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German Pages 286 Year 2018
Anna Magdalena Schaupp Warum wir wissen, was wir tun
Edition Moderne Postmoderne
Anna Magdalena Schaupp (Dipl.-Päd., M.A.), geb. 1984, ist Projektreferentin für Forschung und Nachwuchsförderung im Projekt »UMR 2027 – Interaktion in Forschung und Lehre ausbauen« an der Philipps-Universität Marburg. Zuvor war sie Koordinatorin des fächerübergreifenden Forschungsschwerpunktes »Kulturelle Orientierung und normative Bindung« an der Universität KoblenzLandau. Sie wurde von Christian Bermes (Universität Koblenz-Landau) und Karl Mertens (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) im Fach Philosophie promoviert.
Anna Magdalena Schaupp
Warum wir wissen, was wir tun Eine Explikation des Handlungsvollzugs mit Aristoteles, Anscombe, Husserl und Wittgenstein
Zugl. Diss., Univ. Koblenz-Landau, FB 5, 09.04.2015.
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Inhalt Vorwort | 7 1. Einleitung | 11 1.1 Warum wissen wir, was wir tun? | 11 1.2 Paradigmen der Handlungsbeschreibung: Können, Verursachen, Erzählen – Vollziehen? | 17 1.2.1 Können | 17 1.2.2 Verursachen | 19 1.2.3 Erzählen | 28 1.2.4 Vollziehen? | 31 1.3 Der Gang der Analyse | 35
2. Handlungen vom Handeln her denken | 49 2.1 Die Kontextbindung des Handlungsvollzugs | 53 2.1.1 Handeln im Kontext des Lebens | 54 2.1.2 Das praktische In-Bezug-auf: Die Mesoteslehre | 59 2.2 Die Vernunftvermögen als Wissen und Wahrnehmung | 66
3. Erlebte Ereignisse | 87 3.1 Aristoteles: Gewollte Ereignisse | 91 3.1.1 Gewolltes und Vorsätzliches | 92 3.1.2 Beschreibung des Vorsätzlichen: Der praktische Syllogismus | 99 3.2 Anscombe: Absichtliche Ereignisse | 109 3.2.1 Geschehen und Beschreibung | 112 3.2.2 Praktische Ereignisbeschreibungen | 127 3.2.2.1 Der Unterschied zwischen theoretischem und im Handeln liegendem Wissen | 128
3.2.2.2 Absichtliche Ereignisse | 133 3.2.2.3 Die Identität der Beschreibungen | 139 3.2.3 Wissen ohne Beobachtung | 143
4. Intersubjektive Erlebnisse | 183 4.1 Husserl: Der Vollzug des Wissens ohne Beobachtung | 191 4.1.1 Das Erleben bestimmt das Erlebnis | 199 4.1.1.1 Husserls Weg zum ›ego cogito cogitatum qua cogitatum‹ | 199 4.1.1.2 Die Funktion des Wissens ohne Beobachtung | 203 4.1.1.3 Die Analogie der Vollzüge | 204 4.1.2 Das Erlebnis bestimmt den Erlebenden | 207 4.2 Wittgenstein: Die Intersubjektivität des Erlebnisses | 213 4.2.1 Der Gebrauch liegt im Handeln | 216 4.2.2 Der Gebrauch bestimmt Handeln und Kontext | 222 4.2.3 Die Intersubjektivität des Erlebnisses | 228
5. Schluss: Warum wir wissen, was wir tun | 265 6. Siglenverzeichnis | 273 7. Literatur | 277
Vorwort
Eine Dissertation schreibt man der Form und der Sache nach selbst und alleine. Ich hatte das Glück, dies nicht in Einsamkeit tun zu müssen. Immer wieder war jemand da, der mit mir einen Gedanken prüfte, mir Mut zusprach oder eine kleine Freude bereitete. Besonderer Dank gilt meinen beiden Doktorvätern Christian Bermes und Karl Mertens. Beide haben mich während meiner Forschungen auf ihre je unterschiedliche Art begleitet, unterstützt und herausgefordert. Weiterhelfen heißt, wie sich für mich stets aufs Neue zeigte, im richtigen Moment die richtige Frage stellen und Zeit haben, die Antwort gemeinsam zu erwägen. Diese Gespräche bestätigten häufig, wie schwierig es ist, den eigenen Weg zu gehen und wie erleichternd es sein kann, sich dann und wann darin abzusichern. Ich danke meinen Doktorvätern, Christian Bermes und Karl Mertens, ausdrücklich für ihre Fragen und unser Erwägen der Antworten in der Hoffnung, dass unser Austausch nicht abreißt. Auch Alfred Langewand und Jörn Müller standen mir bei der Entwicklung meiner Gedanken stets zur Seite. Alfred Langewand, dessen Tür mir offen stand, half, Argumente auf ihre Konsistenz hin zu prüfen und mich der Kohärenz meiner Überlegungen zu versichern. Er ermutigte mich, die begonnene Argumentation voranzutreiben und meinen Denkweg fortzusetzen. Jörn Müller war mein Ratgeber zu allen Fragen bezüglich Aristoteles. Immer wieder hat er den Fortgang meiner Forschungen mit mir kritisch reflektiert und mich so auf manchen gewinnbringenden Gedanken gestoßen. Alfred Langewand und Jörn Müller danke ich ausdrücklich für ihren Beistand in der Zuversicht, dass wir auch weiterhin im Gespräch bleiben. Zudem soll auch Anselm Müller nicht vergessen
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Warum wir wissen, was wir tun
werden. Denn seine Hinweise zu Anscombe und Aristoteles waren möglicherweise entscheidender, als mir selbst bewusst ist. Jürgen Goldstein hat den Weg, der notwendig war, um aus der vorliegenden Qualifikationsschrift ein Buch zu machen, mit Sachverstand und Feinsinn begleitet. Dadurch konnte ich meinen Text noch einmal aus einer ganz anderen Perspektive betrachten und von seinen Kenntnissen des Verlagswesens profitieren. Ich danke Jürgen Goldstein sehr für diese Einblicke und wäre froh, wenn wir in Verbindung bleiben. Annika Hand hat mir als Koordinatorin der Graduiertenschule Herausforderung Leben, in deren Rahmen diese Arbeit entstand, vieles abgenommen, das ich sonst hätte selbst erledigen müssen. Ich danke ihr deshalb für ihren unermüdlichen Einsatz, der mir oft den Rücken frei gehalten hat. Meinen Kolleginnen, die mir über die Jahre Freundinnen geworden sind, danke ich dafür, dass sie mit mir in dieser Landauer Zeit durch Dick und Dünn gegangen sind und neben wissenschaftlichen Herausforderungen auch Alltagsprobleme mit mir geteilt haben. Es war ein Geschenk, Menschen um mich zu haben, mit denen ich die Lebenssituation teilen konnte. Meinen Freunden, die mit aller Nachsicht und mit allen Kräften die Entstehung dieser Arbeit mitgetragen haben, danke ich herzlich für all ihre ermunternden Worte, ihren Langmut und ihre Fürsorge. Euch verdanke ich es, dass ich in diesen Jahren weder verhungert noch ertrunken bin. Gleiches gilt für meine Familie. Meine Mutter und meine Tante Susanne hatten immer ein offenes Ohr für meine Sorgen und Nöte. Sie haben mir diese Zeit durch ihre Zuwendung ständig etwas angenehmer gemacht, und so danke ich ihnen von Herzen für all ihren Zuspruch. Meiner Schwester danke ich aufrichtig dafür, dass sie immer zu mir gehalten hat, auch wenn die Lage schwierig wurde. Meinem Vater rechne ich seine Zurückhaltung hoch an. Dem Land Rheinland-Pfalz danke ich für die Mittel, die mir das Anfertigen dieser Arbeit möglich gemacht haben.
Vor wor t
Ohne das bedingungslose Einverständnis und die rückhaltlose Unterstützung meines Mannes hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Deshalb sei ihm dieses Buch in Liebe gewidmet. AMS, Marburg, Februar 2018
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1. Einleitung 1.1 W arum wissen wir , was wir tun ? Die Hoffnung auf Orientierung in der Welt drückt sich in zwei Fragen aus. Eine erkundigt sich, was etwas ist, während die andere herausfinden will, was jemand tut. Die Neugierde hinter der Erkundigung ›Was ist das?‹ lässt sich meist befriedigen, indem unsere Wahrnehmung, unser Erleben oder unsere Versuche, das Wahrgenommene oder Erlebte zu bestimmen, näher betrachtet oder erläutert werden. Wir beschreiben dann den Sachverhalt, der sich uns nicht auf Anhieb erschließt, etwa als Standuhr, die schon seit Generationen im Familienbesitz ist und entfalten damit unser Wissen über das zuvor unverständliche Objekt. Auf diese Weise gewinnen wir neue Orientierung in der Welt. Wendet sich jemand unvermittelt mit einem ›Was machst du?‹ an uns, so können wir allerdings lediglich angeben, welcher Tätigkeit wir gerade nachgehen und sagen ›Spazierengehen.‹ Auf einen Gegenstand, wie die erwähnte Standuhr und ihre Geschichte, nehmen wir in dieser Erklärung keinen Bezug. Trotzdem verdeutlicht die Erwiderung ›Spazierengehen‹ unmittelbar die Situation, in der sich zwei Menschen zufällig auf der Straße begegnen. Erstaunlicherweise büßt der Verweis auf das Handeln seine Orientierungsleistung auch dann nicht ein, wenn wir es dem anderen nicht ad hoc gleichtun können. Wir begreifen, womit der Gefragte befasst ist, wenn er uns berichtet, er backe Apfelstrudel, obwohl wir vielleicht keine Ahnung haben, wie man einen Strudel herstellt. Mehr noch, die einzelnen Handgriffe, die der Bäcker unternimmt, um die Mehlspeise zu zaubern, erschließen sich möglicherweise dem
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Laien erst, wenn er weiß, was der Experte tut, insofern er knetet, Äpfel schält und Nüsse zerkleinert. Aber, warum wissen wir überhaupt, was wir tun, sei es kneten, schälen, zerkleinern oder einen Apfelstrudel zubereiten? Wie komplex das Problem sein kann, dem wir uns mit der Frage ›Warum wissen wir, was wir tun?‹ zuwenden, zeigt ein weiteres alltägliches Beispiel: Warum weiß Lisa, dass sie schreibt, während sie ihrem Freund eine Geburtstagsmail schreibt? Obwohl diese Zeilen erst während ihres Schreibens entstehen, weiß sie um ihr Schreiben eben dieser Zeilen. Warum weiß auch Fritz, wenn er das Zimmer betritt, dass Lisa schreibt, ohne dass er die Worte, die Lisa notiert, unbedingt sehen muss? Die Sätze zu kennen, die Lisa schreibt, so ein möglicher Einwand, ist doch überhaupt nicht notwendig, um zu wissen, dass sie schreibt. Fritz sieht doch, dass Lisa schreibt. Aber was sieht Fritz, wenn er Lisa schreiben sieht? Er sieht wahrscheinlich ihre Finger, wie sie sich über die Tastatur ihres Laptops bewegen und verschiedene Tasten drücken. Er hört das Geräusch, das mit dem Betätigen der Knöpfe einhergeht. Sieht Fritz deshalb, dass Lisa schreibt, und weiß aus dieser Beobachtung, was Lisa tut? Die Beobachtung dieser Bewegungen über der Tastatur allein zeigt Fritz nicht an, dass Lisa schreibt. Dennoch weiß Fritz, sobald er ins Zimmer kommt, dass Lisa schreibt und nicht Klavier spielt. Ebenso weiß Lisa nicht, was sie tut, indem sie auf ihre Finger blickt und zusieht, wie sie von einem Buchstaben zum nächsten springen und Worte auf dem Bildschirm hervorrufen. Es ist zwar denkbar, dass Lisa ihre Aufmerksamkeit auf diese Bewegungen lenkt, aber in der Regel ist sie sich dieser Vorgänge im Schreiben nicht bewusst. Trotzdem weiß Lisa genauso wie Fritz, dass sie schreibt und nicht etwa Klavierspielen übt. Weder Lisa noch Fritz beobachten ausdrücklich die für das Schreiben erforderlichen Bewegungen und Vorgänge – etwa das Heben und Senken der Finger, um die Tasten zu drücken –, aber warum wissen dennoch beide, was Lisa tut? Schreiben. Ausgangspunkt und Gegenstand dieser Untersuchung ist der Handlungsvollzug, wie er gerade am Beispiel des Wissens um das Schreiben eingefangen werden sollte. Wird das soeben skiz-
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zierte Beispiel weiter präzisiert, konkretisiert sich damit auch der Gegenstand dieser Überlegungen. Lisa und Fritz wissen, dass Lisa schreibt. Lisa weiß zudem, was sie schreibt. Angenommen, Fritz besucht als unbedarfter Gast im Augenblick des Schreibens Lisa in ihrem Arbeitszimmer, so braucht er nicht über Lisas Mail informiert zu sein, um zu wissen, dass sie schreibt. Für Fritz’ Wissen um Lisas Schreiben spielt der Inhalt ihres Schreibens keine Rolle. Gleiches gilt für Lisas Wissen um ihr Schreiben. Sie weiß, während sie schreibt, dass sie schreibt, aber sie leitet dieses Wissen nicht aus dem Inhalt ihrer Nachricht ab. Während Lisa schreibt, weiß sie, dass sie schreibt, ohne sich bewusstseinsmäßig darauf richten zu müssen, womit sie inhaltlich befasst ist. Das bedeutet nicht, dass Lisa nicht weiß, was sie schreibt, oder dass Schreiben ohne jeden begrifflichen Inhalt funktioniert. Doch das Wissen um den Vollzug des Schreibens ist nicht an diesen Inhalt geknüpft. Lisa weiß um ihr Schreiben, insofern sie schreibt. Ebenso weiß Fritz darum, insofern er im Moment des Schreibens in Lisas Nähe ist. Fritz und Lisa wissen, dass sie schreibt, ganz gleich, ob sie eine Mail oder eine Dissertation schreibt. Die vorliegende Analyse richtet sich deshalb auf einen Vollzug, der nicht an einem Gegenstand, etwa dem Inhalt eines Schriftstücks, festgemacht werden kann. Handlungsvollzug meint das Handeln selbst, das sich weder als Resultat der entsprechenden Bewegungen begreifen lässt, noch aus dem darin angestrebten Ziel hergeleitet werden kann. Mit dem Schreiben steht ein Fritz und Lisa gleichermaßen zugänglicher Vollzug im Zentrum des Interesses. Entscheidend für die Untersuchung des Handlungsvollzugs sind weder Bewegungsanalysen noch Bewusstseinsinhalte. Beide, Bewegung und Bewusstsein, flankieren den Handlungsvollzug, ohne jedoch seinen systematischen Kern zu treffen. Selbstverständlich bewegt Lisa ihre Finger, während sie schreibt. Selbstverständlich ist sie während des Schreibens mit dem Inhalt der zu formulierenden Sätze beschäftigt. Aber beide Sachverhalte thematisieren das Schreiben nicht. Das Schreiben bleibt während des Nachdenkens über den Inhalt völlig unthematisch. Ebenso dringen die Bewegungen während
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des Schreibens nicht ins Bewusstsein. Natürlich muss Lisa, damit Fritz wissen kann, dass sie schreibt, sich in irgendeiner Weise wie eine Schreibende verhalten. Aber Fritz wird den erforderlichen Bewegungen nicht ansehen, dass Lisa schreibt, wie er einem Baum ansieht, dass er vom Blitz getroffen wird. Obwohl Fritz jede einzelne Bewegung sehen könnte, wenn er sein Interesse darauf richtete, braucht er seine Wahrnehmung nicht ausdrücklich auf diese Bewegungen hinzulenken, um zu wissen, dass Lisa schreibt. Der Ausgangsbefund, dass weder Lisa noch Fritz aus den Schreibbewegungen oder dem Nachdenken über den Textinhalt wissen, was Lisa tut, führt zur Forschungsfrage dieser Abhandlung. Warum wissen wir (in diesem Falle sowohl Lisa als auch Fritz), was wir tun, ohne Bewegungen zu beobachten und Bewusstseinsakte zu befragen? Einer Antwort auf diese Frage möchte sich die vorliegende Untersuchung annähern, indem sie Handlungen vom Handeln her denkt. In diesem Sinne wird sie jenen Vollzug in den Blick nehmen, von dem Akteur und Zuschauer gleichermaßen wissen: Lisa weiß natürlich auch unabhängig davon, ob Fritz in ihr Arbeitszimmer kommt, dass sie schreibt, doch nur insofern Lisa schreibt, können sie es beide wissen. Denn wenn Fritz zu Lisa kommt, während sie schreibt, weiß er, dass sie schreibt und sie beide wissen es, ohne auf die Bewegungen oder den Textinhalt achten zu müssen. Es geht demnach im Folgenden darum, die Struktur eines durch und durch intersubjektiven Vollzugs zu erschließen. Einfach ausgedrückt, sucht dieses Buch nach der Möglichkeit einer Bestimmung dessen, was jemand tut, während er es tut, ohne auf die einzelnen Teilaspekte, die das Handeln umgeben – Körperbewegungen, Handlungsschritte, Bewusstseinsakte –, verweisen zu müssen. Handlungen vom Handeln her zu denken, beschreibt das Anliegen, sich gedanklich vollständig auf den Handlungsvollzug einzulassen, um seine Struktur Schritt für Schritt offenzulegen. Angesichts dieses Vorhabens bekommt die Frage ›Warum wissen wir, was wir tun?‹ eine doppelte Funktion. Erstens erinnert sie stets an den hier verfolgten erkenntnistheoretischen Anspruch. Zweitens dient sie als Richtschnur dafür, wie weit die Analyse des
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Handlungsvollzuges fortgeschritten ist. Die beiden Funktionen sind unmittelbar aufeinander bezogen. Denn im Sinne des erkenntnistheoretischen Anspruchs sind alle Handlungen gleichberechtigt. Sie alle können nur gewusst werden, insofern sie vollzogen werden und so erschließt sich mit dem Wissen um den Handlungsvollzug seine Struktur. Es ist für die vorliegende Auseinandersetzung mit dem Vollzug völlig gleichgültig, ob eine Handlung als moralisch gut oder schlecht zu bewerten ist oder ob sie ontologisch eher in die Kategorie des Handelns oder des Verhaltens fällt. Für das Anliegen, Handlungen vom Handeln her zu denken, kommt es nur auf den Vollzug an, den gute und schlechte Taten, absichtliches Handeln und bloßes Verhalten gemeinsam haben. Absichten, Gründe und Bewusstseinsakte sind für die Explikation des Handlungsvollzuges gleichermaßen irrelevant wie die Unterscheidung zwischen Handeln und Verhalten. Weshalb, so könnte die Leitfrage dieser Arbeit reformuliert werden, wissen wir ebenso um das Retten eines ertrinkenden Kindes wie um das Vergewaltigen einer Frau? Weshalb wissen wir ebenso vom tollkühnen Springen des Fallschirmspringers wie vom tragischen Abstürzen eines Bergsteigers? Retten und Vergewaltigen, Springen und Abstürzen stellen Handlungsvollzüge dar und nur als solche Vollzüge sind sie gegenwärtig bedeutsam. Es geht in dieser Untersuchung allein um die Analyse des Handlungsvollzuges und nicht um seine ethische Relevanz oder seine Ontologie. Fraglich ist nicht, was eine Handlung zur Handlung macht, was Handeln von Verhalten unterscheidet, warum eine Handlung eine gute oder eine schlechte Handlung ist oder ob Handlungen eher Erlebnisse oder Ereignisse sind. Denn der Handlungsvollzug, so deutet schon die Formulierung der Methode ›Handlungen vom Handeln her denken‹ an, steht nicht von Vornherein fest. Wie oft habe ich mir Dinge vorgenommen, von denen ich im Sinne des Vorsatzes sicher wusste, und trotzdem wurde aus dem Vorsatz niemals eine Tat? Nur wenn ich meinem Freund tatsächlich und gegenwärtig zum Geburtstag schreibe, weiß ich, dass ich ihm schreibe. Die entsprechende Handlung ergibt sich erst im Handeln. Der Handlungsvollzug bestimmt, was wir tatsächlich tun, und umgekehrt
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verschwindet er, sobald wir aufhören, ihn zu vollziehen. Beende ich mein Schreiben, kommt der Schreibvollzug zum Erliegen und es ist unmöglich, ihn vom Vollzug her zu begreifen. Damit wird deutlich, wie sich der in der Frage ›Warum wissen wir, was wir tun?‹ ausgedrückte erkenntnistheoretische Anspruch auf ihre Funktion als Richtschnur der Untersuchung, die anzeigt, wie weit die Analyse vorangetrieben wurde, auswirkt: Sie erkundigt sich nach einem Vollzug, der erst fassbar wird, wenn jemand tatsächlich handelt und der umgekehrt endet, sobald er es unterlässt. Entsprechend ist, je nach dem, in wie weit angegeben werden kann, warum wir wissen, was wir tun, auch der Handlungsvollzug erschlossen. Die Frage ›Warum wissen wir, was wir tun?‹ ermöglicht also, die Allgemeinheit eines Vollzuges in den Blick zu nehmen, der alltäglich immer nur als dieser oder jener bestimmte auftritt, ohne die notwendigen Unterschiede einzuebnen. So meint, jemanden töten, eben nicht, jemandem gratulieren, und jemandem gratulieren nicht, ein Haus bauen. Dennoch sind alle drei Handlungsvollzüge, d.h. sie verschwinden, sobald sie eingestellt werden. Für jede dieser Handlungen stellt sich die Frage, warum wir wissen, dass wir töten, gratulieren oder bauen, obwohl das Resultat als möglicher Prüfstein dieses Wissens nicht vorliegt. Die zu tötende Person ist noch nicht tot, die Gratulation noch nicht vollständig ausgesprochen und das Haus wird noch gebaut. Warum wissen wir, was zwischen dem Vorsatz und seiner Erfüllung geschieht, selbst wenn ersterer keine Handlungsgarantie ist und letztere noch nicht feststeht? Albert weiß ja auch, dass er sich ein Eis kauft, wenn er unverhofft und spontan eine Eisdiele aufsucht, ohne vorher einen wohlerwogenen Entschluss gefasst zu haben. Sobald eine Antwort auf diese Frage gefunden ist, liegt die Struktur des Handlungsvollzuges vor Augen und die gestellte Aufgabe hat sich erfüllt.
1. Einleitung
1.2 Par adigmen der H andlungsbeschreibung : K önnen , V erursachen , E rz ählen – V oll ziehen ?1 1.2.1 Können Das mit der heuristischen Frage ›Warum wissen wir, was wir tun?‹ charakterisierte Anliegen dieses Buches erinnert an das von Gilbert Ryle eingeführte Wissen wie. Mit »Wissen wie«2 benennt Ryle das Wissen um die Art und Weise, wie jemand eine bestimmte Handlung oder Fertigkeit vollzieht. Ein gewiefter Possenreißer etwa erzählt Witze mit scharfsinnigen Pointen. Er kann ausgesprochen gekonnt scherzen und ist in der Lage, gute von schlechten Witzen zu unterscheiden.3 Vom Können dieses Possenreißers weiß, wer ihn scherzen hört. »Intelligent sein heißt nicht bloß,« so meint Ryle in Analogie zum Scherzen, »gewissen Kriterien genügen, sondern sie anwenden; seine Handlungsweise gut regeln, nicht bloß gut geregelt sein. Jemandes Handeln wird als sorgfältig oder gekonnt bezeichnet, wenn er fähig ist, in seinem Vorgehen Fehler zu entdecken und auszumerzen, Erfolge zu wiederholen und zu vergrößern, aus den Beispielen anderer zu lernen und so weiter. Er wendet Kriterien an, indem er kritisch vorgeht, d.h. er versucht, was er tut, richtig zu tun.« 4
Der Punkt, auf den Ryle mit dem Verweis auf das Wissen wie bzw. Können aufmerksam machen will, wird in der Wendung »Er wendet Kriterien an, indem er kritisch vorgeht« greif bar. Das Können einer Person äußert sich nicht in einem geistigen Akt, der sein gekonntes Handeln begleitet. Es verwirklicht sich in der Art und Weise, wie die Person handelnd – kritisch, d.h. Kriterien anwendend – vorgeht. Ein guter Witzbold wird an seiner herausragenden Art, Leute zum Lachen zu bringen, erkannt und nicht an den Überlegungen, die er über seine Scherze anstellt. Weder der Erheiterte noch der Scherzende weiß, ehe er eine Kostprobe des Könnens bekommt oder sich im Kalauern versucht hat, dass diese Person ein hervorragender Hu-
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morist ist. Beide wissen es erst durch dessen Art zu scherzen. Sie wissen, genau genommen, wie amüsant seine Einschübe sind, ehe sie wissen, dass er ein guter Komiker ist.5 Damit nimmt Ryle in seiner Untersuchung der »logischen Geographie«6 des Wissens über Geist und Seele eine Perspektive auf das Können ein, die auch für die hier begonnene Analyse des Handelns wegweisend ist. Die Frage nach dem Wissen um das Handeln lässt sich nicht durch eine Befragung jener geistigen Akte erledigen, die dem Handeln vorausgehen oder es begleiten. Wer herausfinden möchte, wie gekonnt jemand eine bestimmte Handlung ausführt, der muss sich den Handlungen und nicht den geistigen Akten dieser Person zuwenden. Der Begriff der Könnerschaft zielt nicht auf ein Ereignis, das das Ereignis etwa des Klavierspielens verursacht und so zu gesetzesartigen Vorhersagen über das Klavierspiel berechtigt.7 Die Perfektion des Vortrags liegt im Klavierspiel und erlaubt, eine Wiederholung des mustergültigen Konzertes zu erwarten. »Der alte Irrtum,« so hält Ryle deshalb fest, »den Ausdruck ›Kraft‹ so zu behandeln, als bedeutete er eine okkulte, Kraft anwendende Macht, ist in den physikalischen Wissenschaften aufgegeben worden, aber seine Verwandten leben in manchen Theorien des Geistes weiter und sind in der Biologie vielleicht gerade erst am Aussterben.«8 Die herausragende Könnerschaft des Pianisten beschreibt nach Ryle nicht dessen ursächliche Macht, das Stück vorzutragen, sondern lediglich die Art und Weise, wie dieser Vortrag gestaltet wird. Wer den Geist des Akteurs, so könnte Ryles Diktum handlungstheoretisch gewendet werden, als Kraft oder Ursache der Handlung auffasst, der verkennt, dass Dispositionen, also Könnerschaft, Perfektion oder Leidenschaft, keine Ereignisse sind, aus denen Handlungen hervorgehen. Dispositionen drücken sich vielmehr im Handeln aus und bestimmen so schlicht die Handlung näher. Entsprechend erfordert die Beantwortung der Frage, warum wir wissen, was wir tun, das Handeln zu analysieren, indem nach einem im Handeln liegenden Wissen und nicht nach dem Denken oder der Struktur handlungsverursachenden Wissens gefragt wird.
1. Einleitung
Wenn also im Folgenden dargelegt werden soll, warum Lisa und Fritz um Lisas Schreiben wissen, gilt es, unmittelbar das Schreiben zu untersuchen und nicht etwa herauszufinden, welche Motive Lisa für ihr Schreiben hat. Die Problematik der vorliegenden Untersuchung weicht von jener Ryles insofern ab, als sie nicht thematisiert, wie gekonnt Lisa schreibt und woran sich ihre Könnerschaft zeigt. Es soll herausgearbeitet werden, wie sich diese Handlung des Schreibens vollzieht, unabhängig davon, wodurch sich diese Weise des Schreibens auszeichnet. Es geht, kurz gesagt, nicht darum, was es heißt, zu wissen wie gekonnt jemand schreibt, sondern darum, warum wir um dieses Schreiben wissen. Deshalb soll auch nicht nach dem praktischen Wissen im Sinne des Könnens, sondern nach einem Wissen gesucht werden, das ähnlich dem Können im Handeln selbst liegt, aber die Handlung erst als diese oder jene bestimmt.
1.2.2 Verursachen Damit drängt sich der Verdacht auf, das im Handeln liegende Wissen könnte in der Kausalität zu finden sein, die Ryle zurückweist. Denn es könnte zu vermuten stehen, Kausalität sei notwendig, um das Ereignis ›Handlungsvollzug‹ einerseits zu verursachen und andererseits aufrechtzuerhalten. Tatsächlich wendet sich Donald Davidson in seinem epochemachenden Aufsatz Handlungen, Gründe und Ursachen9 ausdrücklich gegen die von Ryle vertretene Auffassung, Handlungen ließen sich nicht in derselben Form wie physikalische Ereignisse kausal erklären.10 Davidson sucht deshalb nach der Kausalität, die das Handeln antreibt. Er befragt zu diesem Zweck die Beziehung zwischen einer Handlung und dem Grund, den der Handelnde für sein Tun angeben würde, um sein Handeln zu rationalisieren. Damit möchte Davidson »die antike [Aristotelische] – dem common sense verpflichtete – Position verteidigen, daß die Rationalisierung eine Spielart der kausalen Erklärung ist«.11 Die Erklärungsleistung der Rationalisierung ergibt sich für Davidson also aus der kausalen Beziehung zwischen Grund und Handlung.
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Seine Position will Davidson plausibel machen, indem er in Anlehnung an die deduktiv-nomologische Erklärung von Hempel und Oppenheim12 für zwei Prämissen eintritt, die die Kausalbeziehung zwischen Grund und Handlung sichtbar machen und die Handlung durch Rationalisierung kausal erklären sollen: »C1 G ist nur dann ein primärer Grund, weshalb eine handelnde Person die Handlung H unter der Beschreibung b ausführt, wenn sich G zusammensetzt aus einer Proeinstellung des Handelnden zu Handlungen mit einer bestimmten Eigenschaft sowie der Überzeugung des Handelnden, daß H unter der Beschreibung b diese Eigenschaft hat.«13 »C2 Die Ursache einer Handlung ist ihr primärer Grund.«14
Das Beispiel, aus dem Davidson seine drei wesentlichen Argumente für C1 als rationalisierende Ursache des Handelns entwickelt, ist denkbar einfach. Angenommen, ich möchte das Licht anmachen, knipse deshalb den Lichtschalter an und beleuchte das Zimmer. Zufällig alarmiere ich damit einen Einbrecher, der gerade in mein Haus einbrechen will. Der Grund, weshalb ich den Schalter gedrückt habe, kann dann erstens nicht darin liegen, dass ich den Einbrecher warnen möchte. Ich weiß ja gar nicht, dass er sich anschickt, in mein Haus einzudringen. Auch die Tatsache, dass zweitens das Zimmer beleuchtet wird, kommt als Grund für mein Drücken des Lichtschalters nicht in Frage. Das Beleuchten des Zimmers folgt erst als Konsequenz aus meinem Drücken des Schalters und kann folglich nicht dessen rationalisierender Grund sein. Bleibt nur, dass ich drittens den Schalter anknipse, weil ich das Licht anmachen will. Unter den drei Beschreibungen findet sich demnach nur eine, die das Anknipsen des Schalters rationalisiert: Ich will das Licht anmachen. Damit ist die Tatsache, dass ich das Licht anmachen will, unter dieser Beschreibung der primäre Grund für meine Handlung des Anknipsens; ich will das Licht anmachen und habe die Proeinstellung, dass die Betätigung des Schalters den gewünschten Effekt hat, das Zimmer zu beleuchten.15 Dieser primäre Grund für mein
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Anknipsen des Schalters, der besagt, dass ich das Licht anmachen will und überzeugt bin, das Anknipsen sei das richtige Mittel, um das Zimmer zu beleuchten, rationalisiert also mein Handeln. Worüber sagen diese Analysen der Handlungsrationalisierung etwas aus? Auf wen oder was bezieht sich nach Davidson die Feststellung ›Ich will das Licht anmachen‹? »Eine Handlung wird durch einen Grund nur dann rationalisiert, wenn er uns etwas an der Handlung der ausführenden Person erkennen läßt, was der Betreffende selbst darin gesehen bzw. zu sehen geglaubt hat: ein Merkmal, eine Folge oder einen Aspekt der Handlung, die der Handelnde gewollt, gewünscht, geschätzt hat, die ihm teuer gewesen ist, die ihm pflichtgemäß, nützlich, obligatorisch oder angenehm vorgekommen ist.«16
Davidson stellt mit diesem Zitat seinen Überlegungen zum handlungsrationalisierenden primären Grund eine Bedingung voran, die anzeigt, worüber primäre Gründe Aufschluss geben können: über den Handelnden. Denn nur insofern der Akteur in einer Handlung etwas erstrebenswertes zu sehen meint, kommt eine Rationalisierung als erklärender Grund in Frage. Dieser Bedingung für Handlungsrationalisierungen entsprechend, benennt C1 zwei Eigenschaften des Akteurs, die erfüllt sein müssen, damit eine Handlung durch einen Grund rationalisiert werden kann. Erstens muss der Handelnde eine Proeinstellung zu Handlungen mit einer bestimmten Eigenschaft haben und zweitens der Überzeugung sein, daß H unter der Beschreibung b diese Eigenschaft aufweist. Die Analysen der Handlungsrationalisierung beziehen sich folglich auf den Akteur. Solange nicht klar ist, welchen Grund der Handelnde als wünschenswert betrachtet hat, kann nicht eindeutig festgestellt werden, was die Handlung rationalisiert. Auf wen oder was bezieht sich demnach die Aussage »Ich wollte das Licht anmachen.«? Beim ersten Hinsehen könnte es scheinen, als berichtete sie über das Lichtanmachen. Doch Subjekt des Satzes bin offensichtlich ich, die Akteurin, deren Wollen und deren Überzeugung, das Drücken des Schalters sei geeignet, um das Licht anzumachen, das Licht-
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anmachen rationalisiert. Der Grund, den ich für mein Handeln angebe, sagt also mehr über mich, denn über meine Handlungen aus. Davidson erkundigt sich in Handlungen, Gründe und Ursachen der eigenen Aussage nach weder nach der Handlung noch nach dem Handelnden, sondern nach der Beziehung zwischen einer Handlung und dem primären Grund, der die Handlung rationalisiert.17 Nun könnte angenommen werden, dass das Verhältnis zwischen dem primären Grund und dem abgeschlossenen Ereignis »Handlung« der Handlungsvollzug sei. Doch was offenbart die Einsicht in den rationalisierenden Grund nach Davidson über die Handlung? »Im Lichte eines primären Grundes wird gezeigt, daß die Handlung mit bestimmten lang- oder kurzfristigen charakteristischen oder uncharakteristischen Eigenschaften des Handelnden in Einklang steht, und der Handelnde wird dadurch in seiner Rolle als Vernunftwesen dargestellt.«18 Die Einsicht in den primären Grund offenbart die Beziehung des Handelnden zu seinem Tun und nicht den Handlungsvollzug. Dass ich morgens beim Frühstück das Licht anmachen will, ist für mich typisch, da ich währenddessen die neuesten Nachrichten in der Zeitung lese. Ich will also das Licht anmachen, um die Zeitung zu lesen. Dieses Wollen beschreibt weder mein Lichtanmachen noch mein Zeitunglesen. Es charakterisiert mich stattdessen als Vernunftwesen. Jene Aussagen, die in Davidsons Modellierung der deduktiv-nomologischen Erklärung an der Stelle der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten stehen, bestimmen also, insofern für ihn die Handlung begründet ist, den Akteur als Vernunftwesen. Das Erklärungsmodell definiert in der erste Prämisse den Handelnden nicht nur als Vernunftwesen; sondern es macht das Vernunftwesen, der Funktion der ersten Prämisse eines Syllogismus entsprechend (auch wenn die deduktiv-nomologische Erklärung ausdrücklich nicht syllogistisch zu verstehen ist, was Davidson nicht hindert, sie im Sinne des praktischen Syllogismus zu wenden19) auch zum Kriterium der Handlungserklärung. »Wesentlich für die Beziehung zwischen dem Grund und einer durch ihn erklärten Handlung ist die Vorstellung,« schreibt Davidson, »daß der Handelnde die Handlung ausgeführt hat, weil er diesen
1. Einleitung
Grund hatte.«20 Nicht jeder Grund, der angeführt werden könnte, um eine Handlung zu rationalisieren, ist folglich auch geeignet, sie zu erklären. Ausschlaggebend dafür, ob ein Grund eine Handlung rationalisiert, ist dass der Akteur diesen Grund als Ursache seiner Handlung betrachtet. Das Ereignis ›Ich habe das Licht angemacht‹ wird nur dann durch den Satz ›Ich wollte das Licht anmachen‹, erklärt, wenn ich mein Wollen als Ursache dieser Handlung begreife, ich also den Lichtschalter drückte, weil ich das Licht anmachen wollte. Werfe ich etwa in meiner Abstellkammer versehentlich den Besen um, und der Besenstil betätigt dabei den Lichtschalter, ließe sich dieses Ereignis des Lichtanmachens nicht durch mein Wollen rationalisieren. Die einzige zutreffende Erklärung, die ich als Akteurin dafür im Sinne Davidsons geben kann, ist, dass ich ein Tölpel bin, dessen Ungeschick die Handlung verursacht hat. Weil ich an den Besen gestoßen bin, wurde das Licht angemacht. Es finden sich keine Gründe, die mich als Vernunftwesen beschreiben und die Handlung rationalisieren. In beiden Fällen des Lichtanmachens wird also der Handelnde zum Kriterium dafür, ob ein Ereignis als Handlung erklärt werden kann oder nicht. Kann ich einen rationalen Grund als Ursache meines Lichtanmachens angeben, der mich als vernünftige Person charakterisiert, findet sich eine Beschreibung, die das Ereignis als Handlung erklärt. Entgeht mir dieser rationale Grund, findet sich auch keine Ereignisbeschreibung im Sinne einer Handlung. Davidson setzt also die Handlung und ihren rationalisierenden Grund vermittelt über die Einstellungen des Akteurs zueinander in Beziehung und deutet dieses Verhältnis als Kausalrelation: Ich drückte den Schalter, weil ich das Lichtanmachen wollte und das Drücken für geeignet halte, um das Zimmer zu beleuchten. Das »Weil«, das den Akteur über seinen Handlungsgrund zu seinem Tun in Beziehung setzt, beschreibt also die Beziehung zwischen rationalisierendem Grund und Handlung als Kausalverhältnis. Deshalb hält Davidson als zweite Prämisse seiner Handlungserklärung fest »C2 Die Ursache einer Handlung ist ihr primärer Grund.«21 Auf diese Weise kann er zudem die teleologische Handlungserklä-
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rung als eine Form der Kausalerklärung definieren. Denn er begreift die Absichten und Einstellungen des Handelnden als Ursachen seiner Handlungen, die sein Tun kausal erklären, indem sie es rationalisieren. Konsequenterweise fasst Davidson Handlungen als unwiederholbare, datierte Einzeldinge auf, die sich durch Intentionalität im Sinne Brentanos auszeichnen. Als Bewusstseinsakte gehören sie in den Bereich des Geistigen und lassen sich nicht auf physikalische Ereignisse reduzieren.22 Nichtsdestotrotz können Handlungen für Davidson mit physikalischen Ereignissen in kausalen Wechselwirkungen stehen, weshalb geistige zwar nicht auf physikalische Ereignisse reduziert werden können, aber dennoch mit ihnen identisch sind. Jedem geistigen Ereignis entspricht ein physisches, wobei das Umgekehrte nicht notwendig gilt. Davidson bestreitet also, dass geistige Ereignisse durch physikalische Gesetze erklärt werden können23 und lehnt gleichzeitig die Existenz psycho-physischer Gesetze ab. Um aus dem Dilemma herauszukommen, das entsteht, wenn einerseits behauptet wird, geistige und physische Ereignisse seien identisch und andererseits die Existenz psycho-physischer Gesetze bestritten wird, weist Davidson nach, dass Gesetze etwas Sprachliches sind.24 Sie ermöglichen sowohl eine physikalische als auch eine psychologische Beschreibung ein- und desselben Ereignisses, ohne dass die eine Beschreibung in die Begriffe der jeweils anderen übersetzt werden könnte. So gelangt Davidson, da keine psycho-physischen Gesetze auffindbar sind, zu einem anomalen Monismus. Dieser anomale Monismus nimmt die Identität geistiger und physischer Ereignisse an, ohne damit auch entsprechende psycho-physische Gesetze in Anschlag zu bringen. Damit ist Davidson überzeugt, es könnten physische Ereignisse psychische verursachen, ohne dass die Gesetze, die diese Kausalität festschreiben, angegeben werden könnten.25 In einer Handlungserklärung treffen, wie oben bereits erörtert, für Davidson die Beschreibungen zweier geistiger Ereignisse aufeinander. Wenn ich beispielsweise das Licht anmachen will, um das Zimmer zu beleuchten, halte ich das Anknipsen des Schalters
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für zweckmäßig und erwarte, dass dadurch das Zimmer beleuchtet wird. Das geistige Ereignis des Wollens, verbunden mit dem Für-Zweckmäßig-Halten der Handlung, verursacht das geistige Ereignis des Erwartens, dass das Zimmer durch das Anknipsen des Schalters beleuchtet wird. Wird durch die Beschreibung der in diesen intentionalen geistigen Ereignissen liegenden Kausalität der Handlungsvollzug beschrieben? Offensichtlich nicht, denn es geht um geistige Ereignisse des Handelnden und nicht um Handlungsvollzüge. Liegt die Handlungsvollzugsbeschreibung in der physikalischen Beschreibung des Licht-Einschaltens? Damit wird jedoch der Vorgang des Lichtanknipsens vollständig physikalisch erklärt. Folglich fehlt dabei der Bezug zum Handelnden und somit die nach Davidson für Handlungserklärungen entscheidende teleologische Kausalität. Die Lücke, die aufgrund fehlender psycho-physischer Gesetze zwischen der psychischen und physikalischen Ereignisbeschreibung entsteht, wird an Davidsons Schilderung eines Schreibvollzugs greif bar: »Ich bin dabei, den Buchstaben ›H‹ des Wortes ›Handlung‹ zu schreiben, und ich beabsichtige, den Buchstaben ›a‹ zu schreiben, sobald ich mit dem ›H‹ fertig bin. Der Grund für meine Absicht, den Buchstaben ›a‹ zu schreiben, sobald ich mit dem ›H‹ fertig bin, ist der, daß ich das Wort ›Handlung‹ schreiben will, und ich weiß, daß ich dazu im Anschluß an den Buchstaben ›H‹ den Buchstaben ›a‹ hinschreiben muß.« 26
Was zwischen dem Beschluss, den Buchstaben ›H‹ zu schreiben und dem Vorsatz, das ›a‹ zu Papier zu bringen geschieht, also den Vollzug des ›H‹ Schreibens, kann Davidson mangels psycho-physischer Gesetze nicht entfalten. Denn Gesetze sind für ihn sprachlich und können entweder eine physikalische oder eine psychologische Erklärung stützen. Folglich fehlt Davidson das Begriffswerkzeug, um den Zwischenraum zwischen dem psychischen Ereignis des Beabsichtigens und dem physischen Erscheinen des Wortes auf der Seite einzufangen. Seine Beschreibung des Schreibens gibt an,
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dass das Erscheinen der Buchstaben auf dem Papier auf ihn und seine Absicht zurückzuführen ist, aber über den Schreibvollzug sagt sie nichts. Streng genommen äußert sich Davidson nicht über das Schreiben, sondern lediglich über die vorbereitenden Absichten und die nachfolgenden Buchstaben. Die geschilderten Ereignisse werden nur als Handlung des Schreibens verständlich, da mit dem Ereignis des Beabsichtigens Intentionalität und Teleologie ins Spiel kommen. Intentionalität und Teleologie machen die Ereignisse als Handlungen verständlich, indem sie etwas über den Handelnden, der das Wort ›Handlung‹ schreiben will feststellen. Aber auf den Handlungsvollzug gehen Intentionalität und Teleologie dabei nicht ein. Diese Diagnose bestätigt, was sich auch schon in Auseinandersetzung mit C1 und C2 verdeutlicht: Handlungen scheinen für Davidson Ereignisse zu sein, die Strukturen aufweisen, die unabhängig vom konkreten Akteur in jedem Handeln relevant sind. Um jedoch als Handlungen erkennbar zu werden, müssen sie stets zu einem Akteur in Beziehung gesetzt werden. Alltäglich sind Handlungen allerdings auch ohne den Hinweis auf ihre Rationalisierung, sprich auf geistige Ereignisse, die das Geschehen an einen Akteur zurückbinden, als Taten verständlich. Ich weiß ohne Weiteres, dass der Mann vor meinem Fenster gerade in sein Auto steigt, ohne zu wissen, welche Wünsche er hat und welchen Zweck seine Fahrt erfüllen soll. Davidsons Untersuchung der spezifischen Kausalität des Handelns führt demnach vor Augen, dass jedes Handeln Strukturen aufweist, die nicht an den je individuellen Akteur gebunden sind, und nicht nur dessen persönliche Dispositionen, etwa ein hervorragender Unterhalter zu sein, zur Geltung bringen. Aber sie ermöglicht trotzdem nicht, das im Handeln liegende Wissen und damit den Handlungsvollzug zu ergründen. Denn Davidson befasst sich letztlich nur mit dem Handelnden und nicht mit Handlungsvollzügen. Der Auffassung, Handlungen seien Ereignisse, ist z.B. Kent Bach entgegen getreten. Bach steht für die These ein, Handlungen seien Exemplifizierungen einer Relation des Herbeiführens, die
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sich zwischen Akteur und Ereignis aufspannt, ohne selbst als eigenständiges Ereignis fassbar zu sein.27 Handlungen begreift er entsprechend als Herbeiführungen, die Ereignisse kausal bewirken, ohne deshalb selbst ein kausal verursachtes Ereignis zu sein.28 So hält er in seinem Aufsatz Handlungen sind keine Ereignisse an einer Kausaltheorie des Handelns fest, bestreitet aber die damit unhinterfragt verbundene Auffassung, Handlungen seien selbst kausal verursachte Ereignisse. Um die Schwierigkeiten, die sich aus dieser ungeprüften Annahme ergeben, sichtbar zu machen, fragt Bach: Welches Ereignis kann als Handlung gelten?29 Zur Explikation seiner Antwort sei auf Davidsons Analyse des Schreibens des Wortes ›Handlung‹ zurückgegriffen.30 Ist das Schreiben das Ereignis der Bewegung der Finger, durch die der Stift über das Papier geführt wird? Oder das Notieren der einzelnen Buchstaben von ›H‹ bis ›g‹? Oder das fertig geschriebene Wort, obwohl der eigentliche Vorgang des Schreibens bereits abgeschlossen ist? Möglicherweise liegt das Schreiben des Wortes schon einige Tage zurück, ehe die Arbeit an dem betreffenden Text abgeschlossen ist. War das Schreiben dann zu Ende, als der Text fertig war, oder hat das Schreiben jedes Wortes sein je eigenes Ende? Da sich diese Fragen kaum lösen lassen, kommt Bach zu dem Schluss, dass keine Notwendigkeit besteht, Handlungen »Zeitpunkte oder Orte zuzuordnen, obwohl die Ereignisse, die dabei ins Spiel kommen, natürlich datierbar und lokalisierbar sind. Es ist nicht klar, ob Handlungen überhaupt individuiert werden können – oder individuiert werden müssen –, denn wie soll man es anstellen, Fragen des Typs ›Wie viele Handlungen hat x zu t vollzogen?‹ oder ›Wie viele Sachen hat x zu t getan?‹ zu beantworten.« 31
Demnach leugnet Bach mit keinem Wort, dass datier- und lokalisierbare Ereignisse in Folge von Handlungen stattfinden. Er leugnet aber, ohne eine ontologische Alternative anbieten zu wollen,32 dass Handlungen selbst raum-zeitliche Ereignisse sind. Überspitzt ausgedrückt lässt sich ohne weiteres angeben, wann und wo
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ein Text geschrieben worden ist, aber daraus folgt nicht, dass der Vollzug des Schreibens selbst raumzeitlich individuiert werden kann. Bach führt also vor Augen, dass Handlungsvollzüge nicht mit denselben erkenntnistheoretischen Mitteln begreiflich werden, durch die physikalische Ereignisse erschlossen werden können. Deshalb sollten sie auch nicht als Ereignisse aufgefasst werden. Dennoch schlägt er keine neue Ontologie des Handelns vor. Er müsste dafür ausbuchstabieren, was auch für Davidson in Ermangelung psycho-physischer Gesetze nicht zu beschreiben ist: die Verursachung des Wortes ›Handlung‹ im Schreiben – und nicht das Ereignis des Erscheinens des Wortes auf dem Papier, das das Schreiben bewirkt. Wird Bachs Überlegung ernst genommen, ist es notwendig, die physikalische Ereignislogik vollständig zu verlassen, um Handlungsvollzüge zu untersuchen. Denn es handelt sich dabei um einen Vollzug, der kein unwiederholbares, datierbares Einzelding vorstellt, und der sich dennoch stets in konkreten Kontexten vollzieht.
1.2.3 Erzählen Eine Vollzugsanalyse wird wohl am ehesten in der Phänomenologie erwartet. Und tatsächlich befasst sich Paul Ricoeur in Das Selbst als ein Anderer aus phänomenologischer Perspektive mit dem Handeln. Unter den Vorzeichen des Erzählens über Handelnde33 beleuchtet er die Vereinzelung von Handlungen als Ereignisse. Denn die Entscheidung, Handlungen als Ereignisse zu individuieren und zu erklären,34 heißt für ihn, »die Problematik des Handelnden als des Besitzer seiner Handlung, zu verdecken«.35 Diese Verdeckung stellt Ricoeur insbesondere dem Zurückdrängen der zeitlichen Dimension des Sich-Nach-Vorne-Werfens des Handelnden in der Handlung in Rechnung, da die Zeitlichkeit seiner Absichten und Pläne in der Ereignisontologie des Handelns keine Rolle spielt. Erst die Nichtbeachtung der zeitlichen Dimension des Beabsichtigens macht es Ricoeur zufolge möglich, Handlungen anhand einer Be-
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ziehung zwischen Ereignissen zu beschreiben, ohne auf den Akteur eingehen zu müssen.36 Dadurch wird nach Ricoeur übersehen, dass sich Handlungen durch ihren Bezug zum Handelnden auszeichnen.37 Ricoeur möchte den Handelnden und seine Identität, die sich in den Besitzansprüchen am eigenen Tun ausdrückt, ins Zentrum rücken und widmet sich dem Sich-Nach-Vorne-Werfen bzw. der Intentionalität des Akteurs. Er untersucht Handeln deshalb als Bewusstseinserlebnis und betrachtet die Funktion von Plänen, Absichten und Entscheidungen im Handeln. Hierfür deutet er die Aristotelischen Bemerkungen zum Willen als Ausdruck der Tatsache, dass Handeln nur dann im vollen Sinne als Handeln gelten kann, wenn der Wille nicht nur den physikalisch notwendigen Ursprung des Handelns anzeigt, sondern zugleich die ethische Quelle dieses Tuns darstellt. Handeln in Ricoeurs Verständnis ist so Ausdruck des nach seiner Aristotelesrezeption ethisch besonders relevanten Vorsätzlichen. Für Ricoeur setzt eine Handlung entsprechend voraus, dass sie zuvor erwogen und positiv bewertet wurde, es folglich in der Macht des Handelnden steht, zu handeln oder das Handeln zu unterlassen. Der Ursprung der Handlung ist im Falle vorsätzlichen Handelns nicht allein kausal-ursächlich im Willen des Akteurs. Er liegt vielmehr im Sinne einer ethischen Ursache bei seinem Willen, wie es bei dem Handelnden selbst liegt zu handeln oder auch nicht, so Ricoeurs philologische Lesart38 des dritten Buchs der Nikomachischen Ethik. Durch diese Lesart soll, nach Ricoeur, der Unterschied zwischen ethischer und physischer Ursache angezeigt werden.39 In diesem Sinne lässt sich mit Ricoeur die Frage danach, wer handelt, bzw., wem die Handlung zuzuschreiben ist, mit Hilfe eines Namens oder Personalpronomens beantworten. Mit dieser Nachfrage und der zugehörigen Antwort wird nicht nur jemand als ursächlich gekennzeichnet, sondern eine Beziehung zu einem Selbst als Ursprung der Handlung ausgemacht: »Ein Ursprung, der ein Selbst ist, ein Selbst, das Ursprung ist, dies ist das kennzeichnende Merkmal der gesuchten Beziehung [zwischen Handlung
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und Handelndem]. In bezug auf diese Beziehung, die auf der physischen Ebene kein vergleichbares Gegenstück besitzt, gewinnt das subtile Übergleiten der Präposition ›in‹ zur Präposition ›bei‹ (›bei uns‹) einen bestimmten Sinn. Man könnte sagen, das ›in‹ (en) markiere den Übergang zwischen Physik und Ethik […], wohingegen die Präposition ›bei‹ [= in der Macht von] (epi) das Spezifische der ethischen Ebene bezeugt, die in der engeren Klasse der gewählten, entschiedenen, aufgrund einer Überlegung vorgezogenen Akte deutlicher ist.« 40
Ricoeur geht es in seiner Auseinandersetzung mit dem Handeln also um den Vollzug des Entscheidens und der damit verwobenen (ethischen) Identität des Handelnden.41 Über die Identität des Handelnden kann eine Geschichte erzählt werden, die es schließlich erlaubt, dem Handelnden Handlungen als die seinen zuzurechnen. Gelingt es Ricoeur den »rätselhaften Charakter dieses Verhältnisses zwischen Handlung und Handelndem«42 entwirren, indem er seinen Blick auf das Nachdenken, den Willen und die Motive des Handelnden lenkt? Seinem eigenen Vorhaben folgend, die Konstitution der eigenen Identität im Anderen zu beweisen,43 untersucht Ricoeur über seine Auseinandersetzung mit dem Handeln die Identität des Handelnden und beharrt auf dem Primat des Handelnden vor der Handlung. Doch gelangt er durch seine Analyse von Bewusstseinsakten tatsächlich zu einer phänomenologischen Betrachtung des Handlungsvollzuges? Kann er das Rätsel der Beziehung zwischen Akteur und Handlung lösen? Wie würde eine Beschreibung des Schreibens unter den Vorzeichen der Ricoeur’schen Einwände gegen die Analytische Philosophie des Handelns aussehen? Ricoeur könnte z.B. über den Abwägungsprozess erzählen, den Lisa durchläuft, ehe sie sich entscheidet, ihrer Jugendliebe zum Geburtstag zu gratulieren. ›Wenn ich ihm schreibe, denkt er vielleicht, ich wäre noch immer in ihn verliebt, obwohl ich doch seit Jahren glücklich verheiratet bin. Er war doch damals so unglücklich, als ich ihn verließ, und möglicherweise macht er sich noch immer Hoffnungen. Aber ich wüsste gerne, wie es ihm geht. Ich würde mich freuen, von ihm zu hören, und eine nette Geste
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kann kein Fehler sein. Also: Ich gratuliere ihm zum Geburtstag.‹ Lisa schreibt den Geburtstagsgruß an ihren Freund. Wird in dieser an Ricoeur orientierten Analyse des Schreibens der Schreibvollzug betrachtet? Es wird auf der Linie der Ricoeur’schen Philosophie eine Geschichte über die Identität der Handelnden erzählt, die sich darauf festlegt, eine verbindliche, freundliche Person zu sein, die nun eine entsprechende Handlung vornimmt. Diese Geschichte geht jedoch im Moment des Handelns zu Ende. Ricoeur hat Recht mit seinem Beharren darauf, dass Handeln nicht ohne einen Handelnden gedacht werden kann, aber ist es wirklich sein Nach-Vorne-Werfen bzw. seine Intentionalität, die es erlaubt, ein Geschehen als Handlung zu beschreiben? Verfehlt er mit dieser Forderung nach Zeitlichkeit nicht gerade jenen Vorgang des Schreibens, dem nach Bach kein Zeitpunkt und kein Ort zugeordnet werden kann?
1.2.4 Vollziehen? Weder im Kontext der Analyse des Handelns als Ereignis noch des Erzählens wird der Handlungsvollzug thematisch. Es scheint in beiden Fällen eine Überbetonung des Akteurs stattzufinden. Und auch wenn der eine den Handelnden vom Verursachen und der andere vom Erzählen herkommend überbetont, so wird er doch in beiden Fällen zum Kriterium dafür, ob ein Ereignis bzw. ein Erlebnis eine Handlung ist. In Folge der Überbetonung des Handelnden weisen Davidsons und Ricoeurs Handlungsanalysen weitere systematische Parallelen auf. Beide wollen die Intentionalität des Ereignisses bzw. des Erlebnisses als kausale bzw. ethische Ursache des Handelns herausarbeiten und fragen deshalb nach dem Verhältnis des Handelnden zu seinem Tun. Es liegt, wenn auch einmal vom Verursachen und einmal vom Erzählen ausgehend, zwei Mal dieselbe Argumentationsbewegung vor: Davidson versucht, vom Ereignis ›Handlung‹ zum Akteur zu gelangen, um die Handlung kausal zu erklären. Ricoeur ergründet, ausgehend vom Erlebnis, die Handlung, um über die Identität des Handelnden zu erzählen. Ersterer will zum primären Grund, über den nur der Akteur Auskunft geben kann, vordrin-
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gen, um die Ursache des Ereignisses aufzudecken. Aber der primäre Grund qualifiziert, wie gezeigt, den Handelnden und nicht die Handlung. Er stiftet in Davidsons Handlungstheorie allerdings die kausale Beziehung zwischen Akteur und Handlung und macht auf diese Weise das Ereignis als Handlung verständlich. Ricoeur geht vom Nach-Vorne-Werfen des Handelnden aus, kennzeichnet den Akteur als Besitzer und ethische Ursache seiner Handlungen und damit das erzählte Erlebnis als Handlung. Vermittelt über das Erzählen vom Akteur als ethische Ursache des Erlebnisses wird demnach der Handelnde mit seinem Tun verknüpft. Für Davidson und Ricoeur ist also der Handelnde jene Ursache, die entweder ein Ereignis oder ein Erlebnis als Handlung qualifiziert. Aber beide können das Verhältnis zwischen Akteur und Handlung nicht beleuchten. Davidson fehlen die erforderlichen Gesetze und Ricoeur weicht auf eine ethische Beschreibung der Identität des Akteurs aus. Mehr noch, beide nehmen zur Überbrückung des Verhältnisses den Willen und die Überzeugungen des Akteurs in Anspruch und begreifen Handlungen als intentionale Ereignisse oder Erlebnisse. Der Vorsatz, den Ricoeur als ethische Ursache des Handelns bestimmt, ist bei Davidson der primäre Grund und als kausale Ursache des Handelns ausgewiesen. Aus je unterschiedlicher Richtung nehmen sie dadurch zumindest mittelbar den von Aristoteles beschriebenen praktischen Syllogismus in Anspruch. Sie betonen dabei jedoch entweder nur das ethische Erwägen des Vorsätzlichen, wie es Aristoteles in der Nikomachischen Ethik thematisiert,44 oder konzentrieren sich ganz auf die reine Bewegursachenbeschreibung aus De Motu Animalium.45 Ricoeur und Davidson machen deshalb in ihren Rekonstruktionen eine je unterschiedliche Form des Strebens als ursächlich aus. Während Davidson auf die Teleologie der Kausalität als Prinzip der Handlungserklärung zurückgreift, fokussiert sich Ricoeur auf ethische Ursachen als Prinzip der Handlungsbeschreibung. Die Konklusion des Schlusses ist sowohl bei Ricoeur als auch bei Davidson ein Urteil, entweder in Form eines Bekenntnisses zur eigenen Identität46 oder einer Zweckmäßigkeitsabwägung, die die Handlung rationalisiert.47 Darüber hinaus rekurrieren Ricoeur und
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Davidson in Konsequenz ihres Vorhabens, die Handlung über ein entweder ethisch oder kausal gedeutetes Verhältnis zum Handelnden zu erschließen, auf die Gegenseitigkeit von Psychischem bzw. Ethischem und Physischem. Davidson räumt dabei mit dem anomalen Monismus der physischen Dimension ganz im Sinne einer Ereignisbeschreibung einen Vorrang ein, während Ricoeur unter dem Vorzeichen des Erzählens über die Identität des Handelnden die ethische oder psychische Seite betont. In der analytischen wie in der phänomenologischen Tradition des Nachdenkens über Handeln steht demnach, ausgehend von der jeweils angenommenen Ontologie des Handelns, die Beziehung zwischen intentionalen Ereignissen oder Erlebnissen im Fokus. Wie sich in diesem Verhältnis ein Handlungsvollzug konstituiert, bleibt jedoch unbestimmt. Dies liegt, wie das Oszillieren der beiden betrachteten Positionen zwischen Akteur und Handlung verdeutlicht, daran, dass Handlungsvollzüge kein Verhältnis ausdrücken. Sie lassen sich, wie es aussieht, weder auf Erlebnisse des Akteurs, noch auf intentionale Ereignisse, die Handlungen nach sich ziehen, zurückführen. Doch wie können Handlungsvollzüge dann gedacht werden, wenn sie im Rahmen des Könnens, des Verursachens und des Erzählens nicht einzufangen sind? Und: warum wissen wir trotzdem, was wir tun? Die Antwort auf die Frage nach dem Handlungsvollzug könnte gefunden werden, wenn zum Anfang dieser Debatte, die noch immer lebendig ist,48 zurückgegangen wird. Von diesem Ausgangspunkt lässt sich ein Denkweg vorschlagen, der den Gegensatz zwischen Akteur und Handlung vermeidet. Ein Denkweg also, der weder für eine der beiden Alternativen, Erlebnis oder Ereignis, Partei ergreift noch das Verhältnis von Akteur und Handlung diskutiert. Er sucht stattdessen nach einer neuen Analyse des Handelns, die sich unmittelbar dem Handlungsvollzug widmet, ohne ihn entweder in Einzelereignisse zu zerlegen oder auf einen Bewusstseinsakt zu reduzieren. Durch eine Handlungsvollzugsanalyse kann begreiflich werden, dass Handeln einen Akteur impliziert, aber nicht voraussetzt, als Ereignis intersubjektives Erlebnis ist und als Erleb-
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nis intersubjektives Ereignis. Zu diesem Zweck sollen die beiden Denktraditionen – Analytische Philosophie und Phänomenologie – so miteinander ins Gespräch gebracht werden, dass ihre Überlegungen zur Handlungsvollzugsanalyse genutzt werden können, indem sie die Frage, warum wir wissen, was wir tun, beantworten. Beide Traditionen beziehen sich, wie die Beschäftigung mit Davidson und Ricoeur exemplarisch verdeutlicht, auf Aristoteles. Seine Position lässt sich so nicht eindeutig in die aktuellen Kontroversen einordnen.49 Im Sinne des Anliegens, an den mutmaßlichen Anfang einer Debatte zurückzugehen, wird deshalb zuerst auf Aristoteles eingegangen. In der Philosophie der Gegenwart stellt Davidsons Handlungen, Gründe und Ursachen einen Paradigmenwechsel im philosophischen Nachdenken über Handlungen dar.50 Davidsons Modell der Handlungsanalyse wiederum ist seiner intensiven Auseinandersetzung mit Elisabeth Anscombes Untersuchung des Begriffs ›Absicht‹ geschuldet.51 Ihr kommt, da ihre Überlegungen Davidsons Ideen zur Handlungserklärung vorbereitet haben, für die Frage, ob sich der Handlungsvollzug an Hand einer anderen Betrachtungsweise des Handelns fassen lässt, eine Schlüsselrolle zu. Anscombes eigene Philosophie wäre ohne die Ludwig Wittgensteins undenkbar. Deshalb darf Wittgensteins Spätwerk nicht unbeachtet bleiben. Ähnliches gilt für Edmund Husserl. Denn Husserl als Begründer der Phänomenologie ist auch Bezugspunkt für das phänomenologische Nachdenken über Handeln. Aus diesem Grund wird in Auseinandersetzung mit Arbeiten von Aristoteles, Anscombe, Husserl und Wittgenstein versucht werden, den Handlungsvollzug zu analysieren und Handlungen vom Handeln her zu denken. Da dieser Versuch, an den mutmaßlichen Anfang einer Kontroverse zurückzugehen, ein systematisches Anliegen verfolgt, richtet sich die Reihenfolge, in der die Philosophie der zu behandelnden Autoren verwendet wird, um den Handlungsvollzug zu erschließen, nach der Logik, die der Handlungsvollzug vorgibt und nicht nach der historischen Abfolge der Positionen.
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1.3 D er G ang der A nalyse Aristoteles denkt den Handelnden von der Handlung und die Handlungsursache vom Handlungsgeschehen her, anstatt die Handlung als Erlebnis oder mit Hilfe der Logik des Ereignisses fassen zu wollen. Dadurch ist es möglich, in Anlehnung an die Aristotelischen Überlegungen zum Handeln zu zeigen, was es heißt, Handlungen vom Handeln her zu denken. Die Auseinandersetzung mit Aristoteles im ersten Abschnitt Handlungen vom Handeln her denken hat so eine vornehmlich methodische Funktion. Sie bereitet die weiteren Überlegungen vor, indem sie zu jenen Begriffen führt, die zu untersuchen sind, wenn es gilt, den Handlungsvollzug zu analysieren. Dabei wird sich herausstellen, dass Handlungen sich stets in konkreten Kontexten vollziehen und an ein spezifisches Verhältnis von Wissen und Wahrnehmung gebunden sind, das einen Akteur impliziert. Lisa schreibt in ihrem Arbeitszimmer, muss sich dabei nicht beobachten und auch den Text, den sie verfasst, nicht sehen, und doch weiß sie um ihr Schreiben in dessen Kontext. Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, Aristoteles im Rahmen einer Handlungsvollzugsanalyse eine rein methodische Funktion zuzuweisen. Denn das spezifische Verhältnis von Wissen und Wahrnehmung drückt sich, so wird im ersten Abschnitt des zweiten Teils Erlebte Ereignisse argumentiert, auch in Aristoteles’ Nachdenken über das Gewollte aus. Das Gewollte zielt bei Aristoteles auf die Gegenwärtigkeit des Handlungsgeschehens, insofern es augenblickliche Erfordernisse ernst nimmt und so die Handlung in ihren Kontext einbettet. In diesem Sinne referiert das Gewollte bei Aristoteles nicht auf das Bewusstsein oder die Persönlichkeit des Akteurs, sondern erlaubt, ein Ereignis als Gewolltes und damit als Handlung zu begreifen. Die Auseinandersetzung mit dem Gewollten führt damit zu einer Präzisierung der Forschungsfrage. Sollen Handlungen vom Vollzug her analysiert werden, genügt es nicht zu untersuchen, warum wir wissen, was wir tun. In diesem Falle wären ja auch Handlungsanalysen zulässig, die sich auf bereits vergangene Handlungsvollzüge richten. Die Forschungsfrage muss vielmehr den Au-
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genblickscharakter des Handlungsvollzuges berücksichtigen und lauten: Warum wissen wir, was wir tun, während wir es tun? Gewollte Ereignisse lassen sich als Handlungsvollzüge fassen, insofern der praktische Syllogismus, wie ihn Aristoteles vorschlägt, als Vollzugsbeschreibung betrachtet wird, in der sich das handlungsspezifische Verhältnis von Wissen und Wahrnehmung ausdrückt. Lisa nimmt die Umstände als Umstände wahr, in denen es geboten ist, ihrem Freund zu gratulieren und weiß, dass eine Glückwunschkarte der richtige Weg ist. Doch warum wissen wir, dass Lisa schreibt, während sie schreibt, wenn uns jemand über Lisas augenblickliches Schreiben berichtet, ohne die näheren Umstände zu erläutern? Fragt ihr Bruder seine Mutter ›Was macht Lisa gerade?‹ genügt die Antwort ›Sie schreibt eine Geburtstagskarte‹ völlig. Es würde schon ausreichen zu sagen ›Sie schreibt‹, um ganz grundlegend zu verstehen, was sie tut. Anscombe setzt in ihrer Arbeit dort an, wo Aristoteles’ Beschäftigung mit der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung im Handeln endet. Sie untersucht die Wahrheitsbedingungen von Handlungsbeschreibungen und streicht heraus, dass es im Handeln kein »sehendes Auge ganz seltsamer und besonderer Art«52 gibt. Entsprechend konkretisiert sie das handlungskonstitutive Verhältnis von Wissen und Wahrnehmung als im Handeln liegendes »Wissen ohne Beobachtung«. Dieses im Handeln liegende Wissen ermöglicht, so soll mit Anscombe argumentiert werden, Handlungen intersubjektiv als absichtliche Ereignisse zu beschreiben. Wir wissen, dass Lisa schreibt, wenn uns jemand berichtet, dass Lisa schreibt, ohne jede weitergehende Erläuterung, was Lisa tut, da die Beschreibung des Handelns der Struktur des Handlungsvollzugs folgt und intersubjektiv verständlich ist. Schließlich weiß auch Fritz, der Lisas Arbeitszimmer aufsucht, wie das Eingangsbeispiel zeigte, unmittelbar um Lisas Schreiben. Von diesem Befund ausgehend, erlaubt eine Weiterentwicklung des Anscombe’schen Konzepts des im Handeln liegenden Wissens ohne Beobachtung auf seine Intersubjektivität hin darzulegen, dass Handlungen intersubjektiv als erlebte Ereignisse begriffen werden können.53 Damit
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ist eine erste Antwort auf die Frage, warum wir wissen, was wir tun, möglich: Wir wissen es, insofern wir es tun. Doch inwiefern gibt diese Beschreibung nun den Handlungsvollzug wieder? Edmund Husserl expliziert mit seiner phänomenologischen Methode den Zusammenhang zwischen Erlebensvollzug und Erlebnis, indem er vor Augen stellt, wie das Erleben das Erlebnis konstituiert. Deshalb soll im ersten Abschnitt des dritten Teils Intersubjektive Erlebnisse gezeigt werden, dass Husserl, indem er sich mit dem Erlebensvollzug befasst, der das Erlebnis bestimmt, den Vollzug des Wissens ohne Beobachtung offenlegt. Denn wie das Erleben das Erlebnis bestimmt, so bestimmt, wie gezeigt werden wird, auch der Handlungsvollzug die Handlung. Anhand der Analogie von Erlebensvollzug und Handlungsvollzug lässt sich so belegen, dass die Feststellung ›Wir wissen, was wir tun, insofern wir es tun‹ einen Handlungsvollzug wiedergibt. Die Einschätzung, wir wüssten um Lisas Schreiben, insofern sie schreibt, gibt also eine Handlungsvollzugsbeschreibung, da der Vollzug die Handlung bestimmt: Schreiben wird im Schreiben zum Schreiben bestimmt. Allerdings fehlen Husserl, sollen Handlungen nicht als Bewusstseinsakte des Akteurs ausgewiesen werden, die methodischen Mittel, um zu entfalten, weshalb wir um Lisas Schreiben wissen und zugleich intersubjektiv erleben können, dass sie gratuliert, während sie ihrem Freund eine Geburtstagskarte schreibt. Ludwig Wittgenstein schließlich kann mit seinem zutiefst intersubjektiv angelegten Spätwerk der Husserl’schen streng erstpersonalen Vollzugsanalyse jene intersubjektive Bestimmtheit geben, die den Vollzug des Schreibens als Erlebnis des Gratulierens festlegt. Denn mit Wittgenstein lässt sich herausarbeiten, dass der Handlungsvollzug, indem er seinen Kontext intersubjektiv gebraucht, und etwa das Arbeitszimmer zum Schreiben einer Geburtstagskarte nutzt, sich selbst in diesem Gebrauch intersubjektiv zum Erlebnis des Gratulierens bestimmt. Lisa weiß um ihr Gratulieren, insofern ihr Gegenüber sie als Gratulantin erkennen kann und auf dieselbe Weise um dieses Gratulieren weiß. Erst die anderen machen schließlich, wie die Anwendung von Wittgensteins Untersuchung des Schmerz-
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empfindens auf den Handlungsvollzug zu Tage fördern wird, den im Handlungsvollzug stets implizierten Akteur als konkreten Handelnden aus. Die anderen ermöglichen damit das intersubjektive Erlebnis des Gratulierens.
A nmerkungen 1 | Die Idee zum Aufbau der Einleitung stammt aus Moritz Geigers Fragment über den Begriff des Unbewussten und die psychische Realität. Dort legt Geiger dar, wie sich aus der jeweiligen Auffassung darüber, was Bewusstsein bzw. Welt meint und welche Gesetze darin herrschen, auch das Verständnis des Verhältnisses zwischen Bewusstsein und Welt ergibt (vgl. Moritz Geiger: Fragment über den Begriff des Unbewussten und die psychische Realität. In: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung IV. [1921] 1-137, hier insbesondere der erste und zweite Abschnitt 10ff. Auf Seite 55 findet sich eine Übersicht, welcher Welt- welche Bewusstseinsauffassung korreliert.) Wie sich im Laufe meiner Skizze des Forschungsstandes zum Handlungsvollzug zeigen wird, hängt die Art und Weise, wie Handeln aufgefasst wird, unmittelbar mit dem Verständnis der Welt und konkreter noch der Wissenschaft zusammen. Davidson beispielsweise schreibt in seiner Einleitung zu Handlung und Ereignis Kausalität, die seiner Meinung nach Handlungserklärungen konstituiert, sei »der Mörtel des Universums. Es ist der Kausalitätsbegriff, der unser Weltbild zusammenhält, ein Bild, das sich andernfalls in ein Diptychon des Geistigen und des Körperlichen zerspalten würde« (Donald Davidson: Einleitung. In: Handlung und Ereignis, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. [Frankfurt a.M. 1985] 7-15, 7). Geiger selbst plädiert, heuristisch ähnlich wie ich mit dem Anliegen, Handlungen vom Handeln her zu denken, in seiner Untersuchung des Bewusstseins dafür, sich unmittelbar auf das Bewusstsein selbst zu richten und sich nicht von impliziten, vorhergefassten Überzeugungen leiten zu lassen. Deshalb fragt er, ob das psychisch erlebte Wollen sein Erlebtsein überdauert und ob es unerlebtes Wollen gibt (vgl. M. Geiger: Fragment über den Begriff des Unbewussten 94). In seiner Antwort kommt Geiger zu dem Ergebnis, dass
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es kein unerlebtes Wollen geben kann. Aber er hält dennoch an der Idee des Wollens als Bewusstseinsakt fest (vgl. ebd. 120ff). 2 | Gilbert Ryle: Der Begriff des Geistes, übersetzt von Kurt Baier, Übersetzung überarbeitet von Günther Patzig und Ulrich Steinvorth. (Stuttgart 1969) 28. Dort heißt es: »Die intelligente Praxis ist nicht das Stiefkind der Theorie. Im Gegenteil, Theoretisieren ist eine Praxis unter anderen, und man kann sich dabei dumm oder intelligent anstellen« (ebd). 3 | Vgl. ebd. 30ff. 4 | Ebd. 31. 5 | Vgl. ebd. 33. 6 | Ebd. 3. 7 | Ryle selbst nennt solche Urteile, da sie sowohl hypothetische als auch kategorische Anteile haben, mischkategorisch (vgl. ebd. 189). In solchen Fällen ist der Kategorienfehler weniger eindeutig als bei der berühmten Aufforderung ›Zeig mir den Mannschaftsgeist‹, die nicht durch den Verweis auf ein Ereignis oder eine Entität befolgt werden kann. Eine solche Aufforderung ist ein Kategorienfehler, da sie nach einer Person oder einem Ereignis fragt, wo es um die Spielweise einer Mannschaft geht (vgl. ebd. 15). 8 | Ebd. 154. 9 | Zuerst veröffentlicht 1963 unter dem Titel Actions, Reasons and Causes im Journal of Philosophy. Die folgenden Angaben beziehen sich auf die deutsche Übersetzung, wie sie in dem vom Autor selbst herausgegebenen Sammelband Handlung und Ereignis abgedruckt ist. Donald Davidson: Handlungen, Gründe und Ursachen. In: Handlung und Ereignis, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 1985) 19-42. Auch beinahe 50 Jahre später eröffnet dieser Aufsatz den Reigen der handlungstheoretischen Grundlagentexte, die Guido Löhrer und Christoph Horn zusammengetragen haben (siehe: Gründe und Zwecke. Texte zur aktuellen Handlungstheorie, hg. von Christoph Horn/Guido Löhrer. [Berlin 2010] 46-69). 10 | Vgl. ebd. 19, Fußnote 1. 11 | D. Davidson: Handlungen, Gründe und Ursachen 19. Einfügung AMS. 12 | Das Hempel-Oppenheim-Schema, auch deduktiv-nomologische oder schlicht DN-Erklärung genannt, erklärt ein konkretes Ereignis deduktiv unter Rekurs auf Antezedenzbedingungen und passende allgemeine Gesetzmäßigkeiten und wird von Hempel wie folgt formalisiert (wobei A für die
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Antezedenzbedingungen steht und G in der zweiten Prämisse die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten vertritt. Erste und zweite Prämisse gemeinsam ergeben das Explanans. Das ›E‹ der Konklusion steht für Explanandum): A1, A 2, ..., A k G1, G 2, …, G r E Damit bewirkt die DN-Erklärung eine »deduktive Subsumtion des Explanandums unter Prinzipien, die den Charakter allgemeiner Gesetze besitzen« (Carl Gustav Hempel: Aspekte wissenschaftlicher Erklärung, hg. von Roland Posner übersetzt von Wolfgang Lenzen. (Berlin New York 1977 [1965]) 7, dort findet sich auch die formalisierte Darstellung der DN-Erklärung. 13 | D. Davidson: Handlungen, Gründe und Ursachen 22. 14 | Ebd. 31. 15 | Vgl. ebd. 21f. 16 | Ebd. 19. 17 | Vgl. ebd. 19. 18 | Ebd. 27. 19 | Vgl. ebd. 20 | Ebd. 28. 21 | Ebd. 31. Diese Auseinandersetzung mit den beiden Prämissen, für die Davidson eintritt und die eine Handlung kausal erklären sollen, orientiert sich, wie die Darstellung in Anmerkung 12 zeigt, an der von Hempel und Oppenheim entwickelten Form der deduktiv-nomologischen Erklärung. Davidson sucht, auch wenn er diese Darstellung nicht direkt verwendet, offensichtlich nach allgemeinen Prinzipien der Handlungsrationalisierung, die sich an der wissenschaftlichen Erklärung von Ereignissen ausrichtet und die, wie die Rolle des primären Grundes im Explanans verdeutlicht, das individuelle Wünschen sowohl als zu Erklärendes als auch als Erklärung der Handlung nutzt. Ohne diese Doppelfunktion des Wünschens wäre Davidsons Handlungserklärung zwar deduktiv und kausal, aber, wie sich herausstellen wird, eben nicht teleologisch: Ohne seinen Bezug zum Handelnden wird das Ereignis nicht als Handlung erklärbar.
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22 | Vgl. Donald Davidson: Geistige Ereignisse. In: Handlung und Ereignis, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 1985 [1970]) 291-316, 295f. 23 | Vgl. ebd. 300. 24 | Vgl. ebd. 303ff. 25 | Vgl. ebd. 302. 26 | Donald Davidson: Beabsichtigen. In: Handlung und Ereignis, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 1985 [1978]) 125152, 143. Ich bin mir bewusst, dass Davidson in Handlungen, Gründe und Ursachen von der Absicht, mit der jemand etwas tut, ausgeht, um Handlungen zu erklären und in Beabsichtigen davon abweicht, um sich mit dem Beabsichtigen zu befassen (vgl. D. Davidson: Einleitung, 10.) Allerdings macht dies mit Blick auf die Beschreibung des Handlungsvollzugs keinen wesentlichen Unterschied. In beiden Fällen werden die einzelnen zur Handlung gehörenden Bewegungen beabsichtigt und damit die Ausführung verursacht oder von der Absicht, mit der sie ausgeführt werden, kausal hervorgerufen. Eine Vollzugsbeschreibung kommt unter den Vorzeichen des einen Absichtsbegriffes ebenso wenig zu stande wie unter jenen des anderen. In beiden Varianten ist die Absicht des Akteurs die Ursache dessen, was er tut. 27 | Vgl. Kent Bach: Handlungen sind keine Ereignisse. In: Handlungen und Handlungsgründe, hg. von Ralf Stoecker übersetzt von Joachim Schulte. (Paderborn 2002 [1980]) 89-97, 89. 28 | Vgl. K. Bach: Handlungen sind keine Ereignisse 89. 29 | Vgl. K. Bach: Handlungen sind keine Ereignisse 92ff. 30 | Ich erlaube mir, zur besseren Verdeutlichung der unterschiedlichen Auffassungen von Handeln immer wieder auf dasselbe Beispiel zurückzugreifen und den Punkt, den Bach durch die Erschießung eines Kojoten, der erst 24 Stunden nach dem Schuss stirbt, macht, (vgl. K. Bach: Handlungen sind keine Ereignisse 95) auf das Schreiben zu übertragen. 31 | Ebd 95. [sic!] 32 | Vgl. ebd. 96. 33 | Vgl. Paul Ricoeur: Das Selbst als ein Anderer, übersetzt von Jean Greisch. (München 2005 [1990]) 76. 34 | Ricoeur argumentiert hier ausdrücklich gegen Anscombe und insbesondere gegen Davidson (vgl. P. Ricoeur: Das Selbst als ein Anderer 86ff)
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und wirft vor allem Davidson vor, innerhalb einer Ontologie des Ereignisses Handlungen auch in der Logik von Ereignissen erklären zu wollen und damit die Beziehung zwischen Akteur und Handlung zu unterlaufen. Allerdings bin ich der Meinung, dass, wie oben gezeigt, Davidsons Handlungserklärung nur dann teleologisch ist, wenn sie, was der Fall ist, auf die tatsächlichen Wünsche des Akteurs rekurriert, also das Ereignis ›Handlung‹ zum zugehörigen Handelnden in Beziehung setzt. Wie sich dieses Verhältnis jedoch gestaltet, entfaltet Davidson nicht. Aber auch Ricoeur bleibt, wie sich sogleich zeigen wird, eine Antwort auf diese Frage schuldig. 35 | Ebd. 108 [sic!]. 36 | Eine detaillierte Analyse des Zusammenhangs zwischen der Zeitstruktur des Handelns, dem Erzählen über Handlungen und deren in diesem Erzählen über Handeln gestifteten Verbindung zum Handelnden liefert Ricoeur in Zeit und Erzählung I. Dort macht er deutlich, dass sich über Handeln in einem Begriffsnetz erzählen lässt, das immer die Identität des Handelnden, die Gegenwart des Handelnden und die darin ausgedrückte Verstrickung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft involviert. Denn Handeln meint nach Ricoeur sich darauf verpflichtet zu haben, etwas morgen zu tun, jetzt die Absicht zu haben, das zu tun, was man gerade gedacht hat und augenblicklich jene Handlung auszuführen, die man tun kann. Letztlich geht es Ricoeur um das erzählbare, praktische Verhältnis des Handelnden zur eigenen Zeitlichkeit (vgl. Paul Ricoeur: Zeit und Erzählung. Band I: Zeit und Historische Erzählung, übersetzt von Rainer Rochlitz. (München 2 2007 [1983]) 90ff). 37 | Vgl. P. Ricoeur: Das Selbst als ein Anderer 180, wobei Ricoeur, durch die Art und Weise, wie die Ontologie des Ereignisses eingeführt wurde, auch den Weg einer ontologischen Zuschreibung der Handlung an den Handelnden versperrt sieht (vgl. ebd. 109). 38 | Vgl. ebd. 119. 39 | Vgl. ebd. 119f. 40 | Ebd. 115. Einfügung AMS. [= in der Macht von] eckige Klammern im Original. 41 | Dass das Nachdenken über den Willen auch in der Analytischen Philosophie mit der Frage nach der Identität des Akteurs einhergeht, belegt, dass Laura W. Ekstrom im Companion to Philosophy of Action zum Einstieg des
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Überblicksartikels Volition and the Will die große Frage der Handlungstheorie wie folgt formuliert: »How is it that we make things be a certain way?«, wobei ›things‹ den Akteur ausdrücklich einschließt: »To understand action,« so ihre im Rahmen der Frage nach der Systematik des Verhältnisses von Akteur und Handlung in Handlungserklärungen bemerkenswerte Antwortstrategie, »we have to understand what we stands for in this question. In other words, we have to understand our selves« (Laura W. Ekstrom: Volition and the Will. In: Companion to Philosophy of Action, ed. by Timothy O`Conner, Constantin Sandis. (Malden USA Oxford UK 2013) 99-106, 99). Erinnert sei zudem an Harry Frankfurts Freedom of the Will and the concept of a person (auf deutsch: Harry G. Frankfurt: Willensfreiheit und der Begriff der Person. In: Analytische Philosophie des Geistes, hg. von Peter Bieri übersetzt von Jens Kulenkampff. (Weinheim 31997 [1971]) 287-302) und die sich daran anschließende Debatte um das Verhältnis von Wille und Identität. 42 | P. Ricoeur: Das Selbst als ein Anderer 117. 43 | Vgl. ebd. 29. 44 | Vgl. NE 112 b 10-24. 45 | Vgl. DMA 702a 15-24. 46 | Vgl. P. Ricoeur: Das Selbst als ein Anderer 119. 47 | Vgl. D. Davidson: Handlungen, Gründe und Ursachen 26. 48 | Dass diese Debatte um die Frage nach der angemessenen Handlungserklärung rund um Davidsons Aufsatz noch immer in vollem Gange ist, bestätigt nicht zuletzt die Veröffentlichung eines Bandes zum 50. Geburtstag von Handlungen, Gründe und Ursachen, der unter dem Titel Reasons and Causes. Causalism and Anti-Causalism in Philosophy of Action 2013 erschienen ist (Giuseppina D’Oro, Constantine Sandis [Hg.]: Reasons and Causes. Causalism and Anti-Causalism in Philosophy of Action. [London 2013]). Auch in der phänomenologischen Beschäftigung mit dem Handeln ist der Fragehorizont jenem Ricoeurs weiterhin ähnlich. So schreibt Rinofner-Kreidl in ihrem Beitrag in einem Band zur Aktualität Husserls, der sich mit Motiven, Gründen und Entscheidungen befasst: »Es geht um die mehr oder weniger stark veränderbare praktische Identität von autonomen erwachsenen Akteuren, deren Kenntnisnahme zum einen das Verständnis der motivationalen ›Innensicht‹ von Handlungen überhaupt erst erschließt, zum anderen jedoch die verlässliche und konsensuale Identifikation und
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Beschreibung von Handlungen erschwert« (Sonja Rinofner-Kreidl: Motive, Gründe und Entscheidungen in Husserls intentionaler Handlungstheorie. In: Die Aktualität Husserls, hg. von Verena Mayer, Christopher Erhard, Marisa Scherini. (Freiburg i.Br. 2011) 232-277, 296). Im Zentrum der Überlegungen steht auch bei Rinofner-Kreidl der Akteur und seine Identität, wobei Rinofner-Kreidl einräumt, dass die phänomenologische Betrachtung des Handelns schwierig sein kann, da Handeln Grenzfälle des intuitiven Erfassens einschließt, die die kritische phänomenologische Analyse herausfordern (vgl. ebd. 273f). Der Handlungsvollzug stellt, so denke ich, einen solchen Grenzfall dar. Deshalb werde ich im Folgenden versuchen, in den Worten Rinofner-Kreidls gesprochen, Handlungsvollzüge als Grenzfall zwischen Wissen und Wahrnehmung zu entfalten, der, auch wenn die Phänomenologie einen entscheidenden Beitrag zu ihrer Analyse leistet, die Phänomenologie als Methode an ihren Grenzen herausfordert. Diese Grenzen und ihre Nähen zur Analytischen Philosophie beleuchtet Mertens in seinem Aufsatz Möglichkeiten und Grenzen einer phänomenologischen Theorie des Handelns: Überlegungen zu Davidson und Husserl. Er arbeitet heraus, dass Husserl ähnlich wie Davidson keine Ganzheit eines Handlungszusammenhangs untersucht, sondern, im Sinne von Bewusstseinsakten, einzelne Willensphasen. Husserl interessiert sich nach Mertens weniger für Handeln innerhalb einer lebensweltlichen Praxis, »als vielmehr [für] das Problem, wie im Durchgang durch die einzelnen minutiös beschreibbaren Willensmomente die handelnde Realisierung eines Gewollten analysiert werden kann. Der damit verbundenen Dekontextualisierung des Handelns entspricht dabei eine methodische Ausblendung des Akteurs« (Karl Mertens: Möglichkeiten und Grenzen einer phänomenologischen Theorie des Handelns: Überlegungen zu Davidson und Husserl. In: Philosophy, Phenomenology, Sciences: Essays in Commemoration of Edmund Husserl. (Phänomenologica 200), hg. von Carlo Irena, Hanne Jacobs, Filip Mattens. (Dordrecht Heidelberg London New York 2010) 431-452, 443). Doch diese minutiöse Analyse kann das intuitive Erfassen des Handelns, von dem Rinofner-Kreidl spricht, eben nicht einfangen und damit steht Husserl vor ähnlichen Herausforderungen wie Davidson: Wie kann die Handlung mit dem Akteur verbunden werden? Unabhängig davon, dass Mertens keine phänomenologische Überbetonung des Handelnden geltend macht, sondern darauf verweist, dass Husserl die
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Persönlichkeit des Handelnden außer Acht zu lassen scheint, drängt sich auch in dieser Betrachtung der Husserl’schen Auseinandersetzung mit dem Handeln das Problem auf, wie sich der Akteur zur Handlung verhält. Die Frage, wie sich der Akteur zu seiner Handlung verhält, scheint immer wieder aufs Neue brisant zu werden, wenn Handeln ausgehend von einem expliziten Welt- oder Wissenschaftsverständnis aus untersucht wird. Denn selbst bei Andrea Kern, die sich in Anlehnung an Wittgenstein mit der Rationalität des Handelns befasst und zur Auffassung gelangt, dass die Rationalität im Handeln selbst liegt, findet sich folgende Pointierung ihres Grundgedankens: »Wenn jemand eine Fähigkeit hat, dann heißt dies, daß er durch etwas charakterisiert ist, das die Erfüllung bestimmter Regeln erklärt. Eine Fähigkeit, was auch immer sonst sie ist, ist eine Form der Erklärung eines richtigen Verhaltens« (Andrea Kern: Handeln ohne Überlegen. In: In Sprachspiele verstrickt. – oder: Wie man der Fliege den Ausweg zeigt. Verflechtungen von Wissen und Können, hg. von Stefan Tolksdorf, Holm Tetens. (Berlin New York 2010) 193-220, 208). Die Rationalität liegt zwar im Handeln, aber letztlich sind es die Fähigkeiten des Akteurs, die die Handlung erklären und nicht das Handeln selbst. Das Verhältnis zwischen Akteur und Handlung wird, wie es aussieht, immer dann aufgemacht und damit indirekt fraglich, wenn Handlungen durch etwas anderes – und seien es im Handeln selbst liegende Fähigkeiten – erklärt werden sollen. 49 | Dies hat auch Buddensiek zu Recht hervorgehoben. Er macht zudem darauf aufmerksam, dass Aristoteles keine begriffliche Definition des Handelns festlegt. Es gibt von Aristoteles keine Abhandlung zum Thema ›Was sind Handlungen?‹ und seine Verwendung von »Praxis« deckt sich nicht mit dem heutigen Handlungsbegriff (vgl. Friedemann Buddensiek: Was sind Aristoteles zufolge Handlungen? In: Beiträge zur Aristotelischen Handlungstheorie (Philosophie der Antike 24), hg. von Klaus Corcilius/Christoph Rapp. (Stuttgart 2008) 29-51, 30). Dennoch finden sich im Aristotelischen Denken viele entscheidende Hinweise darauf, was Handeln meinen könnte. 50 | So stellen auch D’Oro und Sandis in ihrem historisch-systematischen Überblick über den Gang der Debatte um Zwecke oder Gründe als Handlungserklärungen heraus, dass Davidson in seinem Denken maßgeblich von Anscombe beeinflusst ist. D’Oro und Sandis machen dies insbesondere an der tragenden Rolle der Beschreibung in Davidsons Handlungstheorie fest,
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die auf Anscombes Einsicht zurückgeht, Handlungen seien unter einer Beschreibung absichtlich (Giuseppina D’Oro/Constantine Sandis: From AntiCausalism to Causalism and Back: A History of Reasons/Causes Debate. In: Reasons and Causes. Causalism and Anti-Causalism in Philosophy of Action hg. von dies. (Hampshire 2013) 7-48, 19). Zudem weisen sie darauf hin, dass Anscombe selbst sich nicht ausdrücklich in die Debatte darum, ob Handlungen kausal erklärbar sind, eingemischt hat. Anscombe kennt, in der Tradition von Thomas von Aquin stehend, vielmehr gar keinen so scharfen Kontrast zwischen Gründen und Ursachen (vgl. ebd. 18). Nicht zuletzt deshalb bietet Anscombe auch systematisch einen geeigneten Ansatzpunkt, um Handlungen jenseits der Differenz zwischen Gründen und Ursachen zu betrachten. 51 | Vgl. D. Davidson: Einleitung 10. Wie entscheidend Anscombe für Davidson ist, zeigt sich auch in seinem Diktum, das auf dem Cover der aktuellen Ausgabe von Intention steht. »Ancombe’s Intention is the most important treatment of action since Aristotle.« Durch ihren rein systematischen Zugang zum Handeln kann sie als Begründerin der modernen Handlungstheorie betrachtet werden, da sie vor allem in Absicht dargelegt hat, dass und inwiefern das Wissen von Handlungen ein eigenständiges Problem ausmacht. Davidson geht sogar so weit zu sagen, dass zwischen Aristoteles’ Beschäftigung mit dem Handeln und dem 20. Jahrhundert auf diesem Gebiet nicht viel passiert sei, da die Thematik zu eng mit jener der Ethik verwoben war (vgl. Donald Davidson: Der Aristotelische Handlungsbegriff. In: Wahrheit, Sprache und Geschichte, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 2008 [2001]) 420-447, 420). 52 | A 32. 53 | Allerdings wird sich diese Erweiterung nicht mit dem in der Debatte um die Möglichkeiten und Grenzen der kollektiven Intentionalität viel diskutierten Problem befassen, was es heißt, etwas gemeinsam zu beabsichtigen (vgl. insbesondere Kollektive Intentionalität. Eine Debatte über die Grundlagen des Sozialen, hg. von Hans Bernhard Schmid und David P. Schweikard (Frankfurt a.M. 2009)). Denn erstens möchte ich im Folgenden den Akteur mit seinen Absichten und somit auch den Interaktionspartner nicht ins Zentrum des Interesses rücken und zweitens werde ich dafür eintreten, dass Handlungsvollzüge eher situativ als intentional sind. Es wird sich, so hoffe
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ich, im Folgenden herausstellen, dass Handlungsvollzüge weder subjektiv noch kollektiv sind, sondern sich durch Intersubjektivität auszeichnen. Damit schließen sich diese Überlegungen eher einer Vermutung an, die Mertens und Müller jüngst formuliert haben: »Demgegenüber sollte man jedoch prinzipiell erwägen, ob und inwieweit Fühlen, Wollen und Handeln sogar primär sozialen Charakter haben. In diesen Fällen wären sie wesentlich sozial konstituiert« (Karl Mertens/Jörn Müller: Einleitung: Fühlen, Wollen und Handeln als soziale Phänomene. In: Die Dimensionen des Sozialen: Neue philosophische Zugänge zu Fühlen, Wollen und Handeln, hg. von dies. [Berlin New York 2014] 1-18, 7).
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Aristoteles beruft sich in seinem Nachdenken über das Handeln nicht auf einen festen Begriffsrahmen, in dessen Grenzen er das Handeln zu analysieren beabsichtigt. Entsprechend verzichtet er auf eine Definition dessen, was unter ›Handlung‹ zu verstehen sei, oder auf das Angebot eines Erklärungsmodells, das Handlungen aus anderen Faktoren herzuleiten vermag. Er befragt das Handeln, genauer noch, das gute Handeln, um bestimmen zu können, was einen guten Menschen auszeichnet. Darin liegt die Stärke des Aristotelischen Denkens für das gegenwärtige Vorhaben, anhand der Frage, warum wir wissen, was wir tun, den Handlungsvollzug zu untersuchen. Aristoteles trennt in seinem Nachdenken Akteur und Handlung nicht voneinander ab. Deshalb erkennt er die aus der Einheit von Akteur und Handlung sich ergebenden Herausforderungen im Nachdenken über Handeln. All seine Lösungsversuche ordnet er zwar auf das Ziel hin, sagen zu können, was ein guter Mensch ist, aber der gute Charakter eines Menschen erschließt sich nur in seinem tugendhaften Handeln.1 So denkt Aristoteles den Handelnden vom Handeln her und weist dadurch die Richtung, die eingeschlagen werden muss, um Handlungen vom Handeln her zu denken. Wer herausfinden will, was eine tugendhafte Handlung auszeichnet, muss zugleich untersuchen, wie gewusst werden kann, was jemand tut. Folglich geht Aristoteles auf jene Aspekte ein, die zu berücksichtigen sind, wenn der Handlungsvollzug analysiert werden soll. Es ist also nicht vorwiegend ihrem historischen Ort geschuldet, dass Aristoteles’ Philosophie der Praxis am Anfang dieser Auseinandersetzung steht, sondern insbesondere ihrer Systematik. Denn die vorliegende Arbeit möchte das Handeln jenseits der
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Unterscheidungen von Akteur und Handlungsgrund oder -zweck von seinem Vollzug, etwa das Schreiben vom augenblicklich ausgeführten Schreiben, her begreifen. So bietet es sich an, bei einem Denker zu beginnen, der diese Differenzen gar nicht erst aufmacht, sondern stets vom Handeln her nach seinen Zielen oder Ursachen fragt, um dessen Möglichkeitsbedingungen zu erschließen: »Man darf auch nicht überall die Ursache (aitia) auf die gleiche Weise suchen; in einigen Fällen genügt es vielmehr, das Dass (to hoti) richtig aufgezeigt zu haben, wie z.B. bei den Prinzipien (arché). Das Dass-es-so-ist ist etwas Erstes (próton) und ein Prinzip. Von den Prinzipien erkennt man die einen durch Induktion (epagógé), andere durch Wahrnehmung (aisthésis), andere erwerben wir durch eine gewisse Gewöhnung (ethismos), andere auf noch andere Art. Man muss nun versuchen, an die jeweiligen Prinzipien ihrer Beschaffenheit entsprechend heranzugehen, und sich bemühen, sie richtig zu bestimmen, weil sie großen Einfluss auf das Folgende haben.« 2
Nach einer adäquaten Beschreibung des Handlungsvollzugs zu suchen, heißt mit Aristoteles Handlungen von den Prinzipien des Handelns her zu erschließen und nach einer Genauigkeit der Beschreibung zu suchen, deren Präzision dem Handeln angemessen ist. Aus der Feststellung dessen, was dem Handeln prinzipiell angemessen ist, ergibt sich die Bedeutung von Gründen und Zwecken für Handlungen. Handlungen eröffnen die Möglichkeit, nach ihren Gründen und Zwecken zu forschen, doch ehe diese Forschung gewinnbringend angestellt werden kann, muss nach den Prinzipien gesucht werden, die das Handeln selbst bestimmen. Erst dann stellt sich für Aristoteles heraus, in welcher Weise Gründe und Zwecke sinnvoll ins Spiel gebracht werden können. Dabei fällt auf, dass die Prinzipien des Handelns nicht auf Kausalursachen zurückführbar sind. Hat die Frage nach den Ursachen des menschlichen Tuns auch einen Ort in der Aristotelischen Philosophie, geht es ihm nicht um Kausalursachen, sondern Ursachen im Sinne von Prinzipien. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn Aristoteles Bewegungen – meist im naturwissenschaftlichen Kon-
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text – untersucht. Dort behandelt er das Warum der Bewegung nicht, indem er den Kausalzusammenhang zwischen der Bewegungsursache und der Wirkung dieser Bewegung erörtert. Er fragt vielmehr danach, was zuerst bewegt hat und erklärt so die Bewegung von den Prinzipien des Bewegens aus. Deshalb spricht Aristoteles zwar immer wieder von Ursachen, wo es um das Erklären von Bewegungen geht,3 aber er meint Funktionsprinzipien, die nichts über die kausale Notwendigkeit in der Abfolge bestimmter Handlungsursachen aussagen. Ähnlich verhält es sich mit den Zwecken, die Handlungen verfolgen, aber mit Aristoteles das Handeln nicht beschreiben. Wenn Aristoteles über Handlungsziele spricht, denkt er Handeln nicht von seinen Zielen her, sondern die Ziele von den Handlungen.4 Ausgehend von dem, was jemand tut, erschließen sich seine Ziele, doch die Ziele allein erlauben für Aristoteles keinen Rückschluss auf das Handeln.5 Deshalb können bei Aristoteles weder Ursachen zur Beschreibung von Kausalzusammenhängen des Handelns gemeint sein noch im vorhinein bestimmbare Zwecke, die das Handeln erläutern. Für die Suche nach der Antwort auf die Frage, warum wir wissen, was wir tun, bietet sich also das Aristotelische Prinzip des Dass-es-so-ist sowohl als Ausgangspunkt als auch als Gradmesser der Genauigkeit der zu findenden Antwort an. Dies erfordert mit Aristoteles vom »für uns Bekannten«6 auszugehen und herauszufinden, was das Handeln wissbar macht. Aristoteles schlägt zwei Prinzipien vor, die das Wissen um Handlungen und damit das Handeln selbst fassbar machen: zum einen das Gute und zum anderen die Mesoteslehre. Beide Prinzipien fußen auf der Annahme, dass Handlungen stets einen Handelnden implizieren. Das gute Handeln charakterisiert letztlich den Handelnden. Die Mesoteslehre geht in ihrer Ermittlung der rechten Mitte des Handelns vom darin implizierten Handelnden aus. Worin das in der Handlung erstrebte Gute jeweils besteht, steht nach Aristoteles nicht vorab fest – er weist die Idee eines absolut Guten dezidiert zurück – 7 sondern ergibt sich aus den konkreten, an den aktuellen Gegebenheiten beteiligten Faktoren und deren Verhältnis zueinander. Die Mesoteslehre
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liefert die formale Bestimmung des Verhältnisses dieser Faktoren als Mitte zwischen den möglichen Extremen. Die Mitte, die durch die Mesoteslehre festgestellt wird, ist keine arithmetische. Diese Mitte liegt zwischen den handlungsrelevanten Aspekten.8 Weder das Prinzip des Guten noch dessen Formalisierung in der Mesoteslehre legen die Handlung fest. Die Handlung, so wird sich herausstellen, kann in ihrem konkreten Vollzug erst mit der Art und Weise gewusst werden, wie sie diese Prinzipien in Anspruch nimmt. Beide Prinzipien bleiben nicht abstrakt, sondern betten das konkrete Handeln in ihren konkreten Kontext ein. Das Wissen darum, was wir tun, wird sich mit Aristoteles als kontextrelativ erweisen. Entsprechend besagt die These, die im Laufe dieser Arbeit ausgeführt werden wird, dass Handlungsvollzüge an ihren Kontext gebunden sind. Sie vollziehen sich in Bezug auf die Umstände, in denen sie sich ereignen. Zugleich bestimmen sie diesen Kontext in diesem Vollzug und umgekehrt bestimmt der Kontext das Handeln. Zentral, um zu zeigen, was es heißt, Handlungen vom Handeln her zu denken, sind nicht so sehr Aristoteles’ begriffliche Ausführungen etwa darüber, in welcher Weise der Begriff des Guten allgemein verstanden wird.9 Es geht vielmehr darum, wie Aristoteles seine Begriffe zu fassen sucht. Interessant sind dabei die sich aus seiner Herangehensweise ergebenden strukturellen Eigenheiten dieser Begriffe.10 Denn Aristoteles führt keine gesicherte Bestimmung des Handelns vor, sondern beharrt auf dessen Möglichkeitscharakter. Über Handeln nachzudenken erscheint Aristoteles gerade deshalb sinnvoll, da mit Blick auf das Handeln nichts vorhersagbar ist.11 Denn alles hängt beim menschlichen Tun von den Bezügen ab, in denen es sich ereignet, so dass Handeln in seinen Erscheinungsformen vielfältig ist. Die Aufgabe besteht mit Aristoteles folglich darin, die Disparität der Erscheinungen zu erhalten und sichtbar zu machen, dass diese Disparität der Bezüge besteht, ohne dass deren Struktur willkürlich wäre. Die Struktur dieser Prinzipien zeichnet der erste Teil dieser Überlegungen nach, um daran zu verdeutlichen, was es bedeutet, Handlungen vom Handeln her zu denken. Mit diesen Prinzipien deutet sich deshalb an,
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in welcher Richtung die begonnene Untersuchung fortzusetzen ist, um schließlich eine Antwort auf die Frage geben zu können, warum wir wissen was wir tun, und damit eine Beschreibung des Handlungsvollzuges liefern zu können. Deshalb gliedert sich diese Auseinandersetzung mit Aristoteles gedanklich in zwei Abschnitte: Zunächst gilt es, die Kontextbindung von Handlungen zu belegen, um dann im zweiten Schritt die sich daraus ergebenden Prinzipien zur Erschließung des Handlungsvollzuges zu ermitteln.
2.1 D ie K onte x tbindung des H andlungsvoll zugs Während des Studiums der Aristotelischen Schriften, die sich mit dem Handeln befassen, fällt auf, dass Aristoteles Handeln häufig gemeinsam mit Leben erörtert.12 Es ist ihr Leben, das Menschen nach Aristoteles handelnd gestalten und das ihr Handeln leitet. Beide Aspekte bündelt er in der Nikomachischen Ethik im Hinblick auf die Frage nach dem guten Menschen und dem ihm adäquaten Leben. Deshalb steigt er über die Betrachtung von Handlungsweisen in seine ethischen Überlegungen ein und zielt nicht darauf ab, aus seiner Ethik zu folgern, wie gehandelt werden soll. Handeln wird für Aristoteles demnach virulent, bevor eine moralische Bewertung dieses Tuns geboten ist. Die vorliegende Abhandlung will mit der Explikation des Lebens als Kontext des Handelns auf die tragende Funktion eingehen, die das Leben für die Aristotelischen Ausführungen zum Handeln in der Nikomachischen Ethik hat. Zudem wird diese Thematik auch in der anschließenden Auseinandersetzung mit De Anima und De Motu Animalium immer wieder durchscheinen.13 Denn in der Funktion des Lebens für das Handeln und jener des Handelns für das Leben zeigt sich die Kontextrelativität des Handelns. Da sich durch die Beschäftigung mit dem Leben das Problem stellt, wie diese Kontextrelativität erfasst werden kann, ergibt sich die Frage, wie Handlungen gewusst bzw. wahrgenommen werden können. Die Untersuchung des Lebens als Kontext des Handelns führt so auf die Leitfrage hin, warum wir wissen, was wir tun,
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und gibt die Richtung vor, in der die zugehörige Antwort gefunden werden kann. Diese Auseinandersetzung mit der Kontextualität des Handelns vollzieht sich konsequenterweise in zwei Schritten. Im ersten stellt sie die Kontextrelativität des Handelns vor. Der zweite Schritt untersucht, indem die Mesoteslehre mit der Aristotelischen Kategorie des In-Bezug-auf verknüpft wird, wie dieses Zugleich aus Kontext und Handlung erfasst werden kann.
2.1.1 Handeln im Kontext des Lebens Die Verbindung zwischen Handeln und Lebensführung liegt in der Nikomachischen Ethik allein durch ihre Themenstellung auf der Hand: das höchste Glück als Ziel der menschlichen Lebensführung (bios).14 Selbstverständlich können die spezifischen Umstände einer Handlung nach Aristoteles sehr unterschiedlich sein. Aber er versteht Handlungen als Ausdruck der spezifischen Lebensform des Menschen und entsprechend vollziehen sie sich im Kontext seiner Lebensführung. Leben als Kontext von Handlungen wird nun näher erörtert, wobei der Eudeimonia, nach Aristoteles das höchste Ziel des menschlichen Lebens, und dem guten und glücklichen Menschen nur soweit Rechnung getragen wird, wie es zum Verständnis der von Aristoteles eingeführten Kontextualität des Handelns erforderlich ist. Wie in Anlehnung an Aristoteles herausgearbeitet werden soll, vollziehen sich Handlungen vom Handeln her gedacht nicht im luftleeren Raum. Handeln impliziert einen Akteur, vollzieht sich innerhalb eines Kontextes, der das Handeln begreiflich macht und der selbst wiederum durch das Handeln festgelegt wird. Durch das mit diesen Überlegungen verfolgte Erkenntnisinteresse, zu zeigen, wie Handlungen durch ihre Kontextbindung begreiflich werden, bekommt dieses Nachdenken über Leben systematisch epistemischen Charakter. Es zielt auf die Erkenntnismöglichkeit des Handelns und der daraus ersichtlichen Struktur oder Form – diese beiden Begriffe werden aus Gründen der sprachlichen Vielfalt synonym verwendet – des Handlungsvollzugs. Auf eine ontologische Fundierung des Handelns, wie sie sich im Anschluss
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an die Beschäftigung mit dem Leben (zoé) und der Seinsweise des Menschen bei Aristoteles auch ergeben könnte, kommt es nicht an. Lebensform, Lebensführung und der sich daraus ergebende Handlungskontext werden hier nur in ihrer konstitutiven Funktion für den Handlungsvollzug betrachtet. Letztlich geht es darum, über das Handeln als Ausdruck der Lebendigkeit des guten Menschen bei Aristoteles zur Kontextabhängigkeit des Handelns zu kommen, um schließlich untersuchen zu können, wie wir aufgrund dieser Kontexteinbettung wissen können, was wir tun. Bereits im ersten Buch seiner Nikomachischen Ethik, in dem Aristoteles das Glück als Ziel des menschlichen Lebens ausweist, greift er das Thema Lebensführung über das Handeln auf. So unterscheidet er vier verschiedene Arten des Tuns, die alle in unterschiedlicher Weise nach einem Gut streben: Praktisches Können, womit die Verfahrensweise gemeint ist,15 durch die z.B. ein Schuh hergestellt wird, differenziert Aristoteles von der wissenschaftlichen Herangehensweise an einen Gegenstand.16 Wieder etwas anderes meint Handeln als Praxis im Sinne einer gemeinschaftlich geteilten Lebensführung sowie das Fassen eines Vorhabens. ›Praxis‹ beschreibt jenes Handeln, das in der Verwirklichung einer gelingenden Gemeinschaft seine Erfüllung findet.17 Im Unterschied zur Herstellung, während der es um die Ausführung eines Verfahrens zur Fertigung eines Produkts, etwa eines Schuhs geht, bringt die Praxis kein weiteres Produkt als wiederum Handlungen hervor. Das Gelingen der Gemeinschaft hängt vom Zusammenspiel der darin vollzogenen Handlungen ab. Spricht etwa ein Richter sein Urteil über einen Straftäter, bezieht sich das Urteilen rückwirkend auf die Handlungen des Delinquenten und in seiner Fortsetzung auf die zur Vollstreckung der verhängten Strafe erforderlichen Handlungen. Allerdings schränkt Aristoteles seine Unterscheidung unterschiedlicher Handlungsformen unmittelbar ein: Ein Vorsatz im Sinne eines Vorhabens ist keine Praxis,18 d.h. ein gefasster Entschluss zeitigt nicht zwingend eine entsprechende Handlung. Aristoteles begreift die Handlungsweisen folglich von ihrer tatsächlichen Ausführung her und nicht über Wünsche, Einstellungen oder Ziele.
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All diese Tätigkeitsweisen haben für Aristoteles gemeinsam, dass sie nach einem Gut streben. Die Medizin etwa strebt nach Gesundheit, der Schiff bau nach dem Schiff und die Heerführung nach dem Sieg.19 Welches Gut jeweils erstrebt wird, steht nicht unabhängig von der Handlung fest, die es erstrebt. Es ergibt sich vielmehr aus den unterschiedlichen Tätigkeiten, die sich auf dieses Gut richten. Dieses im Handeln beschlossene Streben kann nicht ohne Endpunkt bleiben, denn sonst würde es sich in einem Regress des einen um etwas anderen Willen usw. verlieren und schließlich leerlaufen.20 Deshalb muss es nach Aristoteles ein selbstzweckhaftes höchstes Gut geben, dem sich alle anderen Bestrebungen unterordnen.21 Handeln lässt sich mit Aristoteles folglich nicht als selbstreflexiver oder endlos offener Vollzug beschreiben. Es ist, so deutet sich an, für ihn vielmehr ein konkreter, in seinen Kontext eingebetteter Vollzug, der mit seinem Ziel beendet ist. Das Bauen eines Schiffs etwa geschieht in einer Werft und hört auf, sobald das Schiff fertig ist. Worin findet folglich nach Aristoteles alles Handeln sein Ende? Nach Aristoteles streben alle Menschen nach Glück, entsprechend macht er Glück als höchstes Ziel des Handelns aus.22 Wiederum liest Aristoteles das höchste Ziel des Menschen aus seinem tatsächlichen Handeln heraus und legt es nicht vorab fest, um dann zu prüfen, ob sich das Handeln daran orientiert oder nicht. Deshalb steht für ihn auch nicht von vornherein fest, was unter Glück zu verstehen ist. Dies richtet sich nach der in der Lebensführung verwirklichten Handlungsweise eines Menschen. Die einen verwirklichen nach Aristoteles ihr Glück in der Lust und richten ihr Leben und Handeln nach dem Genuss aus.23 Diese Ausrichtung entspricht der herstellenden Tätigkeit, denn die diese Lebensführung konstituierende Handlungsweise zielt auf ein Gut, das über das aktuelle Tun hinausweist. Höchstes Glück dieses Lebens ist ein Produkt, das lustbringender und erstrebenswerter erscheint als die Handlung, die es hervorbringt. Andere dagegen wollen ihr Leben am Politischen orientieren, sich also handelnd in die Gemeinschaft einbringen, und streben deshalb in ihrem Handeln nach Ehre.24
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Diese Lebensweise konstituiert sich im praktischen Handeln zwischen Menschen. Sie ist durch das in diesem Handeln beschlossene Gut ›Ehre‹ stets auf die Anerkennung der Mitmenschen angewiesen. Ehre erweist sich, da sie Anerkennung voraussetzt, insofern für Aristoteles als nur relatives Gut und kann nicht das letzte Ziel des Handelns darstellen. Jene wiederum, die ihr Leben der Wissenschaft widmen, finden ihr Glück für Aristoteles in der Betrachtung.25 Dieser Lebensführung des Betrachtens entspricht das wissenschaftliche Tun, das als reiner Selbstzweck nichts beabsichtigt, was über das Untersuchen hinausginge. Die Lebensumstände, die ein gewisses Handeln erfordern, resultieren demnach aus einer bestimmten Art zu handeln: Widme ich mein Leben der Politik, handle ich politisch, und insofern ich politisch handle, führe ich das Leben eines Politikers, was wiederum bedeutet – im Sinne der Ehre – politisch zu handeln. Da das Handeln immer auf die angestrebte Glücksvorstellung verweist, hat es in der Lebensführung seinen Ort. Wie Menschen ihr Leben gestalten, ist nicht davon abzulösen, wie sie handeln und umgekehrt legt dieses Handeln ihre Lebensführung fest. Unabhängig davon, welche der von Aristoteles unterschiedenen Handlungsformen betrachtet wird, keine kommt ohne Rückbindung an die Lebensführung aus, in der sie stattfindet. Und keine Lebensführung kann unabhängig von den darin vollzogenen Handlungen erfüllt werden. An dieser Gegenseitigkeit von Lebensführung und Handlungsvollzug zeichnet sich ab, wie Aristoteles den Weg zeigen kann, um Handlungen vom Handeln her zu denken. Er stellt das Leben nicht dem Handeln gegenüber, sondern zeigt, wie sich das eine aus dem anderen ergibt. In Analogie dazu wird im Folgenden beabsichtigt zu zeigen, wie sich das Handeln aus dem Umgang mit dem Kontext ergibt und wie es durch diesen Umgang den Kontext bestimmt. Weder das eine noch das andere steht im Vorhinein fest, Kontext sowie Handlung bestimmen sich gegenseitig und ermöglichen so, zu wissen, was wir tun. Anhand der Frage, welche Art zu leben dem Menschen angemessen ist, ergründet Aristoteles die Verbindung zwischen Leben und Handeln weiter. Für ihn steht in seiner Ethik die Frage nach
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dem guten Menschen zur Disposition. Deshalb fragt Aristoteles, was die Lebendigkeit des Menschen vor der anderer Lebewesen auszeichnet, und kommt von dort aus auf die Handlungsfähigkeit des Menschen zu sprechen: Worin besteht die besondere Funktion des Menschen im Allgemeinen, wenn z.B. die Aufgabe des Schusters im Besonderen in der optimalen Erfüllung seiner Praxis als Handwerker liegt?26 Das Leben teilt der Mensch, so Aristoteles, mit Pflanzen und Tieren. Letztere haben mit dem Menschen zudem die Wahrnehmung gemeinsam. Alleinstellungsmerkmal des Menschen ist nur die Fähigkeit zur vernünftigen Tätigkeit.27 Das Leben des Menschen soll aber für Aristoteles nicht lediglich ein vernunftgemäß tätiges sein, sondern zudem gut.28 Deshalb zieht Aristoteles aus der spezifischen Lebendigkeit des Menschen folgenden Schluss: »[W]enn wir aber als die Funktion des Menschen eine bestimmte Lebensweise annehmen, und zwar eine Tätigkeit der Seele oder der Vernunft entsprechende Handlungen, als die Funktion des guten Menschen aber, diese Handlungen auf gute und angemessene (kalos) Weise zu tun, und wenn jede Handlung gut verrichtet ist, wenn sie im Sinne der eigentümlichen Tugend verrichtet ist – wenn es sich so verhält: dann erweist sich das Gut für den Menschen (to anthropinon agathon) als Tätigkeit (energeia) der Seele im Sinne der Gutheit (kat’ areten), und wenn es mehrere Arten der Gutheit gibt, im Sinne derjenigen, welche die beste und am meisten ein abschließendes Ziel (teleios) ist.« 29
Aristoteles verweist also in seinem Ergon-Argument zunächst auf die besondere natürliche Verfasstheit des Menschen und bindet seine Lebensform dann an seine Lebensführung zurück. Insofern der Mensch vor allen anderen Lebewesen ein vernunftbegabtes Wesen ist, hat er die Möglichkeit, und zugleich die Pflicht, sein Leben dieser Vernunft gemäß handelnd gut zu gestalten. Handlungen als Ausdruck einer Lebensführung implizieren einen lebendigen Handelnden, dessen Tugendhaftigkeit sich wiederum in seinem guten Handeln ausdrückt. Entscheidend für die an Aristoteles angelehnte
2. Handlungen vom Handeln her denken
Explikation dessen, was es heißt, Handlungen vom Handeln her zu denken, ist, dass Aristoteles weder das Leben dem Handeln noch dem Akteur die Handlung gegenüber stellt. Handeln vollzieht sich im Kontext des Lebens und Leben wird im Handeln zu jenem Leben, das das Handeln kontextualisiert. Insofern jemand nach Ehre strebt, politisch handelt und sein Leben der Politik widmet, ist er Politiker. Jemand, der lediglich davon träumt, ein großer Staatsmann zu werden, stattdessen jedoch stets Produkte zu seinem Genuss herstellt, ist Handwerker, nicht Politiker. Sowohl die Lebensführung als auch die Tugendhaftigkeit des Handelnden erschließt Aristoteles aus dem Handeln. Wer also versuchen möchte, Handlungen vom Handeln her zu denken, darf nicht vom Akteur auf die Handlung oder von den Umständen auf das Handeln schließen. Er muss vielmehr zeigen, wie die Handlung sich in einem Kontext vollzieht und wie jedes Handeln einen Handelnden impliziert, der diesem Tun nicht vorausgeht. Handlungen vom Handeln her zu denken meint z.B. das Schreiben zu analysieren und zu prüfen, wie sich im Schreiben der Kontext des Schreibens als einer des Schreibens und Lisa als Schreibende bestimmt. Sofern weder der Kontext, noch die Handlung oder der Handelnde ausgemacht werden können, ehe das Handeln sich vollzieht, fragt sich, warum wir dennoch wissen, was wir tun. Damit ergibt sich, da für dieses Wissen nur der Handlungsvollzug relevant sein kann, mit der Antwort auf die Frage ›Warum wissen wir, was wir tun?‹ eine Handlungsvollzugsanalyse, die Handlungen vom Handeln her denkt.
2.1.2 Das praktische In-Bezug-auf: Die Mesoteslehre Wie lässt sich nun die Kontextabhängigkeit des Handelns fassen und so wenden, dass sich daraus die Arbeitsschritte für die kommende Analyse des Handlungsvollzuges ergeben? Aristoteles hält die notwendigen Werkzeuge bereit, um diese Aufgaben zu meistern. Er schlägt mit seiner Mesoteslehre ein Instrument vor, um die unterschiedlichen handlungsrelevanten Kontextparameter zueinander ins Verhältnis zu setzen. Zudem stellt er mit seiner Kategorie
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des In-Bezug-auf eine Möglichkeit bereit, das Zugleich aus Kontext und Handlung systematisch zu erschließen. So wird nun zuerst versucht, die Korrelation von Kontext und Handlung unter Heranziehung des In-Bezug-auf zu entfalten. Diese Korrelation wird dann anhand der Mesoteslehre im Sinne des Handelns gewendet, und anschließend wird gefragt, welche weiterführenden Aufgabenstellungen sich für die Analyse des Handlungsvollzugs daraus ergeben. Streng genommen geht es gegenwärtig nicht um die Frage, was Handlungen sind, also durch welche Art zu sein sie sich auszeichnen. Doch der Rückgriff auf die Ordnung der Aristotelischen Kategorie ›In-Bezug-auf‹ ist für den Versuch, die Kontextbindung des Handlungsvollzuges zu beleuchten, hilfreich. Diese Kategorie beschreibt, dass es Sachverhalte gibt, die nur relativ zu einem anderen in Erscheinung treten können. Entsprechend definiert sie Aristoteles wie folgt: »Ein In-bezug-auf wird derartiges genannt, von dem man sagt, daß das, was es selbst ist, in Hinsicht auf ein anderes ist oder was auf andere Weise in bezug auf ein anderes ist.«30 So ist ein Berg als der größere nur mit Blick auf einen anderen, kleineren auszumachen oder die Rolle des Knechtes unter Berücksichtigung seiner Stellung zu seinem Herrn erkennbar.31 Analog dazu vollzieht sich, wie dargelegt, eine Handlung in Bezug auf den Kontext, in dem sie sich ereignet. Der Politiker handelt, wenn er eine beratende Rede hält, in Bezug auf seinen politischen Lebenskontext und bestimmt so das politische Geschehen, in dessen Kontext sich seine Rede vollzieht. Einfacher ausgedrückt: Wie die Berge in Bezug aufeinander als größer bzw. kleiner hervortreten, vollzieht sich mein Schreiben in Bezug auf die Umstände – hier stets gleichbedeutend mit Kontext – unter denen ich schreibe: das Büro, den Schreibtisch, den Computer, und wird so als Arbeiten fassbar. Das In-Bezug-auf geht nach Aristoteles zumeist mit einem Zugleich einher.32 Das Doppelte beispielsweise ist immer zugleich das Halbe. Wenn eines davon aufgehoben wird, verschwindet mit ihm auch das andere: Ohne das Doppelte ist auch das Halbe undenkbar.33 Ähnlich würde, sobald ich zu Schreiben aufhörte und begönne Kaffee zu trinken, aus dem Arbeits- ein Pausenkontext. Wenn ich
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jedoch im Café sitze und Kaffee trinke, ist dies ein Samstagsausflug und keine Arbeitspause. Selbst wenn ich dort Postkarten schreibe, bedeutet mein Schreiben nicht Arbeiten, sondern Urlaubmachen. Die Handlung vollzieht sich in Bezug auf ihren Kontext und bestimmt zugleich diese Umstände entsprechend der Handlung. Am selben Schreibtisch, im selben Zimmer kann sowohl gearbeitet als auch eine Kaffeepause gehalten werden. Ausschlaggebend ist, welche Handlung sich auf ihn bezieht und zugleich den Kontext als Pausenkontext oder Arbeitsplatz bestimmt. Aus der Dopplung von Bezug und Zugleich ergibt sich die methodische Bedeutung der Kategorie des In-Bezug-auf für die Analyse des Handlungsvollzugs. Handeln vollzieht sich in Bezug auf seinen Kontext, den es zugleich festlegt. Handlung und Handlungskontext sind folglich aufeinander bezogen und legen sich in ihrem Bezug zugleich gegenseitig fest. Doch wie lässt sich diese Systematik des In-Bezug-auf als Zugleich für eine tiefergehende Analyse des Handlungsvollzuges heranziehen? Zur Unterstützung des mit dem Zugleich Ausgedrückten kontrastiert Aristoteles das In-Bezug-auf im Sinne des Zugleich mit Wissen und Wahrnehmung. Das Wissen steht nach Aristoteles in systematischem Bezug zum Wissbaren. Das Wissbare geht dem Wissen voraus und wird durch den Verlust des Wissens nicht aufgehoben, während Wissen ohne systematisch früheres Wissbares kaum vorkommt: »In wenigen oder in gar keinen Fällen könnte jemand das Wissen zugleich mit dem Wissbaren entstehen sehen.«34 Gleiches gilt für die Wahrnehmung. Sie bezieht sich zwar auf das Wahrgenommene, lässt es jedoch nicht entstehen. Wahrnehmung setzt also das Wahrnehmbare voraus, aber das theoretisch Wahrnehmbare ist vom tatsächlichen Wahrnehmen unabhängig.35 Anders verhält es sich mit Wissen und Wahrnehmung des Handlungsvollzuges, der sich nur in Bezug auf seinen Kontext entfaltet, den er zugleich bestimmt. Handlungen können gewusst und Handlungskontexte wahrgenommen werden. Doch diesem Wissen und dieser Wahrnehmung geht kein wiss- oder wahrnehmbarer Sachverhalt voraus. Erst insofern ich schreibe, so zeigt das Beispiel,
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weiß ich, dass ich schreibe, und durch mein Schreiben wird der Kontext als Arbeitskontext wahrnehmbar. An den Aristotelischen Ausführungen zu Wahrnehmung und Wissen im Rahmen dieser theoretischen Kategorie des In-Bezug-auf wird deutlich, dass bei der Untersuchung von Handlungen ein anderes Verständnis von Wissen und Wahrnehmung zugrunde gelegt werden muss, um den Handlungsvollzug analysieren zu können: Das Zugleich, das für den Handlungsvollzug konstitutiv ist, wird aus der Korrelation von Umstand und Tat gebildet. Diese Korrelation ergibt sich zugleich mit der Handlung. Deshalb kann sie dem Wissen nicht als theoretisch wissbare vorausgehen oder der Wahrnehmung als potentiell wahrnehmbare bereitliegen. Der Bezug aus Kontext und Handlung wird erst zugleich mit dem Handeln wiss- und wahrnehmbar. Wissen und Wahrnehmen verhalten sich im Handeln folglich eher zueinander wie das Doppelte zum Halben als die Wahrnehmung zum Wahrnehmbaren und das Wissen zum Wissbaren. Jede Handlung vollzieht sich in Bezug auf ihren Kontext und jeder Handlungskontext ergibt sich in Bezug auf das Handeln. Der gegenseitige Bezug von Kontext und Handlung entsteht wiederum aus dem Zugleich von Wissen und Wahrnehmung, das sich im Handeln vollzieht. Denn ehe jemand zu handeln beginnt, kann niemand von seinem Vollzug wissen und den Kontext in Bezug auf die Handlung wahrnehmen. Beides, sowohl Wissen als auch Wahrnehmung des Handlungsvollzugs, werden unmöglich, sobald der Handlungsvollzug zum Erliegen kommt. Der Handlungsvollzug wird, da er zumindest mit dem Wissen und der Wahrnehmung des Akteurs einhergeht, durch dieses Zugleich aus Wissen und Wahrnehmung konstituiert. Folglich kann er nicht als von Wissen und Wahrnehmung unabhängig gedacht werden und hinterlässt auch kein ›Objekt Handlungsvollzug‹, das im Nachhinein wahrzunehmen möglich wäre. Nur in Bezug auf dieses konkrete Schreiben wird diese Handlung zugleich wiss- und wahrnehmbar. Weder der Text, der im Schreiben entsteht, noch das Schreiben liegen vorab als unentdeckte Gegenstände des Wissens bereit. Das Schriftstück, das verfasst wird und das das Schreiben
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überdauert, gibt keinen Aufschluss über den Schreibvollzug, der es hervorbrachte. Durch die Zusammenführung der Kategorie des InBezug-auf als Zugleich verbunden mit Wissen und Wahrnehmung im Handlungsvollzug wird erkennbar, wie der Handlungsvollzug einer Untersuchung zugänglich gemacht werden kann. Denn sofern die Möglichkeiten des Wissens und der Wahrnehmung des Handelns nur mit dem Vollzug der Handlung selbst einhergehen, lässt sich der Handlungsvollzug über die Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung untersuchen. Es gilt demnach im Folgenden das Verhältnis aus Wissen und Wahrnehmung im Handlungsvollzug zu explizieren und durch die Erkundigung, warum wir wissen, was wir tun, immer weiter zuzuspitzen. Aus dieser Erkundigung ergibt sich im Laufe dieser Arbeit Schritt für Schritt eine immer präzisere Beschreibung des Handlungsvollzuges. Die gesuchte Explikation des Verhältnisses aus Wissen und Wahrnehmung als Zugleich lässt sich in einer entsprechenden Deutung des In-Bezug-auf im Sinne der von Aristoteles vorgeschlagenen Mesoteslehre sehen. Sie dient ihm zur Klärung des Tugendbegriffes,36 und da Tugendhaftigkeit mit dem guten Handeln einhergeht, muss Aristoteles sich dazu mit der Struktur des Handlungsvollzuges befassen. So fragt er: Wonach definiert sich die Tugendhaftigkeit einer Handlung der Art nach?37 Aristoteles versteht Tugendhaftigkeit der Art nach als das, was die Sache – im aktuellen Zusammenhang also die Handlung – in eine gute Verfassung bringt und die Erfüllung ihrer Funktion gut macht.38 Tugend beschreibt als Gutheit der Handlung jene Disposition, die das Handeln seiner Funktion nach auf die Umstände hin ordnet. Die Tugendhaftigkeit der Handlung bestimmt dadurch den Kontext und konkretisiert zugleich das Tun. Dies geschieht, je nach Handlungsvollzug, durch die Mitte in Bezug auf die Sache oder in Bezug auf die beteiligten Akteure: »Das Gleiche [als angemessene Verortung des Handelns zwischen zwei extremen Möglichkeiten] ist eine Art Mittleres (meson) zwischen Übermaß (hyperbole) und Mangel (elleipsis). Ich nenne aber das Mittlere der Sache
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das, was gleichweit von beiden Extremen entfernt ist, und das ist für alle ein und dasselbe. Hingegen meine ich mit dem Mittleren in Bezug auf uns, was weder zu viel noch zu wenig ist; dies ist nicht eines, und es ist auch nicht für alle dasselbe.« 39
Während die sachliche Mitte der arithmetischen sehr nahe kommt, orientiert sich die Mitte in Bezug auf den Handelnden ganz und gar an den Erfordernissen der jeweils gegenwärtigen Gegebenheiten. Dieses praktisch Mittlere liegt z.B. im Falle der Herstellung, gemessen an den Ansprüchen an das Produkt, goldrichtig oder meint die passende Empfindung von Lust oder Unlust am jeweiligen Tun. Das Mittlere ist folglich so unterschiedlich, wie die Handlungsweisen, die es zu treffen haben. Darüber hinaus impliziert die Mesoteslehre als Methode zur Ermittlung der praktischen Mitte in Bezug auf uns einen Handelnden, der zwar als dieser konkrete Akteur nicht vorab feststeht, der aber als der ideale tugendhafte Mensch in der tugendgemäßen Handlung beschlossen liegt. Fassbarer wird der stets implizite Akteur dadurch, dass die von Aristoteles gesuchte praktische Mitte eine durchweg relative darstellt, die dennoch nicht in Beliebigkeit abdriftet. Die praktische Mitte dient vielmehr als Werkzeug zur Präzisierung praktischer Problemstellungen. Wie dieses Werkzeug funktioniert, zeigt die Genauigkeit, mit der sich diese Mitte fassen lässt: »Dagegen sie [Lust und Unlust]40 zu empfinden, wann (hote) man soll, bei welchen Anlässen (eph’hois) und welchen Menschen gegenüber (pros hous), zu welchem Zweck (hou heneka) und wie man soll (hos dei), ist das Mittlere und Beste und dies macht die Tugend aus.«41 Um die praktische Mitte zu finden, setzt Aristoteles also alle handlungsrelevanten Parameter zueinander in Beziehung, ohne damit ein absolutes allgemeingültiges Maß festzuschreiben. Da es Aristoteles hier letztlich um eine Definition der tugendhaften Handlung geht, die auf den tugendhaften Handelnden verweist, deuten all diese Bezüge auf einen Handelnden hin, dessen tugendhafte Persönlichkeit sich in seinem Handeln offenbart. Der Struktur des Bezugs von Handlung und Kontext ist ein Akteur implizit. Dieser implizite Akteur
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steht den Umständen nicht beobachtend gegenüber, denn er gehört dem Handlungsvollzug an, der den Bezug zwischen Handlung und Kontext bestimmt. Worin besteht nun der systematische Unterschied zwischen dem theoretischen In-Bezug-auf und dem In-Bezug-auf des Handelns? Der handelnde Bezug referiert nicht auf etwas, das bereits festzustehen scheint, ehe es als Thema der Betrachtung herangezogen wird. Das theoretisch Wissbare ebenso wie das theoretisch Wahrnehmbare sind unabhängig davon, ob sie gewusst bzw. wahrgenommen werden oder nicht. Das handelnd Gewusste und Wahrgenommene hingegen geht als Wissbares oder Wahrnehmbares erst aus dem Wissen resp. der Wahrnehmung hervor. Wenn ich einen Berg sehe oder ein Gesetz erkenne, nehme ich an, dass der Berg schon da war, ehe ich ihn sah und das Gesetz auch gilt, wenn ich es nicht kenne. Doch diese Unabhängigkeit des Gegenstandes von der Bezugnahme besteht im praktischen In-Bezug-auf nicht. Die Handlung, die sich zwischen den Kontextparametern aufspannt und diese damit als wahrzunehmende oder zu wissende ins Werk setzt, ist als Handeln immer schon gewusst und wahrgenommen, da Handeln, wie die Mesoteslehre belegt, einen Handelnden impliziert. Durch die Auseinandersetzung mit der Mesoteslehre zeigt sich, dass dem Wissen und der Wahrnehmung, die den Handlungsvollzug konstituieren, nicht nur kein Wiss- oder Wahrnehmbares vorausgeht, sondern auch, dass das zu wissende und wahrzunehmende Handeln immer ein gewusstes bzw. in seinen Bezügen wahrgenommenes ist. Wissen und Wissbares, Wahrnehmung und Wahrnehmbares gehen im Handeln Hand in Hand. Wir wissen, was wir tun, so kann vorläufig festgehalten werden, da mit dem Zugleich aus Handlung und Kontext ein Wissen und eine Wahrnehmung um diesen Bezug einhergeht.
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2.2 D ie V ernunf t vermögen als W issen und W ahrnehmung An der Engführung von Kategorien- und Mesoteslehre wird deutlich, dass Wissen und Wahrnehmung den Handlungsvollzug als wiss- und wahrnehmbar konstituieren. Daraus folgt, dass dieser Vollzug, der den Bezug zwischen Kontext und Handlung stiftet und einen Handelnden impliziert, zugleich gewusst und wahrgenommen ist. Doch diese Feststellung drängt die Frage auf, wie sich Wissen und Wahrnehmung im Handlungsvollzug wiederfinden und ihn zugleich im Vollzug konstituieren. Einen Ausweg aus dieser Verlegenheit weist einmal mehr Aristoteles. Er nimmt sich in De Anima vor, die Seele als Prinzip der Lebewesen42 auszuweisen. So kommt er über die Frage nach dem Wesen des Lebendigen zum Problem des Strebens und für den Menschen zum Handeln.43 Damit begreift Aristoteles das menschliche Handeln als Verwirklichung des spezifisch menschlichen Seelenvermögens. Deshalb stellt er diese Funktionsprinzipien »im Sinne der Betätigung«44 am Handeln fest, denn sie konstituieren das Handeln, indem sie darin verwirklicht werden. Wie drückt sich das Seelenvermögen im Handeln aus? Und wie lassen sich die beiden am Handeln beteiligten Aspekte des spezifisch menschlichen Vermögens, phronesis und nous, entweder dem Wissen oder der Wahrnehmung zuordnen, so dass herausgearbeitet werden kann, wie Wissen und Wahrnehmung im Handlungsvollzug vorkommen? Die Seele betrachtet Aristoteles als Prinzip der Vermögen der Lebewesen, das sie ihrem Wesen nach bestimmt. Aus diesem Grund ist die Seele sowohl Ursache als auch Prinzip der Lebewesen: »Die Begriffe ›Ursache‹ und ›Prinzip‹ haben vielfache Bedeutungen; genauso ist die Seele Ursache in dreifach unterschiedener Weise: Denn sie ist das Woher der Bewegung und Endzweck; ebenso ist die Seele auch als Wesen der beseelten Körper Ursache. Dass sie es als Wesen ist, ist klar. Denn das Wesen ist für alles die Seinsursache.« 45
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Das Funktionsprinzip ›Seele‹, das als Prinzip eine Ursache und als Ursache ein Prinzip umschließt, hält, wie gesagt werden könnte, für Aristoteles Prinzip und Ursache der Lebewesen zusammen. Als Funktionsprinzip umfasst die Seele alle Momente der Verwirklichung ihrer Vermögen und ist deren Beweggrund bzw. Ursache. Damit legt sie über die Verwirklichung dieser Vermögen das Prinzip dieser Lebewesen fest. Auf diese Weise beschreibt die Seele mit der spezifischen Funktion einer Entität das Wesen dieser Entität, ohne über deren spezifische Betätigung hinauszugehen. Die Verwirklichung der spezifisch menschlichen Funktion muss also an seiner Betätigung, sprich aus seinen Handlungsvollzügen ersichtlich sein, die einerseits das Wesen des Menschen bestimmen und andererseits selbst über das Prinzip dieses Wesens ihre Bestimmtheit erhalten. Das Wesen des Menschen stiften nach Aristoteles zwei Vermögen des vernünftigen Seelenteils. Eines der beiden Funktionsprinzipien richtet sich auf rein theoretische Belange und tritt im Handeln nicht unmittelbar hervor.46 Das andere praktische Funktionsprinzip betrifft das Handeln. Denn die praktische Vernunft ordnet die Parameter des Handlungskontextes gemäß dem diesem Kontext adäquaten Guten.47 Diese Hauptaufgabe der praktischen Vernunft ändert aber nichts daran, dass Aristoteles sie – wie auch der Name schon sagt – den Vernunftvermögen des Prinzips Seele zurechnet und dem praktischen dadurch eine unmittelbare Verbindung zu den anderen Vernunftvermögen einräumt. Die Vernunftvermögen beziehen sich im Handeln nach Aristoteles sogar unmittelbar aufeinander: »Die Fähigkeit zu wissen aber wird nicht bewegt, sondern steht fest. Weil nun Annahme und Vernunft teils allgemein, teils auf den Einzelfall bezogen sind (denn teils sagen sie, dass ein bestimmter Mensch etwas Bestimmtes tun müsse, teils, dass das hier das Bestimmte ist und ich der bestimmte Mensch bin), so verursacht entweder die letztere Meinung die Bewegung und nicht die allgemeine oder beide, allerdings bleibt die eine eher in Ruhe, die andere aber nicht.« 48
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Wichtig für die Frage nach der Funktion der Vernunftvermögen im Handeln ist an diesem Zitat, dass es herausstellt, dass und wie die beiden Vernunftvermögen im Handeln involviert sind: Eines der beiden bewegt sich, während das andere als Voraussetzung dieser Bewegung in Ruhe bleibt. Neben der bewegten praktischen Vernunft weist jeder Handlungsvollzug demnach eine unbewegte Kehrseite auf, die ihn als praktischen mitbestimmt. Diese Kehrseite der Klugheit (phronesis), wie Aristoteles die praktische Vernunft in der Nikomachischen Ethik nennt, bildet die intuitive Vernunft (nous). Die Ruhe des einen ermöglicht also die Bewegung des anderen und so konstituieren beide gemeinsam den Handlungsvollzug. Wie dieses Zusammenspiel sich im Detail gestaltet, lässt sich nachvollziehen, wenn die je unterschiedliche Funktionalität von nous und phronesis weiter entfaltet wird. Um herauszustellen, was die Klugheit als praktisches Vernunftvermögen auszeichnet, gliedert Aristoteles sie einerseits in die Ordnung der Vermögen ein und arbeitet andererseits ihre Spezifika gegenüber den anderen Vernunftvermögen heraus. Klugheit ist ein Aspekt des Funktionsprinzips Vernunft und bezieht sich dennoch unmittelbar auf die Strebevermögen, die sich als Charaktertugenden im Handeln verwirklichen. Insofern steht die phronesis zwischen Vernunft und Streben, da sie der Vernunft angehört und sich mit ihrem Überlegen auf die praktischen Belange bezieht.49 Ihre Themen sind die Erfordernisse des Kontextes, die Mittel zur Erlangung der angestrebten Ziele und der im Handeln verwirklichte Charakter des Akteurs. Die Klugheit befasst sich laut Aristoteles mit dem, was handelnd erreicht werden kann, sofern die einzelnen Schritte zu diesem Ziel nicht verbindlich vorgegeben sind. Herstellungsverfahren, die eine bestimmte Vorgehensweise zur Fertigung eines Produktes vorschreiben, z.B. sind nicht der Klugheit zuzurechnen.50 Die Klugheit ist das Prinzip der kontextadäquaten Angemessenheit des Handelns. Einer Angemessenheit, die nicht durch eine mehr oder weniger kontextinvariante technische Regelmäßigkeit normiert werden kann. In diesem Sinne hebt Aristoteles hervor, dass Klugheit zwar praktisches Nachdenken einschließt, insbesondere aber, kantisch gesprochen, die Erfüllung
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der Bedingung der Möglichkeit des Handelns meint. »So ist also die Klugheit notwendigerweise eine mit Überlegung verbundene wahre Disposition des Handelns in Bezug auf die menschlichen Güter.«51 Klugheit meint demnach die Fähigkeit, sich angemessen handelnd auf den Kontext zu beziehen, ohne sich dabei im Detail zu verlieren. Denn als Funktionsprinzip verwirklicht sie sich als in konkreten Handlungen ausgedrückte Fähigkeit eines Handelnden. Der kluge Handelnde konkretisiert sich in seiner klugen Handlung, so dass das Vermögen der Klugheit umgekehrt einen klugen Handelnden impliziert. Akteur und Vermögen verwirklichen sich entsprechend erst im Handlungsvollzug, der sich als klug erweist und so die Klugheit des Akteurs offenbart. Kraft seiner Klugheit, so ließe sich die Funktion der Klugheit im Handeln resümieren, bestimmt sich der Handelnde im Handeln und den Kontext zum Handlungskontext. Denn Klugheit ist jenes Vermögen, das weiß, was im gegenwärtigen Kontext die gute Handlungsweise darstellt und sich im klugen Handeln verwirklicht.52 Bis hierher ist im Hinblick auf das oben angeführte Zitat zu den beiden am Handeln beteiligten Vermögen, nous und phronesis, lediglich das praktisch bewegliche eingeholt. Welchen Anteil hat nun die ruhende intuitive Vernunft am Handlungsvollzug? Die Funktion des nous erschließt Aristoteles ähnlich wie im Falle der Klugheit durch die Suche nach seinem vorzüglichen Gegenstand. Um den Gegenstand des nous herauszuarbeiten, differenziert er ihn von jenen der weiteren Vernunftvermögen, der wissenschaftlichen Erkenntnis, der Klugheit und dem Herstellungswissen. Jede auf Erkenntnis zielende Wissenschaft (episteme) geht aus einem allgemeinen und notwendigen Urteil des epistemischen Vermögens hervor. Ausgangspunkt solchen Urteilens sind Prinzipien (arché) und Wissbares. Beides fällt dennoch nicht in den Gegenstandsbereich einer Wissenschaft, da die Wissenschaft in ihrer Arbeit diese Prinzipien und das, was es zu wissen gibt, schlicht in Anspruch nimmt und nicht hinterfragt. Erste Prinzipien und Fragen nach dem Wissen können allerdings ebenso wenig durch die Klugheit oder das Herstellungswissen, die für praktische Belange zuständig
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sind, eingesehen werden.53 Als Ergebnis dieses Ausschlussverfahrens folgert Aristoteles: »Wenn nun die Dispositionen, mit denen wir die Wahrheit treffen und uns niemals täuschen, sei es über das, was nicht anders sein kann, sei es über das, was anders sein kann, Wissenschaft, Klugheit, Weisheit und intuitive Vernunft sind, von den dreien aber (mit den dreien meine ich: Klugheit, Wissenschaft, Weisheit) keines die Prinzipien zum Gegenstand haben kann, dann bleibt nur, dass es die intuitive Vernunft (nous) ist, welche die Prinzipien erfasst.« 54
Der nous richtet sich also auf jene Prinzipien, von denen die anderen Vernunftvermögen ihren Ausgang nehmen. Es handelt sich um Prinzipien, die diese Vermögen zwar zur Voraussetzung haben, aber selbst nicht zum Gegenstand machen können. Der Mathematiker z.B. reflektiert, während er die Winkelsumme im Dreieck epistemisch beweist, weder die Tatsache, dass das Dreieck Gegenstand des mathematischen Wissens ist, noch fragt er, auf welchen konstitutiven Prinzipien der Beweis beruht. Er stellt den Beweis auf und errechnet einen Betrag von 180 Grad.55 Das Dreieck als solches oder die Begründung der Mathematik als Disziplin und welche Vermögen sie zu ihrer Verwirklichung erfordert, bleibt dabei vollständig unbeachtet. Dieses unbeachtete Zusammenspiel der Vermögen, das im epistemischen Tun des Mathematikers notwendig vorausgesetzt wird, erfasst der nous. Ganz analog zur episteme verhält es sich im Falle des Miteinanders aus Klugheit und intuitiver Vernunft in den Bewegungen der phronesis: Für die Bewegung der Klugheit im Handeln bildet die intuitive Vernunft, so zeigt das Zitat aus De Anima in dem es heißt eines der beiden Vermögen bewege, während das andere in Ruhe bleibt,56 das unbewegte Prinzip dieser Bewegung. Zur Einsicht der ersten Prinzipien, die nur der nous fassen kann, gehört somit auch zu erkennen, dass und welches Vermögen gerade am Werk ist, sowie die Frage danach, an welchem konkreten Sachverhalt sich dieses Vermögen entfaltet. Deshalb hat der nous
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an der Verwirklichung jedes Vermögens teil, und damit auch am Handeln, ganz gleich ob am klugen oder epistemischen. Obwohl jedes Vernunftvermögen in einem anderen Gegenstand seinen Ausdruck findet, Klugheit im Handeln, Episteme in der Wissenschaft, nous in den Prinzipien, sind nach Aristoteles immer mehrere Vermögen an der Verwirklichung beteiligt. Die intuitive Vernunft sichert die unzweifelbare Grundlage der Verwirklichung aller anderen Vernunftprinzipien. Für das Beweisen liefert sie die ersten, keiner weiteren Ableitung zugänglichen Prinzipien und im Handeln jenes ruhende Moment, das die Bewegung ermöglicht. Nous und phronesis bestimmen demnach gemeinsam die Verwirklichung des Handlungsvollzuges. Doch wie sieht dieses Zusammenspiel des ruhenden nous und der bewegenden phronesis im Handeln näher hin aus? Aristoteles beschreibt das Verhältnis zwischen intuitiver Vernunft und Handeln einmal als diametralen Gegensatz und an anderer Stelle als notwendiges Zusammentreffen. Wo verläuft der Gegensatz zwischen nous und phronesis nach Aristoteles, wenn es doch bisher so aussah, als seien die beiden Vermögen jedes auf seine Weise am Handeln beteiligt? »Dass aber die Klugheit,« so schreibt Aristoteles, »nicht wissenschaftliche Erkenntnis ist, ist offensichtlich. Denn sie bezieht sich wie gesagt auf das Letzte (eschaton); was Gegenstand des Handelns ist, ist ja von dieser Art. Sie bildet also den Gegensatz zum intuitiven Denken (nous). Denn das intuitive Denken hat die höchsten Begriffe zum Gegenstand, die sich nicht begründen lassen, die Klugheit aber das Letzte, von dem es keine Wissenschaft, sondern nur Wahrnehmung (aisthesis) gibt – Wahrnehmung nicht derjenigen Dinge, die jeweils einem bestimmten Wahrnehmungssinn eigen sind, sondern so, wie wir wahrnehmen, dass das Letzte in der mathematischen Analyse das Dreieck ist; denn auch in der Mathematik wird man hier stehen bleiben. Aber das ist eher Wahrnehmung als Klugheit, jedoch eine andere Art Wahrnehmung [als diejenige, die sich auf die Gegenstände der jeweiligen Sinne bezieht].« 57
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Den Gegensatz zwischen intuitiver Vernunft und Klugheit sieht Aristoteles in den Gegenständen, auf die sich die in Rede stehenden Vermögen jeweils richten. Während sich die phronesis auf das Letzte richtet, wofür es keine wissenschaftliche Begründung geben kann, auf dieses konkrete Handeln, das in diesem Kontext gut und geboten ist, zielt der nous auf die ersten Prinzipien. Auf die Prinzipien des nous kann zwar auch nicht geschlossen werden, aber sie sind nicht der End-, sondern der Anfangspunkt allen Schließens. Das eine Vermögen, die Klugheit, befasst sich mit dem Letzten bezüglich des Handelns, das andere hingegen, die intuitive Vernunft, mit den ersten wissenschaftlichen Prinzipien. Auch wenn Aristoteles hier in beiden Fällen von Wahrnehmung spricht, zielen nous und phronesis doch auf Gegenstände, die, wie es aussieht, gegensätzlicher nicht sein könnten. Diese Differenzierung der beiden Funktionsprinzipien legt die Vermutung nahe, der nous hätte mit der phronesis und folglich auch mit dem Handeln nichts gemeinsam. Allerdings darf diese Vermutung nicht zu vorschnellen Folgerungen verleiten. Denn in der zweiten Hälfte des Zitats nähert Aristoteles intuitive Vernunft und Klugheit über den Begriff der Wahrnehmung einander an. Er analogisiert die Art und Weise, wie die Klugheit die Erfordernisse des Handelns erfasst, mit der Wahrnehmung, die das Dreieck als mathematisch Erstes erkennt. Jedoch schränkt Aristoteles diese Feststellung sogleich ein, indem er sagt, die Einsicht, dass das Dreieck das mathematisch Letzte sei, wäre eher der Wahrnehmung denn der Klugheit zuzuschlagen. Die Erläuterung, mit der er den Begriff der Wahrnehmung bedenkt, zeigt, dass es sich dabei nicht um Sinneswahrnehmung oder gar Beobachtung handeln kann. Aristoteles scheint es eher um das unmittelbare Erfassen dessen, was vorliegt, zu gehen. Er bewegt sich so am Gedanken der Wahrnehmung entlang von der phronesis aus auf den nous zu. Wird diese Denkbewegung weiter verfolgt, so fragt sich, ob, wenn die intuitive Vernunft der Wahrnehmung zuzuordnen ist, die Klugheit, entgegen dem ersten Eindruck, dem Wissen entspricht.
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Insofern die Klugheit das Erreichen letzter, dem Kontext angemessener Zwecke zum Gegenstand hat, thematisiert sie etwas Letztes, das zwar festgestellt, aber nicht weiter erörtert werden kann. Wenn ich die Art und Weise erwäge, wie ich einem Freund am besten zum Geburtstag gratuliere, und befinde, dass ein Brief verbindlich und unaufdringlich ist, kann ich die Zweckmäßigkeit des Schreibens als von der Klugheit ausgemachtes Mittel nicht weiter begründen. Ich kann lediglich feststellen: Dieses Mittel ist diesem Kontext angemessen. Die entscheidende Voraussetzung dafür, zu diesem klugen Ergebnis zu gelangen, Schreiben sei hier eine unaufdringliche, aber verbindliche Art zu gratulieren, ist das Wissen meiner Klugheit. D.h. nur wenn ich weiß, was in diesem Kontext angemessen ist und das notwendige Taktgefühl eingeübt habe, komme ich zu dieser klugen Einschätzung der in diesem Kontext zu berücksichtigenden Parameter und damit zur klugen Handlung. Zu diesen Parametern zählt in diesem Beispiel die Persönlichkeit meines Freundes, der Anlass, der die Gratulation wünschenswert macht, die Beziehung, die wir zueinander pflegen und meine Art, solche Angelegenheiten zu erledigen. Um den richtigen Umgang mit diesen Gegebenheiten weiß der Kluge, ohne näher darüber nachzudenken, er begreift gewissermaßen die Lage und handelt entsprechend. Die phronesis erweist sich als ein im Handeln selbst liegendes Wissen um die Kontextadäquatheit dieses Handelns. Dieses Wissen um das in diesem Kontext adäquate Handeln bedarf der intuitiven Wahrnehmung der Umstände als handlungsrelevant, der in diesen Umständen herrschenden Prinzipien und des Erfassens der Verwirklichung der klugen Handlung. All diese Fähigkeiten – Wahrnehmung des Gegenstandes der phronesis und dessen Prinzipien sowie Erfassen der klugen Handlung – wurden oben dem nous zugeschrieben, so dass es folgerichtig ist, ihn nun der am Handlungsvollzug beteiligten Wahrnehmung zuzuordnen. Er sieht die Prinzipien z.B. der Freundschaft ein, die im Hinblick auf das Beispiel etwa lauten könnten: Freunde begleiten sich durchs Leben; sie gratulieren sich zum Geburtstag. Zudem nimmt er wahr, dass
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dieser Freund Geburtstag hat und wie sich das Gratulieren dem Vermögen der Klugheit entsprechend vollzieht. Ausgehend von dieser Zuordnung von Klugheit und intuitiver Vernunft zu Wissen und Wahrnehmung erklärt sich der Gegensatz zwischen den beiden Vermögen. Das eine fungiert im Handeln als Wahrnehmung und richtet sich auf das Wahrnehmbare. Das andere Vermögen verwirklicht sich als Wissen und weiß das Wissbare, das mit der Handlung einhergeht. Trotz dieses Unterschieds zieht Aristoteles eine unlösliche Verbindung zwischen intuitiver Vernunft und Klugheit. Wie die Klugheit geht »[a]uch die intuitive Vernunft (nous) […] auf das Letzte in beiden Richtungen; denn sowohl die obersten Begriffe wie die letzten [untersten] Dinge sind Gegenstand des intuitiven Denkens und nicht der Begründung. Dasjenige intuitive Denken, das mit Beweisen operiert, betrifft die ersten und unveränderlichen Begriffe, dasjenige aber, das im Bereich des Handelns operiert, bezieht sich auf das Letzte und Mögliche, das heißt auf die zweite Prämisse. 58 Denn dies ist der Ausgangspunkt für den Zweck, da man von den Einzelfällen zum Allgemeinen (katholou) gelangt. Diese muss man also durch Wahrnehmung (aisthesis) erfassen, und diese Wahrnehmung ist intuitives Denken.« 59
Damit benennt Aristoteles in diesem Zitat wie nous und phronesis, Wissen und Wahrnehmung, sich im Handeln zueinander verhalten: Die intuitive Vernunft nimmt wahr, welcher Kontext vorliegt, und sieht ein, welche Prinzipien er beansprucht. Die Klugheit wiederum weiß, wie diese Prinzipien in diesem Kontext zu verwirklichen sind und welche Mittel dafür erforderlich sind. Wie ergibt sich aus diesem Zusammenspiel der Vermögen nun die Gegenseitigkeit aus Wissen und Wahrnehmung, die den Handlungsvollzug konstituiert? Dazu heißt es bei Aristoteles: »Ursprung (arché) einer Handlung – im Sinne des Ursprungs der Bewegung (hothen hé kinésis), nicht des Zwecks (hou heneka) – ist ein Vorsatz (pro-
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hairesis), und der Ursprung des Vorsatzes ist das Streben und die Überlegung, die auf den Zweck gerichtet ist. Deswegen kann es einen Vorsatz weder ohne intuitives (nous) und diskursives Denken (dianoia) geben, noch ohne eine Charakterdisposition (hexis étiké) [sprich die Erfüllung der Aufgaben der Klugheit].« 60
Bereits der Ursprung der Handlung, das Überlegen – oder eben das Einsehen des Kontextes und seiner Prinzipien – erfordert neben der Bewegung die Ruhe. Mit dem bewegenden Wissen der Klugheit, das das Streben im Sinne des Kontextes lenkt, geht im Handeln also die ruhende Wahrnehmung der intuitiven Vernunft einher. Die ruhende Wahrnehmung konstituiert die Bewegung, doch ohne das Wissen, das sich in der Bewegung ausdrückt, kommt auch die ruhende Wahrnehmung nicht zustande. Wissen und Wahrnehmung bringen im Handeln nicht nur das Wiss- und Wahrnehmbare hervor, sondern ermöglichen sich gegenseitig als Ruhe und Bewegung und stiften so den Kontextbezug der Handlung. Die Wahrnehmung erfasst die Prinzipien und die konkreten Umstände und das Wissen kennt die Mittel, diese Prinzipien in Bezug auf diesen Kontext zu verwirklichen. Ich gratuliere einem Freund zum Geburtstag, heißt also, ich erfasse den Kontext als einen, der gratulieren erforderlich macht. Das bedeutet, ich weiß, wie dies unter den gegebenen Umständen adäquat möglich ist. Mit dieser Wahrnehmung, wie Aristoteles sie im Rahmen des nous erwägt, kann im Handlungsvollzug kein Beobachtungswissen gemeint sein. Denn dieses Wissen geht als Verwirklichung eines Vermögens erst mit dem Handeln einher. Deshalb entsteht im Wissen um die Handlung erst das Wissbare und umgekehrt das Wahrnehmbare. Denn dieses Wahrnehmbare wird wiederum durch die Wahrnehmung des Wissens und des Wissbaren ermöglicht. Kurz gesagt, nehme ich das Gratulieren wahr, da ich davon weiß, und ich weiß davon, da ich es wahrnehme. Diese Verbindung zwischen intuitiver Vernunft und Klugheit hat Aristoteles als das Hinauslaufen auf denselben Punkt bezeichnet. Er erläutert, dass wir »von Einsicht,61 Verständigkeit, Klugheit und intuitiver Vernunft [sprechen], indem wir von demselben Men-
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schen sagen, dass sie Einsicht haben, intuitive Vernunft besitzen, klug und verständig sind«.62 Dieser von Aristoteles erwähnte Punkt, auf den nous und phronesis hinauslaufen, ist seiner Frage nach dem guten Menschen entsprechend derjenige, dessen Wesen durch diese Vermögen bestimmt wird: der Mensch oder im Rahmen der Frage nach dem Handeln der Akteur. Wissen und Wahrnehmung konstituieren nicht nur den Kontextbezug, sondern auch den Wissenden und den Wahrnehmenden als Akteur: »Darum gilt es auch für unmöglich, daß jemand ein Baukünstler sei, ohne etwas gebaut zu haben, oder ein Zitherspieler, ohne etwas auf der Zither gespielt zu haben; denn wer das Zitherspiel erlernt, der lernt es durch spielen auf der Zither und ebenso auch die anderen.«63 Die Gegenseitigkeit der Vermögen, die den Kontextbezug des Handelns konstituiert, impliziert jemanden, der sich durch diese Vermögen zum Handelnden bestimmt. Denn ein Kontext erzwingt keine Handlung. Dass mein Freund Geburtstag hat, zieht nicht notwendig nach sich, dass ich ihm gratuliere und auch dass ich ein Mensch bin, erlaubt nicht zu folgern, dass ich ihm gratuliere. Nur insofern ich ihm gratuliere, handle ich nach Aristoteles dem Kontext und meinem Vermögen entsprechend. Die Gegenseitigkeit aus Wissen und Wahrnehmung in Bezug auf den Kontext verwirklicht sich folglich nur im Handlungsvollzug und ermöglicht deshalb, den Handlungsvollzug zu erschließen. Wir wissen, so kann die Antwort auf die Leitfrage jetzt präzisiert werden, aus der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung, die den Bezug zwischen Handlung und Kontext stiftet, was wir tun. Aber weshalb weiß nicht nur Lisa um ihr Schreiben, sondern zumindest der Möglichkeit nach auch alle anderen? Um der Frage, warum wir wissen, was wir tun, noch weiter auf den Grund zu gehen und den Handlungsvollzug nicht nur durch die Vermögen, die ihn konstituieren, sondern aus sich heraus fassen zu können, ist diese Gegenseitigkeit aus Wissen und Wahrnehmung sowie die darin beschlossene Gegenseitigkeit von Handlung und Kontext und die Implikation eines Handelnden im Handlungsvollzug eingehender zu untersuchen.
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A nmerkungen 1 | Diese Überzeugung formuliert Aristoteles in der Poetik sehr deutlich, wenn er sagt, es käme im Schauspiel auf die Handlungen an, denn die Handlungen drückten den Charakter der Figuren aus. Wesentlich sind deshalb nicht Charakterschilderungen auf der Bühne, sondern was die Protagonisten eines Theaterstücks tun (vgl. P 2). 2 | NE 1098b 1-9. Ein analoger Passus findet sich gleich zu Beginn der Nikomachischen Ethik, wo Aristoteles den systematischen Anspruch seiner Untersuchung offenlegt: »Unsere Ausführungen werden dann ausreichen, wenn ihre Klarheit und Bestimmtheit dem vorliegenden Stoff entspricht; denn man darf nicht bei allen Erörterungen denselben Grad von Genauigkeit (to akribes) suchen, sowenig wie bei handwerklichen Produkten. Die werthaften (kalos) und gerechten (dikaios) Handlungen, die die politische Wissenschaft untersucht, weisen große Unterschiede und Schwankungen auf; so dass man denken könnte, dass sie nur durch Konvention (nomos) und nicht von Natur aus (physis) richtig und gerecht sind. […] Es muss also, wenn wir von solchen Dingen und ausgehend von solchen Voraussetzungen reden, genügen, grob und im Umriss (typo) die Wahrheit aufzuzeigen; und wenn wir über dasjenige reden, was meistens (ho epi to poly) der Fall ist, und dies zur Voraussetzung haben, muss es genügen, zu Folgerungen zu kommen, die ebenso beschaffen sind.« (NE 1094b 13-23). Der Maßstab der Genauigkeit muss sich, kurz gesagt, nach der zu messenden Sache richten und die gemessene Sache nach der Präzision des Maßstabes, da sich sonst nicht nur eine ungenaue Messung einstellt, sondern das Gemessene gar nicht erst erfasst werden kann. Mit Aristoteles formuliert: »Denn einen gebildeten Menschen erkennt man daran, dass er in jeder Gattung nur soviel Genauigkeit sucht, wie die Natur der Sache zulässt: Von einem Mathematiker bloße Plausibilisierungsargumente zu akzeptieren ist ähnlich verfehlt, wie von einem Redner strenge Beweise zu verlangen.« (Ebd. 1094b 24-27). Diese Auffassung, dass sich sachgemäße Prinzipien aus der gegenseitigen Angemessenheit von zu untersuchendem Gegenstand und der durch diesen Gegenstand geforderten Präzision ergeben, prangert Hobbes an. Er sieht insbesondere in der Aristotelischen Art der Begriffsbestimmung den Grundstein aller wissenschaftlichen Verfehlung (vgl. Thomas Hobbes: Leviathan
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oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hg. von Iring Fetscher, übersetzt von Walter Euchner. (Frankfurt a.M. 1966 [1651]) 511). So will Hobbes in seiner Staatsphilosophie einen künstlichen Leviathan errichten, dessen Beschaffenheit der Präzision eines Uhrwerks in nichts nachsteht, und fordert eben diese Präzision auch für die Beschreibung des Lebens: »[D]a das Leben nur eine Bewegung der Glieder ist, die innerhalb eines besonders wichtigen Teils beginnt – warum sollten wir dann nicht sagen, dass alle Automaten […] hätten künstliches Leben.« (Ebd. 5). Durch diesen Anspruch einer naturwissenschaftlichen Genauigkeit aller begrifflichen Definitionen gelangt er zu der Feststellung, gehen, sprechen, sehen und die zugehörigen Infinitive seien keine bestimmbaren Begriffe, da sie nicht durch einen Namen benannt werden können, wie etwa gesagt werden kann ›der Mensch ist ein Körper‹ (vgl. ebd. 513f). Ungeachtet der Tatsache, dass ich nicht glaube, dass Hobbes Aristoteles mit seiner Kritik trifft, da er den Aristotelischen Präzisionsgedanken verkennt, der letztlich nichts anderes sagt, als dass sich Handlungen nicht definieren lassen wie naturwissenschaftliche Begriffe, bleibt die Frage, welche Form der Handlungserklärung Handlungen am genauesten definiert, – wie in der Einleitung gezeigt – bis heute brisant. 3 | So etwa in Über die Bewegung von Lebewesen, wo Aristoteles die Prinzipien der Bewegung analysiert und fragt, welches Prinzip der Bewegung ursächlich ist. Handeln erscheint in dieser kleinen Schrift als eine Form der Bewegung und so geht es auch um die Ursachen des Handelns; aber Ursachen werden dabei als prinzipiell, nicht als kausal aufgefasst. So kann Aristoteles den Begriff Ursache sogar in Verbindung mit dem Schema des praktischen Syllogismus benutzen, ohne in Widersprüche zu geraten. 4 | Vgl. NE 1094a 6-9. 5 | Vgl. NE 1113b 14-22. 6 | NE 1095b 4. Im Laufe der Untersuchung wird sich zeigen, dass Handeln als Vollzug letztlich nur als ein für uns bekannter zu verstehen ist und sich, da er aus der handlungskonstitutiven Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung hervorgeht, nur als ein In-Bezug-auf im Handeln fassen lässt. 7 | Vgl. NE 1096af. 8 | Vgl. ebd. 1106a 29-34.
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9 | Aristoteles weist mehrfach darauf hin, dass z.B. für den Begriff des Guten oder des Glücks sehr unterschiedliche Verwendungen zu finden sind (vgl. u.a. NE 1095b 18-20 oder 1096a 23-25). In Antwort darauf geht er unterschiedliche Auffassungen durch, was unter Glück verstanden wird, um zu dem zu gelangen, was all diesen Verwendungen gemeinsam ist: Glück als Ziel von Handlungen (vgl. ebd. 1097a 23). Im Folgenden werden weniger diese begrifflichen Einlassungen des Aristoteles im Fokus der Aufmerksamkeit stehen als seine Überlegungen dazu, wie bestimmte Sachverhalte strukturiert sind und wie sie erlebt werden. 10 | Auch wenn es im 20. Jahrhundert eine starke Rezeption insbesondere des Aristotelischen Praxisbegriffes in der phänomenologisch-hermeneutischen Tradition gibt, müssen diese Werke hier unberücksichtigt bleiben. Dies hat zum einen systematische, zum anderen aber vor allem pragmatische Gründe: Um Heideggers Auseinandersetzung mit Aristoteles von seiner Phänomenologischen Interpretation zu Aristoteles bis zu Sein und Zeit und Gadamers Analysen im zweiten Teil von Wahrheit und Methode oder Arendts Handlungstheorie in der Vita Activa angemessen zu würdigen, müssten ihre gesamte Philosophie im Verhältnis zu Aristoteles dargelegt werden. Dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und, wichtiger noch, ihr inhaltlich zudem eine andere Stoßrichtung geben. Während in den soeben genannten Werken die Unterscheidung zwischen Praxis und Poiesis im Vordergrund steht (vgl. dazu Arendts Differenzierung zwischen Arbeiten, Herstellen und Handeln oder Gadamers tätiges Verstehen des Guten im Horizont einer Lebensweise sowie Heideggers Sorge um das Dasein), sollen hier die Gemeinsamkeiten der beiden Gattungen des Tätigseins herausgearbeitet werden. 11 | Vgl. NE 1140a 2-5. 12 | Vgl. u.a. DA 432, DMA 702a und NE 1095aff. 13 | Es wäre denkbar, auch die Politik in diese Reihe von Werken aufzunehmen. Denn Aristoteles beginnt seine Suche nach der besten Staatsverfassung mit der Feststellung, dass jede Gemeinschaft einem Zweck entspricht, da alle Handlungen nach einem Gut streben (vgl. ebd. 1252a 1-3), und betrachtet dann, insbesondere im ersten Buch, die Lebensweise und die Lebensform, die dieses Handeln bestimmt. So beschreibt Aristoteles, seiner Methode entsprechend, das Ganze des Staates in seinen Einzeltei-
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len betrachten zu wollen (vgl. ebd. 20-25), etwa das Verhältnis zwischen Herr und Sklave. Dabei kommt er von der je unterschiedlichen Lebensform des Herrn und des Sklaven auf die unterschiedlichen Handlungen zu sprechen. Der Sklave als Besitz eines Anderen ist in seinem Handeln lebendiges – physisch unabhängiges – Werkzeug des Herren, während der Herr, der die Geschicke des Haushalts lenkt, stets auch politisch handelt. Es wäre ein lohnendes Unterfangen näher zu untersuchen, wie Aristoteles in der Politik das Handeln vom Leben her begreift. Da es mir hier darum geht, Handlungen vom Handeln her zu denken, stütze ich mich auf die Nikomachische Ethik, die ebenso mit dem Handeln beginnt, aber nicht versucht, das Handeln vom Leben her zu fassen, sondern umgekehrt das Leben vom Handeln her erschließt. 14 | Vgl. NE 1095a 19. 15 | Vgl. NE 1094a 10-12. Ich habe an dieser Stelle die Übersetzung von Franz Dirlmeier (NE. Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung. Bd. 6, hg. von Kurt Flashar. (Berlin 1983)) wiedergegeben, da bei ihm die handlungsbezogene Dimension des Wortes téchne im Vordergrund steht. Im Großen und Ganzen werde ich mich allerdings – sofern nicht explizit ausgewiesen – an Ursula Wolf orientieren (NE. Hg. von Ursula Wolf (Reinbek bei Hamburg 2 2008 [2006]). Sie übersetzt an derselben Stelle téchne mit Herstellungswissen, womit sie m.E. die theoretische Dimension, die diesem Können zu Grunde liegt, stärker betont. 16 | Vgl. NE 1094a 1. Mit Wolfs Übersetzung von ›methodos‹ durch ›wissenschaftliches Vorgehen‹ und Dirlmeiers durch ›wissenschaftliche Untersuchung‹ kehrt sich die Betonung im Vergleich zur Übersetzung von techné um: Während Wolf mit ›Vorgehen‹ auf das Tätige der Wissenschaft hindeutet, ist ›Untersuchung‹ ein Substantiv, das insbesondere analytischen Charakter hat. 17 | Vgl. NE 1095b 22. 18 | Vgl. ebd. 1094a 4. 19 | Vgl. ebd. 1094a 6-9. 20 | Für die Herstellung ergäbe sich ansonsten grob gesprochen folgende Verwicklung: Gebaut wird um des Hauses willen, das Haus wird zum Wohnen benötigt, Wohnen ist Erfordernis des Überlebens, um vor Wetter und wilden Tieren geschützt zu sein, Leben, um zu überleben… Anders als oben dar-
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gestellt, hat Rapp gegen Aristoteles den Vorwurf des sog. naturalistischen Fehlschlusses erhoben, indem er sagt, dass die tatsächliche Forderung der Abgeschlossenheit die Annahme eines höchsten Gutes nicht rechtfertigen würde (vgl. Christoph Rapp: Aristoteles zur Einführung. (Hamburg 2007) 19). Müller hat dagegen zwei Punkte vorgebracht: Erstens, dass Menschen zwar ihrer Natur folgend nach Glück streben, aber wie sie dies tun keineswegs eindeutig ist. Ein glückliches Leben im Sinne der eigenen Natur ist dem Menschen vielmehr ständige Aufgabe, die er in seinem Handeln stets erfüllt. Zweitens impliziert die Aristotelische Ethik kein deontisches Sollen. Damit aber kann nicht von einem naturalistischen Fehlschluss gesprochen werden, da nicht von einer festgelegten Natur auf ein moralisches Sollen übergegangen wird (vgl. Jörn Müller: Glück als Vollendung der menschlichen Natur. Die eudemische Tugendethik des Aristoteles. In: Grundpositionen philosophischer Ethik, hg. von ders./Hans-Georg Nissing. (Darmstadt 2009) 44). Ich schließe mich Müller an, denn die Annahme eines Schlusses vom Sein des Menschen auf eine feststehende Handlungsforderung widerspräche der Aristotelischen Einschätzung, dass über Handeln im Allgemeinen nichts mit Sicherheit ausgesagt werden könne (vgl. NE 1140b 35). Selbst wenn Aristoteles also Handeln meist im Kontext des Lebens erörtert und dabei immer auf Lebensführung und Lebendigkeit verweist, wird dadurch keine eindeutige Handlungsweise als Reaktionsverhalten auf die jeweilige Situation festgelegt. Im Gegenteil: Durch die Offenheit des menschlichen Lebens wird Handeln erst zur Herausforderung. 21 | Vgl. NE 1094a 20-23. 22 | Vgl. ebd. 1097b 20. Die Gründe, die er dafür anführt, sollen nicht weiter erörtert werden, da es nicht um die Idee einer gelungenen, glücklichen Lebensführung geht, sondern um Lebenskontexte als Strukturmerkmale von Handlungen. 23 | Vgl. ebd. 1095b 15-20. 24 | Vgl. ebd. 21-29. 25 | Vgl. 1096a 4. 26 | Vgl. ebd. 1097b 287-29. Wolf hat an dieser Stelle in ihrer Übersetzung neben dem deutschen Wort ›Tätigkeit‹ in Klammern das griechische praxis angeführt. Ich habe das Griechische nun für meinen Text übernommen, um zu verdeutlichen, dass es mir nicht lediglich um das Verfahren der Schuh-
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herstellung geht, sondern um die Lebensform, die sich an das Schustersein knüpft. 27 | Vgl. ebd. 1097bf. 28 | Vgl. ebd. 1098a 8-13. 29 | Ebd. 1098a 12-18. 30 | K 6a 35-37. 31 | Vgl. ebd. 6b 6 und 25. 32 | Vgl. ebd. 6b 14. 33 | Vgl. ebd. 19-20. 34 | Ebd. 7b 24f. 35 | Vgl. ebd. 7b 34-36. 36 | Vgl. NE 1106a 10-13. 37 | Vgl. ebd. 1106a 15. 38 | Vgl. ebd. 1106a 15f. 39 | Ebd. 1106a 29-34. Erläuterung AMS. 40 | Aristoteles verfeinert sein Konzept der praktischen Mitte am Beispiel der Charaktertugenden. Da es sich aber um ein methodisches Instrument handelt, tut dies hier nichts zur Sache. Was Aristoteles an dieser Stelle für die Charaktertugenden ausbuchstabiert, überträgt er wenige Zeilen später auf Handlungen: »Ähnlich gibt es Übermaß und Mangel in Bezug auf Handlungen« (NE 1106b 24). Zudem findet sich dieses Verhältnis der Mitte auch in anderen Kontexten, etwa in De Anima mit Blick auf die Wahrnehmung (vgl. DA 424a 1-10). Bemerkenswert an dieser Auffassung der Wahrnehmung als Mitte ist, dass sich hier die Zweidimensionalität des Lebens wiederholt: Nicht nur die gute Lebensführung, sondern auch die Erfüllung der Prinzipien des Lebendigen bedeuten eine Mitte, die erfüllt sein muss, damit Leben gelingt. 41 | NE 1106b 20-24. 42 | Vgl. DA 402a 1-4. 43 | Vgl. ebd. 432af. Ähnliches findet sich in De Motu Animalium. Dort sucht Aristoteles explizit nach den Prinzipien der Bewegung von Lebewesen und kommt auf diesem Weg zum Handeln als Form menschlicher Bewegung (vgl. DMA 701aff). 44 | NE 1097b 34. 45 | DA 415b 9-13.
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46 | Vgl. NE 1139a 18-20. 47 | Vgl. NE 1138b 19-24. Aristoteles fragt an dieser Stelle zum Einstieg in das Nachdenken über die Klugheit, welche Art des Überlegens diese Mitte treffen kann. 48 | DA 434a 15-20. 49 | Vgl. NE 1139af. 50 | Vgl. NE 1140bf. Aristoteles rechnet das Herstellungswissen der Weisheit zu, da es um eine feststehende Vorgehensweise in einem konkreten Bereich geht: »Die Weisheit schreiben wir beim Herstellungswissen (techné) denjenigen zu, die am genauesten in ihrer Disziplin sind […], und hier meinen wir mit Weisheit nichts anderes, als dass sie die Gutheit (areté) des Herstellungswissens ist« (NE 1141a 9-13). Vor dem Hintergrund der im Text entworfenen Argumentationslinie könnte diese Einordnung wie folgt plausibilisiert werden: Das Herstellungswissen als ausgezeichnete Kenntnis der Vorgehensweise zur Herstellung eines bestimmten Gegenstandes oder zur Konstruktion eines Hauses steht bereits fest, ehe es ausgeführt wird. Deshalb kommt ihm nicht jene Einzigartigkeit zu, die nach Aristoteles dem im engen Verständnis praktischen Handeln innewohnt. Der Ausführungsplan ist fertig, ehe der Arbeiter zu Werke geht. Deshalb besteht für die Klugheit kein zusätzlicher Reflexionsbedarf. Allerdings, und das darf bei aller der Weisheit als techné anheimgestellten Planung nicht übersehen werden, treten in der konkreten Umsetzung dieses Plans meist Unwägbarkeiten auf, die zwar technisches Geschick erfordern, die jedoch ohne das kluge Abwägen, wie die Situation zu lösen sei, nicht gelingen können. Wie gewisse Begebenheiten zu gestalten sind, um einen technischen Vorgang mit Geschicklichkeit ausführen zu können, bleibt also auch in poietischen Belangen Sache der Klugheit. 51 | Ebd. 1140b 20-22. Interessanterweise übersetzt Dirlmeier phronesis mit »sittliche Einsicht.« Entsprechend lautet die eben nach Wolf wiedergegebene Definition der Aristotelischen Klugheit bei Dirlmeier: »So ergibt sich mit Notwendigkeit, daß die sittliche Einsicht eine mit dem richtigen Planen verbundene, zur Grundhaltung verfestigte Fähigkeit ist, die auf Handeln im Bereich der Werte abzielt, die dem Menschen erreichbar sind.« Auch wenn es zunächst naheliegend scheint, diese Übersetzung aufzugreifen, sprechen doch einige Argumente dagegen: Zunächst möchte ich, wie gesagt,
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jede mögliche moralische Lesart der Tugendethik unberücksichtigt lassen, dem läuft aber schon das Adjektiv ›sittlich‹ zuwider. Des Weiteren schränkt m.E. die Übersetzung von phronesis mit »sittlicher Einsicht« deren Reichweite sehr ein. Selbstverständlich schreibt Aristoteles Handeln und Herstellungswissen unterschiedlichen Gattungen zu (vgl. ebd. 1140b), aber das bedeutet gerade nicht, dass er jedem handwerklichen Geschick praktische Klugheit abspricht. Schließlich löst diese Übersetzung und diese Definition die phronesis vom eigentlichen Handeln ab. Da Klugheit aber für Aristoteles aus der Gewöhnung des Charakters im Tun gebildet wird, scheint mir das an der Sache vorbeizugehen. Obwohl sich z.B. Aubenque in seiner Auffassung, wie diese Zeilen zu übersetzen seien, Dirlmeier anschließt (vgl. Pierre Aubenque: Der Begriff der Klugheit bei Aristoteles, übersetzt von Nicolai Sinai/Ulrich Johannes Schneider. (Hamburg 2007 [1963]), Zweiter Teil Fußnote 3), unterscheidet sich seine Wortwahl von der Dirlmeiers, was den Charakter der Klugheit anders erscheinen lässt: »Klugheit wird dort bestimmt als ein ›mit einer richtigen Regel verbundener, zur Grundhaltung verfestigter praktischer Habitus, im Bereich der Dinge, die für den Menschen Gut oder Übel sind‹« (ebd. 41). In dieser Übertragung tritt die Bindung der Klugheit an die Eigenschaften eines bestimmten Akteurs am klarsten hervor, ohne dass dabei die Bindung an das Allgemeine verloren ginge, wie es bei Wolf durch das Wort »wahr« betont wird. Mir geht es im Folgenden ausdrücklich nicht um die Persönlichkeit des Akteurs, die sich in seinem individuellen Charakter ausdrückt. Der Grund, weshalb ich mich im Rahmen der Klugheit mit dem Charakter befasse, liegt darin, dass durch den Charakter die Untrennbarkeit von Akteur und Handlung exemplifiziert wird. 52 | Vgl. NE 1142a 14-16. 53 | Vgl. ebd. 1140b 30-1141a 2. 54 | Ebd. 1141a 3-9. 55 | Vgl. ebd. 1139b 25-30. 56 | Vgl. DA 434a 20. 57 | NE 1142a 24-31. Eckige Klammern im Original. 58 | Wahrscheinlich bezieht sich Aristoteles hier auf den praktischen Syllogismus, den er im VII. Buch der Nikomachischen Ethik behandelt, denn dieser hat als Obersatz eine allgemeine Regel und als zweite Prämisse die Feststellung der Erfüllung dieser Regel: Menschen, die sich gesund ernäh-
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ren wollen, sollten Gemüse essen. Dies ist ein Gemüse. Also esse ich es. Deutlicher in der Zuordnung unterschiedlicher Vermögen zur ersten und zur letzten Prämisse ist die Übersetzung von Rolfes, der die zweite Prämisse der Klugheit und nicht der intuitiven Vernunft zuschreibt. »[D]as Praktische ist aber das Letzte. Sodann ist aber auch der Verstand nach beiden Seiten mit dem Letzten befaßt. Denn auf die ersten und auf die letzten Begriffe geht der Nus, der Verstand, und nicht der Logos, das Vermögen der Schlußfolgerung; und der eine Verstand, der es mit den Demonstrationen zu tun hat, geht auf die unbeweglichen und ersten Begriffe, der andere aber, der praktische, auf das Letzte, das Mögliche, den Untersatz. Solches ist Prinzip im Sinne des Zweckes oder des Beweggrundes; das Einzelne kann ja Prinzip sein, weil man aus ihm das Allgemeine gewinnt. Dieses Einzelne muß nun durch Wahrnehmung erfaßt werden, diese aber ist Verstand« (NE hg. von Günther Bien übersetzt von Eugen Rolfes (Hamburg 1985), 1143a 35-1143b 5). Allerdings macht auch die Übersetzung von Rolfes eindeutig klar, dass die Prinzipienwahrnehmung dem Verstand und nicht der Klugheit obliegt. Dies zeigt einerseits, dass auch eine andere Lesart des praktischen Syllogismus möglich und gerechtfertigt ist, als jene, die ich im nächsten Kapitel vorschlagen möchte, es verdeutlicht aber umgekehrt, dass beide Vernunftvermögen sich auf ihre Weise auf ein Letztes beziehen, ohne dass Aristoteles abschließend entschieden hätte, welches Vermögen wofür ausschließlich zuständig ist. Mir scheint es vielmehr so zu sein, dass Aristoteles mit Blick auf das Handeln darauf abzielt zu zeigen, dass stets beide Vermögen beteiligt sind. 59 | Ebd. 1143a 35-1143b 5. [untersten] im Original. 60 | Ebd. 1139a 31-34. Eckige Klammer zur Klugheit Einfügung AMS. 61 | Aristoteles hatte ›Einsicht‹ zuvor wie folgt definiert: »Die so genannte Einsicht mit Bezug auf die wir bestimmten Menschen Nachsicht zuschreiben und sagen, dass sie Einsicht haben, ist das richtige Urteil über das Billige. Ein Anzeichen dafür ist folgendes: Wir sagen, dass der billig eingestellte Mensch am meisten zur Nachsicht disponiert ist und dass es billig ist, bei manchen Dingen Nachsicht zu üben. Richtig aber ist ein Urteil, welches das Wahre trifft« (NE 1143a 3-24). Einsicht hat bei Aristoteles somit sowohl eine theoretische als auch eine praktische Facette. Es geht ihm um das, was in der konkreten Situation billig, sprich gerecht, ist (an anderer Stelle
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hat er herausgearbeitet, dass Billigkeit Gerechtigkeit als Korrektur eines Gesetzes meint; vgl. ebd. 1137b 9-10), entsprechend dem wahren Urteil. Interessanterweise übersetzt Dirlmeier an derselben Stelle nicht ›Einsicht‹, sondern »verständnisvolles Wesen« und statt ›billig‹ »taktvolle Güte«, was die emphatische Seite des von Aristoteles Gemeinten noch mehr betont. 62 | Ebd. 1143a 25-30. 63 | M 1049b 30-34.
3. Erlebte Ereignisse
Wie im Fazit zum vorangegangenen Abschnitt festgestellt, muss nun, sofern die Struktur des Handlungsvollzuges aus sich heraus erschlossen werden soll, der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung im Handeln weiter auf den Grund gegangen werden. Um diese Gegenseitigkeit, wie sie das Handeln konstituiert, fassen zu können, wird sogleich auf Begriffe eingegangen werden, die unmittelbarer mit dem Handeln assoziiert werden als die zunächst vornehmlich theoretisch konnotierten Konzepte von Wissen und Wahrnehmung. Dabei geht diese Ankündigung unmittelbar mit einer Zuspitzung des Vorhabens im Sinne des Handlungsvollzuges einher: Wiewohl Wollen, Vorsatz, Wünschen und Absicht zur Disposition stehen, werden nicht jene geistigen Akte gesucht, die das Handeln begleiten, begründen oder verursachen. Aus der Beschäftigung mit Aristoteles ist bis dato hervorgegangen, dass der Handlungsvollzug sich nicht fassen lässt, indem versucht wird, ihn aus Sachverhalten zu erklären, die dem tatsächlichen Handeln vorausgehen oder nachfolgen. Beabsichtigen, Wünschen und Wollen als geistige Akte zu begreifen, die das Handeln umgeben, verfehlt – so zeichnet sich ab – den Handlungsvollzug, wie er sich vom Handeln her darstellt. Deshalb ist zu belegen, dass Handlungsvollzüge keine auf diese Akte zurückführbare, der Erste-Person-Perspektive des Akteurs exklusiv zugängliche Erlebnisdimension eröffnen. In Konsequenz dessen, so die Vermutung, stellen sie in der DrittePerson-Perspektive auch keine von diesen Akten verursachten und beobachtbaren Ereignisse dar. Vielmehr umschließen sich, analog zu Wissen und Wahrnehmung, Erlebnis- und Ereignisdimension wechselseitig. Wie gezeigt, impliziert die Gegenseitigkeit von Wis-
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sen und Wahrnehmung, die den Handlungsvollzug konstituiert, einen Handelnden, der das Ereignis seines Handelns in seinem Tun wahrnimmt und darum weiß. Daran anschließend ist nun herauszuarbeiten, dass Handlungen erlebte Ereignisse vorstellen. Zu diesem Zweck soll dafür eingetreten werden, dass Wollen, Wünschen und Beabsichtigen in je unterschiedlicher Weise dazu beitragen, das Ereignis als erlebtes aufzufassen. Aber dies erfolgt nicht dadurch, dass sie mittels eines eigenen Aktes oder dem Haben-vonÜberzeugungen das Geschehen als Handlung klassifizieren, sondern durch die Art und Weise, wie sie die Erlebensdimension des Ereignisses beschreiben. Worin die maßgeblichen Folgen der Idee liegen, Handlungen als erlebte Ereignisse zu begreifen, erhellt ein Blick auf die vornehmlich sprachanalytisch geführte handlungstheoretische Debatte. Die in dieser Kontroverse unablässig diskutierte Herausforderung auf der Suche nach der angemessenen Handlungserklärung scheint zu sein, wie der Akteur sich zum Ereignis ›Handlung‹ verhält. Entsprechend kreist auch ein Teil der Debatte über die angemessene Form der Handlungserklärung um das Problem, wie der Akteur so zur Handlung ins Verhältnis gesetzt werden kann, dass dieses Verhältnis die Handlung erklärt. Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, es ginge in dieser Diskussion ständig expressis verbis um die Frage, wie sich der Handelnde auf sein Tun bezieht. Indem jedoch um die Adäquatheit unterschiedlicher Erklärungsmodelle gewetteifert wird, steht implizit unablässig zur Disposition, wie sich der Zusammenhang zwischen Akteur und Handlung im zu erklärenden Ereignis richtig fassen lässt, damit das Ereignis als Handlung erklärt werden kann. Wer behauptet, es seien die Gründe des Akteurs, die eine Handlung kausal verursachen, der begreift das Verhältnis zwischen Handelndem und Handlung als Ursache-Wirkungsbeziehung und meint über diese Kausalität das Ereignis ›Handlung‹ erklären zu können. Wenn Lisa Fritz aus Freundschaft zum Geburtstag gratuliert und der Überzeugung ist, dass Freundschaft ein wertvoller Grund ist, um jemandem zu gratulieren, so verursacht Lisas Über-
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zeugung zur Freundschaft das Gratulieren kausal. Der kausale Grund steht also für die Beziehung von Lisa zu ihrem Tun.1 Eine rein teleologische Deutung von Lisas Grund, Fritz Geburtstagswünsche zu übermitteln, als Zweck, der die Handlung begründet, thematisiert in anderen Begriffen ebenso die Beziehung zwischen der Akteurin und ihrer Handlung wie die Kausalerklärung: Sie gratuliert ihm um ihrer Freundschaft willen.2 Die zweckgerichtete Erklärung stellt also über das Ziel der Handlung deren Verbindung zur Akteurin her, da Lisas Zweck des Tuns – ihre Freundschaft zu Fritz – das Ereignis Handlung plausibilisiert.3 Selbst bei Frankfurt, der nicht nach einem Erklärungsmodell für Handlungen sucht und stattdessen die Lenkung durch den Akteur als Kriterium für Handeln auffasst, zeigt das Verhältnis zwischen Akteur und Handlung an, ob ein Handeln vorliegt oder nicht.4 Doch auch der Gedanke der Lenkung als spezifisches »In-Verbindung-Sein«5 des Ereignisses ›Handlung‹ durch den Handelnden verfehlt die Struktur des Handlungsvollzuges. Im Handlungsvollzug gibt es der hier vertretenen These nach niemanden, der etwas lenkt; wenn überhaupt, ist das Gelenkte nicht vom Lenkenden zu unterscheiden. Mit anderen Worten wird vermutet, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Akteur und Handlung, wie sie in dieser Debatte mitschwingt, nicht gewinnbringend stellen lässt, da der Begriff der Handlung ohnehin anzeigt, dass es bei diesem Ereignis um jemandes Tun geht. Eine eingehende Begründung dafür, wie der Akteur in sein Handeln hineinkommt oder wie er zu seinem eigenen Tun steht, würde sich demnach erübrigen. Allgemeiner formuliert kann in der Struktur des Handlungsvollzugs weder Jemand noch Etwas ausgemacht werden, das sich als Akteur und dessen Handlung kennzeichnen ließe. In meinem Schreiben erscheine ich nicht permanent als Subjekt, das schreibt, oder als schreibendes Subjekt. Als Schreibende bin ich von meinem Schreiben ebenso wenig zu unterscheiden, wie das Schreiben von mir. Deshalb ist das Ereignis des Schreibens immer schon ein erlebtes, ohne dass die Frage nach dem Schreibenden überhaupt gestellt werden müsste. Damit wird nicht geleugnet, dass etwa eine Erkundigung darüber, wer einen
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bestimmten Text verfasst hat, unter bestimmten Umständen angemessen sein kann. Die Frage ›Wer hat das geschrieben?‹ setzt allerdings voraus, dass der Text bereits geschrieben wurde und dass der Schreibende mit dem Schreiben einhergeht und darin nicht vom Vollzug abzulösen ist. Nur da der Akteur nicht von einer Handlung wegzudenken ist, kann ein Dritter, das Resultat einer Handlung in Händen haltend, nachforschen, wer sie vollbracht hat; ansonsten gäbe es für eine solche Erkundigung keinerlei Anhaltspunkt. Handlungen als erlebte Ereignisse zu fassen, meint also von der Person, die diese Ereignisse als ihre Handlungen erlebt, abzusehen und sich darauf zu konzentrieren, dass ein Ereignis dann als Handlung aufgefasst wird, wenn es als erlebtes verstanden werden kann. Ein Ereignis als Handlung zu begreifen, meint, es als Ereignis aufzufassen, das das Erleben mit sich führt, ohne auf die spezifische Erfahrung eines bestimmten Subjekts angewiesen zu sein. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Ereignis des Blitzschlages, der den Baum trifft, und dem erlebten Ereignis des Baumfällens besteht nicht darin, dass im zweiten Fall ein Akteur auftritt, dessen Gründe das Ereignis verursacht haben, dessen Zwecke es begründen können oder dessen private Empfindung es begleitet. Er liegt lediglich darin, dass dieses Ereignis sich als erlebtes begreifen lässt. Das Baumfällen kommt niemals ohne das Wissen desjenigen aus, der den Baum fällt, jedoch kann ein Baum vom Blitz getroffen werden, ohne dass je ein Mensch davon erfährt. Mit dem Begriff des ›Erlebnisses‹ ist demnach nicht das individuelle Erleben einer Person oder die Form eines geistigen Aktes, der das Handeln begleitet, gemeint. ›Erleben‹ steht schlicht als jenes Strukturmerkmal eines Ereignisses, das es als Handlung begreiflich macht. Mit dieser Auffassung von Handlungen als erlebte Ereignisse wird folglich nicht die Ereignisdimension des Handelns zurückgewiesen, indem sie auf Erlebnisse reduziert wird. Es soll vielmehr die Ereignisdimension ernst genommen und dafür argumentiert werden, dass das Erlebnis vom Ereignis im Handeln nicht zu trennen ist, da beide in der intersubjektiven Gegenseitigkeit von Handlung und Kontext zusammenfallen. Wenn diese Behauptung zutrifft, umgeht sie das mit der theo-
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retischen Erklärung des Handelns auftretende Problem, wie sich der Akteur zum Ereignis der eigenen Handlung verhält. Denn das Ereignis ›Handlung‹ wird nicht vom Akteur, sondern von der den Handlungsvollzug konstituierenden Gegenseitigkeit aus Handlung und Kontext her als erlebtes Ereignis verständlich. Um zu zeigen, dass sich die Gegenseitigkeit aus Wissen und Wahrnehmung im Handeln in einer Gegenseitigkeit aus Handlung und Kontext niederschlägt, wird nochmals auf Aristoteles eingegangen. Hierzu wird die rein methodische Auseinandersetzung mit seinem Werk beendet und herausgearbeitet werden, welchen Platz Wissen und Wahrnehmung in seiner Philosophie der Praxis haben. Denn anhand der von ihm entworfenen Begriffe des Willentlichen und des Vorsätzlichen lässt sich vorführen, wie Handlungen aufgrund ihrer Kontextbindung bei Aristoteles als gewollte Ereignisse aufgefasst und mit Hilfe des praktischen Syllogismus’ beschrieben werden können. Mit Aristoteles’ Überlegungen zum Verhältnis von Handeln und seiner Beschreibung befasst sich Anscombe in ihrem Buch Absicht. Dies bringt sie zu der Feststellung, dass Handlungen Ereignisse sind, die sich als absichtliche beschreiben lassen. Deshalb gilt es, Anscombes Überlegungen soweit fortzusetzen, bis sich zeigt, dass Handlungen nicht nur als absichtliche beschrieben werden können, sondern ihrer Struktur nach erlebte Ereignisse darstellen. Erst dann wissen wir, warum wir mit Lisa um ihr Schreiben wissen können: Da Lisa nur um ihr Schreiben wissen kann, insofern sie schreibt und wir es ebenso wissen könnten.
3.1 A ristoteles : G e wollte E reignisse Die nun folgenden Überlegungen zu Aristoteles wollen das in der Relation der Vermögen ausgedrückte Verhältnis von Wissen und Wahrnehmung stärker auf den Handlungsvollzug fokussieren. Denn die Begriffe ›gewollt‹ und ›vorsätzlich‹ sowie der praktische Syllogismus befassen sich nach Aristoteles, wie sich herausstellen wird, unmittelbar mit dem Handlungsvollzug. So ermöglicht
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die Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung, Handlungen durch ihre Kontextualität als willentliche Ereignisse zu fassen und in Form des praktischen Syllogismus’ als solche zu beschreiben. Für die Frage, warum wir wissen, was wir tun, wird sich mit der über die Begriffe des Gewollten und Vorsätzlichen geleisteten Annäherung an den Handlungsvollzug eine Erweiterung der formulierten Fragestellung ergeben. Diese Erweiterung dehnt jedoch den Gegenstandsbereich des Fragens nicht aus, sondern engt ihn in Folge der mit den Begriffen ›gewollt‹ und ›vorsätzlich‹ geleisteten Fokussierung ein. Durch die Fokussierung und das Verlassen der rein methodischen Explikation der Aristotelischen Überlegungen zum Handeln wird sich zeigen, dass die Erkundigung danach, warum wir wissen, was wir tun, zu allgemein ist, um das Handeln im Vollzug zu analysieren. Die Frage ›Warum wissen wir, was wir tun?‹ kann der Gegenwärtigkeit des Handlungsvollzugs nicht Rechnung tragen. Diese Erörterung des Gewollten und des Vorsätzlichen sowie des praktischen Syllogismus gliedert sich folglich in zwei Abschnitte. Es gilt, sich zunächst mit den Begriffen ›Wille‹ und ›Vorsatz‹ als Annäherung der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung an den Handlungsvollzug zu befassen, um dann auf den praktischen Syllogismus als entsprechende Beschreibung eingehen zu können.
3.1.1 Gewolltes und Vorsätzliches Wie wenig ausschlaggebend der konkrete Akteur bei der Klassifikation eines Ereignisses als Handlung ist, verdeutlichen Fälle, in denen ein Tathergang angezeigt wird, ohne dass darauf verwiesen würde, wer die Tat begangen hat. So gibt es zum Beispiel Verbrechensnachrichten, die Angaben machen wie ›X starb durch Strangulieren.‹ Unzweifelhaft an einer solchen Meldung ist, dass sie von einer Handlung berichtet. Es wird unmissverständlich gesagt, was vorgefallen ist, ohne dass darüber informiert würde, wer stranguliert hat. Es genügt, dass das Ereignis anhand der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung als gewollt und vorsätzlich begrif-
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fen werden kann, damit deutlich wird, dass es sich dabei um eine Tat handelt. Doch wodurch gelingt das? Aristoteles’ Erörterung der Begriffe gewollt (hekousios)6 und vorsätzlich (prohairesis)7 aus dem dritten Buch der Nikomachischen Ethik sucht nach einer Bestimmung unterschiedlicher Ereignisse als gewollte oder vorsätzliche. Die Bestimmung dieser Ereignisse als Handlungen gelingt Aristoteles, indem er sie in ihren Kontext einordnet. Weder Wille noch Vorsatz begreift Aristoteles als Akte oder Einstellungen, die zu einem Handeln hinzutreten, sofern der Akteur diese Handlung ausdrücklich wünscht. Aristoteles definiert das Gewollte zunächst negativ, ohne den Akteur zu betrachten. Denn er nähert sich der Definition des Gewollten durch die Erörterung jener Umstände, die es verhindern, und verzichtet anfänglich darauf anzugeben, wann von einer gewollten Handlung gesprochen werden kann. Ungewollt sind Handlungen dann, wenn sie aus Unwissenheit oder durch Zwang hervorgebracht werden.8 »Erzwungen ist ein Verhalten, dessen Bewegursache (arche) außerhalb liegt, das heißt so beschaffen ist, dass der Handelnde oder Erleidende gar nichts beiträgt, etwa wenn jemanden der Wind irgendwo hinträgt, oder Menschen, die einen in ihrer Gewalt haben.« 9
Insbesondere an der ersten von Aristoteles angeführten Begebenheit kann abgelesen werden, dass es bei einem ungewollten Ereignis nicht um eine Handlung desjenigen geht, dem dieses Ereignis widerfährt. Wird ein Seefahrer durch den Wind vom Kurs abgetrieben, ändert sich zwar die Fahrtrichtung seines Schiffs, aber diese Änderung ergibt sich nicht durch die Lenkung des Steuermanns, da die Ursache nicht im Steuermann liegt. Diese Ursache der Bewegung wurde im vorangegangenen Abschnitt als Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung ausgewiesen, die das Geschehen in seinen Kontext einordnet. Eine solche Einordnung anhand von Wissen und Wahrnehmung des Seefahrers ist bei dem Ereignis eines Kurswechsels aufgrund veränderter Windrichtung nicht möglich. Dem Wind fehlen die notwendigen Vermögen. Deshalb
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liegt kein gewolltes Ereignis, sprich keine Handlung vor. Ähnliches geschieht, wenn Befehle unter Zwang befolgt werden. Derjenige, der die Handlung ausführt, ist nicht identisch mit demjenigen, auf dessen Wissen und Wahrnehmung sie zurückgeht. In beiden Fällen liegt nach Aristoteles keine Handlung vor, da sich das, was sich ereignet, nicht anhand der handlungskonstitutiven Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung in seinen Kontext eingliedert. Äußere Erfordernisse sind jedoch entsprechend der Kontextualität des Handelns nach Aristoteles kein Hindernis für gewollte Handlungen. Wirft jemand die Ladung eines Schiffes über Bord, um die Mannschaft zu retten, liegt eine Handlung vor, selbst wenn niemand so handeln würde, sofern die Umstände es nicht erforderten.10 Das Überbordwerfen der Ladung vollzieht sich relativ zur Kontextauffassung des Akteurs. Dieser begreift die Lage auf See als derartig brisant, dass er das Schiff entlädt, und er sieht, dass er seine Mannschaft retten muss (nous), und weiß, wie er das erreicht (phronesis). Daraus schließt Aristoteles jedoch nicht, dass das Wollen einen Willensakt meint, sondern er begreift es aus der Relation von Handlungszeitpunkt und Umstand. »Also muss man von ›gewollt‹ oder ›ungewollt‹ im Hinblick auf den Zeitpunkt der Handlung sprechen. Dann handelt man [in den beschriebenen Fällen] wollend (hekon [also bezogen auf den Handelnden]).«11
Nicht die Haltung oder der Wunsch des Akteurs macht ein Geschehen zur Handlung. Wesentlich ist, wie es sich zu seinem Kontext verhält, sprich ob sich ein Ereignis so auf seine Umstände bezieht, dass es als gewolltes Ereignis gelten kann, oder nicht. Damit betont Aristoteles die Kontextrelativität des Gewollten, indem er darauf aufmerksam macht, dass es die Art und Weise ist, wie sich Wissen und Wahrnehmung in ihrem Kontext vollziehen, die das Ereignis zum Handlungsvollzug werden lässt. Niemand würde die Ladung unter normalen Umständen ins Meer werfen, es sei denn, die Lage auf hoher See verlangt eine solche Maßnahme. Ob dieses Tun gewollt ist oder nicht, hängt deshalb nicht davon ab, ob der Kapitän
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sich in einer Zwangslage fühlt oder nicht. Es hängt vom Umstand ab, unter dem das Handeln sich ausgehend von der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung in seinen Kontext fügt. Die augenblickliche Brisanz der Lage erfordert, sich der Fracht zu entledigen. Deshalb ist das Über-Bord-Werfen ein Ereignis, das sich aufgrund seines in Wissen und Wahrnehmung konstituierten Kontextbezugs als Gewolltes schildern lässt. Im Unterschied dazu geht die Kursänderung im Falle des vom Wind verschlagenen Schiffs nicht auf die Kontextauffassung und das Wissen des Seefahrers zurück und kann deshalb nicht als gewolltes Geschehen aufgefasst werden. Ob ein Ereignis ein gewolltes ist oder nicht, entscheidet sich, während es geschieht, also in seinem kontextabhängigen Vollzug und nicht an einem Willensakt des Kapitäns. Entsprechend »dürfte«, so definiert Aristoteles, »als das Gewollte dasjenige gelten, dessen Ursprung (arche) im Handelnden selbst liegt, wobei er die einzelnen Bedingungen (ta kath hekasta) kennt, unter denen die Handlung stattfindet«.12 Vor dem Hintergrund der oben vorgelegten Analyse der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung in Bezug auf die Kontextbindung des Handlungsvollzugs ist diese Definition durchaus plausibel. Denn wenn Aristoteles meint, eine Handlung, die in Unkenntnis der Umstände vollzogen wird, sei keine willentliche, dann weist er darauf hin, dass jemand, der die Umstände nicht erfasst hat, nicht wissen kann, was er tut. Ihm fehlt die Wahrnehmung der Umstände und das Wissen der handlungsbestimmenden Beziehungen: Wer handelt? Was macht er in Bezug worauf? In welchem Bereich? Womit und zu welchem Zweck?13 Hatten sich diese Aspekte im Zusammenhang mit der Mesoteslehre als die Parameter der Kontextbindung des Handlungsvollzuges herausgestellt, so erweisen sie sich jetzt als Kriterien zur Bestimmung des gewollten Ereignisses. Diese Bestimmung kann, wie in Anlehnung an die Aristotelischen Vermögen gezeigt, nur in der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung gelingen, die sich im Handeln vollzieht. Ob ein Ereignis, etwa der Kurswechsel eines Schiffs, gewollt ist oder nicht, entscheidet sich an der Art und Weise, wie es sich in seinem Kontext vollzieht. Verweisen die Kontextparameter nicht auf Wissen und
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Wahrnehmung des Akteurs, z.B. da der Wind das Schiff abgetrieben hat, kann es sich nicht um ein gewolltes Ereignis handeln. Lässt sich jedoch anhand dieser Parameter ein in Wissen und Wahrnehmung implizierter Handelnder ausmachen, liegt ein gewolltes Ereignis vor. Deshalb bündelt der Begriff des Gewollten die kontextsensitive Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung, die den Handlungsvollzug konstituiert. Ein Ereignis kann nur als gewolltes beschrieben werden, wenn es einen Handlungsvollzug wiedergibt, der auf die Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung in diesen Umständen zurückgeht. Diese Auffassung des Ereignisses als Handlung erfolgt jedoch nicht vermittelt über die Angabe einer Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung, sondern benennt unmittelbar das Ereignis als Handlung. Er wirft die Ladung über Bord. ›Überbordwerfen‹ beschreibt eine Handlung, ohne, dass angegeben werden müsste, was gewusst und wahrgenommen wird. Darin liegt die Zuspitzung von Wissen und Wahrnehmung auf den Handlungsvollzug im Gewollten: Das Gewollte greift das Ereignis unmittelbar seiner Art nach als ›Handlung‹ auf und erfasst so den Handlungsvollzug. Diesen Sachverhalt des unmittelbaren Erfassens eines Ereignisses als Handlung macht sich die eingangs erwähnte Verbrechensmeldung zu Nutze. Sie sagt ›X starb durch Strangulieren‹ und gibt damit das Ereignis als innerhalb seines Kontextes gewolltes wieder. Die Nachricht legt die Vermutung nahe, dass sie von einer Handlung berichtet, aber über die Vorsätze des möglichen Täters braucht sie dafür nichts zu sagen. Nicht alles, was Aristoteles als gewollt oder willentlich charakterisiert, gehört für ihn deshalb auch zum Vorsätzlichen. Der Vorsatz ist etwas Gewolltes, aber nicht mit dem Gewollten identisch, da letzteres eine größere Reichweite hat. Selbst »Handlungen, die wir aus einer Augenblickslaune tun, nennen wir zwar gewollt, aber nicht vorsätzlich«.14 Versetze ich aus reiner Freude einem guten Freund einen Stoß, ist dies zwar gewollt, aber nicht vorsätzlich. Denn diesem Stoßen geht kein Abwägen darüber voraus, wie ich es vornehmen sollte, ich stoße ihn einfach aus Spaß an der Freude. Aristoteles unterscheidet den Vorsatz einerseits von der Begierde,
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die auch bei den Tieren vorkommt, und andererseits von Wunsch und Meinung. Gegenstand des Wünschens können neben tatsächlich erreichbaren Gegenständen, zu deren Erlangung verschiedene Mittel erwogen werden können, auch Sachverhalte sein, die nicht in der Macht des Wünschenden stehen. Vorsätzlich überlegt werden können nur Wünsche, deren Erfüllung der Handelnde selbst herbeiführen kann. Der Wunsch bezieht sich dabei eher auf ein Ziel, etwa extrem reich zu werden. Der Vorsatz hingegen betrifft den Weg zur Erreichung des Ziels, z.B. um überaus wohlhabend zu werden, eine Menge Sperrpatente zu verkaufen. Meinungen sind im Gegensatz zum Vorsätzlichen über alles denkbar: über das, was Menschen erreichen können, genauso wie über das Unmögliche oder Metaphysische. Sie werden nach wahr und falsch klassifiziert und nicht wie das Vorsätzliche nach gut und schlecht.15 »Auf jeden Fall geht der Vorsatz mit Überlegung (logos) und Denken (dianoia) einher.«16 Damit benennt das Vorsätzliche keine abstrakten Spekulationen oder unerfüllbare Wünsche. Es überlegt die Zweckmäßigkeit der im Sinne des gesetzten Ziels anzuwendenden Mittel. So erwägt das Vorsätzliche handlungsrelevante Belange, indem es nach der richtigen Vorgehensweise sucht. In diesem Suchen »fragt man, wie [es] durch dieses [erreicht wird] und wodurch wiederum dieses entsteht. Diese Untersuchung setzt man fort, bis man zur ersten Ursache (proton aition) kommt, die im Prozess des Auffindens als letzte (eschaton) erreicht wird. […] Das, was in der Analyse das Letzte ist, wird dann im Prozess der Verwirklichung das Erste sein.«17
Mit dem Begriff des Vorsätzlichen liefert Aristoteles demnach eine Beschreibung der Strategie, mit der Handlungen geplant werden. Entscheidender als die Überlegungen, wie zu den passenden Mitteln zur Verwirklichung des Ziels zu gelangen ist, scheint für die Frage nach dem Handlungsvollzug die Feststellung, dass das der Überlegung nach letzte in der Verwirklichung das erste ist.18 Denn daran wird deutlich, dass sich die im Vorsätzlichen überlegten Mit-
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tel als Wissen in Bezug auf das Handeln nur in der tatsächlichen, konkreten Ausführung vollziehen. Am Ende dieses Nachdenkens muss also eine konkrete Handlung stehen, die den Vorsatz tatsächlich zu einem gewollten und vorsätzlichen Ereignis werden lässt. Wirft der Kapitän seine Ladung zu einem Zeitpunkt über Bord, an dem es der Ablauf seiner Reise vorsieht, tut er es nicht nur willentlich, sondern darüber hinaus auch vorsätzlich. Doch wenn ich mir nur immer wieder vornehme, meinem Freund zum Geburtstag zu gratulieren, es aber niemals umsetze, wird aus meinem Vorsatz niemals eine gewollte vorsätzliche Handlung. Eine vorsätzliche und damit auch gewollte Handlung drückt nach Aristoteles immer auch den Charakter des Handelnden aus,19 doch der Vorsatz allein reicht nicht hin, um den Charakter zu erkennen. Dieser zeigt sich erst in seinem Tun, das den Vorsatz verwirklicht. Deshalb kann aus einem Vorsatz weder der Charakter noch die Handlung eines Menschen vorhergesagt und gewusst werden. Wie zuverlässig ich bin und ob ich meinem Freund wirklich schreibe, steht erst fest, wenn ich ihm schreibe. Was jemand tut, kann demnach erst gewusst werden, während er es tut. Die bloße Phantasie darüber, jemanden zu strangulieren, bedeutet keine Gewissheit, dass der Phantasierende diese Vorstellungen oder gar Vorsätze verwirklicht. Umgekehrt müssen für das Wissen um die tatsächliche Tat die Vorsätze nicht notwendig bekannt sein. Die Frage danach, ob und mit welchen Vorsätzen die Tat vorsätzlich war, stellt sich erst nach dem als gewollt aufgefassten Handlungsvollzug, denn nur dann spielt der Akteur überhaupt eine Rolle. Das Begreifen eines Ereignisses als gewolltes geht auf Wissen und Wahrnehmung des Akteurs zurück, macht es unmittelbar als Handlung verständlich. Deshalb kann nur für tatsächlich gegenwärtige Handlungen angegeben werden, ob sie vorsätzlich sind oder nicht. Das vorbereitende Nachdenken über einen Vorsatz erlaubt dagegen nicht zu wissen, was jemand tut. Handeln kann aus den Aussagen und Überlegungen einer Person nicht mit Sicherheit vorweggenommen werden. Umgekehrt schließen sich erst an die wirklich vollzogene Handlung mögliche Erkundigungen nach den
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Vorsätzen des Handelnden an. Da der Vollzug der Handlung ihre Wirklichkeit bestimmt und mögliche Vorsätze umsetzt, muss die Frage ›Warum wissen wir, was wir tun‹, die unsere Untersuchung vorantreibt, durch einen Verweis auf den aktuell tatsächlich vorliegenden Handlungsvollzug erweitert werden. Ansonsten verfehlt sie mit dem Handeln im gegenwärtigen Vollzug ihren Untersuchungsgegenstand. Die Forschungsfrage muss also lauten: Warum wissen wir, was wir tun, während wir es tun?
3.1.2 Beschreibung des Vorsätzlichen: Der praktische Syllogismus Aristoteles schlägt für das Entschlüsseln gewollter Ereignisse als Handlungen eine eigene Schlussform vor, die man den praktischen Syllogismus nennt. Diese Schlussform bezieht sich auf das Handeln, nicht auf theoretische Belange und thematisiert deshalb das Gewollte, sprich das in der tatsächlich vollzogenen Handlung Erstrebte. Es wird nun dafür eingetreten, dass Aristoteles mit diesem Schluss eine Beschreibungsform entwirft, mit der Ereignisse als gewollte erfasst und als Handlungen verständlich gemacht werden. Denn der praktische Schluss, der nicht beim rein theoretischen Erwägen stehen bleiben kann, beginnt dort, wo das Nachdenken über die Mittel aufhört: beim Handeln. Um dies zu zeigen, soll die Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung durch die Zuordnung der handlungskonstitutiven Vermögen, nous und phronesis, zu den Prämissen eingefangen werden. Mit dieser Zuordnung, so der Gedanke, stellt sich heraus, dass der praktische Syllogismus in der Gegenseitigkeit von nous und phronesis konstituiert wird. In dieser Gegenseitigkeit wiederum entfaltet er das gewollte Ereignis als Handlung.20 Am Ende dieser Überlegungen zum praktischen Syllogismus wird angegeben werden können, warum wir wissen, dass jemand ein Handeln beschreibt, indem er uns z.B. sagt ›Lisa schreibt eine Geburtstagskarte‹ oder ›X starb durch strangulieren‹. Da es hier ausdrücklich um sich vollziehende Handlungen geht, stehen Aristoteles’ Einlassungen zum praktischen Syllogismus
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aus Über die Bewegung von Lebewesen und aus dem sechsten Buch der Nikomachischen Ethik im Vordergrund der aktuellen Untersuchung. Jene, die Aristoteles im Kontext der Willensschwäche vornimmt, bleiben entsprechend unberücksichtigt. Dort interessieren ihn meist Schlüsse, die nicht von einer Handlung ausgehen oder tatsächlich in die folgerichtige Handlung münden. Es liegt im Falle der Willensschwäche gerade kein gewolltes und vorsätzliches Ereignis vor, das sich durch einen praktischen Syllogismus beschrieben ließe.21 Der praktische Schluss als Form der Handlungsvollzugsbeschreibung zeichnet sich, wie darzulegen sein wird, vielmehr dadurch aus, dass er bei der je konkreten Handlung anhebt und endet. Die Handlungsbeschreibung des praktischen Syllogismus’ thematisiert allein die Handlung und nimmt deshalb vom Handeln seinen Ausgang und kommt – da er stets den Handlungsvollzug entfaltet – auch dort zu seinem Ende. Formalisiert ausgedrückt geht es sogleich um einen Schluss, der sich anders als formallogische Syllogismen ausgehend vom Obersatz und beginnend bei der Conclusio entwickeln lässt. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung mit Aristoteles wird es vornehmlich um eine Explikation des praktischen Schließens als Handlungsbeschreibung gehen, die bei der ersten Prämisse ansetzt. Der Versuch, das praktische Schließen von seinem Ergebnis her zu entfalten, wird im zweiten Teil des Abschnittes mit Anscombe unternommen. In De Motu Animalium formuliert Aristoteles einen praktischen Syllogismus, den er mit einem Handlungsvollzug als Schlussfolgerung beendet.22 Er schreibt: »Das heißt, die Schlußfolgerung ›ein Mantel ist anzufertigen‹ äußert sich in einer Handlung. Man handelt aber von Anfang an. Wenn es einen Mantel geben soll, muß zunächst die eine Voraussetzung gegeben sein, und wenn sie (gegeben ist), eine andere; und indem man diese schafft, handelt man sofort. Daß nun die Handlung eine Schlußfolgerung darstellt, ist klar.« 23
Den für die Frage nach der Beschreibung des gewollten Ereignisses entscheidenden Hinweis bringt Aristoteles mit seiner Feststellung
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»Man handelt aber von Anfang an«, denn damit macht er deutlich, dass im praktischen Schließen nicht das Erwägen von Mitteln einerseits und das sich aus diesem Erwägen ergebende Handeln andererseits zur Disposition steht. Die Anfertigung des Mantels und die Maßnahmen, die zur Vorbereitung dieses Anfertigens notwendig sind, gehen Hand in Hand. Das Anfertigen beginnt nicht erst mit dem Nähen, sondern schließt die Beschaffung des Materials, die Vorbereitung des Arbeitsplatzes und das Zuschneiden mit ein. Denn solange nur eine optionale Handlung erwogen wird und denkbare Schritte bewertet werden, sind die entsprechenden Schlüsse theoretischer Natur. Erst im Vollzug des Vorsätzlichen eröffnet sich die Gelegenheit, dieses Ereignis als gewolltes zu beschreiben. Der Vollzug eines gewollten Ereignisses begründet demnach mit Aristoteles die Möglichkeit seiner Beschreibung im praktischen Syllogismus. Ausgangspunkt des praktischen Schließens ist folglich die Handlung, die das vorbereitende Erwägen abschließt. Der praktische Syllogismus beschreibt, kurz gesagt, Ereignisse, sofern sie sich als gewollte vollziehen und d.h. er expliziert sie als Handlungen. Wie drückt sich der Vollzugscharakter des Handelns in der Beschreibung des Aristotelischen Beispiels der Anfertigung eines Mantels als gewolltes Ereignis aus? Genau genommen ist die Schlussfolgerung »Ein Mantel ist anzufertigen« das Ergebnis zweier unmittelbar aufeinander bezogener Schlüsse. Der erste erwägt den Bedarf eines Mantels. »Ich bedarf einer Umhüllung, ein Mantel ist aber eine Umhüllung; ich bedarf eines Mantels.«24 Dieser Schluss ist für sich genommen eine theoretische Ableitung dessen, was in diesem Kontext erforderlich ist. Denn er benennt mit der Notwendigkeit einer Umhüllung die Prinzipien, die den Kontext beherrschen, bestimmt mit dem Mantel den Sachverhalt, der diesen Prinzipien entspricht und stellt deshalb fest, dass ein Mantel gebraucht wird. Der zweite, im eigentlichen Sinne praktische Schluss, greift allerdings die Schlussfolgerung des ersten als Mittel auf und macht ihn so als Prinzip eines Handelns begreiflich. »Wessen ich bedarf, das muß ich anfertigen; Ich bedarf eines Mantels; ein Mantel ist anzufertigen.«25 Was gebraucht wird, so besagt der Obersatz, ist anzufertigen. Da unter die-
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sen Umständen, wie der erste Schluss vorgibt, ein Mantel gebraucht wird, ist ein Mantel das Mittel, um die Erfordernisse des Kontextes zu erfüllen und deshalb ist er anzufertigen. Der Mantel erscheint so als das im Anfertigen Gewollte, das den gegenwärtigen Kontextgegebenheiten entspricht. Auf diese Weise präzisiert der zweite Schluss den Handlungsvollzug mit Blick auf das Gewollte als gewolltes Ereignis. Der in der zweiten Prämisse des zweiten Schlusses als Mittel zur Erfüllung der Notwendigkeiten der Umstände gewollte Mantel wird durch den ersten Schluss als im Anfertigen beschlossener Vorsatz ausgewiesen. Denn er besagt, vor dem Hintergrund welches Prinzips die Anfertigung des Mantels gewollt wird. Der erste Schluss fügt dem Anfertigen als Bedingung des praktischen Schließens ebenso wenig hinzu wie der zweite, denn er erwägt die im Anfertigen ausgedrückten Prinzipien, die der zweite als Mittel präzisiert.26 Dieses Hin und Her der Beschreibung zwischen dem im Handeln beschlossenen Gewollten und dem zugehörigen Vorsatz, das Gewollte jetzt zu erreichen, verleiht der Beschreibung die Dynamik einer Vollzugsbeschreibung. Die Handlung wird in diesem Hin und Her zwischen dem in ihrem Kontext Gewollten und dem augenblicklich verwirklichten Vorsatz als gewolltes Ereignis beschrieben. D.h. es wird über die Angabe des Gewollten und der Gegenwärtigkeit des Vollzugs sowohl der Bezug zur Kontextualität als auch zum in diesem Bezug implizierten Akteur, der das Gewollte erstrebt, hergestellt und damit das Geschehen als gewolltes Ereignis begreiflich. Die Dynamik des Handlungsvollzuges wird in der formalen Darstellung des praktischen Schlusses, der mit der Angabe eines Handlungsvollzuges abgeschlossen wird, noch deutlicher. (1)
Ich bedarf einer Umhüllung. (wahrgenommenes Erfordernis des Kontextes)
(2)
Ein Mantel ist aber eine Umhüllung. (erforderlicher Sachverhalt)
(3)
Ich bedarf eines Mantels. (Wahrnehmung der Erfüllung des Erfordernisses)
3. Erlebte Ereignisse
(4)
Wessen ich bedarf, das muss ich anfertigen. (Wissen darum, was zu tun ist)
(3)
Ich bedarf eines Mantels. (Wissen um die Erfüllung des Erfordernisses)
(5)
((Ein Mantel wird angefertigt.)) (vorsätzlich gewolltes Ereignis)
In die Ordnung des Syllogismus gebracht, steht in der Beschreibung als erstes die Kontextbindung des Ereignisses (1-3), als zweites das Wissen darum was zu tun ist (4 zusammen mit 3) und schließlich das Zusammentreffen von Wissen und Wahrnehmung bzw. Gewolltem und Vorsätzlichem im Handlungsvollzug (5). Die Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung wurde oben als Kriterium dafür ausgewiesen, ein Ereignis als Gewolltes bzw. als Vorsätzliches zu fassen und tatsächlich funktioniert jede der Prämissen als Glied der praktischen Beschreibung nur mit Blick auf die jeweils anderen. Auf diese Weise wird, durch die Art wie die Beschreibung aufgebaut ist, die Dynamik des Vollzugs eingefangen: Die Schlussfolgerung des ersten Syllogismus wird zum Untersatz des zweiten, so dass die Wahrnehmung des erforderlichen Sachverhaltes ›Mantel‹ das Wissen um die Mittel festlegt. Aus dieser Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung bestimmt sich als Schlussfolgerung der Handlungsvollzug: Das Anfertigen eines Mantels. Das Zusammenspiel aus Wissen und Wahrnehmung streicht den Handlungsvollzug als Voraussetzung des praktischen Schließens heraus, auf die Aristoteles mit seiner Feststellung, man handle von Anfang an, verwiesen hatte.27 Denn die Auffassung des Mantels als Mittel zur Umhüllung erklärt sich nur durch die momentane, dem Kontext entsprechende Notwendigkeit einer Umhüllung. Zusammengenommen führen Mittel und Kontext zu der Feststellung, dass ein Mantel anzufertigen sei. Deshalb rekurrieren die Erfordernisse des Kontextes unmittelbar auf den Handlungsvollzug, und an diesem Vollzug treten umgekehrt die Prinzipien hervor, die seine Kontextbindung bestimmen. Auf der Linie seiner Feststellung, man handle von Anfang an, folgert Aristoteles ›Ein Mantel wird angefertigt‹28 und nicht ›Ich fertige einen Mantel.‹ Denn die Prämissen beschreiben, wie die Con-
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clusio anzeigt, den Handlungsvollzug und nicht den Akteur und sein Streben. Weder Akteur noch Streben konstituieren also die Beschreibung eines gewollten Ereignisses. Beide lassen sich vielmehr erst aus dieser Beschreibung herauslesen, die Schritt für Schritt die Gegenseitigkeit von Kontext und Geschehen wiedergibt und damit das implizierte Streben und den Strebenden anzeigt. Dass sich im praktischen Syllogismus der Handlungsvollzug vom Handeln her beschreiben lässt, zeigt sich deshalb darin, dass er von der Konklusion, dem Handlungsvollzug, seinen Ausgang nimmt. Vom Handlungsvollzug aus werden die Prämissen durch ihren Bezug zueinander als Handlungsbeschreibung kenntlich. Der Akteur und sein Streben bzw. sein Wissen und seine Wahrnehmung sind mit Aristoteles eine Implikation dieser Bezüge, nicht deren Voraussetzung. Entscheidender als der explizite Verweis auf den Akteur und sein Streben für die Schilderung des Handlungsvollzuges erscheint mit Aristoteles deshalb das Prinzip, das die Kontextualität des Ereignisses begründet. Im Mantelbeispiel eben die eigens abgeleitete Notwendigkeit einer Umhüllung. Aber das Prinzip, unter dem sich dieser Kontextbezug ereignet, muss nicht notwendig angegeben oder reflektiert werden. Es bildet, wie in theoretischen Fragen auch, den Hintergrund vor dem sich die Handlung vollzieht. In diesem Sinne gibt der praktische Syllogismus zwar nicht das Prinzip der Kontextualität des Handelns wieder, sondern benennt die aktuelle Ausgestaltung dieser Bezüge. Aber es ist die Verwirklichung der praktischen Vermögen,29 die dem praktischen Schluss seine Notwendigkeit verleiht. Für Aristoteles ist das Wissen der Klugheit nicht in gleicher Weise allgemein wie das theoretische. Theoretisches Wissen resultiert in der Kenntnis allgemeiner abstrakter Regeln, jenes der Klugheit aus der Erfahrung mit dem konkreten Einzelnen und leitet so das Handeln: »Daher kommt es, dass manchmal […] Menschen ohne [allgemeines] Wissen besser im Handeln sind als andere mit einem Wissen, nämlich die Erfahrenen (empeiros). Wenn jemand nämlich weiß, dass leichtes Fleisch gut verdaulich und gesund ist, aber nicht weiß, welches Fleisch leicht ist, wird
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er keine Gesundheit erwirken; vielmehr wird das derjenige können, der weiß, dass Geflügelfleisch leicht und gesund ist. Nun bezieht sich die Klugheit aufs Handeln, so dass man beides [Wissen des Allgemeinen und Erfahrung vom Einzelnen] haben muss, oder mehr noch das zweite. Aber auch hier wird es eine leitende (architektonikos) Kenntnis geben.« 30
Das Wissen der Klugheit, das zur Erreichung der angestrebten Zwecke notwendig ist, erschöpft sich nicht im abstrakten theoretischen Wissen darum, was generell gut sein könnte. Es weiß, was in diesem Kontext das Gute darstellt. Aber dieses Wissen vom Konkreten kommt nicht ohne jede allgemeine Einsicht aus. Der praktische Syllogismus nimmt also die Gegenseitigkeit der handlungskonstitutiven Vermögen phronesis und nous, von Wissen und Wahrnehmung, für sein Funktionieren in Anspruch: (1)
Leichtes Fleisch ist gut verdaulich und gesund. (phronesis)
(2)
Geflügel ist leichtes Fleisch. (phronesis)
(3)
Dies ist Geflügel. (nous) ((Geflügel wird gegessen.))31
Welches Vermögen kommt in dieser Beschreibung des Geflügelessens wie zum Tragen? Als reine Feststellung ist die erste Prämisse ein Satz des theoretischen Wissens, der eine Tatsachenfeststellung trifft. Doch wenn er in Bezug auf die Handlung des Essens ausgedrückt wird, ist der Satz die kluge Explikation der zweiten Prämisse »Geflügel ist leichtes Fleisch«, denn »Leichtes Fleisch ist gut verdaulich und gesund« erörtert die Zweckmäßigkeit des Geflügelessens. Der Untersatz »Dies ist Geflügel« geht, wie mit Aristoteles schon hervorgehoben, auf das intuitive Erfassen des nous zurück. Er beschreibt das Wahrnehmen des Letzten und Einzelnen – hier eben das Geflügel –, das keiner Begründung mehr zugänglich ist. Diese Zuordnung der Vermögen zu den Prämissen, die den Schluss als Handlungsbeschreibung verständlich machen soll, nimmt den Handlungsvollzug als Voraussetzung in Anspruch. Dass ›Leichtes Fleisch ist gut verdaulich und gesund‹ in diesem Zusammenhang
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keine bloße Tatsachenaussage darstellt, sondern das Wissen der Klugheit ausdrückt, wird bisher nur in Bezug auf den Handlungsvollzug »((Geflügel wird gegessen))« verständlich, ohne dass das Prinzip der Kontextualität dieses Vollzuges angegeben würde. Doch worauf ruht diese Beschreibung als ihre »leitende Kenntnis« auf, wie Aristoteles das gesuchte Prinzip der Handlungsbeschreibung nennt?32 Sie beruht auf den kontextbestimmenden Prinzipien, die der nous einsieht, die das kontextgebundene Handeln in Anspruch nimmt und die alltäglich nicht reflektiert werden. »Allerdings hat die Klugheit gerade nicht die Herrschaft über die Weisheit (sophia) oder über den besseren Seelenteil, wie auch die Medizin nicht die Herrschaft über die Gesundheit ausübt; denn sie macht nicht von ihr Gebrauch, sondern sieht zu, dass sie entsteht. Sie gibt also Anweisungen nicht ihr, sondern ihretwegen. Ferner, das [zu sagen, die Klugheit herrsche] wäre ebenso, als würde jemand sagen, das politische Wissen herrsche über die Götter, weil es über alle Dinge im Staat Anordnungen erteilt.« 33
Die Klugheit sieht Aristoteles also nicht als dasjenige Vermögen an, das für die anderen Vermögen die Ziele vorgibt, sondern die Ziele der anderen aufgreift und sich um deren Verwirklichung bemüht. So verfügt die Medizin nicht über Gesundheit, sondern ist dazu da, für Gesundheit zu sorgen. Wenn die Klugheit Ziele aufgreift und die erforderlichen Mittel anweist, dann tut sie dies im Sinne der Ziele nicht zur Festsetzung dieser Ziele selbst. Dieses Prinzip ist für das Beispiel des Hühnchenessens die Tatsache, dass Gesundheit ein erstrebenswertes Gut darstellt. Da das Handeln die Prinzipien seines Kontextes in Anspruch nimmt, anstatt sie zu reflektieren, wird die Beschreibung des Ereignisses als Gewolltes ohne den Verweis auf die Gesundheit verständlich. So konnte Aristoteles den Begriff des Gewollten ohne jeden Hinweis auf die Prinzipien der Kontextbindung einführen. Wirft etwa der Kapitän zur Rettung seiner Mannschaft auf hoher See seine Ladung über Bord, folgt er dem Prinzip, ›Menschenleben sind ein Gut.‹ Die Handlung des Überbordwerfens lässt sich auf jeden Fall als gewolltes Ereignis beschrei-
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ben, auch wenn sie wahrscheinlich nicht vorsätzlich ist, insofern ihr kein ausdrücklicher Abwägungsprozess vorausgegangen ist. Selbst wenn der Seefahrer das Prinzip nicht angeben kann, so lässt sein Handeln das Gewollte erkennen. Da jedoch das je konkret verwirklichte Prinzip die Handlung in ihrer Kontextbindung bestimmt, kann die Beschreibung des Ereignisses als gewolltes formal nur mit der Nennung eines solchen Guts abgeschlossen werden. Umgekehrt wird im Zugleich aus Handlungsvollzug und kontextbestimmendem Prinzip das Ereignis unmittelbar als vorsätzliches und damit als Handlung begreiflich. Denn die phronesis konkretisiert das Prinzip im Hinblick auf die konkreten Umstände und erschließt so die Zweckmäßigkeit der Handlung. ›Leichtes Fleisch ist gut verdaulich und gesund‹ sowie ›Geflügel ist leichtes Fleisch‹ benennen die Zweckmäßigkeit des Geflügelverzehrs im Hinblick auf das darin ausgedrückte Gut ›Gesundheit‹: Gesundheit ist ein Gut. (kontextbestimmendes handlungsleitendes Prinzip des nous) (1)
Leichtes Fleisch ist gut verdaulich und gesund. (Wissen der phronesis zur Verwirklichung dieses Prinzips)
(2)
Geflügel ist leichtes Fleisch. (Wissen der phronesis, was zu diesem Zweck jetzt zu tun ist)
(3)
Dies ist Geflügel. (Einsicht des nous, dass dies das geforderte Letzte ist) ((Geflügel wird gegessen.)) (gewolltes Ereignis)
Ausschlaggebend für die Beschreibung des gewollten Ereignisses ist demnach so wenig der Akteur, wie seine Willensakte für das Gewollte verantwortlich sind. Wesentlich ist die Möglichkeit, das Prinzip oder das Gut angeben zu können, das das Geschehen in seinen Kontext einbettet und die notwendigen Mittel einfordert, um die die Klugheit weiß. Erst über dieses Prinzip erschließt sich das Erstrebte und damit das Streben, das wiederum auf den Akteur verweist. Gleiches bestätigt die gelieferte Analyse zum Zusammenspiel der Vermögen im praktischen Syllogismus: Das kluge Handeln geht auf Prinzipien zurück, die es nicht ausbuchstabieren kann, die es je-
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doch als kluges Handeln begreiflich machen. Wir wissen, so könnte festgehalten werden, aufgrund der kontextbestimmenden Prinzipien, die ein Handeln in Anspruch nimmt und in seinen Kontext eingliedert, was jemand tut, wenn es uns beschrieben wird. Häufig findet weder das Wissen um das Mittel noch das Prinzip, das die Handlung als gewolltes Ereignis bestimmt, in eine Handlungsbeschreibung Eingang. ›Lisa schreibt eine Geburtstagskarte‹ stellt meist eine zureichende Beschreibung ihrer Handlung dar. Denn der praktische Syllogismus, wie er hier als Beschreibung eines gewollten Ereignisses vorgestellt wurde, entfaltet nur, was den Handlungsvollzug unmittelbar auszeichnet und insofern in seiner Beschreibung erfasst wird. Mit der Zuordnung der Vermögen zu den einzelnen Prämissen zeigt sich wieder die Gegenseitigkeit aus Wissen und Wahrnehmung, die den Handlungsvollzug konstituiert. Diese Gegenseitigkeit drückt sich in der Beschreibung eines Ereignisses als gewolltes aus: Freundschaft ist ein Gut. (Wahrnehmung/nous) (1)
Gratulieren ist eine Geste der Freundschaft. (Wissen/phronesis)
(2)
In Kartenform wird gratuliert. (Wissen/phronesis)
(3)
Ein Freund hat Geburtstag. (Wahrnehmung/nous) Schreiben einer Karte. (gewolltes Ereignis)
Da dieses komplexe Wechselspiel zwischen Wissen und Wahrnehmung in dem Satz ›Lisa schreibt eine Geburtstagskarte‹ beschlossen liegt, wird er als Bericht über ein gewolltes Ereignis verständlich. Wir wissen, was Lisa tut, wenn uns jemand sagt, sie schreibe gerade eine Geburtstagskarte, insofern wir verstehen, dass sie in diesem Moment, unter diesen Umständen im Sinne der Freundschaft handelt. Doch weshalb müssen wir nicht darüber informiert werden, welches Prinzip die Kontextbindung der Handlung verwirklicht, um zu wissen, was jemand gerade tut?
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3.2 A nscombe : A bsichtliche E reignisse Dem Zusammenhang von Handlungsvollzug und Handlungsbeschreibung widmet sich Anscombe in ihrem Buch Absicht. Anscombe geht in ihrer Untersuchung des Begriffs ›Absicht‹, in Anlehnung an Wittgenstein formuliert,34 dem Sprachspiel der Absicht auf den Grund. Dabei macht sie die Gegenseitigkeit von Handlungsvollzug und Kontext – wie sie soeben in Auseinandersetzung mit Aristoteles entfaltet wurde – zum Schlüsselproblem ihrer handlungstheoretischen Überlegungen. Im Hintergrund ihrer Auseinandersetzung mit dem Begriff der Absicht stehen, so die Vermutung, Aristoteles’ Begriffe des Wollens und des Vorsatzes.35 Aber mit ›Absicht‹ benennt Anscombe nicht schlicht das Vorsätzliche. Sie meint mit diesem Begriff, so könnte aus den mit Aristoteles erbrachten Ergebnissen gefolgert werden, das Prinzip, oder in den Worten Anscombes die Form,36 anhand derer ein Ereignis als absichtliches beschrieben werden kann. Während Aristoteles mit dem Gewollten die Kontextabhängigkeit des Handlungsvollzugs hervorhebt, die es ermöglicht, Handlungen als vorsätzliches Geschehen zu reflektieren, zielt Anscombes Begriff der Absicht darauf, dass Ereignisse ohne jeden reflexiven Zwischenschritt als Handlungen begreiflich werden.37 Damit erlaubt Anscombe die Aristotelische Analyse des Handlungsvollzuges als gewolltes Ereignis weiterzuentwickeln. Ein Ereignis als Handlung beschreiben, bedeutet für Anscombe nichts anderes, als es mit Blick auf seinen Kontext zu schildern. Dadurch lässt sich mit Hilfe von Anscombes Konzept der Absicht neben der Kontextgebundenheit des gewollten Ereignisses und seiner Beschreibung die Strukturgleichheit von Handlung und Handlungsbeschreibung herausarbeiten. Denn eine Handlungsbeschreibung geht für Anscombe auf Wissen ohne Beobachtung zurück. Und mit dem Konzept des ›Wissens ohne Beobachtung‹ führt sie vor, wie das Wissen von Handlungen mit dem Handeln selbst einhergeht. Die Gegenseitigkeit von Kontext und Handlungsvollzug, die mit Aristoteles wie eine bloße Beschreibungsform erscheinen muss, wird im Folgenden mit Anscombe als Logik des Handlungsvollzuges aus-
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gewiesen. Diese Logik deutet, wie sich bereits beim ersten Lesen von Anscombes begrifflicher Pointierung der ›Absicht‹ als Wissen ohne Beobachtung andeutet, auf die Untrennbarkeit von Akteur und Handlung hin: Im Wissen ohne Beobachtung findet sich weder etwas Beobachtetes noch ein Beobachter. In der Art und Weise, wie Handlungen gewusst werden, sind Akteur und Handlung nicht zu differenzieren. Dem ›Wissen ohne Beobachtung‹ korreliert bei Anscombe darüber hinaus die Umschreibung des Handelns mit der Formel »Ich tue, was geschieht.«38 Damit meint sie, vorausgreifend und extrem verkürzt gesagt, dass das Geschehen ›Handlung‹ ein ohne Beobachtung gewusstes und damit ein erlebtes ist, ohne dass sich darin eine Beziehung zwischen Akteur und Handlung auftäte. Wie problematisch es sein kann, wenn diese Gegenseitigkeit übersehen wird, belegt die Tradition, gegen die sich Anscombe mit ihren Überlegungen stellt. Denker dieser Tradition suchen einen Unterschied zwischen Handeln und Verhalten und binden die Differenz daran, ob einer Handlung Willentlichkeit oder Absichtlichkeit als vom Akteur gesteuerte Haltung hinzugefügt wurde oder nicht.39 Anscombe argumentiert hingegen, dass ein solcher Akt der Absicht unauffindbar ist und fragt, um dies zu bekräftigen, welcher Akt diesem wiederum vorausgegangen sein müsste, damit er als willentlich oder absichtlich begreiflich wird.40 Erleben kann, so wird in Anschluss an Anscombe herausgearbeitet werden, dem Ereignis ›Handlung‹ nicht ›hinzuaddiert‹ werden, um es als Handeln zu qualifizieren. Erleben bestimmt vielmehr die Struktur des Handlungsvollzuges, die seine Beschreibung festlegt, nicht die Haltung des Handelnden zu seinem Tun. Deshalb wird unter ›Erleben‹ die Form einer Ereignisbeschreibung und nicht Bewusstseinsakte des Handelnden oder seiner Beobachter verstanden. Handlungen stellen, so wird argumentiert, Ereignisse dar, die sich als erlebte beschreiben lassen, ohne dass sich daraus unterschiedliche Erlebnisperspektiven ergeben. Handeln wird sich als ebenso intersubjektiv erweisen wie seine ihm strukturgleiche Beschreibung. Die folgende Auseinandersetzung mit Anscombe, durch die erstens belegt werden soll, dass Akteur und Handlung untrennbar
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sind, zweitens gezeigt, dass die Beschreibungsform, die ein Ereignis als absichtliches schildert, der Struktur des Handlungsvollzuges folgt, sowie drittens herausgearbeitet wird, wie dem »Ich tue, was geschieht« das im Handeln liegende Wissen41 ohne Beobachtung korreliert, gliedert sich in drei Unterkapitel. Im ersten ist deutlich zu machen, inwiefern Anscombe im Anschluss an ein Zitat aus Aristoteles’ Magna Moralia das Sprachspiel der Absicht entfaltet, in dem es keinen Platz für einen Akt der Absicht geben kann, da sich die unterschiedlichen Beschreibungen einer Handlung decken. Dies führt einerseits zur Bestätigung der systematischen Untrennbarkeit von Akteur und Handlung und andererseits zum im Handeln liegenden Wissen um das Handeln als Grund für die Identität der Beschreibungen ein- und derselben Handlung aus unterschiedlichen Perspektiven. So stellt der Kontrast zwischen theoretischem und im Handeln liegenden Wissen das Thema des zweiten Kapitels dar. Am im Handeln liegenden Wissen verdeutlicht sich, wie die Beschreibung des Handelns der Struktur des Handlungsvollzuges korreliert. Damit gelangt diese Untersuchung schließlich im dritten Unterpunkt zum ›Wissen ohne Beobachtung‹ und der daran anschließenden Feststellung, dass Handlungen als intersubjektives Geschehen erlebte Ereignisse vorstellen. Für die Lösung der Frage, warum wir wissen, was jemand tut, wenn uns jemand davon berichtet, ergibt sich daraus eine Antwort, die uns zudem zu einer ersten grundsätzlichen Antwort auf die Frage, warum wir wissen, was wir tun, während wir es tun, bringt. Da die Handlung und ihre Beschreibung strukturgleich sind, wissen wir aufgrund der Art und Weise, wie das Ereignis geschildert wird, dass von einer Handlung berichtet wird und was jemand tut. Dies wiederum wird uns am Ende dieses Abschnittes auf die Feststellung verweisen, wir wüssten, was wir tun, während wir es tun, insofern wir es tun.
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3.2.1 Geschehen und Beschreibung Um die Gegenseitigkeit von Handlungsvollzug und Kontext, die das Handeln bestimmt, systematisch zu spezifizieren, wird zuerst auf das logische Verhältnis zwischen einer Handlung und ihrer Beschreibung eingegangen. Anscombe beleuchtet dieses Verhältnis, indem sie, wie gesagt werden könnte, das Sprachspiel der Absicht ausbuchstabiert. Sie hebt hervor, dass es darin keinen Platz für einen ›Akt‹ der Absicht gibt.42 Folglich referiert eine Handlungsbeschreibung nicht auf einen Sachverhalt, der nur dem Akteur zugänglich wäre. Die Beschreibung eines Ereignisses als Handlung ist allen Mitspielern des Sprachspiels zugänglich und ihrer Struktur nach unter allen Teilnehmern identisch. Der Handelnde hat, wie sich im Anschluss an die Auseinandersetzung mit dem Problem der Handlungsbeschreibung herausstellen wird, nicht nur kein privilegiertes Verhältnis zu seinem Tun, er hat kein Verhältnis zu seinen Handlungen. Als Person hat der Handelnde in dieser Beschreibung keinen Ort, da die Tatsache, dass er etwas tut, erst relevant wird, wenn es darum geht, warum er so und nicht anders gehandelt hat. Aber diese Herausforderung steht hier nicht zur Disposition, da die Frage nach der Rolle der Persönlichkeit des Handelnden für die Gestaltung des Handlungsvollzugs – wie Aristoteles verdeutlicht – jener nach der Struktur dieses Vollzugs nachfolgt. An den Anfang ihrer Überlegungen zum Sprachspiel der Absicht stellt Anscombe ein Aristoteles zugeschriebenes, wahrscheinlich von Theophrast stammendes Zitat, das die logische Beziehung zwischen Handlungsvollzug und Beschreibung illustriert. Diesem Zitat und der von Anscombe vorgeschlagenen Interpretation nach ist es ein Einwand gegen den Handlungsvollzug, nicht gegen die Beschreibung »wenn ich etwas anderes hinschreibe als das, was ich zu schreiben glaube. Hier handelt es sich, wie Theophrast sagt, nicht um ein falsches Urteil, sondern um eine verfehlte Ausführung.«43 Diese von Anscombe als Wegweiser durch ihre Untersuchung herangezogene Stelle schließt thematisch unmittelbar an den Gedanken an, mit dem die soeben geleistete Auseinanderset-
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zung mit Aristoteles endete. Zudem betrifft sie das Verhältnis von Handlung und Beschreibung. Deshalb ist sogleich direkt auf Aristoteles bzw. Theophrast einzugehen. Daran anschließend lässt sich nachzeichnen, wie Anscombe diesen Gedanken aufnimmt, um das Verhältnis von Handlung und Beschreibung sowie verschiedener Beschreibungen untereinander auszuweisen und damit die systematische Untrennbarkeit von Akteur und Handlung zu belegen. Das Zitat, auf das Anscombe referiert, soll etwas ausführlicher wiedergegeben und kontextualisiert werden, als sie selbst sich darauf einlässt. Dadurch wird erkennbar, weshalb Absicht als Kommentar zu Aristoteles’ Handlungsbegriff verstanden werden kann. Bei Aristoteles heißt es: »Die Entscheidung also hat ihren Platz im Bereiche des Handelns, und zwar da wo es bei uns steht, zu handeln oder nicht zu handeln, so oder nicht so zu handeln, und wo die Möglichkeit besteht, das Warum zu fassen. Das Warum aber ist kein Begriff mit nur einer Bedeutung. Wenn es z.B. in der Geometrie heißt: die Winkelsumme im Viereck ist gleich vier rechten Winkeln – und man fragt, warum? so ist die Antwort: weil die des Dreiecks gleich zwei rechten ist. […] [A]ber in dem Bereich des Handelns, wo die Entscheidung ihren Platz hat, da ist es natürlich nicht so. Denn da ist keine genau festgelegte Vorgegebenheit. 44 […] Daher hat das mit sich zu Rate gehen darüber, wie man (verfahren) soll, in solchen Situationen seinen Platz, dagegen im Bereich der praktischen Künste nicht: niemand hält bei sich Rat, wie der Name Archikles zu schreiben sei, weil es festliegt, wie der Name Archikles zu schreiben ist. Ein Fehler entsteht also nicht beim Überlegen, sondern beim Akt des Schreibens. Da nämlich, wo ein Fehler nicht beim Überlegen zustande kommen kann, geht man auch nicht mit sich zu Rate. Wo dagegen das Wie überhaupt nicht festgelegt ist, da eben ist ein Fehler (möglich).« 45
Die von Aristoteles zuvor gegebene Erörterung über den Gegenstand einer Entscheidung verdeutlicht die Gründe seiner Schlussfolgerung. Analog zum Verhältnis von Wille und Vorsatz können weder das Streben noch der Wille oder die Überlegung allein Gegenstand der Entscheidung sein. Beschlossen werden nach Aristoteles nicht
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die Endziele, sondern die Mittel, diese zu erreichen. Kein Kranker, so illustriert Aristoteles, entschließt sich zur Gesundheit, aber er entscheidet über die Mittel, um gesund zu werden. Die Entscheidung befasst sich demnach mit der Frage, was im Falle einer Wahl vorzuziehen sei, was unter den gegebenen Umständen besser oder schlechter zu sein scheint. Auf diese Weise verbindet die Entscheidung das Überlegen mit dem Streben.46 Thema des Entscheidens ist mit Aristoteles die Frage nach den praktischen Mitteln, die herangezogen werden können, aber nicht müssen, um ein nicht weiter begründbares, durch den nous festgestelltes Ziel zu verwirklichen. Über das Ziel selbst kann jedoch nicht entschieden werden, denn es steht als vom nous eingesehenes fest. Die bis dato entwickelten Gedanken über das Verhältnis von Wissen und Wahrnehmung in solchen Erwägungen des Vorsätzlichen werden nun von Aristoteles durch die Frage nach dem Verhältnis von Ausführung und Entschluss ergänzt. Im oben angeführten Zitat heißt es, der Fehler liege – sofern die Mittel nicht falsch gewählt wurden – in der Ausführung, nicht in der Überlegung. Wer also einen Namen nicht orthographisch korrekt schreibt, der hatte sich nicht vorgenommen, einen anderen zu benennen, sondern er vollzieht das Schreiben des Benannten inkorrekt. Die Abweichung liegt demnach für Aristoteles im Handeln, nicht im Denken oder im Entschluss, da die Ausführung, sofern die dahinterliegende Überlegung richtig ist, sich mit dem Entschluss decken muss. Da Anscombe in ihrer Untersuchung der Absicht wesentlich auf das logische Verhältnis von Ereignis und Beschreibung abhebt, entlehnt sie nur die Wendung von Aristoteles, die die Differenz zwischen dem, was jemand tatsächlich schreibt, und dem, was er zu schreiben glaubt, wiedergibt: »Hier handelt es sich […] nicht um ein falsches Urteil, sondern um eine verfehlte Ausführung«47 und untermauert das Verhältnis von Beschreibung und Handlungsvollzug anhand einer biblischen Begebenheit: Petrus hat sich »was die Verleumdung Christi betrifft, zwar nicht anders besonnen, aber es wäre dennoch nicht richtig zu behaupten, er habe gelogen, als er Jesus Treue gelobte«.48 Die Verleumdung war nach Anscombe des-
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halb keine Lüge, weil Petrus, während er Jesus sein Versprechen gab, nicht im Sinn hatte, seinen Herren zu verleugnen.49 Doch wie verhält sich Petrus’ Aussage dann zu dem, was er letztlich tat? Worauf verweist die Tatsache, dass Jesus seinem Jünger sagen konnte, er würde ihn, bis der Hahn kräht, dreimal verleugnen? Genau diese Frage nach dem Verhältnis von Aussage und Handlung benennt Anscombe als ihre Aufgabenstellung: »Welche wahren Aussagen über die Absichten der Menschen können wir mit Sicherheit konstatieren, und woher wissen wir, dass sie wahr sind?«50 Um sie zu beantworten, behandelt Anscombe jene Punkte, auf die mit Aristoteles im ersten Kapitel dieses zweiten Teils eingegangen wurden und die sich im Zitat aus Magna Moralia wiederholen. Wie werden Handlungen gewusst, wie verhält sich dieses Wissen zum Handlungskontext, worauf bezieht sich die Rede vom Willen bzw. der Absicht und was wird im Sinne des Vorsätzlichen erwogen? Den Ansatzpunkt für die Entfaltung des Sprachspiels der Absicht mithilfe der Frage nach den Wahrheitsbedingungen der Aussagen über Absichten bildet Anscombes These, dass sich die meisten wahren Aussagen, die ein Akteur über eine Handlung treffen würde, mit denen decken, die andere machen würden.51 »Zur Zeit sitze ich auf einem Stuhl und schreibe, und jeder, der in derselben Welt wie ich zu einem mündigen Bürger herangewachsen ist, würde das erkennen, sobald er mich sähe; und im allgemeinen wäre eben dies die Schilderung meines Tuns, die ihm als erste in den Sinn käme.«52 Diese Textstelle, durch die Anscombe ihr eigenes Anliegen verdeutlichen will, gibt ausdrücklich keine inneren Akte des Schreibenden wieder, die es erlauben, seine Handlung als Schreiben zu verstehen. Es schildert schlicht den Handlungsvollzug: »Zur Zeit sitze ich auf einem Stuhl und schreibe.« Mindestens ebenso bemerkenswert wie die Vollzugsbeschreibung zur Anzeige einer absichtlichen Handlung ist die Weiterführung dieser Beschreibung. Jeder andere, der in derselben Welt lebt wie der Beschreibende, würde die gleiche Beschreibung geben. Die Absichtlichkeit der Handlung impliziert so in keiner Weise ein Privileg der Schreibenden gegenüber ihrem Beobachter, der aus einem besonderen Zugang
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des Handelnden zu seinem Tun resultiert. Vielmehr decken sich die beiden Beschreibungen des Handlungsvollzuges, da diese Beschreibung nichts übrig lässt, das nur der Schreibende selbst wiedergeben könnte. Es bleibt kein Rest, der nur dem Akteur vertraut ist und der es erlauben würde, das Schreiben als absichtliche Handlung zu begreifen. Die Beschreibung greift aus jeder Perspektive das auf, was das Geschehen als Handlung vorstellt: einen Schreibvollzug. Ein weiterer Hinweis auf die Absichtlichkeit des Schreibens ist nicht erforderlich, da die Beschreibung des Ereignisses als Schreiben bereits vorführt, dass es sich um ein absichtliches Ereignis handelt. Sofern das Geschehen als absichtliches Ereignis aufgefasst werden kann, steht auch fest, welche Handlung vorliegt. Die Aussage, dass Anscombe schreibt, wird nicht von jener vorbereitet, dass sie handelt, gleichwohl ist schreiben eine Handlung. Alltäglich – also sofern alle Beteiligten in derselben Welt aufgewachsen sind – verhält es sich zumeist umgekehrt: Es wird erfasst, was getan wird, und damit zugleich ausgewiesen, dass ein absichtliches Ereignis vorliegt. Ich brauche, wenn ich in die Küche komme und sehe, dass mein Mann kocht, nicht nachsehen oder nachfragen, ob er das Essen absichtlich zubereitet. Ich erfasse, insofern ich begreife, was er tut, dass er es tut. Dem Verhältnis von Handlungsvollzug und Handlungsbeschreibung sowie der Identität dieser Beschreibungen aus unterschiedlichen Perspektiven wird nun nachgegangen. Hierfür wird im Kontrast zum eben betrachteten Schreiben auf ein Beispiel eingegangen, das Anscombe anführt, um zu zeigen, dass in Fällen, in denen die Beschreibung einer Handlung misslingt, niemand weiß, was der Handelnde tut. Damit steht dann die erste Antwort auf die Frage, weshalb wir eine Handlungsbeschreibung verstehen, ohne auf die Struktur dieser Beschreibung aufmerksam gemacht werden zu müssen, fest: Wir verstehen eine Handlungsbeschreibung als solche, sofern sie auch alle anderen verstehen. Dieses Verstehen, so wird sich zudem herausstellen, geht darauf zurück, dass der Akteur kein Verhältnis zu seiner Handlung haben kann und die Struktur der Handlungsbeschreibung jener des Handlungsvollzugs folgt.
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Wir wissen, wenn uns jemand eine Handlung beschreibt, was jemand tut, da diese Beschreibung der Struktur des Handlungsvollzugs folgt. Anscombe stellt den Umständen, unter denen die Handlungsbeschreibung sowohl aus der Erste- als auch aus der Dritte-PersonPerspektive misslingt, eine Liste denkbarer, aber nicht wirklich aufschlussreicher Antworten auf die Frage ›Warum machst du das?‹53 voran. Mit diesen Antworten des Akteurs führt sie vor, dass in dem sogleich wiederzugebenden Fall selbst der Akteur nicht weiß, was er tut. »Das heißt, wenn jemand sein Haus nach allen grünen Büchern durchforstete, sie auf dem Dach ausbreitete und die Frage nach dem Warum sodann mit einem der genannten Sätze [›Kein besonderer Grund‹, ›Es kam mir einfach so in den Sinn‹] beantwortete, wären seine Worte unverständlich – außer etwa als Witz und Fopperei.«54 Die Gegenseitigkeit aus Handlung und Kontext ergibt aus sich heraus keinen Sinn. Selbst wenn für beide eindeutig ist, dass die Handelnde all ihre grünen Bücher auf das Dach des Hauses bringt, bleibt unverständlich, was sie macht, insofern sie ihre Bücher in dieser Weise umräumt. Anders verhält es sich, wenn jemand Wasser aufsetzt. Denn das Wasseraufsetzen kann anhand der Umstände, unter denen es geschieht – z.B. an einer möglicherweise bereitgestellten Teekanne –, als Teekochen beschrieben werden.55 Doch für das Umhertragen der Bücher findet sich keine Beschreibung, die anzeigen würde, was diejenige, die ihre Bücher auf das Dach ihres Hauses bringt, gerade macht, insofern sie dies tut. Es fehlt eine Beschreibung, die die Handlung, das Umhertragen der Bücher, adäquat in den Kontext einordnet, in dem es sich vollzieht. Es fällt schwer, ihr Tun etwa als Aufräumen zu beschreiben, da nicht deutlich wird, welche Handlung die einzelnen Schritte in diesem Kontext ergeben. Sie lassen sich in ihrer Kontextualität nicht durch eine Beschreibung fassen, die das Herumtragen so erweitert, dass, wie Anscombe meint, deutlich würde, was die Handelnde über das Herumtragen hinaus tut.56 Selbst auf Nachfrage kann die Handelnde im Beispiel nicht auf diese Handlung und damit auf die durch ihr Handeln bestimmten Umstände hinweisen. Wie kommt
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es, dass beide Beteiligten bei dieser Lage der Dinge nicht wissen, welche Beschreibung das Tun zu einer Handlung zusammenfügt? Anscombe befasst sich mit dem Problem in Anlehnung an Wittgenstein und betrachtet zwei verschiedene Formen der Unverständlichkeit.57 Hierfür wechselt sie von der Ebene der unmittelbaren Handlungsbeschreibung zur Beschreibung der Funktionsweise der Sprache. Aussagen können zum einen unverständlich sein, da sie Wortverbindungen verwenden, die die Sprache nicht zulässt. Zum anderen ist es denkbar, dass die Verwendung eines Satzes nicht mit dem Kontext, in dem er geäußert wird, in Einklang zu bringen ist. Angenommen, die Gefragte erwiderte ›Es kam mir so in den Sinn‹, bestünde die Herausforderung nicht darin, zu verstehen, was sie sagt, sondern darin, herauszufinden, was sie in diesem Zusammenhang damit meinen könnte. Was dem Fragenden mit dieser Antwort ausgeschlagen wurde, ist eine Beschreibung, die das Tun der Akteurin als diese oder jene Handlung kenntlich macht. Obwohl die erstgenannte Form der Unverständlichkeit letztlich nicht unmittelbar auf jene Unverständlichkeit passt, vor die die Antwort auf die in Rede stehende Nachfrage stellt, wird dennoch darauf eingegangen. Denn diese Unverständlichkeit, die entsteht, wenn Worte unzulässigerweise miteinander verbunden werden, enthält wichtige Hinweise darauf, weshalb es im Sprachspiel der Absicht keinen Platz für einen Akt der Absicht geben kann. Deshalb hilft sie zu klären, weshalb die Erwiderung der Akteurin im Bücherbeispiel unverständlich bleiben muss. Sätze, die in diesem ersten Sinn unverständlich sind, enthalten Wortverbindungen, die aus der Sprache ausgeschlossen sind, da ihr Sinn selbst sinnlos ist.58 So referiert Anscombe Wittgenstein und erläutert das Gemeinte an dem Satz »›Vielleicht haben blindgeborene Menschen visuelle Vorstellungsbilder‹.«59 Das Sinnlose dieses Satzes wird nach Anscombe erkennbar über die Argumente, die diese Verbindung der Worte ›blindgeboren‹ und ›visuelles Vorstellungsbild‹ aus der Sprache ausschließen. Gerechtfertigt wäre dieser Übergang von BlindgeborenSein zum Haben-Visueller-Vorstellungsbilder nur, wenn angegeben werden könnte, dass Blinde im Falle eines visuellen Vorstellungs-
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bildes das Gleiche erfahren wie Sehende. Nach welchem Maßstab ließe sich dies prüfen? Durch den Verweis auf das, was ein Sehender empfindet, wenn er sich etwas Gesehenes vorstellt? Wie sollte das angegeben und verglichen werden können? Dafür bräuchte es ein gemeinsames Kriterium.60 Doch auf ein solches Kriterium kann außerhalb der allen gemeinsam zur Verfügung stehenden Sprache nicht verwiesen werden. Der Begriff des visuellen Vorstellungsbildes verweist vielmehr auf das Sprachspiel des Sehens. Das Nachdenken über visuelle Vorstellungsbilder gelingt also nur unter den Vorzeichen der Möglichkeiten des Sehens. Deshalb ist die Verbindung zwischen Blindheit und visuellen Vorstellungsbildern sprachlich ausgeschlossen, insofern die Frage, ob ein Blindgeborener visuelle Vorstellungsbilder hat, nicht sinnvoll beantwortet werden kann, ohne auf das Sehen zu verweisen. Doch das Adjektiv ›blindgeboren‹ meint jemanden, der nicht sehen kann, auf den das Sprachspiel des Sehens also keine Anwendung findet.61 Inwiefern ist diese Feststellung für die Unverständlichkeit des Tuns im Falle des Umhertragens grüner Bücher aufschlussreich? Es würde der Handelnden nichts nützen, auf ihre ureigene Absicht zu verweisen, um den Fragenden darüber aufzuklären, was sie gerade macht, da sie keinerlei Kriterien hätte, nach denen sie diese Absicht und damit ihr Handeln verstehen, geschweige denn einem anderen verständlich machen könnte. Es gibt, wie sich sogleich noch deutlicher herausstellen wird, kein weiteres Kriterium für eine Handlung als das Handeln selbst. Deshalb schreibt Anscombe »›Grob gesprochen beabsichtigt man, das zu tun, was man tut.‹«62 Das Problem der Akteurin im hier betrachteten Beispiel liegt demnach schlicht darin, dass sie nicht angeben kann, was sie tut, indem sie alle grünen Bücher auf das Dach des Hauses legt. Sie macht etwas, das innerhalb des Umgangs mit Büchern und Dächern ausgeschlossen ist. Bücher werden gelesen und in Regalen aufgestellt und nicht als Dachziegel verwendet; Dachziegel wiederum eignen sich nicht zum Lesen. Die Handelnde verbindet also Sachverhalte, deren Verbindung, so wie sie sie knüpft, in der mit dem Beobachter geteilten Welt keinen Platz hat.
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Die Erwiderung der Akteurin ›Es kam mir so in den Sinn‹ auf die verwunderte Rückfrage ihres Gegenübers ist nicht in diesem starken Sinne rundweg unverständlich. Dennoch drückt ihre Antwort die Verlegenheit aus, in die der Fragende die Akteurin gebracht hat. Obwohl die Unverständlichkeit ihrer Antwort nicht darin begründet ist, dass der Satz ›Es kam mir so in den Sinn‹ als solcher sinnlos wäre, sondern darin, dass sich die Verbindung zwischen diesem Satz und dem vorliegenden Handlungskontext nicht erschließt, bringt er doch die Unverständlichkeit ihres Tuns zum Ausdruck. Denn wie mit Aristoteles erarbeitet, eröffnet der notwendige Bezug des Handelns auf seine Umstände die Möglichkeit, die Handlung zu verstehen. Es sind allerdings Kontexte denkbar, in denen ›Es kam mir so in den Sinn‹ eine zutreffende Antwort sein kann, ohne dass der Handelnde deshalb in einem solchen Fall eine Neubeschreibung seiner Handlung geliefert hätte. Sieht eine Frau ihren Mann, nachdem er sie mitten in einem ernsthaften Gespräch auf die Wange geküsst hatte, fragend an, ist die Antwort ›Es kam mir so in den Sinn‹ mitnichten sinnlos oder unpassend. Der Mann fügt seinem Kuss mit seiner Antwort nichts hinzu, da das Küssen zwischen diesen beiden Menschen ohnehin als Handlung verständlich – wiewohl unter diesen Umständen unerwartet – ist.63 Damit wiederholt sich der Kontextbezug des Handelns auch in der Verquickung von Handlung und Beschreibung. Fehlt die Konkretisierung dieses Bezugs zwischen Umstand und Handlung, steht auch keine Handlungsbeschreibung zur Verfügung, die das Geschehen verständlich werden ließe. Deshalb meint Anscombe, dass mit der Antwort ›Es kam mir so in den Sinn‹ zwar keine Wortverbindung aus der Sprache ausgeschlossen wird, aber »daß man diesen Menschen [diejenige, die die grünen Bücher aufs Dach bringt] nicht verstehen kann.«64 Der Fragende weiß so trotz dieser Antwort nicht, welche Beschreibung auf die Handlung passt, da sich das Handeln nicht von sich aus als Teil des gemeinsamen Lebenszusammenhangs bzw. des Kontextes erschließt. Auf seine Nachfrage erhält er wiederum eine Antwort, die nicht unter allen Umständen unzutreffend ist, die jedoch den vor-
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liegenden Handlungsumständen nicht korreliert. Im Unterschied zu dem herangezogenen Beispiel des Küssens, in dem eine Handlung, die innerhalb des gemeinsamen Lebens einen festen Platz hat, an unerwarteter Stelle auftaucht, ereignet sich im Bücherbeispiel etwas, das keinen solchen Ort hat und entsprechend auch nicht durch eine Beschreibung als diese Handlung verständlich gemacht werden kann. Der Akteur ist unter derart ungewöhnlichen Umständen also ebenso wenig in der Lage, sein Tun als das zu bestimmen, was es vorstellt, wie der Beobachter. Keiner von beiden kann das Geschehen so in den Kontext einordnen, dass sich sein Sinnzusammenhang erschließt. Absichtliches Handeln, wie Anscombe es thematisiert, vollzieht sich so gesehen im Kontext des Lebens und wird durch den Lebenszusammenhang, in den es eingebettet ist, als solches nachvollziehbar.65 Die Umstände, in denen sich eine Handlung vollzieht, bzw. der geteilte Lebenszusammenhang entscheiden also letztlich über die Verständlichkeit einer Handlung und liefern so die Möglichkeiten ihrer Beschreibung. Insofern der Lebenszusammenhang oder der Kontext, in Bezug auf den sich die Handlung vollzieht, kein privater, sondern ein geteilter ist, kann auch die Beschreibung, die durch die Kontextualität der Handlung eröffnet wird, keine private sein. Steht eine Beschreibung des Ereignisses zur Verfügung, die es als absichtliches und damit als Handlung ausweist, so ist diese Beschreibung allen gleichermaßen zugänglich. Ein systematisch einsamer Akteur wüsste schlicht nicht, was er tut, da er – wie das Beispiel des Sehens als Voraussetzung für visuelle Vorstellungsbilder zeigt – keinen Maßstab dafür hätte, wie das, was geschieht, zu begreifen ist. Diesen ›Maßstab‹ oder diese notwendige Konkretisierung bildet der Kontext, in dem sich das Handeln ereignet, den das jeweilige Tun als das konstituiert, was er vorstellt. Warum verstehen wir also, was jemand tut, wenn uns berichtet wird, jemand schreibe? Zum Zwecke einer Antwort soll der Unterschied zwischen der Handlung des Schreibens und des Bücher-Umhertragens herausgearbeitet werden. Steht wie im Falle des Bücher-Umhertragens die Passung zwischen Kontext und Hand-
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lung zur Disposition, findet sich keine Beschreibung dafür, was der Akteur tut, insofern er bestimmte einzelne Schritte unternimmt. Während im Falle des Schreibens eindeutig ist, was eine Frau tut, die an einem Tisch sitzt und mit einem Stift über einen Bogen Papier fährt, fehlt dieser Zusammenhang zwischen der Suche nach den grünen Büchern und deren Ablegen auf dem Dach. Derjenige, der zu Anscombe ins Zimmer tritt, erkennt die Umstände sofort als jene des Schreibens, und beide, Anscombe und der Hinzutretende, liefern die gleiche Beschreibung dessen, was geschieht. Sie teilen das Verständnis dessen, was sich in diesem Kontext ereignet. Doch derjenige, der sieht, wie alle grünen Bücher auf das Dach des Hauses gebracht werden, weiß nicht, welchem Unstand mit diesem Handeln entsprochen werden soll. Auf Nachfrage merkt er, dass die Akteurin ebenso ahnungslos ist wie er selbst. Selbst der Handelnden steht kein anderes Kriterium der Handlungsbeschreibung zur Verfügung als die Struktur des Handlungsvollzuges, der durch seine Kontextualität konstituiert wird. Deshalb betont Anscombe, dass die Beschreibung zu einer Handlung nichts ergänzt: »Wenn man eine Handlung als absichtlich kennzeichnet, fügt man dem, was ihr zum Zeitpunkt der Ausführung zukommt, nichts hinzu. Wird die Handlung als absichtliche bezeichnet, ordnet man sie der Klasse der absichtlichen Handlungen zu.« 66
Eine Handlungsbeschreibung nimmt also, so ist im Anschluss an die soeben gelieferte Analyse festzuhalten, jene Gegenseitigkeit aus Handlung und Kontext auf, die den Handlungsvollzug bestimmt und das Geschehen als absichtliches Ereignis verständlich werden lässt, ohne auf die vorbereitenden Überlegungen oder die Konsequenzen einer Handlung eingehen zu müssen. Sie schildert das Ereignis, wie es sich im Augenblick des Handelns vollzieht. Die Aussage ›Lisa hat eine Geburtstagskarte geschrieben‹ trifft hingegen eine Feststellung darüber, was Lisa getan hat, und schildert keinen Handlungsvollzug. Sie berichtet über Lisa, nicht über
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ihr Tun. Ausschlaggebend für die Richtigkeit dieser Feststellung ist, ob Lisa die Karte geschrieben hat und nicht die Passung zwischen Handlung und Kontext. Wenn Lisa die Gratulation nicht verfasst hat, ist diese Aussage zwar falsch, aber nicht unverständlich, wohingegen für das Herumtragen der grünen Bücher keine, nicht lediglich eine falsche Beschreibung zur Verfügung steht. Für zukünftige Handlungen gilt dies nicht, da sie ausdrücken, was jemand zu tun beabsichtigt, ohne jedoch ein Ereignis als Handlung zu beschreiben. Ob Lisa, wenn sie sich vorgenommen hat, ihrem Freund zu gratulieren, ihm tatsächlich schreibt, zeigt sich erst im Schreiben. Ihr Vorsatz erlaubt deshalb für Anscombe nicht, das absichtliche Ereignis ›Gratulieren‹ vorwegzunehmen. »Die einzigen Ereignisse, die hier in Betracht zu ziehen sind, sind die absichtlichen Handlungen selbst; und wenn man eine Handlung als absichtliche bezeichnet, so sagt man damit: Absichtlich sei sie unter einer bestimmten Beschreibung, die man angibt (oder angeben könnte).« 67
Hier wird eine Beschreibung definiert, die ein Ereignis fasst, das sich augenblicklich ereignet: Eine Handlung im Vollzug. Doch diese Beschreibung kann nur gelingen, sofern die Gegenseitigkeit aus Handlungsvollzug und Kontext, die das Ereignis konstituiert, während des Handelns intersubjektiv einsichtig ist. Aus diesem Grund sind Handlungsbeschreibungen aus unterschiedlichen Perspektiven stets in der gleichen Weise möglich. Was Anscombe als Akteurin als ›Schreiben‹ bezeichnet, kann der Gast auch als ›Schreiben‹ fassen, da sonst – wie das Bücherbeispiel verdeutlicht – beide nicht wüssten, was geschieht. Wir verstehen den Bericht über eine Handlung, insofern er die Gegenseitigkeit von Kontext und Handlungsvollzug angibt. Natürlich weiß niemand aus der Angabe ›Lisa schreibt eine Geburtstagskarte‹ wann, wo und wie Lisa ausdrücklich schreibt, etwa, welche Karte sie gewählt hat, ob sie am Schreibtisch oder am Küchentisch sitzt und welchen Stift sie benutzt, aber wir wissen, dass sich dieses Schreiben im Kontext
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des Gratulierens vollzieht. Wir wissen aus dieser Beschreibung, was Lisa tut, insofern sie schreibt. So zeichnet sich eine erste Bestätigung des Aristotelischen Leitsatzes, der Fehler läge in der Ausführung, nicht im Urteil, ab, die die bisherigen Ergebnisse illustriert. Nicht, was die Akteurin im Bücherbeispiel sagte, war grundsätzlich ein Fehler, sondern das, was sie getan hat. Da in ihrem Tun unklar bleibt, welchen Kontext es bestimmt, kann auch keine Beschreibung gefunden werden, die es in die Umstände einbettet. Aus dieser Not heraus pariert die Akteurin die Rückfrage mit einer Erwiderung, die zwar nicht in den Kontext eingefügt werden kann, aber doch unter anderen Umständen verständlich ist. Dieser Widerspruch zwischen Umstand und Aussage belegt, dass es keinen vorrangigen Zugang der Akteurin zu ihrem Handeln gibt. Sie muss, um überhaupt eine Antwort geben zu können, auf eine Erwiderung ausweichen, die in anderen Kontexten sinnvoll ist, die aber aktuell nicht treffend ist und auf diese Weise bei der Handelnden die gleiche Ratlosigkeit offenbart wie beim Fragenden. Entweder steht also eine Handlungsbeschreibung zur Verfügung, die der intersubjektiven Kontextualität folgt und so aus beiden Perspektiven in Deckung gebracht werden kann, oder es findet sich für niemanden ein Kontextbezug, der die Handlung verständlich macht.68 Ein Ereignis als Handlung schildern, heißt demnach, eine Beschreibung abgeben, die es als absichtliches sichtbar macht. Doch weshalb verweist eine Beschreibung, die ein Ereignis als absichtliches fasst, nicht auf den Akteur und seine Absichten? In Richtung der Antwort deutet das Aristoteleszitat, in dem das Verhältnis zwischen Handlungsvollzug und Beschreibung thematisiert wird. Wenn jemand das Wort, das er gerade schreibt, nicht richtig schreibt, so handelt es sich um einen Fehler in der Ausführung, nicht in der Absicht. Unterläuft jemandem ein solcher Fehler, vollzieht er, da die Absicht der Handlung nichts hinzufügt, keine andere absichtliche Handlung, auch wenn er versehentlich einen orthographischen Fehler begeht. Wird ›Archikles‹ falsch geschrieben, kommt nicht das Schreiben des Namens ›Archikles‹ zum Erliegen, die Durchführung wird deshalb nicht unterbrochen, aber das,
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was die Beschreibung der Durchführung wiedergibt, wird nicht korrekt ausgeführt. Um diese Abweichung festzustellen, genügt es zu wissen, was der Betreffende macht. Weder ein Verweis auf die Überlegungen, die dazu geführt haben, dass der Handelnde den Namen aufschreibt, noch Auskünfte über seine Persönlichkeit sind erforderlich, um zu verstehen, dass demjenigen, der ›Archikles‹ ohne ›r‹ schreibt, ein Rechtschreibfehler unterläuft. Selbst wenn jemand den Namen ›Archikles‹ erklärtermaßen falsch schreibt, hat er ihn falsch geschrieben. Auf einen Akt der Absicht kommt es bei dieser Beschreibung des Handlungsvollzuges nicht an. Mit Anscombe lässt sich so kein Träger der Absicht nachweisen, der sich seiner Trägerschaft bewusst ist und auf den zu diesem Zweck verwiesen werden könnte. Was käme als Kriterium einer solchen Trägerschaft in Frage, wenn Vorsätze keinen Rückschluss auf die Handlung erlauben und vergangene Ereignisse nicht als Handlungen beschrieben werden können? Das Einzige, was einen Schreibenden als solchen bestimmt, ist das Schreiben. Deshalb ist ein Handelnder systematisch nicht von einer Handlung abzulösen. Insofern ich über Schreiben erzähle, berichte ich auch über einen Schreibenden. Wie dieser Schreibende persönlich zu seinem Schreiben steht, erweist sich dabei als sekundär. Das Schreiben als Anhaltspunkt dafür, dass der Schreibende der Handelnde in diesem Handlungsvollzug ist, steht deshalb am allerwenigsten dem Schreibenden selbst zur Verfügung. Anscombe bringt diesen Zusammenhang auf die Formel »Ich tue, was geschieht«69 und pointiert damit, was das ganze Unterkapitel belegen wollte: Handlungen folgen in ihrer Beschreibung der Struktur des Handlungsvollzuges, insofern zu ihrer Beschreibung nichts weiter herangezogen werden kann als die Handlung selbst. Als absichtliche Ereignisse lassen sie sich beschreiben, insofern jemand tut, was geschieht. Dabei gehört der Handelnde dem Geschehen an, bestimmt sich als Handelnder erst im Geschehen, da Handlung und Handelnder gleichursprünglich sind. Der Handelnde hat keine Beziehung – und entsprechend auch keine Absichtsbeziehung – zu seinem Tun. Er muss sich im Handeln oder, um zu handeln, nicht zu seinen Handlungen ins
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Verhältnis setzen. Als Akteur ist er im Handlungsvollzug nicht von seinem Handeln zu unterscheiden. Jedes Handeln impliziert einen Handelnden und jede Handlung erfordert einen Handelnden. Aber diese Gegenseitigkeit impliziert kein Verhältnis der Gegenseitigkeit, sondern verweist auf eine Gleichursprünglichkeit, die sich nicht in eine Beziehung zwischen Akteur und Handlung überführen lässt. Der Handelnde tut, was geschieht, daher ist er einerseits, da er es ist, der tut, was geschieht, systematisch nicht von seinem Tun unterscheiden. Andererseits stehen ihm selbst nur jene Beschreibungen des Geschehens zur Verfügung, die ein anderer an seiner Stelle geben könnte, denn die Beschreibung als absichtliches Ereignis konkretisiert jene intersubjektive Gegenseitigkeit von Kontext und Handlung, die sein Handeln vollzieht. Diese letzte Begründung für die Strukturgleichheit von Handlungsvollzug und Beschreibung bestätigt, dass es sich mit der Absicht genauso verhält wie mit dem visuellen Vorstellungsbild. Über das hinaus, was es thematisiert, findet sich nichts, worauf zu seiner Verdeutlichung noch verwiesen werden könnte. Im Hintergrund des Handelns ereignet sich ebenso nichts wie auf der ›Rückseite‹ des visuellen Vorstellungsbildes, worauf gezeigt werden müsste, um die Handlung zu verstehen und den Akteur mit seinem Tun zu verbinden. Das Vorkommen von Handlungen erlaubt keine Rückschlüsse auf ein ebensolches Vorkommen der Absicht. Deshalb gibt es im Sprachspiel der Absicht nach Anscombe keinen Platz für einen Akt der Absicht, denn woher ist gewiss, worüber dabei gesprochen wird? Wir verstehen demnach einen Bericht darüber, was jemand augenblicklich tut, ohne jeden Hinweis auf seine Absichten, da dieser Bericht die intersubjektive Gegenseitigkeit aus Handlung und Kontext aufgreift. Der Handelnde gehört dieser Gegenseitigkeit, die sein Handlungsvollzug bestimmt, an und hat deshalb kein Verhältnis zu seinem Tun, das es ihm ermöglichte, eine andere Beschreibung seines Handelns zu geben als jene, die auch allen anderen offen steht. Aus diesem Grund ist der Hinweis auf die Einstellung eines Akteurs zu seinem Tun müßig, wenn es darum geht, die Frage zu beantworten, warum wir wissen, was wir tun, während wir
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es tun. Allerdings drängt sich dann das Problem auf, welche Art von Wissen einem Geschehen und seiner Beschreibung entspricht, das sich nur in seiner Gegenwärtigkeit fassen lässt und dessen Beschreibung auch dann noch zutreffend ist, wenn es sich tatsächlich anders vollzieht als die Beschreibung angibt?
3.2.2 Praktische Ereignisbeschreibungen In der Auseinandersetzung mit der Frage, warum wir wissen, was wir tun, während wir es tun, stehen wir mit der bisherigen Antwort, wir wüssten es, da die Beschreibung der Struktur des Handlungsvollzuges folge, vor der Herausforderung, mit welchem Wissen der Handlungsvollzug einhergeht. Es sollte sich dabei um ein Wissen handeln, das nicht schlicht das spiegelt, was geschieht, und dessen Wahrheitsgrad sich nicht an der Genauigkeit der Wiedergabe des Ereignisses bemisst. Denn die Beschreibung – nicht das Ereignis – steht im Zweifel für das, was zutreffend ist, und nicht der Vollzug. »Hier handelt es sich«, wie Anscombe immer wieder mit Aristoteles betont, »nicht um ein falsches Urteil, sondern um eine verfehlte Ausführung.« 70 Der Vorrang der Beschreibung vor der Ausführung wird verständlich, wenn erörtert wird, wie sich theoretisches und im Handeln liegendes Wissen voneinander unterscheiden. Anhand des Unterschiedes zwischen theoretischem und im Handeln liegendem Wissen stellt sich erstens heraus, weshalb Handlungen als absichtliche Ereignisse aufgefasst werden müssen und es klärt sich zweitens, warum die systematische Gegenseitigkeit von Handlung und Handelndem nicht in einem wie auch immer gearteten Verhältnis des Akteurs zu seinem Tun aufgelöst werden kann. Das Fehlen eines solchen Verhältnisses begründet drittens die Identität der Handlungsbeschreibungen aus unterschiedlichen Perspektiven. Um diese drei Aspekte ausleuchten zu können, muss gewissermaßen hinter die erkenntnistheoretischen Kulissen des Sprachspiels der Absicht geblickt und die Eingangsfrage nach der Wissensform, aus der diese Beschreibung hervorgeht, beantwortet werden. Hierfür wird das Beispiel herangezogen, mit dem Anscombe das
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Aristoteleszitat aus den Magna Moralia erläutert, um die Besonderheit dieses Wissens kenntlich zu machen. Diese Charakteristika entfaltet Anscombe – und so auch der vorliegende Text – dann in Auseinandersetzung mit Aristoteles’ Konzept des praktischen Schließens. Dabei führt sie vor, inwiefern im Fokus eines praktischen Schlusses nicht die Konklusion, sondern die darin ausgedrückten Bezüge liegen, und welche Rolle Wünschen und Wahrnehmen dabei spielen. Der praktische Schluss thematisiert nicht die Wahrheit eines theoretisch gewussten Sachverhaltes, sondern beschreibt, wie herauszuarbeiten sein wird, jene Bezüge, die das im Handeln liegende Wissen konstituiert.
3.2.2.1 Der Unterschied zwischen theoretischem und im Handeln liegendem Wissen Im erwähnten Beispiel, mit dem Anscombe die Aristotelische Wendung erläutert, um das Verhältnis der beiden Wissensformen zu beleuchten, konstruiert sie ein Szenario, in dem beide Wissensformen aufeinandertreffen. Ein Mann geht mit einer Einkaufsliste durch die Stadt und macht die dort aufgeführten Besorgungen. Dabei wird er von einem Detektiv beschattet, der eine Liste darüber erstellt, was der Beschattete kauft. Wie verhalten sich nun die beiden Listen zu dem Einkauf des Mannes? Das je unterschiedliche Verhältnis der jeweiligen Liste zu den Produkten, die der Mann erwirbt, gibt Aufschluss darüber, welcher Wissensform die Liste geschuldet ist. Hat der Mann – vorausgesetzt die äußeren Umstände stellten kein Hindernis dar – nicht gekauft, was auf der Liste steht, liegt der Fehler in der Ausführung. Protokolliert der Detektiv die falschen Produkte, hat er eine fehlerhafte Liste erstellt.71 Dass der Detektiv nicht korrekt arbeitet, sofern er etwas anderes aufführt als der Mann kauft, leuchtet unmittelbar ein. Wenn jemand ein Ereignis beobachtet und dann unzutreffend wiedergibt, so hat er einen Beobachtungsfehler gemacht, der zu einer falschen Beschreibung führt. Vermerkt der Detektiv der Mann hätte Butter besorgt, obwohl dieser Margarine genommen hat, war die Beobachtung dessen, was der Mann kauft, ungenau. Der Detektiv hätte genauer hinsehen müssen, was der
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Mann in seinen Einkaufskorb legt. Wichtig für den Unterschied zwischen den beiden Wissensformen ist, dass der Detektiv zwar das Einkaufen beschattet, aber die Artikel, die der Mann kauft, notiert. Interessanterweise täuscht sich der Detektiv, wenn er sich in den Produkten irrt, die der Mann zur Kasse bringt, nicht darüber, dass der Mann einkauft. Das Einkaufen lässt sich nicht beobachten und ermöglicht damit auch keine Beobachtungsfehler. Aber insofern der Mann einkauft, kann der Detektiv beobachten, ob er Margarine oder Butter holt. Der Detektiv beobachtet nicht, dass der Mann einkauft, sondern was er kauft. Das Einkaufen als solches lässt sich nicht beobachten. Dass Handlungsvollzüge nicht beobachtet werden können, aber unter Umständen erlauben, ihr Resultat durch Beobachtung zu prüfen, wird an einem alltäglichen Beispiel leichter deutlich als an der von Anscombe konstruierten Szene zur Kennzeichnung der Differenz zwischen theoretischem und im Handeln liegenden Wissen. Überprüft jemand, ehe er das Haus verlässt, ob er die Kaffeemaschine, den Herd und das Radio ausgeschalten hat, vergewissert er sich nicht seines Handelns. Eine solche nachträgliche Vergewisserung wäre unmöglich, da der Handlungsvollzug bereits abgeschlossen ist. Er sieht nach, ob die Geräte ausgeschalten sind. Diese Kontrolle ist deswegen sinnvoll, da sich das Ausschalten, das das beobachtbare Resultat ›ausgeschaltetes Gerät‹ hervorbringt, auch während seines Vollzugs nicht (selbst)beobachtend verfolgen lässt. Durch Beobachtung geprüft werden kann nur im Nachhinein, ob die Kaffeemaschine, der Herd und das Radio ausgeschalten sind, das Ausschalten als solches kann zu keiner Zeit beobachtet werden. Jemand, der diese Prüfung vornimmt, sieht also nach, ob er seine Haushaltsgeräte ordnungsgemäß hinterlässt, da er kein beobachtbares Kriterium für das Ausschalten selbst hat.72 Doch weshalb kauft der Mann nach Anscombe nicht die richtigen Produkte, sofern er ohne einen äußeren Grund oder eine Änderung seiner Vorhaben in seinem Einkaufsverhalten von der Liste abweicht? Es scheint doch unproblematisch zu behaupten, der Einkaufszettel beschreibe das Ereignis dieses Einkaufens nicht richtig
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und müsse deshalb neu verfasst werden, wenn es darum geht zu sagen, was der Mann tatsächlich besorgt hat. Der Fehler besteht jedoch nicht in der zuvor verfassten Liste als Ausdruck eines Vorhabens oder in einer vorab verfassten praktischen Ereignisbeschreibung, sondern in der Ausführung.73 Denn das Wissen um das Einkaufen entsteht erst mit seinem Vollzug. Insofern der Mann die Produkte in den Einkaufskorb legt, weiß er, dass er sie hineingelegt hat. Wenn er Butter kaufen soll und dann zur Margarine greift, hat er seinen Plan falsch ausgeführt und keine falsche Entscheidung getroffen. Der einkaufende Mann tut, was geschieht. Wenn er in Bezug auf sein Tun angibt, was er macht, und sein tatsächliches Handeln stimmt damit nicht überein, dann ändert sich nicht der Bezug zwischen Handlung und Beschreibung, sondern der Bezug wurde nicht richtig vollzogen.74 Dieser Fehler im Vollzug lässt sich nicht durch eine Neubeschreibung der Handlung – im Rahmen des Beispiels etwa einer neuen Einkaufsliste – sondern nur durch eine neue Ausführung korrigieren. Hat der Mann Margarine statt Butter gekauft, muss er erneut einkaufen, um das richtige Produkt zu erhalten. Damit diese Differenz zwischen den Funktionen der beiden Listen – einmal als Vorhaben und das andere Mal als Protokoll –, auf die Anscombe hinweisen will, erkennbar wird, ist zu untersuchen, was die jeweilige Liste festhält. Die Tatsache, dass beide im Idealfall dieselben Produkte umfassen, sagt letztlich nichts darüber aus, was mit den aufgelisteten Produkten wiedergegeben wird. Der Detektiv führt in seinem Protokoll nicht das Einkaufen des Mannes auf, sondern gewissermaßen die Resultate dieses Einkaufs. Er beobachtet, was der Mann kauft, nicht wie er einkauft, und sieht deshalb nach, was in dessen Einkaufskorb gelangt. Der Mann hingegen kauft ein, was auf seiner Liste steht. Beim Einkaufen sind die Produkte als solche nicht ausdrücklich relevant, denn sie sind Teil des Kaufens und keine beobachteten Gegenstände. Die Liste des Detektivs protokolliert folglich tatsächlich Beobachtungsgegenstände. Die Einkaufsliste des Mannes gibt an, was dieser zu kaufen vorhat. Die Ware ist nur in Bezug auf sein Kaufen bedeutsam. Deshalb besteht der Fehler im
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Zweifel im Kauf, nicht in der Liste.75 Im Falle des Detektivs verhält es sich umgekehrt: Hat dieser nicht sorgfältig hingesehen und den falschen Artikel notiert, hat er einen Beobachtungsfehler gemacht und entsprechend etwas anderes verzeichnet als der Mann gekauft hat. Während der Detektiv die Einkäufe – nicht das Einkaufen – beobachtet, beobachtet der Einkaufende selbst sie gerade nicht. Der Beobachter weiß theoretisch über die Lebensmittel, die der Mann gekauft hat, der Käufer weiß im Handeln von seinem Einkaufen; die gekauften Produkte als solche kommen darin gar nicht vor. Worin liegt nun die Schwierigkeit, diesen Unterschied einzusehen? Die Schwierigkeit besteht, so antwortet Anscombe, darin anzuerkennen, dass die beiden Formen des Wissens sich in völlig verschiedener Weise auf denselben Sachverhalt beziehen: »Das Wissen muß [im Verständnis der neuzeitlichen Philosophie] etwas sein, was aufgrund seiner Übereinstimmung mit den Tatsachen als Wissen gilt. Die Tatsachen – die Wirklichkeit – haben Vorrang und schreiben vor, was gesagt werden muß, sofern es sich um Wissen handelt. Das erklärt die völlige Dunkelheit, in der wir uns befinden. Denn wenn es zwei Formen des Wissens gibt – ein Wissen durch Beobachtung und ein in der Absicht liegendes Wissen –, sieht es so aus, als müsse es zwei Gegenstände des Wissens geben. Doch wenn es dann heißt, die Gegenstände seien identisch, sucht man im Handeln nach dem anderen Modus des kontemplativen Wissens, so als gäbe es mitten im Handeln ein sehendes Auge ganz seltsamer und besonderer Art.« 76
Um diese Schwierigkeit zu meistern, gilt es darauf zu achten, dass theoretisches und im Handeln liegendes Wissen sich nicht durch ihre je eigenen Gegenstände auszeichnen. Sie unterscheiden sich durch ihren je unterschiedlichen Bezug zu möglicherweise ein- und demselben Gegenstand. Das theoretische Wissen bemisst sich am Gegenstand, den es erfasst. Notiert der Detektiv das falsche Produkt, hat er nicht richtig hingesehen und folglich fehlerhaft protokolliert. Im Unterschied dazu bestimmt sich das im Handeln liegende Wissen erst im Vollzug. Erst nachdem der Mann eingekauft
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hat, lässt sich prüfen, ob sich seine Liste mit seinem Einkauf deckt. Mit Anscombe dreht sich deshalb das Verhältnis von Tatsache und Wissen, verglichen mit dem theoretischen Wissen, im Falle des im Handeln liegenden Wissens um. Das im Handeln liegende Wissen ist kein Wissen von einem Sachverhalt, an dem sodann die Richtigkeit dieses Wissens geprüft werden könnte wie das Protokoll an den gekauften Produkten. Es konstituiert sich als gewusster Sachverhalt im Gleichschritt mit dem Wissen selbst. Deshalb lässt sich der Sachverhalt am Wissen prüfen und nicht das Wissen am Sachverhalt. Das zu kaufende Produkt steht fest, ehe es gekauft wurde, doch erst während es gekauft wird, entscheidet sich, ob sich dieses Wissen erfüllt. Im Kaufen wird die Butter also nicht beobachtet; die Butter ist der zu kaufende Gegenstand, aber nicht das im Einkaufen Gesehene. Obwohl sich sowohl die Beobachtung als auch das Handeln jeweils auf die Butter beziehen, unterscheidet sich die jeweilige Bezugnahme grundlegend. Das Einkaufen vollzieht sich zwar in Bezug auf die Butter, aber damit wird sie nicht zum Gegenstand der Beobachtung oder des Einkaufens. Im Handeln ›versteckt‹ sich kein Sehen, das die Tat durch die Beobachtung der Butter verständlich machen würde. Nichtsdestotrotz ist es im Modus des theoretischen Wissens möglich, die Butter als gekaufte Ware zu beobachten und mit ins Protokoll aufzunehmen. Da das Handeln nicht sichtbar ist, wie die Butter gesehen werden kann, lässt es sich auch nicht beobachten. So ist es dem Detektiv zwar möglich zu beobachten und zu protokollieren, ob Butter oder Margarine in den Einkaufskorb gelegt wird, doch das Einkaufen selbst kann er weder sehen noch in sein Beobachtungsprotokoll aufnehmen. Zwischen den beiden Protagonisten dieser Szene besteht deshalb ein Unterschied im Hinblick auf die Art und Weise, wie sich ihr Wissen auf das gekaufte Produkt bezieht. Während der Einkaufende die Butter nicht beobachtet, sondern kauft, sie also Teil seines Einkaufens ist, von dem er im Einkaufen weiß, weiß der Detektiv aufgrund seiner Beobachtung, dass der Mann Butter kauft. Diese Tatsache bedeutet jedoch nicht, dass der Beschatter das Einkaufen selbst beobachtet. Er kann es ebenso wenig beobachten wie
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der Käufer. Nur aufgrund dieses Einkaufens besteht überhaupt die Möglichkeit, im Sinne des theoretischen Wissens zu erkennen, was der Mann kauft, und die unterschiedliche Rolle des Gekauften im theoretischen oder im Handeln liegenden Wissen auszumachen. Denn ob der Mann Butter oder Margarine kauft, kann nur beobachtet werden, wenn er tatsächlich etwas kauft. Ansonsten ist die Beobachtung dessen, was der Mann erwirbt, unmöglich. Auch die Frage, ob der Mann tatsächlich Butter kauft, wie er es sich vorgenommen hat, oder ob er versehentlich zur Margarine greift, da er das zu Kaufende im Kaufen nicht beobachtet, lässt sich erst ermessen, wenn er wirklich einkauft. Wir wissen, so kann jetzt geantwortet werden, nicht von den Gegenständen, die im Handeln Verwendung finden, was wir tun, sondern diese Gegenstände lassen sich erst aufgrund des Handelns als handlungsrelevante beobachten. Insofern der Mann einkauft, kann der Detektiv die erworbenen Produkte protokollieren und die Einkaufsliste mit den gekauften Lebensmitteln oder dem Protokoll verglichen werden. Beschriebe jemand sehr detailliert die Karte, die Lisa beschriftet, und den Stift, den sie verwendet, und sagt, sie habe eine Karte, die so und so aussieht, und einen blauen Stift, wüssten wir nicht, was Lisa tut. Sagte uns jemand hingegen, Lisa schreibe mit einem blauen Stift auf eine rote Geburtstagskarte, wüssten wir, was Lisa tut, worauf sie schreibt und womit. Doch alle drei Parameter erschließen sich uns nur, insofern wir um Lisas Schreiben wissen.
3.2.2.2 Absichtliche Ereignisse Damit gelangen diese Ausführungen zum zweiten Vorhaben dieses Unterkapitels, die Struktur des im Handeln liegenden Wissens zu explizieren, um daran zu belegen, weshalb Handlungen mit Anscombe nicht nur als gewollte, sondern als absichtliche Ereignisse zu beschreiben sind. Zur Verdeutlichung der Struktur des im Handeln liegenden Wissens kontrastiert Anscombe den praktischen Syllogismus zunächst mit dem theoretischen. Sie will dadurch der Fehldeutung entgegentreten, der praktische Schluss gleiche dem
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theoretischen bis auf den Unterschied, dass die Schlussfolgerung keine wahre Tatsachenfeststellung, sondern einen Sollenssatz angebe: »›Jeder, der Geld hat, sollte einem Bettler, der ihn darum bittet, davon geben; dieser Mensch, der mich um Geld bittet, ist ein Bettler; Ich habe Geld; also sollte ich diesem Mann etwas geben.‹« 77 Der theoretische Syllogismus, als Ausdruck des theoretischen Wissens, das den Tatsachen angemessen sein muss, zielt auf die Wahrheit der Konklusion. In diesem Sinne bestätigt der Schluss die Wahrheit dieses Sollenssatzes. Bemerkenswerterweise tauchte ein solcher Satz während der Auseinandersetzung mit Aristoteles’ Gedanken zum praktischen Schließen nicht als Folgerung auf. Denn die Konklusion ist für das praktische Schließen nicht das Entscheidende. Er geht vom Handlungsvollzug aus und führt am Ende wieder auf diesen zurück. Die Folgerung erweist sich so immer auch als Anfangspunkt und umgekehrt die erste Prämisse als Abschluss. Mithilfe eines praktischen Schlusses lässt sich, so kann in Anlehnung an Anscombes Einkaufslistenbeispiel gesagt werden, keine detektivische Suche nach den gekauften Waren betreiben, da die Ware als solche im im Handeln liegenden Wissen nicht thematisch wird. Dies geschieht jedoch – wenn auch auf versteckte Art und Weise – in dem Syllogismus, der das Verhalten gegenüber dem Bettler ableitet. Denn dort steht in der ersten Prämisse ein Allsatz, der in dieser Allgemeinheit im praktischen Syllogismus bei Aristoteles nicht unbedingt auftaucht. Der praktische Schluss wägt für Aristoteles die Vorgehensweise, nicht das Ziel ab und entfaltet das Prinzip der Kontextbindung des jeweiligen Handelns. Im im Handeln liegenden Wissen und damit auch im praktischen Schließen ist jedoch nicht das Geld-Geben oder die Butter, sondern der Vollzug des Kaufens oder Gebens Gegenstand des Überlegens. Eine solche Abwägung gelingt nicht, wenn das Geben logisch wie ein paar Münzen oder ein Stück Butter behandelt wird, da sich dann die Relation zwischen Wissen und Geschehen umkehren würde. Das Geschehen folgt dann nicht mehr seinem Wissen, sondern die Beschreibung muss sich am Ereignis messen: Jeder, der dieses Geschäft betritt, kauft Butter; der Mann hat dieses Geschäft betreten; also kauft er Butter.78 Was
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thematisiert dieser theoretische Schluss? Er behandelt die Butter als zu kaufendes Objekt, d.h. er bezieht sich auf die Eigenschaften des Objekts, nicht auf den Handlungsvollzug. In analoger Weise befasst sich der von Anscombe aufgestellte, scheinbar praktische Schluss mit dem Geben: Indem er folgert, unter welchen Bedingungen gegeben wird, stellt er ebenso wie der hier formulierte Schluss fest, wann Butter gekauft wird. Erfolgt das Geldgeben bzw. der Butterkauf nicht, wurde das Ereignis fehlerhaft beschrieben,79 sofern die Bedingungen, auf die das Ereignis zurückführbar scheint, zwar vorliegen, das Ereignis selbst jedoch nicht. Das Verhältnis zwischen Handlung und Beschreibung stellt sich jedoch genau umgekehrt dar. Tut jemand nicht, was er sich vorgenommen hat, obwohl den Umständen nach nichts dagegen spricht, besteht ein Fehler in der Ausführung, nicht in der Beschreibung, da die Beschreibung auch dann zutreffend bleibt, wenn derjenige evtl. etwas anderes kauft als beschrieben.80 Worauf hebt der praktische Syllogismus stattdessen ab, wenn er Handlungen nicht wie Sachverhalte theoretischen Wissens ableitet, sondern deren Vollzug zu schildern vermag? Anscombes schlichte Antwort lautet: Der praktische Syllogismus beweist keine Schlussfolgerung.81 Sie untermauert ihre Einschätzung, indem sie zeigt, dass Urteile über einen Sachverhalt nicht zwingend fordern, unmittelbar danach zu handeln. Aus der Vermutung einer Frau, dass ein bestimmtes Kleid im Schaufenster ihr gut stehen würde, lässt sich nicht folgern, sie müsse, sofern keine Hindernisse bestehen, umgehend in das Geschäft eintreten, um das Kleid zu kaufen.82 Worauf Anscombe dadurch aufmerksam machen will, wird deutlich, wenn zum Vergleich mit dieser theoretischen Feststellung eine formalisierte Darstellung eines praktischen Syllogismus herangezogen wird. Denn daran lässt sich untersuchen, wie sich die Prämissen jeweils zur Konklusion verhalten: (1)
Gratulieren zu festlichen Anlässen ist eine Geste der Freundschaft.
(2)
In Briefform wird gratuliert.
(3)
Ein Freund hat Geburtstag. Schreiben eines Briefes.
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Das Schreiben, das anstelle einer Schlussfolgerung angegeben wird, kommt in den angeführten Prämissen nicht vor, da der praktische Syllogismus die Handlung, die er schildert, gerade nicht zum Gegenstand macht. Ein solcher Schluss betrachtet das Schreiben nicht, als läge damit ein Sachverhalt vor, den es zu beweisen gilt, sondern er geht vom Schreiben aus. Das Schreiben würde auch nicht bewiesen, wenn der Schlusssatz lautete ›Dem Freund wird in Briefform gratuliert‹. Damit würde in der Konklusion lediglich das Mittel, um dem Freund zu gratulieren, wiederholt, aber nicht das Gratulieren abgeleitet. Analog dazu muss die Entdeckung eines schönen Kleides im Schaufenster auch keinesfalls einen Kauf nach sich ziehen. Das einzige, was über diese Entdeckung verlässlich ausgesagt wird, ist, dass das Kleid diese Frau aufgrund seiner Eigenschaften schmücken würde. (1)
Kleider mit Schnitt A stehen Frauen mit diesem Erscheinungsbild besonders gut.
(2)
Diese Frau hat das entsprechende Erscheinungsbild.
(3)
Dieses Kleid hat Schnitt A. Dieses Kleid steht der Frau besonders gut.
Der Schluss thematisiert, wie die Schlussfolgerung verdeutlicht, das Kleid, nicht das Einkaufen. Erst wenn die Betreffende sich anschickt, das Kleid anzuprobieren und zu kaufen, ließe sich das Kaufen mittels der Bezüge, die der praktische Syllogismus bestimmt, beschreiben.83 Weshalb erst die Handlung ermöglicht, eine Beschreibung anhand des praktischen Syllogismus zu erstellen, klärt sich, wenn an Aristoteles’ Begriff des Gewollten erinnert wird. Im vorigen Abschnitt wurde dargelegt, dass das Gewollte nach Aristoteles jenen Sachverhalt benennt, von dem aus sich das Ereignis als gewolltes beschreiben lässt, da er es praktisch in seinen Kontext einordnet. Anscombe greift diese Aristotelische Begrifflichkeit auf, indem sie sagt, der praktische Syllogismus hebe mit dem Gewollten an.84 Die Einschätzung eines im Schaufenster ausgestellten Kleides macht
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keinerlei Angaben darüber, ob es in irgendeiner Weise gewollt wird. Betritt die Frau mit dem Kleid über dem Arm die Umkleidekabine, so wird das Kleid als Gewolltes bedeutsam. Nun ist die Aussage, dass dieses Kleid für diese Frau besonders kleidsam ist, keine Aussage über das Kleid mehr. Sie illustriert das Kleid als Gewolltes, indem sie aufzeigt, was das Kleid für diese Frau wünschenswert macht: (1)
Kleider mit diesem Schnitt stehen Frauen mit diesem Erscheinungsbild besonders gut.
(2)
Diese Frau hat das entsprechende Erscheinungsbild.
(3)
Dieses Kleid hat diesen Schnitt. Sie probiert es an.
Dieser praktische Syllogismus urteilt im Gegensatz zum soeben angeführten theoretischen nicht über das Kleid als Kleid, sondern er befindet darüber, was dieses Kleid für diese Frau attraktiv erscheinen lässt. »Nicht das angestrebte Ziel an und für sich«, so sagt Anscombe »ist das Objekt; vielmehr ist die Beschreibung, unter der es angestrebt wird, die, unter der das Objekt als solches bezeichnet wird.«85 Deshalb wird im praktischen Syllogismus – wie sich bereits bei Aristoteles herausgestellt hat – nicht das Ziel als Ziel erwogen. Vielmehr versucht er, das Wünschenswerte an diesem Ziel sichtbar zu machen. Als Handlungsbeschreibung wird der praktische Syllogismus nachvollziehbar, da er jene Bezüge offenlegt, die das in der Handlung Gewollte – hier eben das Kleid – durch die Erwünschtheitscharakterisierung des Obersatzes als erwünschtes bestimmen, und das Geschehen damit als kontextgebundenes absichtliches Ereignis qualifiziert. Daraus können zwei wichtige Resultate abgelesen werden. Erstens: Selbst wenn es so aussieht, als befassten sich theoretische und praktische Schlüsse mit demselben Sachverhalt, so geschieht dies doch in völlig unterschiedlichen Hinsichten. Während der theoretische Schluss das Objekt selbst betrachtet, ›beobachtet‹ der praktische Syllogismus ausdrücklich nichts. Letzterer deutet auf Bezüge
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hin, die sich nicht beobachten lassen. Den Schnitt eines Kleides kann jeder sehen, doch dass dieses Kleid ein von jener Frau gewolltes ist, kann am Kleid oder am Denken der Frau nicht ausgemacht werden. Dies erschließt sich erst, wenn die Frau das Kleid anzieht. Daran knüpft die zweite Erkenntnis an, die bis jetzt aus der Untersuchung des praktischen Schließens zu gewinnen ist: War das gewollte Ereignis mit Aristoteles die Voraussetzung dafür, dass es über das spezifische Verhältnis von Handlung und Kontext beschrieben werden konnte, weist Anscombe nun darauf hin, dass die Beschreibung dieser Bezüge das Ereignis als absichtliches hervorheben. Der Unterschied zwischen der Beschreibung einer Handlung als gewolltes oder als absichtliches Ereignis konkretisiert sich an der Rolle, die Anscombe dem Wollen im praktischen Schließen zuweist. Die Rolle des Wollens »besteht darin, daß das, was in der als Ausgangspunkt der Argumentation dienenden Aussage beschrieben wird, gewollt werden muss, damit der Schluß überhaupt zur Handlung führt«.86 Im gegenwärtig betrachteten Beispiel ein Kleid mit jenem Schnitt, der der Frau besonders gut steht. Ohne dieses Wollen kommt die Handlung nicht zustande. Doch dieses Wollen oder Streben, wie Aristoteles es nennt, muss im Einzelnen nicht erwähnt werden, um das Ereignis als Handlung beschreiben zu können. Handlungen sind streng genommen nicht einfach gewollte Ereignisse, insofern sie gewollt werden müssen, um überhaupt als Ereignisse fassbar zu sein. Sie sind absichtliche Ereignisse, da mit der Absicht ein Handlungsvollzug gemeint ist, der anhand der Bezüge, die er bestimmt, als Handlung beschrieben werden kann.87 Was geschieht, während die Frau im Laden ist, kann als ›Kaufen‹ beschrieben werden, da mit dem Kaufen die Gegenseitigkeit von Kontext und Tun der Frau bestimmt ist. Deshalb bedeutet ab dem Moment, in dem die Frau während ihrer Anprobe das Vorhaben fasst, das Kleid zu kaufen, ein Abweichen von dieser Absicht eine Abweichung im Handeln, nicht in der Beschreibung. Dennoch macht die Feststellung, das Kleid sei das von der Frau gewollte, insofern es ihr wünschenswert scheint, keinerlei Angaben über das Wollen und Wünschen dieser Frau. Sie gibt lediglich die
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Hinsicht an, unter der das Einkaufen der Frau als Handlung beschreibbar ist, indem sie die Gegenseitigkeit aus Kontext und Handlung benennt. Um zu begreifen, dass sie das Kleid anzieht, muss ich nicht wissen, ob sie vermutet, dass es ihr gut steht. Sie probiert es an. Welche Wünsche sie damit verbindet und welche Schlüsse sie daraus zieht, bleibt im Anprobieren offen. Letztlich ist es, wie mit Hilfe des Unterschiedes zwischen theoretischem und im Handeln liegendem Wissen herausgearbeitet, nicht entscheidend zu wissen, welches Kleid die Frau anprobiert, um zu wissen, dass sie gerade anprobiert, es kommt lediglich auf die im Handlungsvollzug bestimmte Gegenseitigkeit aus Kontext und Ereignis an. Deshalb meint Anscombe, dass Handlungen Ereignisse sind, die sich als absichtliche beschreiben lassen, in denen das Wollen lediglich für das Zustandekommen der Handlung verantwortlich ist. Das in der Handlung liegende Wissen bestimmt die Gegenseitigkeit von Kontext und Handlung, die der Handlungsvollzug festlegt. So wissen wir bereits, was Lisa tut, wenn uns jemand sagt, dass sie schreibt, oder wenn wir sie schreiben sehen. Angaben darüber, was Lisa schreibt oder was sie damit wünscht, sind dafür nicht notwendig. Weshalb sind solche Hinweise nicht notwendig und warum decken sich unsere Beschreibungen dessen, was Lisa tut, egal wer von uns sie liefert?
3.2.2.3 Die Identität der Beschreibungen Um beantworten zu können, weshalb Angaben über das persönliche Wollen und Wünschen nicht erforderlich sind, um zu wissen, was jemand tut, ist Anscombes Verständnis des Wünschens weiter zu entfalten. Denn dadurch kann gezeigt werden, wodurch der praktische Syllogismus das Ereignis als absichtliches kenntlich macht.88 Das Kleid schien der Frau wünschenswert, da es ihren Typ positiv unterstreichen würde. Doch diese Überzeugung allein bedeutet nicht, dass sie sich das Kleid tatsächlich wünscht. Das zentrale Merkmal des Wünschens äußert sich nach Anscombe an dem Versuch, das Gewollte zu bekommen.89 Im aktuellen Beispiel geht die Frau in die Kabine, um das Kleid zu probieren. Ein solcher Ver-
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such kann nach Anscombe nur einem Lebewesen zugeschrieben werden, das Sinnesempfindungen und Wissen von dem gewünschten Gegenstand hat. Umgekehrt lässt sich ein Sachverhalt nur als gewollter begreifen, sofern er als wissentlich wahrgenommener aufgefasst wird.90 Der Versuch, das Gewollte zu bekommen, ruht also auf dem bereits bei Aristoteles das Gewollte konstituierenden Verhältnis von Wissen und Wahrnehmung auf. Subjektiv-private Vorstellungen über den Gegenstand oder über das eigene Handeln sind unerheblich. Einfacher ausgedrückt: Da der Frau zugeschrieben werden kann, das Kleid zu sehen und von ihm zu wissen, ist es möglich, ihre Anstrengungen, das Kleid zu bekommen, als Handeln zu beschreiben. Ihre Überzeugung, dass ihr Kleider mit diesem Schnitt besonders gut stehen, ist dafür völlig unrelevant. Bemerkenswerterweise bleibt die Frau darüber hinaus als Handelnde für die Beschreibung des Kaufens beinahe bedeutungslos, obwohl sie es ist, die tut, was geschieht. Ausschlaggebend ist das Gewollte als Ausgangspunkt der Beschreibung. Etwas Gewolltes lässt sich nur als zugleich Wahrgenommenes und Gewusstes bestimmen. »Die Zuschreibung von Wissen durch Sinneswahrnehmung und die Zuschreibung von Wollen gehen Hand in Hand«91 resümiert Anscombe deshalb und deutet so darauf hin, dass ein Ereignis als Handlung zu beschreiben erfordert, es in den Kategorien des im Handeln liegenden Wissens zu fassen, d.h. nicht den gewollten Gegenstand selbst, sondern ihn in seiner Relevanz als gewünschter in Bezug auf ein Handeln einzufangen. Beispielsweise angeben zu können, dass die Frau dieses Kleid wünscht, insofern es ihr gefällt. Aus diesem Grund impliziert der Handlungsvollzug und damit seine Beschreibung einerseits jemanden, der handelt und andererseits verweist er mit dem Gewünschten immer auf seinen Kontext. Dieser Handelnde tritt in der Handlungsbeschreibung jedoch nicht ausgewiesenermaßen in Erscheinung. Die Frau, die das Kleid kauft, ist im Kaufen nur als Kaufende von Interesse, sofern ihre Wahrnehmung und ihr Wissen das Handeln konstituieren, aber ihre Persönlichkeit, ihre Ziele und Wünsche spielen dabei keine Rolle. Als wesentlich für die Struktur des Handlungsvollzuges erweist sich
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wiederum das praktische Zusammenspiel aus Wissen und Wahrnehmung in Bezug auf den Kontext und nicht die unauffindbare Beziehung des Akteurs zu seinem Tun. Der praktische Schluss beschreibt mit Anscombe demnach mithilfe der Erwünschtheitscharakterisierung das Gewollte als Gewünschtes, indem er auf die praktische Relation von Wissen und Wahrnehmung verweist. So offenbart der Blick hinter die erkenntnistheoretischen Kulissen des Sprachspiels der Absicht einerseits, weshalb Akteur und Handlung systematisch miteinander einhergehen, ohne dass sich eine Beziehung zwischen beiden ausmachen ließe; andererseits wird sichtbar, weshalb die Beschreibung, die Handlungen als absichtliche Ereignisse kenntlich macht, aus unterschiedlichen Perspektiven identisch ist. Wenn ein Geschehen als absichtliches Ereignis, sprich als Handlung, beschrieben werden kann, ohne dass der Handelnde darin als Akteur auftaucht – so etwa im praktischen Syllogismus um das Kaufen oder das Schreiben –, dann schließt diese Beschreibung keine Angabe der Beziehung zwischen Akteur und Handlung mit ein. Die Frage, wie sich der Akteur zur Handlung verhält, kann also nicht gestellt werden, da sich keine Beziehung angeben lässt, die den Akteur mit der Handlung verbindet.92 Stattdessen erfordert eine Handlungsbeschreibung das Gewollte als Ausgangspunkt, denn von dort eröffnen sich die Relevanzverhältnisse, die das im Handeln liegende Wissen thematisiert und somit systematisch einen Handelnden impliziert. Diese Implikation ist Teil der Beschreibung und nicht deren Voraussetzung. Akteur und Handlung können nicht voneinander unterschieden werden, da beide in ihrer Gleichursprünglichkeit im Handeln bzw. in der Beschreibung gemeinsam bestimmt werden. Wesentlich für die Schilderung eines Ereignisses als Handlung ist folglich nicht der ausdrückliche Rekurs auf einen Handelnden oder ein spezifisches Geschehen, sondern die Angabe der Hinsicht, unter der etwas gewollt und damit als absichtliches Ereignis fassbar wird. Absicht erweist sich so als jene Beschreibungshinsicht, unter der sich das Ereignis durch das Gewünschte in seinen Kontext einbetten lässt. Absicht bezeichnet, so könnte im Anschluss an die bisherigen Er-
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gebnisse gesagt werden, die Hinsicht, die die Gegenseitigkeit von Handlung und Kontext bestimmt. So gesehen sind Handlungen nicht allein als Gewollte, also ausgehend von der Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung, sondern über Aristoteles hinaus mit Anscombe als absichtliche Ereignisse zu beschreiben. Da sich diese Hinsicht, die die Absicht angibt, nicht beobachten lässt, eröffnen sich auch keine unterschiedlichen Perspektiven auf ein und dasselbe Geschehen. Wird ein Ereignis unter einer bestimmten Hinsicht der Gegenseitigkeit aus Kontext und Handlung als absichtliches beschrieben, so muss diese Beschreibung aus der Erste- und aus der Dritte-Person-Perspektive identisch sein. Das Sprachspiel der Absicht liegt deshalb im Bereich des in der Handlung liegenden Wissens. Denn nur innerhalb dieses Wissens werden jene Relevanzbeziehungen konkret, die das Handeln begreiflich und beschreibbar machen. Vom theoretischen Wissen herkommend bleibt völlig im Dunklen, wie die Handlung Thema einer Beschreibung sein kann, vom Handeln her gedacht stellt sich zwanglos ein, weshalb diese Beschreibung eine Handlung wiedergeben kann: Ohne diese Beschreibung wäre das Handeln unverständlich. Der Akteur könnte nicht prüfen, ob er tatsächlich gekauft hat, was er zu kaufen wusste, während er es kaufte, und der Beobachter könnte nicht nachsehen, was gekauft wurde, denn es bliebe völlig unbestimmt, was geschieht. Das im Handeln liegende Wissen eröffnet einerseits in beiden Fällen die Gelegenheit, das darin Gewünschte als solches theoretisch zu prüfen, und andererseits ermöglicht die im Handlungsvollzug je unterschiedliche Gelegenheit zur Bezugnahme auf das Gewünschte die Intersubjektivität der Beschreibung. Da die Frau etwas kauft, das auch ein Fremder potentiell näher betrachten könnte, aber nicht muss, begreift er ihre Handlung als Kaufen. Insofern sie etwas kauft, von dem sie im Handeln weiß, das in ihrem Handeln als unabhängiger Sachverhalt jedoch nicht vorkommt, erfasst sie ihr Handeln als Kaufen. In beiden Fällen ist das Gekaufte nicht unmittelbar bedeutsam, doch die Art und Weise, in der es bedeutungslos ist, unterscheidet sich. Der Beobachter muss, damit er um die unbeobachtbare Handlung
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wissen kann, nicht den gekauften Gegenstand im Sinne des theoretischen Wissens betrachten und explizieren. Die Frau kann das Zukaufende im Kaufen nicht beobachten. Es gehört zu ihrem Versuch, die Ware zu bekommen. In diesem Unterschied, wie das Gekaufte im Handeln — entweder theoretisch oder praktisch — erfasst werden kann, liegt das gemeinsame im Handeln liegende Wissen dessen, was die Frau tut und damit die Möglichkeit es intersubjektiv zu beschreiben. Weshalb brauchen wir demnach nichts über Lisa zu wissen, um zu verstehen, dass sie schreibt? Da der einzig wesentliche Ausdruck des Wünschens der Versuch ist, etwas zu bekommen, brauchen wir nicht zu wissen, welche konkreten Wünsche Lisa mit ihrem Schreiben verbindet. Sie weiß ohnehin in ihrem Tun um das Erwünschte; sie weiß im Schreiben, was sie schreibt. Wir hingegen könnten aufgrund ihres Schreibens theoretisch nachsehen, was sie schreibt. Zwischen diese beiden möglichen Perspektiven spannt sich die intersubjektive Beschreibung, die diesen Unterschied der Blickwinkel auf das Schreiben erst möglich macht und die zugleich von diesem Unterschied konstituiert wird. Also wissen wir aufgrund des im Handeln liegenden Wissens aus der intersubjektiven Beschreibung des Handlungsvollzugs, was Lisa tut. Ohne diese Beschreibung wäre die Frage, welche Handlung Lisa vollzieht, ebenso hinfällig wie jene nach dem Kontext, der ihr Handeln bestimmt, oder dem Inhalt ihres Tuns. Doch wie wissen wir von dem nicht beobachtbaren Schreiben?
3.2.3 Wissen ohne Beobachtung Die Antwort auf die Frage, warum wir wissen, was wir tun, scheint im Laufe der Argumentation immer brisanter geworden zu sein. Diese Brisanz ergibt sich, da es im Handeln kein, wie Anscombe sagt, »sehendes Auge ganz seltsamer und besonderer Art«93 gibt, das den Akteur oder den zum Handeln gebrauchten Gegenstand beobachtet, und doch jeder weiß, was getan wird. Anscombe nennt dieses im Handeln liegende Wissen, weswegen Handlungen gewusst,
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aber nicht beobachtet werden, »Wissen ohne Beobachtung«.94 Es handelt sich dabei um ein Wissen, das – wie auch der vorangegangene Abschnitt bestätigt – nicht aus der Beobachtung stammt und dennoch die Wahrnehmung bestimmter Gegebenheiten erfordert. Wie die Gegenseitigkeit von Kontext und Handlung erfasst werden kann, zeigt sich, wenn jene Gegenseitigkeit von Wissen und Wahrnehmung, die das Gewollte konstituiert, im Hinblick auf ihre Kontextualität befragt wird. Was sich hinter dieser Wendung ›Wissen ohne Beobachtung‹ verbirgt, erschließt sich, sobald erörtert wurde, weshalb Anscombe meint, eine präzise Handlungsbeschreibung läge in einem gewissen Abstand zu dem, was sich beobachten lässt. Den gesuchten Zusammenhang von Wissen und Wahrnehmung im Handlungsvollzug verdeutlicht Anscombe anhand des Schreibens: »Ein ganz klares und interessantes Beispiel hierfür [dafür, dass Handlungen ohne Beobachtung gewusst werden] ist der Fall, in dem ich die Augen schließe und etwas hinschreibe. Hier kann ich angeben, was ich schreibe. Und das, was ich zu schreiben behaupte, wird fast immer tatsächlich auf dem Papier erscheinen. In diesem Fall ist offenkundig, daß meine Fähigkeit anzugeben, was dort geschrieben steht, nicht der Beobachtung entstammt. In der Praxis ist es natürlich so, daß das, was ich im Weiteren schreibe, höchstwahrscheinlich nicht mehr sonderlich leserlich sein wird, sofern ich nicht meine Augen gebrauche. […] Unter der Voraussetzung, daß wir Wissen oder eine Meinung über die Sache haben, in deren Bereich wir absichtliche Handlungen ausführen, ist unsere Beobachtung genauso ein bloßes Hilfsmittel, wie die Augen ein Hilfsmittel beim Schreiben sind.« 95
Um die Rolle der Sinne im Handeln vorzuführen, ist es ratsam, das Beispiel noch weiter zu präzisieren: Der Schreibende verfolgt sein Schreiben nicht wie ein Theaterstück auf einer Bühne, in dem er zugleich als Darsteller und als Zuschauer fungiert. Er muss seine Hand nicht beobachten, wie sie den Stift über das Papier führt, und muss keinen Blick in den Spiegel werfen, um zu prüfen, ob er während seines Schreibens als Schreibender auftritt. Jeder, der des
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Schreibens mächtig ist, kann schreiben, ohne dabei auf seine Sehfähigkeit zurückgreifen zu müssen. Der Text, den das Schreiben hervorbringt, ist noch nicht da, doch der Verfasser weiß um dessen Inhalt im Schreiben, ohne die Worte und Sätze, die er formuliert, auf dem Papier nachverfolgen zu müssen. Es besteht in Konsequenz dessen, da es nichts zu sehen gibt, in zweifacher Hinsicht keine Möglichkeit zuzuschauen. Weder die Art und Weise, wie die Hand den Stift über das Papier führt, noch die Buchstaben, die dadurch auf dem Untergrund erscheinen, explizieren das Geschehen als Schreiben. Die Augen unterstützen höchstens den Schreibvollzug, indem sie erschließen, wie sich der Text auf dem Papier ausrichtet. Sie beobachten diese Ausrichtung jedoch nicht, da die Platzierung dem geübten Schreiber in den Fingern sitzt und mit dem Schreiben entsteht, d.h. eine Analyse dessen, wie der Text auf dem Papier erscheint, können und müssen die Augen nicht liefern, da die Ausrichtung des Textes auf dem Papier zum Schreiben selbst gehört. Die Sinne – beim Schreiben insbesondere das Sehen – haben im Handeln also tatsächlich nur eine unterstützende Funktion. Ihre Wahrnehmungen kommen im Handeln nicht ausdrücklich zur Geltung, sondern gehören dem Handlungsvollzug an, der nicht aus der Beobachtung stammt. Sie sind lediglich für einen Aspekt des Handlungsvollzuges verantwortlich, der zwar ex post eigenständig betrachtet werden kann – so z.B. wenn jemand die Ausrichtung seines Textes auf dem Papier nachträglich kontrolliert –, aber sie können nicht alleine stehen. Während es ohne Weiteres denkbar ist, mit geschlossenen Augen zu schreiben, ist es undenkbar, die Position eines Textes auf dem Papier zu prüfen, ohne dass er zuvor geschrieben wurde. Die Augen sehen nur das, was sich im Nachhinein auch beobachten ließe – etwa die Buchstaben auf dem Papier –, aber sie verfolgen nicht das Schreiben selbst. Das Wissen um das Schreiben muss demnach mit dem Schreiben einhergehen. Die Pointe dieser Gleichzeitigkeit von Handeln und dem Wissen um die Handlung bringt Anscombe in Anlehnung an Thomas von Aquin auf die Formel, das praktische bzw. im Handeln liegende Wissen sei »›die Ursache dessen, was es versteht‹«96 und
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erläutert: »Es bedeutet, daß das Geschehen ohne praktisches Wissen gar nicht unter die Beschreibung (Ausführung) von Absichten fällt.«97 Das im Handeln Gewusste geht dem Wissen darum nicht voraus, sondern mit diesem Wissen erst einher. Deshalb kann es nicht aus der Beobachtung stammen. Konkret gesprochen weiß ein Schreibender, insofern er schreibt, was er tut. Er benötigt dafür kein weiteres Beobachtungskriterium. Er richtet sich in seinem Handeln auf den Inhalt des Textes, den das Schreiben zeitigt. Dieser Text bleibt unsichtbar, solange er nicht notiert wurde. Dabei orientiert sich der Schreibende nicht am einzelnen Satz oder gar Wort. Ihn interessiert im Schreiben – etwa im Falle einer Geburtstagskarte – der Gratulationstext in seiner ganzen Gestalt. Von der Anrede bis zur Grußformel kennt sich der Autor in seinem Text aus, ohne sich darüber sinnliche Gewissheit verschaffen zu müssen, ob er tatsächlich diesen gewünschten Text schreibt oder nicht. Der Verfasser des Grußes versteht, insofern er weiß, dass er schreibt, was er schreibt. Allgemein gesagt: Der Akteur versteht, insofern er weiß, dass er etwas tut, was er tut; sein Wissen ist, wie Thomas sagt, die Ursache dessen, was zu verstehen ist. Unabhängig von diesem im Handeln liegenden Wissen des Akteurs um sein eigenes Tun lässt sich kein Ereignis als Handlung beschreiben, da ansonsten die Voraussetzungen fehlen, es ausgehend vom Gewünschten als Gewusstes und damit als Absichtliches zu fassen. Damit wird der von Aristoteles entlehnte Gedanke, der Fehler läge nicht im Urteil, sondern in der Ausführung, abschließend bestätigt. Denn der Schreibende weiß, ohne dass er sich dabei zusehen könnte, dass er schreibt und was er schreibt. Bringt er entgegen seinem Wissen ohne Beobachtung etwas anderes zu Papier, hat er deswegen kein falsches Wissen von dem, was er macht, er könnte es ohnedies nicht durch Beobachtung prüfen, sondern er hat das, was er tut, anders ausgeführt als gewusst. An diesem Punkt tritt die Wahrnehmung als Hilfsmittel des Handelns auf den Plan. Angenommen der Gratulant hat seinen Text vollständig aufgeschrieben und kontrolliert nun, ob er ihn ordentlich auf der Karte platziert und ob er alles orthographisch korrekt geschrieben hat. Die Wahr-
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nehmung hilft dabei, das Wissen um die Ausführung mit dem Resultat abzugleichen, aber sie ist nicht für die Ausführung als solche verantwortlich. Diese Kontrolle ist vielmehr wiederum eine Handlung, die sich als solche nicht beobachten lässt.98 Deshalb liegt der Fehler, wenn ein Wort falsch oder unleserlich notiert wurde, in der unachtsamen Ausführung, nicht im Wissen darum, was geschrieben wurde. Doch ist das im Handeln liegende nur aus der Akteursperspektive Wissen ohne Beobachtung? Wenn ich einen Raum betrete und sehe, dass Lisa am Tisch sitzt und schreibt, beobachte ich dann nicht, wie Lisa schreibt? Die Auseinandersetzung mit dieser Frage führt zum Problem des Abstandes, den das im Handeln liegende Wissen voraussetzt. Denn dieser Abstand besteht, so wird sich zeigen, aus jeder Perspektive gleichermaßen. Deshalb soll die Funktion dieses Abstandes vom Handlungsvollzug her eingeführt und dann erarbeitet werden, dass das Wissen ohne Beobachtung stets in der gleichen Entfernung zum Handlungsvollzug liegt, egal ob der Handelnde oder der Beobachter davon weiß. In diesem Sinne stellt Anscombe fest: »Die einzige Beschreibung meines Tuns, über die ich mir völlig im klaren bin, bezieht sich womöglich auf etwas, was sich in einer gewissen Entfernung von mir befindet. Es ist nicht der Fall, daß ich klar über die von mir ausgeführten Bewegungen Bescheid weiß […]. Die Schilderung, die ich von meinem entfernten Tun geben kann, ist sehr viel genauer als meine Erklärung dessen, was mein Arm tut.« 99
Die notwendige Entfernung, von der Anscombe spricht, um eine Bewegung als Handlung beschreiben zu können, meint keinen räumlichen Abstand und auch keine Beziehung des Akteurs zu seinen Bewegungen. Wenn hier von Entfernung die Rede ist, dann um darauf hinzuweisen, dass das Wissen von Handlungen keiner Bewegungsempfindung zuzuschlagen ist. Wissen ohne Beobachtung hat nichts von einem ›der ausgeführten Bewegung Nachspüren‹, denn dieses Nachspüren wäre eine Form der Selbstbeobachtung,
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die im Handeln ausdrücklich nicht stattfindet.100 Auf den Zuschauer übertragen, der Lisa schreiben sieht, fragt sich, ob dieser Hände und Füller beobachtet, um zu erfassen, dass Lisa schreibt. Doch ehe er gesehen hat, mit welchem Stift Lisa schreibt und wie sie ihre Finger um das Schreibgerät gelegt hat, weiß er bereits, dass Lisa schreibt. Hände und Füller tauchen in der Handlungsbeschreibung nicht auf, da sie dem Ereignis ›Schreiben‹ aus beiden Perspektiven zu ›nah‹ sind, um in die Beschreibung einzugehen. Ihre Funktion wird durch die Beschreibung des Handelns als Schreiben direkt mitbestimmt, aber die Beschreibung selbst geht nicht auf die Handhaltung, die Bewegung und den Füller zurück. Sie steht mit dem Wissen des Akteurs um sein Tun bereits fest und lässt sich nicht an Körperbewegungen ablesen. Aus diesem Grund gibt Anscombe zu bedenken, dass die entferntere Beschreibung des Ereignisses als Handlung treffender ist als jene, die die beobachtbaren Bewegungen angibt, und zwar – es sei nochmals daran erinnert, dass sich die Beschreibungen aus unterschiedlichen Perspektiven decken müssen – sowohl aus der Akteurs- als auch aus der Beobachterperspektive. Auf welche Beobachtung sollte sich der Hinzutretende auch stützen, wenn es im Handlungsvollzug weder einen Sehenden noch ein Gesehenes gibt? Diese Beschreibung funktioniert für Anscombe, indem sie den intersubjektiven Kontext dieser Bewegungen verdeutlicht. »Wir beschreiben, was sie [die Akteure], indem sie etwas tun, darüber hinaus tun«.101 Die Beschreibung ordnet das Handeln, indem sie den Abstand zu den Körperbewegungen benennt, in seinen Kontext ein. Alle möglichen am Kontext Beteiligten wissen deshalb gleichermaßen ohne Beobachtung, was Lisa tut. Das Wissen ohne Beobachtung ist demnach so intersubjektiv wie die Gegenseitigkeit aus Handlungsvollzug und Kontext. Erst mit dem ohne Beobachtung gewussten Vollzug des Schreibens eröffnen sich die unterschiedlichen Perspektiven auf das, was Lisa schreibt: Den Text einer Geburtstagskarte. Während Lisa im Schreiben weiß, was sie schreibt, kann ihr Beobachter aufgrund des ohne Beobachtung gewussten Schreibens prüfen, welche Worte sie notiert. Schreiben ist mindes-
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tens das Schreiben eines Wortes oder Satzes, zumeist eines Textes; im gewählten Beispiel einer Geburtstagskarte. Unabhängig davon, welche Worte Lisa wählt, um ihrem Freund zu gratulieren, gratuliert Lisa mit ihrem Schreiben einem Freund zum Geburtstag. Und wenn sie ihrem Gast sagt, sie gratuliere jemandem, weiß auch der Gast, was schreiben in diesem Kontext bedeutet: gratulieren. Gratulieren wäre also eine Beschreibung, die zwar vom Schreibvollzug systematisch weiter entfernt ist als die bloße Angabe ›Sie schreibt.‹. Dennoch präzisiert diese Schilderung das Schreiben im Hinblick darauf, was Lisa tut, sofern sie schreibt. Das Gratulieren kann dem Schreibvollzug nicht angesehen werden und trotzdem ist es die Beschreibung dessen, was Lisa tut. Dies bestätigt, dass Wissen ohne Beobachtung sich intersubjektiv in Kontexten vollzieht, die zu diesem Wissen gehören, aber darin nicht beobachtet werden. Je konkreter die Erweiterung der Beschreibung auf den Kontext hin, desto genauer die Beschreibung. Da der Handlungsvollzug und seine Beschreibung strukturgleich sind, gilt: Je präziser die Beschreibung, umso treffender fasst sie den Handlungsvollzug. Aus ›Schreiben‹ wurde ›Gratulieren‹; diese Schilderung führt Lisas Schreibvollzug nicht an, aber ›Gratulieren‹ benennt die Gegenseitigkeit von Schreiben und Kontext und liefert deshalb eine Beschreibung des Ereignisses ›Schreiben‹ in den Begriffen der Absicht.102 Doch dass Lisa ihrem Gast sagt, sie gratuliere gerade jemandem, verweist nicht auf einen privilegierten Zugang zu ihrem eigenen Tun. Sie präzisiert zwar, was sie tut, insofern sie schreibt, aber die Worte, die sie an ihren Freund richtet, müssen dennoch nicht eingeleitet werden mit ›Dieses Schreiben ist mein Gratulieren‹. Der Gast weiß, dass Lisa gratuliert, insofern sie die Karte schreibt. Damit gelangen diese Überlegungen wieder zu der Feststellung, dass es sich um ein Wissen handelt, das nicht am vorliegenden Sachverhalt messbar ist. Die intersubjektive Beschreibung, die für Lisas Handeln gegeben werden kann, ist – wie oben dargelegt – verbindlich und nicht der möglicherweise fehlerhafte Vollzug, so dass das Ereignis ihres Handelns intersubjektiv begreiflich ist, ehe sie prüfen kann, ob sie tatsächlich geschrieben hat, was sie sich vorgenommen
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hatte. Aus diesem Grund scheint es treffender, nicht von absichtlichen, sondern von erlebten Ereignissen zu sprechen. Der Begriff der Absicht impliziert jemanden, der diese Absicht hat und der tatsächlich fähig ist, anzugeben, ob dies seine Absicht war oder etwas anderes. Diese empirische Privilegiertheit des Akteurs, die bei Anscombe mitschwingt, auch wenn es ihr darum geht, den prinzipiellen Vorrang des Handelnden zurückzuweisen,103 lässt sich im Handlungsvollzug nicht feststellen. Der Handelnde bestimmt sich ja erst im Tun zum Akteur. Werden Handlungen vom Handeln her gedacht, zeigt sich, dass Handlungen intersubjektiv wissbar sind, sobald sie vollzogen werden. Der Handelnde bestimmt sich im Tun und dabei wird intersubjektiv wissbar, was er tut. Wenn dafür plädiert wird, dass Handlungen erlebte Ereignisse darstellten, meint dies schlicht die Tatsache, dass Handlungen Ereignisse sind, die mit der Intersubjektivität des Wissens ohne Beobachtung einhergehen. Lisa weiß, dass sie gratuliert, während sie gratuliert, insofern sie gratuliert, und ihr Gast weiß es auch. Erst ihr Gratulieren macht sie dabei zur Gratulierenden und den Gast zum Nicht-Gratulierenden, der den Text – nicht das Gratulieren –, den sie ohne Beobachtung weiß, nachlesen, sprich beobachten muss. Wir wissen also, dass Lisa schreibt, während sie schreibt, insofern sie schreibt und das Wissen eröffnet die unterschiedlichen Auffassungsweisen des Texts.
A nmerkungen 1 | Dieses Beispiel orientiert sich an Davidsons Handlungserklärungsmodell, wie er es in Handlungen, Gründe und Ursachen vorgeschlagen hat. 2 | Ich gebe die Erklärung des Gratulierens in Anlehnung an die von Sehon ausgemachte kanonische Form der teleologischen Handlungserklärung wieder: »x phite, um zu psien.« (Scott R. Sehon: Zielgerichtetes Handeln und teleologische Erklärungen. In: Gründe und Zwecke, hg. von Christoph Horn und Guido Löhrer übersetzt von Guido Löhrer. (Berlin 2010) 225-245, 225.
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3 | Wie brisant die Frage nach dem Verhältnis von Akteur und Handlung sowohl für den Versuch einer kausalen als auch einer teleologischen Handlungserklärung ist, zeigt sich an Anscombes Zurückweisung der Verbindung der Prämissen eines praktischen Schlusses durch psychische Zustände des Akteurs. Sie tritt sowohl Davidsons Auffassung entgegen, der Grund des Akteurs verursache die Handlung kausal und erkläre sie deshalb durch den psychischen Zustand des Handelnden, der x wegen seiner Überzeugung y tut, kausal als auch die teleologische von Wrights, wie er sie in Praktisches Schließen und Über sogenanntes praktisches Schließen (beide in Georg Hendrik von Wright: Handlung, Norm und Intention. Eine Untersuchung zur deontischen Logik, hg. Hans Poser. (Berlin New York 1976)) entwirft. Dieser sucht nach einer logischen Verknüpfung zwischen der ersten und der zweiten Prämisse durch Überzeugungen und Absichten des Akteurs. Stattdessen macht Anscombe darauf aufmerksam, dass ›Schließen‹ kein psychologisches Verb ist und dass es – etwa im Falle der Ausführung von als unlogisch durchschauten und als ungeliebt empfundenen Befehlen – durchaus logisch ist, dass etwa ein Sklave den Befehl ausführt, ohne dass auf die Zustände und Überzeugungen des Sklaven verwiesen werden müsste: »The elements of the inference must all be in one head, it is true: that is, they must be known to whoever makes the inference; but the cognate believing and willing do not have to exist in that soul. So the inference patterns should not be given as ones in which these psychological facts are given a place« (PI 139). Anscombe besteht also darauf, und das wird sich in der sogleich folgenden Auseinandersetzung mit ihrem Denken immer weiter verdeutlichen, Handlungen nicht über die geistigen Zustände des Akteurs zu erklären, da Handlungen keine psychologischen Zustände darstellen, die sich wiederum durch psychologische Zustände erklären ließen. Deshalb weist sie sowohl Hares Vorschlag, die Conclusio eines praktischen Syllogismus sei ein Befehl, als auch von Wrights, die Schlussfolgerung sei eine Absicht, zurück und hält dem entgegen, die Schlussfolgerung sei eine Handlung. 4 | Vgl. Harry G. Frankfurt: Das Problem des Handelns. In: Gründe und Zwecke, hg. von Christoph Horn und Guido Löhrer übersetzt von Joachim Schulte (Berlin 2010) 70-84, 74f. Frankfurt nähert sich der Frage nach dem Handeln nicht unter dem Vorzeichen möglicher Handlungserklärungen, sondern ausgehend von der Unterscheidung zwischen Handeln und Verhalten (vgl.
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ebd. 70). Deshalb problematisiert er das Verhältnis des Akteurs zu seinem Tun nicht nur mittelbar, sondern ganz direkt. Denn nur über eine Abweichung in dieser Beziehung kann die Differenz zwischen einer Handlung und bloßem Verhalten überhaupt aufgemacht werden. 5 | Ebd. 74. 6 | Ich übernehme auch im Fortgang meiner Überlegungen die Übersetzung von Wolf, die ›hekousion‹ nicht mit ›freiwillig‹ übersetzt, wie es etwa Dirlmeier (vgl. NE 1109b) vorschlägt, da dadurch das moderne Problem der Willensfreiheit in den antiken Text hineingetragen wird. Außerdem stellt Dirlmeiers Übersetzung diese, m.E. zunächst rein handlungstheoretischen Überlegungen unmittelbar als Problem der Ethik dar, ohne diesen Kontext zu erwähnen, um dann festzuhalten, dass der Bezug zum Problem der Bewegung in der Eudemischen Ethik näher ist als in der NE (vgl. Franz Dirlmeier: NE, Anmerkung 44,1). Die Frage, ob die Aristotelische Philosophie dieses Problem kennt oder nicht, soll durch die Übersetzung nicht vorentschieden werden. Insgesamt macht Wolf im Kontext des Begriffes ›hekousion‹ drei Grundprobleme aus, die alle eher im Umfeld der Frage nach dem Verhältnis von Akteur und Handlung als im Zusammenhang mit Willensfreiheit stehen. Erstens: Handeln aus eigener Bewegursache oder aufgrund äußeren Zwangs. Zweitens: absichtliches versus versehentliches Tun. Und drittens: etwas gerne oder widerwillig tun. ›Hekousion‹ hat ›akousios‹ zum Gegensatz, wobei ›hekousios‹ und ›akousios‹ die Handlung als gewollt oder widerwillig charakterisieren, während hekon und akon sich auf den Handelnden beziehen. Damit eine Handlung im Sinne von ›hekousion‹ als gewollt gelten kann, müssen nach Aristoteles zwei Bedingungen erfüllt sein: Zum einen muss sie aus eigenem Antrieb ausgeführt werden und zum anderen darf kein Irrtum über die situativen Umstände bestehen. Neben der Erläuterung der ersten Bedingung durch Wolf als schwacher Begriff der Handlungsfreiheit, nach dem jemand etwas tut, da er es will, ist für die vorliegende Untersuchung vor allem ihre Erörterung zur zweiten relevant (vgl. Ursula Wolf: Anmerkung 1 zu NE Buch 3). »Die zweite Bedingung hingegen hat damit zu tun, was man – in heutiger Terminologie – die Intentionalität von Handlungen nennt, dass man also eine Handlung jeweils unter einer Beschreibung beabsichtigt.« (Ebd.) Diese Lesart des Gewollten verweist darauf, dass Anscombes Konzept der Absicht seine Wurzeln bei Aristoteles hat. Denn sie wird den Gedanken, dass Absichtlich-
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keit keine innere Einstellung des Akteurs ist, sondern Beschreibungshinsicht eines Ereignisses, in Auseinandersetzung mit Aristoteles vorführen. 7 | Die Anmerkung, die Wolf zu ihrer Übersetzung von ›prohairesis‹ mit ›Vorsatz‹ macht, liegt auf der gleichen Linie wie die Zurückweisung von ›freiwillig‹ als Entsprechung von ›hekousios‹. Denn mit dieser Begrifflichkeit wendet sie sich gegen das im Deutschen übliche, äquivalente ›Entscheidung‹ mit der Begründung, dass diese Übertragung Anklänge eines dezisionistischen Freiheitsbegriffes mit sich trägt, die Aristoteles nicht beabsichtigt. Denn obwohl es um ein mit Überlegen verbundenes Wählen geht (was die Dirlmeier-Übersetzung mit ›überlegte Wahl‹ hervorhebt [vgl. F. Dirlmeier: NE, Anmerkung 48,3]), hat ›prohairestai‹ als Verb eine auch durch Aristoteles hervorgehobene, zeitliche Dimension, die ›sich etwas vornehmen‹ ausdrückt; Vorsatz ist das diesem Verb entsprechende Substantiv (vgl. U. Wolf: Anmerkung 13 zu NE Buch 3). 8 | Vgl. NE 1109bf. 9 | Ebd. 1110a 1-4. 10 | Vgl. ebd. 1110a 9-11. Der Gedanke, dass die Möglichkeit, eine Handlung als freiwillige beschreiben zu können, zum Kern der Aristotelischen Auffassung des Handelns gehört, findet sich auch bei Anscombe (vgl. TA 67 und 77). Allerdings entfaltet sie diesen Gedanken im Rahmen der Frage, was praktische Wahrheit sei, und erörtert ihn deshalb nicht ausgehend von der Gegenseitigkeit von Handlung und Kontext, sondern auf der Suche nach der Begründung des guten Handelns eines tugendhaften Akteurs in Abgrenzung zum Willensschwachen (vgl. ebd. 75ff). Anscombe nimmt dabei nicht den Handlungsvollzug durch die Möglichkeiten seiner Beschreibung in den Blick, ihr geht es vielmehr um die Rolle des Wollens im tugendhaften Handeln, denn sie befragt die Relation zwischen Denken und Handeln im Aristotelischen Denken, um herauszufinden, inwiefern das richtige praktische Nachdenken seine Bestätigung im guten Handeln finden muss (vgl. ebd. 77). Mir geht es völlig losgelöst von der Bewertung einer Handlung und der Problematik, dass Handeln wider besseres Wissen nichts über die Freiwilligkeit der Handlung aussagt, darum zu zeigen, dass das Nachdenken des Handelnden für die Beschreibung eines Ereignisses als Handlung keine Rolle spielt. 11 | NE 1110a 13-15. Erläuterung zu hekon AMS.
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12 | Ebd. 1111a 22-24. Die Überlegungen, die Aristoteles im Anschluss an dieses Zitat anstellt, sollen nicht unerwähnt bleiben. Sie machen deutlich, dass Aristoteles das Wollen nicht als bewussten Ausdruck allein der Vernunft begreift, sondern dass er tatsächlich versucht, damit eine Beziehung zwischen Bewegungsursprung und dem dazugehörigen Gegenstand zu fassen. Das Willentliche kommt daher für Aristoteles über den Menschen hinaus den Tieren zu, was wiederum eine starke Stütze für Wolfs Interpretation des Gewollten im Rahmen der Intentionalität abgibt, da Aristoteles schreibt: »Vermutlich ist es nicht richtig, Verhalten aus Erregung oder Begierde als dem Wollen entgegengesetzt zu bezeichnen. Denn erstens würde dann keines der übrigen Tiere aus Wollen handeln, ebenso wenig die Kinder. Sodann: Tun wir keines der Dinge, die wir aus Begierde oder Erregung tun, weil wir sie wollen, oder tun wir das Werthafte, weil wir es wollen, das Niedrige gegen unser Wollen? Ist das nicht absurd, wo doch die Ursache ein und dieselbe ist?« (Ebd.) Insbesondere, jedoch nicht allein, die letzte dieser Aristotelischen Fragen steht in engem Zusammenhang mit Anscombes Begriff der Absicht als Beschreibungshinsicht von Ereignissen, die sich unter Beteiligung des Lebendigen ereignen. Eine solche Beschreibung einer Handlung als absichtliches Ereignis ist möglich und nötig, bevor sich die Aufgabe seiner Bewertung stellt. 13 | Vgl. ebd. 1111a 2-5. 14 | Ebd. 1111b 9. Diese Aristotelische Feststellung lässt sich mit einem Beispiel aus Anscombes Absicht sehr schön verdeutlichen: »[D]ie einzige Bedeutung, die ich dem Wort ›wollen‹ geben kann, ist die, in der ich vielleicht etwas anstarre und will, daß es sich bewegen möge« (A 29). Anscombe treibt mit ihrem Beispiel die Aristotelische Idee, wollen sei kein Akt, sondern schlicht die Handlung, da auch Handlungen, denen kein Überlegen vorausgeht, gewollt sein können, auf die Spitze, denn sie verdeutlicht, wie wirkungslos der Akt des Wollens sein muss. Wenn ich lediglich will, dass das Licht angeht, wird überhaupt nichts passieren. 15 | Vgl. ebd. 1111bf. 16 | Ebd. 1112a 15. 17 | Ebd. 1112b 16-24. 18 | Vgl. ebd. 1113a. Wolf verweist zur Verdeutlichung dieses Überlegungsprozesses in ihrer Anmerkung auf ein Bespiel aus der Metaphysik (vgl. U.
3. Erlebte Ereignisse
Wolf: Anmerkung 18 zu NE Buch 3). Dort erläutert Aristoteles, wie der Arzt, dessen unzweifelhaftes Ziel die Gesundheit darstellt, der Diagnose folgend ausmacht, was zu tun unter diesen Umständen in seiner Macht steht. (vgl. M 1032b). Ich werde dieser Explikation zustimmend zu zeigen versuchen, wie der praktische Syllogismus die Grundform dieses Überlegens abbildet, auf die sowohl der Handelnde als auch der Beobachter zurückgreifen können. 19 | Vgl. NE 1139a 34-35. 20 | Wie eng der praktische Syllogismus bei Aristoteles mit dem Vorsatz verwoben ist, zeigt das Anliegen, mit dem Aristoteles in De Motu Animalium den praktischen Syllogismus betrachtet. Denn dort fragt er sich, welches Denken zum Handeln bewegt und welches nicht (vgl. DMA 701a). Ich werde mich aus genannten Gründen nicht mit dieser Funktion des praktischen Schließens als Erwägen der Mittel befassen, mich aber dennoch auf Aristoteles‹ Beispiel aus diesem Text beziehen, da er dort ausnahmsweise eine conclusio angibt, die ein Handeln benennt, das sich in Umkehrung des Resultates der Überlegung zum Ausgangspunkt der Beschreibung machen lässt. 21 | Damit sei nicht gesagt, die Überlegungen aus dem siebten Buch der Nikomachischen Ethik seien grundsätzlich belanglos oder hätten keinen Bezug zum Wissen im Kontext von Handlungen. Allerdings scheint mir die dortige Auseinandersetzung mit dem praktischen Schließen anders gelagert zu sein als die hier angestellten Überlegungen. Während Aristoteles in NE VII die Frage behandelt, warum Handeln wider besseres Wissen vorkommt und woraus es hervorgeht, versuche ich aktuell herauszuarbeiten, in welcher Weise Akteure von ihren Handlungsvollzügen wissen und wie ein möglicher Beobachter weiß, dass er gerade eine Handlung verfolgt und keinem Naturschauspiel zusieht. Wenn Aristoteles sich also mit der Willensschwäche auseinandersetzt und Kontexte betrachtet, in denen jemand seinen Überzeugungen entgegen handelt, befasst er sich gewissermaßen mit einem Spezialfall. Die Aufgabe, der ich mich hier stelle, liegt dem gewissermaßen voraus, da gefragt wird, welches Wissen im Sinne eines Erlebens für Handlungen konstitutiv ist und nicht, wann und unter welchen Umständen ein spezifischer Vorsatz in Vergessenheit gerät. Auch willensschwache Handlungen sind m.E. im oben diskutierten Verständnis etwas Gewolltes und sie sind – möglicherweise mehr noch als andere Handlungen – kontext-
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gebundene Erlebnisse, die sich als Ereignisse beobachten lassen (vgl. NE 1146bff. Die Debatte um das Problem der Willensschwäche reicht weit in die Geschichte zurück und ist sehr verästelt.). 22 | Aristoteles zieht dieses Beispiel in Über die Bewegung von Lebewesen heran, um sich der Frage zu widmen, welches Denken eine Handlung hervorruft (DMA 701a-701b). Deshalb befasst er sich erst mit den überlegten Prämissen und zieht dann die notwendige Konklusion. Bemerkenswert ist, dass er ausführt, auch die Prämissen seien Handlungen, denn dies bestätigt, was ich oben herausgearbeitet habe: Das Vorsätzliche oder der Vorsatz beschreibt ein im Handeln liegendes Wissen und nicht lediglich eine Erwägung des richtigen Tuns, ehe gehandelt wird. 23 | DMA 701a 20-24. 24 | DMA 701a 18. 25 | Ebd. 701a 19. 26 | Es könnte verwundern, dass ich einen Satz wie »Ich bedarf einer Umhüllung« als Prinzip bezeichne, wo sich dieser doch theoretisch wie folgt ableiten lässt Alle Menschen brauchen eine Umhüllung. Ich bin ein Mensch. Ich brauche eine Umhüllung.
Damit wäre der betreffende Satz kein Prinzip, sondern eine Konklusion, an die sich dann der praktische Syllogismus anschließen würde. Für die Ablehnung dieser Betrachtung sei folgende Erklärung geliefert: Mir geht es hier um praktische Prinzipien und als praktisches Prinzip kann die kontextrelative praktische Feststellung, dass ich einer Umhüllung bedarf, zwar erfasst, aber nicht eingehender hergeleitet werden. Deutlicher wird dies vielleicht an Sätzen wie ›Gesundheit ist ein Gut‹, in denen kein Personalpronomen verwendet wird, sondern ein allgemeiner Sachverhalt ausgemacht wird. Wenn jemand z.B. meint, Rauchen gefährde die Gesundheit, und deshalb denkt, Rauchen sei zu unterlassen, und deshalb nicht raucht, bestimmt er sein Verhalten in Kontexten, in denen es sich anbieten würde zu rauchen unter dem Prinzip ›Gesundheit ist ein Gut‹. Die zugehörige theoretische Begründung würde lauten:
3. Erlebte Ereignisse
Menschen streben nach Gütern der Glückseligkeit. Zur Glückseligkeit gehört Gesundheit. Gesundheit ist ein Gut der Glückseligkeit.
Diese Begründung fügt dem Gut ›Gesundheit‹ als praktisch erstes Prinzip jedoch nichts hinzu. Die Tatsache, dass alle Menschen nach Glückseligkeit streben, ist nicht hilfreich, um den praktischen Bezug zwischen Kontext und Handlung zu fassen. Denn, wie Anscombe festgestellt hat und sich später noch deutlicher herausstellen wird, rührt die Wahrheit eines praktischen Schlusses nicht vom Schließen, sondern von der entsprechenden Handlung her: »[T]he practical truth is not the truth of those judgement« (TA 77). Deshalb können praktische Wahrheiten als praktische Handlungsprinzipien nicht in theoretischen Schlüssen abgeleitet werden. Auch wenn theoretische Schlüsse eine theoretische Begründung liefern können, machen sie das Prinzip eben als theoretisches, nicht als praktisches begreiflich. Denn praktische Prinzipien liegen im Handeln selbst. Diese strenge Form des theoretischen Syllogismus, bestehend aus zwei kategorialen Sätzen als Prämissen und einer Konklusion, entwickelt Aristoteles im ersten Buch der Ersten Analytik (vgl. ebd. 24a-29b). 27 | Vgl. DMA 701a 21. 28 | DMA 701a 20. 29 | In dieser Auseinandersetzung mit der Klugheit unterschlage ich bewusst, dass die Klugheit für Aristoteles das Nachdenken und Abwägen von praktischen Angelegenheiten überhaupt verantwortet (vgl. NE VI 7-9). Dies geschieht nicht, da ich diese entscheidende Dimension der Klugheit dementieren möchte. Jedoch habe ich das Abwägen der richtigen Handlung generell außen vor gelassen, da ich mich lediglich mit der Ausführung von Handlungen befasse und mich folglich vordringlich für den Beitrag der Klugheit zur Handlungsausführung interessiere. Dass dabei auch die Ausführungsumstände relevant sind, sollte der erste Teil der Arbeit deutlich gemacht haben. 30 | NE 1141b 15-23. Für die nun folgende Bestimmung des Verhältnisses von Prämisse und Vermögen im praktischen Schließen spricht die von Wolf vorgeschlagene Lesart dieser Stelle des sechsten Buches der NE. Sie erläutert das Verhältnis der beiden Prämissen des praktischen Schlusses mit
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Bezugnahme auf das Verhältnis von Klugheit und intuitiver Vernunft unter der Frage, was die Wahrnehmung des Letzten im Rahmen der Klugheit bedeutet. Voraussetzung ist das Erwägen, welche Handlung unter den gegebenen Umständen die richtige ist, denn: »Auf diese Weise haben wir es auch hier mit einer ›allgemeinen‹ ›aisthesis‹ zu tun, die in einem Vernunftzusammenhang steht. Die ›phronesis‹ bzw. die konkret auszuführende Handlung wird erfasst als richtige innerhalb des praktischen Überlegungszusammenhangs« (U. Wolf: Aristoteles’ Nikomachische Ethik 152). Daran wird deutlich, dass Aristoteles unter Klugheit nicht schlicht das Abwägen der nach eigener Erfahrung besten Mittel zur Erreichung eines Ziels meinen kann. Einen solchen rein der Erfahrung des Akteurs geschuldeten Begriff der Klugheit entwickelt Hobbes, der das Geschick der Klugheit, im Unterschied zu Aristoteles aber folgerichtig im Sinne seines mechanischen Anspruchs zur wissenschaftlichen Begründung des Lebens, auch den Tieren zuschreibt: »Aus dieser Definition ergibt sich klar, daß wir nicht jenes ursprüngliche Wissen, das man Erfahrung nennt, und woraus Klugheit besteht, als einen Teil der Wissenschaft ansehen dürfen. Denn sie wird nicht durch Schließen erlangt und man findet sie bei wilden Tieren so gut wie beim Menschen und sie ist nur Erinnerung an das Aufeinanderfolgen von Ereignissen in der Vergangenheit, bei denen die kleinste Auslassung jedes kleinsten Umstandes die Erwartung des Klügsten zunichte macht, da sie die Erwartung ändert, während durch richtiges Schließen nichts als allgemeine, ewige und unwandelbare Wahrheit erzeugt wird.« (T. Hobbes: Leviathan 507) Hier tritt die Klugheit als bloß kalkuliertes Erfahrungswissen als deutlicher Gegensatz zum wissenschaftlichen Wissen auf. Während das richtige theoretische Schließen des Geometers oder des Astronomen aus ewigen Ursachen ewige Schlüsse zieht, überträgt das kluge Tier oder der kluge Mensch lediglich Erfahrungen mit gleichartigen Umständen auf die gegenwärtigen, um seine Ziele zu erreichen. Bemerkenswert ist allerdings, dass dieser Klugheitsbegriff dennoch einem naturwissenschaftlichen Weltverständnis geschuldet ist. Irrt der Kluge in seiner Vorwegnahme der Umstände, da er eine Kleinigkeit außer Acht gelassen hat, scheitert er in der Umsetzung seines Plans. Die strenge Gesetzmäßigkeit der Welt verweigert im Falle des Irrtums den Erfolg. Bei Aristoteles hingegen zeichnet sich die Klugheit erstens durch je angemessenen Umgang mit ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Kon-
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texten aus und erschöpft sich zweitens nicht im perfekten, zweckmäßigen Kalkulieren der Mittel. Die Klugheit kann ihre Aufgabe vielmehr nur im Sinne des durch den nous eingesehenen Guts erfüllen und hat deshalb, wie sich gleich zeigen wird, wesentlichen Anteil am praktischen Schließen, das gerade nicht beliebig ist, sondern die Handlung in ihrem Vollzug als folgerichtig beschreibt. 31 | Mit dieser Notation habe ich das soeben zitierte Beispiel von Aristoteles in die typisch syllogistische Form gebracht und die Konklusion, die tatsächlich eine Handlung darstellt, zur Verdeutlichung in eine sprachliche Form gebracht. 32 | Vgl. NE 1141b 23. 33 | NE 1145a 6-12. 34 | Die Nähe Anscombes zu Wittgenstein werde ich, da ich kein historisches Anliegen verfolge, nicht näher erörtern. Aber ich werde versuchen, in entsprechenden Fußnoten zu zeigen, dass sich ihre Erläuterung des Sprachspiels der Absicht als Kommentar zu Wittgenstein lesen lässt. Dies ermöglicht mir einerseits, Anscombes Gedanken noch weiter zu präzisieren. Andererseits erlaubt es mir, mich in meiner Auseinandersetzung mit Wittgenstein vornehmlich dem Gebrauch als Konkretion der Handlung im Erleben zuzuwenden, ohne auf Wille, Intention etc. verweisen zu müssen. Schließlich glaube ich, dass dieses Vorgehen zu mehr Klarheit in der Darstellung führt, da es im letzten Kapitel dieses Buches um die Intersubjektivität des Handlungsvollzugserlebens im Gebrauch und gerade nicht um das Problem des Wollens und der Absicht geht. 35 | Vgl. A Fußnote 14 in Paragraph 40. Die Anmerkung zeigt, wie eng Anscombes Überlegungen mit denen des Aristoteles verbunden sind, ohne deshalb in allen Ansprüchen mit ihm übereinzustimmen: »Daß Aristoteles zur Beschreibung des ›Handelns‹ den künstlichen Begriff ›Vorsatz‹ verwendet, wo ich Absicht gebrauche, hängt mit der Schwierigkeit dieses Themas zusammen« (ebd.). Das Problem, das Anscombe hier erwähnt, bezieht sich auf die Frage, wie das Verhältnis von Lust und Handlung zu bestimmen ist. Liegt die Lust in der Aktivität oder ist sie von der Aktivität zu unterscheiden? Obwohl das Problem der Lust nicht das zentrale Thema in Anscombes Abhandlung ist, wird an der Art, wie sie Aristoteles’ Problem hier aufgreift, die Herausforderung sichtbar, die mit ihrem Vorhaben einhergeht: Sie will
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einerseits herausarbeiten, dass die Absicht der Handlung nichts hinzufügt, aber andererseits etwas meinen kann, das über die Handlung hinaus in die Zukunft weist. Wenn Anscombe sich in ihrem Projekt für eine andere und – wie sich herausstellen wird – passendere Begrifflichkeit entscheidet, so befasst sie sich dennoch mit einem ähnlichen Aspekt des Handelns wie jenem, den Aristoteles mit Vorsätzlichkeit thematisiert. 36 | Vgl. A 47. 37 | Wie wichtig es Anscombe ist, klarzustellen, dass ihr gerade nicht an einer Ethik, sondern an einer Handlungstheorie gelegen ist, konkretisiert sich an ihrer Hinführung zu ihrem berühmten ›Nazibeispiel‹, in dem eine Gruppe von Nazis es als erwünscht sieht, in ihrer letzten Stunde möglichst viele Juden zu töten: »Angesichts des derzeitigen Zustands in der Philosophie ist es offenbar nötig, ein Beispiel zu wählen, dessen Konturen nicht dadurch verwischt werden, daß die moralische Zustimmung des Autors oder Lesers dabei ins Spiel kommt. Denn die Zustimmung ist im Grunde ohne Belang für die logischen Merkmale des praktischen Schließens« (A 38). 38 | A 29. 39 | Anscombe scheint mit diesem Gedanken in der Tradition Ryles zu stehen, der in Der Begriff des Geistes mit seinem Vorwurf an Descartes, das ›Dogma des Geistes in der Maschine‹ eingeführt zu haben (vgl. G. Ryle: Der Begriff des Geistes 13), zeigt, dass sich dadurch das Problem stellt, auf welche Art von Ursache das geistige Ereignis, das die Handlung hervorruft, zurückzuführen ist. In diesem Sinne wendet sich Ryle in Pleasure gegen die Auffassung, Genuss oder Lust seien auf den inneren Eindruck eines wunderbaren Erlebnisses zurückzuführen (vgl. Gilbert Ryle: Pleasure. In: Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary Volumes. Vol. 28: Belief and Will (1954) 135-150, 138). Ähnlich grenzt sich Anscombe von den Erkenntnistheorien Lockes und Humes ab (A 40). Denn wenn Locke Erkenntnis als Wahrnehmung des Zusammenhangs oder der Gegensätzlichkeit zwischen den Ideen begreift, dann geht Wissen immer auf die Wahrnehmung dieses Verhältnisses zurück (Vgl. John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. Bd. 2 Buch III und IV, übersetzt von Carl Winckler. (Hamburg 2006 [1690]) IV. Buch I, 2). Mehr noch, da es nach Locke keine angeborenen Ideen geben kann, stammen alle Ideen aus durch das Urteilsvermögen modifizierten Sinneseindrücken (vgl. J. Locke: Versuch über den menschlichen
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Verstand. Bd. 1 Buch I und II, übersetzt von Carl Winckler. (Hamburg 2006 [1690]) II. Buch IX, 8), d.h. es kann letztlich kein Wissen geben, das, obwohl den Ideen geschuldet, nicht aus der Wahrnehmung stammt. So untersucht Locke, um die Idee der Kraft, durch die Menschen Veränderungen herbeiführen oder deren Wirkungen sie passiv erleiden können, zu fassen, das Verhältnis von Denken und Bewegung und behauptet, »daß wir in uns die Kraft vorfinden verschiedene Tätigkeiten unseres Geistes oder Bewegungen unseres Körpers vorzunehmen oder zu unterlassen, fortzusetzen oder abzuschließen und zwar lediglich durch einen Gedanken oder eine Bevorzugung seitens des Geistes, der die Ausführung oder Nichtausführung dieser oder jener Einzelhandlung gleichsam anordnet oder befiehlt« (J. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. Bd. 1 Buch I und II, II. Buch XXI 5). Die Idee der Kraft – oder die Beobachtung des eigenen Willens – führt nach Locke zur entsprechenden Handlung, so dass der Akteur aufgrund des Zusammenspiels von Denken und Bewegung einen inneren Eindruck von seinem Tun hat. Hume, dessen empiristische Erkenntnistheorie aus Zweifel am Verstand nur gelten lässt, was sich tatsächlich beobachten lässt (vgl. David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand hg. von Jens Kuhlenkampff übersetzt von Raoul Richter. (Hamburg 121993 [1758]) 32ff) gab später, obwohl er die Vorstellung einer inneren, nicht beobachtbaren Kraft zurückweist, eine mit Blick auf den inneren Eindruck des Handelns ähnliche Definition des Willens, wie Locke: »Ich bitte dabei wohl zu bemerken, daß ich mit dem Willen hier nichts anderes meine, als den innerlichen Eindruck, den wir fühlen und dessen wir uns bewußt werden, wenn wir mit Bewußtsein eine Bewegung unseres Körpers oder eine Perzeption unseres Geistes ins Dasein rufen« (David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch II. Über die Affekte. Buch III. Über Moral, hg. von Reinhard Brandt, übersetzt von Theodor Lipps. (Hamburg 1979 [1740]) 136). Selbst bei Hume, wenn auch aus anderen Gründen, wird die Handlung aufgrund der Beobachtung eines inneren Eindrucks vom Akteur gewusst. Anscombe wendet sich folglich mit ihrer Zurückweisung eines Aktes der Absicht gegen Auffassungen, die meinen, Handlungen würden aufgrund des das Handeln begleitenden inneren Eindrucks gewusst und setzt ihnen das Wissen ohne Beobachtung entgegen. 40 | Vgl. A 29.
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41 | Die von mir im Rahmen dieser Arbeit stets benutzte Wendung ›im Handeln liegendes Wissen‹, wo evtl. der Begriff ›praktisches Wissen‹ erwartet werden könnte und wo auch Anscombe ihn dann und wann benutzt, orientiert sich an Anscombes Formulierung, das Wissen um das Handeln liege in der Absicht (vgl. A 32). Ich möchte damit andeuten, dass es mir erstens in meiner Auseinandersetzung mit Anscombe nur um jenen Aspekt des praktischen Wissens geht, der in der Absicht liegt und uns deshalb verdeutlicht, was wir tun und dass alle weiteren Facetten dieses Begriffs, etwa das Können einer Person, nicht berücksichtigt werden. Zweitens vermute ich, dass es sich bei dem Wissen, das mit dem Handeln einhergeht und das folglich im Handeln liegt, um ein Wissen handelt, das weder theoretisch noch praktisch ist. Drittens hoffe ich mit Aristoteles gezeigt zu haben, dass das Wissen um den Handlungsvollzug im Handeln selbst liegen muss. 42 | Vgl. A 27. 43 | A 2. 44 | Bemerkenswerterweise greift Anscombe in ihrem Buch dieses Warum im Bereich des Handelns auf und versucht, jenen Bereich abzustecken, in dem die Warum-Frage Ereignisse als Handlungen beschreibbar macht. Ich werde diesen Gedanken nicht weiter verfolgen, aber ich denke, er zeigt an, wie eng Anscombes Handlungstheorie auch methodisch mit Aristoteles verzahnt ist. 45 | MM 189b 6-25. 46 | Vgl. MM 198a-198b 5. 47 | A 2. 48 | Ebd. 49 | Vgl. ebd. 50 | Ebd. 4. 51 | Zwei Anmerkungen könnten möglicherweise für das Verständnis dieser These aufschlussreich sein. Erstens die Wittgenstein’sche Idee, gegen die Anscombe mit ihrer Frage anschreibt, und zweitens die mutmaßliche Anleihe, die sie dafür bei ihm nimmt, ohne sie ausdrücklich zu erwähnen und in Gänze zu teilen. Der erste Punkt betrifft einen Paragraphen aus den Philosophischen Untersuchungen, der ein Beispiel erwähnt, das Anscombe am Ende ihrer Überlegungen erneut aufgreift, um ihre eigene These zu belegen. Dort heißt es: »Was ist der natürliche Ausdruck einer Absicht? – Sieh
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eine Katze an, wenn sie sich an einen Vogel heranschleicht; oder ein Tier, wenn es entfliehen will. ((Verbindung mit Sätzen über Empfindungen.))« (PU 647). Anscombe wendet sich gegen Wittgensteins Idee eines natürlichen Ausdrucks der Absicht und meint, Absicht ist letztlich etwas konventionelles, sprachliches (A 47). Ich bin mir nicht sicher, ob sie mit diesem Einwand Wittgensteins Überlegungen zur Absicht trifft, doch er verdeutlicht, worum es ihr mit ihrem Buch geht. Wittgenstein antwortet auf die Frage, was der natürliche Ausdruck einer Absicht sei, mit dem Hinweis auf das Heranschleichen einer Katze und hätte, wenn ich Anscombe richtig verstehe, antworten müssen: ›Diese Frage ist falsch gestellt, da es keinen natürlichen Ausdruck der Absicht geben kann, aber wir können die Bewegungen, die eine Katze macht, wenn sie sich an einen Vogel heranschleicht, als absichtliche beschreiben, indem wir sagen, ›die Katze pirscht sich an den Vogel heran‹ und ihre Bewegungen so innerhalb der sprachlichen Konvention der Absicht beschreiben.‹ Anscombe wendet sich also gegen die Vorstellung, Absicht sei eine Gemütsbewegung oder Empfindung. Wittgenstein wendet sich mit dieser Aussage über die Bewegungen der Katze gegen genau den gleichen Punkt, denn die Beispiele, durch die er seine Position untermauert, geben nicht Körperbewegungen an, sondern Handlungen, die zugleich Situationen entstehen lassen, in die die Absicht eingebettet ist. Absicht ist für Wittgenstein ausdrücklich keine Empfindung oder Erfahrung, wie PU 588 und BPP II 179 belegen, aber sie ist für Wittgenstein auch nicht sprachlich konventionell, sondern grammatisch. Damit komme ich zur zweiten Anmerkung, die ich hier erläuternd anfügen möchte, der mutmaßlichen impliziten Anleihe, die Anscombe bei Wittgenstein nimmt. In Wittgensteins sogenanntem Blauen Buch findet sich folgender Hinweis zu dem Wort ›Meinen‹: »›Meinen‹ ist eines der Wörter, von denen man sagen kann, daß sie Gelegenheitsarbeiten in der Sprache ausführen. Diese Wörter verursachen die meisten philosophischen Verwirrungen.« (B-B 74). Was Wittgenstein hier mit Blick auf ›Meinen‹ feststellt, nämlich dass ›Meinen‹ nur gebraucht wird, sofern unklar ist, was jemand meint, kann auch auf die Frage nach der Absicht übertragen werden. Ob eine Handlung absichtlich ist oder nicht bzw. was der Handelnde damit beabsichtigen könnte, ist nur dann zweifelhaft, wenn unverständlich bleibt, was der Betreffende tut. Anscombe will mit ihrer Untersuchung dem Gelegenheitsarbeiter ›Absicht‹ auf die Spur kommen und begreift ihn des-
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halb als etwas sprachlich konventionelles. Dabei übersieht sie, dass die Erkundigung ›Was machst du da?‹ sehr viel alltäglicher ist als die Frage ›Warum schreibst du eine Geburtstagskarte?‹, und untersucht deshalb ausführlich eine Frage und somit auch ein Problem, das sich anderenfalls gar nicht stellt: die Frage, warum jemand etwas tut, als Hinsicht des Ereignisses, die es als absichtliches erscheinen lässt. Doch die Absicht ist, wenn man so sagen darf, keine Hinsicht des Ereignisses, sie ist das Ereignis des Handelns selbst. (Den Anstoß zu diesen Überlegungen sowie den Hinweis auf den Gelegenheitsarbeiter verdanke ich den Diskussionen in einem Seminar von Christian Bermes zu den Philosophischen Untersuchungen im Sommersemester 2013 an der Universität Koblenz-Landau.) 52 | A 4. 53 | Mir ist bewusst, dass ich der äußerst komplexen Rolle, die die Warum-Frage in Anscombes Werk zur Erschließung der sprachlogischen Eigenschaften des Begriffes ›Absicht‹ hat, mit diesem kurzen Hinweis in keinster Weise gerecht werde. Doch indem ich die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt des Anscombe’schen Denkens soweit wie möglich außen vor lasse, vermeide ich die Rede über Handlungsgründe, die leicht zu dem Missverständnis führen könnte, es ginge um Gründe, die jemand für etwas hat oder die ihn zu einer Handlung berechtigen. Darum geht es, so glaube ich, weder Anscombe noch mir. Dennoch bin ich der Meinung, dass Anscombe zwar mit der Warum-Frage ein Werkzeug –wenn auch, wie gesagt, kein alltägliches, sondern eher ein methodisches – gefunden hat, um den Bereich des Handelns sprachlich abzustecken. Jedoch hat sie sich damit den Blick darauf verstellt, dass die Möglichkeit der Handlungsbeschreibung nicht durch die Warum-Frage, sondern durch die Struktur des Handlungsvollzuges eröffnet wird. Sie schreibt: »Bei der Beschreibung dessen, was uns interessiert, handelt es sich um eine Beschreibung, die gar nicht existierte, wenn es unsere Warum-Frage nicht gäbe« (A 46). Es ist nicht die Frage nach dem Warum, die es erlaubt, ein Ereignis durch die entsprechende Antwort als Handlung zu beschreiben. Anscombe selbst hat mit ihrer Bestimmung des Verhältnisses von Wissen und Wahrnehmung im Handlungsvollzug als Wissen ohne Beobachtung ausgewiesen, wann Ereignisse als Handlungen beschrieben werden können. Die Beschreibung eines Ereignisses als Handlung besteht, sofern das Ereignis ohne Beobachtung gewusst wird. Dieses Wissen ohne
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Beobachtung ist – ganz gleich aus welcher Perspektive – entscheidend für die Beschreibung eines Ereignisses als Handlung, nicht die Möglichkeit, die Warum-Frage mit Handlungsgründen, die evtl. nur der Akteur selbst angeben kann, zu beantworten. Ich bin fast versucht zu behaupten, dass die Frage nach den Gründen, trotz aller gegenteiligen Behauptungen ihrerseits, so etwas ist wie der letzte Rest eines Vorrangs des Akteurs vor seinem Beobachter, obwohl sie aufgrund des in der Handlung liegenden Wissens letztlich beide keine Zuschauer sind und deshalb der eine nichts ›besser‹ wissen kann als der andere. Mit der Warum-Frage unterläuft auch Anscombe die systematische Untrennbarkeit von Akteur und Handlung zu Gunsten einer nicht nur, wie sie selbst nahelegt, empirischen (vgl. A 23), sondern auch systematischen Privilegiertheit des Akteurs vor seinem Beobachter. 54 | A 18. Einfügung AMS. 55 | Vgl. A 23. 56 | Vgl. ebd. 47. 57 | Vgl. ebd. 18. 58 | Hier bezieht sich Anscombe auf Wittgensteins § 500 der PU: »Wenn gesagt wird, ein Satz sei sinnlos, so ist nicht sein Sinn sinnlos. Sondern eine Wortverbindung wird aus dem Verkehr gezogen.« 59 | A 18. 60 | »Ein ›innerer Vorgang‹ bedarf äußerer Kriterien« (PU 850) stellt Wittgenstein fest und weist so darauf hin, was im Falle der Suche nach dem visuellen Vorstellungsbild eines Blinden fehlt: das äußere und damit geteilte Kriterium dafür, dass ein innerer Vorgang angenommen werden kann. Ohne die äußerliche Fähigkeit des Sehens ist es unverständlich und damit sinnlos, von einem visuellen Vorstellungsbild zu sprechen. Dieser Gedanke enthält einen, wenn nicht den entscheidenden Hinweis darauf, was Anscombe mit ihrer Untersuchung der Absicht zu Tage gefördert hat: Einen weiteren äußeren Hinweis darauf, was die Absicht einer Handlung sein könnte, als das Handeln selbst gibt es nicht. Deshalb kann mit ›Absicht‹ kein über die Handlung hinausgehender, innerer Vorgang gemeint sein, sondern nur das Verständnis des Handelns selbst. 61 | Vgl. A 18. Hinter dieser Argumentation stecken, wie Anscombe selbst anführt, zwei Aspekte, auf die Wittgenstein immer wieder hingewiesen hat. Bei dem einen handelt es sich um das sog. Privatsprachenargument, bei
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dem anderen um den Gedanken der Therapie. Den erstgenannten Aspekt möchte ich kurz einholen, indem ich auf Wittgensteins Hinweis innerhalb der Privatsprachengegenargumentation eingehe, was eine Zeichnung eines visuellen Vorstellungsbildes abbildet und umgekehrt, was eine solche Skizze nicht wiedergeben kann. Wittgensteins Gesprächspartner votiert für die unverzichtbare Bedeutung privater Vorstellungen und stützt seine Position durch den Verweis darauf, dass der Entwurf eines Bühnenszenarios zwei Funktionen erfüllt. Erstens die Übermittlung seiner Idee zur Inszenierung der Szene und zweitens die Abbildung des keinem anderen zugänglichen privaten Eindrucks des Zeichners von der entworfenen Szene. Wittgenstein bringt die kritische Rückfrage vor, mit welchem Recht im zweiten Fall von einer Mitteilung gesprochen würde, wenn das Verb ›mitteilen‹ im ersten richtig verwendet wurde (vgl. PU 280). Im gegenwärtigen Zusammenhang ist dieser Einwand in doppelter Hinsicht aufschlussreich: Zum einen stößt er seinen Gegner darauf, dass, wenn etwas mitteilbar ist, es nicht gleichzeitig privat sein kann. Zum anderen wirft er die Frage auf, wie sich, sofern es nur eine sinnvolle Verwendung von ›mitteilen‹ geben kann, die eine Mitteilung von der anderen unterscheiden sollte. Indem der Zeichner seine Vorstellung zu Papier bringt, verbildlicht er, dass seine Vorstellungen in dem Maße, in dem sie als solche verständlich werden, alles andere als privat sind. Die Suche nach der ›eigentlichen‹ Vorstellung erweist sich somit als müßig, denn nach welchem Kriterium sollte auf etwas über das Mitgeteilte hinausgehendes verwiesen werden? Analog gestaltet sich die Relation zwischen einer Handlung und ihrer Beschreibung: ›Hinter‹ der Beschreibung liegt nichts, worauf zu verweisen notwendig und sinnvoll wäre. Damit komme ich zum zweiten von Anscombe bei Wittgenstein entlehnten Aspekt, dem Problem der Therapie. Auch hier lassen sich aus Wittgensteins Bemerkungen zwei weiterführende Einsichten ableiten. Diesmal geht es um den Ausschluss von Wortverbindungen aus der Sprache. Ausgangspunkt ist die Aussage ›Alle Werkzeuge dienen dazu, etwas zu modifizieren‹. Daran schließt sich die Rückfrage an, was Maßstab, Leimtopf und Nagel modifizieren. Was wäre denn gewonnen, wenn festgestellt würde, diese Dinge modifizierten das Wissen über den Leim, die Länge oder die Festigkeit eines Gegenstandes? (vgl. ebd. 14) Nichts. Die Wortverbindung zwischen Maßstab und Modifikation ist deshalb aus der Sprache ausgeschlossen, da das Sprachspiel des
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Messens nicht mit jenem des Modifizierens kompatibel ist. Davon kann für das Handeln zunächst abgelesen werden, dass sich nicht jedes Sprachspiel mit jenem des Messens oder der Frage nach einem Kriterium verbinden lässt. Handeln hat, wie ich zu zeigen hoffe (denn wie unter Rekurs auf die Bedeutungslosigkeit privater Vorstellungen vorgeführt), kein Kriterium, das als Maßstab für eine Handlung dienen könnte. Daraus resultiert der zweite Hinweis, der für die Handlungstheorie zu generieren ist: Das Sprachspiel des Handelns kann zwar nicht ohne jenes des Handelnden gespielt werden, aber es steht nicht in Zusammenhang mit jenem innerer Vorstellungen oder Akte. Die Verbindung zwischen diesen beiden ist ebenso unsinnig wie jene zwischen Modifizieren und Messen. Antwortet jemand auf die Frage ›Was machst du da?‹ ›Ich habe mir es so vorgestellt.‹, lässt er den Fragenden so hilflos wie zuvor, denn durch diese Verbindung ist nichts verdeutlicht. Eine solche Antwort bezieht sich eher auf zukünftige Erwartungen oder unerfüllte Pläne, nicht aber auf Handlungsvollzüge. 62 | A 25. 63 | Der Punkt, um den es mir mit Anscombe hier geht, kann wiederum mit Wittgenstein weiter zugespitzt werden. Wittgenstein schreibt: »Eine Erwartung ist in eine Situation eingebettet, aus der sie entspringt. Die Erwartung einer Explosion kann z.B. aus einer Situation entspringen, in der eine Explosion zu erwarten ist« (PU 581). Die Überraschung der Frau, die unverhofft von ihrem Mann geküsst wird, entsteht dadurch, dass die beiden sich in Kontexten befinden, in der eine Geste der Zuneigung nicht erwartet wird. Im Falle der Handelnden, die ihre grünen Bücher herumträgt, verhält es sich gewissermaßen umgekehrt: Für das vorliegende Handeln steht kein Kontext zur Verfügung, der es erwartbar werden ließe. Da kein Kontext zur Verfügung steht, in dem ein solches Verhalten zu erwarten wäre, sind die beiden nicht überrascht, sondern ratlos darüber, wie sie das Handeln beschreiben sollen. Ohne eine entsprechende Situation, in die das Handeln eingebettet ist, wird es weder verständlich noch kalkulierbar. 64 | A 18. Einfügung AMS. 65 | Anscombe spricht im Zusammenhang von Handlungsbeschreibungen auch ausdrücklich von »lebensbezogenen Beschreibungen« (A 47) in dem zweifachen Sinn, der schon bei Aristoteles zu finden war.
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66 | A 19. Dieses und das nachfolgende Zitat tauchen bei Anscombe im Zusammenhang mit dem Versuch auf, die Annahme eines spezifischen Merkmals der Absicht zu widerlegen, das aus einer – wie Anscombe sagt – vorabsichtlichen Handlung eine absichtliche macht. Ihr »Gedankenexperiment« bei dem sie davon ausgeht, dass es ein solches Merkmal der Absicht gäbe, das Handlungen ergänzt und zu absichtlichen werden lässt, führt zu einem ähnlichen Missverständnis wie jenem, das bei der Annahme, Blindgeborene hätten visuelle Vorstellungsbilder, auftauchte: Es gibt kein Kriterium, nach dem sich ein solches Merkmal festmachen ließe. Deshalb kann zur Beschreibung einer Handlung auf nichts anderes verwiesen werden als auf die Handlung selbst (vgl. ebd). 67 | Ebd. Vielleicht können diese Überlegungen Anscombes zur Beschreibung von Handlungen als absichtliche konkretisiert werden, indem ich darauf hinweise, dass Feststellungen über die Absicht eines anderen grammatische Sätze im Sinne Wittgensteins zu sein scheinen. Wer es also unternimmt, eine Handlung als absichtliches Ereignis zu beschreiben, der ordnet es mit den Mitteln der Sprache in die Klasse jener Ereignisse ein, die sich als absichtliche beschreiben lassen. Er nutzt die Möglichkeiten der Sprache, um etwas, das keine weiteren Kriterien zu seiner Kennzeichnung bereithält, zu fassen, und bringt damit die Funktionsweise der Sprache und die Struktur des Ereignisses auf den Punkt. Während der Lektüre von Anscombes Absicht kam mir der folgende Paragraph aus Wittgensteins Philosophischer Grammatik unter. »Wir sagen, der Ausdruck der Erwartung >beschreibe< die erwartete Tatsache, und denken an einen Gegenstand oder Komplex, der als Erfüllung der Erwartung in die Erscheinung tritt. – Aber der Erwartete ist nicht die Erfüllung, sondern: daß er kommt. Der Fehler ist tief in unserer Sprache verankert: Wir sagen >>ich erwarte ihn>ich erwarte sein KommenIch tue< scheint einen bestimmten Sinn zu haben, abgelöst von jeder Erfahrung.« Ich habe die Wiedergabe des Paragraphen deshalb unterbrochen, da Wittgenstein damit eine bestimmte transzendentalphilosophische Interpretation seiner Einleitungssätze liefert, die er selbst nicht teilt und der auch ich mich nicht anschließen würde, da ich ja ausdrücklich zeigen möchte, dass dem Handeln kein reines Wollen vorausgeht, das als das eigentliche Handeln begriffen werden muss. Wittgenstein stellt in diesen Paragraphen die transzendentalphilosophische Auffassung des Handelns gegen eine empiristische (vgl. ebd. 611ff) und zeigt, dass die Empiristen Handeln nur als Kausalreaktion beschreiben und darüber den Akteur vergessen und die Transzendentalphilosophie zwar richtigerweise das Ich im Handeln betont. Doch darüber vergisst sie, dass dem Akteur sein Handeln nicht erscheint, er sich selbst nicht als Akteur erlebt. 75 | Ebd. 621. 76 | BPP I 897. 77 | Ich sehe mich zu diesem Schluss berechtigt, da Wittgenstein unter ›Wollen‹ oder ›Willkür‹ weder eine bestimmte Absicht noch einen Willensakt versteht, sondern schlicht die Tatsache, dass eine Bewegung in einer bestimmten Situation als Handlung aufgefasst wird: »Ein Kind stampft mit den Füßen im Zorn: ist es nicht willkürlich? Und weiß ich irgendetwas von seinen Bewegungsempfindungen, wenn es dies tut? Im Zorn stampfen ist willkürlich. Kommen, wenn man gerufen wird, in der gewöhnlichen Umgebung, ist willkürlich. Unwillkürliches Gehen, Spazierengehen, Essen, Spre-
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chen, Singen wäre (ein) Gehen, Essen, Sprechen etc. in einer anormalen Umgebung. Z.B. bewußtlos: wenn man im übrigen handelt, wie unter Narkose; oder wenn die Bewegung vor sich geht, und man weiß nichts von ihr, sobald man die Augen schließt; oder wenn man die Bewegung nicht einstellen kann, so sehr man sich auch bemüht; etc.« (BPP I 902). Zur Situativität des Handelns gehört bei Wittgenstein immer auch der Handelnde, wie diese Textstelle eindrücklich belegt. Ändert sich sein Zustand, wandelt sich die Situation des Handelns. Der Akteur steht nicht vor der Handlung fest, sondern konkretisiert sich im Gebrauch. Sollte diese Konkretion auch aufgrund des Zustandes des Handelnden nicht gelingen, kann nicht von einer Handlung gesprochen werden. 78 | PU 404. 79 | Hinter diesen Überlegungen steckt Wittgensteins Argumentation gegen die Möglichkeit einer privaten Sprache. Ich möchte das sog. »Privatsprachenargument« hier nicht im Detail entfalten, da es weg vom Handlungsvollzug und hin zum Problem der Verständlichkeit scheinbar rein privater innerer Erlebnisse führt. Hilfreich könnten jedoch zwei Hinweise sein, die Wittgenstein im Kontext dieser Argumentation bringt, denn sie pointieren, dass die Privatheit der Empfindung alltäglich keine Rolle spielt und dass Schmerz und Schmerzverhalten untrennbar sind. »Schau auf das Blau des Himmels, und sage zu dir selbst ›Wie blau der Himmel ist!‹ – Wenn du es spontan tust – nicht mit philosophischen Absichten – so kommt es dir nicht in den Sinn, dieser Farbeindruck gehöre nur dir. Und du hast keine Bedenken, diesen Ausruf an einen Anderen zu richten. Und wenn du bei den Worten auf etwas zeigst, so ist es der Himmel. Ich meine: du hast nicht das Gefühl des In-dich-selber-Zeigens, das oft das ›Benehmen der Empfindung‹ begleitet, wenn man über die ›private Sprache‹ nachdenkt« (PU 275). Worauf es mir mit diesem Paragraphen ankommt, ist Wittgensteins Erinnerung daran, dass das alltägliche Verständnis unseres Erlebens nicht bei der Privatheit der Empfindung ansetzt, sondern selbstverständlich davon ausgeht, dass diese Empfindung (bzw. für meine Aufgabenstellung gesprochen, diese Handlung) intersubjektiv verständlich ist. Diesen Himmel erlebe nicht nur ich als wunderbar blau, mit mir erleben ihn alle anderen so und aus diesem Grund ist es überflüssig darauf hinzuweisen, dass ich ihn als wunderbar blau empfinde, oder auszuführen, wie es sich anfühlt, wenn
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der Himmel als wunderbar blau erlebt wird. Meine Paraphrase des Paragraphen bringt mich sogleich zum nächsten Gedanken. Denn, wie Wittgenstein in seiner Privatsprachengegenargumentation deutlich macht, ist die Annahme einer privaten Sprache deswegen widersinnig, da in einer solchen Sprache völlig unklar bliebe, wie die Worte zu gebrauchen wären, und die Sprache damit völlig unverständlich bliebe, weil niemand wüsste, was die Worte bedeuten. »›Aber kommt es, was du sagst, nicht darauf hinaus, es gebe, z.B. keinen Schmerz ohne Schmerzbenehmen?‹ – Es kommt darauf hinaus: man könne nur vom lebenden Menschen und was ihm ähnlich ist, (sich ähnlich benimmt) sagen, es habe Empfindungen; es sähe; sei blind; höre; sei taub; sei bei Bewußtsein, oder bewußtlos« (PU 281). Empfindungen können also nur einem Wesen zugeschrieben werden, das sich seinen Empfindungen gemäß verhalten kann. Fehlt dieses Verhalten völlig, bleiben die Empfindungen unverständlich, da niemand ausgemacht werden kann, der diese Empfindungen hat, und so für alle unverständlich bleibt, was diese Empfindungen bedeuten. Aber, und dies ist entscheidend, die Intersubjektivität des Benehmens verhindert nicht, dass der Einzelne im Zweifel in der Lage ist, dieses Benehmen zu unterdrücken. Ja, die Intersubjektivität des Benehmens erlaubt vielmehr erst, das entsprechende Verhalten in unpassenden Momenten nicht zu äußern, da es ansonsten als Verhalten diffus und unverständlich bliebe. 80 | Worum es Wittgenstein mit dieser Einschätzung geht, wird erkennbar, wenn die Situation umgekehrt wird. Weshalb unterdrückt jemand, der Schmerzen empfindet, sein Leiden? Nicht etwa, da dies den Schmerz lindern oder vergessen machen würde, er möchte von den anderen nicht als die Person angesehen werden, die Schmerzen hat. Die Schmerzempfindung wird nur dadurch zum Schmerzerlebnis einer konkreten Person, dass der Betroffene die Schmerzen tatsächlich artikuliert und so die Möglichkeit bietet, ihn als kranke Person zu bestimmen. Diesen Gedanken formuliert Wittgenstein selbst im Braunen Buch mithilfe von Gefühlsäußerungen wesentlich drastischer: »Denke hier [um zu verstehen, wie Gebrauch und Bedeutung in einem Lebenszusammenhang eingebettet sind] auch daran, daß die Erfahrungen einer Gemütsbewegung, zum Teil wenigstens, klar lokalisierbare Erfahrungen sind. Denn, wenn ich die Stirn runzle, so fühle ich die Spannung des Runzelns in der Stirne, und wenn ich weine, so sind die Empfindungen
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in der Umgebung meiner Augen ein wichtiger Bestandteil dessen, was ich fühle, wie es die veränderte Atmung ist, das Klopfen des Herzens u.s.w. Ich glaube das ist es, was William James meinte, als er sagte, man weine nicht, weil man traurig ist, sondern man sei traurig, weil man weint. Der Grund, weshalb diese Idee oft nicht verstanden wird, liegt darin, daß wir die Äußerung eines Gefühls als künstliches Verständigungsmittel auffassen, um dem Anderen zu zeigen, daß wir dieses Gefühl haben. Nun gibt es keine scharfe Grenze zwischen solchen ›künstlichen Mitteln der Verständigung‹ und dem, was man den ›natürlichen Ausdruck des Gefühls‹ nennt« (BB 149), aber als Gefühle werden sie nur durch ihren jeweiligen Kontext verständlich. Dabei ist es unerheblich ob die Gefühlsäußerung künstlich oder echt ist, das eine lässt sich kaum vom anderen unterscheiden. 81 | In diesem Sinne schreibt Wittgenstein im Blauen Buch: »Der Mund, der >ich< sagt, oder die Hand, die erhoben wird, um anzudeuten, dass ich es bin, der sprechen will oder Zahnschmerzen hat, zeigt damit nicht auf irgendetwas. Wenn ich andererseits auf die schmerzhafte Stelle hinweisen will, dann zeige ich auf etwas. Bedenke hier wieder folgenden Unterschied: einerseits zeige ich auf die schmerzhafte Stelle, ohne dabei vom Auge geführt zu werden, und andererseits zeige ich auf eine Narbe an meinem Körper, nachdem ich erst hingesehen habe. […] Der Mann, der vor Schmerz aufschreit, oder der sagt, daß er Schmerzen hat, wählt nicht den Mund aus, der das sagt« (B-B 108). Schmerzbenehmen oder Schmerzäußerungen sind demnach ebenso wenig wie Handlungen Ergebnis des Wählens einer Person, sich als diese Person auszuzeichnen, denn niemand wählt für sein Handeln aus den Möglichkeiten, seinen Körper zu benutzen, aus, sondern er handelt und ermöglicht den anderen so, ihn als diese oder jene Person zu sehen, und die anderen ermöglichen ihm wiederum, sein Handeln als dieses Tun zu erleben. 82 | Wittgenstein macht einen gravierenden Unterschied zwischen der Gewissheit der ohne Beobachtung gewussten Tatsache, dass ein Mensch Schmerzen hat, und dem Wissen darum, wer Schmerzen hat. »Ich weiß, daß hier ein kranker Mensch liegt? Unsinn! Ich sitze an seinem Bett, schaue aufmerksam in seine Züge. – So weiß ich also nicht, daß da ein Kranker liegt? – Es hat weder die Frage, noch die Aussage Sinn. So wenig wie die: ›Ich bin hier‹, die ich doch jeden Moment gebrauchen könnte, wenn sich die
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Gelegenheit dazu ergäbe. – So ist also auch ›2x2=4‹ Unsinn und kein wahrer arithmetischer Satz, außer bei bestimmten Gelegenheiten? ›2x2=4‹ ist ein wahrer Satz der Arithmetik – nicht ›bei bestimmten Gelegenheiten‹ noch ›immer‹ – aber die Laut- und Schriftzeichen könnten im Chinesischen eine völlig andere oder keine Bedeutung haben oder aufgelegter Unsinn sein, woraus man sieht: nur im Gebrauch hat ein Satz Sinn und ›Ich weiß, daß hier ein Kranker liegt‹ in der unpassenden Situation gebraucht, erscheint nur darum nicht als Unsinn, vielmehr als Selbstverständlichkeit, weil man sich verhältnismäßig leicht eine für ihn passende Situation vorstellen kann und weil man meint, die Worte ›Ich weiß, daß…‹ seien überall am Platz, wo es keinen Zweifel gibt (also auch dort, wo der Ausdruck des Zweifels unverständlich wäre)« (ÜG 10). In diesem Paragraphen geht es um die Gewissheit darüber, einen Kranken neben sich zu haben. Der Gast am Krankenbett beobachtetet die Krankheit seines Freundes nicht, er kann sich nicht darüber irren, ob sein Gegenüber krank ist. Aber das schließt nicht aus, dass er weiß, wer krank ist, denn nur aufgrund der Gewissheit der Krankheit des anderen kann er überhaupt erkennen und wissen, wer krank ist, z.B. sein Freund Hans.
5. Schluss: Warum wir wissen, was wir tun Inwiefern erfüllt sich in der Antwort auf die Frage ›Was machst Du da?‹ die Hoffnung auf Orientierung in der Welt? Insofern die Antwort, ›Spazierengehen‹, so lässt sich jetzt feststellen, für beide Gesprächspartner klärt, in welcher Situation sie sich wiederfinden. Mehr zu sagen ist weder notwendig noch möglich, denn wir wissen, was wir tun, insofern wir es tun. Hinter dieser auf den ersten Blick schlanken Erklärung verbirgt sich alles, was diese Untersuchung des Handlungsvollzugs geleistet hat. Sie zeigt an, dass das Wissen um das Handeln im Handeln liegt, insofern der Handlungsvollzug die Handlung und damit die Situation und den Handelnden intersubjektiv bestimmt. Denn im Moment des Handelns ist der Handlungsvollzug intersubjektiv als Handlung fassbar, die einen Handelnden impliziert. Dadurch wird Handeln intersubjektiv als erlebtes Ereignis begreiflich: Wenn Fritz zu Lisa ins Zimmer tritt, wissen sie beide unmittelbar, dass Lisa schreibt. Umgekehrt kann aufgrund der Öffentlichkeit des Handlungsvollzuges der Handelnde grundsätzlich in seinem Tun als dieser konkrete Akteur ausgemacht werden und alle anderen potentiellen Anwesenden lassen sich dazu ins Verhältnis setzen. Mit der Intersubjektivität des Handlungsvollzuges gehen unterschiedliche Perspektiven auf die Situation einher. Die Gratulantin erlebt die Situation anders als der Gratulationsempfänger und der zufällig anwesende weitere Freund hat wiederum seine eigene Auffassung des Geschehens. Dem erlebten Ereignis korreliert folglich die Intersubjektivität des Handlungserlebnisses. Lisa gratuliert ihrem Freund schriftlich zum Geburtstag. D.h. im Gratulieren kann sie als Gra-
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tulantin und ihr Freund als Gratulationsempfänger bestimmt werden. Gleiches gilt für Fritz, der ebenso weiß, was geschieht. Er kann feststellen, wer gratuliert und wem gratuliert wird und dabei selbst wiederum als Beobachter der Gratulation ausgemacht werden. Alle drei Anwesenden erleben die Situation aufgrund des Gratulierens aus ihrer jeweiligen Perspektive. Handlungsvollzüge erweisen sich deshalb, vom Handeln her gedacht, als erlebte Ereignisse bzw. als situativ-intersubjektive Erlebnisse, die ihren Kontext bestimmen, insofern sie den Kontext zu dieser oder jener Situation festlegen. Würde Lisa nicht gratulieren sondern kondolieren, bestimmte sich im Vollzug eine andere Situation und damit ein anders erlebtes Ereignis bzw. ein anderes intersubjektives Erlebnis. Der Befund, dass Erlebnis und Ereignis im Handlungsvollzug zusammenfallen, drängt die Frage auf, ob das im Handeln liegende Wissen sich der Differenzierung zwischen theoretischem und praktischem Wissen entzieht. Dies würde bedeuten, dass Handeln sich auch gegenüber den Unterschieden zwischen dem methodischen Zugriff der Analytischen Philosophie und der Phänomenologie neutral verhält. Während die Analytische Philosophie Handeln als Ereignis auffasst und es damit zum Gegenstand des theoretischen Wissens werden lässt, begreift es die Phänomenologie als ethischpraktisches Erlebnis und betrachtet es unter den Vorzeichen des praktischen Wissens. Die oben geleistete Parallelisierung von Anscombes Wissen ohne Beobachtung und Husserls Untersuchung des Erlebensvollzugs scheint jedenfalls auf diese doppelte Neutralität des im Handeln liegenden Wissens zu verweisen. Die Parallelisierung könnte andeuten, dass das Wissen ohne Beobachtung ein Wissen ist, das je nach Gebrauch entweder das theoretische oder das praktische Wissen konstituiert. Entsprechend ließe sich im Sinne des theoretischen oder des praktischen Wissens auf im Handeln liegendes Wissen zurückgreifen und seine Implikationen könnten mit den Mitteln der Analytischen Philosophie und der Phänomenologie entfaltet werden. Es käme dann darauf an, ob die Ereignis- oder die Erlebnislogik einer Situation untersucht werden soll. Streng genommen wäre das ein Befund, der nicht allein für
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die Handlungstheorie wichtig werden könnte. Denn im Handeln liegendes Wissen wäre dann immer im Spiel, wenn es um unsere Orientierung in der Welt geht. Es wäre also auch für die Frage ›Was ist das‹ konstitutiv. Erkundigte ich mich nach einem mir fremden Möbel im Wohnzimmer meiner Freundin und sie sagte, das ist eine Standuhr, die schon lange im Familienbesitz ist, verstehe ich ihre theoretische Ausführung nur, insofern ich weiß, welcher Gebrauch eine Uhr bestimmt: Das Ablesen der aktuellen Tageszeit. Damit konstituiert, wie es aussieht, das Uhrlesen den Bericht über das Möbelstück, ohne dass das Uhrlesen ausdrücklich thematisiert werden müsste. Das Verständnis einer Uhr setzt das Wissen, das im Ablesen einer Uhr liegt, voraus, denn nur so wissen meine Freundin und ich in welcher Situation wir uns befinden, was das für ein Gegenstand ist, den wir vor uns haben und welches Objekt sie mir gerade theoretisch näher erläutert. Für die weitere Untersuchung des Handelns könnte Aristoteles‹ Bemühen, den Handelnden von der Handlung her zu denken, wegweisend sein. Was geschieht, wenn die Aristotelische Fragerichtung umgekehrt und Handeln vom Akteur und nicht von der Handlung her erschlossen wird, hat die Einleitung beleuchtet. In Auseinandersetzung mit Ricoeur und Davidson wurde herausgearbeitet, wie sowohl die Analytische Philosophie als auch die Phänomenologie Handlungen vom Akteur her zu begreifen suchen. Ausgehend von den Wünschen, Absichten und Überzeugungen des Handelnden werden Handlungen entweder phänomenologisch als intentionales Erlebnis oder sprachanalytisch als intendiertes Ereignis aufgefasst. Beide Erklärungen setzen entsprechend nicht bei der Handlung, sondern beim Akteur an. Je nachdem welche Wissensform in der jeweiligen Theorietradition bei der Untersuchung von Handlungen im Vordergrund steht, sind Handlungen dann entweder als ethischpraktische Erlebnisse ausgewiesen oder als Ereignisse kenntlich gemacht, die sich kausal als Handlungen erklären lassen. In beiden Fällen wird Handeln in je unterschiedlicher Weise zum Gegenstand. Bei Ricoeur sind Handlungen unter den Vorzeichen des Erzählens über Erlebnisse Gegenstand des praktisch-ethischen Erle-
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bens. Davidson begreift Handlungen im Rahmen seines Versuchs, Handlungen wie physikalische Ereignisse zu erklären, als Objekte theoretischer Beobachtung. Dabei spielt es keine Rolle, ob Handeln mit Davidson als Objekt des theoretischen Erklärens oder mit Ricoeur als Gegenstand des praktischen Erlebens begriffen wird. Die Vergegenständlichung zieht in beiden Fällen nach sich, erörtern zu müssen, wodurch sich das Verhältnis zwischen Akteur und Handlung auszeichnet. Nur so lässt sich angeben, was das Handlungserlebnis bzw. das Handlungsereignis als Handlung qualifiziert und von anderen Erlebnissen oder Ereignissen unterscheidet. Ricoeur und Davidson bemühen sich demnach, etwas zum Gegenstand des Erlebens bzw. der Beobachtung zu machen, das weder Objekt eines Erlebens noch des Beobachtens sein kann. Insofern es kein Handlungsvollzugserleben gibt, kann Handeln nicht gegenständlich erlebt werden und insofern Handlungen ohne Beobachtung gewusst werden, lassen sie sich nicht beobachten. Ricoeur wie Davidson verkennen folglich, einmal ausgehend vom Erleben und einmal ausgehend vom Beobachten, dass Handeln weder als Gegenstand des ethisch-praktischen Wissens noch als Objekt des theoretischen Wissens thematisiert werden kann. Kurz gesagt, machen sie beide in ihrem Nachdenken über Handlungen einen Vollzug zum Objekt, der sich nicht in den Kategorien des Gegenstandes fassen lässt. Der Handlungsvollzug entzieht sich der Vergegenständlichung – ganz gleich ob im theoretischen oder im ethisch-praktischen Wissen –, da er beide Wissensformen, so legen diese Überlegungen jedenfalls nahe, zu konstituieren scheint. Dadurch verfehlen Davidson und Ricoeur in ihrer Auseinandersetzung mit dem Handeln den Handlungsvollzug und weichen dem Problem durch eine Betrachtung des Akteurs aus. Der Akteur muss dann entweder kausal oder über eine identitätsstiftende Erzählung, die den Handelnden als Besitzer seiner Handlungen ausweist, zu seinem Tun in Beziehung gesetzt werden. Diese Ausweichbewegung von der Handlung zum Handelnden stellt sich ein, da Handlungen nicht vom Handeln her gedacht und erklärt werden, sondern Handlungen unter den Voraussetzungen kausalitätstheoretischer
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bzw. ethisch-praktischer Überzeugungen expliziert werden sollen. Werden Handlungen vom Handeln her gedacht, so zeigt sich, dass der Handelnde kein intentionales oder kausales Verhältnis zu seinem Tun haben kann. Im Handlungsvollzug hat der Akteur kein Verhältnis zu seinem Tun. Denn der Handlungsvollzug bestimmt die Handlung und den Handelnden. Der Handlungsvollzug legt, so könnte gesagt werden, gleichzeitig den Erlebenden und das Erlebte bzw. Ursache und Verursachtes fest. Erst jetzt kann er zu seinen Absichten, Gründen, Zielen und Zwecken befragt und letztere als Ursachen oder praktisch-ethische Überzeugungen gedeutet werden. Anders gesagt implizieren Handlungen einen Handelnden, auf den nicht ausdrücklich verwiesen werden muss. Wir wissen, was jemand tut, insofern er es tut. Komme ich zu meinem Mann in die Küche, begreife nicht sofort, was er dort herumwerkelt und frage ihn ›Was machst du denn?‹ erklärt er mir wahrscheinlich nicht zuerst, was er beabsichtigt oder wünscht, sondern antwortet ›Ich backe Apfelstrudel‹. Selbst wenn ich jetzt noch nicht zufrieden bin und wissen will, was er mit dem Strudel vorhat, wird er vermutlich wieder auf eine Handlung verweisen und etwa sagen ›Ich würde gerne welchen essen‹ oder ›Ich möchte unseren Freunden morgen einen Nachtisch mitbringen‹. Mein Mann beantwortet mir demnach meine Fragen, insofern er mir den Kontext seines Handelns als eine Situation des Backens verständlich macht. Genügt mir diese Information nicht, obwohl ich jetzt wie er weiß, was er tut, erläutert er die Handlungssituation durch eine andere, entweder durch jene des Essens oder des Mitbringens. Er erklärt sein Tun, das wir beide ohne Beobachtung wissen, wiederum durch ohne Beobachtung gewusste Handlungsvollzüge und erörtert mir so, ohne jeden Verweis auf seine Person, seine Gründe oder Zwecke, was er gerade macht. Denn er sagt nicht ›Als hervorragender Bäcker sollte ich dann und wann einen Kuchen backen‹ oder ›Es wäre gut, zum Erhalt der Freundschaft morgen einen Kuchen dabeizuhaben‹, sondern berichtet von seinem weiteren Tun. Erst nachdem mir mein Mann gesagt hat, was er tut, kann ich ihn weiter löchern und aus ihm herauskitzeln, weshalb
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er denn einen Kuchen essen möchte bzw. warum er es notwendig findet, unseren Freunden einen Kuchen mitzubringen oder warum er meint, dass ausgerechnet er der Richtige sei, um diesen Kuchen zu backen. Doch diese Nachfragen betreffen nicht sein Handeln, sondern seine Person. Sie stellen sich nur, da ich ihn in der Küche beim Backen als Bäcker ausgemacht habe und jetzt herausfinden will, welches Selbstverständnis mein Mann als Backender hat. In diesem Sinne ist der Hinweis auf die handelnde Person auch nicht notwendig, wenn mein Mann mir erklärt, was er tut. Er kann seine Erklärung immer weiter verfeinern, insofern er durch den Verweis auf andere Handlungen die Situation immer genauer bestimmt. Er zaubert nicht nur einen Kuchen, sondern er möchte Apfelstrudel essen bzw. mitbringen. Das Backen eröffnet mir also erst die Chance, mich nach den Motiven, Absichten und Gründen meines Mannes zu erkundigen. Das Backen ist deshalb nicht Inhalt meiner Nachfragen. Es konstituiert vielmehr eine Situation, in der ich mich nach meinem Mann als Akteur erkundigen kann. Im Rahmen des theoretischen Wissens wird es mir so möglich, mich mit seinen Gründen auseinanderzusetzen, die ihn als Vernunftwesen ausweisen: Er möchte Apfelstrudel essen und hält es für ein probates Mittel hierfür einen herzustellen. Alternativ könnte ich ihn unter der Hinsicht des ethisch-praktischen Wissens durch eine Erzählung als Person charakterisieren, der Freundschaft sehr am Herzen liegt, die für ihre Freunde sorgt und darauf achtet, stets Gastgeschenke mitzubringen. Schließlich fragt sich, ob das im Handeln liegende Wissen, insofern der Versuch, Handlungen als situativ-intersubjektive Erlebnisse und damit als erlebte Ereignisse auszuweisen, fruchtbar war, nicht darauf verweist, dass Handeln als situatives Prinzip zu begreifen ist, das Situationen bestimmt und ermöglicht, Fragen nach Umständen, Ereignissen, Erlebnissen und den daran beteiligten Personen zu stellen. Wenn dem so wäre, dann entscheiden wir nicht durch unsere Absichten und Vorsätze oder Ziele, in welcher Welt wir leben wollen, sondern legen Tag für Tag in unserem Handeln, das unsere Lebenssituation bestimmt, fest, in welcher Welt wir im
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Wortsinne tatsächlich leben. Leben ist Handeln, kann entsprechend nur durch den Handlungsvollzug bestimmt und wiederum auch nur durch Handlungen erklärt werden. Das bedeutet auch, dass wir in unserem Handeln intersubjektiv festlegen, wer wir sind.
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6. Siglenverzeichnis A
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HUA I
Husserl, Edmund: Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 1, hg. und eingeleitet von Stephan Strasser. (Den Haag 1950). HUA III/1 Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie. In zwei Bänden. Erster Halbband: Text der 1.-3. Auflage; 2. Halbband: Ergänzende Texte (1912-1929). Husserliana Gesammelte Werke Bd. 3, hg. von Karl Schuhmann. (Den Haag 1976). Husserl, Edmund: Die Krisis der europäischen WisHUA VI senschaften und die transzendentale Phänomenologie. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 6, hg. von Walter Biemel. (Den Haag 21956). HUA IX Husserl, Edmund: Phänomenologische Psychologie. Vorlesungen Sommersemester 1925. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 9, hg. von Walter Biemel. (Den Haag 1962). HUA XIII Husserl, Edmund. Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Erster Teil: 19051920. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 13, hg. von Iso Kern. (Den Haag 1973). HUA XIV Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Zweiter Teil: 19211928. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 14, hg. von Iso Kern. (Den Haag 1973). Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie der IntersubHUA XV jektivität. Texte aus dem Nachlass. Dritter Teil: 19291935. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 15, hg. von Iso Kern. (Den Haag 1973). Husserl, Edmund: Ding und Raum. Vorlesungen 1907. HUA XVI Husserliana Gesammelte Werk Bd. 16, hg. von Ulrich Claesges. (Den Haag 1973). HUA XXVIII Husserl, Edmund: Vorlesungen über Ethik und Wertlehre 1908-1914. Husserliana Gesammelte Werke Bd.
6. Siglenverzeichnis
28, hg. von Ulrich Melle. (Dordrecht Boston London 1988). HUA XXIX Husserl, Edmund: Die Krisis der Europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Ergänzungsband. Texte aus dem Nachlass 1934-1937. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 29, hg. von Reinhold N. Smid. (Dordrecht Boston London 1993). HUA XXXIX Husserl, Edmund: Die Lebenswelt. Auslegungen der vorgegebenen Welt und ihrer Konstitution. Texte aus dem Nachlass (1916-1937). Husserliana Gesammelte Werke Bd. 39, hg. von Rochus Sowa. (Dordrecht 2008). HUA M VII Husserl, Edmund: Einführung in die Phänomenologie der Erkenntnis. Vorlesung 1909. Husserliana Materialien Bd. 7, hg. von Elisabeth Schuhmann. (Dordrecht 2005). I Anscombe, G.E.M.: Intention. (Cambridge, Massachusetts London 22000 [1957]). K Aristoteles: Die Kategorien, hg. und übersetzt von Ingo W. Rath. (Stuttgart 2009 [1998]). LU I Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen. Bd. 1. Prolegomena zur reinen Logik. (Tübingen 71993 [1900]). LU II/1 Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Bd. 2. Erster Teil. (Tübingen 71993 [1900]). Entspricht Husserliana Gesammelte Werke Bd. 19/1. LU II/2 Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen. Elemente einer phänomenologischen Auf klärung der Erkenntnis. Bd. 2. Zweiter Teil. (Tübingen 61993 [1901]). Entspricht Husserliana Gesammelte Werke Bd. 19/2. Aristoteles: Metaphysik, hg. von Ursula Wolf und M übersetzt von Herman Bonitz. (Reinbek bei Hamburg 52007). MM Aristoteles: Magna Moralia. Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung Bd. 8, hg. von Helmut Flashar und übersetzt von Franz Dirlmeier. (Berlin 1979).
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NE Aristoteles: Nikomachische Ethik, hg. und übersetzt von Ursula Wolf. (Reinbek bei Hamburg 22008 [2006]). P Aristoteles: Poetik, hg. von Manfred Fuhrmann. Übersetzt von ders. (Stuttgart 1982). PG Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Grammatik. Werkausgabe Bd. 4, hg. von Rush Rhees. (Frankfurt a.M. 1984). Anscombe, G.E.M.: Practical Inference. In: Human Life, PI Action and Ethics. Essays by G.E.M. Anscombe, ed. by Mary Geach and Luke Gormally. (Exeter 2005) 109-148. Politik Aristoteles: Politik, übersetzt von Eckart Schütrumpf. (Hamburg 2012). PT Anscombe, G.E.M.: Practical Truth. In: Human Life, Action and Ethics. Essays by G.E.M. Anscombe, ed. by Mary Geach and Luke Gormally. (Exeter 2005) 149-158. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. PU Werkausgabe Bd. 1, hg. von G.E.M. Anscombe, Rush Rhees. (Frankfurt a.M. 1984) 225-618. TA Anscombe, G.E.M.: Thought and Action in Aristotle. What is practical truth? In: The collected philosophical papers of G.E.M. Anscombe. Vol 1. From Parmenides to Wittgenstein. (Oxford 1981) 66-77. ÜG Wittgenstein, Ludwig: Über Gewissheit. Werkausgabe Bd. 8, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright. (Frankfurt a.M. 1984) 113-257. WuW Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann. Werkausgabe Bd. 3, hg. von B.F. McGuinness. (Frankfurt a.M. 1984). Wittgenstein, Ludwig: Zettel. Werkausgabe Bd. 8, hg. von Z G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright. (Frankfurt a.M. 1984) 259-443.
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Warum wir wissen, was wir tun
Ders.: Poetik, hg. von Manfred Fuhrmann. Übersetzt von ders. (Stuttgart 1982). Anscombe, G.E.M.: Intention. (Cambridge, Massachusetts London 2 2000 [1957]). Dies.: Absicht, übersetzt von Joachim Schulte. (Berlin 2011 [1957]). Dies.: Thought and Action in Aristotle. What is practical truth? In: The collected philosophical papers of G.E.M. Anscombe. Vol. 1. (Oxford 1981) 66-77. Dies.: Practical Inference. In: Human Life, Action and Ethics. Essays by G.E.M. Anscombe, hg. von Mary Geach and Luke Gormally. (Exeter 2005) 109-148. Dies.: Practical Truth. In: Human Life, Action and Ethics. Essays by G.E.M. Anscombe, hg. von Mary Geach and Luke Gormally. (Exeter 2005) 149-158. Aubenque, Pierre: Der Begriff der Klugheit bei Aristoteles, übersetzt von Nicolai Sinai/Ulrich Johannes Schneider. (Hamburg 2007 [1963]).
Bach, Kent: Handlungen sind keine Ereignisse. In: Handlungen und Handlungsgründe, hg. von Ralf Stoecker übersetzt von Joachim Schulte. (Paderborn 2002 [1980]) 89-97. Franz Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkt Bd. I, hg. von Oskar Kraus. (Hamburg 1955). Ders.: Psychologie vom empirischen Standpunkt Bd. II, hg. von Oskar Kraus. (Hamburg 1959).
Buddensiek, Friedemann: Was sind Aristoteles zufolge Handlungen? In: Beiträge zur Aristotelischen Handlungstheorie (Philosophie der Antike 24), hg. von Klaus Corcilius/Christoph Rapp. (Stuttgart 2008) 29-51. Davidson, Donald: Actions, Reasons and Causes. In: Journal of Philosophy 60 (1963) 685-700. Ders: Handlungen, Gründe und Ursachen. In: Handlung und Ereignis, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 1985 [1963]) 19-42.
7. Literatur
Ders.: Geistige Ereignisse. In: Handlung und Ereignis, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 1985 [1970]) 291316. Ders.: Beabsichtigen. In: Handlung und Ereignis, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 1985 [1978]) 125-152. Ders.: Einleitung. In: Handlung und Ereignis, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 1985) 7-15. Ders.: Der Aristotelische Handlungsbegriff. In: Wahrheit, Sprache und Geschichte, hg. von ders. übersetzt von Joachim Schulte. (Frankfurt a.M. 2008 [2001]) 420-447. Descartes, René: Meditationen über die Erste Philosophie, hg. und übersetzt von Gerhart Schmidt. (Stuttgart 1986 [1641]). D’Oro, Giuseppina/Sandis, Constantine (Hg.): Reasons and Causes. Causalism and Anti-Causalism in Philosophy of Action. (Hampshire 2013). Dies.: From Anti-Causalism to Causalism and Back: A History of Reasons/Causes Debate. In: Reasons and Causes. Causalism and Anti-Causalism in Philosophy of Action, hg. von dies. (Hampshire 2013) 7-48. Ekstrom, Laura W.: Volition and the Will. In: Companion to Philosophy of Action, ed. by Timothy O`Conner, Constantin Sandis (Malden USA Oxford UK 2013) 99-106. Frankfurt, Harry G: Willensfreiheit und der Begriff der Person. In: Analytische Philosophie des Geistes, hg. von Peter Bieri übersetzt von Jens Kulenkampff. (Weinheim 31997 [1971]) 287-302. Ders.: Das Problem des Handelns. In: Gründe und Zwecke, hg. von Christoph Horn und Guido Löhrer übersetzt von Joachim Schulte. (Berlin 2010 [1988]) 70-84. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Gesammelte Werke Bd. 1. (Tübingen 6 1990 [1960]). Geiger, Moritz: Fragment über den Begriff des Unbewussten und die psychische Realität. In: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung IV. (1921) 1-137.
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Warum wir wissen, was wir tun
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7. Literatur
Ders.: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Erster Teil: 1905-1920. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 13, hg. von Iso Kern. (Den Haag 1973). Ders.: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Zweiter Teil: 1921-1928. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 14, hg. von Iso Kern. (Den Haag 1973). Ders.: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Dritter Teil: 1929-1935. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 15, hg. von Iso Kern. (Den Haag 1973). Ders.: Ding und Raum. Vorlesungen 1907. Husserliana Gesammelte Werk Bd. 16, hg. von Ulrich Claesges. (Den Haag 1973). Ders.: Vorlesungen über Ethik und Wertlehre 1908-1914. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 28, hg. von Ulrich Melle. (Dordrecht Boston London 1988). Ders.: Die Krisis der Europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Ergänzungsband. Texte aus dem Nachlass 1934-1937. Husserliana Gesammelte Werke Bd. 29, hg. von Reinhold N. Smid. (Dordrecht Boston London 1993). Ders.: Die Lebenswelt. Auslegungen der vorgegebenen Welt und ihrer Konstitution. Texte aus dem Nachlass (1916-1937). Husserliana Gesammelte Werke Bd. 34, hg. von Rochus Sowa. (Dordrecht 2008). Ders.: Einführung in die Phänomenologie der Erkenntnis. Vorlesung 1909. Husserliana Materialien Bd. 7, hg. von Elisabeth Schuhmann. (Dordrecht 2005). Ders.: Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik, ausgearbeitet und hg. von Ludwig Landgrebe. (Prag 1939). Ders.: Logische Untersuchungen. Bd. 1. Prolegomena zur reinen Logik. (Tübingen 71993 [1900]). Ders.: Logische Untersuchungen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Bd. 2. Erster Teil. (Tübingen 71993 [1900]). Entspricht Husserliana Gesammelte Werke Bd. 19/1. Ders.: Logische Untersuchungen. Elemente einer phänomenologischen Auf klärung der Erkenntnis. Bd. 2. Zweiter Teil. (Tübingen 61993 [1901]). Entspricht Husserliana Gesammelte Werke Bd. 19/2.
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Warum wir wissen, was wir tun
Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hg. von Bernd Kraft und Dieter Schönecker. (Hamburg 1999 [1785]). Ders.: Die Metaphysik der Sitten. Werkausgabe Band 8, hg. von Wilhelm Weischedel. (Frankfurt a.M. 1977 [1798]). Kern, Andrea: Handeln ohne Überlegen. In: In Sprachspiele verstrickt – oder: Wie man der Fliege den Ausweg zeigt. Verflechtungen von Wissen und Können, hg. von Stefan Tolksdorf, Holm Tetens. (Berlin New York 2010) 193-220. Locke, John: Versuch über den menschlichen Verstand. Bd. 1 Buch I und II, übersetzt von Carl Winckler. (Hamburg 2006 [1690]). Ders: Versuch über den menschlichen Verstand. Bd. 2 Buch III und IV, übersetzt von Carl Winckler. (Hamburg 2006 [1690]). Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung, übersetzt von Rudolf Boehm. (Berlin 1966). Mertens, Karl: Möglichkeiten und Grenzen einer phänomenologischen Theorie des Handelns: Überlegungen zu Davidson und Husserl. In: Philosophy, Phenomenology, Sciences: Essays in Commemoration of Edmund Husserl. (Phänomenologica 200), hg. von Carlo Irena, Hanne Jacobs, Filip Mattens. (Dordrecht Heidelberg London New York 2010) 431-452. Ders./Müller, Jörn: Einleitung: Fühlen, Wollen und Handeln als soziale Phänomene. In: Die Dimensionen des Sozialen: Neue philosophische Zugänge zu Fühlen, Wollen und Handeln, hg. von dies. (Berlin New York 2014) 1-18. Müller, Jörn: Glück als Vollendung der menschlichen Natur. Die eudemische Tugendethik des Aristoteles. In: Grundpositionen philosophischer Ethik, hg. von ders./Hans-Georg Nissing. (Darmstadt 2009) 23-53. Perler, Dominik: René Descartes. Beck’sche Reihe Denker. (München 2 2006). Pfänder, Alexander: Phänomenologie des Wollens. Eine Psychologische Analyse. (München 31965 [1900]). Ders.: Motive und Motivation, in ders.: Phänomenologie des Wollens. Eine Psychologische Analyse. (München 31965 [1900]) 128-155.
7. Literatur
Ricoeur, Paul: Zeit und Erzählung. Band I: Zeit und Historische Erzählung, übersetzt von Rainer Rochlitz. (München 22007 [1983]).
Ders.: Das Selbst als ein Anderer, übersetzt von Jean Greisch (München 2005 [1990]). Rapp, Christoph: Aristoteles zur Einführung. (Hamburg 2007). Rinofner-Kreidl, Sonja: Motive, Gründe und Entscheidungen in Husserls intentionaler Handlungstheorie. In: Die Aktualität Husserls, hg. von Verena Mayer, Christopher Erhard, Marisa Scherini. (Freiburg i.Br. 2011) 232-277. Ryle, Gilbert: Der Begriff des Geistes, übersetzt von Kurt Baier, Übersetzung überarbeitet von Günther Patzig und Ulrich Steinvorth. (Stuttgart 1969). Ders.: Pleasure. In: Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary Volumes. Vol. 28: Belief and Will. (1954) 135-150. Scheler, Max: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Neuer Versuch einer Grundlegung eines ethischen Personalismus, hg. von Christian Bermes. (Hamburg 2014 [1916]). Schmid, Hans Bernhard/Schweikard, David P. Hg.: Kollektive Intentionalität. Eine Debatte über die Grundlagen des Sozialen. (Frankfurt a.M. 2009). Schütz, Alfred: Der sinnhafte Auf bau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. (Wien 21960 [1932]). Sehon, Scott R.: Zielgerichtetes Handeln und teleologische Erklärungen. In: Gründe und Zwecke, hg. von Christoph Horn und Guido Löhrer, übersetzt von Guido Löhrer. (Berlin 2010) 225-245. Thomas von Aquin: Über das Glück. De beatitudine, hg. von Johannes Brachtendorf übersetzt von ders. (Hamburg 2013). Ubiali, Marta: Wille – Unbewusstheit – Motivation. Der ethische Horizont des Husserl’schen Ich-Begriffs. (Würzburg 2012). Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Werkausgabe Bd. 1, hg. von G.E.M. Anscombe, Rush Rhees. (Frankfurt a.M. 1984) 225-618. Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann. Werkausgabe Bd. 3, hg. von B.F. McGuinness. (Frankfurt a.M. 1984).
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Warum wir wissen, was wir tun
Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Grammatik. Werkausgabe Bd. 4, hg. von Rush Rhees. (Frankfurt a.M. 1984). Ders.: Das Blaue Buch. Werkausgabe Bd. 5, hg. von Rush Rhees. (Frankfurt a.M. 1984) 15-116. Ders.: Eine philosophische Betrachtung (Das Braune Buch). Werkausgabe Bd. 5, hg. von Rush Rhees. (Frankfurt a.M. 1984) 117-282. Ders.: Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik. Werkausgabe Bd. 6, hg. von G.E.M. Anscombe, Rush Rhees, G.H. von Wright. (Frankfurt a.M. 1984). Ders.: Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie I. Werkausgabe Bd. 7, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright. (Frankfurt a.M. 1984) 7-215. Ders.: Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie II. Werkausgabe Bd. 7, hg. von G.H. von Wright, Heikki Nyman. (Frankfurt a.M. 1984) 217-346. Ders.: Über Gewissheit. Werkausgabe Bd. 8, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright. (Frankfurt a.M. 1984) 113-257. Ders.: Zettel. Werkausgabe Bd. 8, hg. von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright. (Frankfurt a.M. 1984) 259-443. Wright, von Georg Hendrik: Praktisches Schließen. In: Handlung, Norm und Intention. Eine Untersuchung zur deontischen Logik, hg. Hans Poser. (Berlin New York 1976) 41-60. Ders.: Über sogenanntes praktisches Schließen. In: Handlung, Norm und Intention. Eine Untersuchung zur deontischen Logik, hg. Hans Poser. (Berlin New York 1976) 61-81. Wolf, Ursula: Aristoteles’ Nikomachische Ethik. (Darmstadt 22007).
Philosophie Andreas Weber
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