 221 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 11: „Heute sterben Männer in Deutschland mit durchschnittlich 78, Frauen mit 83 Jahren.“; vgl. zur Berechnung von Sterberate und Lebenserwartung Gabriele Doblhammer-Reiter, Thomas Salzmann, Art.: Sterberate, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 118–125. 222 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 60; vgl. Klaus Feldmann, Art.: Soziologie, a.a.O., 69: „Internationale Untersuchungen zeigen, dass ökonomische und soziale Mangelzustände mit Krankheitsanfälligkeit und Verringerung der Lebenserwartung verbunden sind (…).“; vgl. Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 25: „Die Gruppe derjenigen, die über 0–60% des Durchschnittseinkommens verfügen, haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 70,1 Jahren, diejenigen, die über 150% und mehr des Durchschnittseinkommens verfügen, haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80,8 Jahren.“ 223 Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 20.

37

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts

sei.224 Ebenso könne man die Tendenz zu Professionalisierung und zum Expertentum als Ausfluss der Ökonomisierung sehen.225 Sterben ist ein Kostenfaktor, und medizinische Leistungen haben ihren Preis. „Premiumsterben“226 gibt es nicht umsonst, Sterben und Tod sind ökonomisiert und ein Milliardenmarkt. Allein etwa zwei Drittel der Krankenhauskosten fallen heute durchschnittlich für den letzten Lebensabschnitt an.227 Nicht nur wirtschaftliche Fakten positionieren das Individuum, weisen ihm seinen Platz zu. Das Individuum erfährt sich zudem als verwoben mit der globalisierten Gesellschaft, kann mittels Fernsehen, Internet und Sozialen Medien unmittelbar an tausenden von Kilometern entfernten Ereignissen teilhaben und ist so permanent Einflüssen, die zur Selbstpositionierung und Selbstreflektion nötigen, ausgesetzt.228 Diese permanent geforderte Reflexivität und Selbstreflexivität ist im Blick auf das eigene Sterben vollkommen nutzlos. Im Sterben wird der maximale Kontrollverlust erlebt. Die Frage, ob etwas nach dem Tod kommt bzw. was kommt, muss individuell ausgehalten werden.229 Der 2010 verstorbene Regisseur Christoph Schlingensief bringt dieses Gefühl während seiner Krebserkrankung auf den Punkt: „Man hat nur so Angst, die Kontrolle zu verlieren. Ist ja auch so: Ich bin zurzeit raus aus dem Spiel, kann zwar noch mit überlegen und Pläne schmieden, aber die Dinge kontrollieren kann ich nicht.“230 Jeder Einzelne müsse, so Schlingensief, irgendwann feststellen, dass seine Konstellation hier endgültig beendet sei, und deswegen würden wahrscheinlich alle so sehr am Leben kleben.231 Zur Reflexivität gehört dazu, dass berufliche und soziale Selbst- und Fremdzuschreibungen im Angesicht des Todes irrelevant werden. Wenn Professionalität im letzten Lebensstadium und darüber hinaus von Bedeutung ist, dann nicht mehr die eigene, sondern die der den Sterbevorgang professionell begleitenden Personen. Nachdem Sterben und Tod ab dem 19. Jahrhundert eine Entflechtung aus der unmittelbaren Verantwortung von Familie, Nachbarschaft und Kirche erfahren haben232, ist die Professionalisierung des Todes heute eine Selbstverständlichkeit. 224 Ebd. 225 Ebd. 226 Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 194. 227 Vgl. Rainer Traub, Auf der Suche nach dem guten Ende, in: Annette Großbongardt, Ders. (Hg.), Das Ende des Lebens, a.a.O., 17–31; hier: 25. 228 Vgl. Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 20f. 229 Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 121. 230 Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung, München 42010, 119; vgl. zum Kontrollverlust Karin Keller-Sutter, Sterben und Tod, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline, a.a.O., 209–219; hier: 218f. 231 Vgl. Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!, a.a.O., 230f. 232 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 14.

38

Diesseitsorientierung und das Damoklesschwert des Kontrollverlusts

Die Begleitung Sterbender sowie die Bestattung Toter geht nun mit bekannten Berufsbildern einher. Unsere Gesellschaft verfügt zur Bewältigung des Todes über eine Vielzahl von Experten und Expertinnen, die von Ärzten und Ärztinnen über Friedhofsverwalter und Friedhofsverwalterinnen bis zu Trauerhelfern und Trauerhelferinnen sowie Autoren und Autorinnen von Ratgeberbüchern reichen.233 Professionalisierung verspricht Kontrolle. Lassen sich Sterben und Tod schon nicht vermeiden, so soll wenigstens der Umgang mit ihnen regelgeleitet und erwartungsgemäß erfolgen, um nicht noch weitere Unsicherheitsgefühle heraufzubeschwören. Wittkowski und Strenge enttarnen eine weitere Kontrollvariante: „Als Nebeneffekt der Professionalisierung ist (…) eine Pädagogisierung des Sterbens erkennbar. Behutsam wird dem Sterbenden vermittelt, wie er sich in seiner Rolle ,richtig‘ zu verhalten habe, etwa indem er bestimmte Phasen durchläuft und Sterbebewusstheit – ein Leitkriterium des ,guten Sterbens‘ – zu erkennen gibt.“234 Kontrollbemühungen können sich auch darin zeigen, wenn Sterben und Tod als existentiell relevante Lebensthemen kaum zur Sprache kommen. Mit welcher Absicht grenzen wir Sterben und Tod aus? Die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer geht von einer „Verbannung“ des Todes anstelle seiner „Verachtung“ aus und begründet dies damit, dass, wenn der Tod nun einmal unausweichlich bleibe, man wenigstens die Erinnerung an ihn Zeitlebens zu tilgen versuche.235 Ein Indiz für diese Annahme könnte die Tatsache sein, dass die Verabschiedung von Verstorbenen am Totenbett oder am offenen Sarg selten geworden ist.236 Es komme zu einer „Privatisierung“ des Todes, obwohl Tod und Sterben soziale Phänomene blieben.237 Alle einen Verstorbenen betreffenden Arbeitsschritte, die zwischen Eintritt des Todes und der Bestattung anstehen, werden „in der modern funktional differenzierten und mediatisierten Gesellschaft zumeist Experten überlassen“238, so dass dieser ganze Bereich selbst für die Trauernden unsichtbar bleibe.239 Daraus folgt: „Die Tendenz geht zum Sterben ohne Sterbende, zum Tod ohne Tote.“240 Das Leben im Diesseits lässt kaum ein Abschweifen des Blickes auf dessen Endlichkeit zu. Die Angst vor der puren, ungeschönten Nichtexistenz, deren Hände nicht nur andere, sondern auch mich zu ergreifen droht, ist zu groß.

233 Vgl. ebd., 66f. 234 Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 22f. 235 Vgl. Marianne Gronemeyer, Das Leben als letzte Gelegenheit, a.a.O., 25. 236 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 28. 237 Vgl. ebd., 14f. 238 Ebd., 82. 239 Vgl. ebd. 240 Hans Strenge, Joachim Wittkowski, Zeitgemäße Choreographien bei der Begegnung mit Leben und Tod, a.a.O., 224.

39

Mein soziales Lebensende

Mein soziales Lebensende

Einsamkeit – lebendig vergessen Mein soziales Lebensende muss keineswegs zeitgleich mit meinem körperlichen Lebensende einsetzen. Wenn keiner mehr von mir Notiz nimmt, ich für niemanden von Bedeutung bin und ich nicht mehr am gesellschaftlichen Leben partizipiere, dann werde ich zwar eventuell noch körperlich weit vom Lebensende entfernt sein, nicht aber sozial. Ich wäre kein Einzelfall, denn soziales Sterben ist etwas Alltägliches geworden. Im sozialen Sterben kann ein Übergang oder eine Statuspassage gesehen werden241, die mit dem Verlust von „Rollen, Positionen, Territorien, Besitz, Informationsquellen und sonstigen sozialen Partizipationschancen“242 einhergeht. Diese Entwicklung – so Klaus Feldmann – ist kennzeichnend für unsere heutige Gesellschaft, in der die unproduktive Lebensphase nach dem Ausscheiden aus dem Beruf länger geworden sei, was gemeinsam mit dem medizinischen Fortschritt zu einer geschichtlich einmaligen „Phase des langen sozialen Sterbens“ führe.243 Zu unterscheiden sind zwei Hauptformen des sozialen Sterbens: der prämortale Ausschluss aus der Gemeinschaft und das postmortale soziale Sterben.244 Die prämortale „soziale Nichtexistenz“245, der die Aufmerksamkeit in diesem Buch gilt, muss keinen offiziellen Charakter haben, es kann sich auch um einen inoffiziellen, schleichenden oder lediglich subjektiv erfahrenen Prozess handeln. Beim postmortalen “social death“ erlischt die soziale Bedeutung des Verstorbenen und kann – wie Beispiele historischer Persönlichkeiten zeigen – auch aktiv beeinflusst werden.246 Lebendig vergessen zu werden, widerfährt sowohl einzelnen Menschen als auch ganzen Alterskohorten und Personengruppen.247 So finden sterbenskranke 241 Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 135. 242 Ebd., 132. 243 Ebd. 244 Vgl. ebd., 126. 245 Ebd. 246 Vgl. ebd., 129: „Wenn Statuen oder Bilder von Herrschern, Politikern oder anderen Menschen entfernt oder zerstört werden, sie zu Unpersonen erklärt werden, dann werden sie lange nach ihrem physischen Tod sozial bzw. politisch getötet“; vgl. Olaf B. Rader, Damnatio corporis – damnatio memoriae. Zur Logik politischer Leichenschändungen, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, a.a.O., 41–57. 247 Vgl. Werner Fuchs-Heinritz, Art.: Sozialer Tod, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas

40

Einsamkeit – lebendig vergessen

und alte Menschen in den Medien kaum Erwähnung, und es verwundert dementsprechend auch nicht, wenn sich die Betroffenen und ihre Angehörigen in ihrer Situation alleingelassen, übergangen und ignoriert fühlen. Verzweiflung ist nicht selten die Folge.248 Verzweiflung resultiert oft aus Einsamkeit. Einsamkeit ist nicht nur traurig, sondern vor allem derart gefährlich, dass sich die Sterberate – so der Mediziner Warraich – um 50 Prozent erhöht.249 Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer hat ein Buch über die Einsamkeit geschrieben, die er als „schmerzhaft, ansteckend, tödlich“ ansieht und von der er sagt: „Wer weitgehend sozial isoliert lebt, hat ein doppeltes bis dreifaches Risiko, innerhalb eines bestimmten Zeitraums (beispielsweise von fünf oder zehn Jahren) zu sterben als jemand, der über zahlreiche und gute soziale Kontakte verfügt.“250 Das erhöhte Sterberisiko gelte sowohl bei objektiv bestehender sozialer Isolation als auch bei subjektiv empfundener Einsamkeit.251 Menschen seien ganz besonders auf ein Leben in der Gemeinschaft ausgerichtet.252 Trotzdem habe Einsamkeit gegenwärtig Konjunktur253 und steigere die Wahrscheinlichkeit von Bluthochdruck, Stoffwechselstörungen, Gefäßleiden, Schlafstörungen, Depressionen, Lungen- und Infektionskrankheiten.254 Der Rückgang der geistigen Leistungsfähigkeit werde ebenfalls durch Einsamkeit gefördert.255 Das soziale Lebensende kommt für den „homo flexibilis“256 ohne Gebrauchsanweisung daher. Wenngleich das wohl immer schon so war, gilt dies für unsere Zeit, in der einstige Selbstverständlichkeiten wie die religiöse Orientierung und die Verlässlichkeit familiärer Strukturen mehr und mehr abhandenkommen, in einer besonderen Dringlichkeit. Das radikal Neue an unserer gegenwärtigen Situation sei, dass während in den meisten einfachen Gesellschaften der körperliche Tod am Anfang gestanden und der soziale Tod sich in einem langen Prozess der Verabschiedung über Wochen hinweg ereignet hätte, in unserer heutigen Gesellschaft der soziale Tod dem physischen oft vorausgehe.257

Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 133–136; hier: 135: „Fasst man soziales Sterben so als Rollenverlust, als Segregation, als Stigmatisiertwerden, als Marginalisierung, als Exklusionserfahrung allgemein, dann kommt es im sozialen Leben ständig und überall vor (…).“ 248 Vgl. Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 27. 249 Vgl. Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 231. 250 Manfred Spitzer, Einsamkeit – die unerkannte Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich, München 2018, 162. 251 Vgl. ebd., 171. 252 Vgl. ebd., 13. 253 Vgl. ebd., 44. 254 Vgl. ebd., 143. 255 Vgl. ebd., 157. 256 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 25. 257 Vgl. ebd., 19f.

41

Mein soziales Lebensende

Ist unser gesellschaftlicher Wert zunehmend an Jugend, Aussehen, Ansehen und Leistung gebunden, muten Alter, Krankheit und das näher rückende Lebensende mit jedem Jahr bedrohlicher an. Den Trend zum „Anti-Aging“ enttarnen die Autoren Ritter und Ising als „Tod-Verzögern“258, als „Sterbensverzögerung durch Selbstoptimierung“259. Der Autor Christian Schüle konkretisiert dies: „Wert hat, wer zu leisten imstande ist. Mehrwert hat, wer mehr zu leisten imstande ist.“260 Hier ist sie wieder, die trügerische Lebensmacht des „Machens“. Wir begeben uns in einen destruktiven Konkurrenzkampf, der verheerende Folgen hat, wie der Mediziner Günther Loewit beschreibt: „Der zunehmende Egoismus unserer Gesellschaft produziert als Nebenprodukt der Erfolgs- und Glitzerwelt Einsamkeit. Wer immer schöner, reicher und schneller als seine Mitmenschen sein will, muss notgedrungen einsam werden. Wer immer auf der Suche nach persönlicher Gewinnmaximierung ist, hat keine Zeit, Freundschaften zu pflegen.“261 Verlieren außerdem familiäre, nachbarschaftliche, soziale und kirchliche Beziehungen an Bedeutung und nimmt die Zahl der einsamen, alten und pflegebedürftigen Menschen erheblich zu, dann können Einzelne sich erbarmungslos auf ihre Funktion als zahlende Konsumenten und Konsumentinnen von Waren und Dienstleistungen reduziert fühlen. Vorübergehend bleibt dann die zweite trügerische Lebensmacht des „Habens“. Am Ende geht – wie gezeigt – weder aus dem „Machen“ noch aus dem „Haben“ eine „Sicherheit“ hervor, die von Dauer sein wird. In zunehmendem Maß wird Einsamkeit ein gesellschaftlich relevantes Thema werden, da die geburtenstarken Babyboomer älter werden, somit selbst dem Tod näher rücken, aber zu einem größeren Teil als frühere Generationen keine Kinder haben.262 Um im Alter sowie im Sterbeprozess nicht ungewollt einsam zu sein, gewinnen im Fall von Kinderlosigkeit andere Bezugspersonen an Bedeutung.263 Wo aber findet ein einsamer Mensch Gemeinschaft? Eine oft belächelte oder doch zumindest häufig unterschätzte Form der emotionalen und körperlichen Nähe spenden Tiere. Sie haben gegenüber Menschen, die Gefühle wie Ekel etwa in Anbetracht von Gerüchen oder offenen Wunden nicht immer verheimlichen können264, den Vorteil, dass man bei Tieren keinen Anspruch auf Ästhetik zu erfüllen 258 Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also. Was Sie schon immer über den Tod wissen wollten, München 2019, 341. 259 Ebd. 260 Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 31. 261 Günther Loewit, Sterben, a.a.O., 92. 262 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 39. 263 Vgl. ebd., 48: „Jeder Einzelne von uns trägt Verantwortung dafür, sich ein soziales Netz aufzubauen.“ 264 Vgl. zum Ekelgefühl H. Christof Müller-Busch, Abschied braucht Zeit. Palliativmedizin und Ethik des Sterbens, Berlin 42013, 167–170.

42

Erschwernisse im pfleglichen Umgang mit Sterbenden

hat. Angst, Einsamkeit und Depressionen würden durch die Anwesenheit von Tieren abgemildert und das Wohlbefinden unterstützt.265 Tiere seien geradezu „palliative Ressourcen“, weil sie rudimentäre Bedürfnisse nach Nähe, Vertrautheit und alltäglichen Gewohnheiten erfüllen würden.266 Je nach Mobilität und Gesundheitszustand gibt es zudem eine Vielzahl von Angeboten, die in Eigeninitiative wahrgenommen werden könnten. Wer jedoch ans Bett gebunden und nicht mit vielen sozialen Kontakten und liebevoller Zuwendung gesegnet ist, dem bleibt – sofern dies im Glauben erstrebt wird – die spirituelle Gemeinschaft, die jedem im Gebet offensteht.267 Im Gebet stehen gläubige Menschen einander bei und können so eine spirituelle Vitalität erfahren.268 Beistand ist keine rein räumliche, sondern auch eine geistige Größe. In jedem Fall ist Beistand ein urmenschliches Bedürfnis, das auch Jesus nicht fremd war, der sich von seinen Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes vergeblich Wachsamkeit und Gebet im Garten Gethsemane gewünscht hatte (Mt 26,36-46). Im Gebet und in der Gebetserfahrung kann das Vertrauen auf Gottes Nähe und Beistand angesichts einer als belastend erlebten Realität genährt und die Hoffnung auf Besserung gestärkt werden. Wer sich im Glauben mit anderen verbunden weiß, kann faktische Einsamkeit anders, weniger schmerzlich empfinden und sich sozial lebendig fühlen, selbst wenn dies von außen betrachtet nicht den Anschein hat.

Erschwernisse im pfleglichen Umgang mit Sterbenden Ernst Engelke beschreibt anschaulich, wie sich die Lebenswelt Sterbender verengt. Er vergleicht das Zusammenleben von gesunden und sterbenskranken Menschen mit dem Spiel eines Schachspielers und eines Damespielers an ein und demselben „B(r)ett“. Jeder spiele nach seinen eigenen Regeln und folglich spielten beide aneinander vorbei. Die Gesunden, in der Metapher die Schachspieler, würden über sechzehn unterschiedliche Figuren verfügen, mit denen sie sich vorwärts- und rückwärtsbewegen sowie laufen und springen könnten. Ihre Bewegungsfreiheit sei also eine gänzlich andere als die der Damespieler, welche in der Metapher für die Sterbenskranken stünden. Letzteren blieben lediglich zwölf flache runde Steine, die nur auf den dunklen Brettfeldern und nur in einer Vorwärtsbewegung 265 Vgl. Michaela Thönnes, Nina Jakoby, Tiere als Sterbebegleiter. Eine symbolisch-interaktionistische Perspektive, in: Dies (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens, a.a.O., 91–111; hier: 99. 266 Vgl. ebd., 105. 267 Vgl. Markus Knapp, „Tod, wo ist dein Sieg?“ Theologische Überlegungen zur Wirklichkeit des Todes, in: Reinhard Göllner (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod. Tod und Sterben als individuelle und gesellschaftliche Herausforderung, Berlin 2010, 77–97; hier: 96f. 268 Vgl. Vincenzo Paglia, Bruder Tod, a.a.O., 135.

43

Mein soziales Lebensende

zum Einsatz kommen dürften, was für ein wirkliches Zusammenspiel mit den Schachspielern keine gedeihlichen Voraussetzungen seien. „Schachspieler sind oft stolz auf ihr königliches Spiel. Dame zu spielen ist unter ihrer Würde. Sie lassen sich ungern dazu hinab. Im Leben ist es leider so, dass gesunde Menschen irgendwann krank und auch sterbenskrank werden. In der Metapher ausgedrückt: Das königliche Spiel ist vorbei, und der Schachspieler muss ,Dame spielen.‘ Sehnsüchtig blicken wir, wenn es uns trifft, zurück und erleben, dass Schachspieler nichts mit uns zu tun haben wollen.“269 Es kann zum „Rückzug der Lebenden von den Todgeweihten“270 kommen, doch auch die Sterbenden selbst erleben ihr eigenes Verhalten als ein verändertes. Selbstkritisch schildert Christoph Schlingensief sein ungerechtes und absurdes Verhalten gegenüber Gesunden, mit dem er die eigene Unfähigkeit durch die Erniedrigung anderer zu überdecken versucht habe.271 Diese Einsicht alleine nutze seiner Ansicht nach jedoch nichts, denn die Eifersucht und das Gefühl der fehlenden Zugehörigkeit seien schlichtweg unerträglich, so dass Ungerechtigkeiten immer wieder passieren würden.272 Dieser Eindruck, nicht mehr dazuzugehören, ist keine bloße Einbildung. Gesunde Menschen können es bewusst oder unbewusst als Zumutung erleben, mit Sterbenskranken in Berührung zu kommen und sich so mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu sehen. Eine Strategie, sich der buchstäblichen Begegnung mit Sterben und Tod zu entziehen, könnte paradoxerweise aber auch gerade das ständige Sprechen über das Sterben sein, wobei natürlich stets die anderen die Subjekte dieses unerfreulichen Vorgangs wären.273 Nur schlauer wird man dadurch nicht, auch nicht lebensklüger oder weiser im Sterben. „Um die Metapher aufzugreifen: Kluge Schachspieler befassen sich frühzeitig mit dem Damespiel.“274 So sollten gerade Sterbenskranke als „wegweisende Lehrer“275 Wertschätzung erfahren, da wir ihnen einen ganz einzigartigen und unvergleichbar wertvollen Unterricht verdanken.276 Liebevolle Zuwendung ist keine Selbstverständlichkeit und stattdessen zu einem Luxusgut geworden, das sich dennoch monetären Maßstäben entzieht. Nicht nur diejenigen, deren Leben sich dem Ende zuneigt, sondern auch diejenigen, die sich um diese Menschen kümmern, gingen laut Erzbischof Vincenzo Paglia bereichert aus diesen intensiven Begegnungen hervor: „Ein Kranker kann selbst 269 Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 12f. 270 Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden, a.a.O., 35. 271 Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!, a.a.O., 242. 272 Ebd., 134. 273 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 16f. 274 Ebd., 17. 275 Ebd. 276 Vgl. ebd., 5.

44

Erschwernisse im pfleglichen Umgang mit Sterbenden

in seinen schwersten Stunden seinem Leben stets noch Sinn abgewinnen, wenn er liebevollen Beistand erhält. Und an der Seite eines kranken Menschen zu wachen, seine Leiden zu lindern, tut auch demjenigen, der ihn begleitet, ja der ganzen Gesellschaft, gut, weil es zu verstehen hilft, dass das Leben, auch wenn es schwach ist, stets von Wert bleibt.“277 Ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie der Umgang mit Sterbenden bereichern und Angehörige stärken kann, beschreibt die Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin Annelie Keil: „,Habt‘ ihr’s schon gemerkt? Ich bilde euch gerade zu Hinterbliebenen aus‘, sagt ein Bewohner im Hospiz lachend zu seinen Angehörigen.“278 Neben den bereichernden Erfahrungen sind allerdings auch Überforderung sowie das Gefühl der Erleichterung nach dem Tod der Angehörigen keine Seltenheit.279 Heute verwundert es kaum noch jemanden, wenn man in dafür vorgesehenen und ausgestatteten Institutionen verstirbt. Schauen wir uns an, wie viele Menschen alleine oder maximal zu zweit einen Privathaushalt bilden, ist dies die logische Folge, denn: „Wer soll da pflegen?“280 Selbst wenn Verwandte vorhanden und auch in der Nähe bzw. im selben Haushalt wohnhaft sind, gibt es auch die Möglichkeit, dass Angehörige Pflege und eine etwaige Sterbebegleitung ablehnen. Engelke folgert: „Angehörige verweigern sich, wollen ihr Leben genießen und sich nicht mit Krankheit und Sterben befassen.“281 Dieses Urteil ist sehr allgemein und nicht ausreichend ausdifferenziert. Zwischenmenschliche Konstellationen sind so facettenreich, dass die Beweggründe für oder gegen Pflege und Begleitung bis zum Tod sehr unterschiedlich sein werden. Ob die Übernahme von Pflege gewollt und gekonnt wird, ist eine individuelle und sehr persönliche Entscheidung. Ebenso persönlich ist die Antwort auf die Frage, ob Sterbende von ihren Angehörigen Pflege annehmen möchten. Eine Verpflichtung zu aufopfernd-liebevoller Betreuung Sterbender wäre ein Widerspruch in sich selbst. Generationen von vorwiegend Frauen wurde stillschweigend zugemutet, ihre Eltern und Schwiegereltern zu versorgen, ohne dass man darin eine charakterbildende Chance hätte sehen können, sich mit Krankheit und Sterben zu befassen. Es ging hier doch vielfach eher um eine kostengünstige 277 Vincenzo Paglia, Bruder Tod, a.a.O., 48. 278 Annelie Keil, Henning Scherf, Das letzte Tabu. Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen, Freiburg im Breisgau 2016, 169; vgl. Eduard Maas, Das Buch vom Abschied. Prominente Persönlichkeiten über Sterben, Tod und Trauer, München 2012, 13: „Dennoch berichten fast alle, die bei einem Sterbenden bis zu seinem Tod Beistand geleistet haben, dass dies ein erfüllendes Erlebnis gewesen sei und dass es ihnen in ihrer Trauer nach dem Tod sehr geholfen hat.“; vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 17f. 279 Vgl. ebd., 18. 280 Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 48. 281 Ebd., 49.

45

Mein soziales Lebensende

Arbeitskraft, deren eigene Befindlichkeit nachrangig war. Nicht selten wird die Pflege aus finanziellen Erwägungen mit Blick auf die Rente des zu Verpflegenden, das Pflegegeld oder die auf Angehörige im Fall einer stationären Pflege etwaig zukommenden Kosten übernommen.282 Grundsätzlich lässt die Bereitschaft zur Pflege nach.283 Wer pflegt, geht selbst gesundheitliche Risiken ein, so dass das Sterberisiko pflegender Angehöriger um 63 Prozent höher sei als bei Personen, die niemals pflegen würden.284 Die Bereitschaft, einem Menschen im Sterbeprozess beizustehen, unterscheidet sich sehr stark hinsichtlich der theoretischen Willensbekundung und der praktischen Ausführung. Befragte, die über größere finanzielle Ressourcen und höhere Bildungsabschlüsse verfügten, gaben zu 78 Prozent an, bereit zu sein, einen Sterbenden zu begleiten, Befragte, bei denen dies nicht der Fall war, zu 51 Prozent. Auf die Frage, wer nun tatsächlich bereits einen Sterbenden betreut hat, liegen die Befragten mit dem niedrigen Status bei 52 Prozent und die mit hohem sozioökonomischen Status bei 48 Prozent.285 Solche Umfrageergebnisse machen die Diskrepanz zwischen akzeptierten Normen und deren faktischer Umsetzung in gehobenen Schichten deutlich.286 Die Berliner Studie „Auf ein Sterbenswort“ zeigt ferner, dass zwei von drei der über 59-Jährigen die intensiven Eindrücke der Sterbebegleitung bereits gemacht hätten, wobei kirchennahe Personen und solche mit niedrigerem sozioökonomischem Status Sterbenden öfter beigestanden hätten als die entsprechenden Vergleichsgruppen.287 Eine lebensbedrohliche Erkrankung offenbare häufig die Qualität der sozialen Beziehungen und Bindungen der Sterbenskranken, wobei auch geschlechtsbezogene Unterschiede auffällig seien. Männer würden eher ihre sterbenskranke Frau verlassen, als Frauen ihren sterbenskranken Mann.288 Verlassen werden kann logischerweise nur, wer noch Familie oder Wahlverwandtschaft hat. Viele Sterbende haben keine Angehörigen mehr, u.a. dann, wenn die „Familie schon ,vorverstorben‘“289 ist. „Wenn die Menschen älter werden, beginnen um sie herum Freunde und Angehörige zu fallen wie Blätter im Herbst“290, veranschaulicht Haider Warraich diese von vielen Menschen schmerzlich erlebte Situation. 282 Vgl. Barbara Dobrick, Wenn die alten Eltern sterben. Das endgültige Ende der Kindheit, Freiburg im Breisgau 22012, 34. 283 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 53. 284 Vgl. Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 190. 285 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 18f. 286 Ebd., 19. 287 Vgl. ebd., 17. 288 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 73. 289 Ebd., 87. 290 Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 230.

46

Erschwernisse im pfleglichen Umgang mit Sterbenden

Die Gründe für Einsamkeit sind vielfältig und nicht alle Sterbenskranke sind unverschuldet allein. Aggressionen, Zorn, verbale und körperliche Übergriffe darf niemand ohne Rücksicht auf andere ausleben, und es sollte nicht als Aufgabe von Angehörigen, Pflegenden, Betreuenden sowie Medizinern und Medizinerinnen erachtet werden, alles stillschweigend hinzunehmen. So schlimm und unerträglich die Lage von Sterbenskranken auch ist, verdient dennoch nicht nur ihre Menschenwürde uneingeschränkte Achtung.291 Weder das Alter noch die wahrscheinliche Nähe zum Lebensende machen uns zwangsläufig zu herzlicheren Menschen. Die Art und Weise, wie wir anderen auf Augenhöhe interessiert begegnen, bzw. dies nicht tun, bleibt nicht folgenlos. Auf Beziehungen, die nicht gepflegt wurden, kann nicht plötzlich selbstverständlich zurückgegriffen werden, da die gemeinsame Geschichte und das Verständnis füreinander fehlen.292 Das hat seinen Preis, oder ist im Falle von gelungenen Beziehungen für den Sterbenden ein enormer Gewinn. Engelke spricht vom „(Mit-)Leiden der Angehörigen und Freunde“293, die zu „Compagnons des Sterbenskranken, kurz ,Co-Patienten‘“ würden und deren „Grad der ,Betroffenheit‘“ die Intensität dieses Status bestimme.294 Erwartungen relativierend ist zu sagen, dass Menschen, die es ein Leben lang nicht vermochten, sich mit anderen über schwierige Themen auszutauschen und sich gedanklich und emotional in andere hineinzuversetzen, dies auch wenn sie dem Tode näher kommen, nicht plötzlich können oder wollen.295 Wer Sterbende begleitet, wird sich intensiver mit dem eigenen Tod auseinandersetzen und es werden sich klarere Vorstellungen darüber herausbilden, welche Begleitung und Versorgung am eigenen Lebensende gewünscht wird.296

291 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 229f. 292 Vgl. Sherwin B. Nuland, Wie wir sterben, a.a.O., 383: „In der Stunde des Todes quälen uns nicht nur körperliche Schmerzen und Ängste. Zu den schwersten Bürden gehört das Gefühl der Reue, das vielen das Ende noch bitterer macht. (…) Ich spreche von unbewältigten Konflikten, zerbrochenen Beziehungen, versäumten Gelegenheiten, nicht gehaltenen Versprechen und vergeudeten Jahren.“ 293 Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 134. 294 Ebd., 135. 295 Vgl. Jörg Zink, Auferstehung, a.a.O., 39. 296 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 17.

47

Krankheit und Sterbeprozess

Krankheit und Sterbeprozess

Krankheitsvermeidung als Statussymbol Innerhalb von gut hundert Jahren hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in unserer Gesellschaft mehr als verdoppelt. Dies hat das persönliche Sicherheitsgefühl gestärkt297 und sowohl die Wahrnehmung des Todes als auch die des Sterbeprozesses verändert.298 Gemäß mathematischer Modelle betrage das maximal erreichbare menschliche Alter 126 Jahre, und die Hundertjährigen sind die am schnellsten wachsende Altersgruppe in der Welt.299 Die Wahrscheinlichkeit, einmal zu den sogenannten „Supercentenarians (Menschen über 110)“ zu zählen, ist für Frauen deutlich höher als für Männer, denn auf einen Mann kämen 35 Frauen.300 Natürlich geht die Verlängerung des Lebens nicht ohne eine Veränderung der Gesellschaft einher.301 In einer vermeintlich „lebenssüchtige[n] Gesellschaft“302 gewinnt das Umgehen von Krankheit und Sterben an Gewicht. „Wie man nicht stirbt“ wird zur wichtigen Lebensfrage, die durch die Vermeidung der zwölf häufigsten Todesursachen aktiv und effektiv – zumindest vorläufig – beantwortet werden könne.303 Mittlerweile sei die Haupttodesursache das hohe Lebensalter selbst, das sich u.a. im Versagen des Kreislaufsystems sowie in Krebserkrankungen abzeichnen würde.304 Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Risiko stellt Armut dar. So läge die durchschnittliche Lebenserwartung von denjenigen Männern, die zu der am geringsten verdienenden Gruppe zählten, um sechs Jahr unter der Lebenserwartung jener, die der höchst verdienenden Gruppe angehörten. Für Frauen betrage die 297 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 2. 298 Vgl. ebd., 10; vgl. Katharina Ley, Anders älter werden. So gelingen die besten Jahre, Munderfing 2016, 15: „Wir werden komplex alt und wir sterben ebenfalls komplex.“ 299 Vgl. Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 47. 300 Vgl. ebd., 48. 301 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 10. 302 Günther Loewit, Sterben, a.a.O., 91. 303 Vgl. Jesko Wilke, Wie man nicht stirbt. Die 12 häufigsten Todesursachen und wie Sie sie vermeiden. Die Formel für ein langes Leben, München 2017, 8. 304 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 44; vgl. ebd. ausführlicher zu den Arten und prozentualen Anteilen der häufigsten Todesursachen; vgl. Jesko Wilke, Wie man nicht stirbt, a.a.O., 6, der folgende Todesursachen auflistet: Herz-Kreislauf-Erkrankung, Übergewicht, Schlaganfall, Infektion, Behandlungsfehler, Lungenkrebs, Demenz, Darmkrebs, Brustkrebs, Prostatakrebs, Selbstmord, Unfall; vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 11.

48

Krankheitsvermeidung als Statussymbol

Differenz sogar acht Jahre, so dass eine Abhängigkeit von Einkommenshöhe und Lebenserwartung nicht von der Hand zu weisen ist.305 Ebenfalls für die Lebenslänge von Bedeutung sind laut dem Soziologen und Thanatologen Klaus Feldmann das Bildungsniveau, die Schichtenzugehörigkeit und die oft damit in Verbindung gebrachten Ernährungs- sowie Konsumgewohnheiten.306 Kranksein ist unattraktiv und unproduktiv. Insofern liegt es nahe, nach Gesundheit und Attraktivität zu streben. Jede noch so kleine Leistungssteigerung suggeriert die trügerische Sicherheit von Kontrolle, verleiht uns das Gefühl, das eigene Leben im Griff zu haben.307 Die Wahrscheinlichkeit, dauerhaft gesund zu sein, sinkt mit zunehmendem Alter. Altern wird daher geradezu als „Sturz der Ich-Aktie“308 erlebt, der sich durch Krankheit ankündigt. Gesundheit und Wellness sind heute Statussymbole.309 Der Körper wird zum wichtigsten Kapital, um dessen Erhalt mit allen Mitteln zu kämpfen ist.310 Laut Allan Kellehear, dessen Forschungsschwerpunkte Public Health und Medizinsoziologie sind, hätten Sterbende zwei Herausforderungen zu bewältigen. Zum einen setze die Erkenntnis des Sterbeprozesses verzögert, etwa im Kontext einer zum Tode führenden Erkrankung, ein. Zum anderen werde auch nach dieser Erkenntnis der Hauptfokus auf der medizinischen Hilfe liegen, so dass Sterben heute als eine Ko-Produktion medizinischer Dienste und ihrer Käufer erfahren werde.311 Die Tatsache, dass Sterben bereits zum Zeitpunkt der Geburt eine zukünftige unausweichliche Gewissheit gewesen ist, spielt eine untergeordnete Rolle. Die Natürlichkeit und Alternativlosigkeit des menschlichen Lebensendes führen im Bewusstsein einer an Machbarkeit und Käuflichkeit von Gesundheit orientierten Gesellschaft ein Schattendasein und kommen immer erst dann kurzzeitig an die Oberfläche, wenn wieder einmal ein aussichtsloser Kampf „verloren“ worden ist. Die Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin Annelie Keil zeichnet ein Bild unserer Gesundheitszentriertheit: „Gesund und ohne Befund, an Erfolgen und Jahren reich, selbstbestimmt und glücklich alt geworden zu sein, ist jene Erfolgsgeschichte des Alters, die alle Menschen lieben und für die in Hochglanzbroschüren Werbung gemacht wird. Wer als sportlicher Mann über 90 Jahre alt wird, keinen 305 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 49. 306 Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 36f. 307 Vgl. Barbara Ehrenreich, Wollen wir ewig leben? Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle, München 2018, 73. 308 Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 166f. 309 Vgl. Barbara Ehrenreich, Wollen wir ewig leben?, a.a.O., 127. 310 Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 164. 311 Vgl. Allan Kellehear, Current social trends and challenges for the dying person, a.a.O., 14: “Hence a key challenge for dying people is what type of medical assistance they will purchase to make dying happen (when dying is eventually recognized). Today, dying is experienced as a co-production of medical services and their consumers.“

49

Krankheit und Sterbeprozess

Bauch hat und nicht dement ist, das vierte Mal heiratet, frei und selbstbestimmt durchs Leben geht und dazu noch Marathon läuft, ist nicht einfach nur ein ,biologisches Wunder‘, sondern wird als realistische Möglichkeit für jedermann propagiert. Für die Mehrheit der Alten ist dies eine schreckenerregende Überforderung.“312 Für die Physikerin, Biologin und Journalistin Barbara Ehrenreich kommt persönlich eine Dominanz der Medizin nicht mehr in Frage. Sie lehnt „die Folter eines medikalisierten Todes“ ab und sieht darin, alt genug geworden zu sein, um zu sterben, eine Leistung, die befreie und Anlass zum Feiern sei.313 Mit dieser Auffassung dürfte Ehrenreich kaum mehrheitlich konsensfähig sein. Ihr geht es darum, die Augen für die Unverhältnismäßigkeit und Hybris von Selbstoptimierungsbestrebungen zu öffnen und zu verdeutlichen, dass die vollständige Kontrolle über den eigenen Körper eine Illusion bleiben muss: „Man kann verbissen seine Fitnessübungen machen und nach den neuesten Moden der Ernährungswissenschaft essen und trotzdem am Stich einer gereizten Biene sterben.“314

Outsourcing des Lebensendes Sterben und Tod ereignen sich kaum noch in den eigenen vier Wänden. Wer gegen Ende seines Lebens auf Unterstützung angewiesen ist, kann nicht davon ausgehen, dass sein soziales Umfeld – sofern ein solches überhaupt vorhanden ist – selbstredend über die notwendigen Zeitressourcen, Fähigkeiten sowie die Bereitschaft zur Pflege und Sterbebegleitung verfügt. Für diejenigen, die jedoch einen Sterbenden selbst versorgen, gibt es Kenntnisse, die etwa in sogenannten „Letzte-Hilfe-Kursen“ vermittelt werden können.315 Zur Veranschaulichung des praktischen Nutzens vieler Hinweise, die nicht unbedingt zur Allgemeinbildung zählen, mag die Empfehlung, grüne oder weinrote Handtücher anzuschaffen, dienen. Während weiße Handtücher das eventuell aus aufgebrochenen Tumoren austretende Blut besonders beängstigend aussehen lassen, bilden sich so lediglich dunkle Flecken, 312 Annelie Keil, Henning Scherf, Das letzte Tabu, a.a.O., 158f.; vgl. Andreas Scheib, Der Segen des Alters, in: Reinhard Göllner (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod, a.a.O., 35–46; hier: 42: „Diesem Bild vom Alter als der Vollendung eines sich selbst bildenden Lebensganzen, in dem sich die Freiheit des Individuums gleichermaßen formt und manifestiert, steht nun die Erfahrung von Krankheit und Tod gegenüber, die sich existentiell als Erfahrung des Scheiterns ausprägt.“ 313 Barbara Ehrenreich, Wollen wir ewig leben?, a.a.O., 27. 314 Ebd., 181. 315 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 52; vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 48: „Letzte Hilfe-Kurse vermitteln, mit welchen Maßnahmen sich die Schmerzen Sterbender lindern lassen, wo es lokal Unterstützung für die Sterbebegleitung gibt oder wie sich der Abschied bewältigen lässt.“

50

Outsourcing des Lebensendes

was Panik zu vermeiden hilft.316 Dieses Beispiel zeigt, wie unmittelbar Pflege eine zwischenmenschliche Tuchfühlung erforderlich macht und wie wenig Raum für die Wahrung eines etwaigen persönlichen Distanzbedürfnisses bleibt. Pflege und Sterbebegleitung sind keine Alltagstätigkeiten, sondern körperliche und seelische Herausforderungen für alle Beteiligten. Allein schon aus diesem Grund ist es naheliegend, sich als außenstehende Betrachter und Betrachterinnen mit Wertungen zurückzuhalten. Eine Verlagerung in Krankenhäuser und Altenpflegeheime ist die Regel, so dass die letzten Wochen und Tage zu einer medizinisch begleiteten, teuren Angelegenheit in Institutionen werden. Für viele Familien und Angehörige wird es herausfordernder, schwerer, unmöglich oder aber weniger erstrebenswert, Sterbende selbst zu betreuen, denn nicht nur die Familie ist gefragt, sondern oftmals auch medizinische Fachkräfte. Laut dem Palliativmediziner Gian Domenico Borasio könnten theoretisch bis zu 90 Prozent der Sterbevorgänge problemlos zu Hause stattfinden, sofern diese von geschulten Hausärzten und Hausärztinnen sowie gegebenenfalls von Hospizhelfern und Hospizhelferinnen begleitet würden.317 Natürlich muss man sich auch hier vor zu starken Vereinfachungen und Pauschalisierungen hüten, denn die Frage, ob ein Mensch zu Hause oder in einer Institution verstirbt, wird von einem komplexen Zusammenspiel vieler individueller und umweltbedingter Faktoren bestimmt, zu denen „das Unterstützungssystem, die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Gesundheitsversorgung und die Krankheit, die zum Tod führt“318 zählen. Wenn die Kräfte nachlassen, nimmt die Notwendigkeit, weitreichende Entscheidungen zu treffen, zu. Es bedarf oft spezieller Kenntnisse, über die in der Regel weder die Sterbenden noch die Angehörigen in einem ausreichenden Maße verfügen. Die Tatsache, dass inzwischen etwa 70 Prozent der Menschen in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, 25 Prozent zu Hause und zwei bis drei Prozent in Hospizen sterben würden319, lässt darauf schließen, dass genau genommen nur die Schlussphase des Sterbeprozesses in Einrichtungen verbracht wird. Die meiste Zeit, in der Menschen sich als dem Sterben nahe erleben, erfolgt also zuvor in ihrem gewohn316 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 53; Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 140. 317 Gian Domenico Borasio, Über das Sterben, a.a.O., 26. 318 Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 57. 319 C. Juliane Vieregge, Lass uns über den Tod reden, a.a.O., 295; zu dem Begriff Hospiz vgl. Gian Domenico Borasio, Über das Sterben, a.a.O., 176: „Der Begriff ,Hospiz‘ stammt aus dem englischen hospice (vom lateinischen hospitium, die Herberge) und wurde von Dame Cicely Saunders eingeführt (…), die im Jahr 1967 mit dem St. Christopher’s Hospice in London die erste moderne stationäre Hospizeinrichtung weltweit eröffnete und die Betreuung ihrer Patienten als hospice medicine bezeichnete.“; vgl. zur Geschichte des Hospizes Isabella Jordan, Art.: Hospiz/Palliativmedizin, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 243–247; hier: 243.

51

Krankheit und Sterbeprozess

ten Umfeld und konfrontiert sie auch dort mit einer Vielzahl von Unsicherheiten und Problemen.320 Nicht, was der oder die Einzelne für das eigene Lebensende braucht, bzw. sich gewünscht hat, ist dann entscheidend, sondern was an Möglichkeiten bekannt und umsetzbar ist. Krankenhäuser sind auch aufgrund mangelnder Alternativen bzw. der Unkenntnis über diese Alternativen zu „Sterbehäuser[n]“321 geworden. Ferner ist, wie bereits erwähnt, zu berücksichtigen, dass Frauen häufiger die Versorgung Schwerkranker und Sterbender übernehmen als Männer, und selbst eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, ihr Lebensende in einer Institution zu verbringen322, was auch mit ihrer höheren Lebenserwartung in Beziehung steht.323 Den letzten Atemzug im Krankenhausbett zu tätigen, ist für viele unvermeidbar und dennoch alles andere als beruhigend. Sterben als hochemotionales, privates Geschehen findet schwerlich in einer „hochabstrakten Organisation“324 wie dem Krankenhaus den als angemessen empfundenen Rahmen. Die Berliner Studie „Auf ein Sterbenswort“ hebt die Idealvorstellungen der Deutschen im Blick auf das eigene Sterben hervor, die sich stark von der Realität unterscheiden. Unabhängig von allen sozialen und altersbedingten Differenzen würden es sich die meisten Menschen wünschen, selbstbestimmt, sozial eingebundenen, gut versorgt und nah am Gewohnten zu sterben. Das Vermeiden von Pflegebedürftigkeit im Sterbeprozess, die Freiheit von Schmerzen, gute medizinische Versorgung sowie die Verlässlichkeit nahestehender Angehöriger zählen ebenfalls zu dem, was mehrheitlich für das eigene Lebensende erhofft wird.325 Die Wünsche für das eigene Lebensende sind somit relativ klar, keine Seltenheit und doch in unserer Gesellschaft weit davon entfernt, verlässliche Wirklichkeit zu werden.

Ängste, Symptomlinderung und die Unwägbarkeiten im eigenen Sterbeprozess Ängste und Sorgen ruft das nahende Lebensende ganz grundsätzlich in vielfacher Form hervor. Neben Schmerzen, der Hilflosigkeit gegenüber der Apparatemedizin und der Ungewissheit, ob etwas bzw. was nach dem Tod kommt, wird auch be320 Vgl. Allan Kellehear, Current social trends and challenges for the dying person, a.a.O., 16. 321 Annelie Keil, Henning Scherf, Das letzte Tabu, a.a.O., 70. 322 Vgl. Stephanie Stadelbacher, Das Lebensende als Randgebiet des Sozialen?, a.a.O., 83. 323 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 62: „Findet das Sterben in der vertrauten Umgebung statt, so ist meist die Frau in der Rolle der Pflegenden. 80% sind Frauen.“ 324 Vgl. Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 57. 325 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 5.

52

Ängste, Symptomlinderung und die Unwägbarkeiten im eigenen Sterbeprozess

fürchtet, anderen zur Last zu fallen.326 Infolgedessen ist das Ankämpfen gegen den Tod und seine die Selbstständigkeit einschränkenden Vorboten eine naheliegende Reaktion. Engelke fordert dazu auf, anzuerkennen, dass Sterbenskranke den Tod nicht akzeptieren und dass es sich um einen Mythos handeln würde, wenn behauptet werde, dass die Menschen früher Sterben und Tod akzeptiert hätten.327 Den Tod nicht zu akzeptieren, ist abzugrenzen von der Kenntnis bzw. Unkenntnis über den nahenden Tod. Für Engelke steht außer Frage, dass sich unheilbar Erkrankte über ihre Situation zumeist im Klaren seien.328 Dabei haben sterbenskranke Menschen – wie beschrieben – Angst.329 Diese Ängste sind vielgestaltig.330 Oliver Müller, Professor für angewandte Medizin- und Biowissenschaften, unterscheidet zwischen drei Arten von Ängsten: „Angst vor dem Ende der Lebenszeit und vor deren Begrenztheit“331, „Angst vor psychischem und physischem Leiden während des Sterbeprozesses“332 sowie „Angst vor dem Tod als Zustand und vor der Situation nach dem Leben“333. Patienten, die über ihren Gesundheitszustand informiert worden seien, würden die Sterbephase laut dem Mediziner Alexander Sturm, der auf über 42 Jahre Erfahrung als Klinikarzt zurückblickt, leichter durchleben.334 Sturm macht die Feststellung, dass Kranke und Sterbende sich häufig entwürdigt vorkommen, weil sie den Verfall der körperlichen und geistigen Kräfte als fortschreitende Auflösung ihres Mensch-Seins erleben und den eigenen, unkontrollierbar gewordenen Körper als ekelerregend und schmerzend empfinden würden.335 Zumindest die medizinische Schmerzlinderung, die in der Regel Qualen vermeiden hilft, könnte einen Lichtblick darstellen, wenngleich sie nicht zwingend an die Bedürfnisbefriedigung von Zuwendung, Beistand und Aufmerksamkeit geknüpft ist, was mit dem Schlagwort “high tech, low touch“ kritisiert wird.336 Angst zu haben ist menschlich und sollte nicht stillschweigend übergangen werden. „Wie wäre es, wenn es uns gelänge, Sterbenskranken ihre Angst zu lassen, 326 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 68; vgl. Torsten Kruse, Aufgabe und Möglichkeit der Medizin, in: Harald Wagner, Ders. (Hg.), Ars moriendi, a.a.O., 99–116; hier: 115. 327 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 141. 328 Ebd., 89. 329 Vgl. ebd., 145. 330 Vgl. Allan Kellehear, A Social History of Dying, Cambridge 2007, 169, der ausführt, dass und inwiefern es stets Ängste vor dem Tod gegeben hat. 331 Oliver Müller, Altern. Sterben. Tod, a.a.O., 153. 332 Ebd. 333 Ebd.; vgl. zur Ausdifferenzierung der Angst vor dem Tod Alexander Lahl, Hoffnung auf ewiges Leben, a.a.O., 40f. 334 Vgl. Alexander Sturm, Ärztliche Sterbebegleitung, in: Reinhard Göllner (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod, a.a.O., 47–60; hier: 49; 59. 335 Ebd., 59. 336 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 46.

53

Krankheit und Sterbeprozess

ohne die Hoffnung aufzugeben?“337, fragt Engelke. Hoffnung, Zuversicht, Furcht, Unruhe und diverse Ängste sind Emotionen, zu denen Sterbende genauso wie alle anderen Menschen ungeachtet ihres Gesundheitszustandes das Recht haben. Mit dem Lebensende werden oft ältere Menschen gedanklich in Verbindung gebracht. Eine höhere Lebenserwartung habe, so der Mediziner Haider Warraich, eine schwer erträgliche Nebenwirkung: „Menschen, die wissen, dass sie früh sterben werden, fühlen sich betrogen.“338 Der Journalist Alexander Krützfeldt kommentiert diese offensichtliche Ungerechtigkeit mit den Worten: „Das Leben ist ungerecht. Warum sollte das Sterben da eine Ausnahme machen?“339 Immerhin gibt es Wahrscheinlichkeiten, die die Hoffnung nähren, dass das Lebensende in einer späteren Lebensphase eintreten wird, denn die Hälfte der Deutschen stirbt erst mit über achtzig Jahren.340 Laut Oliver Müller gibt es Zeiten, die mit einer höheren Sterbewahrscheinlichkeit verbunden sind als andere. So würden die meisten Menschen zwischen Dezember und April, und zwar besonders häufig im Februar versterben, was unter anderem auf eine Schwächung des Immunsystems in den kälteren Monaten zurückzuführen sei.341 Bei den Wochentagen ließen sich keine Häufungen bei natürlich eingetretenen Sterbefällen erkennen, wohingegen Selbstmord signifikant öfter am Mittwoch als an anderen Wochentagen verübt werde.342 Bei den Tageszeiten träte der Tod zwischen drei und vier Uhr morgens häufiger ein, da die meisten Menschen dann schliefen und schwerwiegende Symptome wie Schmerzen oder Herzrhythmusstörrungen somit nicht rechtzeitig erkannt würden. Hinzu komme, dass zu dieser Zeit die Herzfrequenz, der Blutdruck und die Körpertemperatur die niedrigsten Werte aufweisen würden, die körpereigenen Abwehrfunktionen also zu langsam oder gar nicht anlaufen würden und selten andere, wache Menschen zur Stelle seien, um eine lebensbedrohliche Lage als solche zu erkennen.343 Trotz nachvollziehbarer Tendenzen gilt grundsätzlich: „Der Tod ist unberechenbar.“344 Dies trifft nicht zuletzt bei tödlichen Unfällen zu. Solche Todesfälle werden von der Öffentlichkeit nicht selten mit einem großen Interesse zur Kenntnis genommen.345 337 Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 166. 338 Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 19. 339 Alexander Krützfeldt, Letzte Wünsche. Was Sterbende hoffen, vermissen, bereuen – und was uns das über das Leben verrät, Hamburg 2018, 12. 340 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 34. 341 Vgl. Oliver Müller, Altern. Sterben. Tod, a.a.O., 185. 342 Vgl. ebd., 187. 343 Vgl. ebd. 344 Adrian Owen, Zwischenwelten. Ein Neurowissenschaftler erforscht die Grauzone zwischen Leben und Tod, München 2017, 215. 345 Vgl. Christoph Schenk, Zwischen Leben und Tod. 20 Jahre als Notarzt, Haverlah 22018. Hier

54

Ängste, Symptomlinderung und die Unwägbarkeiten im eigenen Sterbeprozess

Vielfach wird der Wunsch nach einem sanften, schmerzfreien Tod geäußert.346 Für die Betroffenen mag auch ein plötzlicher Tod eine im Vorfeld begrüßenswert erscheinende Variante sein, eben: kurz und schmerzlos. Nicht umsonst findet sich in vielen Veröffentlichungen über Sterben und Tod folgendes Bonmot von Woody Allen zitiert: „Ich habe nichts dagegen zu sterben, ich will nur nicht dabei sein, wenn es passiert.“347 Weder auf Sterbehilfe348 noch auf die eigenständige Selbsttötung349 kann und soll hier ausführlich eingegangen werden. Allein die Tatsache, dass die Verkürzung des menschlichen Lebens diskutiert wird, ist ein beredtes Beispiel für eine „Kultur der Machbarkeit“350, wie der Philosoph und Arzt Giovanni Maio ausführt: „Der handhabbare Tod, der Tod auf Bestellung erscheint schlichtweg als der effizientere und damit in einem ökonomischen Zeitalter geradezu automatisch als der bessere Weg. Oft wird er gar als alternativloser Weg dargestellt, im Sinne dessen, dass alles andere doch sinnlos sei.“351 Suizid und Sterbehilfe sind nicht gleichzusetzen. Das ist wichtig! Die nicht von der Hand zu weisende Gemeinsamkeit besteht aber darin, dass ein menschliches Leben beendet wird und die ethische Frage nach dem Recht hierzu, auch unabhängig von der Rechtsprechung, immer wieder mit aller Dringlichkeit zu stellen ist.352 schildert der Notarzt Christoph Schenk Einblicke „hinter die Kulissen des Rettungsdienstes“ in einer umgangssprachlichen Art. 346 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 38. 347 Vgl. z.B. C. Juliane Vieregge, Lass uns über den Tod reden, a.a.O., 291. 348 Vgl. komprimiert zur Diskussion Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 22; zur Unterscheidung von passiver, indirekter und aktiver Sterbehilfe vgl. Michael Frieß, Aspekte der Sterbehilfedebatte – Eine Einführung, in: Ders. (Hg.), u.M. von Markus Reutlinger, Wie sterben? Zur Selbstbestimmung am Lebensende. Eine Debatte, Gütersloh 2012, 7–38; hier: 19–22; Claudia Bausewein, Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod. Leitfaden für ein gutes Lebensende, München 2020, 122f.; zur ethischen Beurteilung aktiver Sterbehilfe vgl. Heinrich Bedford-Strohm, Verantwortlich mit dem Leben umgehen – Zur Diskussion um die Sterbehilfe, in: Michael Frieß (Hg.), u.M. von Markus Reutlinger, Wie sterben?, a.a.O., 140–151; hier: 143–148, der Grundpositionen skizziert. 349 Vgl. zur sprachlichen Sorgfalt Michael Tsokos, Dem Tod auf der Spur. Spannende Fälle des Professor Tsokos, Berlin 32017, 42f.: „… juristisch gesehen ist der Begriff Selbstmord ein Widerspruch in sich. Um nach der juristischen Definition die Voraussetzung dafür zu erfüllen, ein Mörder zu sein, muss der Täter nach § 211 des deutschen Strafgesetzbuches aus den Motiven Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier oder aus sonstigen niederen Beweggründen handeln. Solche Motive wird man einem Lebensmüden wohl kaum unterstellen können.“; vgl. zu Theorien des Suizids Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 177–203. 350 Giovanni Maio, Der assistierte Suizid als ethische Resignation der Medizin, in: Rainer Maria Kardinal Woelki, Christian Hillgruber, Ders., Christoph von Ritter, Manfred Spieker (Hg.), Wie wollen wir sterben? Beiträge zur Debatte um Sterbehilfe und Sterbebegleitung, Paderborn 2016, 51–70; hier: 57. 351 Ebd. 352 Vgl. Robert Spaemann, Gerrit Hohendorf, Fuat S. Oduncu, Vom guten Sterben, a.a.O., 158: „Selbsttötung ist nicht ein ,Recht‘, sondern eine Handlung, die sich der Rechtssphäre entzieht.

55

Krankheit und Sterbeprozess

Die vermeintlich persönliche und individuelle Entscheidung, das Leben zu beenden, ist in ihren Folgen keine auf das Individuum begrenzte. Wird über Suizide ausführlich berichtet, nimmt anschließend die Zahl der Suizide und Suizidversuche zu.353 Besonders betroffen sind etwa Angehörige, Pflegende, Ärzte und Ärztinnen, also all jene, die mit dem Verlust weiterleben müssen. Entsetzen, Traumata und Schuldgefühle könnten ausgelöst werden. In der Suizidforschung wird sogar davon ausgegangen, dass ein Suizid sechs weitere Personen existentiell berühre.354 Bezüglich der Sterbehilfe betont der Palliativmediziner Sven Gottschling entschieden, dass es falsch sei, wenn in der öffentlichen Debatte nur die Alternativen schreckliche Schmerzen oder aktive Sterbehilfe diskutiert würden. Die Palliativversorgung355 habe eine gänzlich andere Blickrichtung, was einen riesengroßen Unterschied bedeutet: „Wir behandeln nicht Sterbende, sondern Lebende, die bald sterben werden.“356 Es sei Gottschlings Ansicht nach geradezu zynisch, die Palliativmedizin nicht auszubauen, dafür aber über aktive Sterbehilfe nachzudenken. Das Problem sei, dass man mit Palliativversorgung leider kein Geld verdienen könne und dementsprechend weder für die Pharmaindustrie noch für die Krankenhäuser hier etwas zu holen sei.357 Nicht mehr leben zu wollen, kann bei genauerem Nachfragen auch bedeuten, dass Betroffene nicht mehr „so“ weiterleben möchten.358 Nicht die Fortsetzung Von ihr führt kein Weg zu irgendeinem Recht, einen anderen zu töten, beziehungsweise von einem anderen getötet zu werden.“; vgl. zur konträren Position Hans Küng, Glücklich sterben? Mit dem Gespräch mit Anne Will, München u.ö. 2015, 88: „Viele Menschen fragen sich heutzutage, warum die frei verantwortete Rückgabe eines definitiv zerstörten Lebens unter unerträglichem Leiden notwendigerweise ,vorzeitig‘ sein müsse. Der Tod ist keineswegs immer Feind des Menschen.“ 353 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 224. 354 Ebd., 225. 355 Vgl. zu dem Begriff „Palliativmedizin“ Gian Domenico Borasio, Über das Sterben, a.a.O., 176f.: „Die Begriffe ‘Palliativmedizin‘ und ‘Palliative Care‘ wurden von Dr. Balfour Mount in Montreal, Kanada, eingeführt (…). Dr. Mount gründete dort 1975 am Royal Victoria Hospital die erste moderne Palliativstation an einem Akutkrankenhaus. Der Grund für die Neuentwicklung des Begriffs ‘Palliativmedizin‘ lag in der Besonderheit Montreals als Hauptstadt des kanadischen Bundesstaats Québec. Da die offizielle Sprache in Québec das Französische ist, in dieser Sprache aber der Begriff hospice schon belegt war (mit der Bedeutung in etwa eines Pflegeheims für geistig verwirrte Hochbetagte), musste eine andere Bezeichnung für Cicely Saunders‘ hospice medicine gefunden werden. Dr. Mount entschied sich für das Wort palliative (aus dem lateinischen pallium, der Mantel) (…).“; vgl. Michael de Ridder, Wie wollen wir sterben?, a.a.O., 215; vgl. Claudia Bausewein, Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod, a.a.O., 89–93. 356 Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 28. 357 Vgl. ebd.; vgl. zum Sterbeprozess von Elisabeth Kübler-Ross Birgit Heller, Im Angesicht des Todes: Spirituelle Modelle für die Bereitung zum Sterben, in: Rainer Schäfer, Günter Schuhmann (Hg.), „Sterben Gläubige leichter?“ Zur Bedeutung von Religion und Weltanschauung im Sterbeprozess, Würzburg 2009, 17–26; hier: 24. 358 Vgl. zur Bedeutung der Lebensqualität als Entscheidungskriterium in der Medizin Paul

56

Ängste, Symptomlinderung und die Unwägbarkeiten im eigenen Sterbeprozess

des Lebens als solches würde in diesem Fall abgelehnt, sondern eine belastende Situation, wie etwa anhaltende Schmerzen, die das Leben so stark beeinträchtigen, dass der Lebenswille davon in Mitleidenschaft gezogen wird. Eine Änderung der Lebensumstände, z.B. die Linderung von Schmerzen, kann also Entscheidendes bewirken, so dass der Wunsch zu sterben, oft nicht mehr gehegt werde. Das Grundanliegen der Palliativmedizin besteht darin, die Lebensqualität von Patienten und Patientinnen in der letzten Lebenszeit verlässlich und symptomkontrolliert zu fördern, was in den meisten Fällen dazu führe, dass der Wunsch nach Lebensverkürzung verschwinde.359 Seit 2009 sind palliativmedizinische Fachkenntnisse Gegenstand des Medizinstudiums, so dass es erst eine definitiv auszubauende Anzahl an praktizierenden Ärzten gibt, die über diese schmerzlindernden Kenntnisse verfügen.360 Die Grenzen jeglicher klugen Betrachtung über Sterben und Tod erkennt auch der Palliativmediziner Gottschling. Er mahnt dazu, bei aller Vernunft und Kopflastigkeit nie zu vergessen, dass die intensive Auseinandersetzung mit Sterben und Tod angesichts des eigenen Lebensendes nutzlos sein könnte: „Die bekannte Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, die ,Die fünf Phasen des Sterbens‘ definiert hat, forderte einmal: ,Man muss loslassen können. Wenn der Sterbende und seine Familie das akzeptieren, ist es das Schönste überhaupt.‘ Als sie dann selbst sterbenskrank war, wehrte sie sich jedoch mit all ihrer zur Verfügung stehenden Kraft gegen ihren eigenen Tod.“361 Phasenmodelle, wie das der erwähnten schweizerisch-amerikanischen Psychiaterin Kübler-Ross, gliedern das Erleben Sterbender in Stufen, wenngleich sie deren Abfolge nicht zwingend als statisch ansehen. Wer die Mitteilung erhält, dass seine Krankheit absehbar in den Tod münden wird, reagiere mit den Stufen „Nichtwahrhabenwollen und Isolierung“, „Zorn“, „Verhandeln“, „Depression“ und schließlich „Zustimmung“.362 Dieses und weitere Phasenmodelle können den individuellen Sterbeprozess, der sich in seiner Komplexität Gesetzmäßigkeiten immer wieder entzieht, niemals vollkommen zutreffend abbilden und eignen sich somit nur einSchölmerich, Ärztliches Handeln an den Grenzen des Lebens, in: Harald Wagner (Hg.), Grenzen des Lebens. Wider die Verwilderung von Sterben, Tod und Trauer, Frankfurt am Main 1991, 43–67; hier: 52–59. 359 Vgl. H. Christof Müller-Busch, Abschied braucht Zeit, a.a.O., 11; vgl. Ralf J. Jox, Sterben lassen, a.a.O., 207; vgl. Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 213. 360 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 55. 361 Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 84; vgl. Elisabeth Kübler-Ross, Erfülltes Leben – würdiges Sterben (hg. von Göran Grip), Gütersloh 32010, 128: „Ich bin nämlich nicht die ,Tod-und-Sterben-Dame‘. Im Gegenteil, ich hoffe, dass ich in den nächsten … na, so etwa fünfzig Jahren als die ,Leben-und-Lebendig-Sein-Dame‘ bekannt werde. Denn wenn Sie richtig leben, werden Sie nie, gar niemals Angst vor dem Tod haben. Sterben ist nichts Schlimmes, sondern etwas Schönes. Sie brauchen sich keine Sorgen darüber zu machen.“ 362 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 64.

57

Krankheit und Sterbeprozess

geschränkt zur Orientierung bei der Begleitung Sterbender.363 Sterben und Trauer können nicht vorbereitet werden.364 Dennoch ist festzuhalten und wertzuschätzen, welch entscheidende und wichtige Impulse für einen offenen Umgang mit Sterbenden und Trauernden Elisabeth Kübler-Ross gestiftet hat.365 Worauf es am Lebensende ankommen könnte, lässt sich auch von der Besonderheit des Versorgungsprinzips in Hospizen lernen, die dem liebevollen Umsorgen einen höheren Stellenwert als hohem medizin-technischem Aufwand einräumen.366 Menschen sind einzigartig im Leben und sie bleiben dies auch im Sterben. Es ist für den Menschen gerade im Angesicht seines Todes immens wichtig, so Gian Domenico Borasio, als ganze Person gesehen zu werden, was spirituelle und heilende Aspekte untrennbar miteinander verbinde und sich gegenwärtig etwa im Angebot “Spiritual Care“ verdichte.367 Spiritual Care ist dabei weit mehr als eine konfessionell geprägte, christliche Seelsorge. Sie stellt die umfassende Sorge um den kranken Menschen dar, die Seelsorgern und Seelsorgerinnen sowie vielen Berufsgruppen im Gesundheitswesen gemeinsam ist.368 Bei Engelke findet sich eine bedenkenswerte – wenngleich sicherlich zwangsläufig unvollständige – Übersicht möglicher Faktoren, aus deren Zusammenspiel und Wechselwirkung sich das „Persönliche und Unverwechselbare im Sterben“369 ergeben kann. Diese Faktoren reichen von der genetischen, körperlichen und psychischen Verfassung sowie der Qualität der medizinischen Betreuung bzw. der Pflege über den Charakter, soziale Bindungen, familiäre Belastungen, finanzielle Absicherung bis hin zu Normen, Erwartungshaltungen und spirituellen Ressourcen.370 Michael Rosentreter, Experte für Patientensicherheit, ist ebenfalls um eine Kategorisierung der eigentlich heterogenen Sterbe- und Todesauffassungen bemüht 363 Vgl. ebd., 68; vgl. Ders., Sterben Gläubige leichter? Einführung zum Thema, in: Rainer Schäfer, Günter Schuhmann (Hg.), „Sterben Gläubige leichter?“, a.a.O., 9–15; hier: 14; vgl. zur Kritik an der Arbeit von Kübler-Ross Sabine Fischbeck, Burkhard Schappert, Art.: Sterbeprozess – psychologisch, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 83–88; hier: 84. 364 Vgl. Christiane zu Salm, Weiterleben, a.a.O., 11. 365 Vgl. Dominik Groß, Jasmin Grande, Art.: Sterbeprozess – medizingeschichtlich, a.a.O., 78. 366 Vgl. Johann-Christoph Student, Lebenshilfe bis zum Ende: Die Hospizbewegung, in: Harald Wagner (Hg.), Grenzen des Lebens, a.a.O., 147–186; hier: 167, der von “Low tech – high touch“ als Ansatz der Hospize spricht. 367 Vgl. Gian Domenico Borasio, Über das Sterben, a.a.O., 94. 368 Vgl. ebd.; vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 42: „Viele Menschen verspüren zum Lebensende das Bedürfnis, sich mit den Fragen zum ,Danach‘ auseinanderzusetzen. In der Palliativversorgung und der Pflege greift die sogenannte Spiritual Care dies auf. Nach diesem Konzept sollte etwa das Pflegepersonal auch dazu ausgebildet werden, die spirituellen Bedürfnisse der Menschen zu erkennen und mit ihnen umzugehen.“ 369 Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 71. 370 Ebd.

58

Ängste, Symptomlinderung und die Unwägbarkeiten im eigenen Sterbeprozess

und listet diese ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf: „Normen und Werte“371, „Weltbild und religiöse Vorstellungen“372, „Biographische Verbundenheit (Familie, Freundschaft)“373, „Empathie und Akzeptanz“374, „Bildung, Position und Status“375. Ferner können „materielle Motive oder finanzielle Sachzwänge“376 eine Rolle spielen. Verallgemeinerbare Faktoren beim Sterbeprozess finden sich zumindest teilweise auf der körperlichen Ebene, denn die Nähe des Todes geht mit sichtbaren Zeichen einher. Neben der Haut, die weiß und wächsern wirken kann, ändern sich die Körpertemperatur, der Blutdruck und die Atmung, die unregelmäßiger wird. Eine weiße Nasenspitze, die spitzer erscheinen kann, die erschlaffende Gesichtsmuskulatur, kalter Schweiß und durch Sekrete verursachter rasselnder Atem, das sogenannte „Todesrasseln“, treten ebenso wie ein ungleichmäßiger Puls in Erscheinung. Sterbende Menschen verspüren zudem weder Hunger noch Durst.377 Trotz solcher körperlichen Anzeichen kann das Sterben lange dauern und der genaue Todeszeitpunkt lässt sich nicht exakt vorhersagen.378 Wie und wann genau das eigene Leben endet, bleibt bei einem natürlichen Tod also in der Regel ungewiss. Immerhin gibt es Anhaltspunkte dafür, dass körpereigene Botenstoffe, die Schmerzen vermeiden helfen, im Gehirn während des Sterbeprozesses freigesetzt werden, so dass das Sterben selbst wahrscheinlich nicht weh tut.379 Ein Versuch, dieser Ungewissheit etwas entgegenzustellen, können auch Patientenverfügungen sein, die scheinbare Kontrolle versprechen, wo uns selbst die Fäden aus der Hand genommen sind.380 Was aber, wenn wir solche Situationen gar nicht antizipieren können?381 Der Neuropsychologe Adrian Owen stellt in Frage, ob wir im Vorhinein zu beurteilen fähig sind, welche Wünsche und Bedürfnisse wir 371 Michael Rosentreter, Der Sterbeprozess im Spannungsfeld von Kommunikation und Motivation, a.a.O., 197. 372 Ebd. 373 Ebd. 374 Ebd. 375 Ebd. 376 Ebd. 377 Vgl. Claudia Bausewein, Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod, a.a.O., 176–180; 183; 202; Marianne Arndt, Pflege bei Sterbenden. Den Tod leben dürfen: Vom christlichen Anspruch der Krankenpflege, Hannover 2005, 51. 378 Vgl. ebd., 51; 73. 379 Vgl. Claudia Bausewein, Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod, a.a.O., 180. 380 Vgl. Günther Loewit, Sterben, a.a.O., 246: „Die Patientenverfügung ist eine schriftlich niedergelegte, rechtlich beglaubigte Willenserklärung darüber, welche Behandlung ein zukünftiger Patient wünscht und welche er im Falle einer zum Tod führenden Erkrankung ablehnt.“; vgl. Christoph Mandla, Art.: Patientenverfügung, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 221–224. 381 Vgl. Sibylle Rolf, Der menschliche Tod als Aufgabe und Anfrage an die Theologie, in: Ulrich Volp (Hg.), Tod, a.a.O., 163–200; hier: 192.

59

Krankheit und Sterbeprozess

etwa nach einer schweren Hirnverletzung haben könnten.382 Dynamische und komplizierte Konstellationen wie den zum Tode führenden eigenen Krankheitsverlauf lassen sich kaum mit statischen Maßgaben im Vorfeld erfassen, geschweige denn adäquat und passgenau regeln.383 Mein Lebensende entzieht sich meiner Kontrolle und ist doch zugleich ein höchst individuelles Ereignis, möglicherweise gar der intimste und privateste Augenblick überhaupt.384

382 Vgl. Adrian Owen, Zwischenwelten, a.a.O., 226. 383 Vgl. Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 202. 384 Vgl. Elisabeth Bronfen, Unheimliche Liminalität: Das Sterben als Vorgang und der Tod als Zustand, in: Daniel Wyler (Hg.), Sterben und Tod. Eine interprofessionelle Auseinandersetzung, Zürich 2009, 11–17; hier: 11.

60

Totenfürsorge – eine Kulturleistung

Meine Bestattung

Totenfürsorge – eine Kulturleistung Dem Thema Bestattung kann man sich theoretisch von vielen unterschiedlichen Perspektiven aus nähern, wobei die Abhängigkeit vom jeweiligen kulturellen Umfeld und die herrschenden Vorstellungen bezüglich eines etwaigen nachtodlichen Lebens eine erhebliche Rolle spielen.385 Auf jeden Fall wird das Thema Bestattung ein sehr dringliches werden, wie das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in einer Studie aus dem Jahr 2020 herausgearbeitet hat.386 Gegenwärtig machen die über 80-Jährigen etwa sechs Prozent der Bevölkerung aus, ihr Anteil steigt und in „einigen Landkreisen dürften im Jahr 2035 auf eine Geburt vier Beerdigungen kommen – heute liegt das Verhältnis dort bei eins zu zwei“387. Bestattungen sind Kulturleistungen, und der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sie vornimmt.388 Die biblisch-theologische Perspektive stellt einen Zugang unter vielen dar389 und bedarf heute der Unterstützung durch konkretes Handlungswissen, das nicht als gegeben vorausgesetzt werden kann. Wie gehe ich selbst angemessen mit verstorbenen Angehörigen um? Wie soll einmal mit mir als zukünftiger Verstorbener verfahren werden? Der Bestatter Fritz Roth, „Deutschlands Missionar für eine bessere Sterbekultur“390, setzte sich bis zu seinem Tod 2012 für folgende Botschaft ein: „Lasst euch eure Toten nicht wegnehmen! Schaut sie an, verabschiedet sie, feiert

385 Vgl. Ulrich Heckel, Frank Zeeb, Bestattung aus biblisch-theologischer Perspektive. Eine Orientierung, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 96–107; hier: 96; vgl. zu Bestattungsriten und Ritualen in anderen Kulturen Carmen Thomas, Berührungsängste?, a.a.O., 66–76. 386 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O. 387 Ebd., 5; vgl. ebd., 8: „Schon seit 1972 sterben in Deutschland Jahr für Jahr mehr Menschen als Kinder zur Welt kommen – der sogenannte natürliche Saldo ist negativ. Dieser Trend dürfte auch künftig anhalten.“ 388 Vgl. Markus Knapp, „Tod, wo ist dein Sieg?“, a.a.O., 77. 389 Vgl. ausführlicher Ulrich Heckel, Frank Zeeb, Bestattung aus biblisch-theologischer Perspektive, a.a.O., 96–107; Rainer Liepold, Graben sie tiefer! Der Bestattungskulturführer, München 2015, 7. 390 Annette Bruhns, Gärten der Erinnerung, in: Annette Großbongardt, Rainer Traub (Hg.), Das Ende des Lebens, a.a.O., 79–90; hier: 79.

61

Meine Bestattung

für sie ein Fest!“391 Dies geschah aus der Überzeugung heraus: „Eine Stunde bei einem Toten lehrt mich mehr als eine Bibliothek.“392 Wer sich und seinen Blick nicht von den Verstorbenen abwendet, wird Veränderungen unweigerlich wahrnehmen. Bereits kurz nach Eintritt des Todes machen sich diese bemerkbar. Was genau geht jetzt vor? Nach drei Minuten sterben die Gehirnzellen ab, nach dreißig Minuten bilden sich Totenflecken, da das Blut nach unten sinkt, nach drei Stunden tritt die Totenstarre ein, bevor nach vierundzwanzig Stunden die eigentliche Verwesung, die sogenannte Autolyse, anfängt, bei der Enzyme und Bakterien den Körper zersetzen.393 Wer glaubt, dass der Tod nun mit Sicherheit eingetreten ist, berücksichtigt nicht, dass es die sogenannten „supravitalen Erscheinungen“394 gibt, so dass das Ende des Sterbens laut dem Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling biologisch betrachtet erst lange Zeit nach dem offiziellen Tod einsetze, was sich etwa anhand von einer Leiche entnommenen Spermien veranschaulichen ließe, die noch lange beweglich und befruchtungsfähig seien.395 Für reife Eizellen gelte dies in analoger Weise.396 „Eines der wichtigsten Kennzeichen des Lebens, nämlich die Fähigkeit zur Fortpflanzung, überdauert also den ,Tod‘. (…) Wollte man den Tod des Menschen mit dem Ende aller Lebensvorgänge in seinem Körper gleichsetzen, so müsste man zugeben, dass Menschen in der Regel ,lebendig‘ begraben werden. Davon ist aber nicht auszugehen. Vielmehr wird der reale Zeitpunkt des Todes auf den in der Zeit kontinuierlich und irreversibel ablaufenden biologischen Sterbevorgang projiziert.“397 Natürlich machen sich Angehörige für gewöhnlich nicht solche Gedanken. Was jetzt auf sie und weitere dem oder der Verstorbenen nahestehende Personen zukommt, ist sehr viel, genau genommen zu viel, da Trauer Zeit braucht und Zeit für viele Erwerbstätige Mangelware ist. In der Regel wird heute im familiären Trauerfall zwei Tage Sonderurlaub gewährt, sofern es sich um einen ersten Verwandtschaftsgrad, also den Tod des Ehepartners oder der Ehepartnerin, eines Kindes oder eines Elternteils, handelt.398 Anders als die Außenwelt, die nach dem Begräbnis schnell zur Tagesordnung übergehen kann, sieht es mit der für immer veränderten Innenwelt der Trauernden aus.399 Der Verlust einer für den Hinterblie391 Ebd. 392 Ebd., 81. 393 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 81. 394 Hans-Bernhard Wuermeling, Art.: Leiche – medizinisch, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 126–129; hier: 127. 395 Vgl. ebd. 396 Vgl. ebd. 397 Ebd. 398 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 156 Anm. 20. 399 Vgl. Christiane zu Salm, Weiterleben, a.a.O., 14; vgl. Verena Kast, Unfähig zu trauern?, in: Reinhard Schmitz-Scherzer (Hg.), Altern und Sterben, Bern u.ö. 1992, 105–116.

62

Totenfürsorge – eine Kulturleistung

benen wertvollen Bezugsperson mündet in eine „mehr oder minder bemerkbare Identitätskrise“400. Notwendige Trauer und Mangel an Zeit lassen sich schlecht miteinander vereinbaren. Die TV-Moderatorin Anna Funck prangert die Unzulänglichkeit der für die notwendige Trauer zur Verfügung stehenden Zeit an: „Ist nur gelebte Trauer entwicklungsfähig? (…) Aber wer macht das schon in unserer schnelllebigen Zeit? Kenne niemanden, der mir mal eben zugeraunt hätte: ,Meine Eltern sind gestorben – ich mache mal ein Heul-Sabatical. Bis nächstes Jahr.‘ Aber vielleicht wäre genau das der Trick?“401 Trauerrituale werden zwar teils deshalb nicht länger praktiziert, weil sie in Vergessenheit geraten sind, teils aber sicherlich auch aus dem Grund, dass die gewandelten Zeitstrukturen hinderlich sind.402 Für den Gründer einer bekannten Trauerakademie, den bereits erwähnten Bestatter Fritz Roth, stand außer Frage, dass es Angehörigen gut tue, etwas für den Toten zu machen, da Emotionen nach Bewegungen und Handlungen rufen würden.403 Nach dem Eintritt des Todes muss neben vielen anderen Dingen die Bestattung organisiert werden. Was dabei früher einmal galt, gilt heute aufgrund des radikalen Wandels in der Bestattungs- und Friedhofskultur mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr grundsätzlich.404 Eine standardisierte Trauerkultur entspricht den Bedürfnissen der Menschen nicht selbstredend, so dass die Angebotspalette heute bis zur „Event-Bestattung“ erweitert wird.405 Bis um 1850 die ersten Bestattungsunternehmen gegründet wurden, waren Waschen, Einkleiden und Aufbahrung des Verstorbenen Aufgaben der Familie, die durch die Kirche mit der Ausgestaltung der Bestattungsfeier Unterstützung erfuhr. Die wenigsten Angehörigen wissen, dass sie auch heute noch die meisten dieser Obliegenheiten selbst vornehmen dürfen und welchen Nutzen dies für ihre Trauerarbeit haben könnte.406 Was können Angehörige selbst zur Versorgung der Verstorbenen leisten? Es ist durchaus erlaubt, Verstorbene zu waschen, wenngleich hierzu Ratschläge von Seiten des Bestatters oder der Bestatterin hilfreich sein dürften. Für das anschließende Anziehen des Leichnams ist kein spezielles Leichenhemd erforderlich, so dass die Wahl oft auf besonders beliebte oder feierliche Kleidungsstücke fällt. 400 Dies., Sich einlassen und loslassen. Neue Lebensmöglichkeiten bei Trauer und Trennung, Freiburg im Breisgau 252015, 11. 401 Anna Funck, Mama ist tot. Und jetzt?, Freiburg im Breisgau 2018, 80. 402 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 156f. 403 Vgl. Annelie Keil, Henning Scherf, Das letzte Tabu, a.a.O., 186. 404 Vgl. Reiner Sörries, Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis. Von der Experten- zur Laienkultur, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 21–36; hier: 21. 405 Vgl. ebd., 25. 406 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 122.

63

Meine Bestattung

Zwar ist die Aufbahrung Verstorbener eher unüblich geworden, sie ist aber auch zu Hause möglich. Dabei sollten je nach Landesgesetz und Temperaturen Kühlgeräte zum Einsatz kommen, die Bestatter ausleihen können. Anhand von Bauanleitungen kann theoretisch sogar der Sarg gezimmert werden. Größerer Beliebtheit erfreut sich mittlerweile das Dekorieren und Bemalen des Sarges. Im Vorfeld der Trauerfeier sind organisatorische und inhaltliche Absprachen zu treffen, die bei kirchlichen Bestattungen in einem Trauergespräch erfolgen. Ob und wie ein Grab individuell gestaltet werden kann, ist den Vorschriften der Friedhofsverwaltung zu entnehmen und kann in der Regel bereits im Gespräch mit dem Bestattungsunternehmen geklärt werden.407 Hinter dieser schlaglichtartigen Auflistung verbergen sich viele Umsetzungsvarianten, die nur den wenigsten bekannt sind. Deshalb soll ihnen im Folgenden exemplarisch Kontur verliehen werden. Teilweise gehen diese Handlungsoptionen auf Rituale zurück, die früher selbstverständlich waren. Sie erneut zu entdecken, zu bewahren und weiterzugeben, hat eine heilsame Funktion, denn sie ähneln Geländern, die Halt stiften und zu kleinen, vorsichtigen Schritten Mut machen, wenn Trauer und Leid lähmen. Es liegt nicht nur an den Angehörigen von Verstorbenen, sondern an jedem und jeder selbst, zumindest die organisatorische Belastung, die jeder Todesfall unweigerlich bedeutet, in Grenzen zu halten. Deshalb empfiehlt die vom Bundesverband Deutscher Bestatter herausgegebene Broschüre „Wegweiser im Sterbefall“, einen Vorsorgeordner zu erstellen, der gut auffindbar ist. Enthalten sein sollten u.a. Adressen von zu benachrichtigenden Personen, persönliche Dokumente, Vorsorgevollmachten, Patienten- und Betreuungsverfügungen, eine Übersicht über gegebenenfalls bereits erfolgte Bestattungsvorsorgemaßnahmen, Unterlagen zur Sterbegeldversicherung, zur Rente, zur Krankenkasse, zu Mitgliedschaften und Abos, eine Auflistung der Vermögensverhältnisse, eine Übersicht von Internetpasswörtern sowie ein etwaiges Testament bzw. ein Erbvertrag.408

Feststellung und Anzeigen des Todes Der Tod bringt den Alltag durcheinander. Dies veranschaulichen einige Bräuche, die sowohl das Neue der Situation als auch das Bedürfnis nach Sicherheit ausdrücken. So wurden nach der Feststellung des Todes Spiegel umgedreht, Uhren ange407 Vgl. ebd., 123. 408 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall. Bestattung, Behördengänge, Vorsorge (hg. vom Bundesverband Deutscher Bestatter e.V.), München 22017, 7; 34; vgl. auch Friedrich Eras, Nur drei Tage. Zwischen Tod und Bestattung. Leitfaden für die nächsten Angehörigen, München 2 2008, 38f.

64

Feststellung und Anzeigen des Todes

halten, Fenster geöffnet, Ehebetten auseinandergerückt und Gebete gesprochen.409 Solche Bräuche werden heute kaum noch praktiziert, und der Tod tritt auch nicht mehr so häufig zuhause ein, kann also auch nicht dort festgestellt werden. Wer Zeuge eines Todes wird bzw. eine verstorbene Person findet, hat dies zu melden.410 Meist wird hierzu der Notarzt oder die Notärztin angerufen.411 Die Feststellung des Todes muss durch einen Arzt oder eine Ärztin vorgenommen werden. Hierbei sind die Todeszeichen wichtig, die sich in unsichere und sichere unterteilen lassen. Als unsichere Todeszeichen gelten blasse Haut, ein eingefallenes Gesicht mit spitzer Nase und geöffnetem Mund, stumpfe, blicklose Augen mit fehlendem Pupillenreflex, das etwaige Austreten von Stuhl und Urin in Folge der nunmehr geöffneten Schließmuskulatur sowie ein nicht tastbarer Puls, fehlende Reflexe und die nicht erkennbare Atmung. Sichere Todeszeichen sind Totenflecken, Leichenstarre und das Auftreten von geruchsintensiven Fäulniserscheinungen.412 Tritt der Tod im Krankenhaus ein, wird die Todesbescheinigung durch die Krankenhausverwaltung ausgestellt.413 Zu unterscheiden ist die Feststellung des Todes von der Leichenschau, die die gegebenenfalls zuerst herbeigerufenen Notärzte und Notärztinnen nicht in jedem Bundesland vornehmen dürfen.414 Gottschling nennt das die „letztendliche Feststellung des Todes“415, die an die sogenannten sicheren Todeszeichen wie die Ausbildung von Totenflecken und Totenstarre geknüpft sei. „Erst wenn diese sicheren Zeichen vorhanden sind, darf der Arzt (…) nach der Untersuchung der entkleideten Leiche (das ist eine Vorschrift!) den Tod eines Menschen feststellen.“416 Die Vorschrift, die Leichenschau am vollständig entkleideten Menschen vorzunehmen und alle Körperöffnungen in die Untersuchung miteinzubeziehen, gestaltet sich in der konkreten Umsetzung schwierig, etwa bei bereits eingetretener Totenstarre oder im Fall von sehr korpulenten Verstorbenen.417 Frühestens nach zwei, eher aber nach vier bis sechs Stunden nach dem Todeseintritt kann der Tod sicher ärztlich bescheinigt werden, so dass seitens der

409 Vgl. Hans-Bernhard Wuermeling, Art.: Leiche – medizinisch, a.a.O., 129. 410 Vgl. Klaus-Steffen Saternus, Art.: Todesfeststellung, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 113–117; hier: 113. 411 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 31. 412 Vgl. Marianne Arndt, Pflege bei Sterbenden, a.a.O., 75; Claudia Bausewein, Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod, a.a.O., 208. 413 Vgl. ebd., 208f.; Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 15. 414 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 88: „In vielen Bundesländern darf ein Notarzt den Tod auch nur feststellen, die Leichenschau ist nicht seine Aufgabe.“ 415 Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 134. 416 Ebd.; vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 97: „Die Leichenschau ist an der vollständig entkleideten Leiche durchzuführen. Daran hält sich aber kaum ein Arzt. Studien unter Hausärzten sagen: So gut wie gar keiner.“ 417 Vgl. Klaus-Steffen Saternus, Art.: Todesfeststellung, a.a.O., 116.

65

Meine Bestattung

Angehörigen insbesondere nachts kein Grund zu übertriebener Eile besteht.418 Ärzte und Ärztinnen füllen direkt nach der Todesfeststellung den amtlichen Leichenschauschein aus, der zweigeteilt ist. „Auf einem nicht-vertraulichen äußeren Mantel werden die Personalien angegeben, die Feststellung des eingetretenen Todes, der Todeszeitpunkt oder der Zeitpunkt der Auffindung des toten Menschen, der Todesort sowie der Ort der Leichenschau und die Todesart (natürlicher oder nicht-natürlicher Tod, gegebenenfalls die Angabe, dass die Todesart nicht zu klären gewesen sei). In einem verschließbaren vertraulichen Teil sind die Todesursache unter Ableitung einer Kausalkette und gegebenenfalls weitere wesentliche Grundkrankheiten, bei unnatürlichem Tod oder Tod eines Kindes um die Geburt zahlreiche weitere Details zu attestieren“419, erläutert der Rechtsmediziner KlausSteffen Saternus. Problematisch ist es nicht, wenn die Leichenschau einige Stunden nach dem Todeseintritt stattfindet. Problematisch sei vielmehr – so der Rechtsmediziner und Bestsellerautor Michael Tsokos –, dass in Deutschland ein Arzt oder eine Ärztin jeder Fachdisziplin die Leichenschau durchführen dürfe, wohingegen in den angelsächsischen Ländern und den USA amtlich bestellte und speziell ausgebildete Leichenbeschauer und Leichenbeschauerinnen zuständig seien.420 Roland Schulz erklärt, dass eine durchschnittliche Leichenschau neunzehn Minuten in Anspruch nehmen würde.421 Anders als das Sterben, für dessen anfallende Kosten die gesetzlichen Krankenkassen aufkommen, stellen der Tod und seine Bescheinigung „abrechnungstechnisch eine Privatleistung“422 dar, so dass die Angehörigen eine Rechnung erhalten. Der einfache Abrechnungssatz betrage 14,57 Euro, der begründungslos anlegbare 2,3-fache Satz 33,51 Euro für eine Leichenschau, so Schulz.423 Von rund 80 Euro hingegen ist die Rede seitens des Bundesverbands Deutscher Bestatter.424 Soll ein grenzüberschreitender Transport des Leichnams erfolgen, ist ein sogenannter Leichenpass, ausgestellt durch die örtliche Ordnungsbehörde, nötig.425 Ohne eine ausgefüllte Todesbescheinigung und die Bescheinigung eines natürlichen Todes ist es einem Bestattungsunternehmen nicht erlaubt, einen Leich-

418 Vgl. Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 134f. 419 Vgl. Klaus-Steffen Saternus, Art.: Todesfeststellung, a.a.O., 113. 420 Vgl. Michael Tsokos, Dem Tod auf der Spur, a.a.O., 8. 421 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 109. 422 Ebd., 108. 423 Vgl. ebd., 108f. 424 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 16: „Die Kosten für die zweite Leichenschau, die bei der Feuerbestattung (außer im Bundesland Bayern) anfallen, sind meist in den Kremationsgebühren enthalten.“ 425 Vgl. ebd., 17.

66

Feststellung und Anzeigen des Todes

nam mitzunehmen.426 Lässt sich keine natürliche Todesursache feststellen, ist die Polizei zu benachrichtigen. Mit dem Ausstellen der Todesbescheinigung beginnt die Zeitspanne, innerhalb derer die Bestattung stattfinden muss, sofern keine Einäscherung vorgenommen wird. In vormodernen Gesellschaften, führt der Sozialwissenschaftler Thieme aus, war die Todesfeststellung Aufgabe medizinischer Laien und wurde im Mittelalter und der frühen Neuzeit von Mitgliedern christlicher Orden ausgeübt, da diese kirchlichen Institutionen oftmals Träger von Hospitälern waren. Erst seit dem 18. Jahrhundert wechselte die Zuständigkeit auf den Arzt, der dann jedoch zunächst noch neben dem Geistlichen, der die Sterbenden begleitete, fungiert hatte.427 Die ärztliche Zuständigkeit für das Sterben wurde durch neue Erkenntnisse über den menschlichen Organismus und die Funktionalität seiner Einzelkomponenten befördert, mit denen die Furcht vor dem Scheintod und einer diesbezüglichen fehleranfälligen Todesfeststellung einherging. Diese Angst war im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitet, so dass ärztliche Kriterien der Leichenschau notwendig wurden, um zu vermeiden, lebendig begraben zu werden und unweigerlich qualvoll zu ersticken.428 Durch die sogenannte Taphophobie wurde somit das ärztliche Interesse an einer exakten Todesbestimmung sowie an ausgiebigeren Studien mit sterbenden und scheintoten Menschen intensiviert.429 Heute muss der Tod ab dem Todestag gerechnet innerhalb einer Frist von drei Werktagen bei dem Standesamt angezeigt werden, in dessen Bezirk sich der Sterbeort befindet, so dass insbesondere für diejenigen, die an einem Wochenende oder einem Feiertag versterben, kein Anlass zur Hast besteht.430 Frühestens 48 Stunden nach Todeseintritt darf die Bestattung erfolgen und die Erdbestattung 426 Vgl. Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 137. 427 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 30; vgl. Dominik Groß, Jasmin Grande, Art.: Sterbeprozess – medizingeschichtlich, a.a.O., 76: „Wie die Ärzte der Antike, so zählten auch die des Mittelalters bis weit in die Frühe Neuzeit hinein die Betreuung Todkranker und Sterbender nicht zu ihrem Aufgabengebiet (…). Für sie endete der Heilauftrag, wenn sich die Erfolg- und Nutzlosigkeit ärztlicher Hilfe absehen ließ (…).“ 428 Vgl. ebd., 77: „Findige Konstrukteure erdachten überdies spezielle Vorrichtungen, etwa mit Gas gefüllte oder offene Särge, die mit Erde zugeschüttet wurden, um einen schnellen Erstickungstod hervorzurufen, oder umgekehrt sogenannte ,Rettungssärge‘, die mit einer Glocke ausgestattet waren, mit der der Scheintote nach dem Erwachen Hilfe holen sollte, oder die Leitern enthielten, welche die Möglichkeit bieten sollten, dem Grab zu entsteigen (…).“ 429 Ebd.; vgl. Gerlind Rüve, Art.: Scheintod, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 88–92; hier: 91: „In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass sich die Psychoanalyse am Ende des 19. Jh.s der Angst vor dem Scheintod annahm und sie ,Taphophobie‘ nannte. Sie wurde als Phobie definiert und als Anzeichen einer neurotischen Zwangsstörung gedeutet, hinter der sich die Angst vor vollständiger Isolation und dem Alleinsein in der Welt verbarg.“ 430 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 84; vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 16.

67

Meine Bestattung

oder Einäscherung hat innerhalb bestimmter, durch die Bestattungsgesetze der Bundesländer festgelegter Fristen, die bis zu zehn Tagen nach der Feststellung des Todes umfassen können, stattzufinden.431 Die Beisetzung der Urne soll ebenfalls zeitnah erfolgen.432

Totenwäsche und Ankleiden Oft wüssten die Angehörigen der Verstorbenen nicht, dass sie diese selbst versorgen dürfen und bei dieser Totenfürsorge natürlich von den Arbeitsschritten professioneller Bestatter abweichen würden, stellt der Bestatter Bernd-Peter Bertram fest.433 Das Betrachten und Anfassen der Verstorbenen sei für den bewussten Abschied höchst bedeutsam, da es helfe, die Endgültigkeit zu realisieren und einen heilenden Trauerprozess zu fördern.434 Insbesondere das Berühren fördere im wahrsten Sinne des Wortes das „Begreifen“ der neuen Situation.435 Im Klinikkontext umfasst die Versorgung von Verstorbenen eine Vielzahl von Schritten. Zunächst erfolgt die Entfernung etwaiger Infusionen, Drainagen, Katheder oder Sonden. Dann steht das Waschen, Kämmen und möglicherweise Rasieren des Leichnams an. Wunden werden mit aufsaugenden Verbänden versehen, Kleider oder ein Leichenhemd angezogen, bevor der Leichnam – häufig mit gefalteten Händen – gebettet wird. Die Augenlider werden geschlossen, was unter Zuhilfenahme von feuchten Tupfern geschehen kann. Der Mund wird mittels einer Mullbinde oder einer kleinen Unterlage zwischen Kinn und Brustbein ebenfalls geschlossen. Am Fußgelenk wird eine kleine ausgefüllte Karte befestigt, die Aufschluss über die Identität des Leichnams gibt.436 Angehörige selbst dürfen erst dann mit Versorgungs- und Behandlungsmaßnahmen beginnen, wenn der Totenschein ausgestellt worden ist.437 In Spielfilmen wird den Verstorbenen mit der Hand sachte über die Augenlider gefahren, um die Augen zu schließen. So leicht funktioniert das in der Wirklichkeit nicht. Die Augen bleiben nicht unbedingt geschlossen, weshalb es früher üblich war, etwas angefeuchteten Stoff oder Gurkenscheiben auf die Lider zu legen, um diese zu beschweren. Manche verwendeten hierfür auch Geldstücke, was aber nur kurz der 431 Vgl. ebd. 432 Vgl. ebd., 18. 433 Vgl. Bernd-Peter Bertram, Abschiednehmen. Ratgeber Hausaufbahrung, Toppenstedt 22001, 10f. 434 Ebd., 11. 435 Ebd., 43. 436 Vgl. Marianne Arndt, Pflege bei Sterbenden, a.a.O., 77 437 Vgl. Bernd-Peter Bertram, Abschiednehmen, a.a.O., 23.

68

Totenwäsche und Ankleiden

Fall sein sollte, da ansonsten lange sichtbare Abdrücke entstehen.438 Gegen das dauerhafte Auflegen eines Gegenstandes spricht zudem, dass der Augapfel nach Eintritt des Todes wegen seines relativ hohen Eigengewichts in die Augenhöhle zurücksinke und daher selbst ein leichtes Objekt, das zum Verschließen der Augen aufgelegt werde, diesen Prozess noch weiter verstärke.439 Das Ergebnis sei zwar ein geschlossenes Augenlid aber um den Preis eines sehr unbefriedigenden optischen Eindrucks.440 Bertram empfiehlt, die Augenlider genau anzuschauen und dann in die gewünschte Position zu streicheln, wobei in schwierigen Fällen eine flache Pinzette zu Hilfe genommen werden könnte.441 In vielen Bestattungsinstituten werden die Augenlider zugeklebt. Damit nicht genug, wird auch der Mund, der ebenfalls zum Offenstehen tendiert, von innen zugenäht.442 Wer dies weder für seine Angehörigen noch für sich selbst möchte, muss solche Details überhaupt erst einmal wissen, um sie zu eigenen Lebzeiten gezielt ansprechen und so später vermeiden zu können. Der Unterkiefer kann auch durch eine locker zu einer Schlinge um Kopf und Unterkiefer gezogene Mullbinde fixiert werden. Zuvor sollte der Unterkiefer unter Beachtung der Lippenposition eingerichtet werden. Alternativ kann man ein gerolltes Tuch unter den Unterkiefer legen, was gegenüber der ersten Methode die anschließende vorsichtige Behandlung der Haare erleichtert.443 Das Waschen der Leichen findet sich als Ritual in vielen Religionen, die hierfür auch genaue Regeln vorhalten. „Sie [die Waschung] dient der Reinigung des toten Körpers, aber auch seiner Reinheit an sich, eine große Geste. Sie ist so gut wie ausgestorben“444, merkt Roland Schulz an und fährt kritisch fort: „In vielen Krankenhäusern und Altersheimen gibt es eine kurze Katzenwäsche, Hände aufeinander, fertig. Mitunter nicht mal mehr das. Zu wenig Zeit. Lässt sich auch nicht abrechnen. Soll doch der Bestatter machen.“445 Manche Bestatter, so Schulz weiter, würden ihre Toten in zwei Klassen einteilen, nämlich in jene, die noch jemand am Sarg sehen wolle, und den Rest, an dem nur gerade so viel hergerichtet würde, dass es für eine spätere Kontrolle am Friedhof durch die Aufbahrer genüge.446

438 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 78. 439 Bernd-Peter Bertram, Abschiednehmen, a.a.O., 32. 440 Vgl. ebd. 441 Vgl. ebd., 32f. 442 Vgl. Angela Fournes, Annette Bopp, Den Tod muss man leben. Eine Bestatterin hilft – denen, die gehen, und denen, die bleiben, München 2018, 102. 443 Vgl. Bernd-Peter Bertram, Abschiednehmen, a.a.O., 34f. 444 Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 79. 445 Ebd. 446 Ebd., 151.

69

Meine Bestattung

Der Brauch der Totenwäsche ergab unter dem Hygienegesichtspunkt insbesondere in früheren Zeiten Sinn, als viele Menschen von der Feldarbeit verschmutzt waren, wohingegen heute die meisten in einem sauberen Zustand im Krankenhaus ankommen. Häufig würden Schweiß oder Blutflecken mit Feuchttüchern abgewischt, heißt es aus Bestatterkreisen.447 Eine Ganzkörperwaschung sei in den meisten Fällen übertrieben, so dass lediglich der sichtbare Bereich, also Fingernägel, Hände, Handgelenke, Unterarme, Gesicht, Wangen, Ohren, Hals, Haare und Dekolleté gereinigt würden.448 Die Mehrheit der Angehörigen kommt gar nicht auf die Idee, eine Totenwäsche selbst vorzunehmen, u.a. auch deshalb, weil sich hartnäckig das Gerücht vom Leichengift hält. Hierbei handelt es sich um ein „Ammenmärchen“ und der Palliativmediziner Gottschling betont mit Nachdruck: „Es gibt kein Leichengift!“449 Trotz dieser Tatsache können etwaige Ekelgefühle vor dem Leichnam450 oder auch der Eindruck, eine persönliche Grenze zu überschreiten, dazu führen, lieber von der eigenhändigen Durchführung der Totenwaschung Abstand zu nehmen. Die Totenwaschung erfordert zwei bis drei Personen, weil das Gewicht des Leichnams anders schwer zu handhaben ist. Tote Körper verändern sich und dies kann Angehörige mitunter in Angst und Schrecken versetzen. Weder ist es unüblich, dass ein Ächzen zu vernehmen ist, bei dem Luft aus der Lunge entweicht, noch ist der Abgang von Stuhl und Urin eine Seltenheit. Die Kontrolle über die Muskeln endet mit dem Tod, so dass die Entleerung von Darm und Blase die Folge ist. Wer diesen Mechanismus kennt, legt daher vor der Versorgung des Leichnams eine Unterlage oder Windel bereit. Eine ähnliche Vorbereitung mit Handtüchern ist hinsichtlich des Magensaftes, der aus dem Mund auslaufen kann, sinnvoll.451

447 Vgl. Annette Bruhns, Barfuß auf dem letzten Weg. Wie ein Bestatter die Leichname herrichtet, in: Annette Großbongardt, Rainer Traub (Hg.), Das Ende des Lebens, a.a.O., 91–93; hier: 92. 448 Vgl. Bernd-Peter Bertram, Abschiednehmen, a.a.O., 28; vgl. zur detailreich beschriebenen „hygienischen Totenversorgung“ Carmen Thomas, Berührungsängste?, a.a.O., 197–199. 449 Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 138; vgl. Carmen Thomas, Berührungsängste?, a.a.O., 23; vgl. Hans-Bernhard Wuermeling, Art.: Leiche – medizinisch, a.a.O., 128: „Als Leichengifte wurden früher bestimmte Produkte des bakteriellen Abbaus von Körpereiweißen bezeichnet, die zwar für den typischen Leichengeruch verantwortlich sind, jedoch allenfalls bei enteraler Aufnahme größerer Mengen zu Krankheitserscheinungen geführt haben sollen (…).“; vgl. Christine Pernlochner-Kügler, Umgang mit Ekel- und Schamgefühlen bei der Arbeit mit Körpern, in: Daniel Wyler (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 31–58; hier: 36: „Bis zur Entwicklung und Etablierung der Bakteriologie durch Luis Pasteur um 1880 glaubte man (…), dass schlechte Gerüche die Ursache für Erkrankungen waren. Da ein Leichnam recht bald zu riechen beginnt (…), ist eine regelrechte Panik rund um den Leichnam leicht nachzuvollziehen.“ 450 Vgl. ebd., 37, Pernlochner-Kügler geht der Frage nach: „Ist Ekel vor dem Leichnam erlaubt?“ 451 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 80.

70

Totenwäsche und Ankleiden

Es ist gut, einige Ratschläge der professionellen Totenwaschung zu beherzigen: Die Haut der Verstorbenen lasse sich am besten mit kaltem Wasser und Waschlappen reinigen. Warmes Wasser und Laugen würden die Haut angreifen und eine Waschhautbildung fördern. Papiertücher seien nicht geeignet und es sei wichtig, nicht zu rubbeln, sondern den zur Reinigung verwendeten Stoff über die verschmutzten Stellen durch eine Drehung des eigenen Unterarmes abzurollen, was von Kosmetikern als “pattern“ bezeichnet werde.452 Bei der Versorgung des nicht sichtbaren Bereiches gilt es, das Austreten von Körperflüssigkeiten zu verhindern und Geruchsbelästigungen vorzubeugen.453 Sollen die Hände der Verstorbenen gefaltet werden, so wird dies möglicherweise durch die eingetretene Totenstarre erschwert und es kann eine Massage der Finger notwendig werden: „Jeder Finger wird einzeln massiert. Von der Fingerspitze anfangend in Richtung Handgelenk. Die Hände werden gefaltet und auf dem Bauch des Verstorbenen wird eine Lage gesucht, in der die gefalteten Hände ohne zusätzliche Fixierung liegenbleiben.“454 Nach der Reinigung ist es Zeit für die Ankleidung. Bekanntlich hat das „letzte Hemd keine Taschen“, womit gemeint ist, dass niemand seinen Besitz mit ins Grab nehmen, also nach seinem Lebensende noch nutzen kann. Als Erinnerung hieran und sicherlich auch als Aufforderung zur Demut war das Leichenhemd, also das letzte Hemd, bis vor wenigen Generationen noch Teil der Aussteuer oder sogar ein Konfirmationsgeschenk.455 Sofern nicht auf Auflagen im Sinne der Schadstoffbegrenzung bei der Kremation geachtet werden muss, raten Bestatter und Bestatterinnen gegenwärtig oft, die Lieblingskleidung den Verstorbenen anzuziehen, was den Trend zur Individualisierung auch bei diesem Schritt der Totenfürsorge augenfällig macht.456 Im Anhang des Buches „Berührungsängste? Vom Umgang mit der Leiche“457 der Journalistin Carmen Thomas finden sich mehrere ausfüllbare Listen, die die eigenen Wünsche nach Todeseintritt festhalten helfen. Sie widmen sich Themen wie Leichenkleidung, Aufbahren, Sarg, Grab, Totenfeier, „Leichenschmaus/ReueEssen“458 und schriftlichen Unterlagen.459 Thomas regt dazu an, konkret festzulegen, von wem man als verstorbener Mensch auf welche Art und in welcher Intensität versorgt werden möchte. Welche Teile meines Körpers sollen gewaschen werden, welche nicht? Sollen meine Augen geschlossen werden? Bleiben etwaiges Gold bzw. mein Gebiss in meinem Mund, soll dieser zugenäht bzw. die Lippen 452 Vgl. Bernd-Peter Bertram, Abschiednehmen, a.a.O., 28. 453 Vgl. ebd., 29. 454 Ebd., 36. 455 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 83. 456 Vgl. ebd., 84. 457 Carmen Thomas, Berührungsängste?, a.a.O. 458 Ebd., 233. 459 Ebd., 227–234.

71

Meine Bestattung

zugeklebt werden? Wünsche ich Schönheitsmaßnahmen, die möglicherweise weit über das Kämmen der Haare hinausgehen, wenn ja, welche?460

Aufbahrung Aufbahrungen sind eine Seltenheit geworden und der Gedanke an diese Möglichkeit wird eher mit bekannten Persönlichkeiten wie Papst Johannes Paul II. und dessen öffentlicher Zurschaustellung als mit dem eigenen Leichnam bzw. dem der eigenen Angehörigen in Verbindung gebracht.461 Viele Angehörige lehnen es ab, Verstorbene noch einmal zu sehen, und begründen dies damit, dass sie sie so in Erinnerung behalten wollen, wie sie zu Lebzeiten gewesen seien.462 Dem gegenüber betont Lichtner: „Die meisten Menschen, die einen Toten gesehen haben, wissen, dass es nicht schockierend ist, einen Verstorbenen noch einmal zu sehen, sondern dass das vielmehr dabei hilft, die Wirklichkeit des Verlustes zu begreifen.“463 Was genau unter einer „Aufbahrung“ zu verstehen ist, kann nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden. Ein Definitionsversuch für eine Aufbahrung im eigenen Zuhause lautet: „Hausaufbahrung ist das offene Ausstellen eines Verstorbenen während eines gesetzlich bestimmten oder während eines behördlich genehmigten Höchstzeitraumes in nichtöffentlichen Räumlichkeiten.“464 In ländlichen Gegenden ist es teilweise noch üblich, Verstorbene einige Zeit zu Hause aufzubahren. Je nach Bundesland dürfen Verstobene zwischen 36 und 72 Stunden zu Hause bleiben oder, wenn dies nicht der Sterbeort war, zur Verabschiedung nach Hause gebracht werden. Allerdings setzt die Unterbringung des Leichnams geeignete Räume, die nicht gleichzeitig für Wohn-, Schlaf-, Arbeits- oder Wirtschaftszwecke genutzt werden, sowie den Ausschluss einer übertragbaren Krankheit voraus.465 Ist eine Aufbahrung im eigenen Zuhause nicht möglich oder gewünscht, bieten viele Bestatter und Bestatterinnen eigene Abschiedsräume an.466 Die Überführung des Leichnams ist – wie beschrieben – nur einem Bestattungsunternehmen erlaubt.467 460 Vgl. ebd., 226. 461 Vgl. Dominic Olariu, Johannes Paul Supertod. Ikone eines neuen Todesverständnis?, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, a.a.O., 59–78. 462 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 9. 463 Ebd.; vgl. Markus Ploner, Der Abschied an der Bahre aus der Sicht des Bestatters, in: Daniel Wyler (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 177–188; hier: 177. 464 Bernd-Peter Bertram, Abschiednehmen, a.a.O., 16. 465 Vgl. ebd., 24. 466 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 28. 467 Vgl. Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 138.

72

Aufbahrung

Eine Aufbahrung bringt es mit sich, dass Angehörige optische Veränderungen an Verstorbenen wahrnehmen. Viele wundern sich, dass die Fingernägel und der Bart zu wachsen scheinen, was jedoch eine Täuschung ist, die sich durch den Feuchtigkeitsverlust der Haut erklären lässt.468 Um die mit Gerüchen verbundenen Prozesse im Körper des Verstorbenen etwas hinauszuzögern und eine Aufbahrung möglich zu machen, ist neben einem Sarg je nach Dauer und Jahreszeit der Aufbahrung ein Kühlgerät erforderlich, das Bestatter und Bestatterinnen ebenso besorgen können wie die Genehmigung der Gesundheitsbehörde.469 In der Regel fehlen Angehörigen Kenntnisse über die sogenannte Autolyse, jenen Prozess der Selbstverdauung, der sich im Leichnam einstellt. Nach Eintritt des Todes hält das Immunsystem die körpereigenen Bakterien, die sich etwa im Mund und Magen befinden, nicht länger in Schach, so dass diese ungehindert tätig sind.470 Was spricht für die Aufbahrung des oder der Verstorbenen im eigenen Haus? Der Bestatter Fritz Roth war der festen Überzeugung, dass die deutsche Gesellschaft Abermilliarden Euro im Gesundheitswesen einsparen könnte, sofern man den Menschen erlauben würde, ihre Toten nach Hause zu holen, sie anzufassen und sich Zeit für die individuelle Trauer zu nehmen, was eine Form der ausgeübten Liebe sei und sowohl späteren Depressionen als auch Traumata bei den Hinterbliebenen präventiv entgegenwirken könne.471 Die in Berlin tätige Bestatterin Angela Fournes macht sich dafür stark, die alte Tradition des Aufbahrens wieder neu zu beleben.472 Ihr Anliegen begründet sie u.a. mit ihrer festen Ansicht, dass es ungefähr drei Tage dauern würde, bis sich Seele und Geist vollkommen aus dem Körper gelöst hätten und nur eine leere Hülle zurückbliebe.473 Den Tod sieht Fournes als Teil des Lebens und den Sterbetag als „Himmelsgeburtstag“.474 Fournes, die sicherlich nicht repräsentativ für die meisten anderen Bestatter und Bestatterinnen ist, und die davon ausgeht, dass Verstorbene die Lebenden mehr umgeben würden, als es diesen bewusst sei475, schildert, dass sie die Toten mit Namen anspreche und sich als ihre Bestatterin vorstelle. Außerdem sage sie ihnen, dass sie nun verstorben seien. Da der Hörsinn als letztes verloren gehe, hält Fournes es für möglich, dass sie selbst nach dem Stillstand des 468 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 127. 469 Vgl. ebd., 131. 470 Vgl. ebd., 129; vgl. zum Ablauf der Selbstauflösung Carmen Thomas, Berührungsängste?, a.a.O., 145f. 471 Vgl. Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 180. 472 Vgl. Angela Fournes, Annette Bopp, Den Tod muss man leben, a.a.O., 9. 473 Vgl. ebd., 9f. 474 Vgl. ebd., 42. 475 Vgl. ebd., 98.

73

Meine Bestattung

Herzens noch von den Verstorbenen verstanden werden könne.476 Im Brustton der Überzeugung fährt sie fort: „Das Waschen ist etwas Schönes (…). Und dem Toten sieht man an, dass er es genießt, noch einmal so fein gemacht zu werden.“477 Was man aus Fournes‘ Ausführungen zweifelsohne lernen kann und was auch für ihre Kritiker und Kritikerinnen zustimmungsfähig sein dürfte, ist ihr hilfreicher Ratschlag: „Die Wahl des Bestatters ist in gewisser Weise noch persönlicher und individueller als die Wahl des Zahnarztes, Gynäkologen oder Friseurs.“478

Aussegnung, Transport des Leichnams, Wahl des Sarges In vielen Pflegeheimen und Krankenhäusern werden Verstorbene in einen Abschiedsraum gebracht, damit die Angehörigen sich dort in Ruhe verabschieden können. Der badische Dekan Rainer Heimburger betont, dass Trauernde in der Situation nach dem Eintritt des Todes offen für religiöse Deutungen und Rituale seien und insbesondere eine Aussegnung eine Hilfe im Trauerprozess darstelle. Sie biete die Möglichkeit, markante Erinnerungen an Verstorbene in die Abschiedszeremonie einzubringen.479 Vor dem Abtransport des Leichnams durch den Bestatter sei auch eine Aussegnung im Privathaus denkbar und dies solle der Gemeinde immer wieder bekannt gemacht werden.480 Die wohltuende Wirkung eines solchen Abschieds spreche sich schnell herum, und Heimburger gibt den kollegialen Rat: „Wer sich als Pfarrperson auf diesen hilfreichen Weg einlässt, muss aber für eine verlässliche Erreichbarkeit sorgen.“481 Nach einer Aussegnung steht der Transport des Leichnams an, der zwar in einem dafür zugelassenen Leichenwagen zu erfolgen hat482, aber nicht durch ein vom 476 Vgl. ebd., 106. 477 Ebd., 108. 478 Ebd., 52; vgl. Jens Schlamelcher, „Würdevoll und Preisgünstig“ – Bestattung zwischen Pietät und Penunsen, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 21–38; hier: 34: „Der Bestatter gehört einer kleinen Gruppe von Berufen an, in der dieser zu seinen Kunden eine persönliche Bindung eingehen muss.“; vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 19, der auf das Markenzeichen des Bundesverbandes Deutscher Bestatter zwecks Qualitätssicherung verweist. 479 Vgl. Rainer Heimburger, Der Weg zur Bestattung. Ein Durchgang, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 86–90; hier: 87. 480 Vgl. ebd., 87f.; vgl. Ulrich H. J. Körtner, Bedenken, daß wir sterben müssen, a.a.O., 100, der der Auffassung ist, die Aussegnung habe nur im Rahmen einer seelsorgerlichen Begleitung des Sterbenden ihr Recht, und der fordert: „Sie muß (…) wieder zu ihrem ursprünglichen Sitz im Verlauf des Sterbe- und Trauerprozesses zurückgeführt werden, nämlich zum Augenblick des Sterbens.“ 481 Rainer Heimburger, Der Weg zur Bestattung, a.a.O., 88. 482 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 122f.

74

Aussegnung, Transport des Leichnams, Wahl des Sarges

Altersheim oder der Klinik festgelegtes Bestattungsunternehmen vorgenommen werden muss. Die Wahl des Bestatters oder der Bestatterin ist eine freie Entscheidung der Angehörigen.483 Der Leichnam muss jederzeit identifizierbar sein und es bedarf eines professionellen Knowhows, um ihn pietätvoll zu transportieren. Es hat einen nachvollziehbaren Grund, dass der Leichnam im Sarg mit den Füßen voraus getragen wird. Andernfalls befände sich der Körper höher als der Kopf, was bei nach unten führenden Treppen kaum vermeidbar wäre, so dass Körperflüssigkeit aus dem Mund austreten könnte.484 Ein Sarg ist sowohl für die Erd- als auch für die Feuerbestattung erforderlich. Wenngleich das Wort „Sarg“ mitunter auf den Begriff „Sarkophag“ zurückgeführt wird, der sich wiederum vom griechischen Wort für „Fleischfresser“ ableitet, was tatsächlich die Funktion war, die der Steinsarkophag der Griechen als Verwesungsbeschleuniger erfüllte485, konkurriert diese etymologische Erklärung mit anderen denkbaren Varianten.486 Ohne behördliche Genehmigung darf in Deutschland ausschließlich Holz zur Sargherstellung Verwendung finden, da ein Holzsarg die Selbstzersetzung in der Erde nicht verhindert oder alternativ für die Kremation erforderlich ist.487 Mittlerweile gilt die Sargpflicht nicht mehr flächendeckend, was vor allem für Bestattungen, die nach islamischem Ritus ablaufen, wichtig ist.488

483 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 115. 484 Vgl. ebd., 135; vgl. Rainer Liepold, Graben sie tiefer!, a.a.O., 85, der den Brauch, den Verstorbenen mit den Füßen zuerst aus dem Haus zu tragen, auch mit dem Gedanken der Gefahrenabwehr in Verbindung bringt, der sich im Brauchtum häufig findet. Die Blickrichtung der Verstorbenen sollte vom Haus abgewandt sein, damit eine Wiederkehr als Geist an mangelnder Orientierung scheitern würde. 485 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 210. 486 Vgl. Dominik Groß, Michael Rosentreter, Art.: Sarg, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 261–266; hier: 261: „Die naheliegende Herleitung aus der latinisierten Kurzform sarc für sarcophagus, griechisch lithos sarkophagos, konkurriert mit den lateinischen Begriffen arca (,Kasten‘, ,Sarg‘), und loculus (,Kästlein‘, ,Sarg‘) sowie mit dem mittelalterlichen locelum. Eine andere etymologische Erklärung leitet das Wort ,Sarg‘ vom althochdeutschen sarc, sarch (,Kleidung‘, ,Rüstung‘) zum germanischen sergíti (,bergen‘, ,behüten‘; vgl. frz. cercueil: ,Sarg‘) ab.“ 487 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 210; zu diversen Sargmoden bzw. Sargmodellen, die vom “Crazy Coffin“ bist zum „Zwei-Wege-Sarg“ reichen, vgl. ebd., 211–214. 488 Vgl. Margot Käßmann, Das Zeitliche segnen. Voller Hoffnung leben. In Frieden sterben, München 2014, 98; vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 174; Heinzpeter Hempelmann, Milieus, Megatrends und Mentalitäten, a.a.O., 60.

75

Meine Bestattung

Trauerfeier und Bestattungsriten Jede Bestattung geht mit einer Fülle von notwendigen Dienstleistungen einher. Allein für den rituellen Dienst des Pfarrers oder der Pfarrerin bei der Trauerfeier fallen keine unmittelbaren Kosten an, da die Kirchenmitglieder mit ihrer Kirchensteuer quasi eine religiöse “flatrate“489 erworben haben. „Sie entrichten einen monatlichen Pauschaltarif, der sie berechtigt, Kirche beliebig oft und von ,Fall zu Fall‘ für sich in Anspruch zu nehmen“490, stellen die beiden Praktischen Theologen Thomas Klie und Jakob Kühn fest. Trauerfeiern finden zunehmend ohne kirchliche Begleitung statt und nur noch etwa die Hälfte der Verstorbenen wird kirchlich bestattet.491 Die Zahl an Trauerrednern und Trauerrednerinnen wächst permanent, ebenso deren Konkurrenz untereinander.492 Während die nichtkirchlichen Trauerredner und Trauerrednerinnen der ersten Generation oft rhetorisch ambitionierte Autodidakten und Autodidaktinnen oder auch Theologen und Theologinnen, die nicht im Dienst der Kirche gestanden hätten, gewesen seien, gibt es seit 1996 die „Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier“ (BATF e.V.), die für ihre Mitglieder klare Kompetenzanforderungen aufgestellt hat.493 Das Berufsbild muss sich jedoch immer noch stabilisieren, wie Thomas Klie anhand der bunten „Palette der Qualifizierungsmöglichkeiten“494 veranschaulicht: „Die Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote reichen von ,in 10 Schritten zum erfolgreichen Trauerredner‘ und ,erfüllenden Beruf‘ in einem ,2-Tage-Intensiv-Kompakt-Seminar‘ über einen Zwei-Wochen-Grundkurs und ,Webinare‘ (Online-Seminare) bis hin zu esoterisch inspirierten Wochenkursen.“495 Die Honorare für weltliche Trauerredner und Trauerrednerinnen können je nach Region zwischen 120 und 400 Euro liegen.496 Ihnen solle laut der Theologin Elina Bernitt, die weltliche Trauerreden wissenschaftlich ausgewertet hat, seitens der Kirche nicht grundsätzlich die Kompetenz zur Aufrichtung von niedergeschlagenen Personen abgesprochen werden.497 489 Thomas Klie, Jakob Kühn, Obliegenheiten. Zur Einführung, in: Dies. (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 7–18; hier: 7f. 490 Ebd., 8f. 491 Vgl. ebd., 9. 492 Vgl. Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 183; Dirk Battermann, Die weltliche Trauerrede als Dienst für die Hinterbleibenden. Ein Praxisbericht, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung, a.a.O., 77–86; hier: 86. 493 Vgl. Thomas Klie, Jakob Kühn, Obliegenheiten, a.a.O., 10. 494 Thomas Klie, Trauerredner zwischen Beruf und Berufung, in: Ders., Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung, a.a.O., 99–107; hier: 104. 495 Ebd. 496 Vgl. Thomas Klie, Jakob Kühn, Obliegenheiten, a.a.O., 7 Anm. 2. 497 Vgl. Elina Bernitt, Können weltliche Trauerfeiern Trost spenden?, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung, a.a.O., 109–121; hier: 120.

76

Trauerfeier und Bestattungsriten

Die Gestaltung und der Ablauf einer kirchlichen Bestattung erfolgen in Absprache mit den jeweiligen Geistlichen.498 Der kirchlichen Bestattung geht ein Trauergespräch voraus, bei dem Deutungen des nun abgebrochenen Lebens im Verstehenshorizont der Hinterbliebenen wahrzunehmen und um christliche Deutungsangebote – insbesondere der christlichen Auferstehungshoffnung – anzureichern sind.499 Im Anschluss an das Gespräch wird die Bestattungspredigt, auch „Leichenpredigt“ genannt, verfasst. Solche Reden am Grab lassen sich bis in die Antike zu den römischen laudationes funebres zurückverfolgen. Ihre heutige Prägung erhielten sie vor allem während der Reformationszeit, wo sie besonders häufig von Lutheranern gehalten wurden.500 Auf die ganz praktischen Folgen des Bedeutungswandels der Bestattungskasualie für Theologen und Theologinnen soll nicht detailliert eingegangen werden, sondern nur angemerkt werden, dass sich auch hier Einiges im Umbruch befindet, wie etwa folgende Aussage des Pfarrers Christoph Doll belegt: „Konnten Pfarrer früher von einem Amtsbonus ausgehen, so sind sie heute nicht selten bei Erstbegegnungen herausgefordert, einem Amtsmalus entgegenzusteuern.“501 Ob eine enge Beziehung der Angehörigen zu der Kirche besteht, zu welcher der oder die Verstorbene gehörte, sei für die Durchführung der Bestattung laut Margot Käßmann zweitrangig. Sie schildert, dass sie gelernt habe, wie Menschen sich dem Glauben wieder annähern, wenn sie mit Sterben und Tod konfrontiert seien.502 Bekannte und gepflegte Rituale reduzieren Angst und Unsicherheiten bei der Beerdigung503, sie bieten einen würdigen Rahmen und somit einen bei Trauer und 498 Zum evangelischen Bestattungsverständnis vgl. Matthias Kreplin, Ulrike Bleichert, Die evangelische Trauerfeier als Ritual. Thesen zur Gestaltung von Bestattungen, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 91–95; hier: 91–93; vgl. zur Gestaltungshoheit durch den liturgisch Verantwortlichen ebd., 94: „Wenn diese Gestaltungshoheit durch äußere Bedingungen (Festlegungen des Bestatters, Vorgaben der Trauerfamilie etc.) so eingeschränkt wird, dass die Trauerfeier nicht mehr als christlicher Gottesdienst erkennbar ist, dann ist die Gestaltung der Trauerfeier abzulehnen.“ 499 Vgl. Christoph Doll, Veränderungen in der Bestattungskultur und ihre Auswirkungen für Pfarrerinnen und Pfarrer. Beobachtungen aus pastoraltheologischer Perspektive, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 114–121; hier: 114. 500 Vgl. Jens Kunze, Art.: Leichenpredigten, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 257–261; hier: 257; vgl. ebd.: „Die erste gedruckte Leichenpredigt ist aus dem Jahr 1525 überliefert. Der Reformator Martin Luther hielt sie bei der Bestattung Friedrich des Weisen (…).“ 501 Christoph Doll, Veränderungen in der Bestattungskultur und ihre Auswirkungen für Pfarrerinnen und Pfarrer, a.a.O., 116. 502 Vgl. Margot Käßmann, Das Zeitliche segnen, a.a.O., 84. 503 Vgl. ebd., 80.

77

Meine Bestattung

Abschied besonders wichtigen Halt. Religiöse Rituale strukturieren den Abschied, während Formlosigkeit und Diffusität Ängste befördern.504 Bestattungsriten werden individueller, sollen der Persönlichkeit und den Wünschen der Verstorbenen bzw. der Angehörigen entsprechen.505 Kann dann aber noch von „Riten“ die Rede sein? Riten wohnt ein performativer, darstellender Charakter inne, sie „sind offenbar in hohem Maße invariant, was bedeutet, dass sie Wiederholungscharakter haben und somit der verbindlichen Maßgabe vergangener Performance weitgehend unterworfen sind.“506 Dem widerspricht ein „Privatritus, ein Ritus in eigener Hand“507, denn so definiert der Theologe und Ethiker Jean-Pierre Wils: „Ein Ritus ist eine standardisierte symbolische Handlung. Sie beruht auf dem Unterschied zwischen dem Gewöhnlichen und dem Außergewöhnlichen. Der Ritus stabilisiert Lebensverhältnisse in Krisensituationen und hat eine Erinnerungsfunktion.“508 Insbesondere der Aspekt der Standardisierung legt nahe, dass ein kodiertes Handlungsmuster vorliegt, so dass Riten „der Kreativität des Einzelnen ,in actu‘ weitestgehend entzogen“509 sind. Kennzeichen von Ritentransformationen sind Standardisierungsverlust, Individualisierung und Existentialisierung sowie die Säkularisierung, die sich im Verlust der Autorität religiöser Traditionen zeigt.510 Dennoch sollten die großen christlichen Kirchen die Tradition ihrer Bestattungspraxis pflegen: „Fragt man Mitglieder der katholischen oder evangelischen Kirche, was sie (noch) an ihre Religionsgemeinschaft bindet, so erscheint gerade die Kasualie ,Kirchliche Bestattung‘ als ein herausragendes Motiv.“511 Es liegt die Vermutung nahe, dass die kirchliche Bestattung eine Menschlichkeit zum Ausdruck bringt, die wir sonst gesellschaftlich zu verlieren befürchten. 504 Vgl. Barbara Dobrick, Wenn die alten Eltern sterben, a.a.O., 57. 505 Vgl. Fritz Lienhard, Kasualien als Religionsproduktion, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 108–113; hier: 113: „Bei Bestattungen ist eine Tendenz zu beobachten, den Verstorbenen immer mehr oder weniger zu vergöttlichen. Auf diese Weise gibt sich die Familie indirekt eine positive Identität. Das Gegenteil aber, den Verstorbenen in seiner Menschlichkeit wahrzunehmen, ist Bedingung für die Möglichkeit einer Trauerarbeit.“ 506 Jean-Pierre Wils, Moral und Ritualisierung. Anmerkungen über die neue ,ars moriendi‘, in: Michael Rosentreter, Dominik Groß, Stephanie Kaiser (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, a.a.O., 103–112; hier: 105. 507 Ebd., 106. 508 Ebd.; vgl. Klaus Feldmann, Art.: Soziologie, a.a.O., 65; vgl. Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, a.a.O., 83: „Gedenkriten proben die Nicht-Endgültigkeit des Todes.“ 509 Jean-Pierre Wils, Moral und Ritualisierung, a.a.O., 106. 510 Vgl. ebd., 108. 511 Norbert Wichard, „Ich habe dich beim Namen gerufen.“ Sozial- und Ordnungsamtsbestattungen als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes, a.a.O., 163–179; hier: 163.

78

Bestatter und Bestatterinnen

Die der Säkularisierung geschuldete Tatsache, dass Kirche ihre selbstverständliche „Hoheit über Bestattung“ verloren habe, manifestiert sich auch als „Verlust an religiöser Prägekraft“, d.h. als „Traditionsabbruch“.512 Heinzpeter Hempelmann führt aus: „Traditionsabbruch bedeutet konkret: Die Kenntnis der Ortstraditionen wie der tragenden christlichen Überzeugungen, der Kerntexte und bekanntesten Lieder, der Gebete und der liturgischen Stücke, die zur Mitwirkung einladen, ist weitgehend verloren gegangen. Soll eine Bestattung vorbereitet werden, äußert sich Traditionsabbruch vor allem als Hilfs- und Orientierungslosigkeit. Traditionen, die man nicht kennt, können nicht binden und prägen.“513 Kenntnisse darüber, wie der traditionelle Ablauf einer Trauerfeier aussieht, können nicht mehr vorausgesetzt werden und sollten daher im Trauergespräch zum Abbau von Unsicherheiten eine kurze und verständliche Erläuterung finden. Auf diese Weise trägt man zur Stressreduktion während der eigentlichen Trauerfeier bei. Für das evangelische Milieu erklärt Thomas Klie kritisierend, dass die Trauerfeier den Hinterbliebenen und nicht dem Toten diene: „Gesellschaftlich wirksam ist anscheinend nicht nur die viel beklagte Verdrängung des Todes, sondern auch und gerade eine Verdrängung der Toten. Evangelische stellen sich nicht auf Tote ein, sie stellen sie eher weg.“514 Eine Trauerfeier findet öffentlich statt, es sei denn, dass durch eine Todesanzeige auf ein Abschiednehmen im engsten Kreis hingewiesen wird, das dann meistens beim Erscheinen der Anzeige schon in der Vergangenheit liegt.515 Der sogenannte „Leichenschmaus“ im Anschluss an die Beisetzung gehört zu den Bräuchen, die seltener werden. Wenn die Trauergemeinde früher von weither anreiste, war ihre Versorgung eine Notwendigkeit. Hinzu kommt der soziale Gesichtspunkt, dass dieses Beisammensein ein öffentliches Abschiednehmen und eine Demonstration der Wertschätzung des oder der Verstorbenen bedeutet, was sich für den Trauerprozess der Angehörigen positiv auszuwirken vermag.516

Bestatter und Bestatterinnen „Der letzte Mensch, der mich berührt? – Bestatter und Bestatterinnen“517 lautet eine Überschrift der Journalistin Carmen Thomas, die damit punktgenau diese besondere, einzigartige und doch selten so präzise in den Blick genommene Rolle benennt. 512 Heinzpeter Hempelmann, Milieus, Megatrends und Mentalitäten, a.a.O., 61. 513 Ebd. 514 Thomas Klie, Bestattungskultur, a.a.O., 241. 515 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 158 Anm. 22. 516 Vgl. ebd., 155. 517 Carmen Thomas, Berührungsängste?, a.a.O., 187.

79

Meine Bestattung

Bis ins letzte Jahrhundert war es üblich, dass die Angehörigen die Versorgung der Toten vornahmen. Gemeinsam mit den sich einstellenden Trauergästen verabschiedeten sich die Bewohner und Bewohnerinnen des Dorfes von einem verstorbenen Mitglied. Leichenträger waren nicht die bis dato unbekannten Angestellten eines Bestattungsunternehmers, sondern in der Regel die Nachbarn. Am Trauerzug zum Friedhof, der Beisetzung und der anschließenden Nachfeier im Gasthaus nahm man selbstverständlich teil. Dies änderte sich ab den 1970er Jahren, als Friedhofskapellen Aufbahrungen vereinfachten und Bestattungsinstitute anfallende Schritte kostenpflichtig übernahmen, so dass Verstorbene schnell in die Hände der Dienstleistenden überwechselten und die familiäre Totenfürsorge zur Ausnahmeerscheinung verkam.518 Das Bestattungswesen wird durch das Bestattungsgesetz geregelt, das in der Bundesrepublik Deutschland Sache der Länder ist, die eigene, jedoch meist ähnliche Gesetze erlassen und auch u.a. Aspekte des Friedhofsrechtes festlegen.519 Erst seit 2003 ist der Beruf des Bestatters und der Bestatterin ein Lehrberuf, bei dem man es sogar bis zum Meister oder zur Meisterin bringen kann, wenngleich die Bezeichnung frei bleibt, so dass grundsätzlich kein Ausbildungsnachweis erbracht werden muss, um als Bestatter oder Bestatterin arbeiten zu dürfen.520 Entstanden ist ein hart umkämpfter Bestattungsmarkt, der seine potentiellen Kunden und Kundinnen umwirbt. Die Assoziation, dass Bestatter oder Bestatterin ein krisensicherer Job sei, da ja immer gestorben werde521, trifft also nur bedingt zu. Es geht um Milliarden beim Geschäft mit dem Tod, so dass es kaum verwundert, dass sich – wie in anderen marktwirtschaftlichen Bereichen – auch hier „Niedrigpreis-“ und „All-inclusive“-Angebote finden.522 Das Internet macht es möglich, Informationen und Angebote zu vergleichen, und dies bedeutet für Bestattungsdienstleistende, dass sie heutzutage auch in den Sozialen Medien vertreten sein müssen, um so eine Marke und eine soziale Community aufzubauen.523 Darüber hinaus gibt es in den USA auch “Digital Undertaker“, also digitale Bestatter und Bestatterinnen, bei denen man u.a. bereits zu Lebzeiten festlegen kann, wie die eigenen Profile in Sozialen Medien nach dem eigenen Tod fortbestehen oder gelöscht werden sollen. Was grotesk anmutet, spiegelt zugleich einen 518 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod. Mein Leben im Krematorium, München 2015, 65f. 519 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 46. 520 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 64; Annette Bruhns, Gärten der Erinnerung, a.a.O., 81; vgl. ebenfalls zur Entwicklung des Berufsstandes Carmen Thomas, Berührungsängste?, a.a.O., 196–199. 521 Vgl. Peter Wilhelm, „Gestatten, Bestatter!“ Bei uns liegen Sie richtig, München 2009, 7. 522 Vgl. Margot Käßmann, Das Zeitliche segnen, a.a.O., 90. 523 Vgl. Christian Brock, Maxi Bergel, Christopher Kaatz, Was ist eigentlich eine Dienstleistung? Ausgewählte Aspekte des Dienstleistungsmanagements, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung, a.a.O., 39–53; hier: 46f.

80

Bestatter und Bestatterinnen

nicht nur amerikanischen Trend wider: „… weg vom persönlichen Kontakt, hin zum Computerkontakt.“524 Was macht das Berufsbild eines Bestatters und einer Bestatterin aus? Neben vielen weiteren individuell zu vereinbarenden Dienstleistungen zählen Bestattungsvorsorgeberatung, Planung, Gestaltung und Durchführung der Bestattung, Erledigung kirchlicher und behördlicher Formalitäten, Beschaffung und Überführung von Särgen und Urnen, die Versorgung bzw. Präparation und Einsargung des Verstorbenen, die etwaige Aufbahrung, die Grabvorbereitung und Organisation der Trauerfeier sowie die Koordination hierfür notwendiger Absprachen zum Aufgabenspektrum.525 Der Bundesverband Deutscher Bestatter (BDP), dem etwa 80% der Bestattungsinstitute über die Landesinnungen und Landesverbände angehören, informiert detailliert auch über seine Homepage www.bestatter.de.526 Seinen Lesern empfiehlt der Reporter Roland Schulz: „Wenn du ganz sichergehen willst, dass du im Tod in guten Händen bist, suchst du dir deinen Bestatter selbst, so früh wie möglich, lange vor deinem Sterben. (…) Dann besuchst du die empfohlenen Bestatter – ja, in der Tat: Besuch sie. Lass dir schon im Leben erklären, was sie im Tod mit deinem Leichnam machen werden: Wie holen sie ihn? Wo verwahren sie ihn? Wer wäscht, wer kleidet ihn? Was kostet das? Und: Was davon könnten sie dir nicht nur erklären, sondern auch zeigen? (…) Du suchst jemanden, der sein Geschäft versteht, aber nicht als Geschäft allein.“527 Der Bundesverband der Deutschen Bestatter hat erkannt, dass „Klappern zum Handwerk gehört“, und vor ein paar Jahren ein Werbeplakat mit folgendem Text entwickelt: „Wenn du den Löffel abgibst – wer löffelt die Suppe dann aus?“528 Schulz betont bei allen selbst zu tätigenden Planungen, dass die Bestattung nicht für den Verstorbenen sei, sondern denjenigen dienen solle, die trauern würden. Auch ihnen müsse Raum für die Ausgestaltung der Trauer gelassen werden, was etwa durch die Liedauswahl geschehen könne.529

524 Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt, a.a.O., 179. 525 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 201; vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 18. 526 Vgl. ebd., 3. 527 Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 27. 528 Brian Müschenborn, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Nach meinem Tod. Wünsche und Verfügungen zur persönlichen Nachlassregelung, Gütersloh 2012, 6–9; hier: 6. 529 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 28.

81

Meine Bestattung

Friedhöfe Friedhöfe dienen der Gesellschaft als Mahnmal für die Vergänglichkeit und spiegeln auch kommunale Geschichte wider.530 In der Römerzeit erfolgte der Übergang von privaten zu öffentlichen Friedhöfen sowie von der Feuer- zur Erdbestattung.531 Lange war es ein Zeichen von Reichtum, sich eine Feuerbestattung leisten zu können, was sich erst änderte, als Ende des zweiten Jahrhunderts n.Chr. das Holz im Mittelmeerraum knapp wurde, so dass der Trend hin zur Erdbestattung wechselte. Für antike christliche Kremationen fehlt der eindeutige Nachweis.532 Arme fanden ihre letzte Ruhestätte in von der Kommune oder Provinzverwaltung vorgehaltenen Massengräbern.533 Mit der Machtübernahme der Franken in Europa setzten sich im 5. Jahrhundert n.Chr. die ersten kommunal durchorganisierten Bestattungsplätze in Form von Reihengräberfeldern durch, obwohl Christen und Christinnen oftmals die Nähe zu den Gräbern von Heiligen, Märtyrern und Märtyrerinnen vorzogen, da sie bei ihrer Auferstehung auf deren Fürsprache hofften.534 Karl der Große verbot 782 die Verbrennung von Leichen und erhoffte sich dabei, heidnisches Brauchtum zu bekämpfen.535 Im Mittelalter bildete sich ein kirchliches Bestattungsmonopol heraus, und der Friedhof erhielt seinen Namen dadurch, dass er von einer Mauer umfriedet wurde, die gewissermaßen die Trennung der Totenstätte von den Lebensräumen markierte.536 Der kirchlich verwaltete Friedhof, auf dem es vermutlich aus Kapazitätsgründen kurze Liegezeiten gab, wurde auch als Zuchtmittel verstanden und die Verweigerung der Bestattung auf diesem, etwa nach einem Selbstmord, galt als postume Strafe mit Warncharakter für die noch Lebenden.537 Das durch die Pest bedingte Massensterben ab 1347 konfrontierte die bisherige Bestattungspraxis mit ihren Grenzen. Es entstanden Pestfriedhöfe, die meist außerhalb der Siedlungen lagen und später nicht selten zu regulären Friedhöfen

530 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 149. 531 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 312f.; vgl. Daniel Schäfer, Art.: Vorneuzeit: Alter Orient, Klassische Antike und Mittelalter, in: Héctor Wittwer, Ders., Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 1–6; hier: 3. 532 Vgl. Ulrich Volp, Der menschliche Tod in den christlichen Gemeinden, a.a.O., 125: „Ob auch hier das Vorbild Jesu beziehungsweise des jüdischen Umfelds der Urgemeinde zum Tragen kam oder ob dies schlicht daran lag, dass die Kremation zur Zeit der Ausbreitung des Christentums schon längst an Bedeutung verloren hatte, ist umstritten (…).“ 533 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 312. 534 Vgl. ebd., 313. 535 Vgl. Daniel Schäfer, Art.: Vorneuzeit, a.a.O., 3. 536 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 313f.; Thomas Klie, Jakob Kühn, Obliegenheiten, a.a.O., 13. 537 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 314.

82

Friedhöfe

wurden.538 Im ausgehenden Mittelalter führten das enorme Bevölkerungswachstum nach der Überwindung der Pest, hygienische Erwägungen und die reformatorische Verneinung eines Zusammenhangs zwischen dem Ort der Bestattung und dem Seelenheil von Verstorbenen zu einer dauerhaften Trennung von Kirche und Grab.539 Die so im 16. und 17. Jahrhundert entstanden Neugründungen von Friedhöfen außerhalb der Stadtmauern wurden als Gottesacker bezeichnet und missfielen dennoch nicht selten der Bevölkerung.540 Platz- und Hygieneprobleme in den Städten, freisinnige und sozialistische Strömungen sowie das Bedürfnis nach gleicher Behandlung der Verstorbenen unabhängig von ihrer sozialen Stellung machten u.a. im 19. Jahrhundert Friedhofsneugründungen, auf denen Reihengräber in der Abfolge der Bestattungen belegt wurden, außerhalb der Ballungsgebiete notwendig, und die Beisetzung in Kirchen wurde zur begründungsbedürftigen Ausnahmeerscheinung.541 Das ausgehende 19. Jahrhundert ging mit der Etablierung von Zentral- und Parkfriedhöfen einher, während das 20. Jahrhundert dank der Entwicklung des Siemens-Ofens von 1856542, dem Aufkommen der Feuerbestattungsbewegung und einer Vorschriften erlassenden Bürokratie unter der Überschrift „Technik und Rationalisierung“ gesehen werden kann.543 Welche Rolle spielen die christlichen Kirchen in der heutigen Friedhofslandschaft? „Die Kirche ist mit ihren etwa 20.000 Friedhöfen und ca. 2.500 kircheneigenen Friedhofskapellen (evang.) immer noch der größte Akteur auf dem Gebiet der Bestattungskultur“544, halten die beiden Praktischen Theologen Klie und Kühn fest. Friedhöfe müssen unterhalten werden und kosten viel Geld. Deshalb werden Gebühren erhoben, die teilweise über 50% der Gesamtkosten einer Bestattung ausmachen können und regional unterschiedlich sind.545 Friedhofsgebühren setzen sich u.a. aus der Bestattungsgebühr, der Grabnutzungsgebühr, gegebenenfalls anfallenden Kosten für die Aufbahrung und Aufbewahrung des Leichnams in Räumlichkeiten des Friedhofs sowie für die Nutzung der Trauerhalle zusammen, 538 Vgl. Norbert Fischer, Art.: Sterben und Tod in der Neuzeit, a.a.O., 8; vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 315. 539 Vgl. Norbert Fischer, Art.: Sterben und Tod in der Neuzeit, a.a.O., 9; vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 315. 540 Vgl. ebd. 541 Vgl. Norbert Fischer, Art.: Sterben und Tod in der Neuzeit, a.a.O., 10f.; vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 315. 542 Vgl. Dominik Groß, Martina Ziefle, Daniel Schäfer, Art.: Bestattungsformen – Wandel in der Moderne, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 267–276; hier: 267. 543 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 317f. 544 Thomas Klie, Jakob Kühn, Obliegenheiten, a.a.O., 13. 545 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 26.

83

Meine Bestattung

wobei möglicherweise im Falle einer Feuerbestattung die Kremationsgebühr, meist inklusive zweiter Leichenschau, sowie der Versand der Urne ebenfalls hierzu zählen würden.546 Unter dem rot gedruckten und mit einem Ausrufungszeichen versehenen Stichwort „Kostentipps“ heißt es in der Broschüre „Wegweiser im Sterbefall“, die der Bundesverband Deutscher Bestatter e.V. herausgegeben hat: „Wird der Leichnam bei einer Feuerbestattung direkt vom Sterbeort in das Krematorium überführt, entfallen die Kosten für die Aufbewahrung des Leichnams auf dem Friedhof.“547 Wenngleich aktuell durch die örtliche Friedhofssatzung bestimmt wird, welche Beisetzungsvarianten erlaubt sind, bleibt unterschiedlich großer Spielraum für die individuelle Grabgestaltung, an der sich in Zukunft gesellschaftliche Trends bezüglich Design, Technisierung, Esoterik und Erlebnisorientierung spiegeln könnten.548 Die Soziologin Juliane Uhl wünscht sich einen Friedhof, der gleichzeitig ein öffentlicher Park mit einem Café sei: „Wenn wir Friedhöfe etablieren könnten, die Individualität ermöglichen und Gemeinschaft erhalten ohne eine Kostenfrage für den Einzelnen zu sein, wäre der Bestattungskultur in Deutschland geholfen. Ich glaube, dass die Menschen sich dann auch gern wieder dort beisetzen lassen.“549 Den Charakter von Friedhöfen prägt nicht zuletzt der freie Zugang zu ihnen. Sollte es in Zukunft der Entscheidung von Angehörigen überlassen werden, wo und wie sterbliche Überreste beigesetzt bzw. als Asche aufbewahrt würden, wäre dies nicht mehr der Fall. Margot Käßmann plädiert dafür, dass man keinen Privatisierungsbestrebungen nachgeben solle, da der Sinn des Friedhofs gerade in der Möglichkeit des öffentlichen und nicht zu rechtfertigenden Zugangs für alle Trauernden bestehe: „Bei jemandem zu klingeln, zu hoffen, dass er mir öffnet, damit ich die Urne eines verstorbenen Verwandten sehen und den Tod betrauern kann – das ist für mich befremdlich.“550

Grabstätte und Grabgestaltung Die Gestaltung eines Grabes setzt zunächst die Existenz einer Grabstätte voraus, die wiederum auf einem Friedhof zu vermuten ist. Bis Ende des 20. Jahrhunderts war der Friedhof auch der zentrale Ort für Bestattung, Trauer und Erinnerung, wo sich zumeist familienbezogene Grabstätten befanden, die die gesellschaftliche 546 Vgl. ebd., 27. 547 Ebd. 548 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 319f. 549 Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 152. 550 Margot Käßmann, Das Zeitliche segnen, a.a.O., 102.

84

Grabstätte und Grabgestaltung

Identität auch nach dem Tod zu gewährleisten vermochten.551 Norbert Fischer, Experte für Friedhofs-, Trauer- und Bestattungskultur, führt aus: „Der häufig beträchtliche Aufwand für solche Familiengrabstätten lohnte, weil der Kreis der Hinterbliebenen in der Regel über mehrere Generationen vor Ort ansässig war. Die Grabstätte auf dem Friedhof bildete also den klassischen Ort des gesellschaftlichen Weiterwirkens nach dem Tod.“552 Ein erheblicher Bedeutungsverlust für die traditionelle postmortale Ortsbindung setzte mit der gesellschaftlichen Mobilität und Fluktuation ein, was im frühen 21. Jahrhundert einen Wandel der Bestattungs-, Abschieds- und Erinnerungskultur bedingte. Generationsübergreifende Gräber haben an Bedeutung verloren, es werden neue Bestattungsräume außerhalb des Friedhofs geschaffen, außerfamiliäre Beziehungen und Zugehörigkeiten spielen bei der Wahl der letzten Ruhestätte zunehmend eine Rolle. Weniger dauerhafte Grabmäler als vielmehr „gemeinschaftliche, temporäre und provisorische Orte“ scheinen gefragt zu sein.553 Im Zuge einer „Existentialisierung des Todes”554 stoßen viele „gesamtkulturelle Verbindlichkeiten und Interpretationsmonopole“555 nicht mehr fraglos auf Akzeptanz. Die Möglichkeiten im Umgang mit dem Leichnam werden vielfältiger und sind im sozialen Miteinander weniger reglementiert, was als Schattenseite der Freiheit auch Raum für Auswüchse wie eine dem öffentlichen Blick weitgehend entzogene, respektlose „Körper-Entsorgungsindustrie“556 lässt. Das Gegenteil, also ein Zuviel an öffentlicher Aufmerksamkeit, gibt es ebenfalls, insbesondere wenn es um bekannte, historisch prominente Verstorbene geht. Deren außergewöhnliche postume Schicksale werden mit einer fragwürdigen Faszination betrachtet, was in Buchtiteln wie “Rest in Pieces. Die unglaublichen Schicksale berühmter Leichen“557 Ausdruck findet. Die Autorin kündigt reißerisch in der Einleitung an, dem recht wunderlichen Nachleben einiger der bekanntesten Figuren der Weltgeschichte nachspüren zu wollen. Leichen berühmter Leute seien oft gekauft, verkauft, studiert, gesammelt, gestohlen und seziert worden und einzelne Teile von ihnen würden in Museen, Büchereien, Kühlboxen, Aktenschränken, ja gelegentlich auch in einem Koffer unter irgendeinem Bett lagern.558 Eine letzte Ruhestätte, die der Würde des menschlichen Lebens auch über sein Ende hinaus Rechnung trägt, sieht anders aus. 551 Vgl. Norbert Fischer, Der entfesselte Friedhof. Über die Zukunft von Bestattungs- und Erinnerungsorten, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes, a.a.O., 263–281; hier: 263. 552 Ebd. 553 Ebd. 554 Jean-Pierre Wils, Moral und Ritualisierung, a.a.O., 103. 555 Ebd. 556 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 55. 557 Bess Lovejoy, Rest in Pieces. Die unglaublichen Schicksale berühmter Leichen, Köln 2014. 558 Ebd., 13.

85

Meine Bestattung

Dem einstigen Premierminister von Großbritannien William E. Gladstone (1809–1898) wird folgende Aussage zugeschrieben: „An der Art, wie eine Nation sich um ihre Toten kümmert, kann man mit mathematischer Genauigkeit die wahre Barmherzigkeit ihrer Bevölkerung, ihren Respekt für die Gesetze des Landes und ihre Treue gegenüber großen Idealen messen.“559 Die Zeiten, in denen die klassische Körpererdbestattung alternativlos und unhinterfragt christlich grundiert war, sind vorbei. Sie ist mittlerweile eine Möglichkeit unter vielen, was für Angehörige eine „neue Unübersichtlichkeit“ sowie eine potenzielle Belastung in der Rolle als Bestattungskunden bedeuten kann.560

Erdbestattung Das einstige Privileg, „in der ,geweihten Erde‘ des Gottesackers beigesetzt zu werden“561, hat viel von seiner Anziehungskraft eingebüßt. Friedhöfe gibt es heute auch in kommunaler Trägerschaft, so dass allein deshalb schon keine religiöse Konnotation bestehen muss. Bei der Erdbestattung ist zwischen Wahl- und Reihengräbern zu unterscheiden. Wahlgräber können ausgesucht und die Ruhezeit verlängert werden, wohingegen Reihengräber nicht verlängerbar sind und zugewiesen werden.562 Wahlgräber können mitunter auch Tiefgräber sein, was mindestens zwei Erdbestattungen übereinander ermöglicht. Zudem können mehrere neben einander liegende Wahlgräber erworben werden. Die Ruhefrist eines Wahlgrabes, die in der Regel zwischen 12 und 30 Jahre beträgt, kann nach Ablauf verlängert werden bzw. es kann dann eine Wiederbelegung erfolgen.563 In Wahlgräbern dürfen häufig auch zusätzlich Urnen beigesetzt werden. Eine individuelle Gestaltung im Rahmen der Friedhofsatzung ist erlaubt.564 Die Ruhezeit wird durch regionale Bestimmungen gemäß der Bodenbeschaffenheit festgelegt, da die Zersetzung der menschlichen Überreste gewährleistet sein muss. Nach Ablauf dieser Ruhezeit kann ein von der Friedhofsverwaltung zugewiesenes und oftmals günstigeres Reihengrab, in dem jeweils nur ein Leichnam, also auch keine zusätzliche Urne, beigesetzt werden darf, nicht verlängert werden.565 Ist die Frist vorbei, kann jedoch eine Umbettung vorgenommen werden.566 559 Sue Black, Alles, was bleibt. Mein Leben mit dem Tod, Köln 2018, 301. 560 Vgl. Matthias Meitzler, Postexistentielle Existenzbastelei, a.a.O., 140. 561 Ebd., 144. 562 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 140. 563 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 21f. 564 Vgl. ebd., 22. 565 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 222; Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 21f. 566 Vgl. ebd., 22.

86

Erdbestattung

Ein Wahl- oder Reihengrab gibt zumeist durch einen Grabstein Auskunft darüber, wer hier bestattet worden ist. Grabsteine wurden von den Römern erfunden und der Brauch von Christen und Christinnen übernommen.567 Aktuell werden Grabsteine zu einem sehr erheblichen Teil mit Kinderarbeit hergestellt568, was bei der Kaufentscheidung Berücksichtigung finden sollte. Manchmal ist es nicht ein Grabstein, sondern eine Namensplatte, die auf die Identität der Bestatteten hinweist. Dies ist etwa bei einer pflegeleichten Rasenreihengrabstätte, die nicht persönlich gestaltet werden muss bzw. darf, der Fall.569 Die Individualisierung macht auch vor Grabsteinen nicht Halt, wie Thorsten Benkel und Matthias Meitzler in ihren Büchern „Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe. Ungewöhnliche Grabsteine – Eine Reise über die Friedhöfe von heute“570 und dem Folgeband „Game over. Neue ungewöhnliche Grabsteine“571 buchstäblich veranschaulichen. Es gibt aber auch anonyme Rasenreihengräber ohne Grabsteine und ohne Namensplatte, um deren Pflege sich die Gemeinde kümmert.572 Bei einer Erdbestattung werden die sterblichen Überreste nicht – wie oft befürchtet – von Bodenwürmern behelligt, da diese sich überwiegend pflanzlich ernähren würden und außerdem nur bis zu einer Bodentiefe von etwa 30 Zentimetern kämen.573 Marc Ritter und Tom Ising führen in ihrem Buch „So stirbt man also“ aus: „Der erdbestattete Leichnam zersetzt sich vielmehr von innen heraus.“574 Bakterien und Enzyme, die wir in uns tragen, würden bei der Verwesung zusammenwirken, da sie nach Eintritt des Todes nicht mehr länger durch das Immunsystem in Schach gehalten würden, so dass die Zersetzung des Gewebes erfolge. „Dieser Verwesungsprozess dauert bei einer erdbestatteten Leiche rund vier Mal länger als bei der Lagerung an der Luft.“575 Nicht alles muss immer neu sein. Dies gilt auch bei Gräbern, so dass von „Grab-Sharing“576 die Rede sein kann. Hierbei können unter Denkmalschutz gestellte Grabstätten, etwa von Prominenten früherer Zeiten, später zur eigenen letzten Ruhestätte werden, sofern man zuvor eine Patenschaft für die Grabstätte übernommen habe, welche die Pflege und Restauration umfasse. Die Konditionen

567 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 18. 568 Vgl. ebd., 250. 569 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 22. 570 Thorsten Benkel, Matthias Meitzler, Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe. Ungewöhnliche Grabsteine – Eine Reise über die Friedhöfe von heute, Köln 2014. 571 Dies., Game over. Neue ungewöhnliche Grabsteine, Köln 2016. 572 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 22. 573 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 79. 574 Ebd. 575 Ebd. 576 Ebd., 218.

87

Meine Bestattung

einer Grabpatenschaft ähneln ansonsten denen eines Wahlgrabes.577 Für alle involvierten Parteien ergibt sich hier eine Win-Win-Situation. Städten fehle häufig das Geld für die ihnen vom Denkmalschutz auferlegte Aufrechterhaltung der vielfach imposanten Grabstellen historisch bedeutender Bürger und Bürgerinnen, so dass Grabpaten und Grabpatinnen nicht nur den Verfall vermeiden helfen, sondern den Kommunen viel Geld sparen würden.578

Einäscherung Wer in der Pflicht steht, eine Bestattung in Auftrag zu geben, darf das Krematorium und den Zeitpunkt einer etwaigen Trauerfeier vor oder nach der Einäscherung bestimmen.579 Mit der Einäscherung wird die Voraussetzung für viele Bestattungsoptionen geschaffen, da sie im Grundsatz die „totale Mobilität der menschlichen Überreste“580 ermöglicht. In Deutschland besteht auch für die Asche eine Bestattungs- bzw. Friedhofspflicht, so dass sie nicht mit nach Hause genommen und etwa unter einem Baum im eigenen Garten beigesetzt werden darf.581 Sofern jedoch eine Beisetzung der Asche im Ausland erfolgen soll, gelten die dort üblichen gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Beisetzungsformen.582 Hier zeichnet sich Spielraum für außergewöhnliche Beisetzungswünsche ab, die dann – wie etwa beim Verstreuen der Asche auf einer Almwiese oder in den Bergen – die postume Reise der Urne ins Ausland gegebenenfalls nötig machen.583 Solche individuellen Spielräume der vemeintlich postumen Selbstbestimmung nehmen nicht selten den zweiten Schritt, also die Ascheverwendung, in Augenschein, und blenden dabei den ersten, nämlich das Zur-Asche-Werden, stillschweigend aus. Was aber geht bei einer Einäscherung vor sich? Bei der Einäscherung werden die organischen Teile eines Körpers verbrannt. Übrig bleiben etwa 3,5 Prozent des verbrannten Köpers, also durchschnittlich 1,8 Kilogramm bzw. drei Liter Asche. In der Knochenmühle werden die Knochenreste mit der Asche zu Pulver zermahlen, bevor Metallstücke und weitere Fremdkörper

577 Vgl. Brian Müschenborn, Die Bestattung, in: Ders. (Hg.), Nach meinem Tod, a.a.O., 74–81; hier: 81. 578 Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 218. 579 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 22. 580 Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 153. 581 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 22.; vgl. ebd., 23: „Dies gilt auch dann, wenn die Asche zunächst in das Ausland verbracht und danach wieder nach Deutschland zurückgebracht wird.“ 582 Vgl. ebd. 583 Vgl. ebd., 24.

88

Einäscherung

herausgesiebt werden.584 Wenngleich die Einäscherung oftmals als umweltfreundlich eingestuft wird, entspricht dies nicht den Tatsachen. „Jede Einäscherung verbraucht das Äquivalent von 70 Litern Brennstoff und erhöht den Emissionsausstoß an Quecksilber, Dioxinen und Furanen (einer toxischen Verbindung). Es wird geschätzt, dass man mit der Energie, die allein in den USA jedes Jahr für Feuerbestattungen verbraucht wird, eine Rakete dreiundachtzig Mal zum Mond und zurück fliegen lassen könnte“585, erläutert die forensische Anthropologin und Anatomin Sue Black. Ressourcenschonend, d.h. aufwandsgering zumindest für die Angehörigen, ist die in Amerika bestehende Möglichkeit der sogenannten “direct cremation“. Die verstorbene Person werde hierbei direkt durch das Krematorium vom Sterbeort abgeholt und ihre Asche später auf dem Postweg an den Auftraggeber zugestellt.586 In ihrem Buch „Drei Liter Tod. Mein Leben im Krematorium“587 schildert Juliane Uhl ihre Eindrücke „als Verantwortliche für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit in einer Feuerbestattungseinrichtung“588 und macht nach eigenen Angaben „Werbung für den Tod.“589 Diese irritierende Aussage wird durch die Intentionsbekundung, ein Plädoyer dafür geben zu wollen, Tote wahrzunehmen und anständig zu verabschieden, abgefedert.590 Uhl entrüstet sich über Lieblosigkeiten, die sie zu Gesicht bekommt, wenn etwa Verstorbene nackt oder nur mit einem Krankenhaushemd bekleidet ihren letzten Weg antreten müssten, da sich weder Angehörige noch Bestatter und Bestatterinnen um das Aussehen der Toten bemüht hätten.591 Aus ihrem Arbeitsalltag berichtet Uhl über eine Dame, die ihren Mann über einen Internetbestatter möglichst günstig einäschern ließ und anschließend unbedingt das künstliche Hüftgelenk für sich beanspruchte, damit niemand Geld mit diesem verdiene. Zahngold, Schmuck und künstliche Gelenke verlören auch in der Totenasche nicht ihren Wert.592 Zur Beruhigung wird erklärt, dass ein zertifiziertes Fachunternehmen für die Abholung der nach der Einäscherung per Hand aussortierten Metalle zuständig sei, damit diese aufbereitet und dem Wirtschaftskreislauf wieder zugeführt werden könnten. Herzschrittmacher gehören nicht zu diesen später auszusortierenden Gegenständen. Es besteht akute Explosionsgefahr, so dass sie vor der Einäscherung mit einem Skalpell entfernt werden.593 584 Vgl. Sue Black, Alles, was bleibt, a.a.O., 155; vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 153. 585 Sue Black, Alles, was bleibt, a.a.O., 154. 586 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 170. 587 Ebd. 588 Ebd., 218. 589 Ebd. 590 Vgl. ebd., 10. 591 Ebd., 86f. 592 Vgl. ebd., 173. 593 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 223; Annette Bruhns, Barfuß auf dem

89

Meine Bestattung

Ein Argument für die Kremation ist vielfach die befremdende und in ihrer Überzeichnung falsche Vorstellung, im Falle einer Erdbestattung als „Wurmfutter“ zu dienen. Was genau geschieht aber mit dem eigenen Körper bei einer Kremation, die von so vielen Menschen als zu bevorzugende Alternative gegenüber der Erdbestattung gesehen wird? Im Vorfeld der Kremation wird der eingesargte Leichnam kühl aufbewahrt. Mit Hilfe eines Hebekrans wird der Sarg auf die Einfahrmaschine in der Offenhalle gestellt und in den sogenannten Muffelbereich des Ofens befördert. Ein Vollholzsarg ist nötig, da ansonsten nicht die für die Einäscherung benötigte Energie gehalten werden könnte. Zunächst verbrennt der Sargdeckel, die Flammen ergreifen den Körper, zünden Haut und Haare an. Dann ziehen sich die Muskeln zusammen, was kurzzeitig aussieht, als ob Arme und Beine angewinkelt würden. Der Eindruck einer Art letzten Sit-ups kann bei dieser sogenannten Fechterstellung entstehen. Die Körperflüssigkeit verdampft, das Körperfett wird zu Öl, das Gewebe wird bis zur Konturlosigkeit zerkocht. Übrig bleiben Asche und Rückstände, die zunächst in die Ausbrennkammer und dann in die Nachbrennkammer fallen.594Auf die eigentliche Einäscherung, die etwa 90 Minuten dauert, deren Länge je nach Körper aber variieren kann, folgen die Mineralisierung und die Auskühlung.595 Einer der wesentlichen Gründe für die Wahl einer Kremation ist der Kostenfaktor, da eine Feuerbestattung nur in etwa die Hälfte einer Erdbestattung kostet.596 Im Fall eines unnatürlichen Todes vernichtet die Kremation selbstredend alle Spuren von Gift oder Gewaltanwendung. Nicht einmal die Identität des Toten lässt sich dann noch ermitteln, da eine DNA-Analyse anhand der Asche unmöglich ist.597

Beisetzung der Asche Urnen können beispielsweise in einem Kolumbarium, einer mit einer Steinplatte verschlossenen Urnenwand, beigesetzt werden. Ursprünglich wurde ein Taubenschlag als Kolumbarium bezeichnet, der den überirdischen Grabbauten optisch ähnelte und daher als Namensgeber diente.598 Obwohl die Urne in der Urnenwand anders als der Sarg im Boden nicht zerfällt, ist auch hier grundsätzlich eine Ruletzten Weg, a.a.O., 91; zum Verbleib der Herzschrittmacher vgl. Thomas Klie, Bestattungskultur, a.a.O., 210f. 594 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 181f.; Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 124–126. 595 Vgl. ebd., 126; Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 221. 596 Vgl. ebd., 220. 597 Vgl. Michael Tsokos, Dem Tod auf der Spur, a.a.O., 9; vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 176: „Die Juristen sagen: Die Einäscherung schafft einen irreparablen Zustand, der nachträgliche Feststellungen nicht mehr zulässt.“ 598 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 159.

90

Beisetzung der Asche

hezeit vorgesehen, nach deren Ablauf die Asche gemeinsam mit der Asche anderer Verstorbener in einen Sack gefüllt wird, der anschließend anonym bestattet wird.599 Es gibt auch sogenannte Kirchenkolumbarien, denn seit 2004 bieten die beiden Großkirchen an, Urnen in oftmals nicht mehr liturgisch genutzten Kirchen beizusetzen.600 Der Vorteil ist offenkundig: „Indem Kirchenkolumbarien die namentliche Bestattung bei entfallender Grabpflege ermöglichen, stellen sie eine Alternative zur anonymen Beisetzung auf Friedhöfen dar. In den letzten Jahren sind mehr als 30 Kirchenkolumbarien im bundesdeutschen Raum entstanden – Tendenz steigend.“601 In Großbritannien und anderen Staaten können Fußballfans schon länger in einer Gemeinschaftsanlage des eigenen Vereins beigesetzt zu werden. Seit 2007 ist das auch in Deutschland auf dem Hauptfriedhof Hamburg-Altona möglich, der einem Stadion ähnlich als „HSV-Friedhof“ mit drei „Tribünenrängen“ gestaltet wurde, sich in unmittelbarer Nähe zum HSV-Stadion befindet und Fans des Hamburger SV als Zielgruppe hat.602 Ein vergleichbares Schalke-04-Fanfeld wurde in Gelsenkirchen eingerichtet.603 Sogenannte „Baumbestattungen“ erfreuen sich besonders großer Beliebtheit. Sie gehören der Kategorie der Naturbestattungen an und finden in Bestattungswäldern statt, die sich in Deutschland seit 2001 vor allem unter den Markennamen „Friedwald“ und „Ruheforst“ etabliert haben und privatwirtschaftlich vermarktet werden. Hierbei dient der Baum mit seinem Wurzelwerk sowohl als Grabstätte als auch als Grabzeichen.604 Solche Waldbestattungen versprechen Natur und Freiheit sowie sehr lange Ruhezeiten. Meist darf erst nach 99 Jahren eine neue Urne beigesetzt werden. Die Kosten variieren je nach Stärke des Baumes sowie der Entscheidung zugunsten eines Einzel-, Familien- oder Partnerbaums. Bereits zu Lebzeiten ist es möglich, den eigenen Baum im Bestattungswald in Rücksprache mit dem Förster oder der Försterin auszuwählen.605 Wer Wasser statt Wald bevorzugt, wird sich möglicherweise für eine Seebestattung entscheiden. Für die Seebestattung steuert ein Schiff einen klar definierten Punkt im Meer außerhalb der Drei-Meilenzone an, an dem die Seebestattung oftmals in Verbindung mit einem Ritual erfolgt. Die Urne besteht aus Zellulose, sie wird ins Wasser gelassen, wo sie sich später am Meeresboden auflösen wird. Einem Seemannsbrauch folgend wird die Urne anschließend dreimal umrundet. 599 Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 222. 600 Vgl. Thomas Klie, Jakob Kühn, Obliegenheiten, a.a.O., 13. 601 Ebd., 14. 602 Vgl. Norbert Fischer, Der entfesselte Friedhof, a.a.O., 270. 603 Vgl. ebd. 604 Vgl. ebd., 272. 605 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 160.

91

Meine Bestattung

Dabei ertönt das Schiffshorn. Die Angehörigen, die bei der Beisetzung anwesend sein dürfen, erhalten die genauen Koordinaten der Beisetzung.606 Flussbestattungen sind z.B. in den Niederlanden erlaubt.607 Seit dem 1. Januar 2015 ist es in Bremen als erstem deutschen Bundesland gestattet, die Asche außerhalb von Friedhöfen beizusetzen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, so dass der Friedhofszwang hier nicht mehr besteht.608 Asche kann auch als Grundlage für spezielle und sowohl ethisch als auch ästhetisch sicherlich kontrovers bewertete Kreationen dienen. Exemplarisch sollen einige Optionen beschrieben werden. Aus der Asche eines Verstorbenen kann etwa ein künstlicher Diamant erzeugt werden. Doch Diamant ist nicht gleich Diamant. Wenn Unternehmen versprechen, zur Diamantenherstellung den sehr geringen Kohlenstoffanteil aus der Humanasche extrahieren und nutzen zu wollen, hält Krematoriumsmitarbeiterin Uhl dagegen, dass bei Einäscherungen, Temperaturen über 950 Grad Celsius erreicht würden und deshalb keine Kohlenstoffrückstände erhalten blieben. Insofern müsse eine Diamantbestattung folglich eine andere als die gängige Art der Einäscherung voraussetzen.609 Zu unterscheiden ist diese Vorgehensweise von derjenigen, die einen sogenannten Erinnerungsdiamanten produziert, der aus Haaren entstehe und auch schon zu Lebzeiten geschaffen werden könnte. Außerdem könne man in einem Edelstein bestattet werden.610 Ebenfalls praktiziert wird eine andere „Edelsteinbestattung“, bei der ein Edelstein neben die Asche gelegt werde, um den Edelstein „mit der Aura des Toten zu ,energetisieren‘“611. Porzellanliebhaber und Porzellanliebhaberinnen kommen möglicherweise auf ihre Kosten, wenn Totenasche als Zusatz zur Porzellanherstellung genutzt werde. Die Asche könne ferner in Farbe gerührt und zu Kunstwerken genutzt werden, 606 Vgl. ebd., 161. 607 Vgl. Dominik Groß, Martina Ziefle, Daniel Schäfer, Art.: Bestattungsformen – Wandel in der Moderne, a.a.O., 270. 608 Vgl. Reiner Sörries, Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis, a.a.O., 33: „Federführend waren Grüne Politiker/innen, die mit dem ureigenen Recht auf Selbstbestimmung argumentieren, das auch und gerade im Blick auf die Art und Weise der Bestattung Geltung haben müsse. Jedem müsse das Recht eingeräumt werden, seine Bestattung gemäß seinen Wünschen und Vorstellungen zu organisieren. Und dazu zähle etwa auch das Verstreuen der Asche im eigenen Garten.“; vgl. Dirk Battermann, Die weltliche Trauerrede als Dienst für die Hinterbleibenden, a.a.O., 83 Anm. 15: „Das Bremer Bestattungsrecht (…) regelt allerdings weiter, dass die Asche trotzdem an einem geeigneten Ort beigesetzt werden muss: Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen in der Freien Hansestadt Bremen. Vom 16. Oktober 1990, Stand 01.08.2017. In § 4 regelt es in Abs. 1a: ,Als Ausnahme im Sinne von Absatz 1 Satz 3 ist auch ein Ausbringen der Asche auf dem Gebiet der Freien Hansestadt Bremen außerhalb von Friedhöfen zulässig, soweit eine Gemeinde dieses durch Ortsgesetz zulässt.‘“ 609 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 163. 610 Vgl. ebd. 611 Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 207.

92

Alternativen bzw. Ergänzungen zur Erd- und Aschebestattung

mit einer Wasserfontäne in alle Richtungen verspritzt, zu Vinylplatten mit einem zu wählenden Sound oder zur Munition für Schusswaffen verarbeitet werden, um nur ein paar von nahezu unerschöpflich vielen denkbaren Varianten aufzulisten.612 Nationale rechtliche Regelungen schieben vielen Möglichkeiten allerdings einen Riegel vor. Wer die Erde nach seinem Ableben ein für alle Mal verlassen möchte, entscheidet sich vielleicht für eine Weltraumbestattung, die sich in unterschiedlichen Szenarien ausgestalten lässt.613

Alternativen bzw. Ergänzungen zur Erd- und Aschebestattung Sollte die Entscheidung nicht zugunsten einer Einäscherung ausfallen, bleiben dennoch Alternativen bzw. Ergänzungen zur Erd- und Aschebestattung als Optionen, zu denen u.a. auch Formen der Leichenkonservierung zählen.614 Thanatopraktiker und Thanatopraktikerinnen sorgen für die Haltbarkeit und ansehnliche Optik von Leichen und nehmen eine moderne Einbalsamierung vor, die als “Modern Embalming“ sprachlich Assoziationen zu altägyptischen Bestattungen mit sich bringt. Natürlich sind die Methoden heute höchst modern. Zunächst wird einem oder einer Verstorbenen ein Zugang zur Halsschlagader gelegt, um durch diese über zehn Liter einer konservierenden Mischung aus Formaldehyd, Alkohol, Lanolin und Wasser durch den Körper fließen zu lassen, während das Blut aus dem Körper, meist durch eine Beinarterie, hinaus in den Abfluss gespült wird.615 Mittels einer großen Kanüle werden die Organe angestochen und abgesaugt. Es folgen Schönheitsmaßnahmen, die die Leiche möglichst präsentabel machen. War diese Methode ursprünglich als technische Voraussetzung gedacht, gefallene Soldaten über weite Distanzen und lange Zeiträume hinweg in einem ansehnlichen Zustand zu ihren Angehörigen zurückzubringen, ist diese Präparation vor allem in Amerika heute eher die Regel als die Ausnahme, was durch das Eindringen der Chemikalien in Erde und Wasser im Anschluss an die Beisetzung zu einer höchst negativen Umweltbilanz führt.616 Im Falle einer Überführung des einbalsamierten Leichnams mit dem Flugzeug sei eine besonders sorgfältige thanatopraktische Arbeit erforderlich, da es sonst zu einem für alle Beteiligten unerfreulichen Aufplatzen des Körpers auf-

612 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 163f. 613 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 207f. 614 Vgl. zu Sonderformen der Leichenkonservierung samt entsprechender Illustrationen Carmen Thomas, Berührungsängste?, a.a.O., 86–90. 615 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 97. 616 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 133f.

93

Meine Bestattung

grund von Verwesungsgasen kommen könne.617 Besteht keine praktische Notwendigkeit zur Konservierung des Leichnams, sondern geht es lediglich um eine „Ästhetisierung“618, liegt der Verdacht einer „Verdrängung des Todes“619 nicht fern. Nicht um die Schönheit des Leichnams bemüht ist ein „Resomation“ genanntes Verfahren.620 Die Resomation ist eine alkalische Hydrolyse, bei der der Körper mit Wasser und Lauge, entweder einer Kalilauge oder Kaliumhydroxid, unter hohem Druck für mehrere Stunden auf bis zu 160˚C erhitzt wird, damit sich das Körpergewebe zu einer Flüssigkeit zersetzt, die reich an Aminosäuren, Peptiden und Salzen ist. Dieses Verfahren könne als eine „grünere“ Option verstanden werden, zumal die gängige Feuerbestattung keine wichtigen Bodennährstoffe übriglasse.621 Die bei der Resomation zurückbleibenden Knochen würden zu Pulver vermahlen und seien als Dünger einsetzbar.622 Reiner Sörries, ehemaliger Direktor des Museums für Sepul­ kralkultur in Kassel, gibt in Anbetracht der Umweltverträglichkeit die entsprechende Schlagzeile in den Medien wieder: „Emissionsarm auf die letzte Reise.“623 Wird der Körper in flüssigem Stickstoff bei minus 196˚C tiefgefroren und anschließend durch starke Vibration zu Granulat verarbeitet, ist von einer Promession die Rede. Das Granulat werde getrocknet, von Metallresten befreit und schließlich auf die oberste Erdschicht verstreut, „wo Bakterien den Rest erledigen.“624 Alternativ wird das Granulat in einem Biosarg beigesetzt, der innerhalb von sechs bis zwölf Monaten zu Humus werde. In dem Kunstwort „Promession“ klingt das englische Wort “promise“ an, da in diesem Verfahren ein Versprechen für die Zukunft gesehen werde.625 Reiner Sörries stellt fest, dass mit diesem Verfahren das in der Gesellschaft angekommene ökologische Bewusstsein nun auch in der Bestattung seinen Niederschlag gefunden habe, da es mit seiner Umweltfreundlichkeit im Vergleich zu herkömmlichen Bestattungsarten beworben werde.626 Das Kompostieren von Menschen als Bestattungsoption befindet sich noch in der Entwicklungsphase. Hierzu kommt der in Leintücher eingewickelte Leichnam in ein Rekompostierungs-Zentrum, in dem er zwischen Sägespänen und Sägemehl innerhalb von vier bis sechs Wochen zu Kompost zerfällt. Allerdings ist die Tech617 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 97. 618 Jens Schlamelcher, „Würdevoll und Preisgünstig“ – Bestattung zwischen Pietät und Penunsen, a.a.O., 32. 619 Ebd. 620 Vgl. Dominik Groß, Martina Ziefle, Daniel Schäfer, Art.: Bestattungsformen – Wandel in der Moderne, a.a.O., 271. 621 Vgl. Sue Black, Alles, was bleibt, a.a.O., 155. 622 Vgl. ebd., 155f. 623 Reiner Sörries, Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis, a.a.O., 29. 624 Sue Black, Alles, was bleibt, a.a.O., 156. 625 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 135f. 626 Vgl. Reiner Sörries, Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis, a.a.O., 28f.

94

Alternativen bzw. Ergänzungen zur Erd- und Aschebestattung

nik insofern noch nicht ausgereift, als neben Dünger auch Knochen und Zähne übrigbleiben.627 Umgangssprachlich als “Body Farm“ bezeichnet wird eine Einrichtung, die es Forschern und Forscherinnen ermöglicht, den Verwesungsprozess menschlicher Überreste unter freiem Himmel zu studieren.628 Der forensische Anthropologe Bill Bass von der University of Tennessee in Knoxville untersuchte auf einem versteckt gelegenen Grundstück die Verwesungsprozesse von Leichen, die Wetter, Tierfraß und weiteren Einflüssen ausgesetzt blieben. Dies war für die Polizei von erheblichem Nutzen, half dieser Freilandversuch doch, unzählige Mordfälle aufzuklären. Als die Schriftstellerin Patricia Cornwell 1994 den Kriminalroman “Body Farm“ veröffentlichte, kam schnell heraus, dass Bass’ Versuchsaufbau als Vorlage gedient hatte, was zu kontroversen Diskussionen und entsprechender medialer Aufmerksamkeit führte.629 Unter Kryonik, Kryostase bzw. Kryokonservierung sind Verfahren zu verstehen, die sprachlich auf das altgriechische Wort „kryos“, was „kalt“ bedeutet, zurückgehen, und nicht weniger versprechen, als eine Konservierung bei minus 196 Grad umgeben von flüssigem Stickstoff.630 Kryonisten und Kryonistinnen gehen davon aus, dass ihre Körper inklusive der Organe später wieder erwärmt werden könnten, ohne dabei die Funktionsfähigkeit einbüßen zu müssen.631 Diese Funktionsfähigkeit setzt allerdings voraus, dass der Tod nicht bereits vor dem Einfrieren erfolgt ist. Als Referenz für den Todeszeitpunkt dient der Hirntod, also nicht das Versagen des Herz-Kreislauf-Systems. Folglich verstehen die Kryonisten und Kryonistinnen ihre Kunden auch nicht als tiefgefrorene Leichen, sondern als „kryokonservierte Patienten“.632 Noch ist diese Technik alles andere als problemfrei, so dass der Hauptfokus auf der Erhaltung des Gehirns und die Hoffnung für alle anderen Körperteile auf einer zukünftigen Nanorobotik und deren Reparaturmöglichkeiten läge.633 Oliver Müller, Professor für angewandte Medizin627 Vgl. Sue Black, Alles, was bleibt, a.a.O., 156. 628 Vgl. ebd., 63. 629 Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 136; vgl. Patricia Cornwell, Body Farm. Ein Kay-Scarpetta-Roman, München 2010; Bill Bass, Jon Jefferson, Der Knochenleser. Der Gründer der legendären Body Farm erzählt, München 2006. 630 Vgl. Dominik Groß, Martina Ziefle, Daniel Schäfer, Art.: Bestattungsformen – Wandel in der Moderne, a.a.O., 273f. 631 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 108. 632 Ebd. 633 Vgl. ebd., 109; vgl. Oliver Krüger, Die Aufhebung des Todes. Die Utopie der Kryonik im Kontext der US-Amerikanischen Bestattungskultur, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, a.a.O., 211–228; hier: 218: „Wie aus dem Verständnis des Todes in der Kryonik hervorgeht, ist die größte Bedrohung für den Menschen ein ernsthafter Gehirnschaden: Das Gehirn wird als Sitz der menschlichen Identität angesehen und sei unverzichtbar für die spätere Wiederherstellung einer Person.“

95

Meine Bestattung

und Biowissenschaften, macht auf Hürden aufmerksam, die für eine erfolgreiche Wiederbelebung eines eingefrorenen und folglich toten Menschen überwunden werden müssten. Zu diesen Hindernissen zählen Gefrier- und Auftauschäden, die Irreversibilität des vollzogenen Sterbeprozesses, die derzeitige Nichtheilbarkeit todbringender Krankheiten sowie die Reparaturbedürftigkeit gravierender durch Krankheit verursachter Körperschäden.634 Es sei zu bezweifeln, dass diese Probleme jemals gelöst werden könnten, so dass die Kryonik keine signifikanten Vorteile gegenüber anderen Konservierungsmethoden habe.635 Hinter der Bezeichnung “Mind uploading“ verbirgt sich das Bemühen, die Weiterexistenz der Seele oder des Geistes durch elektronische Speicherung möglichst umfänglich zu sichern, wobei die Konservierung durch eine direkte Verbindung zwischen dem Gehirn und einem riesigen Datenspeicher erfolgen müsse.636 Müller macht auf die Realitätsferne dieses Vorhabens aufgrund der unüberschaubaren Komplexität des menschlichen Gehirns, dessen dynamischen Eigenschaften und vielfachen Fähigkeiten wir nicht einmal annährend beschreiben und verstehen könnten, aufmerksam.637 Sollte es wider Erwarten gelingen, ein menschliches Gehirn in eine elektronische Version zu kopieren, wäre dies trotzdem keine echte Möglichkeit, die individuelle Sterblichkeit zu überwinden, da auch die Einzigartigkeit eines lebendigen Menschen unweigerlich verloren gehen würde.638 Der britische Neuropsychologe Adrian Owen möchte das Gehirn auf keinen Fall unterschätzt wissen und sieht es als den Ort der menschlichen Einzigartigkeit an. „Dein Gehirn bestimmt, wer und was du bist. Es birgt jeden Plan, den du je gefasst hast, die Erinnerung an jeden Menschen, in den du dich je verliebt hast, und jede Reue, die du je empfunden hast. Dein Gehirn ist dein Ein und Alles. Es ist der pulsierende Wesenskern des Menschen. Ohne Gehirn wird unser Ich-Erleben auf nichts reduziert.“639 Den ganzen Körper betrifft die nächste Variante, die der „Körperschenkung“. Mit der Schenkung des eigenen Körpers werden Bestattungskosten gespart, wenngleich der Überlasser oder die Überlasserin auch hier zumeist einen finanziellen Eigenbeitrag leisten muss, was die Logik des Geschenkcharakters schmälert.640 Wer sich zur Körperspende entschließt, wird innerhalb von 72 Stunden nach Todeseintritt in ein anatomisches Institut gebracht, damit die Konservierung begin-

634 Oliver Müller, Altern. Sterben. Tod, a.a.O., 301f. 635 Vgl. ebd., 302. 636 Vgl. ebd. 637 Vgl. ebd., 303. 638 Vgl. ebd., 304. 639 Adrian Owen, Zwischenwelten, a.a.O., 40. 640 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 72.

96

Alternativen bzw. Ergänzungen zur Erd- und Aschebestattung

nen kann.641 Die Nachfrage kennt aber Grenzen, so dass ein „Aufnahmestopp“642 keine Seltenheit ist. So verfügt etwa das Heidelberger Institut für Plastination, das von Gunther von Hagens gegründet wurde, über so viele registrierte Körperspender, dass es laut Ritter und Ising schlichtweg ausgebucht sei.643 Für die von Hagens praktizierte Plastination, die dazu führt, dass die Körper dauerhaft haltbar sind, wird das Wasser in den Zellen durch Kunststoff (Polymere) ausgetauscht.644 Von Hagens stellt Leichen in Alltagsposen aus645, die sich – so der Sozialwissenschaftler Tirschmann – „durch eine eigene ästhetische Qualität auszeichnen und deswegen als grundeigenständige Sichtbarkeitsform des Todes angesehen werden müssen.“646 Nicht nur für die Medizin oder für die Ausstellung „Körperwelten“ finden Körperspenden Verwendung, sondern auch in der Unfallforschung, wo Leichen neben Dummies eingesetzt werden.647 Die Bestattung von Tieren ist ebenfalls ein Thema, das kontrovers in seinen vielfältigen Umsetzungs- und Ausgestaltungsmöglichkeiten reflektiert und diskutiert werden kann.648 Bekanntermaßen wünschte sich bereits der Preußenkönig Friedrich II., dass seine Hunde in unmittelbarer Nähe zur eigenen letzten Ruhestätte begraben würden, und war damit im deutschen Kontext seiner Zeit voraus.649 Gemeinsam mit dem Haustier bestattet zu werden, ist seit Juni 2015 auf Friedhöfen in Essen und Braubach möglich, die beide „Unser Hafen“ heißen und privat betrieben werden. Diese Entwicklung ist typisch für eine Vielzahl von stärker an der Nachfrage als an Normen, Werten und Traditionen orientierten Veränderungsprozessen, die schon eingetreten sind oder sich noch in Zukunft zeigen werden. 650

641 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 93. 642 Dominik Groß, Martina Ziefle, Daniel Schäfer, Art.: Bestattungsformen – Wandel in der Moderne, a.a.O., 271. 643 Vgl. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O., 72. 644 Vgl. Dominik Groß, Martina Ziefle, Daniel Schäfer, Art.: Bestattungsformen – Wandel in der Moderne, a.a.O., 272. 645 Vgl. Andreas Pesch, „Die Auferstehung des hautnackten Leibes“. Legitimationsstrategien der Ausstellung „Körperwelten“, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, a.a.O., 371–395; hier 374: „Es geht von Hagens bei all dem vornehmlich darum, so betont er in verschiedenen Publikationen (…), die Möglichkeiten der medizinischen Lehre und Information zu verbessern, sowohl hinsichtlich der Ausbildung von angehenden Ärzten als auch hinsichtlich der Aufklärung eines breiten Publikums.“ 646 Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 39. 647 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 85 Anm. 129. 648 Vgl. Dirk Preuss, „Zeus(‘) Platz!“ Die Zukunft des toten Heimtieres, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes, a.a.O., 181–211; vgl. zu den Friedhöfen, die eine gemeinsame Bestattung von Mensch und Tier erlauben, Norbert Fischer, Der entfesselte Friedhof, a.a.O., 270. 649 Vgl. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 181 Anm. 28. 650 Vgl. Reiner Sörries, Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis, a.a.O., 35.

97

Meine Bestattung

Sozial- und Ordnungsamtsbestattung Nach dem Wegfall des Sterbegeldes der Krankenkassen setzten nicht nur vermehrter Preisvergleich und Wettbewerb ein, sondern die Bestattung hat gesamtgesellschaftlich betrachtet als Kostenfaktor an Relevanz gewonnen. Schätzungen zufolge könnten im Jahr 2030 jeder zweite Rentner und jede zweite Rentnerin auf Grundsicherung angewiesen und somit nicht mehr in der Lage sein, für die eigene Bestattung aufkommen zu können. Der Staat könnte daher ein Interesse daran gewinnen, wenn sich kostensenkende Bestattungsformen, wie die private Ascheverstreuung, etablieren würden.651 Was kostet eine Bestattung? Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich, vergleichen lassen sich am ehesten Pauschalangebote. Der Reporter Schulz beschreibt exemplarisch die Kosten für ein Paket, das Beratung der Angehörigen, Abholung, Herrichten, Ankleiden, Einbetten des Leichnams, Koordination der Bestattung, behördliche Abwicklung, Überführung der Leiche zum Friedhof, die Trauerfeier und den Sarg umfasst: „Ein alternativer Bestatter in München nimmt 3150 Euro brutto für das Paket (…). Ein Bestatter in Berlin 2375 Euro Pauschale bei einer Feuer-, 2625 Euro bei einer Erdbestattung. Ein anderer Bestatter 2550 Euro, egal welche Bestattungsart. Verbraucherinitiativen rechnen im Schnitt mit 4500 Euro, die Grabstelle inbegriffen.“652 Das Bestattungsgesetz schreibt vor, dass die nächsten Verwandten für die Bestattung zuständig sind, also erst die Ehepartner, dann die volljährigen Kinder, die Eltern und Großeltern und schließlich die volljährigen Geschwister und Enkelkinder.653 Gelingt es gleichrangigen Angehörigen nicht, eine gemeinsame Entscheidung über die Bestattung zu treffen, entscheidet das zuständige Amtsgericht.654 Denkbar ist aber auch, dass zu Lebzeiten nicht unmittelbar verwandte Totenfürsorgeberechtigte bestimmt werden, so dass die Bestattungspflicht in diesem Fall nicht länger bei den Angehörigen läge. Hierbei ist es wichtig, die Verfügung der Totenfürsorge handschriftlich anzufertigen. Der Diplom-Theologe, Bestatter und Trauerbegleiter Brian Müschenborn schlägt folgenden, mit der Hand zu schreibenden Wortlaut vor: „Ich übertrage xxx (z.B. dem Bestattungsunternehmen, meiner Freundin, meinem Freund, einem Erben) das Totenfürsorgerecht. Die Vereinbarungen des Vorsorgevertrages sollen nötigenfalls auch entgegen dem Willen meiner Rechtsnachfolger oder Dritter durchgeführt werden. Dies ist mein letzter Wille.“655 Datum und Unterschrift sind ebenfalls erforderlich. 651 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 177. 652 Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 121. 653 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 177. 654 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 28. 655 Brian Müschenborn, Wichtige Menschen und Vorkehrungen, in: Ders. (Hg.), Nach meinem Tod, a.a.O., 12–18; hier: 16f.

98

Anonyme Bestattung

Wird die Organisation der Bestattung nicht von Angehörigen oder weiteren Personen in die Wege geleitet, schreitet die zuständige Ordnungsbehörde in Form einer Ersatzvornahme ein, mit der sie die Bestattung meist in anonymen Grabfeldern veranlasst.656 Grundsätzlich sind Sozialämter für die Bestattungskosten vorleistungspflichtig, übernehmen aber nur die erforderlichen Kosten.657 Bei einer Sozialbestattung wird daher eine schlichte und dennoch würdevolle Bestattung nach ortsüblichen Gegebenheiten angestrebt, bei der weder auf Trauerfeiern noch auf einen Redner oder eine Rednerin verzichtet werden müsse und auch kein Zwang zur anonymen Beisetzung bestehe, falls diese dem nachweislichen Wunsch des oder der Verstorbenen widerspreche.658 Liegt keine eindeutige Willensbekundung vor, entscheiden die Angehörigen. Die Informationsbroschüre des Bundesverbandes Deutscher Bestatter e.V. empfiehlt: „Jedenfalls ist bei der Beauftragung eines Bestattungsunternehmens darauf hinzuweisen, dass Sozialhilfe in Anspruch genommen wird und die eigenen Mittel die Durchführung der Bestattung nicht erlauben.“659 Ordnungsamtsbestattungen stellen auch eine Herausforderung für Kirchengemeinden dar, die in der Pflicht stehen, ihren Verkündigungs- und Seelsorgeauftrag nachzukommen. Um dies zu gewährleisten, ist eine gute Kooperation mit den zuständigen Ämtern wichtig, so dass die Kirchengemeinde überhaupt Kenntnis erlangt, wann ein kirchliches Begräbnis geboten ist.660

Anonyme Bestattung Anonyme Bestattungen nehmen zu. Sie scheinen auf den ersten Blick eine Erleichterung für Angehörige zu bedeuten. Von dieser Deutung nimmt der Bestatter Kurt Stier Abstand und legt Wert auf die Klarstellung: „Meines Erachtens hat man viel zu spät begriffen: Anonym bedeutet weg! Es gibt keinen Ort der Trauer, an den man als Kind oder Ehepartner gehen könnte. Ich habe über die Jahre gemerkt, dass Hinterbliebene das Bedürfnis haben, den letzten Ruheort ihrer Angehörigen zu kennen.“661 Was bewegt Menschen dazu, eine anonyme Bestattung für ihre sterblichen Überreste zu wünschen? Nicole Sachmerda-Schulz führte im Rahmen ihres Dis656 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 178. 657 Vgl. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 38. 658 Vgl. Juliane Uhl, Drei Liter Tod, a.a.O., 177f. 659 Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall, a.a.O., 38. 660 Vgl. Norbert Wichard, „Ich habe dich beim Namen gerufen“, a.a.O., 175. 661 Kurt Stier, Benjamin Schließer, Der Wandel der Bestattungskultur aus der Sicht eines Bestatters. Der Bestatter Kurt Stier im Interview mit Benjamin Schließer, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 131–136; hier: 131f.

99

Meine Bestattung

sertationsprojektes Interviews mit Personen, die sich für eine anonyme Bestattung entschieden haben, und stellte fest, dass es sich für diese um eine selbstbestimmte Wahl handelte.662 Diese Entscheidung hebe sich nicht nur von der traditionellen, durch Bestattungsgesetze geregelten Beisetzung ab, sondern solle gerade durch die Anonymität Selbstbestimmung und Kontrolle nach dem Tod zum Ausdruck bringen.663 Die Frage der Grabpflege in Zeiten wachsender Mobilität von Angehörigen wird häufig durch die diesbezüglich entlastende Entscheidung für eine anonyme Bestattung beantwortet.664 Da Grabbesuche bei dieser anonymen Bestattungsform in Ermangelung eines konkreten Ortes weniger bedeutsam bzw. unmöglich werden, treten andere Formen der Erinnerung und des Gedenkens in den Vordergrund, was wiederum gewollt sein und als Akt der Selbstbestimmung verstanden werden kann.665 Zu bedenken und zu beachten ist, dass sich Verstorbene und Hinterbliebene mit ihren Bedürfnissen nicht immer auf einer Wellenlänge befinden. Auf dem öffentlichen Raum des Friedhofes fehlt Angehörigen nach einer anonymen Bestattung nicht selten die sichtbare Erinnerung an ihre Verstorbenen, so dass es auch Versuche gibt, Gräber aus der Anonymität herauszuholen und damit der Entindividualisierung entgegenzuwirken.666 Hinterbliebene sehen sich oft zu einem veränderten „Erinnerungsmanagement“667 herausgefordert, für das es neue Orte und Wege zu finden gilt, die bis hin zu einer Eventkultur reichen können, hinter der Gronemeyer primär eine „Selbstpflege der Lebenden“668 vermutet.

Quo vadis Bestattungskultur? Die Bestattungskultur ist „Angebotskultur“669 und kennt kein unhinterfragtes kirchliches Bestattungsmonopol mehr. Sie wird individualistischer sowie pluralistischer und spiegelt dabei gesellschaftliche und kulturelle Wandlungsprozesse des postindustriellen Zeitalters wider, was sich besonders beim Friedhof veranschaulichen lässt.670 Es komme zu einem Bedeutungsverlust des klar abgegrenzten 662 Vgl. Nicole Sachmerda-Schulz, Die anonyme Bestattung zwischen Individualisierung und Entindividualisierung, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes, a.a.O., 303–316; hier: 305. 663 Ebd., 305f. 664 Vgl. ebd., 309. 665 Vgl. ebd., 310. 666 Vgl. ebd., 315. 667 Matthias Meitzler, Postexistentielle Existenzbastelei, a.a.O., 144. 668 Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 157. 669 Heinzpeter Hempelmann, Milieus, Megatrends und Mentalitäten, a.a.O., 63. 670 Norbert Fischer, Der entfesselte Friedhof, a.a.O., 277.

100

Quo vadis Bestattungskultur?

und definierten Raumes des neuzeitlichen Friedhofs. An seiner Stelle würden der öffentliche Raum und die freie Landschaft zu Schauplätzen der Bestattungs- und Erinnerungskultur.671 „Postexistenzielle Existenzbastelei“672 nennt der Soziologe Matthias Meitzler die an modernen Friedhofsgräbern zu erkennenden Bemühungen, diese als „Orte der Sinnzuschreibung und der Konstruktion von Identität“673 zu gestalten. Wer zur Entscheidungsfreiheit aufgefordert ist, erlebt dies nicht selten als Entscheidungszwang.674 Orientierung stiftende, gemeinsam akzeptierte Leitlinien fallen mehr und mehr weg. Die Komplexität möglicher Unwägbarkeiten nimmt zu und geklärte Zuständigkeiten nehmen ab. Geradezu menschlich steril mutet die Tatsache an, dass so viele Bestattungen in Fremdorganisation von Behördenseite notwendig sind. Wenn es keine Angehörigen mehr gibt oder sich niemand als zuständig erachtet, kann es durch alle Gesellschaftsschichten hinweg sogar dazu kommen, dass ein Leichnam erst mit Eintritt einer eindeutigen Geruchsentwicklung gefunden wird.675 Wo die Zuständigkeit von Angehörigen entweder in Ermangelung derselben oder aufgrund von Desinteresse bzw. anderen Motivations- und Ausgangslagen wegfällt, könnte die Lösung darin bestehen, selbst für die eigene Bestattung vorzusorgen. Vincenzo Paglia beschreibt: „In Rumänien (…) richten viele schon im Voraus ihren Sarg und die Kleidung für ihre eigene Beerdigung her, und diesen Vorbereitungen haftet nichts Dunkles oder Makabres an. Auf dem Friedhof bereiten sie selbst ihr eigenes Grab vor: Ein schlichtes Kreuz mit Namen und Geburtsdatum, das Einzige, was fehlt, ist das Todesdatum. Diese Friedhöfe sind tatsächlich Orte des Friedens, der Ruhe, der Sammlung, an denen der Tod, wie der heilige Paulus sagt, ,seinen Stachel‘ verloren hat. (1 Kor 15,55).“676 Tendenzen, Trends und Entwicklungen von Bestattungsformen sind auf den Aspekt der Individualisierung hin zu befragen. Denn: „Die Frage nach der Zukunft des Todes ist letztlich auch eine Frage nach der Zukunft der Individualisierung. (…) Vielleicht werden bald jene Begräbnisorte aus dem Rahmen fallen, die den Trend zur Individualisierung ausdrücklich nicht mitmachen?“677 Matthias Meitzler gibt eine Anekdote aus dem Alltag seiner Forschung wieder. Auf einem kleinen Kommunalfriedhof in Hessen habe ihn und seine Kollegen eine ältere Dame mit tiefem Ernst angesprochen, weil ihr das Interesse für individuelle Gräber aufgefal671 Vgl. ebd., 276. 672 Matthias Meitzler, Postexistentielle Existenzbastelei, a.a.O., 133. 673 Ebd. 674 Vgl. ebd., 135. 675 Vgl. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 87. 676 Vincenzo Paglia, Bruder Tod, a.a.O., 265. 677 Matthias Meitzler, Postexistentielle Existenzbastelei, a.a.O., 157.

101

Meine Bestattung

len sei. Sie habe sie darum gebeten, sich das Grab ihres verstorbenen Ehemannes anzusehen, da dieses mit einem heutzutage besonders originellen Symbol versehen sei. Voller Erwartung habe man die Ruhestätte aufgesucht. Das Symbol sei ein Kreuz gewesen.678 Norbert Fischer sieht bei Friedhöfen eine tendenzielle Entwicklung hin zu einem „Patchwork von Miniaturlandschaften“, die sowohl für ornithologische Führungen, kulturelle Veranstaltungen und zu Erholungszwecken aufgesucht würden.679 Friedhöfe als reale Trauerorte haben Konkurrenz bekommen, so dass mit Frank Thieme von einer „Verlagerung des Trauerortes in die digitale Welt“680 gesprochen werden kann, die sich dann mitunter auch sehr konkret im Blick auf Grabwahl, Grabgestaltung und Liegezeit auswirken werde. Virtuelle Gräber sind kostenfrei oder zumindest kostengünstig, können auf unbegrenzte Zeit genutzt werden, sind rund um die Uhr zugänglich, lassen sich einfach umdesignen und ermöglichen die Kommunikation von Trauergefühlen mit anderen.681 Ein wesentlicher Aspekt findet in den meisten Veröffentlichungen über Bestattungsformen kaum oder allenfalls nachrangig Erwähnung: Die Totenruhe scheint kulturell in Vergessenheit zu geraten, wenngleich sie gesetzlich geregelt und eine Störung unter Strafe gestellt ist.682

678 Vgl. ebd. 679 Norbert Fischer, Der entfesselte Friedhof, a.a.O., 277. 680 Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 159. 681 Ebd. 682 Ebd., 174.

102

Alternativen bzw. Ergänzungen Todesnähe zur Erd- ohne und Aschebestattung (Sende-)Schluss

Mediale Inszenierung von Sterben, Tod und Lebensende Todesnähe ohne (Sende-)Schluss In der Auseinandersetzung mit dem Lebensende dienen Medien als Spiegel bzw. Zerrspiegel gesellschaftlicher Wirklichkeit. Sie eröffnen ein kulturelles Forum, folgen eigenen Gesetzmäßigkeiten, werden zum Austragungsort von Konflikten und bringen in mediatisierter Form die aus dem Alltagsleben ausgegliederte Interaktion mit vielfältigen für Sterben und Tod relevanten Orten und Themen zurück, listet der Soziologe und Thanatologe Klaus Feldmann auf.683 Gesellschaftliche Vorstellungen über den Tod speisen sich also zunehmend durch die Bilderflut der Medienwelt. Felix Tirschmann stellt fest: „… an die Stelle des direkten Blickkontakts ist der medial vermittelte Sehkontakt getreten. Die Zonen des Todkontaktes haben sich dadurch verschoben.“684 Bei Computerspielen kommt es nicht nur zu einer Verschiebung des Sehkontaktes, sondern auch die Sicherheit der Endgültigkeit des Todes gerät ins Wanken, wenn die Frage lautet: “You are dead – continue Yes/No?“685 Plakativ veranschaulicht Feldmann: „In Entenhausen wird nicht gestorben, der Tod ist reversibel bzw. es wird immer auferstanden.“686 Feldmann zieht sogar in Erwägung, aus der Wiederkehr von Schauspielern und Bezugspersonen in öffentlichen und privaten Bildwelten die Häufigkeit von Reinkarnationsvorstellungen bei Europäern ableiten zu können.687 Medien gäben den individualisierten Menschen die Bastelutensilien an die Hand, die zur Erstellung ihrer je eigenen Jenseits- und Seelenvorstellungen hilfreich seien.688 Primärerfahrungen mit Sterbenden und Toten verringern sich, während die Medien die Sekundärerfahrungen erweitern würden.689 Reimer Gronemeyer schildert aus seinen universitären Veranstaltungen, dass auf die Frage, wer von seinen Studierenden schon einmal einen toten Körper gese683 Vgl. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, a.a.O., 100f. 684 Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 35. 685 Frank Furtwängler, Kulturtechnik des Sterbens. You are dead – continue Yes/No, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, a.a.O., 559–576. 686 Klaus Feldmann, Art.: Soziologie, a.a.O., 70. 687 Vgl. ebd. 688 Vgl. Ders., Tod und Gesellschaft, a.a.O., 110. 689 Vgl. Ders., Art.: Soziologie, a.a.O., 71.

103

Mediale Inszenierung von Sterben, Tod und Lebensende

hen bzw. angefasst habe, sich nur wenige melden würden.690 Er merkt an: „Dieses Tabu, das sich allmählich über den Tod gelegt hat, wird auf merkwürdige Weise dadurch konterkariert, dass unsere Medien – insbesondere das Fernsehen – den Tod zum Zentrum der Nachrichten und der Unterhaltung gemacht haben: Ein 15-jähriger Deutscher hat im Durchschnitt schon einige hunderttausend Menschen sterben sehen, auf dem Bildschirm nämlich. Aber seine Großmutter ist im Pflegeheim aus dem Leben geschieden, ohne dass er sie noch gesehen hätte.“691 Dementsprechend sind die meisten Menschen noch nie mit dem Sterben auf Tuchfühlung gegangen, sondern verharren in sicherer Distanz. Auf der Suche nach Orientierung liegt die Antwort scheinbar in einer „neuartigen Sichtbarmachung von Sterben und Tod“692. Diese findet sich nicht länger im familiären Umfeld, bzw. wird zumindest nicht dort erwartet, sondern kommt auf Knopfdruck ins eigene Zuhause und lässt sich auch im wahrsten Sinne des Wortes „ausblenden“. Wer sich etwas mehr Zeit und Ruhe nehmen möchte, um sich ein Bild vom Tod zu machen, greift vielleicht zu dem Buch „Noch mal leben vor dem Tod. Wenn Menschen sterben“693, das aus der Zusammenarbeit der Journalistin Beate Lakotta und des Fotografen Walter Schels entstanden ist, und fünfundzwanzig Menschen vor und nach ihrem Tod respektvoll porträtiert. Grundsätzlich bleibt es aber – von Katastrophenberichterstattungen und ähnlichem einmal abgesehen – jedem selbst überlassen, wann, wie und in welcher Intensität eine medial vermittelte Beschäftigung mit der menschlichen Endlichkeit erfolgt. Sie ist vorrübergehender und freiwilliger Natur, also das Gegenteil von dem, was den eigenen Tod ausmachen wird, dessen Unausweichlichkeit und Irreversibilität ohne Unterhaltungswert daherkommen. Während wir den eigenen Tod nicht ins Zentrum unserer Gefühls- und Außenwelt rücken wollen, verhält sich dies mit dem Tod uns nahestehender Personen anders, insbesondere wenn deren Lebensende tragisch und unerwartet eingetreten ist. Durchschnittlich wird jeder Mensch vom Sterben und vom Tod fünf nahestehender Personen betroffen sein.694 Die Verarbeitung des Verlustes drängt dann mitunter geradezu danach, anderen vor Augen zu führen, welche Lücke der oder die Verstorbene hinterlässt und wie viel ärmer das Leben fortan geworden ist. Kreuze am Straßenrand, die auch als „Unfallkreuze“ bekannt sind, dienen als solch sichtbare Gedenkstätten, die sich der Reglementierung durch offizielle Gedenkkultur 690 Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 19. 691 Ebd. 692 Vgl. Stephanie Kaiser, Michael Rosentreter, Dominik Groß, Sterbeprozesse – Annäherungen an den Tod. Eine thematische Einführung, in: Dies. (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, a.a.O., 7–13; hier: 8. 693 Beate Lakotta, Walter Schels, Noch mal leben vor dem Tod. Wenn Menschen sterben, München 2004. 694 Vgl. Claudia Bausewein, Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod, a.a.O., 14.

104

Todesnähe ohne (Sende-)Schluss

entziehen und dennoch aus dem Wunsch nach Öffentlichkeit resultieren, so dass von „Public Mourning“ die Rede ist.695 Gesamtgesellschaftlich betrachtet geht das Bedürfnis nach Sichtbarmachung und realistischen Einblicken weiter und verlangt nach mehr. Wir wollen uns ein Bild machen, einen Eindruck verschaffen. Solche Bilder und Eindrücke liefert das Fernsehen. In Form von fiktionalen Serien wie “Six Feet Under. Gestorben wird immer“, “CSI – Den Tätern auf der Spur“ oder “Crossing Jordan – Pathologin mit Profil“696 kommt der Tod ins Wohnzimmer. In einem Beitrag des Deutschlandfunks deklariert der Autor Christian Schüle die deutsche Fernsehkultur als Todeskultur, da auf den Bildschirmen durchgängig gestorben und gemordet werde, überall Leichen lägen, Blut fließe und Rechtsmediziner einen ungefähren Todeszeitpunkt verkünden würden.697 Schüle diagnostiziert die mediale Omnipräsenz des Todes sowie „den faszinierenden Widerspruch zwischen der obsessiven Beschäftigung einer Kulturproduktion mit Mord, Sterben und Tod und einer gesellschaftlichen Moral fast hysterischer Todesvermeidung im optimierten Lebensalltag.“698 Einer gefährlichen Banalisierung des Todes kämen die im Fernsehen zu verfolgenden inflationären Morde gleich, die mit einer zunehmenden Enthemmung der Darstellung verbunden sei. Es stellt sich die Frage: „Wenn wir über alle Nachrichtensendungen morgens, mittags, abends und nachts hinweg täglich mit Mord, Sterben und Tod umgeben sind, mit Anschlägen, Abstürzen und Explosionen – warum wollen wir dann trotzdem Krimis lesen, Krimis sehen, Krimis hören, und zwar immer mehr?“699 Eine Antwort könnte darin bestehen, dass so die Illusion der Beherrschbarkeit des Sterbens genährt werde, die die auf Optimierung ausgerichtete Leistungsgesellschaft zur Verdrängung der größten narzisstischen Kränkung des Menschen, nämlich der eigenen Sterblichkeit, brauche.700 Noch intensiver ist das Mitverfolgen nichtfiktionaler Sterbeprozesse, denen Aufmerksamkeit nahezu garantiert ist. Auf diese Art und Weise bekannt wurde z.B. der britische Reality-Star Jade Goody, die an unheilbarem Gebärmutterhalskrebs erkrankte und die Zuschauer daraufhin live an ihrem Schicksal teilnehmen ließ, wodurch sie sowohl ihre Kinder materiell absicherte als auch auf das Thema Gebärmutterhalskrebs hinwies.701 695 Vgl. Norbert Fischer, Der entfesselte Friedhof, a.a.O., 274. 696 Vgl. Stephanie Kaiser, Michael Rosentreter, Dominik Groß, Sterbeprozesse – Annäherungen an den Tod, a.a.O., 8. 697 Christian Schüle, All die schönen Toten. Über Mord und Tod im Fernsehen, 25.9.2016 (https:// www.deutschlandfunk.de/ueber-mord-und-tod-im-fernsehen-all-die-schoenen-toten.1184. de.html?dram:article_id=364111; aufgerufen am 23.04.2021). 698 Ebd. 699 Ebd. 700 Vgl. ebd. 701 Vgl. Vasilija Simonovic, Katsiaryna Laryionava, Das öffentliche Sterben in der Postmoderne,

105

Mediale Inszenierung von Sterben, Tod und Lebensende

Heiligt der Zweck die Mittel? In den Niederlanden wurde 2006 und 2008 die Dokusoap “Over My Dead Body“ ausgestrahlt, in der todkranke Krebspatienten begleitet wurden.702 Sogar Selbsttötungen wie die des 59-jährigen an ALS erkrankten Craig Ewert wurden vom britischen TV-Kanal “Sky Real Lives“ gesendet.703 Im Internet sind Suizide oder gar Tötungsdelikte vor laufender Kamera jederzeit rund um die Uhr abrufbar.704 Im Fall von per Webcam übertragenen Selbsttötungen oder der wie auch immer bedingten willentlichen Zurschaustellung des eigenen öffentlichen Sterbens handelt es sich um eine bewusste Entscheidung für die Inszenierung des eigenen Lebensendes, so dass „der Sterbende gleichzeitig zum Subjekt und Objekt des Geschehens“705 wird. Natürlich gibt es nicht erst in der Gegenwart das Bedürfnis, Sterben darzustellen. Was die Möglichkeiten zur Umsetzung dieses Wunsches angeht, sind diese heute in ihrer Vielfältigkeit einzigartig und lassen sich leicht mit Kommerzialisierungsinteressen kombinieren.706 Trotzdem oder gerade deshalb übt diese Thematik eine Faszination aus, die sich in den Medien widerspiegelt. Es kann geradezu von „Leichenlüsternheit“707 die Rede sein, wenn Bilder von realen Toten in der Berichterstattung über Kriege, Gewalttaten oder Umweltkatastrophen zugänglich sind und rege nachgefragt werden.708 Die Homepage “www.rotten.com“ präsentierte über Jahre hinweg Bilder von Leichen709, empörte mit bewussten Grenzüberschreitungen und ist mittlerweile offline. Warum gibt es eine Nachfrage nach zur Schau gestellten Toten? Die Motive könnten ebenso Anteilnahme, Neugier, Sensationslust oder Voyeurismus sein wie das Bedürfnis, „den Sterbeprozess in die eigene Biographie einzuordnen und ihn besser zu verstehen.“710 Markus Gaitzsch, Philosoph, Germanist, Theologe und Experte für Jugendschutz, unterstellt Zuschauern und Zuschauerinnen von Todesdarstellungen, dass sie die Bedeutung der Todeserkenntnis für ein bewusstes und sinnvoll gelebtes in: Michael Rosentreter, Dominik Groß, Stephanie Kaiser (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, a.a.O., 203–213; hier: 203. 702 Vgl. ebd., 206. 703 Vgl. ebd. 704 Vgl. Stephanie Kaiser, Michael Rosentreter, Dominik Groß, Sterbeprozesse – Annäherungen an den Tod, a.a.O., 8. 705 Vasilija Simonovic, Katsiaryna Laryionava, Das öffentliche Sterben in der Postmoderne, a.a.O., 207. 706 Vgl. ebd., 211. 707 Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland, a.a.O., 76. 708 Vgl. Vasilija Simonovic, Katsiaryna Laryionava, Das öffentliche Sterben in der Postmoderne, a.a.O., 205f. 709 Vgl. ebd., 204. 710 Ebd., 205.

106

Öffentliche Trauerformen im Wandel

Leben ahnen und spüren würden. Besonders Jugendliche griffen in Ermangelung eigener biographischer Berührungspunkte auf die ihnen allein zur Verfügung stehende mediale Konfrontation fasziniert zu.711 Ihre Motivation sei in der Einsicht zu sehen, „dass der Tod etwas ist, das sie ,unbedingt angeht‘, um es mit einer Formulierung des protestantischen Theologen Paul Tillich auszudrücken.“712 Gaitzsch, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in einem Arbeitsverhältnis mit dem privaten Fernsehsender ProSieben stand, kommt zu dem Ergebnis: „Die Zuschauer interessieren sich für Trauer und Tod, Leiden und Sterben in ihrer medialen Darstellung zusammengefasst also nicht aus pathologisch-voyeuristischer Morbidität, sondern weil sie den Tod zum Leben brauchen.“713

Öffentliche Trauerformen im Wandel Viel harmloser als so manche mediale Todesinszenierung ist ein anderer Trend, der auch prinzipiell ohne Voyeurismus auskommen kann. Trauer- und Gedenkseiten finden sich seit Mitte der 1990er Jahre in vielfacher Form im Internet714, eine Entwicklung, die die Medienwissenschaftlerin Anke Offerhaus erforscht hat. Sie hat herausgearbeitet, dass virtuelle Grab- und Erinnerungsstätten der ästhetischen und religiösen Individualisierung der Trauerarbeit Rechnung tragen, eine raum- und zeitunabhängige Anlaufstelle im Prozess der Trauerbewältigung darstellen, das Monopol von Familie und Kirche über die Gestaltung der Trauer und Erinnerung auflösen sowie das Spektrum an Handlungsmöglichkeiten innerhalb der Trauerkultur erweitern würden.715 Ergänzt werden muss der Gesichtspunkt der Demokratisierung, da „soziale Unsterblichkeit“716 im Internet jedem als Möglichkeit offensteht.717 Tirschmann formuliert pointiert, dass aus dem einstigen “Rest in Peace“ ein “Rest in Bytes“ geworden sei.718 711 Markus Gaitzsch, Tabu in der Realität, normal in den Medien: Darstellungsformen des Todes in Filmen und Serien; Vortrag vom 15.12.2006 (https://fsf.de/data/hefte/pdf/Veranstaltungen/ tv_impuls/2006_Tod/vortrag_gaitzsch.pdf; aufgerufen am 23.04.2021). 712 Ebd. 713 Ebd. 714 Vgl. Anke Offerhaus, Begraben im Cyberspace. Virtuelle Friedhöfe als Räume mediatisierter Trauer und Erinnerung, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes, a.a.O., 339–364; hier: 339; vgl. Alexander Kühn, Malte Laub, Digitales Herbstlaub, in: Annette Großbongardt, Rainer Traub (Hg.), Das Ende des Lebens, a.a.O., 236–240. 715 Anke Offerhaus, Begraben im Cyberspace, a.a.O., 351; 354; 356f. 716 Nils Meise, Das Wir vergisst nicht. Trägermedien kollektiver Erinnerung an Verstorbene, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens, a.a.O., 157–172; hier: 158. 717 Vgl. Rainer Liepold, Graben sie tiefer!, a.a.O., 136–143. 718 Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 222.

107

Mediale Inszenierung von Sterben, Tod und Lebensende

Konkrete Erfahrungen mit der Trauerkultur im Netz hat Anna Funck nach dem Tod ihrer Mutter gemacht: „Pixelkränze. Digitale Kerzen. Virtuelle KondolenzForen. Sogar seinen eigenen Grabstein kann man sich basteln (…). Danach kann ich im Forum über Trauer und Beerdigungsabläufe diskutieren. Dazu Bestattungsoptionen, Film- und Musikvorschläge. Oder man kann auf den digitalen Friedhof gehen, wobei ich so ziemlich jede Religion zur Auswahl habe. (…) Das Geschäft mit der Trauer floriert ja offenbar ganz gut.“719 Traueranzeigen im Internet haben nicht nur wirtschaftliche Nachteile für die Verlage der Tageszeitungen, sondern auch gravierende Folgen für die unterschiedliche Kommunikation der Generationen, da die von Älteren gewohnten handschriftlichen Beileidsbekundungen weniger werden oder gar ausbleiben.720 Individueller gestaltet sind oft aber auch diejenigen Traueranzeigen, die nach wie vor in der Tageszeitung erscheinen.721 Neben Fotos, Symbolen und persönlichen Erklärungen finden sich Abschiedsworte, die Verstorbene selbst zu veröffentlichen in Auftrag gegeben haben722, äußerst selten „Hassanzeigen“723, in denen mit Verstorbenen bzw. Angehörigen öffentlich abgerechnet wird, Anzeigen für Haustiere724 sowie Anzeigen, mit denen an Todestage vergangener Jahre und Jahrzehnte erinnert werden soll.725 Gänzlich zweckentfremdet wird das Genre Traueranzeige, wenn es etwa dazu missbraucht wird, den Verlust des Führerscheins zu beklagen.726 Das Interesse an Traueranzeigen ist immens hoch. Als Ende August 2009 das Buch „Aus die Maus. Wir sind unfassbar. Ungewöhnliche Todesanzeigen“727 von Christian Sprang und Matthias Nöllke erschien, war die erste Auflage innerhalb weniger Tage ausverkauft und der Titel hielt sich anschließend über Monate unter den Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste.728 Reiner Sörries ist sich sicher: „Die Bekanntgabe des Todes wird auch in Zukunft ihren Platz im sozialen Miteinander der Menschen haben, auch wenn sich wie früher schon einmal das Medium wandelt.“729 Um Trauerbekundungen über gewohnte Social Media Kontakte tätigen zu können, ermöglicht Facebook die Umwandlung von Profilseiten in Gedenkseiten, was 719 Anna Funck, Mama ist tot, a.a.O., 135. 720 Vgl. Reiner Sörries, Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis, a.a.O., 26. 721 Vgl. Gerhard Engelsberger, Tod, Stuttgart 2006, 88–94; Christian Sprang, Matthias Nöllke, Aus die Maus. Wir sind unfassbar. Ungewöhnliche Todesanzeigen, Köln 2018. 722 Vgl. ebd., 78–94. 723 Vgl. ebd., 106–114. 724 Vgl. ebd., 196–200. 725 Vgl. Gerhard Engelsberger, Tod, a.a.O., 88–94. 726 Vgl. Christian Sprang, Matthias Nöllke, Aus die Maus, a.a.O., 201. 727 Ebd., 106–114. 728 Vgl. Dies., Wir sind unfassbar. Neue ungewöhnliche Todesanzeigen, Köln 22010; 9f. 729 Reiner Sörries, Art.: Todesanzeigen, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod, a.a.O., 282–287; hier: 286.

108

Öffentliche Trauerformen im Wandel

zu der Bezeichnung „Facebook-Geister“ für die enorme Anzahl an bereits verstorbenen Facebook-Nutzern und Facebook-Nutzerinnen führte. Nicht nur Angehörige, sondern auch Menschen, die ihren eigenen digitalen Nachlass vorausschauend regeln wollen, finden im Internet auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Angebote. So gibt es Firmen, die von ihren Mitgliedern erstellte Nachrichten, Audio- und Videodateien nach deren Tod von ihrem Account aus zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt an ausgewählte Adressaten verschicken.730 Unsere Trauer- und Gedenkkultur ist in einem grundsätzlichen Wandel begriffen, dessen Langzeitfolgen gravierend sein dürften.

730 Vgl. Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 287.

109

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende Ernst Engelke ist Autor des Buches: „Die Wahrheit über das Sterben. Wie wir besser damit umgehen.“731 Er weist nach, wie leicht wir uns vormachen, dem Tod seinen Schrecken nehmen zu können, indem wir uns genügend Informationen besorgen, uns vorbereiten und uns quasi für alles, was da kommen mag, wappnen. Doch der Tod macht uns hier einen Strich durch die Rechnung. „Über den Tod philosophisch zu sprechen und das Sterben anderer zu begleiten ist eine Sache. Eine ganz andere ist es, sich ihm selbst stellen zu müssen. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein, wenn wir über Tod und Sterben reden!“732, betont Engelke ganz im Sinne des Sozialphilosophen Zygmunt Bauman, der ausführt: „Es ist mein Tod, der sich nicht erzählen läßt, der unaussprechbar bleibt. Ich kann ihn nicht erfahren, und wenn ich ihm erlegen bin, werde ich nicht mehr da sein, um davon zu erzählen.“733 Menschen, die über eine materielle Absicherung und einen hohen Bildungsstand verfügen, reden häufiger über das Sterben, als Menschen mit mittlerem oder niedrigem sozioökonomischen Status, was sich einfach damit erklären lässt, dass die erst Genannten weniger andere Sorgen haben.734 Über den Tod nicht nur zu sprechen, sondern über ihn zu schreiben, kann unter anderem auch in dem Wunsch begründet sein, etwas zu hinterlassen, was den eigenen Tod überdauern wird, frei nach dem Motto: „Wer schreibt, der bleibt.“735 Susanne Brüggen weist in ihrer Dissertation „Letzte Ratschläge. Der Tod als Problem für Soziologie, Ratgeberliteratur und Expertenwissen“ auf die Spezifika von Büchern hin. Diese Spezifika lassen sich insbesondere an einem eigenen Zeitverhältnis festmachen. Allein das Schreiben und die Herstellung von Büchern umfassen viele Arbeitsschritte, die äußerst langwierig sind, so dass mit einer zeitnahen Veröffentlichung nach Fertigstellung des Manuskriptes kaum zu rechnen sei. Außerdem sei für das Lesen von Büchern Zeit erforderlich. Zeit ist aber in jenen Arbeits- und Lebensbereichen, die unmittelbar und zügig auf die sich durch 731 Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O. 732 Ebd., 67. 733 Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, a.a.O., 10. 734 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 24. 735 Vgl. Karsten Kehr, Andrea – Briefe aus dem Himmel. Eine Mutter nimmt Abschied von ihren Kindern, Hamburg 2018, 63. In diesem Buch wird geschildert, wie eine im Alter von 31 Jahren an Krebs verstorbene Mutter ihren beiden Töchtern Briefe hinterlassen hat, die sie bis zur Volljährigkeit begleiten sollen.

110

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

den Tod ergebenden Anforderungen reagieren müssen, Mangelware. Weder Mitarbeitende im Gesundheitswesen oder im Bestattungsunternehmen noch trauernde Angehörige, die Papierkram zu erledigen hätten, verfügten über den Luxus von Zeit. Während das Lesen von Büchern früher eine Frage der Bildung gewesen sei, handle es sich heute primär um eine Zeitfrage.736 Hinzu kommt ferner die Unmöglichkeit der Kontrolle, wer, was, wann, wo, wie und mit welcher Intention lesen werde.737 Nicht-wissenschaftliche Veröffentlichungen erfreuen sich einer enormen Nachfrage, bringen neue Deutungsmuster des Todes hervor, lassen die Grenzziehung zwischen Experten bzw. Expertinnen und Personen ohne spezielle Fachkenntnisse fraglich erscheinen und tragen zum Bekanntheitsgrad von Beratung bei.738 Dieses Nebeneinander unterschiedlichster Buchtypen soll im Folgenden anhand diverser Veröffentlichungen aus den letzten Jahren veranschaulicht werden. Sie macht deutlich, dass diese vielfältige Literatur sich wissenssoziologisch einer pauschalen Bewertung entzieht.739 Die Nachfrage auf dem Buchmarkt lässt den Schluss zu, dass Leser und Leserinnen sich keineswegs mehr auf traditionelle Profis mit Fachkenntnissen aus Pfarramt, Medizin, Bestattungswesen etc. verlassen würden.740 Im Folgenden werden einige Bücher kurz vorgestellt, die verschiedene Blickwinkel einnehmen und gerade so den Facettenreichtum des Angebots zeigen. ►►Eine Vielzahl komplexer Themen vereint das illustrierte Buch von Marc Ritter und Tom Ising „So stirbt man also. Was Sie schon immer über den Tod wissen wollten“741. Es trägt akribisch sowohl zentrale als auch skurrile Informationen aus den Bereichen Geist, Körper, Recht, Glaube, Geschäft, Gesellschaft und Leben, die jeweils mit dem Tod in Verbindung gebracht werden, zusammen. Zielgruppe sind „Menschen jeden Alters, die sich an die Ungeheuerlichkeit des Todes gedanklich heranwagen wollen.“742 Detailliert beantwortet werden neben sehr vielen wesentlichen Fragen besonders auch solche, die man sich vor 736 Susanne Brüggen, Letzte Ratschläge. Der Tod als Problem für Soziologie, Ratgeberliteratur und Expertenwissen, Wiesbaden 2005, 231f. 737 Vgl. ebd., 232. 738 Vgl. ebd., 77; 111; 114. 739 Vgl. ebd., 225. 740 Vgl. Corinna Schubert, Eine Schneise durch den aktuellen „Buch-Wald“. Weiterführende Literatur für verschiedene Zielgruppen, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Dies., Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 37–51; hier: 51; vgl. Susanne Brüggen, Religiöses aus der Ratgeberecke, in: Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hg.), Thanatosoziologie, a.a.O., 81–99; hier: 95: „Der Bedarf für Kontingenzbewältigung, rund um das Thema Tod, wird also heute zu einem großen Teil über den Buchhandel und die Sparte Lebenshilfe, Ratgeber gestillt.“ 741 Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also, a.a.O. 742 Ebd., 7.

111

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

der Lektüre in der Regel überhaupt nicht gestellt hat, die aber einen durchaus fesselnden und überreichen Fundus für Smalltalk und Besserwisserei hergeben. ►►Als der Reporter Roland Schulz Vater wurde, habe er begeistert aufgesaugt, was es über den Anfang des Lebens zu lesen gab. Erstaunt habe er festgestellt, dass er zum anderen Ende des Lebens keine vergleichbaren Wissenswerke finden konnte, so dass seine Neugierde geweckt worden sei.743 Ergebnis dieser Neugierde ist das Buch „So sterben wir. Unser Ende und was wir darüber wissen sollten“. Sterben ist das, was jeden betrifft. Deshalb wählt der Autor durchgängig die direkte Anrede „du“: „Es sollte um Sterben gehen, aber nicht irgendein Sterben. Sondern dein Sterben.“744 Nicht auf Gruseleffekte wird so hingearbeitet, sondern auf die Erkenntnis des unvermeidlichen Kontrollverlustes. Die direkte Ansprache vermeide den Effekt, der sich manchmal in Handreichungen finde, dass sich ein Gefühl des Wissens und der Kontrolle einstelle, während Sterben ja genau das Gegenteil von Kontrolle sei.745 Das Gefühl des Wissens sei eine Illusion, denn im Sterben stoße der Verstand, das Denken und die Vernunft an ihre Grenzen und es gebe keine Gewissheiten mehr. Sterben bedeute den unwiderruflichen Verlust der Hoheit über Körper und Geist.746 Der Blick auf das Lebensende ist nüchtern und beschönigt nicht: „Ab einem Alter von dreißig verdoppelt sich alle acht Jahre das Risiko eines Menschen, im nächsten Lebensjahr zu sterben. So gesehen ist Sterben mit vierzig Pech, mit sechzig Schicksal, aber schon ab siebzig kannst du dich statistisch nicht mehr beschweren.“747 ►►Die Autorin C. Juliane Vieregge, die u.a. Evangelische Theologie studierte, fordert auf: „Lass uns über den Tod reden“748 und begründet dies damit, dass sie selbst erfahren habe, wie in den entscheidenden Momenten, als ihr Vater verstarb, Mangel und Unsicherheit vorgeherrscht hätten: „Noch nie habe ich so deutlich empfunden: Uns fehlt eine Kultur des Sterbens. So wie uns auch eine Kultur des Trauerns fehlt. Der Tod ist uns fremd geworden, er liegt so außerhalb unseres Erfahrungshorizontes, dass jeder mehr oder weniger auf sich selbst gestellt ist bei dem Vorhaben, sich einen lebensnahen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer anzueignen.“749 In ihrem Buch lässt Vieregge bekannte Interviewpartner und Interviewpartnerinnen wie etwa Jochen Busse, Dieter Thomas Kuhn und Katrin Sass zu Wort kommen, deren persönlich beschriebe743 Vgl. Roland Schulz, So sterben wir, a.a.O., 226f. 744 Ebd., 229. 745 Vgl. ebd., 231. 746 Vgl. ebd., 9. 747 Ebd., 29. 748 C. Juliane Vieregge, Lass uns über den Tod reden, a.a.O. 749 Ebd., 10.

112

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

nen Berührungspunkte mit dem Tod sie unter die Überschriften „Der Tod als Auftraggeber“750, „Der Tod als Versöhner“751, „Der Tod als Lebensbegleiter“752, „Der Tod als Weichensteller“753, „Der Tod als Lehrmeister“754 sowie „Der Tod als Berufender“755 einreiht. Vieregges Anliegen ist es, den Tod wieder mehr in den Fokus zu rücken, ihn öffentlich zu machen und ihm einen Platz im Leben einzuräumen. Erreicht wird mit diesem Buch genau das, was im Vorwort angekündigt wurde, nämlich dass der Tod verschiedene Gesichter bekomme. Diese Gesichtsausdrücke spiegeln exemplarisch Schrecken, Wut, Verzweiflung, Angst, Verlassenheit, Dankbarkeit und Hoffnung wider.756 ►►Von der Psychologin Ulrike Scheuermann ist laut Unterüberschrift ihres Ratgebers „Wenn morgen mein letzter Tag wär“ nichts Geringeres zu erwarten, als die Zusage: „So finden Sie heraus, was im Leben wirklich zählt“757. Scheuermann hält die Angst vor dem Sterben für unnötig, sofern man ganz persönlich die Bedeutung eines erfüllten Lebens erkenne.758 Die Autorin lässt Raum für die Individualität und damit für die von Person zu Person unterschiedlichen Werteorientierungen jedes Menschen.759 Sie fordert u.a. dazu auf, sich zunächst Gedanken zu machen, was besonders wichtig wäre, wenn man nur noch sieben Monate Zeit zum Leben hätte, und sich anschließend zu fragen, was als Versäumnis besonders schmerzlich wäre, wenn der Tod jetzt unmittelbar – etwa durch einen Unfall – einträte.760 Aus der Praxis mit ihren Klienten schildert Scheuermann die Arbeit an der „letzten Vorlesung“, die oft von dem großartigen Gefühl der Dankbarkeit begleitet werde, welche sich einstelle, sobald man im Leben nach Anlässen für diese Ausschau halte.761 Beziehungen sind ein weiteres zentrales Thema. Der Gedanke, dass jede Unterhaltung und auch jede Auseinandersetzung die letzte sein könnte, solle das Bedürfnis und die Kraft zum Gestaltungswillen, der hier „Beziehungsheilen“ genannt wird, wecken.762 Manchmal bedürfe es dazu des Loslassens der eigenen Hoffnungen und Wünsche, die sich auf die Veränderung des Gegenübers beziehen würden, sowie des freundlichen Erkennens, welches sich schlicht am 750 Ebd., 13. 751 Ebd., 77. 752 Ebd., 125. 753 Ebd., 161. 754 Ebd., 205. 755 Ebd., 245. 756 Vgl. ebd., 12. 757 Ulrike Scheuermann, Wenn morgen mein letzter Tag wär, a.a.O. 758 Vgl. ebd., 49. 759 Vgl. ebd., 57. 760 Vgl. ebd., 92f. 761 Vgl. ebd., 125. 762 Vgl. ebd., 160f.

113

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

Gegenüber freue und auf Ansprüche verzichte.763 Durch Vergeben und Versöhnen lasse sich innerer Frieden erreichen und der Frieden in der Welt mehren.764 Gemeint sei nicht etwa das Unterdrücken von Aggressionen, sondern ein „echtes Loslassen von Ärger, Wut, Rachegefühlen und Bitterkeit“765. Um dies zu erreichen, könnten Briefe geschrieben werden, die sogar dann heilsam wären, wenn sie niemals verschickt würden.766 Solch eine Beziehungsarbeit sei unerlässlich, da Beziehungen zum Wichtigsten im Leben zählen würden und uns Gefühle wie Zugehörigkeit und Verbundenheit gesund erhalten würden.767 Ebenfalls förderlich für Gesundheit, Glücksgefühle und ein erfülltes Leben sei ein praktizierter Altruismus, der im Wesentlichen darin bestehe, sich um das Wohl anderer Menschen zu kümmern.768 Die Folgen, wenn wir uns der Endlichkeit des eigenen Lebens stellen würden, zeigen sich für Scheuermann im Hier und Jetzt darin, dass wir bewusster und intensiver wahrnehmen würden: „Ich sehe meine eigene Lebenszeit wie eine Bugwelle, die sich in meine Zukunft hinein ausbreitet und an der Grenzfläche des Todes reflektiert wieder zu mir zurückkehrt. Ohne die Grenze würde die Welle irgendwo in der Zukunft auslaufen, längst hätte sie ihre Kraft verloren. Doch so ist da die volle zeitliche Konzentration, die das Erleben im Augenblick intensiviert. Achtsamkeit, Gewahrsein und Fokussierung sind Worte, die zu diesem Zeiterleben passen, alle schönen und schmerzlichen Gefühle eingeschlossen. Sie leben tiefer, inniger, leidenschaftlicher.“769 ►►Angelika Kallwass, die als Psychologin mit ihrer TV-Show „Zwei bei Kallwass“ bekannt geworden ist, will nicht belehren, sondern den Tod lebendig machen.770 Aus diesem Grund entstand ihr Buch „Was am Ende zählt. Mein Umgang mit dem Tod. Für ein erfülltes Leben“. Eingangs beschreibt Kallwass, wie der Tod für sie ein Lehrmeister geworden sei, der sie die Kostbarkeit des Lebens habe spüren lassen.771 Geschildert werden familiäre Verlusterfahrungen und der Umgang mit diesen. Als der Vater plötzlich und ohne die Möglichkeit sich versöhnlich zu verabschieden verstarb, musste Angelika Kallwass die Bestattung organisieren. Der Vater war aus der Kirche ausgetreten, so dass der Rückgriff auf das kirchliche Ritual als Option ausschied, und eine neue fanta763 Vgl. ebd., 161. 764 Vgl. ebd., 176f. 765 Ebd., 177. 766 Vgl. ebd., 162. 767 Vgl. ebd., 172. 768 Vgl. ebd., 180f. 769 Ebd., 98. 770 Angelika Kallwass, Was am Ende zählt. Mein Umgang mit dem Tod. Für ein erfülltes Leben, Köln 2015, 9. 771 Vgl. ebd., 9f.

114

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

sievolle Form gefunden werden musste, um der Trauer eine fassbare Form zu verleihen.772 In einem Brief brachte die Psychologin das zu Papier, was ihr auf dem Herzen lag, und sie überredete schließlich auch ihre Mutter zu dieser Vorgehensweise, damit ein letztes inneres Gespräch ermöglicht werde.773 Für sich selbst erkennt Kallwass: „Mit jedem Tod verschwindet ein Teil unserer Welt. Und irgendwann werde auch ich verschwinden. Es macht mir keine Angst mehr. Ich wünschte, ich könnte meinen Tod bewusst erleben, denn meine Neugier ist unverändert.“774 ►►Ebenfalls aus dem Fernsehen bekannt ist Susanne Conrad, die als Redakteurin und Moderatorin u.a. für die ZDF-heute-Nachrichten, Conrad & Co sowie für das ZDF-Mittagsmagazin vor der Kamera stand. Die ehemals schwer an Krebs erkrankte Mutter dreier Kinder kritisiert in ihrem Buch „Sterben für Anfänger. Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können“, dass es für nahezu jede Eventualität Anleitungen zu geben scheine, nur nicht für den unausweichlichen Tod.775 Conrad blendet die Einzigartigkeit jedes Menschen nicht aus, will nicht pauschalisieren, sondern jeden ermutigen, persönliche Bewältigungsstrategien zu entwickeln und den eigenen Weg zu finden.776 Sie selbst habe ihre Krebserkrankung und den Tod ihrer Eltern als „Erkundungsreise“ erlebt. Gerade in diesen schweren, von Angst, Abschied und Verlust begleiteten Erlebnissen habe sich ihr letztlich auch die große Chance eröffnet, mehr über sich und das, was ihr wirklich wichtig sei, zu erfahren.777 Stelle sich der alte Trott nach einer überwundenen Krise wieder ein, frage sich die Moderatorin, ob ihr das auf dem Sterbebett tatsächlich wichtig sei.778 Conrad, die meint, erst der Tod mache das Leben kostbar779, versucht nicht weniger, als das „Konzentrat von Leben“ herauszukristallisieren, und zitiert in diesem Kontext auch Psalm 90,12: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“780 Als ein Verständnisschlüssel habe sich für sie außerdem folgender Satz erwiesen: „Die Lebenden schließen den Toten die Augen, die Toten öffnen sie den Lebenden.“781 Zur Veranschaulichung solch eines Lernprozesses, der durch die Begegnung mit den Toten erfolge, führt Conrad das Gedicht „Unterricht“ von Hilde Domin an. 772 Vgl. ebd., 31. 773 Vgl. ebd., 36f. 774 Ebd., 158. 775 Vgl. Susanne Conrad, Sterben für Anfänger, a.a.O., 9. 776 Ebd., 11. 777 Vgl. ebd. 778 Vgl. ebd., 49. 779 Vgl. ebd., 19. 780 Vgl. ebd., 65. 781 Ebd., 73.

115

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

„Unterricht Jeder der geht belehrt uns ein wenig über uns selber. Kostbarster Unterricht an den Sterbebetten. Alle Spiegel so klar wie ein See nach großem Regen, ehe der dunstige Tag die Bilder wieder verwischt. Nur einmal sterben sie für uns, nie wieder. Was wüßten wir je ohne sie? Ohne die sicheren Waagen auf die wir gelegt sind wenn wir verlassen werden. Diese Waagen ohne die nichts sein Gewicht hat. Wir, deren Worte sich verfehlen, wir vergessen es. Und sie? Sie können die Lehre nicht wiederholen. Dein Tod oder meiner Der nächste Unterricht: so hell, so deutlich, daß es gleich dunkel wird.“782 Zu Conrads Gesprächspartnern zählt auch der bereits verstorbene Karl Kardinal Lehmann, der dazu aufgefordert habe, den Tod ernst zu nehmen und die Zeit, die noch bleibe, zur Umkehr zu nutzen.783 Conrad betont, dass es auch im Christentum mit dem Tod keinen Freifahrtschein ins Ewige Leben geben 782 Hilde Domin, Sämtliche Gedichte, hg. von Nikola Herweg und Melanie Reinhold. Nachwort von Ruth Klüger, © 2009, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 42020, 65f.; vgl. Susanne Conrad, Sterben für Anfänger, a.a.O., 73f. 783 Vgl. ebd., 152.

116

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

werde.784 Im Augenblick des Todes werde der Mensch noch einmal sich selbst gegenübergestellt. Aus dem Gespräch mit Lehmann hält die Moderatorin für jeden Menschen fest: „Noch einmal kann er sich in diesem Augenblick fragen: Was war gut? Was war falsch? Und er kann bereuen. (…) Beim großen Weltgericht am Ende der Zeit findet die letzte Konfrontation jedes Menschen mit sich selbst statt, mit seiner eigenen Wahrheit, mit den Konsequenzen seines Lebens.“785 ►►„Nachrufe auf das eigene Leben“ trägt die Medienmanagerin Christiane zu Salm in „Dieser Mensch war ich“ zusammen und bemüht sich dabei um eine „Betrachtung des Lebens aus der Perspektive des Sterbens“786. Eingangs berichtet die Autorin von ihrer ehrenamtlichen Ausbildung zur Sterbebegleiterin, bei der sie auf eine Papierkrawatte schreiben sollte, was ihr am allermeisten am Herzen läge. Als die Krawatte um ihren Hals gehangen habe, hätten die Kursleiterinnen schweigend Wort für Wort abgeschnitten, bis schließlich auch das letzte Wort „Die Liebe meiner Kinder“ an der Reihe war und es ihr den Hals zugeschnürt habe.787 Zweck dieser Übung sei das „Loslassen“, das man lernen könne, sofern man es wolle.788 Eine andere Aufgabe im Rahmen der Ausbildung bestand darin, davon auszugehen, dass man selbst übermorgen sterben werde und nun innerhalb einer Viertelstunde seinen Nachruf zu schreiben habe.789 Dieser Nachruf wurde im Beisein aller Kursteilnehmer vorgelesen und war für Christiane zu Salm ein Schlüsselerlebnis, das ihr klar machte, wie schwer und extrem unangenehm es sei, sich selbst zu beurteilen.790 Später habe sie verstanden, dass es bei einem derartigen Rückblick am Lebensende weniger um ein Urteil als vielmehr darum gehe, sein Leben wertfrei so anzunehmen, wie es gewesen sei.791 „Wie wäre es, begann ich mich zu fragen, wenn Menschen, die wissen, dass sie am Ende ihres Lebens stehen, mir ihren eigenen Nachruf diktieren? Wenn diese Übung im Sterbebegleitungskurs also keine in Gedanken durchgespielte Vorübung mehr wäre, sondern Wirklichkeit?“792 Zu Salm traf sich mit Personen, die dem Sterben nahe waren, und trug die unterschiedlichsten Nachrufe zusammen, aus denen sich ein eindrückliches und zum Nachdenken anregendes Bild dessen ergibt, was Menschen, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, sondern ganz normal – quasi wie du und ich – sind, in ihren letzten Stunden bewegt hat. 784 Vgl. ebd., 153. 785 Ebd. 786 Christiane zu Salm, Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben, München 2013, 9. 787 Vgl. ebd., 16. 788 Vgl. ebd. 789 Vgl. ebd., 19. 790 Vgl. ebd., 21f. 791 Vgl. ebd., 22. 792 Ebd.

117

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

►►Als führende forensische Anthropologin und Anatomin, die nach eigenen Angaben die eingleisige Interaktion mit Toten der mit Kranken vorziehe793, stellt Sue Black in „Alles, was bleibt. Mein Leben mit dem Tod“ am Ende ihrer Ausführungen klar, dass die Toten deutlich weniger Ärger als die Lebenden machen würden.794 Ob Blacks Ansichten und Wünsche im Detail verallgemeinerungsfähig sind, mag bezweifelt werden, wenn sie etwa den für sie idealen Umgang mit ihren sterblichen Überresten schildert. Gerne hätte sie, dass ihr Skelett mazeriert würde, was bedeutet, dass man es kochen müsse, um es von Weichgewebe und Fett zu befreien. Die verbleibenden Knochen sollten zum Skelett montiert und zu Unterrichtszwecken genutzt werden, damit sie in dieser Art von Unsterblichkeit noch jahrhundertelang herumhängen und Anantomie lehren könne.795 Unverblümt und informativ macht Black auf den Tatbestand aufmerksam, dass jährlich mehr als 55 Millionen Menschen sterben würden, was zwei pro Sekunde bedeute796, der Tod aber dennoch wunderbar unvorhersehbar bleibe.797 Ihrer Leserschaft versichert sie: „Sie haben nichts zu verlieren – und wenn Sie ihm selbst begegnen, ist es sicher angenehmer zu wissen, mit wem man es zu tun hat.“798 Von der Anatomie erfahre man über Leben und Tod, Menschlichkeit, Nächstenliebe, Respekt und Würde ebenso wie über die Stadien der Zersetzungsvorgänge des menschlichen Körpers und sehe nicht zuletzt Kurioses wie die Tatsache, dass Tattoos die Lymphknoten in allen Farben des Regenbogens zum Leuchten bringen würden.799 ►►Henning Scherf, ehemaliger Erster Bürgermeister von Bremen, und Annelie Keil, ehemalige Professorin für Sozial- und Gesundheitswissenschaften, möchten mit ihrem gemeinsamen Buch „Das letzte Tabu“ dazu ermutigen, den Abschied vom Leben leben zu lernen.800 Nicht das Sterben selbst gelte es zu lernen, weil das nicht möglich sei, sondern den Umgang mit der Tatsache, dass wir sterblich sind, könnten wir lernen.801 Grund für Trostlosigkeit sei diese Haltung nicht, und Keil beschreibt einen Cartoon von Snoopy und Charlie Brown, den sie großartig findet: „Da sitzen die beiden mit dem Rücken zum Betrachter und schauen auf einen großen See. Charlie sagt: ‘Some Day we will die, Snoopy.‘ Und Snoopy sagt: ‘True, but on all the other days we will not.‘“802 793 Vgl. Sue Black, Alles, was bleibt, a.a.O., 174. 794 Vgl. ebd., 399. 795 Vgl. ebd., 397f. 796 Vgl. ebd., 16. 797 Vgl. ebd., 21. 798 Ebd. 799 Vgl. ebd., 35; 56–64; 246. 800 Annelie Keil, Henning Scherf, Das letzte Tabu, a.a.O. 801 Vgl. ebd., 10. 802 Ebd., 29.

118

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

Henning Scherf macht sich ebenfalls dafür stark, dass Sterben nicht zu verdrängen, und erklärt, dass für ihn eine ars moriendi in unserer aufgeklärten und säkularen Zeit heiße, das Sterben in unser Leben zu integrieren, indem wir darüber sprechen und füreinander da sein würden.803 Anzustreben sei eine „menschlichere, eine sozialere Sterbekultur“804. Keil nennt es „palliative Selbstsorge“, wenn Menschen sich der eigenen Lebenserfahrungen bewusstwürden, alte Gedanken und Gefühle wie neue Bündnispartner zu verstehen lernten, und sich im Sterben mit anderen, ihnen wichtigen Menschen dem Gelebten und Ungelebten zuwenden würden.805 ►►Die australische Schriftstellerin Cory Taylor fasst die Motivation für ihr Buch „Sterben. Eine Erfahrung“, das kurz vor ihrem Tod im Jahr 2016 entstand, als dezidiert nicht-religiöser, todkranker Mensch in folgende Worte: „Und unvorbereiteter als ich hätte man nicht sein können. (…) Für so viele Menschen ist der Tod zu etwas Unaussprechlichem, zu einem monströsen Schweigen geworden. Doch das hilft den Sterbenden wenig, die jetzt wahrscheinlich einsamer sind als jemals zuvor. Jedenfalls bin ich das.“806 Mut sei erforderlich, um sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, dem Bedürfnis nachzugehen, mehr wissen zu wollen.807 Überrascht nimmt Cory Taylor zur Kenntnis, dass sie überhaupt von Skrupeln geplagt werde, obwohl sie sich weder für einen Menschen mit besonders hohen moralischen Maßstäben halte noch über einen formellen religiösen Hintergrund verfüge, an dem sich ein moralisches Wertesystem hätte festmachen lassen. Trotzdem sei es unmöglich sich angesichts des Todes nicht mit Glaubensfragen oder dem Nichtvorhandensein eines Glaubens auseinanderzusetzen.808 Vor einer Operation, deren Ausgang tödlich hätte sein können, verfasst Taylor einen Abschiedsbrief an ihre Familie, die sie darin auffordert, mit ihr zu sprechen, wenn sie nicht mehr da sei. Nach der der überstandenen OP reflektiert sie die unverkennbare Nähe zu einer Art metaphysischen Glauben, dessen sie sich aber dennoch nicht sicher gewesen sei.809 Sterben sei bei Weitem das Schwerste, was Cory Taylor je getan habe, und sie sei froh, wenn es vorüber sei.810 Sterben habe nichts Gutes, es sei unsagbar traurig, aber dennoch ein Teil des Lebens, dem niemand entkomme.811 803 Vgl. ebd., 82. 804 Ebd., 89. 805 Ebd., 41. 806 Cory Taylor, Sterben. Eine Erfahrung, Berlin 2016, 16. 807 Vgl. ebd., 21. 808 Vgl. ebd., 24. 809 Vgl. ebd., 12. 810 Vgl. ebd., 65. 811 Vgl. ebd., 51.

119

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

Ein zum Nachdenken aufforderndes Fazit von Taylors Buch ist der Verlust von Ritualen und tragenden Sprach- und Handlungsregeln im Angesicht des Sterbens: „Wir haben unsere gemeinsamen Rituale und unsere gemeinsame Sprache des Sterbens verloren (…). Damit meine ich besonders Menschen wie mich, die nicht gläubig sind. Für uns zeigt das Sterben wie nichts anderes die Grenzen des Säkularismus auf.“812 ►►„Unreligiös, unspirituell – trauerunfähig?“813 fragt eine Kapitelüberschrift in dem von der TV-Moderatorin Anna Funck geschriebenen Buch „Mama ist tot. Und jetzt?“. Funcks Mutter Silvia verstarb mit 74 Jahren, nach einem elfmonatigen Kampf gegen Knochenkrebs.814 Sich selbst bezeichnet Anna Funck, als „so gar nicht spirituell oder religiös“815, aber sie beneide „alle Menschen, die Trost in Kirchenwänden, Räucherstäbchen und Handauflegen finden“816, denn prinzipiell sei das „Trostpflaster ,Religion‘“817 klasse: „Der Zuversichts-Akku kann sofort aufgeladen werden. Nur fehlt mir halt das passende Kabel.“818 Anna Funck stellt fest, dass sie den „Trauer-Weg für Nicht-Spirituelle“ finden müsse, von dessen Existenz sie überzeugt sei und den sie über den Prozess des Verstehens beschreiten möchte.819 Zu ihren Erkenntnissen zählen Einsichten wie die folgenden: „Tod ist wie Geburt – nur andersrum“820 und „Trauer ist kein Zalando-Angebot“821, d.h. es gibt ihn nicht auf Probe mit Rückgaberecht. Ohne religiösen Bezug wird Psalm 90,12 zitiert und fortgefahren: „Ich will auch klug werden. Aus Mamas Tod, der meine Welt neu ordnet. Ich denke viel über sie nach.“822 Die Sehnsucht, die Verbindung zur verstorbenen Mutter über den Tod hinaus halten zu können, durchzieht das Buch. Anhaltspunkte für den Versuch einer Kontaktaufnahme seitens der Mutter werden etwa im Durchknallen von Glühbirnen gesehen.823 Ob die Verfasserin ihrem Anliegen gemäß einen tragfähigen „Trauer-Weg für Nicht-Spirituelle“824 gefunden hat? ►►Die Amerikanerin Jennie Dear war Professorin für Englisch und Journalismus bevor sie mit den Nachforschungen zu ihrem Buch „Wie fühlt es sich an zu sterben? Erkenntnisse über den Tod. Den letzten Weg gestalten und begleiten“ 812 Ebd., 29. 813 Anna Funck, Mama ist tot, a.a.O., 15. 814 Vgl. ebd., 12. 815 Ebd., 15. 816 Ebd. 817 Ebd. 818 Ebd. 819 Ebd., 16. 820 Ebd., 26. 821 Ebd., 79. 822 Ebd., 62. 823 Vgl. ebd., 205. 824 Ebd., 16.

120

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

begann und Hospizmitarbeiterin wurde.825 Auslöser dieses lebensverändernden Schrittes war die tödliche Erkrankung ihrer Mutter sowie die freundlich direkte Frage einer Krankenschwester: „Möchtest du wissen, was passiert, wenn der Körper alle Systeme runterfährt?“826 Eigene Erfahrungen aus der Sterbebegleitung ihrer Mutter, Erkenntnisse von Expertinnen und Experten, die mit Sterbenden arbeiten, und Literaturrecherchen werden zu einem Gesamtbild verwoben, das etwa Muster unterschiedlicher Sterbeverläufe nachzeichnet, ohne dabei die Einzigartigkeit jeder Person zu übergehen. „Jeder Tod ist anders. Ich vergleiche das mit Geburtsgeschichten, die Frauen gerne erzählen. Mit dem Tod ist es ähnlich: Bei jedem ist es anders.“827 ►►Sein „Interview mit dem Tod“ leitet der Nacht-Talkshow-Moderator Jürgen Domian mit der Überlegung ein, dass der Tod das Thema seines Lebens sei und ihm der Tod selbst bisher in der langen Reihe seiner Talk-Gäste fehle.828 Die Erklärung hierfür laute, dass der Tod scheu sei und die Öffentlichkeit meide, wenngleich er zu den Top-Prominenten dieser Welt zähle.829 Nachdem Domian bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr ein engagierter Christ gewesen sei, löste sich sein Glaube in kurzer Zeit nach der Lektüre von Ludwig Feuerbachs „Das Wesen des Christentums“ und Friedrich Nietzsches „Der Antichrist“ auf, so dass er trostlos gewesen sei und in Anbetracht des Todes alles als sinnlos angesehen hätte.830 Da ihm alles Religiöse absurd erschien, sei er Atheist geworden, habe sich aber nicht mit der Vorstellung zufrieden geben können, dass mit dem Tod definitiv alles zu Ende sei.831 Somit habe sich für ihn auch der Atheismus als unzufriedenstellende Antwort und als zu einfache Weltsicht erwiesen.832 Im fiktiven Gespräch mit dem Tod kommen grundsätzliche und existentielle Fragen zur Sprache, die dem Moderator auf der Seele liegen, und deren fiktive Antworten eine ernüchternde Erkenntnis festigen: „Kann man dir überhaupt etwas entgegensetzen? Gar nichts. Weder Reichtum noch Ruhm, weder Werke noch Hin­ter­las­sen­schaf­ ten.“833 Am Ende seines Interviews mit dem Tod bilanziert Domian, dass die Angst bleibe, aber der eigene Tod manchmal in einem etwas anderen Licht erscheine: 825 Jennie Dear, Wie fühlt es sich an zu sterben? Erkenntnisse über den Tod. Den letzten Weg gestalten und begleiten, Stuttgart 2020. 826 Ebd., 10. 827 Ebd., 183. 828 Vgl. Jürgen Domian, Interview mit dem Tod, Gütersloh 32012, 7; 11. 829 Vgl. ebd. 830 Vgl. ebd., 17; 20f. 831 Vgl. ebd., 31; 35. 832 Vgl. ebd., 51f. 833 Ebd., 61f.

121

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

„Wenn alle Aufgaben erfüllt sind, vielleicht ist es dann irgendwann schön zu gehen, unsichtbar zu werden für die Welt, sich allem für immer zu entziehen, ohne Angst und Hoffnung zu sein.“834 ►►Nicht ohne Hoffnung sein wollte der FDP-Spitzenpolitiker Guido Westerwelle, der 2016 seinem Krebsleiden erlag. In seinem gemeinsam mit dem Journalisten Dominik Wichmann verfassten Buch „Zwischen zwei Leben. Von Liebe, Tod und Zuversicht“ trägt ein Kapitel die Überschrift „Die Hoffnung stirbt zuletzt“835. Westerwelle schildert, wie er das Ausmaß seiner Krankheit und seine Überlebenschancen durch Internetrecherchen in Erfahrung zu bringen versuchte und feststellen musste, dass er sich dabei selbst verrückt machte. Die Angst habe ihm Kraft und Lebensmut geraubt. Da er wieder neugierig auf das Leben und nicht mehr auf den Tod sein wollte, griff er zu dem Beststeller von Bronnie Ware „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Einsichten, die Ihr Leben verändern werden.“836 Ware hatte nach einer Reihe anderer Berufe den der Pflegerin auf einer Palliativstation übernommen und dort Sterbende begleitet. Aus den Gesprächen mit ihren Patienten kristallisierten sich fünf Dinge, die diese im Angesicht des Todes anders machen würden, wäre ihnen die Zeit dafür vergönnt. Diese fünf Dinge nennt Ware „Versäumnisse“: „Versäumnis Nummer 1: Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarteten.“837 „Versäumnis Nummer 2: Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet“838 „Versäumnis Nummer 3: Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.“839 „Versäumnis Nummer 4: Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten.“840 „Versäumnis Nummer 5: Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt.“841 834 Ebd., 164. 835 Guido Westerwelle, Dominik Wichmann, Zwischen zwei Leben. Von Liebe, Tod und Zuversicht, München 2016, 97. 836 Ebd., 40; vgl. Bronnie Ware, 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Einsichten, die Ihr Leben verändern werden, München 52015. 837 Ebd., 61. 838 Ebd., 107. 839 Ebd., 151. 840 Ebd., 197. 841 Ebd., 242.

122

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

Westerwelles Reaktion auf dieses Buch fällt entschieden aus: „Du kannst es, sagte ich mir. (…) Kämpfe um dein zweites Leben! Kämpfe für mehr Zeit mit Michael! Kämpfe darum, in Zukunft ein paar Dinge anders machen zu können.“842 Mit dem Klassiker „Geschichte des Todes“843 des französischen Historikers Philippe Ariès befasste Westerwelle sich ebenfalls. In Abgrenzung zu Ariès‘ Feststellung, dass der Mensch heute ohne seine Familie, einsam und der Öffentlichkeit entzogen sterbe, bat Westerwelle den ihn behandelnden Professor, dass er zu Hause sterben könne, sollte die Behandlung nicht erfolgreich sein.844 Trotz seiner Lektüre zu Sterben und Tod blieb das Interesse auf das Leben und dessen Chancen ausgerichtet. Die Erkenntnis, was mit dem Tod alles verloren gehen würde, lehre viel über das richtige Leben.845 Im Nachwort von Dominik Wichmann heißt es: „Über den Tod sprachen wir so gut wie gar nicht. (…) Ob Guido Westerwelle es wollte oder nicht – die unmittelbare Erfahrung seines möglichen Sterbens ließ ihn nicht mehr los. Sie weckte Hoffnungen und schürte Ängste, aber sie befreite ihn auch auf berührende Art und Weise von anderen Ängsten und Zwängen.“846 ►►„So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ steht auf dem Cover des Tagebuchs einer Krebserkrankung des 2010 verstorbenen Regisseurs Christoph Schlingensief.847 Indem er seine eigene abrupt veränderte Gefühlswelt beschreibt, setzt er sich gegen die Sprachlosigkeit des Sterbens und für die Autonomie der Kranken ein.848 Eine besondere Rolle kommt dabei vom Anfang bis zum Ende des Buches Schlingensiefs Beziehung zu Gott zu. Diese durchläuft unterschiedliche Stadien. Zu Beginn der Krankheit stellt er, der sich von der Kirche abgewendet habe, eine Veränderung fest und seine Gedanken kreisen fortan um Gott, Jesus und die Verwobenheit von Leben und Sterben.849 Bei einem Besuch in einer Kapelle verschlägt es Schlingensief dann beim Anblick des Kreuzes die Sprache und ihn überkommt ein „warmes, wunderbares, wohliges Gefühl“850 der Zuversicht. Auf solche Phasen des Vertrauens folgen Rückschläge voller Enttäuschung und Traurigkeit851, wenngleich das Ringen um 842 Guido Westerwelle, Dominik Wichmann, Zwischen zwei Leben, a.a.O., 41; Michael Mronz war der Ehemann von Guido Westerwelle. 843 Philippe Ariès, Geschichte des Todes, a.a.O. 844 Vgl. Guido Westerwelle, Dominik Wichmann, Zwischen zwei Leben, a.a.O., 201. 845 Vgl. ebd., 202. 846 Ebd., 240. 847 Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!, a.a.O. 848 Vgl. ebd., 9. 849 Vgl. ebd., 20f. 850 Ebd., 24. 851 Vgl. ebd., 47.

123

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

die Erfahrung von Gottes Gegenwart anhält: „Dass es dich gibt, Gott, dass es ein göttliches Prinzip gibt, das glaube ich schon.“852 Er sei kein Atheist, da ist sich Schlingensief sicher. Seine Hoffnung ist es, mit „Maria, Jesus und Gott“853 seinen Frieden sowie Kontakt zu haben, denn er möchte geliebt und bewahrt werden.854 In seiner Situation sei es das größte Glück, Momente der Emotionalität und der Spiritualität zu erleben855 und der Empfang der Kommunion ermögliche ihm Gefühle von Frieden und Ruhe856 und sei geradezu „Seelenbalsam“857. Dennoch ruft das Leid Probleme mit Gott und die Bitte nach Erklärungen hervor.858 Schlingensief geht zwar fest von einer Existenz jenseits der Todesgrenze aus, betont aber, dass er keinen „Bock auf Himmel“859 habe. Der Draht zu Gott stehe außer Frage, ebenso aber auch die große Angst vor dem Unbekannten.860 Allen Menschen möchte er am liebsten zurufen, wie toll es sei, auf der Erde zu sein, und er wünsche sich, dass die Leute begreifen mögen, wie sehr es sich lohne, sich um diese Erde zu kümmern.861 Christoph Schlingensief nimmt seine Leser über seinen Tod hinaus mit auf eine Glaubensreise, die Hadern, Klage und Zweifel keineswegs ausspart, aber doch getragen ist von der Sicherheit, in Gott ein Gegenüber zu haben, das auch nach dem eigenen Lebensende noch ansprechbar sein wird und somit die einzige Kontinuität verheißen kann. ►►Oliver Müller, Autor des Buches „Altern. Sterben. Tod. Die Vergänglichkeit des Menschen aus der Sicht der Naturwissenschaften“862, studierte Evangelische Theologie, Physiologische Chemie und Humanmedizin. Der jetzige Professor für angewandte Medizin- und Biowissenschaften fand die Antwort auf die für ihn wichtigen Fragen nach eigenen Angaben nicht im Theologiestudium, so dass er sich den Naturwissenschaften und der Medizin zuwandte.863 Sein Ziel ist es, Hemmungen abzubauen, um vorurteilsfrei und sachlich über das eigene Altern, das eigene Sterben und den eigenen Tod nachzudenken und mit anderen Menschen über diese Themen zu diskutieren.864 Müller erklärt: „Denn unsere sicher eintretende Nichtexistenz wirkt bedrohlich, macht Angst und provoziert 852 Ebd., 52. 853 Ebd., 129. 854 Vgl. ebd. 855 Vgl. ebd., 129; 168. 856 Vgl. ebd., 191. 857 Ebd., 195. 858 Vgl. ebd., 210. 859 Ebd., 247. 860 Vgl. ebd. 861 Vgl. ebd., 249f. 862 Oliver Müller, Altern. Sterben. Tod, a.a.O. 863 Vgl. ebd., 16. 864 Vgl. ebd., 18.

124

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

unzählige Fragen. Viele von uns haben Angst vor den Antworten auf diese Fragen und trauen sich darum nicht, sie zu stellen. Und wer doch einmal mehr wissen will, wird mit jahrhundertealten Hypothesen, persönlichen Wunschvorstellungen oder vorgefertigten Ideologien konfrontiert, die oft noch mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten.“865 ►►Nicht weniger als „99 Fragen an den Tod“ beantworten das Autorenteam Claudia Bausewein und Rainer Simader mit ihrem „Leitfaden für ein gutes Lebensende“.866 Bausewein hat an der Universität München den Lehrstuhl für Palliativmedizin inne und Simader leitet das Ressort Bildung beim Dachverband aller Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich. Informationen werden als die beste Möglichkeit des Umgangs mit Angst erkannt, weshalb das gut lesbare und ohne viel Fachterminologie verfasste Buch als „Lebensbegleiter“867 zu verstehen ist. Die Nähe zur Praxis ist unverkennbar, wenn etwa die Unterscheidung zwischen Trost und Vertrösten, der Respekt Kranken gegenüber sowie die eigene Bereitschaft zum Zuhören und Aushalten bei der Frage „Wie reagiere ich, wenn ein Mensch mich fragt, ob er sterben wird?“ berücksichtigt werden.868 Vielfach ausgesparte Themen wie Wut, Zorn und Ärger auf Sterbende oder die Erschöpfung und Belastungen der Angehörigen werden offen angesprochen.869 Die Bedeutung und Ermöglichung des Abschieds unter den Bedingungen räumlicher Distanz, wie dies im Zuge der Corona-Pandemie der Fall war, wird als besondere Herausforderung wahrgenommen und kurz beschrieben.870 Ziel und Motto von Bausewein und Simader ist der Zuspruch: „Wenn nichts mehr zu machen ist, ist noch vieles zu tun.“871 In diesem Sinne werden hilfreiche Adressen, die auf Qualitätsstandards erfüllende Unterstützungsangebote aufmerksam machen, angeführt.872 ►►“Will my cat eat my eyeballs?“ gibt der amerikanische Titel des mit viel Sprachwitz geschriebenen New York Times Bestellers der alternativen Bestatterin Caitlin Doughty zu bedenken.873 Die deutsche Ausgabe trägt den Titel „Was passiert, wenn ich tot bin? Große Fragen kleiner Sterblicher über den Tod“874 865 Ebd., 21. 866 Claudia Bausewein, Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod, a.a.O. 867 Ebd., 13. 868 Vgl. ebd., 47–49. 869 Vgl. ebd., 76–80; 80–85. 870 Vgl. ebd., 189. 871 Ebd. 175. 872 Vgl. ebd., 263–270. 873 Caitlin Doughty, Will my cat eat my eyeballs? And other questions about dead bodies, New York 2020. 874 Dies., Was passiert, wenn ich tot bin? Große Fragen kleiner Sterblicher über den Tod, München 2020.

125

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

und kann die ein oder andere Pointe nicht eins zu eins sprachlich wiedergeben. Doughty, die nach eigenen Angaben ein „Faible für Leichen“875 hat, stellt sich in ihrem Buch den Fragen „von ethisch unbedenklichen, freilaufenden und biozertifizierten Kindern“876. Die Neugierde hinsichtlich des Fressverhaltens von Katzen befriedigt sie mit der Erklärung, dass deren DNA zu 95,6 Prozent mit der von Löwen übereinstimmen würde. Katzen seien also opportunistische Killer, würden aber in Ermangelung von Katzenfutter eher freiliegende Körperteile wie Mund und Nase verspeisen.877 Auf Fragen wie etwa „Kann ich die Schädel meiner Eltern nach ihrem Tod behalten?“878, „Entleert sich mein Darm, wenn ich sterbe?“879, „Wenn ich im Augenblick des Todes ein dummes Gesicht mache, geht es dann nie wieder weg?“880 und „Was passiert eigentlich, wenn man eine Packung Popcornmais schluckt, bevor man stirbt und eingeäschert wird?“881 folgt in der amerikanischen Ausgabe das in der deutschen Version fehlende Kapitel “An expert answers: Is my child normal?“882. Definitiv normal ist für die Autorin, die im Krematorium gearbeitet hat, sich auf das Einbalsamieren von Toten versteht, zwecks Erforschung von Totenritualen um die Welt gereist ist, ein eigenes Bestattungsinstitut leitet und mit ihrer Youtube-Serie “Ask a Mortician“ weltweit Beachtung findet, nahezu jede Facette rund um das Thema Tod.883 Zwar stammen die Fragen ausschließlich von Kindern, doch die Widmung spricht hier eine klar inklusive Sprache: „Für zukünftige Leichen jeden Alters“884. ►►„Das Zeitliche segnen. Voller Hoffnung leben. In Frieden sterben“885 diesen Titel gibt die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD Margot Käßmann ihrem Buch und regt dazu an, über Sterben und Tod miteinander ins Gespräch zu kommen, weil dies einen Zugang zu den Grundfragen des Lebens ermögliche, dem Leben Tiefgang bringe und weil außerdem im Vorfeld geklärte Fragen bei einem Todesfall für Entlastung sorgen würden.886 Es diene dem Leben, ans Sterben zu denken, sich die Endlichkeit bewusst zu machen, da eine als begrenzt erlebte Zeit als kostbar erfahren und in ihr intensiver gelebt werde.887 Trotzdem 875 Ebd., 11. 876 Ebd., 12. 877 Vgl. ebd., 15f. 878 Ebd., 28. 879 Ebd., 63. 880 Ebd., 74. 881 Ebd., 92. 882 Dies., Will my cat eat my eyeballs?, a.a.O., 209–214. 883 Dies., Was passiert, wenn ich tot bin?, a.a.O., 11. 884 Ebd., 5. 885 Margot Käßmann, Das Zeitliche segnen, a.a.O. 886 Vgl. ebd., 8. 887 Vgl. ebd., 7.

126

Der Klügere schlägt nach? Leseblüten zu Sterben, Tod und Lebensende

dürfe es nicht darum gehen, den Tod schön zu reden, da dieser immer weh tue, ganz gleich in welchem Alter er sich einstelle.888 Käßmann selbst treibe nicht die Angst vor dem Tod um, da halte und trage sie ihr Gottvertrauen. Vielmehr empfinde sie das Ignorieren der eigenen Sterblichkeit sowie die Sprachlosigkeit zwischen sich nahestehenden Menschen, wenn es um das Thema Abschied gehe, als bedauerlich.889 Ausdrücklich bekennt Käßmann: „Als Christin möchte ich das Sterben und das Leben nach dem Tod, an das ich glaube, Gott anvertrauen. Wie es aussehen mag, weiß ich nicht. Ich reihe mich damit ein in die Hoffnung, die schon die ersten Christinnen und Christen geprägt hat: Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt (2 Petr 3,13).“890 Jedem der exemplarisch vorgestellten Bücher lag das Bedürfnis der Verfasser und Verfasserinnen zugrunde, sich mit der Frage nach Sterben und Tod auseinanderzusetzen und mehr über dieses existentielle Thema in Erfahrung zu bringen. Was ist das Ziel dieser Auseinandersetzung? Erhoffen sich Autoren und Autorinnen, Leser und Leserinnen neben dem Wissenserwerb etwas mehr Kontrolle, einen „Aufprallschutz“891 für das Unvermeidliche? Oder hat ihre Hoffnung einen anderen, über sie selbst hinausweisenden Ursprung bzw. Zielpunkt?

888 Vgl. ebd., 13. 889 Vgl. ebd., 15. 890 Ebd., 59. 891 Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 242.

127

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht! Christliche Thanatagogik und die frohe Botschaft für mein Leben(sende) Theologie und Kirche haben die Aufgabe, die Verwobenheit von Leben und Tod zur Sprache zu bringen, und beziehen sich dabei vielfach auf Psalm 90,12: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Dieses Bibelwort fördert ein lebensdienliches Klugwerden, stärkt dabei die Beziehungsfähigkeit gegenüber Gott und Mitmenschen und bewahrt vor einer Banalisierung des irdischen Lebens, indem es den Blick für das Wesentliche schult.892 Eine Klugheit, die nicht nur das eigene begrenzte Sein und dessen unweigerliches Ende bedenkt, sondern die unverdiente Liebe Gottes als Ursprung und Ermöglichungsgrund jeglicher Beziehungen in Zeit und Ewigkeit verinnerlicht hat, vermag eine hoffnungsvolle Haltung zu fördern und dazu verhelfen, „sich mit Dank [zu] verabschieden“893, wenn es soweit ist, gerade weil der Tod nicht das letzte Wort haben muss. Entscheidend ist also nicht, dass wir überhaupt über unser Lebensende nachdenken und sprechen, sondern wie wir dies tun. „Gut, dass wir darüber gesprochen haben“, ist nicht gut genug. Sprachfähigkeit im Glauben ist keine quantitativ zu bestimmende Größe. Erleben wir Kirche als den Ort, der uns im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung, die über den Tod hinausweist, grundlegend trägt und stärkt? Wie schön, wenn dem so ist! Was aber, wenn wir diese Erfahrung nicht machen oder keine Berührungspunkte mit kirchlichem Leben haben? Redlich zu klären ist neben anderen Fragestellungen, was eine Beschäftigung mit dem Themenfeld Sterben und Tod – auch im kirchlichen Kontext – überhaupt zu leisten vermag. Macht sie das Sterben leichter? Vermittelt sie ein exklusives Wissen darüber, wie sich der Übergang vom Leben in den Tod mühe- und schmerzlos meistern lässt? Diese Effekte in Aussicht zu stellen, wäre unseriös. Der Tod ist eine uns alle betreffende und zugleich höchst individuelle Grenze, kein zu inszenierendes oder zu zelebrierendes Lifestyle-Event. Christlich an der Auseinandersetzung mit dem Tod ist die Perspektive der Hoffnung, die durch Jesus Christus eröffnet ist und die es mitzuteilen und so mit anderen zu teilen gilt. 892 Vgl. Nikolaus Schneider, Vorwort, in: Ders. (Hg.), Als flögen wir davon. Über die letzte Wegstrecke, Hamburg 2017, 7–13; hier: 9–11. 893 Fulbert Steffensky, Abdanken, in: Nikolaus Schneider (Hg.), Als flögen wir davon, a.a.O., 155–163; hier: 161.

128

Christliche Thanatagogik und die frohe Botschaft für mein Leben(sende)

In der Kirche Tätige haben gegenüber sich selbst und gegenüber Zielgruppen in unterschiedlichen Aufgabenfeldern Rechenschaft über die christliche Hoffnung zu geben (1 Petr. 3,15). Dabei beschränkt sich die Vermittlung des Evangeliums nicht auf die Weitergabe von tradiertem Glaubenswissen, „sondern zielt auf die Teilhabe aller an diesem Geschehen Beteiligten; hier zeigen sich die Subjektorientierung und die soziale Dimension evangelisch akzentuierter Bildung.“894 Konkret auf das Lebensende bezogen kann dies bedeuten, dass sowohl Sterbende als auch deren Angehörige bzw. Begleiter und Begleiterinnen Kirche und Kirchengemeinde stärker als Unterstützung erfahren.895 Wünschenswert ist ein „dialogisches und ganzheitliches Geschehen“896, bei dem die Gemeinde „von Menschen als Subjekten gebildet wird […], die in je eigener und sehr unterschiedlicher Weise Gesellungsformen im Zusammenhang der Kommunikation des Evangeliums suchen, nutzen und entwickeln.“897 Ein punktuelles Beteiligungsverhalten an kirchlichen Angeboten ist oft das Bedürfnis in einer konkreten Situation, wie etwa im Trauerfall. Konkrete Hilfe statt langfristiger Bindung wird gesucht. „Kirche bei Gelegenheit“898 bzw. „Gemeinde auf Zeit“899 sind Ansätze, mit denen gemeindepädagogische Unterstützung, Beratung und Begleitung etwa zwecks gelingender Lebensübergänge und Neuausrichtungen ermöglicht werden können.900 Es geht darum, „die Erfahrung und die Alltagsrelevanz sinnstiftender Angebote im Horizont des Glaubens sowie die Reflexion darüber unmittelbar aufeinander“901 zu beziehen und so zur „Kommunikation des Evangeliums“902 zu kommen, für die das „prinzipiell Dialogische des gemeinten 894 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.), Perspektiven für diakonischgemeindepädagogische Ausbildungs- und Berufsprofile (EKD Texte 118), Hannover 2014, 26; vgl. Hilmar Gattwinkel, GottesDienstLeistungen – über die Macht der Bilder, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung, a.a.O., 65–73; hier 68f. 895 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 49: „Daher benötigen die Begleiter Unterstützung. In der Umfrage gaben gerade einmal 22 Prozent an, dass ihnen Freunde, Kirche oder Kommune eine große Stütze waren.“ 896 Matthias Spenn, Michael Haspel, Hildrun Keßler, Dorothee Land, Lernwelten und Bildungsorte der Gemeindepädagogik. Bedingungen, Bezüge und Perspektiven, Münster 2008, 9. 897 Ebd., 15. 898 Michael Nüchtern, Kirche bei Gelegenheit. Kasualien – Akademiearbeit – Erwachsenenbildung, Stuttgart 1991. 899 Vgl. Peter Bubmann, Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. Zum gegenwärtigen Stand der Gemeindepädagogik, in: Bernhard Mutschler, Gerhard Hess (Hg.), Gemeindepädagogik. Grundlagen, Herausforderungen und Handlungsfelder der Gegenwart, Leipzig 2014, 45–61; hier: 55. 900 Vgl. Nicole Piroth, Die Rückkehr des eierlegenden Wollmilchschweins. Berufliche Aufgaben und Kompetenzen der Gemeindepädagogin und des Diakons, in: Bernhard Mutschler, Gerhard Hess (Hg.), Gemeindepädagogik, a.a.O., 127–144; hier: 136. 901 Matthias Spenn, Michael Haspel, Hildrun Keßler, Dorothee Land, Lernwelten und Bildungsorte der Gemeindepädagogik, a.a.O., 28. 902 Ernst Lange, Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns, München 1981, 101.

129

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

Vorgangs“903 wegweisend ist. Das Proprium der „Kommunikation des Evangeliums“, d.h. das Evangelium als die frohe Botschaft von Jesus Christus, muss dabei deutlich zu Wort kommen. Wenngleich sich Kirche also in einer rasch wandelnden Gesellschaft vorfindet und sich der Lebensweltperspektive samt den durch sie erkennbaren Segmentierungen bzw. Fragmentierungen zu öffnen hat904, bleibt doch die entscheidende Aufgabe, eine Antwort auf die für die eigene Glaubwürdigkeit existentielle Frage zu finden: „Wie gelingt es, dem Volk aufs Maul zu schauen und sich dabei selbst nicht den Mund zu verbieten?“905 In seiner Monografie „Religiöse Kommunikation und Kirchenbindung. Ende des liberalen Paradigmas?“ kritisiert der Kirchensoziologe Gerhard Wegner: „Vor lauter Angst, gesellschaftlich nicht mehr anschlussfähig zu sein, hat es hier aus meiner Sicht in der letzten Zeit eine Kultur der Harmlosigkeit gegeben, die tatsächlich zur Marginalisierung geführt hat.“906 Weder vermöge es eine Kirche, die ihren Mitgliedern hinterherlaufe, um deren Erwartungen zu erfüllen, die Distanzierten zu erreichen noch baue sie so Bindungen mit ihnen auf.907 Wenngleich es wichtig und hilfreich ist, die Bedürfnisse und Wünsche von Gemeindegliedern zu kennen und sie gegebenenfalls mit Milieus in Verbindung bringen zu können, sei diese Sichtweise doch „einem äußerst reduktiven Menschenbild verhaftet, das den Menschen gleichsam auf Reiz-Reaktionsschemata reduzieren würde“908. Der Wahrheitsanspruch des Evangeliums und seiner Kommunikation sprengt das Korsett gesellschaftlicher Differenzierungen und geht damit auf die Sehnsucht des Menschen nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit ein, die sich viele bisher noch gar nicht eingestanden haben mögen. Eine selbstbewusste christliche Verkündigung und kirchliche Präsenz muss etwas Entscheidendes, Unterscheidendes für das Leben der Menschen beizutragen haben.909 Die Kommunikation des Evangeliums besteht in der Sichtbarmachung elementarster Sehnsüchte und den gegenwartssensibel zu gebenden biblischen Antworten auf Fragen, „die sich viele 903 Ebd. 904 Vgl. Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer, Zur Einführung, in: Dies. (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 11–17; hier: 16. 905 Dies., Impulse für eine milieusensible kirchliche Bestattung – Einführung, in: Dies. (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 139–158; hier: 139. 906 Gerhard Wegner, Religiöse Kommunikation und Kirchenbindung. Ende des liberalen Paradigmas?, Leipzig 2014, 13. 907 Vgl. ebd., 41. 908 Ebd., 50. 909 Vgl. ebd., 39; vgl. Roland Degen, Gemeindepädagogik als Frageperspektive. Thesen und Kommentare zu gegenwärtigen Entwicklungen, in: Karl Foitzik (Hg.), Gemeindepädagogik. Prämissen und Perspektiven, Darmstadt 2002, 123–153; hier: 150: „Christliche Gemeinde wird deshalb in pluralistisch-postmoderner Unübersichtlichkeit ihr inhaltliches Profil zu verdeutlichen haben, um nicht belanglos und letztlich überflüssig zu werden.“

130

Christliche Thanatagogik und die frohe Botschaft für mein Leben(sende)

Menschen überhaupt nicht mehr zu stellen wagen, weil sie Grundsicherheiten ihres Lebens erschüttern würden“910. Der biblisch begründete Glaube hat allen Grund, die „Frohe Botschaft“ zu verkündigen, da sich hier der innerweltlich befangene Mensch als Geschöpf auf seinen Schöpfer hingewiesen erlebt und ihm somit die Befreiung von seiner reinen Selbstbezüglichkeit zugänglich wird. Doch sind Bibel, Kirche und kirchliche Angebote die Instanz, an die man sich mit seinen Fragen unmittelbar wendet? Oftmals wird im Internet nach einfachen Antworten auf schwierige Fragen gesucht und nichts gefunden, was dauerhaft zufriedenstellen würde. Der Griff zur Ratgeberliteratur mag die nächste Eigeninitiative darstellen. Im Unterschied zur Wirklichkeit gaukelt Ratgeberliteratur mitunter vor, dass Probleme letztlich lösbar seien. Das erzeugt einen Konformitätsdruck der Selbstoptimierung.911 Laut der Praktischen Theologin Isolde Karle ist dies gerade keine frohe Botschaft: „Es wäre viel entlastender für die meisten Menschen, ihnen zu sagen, dass manche Probleme nicht lösbar sind, dass man mit gewissen Spannungen und Ambivalenzen leben muss – und kann und darf.“912 Wer in der Kirche beruflich tätig ist, wird ebenfalls nicht auf alle Fragen eigene abschließende Antworten finden, sondern darf und sollte über den eigenen Tellerrand hinausschauen, um so selbst Unterstützung zu erfahren. Als Bereicherung und Ergänzung der eigenen Professionalität ist die kirchliche Kooperation mit der Sozialen Arbeit zu verstehen, die „zu den wichtigsten und am meisten unterschätzten Berufen in der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender“913 gehört. Die Soziale Arbeit zeichnet sich u.a. durch den systemischen Blick und die Ressourcenorientierung aus. Durch die systemische Sichtweise werden Sterbende in ihrem sozialen Umfeld wahrgenommen, was auch den Angehörigen zu Gute kommt. Dank der Ressourcenorientierung wird Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht, indem eigene Stärken des sozialen Umfelds trotz der emotionalen Ausnahmesituation herausgearbeitet werden und damit eine längerfristige, tragfähige Unterstützung entstehen kann. Hinzu kommen Spezialkenntnisse der Sozialen Arbeit, zu denen der Umgang mit Behörden, das Klären von Versorgungsansprüchen sowie das Wissen um Hilfsmittel zählen.914 Eine fruchtbare Zusammenarbeit ergibt sich besonders im Miteinander von Sozialer Arbeit, Gemeindepädagogik und Pfarramt. Das professionelle Proprium von Gemeindepädagogen und Gemeindepädagoginnen sowie Pfarrern und Pfarrerin910 Gerhard Wegner, Religiöse Kommunikation und Kirchenbindung, a.a.O., 65. 911 Vgl. Isolde Karle, Das Streben nach Glück. Eine Auseinandersetzung mit der Beratungsgesellschaft, in: Heinrich Bedford-Strohm (Hg.), Glück-Seligkeit. Theologische Rede vom Glück in einer bedrohten Welt, Neukirchen-Vluyn 2011, 51–68; hier: 56f. 912 Ebd., 57. 913 Gian Domenico Borasio, Über das Sterben, a.a.O., 83. 914 Vgl. ebd., 84f.

131

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

nen ist, dass sie einer verengten Sichtweise auf den Menschen am Lebensende mit dem christlichen Menschenbild entschieden entgegentreten. Allerdings wird dies durch ein Sinken der Nachfrage bezüglich des kirchlichen Gesprächsangebotes über Sterben und Tod erschwert.915 Als ansprechbares und glaubwürdiges Gegenüber im Blick auf die existentielle und persönliche Frage nach dem eigenen Lebensende erlebt und erfahren zu werden, ist eine große und wichtige Zukunftsaufgabe der Kirche. Wie unter einem Brennglas bündelt sich hier, ob Kirche sowohl im Kleinen als auch im Großen eine Relevanz hat und ob sie den Blick über sich selbst hinaus auf Gott, den Ermöglichungsgrund unserer nicht zeitlich begrenzten Hoffnung, öffnet. Gelingt es, dem Lebensende und dem damit verbundenen Schrecken die frohe Botschaft entgegenzusetzen? Das eigene Lebensende geht uns alle unweigerlich, unmittelbar und unbedingt an und darf deshalb auch im Kontext religionspädagogischer und gemeindepädagogischer Bemühungen keineswegs übergangen werden.916 Zur „Thanatagogik“ genannten „systematischen Auseinandersetzung mit den Themen ,Sterben und Tod‘ in allen Bereichen der Pädagogik“917 gibt es im gemeindepädagogischen Bereich kaum detaillierte, umfangreiche Studien.918 Der Aufsatz von Lars Bednorz „Thanatagogik als Lebensbildung“919 betont primär die schulische Bedeutung und fordert eine „curricular manifestierte Thanatagogik“920: „Der Umgang mit todesbezogenen Fragestellungen gehört zur Religion und zur Bildung, religiöse Bildung soll ihre Verantwortung bezüglich dieser Themen wahrnehmen und so eine Hilfestellung in der Schule bieten … .“921

915 Vgl. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort, a.a.O., 25. 916 Vgl. Harald Wagner, „Ars moriendi“ und Religionspädagogik, in: Ders., Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi, a.a.O., 156–165; hier: 157f.: „Sterben und Tod dürfen (…) in pädagogischen Bemühungen nicht fehlen. (…) Für die religiöse Erziehung bzw. Religionspädagogik stellt sich diese Aufgabe noch dringlicher. Wenn es richtig ist, daß Religion jene Dimension meint, die ,unbedingt angeht‘ (Paul Tillich), dann hat Religionspädagogik hier ihr besonders genuines Feld.“ 917 Karin Huck, Hilarion Petzold, Death Education, Thanatagogik – Modelle und Konzepte, in: Ina Spiegel-Rösing, Hilarion Petzold (Hg.), Die Begleitung Sterbender. Theorie und Praxis der Thanatotherapie (Vergleichende Psychotherapie Bd. 6), Paderborn 1984, 501–576; hier: 501. 918 Vgl. zu „Hintergrund und Entwicklung der Sterbeerziehung“ vor allem im amerikanischen Kontext ebd., 501–504. 919 Lars Bednorz, Thanatagogik als Lebensbildung, in: Ders., Olaf Kühl-Freudenstein, Magdalena Munzert (Hg.), Religion braucht Bildung – Bildung braucht Religion (FS Horst Fr. Rupp), Würzburg 2009, 53–65. 920 Ebd., 63. 921 Ebd.

132

Christliche Thanatagogik und die frohe Botschaft für mein Leben(sende)

Der 1965 eingeführte Begriff „Thanatagogik“922 hat sich gemeindepädagogisch bisher nicht etabliert. Schon 1984 postulierten Huck und Petzold: „Das Erlöschen der religiösen und familiären Traditionen der ars moriendi wird es aber notwendig machen, eine Thanatagogik zu entwickeln, die (…) eine Lebenslaufperspektive umfaßt und Möglichkeiten zu einem ,guten Sterben‘ vorbereiten hilft.“923 Dabei kann die Thanatagogik nicht wertneutral sein. Das Menschen- und Weltbild ist somit der wesentliche Ansatz- und Ausgangspunkt einer thanatagogischen Betrachtung und basiert als genuin gemeindepädagogische Aufgabe auf der christlichen Anthropologie. „Christliche Thanatagogik“ habe sich gemäß dem katholischen Religionspädagogen Reinhard Göllner „als Trostpraxis, die die Trostbedürftigkeit des Menschen aufgreift“924, zu verstehen. Sie verhilft im Idealfall als “Death education“ dort zu einer Reflexions- und Sprachfähigkeit, wo häufig die Worte fehlen.925 Im kirchlichen Kontext vermag die Thanatagogik ein Gespräch zu initiieren, nicht zuletzt auch insofern, als nach dem Praktischen Theologen Thomas Klie davon auszugehen ist, „dass an zweiter Stelle nach dem Sonntagsgottesdienst die meisten Menschen über Beerdigungen einen gottesdienstlichen Kirchenkontakt wahrnehmen.“926 Aus diesem Grund ist auch die Auseinandersetzung mit den sich im Wandel befindenden Bestattungsformen von Nöten. Eine gemeindepädagogisch und kirchlich verantwortete Thanatagogik sollte sich über diese Berührungspunkte im Klaren sein und dennoch über sie hinausführen. Dabei darf sie den Einfluss medialer Sterbe- bzw. Todesinszenierungen und Berichterstattungen nicht unterschätzen, sondern muss gerade durch ihren Alltagsbezug in die ihr genuine „Kommunikation des Evangeliums“927 eintreten. Wichtig wird in der Praxis aber immer wieder 922 Vgl. Karin Huck, Hilarion Petzold, Death Education, Thanatagogik – Modelle und Konzepte, a.a.O., 502. 923 Ebd., 504. 924 Reinhard Göllner, Kindliche Todesvorstellungen und Trauerreaktionen begleiten. Eine Thanatagogik für Kinder, in: Ders. (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod, a.a.O., 135–163; hier: 163. 925 Vgl. Harald Wagner, „Ars moriendi“ und Religionspädagogik, a.a.O., 158: „Begriff und Sache von ‘Death Education‘ und ,Thanatagogik‘, die seit Beginn der sechziger Jahre in den USA auftauchen, waren daher von Anfang an nicht auf den schulischen Religionsunterricht beschränkt … .“; vgl. Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 226: „Noch gibt es keine ‘death education‘, wie sie in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien bereits institutionell verankert ist (…).“ 926 Thomas Klie, Bestattungskultur, a.a.O., 235. 927 Ernst Lange, Kirche für die Welt, a.a.O., 101: „Wir sprechen von Kommunikation des Evangeliums und nicht von ,Verkündigung‘ oder gar ,Predigt‘, weil der Begriff das prinzipiell Dialogische des gemeinten Vorgangs akzentuiert und außerdem alle Funktionen der Gemeinde, in denen es um die Interpretation des biblischen Zeugnisses geht – von der Predigt bis zur Seelsorge und zum Konfirmandenunterricht – als Phasen und Aspekte ein- und desselben Prozesses sichtbar macht.“

133

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

die Erkenntnis sein, dass theologisches Berufswissen und eigene Glaubensüberzeugungen hier Hand in Hand gehen.928

Glaubwürdige Sehnsucht nach Abrundung Der christliche Glaube speist sich aus der Bibel und ihrer Verkündigung, geht aber eine Verbindung mit dem Wissen ein, das sich gesellschaftlich und kulturell im Umlauf befindet.929 Alltagsrelevantes, interdisziplinäres Einordnungswissen beeinflusst die Wahrnehmung und Reflektion des Lebensendes. Die Offenheit für die Erfahrungs- und Gefühlswelt anderer Menschen ist ferner eine wesentliche Quelle der jeweiligen Haltung zum Lebensende und für diejenigen, die in der Kirche tätig sind, wichtiger denn je. All diese Faktoren ermutigen und befähigen dazu, als Anwälte und Anwältinnen für die menschliche Unverfügbarkeit und Sichtbarkeit am Lebensende einzutreten, einen Kontrapunkt zu Optimierungszwängen, Enteignung und Anonymisierung des Lebensendes zu verkörpern und dabei gleichzeitig kompetent in einer überfordernden Situation zu einer verantwortbaren Komplexitätsreduktion durch möglichst umfangreiche Kenntnisse aus fachfremden Bereichen wie Pflege, Medizin, Bestattungswesen, Recht, Soziologie etc. beizutragen. Im Idealfall bieten Gemeindepädagogen und Gemeindepädagoginnen sowie Pfarrer und Pfarrerinnen also möglichst viele Informationen aus einer Hand, ohne aber theologisch Entscheidendes zu übergehen bzw. gar zu verschweigen. Wer die eigene Sehnsucht nach einem glaubwürdigen Halt im Leben und im Sterben kennt und ernst nimmt, kann für andere Suchende zum Weggefährten oder zur Weggefährtin werden, Anregungen und Impulse geben und auch selbst erhalten. Der Spiegel-Autor Mathias Schreiber begibt sich auf solch eine mitteilenswerte Suche und spricht von einem „metaphysischen Grundbedürfnis des Menschen“930, welches zunehmend mit „Kritik an billigem naturwissenschaftlichem Materialismus und konsumistischem Zynismus“931 verbunden sei. Er nennt dies die „entschiedene Abwendung vom naturwissenschaftlichen Desillusionierungszwang“932. 928 Vgl. Birgit Weyel, Tobias Weimer, Biographie und Eschatologie. Eine Umfrage zur Bestattungspredigt in Württemberg, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung, a.a.O., 122–128; hier: 128. 929 Vgl. zum biblischen Verständnis des Lebensendes z.B. Alexander A. Fischer, Der Tod im Alten Testament und sein altorientalischer Kontext, in: Ulrich Volp (Hg.), Tod, a.a.O., 11–56; Manuel Vogel, Der Tod im Neuen Testament vor dem Hintergrund antiker ars moriendi, in: Ulrich Volp (Hg.), Tod, a.a.O., 57–115. 930 Mathias Schreiber, Was von uns bleibt. Über die Unsterblichkeit der Seele, München 2008, 11. 931 Ebd. 932 Ebd., 124.

134

Glaubwürdige Sehnsucht nach Abrundung

Mit dem Mut zu einer unwissenschaftlichen Betrachtungsweise verleiht Schreiber dem Gefühl unzähliger Menschen Ausdruck. Für ihn steht außer Frage, dass der Mensch mehr als ein vergänglicher Zellhaufen sein müsse und dass es keineswegs bedeutungslos sein könne, ob eine gerechte Lebensführung angestrebt werde oder nicht. Dieses Gefühl führe zu einem Glauben: „Geboren aus dem Bauch und dem hartnäckigen Bestreben jedes von der Wirklichkeit tendenziell überforderten Geistes nach Reduktion von Komplexität. Nötig auch deshalb, weil das Leben zu kurz ist für die endgültige Klärung letzter Fragen.“933 Intuitiv wohne Menschen eine große Sehnsucht nach Beständigkeit und nach „Ab-Rundung“ aller Dinge inne.934 Schreiber erklärt dies mit einem spontanen Urvertrauen in die Ganzheit jedes Dinges. Als Beispiele führt er unsere partielle Erfahrung von der Erde und unser Wissen um ihre Ganzheit sowie ein Gebirge an, hinter dem Betrachtende unbesehen und selbstverständlich glaubten, dass es mit Tal, Ebene oder einem neuen Berg weitergehe. Angesichts dieses kosmisch inspirierten Vorlaufes wäre ein bloßes Aufhören der menschlichen Existenz einfach nicht rund.935 Kritik zuvorkommend fordert Schreiber die Umkehrung der üblicherweise eingeklagten Beweispflicht ein. Nicht länger solle sich zu rechtfertigen haben, wer von der selbstverständlichen Abrundung aller Existenzen ausginge, sondern vielmehr diejenigen, die den Beweis für die radikale Todesthese schuldig blieben.936 Mit seinem Glauben an die Abrundung aller Existenzen befindet sich Schreiber in bester Gesellschaft. Der evangelische Theologe Jörg Zink geht einem ähnlichen Gedanken im Blick auf unser Verständnis von „diesseits“ und „jenseits“ nach: „Ich stehe vor einem Haus. Ich sehe seine Vorderseite. Die Rückseite sehe ich nicht. Aber bedeutet dies, dass der hintere Teil des Hauses nicht mehr zum Haus gehört? (…) Es ist dasselbe Haus. (…) Wenn die Welt eine ist, wenn Gott also keineswegs nur die andere Welt bewohnt, (…) dann verändert sich mir auch der Sinn meines Sterbens und meines Todes.“937 Ähnlich legt der 2021 verstorbene katholische Theologe Hans Küng Wert auf die Feststellung: „Wer zugibt, daß er nicht hinter das große Portal schauen kann, darf logischerweise auch nicht behaupten, dahinter sei nichts.“938 Das Grundproblem, wenn wir das umfassende Geheimnis unserer Existenz in die ein oder andere Richtung zu lösen versuchen, um Beweise liefern zu wollen, liegt darin, dass wir dies als Verstandeswesen unter Zuhilfenahme unseres 933 Ebd., 125f. 934 Ebd., 145. 935 Vgl. ebd. 936 Vgl. ebd. 937 Jörg Zink, Auferstehung, a.a.O., 27f. 938 Hans Küng, Menschenwürdig sterben, in: Ders., Walter Jens (Hg.), Menschenwürdig sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung, München 1996, 13–85; hier: 28.

135

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

Verstandes versuchen.939 Wir gehen von uns selbst aus, was unsere Sichtweise entscheidend verkürzt. Beim biblischen Prediger begegnet uns diese von Gott gegebene Sehnsucht nach Ewigkeit ebenso wie die existentielle Kurzsichtigkeit des Menschen: „Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende“ (Pred. 3,11). Sprechen wir über diese Sehnsucht in unseren Herzen? Geben wir ihr Raum und das Gewicht, das sie für uns und unsere Frage nach dem eigenen Leben und dem eigenen Lebensende hat? Wichtig ist, dass alle, die in der Kirche tätig sind, selbst die Bedeutung des Glaubens für ihr eigenes Leben und für ihre eigene Profession wahrnehmen, diese authentisch durch ihr Auftreten zum Ausdruck bringen können, um sie so in der kommunikativen Interaktion auch mitteilen zu können. Dafür ist neben dem Glauben natürlich die theologische Denkerfahrung unerlässlich. Setzen wir uns mit dem Lebensende auseinander, so können wir – bildlich gesprochen – nicht einfach in den althergebrachten Fluss der mittelalterlichen ars moriendi, der Kunst des Sterbens, steigen und erwarten, dass man uns Glauben schenkt.940

Die Kunst zu glauben Das biblisch beschriebene Handeln Gottes an uns kann nicht mehr als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Deshalb sollte der Erwerb theologischer Grundkenntnisse gefördert werden, ohne die ein Verständnis des von Gott umfassten und getragenen menschlichen Sterbens unzugänglich bleibt.941 Unerlässliche Vor939 Vgl. Mathias Schreiber, Was von uns bleibt, a.a.O., 137; vgl. zur Begrenztheit der menschlichen Vernunft Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, a.a.O., 25: „Der Tod ist die entscheidende Niederlage der Vernunft, denn der Verstand kann den Tod nicht ,denken‘ – nicht das, was wir über den Tod wissen; der Gedanke des Todes ist – und kann nichts anderes sein als – ein Widerspruch in sich.“ 940 Vgl. Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, a.a.O., 17: „Gerade weil der Begriff Ars moriendi eine auch literarisch eindeutig indentifizierbare theologische Herkunftsgeschichte hat, sollte die heutige Verwendung dieses Begriffs nicht einfach von dieser Herkunftsgeschichte und dem dort wirksamen Grundimpuls abgelöst werden. Andernfalls besteht die Gefahr, daß die Forderung nach einer Ars moriendi für unsere Zeit zum Schlagwort gerät, mit dem letztlich alle möglichen Inhalte assoziiert werden können.“ 941 Vgl. Dietrich Korsch, Antwort auf Grundfragen christlichen Glaubens, a.a.O., 252: „Der Ausgangsgedanke für das christliche Verständnis des Todes besteht in der Gewißheit von Gottes Wirken, wie sie im eigenen Leben empfunden wird. Daß das je individuelle Leben im Kontext von Natur und Gesellschaft zu sich selber kommt, begründet ja schon den Glauben an Gott den Schöpfer. Daß es am Leben erhalten wird, verdankt es Gott als Regenten der Welt. Daß

136

Die Kunst zu glauben

aussetzung sind u.a. Kenntnisse einer theologischen Anthropologie. Sie vermittelt die christliche Sicht auf das von Gott geschenkte Leben und spart ebenfalls die Bedeutung der Sünde nicht aus. Von „Sünde“ zu sprechen und das auch noch im Zusammenhang mit dem eigenen Tod ruft Unbehagen, wenn nicht gar Ablehnung oder Ängste hervor. Gäbe es ohne Sünde keinen Tod? Wenn Adam als erster Mensch für die Sünde verantwortlich war, was und warum hat das dann überhaupt mit mir zu tun? Romano Guardini, ehemaliger Inhaber des Lehrstuhles für Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie, gibt folgende Antwort: „Auch wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, wäre sein Leben zu Ende gegangen, denn es gehörte ja der Zeit an; dieses Ende wäre aber nicht der Tod gewesen, wie wir ihn kennen. (…) So können wir nur sagen, daß es ein Ende gewesen wäre, das zugleich Beginn war, ein Überschritt, eine Verwandlung.“942 Es widerstrebt gegenwärtigem Denken, den Verlust dieser Möglichkeit für das eigene Leben zu akzeptieren, wenngleich wir doch immer wieder feststellen, dass wir als Einzelne in Zusammenhängen stehen, die wir nicht allein bzw. nicht selbst verursacht haben.943 Trotz allem Individualismus und allen persönlichen Optimierungsbestrebungen sind und bleiben wir Teil der Menschheit, deren Grenzen auch für uns gelten und aus deren Geschichte wir uns nicht herausdenken, geschweige denn herausnehmen können. Diese Geschichte der Menschheit, die Geschichte Gottes mit uns Menschen, erhält in Jesus Christus eine neue entscheidende Perspektive, eine neue entscheidende Möglichkeit, die uns durch die Menschwerdung Gottes im Glauben Anteil an der Überwindung des Todes verheißt. Die für das Christentum zentrale Sicht kann hier nur schlaglichtartig angedeutet werden und zwar unter Zuhilfenahme des Buches „Das verborgene Leben. Eine theologische Anthropologie“944 des evangelischen Systematischen Theologen Gerhard Sauter. Zu Studienzwecken, zur Aus- und Fortbildung sowie zur Bereicherung der theologischen Diskussion findet sich in diesem Buch eine dichte und stringente Argumentation, die stets das Wichtigste im Blick behält, nämlich die Hoffnung, die wir für unser Leben haben dürfen. „Es bedarf gründlicher und weitgespannter theologischer Vorbereitung, damit weder zu viel noch – heute vielleicht die größere Gefahr! – zu wenig gesagt wird.“945 es trotz allen Versagens, gegen die Sünde, eine Aussicht auf Zukunft hat, geht auf die Gewißheit zurück, die sich an die Geschichte Jesu Christi knüpft. Gott als der alles bestimmenden Wirklichkeit darf man es zutrauen, diese Bestimmung auch im Tod und jenseits des Todes vorzunehmen.“ 942 Romano Guardini, Die letzten Dinge. Die christliche Lehre vom Tod, der Läuterung nach dem Tode, Auferstehung, Gericht und Ewigkeit, Kevelaer 2019, 22f. 943 Vgl. ebd., 23. 944 Gerhard Sauter, Das verborgene Leben. Eine theologische Anthropologie, Gütersloh 2011. 945 Ebd., 322f.

137

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

Hand in Hand geht diese theologische Vorbereitung idealer Weise mit der von Gott geschenkten und gewirkten Glaubenserfahrung, die es ermöglicht, sich von Gott begleitet und getragen zu erleben. Einzig in der Glaubenserfahrung kann eine Selbstwahrnehmung erfolgen und diese wird mir gewährt, ohne dass ich sie selbst erringen oder bewerkstelligen könnte.946 Mein eigenes „Machen“ ist nicht länger relevant. Es führt zu nichts. Was wir ohne unser Zutun erhalten, kann nicht weniger als das Geschenk des Glaubens sein. Warum fällt es oft so schwer, dies einfach zu akzeptieren? Haben wir nicht alle bereits ein Geschenk erhalten, als wir auf die Welt gekommen sind? Dieses Geschenk ist nicht nur über alle Maße bereichernd, es ist auch in einer Art und Weise entlastend, die wir weder uns selbst noch anderen zu Teil werden lassen können. Dem die Lebensfreude zersetzenden Gefühl, sich selbst permanent rechtfertigen zu müssen, wird der Boden entzogen. In Gottes Augen ist es nicht entscheidend, was wir geworden sind oder was wir hätten werden können, wenn die Voraussetzungen andere gewesen wären bzw. wir uns mehr und intensiver angestrengt hätten. „Alle Unterschiede, in denen Menschen leben und auf Gedeih und Verderb existieren müssen, bleiben gegenüber diesem ,Sich-geschenkt-worden-Sein‘ äußerlich, so gewichtig und bedrängend sie oft auch sind.“947 Mein Leben stammt nach christlichem Glauben aus Gottes Hand. Welche enorme Bedeutung das für das eigene Leben und alle nichtigen Bemühungen um Selbstoptimierung hat, muss immer wieder hoffnungsvoll und in aller Klarheit als Kommunikation des Evangeliums, als Kommunikation der frohen Botschaft, laut werden. Ich muss nicht länger einem kaum erreichbaren und definitiv nicht auf Dauer haltbaren Zerr- und Idealbild meiner Selbst nachjagen, sondern darf mich selber und mein Leben annehmen. Ich darf Gott an mir wirken lassen.948 Bereits aus unserem Geboren-Sein ergibt sich, dass wir uns nicht uns selbst verdanken. Geburt und Lebensende ist gemeinsam, dass sie unserer Verfügung entzogen sind, für den Glaubenden aber seine Zugehörigkeit zu Gott zum Ausdruck bringen. Diese gläubige Zugehörigkeit, die nichts von sich selbst, sondern alles von Gott, unserem einzigen Trost im Leben und im Sterben, erhofft, gilt es zur Sprache zu bringen.949 Der katholische Religionssoziologe Paul M. Zulehner hebt hervor, was an dieser Sicht- und Lebensweise bereichernd ist: „Spirituelle Menschen (…) bereiten sich auf das Sterben am Ende des Lebens vor, indem sie schon inmitten des Lebens so sehr in Gott eintauchen, dass sie sich auch in der Nacht des Todes von Gott gehalten fühlen. Jesus am Kreuz hat diese Haltung vorgelebt. Zwar schreit er aus: ,Gott, 946 Vgl. ebd., 123f. 947 Ebd., 225. 948 Vgl. ebd., 226. 949 Vgl. Otto Weber (Hg.), Der Heidelberger Katechismus, Gütersloh 31986, 15f.

138

Die Kunst zu glauben

mein Gott, warum hast du mich verlassen?‘ Dann aber bricht sein unverbrüchliches Vertrauen in Gott durch: ,In deine Hände empfehle ich mein Leben.‘“950 Jesu Sterben spart Klage und Leid nicht aus. Gerade indem beides Gott gegenüber ausgesprochen wird, erfährt der Glaube in tiefster Angst eine Bekräftigung. Gott ist und bleibt das wichtigste Gegenüber, derjenige, an den ich mich in und trotz aller Not wenden kann. Das, was verstörend und irritierend wirkt, ist für Käßmann auch ein Schlüssel zum Gottvertrauen. Weil Jesus selbst diese Angst vor dem Tod und im Sterben dieses Gefühl der Gottverlassenheit gekannt habe, könne sie sich Gott anvertrauen. Sie könne zu Gott schreien und würde sich dabei nicht im Leeren verlieren, weil Gottes Sohn selbst geschrien habe. Gott wisse, wovon sie rede. Menschliche Ängste und Zweifel seien nicht vom Glauben zu trennen, sondern Bestandteil des Dialogs mit Gott.951 Das Kreuz versinnbildlicht diese Glaubenszuversicht, ohne dabei Schmerz und Leid zu übergehen.952 Gleichwie Jesus Christus die Schwachheit am Kreuz erfahren und durchleiden musste, wird das Leben derer, die ihm nachfolgen, keineswegs nur durch Phasen der Kraft und Stärke geprägt sein. An und von Christus lernen wir, in Situationen der Schwäche und Aussichtslosigkeit aus der Kraft Gottes heraus zu leben und auf sie zu setzen (2 Kor 13,4).953 Glaube und Vertrauen sind keine Garantie für ein sorgenfreies Leben, aber sie grundieren die eigene Existenz nachhaltig. Der Tod und das von ihm gebrachte Leid werden nicht schön geredet. Vielmehr gilt: „Nicht mit dem Tod, sondern mit Gott weiß sich der christliche Glaube versöhnt.“954 Eindrücklich schildert dies Nikolaus Schneider, dessen Tochter Meike an Leukämie gestorben ist: „Meikes Sterben hat mich gelehrt, dass die Bitte an Gott, verschont zu bleiben, nicht taugt. Wenn wir mit unseren Bitten an Gott zugleich mit der Erfüllung unserer Wünsche rechnen, dann wird uns das Leben unser Gottvertrauen zerstören. Es taugt nur die Bitte, dass wir Gottes Geleit bei allem erfahren, was uns geschieht und was wir tun. (…) Der Blick auf Christus lehrt uns, trotz allen Enttäuschungen und offenen Fragen Gott als liebenden Vater zu sehen.“955 Glaube und Vertrauen verändern Menschen derart, dass sie eine neue Sicht auf das eigene Leben einnehmen können und im Vernehmen der Gottesrede sich 950 Paul M. Zulehner, Jedem seinen eigenen Tod. Für die Freiheit des Sterbens, Ostfildern 2001, 44. 951 Vgl. Margot Käßmann, Das Zeitliche segnen, a.a.O., 126; vgl. Nikolaus Schneider, Das Richtige sagen können, a.a.O., 290. 952 Vgl. Margot Käßmann, Das Zeitliche segnen, a.a.O., 129. 953 Vgl. Otto Kaiser, Eduard Lohse, Tod und Leben, Stuttgart 1977, 140. 954 Ulrich H. J. Körtner, Bedenken, daß wir sterben müssen, a.a.O., 30. 955 Nikolaus Schneider, Das Richtige sagen können, a.a.O., 291; vgl. Herbert Vorgrimler, Von der Gegenwart und dem Leben der Toten, in: Anton Bauer (Hg.), Der Tod wird nicht mehr sein. Beerdigungsansprachen, Ostfildern 21996, 13–32; hier: 32: „Oft hat ein Tod in der Tat keinen Sinn, aber immer hat er das eine Ziel, das Gott selber ist: Gott reißt nicht heraus, aber er nimmt bei sich auf.“

139

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

selbst befreiend gegenübergestellt werden.956 Diese Gegenüberstellung bringt es mit sich, dass wir davon Abstand nehmen werden, uns selbst abschließend zu beurteilen oder uns verzweifelt vor uns selbst und anderen zu rechtfertigen.957 All unsere Versuche, unser eigenes Leben durch materielle Sicherheiten, Anerkennung und Leistung aufzuwerten, werden keinen Bestand haben, und wir werden ihre Vergänglichkeit in Anbetracht des Lebensendes umso schmerzlicher empfinden, je mehr wir uns auf sie verlassen haben. Tragfähig sein wird aber die hoffnungsvolle neue Sichtweise, durch die wir im Glauben befreit werden. Es ist eine Sichtweise, die von der Nötigung zur Lebensbilanzierung und zur Revision frei macht und deren unvermeidbare Fehlerträchtigkeit eingesteht. Selbstkritisch haben wir uns auch in Seelsorge, Verkündigung und Lehre zu fragen, ob wir uns und anderen eingestehen, dass auch wir – wie es bei allen Menschen der Fall ist – dazu neigen, angestrebte Objektivität und vorherrschendes Meinungsbild trotz bester Vorsätze ineinander übergehen zu lassen, weil niemand voraussetzungslos zu existieren vermag.958 Theologische Bildung ist deshalb als Korrektiv unerlässlich, um achtsam und wachsam Deutungen entgegentreten zu können, die menschliches Leben kategorisieren und etikettieren. Durch theologische Denkerfahrungen werden Glaubenserfahrungen mitteilbar.959 Glaubenserfahrungen finden sich verdichtet auch in Todesanzeigen und rühren auf ihre eigene Weise an. So ergreift etwa den ehemaligen Soziologieprofessor Peter Gross ein von seiner verstorbenen Frau Ursula für ihre Traueranzeige selbst gewählter Satz des Mystikers Angelus Silesius: „Wenn ich in Gott vergeh‘, so komm‘ ich wieder hin, wo ich in Ewigkeit vor mir gewesen bin.“960 Gross teilt seine Emotionen mit: „Wie unendlich schön! Wie dunkel und dennoch klar! Dieser Satz wird mir immer bleiben.“961 Das, was sich hinter der Grenze des Lebensendes befindet, liegt im Dunklen. Wer für sich die Frage „Was glaube ich?“ auf Gott hin ausgerichtet beantwortet, der tut dies vielleicht in Anfechtung und Zerrissenheit, wie der Vater des besessenen Jungen in Mk 9,24, der an Jesus gerichtet schrie: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben.“ Wo der Glaube der Hilfe bedarf, unser Herz noch unruhig ist, verheißt die frohe Botschaft fruchtbringend zu wirken, gibt es eine Hoffnung, die im Leben und im Sterben tragen will. Diese Hoffnung ruht auf Jesus Christus, der uns verheißt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12) 956 Vgl. Gerhard Sauter, Das verborgene Leben, a.a.O., 124f. 957 Vgl. ebd., 147. 958 Vgl. ebd., 302. 959 Vgl. ebd., 125. 960 Peter Gross, Ich muss sterben. Im Leid die Liebe neu erfahren, Freiburg im Breisgau 2015, 18. 961 Ebd.

140

Das letzte Wort über mein Leben

Diese Hoffnung kann sich vielgestaltig, durchaus auch tiefsinnig-humorvoll zeigen wie etwa in jener Inschrift, die sich der amerikanische Drucker, Erfinder, Schriftsteller, Verleger und Politiker Benjamin Franklin auf seinen Grabstein einmeißeln ließ: „Hier liegt der Leib Benjamin Franklins, eines Buchdruckers gleich dem Deckel eines alten Buches, aus welchem der Inhalt herausgenommen und der seiner Inschrift und Vergoldung beraubt ist, eine Speise für die Würmer. Doch wird das Werk selbst nicht verloren sein, sondern, wie er glaubt, dermaleinst erscheinen in einer neuen schöneren Ausgabe, durchgesehen und verbessert von Verfasser.“962

Das letzte Wort über mein Leben Hoffnung gehört zum Menschen, da sie eine existentielle Dimension hat. Gestehen wir uns diese existentielle Dimension in all ihren Ausdrucksformen zu oder verengen wir selbst unseren Blick? Reicht es uns, im Tod das „Hinabsteigen in ein entpersonalisiertes Nichtsein“963 zu sehen, oder erhoffen wir uns einen Ausblick, einen Lichtblick, eine Perspektive über unser eigenes Lebensende hinaus? Reicht die Hoffnung im Blick auf uns überhaupt weiter, als jene, dass unser Körper möglichst lange seine Funktionsfähigkeit in möglichst gutem Zustand erhält? Laut Reimer Gronemeyer befänden wir uns inmitten eines Prozesses der Säkularisierung und Medikalisierung von Sterben und Tod. Das Seufzen der Kreatur gelte nicht mehr der Furcht vor der Waage, auf der die Seele nach dem Tod als zu leicht befunden werden könne, sondern der Angst vor Schmerzen, Atemnot, Inkontinenz, abgelehnter Lebensverlängerung und Intensivmedizin.964 Diese Änderungen sind gravierend. Wer will, kann bei oberflächlichen oder einseitigen Betrachtungsweisen verharren, oder sich akribisch auf Detailwissen konzentrieren, um so zumindest den Eindruck zu haben, einen exklusiven Einblick in den Tod zu bekommen. Auf die lange Sicht stellen sich dann aber möglicherweise doch die ganz existentiellen Fragen, die mich, mein eigenes Leben und mein eigenes Lebensende ganz konkret betreffen. Was wird aus meinem Ich im Tod? 962 Zit. nach: Jörg Zink, Auferstehung, Stuttgart 2005, 97. 963 Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, a.a.O., 81. 964 Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 184.

141

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

Wird das, was zeitlicher und vergänglicher Natur gewesen ist, von Gott ins wahre, ewige Leben, in seine Nähe überführt werden? Glaube ich so stark daran, dass es mich durch Furcht im Angesicht des Todes tragen wird?965 Menschen, die dem Christentum kritisch bzw. ablehnend gegenüberstehen, wie der Autor Christian Schüle, sehen es dennoch als Zivilisationsleistung des Christentums an, dem Tod durch Christi Tod einen Sinn gegeben zu haben.966 Schüle stellt einen Vergleich zwischen dem christlichen Menschenbild und dem Menschenbild der Gegenwart an. Während das christliche Menschenbild von der Gottesverfügung des Menschen ausgehe, gehe das Menschenbild der Gegenwart von dessen Selbstverfügung aus.967 Aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen sei eine „Selbstbildlichkeit“968 geworden und es gebe Tendenzen zur „Selbstvergöttlichung des Menschen“969. Die Auseinandersetzung mit Tendenzen und Trends der Gegenwart, die auch in diesem Buch in Ansätzen nachgezeichnet wurde, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die traditionelle Orientierung am christlichen Glauben „Teil an der Optionsgesellschaft“970 hat und dass dieser christliche Glaube eine Option ist und bleibt. Für Christen und Christinnen ist sie jedoch mehr als eine unter vielen Möglichkeiten. Sie ist die einzig tragfähige Sinnstiftung im Leben und im Sterben. Natürlich kann dabei nicht einfach auf die mittelalterliche ars moriendi zurückgegriffen oder an ihr angeknüpft werden. Die Fragen vergangener Zeiten sind nicht automatisch deckungsgleich mit den unsrigen, da bereits Faktoren wie Lebenserwartung, Sicherheit und persönliche Entfaltungs- bzw. Gestaltungsmöglichkeiten kaum vergleichbar sind. Insbesondere hat sich die Bedeutung des Glaubens und seiner kirchlichen Verkündigung sowohl im Leben der Einzelnen als auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung eklatant verschoben.971 Kirchliche Angebote haben sich auf dem „Sterbemarkt“972 zu behaupten, müs965 Vgl. Gerhard Lohfink, Der Tod ist nicht das letzte Wort. Meditationen, Freiburg im Breisgau 3 1976, 32f. 966 Vgl. Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 54. 967 Vgl. ebd., 55. 968 Ebd. 969 Ebd. 970 Heinzpeter Hempelmann, Milieus, Megatrends und Mentalitäten a.a.O., 54; vgl. Christoph Doll, Veränderungen in der Bestattungskultur und ihre Auswirkungen für Pfarrerinnen und Pfarrer, a.a.O., 115: „Wo Menschen glauben, sich und ihr soziales Umfeld permanent nach eigenen Vorstellungen modellieren zu müssen, dort ist Vertrauen auf die orientierende Kraft von überindividuellen Traditionen und überkommenen Bewältigungsmustern spezifischer Lebenssituationen nichts Selbstverständliches mehr.“ 971 Vgl. Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, a.a.O., 38; vgl. Josef Manser, „Wer mich zum Freunde hat, dem kann’s nicht fehlen“. Versuch einer spirituellen Theologie zur Ars moriendi heute, in: Harald Wagner, Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi, a.a.O., 67–98; hier: 69f. 972 Reimer Gronemeyer, Andreas Heller, In Ruhe sterben, a.a.O., 54.

142

Das letzte Wort über mein Leben

sen sich das „Multioptionsdilemma des Sterbens“973 klar machen und sich mit dem damit verbundenen „Gestaltungszwang“974 auseinandersetzen. Sie sollten dies selbstsicher und professionell tun. Wichtig ist, dass kirchliche Angebote marktfähig bleiben, ohne jedoch marktförmig zu werden, d.h. es gilt zu vermeiden, anbiedernd die Glaubwürdigkeit zu verlieren.975 Gelingt es, der tröstenden Kraft der christlichen Auferstehungshoffnung auch im sozialen und öffentlichen Leben Gehör zu verschaffen, dann werden auch zunehmend mehr Menschen hellhörig werden und sehnsüchtig in sich selbst hinein horchen, ob im eigenen Leben diese Hoffnung genügend geistliche Nahrung erhält oder aber einer intensiveren Pflege und Begleitung bedarf.976 Der Rektor des Pastoralkollegs in Loccum, Folkert Fendler, bringt dies für die Kirche auf den Punkt: „Hat sie etwas zu bieten, das die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zieht, ohne sich den Gesetzen des Marktes vollständig zu unterwerfen? Kann sie ihre Botschaft ausrichten nah an den Bedürfnissen des Menschen, ohne mehr nachzulassen, als in ihrer Macht steht und ihr Auftrag ihr einräumt (Mt 16,19)? Man sollte die Erwartungen seiner Kunden vermutlich nicht unterschätzen.“977 Eine solche Erwartung mag sein, dass der christliche Glaube mit einem qualitativ anderen Sterbeprozess assoziiert wird. Inwiefern sich dies mit sozialwissenschaftlichen Methoden überprüfen lässt, bleibt fraglich. Der Mediziner Haider Warraich betont, dass es tatsächlich zahlreiche solcher Studien gäbe, das Problem jedoch sei, dass diese teils negative, teils neutrale, teils positive Beziehungen zwischen Religiosität und Angst spiegeln würden, was wohl auf die enorme Heterogenität der Religion und ihrer Anhänger zurückzuführen sei.978 War früher die Vorbereitung auf das Sterben „einer der wertvollsten Bestandteile der christlichen Ost- als auch Westkirche“979, so trifft dies, was die christliche Dimension anbelangt, kaum noch zu. Eine extreme Reaktion der heutigen Kultur kann darin gesehen werden, „den Tod in einer vitalistischen und promethischen Illusion beharrlich zu leugnen“980 und so der „Heimatlosigkeit des Sterbens“981 nichts 973 Ebd., 53. 974 Ebd. 975 Vgl. Folkert Fendler, Externer Faktor Heiliger Geist. Was Christen von gottesdienstlichen Dienstleistungen halten, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung, a.a.O., 55–63; hier: 59. 976 Vgl. Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, a.a.O., 43. 977 Folkert Fendler, Externer Faktor Heiliger Geist, a.a.O., 59. 978 Vgl. Haider Warraich, Wie wir heute sterben, a.a.O., 157. 979 Vincenzo Paglia, Bruder Tod, a.a.O., 61. 980 Ebd., 62. 981 Reimer Gronemeyer, Andreas Heller, In Ruhe sterben, a.a.O., 9.

143

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

entgegenzusetzen. Das Leugnen ändert nur nichts daran, dass der Tod kommen wird, zu jeder und zu jedem. Ist der Tod schon unumgänglich, so soll zumindest das sich hinziehende Sterben übergangen werden. Gewünscht wird also ein „Tod ohne Sterben“982. Natürlich kann der Tod auch philosophisch betrachtet werden und mit dem Eingeständnis der vollkommenen Unkenntnis und dem daraus resultierenden Unvermögen, sich auf ihn vorzubereiten, einhergehen.983 Folgt aus dieser Haltung „Demut vor dem Mysterium“984, wäre dies eine Position, die zumindest davor bewahren könnte, sich selbst als Herr bzw. Herrin über das eigene Leben zu fühlen und letztendlich doch das ernüchternde Gegenteil buchstäblich am eigenen Leib erfahren zu müssen. Im traditionellen Weltbild stand die enge Bindung an Gott außer Frage. Das hat sich geändert.985 Ulrich Beck führt aus: „Der Tod – nicht als Übergang, sondern als Ende, und zwar als absolutes und unerbittliches Ende – entsteht erst mit und in der Existenzform des eigenen Lebens. Das eigene ist das im radikalen Wortsinn vergängliche Leben. (…) Der kosmisch-religiöse ebenso wie der gesellschaftlichpolitische Erlösungsglaube sind entzaubert, in seiner Selbstverständlichkeit zerbrochen. (…) Das eigene Leben ist – allein seinem Begriff folgend – der Versuch, die Versuchung, in sich selbst Grund, Kraft, Ziel der Selbst- und Weltgestaltung zu finden. Dieser Versuch ist, von seinem Ende her gesehen, vom Scheitern bedroht.“986 Die „Illusion der Selbstmächtigkeit“987 wird angesichts des eigenen Lebensendes zur Hybris. Wir haben als hoffnungslose „Diesseitskrüppel“988 einen schlechten Tausch gemacht, da wir zwar länger leben, unser Leben jedoch „um eine Ewigkeit kürzer“989 geworden ist. Befinden wir uns im „Zeitalter der ,Egolatrie‘“990? Kennt unser „Ich-Kult“991 keine Grenzen mehr? Treibt mich die Angst vor dem Ende meines Lebens unablässig dazu an, nach „neuen Kathedralen der Sicherheit“992 Ausschau zu halten oder diese selbst für mich zu errichten? Gewinne ich mit dieser Vorgehensweise Erkenntnisse darüber, was nach meinem Lebensende kommen wird? Die Frage, 982 Ulrich Beck, Eigener Tod – eigenes Leben, a.a.O., 128. 983 Vgl. Vincenzo Paglia, Bruder Tod, a.a.O., 68. 984 Ebd. 985 Vgl. Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, a.a.O., 21: „Der heutige Mensch hat eine schwache Bindung an Gott und eine enge und positive Bindung an sein eigenes Leben und dasjenige seiner Bezugspersonen.“ 986 Vgl. Ulrich Beck, Eigener Tod – eigenes Leben, a.a.O., 125. 987 Christian Schüle, Wie wir sterben lernen, a.a.O., 23. 988 Reimer Gronemeyer, Andreas Heller, In Ruhe sterben, a.a.O., 16. 989 Ebd., 36. 990 Vincenzo Paglia, Bruder Tod, a.a.O., 143. 991 Ebd. 992 Ulrich Beck, Eigener Tod – eigenes Leben, a.a.O., 126.

144

Das letzte Wort über mein Leben

ob bzw. wie es nach dem Lebensende weitergeht, beschäftigte die Menschheit seit je her.993 Warum sollte ich mich dabei schlauer anstellen, als dies die unzähligen Menschen getan haben, die vor mir gelebt haben und gestorben sind? Fragen müssen nicht immer abschließend beantwortet werden, insbesondere dann nicht, wenn es um die etwaige Zukunft des Menschen jenseits der Todesgrenze geht. Das Lebensende wirft Fragen auf, die wir trotz aller technischen, wissenschaftlichen und professionellen Fortschritte nicht abschließend werden beantworten können. Es bestehe vielmehr die Gefahr, erkennt Reimer Gronemeyer, dass das Lebensende von einer Professionalität kolonisiert werde, die unlösbare Fragen gar nicht erst aufkommen lassen wolle.994 Fragen und Hoffnung im Blick auf das Lebensende gehören zusammen, können nicht durch professionelles Wissen und Erkennen ersetzt werden, da sie etwas gänzlich anderes sind. Wer hofft, blendet deshalb nicht die Wirklichkeit „mit ihren Widersprüchen, Schrunden, Abgründen, mit ihrem Dunklen und Widersinnigen“995 aus, sondern baut darauf „dass alles umfangen ist von einem letzten Sinn und einmündet in eine letzte Versöhnung und Heilung, ohne aber das Wie und das Was zu wissen“996. Indem wir nach der christlichen Hoffnung fragen, uns und anderen diese „zu-muten“, werden wir durch diese Hoffnung auf eine von Gott verheißene Zukunft hin offen und bekommen so gerade Mut gemacht.997 Warum sehen wir es so sehr als Schwäche an, wenn wir belastende Fragen haben und uns unsere Mutlosigkeit in Anbetracht des Sterbens eingestehen? Zwei Jahre vor ihrem eigenen Tod hat die Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz Worte hierfür gefunden: „Nicht mutig Die Mutigen wissen Daß sie nicht auferstehen Daß kein Fleisch um sie wächst Am jüngsten Morgen Daß sie nichts mehr erinnern Niemandem wiederbegegnen 993 Vgl. Oliver Müller, Altern. Sterben. Tod, a.a.O., 274: „Archäologen fanden in Nordspanien 60.000 Jahre alte Knochenreste, die von Neandertaler-Leichen stammen, die gruppenweise an besonderen Orten und mit wertvollen Beigaben abgelegt worden waren. Offensichtlich hatten die Menschen schon damals bestimmte Vorstellungen von einer möglichen Weiterexistenz nach ihrem Lebensende. Und die Frage danach, was nach dem Leben kommt, hat die Menschheit seitdem nicht losgelassen.“ 994 Vgl. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland, a.a.O., 273. 995 Gisbert Greshake, Leben – stärker als der Tod. Von der christlichen Hoffnung, Freiburg im Breisgau 2008, 29. 996 Ebd. 997 Vgl. ebd., 55.

145

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

Daß nichts ihrer wartet Keine Seligkeit Keine Folter Ich Bin nicht mutig.“998 Thanatopädagogisch versierte Gemeindepädagogen und Gemeindepädagoginnen sowie Pfarrer und Pfarrerinnen müssen selbst nicht mutig sein, sondern vielmehr über ein Fach- und Handlungswissen verfügen, dass sie im Anschluss an einen stets neu zu treffenden Abwägungsprozess bedarfs- und adressatenbezogen weitergeben können. Sie sollten erkennen und deutlich machen können, dass sich der Tod der menschlichen Kontrolle entzieht und dass das Paradigma der Selbstbestimmung hier nicht mehr greift und eine Fiktion ist.999 Leben ist kein biographischer Bastelkasten, sondern eine von Gott erschaffene und ihm verdankte Gabe.1000 Diese Gabe geht mit der Aufgabe einher, Gott und den Mitmenschen gegenüber verantwortlich zu handeln und nimmt dabei das Leben in seiner Gesamtheit ungeschönt wahr und an, blendet also Krankheit, Schwäche und Tod nicht aus.1001 Es geht darum, die „Kernüberzeugungen der christlichen Auferstehungshoffnung in Beziehung zu der Kultur“1002 zu setzen. Dem Bedürfnis nach einem „Regrounding“ kann neben der christlichen Verkündigung mit einer „Neuinterpretation und Vitalisierung alter Rituale“1003 wie etwa dem Angebot von Aussegnung, Aufbahrung und Trauerbegleitung entsprochen werden.1004 Die einfühlsame Kommunikation von Mensch zu Mensch ist hier durch kein anderes Medium zu ersetzen. Im Blick auf die Verkündigungsaufgabe ist entscheidend, dass Kommunikation im kirchlichen Kontext bei allem Einlassen auf Mentalitäten und Lebenswelten eine Kommunikation des Evangeliums ist, die zeigt, dass, wie und warum Jesus Christus im Zentrum unseres Glaubens steht. Auf den Umgang mit Sterbenden bezogen macht Gerhard Sauter klar: „Die 998 Marie Luise Kaschnitz, Kein Zauberspruch. Gedichte, Frankfurt am Main 1972, 57; vgl. Mathias Schreiber, Was von uns bleibt, a.a.O., 127. 999 Vgl. Sibylle Rolf, Der menschliche Tod als Aufgabe und Anfrage an die Theologie, a.a.O., 194; vgl. Ulrich H. J. Körtner, Recht auf Leben – Recht auf Sterben. Autonomie am Lebensende und ihre Grenzen, in: Michael Frieß (Hg.), u.M. von Markus Reutlinger, Wie sterben?, a.a.O., 120–139; hier: 123. 1000 Vgl. Sibylle Rolf, Der menschliche Tod als Aufgabe und Anfrage an die Theologie, a.a.O., 194; vgl. Ulrich H. J. Körtner, Recht auf Leben – Recht auf Sterben, a.a.O., 125: „Im christlichen Kontext lautet die Frage, ob ich selbst der Herr über mein Leben und Sterben bin, oder ob das Leben und der Leib eine Leihgabe Gottes sind, der Rechenschaft von uns fordert, wie wir mit dieser Gabe umgehen.“ 1001 Vgl. ebd., 126. 1002 Heinzpeter Hempelmann, Milieus, Megatrends und Mentalitäten, a.a.O., 68. 1003 Ebd., 69. 1004 Vgl. ebd.

146

Das letzte Wort über mein Leben

Würde Sterbender kann auch verletzt werden, wenn sie nicht für ihr Sterben bereitet werden. Diese Bereitung beruht auf der Verheißung des Lebens mit Gott. Bereitung zum Sterben heißt: diese Verheißung mitteilen. Sie bestreitet dem Tod die Macht, das letzte Wort zu haben.“1005 Daraus ergibt sich die wesentliche Anschlussfrage an unser professionelles Selbstverständnis: „Sind wir hinreichend vorbereitet, dies sagen zu können?“1006 Weil wir von Christus umfangen sind, gibt es einen tragfähigen Trost im Sterben, der uns bereits in der Taufe zugesagt worden ist: „Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln.“ (Röm 6,3f.) Paulus zeigt, dass es Jesus Christus ist, auf den wir uns im Sterben verlassen dürfen. Im Tod sind wir zwar allein, werden aber „doch nicht allein gelassen“1007. Nicht selten ausgespart oder aber belächelt wird das unbequeme Thema Hölle, weil es befremdet oder fremd geworden ist.1008 Der katholische Dogmatiker Gisbert Greshake zeichnet die Rede von der Hölle in das Bild der menschlichen Freiheit ein, die wiederum von Gottes Heilsplan umfasst ist: „Der Mensch kann sich in seiner Freiheit verfehlen und sein Leben endgültig verpfuschen, so hat das alles doch nur dann einen Sinn, wenn die Hölle, das heißt das endgültige Verfehlen menschlichen Lebens, real möglich ist. (…) Aber auch diese Aussage muss noch einmal in einen größeren Zusammenhang gestellt werden: in den Zusammenhang des universalen Heilswillens Gottes.“1009 Obwohl die menschliche Freiheit sich aus der menschlichen Ichbezogenheit und Selbstherrlichkeit heraus zum Schlechten ausgestalten lässt und dann auch Konsequenzen hat, bleibt der grundsätzliche Wille Gottes davon unberührt, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen mögen (1 Tim 2,4). Der Mensch kann in seiner Freiheit den Dialog mit Gott verweigern, sich auf sich selbst zurückziehen, und somit dem eigenen Heil, das es dem christlichen Glauben gemäß nur in Gott gibt, den Rücken zukehren.1010 Greshake warnt: „Ich darf hoffen, darf vertrauen, darf erwarten, dass niemand sich in der eigenen Hölle festfährt. Aber ich kann es nicht wissen und vermessen damit kalkulieren, dass jedes menschliche Leben letztlich gelingt.“1011 Nötigt die christliche Seelsorge Sterbenden eine christliche Sichtweise auf? Insofern, als es nicht um Rechthaberei, sondern um das Angebot einer tragfähigen 1005 Gerhard Sauter, Das verborgene Leben, a.a.O., 321. 1006 Ebd. 1007 Ebd., 312. 1008 Gisbert Greshake, Leben – stärker als der Tod, a.a.O., 202. 1009 Ebd., 210. 1010 Vgl. ebd., 214f. 1011 Ebd., 225f.

147

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

Hoffnung geht, läuft diese Kritik ins Leere. Professionalität im kirchlichen Raum hat buchstäblich ihre “professio“, d.h. ihre öffentliche Erklärung, ernst zu nehmen, und im Sinn von 1 Petr. 3,15 bereit zur Verantwortung vor jedermann zu sein, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in ihr ist. Diese Hoffnung hat einen festen Grund: „Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir dem Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.“ (Röm 14,7-9) Die christliche Sicht auf den Menschen nimmt den Sterbenden nicht in seiner Heilungsbedürftigkeit, dessen unweigerliches Scheitern im Fall des nahenden Todes impliziert ist, sondern in seiner Heilsbedürftigkeit in den Blick.1012 Am Ende des Lebens steht jeder unvertretbar vor dem eigenen Tod. Der Dichter Rainer Maria Rilke sieht diesen eigenen Tod als von Gott umfangen und von Gott gewährt: „O Herr, gib jedem seinen eigenen Tod. Das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not.“1013 Die Bitte um den eigenen Tod setzt voraus, dass es einer solchen Bitte bedarf und es sich somit um keine Selbstverständlichkeit handelt. In Anbetracht von fremdbestimmten, medizin- und techniklastigen Sterbeprozessen liegt der das Eigene aus dem Blick verlierende Tod gefühlt oft näher, als das bewusste, im Einklang mit dem eigenen Leben stehende Lebensende. Dennoch geht jeder Mensch auf ein eigenes Lebensende zu, das sich genormten Erwartungen entzieht, das unberechenbar und einzigartig sein wird und auf das wir uns Zeitlebens oft so wenig haben einstellen können. Das ist eine existentielle Herausforderung, vor der es kein Entkommen gibt. Im Sterben bin ich unvertretbar ich selbst, kann ich mich auf keinen anderen Menschen verlassen und werde noch dazu eines Großteils dessen beraubt, was ich zu sein ein Leben lang angenommen habe.1014 Welch großen, kategorialen, ja gänzlich unermesslichen Unterschied wird es machen, wenn ich mich dort im Glauben von Gott behütet weiß, wo sich sonst der freie Fall ins finale Nichts abzeichnet! Sowohl im Hier und Jetzt als auch darüber hinaus, ist und bleibt für Christen und Christinnen Gottes Treue der haltstiftende Trost. 1012 Vgl. Christoph Breitsameter, Wann dürfen wir sterben? Tun und Unterlassen am Ende des Lebens, in: Reinhard Göllner (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod, a.a.O., 61–75; hier: 74. 1013 Rainer Maria Rilke, Das Stunden-Buch, Leipzig 1972, 94; vgl. Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes, a.a.O., 249, der in Rilkes Gedicht das „Crescendo der Singularisierung des Sterbens“ sieht. 1014 Vgl. Gerhard Sauter, Das verborgene Leben, a.a.O., 314.

148

Das letzte Wort über mein Leben

Mein Lebensende konfrontiert mich mit der Frage nach meiner Identität. Statt nach dem zu fragen, was von mir bleibt, also wieder nur auf mich selbst zu schauen, darf ich fragen: Wer kommt? „Wem begegne ,ich‘ im Tode?“1015 Auf diese Begegnung vorzubereiten, ist eine der wichtigsten Aufgaben von Kirche und Theologie. Von der Begegnung mit Gott, die auch als Gericht bezeichnet wird, ist nicht weniger als die erstmalige Erkenntnis darüber zu erwarten, wer wir selbst in Wahrheit sind. Gottes Blick auf uns wird auch uns die Augen für unser eigenes Leben und Versäumen öffnen, was läuternd und schmerzhaft sein kann. Diesbezügliche Sorgen sind ernst zu nehmen und zugleich ist ihnen die biblische begründete Zuversicht zur Seite zu stellen, dass uns Gott nicht nur als Richter, sondern immer auch als derjenige begegnen wird, dessen Liebe und Erbarmen wir zwar nicht einfordern, wohl aber erhoffen dürfen.1016 Liebe und Erbarmen Gottes sind kein Freifahrtschein für ein rücksichtsloses Leben und das, was vom Jüngsten Gericht zu erwarten bzw. zu erhoffen ist, lässt sich im Kontext dieses Buches nicht detailliert genug diskutieren. Mit Jesus Christus an unserer Seite, unserem einzigen Trost im Leben und im Sterben, wird auch das Gericht in die heilsame Relation des göttlichen Plans mit uns Menschen gesetzt. Gerhard Sauter erklärt: „Christus hat mit seinem Tod und seiner Auferstehung eine neue Sequenz geschaffen: Sterben und Leben – mit Christus gestorben sein und mit ihm leben werden. Dies prägt die Sprache der Hoffnung, und diese Sprache erfüllt Predigt, Seelsorge, Gebet und Unterweisung. Wir müssen lernen, in dieser Sequenz zu denken und zu reden.“1017 Das Gespräch über die frohe Botschaft, über das Eintreten Jesu für uns und die heilsame Gemeinschaft mit ihm über die uns vor Augen liegende zeitliche Dimension hinaus, all das sind Themen der Hoffnung, die wir viel häufiger und viel intensiver an- und aussprechen, aber auch einander aufbauend zusprechen sollten. Dafür haben wir ein Leben lang Zeit, nutzen diese aber eher für andere Dinge. Am Ende des Lebens kann nicht alles auf einmal nachgeholt werden, was zuvor keine Rolle gespielt hat. Eine Sprache, die wir nicht gelernt und gepflegt haben, wird kaum fließend und leicht über unsere Lippen kommen. Bei der Glaubenssprache verhält sich dies ähnlich. Spricht dann jemand in dieser Sprache zu uns, kann er oder sie die wichtigsten Dinge zum Ausdruck bringen, ohne uns zu erreichen. Insofern müssen diejenigen, die Sterbende begleiten, aufmerksam und sensibel darauf achten, worauf es wirklich in der konkreten Situation ankommt und was daher überhaupt wohltuend anzukommen vermag. 1015 Ebd., 321; vgl. Herbert Vorgrimler, Wir werden auferstehen, Freiburg im Breisgau 1981, 78: „Christen wissen nun, wonach sie sich sehnen und wie dieses göttliche Du, das sie erwartet, auch für menschliche Augen aussieht: es trägt die Züge Jesu von Nazaret.“ 1016 Vgl. Gerhard Lohfink, Der Tod ist nicht das letzte Wort, a.a.O., 41. 1017 Gerhard Sauter, Das verborgene Leben, a.a.O., 325.

149

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

Es kann auch ein Zuviel an Interpretation und gemeindepädagogischer bzw. seelsorglicher Zuwendung geben, nämlich dann, wenn wir über das vor Augen liegende Ziel hinausschießen und quasi auf den letzten Metern noch einmal alles loswerden wollen, was es an Wichtigem und Entscheidendem zu sagen gilt. Solch eine Zuviel beschreibt Engelke aus seiner eigenen Erfahrung als Sterbebegleiter: „Ich erinnere mich an eine sterbenskranke Frau, die ich schon ein paarmal besucht hatte. Nach der Begrüßung sagte sie zu mir: ,Ich habe kalte Füße.‘ Ich überlegte kurz, wie ich damit umgehen sollte: War das eine Metapher für ihre Angst? Oder hatte sie wirklich ,nur‘ kalte Füße? Ich ging in den Stützpunkt, holte eine Wärmflasche und legte sie ihr auf die Füße. Sie bedankte sich dafür: ,Gott sei Dank haben Sie nicht angefangen, mit mir über mein Sterben zu reden, sondern eine Wärmflasche geholt.‘“1018 Sterbende haben Bedürfnisse, die es ernst zu nehmen gilt. Ein etwaiges Bedürfnis mag darin bestehen, nicht über das Sterben sprechen zu wollen. Das ist zu akzeptieren, auch wenn es nicht den Präferenzen der Betreuenden entspricht. Bescheidenheit und Demut seitens der Betreuenden sind gefragt, sofern es um die große Frage nach dem Warum von Leid und Sterben geht. Abstrakte theologische oder philosophische Theorien sind am Kranken- bzw. am Sterbebett zumeist fehl am Platz. Klagen, Anklagen und Verzweiflung Raum zu geben, ohne sie mit Floskeln oder Gesprächigkeit zu übertönen, ist ein Akt der zugewandten Empathie und Liebe den Sterbenden gegenüber. Die Not und etwaige Schmerzen sehen, sie aushalten und den Leidenden beistehen, ihre Ohnmacht erleben und die eigene Unfähigkeit zur die Lage verbessernden Hilfe erkennen, sind Anforderungen, die nicht leichtfallen. Wir können nichts machen, wir haben nichts, um die Situation zu bessern, und es gibt nichts, was gegen das näher rückende Lebensende absichern könnte. Die vermeintlichen Lebensmächte „Machen“, „Haben“ und „Sicherheit“ erweisen sich am Sterbebett als trügerische Götzen, deren Taschen dann, wenn es wirklich darauf ankommt, leer sind. Stirbt, wer statt dieser Götzen Christus an seiner Seite weiß, besser? Erwartungshaltungen, wie Christen und Christinnen das Sterben zu meistern hätten, helfen nicht, sondern engen nur ein. Das Gefühl, von Gott in der Not verlassen zu sein, mag auch Gläubige überkommen, ob sie es wollen oder nicht. Ebenso gibt es konträre Sterbeprozesse, in denen die Geborgenheit und Verbundenheit mit Gott als Segen und umfänglicher Trost empfunden wird.1019 Was also nutzt der christliche Glaube, wenn er keine Garantie eines guten Lebensendes geben kann? Der aus dem Glauben heraus wahrgenommene Tod führt Christen und Christinnen ganz grundsätzlich die Nicht-Selbstver1018 Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben, a.a.O., 77. 1019 Vgl. ebd., 169.

150

Das letzte Wort über mein Leben

ständlichkeit des Lebens, unsere allein Gott verdankte Existenz vor Augen.1020 Ebenso wenig wie wir die Produzenten und Produzentinnen unserer selbst sein können, vermögen wir auch nicht, die Garanten und Garantinnen unserer selbst zu sein.1021 Unabhängig vom Alter und der damit verbundenen Lebensphase könne gelernt werden – so Anselm Grün – das Irdische loszulassen und Haltungen wie Gelassenheit, Dankbarkeit, Frieden und Liebe anzustreben.1022 Der Tod lässt uns die eigenen Grenzen erkennen, falls die Demut uns zuvor die Augen hierfür geöffnet hat und dies mit einer Öffnung hin zu unseren Mitmenschen einhergeht. Demut und auch die Ehrfurcht vor Gott in Anbetracht seiner unermesslichen Größe sind etwas anderes als die Angst vor der strafenden Hand des Höchsten. Der Mensch ist und bleibt sündig, Gott ist und bleibt barmherzig. Unsere Aufgabe ist die Erkenntnis, dass nicht wir es sind, die sich aus eigener Kraft erlösen können, sondern – spätestens im Jüngsten Gericht – von Angesicht zu Angesicht erkennen werden (1 Kor 13,12), dass wir all unseren Hochmut, unser Sein-Wollen-Wie-Gott, abstreifen müssen und uns auf Gottes in Jesus Christus uns als Mensch nahe gekommene liebende Gerechtigkeit verlassen dürfen. Nicht ich, aber auch sonst niemand, sondern Gott allein wird das letzte Wort über mein Leben sprechen, das er allein überblickt.1023 Meinem vermeintlich eigenen Leben werden alle zeitlichen, es stützenden oder es beschönigenden Maßstäbe und Hilfskonstruktionen entzogen, so dass es ungeschönt vor Gott zu stehen kommt und sich seine wahre eigentliche, ungeahnte Einzigartigkeit gerade in dieser Gottesnähe klärt. Dieser Klärungsprozess kann nicht vorweggenommen werden. Wissen, Nachdenken und Sprechen über den Tod sind und bleiben vage, etwas Vorletztes, vor dem nicht zu antizipierenden Letzen. Zygmunt Bauman nennt den Tod „das ganz Andere des Seins, ein unvorstellbar Anderes, das sich der Kommunikation entzieht“1024. In der Begrenztheit des eigenen Denkens einen Segen zu sehen, vermochte Elisabeth Kübler-Ross, die während eines Vortrages erklärte: „Tatsächlich lässt das meine Ehrfurcht vor Gott nur noch wachsen. Wie gut muß er die Menschen gekannt haben, dass er uns ein Gehirn gab, dem Grenzen gesetzt sind! Denn wir könnten es gar nicht ertragen, wenn das Gehirn keine Grenzen kennen würde.“1025 Wozu dient es dann aber, sich überhaupt Gedanken über Sterben und Tod zu machen? Es dient dazu, inne zu werden, „wie wenig vollendet unsere Existenz 1020 Vgl. z.B. Ulrich Volp, Anfragen des menschlichen Todes an die Theologie, a.a.O., 256; Josef Manser, „Wer mich zum Freunde hat, dem kann’s nicht fehlen“, a.a.O., 84. 1021 Vgl. Fulbert Steffensky, Mut zur Endlichkeit, a.a.O., 11. 1022 Vgl. Anselm Grün, Gelassen älter werden. Eine Lebenskunst für hier und jetzt, Freiburg im Breisgau 42013, 186. 1023 Vgl. Gerhard Sauter, Das verborgene Leben, a.a.O., 329. 1024 Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, a.a.O., 8. 1025 Elisabeth Kübler-Ross, Erfülltes Leben – würdiges Sterben, a.a.O., 99.

151

Die Hoffnung stirbt zuletzt … doch nicht!

ist“1026, zu erkennen, dass ich es niemals schaffen werde, das Projekt „Mein Leben“ aus eigener Kraft zu stemmen und zu einem runden Abschluss zu bringen. Die Lebensmächte „Machen“, „Haben“ und „Sicherheit“ halten ihre Versprechungen im Angesicht des eigenen Lebensendes nicht! Die bewusst christliche Perspektive macht keine eindeutigen Versprechungen, sie mündet nicht in eine „Friede-FreudeEierkuchen-Logik“ bzw. in den Versuch, das Lebensende zu beschönigen. Nüchterne Redlichkeit im Eingeständnis der begrenzten eigenen Erkenntnismöglichkeiten ist auch Aufgabe der Theologie. So mündet die christliche Perspektive in die Hoffnung, die alles von Gott erwartet und vor Gott im Gebet an- und aussprechen darf.1027 Für manche Kritiker und Kritikerinnen des christlichen Glaubens mag die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod wie Wunschdenken wirken. Dem hält Hans Küng entgegen: „Selbstverständlich, ,Wunschdenken‘, das ist es alleweil auch. Welche Instanz soll mir eigentlich verbieten können zu wünschen, daß mit dem Tod nicht alles aus sei? Dies ist sogar mehr als nur Wunsch-Denken, dies ist Wunsch-Sein: Der Mensch ist unleugbar ein Wunschwesen, ein endliches Wesen unendlicher Sehnsucht (…).“1028 Mein Leben ist vom ersten bis zum letzten Tag ein von Gott ermöglichtes und in schöpferischer Liebe umfangenes Leben. Die existentielle Angst vor dem Sterben wird auch durch die Hoffnung auf das ewige Leben nicht beseitigt, wohl aber relativiert, wenn im Ende des eigenen Lebens „ein Durchgang auf Gott hin“1029 geglaubt, gewünscht und ersehnt wird. In meinem Leben und bis zu meinem Lebensende, bleibt es dabei: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir.“1030

1026 Gerhard Sauter, Das verborgene Leben, a.a.O., 328. 1027 Vgl. ebd., 299. 1028 Hans Küng, Menschenwürdig sterben, a.a.O., 30. 1029 Anselm Grün, Was kommt nach dem Tod? Die Kunst zu leben und zu sterben, Münsterschwarzach 52018, 15. 1030 Augustinus, Bekenntnisse, a.a.O., 33.

152

Literatur

Literatur

Philippe Ariès, Geschichte des Todes, München 1982. Marianne Arndt, Pflege bei Sterbenden. Den Tod leben dürfen: Vom christlichen Anspruch der Krankenpflege, Hannover 2005. Augustinus, Bekenntnisse, übers. von Kurt Flasch, Burkhard Mojsisch, Stuttgart 1993. Margret M. Baltes, Altern und Tod in der psychologischen Forschung, in: Rolf Winau, Hans Peter Rosemeier (Hg.), Tod und Sterben, Berlin u.ö. 1984, 237–251. Hans-Martin Barth, Leben und sterben können. Brechungen der spätmittelalterlichen „ars moriendi“ in der Theologie Martin Luthers, in: Harald Wagner, Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi. Erwägungen zur Kunst des Sterbens, Freiburg im Breisgau 1989, 45–66. Bill Bass, Jon Jefferson, Der Knochenleser. Der Gründer der legendären Body Farm erzählt, München 2006. Dirk Battermann, Die weltliche Trauerrede als Dienst für die Hinterbleibenden. Ein Praxisbericht, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 77–86. Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, Frankfurt am Main 2016. Claudia Bausewein, Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod. Leitfaden für ein gutes Lebensende, München 2020. Ulrich Beck, Eigener Tod – eigenes Leben. Vergänglichkeitshoffnungen, in: Ders., Ulf Erdmann-Ziegler (Hg.), Eigenes Leben. Ausflüge in die unbekannte Gesellschaft, in der wir leben, München 1997, 124–129. Ulrich Beck, Was meint „eigenes Leben“?, in: Ders., Ulf Erdmann-Ziegler (Hg.), Eigenes Leben. Ausflüge in die unbekannte Gesellschaft, in der wir leben, München 1997, 9–17. Heinrich Bedford-Strohm, Verantwortlich mit dem Leben umgehen – Zur Diskussion um die Sterbehilfe, in: Michael Frieß (Hg.), u.M. von Markus Reutlinger, Wie sterben? Zur Selbstbestimmung am Lebensende. Eine Debatte, Gütersloh 2012, 140–151. Lars Bednorz, Thanatagogik als Lebensbildung, in: Ders., Olaf Kühl-Freudenstein, Magdalena Munzert (Hg.), Religion braucht Bildung – Bildung braucht Religion (FS Horst Fr. Rupp), Würzburg 2009, 53–65. Thorsten Benkel, Matthias Meitzler, Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe. Ungewöhnliche Grabsteine – Eine Reise über die Friedhöfe von heute, Köln 2014. Thorsten Benkel, Der lebendige Tod. Ein Vorwort, in: Ders. (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 7–9. Thorsten Benkel, Matthias Meitzler, Game over. Neue ungewöhnliche Grabsteine, Köln 2016. Thorsten Benkel, Symbolische Präsenz. Der Status der Identität nach dem Ende der Identität, in: Ders. (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 11–40.

153

Literatur

Elina Bernitt, Können weltliche Trauerfeiern Trost spenden?, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 109–121. Bernd-Peter Bertram, Abschiednehmen. Ratgeber Hausaufbahrung, Toppenstedt 22001. Sue Black, Alles, was bleibt. Mein Leben mit dem Tod, Köln 2018. Gian Domenico Borasio, Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen, München 22014. Christoph Breitsameter, Wann dürfen wir sterben? Tun und Unterlassen am Ende des Lebens, in: Reinhard Göllner (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod. Tod und Sterben als individuelle und gesellschaftliche Herausforderung, Berlin 2010, 61–75. Christian Brock, Maxi Bergel, Christopher Kaatz, Was ist eigentlich eine Dienstleistung? Ausgewählte Aspekte des Dienstleistungsmanagements, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 39–53. Elisabeth Bronfen, Unheimliche Liminalität: Das Sterben als Vorgang und der Tod als Zustand, in: Daniel Wyler (Hg.), Sterben und Tod. Eine interprofessionelle Auseinandersetzung, Zürich 2009, 11–17. Susanne Brüggen, Religiöses aus der Ratgeberecke, in: Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hg.), Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, Berlin 2004, 81–99. Susanne Brüggen, Letzte Ratschläge. Der Tod als Problem für Soziologie, Ratgeberliteratur und Expertenwissen, Wiesbaden 2005. Annette Bruhns, Barfuß auf dem letzten Weg. Wie ein Bestatter die Leichname herrichtet, in: Annette Großbongardt, Rainer Traub (Hg.), Das Ende des Lebens. Ein Buch über das Sterben, München 2013, 91–93. Annette Bruhns, Gärten der Erinnerung, in: Annette Großbongardt, Rainer Traub (Hg.), Das Ende des Lebens. Ein Buch über das Sterben, München 2013, 79–90. Peter Bubmann, Götz Doyé, Hildrun Keßler, Dirk Oesselmann, Nicole Piroth, Martin Steinhäuser (Hg.), Gemeindepädagogik, Berlin u.ö. 2012. Peter Bubmann, Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. Zum gegenwärtigen Stand der Gemeindepädagogik, in: Bernhard Mutschler, Gerhard Hess (Hg.), Gemeindepädagogik. Grundlagen, Herausforderungen und Handlungsfelder der Gegenwart, Leipzig 2014, 45–61. Susanne Conrad, Sterben für Anfänger. Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können, Berlin 2013. Patricia Cornwell, Body Farm. Ein Kay-Scarpetta-Roman, München 2010. Angelika Daiker, Judith Bader-Reissing, Versöhnt sterben. Palliative Care im Licht der letzten sieben Worte Jesu, Ostfildern 2014. Jennie Dear, Wie fühlt es sich an zu sterben? Erkenntnisse über den Tod. Den letzten Weg gestalten und begleiten, Stuttgart 2020. Herman Dembowski, Was glauben wir wirklich?, in: Ernstpeter Maurer (Hg.), Grundlinien der Dogmatik (FS Gerhard Sauter), Rheinbach 2005, 321–328. Gabriele Doblhammer-Reiter, Thomas Salzmann, Art.: Sterberate, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 118–125. Barbara Dobrick, Wenn die alten Eltern sterben. Das endgültige Ende der Kindheit, Freiburg im Breisgau 22012.

154

Literatur

Christoph Doll, Veränderungen in der Bestattungskultur und ihre Auswirkungen für Pfarrerinnen und Pfarrer. Beobachtungen aus pastoraltheologischer Perspektive, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 114–121. Jürgen Domian, Interview mit dem Tod, Gütersloh 32012. Hilde Domin, Sämtliche Gedichte (hg. von Nikola Herweg, Melanie Reinhold), Frankfurt am Main 42020. Caitlin Doughty, Was passiert, wenn ich tot bin? Große Fragen kleiner Sterblicher über den Tod, München 2020. Caitlin Doughty, Will my cat eat my eyeballs? And other questions about dead bodies, New York 2020. Barbara Ehrenreich, Wollen wir ewig leben? Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle, München 2018. Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden, in: Reinhard Blomert, Heike Hammer, Johan Heilbron, Annette Treibel, Nico Wilterdink (Hg.), Norbert Elias. Gesammelte Schriften (Bd. 6), Amsterdam 2002. Ernst Engelke, Sterben Gläubige leichter? Einführung zum Thema, in: Rainer Schäfer, Günter Schuhmann (Hg.), „Sterben Gläubige leichter?“ Zur Bedeutung von Religion und Weltanschauung im Sterbeprozess, Würzburg 2009, 9–15. Ernst Engelke, Die Wahrheit über das Sterben. Wie wir besser damit umgehen, Reinbek bei Hamburg 2015. Gerhard Engelsberger, Tod, Stuttgart 2006. Friedrich Eras, Nur drei Tage. Zwischen Tod und Bestattung. Leitfaden für die nächsten Angehörigen, München 22008. Frank Erbguth, Art.: Medizin, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 39–49. Evangelische Landeskirche in Baden, Nicht(s) vergessen. Gut vorbereitet für die letzte Reise. Ein seelsorglicher Ratgeber der Evangelischen Landeskirche in Baden zum Thema Vorbereitung auf den letzten Lebensabschnitt, Bestattung und Trauerfeier, Düsseldorf 2016. Klaus Feldmann, Art.: Soziologie, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 62–74. Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Thanatologie im Überblick, Wiesbaden 22010. Folkert Fendler, Externer Faktor Heiliger Geist. Was Christen von gottesdienstlichen Dienstleistungen halten, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 55–63. Sabine Fischbeck, Burkhard Schappert, Art.: Sterbeprozess – psychologisch, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 83–88. Alexander A. Fischer, Der Tod im Alten Testament und sein altorientalischer Kontext, in: Ulrich Volp (Hg.), Tod (Themen der Theologie Bd. 12), Tübingen 2018, 11–56. Norbert Fischer, Art.: Sterben und Tod in der Neuzeit, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 6–15. Norbert Fischer, Der entfesselte Friedhof. Über die Zukunft von Bestattungs- und Erin-

155

Literatur

nerungsorten, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 263–281. Angela Fournes, Annette Bopp, Den Tod muss man leben. Eine Bestatterin hilft – denen, die gehen, und denen, die bleiben, München 2018. Marco Frenschkowski, Art.: Religionswissenschaft, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 15–27. Michael Frieß, Aspekte der Sterbehilfedebatte – Eine Einführung, in: Ders. (Hg.), u.M. von Markus Reutlinger, Wie sterben? Zur Selbstbestimmung am Lebensende. Eine Debatte, Gütersloh 2012, 7–38. Werner Fuchs-Heinritz, Art.: Sozialer Tod, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 133–136. Anna Funck, Mama ist tot. Und jetzt?, Freiburg im Breisgau 2018. Frank Furtwängler, Kulturtechnik des Sterbens. You are dead – continue Yes/No, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, 559–576. Markus Gaitzsch, Tabu in der Realität, normal in den Medien: Darstellungsformen des Todes in Filmen und Serien; Vortrag vom 15.12.2006 (https://fsf.de/data/hefte/pdf/Veranstaltungen/tv_impuls/2006_Tod/vortrag_gaitzsch.pdf; aufgerufen am 23.04.2021). Hilmar Gattwinkel, GottesDienstLeistungen – über die Macht der Bilder, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 65–73. Reinhard Göllner, Kindliche Todesvorstellungen und Trauerreaktionen begleiten. Eine Thanatagogik für Kinder, in: Ders. (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod. Tod und Sterben als individuelle und gesellschaftliche Herausforderung, Berlin 2010, 135–163. Sven Gottschling mit Lars Amend, Leben bis zuletzt. Was wir für ein gutes Sterben tun können, Frankfurt am Main 2018. Gisbert Greshake, Leben – stärker als der Tod. Von der christlichen Hoffnung, Freiburg im Breisgau 2008. Marianne Gronemeyer, Das Leben als letzte Gelegenheit. Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit, Darmstadt 21996. Reimer Gronemeyer, Hospiz, Hospizbewegung und Palliative Care in Europa, in: Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hg.), Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, Berlin 2004, 207–217. Reimer Gronemeyer, Sterben in Deutschland. Wie wir dem Tod wieder einen Platz in unserem Leben einräumen können, Frankfurt am Main 2008. Reimer Gronemeyer, Projekt Lebensende, in: Annette Großbongardt, Rainer Traub (Hg.), Das Ende des Lebens. Ein Buch über das Sterben, München 2013, 250–259. Reimer Gronemeyer, Andreas Heller, In Ruhe sterben. Was wir uns wünschen und was die moderne Medizin nicht leisten kann, München 2014. Peter Gross, Ich muss sterben. Im Leid die Liebe neu erfahren, Freiburg im Breisgau 2015. Dominik Groß, Martina Ziefle, Daniel Schäfer, Art.: Bestattungsformen – Wandel in der Moderne, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 267–276. Dominik Groß, Michael Rosentreter, Art.: Sarg, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, An-

156

Literatur

dreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 261–266. Dominik Groß, Jasmin Grande, Art.: Sterbeprozess – medizingeschichtlich, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 75–83. Anselm Grün, Gelassen älter werden. Eine Lebenskunst für hier und jetzt, Freiburg im Breisgau 42013. Anselm Grün, Was kommt nach dem Tod? Die Kunst zu leben und zu sterben, Münsterschwarzach 52018. Romano Guardini, Die letzten Dinge. Die christliche Lehre vom Tod, der Läuterung nach dem Tode, Auferstehung, Gericht und Ewigkeit, Kevelaer 2019. Ulrich Heckel, Frank Zeeb, Bestattung aus biblisch-theologischer Perspektive. Eine Orientierung, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 96–107. Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort. Wie die alternde Gesellschaft dem Tod begegnen will (hg. vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung), Berlin 2020 (https://www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/PDF/BI_Auf-ein-Sterbenswort_Online_201005.pdf; aufgerufen am 23.04.2021). Rainer Heimburger, Der Weg zur Bestattung. Ein Durchgang, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 86–90. Birgit Heller, Im Angesicht des Todes: Spirituelle Modelle für die Bereitung zum Sterben, in: Rainer Schäfer, Günter Schuhmann (Hg.), „Sterben Gläubige leichter?“ Zur Bedeutung von Religion und Weltanschauung im Sterbeprozess, Würzburg 2009, 17–26. Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer, Impulse für eine milieusensible kirchliche Bestattung – Einführung, in: Dies. (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 139–158. Heinzpeter Hempelmann, Milieus, Megatrends und Mentalitäten. Beobachtungen zur Ausdifferenzierung der Bestattungskultur, in: Ders., Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 52–73. Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer, Zur Einführung, in: Dies. (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 11–17. Catherina Hinz, Susanne Kutz, Konrad Lampart, Vorwort: Das Sterben ins Leben tragen, in: Adrián Carrasco Heiermann, Tanja Kiziak, Catherina Hinz, Auf ein Sterbenswort. Wie die alternde Gesellschaft dem Tod begegnen will (hg. vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung), Berlin 2020 (https://www.berlin-institut.org/fileadmin/ Redaktion/Publikationen/PDF/BI_Auf-ein-Sterbenswort_Online_201005.pdf; aufgerufen am 23.04.2021), 6f. Karin Huck, Hilarion Petzold, Death Education, Thanatagogik – Modelle und Konzepte, in: Ina Spiegel-Rösing, Hilarion Petzold (Hg.), Die Begleitung Sterbender. Theorie und Praxis der Thanatotherapie (Vergleichende Psychotherapie Bd. 6), Paderborn 1984, 501–576.

157

Literatur

Franz-Josef Illhardt, Art.: Ars moriendi – aktuelle Wiederentdeckung, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 170–174. Nina Jakoby, Michaela Thönnes, Einleitung – Zur Soziologie des Sterbens, in: Dies. (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 1–9. Isabella Jordan, Art.: Hospiz/Palliativmedizin, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 243–247. Ralf J. Jox, Sterben lassen. Über Entscheidungen am Ende des Lebens, Reinbek bei Hamburg 2013. Stephanie Kaiser, Michael Rosentreter, Dominik Groß, Sterbeprozesse – Annäherungen an den Tod. Eine thematische Einführung, in: Dies. (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, Kassel 2010 (http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-389958-960-3.volltext.frei.pdf; aufgerufen am 23.04.2021), 7–13. Otto Kaiser, Eduard Lohse, Tod und Leben, Stuttgart 1977. Angelika Kallwass, Was am Ende zählt. Mein Umgang mit dem Tod. Für ein erfülltes Leben, Köln 2015. Marie Luise Kaschnitz, Kein Zauberspruch. Gedichte, Frankfurt am Main 1972. Margot Käßmann, Das Zeitliche segnen. Voller Hoffnung leben. In Frieden sterben, München 2014. Verena Kast, Unfähig zu trauern?, in: Reinhard Schmitz-Scherzer (Hg.), Altern und Sterben, Bern u.ö. 1992, 105–116. Verena Kast, Sich einlassen und loslassen. Neue Lebensmöglichkeiten bei Trauer und Trennung, Freiburg im Breisgau 252015. Karsten Kehr, Andrea – Briefe aus dem Himmel. Eine Mutter nimmt Abschied von ihren Kindern, Hamburg 2018. Annelie Keil, Henning Scherf, Das letzte Tabu. Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen, Freiburg im Breisgau 2016. Allan Kellehear, A Social History of Dying, Cambridge 2007. Allan Kellehear, Current social trends and challenges for the dying person, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 11–27. Hildegard Elisabeth Keller, Von Mäusen und Minuten. Geschichten über die Endlichkeit, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline. Prominente über Leben und Sterben, Zürich 2015, 11–26. Karin Keller-Sutter, Sterben und Tod, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline. Prominente über Leben und Sterben, Zürich 2015, 209–219. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.), Perspektiven für diakonisch-gemeindepädagogische Ausbildungs- und Berufsprofile (EKD Texte 118), Hannover 2014. Thomas Klie, Martina Kumlehn, Ralph Kunz, Thomas Schlag (Hg.), Praktische Theologie der Bestattung (PThW 17), Berlin u.ö. 2015. Thomas Klie, Bestattungskultur, in: Ulrich Volp (Hg.), Tod (Themen der Theologie Bd. 12), Tübingen 2018, 201–253. Thomas Klie, Jakob Kühn, Obliegenheiten. Zur Einführung, in: Dies. (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 7–18.

158

Literatur

Thomas Klie, Trauerredner zwischen Beruf und Berufung, in: Ders., Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 99–107. Markus Knapp, „Tod, wo ist dein Sieg?“ Theologische Überlegungen zur Wirklichkeit des Todes, in: Reinhard Göllner (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod. Tod und Sterben als individuelle und gesellschaftliche Herausforderung, Berlin 2010, 77–97. Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle, Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, in: Dies. (Hg.), Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, Berlin 2004, 11–27. Dietrich Korsch, Antwort auf Grundfragen christlichen Glaubens. Dogmatik als integrative Disziplin, Tübingen 2016. Ulrich H. J. Körtner, Bedenken, daß wir sterben müssen. Sterben und Tod in Theologie und medizinischer Ethik, München 1996. Ulrich H. J. Körtner, Recht auf Leben – Recht auf Sterben. Autonomie am Lebensende und ihre Grenzen, in: Michael Frieß (Hg.), u.M. von Markus Reutlinger, Wie sterben? Zur Selbstbestimmung am Lebensende. Eine Debatte, Gütersloh 2012, 120–139. Matthias Kreplin, Ulrike Bleichert, Die evangelische Trauerfeier als Ritual. Thesen zur Gestaltung von Bestattungen, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 91–95. Oliver Krüger, Die Aufhebung des Todes. Die Utopie der Kryonik im Kontext der USAmerikanischen Bestattungskultur, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, 211–228. Torsten Kruse, Aufgabe und Möglichkeit der Medizin, in: Harald Wagner, Ders. (Hg.), Ars moriendi. Erwägungen zur Kunst des Sterbens, Freiburg im Breisgau 1989, 99–116. Alexander Krützfeldt, Letzte Wünsche. Was Sterbende hoffen, vermissen, bereuen – und was uns das über das Leben verrät, Hamburg 2018. Elisabeth Kübler-Ross, Der Tod als Teil meines persönlichen Lebens, in: Dies. (Hg.), Reif werden zum Tode, München 2003, 259–272. Elisabeth Kübler-Ross, Erfülltes Leben – würdiges Sterben (hg. von Göran Grip), Gütersloh 32010. Achim Kuhn (Hg.), Deadline. Prominente über Leben und Sterben, Zürich 2015. Alexander Kühn, Malte Laub, Digitales Herbstlaub, in: Annette Großbongardt, Rainer Traub (Hg.), Das Ende des Lebens. Ein Buch über das Sterben, München 2013, 236–240. Hans Küng, Menschenwürdig sterben, in: Ders., Walter Jens (Hg.), Menschenwürdig sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung, München 1996, 13–85. Hans Küng, Glücklich sterben? Mit dem Gespräch mit Anne Will, München u.ö. 2015. Jens Kunze, Art.: Leichenpredigten, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 257–261. Alexander Lahl, Hoffnung auf ewiges Leben. Entscheidung und Auferstehung im Tod, Freiburg im Breisgau 2009. Beate Lakotta, Walter Schels, Noch mal leben vor dem Tod. Wenn Menschen sterben, München 2004. Ernst Lange, Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns, München 1981. Katharina Ley, Anders älter werden. So gelingen die besten Jahre, Munderfing 2016. Rolf Lichtner, Wegweiser im Sterbefall. Bestattung, Behördengänge, Vorsorge (hg. vom Bundesverband Deutscher Bestatter e.V.), München 22017.

159

Literatur

Fritz Lienhard, Kasualien als Religionsproduktion, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 2 2019, 108–113. Rainer Liepold, Graben sie tiefer! Der Bestattungskulturführer, München 2015. Günther Loewit, Sterben. Zwischen Würde und Geschäft, Wien 2014. Gerhard Lohfink, Der Tod ist nicht das letzte Wort. Meditationen, Freiburg im Breisgau 3 1976. Bess Lovejoy, Rest in Pieces. Die unglaublichen Schicksale berühmter Leichen, Köln 2014. Eduard Maas, Das Buch vom Abschied. Prominente Persönlichkeiten über Sterben, Tod und Trauer, München 2012. Thomas Macho, Kristin Marek, Die neue Sichtbarkeit des Todes, in: Dies. (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, 9–21. Giovanni Maio, Medizin ohne Maß? Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit, Stuttgart 2014. Giovanni Maio, Der assistierte Suizid als ethische Resignation der Medizin, in: Rainer Maria Kardinal Woelki, Christian Hillgruber, Ders., Christoph von Ritter, Manfred Spieker (Hg.), Wie wollen wir sterben? Beiträge zur Debatte um Sterbehilfe und Sterbebegleitung, Paderborn 2016, 51–70. Christoph Mandla, Art.: Patientenverfügung, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 221–224. Josef Manser, „Wer mich zum Freunde hat, dem kann’s nicht fehlen“. Versuch einer spirituellen Theologie zur Ars moriendi heute, in: Harald Wagner, Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi. Erwägungen zur Kunst des Sterbens, Freiburg im Breisgau 1989, 67–98. Frank Mathwig, Zwischen Leben und Tod. Die Suizidhilfediskussion in der Schweiz aus theologisch-ethischer Sicht, Zürich 2010. Nils Meise, Das Wir vergisst nicht. Trägermedien kollektiver Erinnerung an Verstorbene, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 157–172. Matthias Meitzler, Postexistentielle Existenzbastelei, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 133–162. Settimo Monteverde, Der vorgesetzte Tod, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline. Prominente über Leben und Sterben, Zürich 2015, 49–57. H. Christof Müller-Busch, Abschied braucht Zeit. Palliativmedizin und Ethik des Sterbens, Berlin 42013. Michael Müller, Glaube ich, was ich sage? Sage ich, was ich glaube?, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline. Prominente über Leben und Sterben, Zürich 2015, 117–124. Oliver Müller, Altern. Sterben. Tod. Die Vergänglichkeit des Menschen aus der Sicht der Naturwissenschaften, Gütersloh 2019. Brian Müschenborn, Die Bestattung, in: Ders. (Hg.), Nach meinem Tod. Wünsche und Verfügungen zur persönlichen Nachlassregelung, Gütersloh 2012, 74–81. Brian Müschenborn, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Nach meinem Tod. Wünsche und Verfügungen zur persönlichen Nachlassregelung, Gütersloh 2012, 6–9. Brian Müschenborn, Wichtige Menschen und Vorkehrungen, in: Ders. (Hg.), Nach meinem Tod. Wünsche und Verfügungen zur persönlichen Nachlassregelung, Gütersloh 2012, 12–18.

160

Literatur

Armin Nassehi, Irmhild Saake, Kontexturen des Todes. Eine Neubestimmung soziologischer Thanatologie, in: Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hg.), Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, Berlin 2004, 31–54. Michael Nüchtern, Kirche bei Gelegenheit. Kasualien – Akademiearbeit – Erwachsenenbildung, Stuttgart 1991. Sherwin B. Nuland, Wie wir sterben. Ein Ende in Würde?, München 1994. Fuat Oduncu, Art.: Hirntod – medizinisch, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 98–103. Anke Offerhaus, Begraben im Cyberspace. Virtuelle Friedhöfe als Räume mediatisierter Trauer und Erinnerung, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 339–364. Dominic Olariu, Johannes Paul Supertod. Ikone eines neuen Todesverständnis?, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, 59–78. Corinna Onnen, Rita Stein-Redent, Frauen sterben anders als Männer. Soziologische Überlegungen zu einer demographischen Beobachtung, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 71–89. Adrian Owen, Zwischenwelten. Ein Neurowissenschaftler erforscht die Grauzone zwischen Leben und Tod, München 2017. Vincenzo Paglia, Bruder Tod. In Würde leben und in Würde sterben. Mit einer Einführung von Manfred Lütz, Freiburg im Breisgau 2017. Christine Pernlochner-Kügler, Umgang mit Ekel- und Schamgefühlen bei der Arbeit mit Körpern, in: Daniel Wyler (Hg.), Sterben und Tod. Eine interprofessionelle Auseinandersetzung, Zürich 2009, 31–58. Andreas Pesch, „Die Auferstehung des hautnackten Leibes“. Legitimationsstrategien der Ausstellung „Körperwelten“, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, 371–395. Nicole Piroth, Die Rückkehr des eierlegenden Wollmilchschweins. Berufliche Aufgaben und Kompetenzen der Gemeindepädagogin und des Diakons, in: Bernhard Mutschler, Gerhard Hess (Hg.), Gemeindepädagogik. Grundlagen, Herausforderungen und Handlungsfelder der Gegenwart, Leipzig 2014, 127–144. Markus Ploner, Der Abschied an der Bahre aus der Sicht des Bestatters, in: Daniel Wyler (Hg.), Sterben und Tod. Eine interprofessionelle Auseinandersetzung, Zürich 2009, 177–188. Dirk Preuss, „Zeus(‘) Platz!“ Die Zukunft des toten Heimtieres, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 181–211. Olaf B. Rader, Damnatio corporis – damnatio memoriae. Zur Logik politischer Leichenschändungen, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, 41–57. Austra Reinis, Art.: Ars moriendi – Ritual- und Textgeschichte, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 159–165.

161

Literatur

Michael de Ridder, Wie wollen wir sterben? Ein ärztliches Plädoyer für eine neue Sterbekultur in Zeiten der Hochleistungsmedizin, München 2010. Rainer Maria Rilke, Das Stunden-Buch, Leipzig 1972. Marc Ritter, Tom Ising, So stirbt man also. Was Sie schon immer über den Tod wissen wollten, München 2019. Sibylle Rolf, Der menschliche Tod als Aufgabe und Anfrage an die Theologie, in: Ulrich Volp (Hg.), Tod (Themen der Theologie Bd. 12), Tübingen 2018, 163–200. Helmuth Rolfes, Ars moriendi – Eine Sterbekunst aus der Sorge um das ewige Heil, in: Harald Wagner, Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi. Erwägungen zur Kunst des Sterbens, Freiburg im Breisgau 1989, 15–44. Michael Rosentreter, Der Sterbeprozess im Spannungsfeld von Kommunikation und Motivation, in: Ders., Dominik Groß, Stephanie Kaiser (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, Kassel 2010 (http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-3-89958960-3.volltext.frei.pdf; aufgerufen am 23.04.2021), 191–201. Michael Rosentreter, Dominik Groß, Stephanie Kaiser (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, Kassel 2010 (http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-389958-960-3.volltext.frei.pdf; aufgerufen am 23.04.2021). Markus Rothaar, Art.: Sterbebegleitung, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 225–228. Gerlind Rüve, Art.: Scheintod, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 88–92. Nicole Sachmerda-Schulz, Die anonyme Bestattung zwischen Individualisierung und Entindividualisierung, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 303–316. Christiane zu Salm, Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben, München 2013. Christiane zu Salm, Weiterleben. Nach dem Verlust eines geliebten Menschen, München 2016. Klaus-Steffen Saternus, Art.: Obduktion – rechtsmedizinisch, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 253–257. Klaus-Steffen Saternus, Art.: Todesfeststellung, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 113–117. Gerhard Sauter, Das verborgene Leben. Eine theologische Anthropologie, Gütersloh 2011. Hans Schadewaldt, Bilder vom Tod. Meditationen über Totentänze, in: Rolf Winau, Peter Rosemeier (Hg.), Tod und Sterben, Berlin u.ö. 1984, 77–101. Daniel Schäfer, Art.: Vorneuzeit: Alter Orient, Klassische Antike und Mittelalter, in: Héctor Wittwer, Ders., Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 1–6. Andreas Scheib, Der Segen des Alters, in: Reinhard Göllner (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod. Tod und Sterben als individuelle und gesellschaftliche Herausforderung, Berlin 2010, 35–46. Christoph Schenk, Zwischen Leben und Tod. 20 Jahre als Notarzt, Haverlah 22018. Ulrike Scheuermann, Wenn morgen mein letzter Tag wär. So finden Sie heraus, was im Leben wirklich zählt, München 2013. Jens Schlamelcher, „Würdevoll und Preisgünstig“ – Bestattung zwischen Pietät und Pe-

162

Literatur

nunsen, in: Thomas Klie, Jakob Kühn (Hg.), Bestattung als Dienstleistung. Ökonomie des Abschieds, Stuttgart 2019, 21–38. Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung, München 42010. Nikolaus Schneider, Das Richtige sagen können, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline. Prominente über Leben und Sterben, Zürich 2015, 285–294. Nikolaus Schneider (Hg.), Als flögen wir davon. Über die letzte Wegstrecke, Hamburg 2017. Nikolaus Schneider, Vorwort, in: Ders. (Hg.), Als flögen wir davon. Über die letzte Wegstrecke, Hamburg 2017, 7–13. Werner Schneider, Der „gesicherte“ Tod. Zur diskursiven Ordnung des Lebensendes in der Moderne, in: Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hg.), Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, Berlin 2004, 55–79. Paul Schölmerich, Ärztliches Handeln an den Grenzen des Lebens, in: Harald Wagner (Hg.), Grenzen des Lebens. Wider die Verwilderung von Sterben, Tod und Trauer, Frankfurt am Main 1991, 43–67. Mathias Schreiber, Was von uns bleibt. Über die Unsterblichkeit der Seele, München 2008. Corinna Schubert, Eine Schneise durch den aktuellen „Buch-Wald“. Weiterführende Literatur für verschiedene Zielgruppen, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Dies., Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 37–51. Christian Schüle, Wie wir sterben lernen. Ein Essay, München 2013. Christian Schüle, All die schönen Toten. Über Mord und Tod im Fernsehen, 25.9.2016 (https://www.deutschlandfunk.de/ueber-mord-und-tod-im-fernsehen-all-die-schoenentoten.1184.de.html?dram:article_id=364111; aufgerufen am 23.04.2021). Roland Schulz, So sterben wir. Unser Ende und was wir darüber wissen sollten, München 2018. Rainer Schützeichel, Sinnwelten des Trauerns. Eine Analyse der Professionalisierung von Trauerarbeit, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 113–134. Vasilija Simonovic, Katsiaryna Laryionava, Das öffentliche Sterben in der Postmoderne, in: Michael Rosentreter, Dominik Groß, Stephanie Kaiser (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, Kassel 2010 (http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-389958-960-3.volltext.frei.pdf; aufgerufen am 23.04.2021), 203–213. Reiner Sörries, Art.: Todesanzeigen, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 282–287. Reiner Sörries, Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis. Von der Experten- zur Laienkultur, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 21–36. Robert Spaemann, Gerrit Hohendorf, Fuat S. Oduncu, Vom guten Sterben. Warum es keinen assistierten Tod geben darf. Mit einem Vorwort von Manfred Lütz, Freiburg im Breisgau 2015. Matthias Spenn, Michael Haspel, Hildrun Keßler, Dorothee Land, Lernwelten und Bildungsorte der Gemeindepädagogik. Bedingungen, Bezüge und Perspektiven, Münster 2008. Ina Spiegel-Rösing, Hilarion Petzold (Hg.), Die Begleitung Sterbender. Theorie und Praxis der Thanatotherapie (Vergleichende Psychotherapie Bd. 6), Paderborn 1984.

163

Literatur

Manfred Spitzer, Einsamkeit – die unerkannte Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich, München 2018. Christian Sprang, Matthias Nöllke, Wir sind unfassbar. Neue ungewöhnliche Todesanzeigen, Köln 22010. Christian Sprang, Matthias Nöllke, Aus die Maus. Wir sind unfassbar. Ungewöhnliche Todesanzeigen, Köln 2018. Stephanie Stadelbacher, Das Lebensende als Randgebiet des Sozialen? Zur Praxis des ,guten‘ Sterbens zu Hause am Beispiel der ambulanten Hospiz- und Palliativarbeit, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 49–70. Fulbert Steffensky, Mut zur Endlichkeit. Sterben in einer Gesellschaft der Sieger, Stuttgart 2007. Fulbert Steffensky, Abdanken, in: Nikolaus Schneider (Hg.), Als flögen wir davon. Über die letzte Wegstrecke, Hamburg 2017, 155–163. Kurt Stier, Benjamin Schließer, Der Wandel der Bestattungskultur aus der Sicht eines Bestatters. Der Bestatter Kurt Stier im Interview mit Benjamin Schließer, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 131–136. Nina Streeck, Sterben, wie man gelebt hat. Die Optimierung des Lebensendes, in: Nina Jakoby, Michaela Thönnes (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 29–48. Nina Streeck, Jedem seinen eigenen Tod. Authentizität als ethisches Ideal am Lebensende, Frankfurt am Main 2020. Hans Strenge, Joachim Wittkowski, Zeitgemäße Choreographien bei der Begegnung mit Leben und Tod, in: Dies. (Hg.), Warum der Tod kein Sterben kennt. Neue Einsichten zu unserer Lebenszeit, Darmstadt 2011, 211–228. Johann-Christoph Student, Lebenshilfe bis zum Ende: Die Hospizbewegung, in: Harald Wagner (Hg.), Grenzen des Lebens. Wider die Verwilderung von Sterben, Tod und Trauer, Frankfurt am Main 1991, 147–186. Alexander Sturm, Ärztliche Sterbebegleitung, in: Reinhard Göllner (Hg.), Mitten im Leben umfangen vom Tod. Tod und Sterben als individuelle und gesellschaftliche Herausforderung, Berlin 2010, 47–60. Cory Taylor, Sterben. Eine Erfahrung, Berlin 2016. Frank Thieme, Sterben und Tod in Deutschland. Eine Einführung in die Thanatosoziologie, Wiesbaden 2018. Carmen Thomas, Berührungsängste? Vom Umgang mit der Leiche, Köln 1994. Michaela Thönnes, Nina Jakoby, Tiere als Sterbebegleiter. Eine symbolisch-interaktionistische Perspektive, in: Dies. (Hg.), Zur Soziologie des Sterbens. Aktuelle theoretische und empirische Beiträge, Wiesbaden 2017, 91–111. Felix Tirschmann, Der Alltag des Todes. Perspektiven einer wissenssoziologischen Thanatologie, Wiesbaden 2017. Rainer Traub, Auf der Suche nach dem guten Ende, in: Annette Großbongardt, Ders. (Hg.), Das Ende des Lebens. Ein Buch über das Sterben, München 2013, 17–31. Michael Tsokos, Dem Tod auf der Spur. Spannende Fälle des Professor Tsokos, Berlin 32017. Juliane Uhl, Drei Liter Tod. Mein Leben im Krematorium, München 2015.

164

Literatur

C. Juliane Vieregge, Lass uns über den Tod reden, Berlin 2019. Ulrich Volp, Anfragen des menschlichen Todes an die Theologie, in: Ders. (Hg.), Tod (Themen der Theologie Bd. 12), Tübingen 2018, 255–260. Ulrich Volp, Der menschliche Tod in den christlichen Gemeinden, in: Ders. (Hg.), Tod (Themen der Theologie Bd. 12), Tübingen 2018, 117–161. Ulrich Volp (Hg.), Tod (Themen der Theologie Bd. 12), Tübingen 2018. Herbert Vorgrimler, Wir werden auferstehen, Freiburg im Breisgau 1981. Herbert Vorgrimler, Von der Gegenwart und dem Leben der Toten, in: Anton Bauer (Hg.), Der Tod wird nicht mehr sein. Beerdigungsansprachen, Ostfildern 21996, 13–32. Harald Wagner, Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi. Erwägungen zur Kunst des Sterbens, Freiburg im Breisgau 1989. Harald Wagner, „Ars moriendi“ und Religionspädagogik, in: Ders., Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi. Erwägungen zur Kunst des Sterbens, Freiburg im Breisgau 1989, 156–165. Harald Wagner, Einleitung. Von einer Theologie des Todes zur Theologie des Sterbens, in: Ders., Torsten Kruse (Hg.), Ars moriendi. Erwägungen zur Kunst des Sterbens, Freiburg im Breisgau 1989, 9–13. Bronnie Ware, 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Einsichten, die Ihr Leben verändern werden, München 52015. Haider Warraich, Wie wir heute sterben. Über die Biologie des Todes und wie sich das Ende unseres Lebens verändert hat, München 2018. Tina Weber, Codierungen des Todes. Zur filmischen Darstellung von Toten in der amerikanischen Fernsehserie “Six feet under“, in: Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes, München 2007, 541–557. Otto Weber (Hg.), Der Heidelberger Katechismus, Gütersloh 31986. Gerhard Wegner, Religiöse Kommunikation und Kirchenbindung. Ende des liberalen Paradigmas?, Leipzig 2014. Guido Westerwelle, Dominik Wichmann, Zwischen zwei Leben. Von Liebe, Tod und Zuversicht, München 2016. Birgit Weyel, Tobias Weimer, Biographie und Eschatologie. Eine Umfrage zur Bestattungspredigt in Württemberg, in: Heinzpeter Hempelmann, Benjamin Schließer, Corinna Schubert, Markus Weimer (Hg.), Handbuch Bestattung. Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis (Kirche und Milieu Bd. 3), Göttingen 22019, 122–128. Norbert Wichard, „Ich habe dich beim Namen gerufen.“ Sozial- und Ordnungsamtsbestattungen als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft, in: Thorsten Benkel (Hg.), Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes (Kulturen der Gesellschaft Bd. 15), Bielefeld 2016, 163–179. Peter Wilhelm, „Gestatten, Bestatter!“ Bei uns liegen Sie richtig, München 2009. Jesko Wilke, Wie man nicht stirbt. Die 12 häufigsten Todesursachen und wie Sie sie vermeiden. Die Formel für ein langes Leben, München 2017. Jean-Pierre Wils, Moral und Ritualisierung. Anmerkungen über die neue ,ars moriendi‘, in: Michael Rosentreter, Dominik Groß, Stephanie Kaiser (Hg.), Sterbeprozesse – Annäherung an den Tod, Kassel 2010 (http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-389958-960-3.volltext.frei.pdf; aufgerufen am 23.04.2021), 103–112. Rolf Winau, Einstellungen zu Tod und Sterben in der europäischen Geschichte, in: Ders., Hans Peter Rosemeier (Hg.), Tod und Sterben, Berlin u.ö. 1984, 15–26. Joachim Wittkowski, Art.: Psychologie, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas

165

Literatur

Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 50–61. Joachim Wittkowski, Hans Strenge, Der kulturgeschichtliche Hintergrund von Sterben und Tod, in: Dies. (Hg.), Warum der Tod kein Sterben kennt. Neue Einsichten zu unserer Lebenszeit, Darmstadt 2011, 13–28. Joachim Wittkowski, Sterben – Ende ohne Anfang?, in: Ders., Hans Strenge (Hg.), Warum der Tod kein Sterben kennt. Neue Einsichten zu unserer Lebenszeit, Darmstadt 2011, 29–104. Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010. Hans-Bernhard Wuermeling, Art.: Leiche – medizinisch, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 126–129. Hans-Bernhard Wuermeling, Art.: Todesursachen, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 109–113. Daniel Wyler (Hg.), Sterben und Tod. Eine interprofessionelle Auseinandersetzung, Zürich 2009. Jean Ziegler, Das Geheimnis des Lebens liegt im Tod, in: Achim Kuhn (Hg.), Deadline. Prominente über Leben und Sterben, Zürich 2015, 101–107. Jörg Zink, Der Tod und seine Rückseite. Geleitwort, in: Rolf Winau, Hans Peter Rosemeier (Hg.), Tod und Sterben, Berlin u.ö. 1984, VII–XII. Jörg Zink, Auferstehung, Stuttgart 2005. Paul M. Zulehner, Jedem seinen eigenen Tod. Für die Freiheit des Sterbens, Ostfildern 2001.

166