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German Pages 401 [404] Year 2011
Familiennamengeographie
Familiennamengeographie Ergebnisse und Perspektiven europäischer Forschung Herausgegeben von Rita Heuser Damaris Nübling Mirjam Schmuck
De Gruyter
ISBN 978-3-11-022382-8 e-ISBN 978-3-11-022383-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Familiennamengeographie : Ergebnisse und Perspektiven europäischer Forschung / herausgegeben von Rita Heuser, Damaris Nübling, Mirjam Schmuck. p. cm. Papers from a conference held Oct. 2-4, 2008, at the Johannes-Gutenberg Universität Mainz. Includes bibliographical references. ISBN 978-3-11-022382-8 (alk. paper) 1. Names, Personal - Europe - Congresses. 2. Genealogy - Congresses. 3. Human geography - Europe - Congresses. I. Heuser, Rita. II. Nübling, Damaris. III. Schmuck, Mirjam, 1977CS2385.F36 2011 929.4094-dc22 2011017251
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Konrad Kunze zum 70. Geburtstag gewidmet
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Vorwort
Seit dem Jahr 2005 wird an den Universitäten Freiburg und Mainz unter der Leitung von Konrad Kunze und Damaris Nübling ein „Deutscher Familiennamenatlas: Sprach- und kulturwissenschaftliche Untersuchungen des deutschen Familiennamenbestandes“ erarbeitet, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Zwei Bände zur Namengrammatik – der eine zum Vokalismus, der andere zum Konsonantismus – sind mittlerweile erschienen, die restlichen, die Morphologie und Lexik betreffenden Bände, befinden sich in Arbeit. Andere Länder befassen sich, in jeweils unterschiedlichen Kontexten, Formaten und Möglichkeiten, auch mit familiennamengeographischen Forschungen, doch ohne dass bisher ein umfassender Wissensaustausch stattgefunden hätte. Deshalb erschien es uns angezeigt, diese Forschungen im Rahmen einer Konferenz zusammenzuführen und erstmals einen Überblick über namengeographische Projekte in Europa zu erlangen. So fand vom 2. bis 4. Oktober 2008 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz die Tagung „Europäische Familiennamengeographie“ mit fast 30 Vorträgen statt. Die meisten dieser Vorträge sind in diesem Band vereint. Die Durchführung dieser Tagung wurde von der DFG ermöglicht, wofür ihr an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Das Spektrum der Beiträge umfasst Familiennamengeographie in europäischen Ländern von Skandinavien über England, die Niederlande, Österreich und die Schweiz bis Spanien und Italien (Teil 1), aber auch genuin länderübergreifende Fragestellungen (Teil 2). Auch auf regionaler Ebene sind beachtliche Forschungsprojekte in Bearbeitung (Teil 3), seien es kleinräumigere Atlasprojekte, seien es Detailuntersuchungen zu bestimmten Familiennamen. Ein 4. Teil behandelt Verbindungen zwischen der Familiennamengeographie und anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Da das Projekt "Deutscher Familiennamenatlas" bereits in verschiedenen Publikationen vorgestellt wurde, haben wir auf eine weitere Darstellung verzichtet. Die Beiträge von Kathrin Dräger, Mirjam Schmuck, Luise Kempf und Jessica Nowak – sie alle sind oder waren in dem DFG-Projekt beschäftigt – zeigen jedoch auf, was man darüber hinaus mit dem im Atlas dokumentierten Namenmaterial an weiterführender Forschung leisten kann. Am 17. Mai 2009 wurde Konrad Kunze 70 Jahre. Seit dem Projektbeginn 2005 investiert er den größten Teil seiner Zeit und Energie in den Familiennamenatlas. Mit großer Leidenschaft bringt er dieses Unterfangen voran, das er schon seit Jahrzehnten geplant hatte. Mit seiner ermutigenden, schwung- und
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Vorwort
humorvollen Art inspiriert er uns immer wieder und bringt er uns zu neuen Erkenntnissen. Hierfür sei ihm auf das herzlichste gedankt. Als Anerkennung für dieses außergewöhnliche Engagement möchten wir ihm diesen Band widmen. Schließlich danken wir neben den Beiträgerinnen und Beiträgern auch denjenigen, die diesen Band auf vielfältige Weise unterstützt haben: Miriam Schmidt-Jüngst, Julia Fritzinger, Julia Nuszpl und Nicole Huber-Winter für wertvolle Layout- und Korrekturarbeiten sowie Birgitta Zeller-Ebert und Angelika Hermann für die verlagsseitige Betreuung. Mainz, im März 2011 Rita Heuser, Damaris Nübling & Mirjam Schmuck
Inhalt
Familiennamengeographie in europäischen Nachbarländern Thorsten Andersson: Skandinavische Familiennamengeographie: Westskandinavien .................................................................................................. 1 Eva Brylla: Scandinavian surname geography: East Scandinavia ....................... 13 Wolfgang Viereck: Englische Familiennamengeographie ................................... 21 Jan Goossens: Namenklassen und ihre Spiegelung in der niederländischen Familiennamengeographie ................................................................................... 43 Christian Seidl: Die Schweiz als Sonderfall – auch in der Familiennamenforschung ..................................................................................... 61 Simone Berchtold: Wie findet man Familiennamennester? Am Beispiel Entlebuch (Luzern) und Frutigen (Bern) im Vergleich ........................................ 75 Karl Hohensinner: Der Name Mayr/Mair/Mayer/Maier etc. im Oberösterreichischen Familiennamenatlas........................................................... 91 Andrea Brendler: Italienische Familiennamengeographie gestern und heute .... 107 Javier Caro Reina: Familiennamengeographie in Spanien auf der Grundlage von Telefonbüchern ............................................................. 119
Familiennamengeographie grenzübergreifend Georg Cornelissen: Regionale Familiennamen zwischen Niederländisch und Deutsch: Divergente Entwicklungen im Raum Arnheim-Neuss ................. 145 Ernst Eichler: Tschechische Familiennamen in Leipzig .................................... 159
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Inhalt
Inge Bily: Der Familienname Lehmann, seine Varianten und Ableitungen im Polnischen .................................................................................................... 165 Jürgen Udolph: Familiennamen als Zeugen von Flucht, Vertreibung und Umsiedlung ................................................................................................. 179
Familiennamengeographie regional Hans Ramge: Familiennamengeographie und Flurnamenforschung. Methodisches an hessischen Beispielen ............................................................. 201 Rudolf Steffens: Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland ....... 219 Hubert Klausmann: Der „Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg“ – Probleme, Lösungsansätze, sprachgeographische Erkenntnisse ........................ 233 Friedhelm Debus: Matthäus und Matthias in deutschen Familiennamen. Varianten und Verbreitung................................................................................. 255 Kathrin Dräger: Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland ................................................................................................... 269
Familiennamengeographie interdisziplinär Mirjam Schmuck: Vom Genitiv- zum Pluralmarker: Der s-Plural im Spiegel der Familiennamengeographie ......................................................... 285 Luise Kempf, Jessica Nowak: Neubert, Grunert, Taubert: Die Erweiterung von -er zu -ert im Licht der Familiennamengeographie ......... 305 Rosa Kohlheim, Volker Kohlheim: Eine Innovation im deutschen Familiennameninventar: Deutsch-türkische Homographien .............................. 321 Gerhard Koß: Ehename und Familiennamengeographie.................................... 335 Silvio Brendler: Was hat Familiennamengeographie eigentlich mit Familiennamen zu tun? ...................................................................................... 351
Anhang: Farbige Abbildungen......................................................................... 359
Familiennamengeographie in europäischen Nachbarländern
Thorsten Andersson
Skandinavische Familiennamengeographie: Westskandinavien
Abstract This article describes the origin and the historical development of the surname system in West Scandinavia, i.e. Iceland, the Faroe Islands, and Norway. In Scandinavia, the surname custom belongs mainly to the modern age; medieval examples are rare. Actually the old Germanic custom with an individual name followed by a patronymic (rarely a metronymic) in -son ‘son’ or -dóttir ‘daughter’ is still alive in Iceland, surnames being exceptions. In the Faroe Islands, still a part of Denmark, patronymics in -sen (the Danish form) have been adapted to surnames to a great extent (secondary patronymics). By the personal name law of 1992 it is again permitted to use primary patronymics (and metronymics), thus changing from generation to generation, just as in Iceland. The Norwegian surname structure is characterized by the secondary use of patronymics in -sen and of place-names, especially farm names, originally used as a sort of address. As to surname geography only little has been done in Scandinavia.
1. Aufkommen von Familiennamen in Westskandinavien Dieser Beitrag behandelt Familiennamen in der nördlichen Peripherie des germanischen Sprachgebiets. Der sich von Süden nach Norden ausbreitende Gebrauch von Familiennamen hat erst spät Skandinavien, zuerst Dänemark, erreicht und sich nur zögerlich ausgedehnt. Dieser Brauch hat zwar auch die äußerste Peripherie, Island, erreicht, doch hat er sich dort nicht durchzusetzen vermocht. So hat diese abgelegene nordische Lage dazu geführt, dass hier eine ältere Struktur und ihre Kontinuität bis heute dokumentiert werden können. Mittelalterliche Familiennamen sind in Skandinavien selten. Die ältesten wurden von eingewanderten deutschen Adelsfamilien in Dänemark und Schweden getragen. Nach deren Muster nahmen auch einheimische Adelsgeschlechter Familiennamen an, einzelne schon im 13. Jh. Diese Tradition nahm allmählich zu, besonders in Dänemark (Halvorsen et al. 1971; Halvorsen 1975a, 171, 173; Meldgaard 1984, 39f.; Nedrelid 2002, 129f.; Ryman 2002, 40f.). Der Gebrauch von Familiennamen in Skandinavien gehört hauptsächlich der Neuzeit an. Der Grund dafür ist, dass dort mittelalterliche Beinamen nach Beruf, Herkunft, Eigenschaften usw. – von einzelnen Ansätzen abgesehen – nicht erblich wurden und als Familiennamen erstarrten, so wie es in Deutschland mit Beispielen wie Jäger, Hesse, Kluge in großem Umfang der Fall war. Die nordischen Familiennamen haben einen anderen Hintergrund. Erfreulicherweise hat die nordische Familiennamenstruktur, die außerhalb Skandinaviens etwas exotisch wirken mag, das Interesse der internationalen
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Thorsten Andersson
Forschung auf sich gelenkt. Damaris Nübling hat in mehreren Beiträgen eingehend die schwedischen Familiennamen sprachlich analysiert und sogar positive propriale Züge ausfindig gemacht (Nübling 1997a; dies. 1997b; dies. 2000a, 297f.; dies. 2000b; dies. 2004). Im Folgenden konzentriert sich dieser Beitrag auf das Westnordische, d.h. Isländisch, Färöisch und Norwegisch; zum Ostnordischen, d.h. Dänischen und Schwedischen, s. den Beitrag von Eva Brylla in diesem Band (S. 13–20). Was die Familiennamen betrifft, so handelt es sich hierbei um eine rein praktische Aufteilung: Die Familiennamenstruktur des zentralnordischen Sprachgebiets stimmt weitgehend überein, während Island und die Färöer besondere Züge ausweisen.
1.1. Island Auf Island ist bekanntlich die alte nordische Sprache am besten bewahrt – und gepflegt – worden. Die altnordische Sprachstruktur ist noch deutlich zu erkennen. Wenn wir uns den Personennamen zuwenden, können wir noch weiter zurückgreifen. Auf Island herrscht grundsätzlich immer noch die altgermanische Namenstruktur. Man trägt einen Individualnamen, an den ein Patronymikon angehängt werden kann. Die althergebrachte Art, sich vorzustellen, ist uns bekannt: „Ég heiti Guðrún (og er) Þorsteinsdóttir“, „Ég heiti Björn (og er) Þorsteinsson,“1 d.h. ,ich heiße Guðrún (und bin) die Tochter Þorsteins‘ bzw. ,ich heiße Björn (und bin) der Sohn Þorsteins‘. Die Ergänzung, dass man Tochter oder Sohn des Vaters ist, kann fakultativ mit ‚und bin‘ eingeleitet werden, was beinhaltet, dass das Patronymikon nicht als vollwertiger Eigenname anzusehen ist. Der Vergleich mit dem alten germanischen Brauch hinkt insofern, als man heute mehr als einen Rufnamen tragen kann. Neben Patronymika kommen auch Metronymika vor, doch wie sonst in den nordischen und generell in den germanischen Sprachen nur selten und durch bestimmte Umstände veranlasst. Historisch lassen sich folgende Hauptgründe zur Wahl eines Metronymikons nachweisen: 1. früher Tod des Vaters, 2. vornehme Herkunft der Mutter, 3. uneheliches Kind, 4. Dominanz der Mutter (Brylla 1998, 230ff.; Johannessen 2001; Peterson 1992; Rydving 1998, 343f.; Diskussionsreferat zu Brylla und Rydving 1998, 409f.). Hinzu kommt heutzutage die Forderung nach der Gleichstellung von Frau und Mann, die die Zahl der Metronymika erhöhen kann. Das ist auf Island tatsächlich geschehen, allerdings nur in bescheidenem Umfang. Außerdem ist es jetzt nach dem isländischen Personennamengesetz von 1996 erlaubt, eine Kombination von Patronymikon und Metronymikon zu benutzen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Kombination auszudrücken. Eine isländische Archäologin schreibt sich nach dem Vater Hermann und der Mutter Auður Margrét Hermanns–––––––— 1
Das altisländische Wort sonr (nisl. sonur) tritt als Zweitglied in der Form -son (ohne Nominativendung) auf, z.B. (Snorri) Sturluson; s. Noreen 1923, §395.1; Cleasby/ Vigfusson 1957, 578.
Skandinavische Familiennamengeographie: Westskandinavien
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Auðardóttir (wobei der Bindestrich ein Verstoß gegen das Gesetz ist). Oft wird das erste Parentonymikon, wie Patronymika und Metronymika zusammengefasst werden können (Andersson 2006), normalerweise das Metronymikon, nur mit einem Anfangsbuchstaben angedeutet. Ein Schriftsteller nennt sich Sigurður A. Magnússon, wobei A. für Aðalheiðarson steht (Brylla 2002, 358; Kvaran 1996, 39f.; dies. 2001, 167ff.). Familiennamen kommen zwar auf Island vor, sind aber immer noch selten. Der Brauch, Familiennamen zu tragen, ist durch ausländischen, hauptsächlich dänischen Einfluss aufgekommen. Island gehörte lange zu Dänemark und wurde erst 1944 selbstständig. Als die beiden ältesten einheimischen Familiennamen auf Island werden Thorlacius und Vidalinus angesehen, die aus dem 17. Jh. stammen. In beiden Fällen handelt es sich um gelehrte Latinisierungen, wie wir sie aus der alten Universitätswelt kennen, mit Bildungen sowohl zu Personennamen wie zu Ortsnamen. Isländische Studenten an der Universität Kopenhagen treten oft mit Latinisierungen ihrer Patronymika auf, z.B. zu Ende des 16. Jhs. Bodverus für Böðvarsson, Egilius für Egilsson, Torfeus für Torfason (Sigmundsson 2004, 59). Dieser Art ist der Name Thorlacius, der dem Patronymikon Þorláksson entspricht. Vidalinus ist wiederum zu einem Ortsnamen, Víðidalur, gebildet worden. In isländischer Form erscheint er als Vídalín, mit Entfernung der lateinischen Endung, die den Namen handlicher macht und die auch in anderen Namen zu finden ist. Andere Familiennamen aus dem 17. Jh. gehen auf Ortsnamen in nicht latinisierter Form zurück: Bech zum Hofnamen Kvíabekkur, Bergmann (offensichtlich deutsch beeinflusst) zum Hofnamen Setberg; die Namenträger sind in diesen Fällen Söhne von Geistlichen (Sigmundsson 2004, 59f.). Häufiger treten isländische Familiennamen erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jhs. auf. Haupttypen sind teils Umbildungen von Patronymika, z.B. Thorarensen von Þórarinsson, teils Bildungen zu Ortsnamen, z.B. Blöndal zu Blöndudalur, Breiðfjörð zu Breiðafjörður, Laxdal zu Laxárdalur. In beiden Typen ist der dänische Einfluss deutlich erkennbar, mit dän. -sen2 statt -son und mit vereinfachten Ortsnamenformen (Kvaran/Jónsson frá Arnarvatni 1991, 70; Kvaran 2007, 316f.; dies. 2008, 116f.; Sigmundsson 2004, 64). Eine spezielle Bildungsweise sind Genitivformen teils von Individualnamen, z.B. Agnars zu Agnar (dem Patronymikon Agnarsson entsprechend), teils von Ortsnamen, z.B. Laxness zu Laxnes (Kvaran/Jónsson 1991, 74ff.; Sigmundsson 2004, 64). Die alten Familiennamen durften nach dem Personennamengesetz von 1925 beibehalten, neue aber nicht gebildet werden. Trotz des Verbots sind mehrere Familiennamen in Gebrauch gekommen, die inzwischen anerkannt worden sind. Die Anzahl der Familiennamen ist auch durch Einwanderung erheblich gestiegen. Anfang des 20. Jhs. (1910) war die Anzahl der Familiennamen 297; gegen Ende des Jahrhunderts (1994) war die Zahl auf 2.227 gestiegen (Bernharðsson 2008, 59, 68f.; Sigmundsson 2004, 65ff.). –––––––— 2
Dän. -sen < dän. -søn ,Sohn‘, mit Umlaut von Plural sønner.
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Thorsten Andersson
Das Verbot gegen die Neubildung von Familiennamen besteht zwar immer noch, auch nach dem Personennamengesetz von 1996. Es gibt aber einen Weg, sich einen Quasifamiliennamen zu verschaffen. Seit 1998 besteht nach dänischem Brauch die Möglichkeit, zwischen den Rufnamen und das Parentonymikon einen Mittelnamen zu stellen, der oft nach dem Typ Blöndal gebildet ist, z.B. Arnfjörð, Austdal, Fossberg. Wenn man dann, was vorkommt, das Parentonymikon fallen lässt, hat man praktisch einen „Familiennamen“, der allerdings nur persönlich, nicht erblich ist. Es gibt offensichtlich auch auf Island einen Drang nach Familiennamen. Wie groß er ist, lässt sich ohne empirische Untersuchungen, z.B. Umfragen, schwerlich abschätzen, doch ist anzunehmen, dass er im Zuge der zunehmenden Internationalisierung deutlicher hervortreten wird. Von sprachpflegerischer Seite werden die als Familiennamen gebrauchten Mittelnamen mit Recht als eine Bedrohung des isländischen Personennamensystems aufgefasst (Bernharðsson 2008, 69; Kvaran 2007, 317f.; dies. 2008, 12f.).
1.2. Die Färöer Die auf Island immer noch herrschende Patronymikon- und Metronymikontradition war auch in den anderen nordischen Ländern lange die übliche Art, Individuen zu benennen. Dieser Brauch hatte für die zentralnordischen Sprachen schwerwiegende Folgen. Dies wird am Beispiel der Färöer deutlich, die zu Dänemark gehören. Durch eine dänische Verordnung von 1828, die auf den Färöern 1832 in Kraft trat, wurde vorgeschrieben, dass bei der Taufe neben dem Rufnamen auch ein Familienname genannt werden sollte (Johansen 1995, 141; ders. 2007, 195).3 Das Problem dabei war, dass die meisten keinen Familiennamen, sondern nur ihr Patronymikon auf -sen ,Sohn‘ bzw. -datter4 ,Tochter‘ besaßen. Dies hatte zur Folge, dass Patronymika ebenso wie in Dänemark auch auf den Färöern zu Familiennamen umfunktioniert wurden. Aus Primärpatronymika oder echten Patronymika entstanden Sekundärpatronymika oder patronymische Familiennamen.5 Die männliche Form auf -sen wurde für beide Geschlechter vorgeschrieben, weshalb auch die Frauen zu „Söhnen“ wurden (Meldgaard 1984, 44; Nielsen/Olrik/Steenstrup 1899, 116). Das mag damals kaum aufgefallen sein. Die dänische Verordnung führte dazu, dass die -sen-Namen den vorherrschenden färöischen Familiennamentyp bildeten. Familiennamen im europäischen Sinne treten auf den Färöern ebenso wie auf Island erst spät, im 17. Jh., auf. Die ersten Träger waren zugezogene Pfarrer und Beamte mit Familien–––––––— 3 4 5
Über diese Verordnung s. Näheres im Beitrag von Eva Brylla. Über den Ursprung der dänischen Form datter (mit a) s. Brøndum-Nielsen 1950, §142 mit Anm. 1. Zur Terminologie s. Brylla in: Nedrelid/Brylla/Jørgensen 1999, 80, Anm. 3.
Skandinavische Familiennamengeographie: Westskandinavien
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namen wie Debes,6 Djurhuus, Hentze, Matras, Weihe, Winther (Johansen 1995, 141f.; ders. 2007, 195f.; Poulsen 1979, 190f.). Genau wie auf Island wurden auch neue Familiennamen gebildet, vorzugsweise anhand von Ortsnamen, jedoch nicht, ebenso wenig wie auf Island, in der einheimischen Sprachform. Der dänische Einfluss tritt – begreiflicherweise – auf den Färöern noch deutlicher zutage, z.B. Fuglefjord zu Fuglafjørður, Højgaard zu Høgigarður, Kjerboe (dän. -boe ,Einwohner‘) zu í (,in‘) Kerinum (Johansen 1995, 142f.; ders. 2007, 196; Poulsen 1979). Die Neubildung von Familiennamen wurde durch ein dänisches Gesetz von 1904 stark gefördert, indem jetzt Namenwechsel erlaubt wurde. Dänische oder danisierende Namen wurden weiterhin gebildet, doch wurden vorwiegend färöische Namen gewählt. Beispiele sind Bjarnadal (,Bärental‘; ohne die Nominativendung -ur), Eysturoy (,Ostinsel‘), die auf Ortsnamen zurückgehen, des Weiteren Präpositionalgefüge wie av Skarði (fär. av ,von‘, skarð ,Scharte, Kluft‘), í Horni (fär. í ,in‘, horn ,Horn‘), die allerdings wegen der Ähnlichkeit mit Adelsnamen lange gemieden wurden (Johansen 1995, 146f.; ders. 2007, 196; Poulsen 1979). Durch das erste färöische Personennamengesetz von 1992 haben sich die Verhältnisse wieder radikal verändert. Durch dieses Gesetz wurde wieder erlaubt, mit jeder Generation wechselnde Patronymika und Metronymika auf -son bzw. -dóttir als persönliche Nachnamen zu gebrauchen. Diese alte germanische Tradition wurde also nach isländischem Vorbild wiederbelebt. Island war immer das große Vorbild für die färöische Sprachpflege und Sprachpolitik. Die Folgen des Gesetzes von 1992 sind noch nicht abzuschätzen. Die Möglichkeit, neugeborenen Kindern ein Patronymikon als Nachnamen zu geben, ist bis jetzt nur von einer Minderheit der Eltern genutzt worden, doch dieser Brauch nimmt langsam zu. Nur selten wird dagegen ein Metronymikon gewählt. Auch Erwachsene können einen Familiennamen durch ein Parentonymikon ersetzen. In der Tat haben manche ihren Familiennamen auf -sen streichen lassen und als Nachnamen ein früher als Mittelnamen benutztes Patronymikon behalten (Johansen 1993, 101ff.; ders. 1995, 148; ders. 2007, 196f.; ders. 2008, 79f.).7 Eine nähere Untersuchung der Folgen des Gesetzes von 1992 steht noch aus. Die alte germanische Patronymikontradition, die auf Island noch lebendig ist und auf den Färöern vielleicht wiederbelebt werden kann, bildet die Grundlage aller nordischen Familiennamen. Die schwerwiegenden Folgen dieser Tradition haben wir schon auf den zu Dänemark gehörenden Färöern beobachten können. Noch deutlicher als im Färöischen treten sie in den drei zentralnordischen Sprachen hervor, deren Familiennamen zum großen Teil aus Sekundärpatronymika bestehen.
–––––––— 6 7
Zu diesem Namen vgl. den Beitrag von Friedhelm Debus in diesem Band (S. 255–268). Außerdem persönliche Auskunft von mag. art. Anfinnur Johansen, Tórshavn; s. auch Johansen 2010, über Familiennamen S. 140f.
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1.3. Norwegen Norwegen bildete viele Jahrhunderte, von 1380 bis 1814, mit Dänemark eine Union, die von dänischer Seite beherrscht wurde. Die norwegische Schriftsprache der Neuzeit war im Grunde dänisch. Daraus entwickelte sich eine norwegische Sprache, heute bokmål (,Buchsprache‘) genannt. Neben dieser Sprache wurde im 19. Jahrhundert auf dialektaler Grundlage eine neue Sprache durch Ivar Aasen geschaffen, das heutige nynorsk (,Neunorwegisch‘). Norwegen hat also zwei offizielle Sprachen, was zu großen sprachlichen und sozialen Spannungen geführt hat (Jahr 2007). Die Spannung zwischen dem dänischen Erbe und dem einheimischen, nationalen Bestreben kommt bei den Familiennamen zum Ausdruck. Die Mode, Familiennamen zu tragen, ist in Norwegen durch dänischen Einfluss aufgekommen. Sie verbreitete sich ab dem 16. Jh., zunächst in der oberen Gesellschaftsschicht, unter Kaufleuten, Pfarrern, Offizieren und Beamten, die übrigens meist aus Dänemark, zum Teil auch aus Deutschland eingewandert waren. Der Gebrauch von Familiennamen beschränkte sich lange hauptsächlich auf die Städte, während auf dem Land ebenso wie auf Island der alte Patronymikongebrauch vorherrschte (von Metronymika können wir praktisch absehen).8 Auf dem Land waren die Pfarrer Pioniere in der Verwendung von Familiennamen. Aus Dänemark stammen Namen von Geistlichen wie Fynbo (,Einwohner der Insel Fünen‘) oder Wendelboe (,Einwohner der Landschaft Vendel‘). Norwegischer Herkunft ist Leganger; so nannte sich um 1650 ein Pfarrer im Kirchspiel Leikanger, das damals in der dänischen Schreibweise Leganger auftrat (Halvorsen 1975a, 171; Helleland 2007a, 555; Veka 2000, 256). Auch latinisierte (wie auf Island) und gräzisierte Familiennamen des gelehrten Typs, der in Norwegen selten ist, sind vertreten, z.B. Pontoppidan(us) nach dem dänischen Ortsnamen Broby oder Arctopolitanus (,aus der Stadt im Norden‘) (s. Brylla in: Nedrelid/Brylla/Jørgensen 1999, 64, 74; Halvorsen 1975a, 172; Helleland 2007a, 555; Nedrelid in: Nedrelid/Brylla/Jørgensen 1999, 97f.; Nedrelid 2000, 195f.; dies. 2002, 128f.; Veka 2000, 322; Utne 2001, 14). Eine Untersuchung über die Verhältnisse im südlichen und westlichen Norwegen zu Beginn des 19. Jhs. liegt in einer Dissertation von Gudlaug Nedrelid vor (Nedrelid 1998), die vom Material einer Volkszählung von 1801 ausgeht.9 –––––––— 8
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Überblicke über Entstehung und Entwicklung des Familiennamengebrauchs in Norwegen bieten Olafsen 1922; Nedrelid 2000; dies. 2002; dies. 2006; Veka 2000, 14; Utne 2001; ders. 2002; ders. 2003/2004, 96ff.; Helleland 2007a. – Die maskuline Form der Parentonymika wird ab dem 16. Jh. nach dänischem Vorbild meistens -sen geschrieben (Helleland 1999, 163); andere Schreibweisen sind -ssen, -søn(n) (Veka 2000, 15). Dialektal kommt die Form -sa vor (Helleland 2007a, 556). Die feminine Form wechselt stark in den Dialekten (Stemshaug 1994). Offiziell herrscht -datter vor (vgl. bokmål datter gegenüber nynorsk dotter). Eine ausführliche Diskussion der Dissertation ist in einem Beitrag von Nedrelid/Brylla/ Jørgensen 1999 zu finden, in dem die Beurteilungen der beiden Opponenten bei der Disputation und die Antwort der Verfasserin wiedergegeben werden.
Skandinavische Familiennamengeographie: Westskandinavien
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Ihre Studie zeigt, dass zu dieser Zeit die Entwicklung zu festen Familiennamen in Norwegen noch nicht weit vorangeschritten war. Der Titel ihrer Arbeit enthält ein Zitat aus einem Roman, Bondestudentar (,Bauernstudenten‘), von Arne Garborg aus dem Jahre 1883: „Ender og daa […] ein Aslaksen eller Bragestad“ (,dann und wann ein A. oder B.‘). Dies ist eine Beobachtung, die die Hauptperson des Romans über die Studenten an der Universität Kristiania (wie Oslo damals nach einem dänischen König hieß) macht. Ab und zu treten Studenten mit einheimischen Namen wie Aslaksen und Bragestad auf. Die meisten Studenten, die ja keine Bauernstudenten sind, sondern aus Städten kommen, tragen dagegen oft Familiennamen fremden Ursprungs. Diese Beobachtung findet eine Bestätigung in Nedrelids Untersuchung, die zwei Städte, Bergen und Kristiansand, sowie eine Anzahl von Landgemeinden umfasst. Unter den zehn häufigsten Familiennamen in ihrem Material tritt an erster Stelle der deutsche Name Meyer auf, und dort finden sich auch die Namen Møller (dänisch, evtl. < dt. Müller), Schmidt/Smith (deutsch, evtl. auch englisch (vgl. Alhaug 2008, 95ff.)), weiter Namen wie Dahl, Berg, Holm, Lund, die aus dem Dänischen, wo sie häufig vorkommen, entlehnt sein können (Nedrelid 1998, 30f., 302, 353). Garborgs Beispiele Aslaksen und Bragestad vertreten die beiden einheimischen Haupttypen norwegischer Familiennamen, nämlich Namen aus Patronymika bzw. Hofnamen. Ebenso wie in Dänemark und auf den Färöern wird -sen für beide Geschlechter gebraucht. Sekundärpatronymika kommen um 1800 auf dem Land äußerst selten, in den Städten häufiger vor (Nedrelid 1998, 293ff.). Die als Beinamen gebrauchten Hofnamen dienen zunächst als „Adresse“, gehen aber leicht zu Familiennamen über, vor allem wenn die Namenträger in die Stadt ziehen (Nedrelid 1998, Kap. 7; dies. 2000, 198). Der Übergang von Ortsnamen, hauptsächlich Hofnamen, zu Familiennamen ist von Botolv Helleland näher untersucht worden (Helleland 1997; ders. 1999). In einer ursprünglicheren Form ging nach gewöhnlichem Sprachgebrauch dem Ortsnamen eine Präposition voran. Es gibt zwar im Altwestnordischen frühe Beispiele von Beinamen ohne Präposition (Halvorsen 1975b; vgl. Schoonheim 1995, 31f.), aber die norwegische Tradition ohne Präposition wird mit der offiziellen schriftlichen Überlieferung verbunden, in der die Präposition allmählich weggelassen wurde (Halvorsen 1975b, 19f.; Helleland 1997, 58; ders. 1999, 162f.).10 Aus der Adresse entstand ein Familienname. Den häufigen Gebrauch von Hofnamen als Familiennamen verbindet Helleland überzeugend mit der norwegischen Siedlungsstruktur mit Einzelhöfen in einem dünn besiedelten Land (Helleland 1997, 56f.; ders. 1999, 161f.). Im Laufe des 19. Jhs. stabilisierte sich der Gebrauch von Familiennamen immer mehr, auch auf dem Land, und 1923 wurde er gesetzlich vorgeschrieben (Veka 2000, 14ff.). Gleichzeitig wurde bestimmt, dass die Ehefrau bei der Heirat den Familiennamen des Ehemannes annehmen sollte, eine Vorschrift, die allerdings bald, schon 1949, aufgehoben wurde. Vor der gesetzlichen Regelung –––––––— 10
Vgl. oben Leganger.
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1923 war die eheliche Familiennamenwahl in verschiedenen Gesellschaftsklassen unterschiedlich (Utne 2002). Die beiden Haupttypen norwegischer Familiennamen, ursprüngliche Patronymika und Hofnamen, dominieren in der Bevölkerung, mit je einem Viertel bzw. der Hälfte der Namenträger. Von den einzelnen Namen machen die ursprünglichen Ortsnamen sogar um 70% des Familiennamenschatzes aus, während die verschiedenen ehemaligen Patronymika nur 2–3% erreichen (Helleland 1999, 159; Veka 2000, 17f.). Nach einer Statistik aus dem Jahre 1996 waren die 13 häufigsten Familiennamen ursprüngliche Patronymika: Hansen, Olsen, Johansen usw. Unter den 50 häufigsten Familiennamen mit Ursprung in Ortsnamen finden sich Berg, Haugen, Hagen, Dahl, Lund, Moen, Strand, Solberg, Bakken, Eide, Lie, Moe, Bakke, Nygård, Lunde (Helleland 1997, 52). Zu dieser Kategorie gehören auch die Familiennamen mehrerer in diesem Beitrag zitierter Forscher: Alhaug, Helleland, Jahr, Nedrelid, Svanevik, Utne und Veka. Neben diesen beiden Familiennamentypen ist noch eine heterogene Gruppe besonders zu erwähnen, bestehend aus seit langem etablierten Adels-, Beamtenund Handwerkernamen, hauptsächlich ausländischer Herkunft, z.B. Huitfeldt, Meyer, Schmidt (Helleland 1997, 51; ders. 1999, 161). Hier sei daran erinnert, dass die Schriftsprache der Neuzeit in Norwegen lange dänisch war, was zu gewissen Komplikationen geführt hat. Die offizielle Schreibweise der Hofnamen, die oft gleichzeitig als Familiennamen dienten, wich oft deutlich von der einheimisch norwegischen Form ab, z.B. Vig, -vig (,Bucht‘), Vold, -vold (,Feld‘), bisweilen archaisierend Wiigh, Wold, für norw. Vik, Voll (Svanevik 1995, 215; dies. 1999, 170).11 Durch staatliches Eingreifen haben die Hofnamen meistens eine norwegische Form erhalten, was eine Diskrepanz zwischen Hof- und Familiennamen hervorgerufen hat, und diese Diskrepanz wird dadurch unterstrichen, dass die von der normalen Orthographie abweichende Schreibweise der Familiennamen leicht mit höherem Status verbunden wird (Helleland 2007b; Svanevik 1995, 214f.; dies. 1999, 170f.; Utne 2001, 19ff.). Unter diesen Umständen haben die Familien oft die alte, mit dem Familiennamen übereinstimmende Form der Hofnamen beibehalten wollen. Hier liegt ein Konflikt vor, und zwar eine Spannung zwischen der nationalen Haltung des Staates und dem Gefühl der persönlichen Identität der Familien, die eben durch den Familiennamen zum Ausdruck kommt. Diese Frage nimmt in der norwegischen sprachpflegerischen Diskussion einen zentralen Platz ein; sie wurde im letzten norwegischen Personennamengesetz von 2002 amtlich geregelt, wird jedoch immer noch politisch debattiert (Helleland 2007b; ders. 2008a, 281, 287f.; ders. 2008b; Larsen 2008a; ders. 2008b, 128, 132; Svanevik 1995; dies. 1999; dies. 2008; Utne 2003/2004, 110ff.).
–––––––— 11
Vgl. oben Leganger für Leikanger.
Skandinavische Familiennamengeographie: Westskandinavien
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2. Zur geographischen Verbreitung von Namentypen Bisher war von der geographischen Verbreitung der Namen bzw. Namentypen keine Rede. Auf Island mit der geringen Anzahl von Familiennamen, die außerdem z.T. ausländischer Herkunft sind, ist die namengeographische Fragestellung nur von geringem Interesse. Allenfalls lassen sich isländische Familiennamen gelegentlich mit bestimmten Ortsnamen verbinden. Die Abhängigkeit der Familiennamen von Ortsnamen ist auch auf den Färöern zu beobachten. Interessant wäre dort aber vor allem die geographische (und soziale) Verbreitung der -sen-Namen im Verhältnis zu anderen Familiennamentypen (vgl. Schmuck 2007). Noch ergiebiger wären familiennamengeographische Studien in Norwegen. Da die norwegischen Familiennamen zum größten Teil aus Ortsnamen bestehen, lässt sich eine geographische Verteilung eben durch die Ortsnamengeographie nachweisen (Utne 2001, 24; Veka 2000, 499). Entsprechend sind die -sen-Namen von der geographischen Verteilung der Vornamen abhängig (Utne 2001, 24f.). Weiter ist festgestellt worden, dass die Proportion zwischen -senNamen und Hofnamen in der Verwendung als Familiennamen in verschiedenen Teilen des Landes wechselt (Helleland 1997, 60; ders. 1999, 165). Die norwegischen Familiennamen zeigen also durchaus geographische Unterschiede. Untersuchungen der geographischen Verbreitung von Familiennamen und Familiennamentypen sowie deren siedlungs- und sozialgeschichtlichen Hintergrunds würden zweifellos zu wichtigen Ergebnissen führen. Solche Studien stehen aber bis jetzt noch aus. Als Basis der nordischen Familiennamen ist das alte germanische System mit Patronymika und, in kleinerem Umfang, mit Metronymika anzusehen. Die weitere Entwicklung ist in etwa als ein Kampf gegen die dominierende Masse der Namen auf dän. und norw. -sen und schw. -son zu sehen. Die -sen/-sonNamen sind in den zentralskandinavischen Ländern sogar oft als ein Problem aufgefasst worden (von mir persönlich allerdings nicht), und um dieses „Problem“ zu lösen, sind verschiedene Strategien benutzt worden. In Norwegen ist es vor allem durch Umfunktionierung der „Hofadressen“ zu Familiennamen geschehen. Außerdem ist es in Norwegen seit einer 1979 eingeführten Änderung im Personennamengesetz von 1964 erlaubt, einen schon vorhandenen norwegischen Familiennamen zu wählen, mit der Einschränkung, dass er nicht allzu selten ist. Nach dem derzeit gültigen Personennamengesetz von 2002 sind nur Namen, die von weniger als 200 Personen getragen werden, rechtlich geschützt. Die Neubildung von Familiennamen hat in Norwegen nie eine große Rolle gespielt (Helleland 2007a, 546f.; Schmidt 1987; Svanevik 1989; dies. 1991, 128; Utne 2003/2004, 97f.). Andere Lösungen des nordischen „Problems“ mit den vielen -sen/-sonNamen werden im Beitrag von Eva Brylla (in diesem Band) vorgeführt.
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Eva Brylla
Scandinavian surname geography: East Scandinavia
Abstract This article deals with the origin and historical development of the surname system in East Scandinavia, i.e. Denmark and Sweden. A fundamental aspect of the nature of Danish and Swedish surnames is that they started to spread at a relatively late stage. There are some differences in the surname stock of the two countries. For instance, a name type based on occupational designations occurs frequently in Denmark, but is not common in Sweden. Most of the earlier humanist names have died out in Denmark, while in Sweden such names are rather frequent, often in shortened forms, e.g. Nobel, Montan. As regards legislation, the rules in the two countries coincide to some extent. Frozen patronymics used to be frequent both in Denmark and Sweden, but the two countries have solved this problem in different ways. In Denmark the solution was to use middle names, a name type that now can be chosen as a surname, while in Sweden people have coined a large number of new surnames. The Swedish Names Act has also been interpreted in such a way as to facilitate the approval of many notable coinages.
1. Introduction For several reasons the subject of surname geography in Scandinavia is somewhat complex. Studying network telephone lines – a method used in the German Surname Atlas project – would not give a true picture of the situation. One important reason for this is the Scandinavian surname system with its specific structures and features, which essentially differs from those in use on the continent as Thorsten Andersson, among others, has shown in his article. If Scandinavia is considered as a single unit, there are close similarities, as well as big differences. Unlike surnames on the continent the hereditary surname system in Scandinavia is rather young. In Denmark and Sweden the hereditary surnames started to spread at a relatively late stage, generally speaking only in the 16th and 17th centuries, respectively. Instead, people in these countries used patronymics, which changed from one generation to another, i.e. the father’s first name with the addition of -sen/-son ‘son’ or -datter/-dotter ‘daughter’, respectively. In the Middle Ages only a few surnames were hereditary and the practice was unstable. I intend to give an outline of the surname system in East Scandinavia, a parallel to Thorsten Andersson’s survey of the West Scandinavian surnames. ‘East Scandinavian’‚ surnames mean Danish and Swedish surnames. The sur-
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name system in the Swedish parts of Finland is for historical reasons the same as in Sweden.
2. The development of hereditary surnames: Denmark The use of hereditary surnames in Denmark is to a large extent based on foreign, especially German, models. In 1526 the state intervened for the first time in the matter of naming, when King Frederik I urged the Danish nobility to adopt hereditary surnames. Indeed, a large proportion of the nobility had earlier been influenced by German immigrants and adopted surnames, but the others gradually adopted the custom too. Some created their noble name from a patronymic, e.g. Steensen, Clementsen (-sen ‘son’), while others chose names based on their coats of arms, e.g. Bielke ‘beam’, Ulfstand ‘tooth of a wolf’, and not, as on the continent, based on their estates. After the Reformation in 1536 academics started adopting so-called learned family names, i.e. “humanist” family names – a term used for Scandinavian contexts by the name-scholar Rob Rentenaar (1995, 201–212) – at first at German universities and later when they registered at Copenhagen University. These were “antique” personal names that first came into use in Italian academies and then spread to academic circles throughout Europe. An antiquating suffix was added to a byname or a surname, e.g. a translation of a patronymic, an occupational designation or a place-name, Heliæ (from Helgesen), Fabricius (from Latin faber ‘smith’), Pontoppidan (from Broby, Latin pons ‘bridge’), Scavenius (from the place-name Skagen). These humanist names did not make much impact on the Danish name stock, and most of the learned names in Denmark died out. Today only a few humanist names have been preserved in Denmark, e.g. Fabricius, Paludan, Pontoppidan (Meldgaard 1984, 39ff.; ibid. 2007, 128ff.; Søndergaard 2000, 27). During the 17th and 18th centuries the hereditary surnames started to spread among the bourgeoisie. They were based on place-names, a custom originating from Germany, or on occupational designations. The place-names might be village names, generally from the home district, often in a German form. For instance, the surname Tesdorff comes from the place-name Testrup and the surname Breitenstein from Bredsten. Originally, occupational designations often occurred as surnames in their German form: Møller ‘miller’ became Müller, Kock ‘cook’ became Koch, Bager ‘baker’ became Becker. Nature designations were also frequent, e.g. Berg, Holm and Lund. By the 18th century a large proportion of the bourgeoisie had taken hereditary surnames. Hereditary -sen-names also occurred among well-to-do members of the urban population. By about 1750 almost all patronymics had become hereditary -sen-names, and by the end of the 18th century about 20% of the inhabitants of Copenhagen bore hereditary -sen-names as surnames, which gradually became a problem (Meldgaard 1984, 39ff.; ibid. 2007, 131ff.;
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Rentenaar 1995, 201ff.; Søndergaard 2000, 27).1 (More about that later in the discussion on legislation.)
3. The development of hereditary surnames: Sweden In Sweden the development of hereditary surnames is in many respects similar to that in Denmark. The Swedish naming custom is strongly associated with the four estates: the names of the nobility, the humanist names of the clergy, the family names of the bourgeoisie and the peasant names ending in -son. In the 17th century, a hundred years later than in Denmark, family names came into use among the nobility. This group generally acquired surnames following the creation of the House of Nobility (Sw. Riddarhuset) in 1626. On the whole they took resplendent, dithematic and often warlike names. The very same surnames then existing in Denmark were used in Sweden too, e.g. Gyllenstierna, Bielke. The compound names were based on the family’s coat of arms, also probably in accordance with a Danish pattern (Brylla 2007, 663f.; Utterström 1994, 36ff.). As in Denmark, German names have also influenced Swedish surnames. Such an influence is the insertion of -en- between the first and the final element. This element occurs in old names like Oxenstierna and Löwenhielm. A commoner’s name like Påfve was changed into Påfvenhielm, and Lindeblad might be changed into Lindencrona (Ryman 2002, 75f.). In German surnames the particle von often preceded the name of a family estate, whether genuine or fictitious. In the Swedish names von is only a noble prefix, e.g. von Beijer. There are also surnames such as von Carlsson, von Hermansson, which shows that von is nothing more than a prefix (Brylla 2007, 664; Utterström 1994, 39). As in Denmark, clergymen and scholars started to take surnames in the 17th century, primarily of a humanist type. At the beginning there was a trend towards latinizing patronymics. Thus the brothers Olaus and Laurentius latinized their patronymic Pedhersson into Petri. It was also possible to form patronymics by means of Latin suffixes: Beronius from Bero, a latinized form of Björn, Svenonius from Sveno, a form of Sven. Early humanist names were probably not hereditary; they were often local designations like Bothniensis, Angermannus ‘from the counties of Norrbotten, Västerbotten or Ångermanland’. These designations were very useful for students abroad. But in Sweden many names were coined that indicated origin from a parish or a farm, e.g. Floderus from Floda and Kjellander from Källhult. –––––––— 1
Anja Udolph gives a survey in German of the Danish surname system in Namenkundliche Informationen 2006, 239ff. In an article in Tijdschrift voor Skandinavistiek 28 (2007), 127ff., Mirjam Schmuck deals with the distribution of patronymic surnames in Denmark. For a survey of Danish and Swedish surnames see also Brylla 2009.
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Eventually, the humanist names were shortened and de-antiquated. The Latin endings were abandoned and resulted in surnames like Montan, Nobel, Norén, Tessin. Such shortening might give the names a French air. This name type is very typical of Sweden (Ryman 2002, 96ff.; Utterström 1994, 40). While the Danish humanist names did not have much impact on the name stock, the humanist names in Sweden have survived as surnames, just as they have in the Netherlands and Germany (Rentenaar 1995, 208; Utterström 1994, 40). People in the countryside were very traditional and for a long time the peasantry used patronymics, e.g. Lars Andersson, Lena Andersdotter, a son and a daughter of an Anders. In older times there were patronymics without the addition of -son or -dotter, e.g. Andres Birghes, a son of a Birger. There were also forms without the genitive ending, e.g. Peter Berent. These two types of formations are no longer productive in Sweden. In the latter part of the 19th century the names ending in -son developed into hereditary surnames, which in both Sweden and Denmark posed a problem. The problem was solved in different ways in the two countries, as I will explain later. Women too began to take -son-names. Instead of the father’s first name + -dotter they added -son. Not until the Swedish Personal Names Act of 19822 did women get a chance to take names ending in -dotter as official surnames (Brylla 2002, 70, 86ff.). In one respect Sweden differs from Denmark and the other Scandinavian countries, as well as from other countries, and that is in the surname system of the burghers. The names of the nobility and German names stimulated the creation of the mainstream Swedish family names of the bourgeoisie, such as Lindgren and Bergman. This type of surname appeared in the 17th century. They were probably modelled on heraldic names like Rosengren and Lindelöf. But typical heraldic elements like -crona ‘crown’, -hjälm ‘helmet’, -sköld ‘shield’ and -svärd ‘sword’ were avoided. Instead, the elements were derived from natural phenomena: -berg ‘mountain, hill’, -gren ‘branch’, -kvist ‘twig’, -lund ‘grove’. The surnames taken by commoners often designated the geographic origin of the bearer and were based on place-names. For instance, Bredman is derived from the place Bredvik, Forsman from Forsnäs, Almgren from Almby. The second elements should be regarded as suffixes. There is no semantic connection between the first and the second element (Brylla 2002, 69f.). This special type of surname has been described by Damaris Nübling in several articles (Nübling 1997, 169f.; ibid. 2000, 297f.). German surnames served as models too. German names ending in -mann seem to be a great source of inspiration. A name like Nyman is a copy of the German Neumann. -man becomes the most popular ending for the creation of dithematic burghers ތnames (Brylla 2007, 665; Ryman 2002, 102; Utterström 1994, 41). –––––––— 2
The Personal Names Act (Sw. Namnlag) passed on 24 June 1982. Stockholm. (Swedish Code of Statutes 1982, 670.)
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The surnames of the bourgeoisie can also be simplex names. Names like Bring, Lind, Uggla are probably derived from old bynames. Such names may also be based on place-names: Hjort from a place-name Hjorted, Alm from Almby etc (Brylla 2002, 70).
4. Legislation Legislation regarding personal names and its interpretation have resulted in both similarities and differences in the surname stocks in the Scandinavian countries. In both Denmark and Sweden the state adopted legislation on surnames rather late. Denmark enacted legislation in 1828 which provided that all children in connection with their christening should, in addition to their first names, also be given a fixed surname that would remain unchanged during their lifetime. The peasantry objected to this new custom and during the last decades of the 19th century many people wanted to return to the earlier system of genuine patronymics, while others wanted to use their old bynames as surnames (Meldgaard 1984, 44ff.). During the age of industrialism the rural population had moved into the cities and the surnames ending in -sen caused major problems, as there were far too many people with names like Hans Jensen and Niels Hansen in Denmark, as well as too many Anderssons and Petterssons in Sweden. In Denmark this led to the enactment of legislation in 1904 allowing people to change their names. At the same time, the legislation provided protection for existing surnames, which to some extent counteracted the adoption of newly coined surnames. Many of the most popular names were already taken. In order to solve the problem of the -sen-names people started to use middle names, i.e. surname-type names placed between the first name and the surname, e.g. John Kousgård Sørensen. More than one third of the population in the 20th century bore such a middle name in Denmark (Meldgaard 2007, 135f.). In 1961 a new Act was passed in Denmark that extended the scope of the previous legislation to cover middle names and first names as well. Middle names, which were previously not distinguished from first names, now came into general use. There were different types of middle names: fixed surnames such as Østergaard and “aristocratic-sounding” names such as the name of the gentlefolk at whose house somebody had served, e.g. Bülow, Lerche (Lerche Nielsen 2007, 98). In Sweden the first legislation relating to surnames was passed in 1901. Here, too, this was motivated on practical grounds. The aim was to encourage the use of “proper” surnames, and to solve the -son-name problem (Brylla 2002, 75f.). In the 1970s the existing legislation was amended in Denmark, Finland, Norway and Sweden. In Denmark and Sweden new Acts came into effect in the early 1980s. In terms of basic principles, the rules in these countries are broadly
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similar. Both Acts take individual liberty into account. However, when it comes to name changes, Sweden has so far been more liberal than Denmark (Brylla 1992, 99–113). The Swedish government agency that is responsible for personal names, the Patent and Registration Office (Patent- och registreringsverket), has come under pressure from two directions: on the one hand, it has been accused of being too tolerant and permissive, and on the other hand of obstructing progress by being too restrictive. And it is quite clear that the appeal body, the Court of Patent Appeals (Patentbesvärsrätten), and the Supreme Administrative Court (Regeringsrätten), the final court of appeal in cases relating to personal names, have adopted a more liberal attitude. The factor that will have the greatest impact on the surname stock in the future is how the “suitability requirement”, which is extremely vaguely worded in the Act, is interpreted. As a result of a trend towards a more international approach, the Act states that a newly formed surname “which in terms of formation, pronunciation and spelling has a linguistic form that it is not appropriate as a surname in this country” is not to be accepted. This wording has resulted in a rapid shift in Swedish surname usage. In implementing this provision, the Court of Patent Appeals, invoking the more international outlook expressed in the Act, has gone to unusual lengths of tolerance, approving names such as Beachman – which in fact is an English translation of the applicant’s Swedish name Strandman – and Mortaigne as newly coined Swedish surnames (Brylla 2007, 666). The Swedish government agency has lately shown a clear liberalizing tendency, for instance approving some Romance-sounding surnames such as Andriano, Bovino. Formerly there have been examples of names ending in the German suffixes -feldt, -stedt, -heim, the English suffix -ton and the Slavonic suffixes -ow, -ski, -witz. These are surnames that have put down roots in the Swedish surname system and given rise to native formations, which are consistent with the development of the Swedish surname stock. The nomenclature, like other aspects of the language, has undergone considerable change over long periods of time. In the long run, the integration of foreign name elements is legitimate, and the Swedish name stock will continue to show traces of such elements. But, like other linguistic developments, this should be a gradual process. It is important to distinguish between names that have been brought to our country by immigrants or as the result of a natural cultural influence, on the one hand, and newly coined surnames on the other (Andersson/Brylla 1998, 110f.; Brylla 1996, 306f.; ibid. 2002, 94ff.; ibid. 2005, 71ff.). A new amendment was recently passed in Denmark. The existing Names Act did not in practice cover immigrants, who were allowed to use the naming custom of their native countries in accordance with special provisions. But several major immigrant groups have lived in Denmark for so long that they no longer have any ties with their native countries.
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In 2006 a new Act was passed. This Act reintroduced patronymics, although this practice appears to be unusual. Metronymics, i.e. names derived from the mother, were also approved. The most important innovation is that the middle name type can now be chosen as a surname. During the first year after the entry into force more than 30,000 Danes dropped their surname in favour of a middle name. 165 surnames borne by more than 2,000 individuals are no longer protected. This rule has made it possible for immigrants to be assimilated by adopting a common Danish surname such as Hansen or Jensen. A list of “free” names will be updated every year. During the first year, about 1,950 individuals applied for such free names. A special category of middle names was introduced to make it possible to use a first name as a middle name, irrespective of sex. Consequently, a woman can now be called Pia Steen Jensen. Patronymics and metronymics from other civilizations are also permitted (as in Norway). If the father’s name is Niels, they can be called Nielsen, but not MacNiels or Abd Niels. In cases like Brian both Brians(s)øn and McBrian are a possible choice. Hassan may result either in Abd Hassan or Hassans(s)øn. From a name like Ivan surnames such as Ivans(s)øn or Ivanov can be formed (Lerche Nielsen 2007, 95–117).
5. Summing-up A fundamental aspect of the nature of Danish and Swedish surnames is that they started to spread at a relatively late stage, i.e. basically not prior to the 16th and 17th centuries, respectively. The practice of hereditary surnames in the two countries is to a large extent based on foreign, especially German, models. There are, however, also differences in the two countries’ surname stocks. For instance, occupational terms occur more frequently in Denmark. The 100 most popular surnames today include Møller, Schmidt, Koch and Schultz, often in a German form. This name type is not common in Sweden. Most of the earlier humanist names have died out in Denmark, while in Sweden such names are rather frequent, often in shortened form, e.g. Nobel, Agrell, Montan. The relevant legislation is broadly similar in the two countries, but its interpretation and the action taken have resulted in differences in the systems. Frozen patronymics used to be frequent both in Denmark and in Sweden, but the two countries have solved this problem in different ways. In Denmark they have been replaced by middle names. Under the Act of 2006, this name type can now be chosen as a surname. In Sweden we have coined new surnames – Sweden can probably boast more name changes than any other country in the world. From 1920 to 1952 about 64,000 new surnames were approved (Brylla 2002, 67). The interpretation of the Personal Names Act has also paved the way for the approval of many notable coinages.
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In my introduction I mentioned the problem of discussing the name system in Scandinavia from the point of view of surname geography. Perhaps surname sociology would be a better starting-point.
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Englische Familiennamengeographie
Abstract The distribution of English surnames has only rather rarely been put on maps in the United Kingdom and, even then, usually in low numbers. For this task researchers used either different data sets to differing degrees and from different periods in the past, for example Parish Register Records, Lay Subsidy Rolls or Hearth Tax Returns, or from different current periods, such as official address lists or telephone directories. A concerted action in onomastic research is still lacking. A project on English surname geography, of which the first volume recently appeared, is being carried out at the University of Bamberg in Germany. Its diachronic and synchronic databases are briefly described and examples of surnames of different surname categories are provided with a recent or a long history in the United Kingdom. The latter often developed variants of various kinds that mirrored changes in the common language that either survived or had died out there. A quantificational surname approach is also sketched to help identify historical cultural regions in England. Finally, some aspects are mentioned that will be dealt with in the second volume.
1. Einleitende Bemerkungen und frühere Forschung Das Englisch Englands, ja des Vereinigten Königreichs, ist schon wiederholt auf Karten zugänglich gemacht worden. Es gibt nationale Sprachatlanten und regionale, sehr detaillierte Karten und vereinfachte. Überraschenderweise gibt es noch keinen umfangreicheren diachron-synchronen Familiennamenatlas. In England war die Einführung erblicher Familiennamen mit der enormen kulturellen Veränderung verbunden, die auf die normannische Eroberung 1066 folgte. Etwa um die Mitte des 14. Jhs. hatten sehr viele Bewohner Süd- und Mittelenglands einen erblichen Familiennamen. Das Kapitel „The heredity of surnames“ in Franssons früher Studie (1935, repr. 1967) ist noch immer lesenswert. In Nordengland dauerte dieser Prozess mindestens 100 Jahre länger und viel länger in Schottland. Viele schottische Namen sind erst seit dem 15. bzw. 16. Jh. dokumentiert. Auf den Shetland Inseln und in Wales erhielt ein Großteil der Bevölkerung erst im 18. Jh. erbliche Familiennamen. Im Laufe des Lebens einer Person konnte sich der Familienname ändern, auch von Generation zu Generation, er konnte auch von Schreibern verändert werden. In früheren Jahrhunderten gab es keine Regeln, wie Familiennamen zu schreiben waren. Ein Mann konnte z.B. zuerst Will Dickson genannt werden, konnte sich dann nach seinem Beruf nennen, z.B. Will Potter oder Will Smith und später, sollte er von zu Hause wegziehen, in seiner neuen Umgebung den
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Namen seines Geburtsorts annehmen, z.B. Will York(e) oder Will Chester. So wird auch deutlich, dass jemand Potter heißen konnte, obwohl er gar kein potter mehr war oder nie einer gewesen war. Die Arbeiten, die die Verteilungsmuster ausgewählter Familiennamen im Vereinigten Königreich ausweisen – auf diese beschränkt sich dieser Überblick unter Ausklammerung der auf einzelne Regionen (Grafschaften) beschränkten English Surnames Series – sind alles andere als zahl- und umfangreich. Eine frühe Arbeit ist die von Guppy, „Homes of Family Names in Great Britain“, die 1890 erschien. Guppys Verteilungsangaben basieren auf Zählungen von Familiennamen von Bauern in spätviktorianischen Grafschaftsadressbüchern. Leider enthält sein Buch keine Karten. Der erste, der der Geographie eines Namens, seines eigenen, und dessen Varianten nachging, war Leeson 1964, und zwar im 16. Jh. anhand von Kirchenbüchern über General Register Office Indizes von 1841–1850 bis zur Analyse eines Telefonbuchs aus dem Jahre 1961. Er war seiner Zeit deutlich voraus, denn erst zwanzig Jahre später wurden derartige familiennamengeographische Arbeiten etwas zahlreicher. Zu erwähnen sind hier die Beiträge von Brett 1985, Ecclestone 1989, Porteous 1987 und Titterton 1990. Sie enthalten jeweils einige wenige Familiennamenverbreitungskarten. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Richtung mit dem Buch von Rogers „The Surname Detective“ 1995. Vom namengeographischen Standpunkt erwähnenswert sind ferner Steve Archers „The British 19th Century Surname Atlas“ 2003, wobei es sich um eine Momentaufnahme der Volkszählungsergebnisse von 1881 handelt,1 Hey 1997 und 2000, der einmal Telefonbücher der späten 1980er Jahre und zum anderen Todeseinträge in Kirchenbüchern der Jahre 1842 und 1846 heranzieht, und, vom selben Verfasser, der einen Forschungsüberblick bietet, aber auch auf der Basis der Volkszählungsergebnisse von 1881 die Verbreitung einiger seltener Familiennamen kartiert (Hey 1998 und 2003).2 Das bisher Skizzierte ist beachtenswert. In den Arbeiten wird eine erfreuliche methodische Breite sichtbar, es werden aber auch ganz unterschiedliche Datensätze aus ganz verschiedenen Zeitabschnitten herangezogen. Was fehlt, ist eine konzertierte Aktion. Vielleicht kommt es ja mal zu einer solchen, die auf dem Vorgelegten aufbauen kann. Dazu sollte auch das Bamberger Familiennamenprojekt gehören, das ich im Folgenden kurz vorstellen möchte. Wir haben das gemacht, was die zur Verfügung stehenden Datenbanken in Europa, wie der Engländer sagen würde, erlaubten. Natürlich konnten wir nicht dem Ursprung –––––––— 1
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Die CD-ROM enthält Karten von über 400.000 Familiennamen auf landesweiter Ebene! Diese können sowohl auf Grafschaftsebene als auch auf der deutlich kleineren Poor Law Union-Ebene erzeugt und ausgedruckt werden. Diese CD ist ein außergewöhnliches Hilfsmittel. Die Arbeiten der Humanbiologen Lasker 1985, Lasker/Kaplan 1983, Lasker/Mascie-Taylor 1990 und Mascie-Taylor/Lasker 1990 verfolgten insofern ein anderes Ziel, als sie einige Namen auswählten, deren Träger in den ersten drei Monaten des Jahres 1975 in England oder Wales heirateten. Für die Genetiker ist die erwachsene zeugungsfähige Bevölkerung von größerem Interesse als Geburts- oder Todesanzeigen.
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der einzelnen Familiennamen in Kirchenbüchern oder Steuerlisten und anderen frühen Dokumenten, die sich z.B. in englischen Grafschaftsarchiven befinden, nachgehen. Dies muss Forschern vor Ort überlassen bleiben. So hat Porteous 1988 den Ursprung der Familie Mells zurückverfolgt.
2. Im Bamberger Projekt verwendete Datenbanken und Kartierungsverfahren Auf folgende Datenbanken wurde zurückgegriffen: 1) „The International Genealogical Index“ (kurz IGI) für die Zeit von 1538– 1850 und „The British Isles Vital Records Index“ (kurz VRI) für die Zeit von 1538–1906. Der IGI ist eine Zusammenstellung von Einträgen in Kirchenbüchern (bestehend aus Geburts-, Tauf-, Heirats- und Todes- bzw. Beerdigungseinträgen), die von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, besser bekannt unter der Bezeichnung Mormonen, herausgegeben wurde.3 Der IGI hat natürlich Schwächen. So sind z.B. dieselben Personen mehrfach aufgeführt. Auch wurde ein bestimmter Personenkreis in den meisten Kirchenbüchern überhaupt nicht erwähnt, u.a. Personen, die nicht der Anglikanischen Kirche angehörten. Schließlich können Aufzeichnungen durch Feuer oder andere Katastrophen verlorengegangen sein. Die Doppelungen des IGI wurden in den VRI weitestgehend bereinigt. Diese ebenfalls von den Mormonen bereitgestellte Datenbank enthält etwa 12,3 Millionen Einträge und ist in zwei CD-ROM Datensätzen erhältlich, einen für Geburts- und Taufeinträge und der andere für Heiratseinträge. Der VRI umfasst einen etwas längeren Zeitraum als der IGI, nämlich bis Anfang des 20. Jhs. 2) Volkszählungsergebnisse: In Großbritannien wurden Volkszählungen seit 1801 durchgeführt. Wertvoller sind sie allerdings erst seit 1841, da sie seither statistische Daten enthalten. Die Mormonen haben die Volkszählungsergebnisse des Jahres 1881 auf CD-ROM veröffentlicht. Diese sind genauer als die IGIDaten, ganz fehlerlos sind sie allerdings auch nicht. So tauchen gelegentlich Schreibfehler auf. Etwa die Hälfte der britischen Bevölkerung konnte damals gar nicht oder nur bedingt lesen und schreiben. Genealogieexperten haben jedoch die Schwächen weitestgehend berichtigt. Da die Karten des bereits erwähnten „British 19th Century Surname Atlas“ von Steve Archer farbig sind, mussten wir aus Kostengründen auf sie verzichten. Eine Umwandlung in Schwarz-weiß-Karten stieß schnell an Grenzen, da die verschiedenen Abstufungen nicht mehr unterscheidbar waren. Daher mussten wir uns damit begnügen, die Volkszählungsergebnisse von 1881 in Tabellenform anzugeben. –––––––— 3
Das große Interesse der Mormonen an der Genealogie geht auf ihren Glauben zurück, dass die Familien in der anderen Welt zusammenbleiben. Daher suchen die Mitglieder dieser Kirche nach ihren Vorfahren, um sie auf ein „Versiegeln ihrer Familien“ vorzubereiten, das nur stattfinden kann, nachdem alle Vorfahren ausfindig gemacht worden sind.
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3) Bezüglich der gegenwartsbezogenen Familiennamengeographie wurden Telefonbücher herangezogen, genauer die UK-Info Professional V9 2004. Insgesamt wurden 11,5 Millionen Telefonbucheinträge durchsucht. Unberücksichtigt mussten natürlich Personen bleiben, die auf derartige Einträge verzichteten. Auch traten hin und wieder doppelte Einträge in dieser Datenbank dann auf, wenn sich Personen mit einer Geschäfts- und einer Privatnummer eintragen ließen. Soviel in Kürze zu den verwendeten Datenbanken. Bei der Kartierung der Daten gab es mehrere Möglichkeiten: Entweder wurden die Daten in der Fläche dargestellt, wobei sich die Grafschaftsebene anbot, auf Punktkarten oder auf Tortendiagrammkarten, wenn mehrere Varianten miteinander verglichen werden sollten. Die Kreise variieren in der Größe und weisen dadurch Gebiete mit größerer gegenüber geringerer Konzentration eines Namens und seiner Varianten aus. Karten, denen die Daten des IGI bzw. des VRI zugrundeliegen, wurden mit Hilfe des Programms LDS Companion zunächst von Doppelungen bereinigt und dann mit der Software GenMapUk erzeugt. Von den Daten, die auf den Telefonbucheinträgen beruhen, wurden zuerst Excel-Dateilisten angelegt, von denen dann mit der Software PCMap Karten erzeugt wurden. Diese weisen zusätzlich in Tabellenform jeweils die absoluten Häufigkeiten der Familiennamen pro Grafschaft aus.
3. Einige Ergebnisse Zur Präsentation wurde je ein Familienname mit einer langen und einer kurzen Geschichte in England ausgewählt. Ein Familienname mit einer kurzen Geschichte in England ist Murphy. Von Guppy wurde er 1890 noch nicht erwähnt. Dieser Name wurde in England erst nach der großen irischen Einwanderung, die durch die Hungerkatastrophe Mitte des 19. Jhs. in Irland ausgelöst wurde, bekannt. Wie Karte 1 (Karten s. am Ende des Beitrags) ausweist, ist Murphy heute vor allem in England ein gebräuchlicher Familienname, der am häufigsten im Gebiet des historischen Lancashire auftritt. Bei der Gebietsreform 1974 wurde diese Grafschaft in mehrere kleinere Einheiten aufgeteilt.4 Danach folgt London im Südosten des Landes. Karte 2 belegt eine besonders starke Korrelation der beiden genannten Gebiete mit der irischen Einwanderung. In Lancashire ließ sich auch noch ein Jahrhundert später sprachlich nachweisen, dass dort viele Iren Arbeit fanden. So weisen die Karte und die Legende (Karten 3a und 3b) aus dem Sprachatlas von Viereck/Ramisch 1991 in dieser Region Anglo-Irisch praties aus. Irisch préata, práta, fata sind ursprünglich Entlehnungen von engl. potato, die die Iren später als pratie(s) wieder nach England brachten. Ein weiterer Hinweis auf die Iren zeigt sich in murphies ‚Kartoffeln‘, das Mitte des 20. Jhs. nur noch einmal im –––––––— 4
Aus Platzgründen mussten die Karten mit den Grafschaftseinteilungen vor und nach 1974 sowie deren Benennungen entfallen.
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Südosten Englands in den Daten von Orton et al. „Survey of English Dialects“ 1962–1971 auftaucht und daher auch nicht auf der Karte des genannten Sprachatlas erscheint. Ein halbes Jahrhundert früher hatte Wright in seinem „English Dialect Dictionary“ 1898–1905 murphy noch für ein wesentlich größeres Gebiet in England bezeugt. Onions „Oxford Dictionary of English Etymology“ 1966 notiert „from the common Irish surname Murphy, with allusion to the potato being a staple article of food of the Irish peasant“ (s.v. ‚murphy‘). In Irland hatte der Familienname Murphy mit ‚Kartoffel‘ natürlich nichts zu tun, sondern leitete sich von irisch Ó Murchadha ‚Nachkomme von Murchadh‘ ‚Krieger zur See‘ (irisch muir ‚See‘ und chadh ‚Krieger‘) ab. Die drittstärkste Verbreitung zeigt der Familienname Murphy heute in Lanarkshire in Schottland. Das industrialisierte Gebiet in und um die drittgrößte Stadt Großbritanniens, Glasgow, zog viele Iren an, die auf Arbeitssuche waren und dort auch Arbeit fanden. Im Gegensatz zu Murphy sind Varianten des nächsten vorzustellenden Familiennamens schon lange in England heimisch; nicht alle haben indes bis heute überlebt. Der Ursprung ist in dem frühen lateinischen Lehnwort puteus ‚Grube‘ zu suchen, das im Altenglischen als pytt belegt ist. Altenglisch entwickelte sich im Mittelenglischen zu regional unterschiedlichen Varianten, nämlich zu im Südosten, im Norden und [ü] im Südwesten und den westlichen Midlands. Diese Entwicklung spiegelt sich zum Beispiel in dem genannten Familiennamen Pytt, Pett, Pitt, Putt ‚Bewohner an einer Grube‘ oder ‚(Stelle an der) Grube‘ wider. Die konsultierten Telefonbücher (UK-Info Professional V9 2004) führen die folgenden Varianten auf: Sehr häufig Pitt (9.303) Petts (1.145) Putt (1.085)
--------------------------------------------------------------------Pitts Pitman Pittman Pitter (4.274) (4.149) (1.059) (390) Pett Pettman Petter Petman (927) (619) (237) (18) Putman Putter Put Puttman (659) (31) (9) (6)
fast ausgestorben Pit Pits (11) (1) Pets Pet (1) (0) Putts Puts (4) (1)
Das Auftreten der ursprünglichen Form Pytt wurde im Laufe der Zeit regional mehr und mehr eingeschränkt, überlebte aber überraschenderweise bis ins frühe 19. Jh. (Karte 4). Pytt gehört neben Pett und Putt zu der nicht gerade kleinen Gruppe englischer Wörter, die sich in Familiennamen fossilisiert haben. In der Gemeinsprache sind diese Schreibungen bereits vor Jahrhunderten ausgestorben. Laut Simpson/Weiner, „The Oxford English Dictionary“ 21989, treten ab dem frühen 17. Jh. dort nur Schreibungen mit auf, also pit mit einem – im Gegensatz zu den Familiennamen, bei denen Schreibungen mit bei weitem überwiegen. Im Hinblick auf die Vorkommenshäufigkeit der einzelnen Varianten nehmen laut der Tabelle Pett, Petts und Putt eine mittlere Position ein. Auf Karte 5 wird die Verteilung von Pett und Putt in absoluten Zahlen im Vergleich zueinander dargestellt und Karte 6 zeigt die regionale Verbreitung der Variante Petts. Die höchste Konzentration von Pett und Petts findet sich im Südosten Englands, in
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Kent und den angrenzenden Grafschaften, für Putt ist es der Südwesten, vor allem Devon. Der eingangs erwähnte VRI sowie die Volkszählung von 1881 bestätigen sowohl Kent im Südosten als auch Devon im Südwesten als Zentren des Auftretens von Pett beziehungsweise Putt. Dort ist der Ursprung beider Varianten zu suchen. Was historisch nicht mehr ins Bild passt, ist das recht hohe Auftreten von Putt in London und Umgebung. London ist allerdings vielfach ein Sonderfall, da die Hauptstadt Migranten in all den Jahrhunderten, seit es Familiennamen gibt, anzog. Es ist daher ganz normal, dass viele Personen dort einen Familiennamen tragen, der ansonsten andernorts konzentriert ist. Daher kann das Auftreten eines Familiennamens in und um London oft unberücksichtigt bleiben, wenn nicht alle weiteren Beispiele des Familiennamens aus dieser Region stammen. Zum auslautenden -s, wie in Petts, sei folgendes vermerkt: Derartige Beispiele treten in allen Familiennamenkategorien auf, wie Williams oder Margets (Patronymika und Metronymika), Briggs (Wohnstättennamen), Holgreaves (Herkunftsnamen), Smiths (Berufsnamen) oder Oulds (Übernamen). Die Endung kann Verschiedenes bedeuten. Der Williams-Typ ist zuerst 1086 im Domesday Book belegt – in Latein – als Robertus filius Willelmi. Hier ist das auslautende -s im Englischen Zeichen des Genitivs ‚son of William‘; es kann auch Besitzanzeigendes markieren. Für Petts und Varianten lauten die Erstbelege Roger de Pettes 1276, John ater Puttes 1296 und Richard Pyts 1395. Hierbei handelt es sich um Pluralformen. Die Karten 4–6 machen auch deutlich, dass es den Trägern dieser Namen in der weitaus überwiegenden Mehrheit dort gefiel, wo ihre Vorfahren wohnten. Viele englische Familiennamen weisen bezüglich ihrer Verbreitung eine erstaunliche Stabilität über Jahrhunderte hinweg aus. Dies gilt übrigens auch für die Endungen, die bei den Patronymika und in deutlich selteneren Fällen bei den Metronymika auftreten. Bei den beiden folgenden Karten 7 und 8 bewegen wir uns von der Analyse einzelner Familiennamen oder ganz weniger Familiennamen hin zu einer stärkeren Quantifizierung. Karte 7 zeigt, dass der Williams-Typ insbesondere in Wales, den westlichen Midlands sowie im Süden Englands belegt ist. Auch das auslautende -s in Petts weist insofern eine sehr ähnliche Verbreitung aus (s. Karte 6), als es im Norden Englands kaum auftritt. Der Vokal in Petts verweist, wie bereits erwähnt, auf den Südosten Englands. Im Gegensatz zum Williams-Typ tritt die Endung -son, wie z.B. in Williamson,5 besonders im Norden Englands auf (Karte 8). Beide Karten zeigen, dass die Kartierung von Familiennamenendungen zu deutlichen regionalen Kontrasten führen kann. Überschneidungen der Familiennamen auf -s und -son sind minimal. Die Karten 7 und 8 wurden von Schürer 2004 übernommen, der historische kulturelle Regionen mit Hilfe von Familiennamen identifizieren möchte. Seine Quelle ist die Volkszählung von 1881. Schürer vergleicht diese Ergebnisse mit denen der Lay Subsidy Rolls (Steuerlis–––––––— 5
Diese Endung gilt für beide Geschlechter. Familiennamen auf -daughter sind heute nicht mehr belegt.
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ten) von vor 500–600 Jahren und stellte erstaunliche Übereinstimmungen in deren Verbreitung fest, was für die Stabilität dieser Familiennamen über die Jahrhunderte hinweg spricht. Interessant ist nun, dass wichtige traditionelle Dialektmerkmale des Englischen deutliche Verbreitungsübereinstimmungen mit den erwähnten Patronymika zeigen. Auch hämatologische Befunde sind von Bedeutung (Karte 9b). Dies gilt sowohl für die sehr deutlich differenzierte nördliche Region als auch für die weiter südlich gelegene. Zu den Faktoren, die bislang zur Entstehung kultureller Regionen in England herangezogen wurden, zählten die Dialekte, die Topographie und die Politik, die Bevölkerungsdichte (s. Karte 9a, 9c, 9d), Wirtschaft und Handel sowie die materielle Kultur, wie z.B. die Architektur der Häuser. Neben die geographische Hämatologie treten nun auch die Familiennamen. Für den walisisch-englischen Grenzbereich ist dies allerdings nur eine Wiederentdeckung, denn die Forschungen in Bezug auf die Verbreitung der walisischen und englischen Familiennamen und deren Korrelation mit der Verteilung der Blutgruppen gehen schon auf die fünfziger und sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück, wobei signifikante Unterschiede zwischen der Verteilung der Blutgruppen einerseits und der walisischen bzw. englischen Familiennamen andererseits festgestellt wurden. Kürzlich habe ich eine deutliche Korrelation zwischen einem speziellen Dialektmerkmal des Englischen, den Blutgruppen und Familiennamen in Teilen Englands festgestellt (Viereck 2007, 530–532).6
4. Weitere Forschung Wie bereits erwähnt, hat die Identifizierung kultureller Regionen unter Berücksichtigung der Familiennamen in England gerade erst begonnen. Auch DNSTests – in Deutschland leider meist mit der englischen Abkürzung DNA zu finden – stehen in England in diesem Bereich erst am Anfang. Von weiteren Fragestellungen sollen hier nur die folgenden erwähnt werden. Welche Familiennamen sind am weitesten verbreitet und welche am stärksten konzentriert? Korrelieren sie mit einem bestimmten Familiennamentyp? Sind z.B. geographische Familiennamen häufiger in abgelegenen Gebieten zu finden als Berufsnamen? Wie steht es mit der Verbreitung von Familiennamen, die sich von Dialektwörtern herleiten? So belegt Wright in seinem „English Dialect Dictionary“ 1898–1905 royd ‚Rodung‘ für Yorkshire und Lancashire. Mit diesem Bestandteil werden eine Reihe englischer Familiennamen gebildet wie z.B. Ackroyd ‚Bewohner an der Eichenrodung‘ (altenglisch Ɨc + rod). Reaney/Wilson 1976 führen allein sieben orthographische Varianten dieses Namens an und bemerken –––––––— 6
Ende der altenglischen und zu Beginn der mittelenglischen Zeit wurden ursprünglich stimmlose Reibelaute in Anfangsposition stimmhaft. In der Gemeinsprache haben sich im Gegensatz zu den Familiennamen (z.B. Fid(d)ler – Vidler, Fenn – Venn) nur wenige Überbleibsel dieses Wandels erhalten (z.B. fox ‚Fuchs‘ – vixen ‚Füchsin‘).
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„a Yorkshire name preserving the dialectal pronunciation royd“ (für road ‚Rodung‘), s.v. ‚Ackroyd‘. Die ersten Namensträger waren Hugo Aikroide, 1612 York und Henry Ackroyd, 1645 York. Die dialektale Aussprache schlug sich bei diesem Familiennamen also erst im 17. Jh. in der Orthographie nieder. Natürlich gab es ähnliche Familiennamen mit nicht-dialektaler Endung schon früher und auch in anderen Regionen Englands, was z.B. Okenrode (altenglisch Ɨcen + *rod ‚Eichenrodung‘) zeigt. Als erster Namensträger dieser Form ist ein Thomas dil Okenrode 1323 in Lancashire belegt. Historisch gesehen ist der erste Bestandteil auf eine spätere, diachroner phonologischer Entwicklung folgende Anpassung zurückzuführen; früher ist der Familienname in Lancashire noch als Akenrode belegt7 (nur in Kristensson 1970 aufgeführt). Hier zeigt sich eine der Schwächen des Wörterbuchs von Reaney/Wilson 1976: Herkunfts- und Wohnstättennamen sind dort vielfach nicht aufgenommen. Das betrifft natürlich auch den Dialektwortschatz.8 Welche Grenzen gab es im Hinblick auf die Wahl eines Familiennamens, als diese erblich wurden? Gab es Substantive, die selten oder nie als Familiennamen verwendet wurden? Tiernamen dürften in diesem Zusammenhang von Interesse sein. Hound, heute auf die Bedeutung ‚Jagdhund‘ eingeschränkt, trat im 17. und 18. Jh. nur siebenmal als Familienname auf, heute nur einmal. Einen noch drastischeren Rückgang zeigt Dog als Familienname: von 95 Vorkommen im 17. und 18. Jh. auf völliges Verschwinden seit dem 19. Jh. Dies ist kein Wunder angesichts der negativen semantischen Entwicklung beider Substantive. Ass und donkey haben keinerlei Spuren in den diachronen Korpora englischer Familiennamen hinterlassen, Frog war 1881 nur drei Mal belegt und Pig(g) nur vier Mal. Ein scheinbares Gegenbeispiel ist Hog(g) mit 10.906 Belegen 1881. –––––––— 7
8
Von der Mündung des Humber im Osten zu den Flüssen Lune und Ribble im Westen machte sich bis in die Mitte des 20. Jhs. eine wichtige Sprachscheide bemerkbar. Nördlich dieser Heteroglossen blieb altenglisch /Ɨ/, wie in Ɨc, unverändert, südlich wurde es zwischen dem 11.–13. Jh. zu langem offenen /Dó/ gerundet, das im 16. und 17. Jh. gehoben und dann im 19. Jh. zu heutigem /Iz/ diphthongiert wurde. Ortsnamen mit dem Element Ɨc blieben entweder erhalten oder wurden der späteren Lautung angepasst, wie die folgenden Beispiele zeigen: Acton (in London und mit weiteren Zusammensetzungen in anderen südlichen englischen Grafschaften auftretend; eine orthographische Anpassung an die Lautung erfolgte in diesen Fällen nicht), Acomb (in Yorkshire und Northumberland), Akeld (in Northumberland), Oakford, ursprünglich Acford (in Devon), Oakworth, früher Acurde (West Yorkshire) und Okeford, früher Acford (in Dorset) (Beispiele aus Mills 1998). Vgl. z.B. Bassenthwaite, Brocklehurst, Grafham und Micklethwaite. Für weitere Beispiele dieser Art wären zunächst Kristensson 1970 und Wright 1898–1905 durchzuarbeiten. Wrights Wörterbuch liegt seit kurzem in digitalisierter Form vor. Leider wurde diese Version bisher nicht mit dem Wörterbuch selbst verglichen. In der 3. Auflage des Wörterbuchs von Reaney/Wilson l991 wurden etwa 4.000 Familiennamen zusätzlich aufgenommen, darunter natürlich auch Herkunfts- und Wohnstättennamen wie Grafham und Micklethwaite. Bassenthwaite, Brocklehurst und Okenrode sucht man indes noch immer vergeblich. Eine weitere Schwäche zeigt sich darin, dass Reaney/Wilson genealogische Methoden weitgehend außer acht ließen. Redmonds 1997 macht an mehreren Beispielen deutlich, dass „without some sort of genealogical evidence it can be unwise to link modern surnames with those found in medieval sources“. Hey 2003, 17 schlussfolgert „It will be a long time before we have reliable, comprehensive dictionaries of all the surnames in the land“.
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Es bedeutet nicht nur ‚Schwein‘, sondern auch ‚Lamm‘ und andere junge Tiere, was dessen Auftretenshäufigkeit zweifellos begünstigte. Bear ist in den Volkszählungsergebnissen von 1881 799 Mal vertreten, Fox 27.825 Mal und Wolf(e) 2.147 Mal. Hog(g), bear, fox und wolf spielten im Aberglauben eine wichtige Rolle in positiver und negativer Hinsicht. Im Englischen traten die negativen Assoziationen zu einer Zeit auf, als die Namen sich als Familiennamen bereits fest etabliert hatten. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass unser Atlas englischer Familiennamen aus zwei Bänden bestehen wird. Bei den von uns bislang behandelten Familiennamen lag das Hauptaugenmerk auf geographischen Familiennamen, also auf Herkunfts- und Wohnstättennamen, auf Berufsnamen und auf Übernamen (vgl. Barker et al. 2007). Zu einigen aus Rufnamen entstandenen Familiennamen vgl. Viereck 2008. Dieser Familiennamenklasse wird in dem im Entstehen begriffenen Band, neben den Aspekten, die im ersten Band nur wenig behandelt werden konnten, besonderes Augenmerk geschenkt. Dazu gehören Karten, die philologische Bereiche behandeln wie Graphematik, besondere phonetisch-phonologische Entwicklungen, morphologische Aspekte und, auf syntagmatischer Ebene, den Verfall altenglischer Deklinationsklassen, die Aufgabe des grammatischen Geschlechts, Besonderheiten der Wortbildung sowie Familiennamen in Bezug auf die Geschichte des englischen fremden und heimischen Wortschatzes.
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Karte 1: Absolute Verteilung von Murphy (nach UK-Info Professional V9 2004)
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Karte 2: Verteilung irischer Immigranten in England: Volkszählung von 1851 (nach Darby 1973, 171)
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Karte 3a: Verteilung von Potatoes und Varianten; hier Praties (nach Viereck/Ramisch 1991)
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Karte 3b: Legende der Karte 3a; hier Praties und Murphies (nach Viereck/Ramisch 1991)
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Karte 4: Verteilung von Pytt in England vom 16.–19. Jh.
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Karte 5: Absolute Verteilung von Pett und Putt im Vergleich (nach UK-Info Professional V9 2004)
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Karte 6: Absolute Verteilung von Petts (nach UK-Info Professional V9 2004)
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Karte 7: Verbreitung von patronymischen und metronymischen Familiennamen auf Genitiv -s (nach Schürer 2004)
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Karte 8: Verbreitung von patronymischen und metronymischen Familiennamen auf -son (nach Schürer 2004)
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Karte 9a: Isoglossen im Norden Englands (nach Wakelin 1983, 3)
Karte 9b: Relative Häufigkeit der Blutgruppen A und 0 (nach Viereck/Viereck/Ramisch 2002, 92)
Englische Familiennamengeographie
Karte 9c: Sprachgrenzen um London (nach Viereck/Viereck/Ramisch 2002, 78)
Karte 9d: Urbanisierte Gebiete in Mittel- und Südengland 1951 (über 400 Pers./Meile2) (nach Viereck/Viereck/Ramisch 2002, 78)
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Jan Goossens
Namenklassen und ihre Spiegelung in der niederländischen Familiennamengeographie
Abstract With regard to their lexical motivation, Dutch surnames can be divided into four categories: names going back to 1) first names, 2) common nouns indicating a profession, 3) adjectives indicating a property, 4) common nouns or proper names indicating provenance. Each of them can be construed in a prototypical way: (a) as the first name either by itself or supplemented by a strong (-s) or a weak (-en) genitive ending, (b) as in (a), but preceded by a definite article in both the nominative and the genitive, (c) as in (b), with the proviso that in genitive formations only the weak ending is possible, (d) as a prepositional phrase, mostly initiated by van, and with the possibility to insert a dative article. This is more or less obligatory when the lexeme is a common noun. As a rule, the structural differences within a category correspond to geographical differences. Aside from the prototypical formations there are suffixed formations (with -man, -aard, -ing, etc.). Their morphosyntax largely parallels the prototypical formations. As far as can be found out, the remaining surnames contain tropes (metonymy, metaphor). Their morphosyntax is very limited. Mostly, the surname is formally identical with the relevant word or expression itself.
1. Zur Einteilungspraxis Die niederländische Onomastik verfügt nicht über ein Handbuch, in dem man eine Gliederung der Familiennamen (FN) nach lexikalischen Namengebungsmotiven finden könnte.1 Die deutsche Namenkunde dagegen besitzt eine ganze Reihe solcher Bücher. Fünf Motive werden in allen genannt: Es gibt FN 1. aus Rufnamen, 2. nach der Herkunft, 3. nach der Wohnstätte, 4. nach dem Beruf, 5. aus Übernamen. In den Auflagen des Gottschald und bei Kohlheim, im Internationalen Handbuch Namenforschung (hier der Artikel von Kohlheim 1996) finden wir diese fünf als Teile umfangreicherer Sammlungen, die durch Durchkreuzung verschiedener Motivierungsprinzipien zustande gekommen sind, in den älteren Auflagen des Gottschald übrigens mit einer Zusammenlegung der Namen nach Wohnstätten und Herkunftsorten.
–––––––— 1
Ich danke Ann Marynissen für die zahlreichen Gespräche über FN-Geographie und für die Anfertigung einer Reihe von FN-Karten, die in früheren Aufsätzen erschienen sind. Auch die Karten für diesen Beitrag sind von ihr angefertigt worden. Drei von ihnen sind früher schon einmal erschienen: Karte 1 in Marynissen 2005, 119; Karten 3 und 5 in Goossens 2008, 46 und 49.
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Die schwammigste Kategorie in dieser Reihe bilden die Übernamen.2 Was mit diesem Terminus alles bezeichnet wird, formuliert Kunze folgendermaßen: „[I]m weitesten Sinne [ist er] synonym mit Beiname, d.h. für alle über den eigentl. Personennamen hinaus vorhandenen, die Person charakterisierenden Namen; in weitem Sinne für alle Beinamen außer denen, die aus Rufnamen gewonnen sind; in engem Sinne […] für jene Beinamen, die nicht zu den Patronymika, Herkunfts-, Wohnstätten- oder Berufsnamen gehören […], sondern aus körperlichen, geistigen, charakterlichen Merkmalen eines Menschen, aus Ereignissen seiner Lebensgeschichte u.ä. gewonnen sind“ (Kunze 2004, 139).
Wenn man aus der engen Definition das letzte Stück („aus Ereignissen seiner Lebensgeschichte u.ä.“) weglässt, erhält man eine klar umgrenzte Namengruppe mit einem gemeinsamen inhaltlichen Merkmal, nämlich die Bezeichnung einer Eigenschaft. Um diese auszudrücken, gibt es ein unmissverständliches grammatisches Mittel: das Eigenschaftswort, also das Adjektiv. Man kann die aus Adjektiven gebildeten FN deshalb als Eigenschaftsnamen bezeichnen und auf die Kategorie Übernamen verzichten. Ein zweiter Kritikpunkt hinsichtlich der Fünfteilung der direkten FN betrifft die Trennung von Herkunftsnamen und Wohnstättennamen. Ihre Zusammenlegung in den älteren Auflagen des Gottschald ist nämlich gut vertretbar. Zwischen Wohnstätten und Herkunftsorten gibt es nur graduelle Unterschiede. In manchen Fällen ist eine Grenzziehung zwischen beiden nicht möglich. Übrigens gehören auch Gewässer, Landstriche, politische und verwaltungstechnische Territorien zu den Herkunftsnamen. In all diesen Fällen, sowohl bei einer punktuellen Gegebenheit in der Landschaft (z.B. einer Mühle) wie bei einem Mikroteil einer Landschaft (z.B. einem Hügel) oder einer Siedlung, einem Weiler, einem Dorf, einer Stadt sowie einem Gebiet (z.B. Schwaben) hat man es mit einem Teil der Erdoberfläche zu tun, mit dem der Namenträger in Verbindung gebracht wird. Die Gegebenheit im geographischen Raum, die zur Bildung eines FNs veranlasst hat, kann mit einem Eigennamen (einem Toponym) oder mit einem Appellativ bezeichnet werden. Manchmal wird man aber nicht entscheiden können, ob das Substantiv, das dem FN zugrunde liegt, ein Eigenname oder ein Appellativ gewesen ist. So kann der FN Vandenbosch sowohl auf einen Wald (einen Busch) als auch auf die nordbrabantische Stadt Den Bosch (offiziell ’s-Hertogenbosch) verweisen. In Vandenberg kann sich sowohl ein verschiedenenorts belegter Siedlungsname Berg als ein Mikrotoponym oder auch ein einfaches Appellativ verbergen. Mit den genannten vier oder fünf lexikalischen Namengebungsmotiven lassen sich auf den ersten Blick bei weitem nicht alle FN klassifizieren. Es bleibt ein großer Rest. Dieser ist zum Teil undurchsichtig, zum Teil lässt er sich als assoziativ entstandener metaphorischer oder metonymischer, also indirekt verweisender Name beschreiben. Sofern solche Assoziationen noch nachvollziehbar sind, verteilen sich dann die Namen über die genannten Gruppen, insbeson–––––––— 2
Eine ausführlichere Kritik an der kanonisierten Gliederung der FN findet sich in Goossens 1999, 21–23.
Namenklassen und ihre Spiegelung
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dere über die Berufs- und Eigenschaftsnamen. Auf sie wird nach der Besprechung der direkt bezeichnenden Namen noch eingegangen.
2. Direkt bezeichnende Namen Jeder der vier oder fünf direkt bezeichnenden FN weist im niederländischen Sprachraum eine prototypische Gestaltverteilung auf. Damit meine ich erstens, dass ihre Bildungsart im Vergleich zu anderen Bildungsmöglichkeiten derselben Kategorie ihre spezifische Motivierung am deutlichsten zum Ausdruck bringt, zweitens, dass sie quantitativ die anderen Bildungsmöglichkeiten ihrer Motivgruppe übertrifft.
Karte 1: Das Zweitglied -brecht/-brechts in Patronymen
Die auf Rufnamen zurückgehenden FN werden in der Regel genealogische Abstammungsnamen sein, obwohl bei einem Teil auch andere Ursprünge denkbar sind. Im Hinblick auf die prototypische Verteilung ist zwischen einer westlichen und nördlichen Identität mit der Gestalt des Rufnamens und einer südöstlichen (d.h. brabantischen und limburgischen) Genitivierung dieses Namens zu unterscheiden. Im Westen und Norden ist der FN formal mit dem Rufnamen identisch (Lambrecht, Rombout). Er weist hier also naturgemäß keine morpho-
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logische Variation auf. Der genitivierte Rufname im Südosten hat meistens eine starke Endung, kann aber auch eine schwache Endung haben (die starke in Lambrechts, Rombouts usw., die schwache in Houben, Bouten usw.). Metronyme haben die schwache Endung (Achten, Leenen aus Agatha, Magdalena). Der unveränderte Rufname als FN identifiziert: Ein Jan Lambrecht ist ein Jan, der zugleich ein Lambrecht ist, Lambrecht heißt, zu einer Gruppe von (teilweise durch Verwandtschaft verbundenen) Personen gehört, die Lambrecht genannt werden. Grammatikalisch ist Lambrecht hier ein Prädikat, steht also im Nominativ. Der genitivierte FN drückt das Abstammungs-, das „genetische“ Verhältnis aus: Ein Jan Lambrechts ist ein Jan, der von einem Lambrecht abstammt. Die Grenze zwischen dem Nominativ- und dem Genitivtyp (Karte 1) ist in Belgien in der Regel recht scharf, in den Niederlanden, wo die Bevölkerung mobiler ist, ist sie weniger deutlich.3 Es gibt Ausnahmen von der skizzierten Verteilung in dem Sinne, dass bei einigen FN (wenn ich es richtig sehe vor allem bei nicht-germanischen Namen kirchlichen Ursprungs wie P(i)eters und Ma(e)rtens) der Genitivtyp allgemein oder fast allgemein verbreitet ist.
Karte 2: FN, die auf die Berufsbezeichnung bakker ‚Bäcker‘ zurückgehen
–––––––— 3
„Auf dieser Karte sind alle Varianten der Namen auf -brecht und -brechts zusammengenommen […]. In Belgien gibt es insgesamt 93 Varianten der 16 verschiedenen Komposita mit -brecht(s), in den Niederlanden kommen 103 Varianten von 21 unterschiedlichen Patronymen mit -brecht(s) vor.“ (Marynissen 2005, 111).
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Bei den auf Berufsbezeichnungen zurückgehenden FN sind die Kasusverhältnisse gut vergleichbar mit den FN aus Rufnamen: In ihrer identifizierendprädizierenden Funktion verlangen sie den Nominativ, in ihrer genealogischen den Genitiv. Wenn ein Bäcker Peter heißt und sein Sohn Jan, so ist dieser Jan definitionsgemäß ein Jan Peters, aber auch ein Jan Beckers. Doch ist der genealogische Aspekt hier weniger prominent als bei den Patronymika. Das äußert sich auf zweierlei Weise: Erstens ist das Genitivgebiet meistens kleiner und die Grenze zum Nominativgebiet weniger scharf. Zweitens (und das erklärt den ersten Unterschied) sind die genitivischen Berufsnamen genitivierte Namen, sie sind sekundär nach dem Modell der genitivischen Patronymika entstanden (vgl. Van Loon 1981, 372–375). Es gibt weiter folgenden prinzipiellen Unterschied: Ein Rufname ist ein Eigenname, ein Berufsname ein Appellativ, dessen lexikalische Bedeutung sich von seinem Verweis auf eine individuelle Person unterscheidet. Charakteristikum des Eigennamens ist das Fehlen eines bestimmten Artikels, während ein Berufsname als Appellativ einen Artikel verlangt. Doch ist der appellativische Berufsname als FN proprialisiert worden. Er kann demzufolge sein appellativisches Merkmal, den bestimmten Artikel, abstoßen. Im nördlichen Teil seines Nominativgebiets hat er das tatsächlich getan. Wir bekommen also eine Verteilung mit Genitivnamen im Südosten, Nominativnamen mit bestimmtem Artikel im Südwesten, Nominativnamen ohne Artikel im Norden (vgl. Karte 2: Typ Bakkers/De Bakker/Bakker ‚Bäcker‘).
Karte 3: Genitivformen des FNs Mulder ‚Müller‘
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Das Bild ist durch die Feststellung zu ergänzen, dass die genitivischen Berufsnamen ebenfalls einen bestimmten Artikel enthalten können, doch ist der Gegensatz zwischen Genitivnamen mit oder ohne Artikel – im Kontrast zu den Nominativnamen mit oder ohne Artikel – nicht so sehr geographischer als vielmehr phonologisch-distributioneller Natur. Wenn der Artikel erscheint, so tut er das in Gestalt eines vorangestellten s, reduziert aus des (Smulders ‚des Müllers‘, Spaepen ‚des Pfaffen‘, Schreven ‚des Grafen‘). Dieses s kann nur vor m, p, w, g und vor Vokalen erscheinen, wie Marynissen (1994, 291f.) festgestellt hat. Sie verweist aber auf die Veröffentlichungen von Van Loon 1981 und Claes 1991, aus denen hervorgeht, dass das s in einer früheren Phase keinen distributionellen Beschränkungen unterlag. Auf Karte 3 konzentrieren sich die Genitivformen mit präfigiertem s- bei FN, die die Berufsbezeichnung mulder enthalten, im brabantischen und westlimburgischen Raum.
Karte 4: FN, die auf das Adjektiv groot ‚groß‘ zurückgehen
Die geographische Verteilung von Nominativ- und Genitivbildungen finden wir schließlich auch bei den Eigenschaftsnamen. Wenn der Vorfahre von Jan körperlich über seine Nachbarn hinausragte, konnte man ihn Jan de Groote oder de Lange nennen, und der Name konnte in dieser identifizierenden Gestalt auf seine Nachkommen übertragen werden. Es konnte aber auch die Abstammung betont werden, was wie bei den Berufsnamen zu Genitivbildungen nach dem
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Modell der Patronymika Anlass gab. Diese sind, weil ihnen der bestimmte Artikel voranging und zum Teil immer noch vorangeht, schwache Bildungen, sie enden also auf -en (Schrooten = des Grooten < nl. groot ‚groß‘, Slangen = des Langen < nl. lang ‚lang‘). Sie kommen hauptsächlich in Limburg vor, während im brabantischen Teil des Genitivgebiets, wo sie weniger häufig sind, manchmal Erweiterungen mit der starken Endung -s (Sterkens < nl. sterk ‚stark‘, Langens) oder auch einfach starke Bildungen (Sterckx, Caels < nl. kaal ‚kahl‘) auftreten. Durch das Überwiegen der schwachen Endung im Genitivgebiet unterscheiden sich die Eigenschaftsnamen von den Patronymen und den Berufsnamen, bei denen Genitivierung auf -s wesentlich häufiger ist. Im Nominativgebiet finden wir – wie bei den Berufsnamen – die Namen mit Artikel im Süden (De Groote, De Lange), ohne Artikel im Norden, doch behauptet sich der Artikel im Norden besser als bei den Berufsnamen. Sowohl bei den Namen mit erhaltenem als auch bei denen mit weggefallenem Artikel konnte die überflüssige Nominativendung -e schwinden (De Groot, Lang). Vgl. hierzu Karte 4. Zusammenfassend können wir sagen, dass bei den drei besprochenen Namengruppen zwei Aspekte die prototypische Namengebung und ihre Geographie bestimmen: der prädizierend-identifizierende und der die Abstammung hervorhebende genitivische. Bei den Familiennamen aus Rufnamen fällt der zweite Aspekt schwerer ins Gewicht als bei den beiden anderen. Hier sind die Genitivnamen erst sekundär, nach dem Modell der Patronyme, entstanden. Selbstverständlich enthalten auch Herkunftsnamen einen identifizierenden (prädizierenden) und einen genetischen (auf Abstammung verweisenden) Aspekt. Dieser wird aber in der prototypischen Namengebung einfach unterschlagen. Nur die Herkunft ist formal erkennbar, durch die Verwendung einer Präposition, die also lokative Funktion hat. Sie referiert auf die Fragen wo? (Opdebeek ‚auf dem Bach‘, Aendekerk ‚an der Kirche‘, In ’t Ven ‚im Fenn‘) und woher? (Uyttebroeck ‚aus dem Bruch‘). Die weitaus häufigste Präposition van kann beide Fragen beantworten (Van Nistelrooy ‚von Nistelrode‘ (Ortsname), Vandenbroek). Regionale Gegensätze zwischen Bildungstypen sind hier – im Gegensatz zu den drei vorigen Kategorien – nicht zu beobachten, doch gibt es große regionale Unterschiede in der Verwendung der einzelnen Präpositionen. Namen mit van finden sich im ganzen Sprachraum (Vandermeulen ‚von der Mühle‘, meistens kontrahiert zu Vermeulen (Karte 5)4, Van Aken), Namen mit aan oder in hauptsächlich in Limburg, mit te, to in Twente, während solche mit uit und op zwar weiter verbreitet sind, aber nur in wenigen Namen auftreten. Bei FN, die auf Siedlungsnamen verweisen, ist van die einzig mögliche Präposition.
–––––––— 4
Auf Karte 5 überwiegt die kontrahierte Form im größeren Teil des Sprachraums, während im Nordosten die nicht kontrahierte Form dominant ist.
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Karte 5: Die volle und die kontrahierte Form des Wohnstättennamens Vandermeulen
Nach der Art der Verbindung zwischen der Präposition und der Bezeichnung der geographischen Entität kann man bei den Herkunftsnamen zwei Gruppen unterscheiden. Die eine verbindet beide Elemente mit dem bestimmten Artikel (historisch im Dativ), der zum geographischen Namen bzw. Substantiv gehört (Van de Velde, Vandermeulen/Vermeulen), bei der anderen ist die Verbindung direkt (Van Gelder, Vanacker). Meistens hat man es bei der zweiten Möglichkeit mit echten Toponymen, also Propria, als Kernwort zu tun, bei der ersten mit Appellativen. Das stimmt also mehr oder weniger mit der Unterscheidung zwischen Herkunftsnamen im engeren Sinn und Wohnstättennamen, also zwischen der zweiten und dritten Kategorie der besprochenen Fünfergruppe, überein. Doch gibt es eine Reihe von mit van gebildeten FN, in denen die Präposition unmittelbar mit einem Wohnstättennamen verknüpft wird (Van-acker, Van Dale, Van Cauter usw.). Diese sind allerdings das Ergebnis des Schwunds eines ursprünglich vorhandenen Artikels durch Kontraktion vor anlautenden Vokalen oder bestimmten Konsonanten im folgenden Substantiv (Van den Acker > Van-n-acker > Vanacker), wie Taeldeman 1981 gezeigt hat.
Namenklassen und ihre Spiegelung
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3. Indirekt bezeichnende Namen Es ergeben sich jetzt zwei Fragen: 1. Nach welchen morphosyntaktischen und geographischen Mustern werden FN gebildet, die etymologisch transparent sind, aber nicht direkt einer der vier oder fünf besprochenen Kategorien angehören, und lassen sich aus ihrer Bildung und Verbreitung Schlüsse auf eine indirekte Zugehörigkeit zu diesen Kategorien ziehen? 2. Wie sind die FN zu beurteilen, deren lexikalischer Kernbestandteil eine Verbindung mit einer der vier/fünf Kategorien erkennen lässt, die aber auf eine andere als die prototypische Art gebildet sind? Die erste Frage soll hier anhand zweier Namengruppen untersucht werden: FN, die aus Tierbezeichnungen, und FN, die aus Bezeichnungen für Lebensmittel gebildet sind. Es gibt eine Reihe von Tierbezeichnungen, die als Bildungselement von FN im niederländischen Sprachraum eine beträchtliche Häufigkeit aufweisen. Auf der belgischen Website www.familienaam.be, der die Zahlen des Rijksregister von 1998 zugrundeliegen, haben die 14 häufigsten aus Tierbezeichnungen gebildeten FN (inklusive ihrer Varianten) Trägerzahlen zwischen 25.692 (sämtliche FN zu vos ‚Fuchs‘) und 1.641 (sämtliche FN zu mus ‚Sperling‘). Die dazwischen liegenden sind, mit abnehmender Häufigkeit, FN mit wolf ‚Wolf‘, bok ‚Bock‘, hond ‚Hund‘, pauw ‚Pfau‘, haas ‚Hase‘, mol ‚Maulwurf‘, leeuw ‚Löwe’ haan ‚Hahn‘, vink ‚Fink‘, valk ‚Falke‘, puid ‚Frosch‘ und beer ‚Bär‘ (s. Tabelle 1). Einer von ihnen ist für die Untersuchung weniger geeignet, weil er eine zu beschränkte geographische Verbreitung hat: Das Appellativ nl. puid ‚Frosch‘ kommt nur im Südwesten des Sprachraums vor. Die Verbreitung des FNs Depuydt, De Puydt, De Puyt 51, Depuyt 38 (2.620mal belegt) reicht kaum darüber hinaus. Appellativ
Familiennamen
Types/Tokens
vos ‚Fuchs‘
Vos 3.908; De Vos 11.368, Devos 9.341; Vossen 1.075
4 Types/ 25.692 Tokens
wolf ‚Wolf‘
Wolff 450, Wolf 432, Wulff 22, Wulf 11; De Wolf 4.366, Dewulf 3.822, De Wulf 2.156, Dewolf 666, De Wolff 13; Wolfs 1.772, Swolfs 508, Wolffs 12, Wolven 1
13 Types/ 14.231 Tokens
bok ‚Bock‘
Bock 249, Buck 57, Bok 19, Boeck 7, Boek 2; De Bock 4.394, De Boeck 4.149, De Buck 1.544, Deboeck 298, Debouck 253, Debuck 203, Debock 199, De Bouck 25, De Bok 13, De Boek 7; Box 258, Bockx 142, Boux 126, Bux 94, Boex 51, Boks 16, Buckx 3, Buks 1, Bucks 1
24 Types/ 12.111 Tokens
hond ‚Hund‘
D’hondt 5.571, Dhondt 3.475, Dhont 1.637, D’hont 1.333, De Hondt 546, Den Hond 122, Den Hondt 88, De Hond 38, D’hond 27, De Hont 14, Dhond 9; Hons 160, Hunds 6, Honds 5
14 Types/ 12.031 Tokens
pauw ‚Pfau‘
Pauw 20, Paauw 12; De Pauw 6.671, Depauw 1.225, Depaauw 13, Depaeuw 5; Pauwen 38, Spauwen 26
8 Types/ 8.010 Tokens
haas ‚Hase‘
Haas 405, Haes 219, Hase 40, Haese 15, Haze 8;
21 Types/
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Appellativ
Familiennamen
Types/Tokens
D’haese 2.122, De Haes 1.427, Dehaes 609, D’haeze 172, De Haas 89, De Haese 48, D’hase 15, De Haze 4, Dehaas 3, De Haeze 2, D’haze 1; Haesen 973, Hazen 25, Hasen 9, Haezen 1
6.187 Tokens
Mol 608; De Mol 1.957, Demol 1.579; Mols 1.109, Mollen 2155
5 Types/ 5.468 Tokens
leeuw ‚Löwe‘
Leeuw 34, Leu 1; De Leeuw 2.211, Deleu 2.185, De Leu 164, Deleeuw 114
6 Types/ 4.709 Tokens
haan ‚Hahn‘
Hahn 228, Haan 109, Haen 7, Hane 6; D’haene 1.476, Dehaene 451, D’haen 392, Dehaen 388, De Haan 154, Dhaen 137, De Haen 106, D’hane 33, De Haene 31, Dehane 4; Haens 18, Haans 20, Haenen 606, Hanen 20, Haanen 41, Hahnen 26
20 Types/ 4.229 Tokens
vink ‚Fink‘
Vinck 2.006, Vink 103; De Vinck 243; Vinckx 383, Vinks 10, Venken 461, Vincken 286, Vinken 235, Fincken 77, Vencken 41, Finken 14
11 Types/ 3.859 Tokens
valk ‚Falke‘
Valcke 1.621, Valck 178, Valk 64, Falk 25, Valke 5, Falke 5, Falck 1; De Valck 872, Devalck 150, De Valk 37, Devalk 5; Valckx 332, Valcks 18, Valks 4, Valkx 1
15 Types/ 3.318 Tokens
puid ‚Frosch‘
Depuydt 2.214, De Puydt 317, De Puyt 51, Depuyt 387
4 Types/ 2.620 Tokens
beer ‚Bär‘
Beer 110; De Beer 643, De Beir 467, Debeer 306, Debeir 106; Beers 24, Beeren 22
7 Types/ 1.678 Tokens
mus ‚Sperling‘
Mussche 701, Mus 462, Musch 227, Mosch 13, Mos 7; De Mos 11, Demos 1; Mussen 219
8 Types/ 1.641 Tokens
mol ‚Maulwurf‘
Tabelle 1: Flämische FN, die auf Tierbezeichnungen zurückgehen
In den Niederlanden haben auf der Webseite www.meertens.knaw.nl/nfb/, die auf Einwohnerzahlen von 2007 basiert, von den 14 häufigsten flämischen Tiernamen zwölf eine Häufigkeit von mehr als 2000. Zwischen FN zu haan (ca. 26.700 Namenträger) und mus (ca. 2.200 Namenträger) sind das, wieder mit abnehmender Häufigkeit, FN zu vos, vink, mol, wolf, haas, leeuw, beer, valk, bok und pauw. Auffällig ist die niedrige Frequenz von hond (ca. 1.220), das in Belgien mit 10.001 Namenträgern gerade zu den am häufigsten belegten Tiernamen gehört. Der FN De Puydt (2.531 belgische Namenträger) ist in den Niederlanden nicht belegt. –––––––— 5
6 7
Die folgenden FN wurden nicht berücksichtigt: Molle 718, nach dem Kartenbild offenbar ein pikardischer Name, sowie Mul 48, De Mul 200 und Demul 57, weil in der Lautgeographie von mol ‚Maulwurf‘ Belege mit palatalisiertem Vokalismus nicht vorkommen. Die FN Sa(e)nen und Saanen sind wegen Konkurrenz mit Patronymen zum Rufnamen Susanna nicht berücksichtigt. Die FN Puit, Puyt und Puits, die offenbar wallonischen Ursprungs sind, wurden nicht mitgezählt.
Namenklassen und ihre Spiegelung
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Karte 6: FN, die auf die Tierbezeichnung wolf zurückgehen
Die aus den Berufs- und Eigenschaftsnamen bekannte Dreiteilung wiederholt sich bei den Tiernamen (s. auch Marynissen 1999): Nominative mit bestimmtem Artikel im Südwesten (De Wolf, De Bok, De Vink usw.), ohne Artikel im Norden (Wolf, Bok, Vink), Genitivnamen im Südosten (Beispiel wolf: Karte 6). Wenn letztere schwach dekliniert wurden, haben sie die Endung -en (Hazen, Hanen, Vinken), an deren Stelle im brabantischen Raum auch die starke Endung -s (Haans, Vinks) erscheinen kann. Präfigierung des zu s- reduzierten Genitivartikels ist möglich (Spauwen); in einem großen Teil des in Belgien 1.556 mal und in den Niederlanden 86 mal belegten Sa(e)nen, Saanen wird sich – neben dem Genitiv des Metronyms Sane < Susanna – häufig der Genitiv von haan verbergen. In Haas, das als schwaches Maskulinum zweisilbig gewesen ist (vgl. etwa die flämische Namensvariante D’Haese), kann das -s zugleich eine starke Genitivendung enthalten. Das ist sicher der Fall bei der artikellosen Form des häufigsten Tiernamens überhaupt, Vos (Belgien: 3.908 + Niederlande: 30.915 = 34.823 Belege)8 (vgl. dazu Marynissen 1994, 284f.), der daneben eine limburgische Variante mit schwacher Endung, Vossen, entwickelt hat (Belgien: 1.075 + –––––––— 8
Berücksichtigt wurden die Angaben nach www.meertens.knaw.nl/nfb/ (Niederlande).
www.familienaam.be/
(Belgien) und
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Jan Goossens
Niederlande: 2.405 = 3.480 Belege). Die Nominativform mit Artikel De Vos zeigt die größte Belegdichte (De Vos Belgien: 11.368 + Niederlande: 11.167, Belgien: Devos 9.341 + Niederlande: 27. Summe: 31.903). In der Dreiteilung bei den stark deklinierten Tiernamen erscheint im Südosten erwartungsgemäß die Endung -s (Boks, Wolfs); dabei kann unter den genannten distributionellen Bedingungen im Brabantischen der präfigierte Artikelrest erscheinen (Swolfs). Auffällig ist die starke Deklination von valk: Es gibt 322 + 18 + 4 + 1 = 355 belgische und 384 (Valks) + 302 (Valckx) = 686 niederländische Belege für den Typ Valks und nur 140 Valken-Belege, letztere fast ausschließlich aus der Randstadt. Dass die Geographie der auf Tierbezeichnungen zurückgehenden FN dieselbe Verteilung wie die der Berufs- und der Eigenschaftsnamen aufweist, d.h. sich nach dem Muster der Patronyme richtet, aber wie erstere in beträchtlichem Umfang den zum Appellativ gehörigen Artikel beibehält, braucht nicht wunderzunehmen. Tiere können, wie die Fabelliteratur und die Tierepik zeigen, für Menschen stehen. Das bedeutet auch, dass sie mit Identität und mit Abstammung assoziiert werden können. FN, die von Bezeichnungen für Lebensmittel abgeleitet sind, referierten in der Regel wohl auf einen Beruf (auf einen Produzenten oder einen Verkäufer der betreffenden Ware). Sie sind also Metonymien. Die meisten Lebensmittelbezeichnungen, aus denen sie entstanden sind, sind singularia tanta, was die Verwendung des bestimmten Artikels einschränkt. Tatsächlich sind diese FN auch überall ohne Artikel gebildet. Sie haben meistens eingeschränkte Trägerzahlen und Verbreitungen. Es trifft sich schlecht, dass die drei auf den ersten Blick häufigsten und in ihren Varianten am weitesten verbreiteten Namen dieser Gruppe auch einen anderen Ursprung haben können. Das gilt für Boon ‚Bohne‘, Boons, Boonen und Kool ‚Kohl‘, Kools, Koolen mit ihren Schreibvarianten sowie für Vet ‚Fett‘, Vets, Vetten.9 Die ersten beiden können nach Debrabanderes Wörterbuch auch Patronyme sein (Boon aus Bono, Bona, Bonifatius oder Bonaventura, Kool aus einer Kurzform von Nikolaus), der dritte, dessen weitaus häufigste Variante Vets ist, wird mit dem Pflanzennamen mnl. vitse oder auch mit einer Farbbezeichnung vitse in Verbindung gebracht. Weil es in diesen Fällen nicht möglich ist, die Namenträger mit einem Lebensmittelnamen von den anderen zu trennen, können diese FN nicht berücksichtigt werden. Von den übrigen Namen dieser Kategorie, die – wie gesagt – meistens eine eingeschränktere Verbreitung haben, ist in der Regel die Gestalt mit jener der Lebensmittelbezeichnung selbst identisch. Wenn sie sich im Westen oder Norden des Sprachgebiets konzentrieren, ist das nicht verwunderlich, denn dort kann kein Einfluss der Genitivnamen der bereits besprochenen Gruppen vorliegen. Das gilt in etwa für die Namen Soep ‚Suppe‘, Worst ‚Wurst‘, Hesp ‚Schinken‘, Olie ‚Öl‘, Anijs ‚Anis‘, für Namen, die auf die Molkereiprodukte melk ‚Milch‘, wei ‚Molke‘, boter ‚Butter‘ verweisen – Kaas/Kees mit seinem En–––––––— 9
Die 10 Fett und 8 Fetten in Ostbelgien sind in deutschen Zusammenhängen zu beurteilen.
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dungs-s ist undurchsichtig10 – und die spezifizierend-zusammengesetzten Zoetemelk ‚Süßmilch‘, Wittevrongel ‚Weißkäse‘, Koldewei ‚kalte Molke‘, Zoetewei ‚süße Molke‘. Eine vergleichbare Zusammensetzung ist Zuurbier ‚Sauerbier‘. Interessanter sind die FN, deren Verbreitung sich nicht auf westliche und nördliche Gegenden beschränkt und die trotzdem keine Genitivvarianten entwickelt haben, wie Mosterd/Mostaert ‚Senf‘, Spek ‚Speck‘ und Stroop ‚Apfelkraut‘, oder die, obwohl sie nur im Genitivgebiet der Patronyme vorkommen, keine Genitivvarianten aufweisen wie Azijn ‚Essig‘ und Ham (wenn letzteres ‚Schinken‘ bedeutet).11 Doch gibt es Namen, die Genitivvarianten auf -s entwickelt haben: Smouts kommt neben viel zahlreicherem Smout ‚Schmalz‘ im Norden der Provinz Antwerpen vor, die Variante Broods hat mit 24 + 25 gegen Brood ‚Brot‘ mit 6 + 70 Belegen sogar einen recht großen Anteil an der Gesamtmenge dieses Namens. Man wird also alles in allem sagen können, dass die auf Lebensmittelbezeichnungen zurückgehenden FN sich dem von den Patronymen ausgehenden Genitivierungssog nicht ganz haben entziehen können, aber doch in wesentlich größerem Ausmaß, als die vorher besprochenen Gruppen gegen ihn immun geblieben sind. Ich vermute, dass dies so ist, weil sie im kollektiven Sprachgedächtnis ihre Eigenschaft als Tropen leicht beibehalten.
4. Nicht-prototypische (suffigierte) Bildungen Zum Schluss beschäftigen wir uns mit solchen FN, die durch ihre historische lexikalische Bedeutung mit einer der direkt bezeichnenden Kategorien zu verbinden sind, aber auf eine andere als die prototypische Art gebildet wurden. Weil sich bei allen bisher besprochenen direkt oder indirekt bezeichnenden Gruppen nur eine Ausnahme von einer Verteilung nominativischer und genitivierter Namen feststellen lässt, nämlich bei den Namen, die auf eine räumliche Gegebenheit verweisen, kann man sich fragen, ob auch diese dem Einfluss, der von den Patronymen ausgegangen ist, unterliegen. Der umgekehrte Einfluss, bei dem topographische Namen eine formale Attraktion auf die anderen ausüben, ist von vornherein unwahrscheinlich. Vielleicht sind die seltenen, auf Festtage verweisenden Zeitnamen Van Paeschen ‚von Ostern‘ und Van Pinxt(er)en ‚von Pfingsten‘ so entstanden.12
–––––––— 10 11 12
Die Form Kazen, Kasen beim südholländischen Dordrecht ist wohl ein Plural. Die 39 Hams in Twente und 9 Hammen im Bereich der großen Flüsse müssen einen anderen Ursprung haben. Die anderen FN aus Zeitbezeichnungen (Jahreszeiten, Monate, Wochentage und Festtage) sind immer ohne Präposition gebildet worden. Die Jahreszeitnamen Zomer und Winter zeigen die bekannten Aufteilungen in Nominativ- und Genitivformen sowie in Namen mit und ohne Artikel. Die aus Tiernamen gebildeten Van de Pauw und Van de Wolf (Marynissen 1999, 21f.) sind Hausnamen. Sie gehören also zu den Herkunftsnamen.
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Karte 7: FN, die auf den Einwohnernamen Hollander zurückgehen
Die Frage nach dem Einfluss der patronymischen FN ist für die von Gebietsnamen abgeleiteten Einwohnernamen (z.B. Brabanders < Brabant) oder auch für Einwohnernamen, die zur Bildung von Gebietsnamen veranlasst haben (z.B. Vlaming > Vlaanderen) von Marynissen beantwortet worden. Sie zeigt, dass „die große Dreiteilung des Sprachraums in ein nördliches Gebiet ohne Artikel, ein südwestliches mit Artikel und ein südöstliches Genitivgebiet […] durch die Kategorie der Einwohnernamen bestätigt wird.“ (Marynissen 2003, 251f.). Neben Van Brabant erscheinen also die Einwohnernamen Brabander, De Brabander, Brabanders, neben Van Holland, Hollander, D(e)hollander (auch Den Hollander13), Hollanders usw., vgl. Karte 7. „Von unserem anthropozentrischen Blickwinkel aus gesehen konzeptualisieren wir den Begriff ‚geographische Herkunft‘ vorzugsweise durch einen Einwohnernamen, der den identifizierenden Namengebungsaspekt nachdrücklicher hervorhebt als der lokativierende Name einer Gegend“ (Marynissen 2003, 245).
–––––––— 13
Historisch ein Akkusativ mit Nominativfunktion.
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Karte 8: Prototypische und mit Suffix gebildete FN, die auf die Ortsbezeichnung linde ‚Linde‘ zurückgehen
Die von Marynissen untersuchten Einwohnernamen sind nicht alle auf dieselbe Weise gebildet worden, so ist in Brabander, Vlaming, Zeeuw und Geldermans die Ableitung mit vier verschiedenen Mitteln zustandegekommen. Der formalen Differenzierung steht aber eine inhaltliche Geschlossenheit gegenüber: Es geht um Herkunftsnamen, die auf Gebiete verweisen. Im Folgenden nehme ich den entgegengesetzten Standpunkt ein, d.h. ich kombiniere inhaltliche Differenzierung mit formaler Geschlossenheit, indem ich abgeleitete Namen mit -man als Zweitglied untersuche, die sowohl Bewohner einer punktuellen Gegebenheit in der Landschaft, eines Mikroteils der Landschaft, einer Siedlung oder eines Gebietes bezeichnen können. Es sei vorab festgestellt, dass -man-Namen keine Exklusivität von Einwohnernamen sind: Man findet sie auch bei Patronymen (Tieleman), Berufsnamen (Timmermans) und Eigenschaftsnamen (Wildeman). Die auf räumliche Gegebenheiten verweisenden -man-Namen, die neben Präpositionalgefügen (in der Regel mit van) vorkommen, sind zahlreich. Bei solchen, die sich auf Punkte in der Landschaft beziehen, finden sich z.B. Meuleman(s) neben V(and)ermeulen, Schuurman(s) neben Verschure(n), Eikman(s) neben V(and)ereike(n) usw., bei solchen, die sich auf Mikroteile der Landschaft beziehen, Veldman(s) neben Van de Velde, Daleman(s) neben Van (den) Dale, Beekman(s) neben Verbeek usw., bei Siedlungsnamen neben häufigem, aber vermut-
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Jan Goossens
lich großenteils nicht auf die Stadt Köln referierendem Keuleman(s)14 neben Van Keulen, weiter auch Brusselmans neben Van Brussel und Mechelmans neben Van Mechelen. Bei den Siedlungsnamen gelingt es mir allerdings kaum, weitere Beispiele zu finden (ein Beispiel wäre Exelmans). Bei Namen von Gebieten ist das Ergebnis noch dürftiger. Das einzige Paar, das ich gefunden habe, ist Geldermans mit Van Gelder. Dabei ist außerdem zu berücksichtigen, dass Gelder nicht unbedingt auf ein Gebiet verweist: Auch die Stadt Geldern am Niederrhein kommt in Frage. Die Namen Fransman und Engelsman, die übrigens keine Genitivvarianten neben sich haben, stehen wohl außerhalb dieser Systematik. Wir stellen zusammenfassend fest, dass die geographischen -man-Namen sehr überwiegend appellativische statt propriale Kerne haben. Umso auffälliger ist, dass sie niemals mit Artikel erscheinen. Aber die Verteilung der Formen mit und ohne Genitivendung -s entspricht den Erwartungen: Meulemans, Schuurmans usw. sind südöstliche Namen, Meuleman, Schuurman usw. nördliche und westliche, allerdings mit einer geringen Häufigkeit im Südwesten. Die geographischen -man-Namen bestätigen also noch einmal die Dominanz der anthropozentrischen Sicht bei der FN-Gebung. Wir hätten sie auch mit Namen, die mit den Suffixen -aard(s) und -ing(s) gebildet sind, illustrieren können. Hier ist allerdings der Anteil der Namen mit geographischen Verweisen viel geringer als bei den -man(s)-Namen.
5. Zusammenfassung Es gibt vier bzw. fünf FN-Klassen, deren Vertreter die Namenträger direkt bezeichnen (s. Tabelle 2). Bei jeder dieser Klassen ist eine prototypische Gestaltverteilung der Namen festzustellen: bei den Herkunftsnamen mit Namen, die im ganzen niederländischen Sprachraum etymologisch Präpositionalphrasen bilden, bei den anderen mit einer räumlichen Aufspaltung identifizierendprädizierender und genealogisch-genitivischer Namen. Doch gibt es bei letzteren auch formale Unterscheidungen, durch die sie sich gegeneinander abheben. Bei Patronymen gibt es eine einfache und in vielen Fällen scharfe räumliche Zweiteilung: Der Südosten hat Genitivnamen, der Rest Nominativnamen. Sie bilden die einzige Klasse, in der diese Zweiteilung genuin ist. In den anderen ist sie sekundär nach diesem Modell zustandegekommen. Bei Berufsnamen ist das Genitivgebiet manchmal kleiner als bei den Patronymen. Außerdem enthalten diese Namen vielfach einen bestimmten Artikel; das gilt sowohl für die Namen im Genitiv wie im Nominativ. Bei den Eigenschaftsnamen ist das Genitivgebiet meistens noch kleiner als bei den Berufsnamen. Der bestimmte Artikel verlangt hier die systematische Verwendung der schwachen Endung -en beim substanti–––––––— 14
Keulemans ist nach Debrabandere 1993 auch eine patronymische Variante von Colemans, Ableitung von Nikolaas.
Namenklassen und ihre Spiegelung
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vierten Adjektiv, während bei den Patronymen und den Berufsnamen vorwiegend die starke Endung -s vorkommt. Die Frage, ob man bei den Herkunftsnamen zwischen Wohnstättennamen und Herkunftsnamen in engerem Sinn unterscheiden soll (was in der klassifikatorischen Systematik eigentlich nicht notwendig ist), kann man von dem Gewicht, das man dem Vorkommen bzw. Fehlen des Artikels beimisst, abhängig machen. Der semantische Kern des Namens ist im ersten Fall meistens ein Appellativ, im zweiten ein Proprium. NAMENKLASSE
Rufnamen Berufsnamen Eigenschaftsnamen
DIREKTE BEZEICHNUNGEN PROTOTYPEN SUFFIXBILDUNGEN -(s)/(en) (de) (s) -s (de) (s) -en
-man
INDIREKTE BEZEICHNUNGEN (TROPEN) Tiernamen
-aard
Lebensmittelnamen
-ing
Zeitnamen
usw. Herkunftsnamen: geograph. N und WohnstättenN
van (Art.) -
usw. gramm. Bildung: s. Prototypen
Tabelle 2: Taxonomie der niederländischen Familiennamen
Neben den direkt bezeichnenden FN prototypischer Art gibt es andere. Sie sind mit Hilfe von Suffixen (-man, -aard, -ing) gebildet, durch die sie bei den Herkunftsnamen stärker auf den Namenträger selbst fokussieren. Dass sie dieselbe Verteilung wie die Patronyme, einschließlich des Fehlens des Artikels, aufweisen, kann denn auch nicht wundernehmen. Schließlich gibt es die indirekt (durch Tropen) bezeichnenden FN. Wenn in ihnen der Identifizierungsaspekt leicht hervortritt, wie bei den Tiernamen, kommen Verteilungen wie bei den Berufsnamen (die ja auch auf Appellative zurückgehen) zustande. Wenn dagegen eine Metonymie mental noch vorherrscht, wie bei den Lebensmittelnamen, ist Genitivierung weit weniger selbstverständlich.
Literatur Claes, Frans (1991): Schroeven, Swinnen en andere familienamen met voorgevoegde s, in: Oost-Brabant 28, S. 32–33. Debrabandere, Frans (1993): Woordenboek van de familienamen in België en Noord-Frankrijk, Brussel. Goossens, Jan (1999): Motivierung bei Familiennamen (deren Müller einer ist), in: Niederdeutsches Wort (= Niederdeutsche Wörter. Festgabe für Gunter Müller zum 60. Geburtstag am 25. November 1999, hrsg. von Robert Damme und Hans Taubken) 39, S. 21–33. Gottschald, Max (2006): Deutsche Namenkunde. Unsere Familiennamen. 6. durchgesehene und bibliographisch aktualisierte Auflage, Berlin/New York, auch frühere Auflagen. Kohlheim, Rosa (1996): Typologie und Benennungssysteme bei Familiennamen: prinzipiell und kulturvergleichend, in: Ernst Eichler / Gerold Hilty / Heinrich Löffler / Hugo Steger /
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Ladislav Zsgusta (Hrsg.): Namenforschung – Name Studies – Les noms propres. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. 2. Teilband, Berlin/New York, S. 1246–1259. Kunze, Konrad (2004): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet, 5. Auflage, München. Loon, Jozef van (1981): Bijdrage tot de morfeemgeschiedenis en -geografie der Nederlandse toenamen, Handzame. Marynissen, Ann (1994): Limburgse familienamengeografie, in: Naamkunde 26, S. 243–301. – (1999): Den Uyl, Snoeckx, De Leeuw, Haan, Kikkert en varianten: over benamingen van dieren in de Nederlandse familienamen, in: Het dialectenboek 5 In vergelijking met dieren onder redactie van Veronique De Tier en Siemon Reker, Groesbeek, S. 11–35. – (2003): De Brabander, Brabers of Van Brabant? Over de lexicale en grammatische motivering van Nederlandse inwoners- en gebiedsnamen, in: Leuvense Bijdragen 92, S. 239– 255. – (2005): Die geographische Streuung der Familiennamentypen im niederländischen Sprachgebiet, in: Niederdeutsches Wort 45, S. 105–120. Taeldeman, Johan (1981): Omtrent “Vanacker“, in: Taal en Tongval 33, S. 118–122.
Internetadressen www.familienaam.be www.familienaam.nl www.meertens.knaw.nl/nfb/
Christian Seidl
Die Schweiz als Sonderfall – auch in der Familiennamenforschung
Abstract Every Swiss citizen inherits from his parents not only his family name and the citizenship of the Swiss Confederation, but also the citizenship of his ancestors’ home town and canton. This system of multiple citizenships came into use from the beginning of the modern era and is still operative today. The family names of all Swiss citizens alive in 1962 were collected in the Familiennamenbuch der Schweiz. There the surnames are listed in alphabetical order followed by all the communities whose citizenship a given family bears together with the year in which citizenship was granted, including even a possible former citizenship. Hence, this register provides an onomastician with lots of exact historical data which he would have to look for in a much more complicated and less reliable way in other countries. The aim of our contribution is to suggest several possible directions for research based on this register, e. g. the geographical distribution of surname variants (Gysi/Gysin, Maier/Mayer/Meier/Meyer), and different directions of internal migration movements from the Middle Ages onwards.
1. Der Sonderfall: Der Schweizer „Heimatort“ 1.1. Einleitung Versucht man, den Namen des derzeit wohl bekanntesten Schweizers, des Tennisspielers Roger Federer, mit den in der Familiennamengeographie üblichen Methoden in der Schweiz zu verorten, so führt eine Suche mit Telinfo 5/02, der Telefon-CD von 2002, zum Ergebnis, dass der Familienname Federer im PLZGebiet 94.. (St. Galler Rheintal und Bodensee) mit 144 pro 100.000 Privatanschlüssen am häufigsten vorkommt. Federer ist jedoch im Umland von Basel aufgewachsen, das mit seiner Lage am Dreiländereck über eine beträchtliche Menge an ausländischen Zuwanderern verfügt. Deshalb kontrolliert man der Sicherheit halber auch die Verteilung des Namens in Frankreich1 und Deutschland2 – und erlebt die Überraschung, dass der Name in Deutschland ein eindeutiges Zentrum, und zwar ausgerechnet in Südwestbaden (um Freiburg im Breisgau) aufweist, also in nächster Nähe von Basel. Sollte Roger Federer nicht nur eine südafrikanische Mutter, sondern auch einen Vater mit deutschen Wurzeln haben? –––––––— 1 2
Mit Hilfe von www.geopatronyme.com (Stand: 13. 8. 2008). Rita Heuser, die die einschlägige Suche liebenswürdigerweise mit dem Knowhow des DFA durchgeführt hat, gebührt – nicht nur hierfür – mein herzlicher Dank.
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Die Antwort auf die Frage liefert ein Eintrag im Schweizer Handelsregister:3 Darin wird noch vor Federers Wohnort ein „Heimatort“ namens Berneck angegeben – und dieser liegt genau im PLZ-Gebiet 94.. Was hat es mit diesem „Heimatort“ auf sich? Gemäß dem streng föderalistischen, dreistufigen Staatsaufbau der Schweiz hat jeder Schweizer immer drei Bürgerrechte:4 • das Bürgerrecht seiner Heimatgemeinde (auch „Heimat-“ oder „Bürgerort“ genannt) • das Bürgerrecht des Kantons, in dem der Heimatort liegt • das Bürgerrecht der Eidgenossenschaft. Eine alleinige Schweizer Staatsbürgerschaft wie in anderen Staaten ist hingegen unmöglich. Entsprechend der Entstehung des Landes von unten nach oben ist das Ortsbürgerrecht primär, die anderen beiden Bürgerrechte ergeben sich daraus. Wer also in einer bestimmten Gemeinde nach den dort üblichen Bestimmungen eingebürgert worden ist, erhält in der Folge das Kantons- und das Schweizerbürgerrecht de facto automatisch. Das Ortsbürgerrecht erhält man als Ausländer und als Schweizer (1) durch Geburt, nämlich das Bürgerrecht des Vaters (jure sanguinis); (2) durch Einbürgerung nach eingehender Prüfung des Antrags durch die Versammlung der Gemeindebürger bzw. durch das Gemeindeparlament.
1.2. Historischer Exkurs: Die Entstehung des Ortsbürgerrechts5 Das Ortsbürgerrecht kam im Spätmittelalter auf und verbreitete sich nach dem 16. Jh. allgemein. Der Besitz des Bürgerrechts war in den (selbst verwalteten) Städten bzw. auf dem Land stets gleichbedeutend mit Teilhabe an der Macht bzw. am Gemeindebesitz. Deshalb entwickelte sich eine Abschottungstendenz der Altbürger, die eifersüchtig darauf achteten, dass das Bürgerrecht möglichst selten an andere verliehen wurde. Dazu kam, dass im 17. Jh. Scharen von Bettlern herumstreunten; um der daher rührenden Kleinkriminalität und anderer Begleiterscheinungen Herr zu werden, befahl die Obrigkeit in vielen Kantonen den Gemeinden, „ihre“ Armen zu unterstützen.6 Damit entstand das, was lange Zeit als das wichtigste Merkmal des Gemeindebürgerrechts galt, die „Armengenössigkeit“: Wer verarmte, konnte bzw. musste in seine Heimatgemeinde zurückkehren, die als ultimum refugium für ihn aufzukommen hatte. –––––––— 3 4
5 6
Vgl. www.moneyhouse.ch. Die folgenden Darlegungen stützen sich auf Burckhardt 1931, 358ff.; Ehrenzeller et al. 2008, 743ff.; Honsell/Vogt/Geiser 2006, 216f.; Pedrazzini/Oberholzer 1993, 100ff. und Tschannen 2007, 206ff. Vgl. neben den Angaben in Anm. 4 auch Rüttimann 1862 sowie Studer/Arlettaz/Argast 2008. So wurden im Kanton Bern 1676 auf einen Schlag sämtliche Bettler zwangsweise in der Gemeinde eingebürgert, in der sie sich gerade aufhielten, vgl. Pfister 1995, 304.
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1848 begann sich diese Rechtslage mit der Gründung des modernen Bundesstaates zu ändern: Das Orts- und das Kantonsbürgerrecht wurden zwar beibehalten und desgleichen die Armengenössigkeit, die erst 1979 abgeschafft wurde. Neu war jedoch das Recht jedes Schweizers,7 sich überall im Lande niederzulassen, und auch die früher zum Teil beträchtlichen Privilegien der Ortsbürger in ihrer Heimatgemeinde wurden sukzessive abgeschafft, so dass heute – wie in anderen Staaten – praktisch das „Wohnsitzprinzip“ gilt. Schweizer Zuwanderer aus anderen Gemeinden sind seit 1848 also nicht mehr unbedingt darauf angewiesen, sich um das Bürgerrecht ihrer neuen Wohnsitzgemeinde zu bewerben. So kommt es, dass viele Schweizer ihren Heimatort nur noch von dessen nach wie vor obligatorischer Eintragung in amtlichen Dokumenten kennen, ohne selbst je dort gewesen zu sein.8 Daneben besteht jedoch für jeden Schweizer auch heute noch die Möglichkeit, sich nach einer angemessenen Wartefrist in einer neuen Wohnortgemeinde nach den dort gültigen Regeln einbürgern zu lassen.9 Je nach Kanton kann man dabei bisherige Ortsbürgerrechte neben dem neu erworbenen auch beibehalten, was dann zu einer Anhäufung von mehreren Bürgerrechten führt.10 Aufgrund seiner Vererblichkeit erhält das Schweizer Ortsbürgerrecht also einen dem Familiennamen vergleichbaren Status. Dadurch erweist sich dieses Instrument als einzigartige Quelle und Hilfe auch in der Familiennamengeographie. Im Vergleich zu anderen Ländern, wo man aus der aktuellen Verteilung von Familiennamen auf deren Herkunftsgebiete folgern muss, liefert das Schweizer Ortsbürgerrecht der Forschung ohne weiteren Extrapolationsbedarf Daten, die um einige Jahrhunderte älter und damit näher an den Zentren der einzelnen Namen sind.
2. Das Familiennamenbuch der Schweiz als Hilfsmittel Glücklicherweise verfügt die Forschung zudem über eine Publikation, in der jeder Familienname mit einem Schweizer Ortsbürgerrecht verzeichnet ist: das Familiennamenbuch der Schweiz (hier künftig FNB abgekürzt) in drei Bänden. Dieses 1940 erstmals erschienene Register enthält in der zweiten Auflage (1968/71) die Namen aller Familien, die 1962 in einer Schweizer Gemeinde das –––––––— 7 8
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Bis 1874 war dieses auf Schweizer Bürger christlichen Glaubens beschränkt. Diesen Umstand macht sich auch die Quizsendung „SF bi de Lüt – Heimspiel“ im staatlichen Deutschschweizer Fernsehen SF 1 zunutze, wo der Kandidat gewinnt, der sich in den Traditionen und Bräuchen seines Heimatorts am besten auskennt, vgl. http://www.sf.tv/. In der Stadt Zürich gelten für Schweizer folgende Bestimmungen: 1. Deutschkenntnisse; 2. ununterbrochener Wohnsitz in der Stadt seit zwei Jahren; 3. ein „unbescholtener Ruf“ (also weder Vorstrafen noch Betreibungen [Zwangsvollstreckungen]); 4. „geordnete wirtschaftliche Verhältnisse“ (man darf keine Sozialleistungen beziehen), vgl. http://www.stadtzuerich.ch. Nach telefonischer Auskunft des Zivilstandsamts der Stadt Zürich vom 23. 9. 2008 kommen Fälle von bis zu sechs kumulierten Ortsbürgerrechten vor.
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Bürgerrecht besaßen, also rund 48.500 verschiedene Namen (FNB VII). Dies stellt auch die Materialbasis der dritten Auflage von 1989 dar.11 Das FNB ist nach identisch geschriebenen Familiennamen gegliedert und soll drei Fragen beantworten: (1) In welcher Gemeinde besaß eine Familie mit einem gegebenen Namen 1962 ein Bürgerrecht? (2) Seit wann besaß sie es? (3) Woher ist sie gegebenenfalls zugewandert? Die Fragen werden der Übersichtlichkeit halber kolonnenweise beantwortet. So lauten einige Einträge im Artikel „Federer“ (FNB 532) wie folgt: BE LU SG
Jegenstorf Luzern Berneck
1937 1945 a
D Berneck SG
Erläuterung: In der ersten Kolonne stehen in alphabetischer Reihenfolge die amtlichen Kantonskürzel (von „AG“ = Aargau bis „ZH“ = Zürich); in der zweiten Kolonne folgen die Gemeinden pro Kanton wiederum alphabetisch geordnet. In der dritten Kolonne ist bei jeder Gemeinde das Jahr der Einbürgerung einer Familie mit dem betreffenden Namen verzeichnet; ist kein genaues Jahr bekannt, so bedeutet „a“ = eingebürgert vor 1800, „b“ = im 19. Jh., „c“ = zwischen 1901 und 1962 eingebürgert. In der vierten Kolonne steht der letzte Bürgerort vor der Einbürgerung mit Kantonskürzel; bei eingebürgerten Ausländern steht in abgekürzter Form das Herkunftsland („D“, „A“, „F“ usw.). – Also ist eine deutsche Familie namens Federer 1937 in Jegenstorf (Kanton Bern) eingebürgert worden; eine weitere aus Berneck (St. Gallen) 1945 in der Stadt Luzern; in Berneck selbst sind Federers schon vor 1800 als Ortsbürger nachgewiesen. Aus Unkenntnis des FNB wird für Untersuchungen familiengeographischer Art üblicherweise auf Websites zurückgegriffen, die Daten visualisieren, die aus Telefonbüchern gewonnen werden können. Selbst wenn diese Art von Quellen in anderen Ländern mit großem Erfolg ausgewertet wird, ist sie für Schweizer Verhältnisse aus zwei Gründen höchstens ein Notbehelf: (1) In der gesamten Schweiz beträgt der Ausländeranteil gegenwärtig rund 22%. In vielen Gegenden ist dieser jedoch noch erheblich höher; dies betrifft nicht nur Städte wie Zürich (mit rund 30% Ausländern), sondern ebenso auch ländliche Gebiete in den Kantonen Waadt, Wallis, Neuenburg, Graubünden, Tessin, Aargau, Thurgau und Glarus, wo der Ausländeranteil durchweg 20% überschreitet.12 Wenn ein Schweizer Familienname seinen Ursprung in einem solchen Gebiet hat, wird sein Anteil an der Gesamtbevölkerung (also inklusive Ausländer) dadurch als viel zu gering ausgewiesen. (2) In Deutschland hat sich das Verfahren mit 3-stelligen Postleitzahlgebieten als am praktischsten herausgestellt; angesichts der Größenverhältnisse entspräche diesem in der Schweiz eine Gliederung des Landes in 2-stellige PLZ-Gebiete. Diese decken sich jedoch weder mit den –––––––— 11
12
Die geplante Aktualisierung der Daten bis 1982 erwies sich wegen der riesigen Menge von Namen neu eingebürgerter Familien sowie auch aus Datenschutzgründen als unmöglich. – Die Daten sind auch im Internet abrufbar unter http://hls-dhs-dss.ch/famn/index.php. http://www.bfs.admin.ch.
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Sprach- noch mit den in der Schweiz auch heute noch als psychologische und konfessionelle Barriere wichtigen Kantonsgrenzen; es besteht also die Gefahr, dass Daten falsch interpretiert werden. Dazu kommen die individuellen Nachteile der beiden üblicherweise konsultierten Websites: (1) http://tel.search.ch. Sie ist völlig ungeeignet: (a) Die gesuchten Namen erscheinen nur als Punkte auf einer Landkarte, so dass man über sehr gute Kenntnisse über die Bevölkerungsdichte in den einzelnen Regionen verfügen muss, um daraus die ungefähre relative Häufigkeit erschließen zu können. (b) In der Eingabemaske ist eine Unterscheidung zwischen Vor- und Familiennamen nicht möglich, so dass als Ergebnis der Eingabe 3800 Privatanschlüsse angezeigt werden (Stand: 12. 4. 2009), von denen aber nur ein geringer Teil auf den Familiennamen entfallen kann.13 (c) Es kann auch nicht nach der exakten Form eines Namens gesucht werden. So generiert die Eingabe nicht nur alle Anschlüsse dieses typisch alemannischen Familiennamens, sondern auch solche, die bloß mit dieser Graphemfolge beginnen (Hug(g)el, Hugelshofer, Hugentobler usw.), worunter sich sogar französische Namen befinden (Hugard, Hugon, Huguenin usw.). (2) www.verwandt.ch/karten/14 ist ebenfalls nicht ideal: (a) Als Grundlage dienen stets die 3-stelligen Postleitzahlbereiche. So entstehen Gebiete mit einer sehr unterschiedlichen Anzahl an Anschlüssen,15 wodurch in Gegenden mit geringer Bevölkerung der einzelne Anschluss ein überproportionales Gewicht erhält.16 Damit das Kartenbild die Realität nicht völlig verzerrt wiedergibt, ist man also gezwungen, die Karte der relativen mit derjenigen der absoluten Häufigkeit zu vergleichen. (b) Sogar bei diesen allzu kleinräumigen PLZ-Bereichen werden Sprach- und Kantonsgrenzen ignoriert – mit den bekannten, soeben geschilderten Folgen. Demgegenüber sind die Vorzüge des FNB schlagend. Nicht nur weist dieses Namensregister keine der genannten Fehler auf; am wichtigsten ist die im Vergleich zu den aus der Gegenwart gewonnenen Daten größere zeitliche Tiefe: Es geht um Dimensionen von mindestens 200 Jahren, was beim vergleichsweise geringen Alter der Familiennamen eine beträchtliche Zeitspanne ist.
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Da nur die 200 ersten Ergebnisse in einer Liste gezeigt werden, lässt sich die Proportion zwischen Trägern des Vornamens Konrad und solchen des Familiennamens auf dieser Website nicht feststellen; eine Suche in Telinfo 5/02 ergibt jedoch 3039 Träger des Vornamens und 524 Träger des Familiennamens. Die Angaben basieren auf einer Telefon-CD-ROM von 2007. Diese Auskunft verdanke ich Herrn Daniel Oppenkowski von den Betreibern der Website (Mail vom 20. 4. 2009). Nach Telinfo 5/02 gibt es im PLZ-Gebiet 765. (Samnaun usw.) nur 356 Privatanschlüsse; in 805. (Teile der Stadt Zürich) hingegen deren 52.213. So machen die 2 Anschlüsse auf den Namen Suter das PLZ-Gebiet 654. (italienischsprachiges Calancatal) mit seinen insgesamt nur 703 Anschlüssen zu einem der Zentren dieses Namens.
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3. Beispiele für die Verwendung des FNB Im Folgenden soll an Hand einiger Beispiele der Nutzen des FNB für die Familiennamengeographie aufgezeigt werden.17
3.1. Bestätigung der traditionellen Methode Wie schon oben S. 62 gezeigt hat, sind die Träger des Namens Federer heute noch in dem Gebiet am häufigsten vertreten, das laut FNB den Schweizer Ausgangspunkt des Namens bildet. Dieser Befund lässt sich durch unzählige weitere Beispiele stützen; an dieser Stelle möge eines genügen: Der auch in Deutschland durch eine Familie mit Schweizer Migrationshintergrund bekannt gewordene Name Gysi zählt in der Schweiz gemäß Telinfo 5/02 397 Privatanschlüsse; diese treten heute noch gehäuft im ehemals zu Bern gehörigen Westen des Kantons Aargau auf (PLZGebiete 51.., 50.. und 52.. mit 174, 119 bzw. 115 Abonnenten pro 100.000 Anschlüssen). Laut FNB 749 gibt es acht Gemeinden, in denen Familien dieses Namens vor 1800 das Bürgerrecht besaßen, davon liegen sieben tatsächlich im westlichen Aargau, vgl. Karte 1:18
Karte 1: Heimatorte der Familien namens Gysi und Gysin vor 180019
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19
Ein erstes Beispiel aus dem Bereich der Wortgeographie bei Kunze 2004, 130f. Das Nest in der nördlichen Zentralschweiz bezeichnet die Aargauer Gemeinden Aarau, Birr, Buchs, Lupfig, Möriken-Wildegg, Suhr und Zofingen. Dazu kommt der isolierte Beleg in Unterseen BE. – Die Karte zeigt nach demselben Kriterium auch die Kernzone der Variante Gysin, die auf den Kanton Basel-Land beschränkt ist. Auch bei anderen Familiennamen auf -i wie Bürgi, Götschi usw. ist die Variante auf -in vor allem in der Nordwestschweiz verbreitet, eine Schreibtradition, die sich jenseits der Grenze in Südbaden fortsetzt, vgl. Klausmann 2007, 85ff. Alle Karten wurden vom Verf. nach den Angaben im FNB selbst erstellt.
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Die Verbreitungszentren der Familiennamen, die sich aufgrund der Auszählung von Telefonanschlüssen ermitteln lassen, stimmen also bestens mit den Angaben im FNB überein. Somit liefert das FNB eine weitere Bestätigung für die Praktikabilität der sonst üblicherweise angewandten Methode.
3.2. Ermittlung von Familiennamen, die immer in Städten beheimatet waren Beim herkömmlichen Verfahren mit der Auswertung von Telefonanschlüssen ist es nur schwer möglich, die Zentren von Familiennamen festzustellen, die von Städten ausgegangen sind: Selbst wenn ein Name in einer Stadt relativ am häufigsten vorkommt, kann man diesen Befund immer noch so deuten, dass die Vorfahren der heutigen Namensträger aus einem ländlichen oder vorstädtischen Gebiet stammten, aus dem sie irgendwann gänzlich in das nahe städtische Zentrum abgewandert sind. Das FNB erlaubt es, ohne Kenntnisse der Lokalgeschichte auch in Städten alteingesessene Familien zu identifizieren: So geht aus FNB 432 hervor, dass das Stadtfreiburger Geschlecht de Weck seit jeher in dieser Stadt beheimatet war. Analoges gilt für die Berner von Graffenried (FNB 1923). Andere berühmte städtische Familien sind zwar seit vielen Jahrhunderten in ihrer heutigen Heimat ansässig, doch zeigt das FNB, dass es sich eigentlich um Zuwanderer handelt, so bei den Zürcher Gessner (seit 1504, aus Solothurn, FNB 656) und bei den Basler Burckhardt, die 1523 das Bürgerrecht erhielten, aber aus Deutschland eingewandert waren (FNB 293).
3.3. Die Familiennamen Maier und Mayer Beim Familiennamentypus Meier/Meyer sind die Verschriftungen des Diphthongs durch bzw. , also seit dem Spätmittelalter typisch für die bairisch-schwäbische Schreiblandschaft, vgl. Kunze 2000, 184 und Kleiber/Kunze/Löffler 1979, Karte 62.20 Demgegenüber fehlen diese Schreibungen seit der frühen Neuzeit am Oberrhein und in der deutschen Schweiz. Dies lässt erwarten, dass die von Telinfo 5/02 ausgewiesenen 1.150 Privatanschlüsse für Maier sowie die 1.105 Mayer gegenüber den 18.786 Meier und 10.059 Meyer von irgendwann aus dem bairisch-schwäbischen Raum zugewanderten Familien stammen müssen. Das FNB liefert für die Namen Maier und Mayer folgenden Befund:21
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Eine Karte mit der Verteilung der Schreibungen dieses Namens in Deutschland findet sich bei Kunze 2004, 216 sowie in http://portal.uni-freiburg.de. Wenn in einer Gemeinde mehrere Familien unterschiedlicher Herkunft existieren, so wird nur die am frühesten als eingebürgert bezeugte gewertet.
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Name
Maier
Anzahl Gemeinden mit mindestens einer Schweizer Familie dieses Namens nach 1800 aus anderer Gemeindenach 1800 aus unbekannter Schweizer bürgerrecht insgesamt Ausland Herkunft Gemeinde vor 1800 eingebürgert eingebürgert 113 94 9 5 5
Mayer
80
67
6
3
4
Tabelle 1: Herkunft der Schweizer Maier und Mayer
Das FNB zeigt also, dass die überwiegende Mehrheit von Schweizer Familien mit dem Namen Maier bzw. Mayer tatsächlich ausländische Wurzeln22 hat. Daneben gibt es jedoch auch einige schon vor 1800 in der Schweiz „verbürgerte“ Maier bzw. Mayer, deren Bürgerorte auf Karte 2 eingetragen sind:
Karte 2: Heimatorte der Familien namens Maier und Mayer vor 1800
Der Schwerpunkt dieser Schreibungen liegt demnach eindeutig in der Nordostschweiz (vor allem in den Kantonen Thurgau, St. Gallen und Graubünden23) und damit in einer Gegend, die auch sprachlich bekanntermaßen enge Beziehungen zum süddeutschen Raum aufweist (vgl. Hotzenköcherle 1984, 95ff.), und wo der mhd. Diphthong ei noch im 15. Jh. häufig durch wiedergegeben wurde (vgl. Besch 1967, 78). Durch die politische Zugehörigkeit zu –––––––— 22 23
Die meisten stammen aus Deutschland; Österreicher sind selten. Dazu kommt jeweils eine Familie aus Italien (wohl aus dem Südtirol), Frankreich und Polen. Die Orte Zizers, Says und Trimmis in Graubünden gehören zum Hochgericht (Bezirk) Vier Dörfer, der politisch schon im Spätmittelalter eine Einheit bildete und in dem Zizers als Hauptort auch als Handelszentrum an der Straße vom Bodensee nach Chur großes Gewicht hatte.
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erklären sind die Schreibungen in den Gemeinden Laufenburg AG (dieses gehörte stets zu Vorderösterreich) und Rhäzüns GR, das von 1497 bis zum Wiener Kongress habsburgisch war.
3.4. Die Abwanderung aus dem Elendsgebiet Emmental Im 19. Jh. gehörte das Emmental im Kanton Bern zu den ärmsten Gebieten der Schweiz. Die Armut führte zu einer starken Abwanderung, die von den staatlichen Autoritäten sogar finanziell unterstützt wurde.24 Die Binnenwanderungsziele der Leute sollen an drei typischen Emmentaler Familiennamen untersucht werden. Für eine Stichprobe haben wir die Herkunftsnamen Fankhauser (FNB 524f.)25 und Siegenthaler (FNB 1712)26 sowie den Übernamen Wüthrich (FNB 2031)27 ausgewählt. Auf Karte 3 ist dargestellt, in welchen Schweizer Gemeinden sich Leute mit diesen Namen später einbürgern ließen:
Karte 3: Binnenwanderung der Familien namens Fankhauser, Siegenthaler und Wüthrich vor 1900
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25 26 27
Vgl. Pfister 1995, 135. Als Resultat der Abwanderung hatte 1890 die Gemeinde Trub 3.000 Einwohner, während 15.000 Gemeindebürger anderswo in der Schweiz lebten, vgl. Pfister 1995, 303. Nach der Herkunft aus dem Weiler Fankhaus (Gemeinde Trub, Verwaltungskreis Emmental). Nach der Herkunft aus dem Weiler Siegenthal (Gemeinde Landiswil, Verwaltungskreis Bern-Mittelland). Berücksichtigt wurden nur die im hinteren Emmental in den Gemeinden Eggiwil, Langnau im Emmental und Trub altverbürgerten Familien, nicht hingegen diejenigen aus Thunstetten BE (bei Langenthal) sowie aus Mönthal AG.
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Vor 1800 finden sich Familien mit diesen Namen noch ausschließlich im Emmental als Bürger registriert. Auch im Laufe des 19. Jhs. sind nur sporadische Einbürgerungen außerhalb des Zentrums verzeichnet; dies dürfte seinen Grund darin gehabt haben, dass, wie oben geschildert, andere Gemeinden wenig Lust hatten, eingewanderte Bedürftige einzubürgern und damit armengenössig zu machen. Erst im 20. Jh. schlägt sich die zum Teil beträchtlich ältere Auswanderung tatsächlich in Neueinbürgerungen nieder: Diese finden sich hauptsächlich im nahe gelegenen Berner Mittelland (mit den Industriezentren Bern und Thun) sowie im Kanton Solothurn und – wenig verwunderlich – im Ballungsraum Zürich. Erstaunlich ist die rege Auswanderung über die Sprachgrenze hinweg in die französische Schweiz.28 Merkwürdigerweise sind keine nennenswerten Einbürgerungen in den Industriegebieten im Berner Jura zu verzeichnen; verständlich ist derselbe Umstand dagegen in den strukturschwachen Regionen der (überdies katholischen) Zentral- und Ostschweiz; einzig in den Kanton Thurgau sind einige Emmentaler eingewandert.29 Als Resultat der Wanderungsbewegungen sind die Träger der drei Namen heute in der Schweiz sehr zahlreich; in Telinfo 5/02 finden sich 2.633 Privatanschlüsse auf den Namen Fankhauser und 2.834 für Siegenthaler sowie 4.332 für Wüthrich, was für Herkunftsbezeichnungen bzw. einen – im Gegensatz zu Weiss oder Lang nicht so trivialen – Übernamen erstaunlich große Zahlen sind.30
3.5. Die Zuwanderung in Uhrenmetropolen Umgekehrt lässt sich durch das FNB auch das Einzugsgebiet von Zuwanderern näher bestimmen, so zum Beispiel in den Städten La Chaux-de-Fonds und Le Locle im protestantischen Kanton Neuenburg, die seit dem 19. Jh. Zentren der Uhrenindustrie sind.31 Für unsere Untersuchung haben wir als repräsentative Stichprobe jeweils die Seiten .10, .11, .20, .21, .30, .31 usw. des FNB ausgewer–––––––— 28
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Die Träger der Namen Wütrich (FNB 2032), Wuthrich und Wutrich (FNB 2034) stammen ursprünglich alle aus Trub und Eggiwil BE. Es handelt sich also um erst in der französischen Schweiz entstandene Verschriftungen des deutschen Namens. Die zwischen 1912 und 1926 in einigen Thurgauer Gemeinden eingebürgerten Familien namens Wüthrich gehen wahrscheinlich auf Bauern zurück, die dort in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – wie auch im Neuenburger Jura – als Käser und Viehzüchter die Plätze der Einheimischen einnahmen, die selbst in die Industrie abgewandert waren, vgl. Schoop et al. 1992, 102. Dass alle eingewanderten Wüthrich aus der Gemeinde Trub stammten und sich im Thurgau in benachbarten Gemeinden ansiedelten, ist vielleicht kein Zufall (Mundpropaganda?). Vgl. den in der Schweiz häufigsten Familiennamen Müller mit gemäß Telinfo 5/02 30.475 Privatanschlüssen. – Die häufigsten ursprünglichen Übernamen sind: Wyss (6.966 Anschlüsse, dazu 2.317 x Weiss), 6.304 x Roth, 2.893 x Lang und 2.471 x Schwarz. – Familiennamen, die aus kleineren Ortschaften abgeleitet sind, haben in der Schweiz meist weniger als tausend Anschlüsse, vgl. 149 x Bütikofer (zu Bütikofen BE), 480 x Luchsinger (zu Luchsingen GL), aber immerhin 1.380 x Sonderegger (zum Weiler Sonderegg AI). Bis heute bekannt ist etwa die 1848 in La Chaux-de-Fonds gegründete Firma Omega.
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tet, also 20% des Gesamtbestandes. Bezüglich der Herkunft der vor 1900 eingebürgerten Schweizer ergibt sich das in Karte 4 dargestellte Bild:
Karte 4: Heimatorte der in La Chaux-de-Fonds und Le Locle vor 1900 eingebürgerten Schweizer
Es wurden also vor allem Bürger aus der französischen Schweiz eingebürgert, zumal aus dem (ebenfalls protestantischen) Kanton Waadt sowie aus den unmittelbar angrenzenden Teilen der Kantone Bern und Jura. Die sehr zahlreichen Einwanderer aus der Deutschschweiz stammen vor allem aus dem Kanton Bern, worunter die Zuwanderer aus den freikirchlich-evangelikal geprägten Gebieten des Verwaltungskreises Frutigen-Niedersimmental (um Adelboden) sowie des Emmentals auffallend häufig vertreten sind; spielt hier die protestantische Ethik eine Rolle? Praktisch keine Zuwanderung gibt es aus der katholischen Zentralsowie aus der Ostschweiz, was sich mit der damals noch starken religiösen Barriere bzw. der noch florierenden Textilindustrie erklären lässt. Interessant ist auch ein Blick auf die vor 1900 eingebürgerten Franzosen und Deutschen: Die französischen Familiennamen, für die sich ein eindeutiges Verbreitungszentrum feststellen lässt, stammen aus Ostfrankreich,32 diejenigen von Deutschen hauptsächlich aus dem Südwesten.33 –––––––— 32
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Die Zentren der Namen sind laut www.geopatronyme.com/ (Stand: 23. 9. 2008): Girardclos, Girardet und Graizely: Département Doubs; Metzger, Schwab und Weil: Bas-Rhin; Bernheim und Rueff: Haut-Rhin; Magnin und Vuattoux: Haute-Savoie; Girod: Jura; Piroué: Vosges. Die Namen Arnoux, Braichotte, Larcher, Monet und Régnier sind zu selten bzw. zu weit verbreitet. Geht man nach der heutigen Verbreitung gemäß http://christoph.stoepel.net, so haben Eiche, Grieshaber, Hauser, Niestle (Nestle?), Schweizer, Stockburger und Zachmann ihr Zentrum eindeutig in Baden-Württemberg; Bopp und Deck daneben auch in RheinlandPfalz, Hotz und Kraft auch in Hessen und Hipp auch in Bayern. Die Namen Seitz und
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3.6. Zuwanderung nach Zürich im Spätmittelalter und in der früher Neuzeit Mit Hilfe des FNB lassen sich auch viel ältere Wanderungsbewegungen nachzeichnen. Dies soll am Beispiel der Einbürgerungen in der Stadt Zürich vor 1600 gezeigt werden, vgl. Karte 5:34
Karte 5: Heimatorte der in Zürich vor 1600 eingebürgerten Familien
Vor 1500 neu eingebürgerte Familien stammen vor allem aus dem allernächsten Umland; besonders zahlreich scheint der Zuzug von Familien aus den Nachbargemeinden am Nordufer des Zürichsees gewesen zu sein. Leer bleibt hingegen der südliche Kantonsteil; dafür gibt es schon eine gewisse Einwanderung aus Deutschland.35 Im 16. Jh. erweitert sich das Bild: Neben ersten Familien aus dem Süden des Kantons fällt als gemeinsames Merkmal auf, dass die Herkunftsgebiete der Neueingebürgerten kurz vorher zur Eidgenossenschaft gekommen sind: Solothurn und Freiburg 1481, Schaffhausen 1501; der Thurgau war 1460, Locarno im Tessin 1512 erobert worden, während Graubünden seit 1497/1498 mit der Eidgenossenschaft verbündet und Chiavenna seinerseits seit 1512 Bündner Untertanengebiet war. Im Gefolge der Reformation fallen die katholisch geblie–––––––—
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Zwi(c)kel sind typisch für Bayern und Russbach für Rheinland-Pfalz. Deleurant ist zu selten; für Levy, Metzger und Müller lässt sich kein Verbreitungszentrum ermitteln. Die Familien, die in der Stadt Zürich vor 1800 das Bürgerrecht erhalten haben, sind am einfachsten in der Online-Ausgabe des FNB zu finden (http://hls-dhs-dss.ch). Die Familie Rosenstock stammt aus Rostock (!), die Bernhauser aus Esslingen, die Nüscheler aus Reutlingen und die Koller aus Memmingen; für die Lokalisierung der Herkunftsorte vgl. jeweils Schobinger/Egli/Kläui 1994.
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benen Kantone (so die gesamte Zentralschweiz) als Herkunftsgebiet weiterer Zuwanderer weg; dies zeigt sich daran, dass die letzte Familie aus diesem Landesteil 1512 eingebürgert wurde. Nach wie vor fast überhaupt keine Einwanderung ist aus der westlichen Schweiz zu verzeichnen; offenbar war Bern als Attraktionszentrum übermächtig.
4. Schluss Mit unseren Darlegungen hoffen wir gezeigt zu haben, dass das FNB für Forschungen über Familiennamengeographie in der Schweiz das bei weitem beste Hilfsmittel ist. Zwar steht nunmehr eine hilfreiche Website mit denselben Daten wie in der gedruckten Ausgabe zur Verfügung, doch sollte zusätzlich auch (1) die historische Verbreitung von einzelnen Familiennamen oder Namentypen bzw. von Namenbestandteilen nach Heimatorten unmittelbar auf Karten sichtbar gemacht sowie (2) die Abwanderung aus bzw. (3) die Zuwanderung in Gemeinden oder ganze Regionen in ihrer zeitlichen Abfolge dargestellt werden können. Fernziel bleibt die Vernetzung dieser Datenbank mit den namengeographischen Hilfsmitteln der Nachbarländer, denn gerade in einem kleinen Land, wo man sehr schnell an meist willkürlich gezogene Staatsgrenzen stößt und so viele Einwohner fremde Wurzeln haben, wird der Blick über diesen Zaun unverzichtbar.
Literatur Besch, Werner (1967): Sprachlandschaften und Sprachausgleich im 15. Jahrhundert. Studien zur Erforschung der spätmittelhochdeutschen Schreibdialekte und zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache, München. Burckhardt, Walther (31931): Kommentar der Schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, Bern. Ehrenzeller, Bernhard, et al. (Hrsg.) (22008): Die schweizerische Bundesverfassung. Kommentar, Zürich. FNB = Familiennamenbuch der Schweiz, Zürich 31989. Honsell, Heinrich / Vogt, Nedim Peter / Geiser, Thomas (Hrsg.) (2006): Zivilgesetzbuch. I: Artikel 1–456 ZGB, 3. Auflage, Basel, Genf, München. Hotzenköcherle, Rudolf (1984): Die Sprachlandschaften der deutschen Schweiz, Aarau, Frankfurt am Main, Salzburg. Klausmann, Hubert (2007): Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg, Ostfildern. Kleiber, Wolfgang / Kunze, Konrad / Löffler, Heinrich (1979): Historischer Südwestdeutscher Sprachatlas: Aufgrund von Urkunden des 13. bis 15. Jahrhunderts, Band 2, Bern. Kunze, Konrad (2000): Familiennamen-Geographie und Sprachgeschichte – Beispiele aus dem Alemannischen, in: Edith Funk / Werner König / Manfred Renn (Hrsg.): Bausteine zur Sprachgeschichte. Referate der 13. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie in Augsburg (29.9.–3.10.1999), Heidelberg, S. 181–198. – (52004): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet, München.
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Christian Seidl
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Simone M. Berchtold
Wie findet man Familiennamennester? Am Beispiel Entlebuch (Luzern) und Frutigen (Bern) im Vergleich
Abstract The aim of this empirical study is to present and analyze the most frequent family names of two remote areas in Switzerland: the Entlebuch in Lucerne and Frutigen in Berne. On the one hand I present a general methodology of how typical surnames can be investigated. On the other hand I exemplify this methodology with the data of the aforementioned areas. The surnames are analyzed with respect to their etymology, the frequency of semantic types, their phonology and spelling as well as name formation. One of the sources of data is the fixed network telephone lines from 2002. A second source that provides a diachronic perspective is the so called Familiennamenbuch (book of family names) of Switzerland. It alphabetically lists surnames with citizenship in Switzerland, naming the communities and the year resp. the century in which the citizenship was granted. Information of both sources mapped together can show centers, “nests”, historical growth and geographical distribution of surnames. I found that the frequency of the five semantic types corresponds with the sociological conditions of rural areas: names based on the place of residence, patronyms and nicknames are the most frequent ones. The surnames reflect Alemannic phonology and spelling. The formation of the surnames shows common German patterns next to specific upper German respectively Alemannic ones.
1. Zielsetzung Das Ziel dieser empirischen Studie ist es, zwei relativ isolierte Gebiete der deutschsprachigen Schweiz auf die für sie charakteristischen Namentypen hin zu untersuchen. Die Wahl fiel auf das Entlebuch im Kanton Luzern und Frutigen im Kanton Bern. Diese Gebiete liegen abseits großer Verkehrswege, sind beide heute noch ländlich geprägt und eher Abwanderungs- als Zuwanderungsgebiete. In der Quellenwahl orientierte ich mich am DFA (Nübling/Kunze 2006; 2007) und arbeitete mit einer Telefonbuch-CD-Rom der Swisscom Directories. Zusätzlich diente das Familiennamenbuch der Schweiz als Datengrundlage. Durch das Auszählen der Festnetzanschlüsse eruierte ich die typischen Familiennamen in diesen beiden Regionen. Die Namen ordnete ich entsprechend ihrer Etymologie den geläufigen fünf Großgruppen – Rufnamen, Berufsnamen, Wohnstättennamen, Herkunftsnamen und Übernamen – zu. Da die beiden Gebiete bevölkerungsmäßig etwa gleich dicht besiedelt sind, lassen sie sich gut hinsichtlich der Namentypenhäufigkeit vergleichen. Aus dem kleinen Korpus lassen sich Schlussfolgerungen über Verteilung der Namentypen in ländlichen Gebieten, Namenbildung, Namenlautung und Namenschreibung ziehen.
76
Simone M. Berchtold
2. Datenbasis – Methode Als Datenbasis diente mir einerseits eine Telefonbuch-CD telinfo 2002 der Swisscom Directories AG, andererseits das Familiennamenbuch der Schweiz. 1 Das Auswerten von Telefonbüchern als Quelle für anthroponomastische Fragestellungen bzw. für Familiennamenstatistik ist spätestens seit Kunzes Darstellung im dtv-Atlas Namenkunde (Kunze 2004, 198–207) eine anerkannte Methode, die einerseits vom DFA und Schwesterprojekten wie dem Luxemburgischen Familiennamenatlas (LFA), andererseits von kleinräumigen Untersuchungen wie den Kleinraumatlanten für Baden-Württemberg und Bayern von Klausmann (2007; 2009) angewendet wird. Das Familiennamenbuch der Schweiz verzeichnet Familiennamen von Personen, die in der Schweiz das Bürgerrecht besitzen, also eingebürgert sind. In der dritten Auflage von 1989 wurden die Daten bis 1962 aktualisiert und ebenfalls die ursprüngliche Nationalität der Eingebürgerten angegeben, mit A für Österreich, D für Deutschland oder, soweit bekannt, wurde der Zuzug aus einer anderen Schweizer Gemeinde vermerkt. Die Einbürgerung wird im Familiennamenbuch chronologisch gestaffelt: 1) mit genauem Einbürgerungsjahr, 2) mit „a“ vor 1800, 3) mit „b“ von 1801–1900 und 4) mit „c“ von 1901–1962. Es gibt also Namen bzw. Familien, die in einer Gemeinde bereits vor 1800 das Bürgerrecht besessen haben. Diesem Umstand wird teilweise mit der Bezeichnung „alt eingesessen“ (so im Thurgauer Namenbuch 2007) Rechnung getragen. Durch die Verortung mittels des Familiennamenbuches kann man Familiennamen einem Ort oder einer Gegend zuordnen, wo der Name in der Regel auch besonders häufig vorkommt. Der Schluss liegt dann nahe, dass die Familiennamen vielleicht sogar in dieser Region entstanden sind. Beim konkreten Vorgehen für die vorliegende Studie orientierte ich mich an Klausmann 2007, 45–47. Um für die beiden Regionen die typischen Familiennamen herauszufinden, bin ich folgendermaßen vorgegangen: -
-
In einem ersten Schritt habe ich mit der telinfo 2002-CD pro Gemeinde (11 im Entlebuch und 5 in Frutigen) die 10 häufigsten Namen ausgezählt. In absoluten Zahlen betrug diese Häufigkeit zwischen 98 (z.B.: Schranz in Adelboden) und 5 Einträgen (z.B. Reichen in Kandergrund). In einem zweiten Schritt habe ich aus den eruierten 110 Familiennamen im Entlebuch und den 50 in Frutigen jeweils die 30 häufigsten ausgewählt. In einem dritten Schritt habe ich die Festnetzanschlüsse dieser insgesamt 60 Namen schweizweit gezählt. Aus dem prozentualen Verhältnis der Namen aus der jeweiligen Region zur Prozentzahl in der Schweiz ergab sich dann eine Vergleichszahl. In einem letzten Schritt habe ich für jede Region die 18 häufigsten Namen ausgewählt und deren Verbreitungsgebiet laut Familiennamenbuch verglichen.
Ich möchte dies am Beispiel Wandfluh veranschaulichen. Dieser Name ist in Kandergrund und Kandersteg unter den 10 häufigsten; in der Region Frutigen kommt er auf 52 Telefonanschlüsse und in der Schweiz gesamt gibt es 109 Anschlüsse (= 100%). Die Anschlüsse Frutigens innerhalb der Schweiz machen –––––––— 1
Vgl. hierzu den Aufsatz von C. Seidl in diesem Band, S. 61–74.
Wie findet man Familiennamennester?
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somit 47,7% aus. Also gut die Hälfte aller Personen mit dem Nachnamen Wandfluh leben in dieser Region. Der Abgleich mit dem Familiennamenbuch ergibt, dass Familien namens Wandfluh in Frutigen und Kandergrund vor 1800 eingebürgert wurden; 1959 kommt noch St. Gallen als Bürgerort (mit Herkunftsort Kandergrund) hinzu. Was sich zeigt: Typische Namen sind in absoluten Zahlen nicht unbedingt auffällig, sondern zeigen erst im prozentualen Verhältnis ihre Aussagekraft. Was sich bei der Auszählung gezeigt hat: Von den 40 häufigsten Familiennamen der Schweiz2 tauchen in den untersuchten Gemeinden bei den häufigsten Familiennamen wenige auf, so Schmid, Bucher und Müller. Schmid beispielsweise rangiert in den fünf Frutiger Gemeinden dreimal unter den häufigsten Namen, rutscht aber bei der Berechnung des Prozentanteils auf 1,73%. Ich habe sie also bei der weiteren Auszählung nicht beachtet. Da Müller oder Meier überall in der Schweiz vorkommen, sind sie nicht typisch für eine Region, sondern eher für die Schweiz bzw. den deutschsprachigen Raum insgesamt. Wie die Vorarbeiten zum DFA gezeigt haben, sind die historisch gewachsenen Familiennamenräume in Deutschland und anzunehmenderweise auch im angrenzenden deutschsprachigen Raum relativ stabil trotz verstärkter Migration im 20. Jh. Insofern können mit Festnetzanschlüssen valable Erkenntnisse gewonnen werden. Durch die Festnetzanschlüsse und das Familiennamenbuch ergibt sich eine zeitliche Schichtung der Quellen seit 1800: Die Telefonbücher verzeichnen den momentanen synchronen Zustand, welcher neben der räumlichen Stabilität von Familiennamen auch Migration anzeigt. Das Familiennamenbuch kann dieses Ergebnis mit einer diachronen Schichtung des Namenmaterials unterlegen, um die Ausstrahlungszentren eines Namens möglichst genau zu bestimmen.
3. Entlebuch und Frutigen Im Folgenden werden beide Regionen geographisch kurz vorgestellt; in der Hauptsache werden die Ergebnisse der Auszählung präsentiert. Der Anschaulichkeit halber werden die Namen in einer Tabelle dargestellt; aufgenommen wurden pro Region die 18 häufigsten Namen. Die Anordnung erfolgt nach der höchsten Prozentzahl, die sich zu einem Namen im Vergleich mit der Gesamtschweiz ergeben hat. Der entsprechende Prozentanteil reicht von 47% bis 6%. Zum Vergleich habe ich den häufigsten Namen der Schweiz Müller noch ausgezählt und vorangestellt. –––––––— 2
Die 40 häufigsten Familiennamen der Schweiz sind: Müller, Meier, Schmid, Keller, Weber, Huber, Schneider, Meyer, Steiner, Fischer, Brunner, Baumann, Gerber, Frei, Zimmermann, Moser, Widmer, Wyss, Graf, Peter, Roth, Suter, Bachmann, Baumgartner, Studer, Kaufmann, Bucher, Bühler, Kunz, Berger, Lüthi, Frey, Marti, Hofer, Lehmann, Zürcher, Schweizer, Christen, Martin und Egli (Quelle: Kunze 2004, 199).
78
Simone M. Berchtold
Die Namen werden in der letzten Spalte einer der fünf semantischen Gruppen zugeordnet, sofern dies möglich ist. In der Tabelle werden folgende Kürzel verwendet: RN (Rufnamen), BN (Berufsnamen), WN (Wohnstättennamen), HN (Herkunftsnamen) und ÜN (Übernamen). Grundlegende Quellen für die Erarbeitung einer Etymologie deutschsprachiger Namen in der Schweiz sind das Schweizerdeutsche Wörterbuch/Idiotikon und Brechenmacher; für Luzern noch zusätzlich das Luzerner Namenbuch, Band 1 Entlebuch, das einige Familiennamen verzeichnet, da sie ebenfalls in der Bildung von Toponymen vorkommen, sowie das Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen und das Berner Namenbuch. Für Frutigen existiert eine volkskundlich-soziologische Studie von Berger, in der er Namengebung und -veränderung hinsichtlich gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher oder konfessioneller Aspekte untersucht. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Vornamengebung; er untersucht aber auch die Verteilung von Familiennamen vom 13. Jh. bis in die 60er Jahre des 20. Jhs. Seine Dissertation stützt sich auf historische ungedruckte und gedruckte Quellen ab dem 13. Jh. Wertvoll sind seine Beobachtungen zur Aussprache der Namen und die historischen Belege.
3.1. Entlebuch
Abbildung 1: Das Amt Entlebuch (Bildnachweis: Tschubby, Wikimedia Commons 3)
–––––––— 3
Lizenziert unter Creative Commons-Lizenz by-sa-2.0-de, http://creativecommons.org/ licenses/by-sa/2.0/de/legalcode.
Wie findet man Familiennamennester?
79
„Das Entlebuch umfasst das 395 km² grosse Haupttal der Kleinen Emme zwischen Bern und Luzern. Die Region hat ca. 16'941 Einwohner und wird oft scherzhaft grösstes Buch der Welt oder der Wilde Westen von Luzern genannt. In der Bevölkerung verankert ist ein ausgeprägtes, geschichtlich gewachsenes Regionalbewusstsein.“ (www.biosphaere.ch, Stand: 10. 2. 2009)
Die untersuchten elf Orte in der Region sind: Doppleschwand (PLZ 6112), Entlebuch (PLZ 6162), Escholzmatt (PLZ 6182), Flühli (PLZ 6173), HasleHeiligkreuz (PLZ 6166), Marbach (PLZ 6196), Romoos (PLZ 6113), Schüpfheim (PLZ 6170), Sörenberg (PLZ 6174), Werthenstein (PLZ 6106) und Wiggen (PLZ 6192). Diese Gemeinden machen in der Darstellung die Anschlüsse für das Entlebuch im Jahr 2002 aus, die 7.438 Festnetzanschlüsse betrugen. Das Vorgehen nach der im Kapitel 2 beschriebenen Methode und der angestellte Vergleich mit der Gesamtschweiz ergeben für die Region Entlebuch als häufigste Namen folgende Ergebnisse: Namen
Anschlüsse CH gesamt 30.475 780
Entlebuch gesamt
%-Anteil Entlebuch
81 142
0,27 18,21
1
Müller Zihlmann
2
Röösli
508
75
14,76
3
Krügel
73
10
13,70
4
Schwarzentruber
111
15
13,51
5
Emmenegger
1.367
181
13,24
Deutung
BN WN: Zusammensetzung aus mhd. zil stmn. ‚Ziel; Ende; Grenze, abgegrenzter Raum‘, alem. Appellativ Ziil ‚das Gebiet an der Gemeindegrenze‘ (Fischer 6.1, Sp. 1197–1200) und dem Grundwort Mann ÜN/PN: Diminutiv zur Pflanzenbezeichnung Rose oder zum weiblichem PN Rosa (Waser Bd. I, 1996, 804f.) ÜN: zum schwzdt. Appellativ Chrugel, Chrügel ‚Kugel, rundlicher Gegenstand, klumpige Masse; kurzer untersetzter vierschrötiger Mensch‘ (Idiotikon 3, 799) WN: -er-Ableitung zu Schwarzentrub; Kompositum aus dem Adjektiv schwarz und Trub, womöglich sekundär zum Berner Ortsnamen Trub im Emmental4 WN: -er-Ableitung zu einem Entlebucher Flurnamen Ämmenegg, einer Liegenschaft an der Kleinen Emme (Waser Bd. I 1996, 234f.)
–––––––— 4
Nach Kristol 2005, 886 ist Trub ursprünglich ein Bachname zu ahd. truobi, mhd. trüebe ‚nicht lauter, nicht rein‘.
80
Simone M. Berchtold Namen
6
Zemp
Anschlüsse CH gesamt 1.330
Entlebuch gesamt
%-Anteil Entlebuch
170
12,78
7
Duss
734
93
12,67
8
Wigger
597
63
10,55
9
Lötscher
1.352
134
9,91
10
Wicki
1.633
157
9,61
11
Dahinden
507
42
8,28
12
979
81
8,27
13
Krummenacher Renggli
1.134
91
8,02
14
Limacher
705
55
7,80
15
Unternährer
619
48
7,75
Deutung
PN: nach Waser frühester Beleg 1298 Zempo in einer oberrheinische Quelle (Waser Bd. I 1996, 1196) ÜN: zum schwzdt. Adjektiv tnjss ‚still aus Schüchternheit oder aus Furcht, kleinlaut, gedrückt‘ (Waser Bd. I, 1996, 213) WN: -er-Ableitung zum Ortsnamen Wiggen5 HN: -er-Ableitung zum Landschaftsnamen Lötschental (Wallis/CH) ÜN: zum Verb mhd. wicken ‚tanzen, hüpfen, zaubern, wahrsagen‘ (Waser Bd. I, 1996, 1153) WN: zum Adverb schwzdt. dƗhinde(n) ‚hinten‘ 6 WN: zu einem Flurnamen Krummenacher7 ÜN: zum Verb schwzdt. ranggle(n), ränggle(n) ‚sich unruhig bewegen, sich drehen und winden, besonders um sich physisch oder moralisch aus einer unangenehmen Lage zu befreien‘ (Waser Bd. I 1996, 775) WN: zu einem Flurnamen *Limacher8 WN: zu einem Flurnamen Undernäre im Entlebuch (Waser Bd. I 1996, 1116)9
–––––––— 5 6 7 8 9
Waser 1996, 1158f.: eine Kollektivbildung zu ahd. weg m. > *wiggi n., ‚Kreuzweg, Wegscheide‘. Waser 1996, 199: „Der FaN Dahinden ist ein Landleutegeschlecht, das im 15. Jh. in Entlebuch bezeugt ist: E. 15. Jh. heÿnrich da hÿnden und sÿne geschwistergot [...].“ Waser 1996, 567: abgegangener Flurname; belegt 1608 ab dem Krumen Ackher, für einen gekrümmten Geländeverlauf. Kompositum aus dem Appellativ schwzdt. Leim, LƯm ‚Lehm‘ (Idiotikon 3, 126) und schwzdt. Acher. Waser 1996, 1116: Kompositum aus unter und Närer, letzteres geht laut Waser auf den Stamm zurück, zu dem auch ahd. nerian, neren, nerren ‚retten, nähren, weiden, gedeihen‘ gehört. „Der Name bezeichnet grundsätzlich ein Grundstück, das einen Ertrag abwirft, das ernährt [...]“, als Flur „das unten, das tief gelegene Weideland“.
Wie findet man Familiennamennester? Namen
81
Anschlüsse CH gesamt 2.525
Entlebuch gesamt
%-Anteil Entlebuch
181
7,17
16
Portmann
17
Schmidiger
403
27
6,70
18
Zurkirchen
197
13
6,60
Deutung
WN: Kompositum aus dem Appellativ Port n. ‚begrenzender Rand, Böschung, Uferrand, Saum‘ (Idiotikon 4, 1627–1630) und dem Suffix Mann BN/PN: Basis ist Schmid, doppelte Zugehörigkeitsbildung -i(n)g+er zu einer Familie Schmid; genaue Gruppenzuordnung allerdings unklar, da (i) BN oder (ii) PN möglich sind WN: syntagmatische Bildung aus der Präposition zur und dem Appellativ Kirche f.
Tabelle 1: Die 18 häufigsten Familiennamen im Entlebuch mit Deutung
Daraus ergibt sich folgende Aufteilung zu den semantischen Gruppen:
Abbildung 2: Verteilung der Entlebucher Familiennamen auf die fünf semantischen Gruppen
Als Ergebnis für das Entlebuch lässt sich Folgendes festhalten: Von den in Tabelle 1 angeführten Namen sind nach dem Familiennamenbuch Schwarzentruber, Schmidiger, Unternährer und Wigger nur im Entlebuch, also in mindestens einer bzw. maximal in allen der elf Gemeinden, alt eingesessen (graue Schriftfarbe in Abbildung 2). Diese vier Namen zeigen heute ein breiter gestreutes Vorkommen, das heißt, dass sie auch an anderen Orten häufig vertreten sind. So kommt Schwarzentruber als altes Bürgergeschlecht lediglich in Romoos vor, hat sich aber von dort nach 1900 in weitere Gemeinden des Kantons Luzern verbreitet, so nach Doppleschwand, Emmen, Littau, Luzern, Menznau, Römerswil, Schlierbach, Sursee, Werthenstein sowie nach Basel. Aufgrund der Festnetzanschlüsse zeigt sich eine Ausbreitung vor allem im Kanton Luzern und Basel Stadt mit wenigen Vertretern im Osten oder Westen der Schweiz. Die
82
Simone M. Berchtold
Verbreitung des Namens anhand der Daten aus dem Familiennamenbuch und der Telefonanschlüsse ergibt das Bild von Abbildung 3 (Verbreitung von Schwarzentruber, s. Anhang S. 360).10 Wigger kennt fünf Bürgerorte: Entlebuch, Escholzmatt, Flühli, Marbach und Schüpfheim und auch dieser Familienname zeigt eine starke Migration innerhalb des Kantons Luzern; dasselbe trifft auf Schmidiger und Unternährer zu. Die Verbreitungsbilder lassen sich ähnlich darstellen: Ausgehend von einem bzw. nur wenigen Heimatorten vor 1800 haben sich Namensträger im beginnenden 20. Jh. vor allem in anderen Gemeinden in Luzern, dann aber auch in Städten wie Zürich, Basel oder Genf niedergelassen. Von den Namen in der Tabelle sind Zihlmann, Röösli, Krügel, Zemp, Duss, Renggli und Limacher insofern als typisch luzernerisch zu bezeichnen, da sie nur in Luzerner Gemeinden alt eingesessen sind. Die anderen Namen – Emmenegger, Lötscher, Wicki, Dahinden, Krummenacher und Portmann – kommen auch in anderen Kantonen als altes Bürgergeschlecht vor. Daneben gibt es natürlich noch eine weitere Reihe von Familiennamen, die im Entlebuch alt eingesessen sind wie Birrer, Brun, Vogel oder Lustenberger. Diese Namen sind aber auch in anderen Luzerner Gemeinden oder in anderen Kantonen alt eingesessen, so dass sie sich in ihrer Frequenz nicht auffällig genug verhalten, um in die Tabelle Eingang gefunden zu haben. Dadurch zeichnen sich für das Entlebuch wenige „Nester“ ab, das sind Familiennamen, die ausschließlich in dieser Region alt eingesessen sind bzw. sich nachweislich von dort verbreitet haben. Anders gesagt: Es sind wenige typische Familiennamen, die in dieser Region einen Entstehungsherd vermuten lassen. Jene Namen, die nur im Entlebuch alt eingesessen sind, zeigen heute ein größeres Verbreitungsgebiet, was durch die Migrationsbewegungen, die im Familiennamenbuch festgehalten sind, bestätigt wird.
3.2. Frutigen Der Amtsbezirk Frutigen liegt im Kanton Bern, im westlichen Berner Oberland südlich des Thunersees und besteht im Wesentlichen aus dem nord-südlich verlaufenden Frutigtal, dem Kandertal und seinen Seitentälern. Die untersuchten fünf Orte in der Region sind: Reichenbach (PLZ 3713), Frutigen (PLZ 3714), Kandergrund (PLZ 3716), Kandersteg (PLZ 3718) und Adelboden (PLZ 3715).11
–––––––— 10
11
Die Karten für Schwarzentruber und Pieren zeigen das effektive Auftreten der Namen in den Gemeinden. Wenn ein Name in einer Gemeinde mindestens einen Telefonanschluss aufweist, wurde er kartiert. Mehrfaches Auftreten wird farblich nicht dargestellt. Ich danke Herrn Franz Berchtold für das Erstellen der Karten. Um eine in etwa vergleichbare Zahl mit dem Entlebuch zu erreichen, wurden die Gemeinden Aeschi bei Spiez (PLZ 3703) und Krattigen (PLZ 3704) nicht berücksichtigt; diese liegen geographisch am Eingang zum Kandertal.
Wie findet man Familiennamennester?
83
Abbildung 4: Der Amtsbezirk Frutigen (Quelle: Tschubby, Wikimedia Commons12)
Diese Gemeinden machen in der Darstellung die Anschlüsse für Frutigen im Jahr 2002 aus, die 7.271 Festnetzanschlüsse betrugen. Zum Vergleich wird hier ebenfalls Müller vorangestellt. Das Vorgehen nach der in Kapitel 2 beschriebenen Methode und der angestellte Vergleich mit der Gesamtschweiz ergeben für diese Region als häufigste Namen die in Tabelle 2 aufgeführten Familiennamen: Namen
Anschlüsse CH gesamt 30.475 109
Frutigen gesamt 89 52
%-Anteil Frutigen 0,29 47,71
1
Müller Wandfluh
2
Inniger
160
70
43,75
3
Hari
327
105
32,11
Deutung BN WN: zu einem Flurnamen Wandfluh (Ortsnamenbuch Bern 1, 150) PN: wohl zu Irmin-Namen < ahd. *irmin- ‚groß, allumfassend‘, geschwächt als Irm(e) (Bach 1952, 210); morphologisch an i(n)ger-Namen angeglichen? 13 PN: Neben- bzw. Kurzform zum Personennamen Heinrich (Idiotikon 2, Sp. 1313ff.)
–––––––— 12 13
Lizenziert unter Creative Commons-Lizenz by-sa-2.0-de, http://creativecommons.org/ licenses/by-sa/2.0/de/legalcode. Diese Deutung wird gestützt durch das gleichzeitige Vorkommen der Familiennamen Irninger und Irmiger.
84
Simone M. Berchtold Namen
Anschlüsse CH gesamt 233
Frutigen gesamt 61
%-Anteil Frutigen 26,18
4
Oester
5
Allenbach
529
132
24,95
6
Zurbrügg
552
126
22,83
7
Bettschen
177
40
22,60
8
Reichen
420
92
21,90
9
Schranz
608
129
21,22
10
Pieren
239
50
20,92
11
Ogi
160
33
20.63
12
Wäfler
367
74
20,16
13
Mürner
244
43
17,62
14
Trummer
310
52
16,77
15
Grossen
538
89
16,54
16
Ryter
468
67
14,32
Deutung WN: -er-Ableitung zur Himmelsrichtung Ost als Bezeichnung der Wohnstätte (Idiotikon 1, 580; Brechenmacher 1957–1960, 353) WN: zum Flurnamen Allen(s)bach (Ortsnamenbuch Bern 1, 17) WN: syntagmatische Bildung aus der Präposition zur und dem Appellativ Brücke f. PN: zum PN Peter, familiär bzw. pejorativ sind die Formen BƝtsch, PƝtsch (Idiotikon 4, 1840) ÜN: zum Adjektiv reich, mhd. rîch ‚vornehm, edel, mächtig, reich‘ WN: zum Flurnamen Schranz ‚aufgerissene Bodenfurche‘ in Reichenbach PN: zum PN Peter (Idiotikon 4, 1840) PN: wohl Kurzform aus einem germ. PN adal ‚edles Geschlecht‘ und ahd. gƝr ‚Wurfspiess‘ (Bach 1952, 216, 222) BN: -er-Ableitung zum Appellativ Wefel, m.n. ‚der einschlag eines gewebes, der mit dem weberschiffchen in die kettenfäden eingeschossen wird, und das dafür bestimmte garn‘ (Deutsches Wörterbuch 27, 2849) ÜN: -er-Ableitung zum Appellativ schwzdt. Murre(n) ‚dicker, kurzer, rundlicher Gegenstand, etwas Kleines‘ (Idiotikon 4, 384) ÜN: -er-Ableitung zum schwzdt. Appellativ TrummeĶ ‚Trommel‘, mhd. trumme, trumbe; kann für dicke Menschen verwendet worden sein (Idiotikon 14, 1018) ÜN: zum Adjektiv groß, mhd. grôz ‚groß, dick; angesehen, vornehm‘ BN: zu mhd. rîtære
Wie findet man Familiennamennester? Namen 17
von Känel
18
Zryd
85
Anschlüsse CH gesamt 697
Frutigen gesamt 89
%-Anteil Frutigen 12,77
97
10
10,31
Deutung WN: syntagmatische Bildung aus der Präposition von und dem Appellativ Chän(n)el m. ‚rinnenförmige Vertiefung, meist künstliche Wasserleitung‘ (Idiotikon 3, 310) WN: syntagmatische Bildung aus der Präposition zu, ze und dem Appellativ Ried n. ‚nasse, sumpfige Wiese; Schilfgebiet‘ (Idiotikon 6, 1729–1735)
Tabelle 2: Die 18 häufigsten Familiennamen in Frutigen mit Deutung
Daraus ergibt sich folgende Aufteilung zu den semantischen Gruppen:
Abbildung 5: Verteilung der Frutiger Familiennamen auf die fünf semantischen Gruppen
Als Ergebnis für Frutigen lässt sich Folgendes festhalten: Von den in Tabelle 2 angeführten Namen sind Ryter, Reichen, Mürner, Grossen, Wandfluh, Oester, Ogi, Allenbach, Zurbrügg, Schranz, Zryd, Inniger, Hari, Bettschen und Pieren in den ausgezählten Gemeinden alt eingesessen (graue Schriftfarbe in Abbildung 5). Oester beispielsweise kennt vor 1800 als Bürgerort nur Frutigen und daran hat sich bis heute nichts geändert. Pieren ist nur in Adelboden alt eingesessen und zeigt nach dem Familiennamenbuch vor allem im 20. Jh. Migration in die Kantone Genf, Neuenburg, Waadtland und Zürich, die sich aufgrund der Festnetzanschlüsse weiter verstärkt hat. Die Verbreitung des Namens anhand der Daten aus dem Familiennamenbuch und der Telefonanschlüsse ergibt folgendes Verbreitungsbild, s. Abbildung 6 (Verbreitung von Pieren, s. Anhang S. 361). Allenbach ist in Adelboden, Frutigen und Reichenbach alt eingesessen und erhält im 20. Jh. weitere 11 Bürgerorte in den Kantonen Bern, Genf, Neuenburg, Waadtland und im Wallis hinzu. Die restlichen drei Namen Trummer, von
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Känel und Wäfler sind bis 1800 ebenfalls nur in Berner Gemeinden alte Bürgergeschlechter. Dadurch ergeben sich für diese Region einige ausgewiesene bzw. stabilere Nester. Auch hier stellt sich Migration vielfach erst im 20. Jahrhundert ein.
4. Schlussfolgerungen Die folgenden Punkte sollen die Namen der beiden untersuchten Räume hinsichtlich ihrer Häufigkeit nach Gruppen, Namenbildung, Lautung und Graphie darstellen und analysieren. Die 40 häufigsten Namen der Schweiz wurden zwar nicht berücksichtigt. Wie die Auszählung am Beispiel Müller gezeigt hat, rangieren sie ohnehin für beide Orte nicht im nennenswerten Bereich typischer Namen. Für Müller, Meier etc. haben die beiden Regionen Entlebuch und Frutigen keinen nennenswerten Prozentanteil am Aufkommen in der Gesamtschweiz.
4.1. Häufigkeit nach semantischen Gruppen Von den 18 häufigsten Familiennamen entfallen in beiden Gebieten die meisten auf die Gruppe der Wohnstättennamen: Im Entlebuch sind 10 Namen dieser Gruppe zuzuordnen, in Frutigen 7. Im Entlebuch sind als zweithäufigste Gruppe Übernamen zu verzeichnen, in Frutigen sind dies Patronymika. In Frutigen sind Übernamen ebenfalls häufig mit 4 Typen. Auffallend sind die wenigen Berufsnamen und die wenigen Herkunftsnamen. Dies kann mit allgemeinen historischsoziologischen Entwicklungen erklärt werden. Berufsnamen bilden sich vornehmlich in städtischen Gebieten aus, wo in der frühen Neuzeit eine differenzierte Arbeitsteilung entsteht; auf dem Land, wo jeder Bauer bzw. Selbstversorger ist, werden nur wenige Berufsnamen zu auf dem Land grundlegenden Berufen wie Müller oder Schmied vergeben (Kunze 2004, 65). Dieser Punkt erklärt teilweise auch, warum die häufigsten Familiennamen hier nicht relevant sind, denn diese Gruppe setzt sich zur Hälfte aus Berufsnamen zusammen. Mit Herkunftsnamen benennt man vor allem Zuwanderer: Das charakterisierende Element ist hier das Fremde. Die untersuchten Regionen liegen im (vor)alpinen Raum, abseits der großen Verkehrswege bzw. sind durch ihre Infrastruktur eher als Abwanderungs- denn als Zuwanderungsgebiete zu charakterisieren.
Wie findet man Familiennamennester? Entlebuch Wohnstättennamen Übernamen Patronymika Berufsnamen Herkunftsnamen
Namen absolut (relativ) 10 (55.5%) 5 (27.7%) 1 (5.5%) 1 (5.5%) 1 (5.5%)
87 Frutigen Wohnstättennamen Patronymika Übernamen Berufsnamen Herkunftsnamen
Namen absolut (relativ) 7 (38.8%) 5 (27.7%) 4 (22%) 2 (11%) –
Tabelle 3: Verteilung der Häufigkeit nach semantischen Gruppen in den untersuchten Gebieten
4.2. Lautung – Graphie Die Lautung der Familiennamen entspricht den dialektalen Gegebenheiten des alemannischen Dialektraumes. Die alten Monophthonge sind erhalten: so mhd. î in Ryter oder mhd. û in Schwarzentruber. In der Graphie werden diese Lautungen teilweise wiedergegeben: So ist in Ryter für langes /i:/ (mhd. î) ein Rest Deutschschweizer Schreibtradition der frühen Neuzeit, der sich hier erhalten hat. Diese Schreibung kommt auch sonst in schweizerischen Familiennamen vor z.B. Wyss, Leutwyler (Kully 2009, 368). Auffallend ist die Verwendung von für mhd. ie in Zryd (< mhd. riet). Der Name Zryd wird nach Berger (1967, 44) in Frutigen mit Diphthong ausgesprochen.14 Nach Sonderegger (2003, 2854) wird in den städtischen Kanzleien von Bern ab 1630 und in Luzern erst ab 1700 die Schreibung der neuen Diphthonge übernommen. Dies betrifft vor allem den Appellativwortschatz, beim onomastischen Material können hier Unterschiede festgestellt werden: In Ryter (mhd. rîtære) reflektiert – wie oben ausgeführt – die Schreibung die Lautung, in Reichen (mhd. rîchen) aber wird der neue Diphthong geschrieben, obwohl der Name mit Langvokal ausgesprochen wird (Berger 1967, 44). Es kommt also in der Schreibung, nicht aber in der Lautung der alten Monophthonge, zu unterschiedlichen Anpassungen an die neuen Graphien. Die Lautung von mhd. u vor ck in Zurbrügg deckt sich mit den Aufnahmen des Schweizerdeutschen Sprachatlasses (SDS I, 54). Die Umlautung von mhd. u vor ck, gg entspricht den lautlichen Gegebenheiten in den Untersuchungsgebieten: Umlaut in Bern (und auch in Luzern) gegenüber nicht umgelautetem -uwie in Brugger im Osten bzw. entrundetem -i- wie in Zurbriggen im Süden. Umlaut findet sich ebenfalls in Mürner zum Appellativ schwzdt. Murre(n), wobei hier im Gegensatz zu oben kein umlautloses Namen-Pendant Murner für die Schweiz nachweisbar ist.
–––––––— 14
Berger 1967, 338, Anm. 62 belegt auch die hyperkorrekte Schreibung Zreid. Zried oder Zrid kommen heute nicht als Schreibungsvarianten vor.
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Simone M. Berchtold
Die Frikativlautung in den Namen Limacher und Krummenacher geht auf ahd. achar, mhd. acher zurück.15 Diese Lautung wird teilweise verschriftlicht, kann aber auch Nebenform zu Acker-Schreibungen sein.16
4.3. Namenbildung In der Namenbildung kommen gängige Bildungsmittel des deutschsprachigen Raumes vor, aber auch spezifisch oberdeutsch-alemannische bzw. schweizerdeutsche Möglichkeiten. Bei der Ableitung von Wohnstätten- und Herkunftsnamen ist das Suffix -er das gängigste wie in Lötscher, Oester, Schmidiger, Unternährer. Vielfach ist das -er auch aus Nomina agentis-Bildungen in Familiennamen eingegangen wie in Mürner, Ryter, Trummer und Wäfler. Aufgrund der unsicheren Deutung ist Inniger hier nicht eindeutig zuzuordnen. Daneben kann ein Flurname aber auch ohne Ableitungssuffix zum Anthroponym werden wie Allenbach, Limacher, Krummenacher, Schranz und Wandfluh. Speziell ist Dahinden, da es auf einer reinen Richtungsangabe ohne onymische Endung beruht. Familiennamen mit dem Bildungssuffix -mann sind in den deutschsprachigen Gebieten häufig vertreten. Die Einsatzmöglichkeiten dieses Suffixes erweisen sich im Deutschen als sehr flexibel: Es kann unter anderem als Bestandteil zweigliedriger germanischer Rufnamen auftreten (Hermann), dann auch als Kose- oder Verkleinerungssuffix an eingliedrige Rufnamen oder Kurzformen angehängt werden (Heinzmann) und auch an Toponyme hinzutreten, um daraus eine Wohnstättenbezeichnung zu machen wie in Zihlmann und Portmann. Die häufige Verwendung von Diminutiven im Appellativwortschatz zeigt sich auch im Namenwortschatz. Die Familiennamen werden einerseits mit dem gemeinalemannischen Suffix -li zur Bildung von Diminutiva erweitert wie in Röösli, Renggli, aber auch mit dem aus ahd. -Ưn entwickelten -i wie in Hari. Das Endungs-i kann jedoch auch zur Bildung eines Nomen agentis dienen wie in Wicki zum Verb mhd. wicken ‚tanzen, hüpfen, zaubern, wahrsagenǥ für jemanden, der diese Eigenschaften erfüllt. Auffallend sind schwache Genitivformen auf -en, die häufig in Frutigen vorkommen, einerseits von Adjektiven wie in Grossen, Reichen, andererseits von Personennamen wie in Pettschen, Pieren. Inhaltlich sind diese Formen als patronymische Bildungen *(des) Reichen, (des) Pieren zu lesen. Ein spezieller Namentyp der Wohnstättennamen sind diejenigen mit Präposition und/oder Artikel plus Toponym, sogenannte syntagmatische Bildungen, –––––––— 15
16
Braune/Eggers 1987, 94f.: Im Althochdeutschen gibt es zu Acker zwei Formen, eine mit westgerm. Gemination ahd. ackar aus vorahd. *akr- und eine ohne Gemination ahd. achar, die auf vorahd. *akar zurückgeht. Die Schreibung Krummenacker ist nach dem Familiennamenbuch in Genf als Bürgerort mit Herkunft Escholzmatt verzeichnet, dürfte also auf hyperkorrekte Schreibung in der romanischsprachigen Schweiz zurückgehen; die anderen Krummenacker sind aus dem Ausland zugezogen; Limacker gibt es keine.
Wie findet man Familiennamennester?
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wie von Känel, Zurbrügg, Zurkirchen, Zryd. Die Präpositionen sind bei dieser Art der Namenbildung im deutschsprachigen Raum mehrheitlich geschwunden; Ausnahmen bilden der Nord- und Südwesten, wo die Präposition erhalten und meist mit dem Substantiv zusammengerückt ist. In der Schweiz finden sie sich vor allem in alpinen Gegenden, so in den Kantonen Wallis, Bern und Uri (vgl. Kunze 2004, 95; Kully 2009, 376).
5. Fazit Die Häufigkeit der Gruppen korreliert mit soziologischen Gegebenheiten ländlicher Gebiete. Die Sprachformen der Namen reflektieren alemannische Gegebenheiten sowohl was Lautung als auch was Schreibung angeht. Aus der angewendeten Methodik lassen sich verschiedene Schlussfolgerungen ziehen. 1.
2.
Das Eruieren der typischen Namen geht über vier Schritte: 1) Auszählen der jeweilige(n) Gemeinde(n), 2) Auswahl der häufigsten Types, 3) prozentualer Vergleich mit dem Vorkommen in der Gesamtschweiz und – speziell für die Schweiz – 4) Abgleich der Daten mit dem Familiennamenbuch. Die bzw. einige der 40 häufigsten Namen sind zwar in absoluten Zahlen überall vertreten, sind aber in ländlichen Gebieten prozentual gesehen kaum auffallend, was teilweise mit der Verteilung der semantischen Gruppen auf städtische und ländliche Gebiete zu tun hat.
Ein Desiderat bleibt vorderhand noch die automatisierte Erstellung von Verbreitungskarten, wie sie in diesem Beitrag für Schwarzentruber und Pieren angefertigt wurden.
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Simone M. Berchtold
– (2007): Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg, Ostfildern. – (2009): Atlas der Familiennamen von Bayern, Ostfildern. Kristol, Andres u.a. (2005): Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen, Frauenfeld. Kully, Rolf Max (2009): Form und Inhalt der Deutschschweizer Familiennamen, in: Karlheinz Hengst / Dietlind Krüger (Hrsg.): Familiennamen im Deutschen. Erforschung und Nachschlagewerke. Leipzig, S. 365–392. Kunze, Konrad (2004): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet, 5., durchgesehene und korrigierte Auflage, München. Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch: http://germazope.uni-trier.de/ Projects/WBB/woerterbuecher/woerterbuecher/lexer/wbgui (Stand: Juli 2009). Nübling, Damaris / Kunze, Konrad (2006): New perspectives on Müller, Meyer, Schmidt. Computer-based surname geography and the German Surname Atlas project, in: Studia Anthroponymica Scandinavica 24, S. 53–85. – (2007): Der deutsche Familiennamenatlas (DFA). Konzept, Konturen, Kartenbeispiele, in: Beiträge zur Namenforschung 42, S. 125–172. Ortsnamenbuch des Kantons Bern (1976–2008): Begründet von Paul Zinsli; weitergeführt von Peter Glatthard. I Dokumentation und Deutung. 3 Teile (A–M), Bern. Sprachatlas der deutschen Schweiz (1962). Band I: Lautgeographie: Vokalqualität. Bearbeitet von Rudolf Hotzenköcherle und Rudolf Trüb. Bern [SDS]. Sonderegger, Stefan (2003): Aspekte einer Sprachgeschichte der deutschen Schweiz, in: Werner Besch et al. (Hrsg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Bd. 2.3, Berlin, New York, S. 2825–2888. Waser, Erika (1996): Die Orts- und Flurnamen des Amtes Entlebuch. 2 Bde. Hitzkirch (Luzerner Namenbuch 1). Schweizerdeutsches Wörterbuch (1881ff.): Begonnen von Friedrich Staub und Ludwig Tobler, fortgesetzt unter der Leitung von Albert Bachmann, Otto Gröger, Hans Wanner, Peter Dalcher und Peter Ott. Bd. 1ff. Frauenfeld [Idiotikon].
Internetadressen http://www.biosphaere.ch/de.cfm/home/unesco_biosphere/region_entlebuch/ (Stand: 10. 2. 2009).
Karl Hohensinner
Der Name Mayr/Mair/Mayer/Maier etc. im Oberösterreichischen Familiennamenatlas
Zusammenfassung Der Oberösterreichische Familiennamenatlas erfasst Familiennamen von Grundbesitzern im Bundesland Oberösterreich etwa um das Jahr 1827. Das Datenmaterial umfasst alle Grundstücke in allen Gemeinden. Jedem Grundbesitzer kann ein Punkt auf der heutigen Karte zugewiesen werden, Kombinationskarten sind möglich. Alle Karten werden (EDV-unterstützt) von Hand gezeichnet, nicht per Computer aus einer Datenbank generiert. Die hauptsächliche Fragestellung widmet sich hier der Verteilung des Namens Mayr, seiner Zusammensetzungen und des etymologisch nahe verwandten Namens Mayrhofer. Besonders berücksichtigt werden abgeschwächte und umgedeutete Formen bei zusammengesetzten Namen, bei denen -mayr das Zweitglied bildet.
1. Zum Oberösterreichischen Familiennamenatlas 1.1. Der Forschungsstand Familiennamenforschung im österreichischen Donauraum gibt es nur in Ansätzen. Eine familiennamengeografische Forschung (Erforschung und Darstellung der Verbreitungsgebiete von Namen und Namentypen) existiert noch nicht. Es war bis jetzt nur möglich, mehr oder weniger ungefähre Aussagen zur Familiennamengeografie zu machen. Für das vorliegende Forschungsprojekt wurde zuerst eine Pilotstudie angefertigt und dafür aus den Sammlungen des Oberösterreichischen Landesarchivs in Linz Erkenntnisse gewonnen. Zur Sondierung wurden etwa 30 Kartenentwürfe hinsichtlich der Verbreitung von Namen mit vermuteter Indikatorfunktion angefertigt. Vorbildfunktion hatte die traditionell übliche Kartierung im Bereich der Ortsnamen. Hier werden Namentypen wie -ing, -heim, -reit, -schlag in Karten eingezeichnet. Sie geben Aufschluss über die Sprach- und Siedlungsgeschichte eines Raumes.
1.2. Das Untersuchungsgebiet geografisch und als Sprachraum Geografisch strukturiert wird das Untersuchungsgebiet in West-Ost-Richtung von der Donau als historischer Verkehrsachse. Sekundäre Verbreitungsgebiete
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Karl Hohensinner
von Familiennamen werden in der Kartierung vor allem in den Städten im Donauraum sichtbar. Nördlich der Donau steigt das Gelände teils klein, teils größer strukturiert sukzessive bis zum Böhmerwaldkamm an, dessen Verlauf heute im Wesentlichen mit der Sprachgrenze gleichgesetzt werden kann. Auch historisch endete in diesem Bereich der deutsche Sprachraum, sieht man von dem manchmal breiteren, manchmal schmaleren deutschsprachigen Rand Böhmens ab, der im Spätmittelalter besiedelt und ab 1945 entsiedelt wurde. Südlich der Donau liegt der Bereich des Alpenvorlandes, ein weitgehend flaches Gebiet, das gelegentlich von Erhebungen (z.B. Hausruck) durchsetzt ist. Das österreichische Bundesland Oberösterreich (bis 1918 „Land ob der Enns“) wird traditionell in vier Landesviertel (auch Kreise genannt) gegliedert. Es sind dies das nach dem Fluss Inn benannte Innviertel, das Hausruckviertel (nach dem Höhenrücken Hausruck), das Traunviertel (nach dem Fluss Traun) und das nördlich der Donau gelegene Mühlviertel (nach dem Fluss Mühl). Das gesamte Gebiet gehört dem mittelbairischen Dialektraum an. Der Großteil des Gebiets formt einen in sich geschlossenen, relativ konservativen Block links und rechts des die gegenwärtige Staatsgrenze bildenden Inn. Das Innviertel und Hausruckviertel auf österreichischer Seite sowie das Rotttal, das Gebiet östlich der Vils bzw. östlich der Ilz oder grob gesprochen das Gebiet östlich der Isar und westlich der Enns bilden einen basisdialektalen Großraum. Da die gegenwärtigen Familiennamen auf Basis der spätmittelhochdeutschen bzw. frühneuhochdeutschen Regionaldialekte entstanden sind, wäre auch eine gemeinsame Betrachtung der Familiennamenlandschaft diesseits und jenseits der Grenze Erfolg versprechend. Der östliche Bereich des Bundeslandes Oberösterreich ist – ebenso wie das angrenzende Bundesland Niederösterreich – später von der bairisch/bayerischen Ostsiedlung erfasst worden. Welche Erscheinungen nun durch den Basisdialekt bedingt sind und welche möglicherweise durch außersprachliche Faktoren wie Einteilung von Betriebsgrößen der Bauerngüter im Frühmittelalter oder Flurund Gehöftformen, soll hinterfragt werden.
1.3. Die Materialbasis Als Grundlage der Kartengestaltung wurden die historischen Namen der Grundbesitzer verwendet. Die Darstellung verwendet die Verzeichnisse der Grundbesitzer zum franziszeischen Kataster (ca. 1827), die in den 1940er Jahren von Herbert Jandaurek angelegt wurden und handschriftlich im Oberösterreichischen Landesarchiv vorhanden sind (Freihandaufstellung im Lesesaal). Es handelt sich bei dieser Reinschrift um fünf Bände. Da über den Verbleib eines wahrscheinlich diesem Projekt zugrunde liegenden Zettelkatalogs nichts mehr bekannt ist, können Zusammenziehungen etymologisch gleicher Namenvarianten nicht mehr nachvollzogen werden. Diese betreffen vor allem die Ableitungen zu mittelhoch-
Der Name Mayr/Mair/Mayer/Maier
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deutsch huobe. Hier war ich gezwungen, einige Karten als „LandesviertelKarten“ zu fertigen, da die Huber, Hueber, Humer, Hurmer, Hubner, Huebner nach viertelweise voneinander abweichenden Kategorien zusammengefasst werden. Auch sind alle Mayr, Mayer, Maier usw. vereinheitlicht. Geht man auf der Zeitleiste dieses Katasters nach hinten, so sieht man in den urkundlichen Belegen, dass die Huber- und Mayr-Schreibungen im 17. und 18. Jh. auch zufällig sein konnten. Bei Mayr ist historisch und auch aktuell die von mir verwendete Form mit vorherrschend und wird in diesem Werk als Normalform angesetzt. Die im franziszeischen Kataster enthaltenen Besitzernamen stellen den Großteil der damals in Oberösterreich vorkommenden Familiennamen überhaupt dar. Es dürfte daher nur verhältnismäßig wenige Namen aus der Zeit von 1823 bis 1830 geben, die bei Jandaurek nicht berücksichtigt sind. Auch durch die Fälle, in denen derselbe Name bei mehrfachem Besitz zweimal oder öfter verzeichnet ist, wird das gewonnene Gesamtbild nur unwesentlich beeinflusst.
1.4. Das „Heider-Register“ (Genealogisch nachgewiesene Varianten zu Namenschreibungen des 17. und 18. Jahrhunderts in Oberösterreich) Ein Familienname (FN) kann sich in mehrere andere FN aufspalten, andererseits können auch FN verschiedener Herkunft in eine Schreibung zusammenfallen. Den überzeugenden Beweis dafür zu liefern ist meist schwierig, weil dazu familiengeschichtliche Forschungen notwendig sind. Zwar kann die Sprachwissenschaft auf Grund der Kenntnisse der allgemeinen und regionalen Sprachgeschichte Zusammenhänge als wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich bezeichnen, doch ersetzt dies nicht den genealogischen Beweis. Für Oberösterreich liegt der Glücksfall vor, dass von Josef Heider in den 1950er bis 1980er Jahren Register zu den Kirchenbüchern des Mühlviertels und des Salzkammergutes angelegt wurden. Mittlerweile sind schon einige Heimatkundler seinem Beispiel gefolgt, sodass auch Materialien aus anderen Landesteilen der Sprachwissenschaft zur Verfügung stehen. Wichtig ist immer der Beweis, dass Menschen mit ähnlichem Namen verwandt sind bzw. dass eine Person unter verschiedenen Namenvarianten auftritt. Von Josef Heider wurde oft dem jeweiligen Pfarrregister ein „Verzeichnis der in verschiedenen Schreibarten vorkommenden Familiennamen“ vorangestellt. Diese Listen könnte man als Konkordanzen oder Synopsen bezeichnen. So unwahrscheinlich manche Einträge auch scheinen mögen, sie sind alle genealogisch abgesichert und anhand des Materials relativ einfach überprüfbar. Im Anhang zum Oberösterreichischen Familiennamenatlas sind Konkordanzlisten zu mehreren Pfarren abgedruckt. Man soll sich hüten, hier (wie übrigens Heider selbst) von falschen, schlampigen oder lustigen Namensschreibungen zu sprechen. Im Gegenteil: Oft zeugen die Schreibungen von genauem Hinhören auf die gesprochene Namenform oder einem starken Bemühen um eine adäquate Umsetzung.
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Karl Hohensinner
Die Heider-Konkordanzen waren bei der Formulierung der den Karten zugrundeliegenden Fragestellungen von großer Bedeutung. Im Folgenden werden aus Heiders Konkordanzen Beispiele gebracht. Aus den Listen geht allerdings nicht hervor, welche Form die ältere ist oder ob die Formen jeweils ineinander übergehen können. Weiterhin ist für den Einzelfall nicht abzulesen, ob es sich um eine häufige oder um eine seltene Erscheinung handelt. Dazu müssten die Daten einzelner Familienmitglieder aus dem Register gesucht und zusammengestellt werden. Stiermayr – Stürmer Brunnmayr – Brummer – Brunner Ebmayr – Ebmer – Ebner Strohmayr – Stromer etc. Pruckner – Pruggmayer Zauner – Zaunmayer Grabmayer – Grabmer Huebmaier – Huebmer Lehmayer – Limayer – Lemer Lehenmayer – Lehmer – Lener Limmayer – Liemer Luegmayer – Luemer Luegmayer – Luchmayer – Luemer Luebmayer – Luebmar – Luemer Löbmayer – Lehmayer – Löhmer – Lemer – Lehner Neumayer – Nömayer – Nemer Stumbmayer – Stumer Hochwimmer – Hochwimmayer Kiemayer – Kiemer – Kümer Raimayer – Raimer Hallmayer – Hallmer Ebmayer – Ebmer Ramayer – Ramer – Raimer – Raimar Rabmayer – Romer – Roimer – Raumer Hartmann – Hartmayer Dallmayer – Dallmann
1.5. Prinzipen der Kartengestaltung Das historische Verzeichnis bringt alle Grundbesitzer des Katasters (ca. 1825) in alphabetischer Reihenfolge, mit Angabe der Katastralgemeinde und Grundherrschaft. Anhand dieser Angaben muss die heutige Zugehörigkeit zur entsprechenden politischen Gemeinde gesucht werden (aktuelle Volkszählungsdaten). Die Grundkarte wurde mit einem speziellen Zeichenprogramm entworfen, mit dem auch die Einzelkarten gezeichnet werden. Es werden maximal drei Namen oder Namenformen auf eine Karte gebracht. Verwendung finden die folgenden Symbole: rotes Dreieck, grünes Quadrat und blauer Punkt. Mehr Symbole sind nicht zielführend, da Karten in verschiedenen Zusammenhängen nutzbar sein sollen, Farbdruck in vielen Zeitschriften und Sammelwerken nach wie vor nicht
Der Name Mayr/Mair/Mayer/Maier
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üblich ist und die Karten sowohl als Vorlage für Farb- als auch für Schwarzweißdruck dienen sollen. Ein Symbol steht für einen Grundbesitzer/eine Grundbesitzerin im Kataster. Bei sehr häufigen Namen werden Zahlenangaben (siehe Karte 1) für extreme Häufungen geliefert. Dies war aber nur bei einer geringen Kartenanzahl nötig.
Karte 1: Mayr
2. Mayr/-mayr als Simplex und Kompositionsglied In den landesfürstlichen Urbaren Ober- und Niederösterreichs bildet sich das alte System der Meierhöfe ab. Dieses ist nicht zu verwechseln mit dem neuzeitlichen (barocken) System der Meierhöfe. Ersteres war so, dass die Grundherrschaft eine größere Anzahl von Höfen in Eigenbewirtschaftung hatte, die also nicht wie die Lehen und Huben an Bauern weitergegeben wurden.
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Karl Hohensinner
Die barocken Meierhöfe – der bekannteste ist in St. Florian – wurden als direkt neben dem Herrschaftssitz befindliche Großwirtschaften universellen Typs (mit vielfältigen Produktionszweigen) gegründet und betrieben. Sie haben ihren Vorläufer im Typ des mittelalterlichen Bauhofs, der ebenfalls oft Meierhof genannt wurde. Im Mittelalter gab es wesentlich mehr, aber auch wesentlich kleinere Grundherrschaften als im 17. Jh. Nach Zusammenlegung vieler Herrschaften wurden die ehemaligen Bau- oder Meierhöfe dieser ehemaligen Herrschaftssitze zu Bauerngütern, die aber oftmals noch den Namen Mayrhofer führten.
Karte 2: Mayrhofer
Grüll 1975, 228ff. bringt folgende Angaben: „Die alte Meierhofverfassung, also die Villikationsverfassung, findet sich in dem unter dem Kremsmünsterer Abt Friedrich I. von Ach um 1299 erstellten Urbar dargestellt. Es handelt sich hier um 21 beziehungsweise 22 Meierhöfe, die gleichzeitig der Sitz von Amtsleuten waren. Von ihnen wurden die Dienste eingehoben und dem Kloster verrechnet. Sie hatten ihre Wirtschaft beziehungsweise den Meierhof nur zur Verwaltung inne, besitzrechtlich aber gehörte er dem Stift, also der Grundherrschaft.
Der Name Mayr/Mair/Mayer/Maier
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Mithin waren die Amtshöfe direktes Eigentum des Stiftes und wurden von den Meiern (villici) nur verwaltet. Beim Abgang hatte der Meier das genau vorgeschriebne Inventar, das sogenannte ‚Hofgrichtǥ, seiner Herrschaft wieder zu übergeben. [...] Während in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch die Zahl der Amtshöfe (Meierhöfe) auf 24 stieg, kam es bereits gegen Ende dieses Jahrhunderts zu den ersten Umwandlungen (Vererbrechtungen) von Meierhöfen. [...] Im Jahre 1378 setzte sich die Stiftsherrschaft St. Florian aus folgenden Ämtern zusammen: Lilienhofen, Perg, Gemering, Neukirchen, Pirchhorn (2 Ämter), Summerau, Pfaffenhofen und Raffelstetten. Die Vorstände dieser Ämter waren die Stiftsmeier (villici) und die Zehentner (decimatores). [...] Nach Aufhebung der alten Villikationsverfassung blieben nur wenige Meierhöfe übrig, die zumeist in der Nähe des Stiftes lagen. Bei St. Florian war dies der Fall. So wurde der neue Stiftsmeierhof im Jahre 1676 in der nächsten Nähe des Stiftes gebaut. Er gilt als größter monumentaler Bau eines Vierkanters in Oberösterreich überhaupt.“
2.1. Beispiele in mikrotoponymischen Studien Beispiele für Meierhöfe alten Typs finden sich bei Scharf 1993, Belegreihen hier gekürzt und die Höfe in Auswahl: „S. 37: Meyer in Thona: 1378 De curia in Tenn (Villicus in Taenn); 1603 Caspar Mair im Tannat und Anna; 1606 Leonhardt Lahner Mayer im Thonnath; 1625 Mayr Gueth im Tannach. S. 39: Luhammergut: 1378 De curia Lughaym; 1625 Lughamber Gueth vorher Mayr genannt. S. 44f.: Panglmayr: 1404 Item ym Forenpacch des Panhalben hof; 1445 Item Andreasinn de decima auf des Enngelhart Ponhalm hof; 1646 Pachlmayr Hof im Fernbach; 1646 Panchlmayr Guett und Söldten. S. 49: Meier in Fernbach: 1404 Ibid. Der Mayr; 1445 Ibid. Villicus Jorg im Fernpach; 1625 Mayr Gueth zu Fernbach; 1722 Mayr in Fehrnpach – Mayr Elisabeth und selige Thoman. S. 195: Meir zu Wallerstampf: 1378 De curia decimali in Walhenstampf; 1445 Ibid. De decima, dy man fürt gen Walhenstampf; 1625 Mayr Gueth zu Walchenstampf; 1716 Mayrguett zu Wallerstampf – Mayr Eva und selige Thoma. S. 219: Meier in Bach: 1378 Item curia in Pach; 1445 Item Pachmairinn; 1625 Mayr Gueth im Pach; 1720 Mayr-guett in Pach – Mayr Sophia und selige Martin.“
2.2. Verschiedene Typen bei zusammengesetzten Namen von Bauerngütern Im Urbar der Herrschaft Ebelsberg (Linzer Regesten, Band E 4 a, 100) von ca. 1670 wird eine Abgabe namens „Molter Gerechtigkeit“ beschrieben: Danach folgt die Aufzählung der Ämter mit den in dieser Hinsicht abgabepflichtigen Höfen, wobei auffällt, dass viele den Namensteil Mayr tragen.
Es lassen sich bei den Mayr-Typen unterscheiden: 1. Komposita wie Khletzmayr, Obermayr, Nidermayr, Gattermayr, Mittermayr, Indermayr, Aussermayr, Parzmayr, Wißmayr, Pruckhmayr, Wastlmayr, Valtlmayr; 2. Simplizia mit beigefügten Ortsnamen wie Mayr zu Reith, Mayr im Graben, Mayr zu Schmitting, Mayr zu Tödtling, Mayr im Thonath;
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3. Simplizia mit nachgestellten Taufnamen: Mayr Stöphel, Mayr Georg und 4. Komposita mit Taufnamen: Mayrhannß. Da das Katastermaterial nur handschriftlich und nicht digital vorliegt, ist es nicht möglich, alle zusammengesetzten -mayr, -huber, -lehner usw. zu kartieren. Um eine Annäherung durchzuführen, wurden einige häufige Ortsadjektive Ober-, Mitter-, Nieder-, Vorder-/Föder-/Feder-, Hinter- kartiert, um auch daran die Hauptverbreitungsgebiete der Grundwörter festzustellen bzw. die Verbreitungsgebiete der Ortsadjektive festzustellen.
Karte 3: Oberhuber, Oberlehner, Obermayr
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Karte 4: Mitterhuber, -hubner, Mitterlehner, Mittermayr
Karte 5: Niederhuber, -huemer, Niederlehner, Niedermayr
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Karte 6: Vordermayr, Vormayr, Föder-, Federmayr
Karte 7: Hinterhuber, Hinterlehner, Hintermayr
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2.3. Weiterentwicklung der -mayr-Namen: „Schrumpfmayr“ und „falsche Mayr“ In Zusammensetzungen können -mayr und -mann zu -mar oder -mer, in Einzelfällen auch zu -ner verkürzt werden. Wird diese Verkürzung im Bemühen um eine „richtige Schreibung“ wieder aufgelöst, so kann -mann zu -mayr werden. Es lassen sich hierfür zahllose Beispiele aus dem Bereich der Hofnamen finden. Im Einleitungsteil wurde schon eine Beispielliste nach Heiders Konkordanzen gebracht. Oft ist ein abgeschwächtes -mayr nur in den urkundlichen Belegen nachweisbar, so sehr wurde es an andere Ableitungen angeglichen, wie Ebmayr – Ebmer – Ebner zeigt. Als Beispiel kann der Hofname Ebmer in der Eben dienen: Scharf 1993, 218: 1378 In Eben villicus; 1625 Ebmayr Gueth an der Ebm; 1750 und später vielfach: Ebmer in der Ebm; 1785 Ebner in der Ebm, später mehrfach: Ebmer; 1880 Ebnergut. Beispiele in mikrotoponymischen Studien: Wemmer (Gem. Steinhaus, Dichtl, Nr. 498): ca. 1325 in der Wenig; Wenighoff; 1526 Wengmair; 1584 Wenng; 1750 an der Wenig; 1788 Wengmair Gut; 1826 Wemmayergut; 1960 Wemmer (so auch dialektal). Zimmermann (Gem. Steinhaus, Dichtl, Nr. 306ff.) ca. 1270 Sibenmans; 1340 datz den Sibenmaiern; 1467 Sibenmairn; 1750 Symayrn; 1788 Sybmayr; 1825 Zimmermanngütl. Dürrwimmer (Gem. Steinhaus, Dichtl, Nr. 535): 1395 auf der dürren Widem; 1584 Dierwiben; 1641 Dirwibmayr; 1788 Dirwimer. Fellmer (Gem. Bruck-Waasen, Brandstetter Nr. 110): 1577 Fellmayr; 1631 Fellmayr; 1760 Fehlmayrgut; 1788 Fehlmayr, Michael Welly; 1825 Fellmayr. Fellmer auch dialektal. Moosmer (Gem. Bruck-Waasen, Brandstetter Nr. 138): 1518 Mosmair; 1750 Mosmayrgut; 1788 Mosmayr. Heute und dialektal Moosmer. Emmer (Gem. Bruck-Waasen, Brandstetter Nr. 214): 1613 Oedtmayrhof; 1647 Oedtmayrguet, Thobias Aschauer; 1788 Emer, Georg Aschauer; 1825 Ebner, Georg Aschauer; 1965 Edtmayergut; 1967 Emmer (auch dialektal). Weimar (Gem. Peuerbach, Brandstetter Nr. 974): 1526 Hans Weidmair; 1577 Weidmair; 1617 Weymayr; 1624 Weymayer, Albrecht Ortner; 1695 Weymayerguet, Wolf Gföllner; 1825 Weymergut, Jakob Eschlböck; 1967 Weimar, Anton Eschlböck. Schwimmer (Gem. Schleißheim, Dichtl, Nr. 255): 1637 Schmidtmayr, 1750 Schmidthof; 1788 Schmidhof; 1826 Schwimmer; 1882 Schmiedhof oder Schwimergut.
Die Endsilbe -mar wie in Dietmar kann aber auch zu -mann oder -mayr werden, wie in Dietmann, Dietmayr. Beispiel 1: Die Namen Stiermayr/Stürmer Stier im Sinne des männlichen Rinds kann sich mit -mayr zu Stiermayr verbinden. Nun kann i auch als ü verschriftlicht werden: Stürmayr. Tritt jetzt Verkürzung ein, so entsteht Stürmer. Liest man unter Stürmer in gängigen Namenlexika nach, so findet sich meist ein Hinweis auf den stürmischen Charakter des ersten Namenträgers. Stier kann aber auch auf altmundartlich Stirch ‚Baumstrunk‘ aus mhd. stürche zurückgehen, was die Bedeutung ‚Gegend mit absterbenden, verrottenden Baumstrünken‘ ergibt.
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Im Kataster von 1827 (Jandaurek 1938–42, Bd. 1: Mühlviertel) ist eine Beziehung zwischen Familiennamen und Hofnamen gegeben bei: Stürmer Anton, Bauer, Stürmergut, Penning St. Veit. Das Kartenbild zeigt Verbreitungsgebiete von Stiermayr und Stürmer, die einen gemeinsamen Ursprung nahelegen. Zum Vergleich wurde auch der Name Stier aufgenommen.
Karte 8: Stier, Stiermayr, Stürmayr, Stürmer
Ein ähnliches Beispiel: Brunnmayr und Brunner sind zwei verschiedene Namen, wenngleich auch beide auf bair.-mhd. prunne ‚Quelle, Brunnen‘ (Lexer I, Sp. 366) zurückgehen. Brunnmayr wird zu Brummer. Die Karte zeigt ein dichtes Überlagerungsgebiet der beiden Namen. Brunner ist dem Brummer lautlich so nahe, dass Vermischungen erwartet werden können. Beispiel 2: Stadlmayr/Stadlmann: Die Karte geht der Frage nach, ob die Namen Stadlmayr und Stadlmann (zu mhd. stadel ‚Stadel, Scheune‘ (Lexer II, Sp. 1127)) ineinander übergehen können.
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Von den 13 Namensträgern zu Stadlmann im Kataster sind vier von Beruf „Schiffmann“ und drei „Wirt“, vier „Bauer“ und zwei „Häusler“. Dadurch und durch die verschiedenen Verbreitungsgebiete ist zu vermuten, dass es sich um einen Namen handelt, der in Zusammenhang mit Schifffahrt und Flößerei entstanden ist. Das Wort Stadel (als Lagergebäude von Handelsgütern) spielt hier eine Rolle. Die Familiennamen Stadlmann und Stadlmayr weisen kein gemeinsames Verbreitungsgebiet auf.
Karte 9: Stadlmann, Stadlmayr
Beispiel 3: Die Namen Lamayr/Lachmayr/Labmayr: Dass -ch am Wortende oft auch in der Schreibung schwindet und oft fehlerhaft restituiert wird, ist häufig beobachtet worden, so auch bei Lachmayr/Lamayr/ Labmayr (ursprüngliches Lachmayr mehrdeutigen Ursprungs). Was sagt nun das Kartenbild aus (Karte 10: Verbreitung von Lamayr, Lachmayr, Labmayr, s. Anhang S. 362)? In einem kleinen Bereich am Inn finden sich alle drei Formen in auffälliger Nähe, was einen gemeinsamen Ursprung nahelegt.
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Ansonsten findet sich fast ausschließlich konservatives Lachmayr, was damit zu tun haben könnte, dass die Wortbedeutung noch zugänglich war. Als lautlich mögliche Entwicklung wäre auch ein Familienname Lamer oder Lahmer (so wie Pumer zu Buchmayr oder Öhmer zu Ebmayr) zu erwarten. Für den ähnlich gelagerten Lehmayr bringt Heider das genealogische Variantenspektrum Löbmayer – Lehmayer – Löhmer – Lemer – Lehner. Beispiel 4: Die Namen Neumayr/Nöhmer: Heider hat den Nachweis erbracht, dass Neumayer – Nömayer – Nemer genealogisch identisch sind. Das Bestimmungswort Neu- wird zu Ne- oder Nö-, genauso wie au im Bestimmungswort zu a reduziert werden kann (vgl. den Ortsnamen Mathausen statt Mauthausen).
Karte 11: Neumayr, Nömayr, Nö(h)mer
Ähnlich gelagert ist Nefischer aus Neufischer (Linzer Regesten, Band D I A 1, z.B. S. 76), welcher 1827 unter Nöfischer summiert ist, heute aber meist Nefischer geschrieben wird, mehrfach Nöbauer aus Neubauer, wie: Hofname
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Nöbauer (Gem. Eschenau, Brandstetter Nr. 591): 1526 Hanns Newpaur; 1593 Wolf Nöpaur; 1617 Georg Nöpaur; 1695 Nöpaurnguet, Georg Nöpaur; 1750 Nöpaurngut, Sebastian Kärl. Des Weiteren gibt es in Oberösterreich Nöratner aus Neuratner (zu Neuund -reut, ein Rodungsname): Vgl. Nörathner (Gem. Thalheim, Dichtl, Nr. 670): 1434 Neu Raett; 1467 Neurätt; 1526 Neurater; 1668 Nörräth; 1750 Nörräther Güettl; 1788 Nörathnergütl.
3. Fazit Geht man der räumlichen und zeitlichen Verteilung der Mayr/-mayr-Namen nach, so entstehen weitere Fragen. Besonders beim Vergleich der Karten 1 und 2 zeigt sich eine Komplementärverteilung von Mayr und Mayrhofer. Historische Kriterien aufzustellen, die einen -mayr-Namen begründen, ist extrem schwierig, da es dermaßen viele Namen dieses Typs gibt, sodass auch eine repräsentative Auswahl von Belegreihen eine enorme Arbeitsleistung erfordern würde. Simplizia und Komposita scheinen sich regional teilweise anders zu verhalten. Betrachtet man Karte 1, so scheint die altbayerische Grenze nicht von Bedeutung zu sein, betrachtet man hingegen die Karten 3 und besonders 4, so scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Mehrere Karten gehen der dialektalen Aufspaltung, bzw. Umdeutung von -mayr-Komposita nach. Genealogisches Material (Auswertung von Kirchenbüchern) wurde Fragestellungen zugrunde gelegt. Man hat den Namenbestand als solchen zu akzeptieren. Nicht alle Namen, die zu erwarten wären, wurden tatsächlich gebildet bzw. leben bis heute. Theoretisch könnte zu jedem historischen Hofnamen auf -mayr der entsprechende -mayr-Familienname existieren. Dies ist nicht der Fall. Es gibt auch keine in der Sprachwissenschaft begründete Erklärung, warum sich von einem -mayr kaum Namenträger ableiten, von einem anderen jedoch eine große Zahl. Dies dürfte vielmehr in der Nachkommenschaft einzelner Elternpaare begründet sein Dieses Prinzip scheint auch bei anderen Namen eine wesentliche Rolle gespielt zu haben und verzerrt einen realienkundlich-historischen Rückblick. Oft scheint die regional zahlreiche oder geringe Nachkommenschaft das Bild der Namenverteilung stärker zu dominieren als die tatsächliche Verbreitung des Berufes. Der Oberösterreichische Familiennamenatlas versucht, Wissen zusammenzutragen und zu kombinieren. Viele Einzelerkenntnisse sind herauszulesen, viele bis jetzt unbekannte Fragestellungen allerdings nun an die Wissenschaft herangetragen. Diese könnten in weiteren regionalen Studien weiter ausgeleuchtet werden.
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Literatur Bertol-Raffin, Elisabeth / Wiesinger, Peter (1989): Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Braunau am Inn (= Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich 1), Wien. – (1991): Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Ried im Innkreis (Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich 2), Wien. Brandstetter, Elisabeth (1969): Die Haus- und Hofnamen des ehemaligen Gerichtsbezirkes Peuerbach in OÖ, Dissertation, Wien. Dichtl, Irene (1966): Die Haus- und Hofnamen der Gemeinden Fischlham, Schleissheim, Steinhaus, Thalheim und Weisskirchen im pol. Bezirk Wels, Oberösterreich, Dissertation, Wien. Dopsch, Alfons (1904): Die Landesfürstlichen Urbare Nieder- und Oberösterreichs, Wien/Leipzig. Feichtinger, Hanna (1966): Die Hofnamen von Rossbach und St. Veit im Gerichtsbezirk Mauerkirchen, Hausarbeit, Wien. Förstemann, Ernst (1900, 1913): Altdeutsches Namenbuch. Bd. 1: Personennamen, 2. Aufl., Bonn; Bd. 2: Orts- und sonstige geographische Namen, 3. Aufl. Hrsg. von H. Jellinghaus, 2 Teile, Bonn. Grüll, Georg (1975): Bauernhaus und Meierhof. Zur Geschichte der Landwirtschaft in Oberösterreich, Linz (= Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 13). Hohensinner, Karl / Reutner, Richard / Wiesinger, Peter (2001): Die Ortsnamen der Politischen Bezirke Kirchdorf an der Krems, Steyr-Land und Steyr-Stadt (= Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich 7), Wien. Hohensinner, Karl / Wiesinger, Peter (2003): Die Ortsnamen der Politischen Bezirke Perg und Freistadt (= Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich 11), Wien. Hohensinner, Karl / Wiesinger, Peter (2006): Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes UrfahrUmgebung (= Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich 10), Wien. Lexer, Matthias (1872–1878): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd. I–III, Leipzig. Reutner, Richard / Bito, Helen / Wiesinger, Peter (1997): Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Vöcklabruck (= Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich 4), Wien. Reutner, Richard / Peter Wiesinger (1999): Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Gmunden (= Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich 6), Wien. Scharf, Franz (1993): Häuserchronik Marktgemeinde St. Florian, St. Florian. Schmeller, Johann Andreas (1872): Bayerisches Wörterbuch, 2. Aufl. von G.K. Frommann, München. Wiesinger, Peter / Reutner, Richard (1994): Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Schärding (= Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich 3), Wien. Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ) (1963–1999, 2000–2001): 4 Bde., Wien; Lief. 33 und 34, Wien.
Quellenverzeichnis Heider, Josef: Register zu den Kirchenbüchern des Mühlviertels und des Salzkammergutes. Maschinschriftliche Typoskripte in Freihandaufstellung im Oberösterreichischen Landesarchiv sowie in den jeweiligen Pfarrämtern. Jandaurek, Herbert (1938–42): Die Familiennamen des franziszeischen Katasters. 4. Bde. Linz. Handschriftl. Manuskript im Oberösterreichischen Landesarchiv. Linzer Regesten: D 1 A 1, D 1 A 2: Steyregger Regesten. E 4 a: Ebelsberger Urbare (masch.).
Andrea Brendler
Italienische Familiennamengeographie gestern und heute
Abstract The present paper outlines the history of the study of Italian surname geography. It is found that the study of Italian surname geography was ahead of international research in the late 1970s and early 1980s but fell behind in the following decades and has not yet caught up with the international state of the art.
1. Vorbemerkung Wenn wir uns ein Bild von der Geschichte der Familiennamengeographie machen, denken wir vor allem an eine große britische Leistung des späten 19. Jhs. (Guppy 1890) und die niederländische,1 sorbische (Wenzel 1994) und polnische2 Familiennamengeographie und natürlich derzeit an die Bemühungen um den Deutschen Familiennamenatlas (Nübling/Kunze 2005, 141–151). Wer denkt in diesem Zusammenhang schon an Italien? Und dennoch kommt von da zumindest für die Forschung der siebziger Jahre des 20. Jhs. sehr Bemerkenswertes.
2. De Felice – Pionier der Familiennamengeographie Pionierarbeit auf dem Gebiet der italienischen und internationalen Familiennamengeographie hat Emidio De Felice Ende der siebziger Jahre des letzten Jhs. geleistet. Zunächst erscheint 1978 sein Familiennamenbuch Dizionario dei cognomi italiani (Milano), in dem schon sehr konsequent – wenn auch nicht immer – grobe Angaben zur räumlichen Verbreitung und Häufigkeit der Familiennamen verzeichnet sind. 1980 folgt seine Monographie I cognomi italiani (Bologna), eine umfangreiche arealonomastisch-statistische Darstellung italienischer Familiennamen, die aus einer von der italienischen Telefongesellschaft SEAT zur Verfügung gestellten quantitativen Erhebung der Familiennamen aus den Telefonbüchern Italiens resultiert. Das Werk gilt in Italien bis heute als maßgeblich hinsichtlich familiennamengeographischer Fragestellungen und –––––––— 1 2
Nederlandse Familienamen Databank (http://www.meertens.knaw.nl/nfd). Skrypt rysujący mapĊ Polski na podstawie sáownika prof. Rymuta (http://www.genpol.com/ Mapa+main.html).
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kann überhaupt als eine der ersten erwähnenswerten Familiennamengeographien im internationalen Maßstab gelten. Sehr ausführlich stellt De Felice darin die verschiedensten Aspekte der Familiennamen in ihrer räumlichen Verteilung und Häufigkeit dar. Von ihm behandelte Themen seien im Folgenden in einer kleinen Auswahl kurz skizziert. So geht er zum Beispiel auf lexikalische Kriterien ein. Familiennamen können aus unterschiedlichen, für verschiedene Regionen typischen Lexemen mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung gebildet sein. Nehmen wir als Beispiel die Familiennamen aus Lexemen für den Beruf des Schuhmachers, der uns als fünf Typen entgegentritt (De Felice 1980, 304–305): (1) (2)
Calzolari oder Calzolai in Norditalien und in der Toskana Callegari mit unzähligen Varianten wie Callegaro, Callegaris, Callegher, Calligaro, Caligari, Calliari, Callaro, Callero, Calleris, Calliero in Norditalien (3) Ciabattini mit Varianten wie Ciabattari, Ciabattoni, Ciavattoni, Zavattaro in Mittelitalien (4) Scarparo mit Varianten wie Scarpari, Scarpieri, Scarparoli, Scarpi vorwiegend im Veneto (5) Pedullà vorwiegend in Reggio Calabria. Bezüglich morphosyntaktischer Kriterien gibt De Felice etwas mehr als 100 typische Suffixe italienischer Familiennamen an mit Angaben zu deren Verbreitung (De Felice 1980, 310–332) und ebenfalls vier Typen von Präfixen, und zwar a-, in-, inter- und s- (De Felice 1980, 332–333). Zu phonetischen Kriterien führt er zum Beispiel an: (1) Schwund der unbetonten Endvokale (Apokope): Schiavòn findet sich häufig im Veneto, wohingegen Schiavone dort kaum vorkommt (De Felice 1980, 335–336), was auch heutige Verbreitungskarten bestätigen (siehe Karte 1). (2) Spirantisierung von b zu v, wobei in einem Gebiet entweder die eine oder die andere Form überwiegt (De Felice 1980, 337), was auch die heutige Verbreitung der Familiennamen Balbo und Valvo zeigt (siehe Karte 2). Des Weiteren behandelt De Felice unter anderem sich durch unterschiedliche Vokalendungen unterscheidende Oppositionspaare von Familiennamen auf -o oder -e beziehungsweise -i sowie -a beziehungsweise -e oder -i für die einzelnen Regionen (De Felice 1980, 247–255), zum Beispiel Lombardo – Lombardi, Ventura – Venturi, Marchese – Marchesi, wo durchaus auch noch heute ein Nord-Süd-Gefälle deutlich wird. Hinsichtlich der Verbreitung nach den den Familiennamen zugrunde liegenden Bildungsmöglichkeiten überwiegen beispielsweise Familiennamen aus Rufnamen in Norditalien und der Toskana, wohingegen sie in Richtung Mittelund Süditalien abnehmen. Familiennamen aus Übernamen finden sich hingegen verstärkt in Süditalien mit Konzentrationen auf Sizilien und um Neapel (De Felice 1980, 233–234).
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Karte 1: Verbreitung der Familiennamen Schiavòn
Zu distributionalen Beziehungen zwischen der Grundform und mit dieser in Beziehung gesetzten Formen stellt De Felice fest, dass die Verbreitung einer Grundform mit der abgeleiteter Formen übereinstimmen kann oder auch nicht und dass abgeleitete Formen häufiger vorkommen können als die Grundform (De Felice 1980, 259–260). So ist zur damaligen Zeit Conti überwiegend in Mittelitalien, besonders in der Toskana, mit etwas Abstand auch in der EmiliaRomagna und in der Lombardei verbreitet, Contini findet sich hingegen am häufigsten in der Emilia-Romagna und in der Lombardei (De Felice 1980, 264). Darüber hinaus stellt De Felice anhand der räumlichen Verteilung von Familiennamen und deren Häufigkeiten auch Überlegungen hinsichtlich sozioökonomischer, politischer und kultureller Aspekte an und skizziert einzelne Namen-
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landschaften. Von Karten macht er bis auf zwei Ausnahmen, auf die noch zurückzukommen sein wird, keinen Gebrauch.
Karte 2: Verbreitung der Familiennamen Schiavone
3. Familiennamengeographie nach De Felice Eine so grundlegende, auf einer umfangreichen Datengrundlage und einer stringenten statistischen Methode fußende monographische Familiennamengeographie wie die De Felices sucht bis heute in Italien ihresgleichen und stellt auch über die Grenzen Italiens hinaus eine Seltenheit dar. Die italienische Fami-
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liennamengeographie nahm Anfang der achtziger Jahre des 20. Jhs. also eine führende Stellung ein, die mit Hilfe der zu jener Zeit verfügbar werdenden neuen technischen Möglichkeiten noch hätte weiter ausgebaut werden können. Jenseits der Arbeiten De Felices finden sich damals und später gelegentlich in Publikationen die Verbreitung von Familiennamen betreffende Aussagen (z.B. Papa 2006, 199–228, bes. 221–222; Pélissier 1997, 175–204;3 Rohlfs 1984; Rossebastiano 2006a, 71–89, bes. 82–86; ders. 2006b, 173–197, bes. 177–1804), und auch regionale Familiennamenbücher geben durchaus die räumliche Verteilung der Familiennamen des jeweiligen Gebiets an. Insgesamt wird es aber für einige Zeit recht ruhig in Sachen italienischer Familiennamengeographie. Machen wir also einen großen Sprung von ungefähr zwei bis drei Jahrzehnten. Heute ist es vor allem Enzo Caffarelli, der sich der italienischen Familiennamengeographie annimmt. In verschiedenen Publikationen behandelt er auf der Grundlage namenstatistischer Untersuchungen sehr ausführlich die einzelnen italienischen Regionen, und zwar unter anderem hinsichtlich phonetischer, morphologischer und namentypologischer Aspekte (Caffarelli 1999a; ders. 2000; ders. 2001; ders. 2002, 11–42; ders. 2004, 663–726; ders. 2005a, 225– 248; ders. 2005b, 593–612; ders. 2006, 619–714; ders. 2007, 331–400; ders. 2008, 9–68). Dabei werden sowohl Vergleiche mit den Ergebnissen von De Felice angestellt als auch Charakteristika der einzelnen Regionen herausgestellt. Außerdem erfolgt auch hier die Beschreibung von Namenlandschaften. Die einzelnen Regionen werden dabei nicht nur in ihrer Gesamtheit dargestellt, sondern es werden auch die jeweiligen Provinzen, Gemeinden und Provinzhauptstädte näher beleuchtet. Caffarelli untermauert seine Aussagen leider nicht mit Kartenmaterial, durch welches bestimmte Ergebnisse schneller, also auf einen Blick, erkennbar würden, ohne dass sich der Leser erst durch Unmengen von Tabellen und verbal erläuterter Zahlenwerte kämpfen muss. Auch das romanistische Großprojekt Patronymica Romanica zieht die statistisch untermauerte Familiennamengeographie in Betracht und kann hierfür auf Daten, die vom italienischen Finanzministerium zur Verfügung gestellt wurden, zurückgreifen.5 Ende 2008 ist in Italien bei UTET ein neues Familiennamenbuch, bearbeitet von Enzo Caffarelli und Carla Marcato, erschienen (Caffarelli/Marcato 2008), das in fast 35.000 Artikeln etwa 60.000 Familiennamen verzeichnet, wobei für jeden Familiennamen auch dessen räumliche Verbreitung und teilweise seine Häufigkeit (Rang) angegeben ist (die Angaben spiegeln die Situation um das Jahr 2000 wider). Betrug die Anzahl der behandelten Familiennamen bei De Felice noch 15.000, so ist sie jetzt also um ein Vielfaches gestiegen.
–––––––— 3 4 5
Kritisch dazu Caffarelli 1999b, 287–306. Jeweils mit Verbreitungskarten. Freundliche Auskunft von Dieter Kremer.
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4. Familiennamengeographische Präsentation Wie deutlich geworden sein sollte, wurde trotz umfangreicher Arbeiten zur Verbreitung von Familiennamen die kartographische Darstellung derselben bisher jedoch weitgehend unterlassen. Immerhin zwei sehr vorbildliche Karten legt De Felice seiner bereits erwähnten Monographie zu den italienischen Familiennamen bei.6 Diese erinnern durchaus an Karten, wie sie derzeit in der internationalen Familiennamengeographie hergestellt werden. Wenn man bedenkt, dass die Ende der siebziger Jahre (sein Buch erschien 1980) zur Verfügung stehenden Mittel wohl bei weitem nicht mit den heutigen technischen Möglichkeiten vergleichbar sind, wird einem deutlich, wie wenig Grundlegendes sich trotz neuer technischer Möglichkeiten im Bereich der Kartierung von Familiennamen getan hat. Familiennamenkartierung und die zugrunde liegende Statistik ist im Grunde nur schneller geworden. Wie bereits angemerkt, wurden De Felices zwei Versuche der kartographischen Darstellung familiennamenkundlicher Aspekte in der Folgezeit von der italienischen Familiennamenforschung kaum aufgegriffen, obwohl die heutigen technischen Möglichkeiten mit der Verfügbarkeit riesiger digitaler Familiennamenverzeichnisse und elaborierter Kartierungssoftware (insbesondere die leistungsstarken geographischen Informationssysteme) die Kartierung beinahe zur Routinetätigkeit werden lassen. Doch auch in Italien besteht – wie in Deutschland mit Geogen7 oder Verwandt8 – die Möglichkeit, sich im Internet Karten zur Verbreitung von Familiennamen zu erstellen. So steht zum Beispiel seit Ende 1999 mit GENS9 ein von Historikern entwickeltes Programm zur Kartierung der räumlichen Verteilung von Familiennamen in Italien zur Verfügung. Als Datengrundlage dienen die mehr als 20 Millionen privaten Telefonanschlüsse, die in mehr als 5 Millionen Datenbankeinträge komprimiert wurden. Das Programm ermöglicht die Wahl aus drei verschiedenen Karten: (1) (2) (3)
eine Grundkarte nach Regionen, eine Grundkarte nach Provinzen oder eine physische Karte.10
Wie bei jeglichem Quellenmaterial, so muss jedoch auch bei digitalen Familiennamenverzeichnissen Quellenkritik betrieben werden. Insbesondere wenn die Quelle nicht genau bekannt ist – wie im Falle von GENS –, sollte man besondere Vorsicht walten lassen. Die in dieser Hinsicht vorhandenen Unzulänglichkeiten des erwähnten Programms sollen daher an dieser Stelle kurz an einigen –––––––— 6 7 8 9 10
De Felice 1980, vor S. 25. http://christoph.stoepel.net/geogen/v3/. http://www.verwandt.de/karten/. http://www.gens.labo.net/it/cognomi/. Ausführlichere Informationen zur Anwendung von GENS finden sich in Brendler 2007, 76–84.
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Beispielen erläutert werden, die mir freundlicherweise Enzo Caffarelli zur Verfügung gestellt hat.11 Schauen wir beispielsweise in ein Telefonbuch der Stadt Bari, so sind dort ausschnittsweise die einzelnen Einträge wie folgt gelistet: RICCI Andrea " Bianca " Giovanni " Giuseppe " Giuseppe " Lucia " Maddalena " NANNA Carla " Osvaldo " Piero " Salvatore " Vincenzo
Interessant ist nun der Doppelname Ricci Nanna. Nach der Digitalisierung dieser Daten sollten wir normalerweise folgende Auflistung erhalten: RICCI Andrea RICCI Bianca RICCI Giovanni RICCI Giuseppe RICCI Giuseppe RICCI Lucia RICCI Maddalena RICCI NANNA Carla RICCI Osvaldo RICCI Piero RICCI Salvatore RICCI Vincenzo
Dem ist jedoch nicht so, und zwar in genau den Fällen, wo Doppelnamen vorkommen: RICCI Andrea RICCI Bianca RICCI Giovanni RICCI Giuseppe RICCI Giuseppe RICCI Lucia RICCI Maddalena RICCI NANNA Carla RICCI NANNA Osvaldo RICCI NANNA Piero RICCI NANNA Salvatore RICCI NANNA Vincenzo
Man kann sehen, dass ab dem Auftreten des Doppelnamens Ricci Nanna auch alle weiteren Einträge diesen Doppelnamen aufweisen, obwohl eigentlich nur –––––––— 11
Persönliche Mitteilung vom 29. Juli 2008.
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Ricci erscheinen dürfte. Das hat zur Folge, dass sich laut zugrunde gelegter Telefon-CD-ROM in Bari 35-mal der Name Ricci Nanna findet, obwohl er in Wirklichkeit nur 1-mal vorkommt. Im Falle von Ricci ist das Fehlen von 34 Namenvorkommen jedoch relativ irrelevant, da es sich um eine sehr häufig vorkommende Familiennamenform handelt. Fatal wird es hingegen bei Familiennamen geringeren Vorkommens, die teilweise sogar komplett verschwinden können, wie zum Beispiel Bertolini in Darfo Boario Terme (Provinz Brescia, Lombardei). Da an erster Stelle im Telefonbuch der Eintrag Bertolini Albertinelli verzeichnet ist, wurden bei der Digitalisierung alle folgenden Einträge, die eigentlich Bertolini lauten müssten, in Bertolini Albertinelli transformiert. Zur Veranschaulichung ein weiteres Beispiel: Nehmen wir den Familiennamen Bartoli Agostinelli. Nach GENS findet sich dieser ausschließlich in Ancona. Schauen wir nun auf die Verbreitung von Bartoli, dann müssen wir feststellen, dass es im Gebiet um Ancona, wo relativ viele Bartoli Agostinelli anzutreffen sind, kein Bartoli gibt, um so verwunderlicher, da doch in dem im Internet abrufbaren italienischen Telefonbuch (Paginebianche) 25 Einträge unter diesem Namen verzeichnet sind. Man kann nur schlussfolgern, dass auch in diesem Fall alle Bartoli aufgrund des an erster Stelle erscheinenden Bartoli Agostinelli verschwunden sind. Die Beispiele zeigen, dass das kritische Herangehen an jede Quelle bezüglich der Stimmigkeit des Quellenmaterials durchaus berechtigt ist und die Daten immer hinterfragt und – wenn möglich – überprüft werden sollten. Dennoch können Namenforscher aus Programmen wie dem vorgestellten GENS zweifellos ihren Nutzen ziehen, vor allem wenn bestimmte großflächige Aussagen getroffen werden sollen und es nicht um seltene Familiennamenformen in einzelnen Orten geht. Eine hinsichtlich der Angaben zur Verbreitung italienischer Familiennamen zu empfehlende CD-ROM ist die der Paginebianche von SEAT, die eine Funktion bereithält, mit der bis hin zu den einzelnen Gemeinden die genaue Anzahl der Familiennamen abgefragt werden kann, allerdings ohne kartographische Darstellung. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich bis auf sehr wenige Ausnahmen in Italien keine Familiennamengeographie mittels Karten nachweisen lässt. Es kann also Dieter Kremer nur zugestimmt werden, der 2005 in Turin gefordert hat, für die italienische Familiennamenforschung eine „onomastische Kartographie“ ins Leben zu rufen, um Namenlandschaften, die sich über die Jahrhunderte auch ändern können, sichtbar werden zu lassen (Kremer 2006, 12). Eine Art von Projekt, die für familiennamengeographische Erhebungen interessant sein könnte, auch wenn sie nicht von namenkundlicher, sondern von genealogischer Seite initiiert wurde, ist „Friuli in prin“, das vom Staatsarchiv Udine koordiniert wird.12 Für genealogische Zwecke wurden historische Dokumente, und zwar zunächst Eheschließungsurkunden für den Zeitraum von 1871 bis 1930 der gesamten Provinz Udine und teilweise Einberufungsunterlagen der –––––––— 12
http://www.friulinprin.beniculturali.it/.
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Jahrgänge von 1846 bis 1890 (weitere sollen folgen), aufgearbeitet und in einer Datenbank hinterlegt. Ziel ist es, vier Generationen zwischen dem 18. und 19. Jh. aufzuzeigen, einer wichtigen Zeit demographischer und sozialer Veränderungen. Laut den Organisatoren will man also bis zu einer Zeit zurückgehen, wo für viele die familiäre Erinnerung einsetzt. Die Datenbank enthält sowohl Angaben über Vor- und Familiennamen der entsprechenden Personen als auch Angaben zum Beruf oder zu eventuell vorhandenen Übernamen. Aus familiennamengeographischer Sicht relevant sind nun die Funktionen „diffusione di un cognome“ („Verbreitung eines Familiennamens“) und „diffusione storica dei cognomi per comune“ („historische Verbreitung eines Familiennamens in einer Gemeinde“), die man per Mausklick abrufen kann. Allerdings finden sich diese beiden zur Benutzung der Datenbank nützlichen Links (sowie weitere) nur innerhalb der Beschreibung des Projektes (Link „Friuli in prin: Il Progetto“ [„Friuli in prin: Das Projekt“]), an anderer Stelle erscheinen sie nicht. So erhalten wir unter „diffusione di un cognome“ („Verbreitung eines Familiennamens“) eine alphabetische Auflistung der verzeichneten Familiennamen. Wählen wir nun einen Familiennamen aus, indem wir auf diesen klicken, erhalten wir eine Übersicht, die nach Jahrzehnten geordnet mit Angabe des Vorkommens die Gemeinden anzeigt, in denen der Familienname auftaucht. Unter „diffusione storica dei cognomi per comune“ („historische Verbreitung eines Familiennamens in einer Gemeinde“) erhalten wir eine alphabetische Liste der Gemeinden, aus denen wir durch Klicken eine auswählen können. Nun erhalten wir eine Liste aller in der jeweiligen Gemeinde vorkommenden Familiennamen. Außerdem erfolgt jeweils eine nach Jahrzehnten geordnete Angabe der Häufigkeit. Des Weiteren ist eine gezielte Suche nach bestimmten Familiennamen möglich, indem man auf der Hauptseite den Link „Friuli in prin: Accedi alla Banca Dati“ („Friuli in prin: Zugang zur Datenbank“) betätigt. In die erscheinende Suchmaske kann man dann den jeweiligen Familiennamen ganz oder teilweise und weitere Angaben wie Vorname, Wohnort, Geburtsjahr, Geschlecht eingeben und erhält bei alleiniger Eingabe des Familiennamens alle diese Namen tragenden Personen. Die vorhandene Datenbank mit all ihren Informationen könnte nun sehr gut als Grundlage für eine kartographische Aufbereitung dienen, um bestimmte onymische Phänomene sichtbar werden zu lassen. Wünschenswert wäre an dieser Stelle, noch größere Datenmengen in eine solche Datenbank einzuspeisen, also auch weiter zurückliegende Dokumente mit einzubeziehen. Die Auswertung einer solchen Datengrundlage für jede einzelne italienische Region würde letztendlich – kombiniert mit den aus der Auswertung von Telefonbüchern gewonnenen Ergebnissen – ein umfassendes Bild der historischen Entwicklung der unterschiedlichen italienischen Familiennamenlandschaften ergeben, womit wir wieder bei dem bereits erwähnten Wunschgedanken von Dieter Kremer wären. Dass es nicht langfristig bei einem Wunschgedanken bleiben muss, machen die derzeit noch zaghaften Anfänge deutlich.
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Andrea Brendler
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Javier Caro Reina
Familiennamengeographie in Spanien 1 auf der Grundlage von Telefonbüchern
Abstract This paper intends to contribute to the computer-based surname geography, which has experienced growing interest in recent years, especially in Germany with the publication of the German Surname Atlas (Deutscher Familiennamenatlas). The study of surnames in Spain offers a broad area of research including Galician, Castilian, Basque and Catalan onomastic systems. A database consisting of fixed network telephone lines from 2005 will enable us to study systematically not only the frequency of certain surnames or surname types but also graphematic, phonematic and morphematic variation. The results gained will be illustrated with maps showing the geographical distribution of selected cases. This procedure will be applied for surnames derived from first names, occupations, place of provenance, place of residence, and nicknames.
1. Einleitung Ziel dieser Arbeit ist es, am Beispiel ausgewählter Familiennamen (FamN) aus den Gruppen der Patronyme, Berufsnamen (BerufsN), Herkunftsnamen (HerkunftsN), Wohnstättennamen (WohnstättenN) und Übernamen (ÜberN) zu zeigen, welche Möglichkeiten sich aus unserer Datenbank und unserem Kartierungsprogramm für die systematische Untersuchung der Familiennamengeographie in Spanien erschließen. Die Materialgrundlage für die Datenbank beruht auf den privaten Telefonfestnetzanschlüssen (Telef.) von 2005, die in digitaler Form erfasst wurden. Nur in Einzelfällen werden folgende Gebiete Frankreichs berücksichtigt: das Département Pyrénées-Atlantiques für die baskischen FamN und das Département Pyrénées-Orientales für die katalanischen FamN im Rosselló. Als Quellen dienen die Datenbanken www.pagesjaunes.fr und www.geopatronyme.com. Während die Daten auf www.pagesjaunes.fr einen direkten Vergleich mit den Telefonanschlüssen in Spanien ermöglichen, beziehen sich die Daten auf www.geopatronyme.com auf Geburtsurkunden in verschiedenen Zeiträumen ab 1891. Diese Geburtsurkunden wurden vom Institut National de la Statistique et des Études Économiques (INSEE) zur Verfü–––––––— 1
Ich bedanke mich herzlich bei Amaia Echevarría aus Bizkaia (Spanien), die die Datenbank mit den spanischen Familiennamen erstellt hat, sowie bei Rudolf Post von der Universität Freiburg, der das Kartierungsprogramm entwickelt hat.
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Javier Caro Reina
gung gestellt. Die Angaben zu den FamN in Deutschland (Stand 2005) wurden der Datenbank des Deutschen Familiennamenatlas (DFA) entnommen. Die Datenbank der spanischen FamN enthält eine Gesamtzahl von 11.623.759 Privatanschlüssen mit 285.256 verschiedenen FamN. Davon kommen 164.806 nur einmal vor (zum Vergleich: Der DFA basiert auf 28.205.713 Anschlüssen mit 1.095.991 FamN, davon sind 245.330 Doppelnamen und 553.153 Namen, die nur einmal belegt sind). Allerdings durften nur die Telef. derjenigen Anschlussinhaber verwendet werden, die mit der Nutzung ihrer Daten für Werbezwecke einverstanden waren.2 Anhand der Datenbank können Listen mit der Häufigkeit eines beliebigen FamN pro zweistellige Postleitzahlbezirke (PLZ) erstellt werden. Diese zweistelligen PLZ stimmen mit den 52 Provinzen Spaniens überein (01*** für Álava, 02*** für Albacete, etc.). In Spanien ist der Gebrauch von zwei FamN üblich (i.d.R. Name des Vaters an erster Stelle gefolgt von dem der Mutter). Die angegebene Häufigkeit eines FamN kann sich auf den ersten (z.B. Isabel García Manzano), auf den zweiten (z.B. Mercedes Figueras de las Heras) oder auf beide FamN (z.B. Marco García García) beziehen. Die Tatsache, dass derselbe Namenträger zwei identische FamN haben kann, erschwert eine exakte Berechnung der Namenträger pro Telefoneintrag. Zur Darstellung der geographischen Verbreitung der untersuchten Namen und Namentypen wurde ein Kartierungsprogramm entwickelt, mit dem die Ergebnisse auf zwei unterschiedlichen Karten dargestellt werden können: Karten mit einer absoluten und Karten mit einer relativen Namenverbreitung. Während die Karten mit einer absoluten Namenverbreitung wiedergeben, wie viele Einträge eines FamN pro PLZ vorhanden sind, wird auf den Karten mit einer relativen Namenverbreitung der prozentuale Anteil des betreffenden Namens in den PLZ in Promille angezeigt. Auf diese Weise werden die Bevölkerungsdichten in Provinzen wie Madrid, Barcelona, etc. ausgeglichen. Die relativen Karten sind für die Lokalisierung des mittelalterlichen Ursprungsraums von FamN geeignet, da sie meistens von den großen neuzeitlichen Migrationsbewegungen unberührt bleiben. Die Verbreitung des FamN García, der mit 776.600 Telef. der häufigste FamN in Spanien ist, wurde auf einer absoluten (K. 1, Karten s. am Ende des Beitrags) und einer relativen Karte (K. 2) dargestellt. Der DFA kann ein- (z.B. 7****) bis fünfstellige (z.B. 79102) PLZ-Karten erstellen. Die folgende Unter–––––––— 2
Im Folgenden wird der Anteil der Telef. nach Provinz absteigend angegeben, der nicht in die Datenbank integriert werden konnte: Vizcaya 28,12%, Cádiz 25,65%, Valencia 25,62%, Albacete 25,41%, Cantabria 23,36%, Guipúzcoa 23,26%, Murcia 20,46%, Castellón 19,10%, La Coruña 18,53%, Pontevedra 16,97%, Huelva 16,10%, Álava 14,91%, La Rioja 14,74%, Balearische Inseln 14,39%, Alacant 12,49%, Navarra 11,11%, Lugo 6,68%, Madrid 5,38%, Ourense 4,62%, Cuenca 1,11%, Sevilla 0,85%, Córdoba 0,55%, Jaén 0,53%, Málaga 0,46%, Granada 0,44%, Ciudad Real 0,42%, Toledo 0,22%, Zaragoza 0,19%, Barcelona 0,15%, Almería 0,13%, Guadalajara 0,10%, Asturien 0,06%, Valladolid 0,06%, Zamora 0,05%, Ceuta 0,05%, Girona 0,03%, Burgos 0,03%, León 0,03%, Lleida 0,03%, Tenerife 0,03%, Huesca 0,03%, Salamanca 0,03%, Palencia 0,02%, Segovia 0,02%, Soria 0,02%, Ávila 0,01%, Teruel 0,01%, Palmas 0,01%, Tarragona 0,01%, Badajoz 0,00%, Cáceres 0,00%, Melilla 0,00%.
Familiennamengeographie in Spanien auf der Grundlage von Telefonbüchern
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suchung beschränkt sich auf Karten nach zweistelligen PLZ. Beim Vergleich der autonomen Städte Ceuta und Melilla, die den Status einer Provinz haben, mit den übrigen Provinzen Spaniens muss berücksichtigt werden, dass sie geographisch viel kleiner sind. Dies kann zur Folge haben, dass sich Dichten in diesen zwei Städten herausbilden. Der baskische FamN Echevarría ‚Neuhaus‘ (vgl. romanische Varianten wie kast. Casanueva, katal. Casanova) weist zahlreiche Varianten auf (nach Oyhamburu 1991/92, Bd. II, 946 insgesamt 89): Echevarría/Etxevarría/Etchevarría mit graphematischer Alternanz -ch-/-tx-/-tch- im Stamm etxe ‚Haus‘, Echevarría/ Echavarría mit vokalischer Alternanz -e-/-a- im Auslaut des Stamms etxe,3 Echevarría/Echeverría mit vokalischer Alternanz -a-/-e- im Stamm berri ‚neu‘, Echebarría/Echevarría mit konsonantischer Alternanz -b-/-v- im Stamm berri, Echevarría/Echevarri mit bzw. ohne den suffigierten bestimmten Artikel a.4 All diese Varianten können anhand von sog. regulären Ausdrücken erfasst werden, die aus der Datenbank folgendermaßen herausgefiltert werden können: Die Alternanz von einem oder mehreren Buchstaben wird zugelassen, indem sie durch einen Strich getrennt und zusätzlich in Klammern gesetzt werden, also (ch|tx|tch), (a|e) und (b|v) für die ersten vier Fälle Echevarría/Etxevarría/Etchevarría, Echevarría/Echavarría, Echevarría/Echeverría und Echebarría/Echevarría. Der fakultative Charakter eines Buchstabens wird durch ein Fragezeichen gekennzeichnet, also a? für den letzten Fall Echevarría/Echevarri. Wenn sich das Fragezeichen auf mehrere Buchstaben bezieht, werden diese in Klammern gesetzt. Die Abfrageformel E(ch|tx|tch)(a|e)(b|v)(a|e)rria? würde allerdings Varianten wie Chavarría oder Txabarri nicht erfassen und muss dementsprechend ergänzt werden. Die vollständige Abfrageformel (E(ch|tx|tch)|Ch|Tx)(a|e)(b|v)(a|e)rria? ergibt 45 verschiedene Varianten (Types), deren Vorkommen insgesamt 15.003 Telef. (Tokens) beträgt. Diese Types können dann nach verschiedenen Kriterien (graphematischen, phonematischen, morphematischen) in Typen gruppiert werden. In Tabelle 1 wurden sie nach dem Anlaut des Stamms etxe ‚Haus‘ getrennt. Typ Ech- 11.903
Typ Ch- 1.755 Typ Etx- 1.273 Typ Etch- 66 Typ Tx- 6
Echevarría 5.525, Echeverría 4.551, Echavarri 571, Echebarría 500, Echeberría 277, Echeverri 181, Echavarría 132, Echevarri 121, Echebarri 14, Echeberri 13, Echaverría 7, Echabarría 5, Echabarri 5, Echaverri 1 Chavarría 883, Chavarri 665, Chaverri 158, Chabarri 14, Chabarría 14, Chevarría 13, Chaberri 2, Chaverría 2, Cheverri 2, Chebarría 1, Cheverría 1 Etxeberría 745, Etxebarría 461, Etxevarría 26, Etxeverría 13, Etxabarri 11, Etxebarri 8, Etxeberri 6, Etxavarri 2, Etxabarría 1 Etcheverría 48, Etchevarría 7, Etcheverri 4, Etchaverri 2, Etcheberría 2, Etchebarría 1, Etcheberri 1, Etchevarri 1 Txabarri 4, Txabarría 1, Txevarría 1
Tabelle 1: Graphematisch-phonematische Variation im Stamm etxe ‚Haus‘
–––––––— 3 4
Zur Vokalalternanz e > a in Zweisilbern auf -e im Erstglied s. Michelena 1997, 25; Oyhamburu 1991/92, Bd. II, 946. Zum bestimmten Artikel in den baskischen FamN s. Michelena 1997, 35; Oyhamburu 1991/92, Bd. I, 121f.
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Javier Caro Reina
Die häufigsten Varianten Echevarría 5.525 und Echeverría 4.551 wurden auf K. 3 kartiert. Während Echevarría in Kantabrien, Vizcaya, Álava und La Rioja überwiegt, ist der Anteil von Echeverría in Guipúzcoa und Navarra deutlich höher. Das Kartenbild spiegelt außerdem die dialektalen Verhältnisse für die Varianten von bask. berri ‚neu‘ wider, da barri (mit -a- im Stamm) sich auf Vizcaya und Álava beschränkt (Michelena 1961, 60f.). Der Typ Etch- ist in Spanien mit 66 Telef. kaum vertreten. In Frankreich stellt er hingegen den häufigsten Typ dar (vgl. Echeverría 295 gegenüber Etcheverry 1.642, pagesjaunes.fr, 05.12.2010). Während Echeverría zwischen 1891 und 1915 auf Rang 175 der häufigsten FamN im Département Pyrénées-Atlantiques stand, war Etcheverry der meistgetragene FamN (geopatronyme.com, 5. 12. 2010). Diese Verhältnisse haben sich, wie die Telef. dieses Départements belegen, bis heute erhalten: 149 Telef. mit Echeverría stehen 1.006 Telef. mit Etcheverry gegenüber (pagesjaunes.fr, 5. 12. 2010). Die Familiennamengeographie kann sowohl auf der Basis von Telef. untersucht werden (vgl. Kunze/Nübling 2007 für Deutschland sowie den Beitrag von Udolph in diesem Band), als auch auf der Grundlage von Volkszählungen. Diese umfassen ein größeres Spektrum und gelten daher als genauer. Im Folgenden soll am Beispiel der FamN Rodríguez (< RufN Rodrigo) in Galicien und Ferrer (< katal. ferrer ‚Schmied‘) in Katalonien gezeigt werden, dass Telefondaten mit denen aus Volkszählungen durchaus vergleichbar sind. Unter http://servergis.cesga.es/website/apelidos/viewer.asp können FamN für die Region Galicien kartiert werden. Diese Daten beruhen auf einer im Jahre 2001 durchgeführten Volkszählung und wurden der Real Academia Galega von dem Instituto Nacional de Estadística (INE) zur Verfügung gestellt. Von 2.724.601 Einwohnern in Galicien tragen 236.756 (8,7%) den FamN Rodríguez (zur absoluten und relativen Verbreitung s. K. 4). Nach unseren Angaben gibt es in Galicien insgesamt 664.341 Telef. (263.840 in La Coruña, 206.797 in Pontevedra, 97.432 in Lugo und 96.272 in Ourense), der FamN Rodríguez ist 66.681 Mal belegt (20.629 in La Coruña, 20.788 in Pontevedra, 14.755 in Ourense und 10.509 in Lugo), sein Anteil beträgt also 10%. Die Häufigkeit der FamN in Katalonien kann auf der Homepage des Institut d’Estadística de Catalunya (IDESCAT) unter www.idescat.net in Form von Listen abgerufen werden. Einer der häufigsten FamN katalanischen Ursprungs ist Ferrer ‚Schmied‘. Er steht auf Rang 36 mit insgesamt 31.133 Namenträgern (d.h. 4‰ der Bevölkerung), davon 15.845 mit Ferrer als erstem und 15.288 als zweitem FamN. Von den insgesamt 2.125.357 Telefoneinträgen in Katalonien (1.604.867 in Barcelona, 208.925 in Girona, 199.317 in Tarragona und 112.248 in Lleida) erscheint der FamN Ferrer 11.635 Mal: 5.965 Mal als erster und 5.670 Mal als zweiter FamN. Tabelle 2 zeigt eine genaue Verteilung des FamN Ferrer in Katalonien nach IDESCAT und unserer Datenbank.
Familiennamengeographie in Spanien auf der Grundlage von Telefonbüchern Volkszählung (nach IDESCAT)
Barcelona Girona Tarragona Lleida
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Telefonanschlüsse
1. FamN 11.894 2.338 1.064 549
2. FamN 11.323 2.342 1.108 515
1. FamN 4.529 872 384 180
2. FamN 4.143 879 440 208
15.845 (2‰)
15.288 (2‰)
5.965 (3‰)
5.670 (3‰)
Tabelle 2: Verteilung des FamN Ferrer in Katalonien
Aus diesem Vergleich wird ersichtlich, dass erstens der FamN Rodríguez von 8,7% der Bevölkerung Galiciens getragen wird und 10% der Telefoneinträge hier ausmacht, zweitens, dass der FamN Ferrer ein Vorkommen von 4‰ in der Bevölkerung Kataloniens hat und 6‰ der Telefoneinträge Kataloniens entspricht, und drittens, dass unsere Daten, trotz geringer Abweichungen, genauso repräsentativ sein können wie die einer Volkszählung. Die Telef. haben außerdem folgende Vorteile: Der Umfang der Datenbank ist nicht nur wesentlich kleiner, die Daten beziehen sich auch, im Gegensatz zu den besprochenen Internetseiten, die nur eine Region erfassen, auf ein größeres Untersuchungsgebiet, in diesem Fall auf ganz Spanien.
2. Patronyme Die Patronyme bilden, mit Ausnahme von Katalonien und dem Baskenland, die wichtigste Gruppe der FamN in Spanien (Kremer 1996, 1268–1270; Schmid 2007, 392). Sie zeugen von dem Einfluss sozial-historischer Ereignisse (z.B. der Germanisierung und der Heiligenverehrung) auf die Namengebung. Die den Patronymen zugrundeliegenden RufN können u.a. präromanischer (z.B. García 776.600 ‚Bär‘,5 Ochoa 6.932 ‚(der) Wolf‘6), griechisch-römischer (z.B. Pedro 2.241, De Pedro 1.743, Pérez 408.732, Périz 384, Peris 5.089, Pere 241 < Petrus) und germanischer (z.B. Rodrigo 14.088, De Rodrigo 38, Rodríguez 463.521, Ruiz 187.134, Raurich 160 < Hrodric) Herkunft sein. Im Spätmittelalter war die Zahl der präromanischen RufN gering (vgl. Boullón 1999, 85). Diese wurden jedoch sehr häufig vergeben, wie die hohe Tokenzahl der entsprechenden FamN belegt. Während García in ganz Spanien verbreitet ist (vgl. K. 2), konzentriert sich Ochoa im Baskenland, in Navarra und in La Rioja. Menéndez Pidal (1956, 452) erklärt, dass sich der Vorname García im Westen Spaniens durch die Beziehungen zwischen dem Königreich Asturien und dem Königreich Navarra verbreitete. Oyhamburu (1991/92 Bd. II, 1075) –––––––— 5 6
Zur Etymologie von García s. Díez 1957, 124f.; Viejo 1998, 378. Zur Etymologie von Ochoa und Varianten s. Michelena 1997, 144; Oyhamburu 1991/92 Bd. III, 1938.
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Javier Caro Reina
macht hinsichtlich des FamN Ochoa darauf aufmerksam, dass es außerhalb des Baskenlandes die entsprechenden kastilischen Formen Lobo, Lope gab. Das suffigierte Patronym Rodríguez wurde wegen seiner hohen Frequenz kartiert (K. 5) und ergänzt somit K. 4. Die größten Dichten von Rodríguez finden sich in Galicien.7 In Tabelle 3 werden die Komposita 25 Tokens mit Rodrig- und seinen Kurzformen Rui- und Ru- im Erstglied aufgelistet: Rodrig-
( 25 Tokens)
Rui-
( 25 Tokens)
Ru-
( 25 Tokens)
Rodrigálvarez 291, Rodrigáñez 107 Ruipérez 956, -sánchez 290, -gómez 132, -loba 110, -lópez 39, -lope 33, -seco 28 Rupérez 1.220
Tabelle 3: Komposita mit Rodrig-, Rui- und Ru- im Erstglied
Im Spanischen lassen sich folgende patronymische Bildungsweisen unterscheiden: Nominativpatronyme, d.h. RufN, die ohne Suffix als FamN dienen (Typ Rodrigo), suffigierte Patronyme (vor allem mit dem Suffix -ez, Typ Rodríguez) und, ähnlich wie im Französischen,8 Patronyme mit der Präposition de ‚von‘ (Typ De Rodrigo), seltener mit dem zusammengezogenen Artikel del. Die Herkunft des patronymischen Suffixes -ez ist nicht eindeutig (Díez 1957, 128–136; Kremer 1996, 1268–1270). Die Verbreitung aller suffigierten Patronyme auf -ez 100.000 Tokens wurde auf K. 6 abgebildet. Folgende Patronyme liegen der Karte zugrunde: Typ -ez ( 100.000 Tokens) 12 Types/3.985.160 Tokens: González 480.463, Fernández 477.871, Rodríguez 463.521, López 448.429, Martínez 428.701, Sánchez 415.500, Pérez 408.732, Gómez 252.795, Hernández 178.454, Jiménez 174.625, Álvarez 155.068, Gutiérrez 101.001.
Man merke, dass die Tokenzahl dieser Patronyme ca. ein Drittel des Gesamtvolumens der Datenbank ausmacht. Aus der Karte geht hervor, dass die patronymische Endung -ez überall verbreitet ist. Dieses Suffix, das dem Katalanischen ursprünglich fremd war, gelangte mit der Reconquista nach Valencia. Hier erscheint es in der Form -is (Moll 2006a, 185; Rubio/Rodrigo 1997, 32f.). Zu den häufigsten Patronymen auf -is gehören Sanchis 7.871, Llopis 5.554, Peris 5.089 und Gomis 2.804, die sich hauptsächlich in der Region Valencia konzentrieren (K. 7). Die zahlreichen kastilischen Patronyme auf -ez in Katalonien gehen auf die Migration im 20. Jh. zurück (Badia 2004, 19).9 Die vier häufigsten Patronyme mit der Präposition de ‚von‘ sind De Miguel 3.472, De Diego 2.875, De Pablo 1.845 und De Pedro 1.743 und häufen sich im östlichen Teil von Kastilien-León (K. 8).10 Patronyme mit Präposition und Arti–––––––— 7 8 9 10
Der RufN Rodrigo (< Rudericus) gehörte nach Angaben Boullóns 1999, 83 zu den zehn häufigsten RufN Galiciens im Spätmittelalter. Vgl. Dauzat 1977, 304, K. Noms de famille auxquels s’est donnée une préposition. Vgl. die fünf häufigsten FamN in Katalonien García, Martínez, López, Sánchez und Rodríguez nach Angaben des Institut d’Estadística de Catalunya (IDESCAT). Wenn ein FamN auch als RufN gebräuchlich ist, kann er, um Missverständnisse bei der Namenfolge zu vermeiden, nach Artikel 195 des Reglamento del Registro Civil 1985 mit der Präposition de versehen werden. Dass die oben behandelte Bildungsweise älter sein muss, zeigt die Konzentration dieses Typs auf der Karte, weiter das Vorkommen von z.B.
Familiennamengeographie in Spanien auf der Grundlage von Telefonbüchern
125
kel sind selten (Del Diego mit 57 Telef., davon 28 in Burgos, ist der häufigste dieser Klasse).
3. Berufsnamen Die Vielfalt mittelalterlicher Berufsbezeichnungen hat sich in den BerufsN erhalten.11 In Tabelle 4 werden Beispiele für die Bereiche angegeben, auf die sich die BerufsN beziehen können: Bereiche
Beispiele
Landwirtschaft
galic. Cabreiro 9, kast. Cabrero 3.202, katal. Cabrer 411, Cabré 1.374 ‚Schäfer‘
Nahrungsmittelgewerbe
kast. Molinero12 4.123, katal. Moliner 2.881, Moliné 621 ‚Müller‘
Metallverarbeitung
galic. Ferreiro 6.681, kast. Herrero 34.390, kat. Ferrer 33.922 ‚Schmied‘
Holzverarbeitung
galic. Carpinteiro 18, kast. Carpintero 2.536, Carpentero 1, katal. Fuster 5.442, Fusté 1.209, Escarpenter 40 ‚Schreiner‘
Lederverarbeitung
galic. Zapateiro 6, kast. Zapatero 1.669, arag. Zapater 1.242, katal. Sabater 3.924, Sabaté 3.535, Savater 22, Savaté 9 ‚Schuster‘
Textilgewerbe
kast., katal. Sastre 8.607, galic., kast. Alfayate 332 ‚Schneider‘
Verwaltung
galic., kast. Escribano 11.429, Escrivano 48, katal. Escribà 1.028, Escrivà 2.368 ‚Schreiber‘
Hofämter
galic. Fidalgo 4.085, kast. Hidalgo 27.771 ‚Edelmann‘
Kirchenämter
galic. Freire 5.567, kast. Fraile 7.780, katal. Frare 4 ‚Mönch‘ Tabelle 4: Beispiele für BerufsN nach unterschiedlichen Bereichen
Die mittelalterliche Bezeichnung für ‚Schmied‘ geht in den iberoromanischen Sprachen auf den Reflex von lat. [FABER] FERRARIUS zurück und hat sich in den FamN galic. Ferreiro, leon. Ferrero, kast. Herrero, arag., katal. Ferrer13 niedergeschlagen. Dieser BerufsN wurde wegen seiner hohen Frequenz und dialektalen Vielfalt ausgewählt. Die Abfrageformel (F|H)(e|a)rrei?r?o? ( 250 To–––––––—
11 12 13
De Miguel mit 2.529 Telef. als zweitem FamN und historische Belege wie De Miguel zwischen 1543 und 1838 in Kastilien-León (familysearch.com, 5. 12. 2010). Zu den iberoromanischen BerufsN im Mittelalter s. Kremer 1976/77, 191–298; ders. 1980, 117–205; ders. 1981/82, 47–146. Im Gegensatz zum Deutschen, wo Müller mit 256.003 Telef. der häufigste FamN ist, gehört Molinero nicht einmal zu den 100 häufigsten FamN Spaniens (Faure 2005, 805f.). Bei Ferrer in Aragonien könnte es sich sowohl um eine importierte Form handeln als auch um eine heimische. Die Apokope von -o im Aragonesischen ist gegen Ende des 11./Anfang des 12. Jhs. belegt. Sie findet sich in Appellativa, häufiger in Toponymen und Anthroponymen und wird vor allem beim Suffix -ero ab 1121 reichlich nachgewiesen (vgl. Alvar 1953, 58–61; Menéndez Pidal 1956, 173–176; Rasico 1982, 110f.). Die apokopierte Form Zapater ‚Schuster‘ konzentriert sich beispielweise in Aragonien. Im Katalanischen ist bei Ferrer Konkurrenz zum RufN Ferrer zu berücksichtigen (DCVB V, 824).
126
Javier Caro Reina
kens) ergibt 6 Types/91.875 Tokens. Die Typen wurden getrennt nach dem Verhalten von etymologischem lat. f-, das sich im Galicischen, AsturischLeonesischen, Aragonesischen und Katalanischen erhalten hat, im Kastilischen hingegen zu h- wurde (vgl. Menéndez Pidal 1956, 490f., K. h en vez de f): Typ F- 57.485
Ferrer 33.922, Ferreiro 6.681, Ferrero 6.493, Ferré 5.624, Farré 4.765
Typ H- 34.390
Herrero 34.390
Tabelle 5: Phonematische Varianz F- vs. H- der span. BerufsN aus lat. FERRARIUS ‚Schmied‘
Kartiert wurden zum einen die Hauptvarianten Ferreiro, Ferrero, Herrero und Ferrer (K. 9), zum anderen die katalanischen Varianten Ferrer, Ferré und Farré (K. 10). Die Verbreitung der Formen Ferrer, Ferré und Farré ist für die katalanische Dialektologie relevant. Im Katalanischen wird auslautendes -r zwar geschrieben, gesprochen wird es jedoch nur im größten Teil des valenzianischen Dialekts, ansonsten ist es i.d.R. geschwunden (Badia 1994, 242f.; Moll 2006c, 115f.; Veny 2007, K. 27). Dieser Schwund trat erst nach dem 15. Jh. ein und hinterließ Spuren in der Schreibung der FamN (vgl. die in Badia 2004, 147 für Katalonien aufgeführte historische Sondierung für den BerufsN Sabater ‚Schuster‘, in der die jüngsten Belege Çabater 1497, Sabater 1513 noch keinen r-Schwund aufweisen).14 Die Formen Ferré und Farré (ohne auslautendes -r) finden sich vor allem in Lleida und Tarragona. Die Verbreitung anderer FamN auf -er/-é wie z.B. des WohnstättenN bzw. HerkunftsN Soler/Solé ‚Grundstück‘ und des BerufsN Fuster/Fusté ‚Schreiner‘ zeugt davon, dass in diesen zwei Provinzen die Schreibung an die Aussprache angepasst wurde (überwiegend Ferré/Farré, Solé, Fusté, etc.), während sich Girona, Barcelona, Castellón und die Balearischen Inseln durch eine eher konservative Schreibung auszeichnen (überwiegend Ferrer, Soler, Fuster, etc.). Die in Lleida auftretende Form Farré (mit -a- im Stamm) kann dadurch erklärt werden, dass im Nordwestkatalanischen unbetontes e vor dem Hauptton häufig zu a wird (Badia 1994, 160, DCVB V, 824). Die ersten historischen Belege für Farré sind bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. nachgewiesen.15 Um die heutige dialektale Verbreitung des Lautwandels e > a in Ferrer zu ermitteln, wurden die phonetischen Transkriptionen zum Lemma Herrero ‚Schmied‘ in den Fragebögen des Atlas Lingüístico de la Península Ibérica (ALPI) ausgewertet. Die Belege mit -a- sind im östlichen Teil der Provinz Huesca und in der Provinz Lleida anzutreffen. 16 Daraus lässt sich erschließen, dass sich die Verbreitung des FamN Farré mit der der dialektalen Form deckt. Das Vorkommen des FamN Farré im Ostkatalani–––––––— 14 15 16
Zu einer früheren Datierung dieses Lautwandels vgl. Colon 1952; Rasico 1982, 228. Diese Belege aus den PatRom-Materialien wurden mir freundlicherweise von Dieter Kremer zur Verfügung gestellt. Die betreffenden Belegorte sind: 609 Benasque, 612 La Pobla de Roda, 613 Benabarre, 614 San Esteve de Llitera, 708 Senet, 709 València d’Aneu, 710 Pont de Suert, 711 Rialb, 712 Senterada, 713 Alàs, 714 Guàrdia, 715 Organyà, 717 Castelló de Farfanya, 718 Bell-lloc d’Urgell, 719 Aspa. Für Andorra und Tarragona liegt kein Material vor.
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schen (Barcelona, Girona, östlicher Teil Tarragonas, Balearische Inseln), das auf den Wechsel der Graphien und durch den hier geltenden Zusammenfall der Phoneme ?D?, ?H? und ?(? in ?? in unbetonter Silbe zurückgeführt wird (Moll 2006a, 192; DCVB V, 824), ist gering (1,5‰ in Barcelona, 0,6‰ in Girona, 0,2‰ auf den Balearischen Inseln) und fällt daher kaum ins Gewicht. Die häufigsten Komposita auf -ferrer, -ferré und -farré werden in Tabelle 6 angegeben. Zweitglied
Erstglied (nach Frequenz geordnet)
-ferrer ( 50 Tokens)
Mon- 892 (mon[t] ‚Berg‘), Mas- 611 (mas ‚Landhaus‘, auch Toponym, vgl. DCVB VII, 276, 282), Pi- 252 (Pere < Petrus),17 Gim- 80 (Guillem < Wilhelm, vgl. Moll 2006a, 246), Mont- 70 (mont ‚Berg‘), Pera- 64 (Pere < Petrus), Puigferrer 50 (puig ‚Hügel‘)
-ferré ( 4 Tokens)
Mas- 15, Pi- 7, Mon- 6, Montferré 6
-farré ( 4 Tokens)
Pi- 403, Mas- 8, Gim- 4, Perefarré 4
Tabelle 6: Komposita mit -ferrer, -ferré und -farré als Zweitglied
Im Département Pyrénées-Orientales stand Ferrer zwischen 1891 und 1915 auf Rang 13 der häufigsten FamN (geopatronyme.com, 5. 12. 2010) und überwiegt heute noch gegenüber den entsprechenden französischen Formen: Ferrer 346, Ferré 97 gegenüber Lefèvre 82, Fèvre 3 (pagesjaunes.fr, 5. 12. 2010).18
4. Herkunftsnamen Die HerkunftsN verweisen u.a. auf einzelne Städte (z.B. Lorca 2.440, Almodóvar 1.414), Territorien (z.B. kast. Castilla 7.833 vor allem in Andalusien mit größter Dichte in Huelva 6‰), Ethnien (z.B. kast. Castellano 8.956, davon 2.089 in Las Palmas mit einer Dichte von 8‰, die nächstgrößte Dichte beträgt 2‰ in Cáceres; katal. Castellà 2.140 in Katalonien mit größter Dichte in Lleida 2,25‰) und Fremdheit (z.B. katal. Foraster 105 ‚Fremder‘). Die HerkunftsN sind für die Siedlungsgeschichte von Bedeutung, da sie Rückschlüsse auf die Bevölkerungsmobilität ermöglichen. Die Reconquista stellt eine der wichtigsten historischen Ereignisse dar, die zu großen Migrationen führte. Im 13. Jh. fand die Neubesiedlung der eroberten Balearischen Inseln statt. Wie aus K. 11 ersichtlich wird, spiegelt die Verbreitung von HerkunftsN wie Barceló, Ripoll und Ro(s)selló die ostkatalanische Abstammung der Siedler –––––––— 17
18
Das Erstglied von Piferrer (und Piferré, Pifarré in der Tabelle), das auch in anderen Komposita wie Picornell 387 (< Pere Cornelius), Pibernat 251 (< Pere Bernard) vorkommt, wurde früher von pi ‚Kiefer‘ bzw. puig ‚Berg‘ abgeleitet (vgl. Moll 2006a, 372; DCVB V, 824). Moreu-Rey (1991, 130f.) erklärte es anhand von historischen Belegen als Reduktion von Pere < Petrus. Ein Überblick über die Verhältnisse in Frankreich und vor allem im Rosselló findet sich in Dauzat 1977, 320–322, K. Les représentants du latin faber.
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wider (vgl. Moll 2006b, 80f.; Veny 1986, 173). Auf die Wiedereroberung der Gebiete des zukünftigen Königreichs Valencia folgte die Wiederbesiedlung. Die statistischen Daten von Rubio/Rodrigo (1997, 34–38) geben Aufschluss über die Herkunft der Siedler in der Stadt Valencia im 14. Jh. Navarro gehörte zu den häufigsten ethnischen HerkunftsN (Rubio/Rodrigo 1997, 38). Dieser HerkunftsN ist mit 89.387 Telef. auch einer der häufigsten in Spanien und wurde deshalb kartiert (K. 12). Die Zahl der ethnischen HerkunftsN ist mit Ausnahme von Soria 11.359/Soriano 19.147 niedriger als die der HerkunftsN, die sich auf die entsprechende Stadt beziehen (z.B. Toledo 8.236/Toledano 3.512). Die Tokenfrequenz der mit Präposition gebildeten HerkunftsN ist verhältnismäßig gering (De León kommt mit 2.435 Telef. am häufigsten vor). Die HerkunftsN Sevilla (K. 13) und Córdoba häufen sich in Kastilien-La Mancha. Diese FamN entstanden wahrscheinlich als Folge der misslungenen Wiederbesiedlungsversuche vieler Siedler in Andalusien, die Ende des 13. Jhs. in ihr Heimatland zurückkehren mussten (Cano/Narbona/Morillo 1998, 42). Der etwas exotisch anmutende FamN Japón 366 ‚Japaner‘19 konzentriert sich mit 148 Telef. in Coria del Río (Sevilla) und hat seinen Ursprung in jenem Teil der Gesandtschaft des Samurai Hasekura Tsunenaga, der nach den gescheiterten diplomatischen Beziehungen zwischen Spanien und Japan beschloss, in dieser Stadt zu bleiben.
5. Wohnstättennamen WohnstättenN weisen auf den Wohnsitz des ersten Namenträgers hin. Dazu gehören u.a. Gewässer (z.B. kast. Arroyo 21.874 ‚Bach‘), Bauten (z.B. galic. Ponte 1.227, kast. Puente 8.580, katal. Pont 2.040 ‚Brücke‘), Baumarten (z.B. galic. Figueira 657, kast. Higuera 2.137, katal. Figuera 553 ‚Feigenbaum‘) und der Baumbestand (z.B. galic. Silva 13.065, kast. Bosque 1.419, katal. Bosch20 9.904, Bosc 34 ‚Wald‘). Die verschiedenen Bezeichnungen für die Bodenerhebungen stellen eine wichtige Gruppe innerhalb der WohnstättenN dar (vgl. Kunze 2004, 97 für Deutschland). Im Folgenden werden diejenigen FamN untersucht, die aus den Reflexen von vlat. PǁDưU und vlat. ALTARưU entstanden sind. –––––––— 19
20
Im 16./17. Jh. bezeichnete japón sowohl das Land als auch das Volk. Erst im 19. Jh. wurde der Völkername japón durch japonés ersetzt (mit dem Suffix -és, das Völkernamen wie aragonés, leonés, portugués, etc. bildete), um diese Homonymie zu vermeiden (vgl. Alvar 1997). Im Mittelalter stand die katalanische Graphie -ch für [k]. Im DTCA finden sich z.B. 22 Belege für das Appellativum bosch ‚Wald‘, kein einziger für bosc. Diese alte Graphie hat sich in den FamN erhalten und kommt meistens häufiger vor als die entsprechende moderne Graphie -c (vgl. Blanch 3.197/Blanc 544 ‚weiß‘, Amich 73/Amic 3 ‚Freund‘).
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Auf vlat. PǁDưU ‚Hügel‘ gehen arag. Pueyo 3.665 und katal. Puig 14.768 zurück, die zusammen kartiert wurden (K. 14).21 Das Appellativum war in dieser Bedeutung ursprünglich im Aragonesischen und Katalanischen gebräuchlich und hat sich nur in den katalanischen Dialekten erhalten (DECH IV, 629; DECat VI, 854). Auch in Aragonien ist die nicht diphthongierte Form Puyo 525 anzutreffen. Die Variante Puy 628 mit 130 Telef. in Huesca und 89 Telef. in Lleida ist als Appellativum in den nordwestkatalanischen Dialekten Ribagorçà und Pallarès zu finden (DCVB VIII, 968; DECat VI, 853). Die Komposita mit Puig- als Erstglied 200 Tokens werden in Tabelle 7 aufgelistet. Komposita Puigdomènech 406 Puiggròs 394 Puigserver 376 Puigcerver 374 Puigdemont 330 Puigdevall 220 Puigdollers 207 Puigbó 202
Erläuterung zum Zweitglied (nach Angaben des DCVB) Domènech < Domenicus gros ‚hoch‘, auch SiedlungsN in Lleida graphematische Variante von cerver ‚Hirsch‘ cerver ‚Hirsch‘, auch FlurN Zusammenschreibung von d’amunt ‚von oben‘ Zusammenschreibung von d’avall ‚von unten‘ Zusammenschreibung von d’ollers ‚von den Töpfern‘ bo ‚gut‘, auch SiedlungsN in Girona Tabelle 7: Komposita mit Puig- als Erstglied
In den Jahren 1891 bis 1915 stand Puig auf Rang 7 der häufigsten FamN im Département Pyrénées-Orientales (geopatronyme.com, 5. 12. 2010). Dieser FamN kommt heute noch häufiger vor als die entsprechenden französischen Formen: Puig 361 gegenüber Pech 63, Dupuy 47, Puy 12 (pagesjaunes.fr, 5. 12. 2010).22 Der FamN Otero 20.197 ist in Galicien mit insgesamt 10.380 Telef. (K. 15) einer der häufigsten FamN (Boullón 2007, 252). Die Frage, ob das galicische Appellativum outeiro aus vlat. ALTARưU ‚Bodenerhebung‘ entstanden ist oder aus vlat. ALT ‚hoch‘ mit dem Suffix -eiro gebildet wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten (Boullón 1999, 343). Dieser FamN hat eine intensive Kastilisierung erfahren, so dass die galicische Form Outeiro mit 95 Telef. kaum belegt ist (vgl. Rivas 1991, 598 für die Belege im Mittelalter). Bei den FamN Pueyo, Puig und Otero ist Konkurrenz zu HerkunftsN durchaus möglich. Im Falle des FamN Otero würden beispielsweise die zahlreichen SiedlungsN Outeiro (vgl. Menéndez Pidal 1956, 408, 412, K. Nombres topográficos derivados de podiu, altariu, cotto, cirru) und die historischen Belege mit der Präposition de ‚aus‘ wie d’Outeyro (vgl. Boullón 2004, 550) dafür sprechen.
–––––––— 21 22
Zur Entwicklung von -DY- zu -y- im Aragonesischen und zu -ig [t6] im Katalanischen s. Alvar 1953, 195 und Moll 2006c, 140. Zu den Verhältnissen in Frankreich und vor allem im Rosselló vgl. Dauzat 1977, 322–326, K. Les représentants du latin podium.
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6. Übernamen Die ÜberN beziehen sich u.a. auf körperliche Eigenschaften (z.B. galic., kast. Delgado 57.773, katal. Prim23 482 ‚dünn‘; galic., kast. Gordo 4.048, mit Diminutivsuffix kast. Gordillo 5.660, katal. Gras 1.703 ‚dick‘), auf charakterliche Eigenschaften (z.B. galic., katal., kast. Alegre 5.540 ‚fröhlich‘), Tierbezeichnungen (z.B. kast. Ratón 513 ‚Maus‘), Verwandtschaft (z.B. galic. Neto24 163, kast. Nieto 31.852, katal. Nét 54 ‚Enkelkind‘) und Satznamen (z.B. kast. Picapiedra 87 ‚(er) haut den Stein‘, katal. Gratacós 354 ‚(er) kratzt sich den Körper‘). Dazu gehören auch weltliche und geistliche Würdenträger wie galic. Rei 55, kast. Rey 21.220, katal. Reig25 3.507 ‚König‘ oder galic. Abade 3, kast. Abad 17.138, katal. Abat 133 ‚Abt‘, die, wie auch im Deutschen, durch unterschiedliche Motivation (Ironie, äußerliche Ähnlichkeit, uneheliche Abstammung, etc.) zustande gekommen sind.26 Haut- und Haarfarbe bildeten die Grundlage für zahlreiche FamN wie kast. Rubio 57.629, arag. Royo 8.167, katal. Roig 12.203 für ‚rotblonde Haare‘ (K. 16).27 Die katalanische Variante Roy 1.585 mit 577 Telef. in Zaragoza findet sich als Appellativum in den nordwestkatalanischen Dialekten Ribagorçà und Pallarès (DCVB IX, 542; DECat VII, 399; ALDC I, K. 30; Moll 2006c, 138). Der FamN Roi ist bereits im Jahre 1166 in Katalonien belegt (Badia 2004, 140).28
7. Schlusswort In der vorliegenden Arbeit wurde in Anlehnung an die Arbeitsmethode des DFA das Vorkommen ausgewählter FamN auf der Grundlage von Telefonanschlüssen systematisch dokumentiert und kartiert. Behandelt wurden graphematische (Schreibvarianten von Echeverría), phonematische (dialektal bedingte –––––––— 23 24 25 26
27
28
Hier ist Konkurrenz zum Patronym Prim < lat. PRIMUS für den ‚Erstgeborenen‘ zu beachten (Moll 2006a, 397). Die 54 Telef. in Huelva und 26 Telef. in Cádiz weisen auf die portugiesische Herkunft dieses FamN hin (Faure 2005, 549). Die altkatalanische Form reig (vgl. neukatal. rei) hat sich in FamN und SiedlungsN erhalten (DCVB IX, 313). Vgl. Faure 2005, 1, 640 für Abad und Rey; Rivas 1991, 461 für Rey; Boullón 1999, 76 für die galicischen FamN; Díez 1957, 254 für die kastilischen FamN; Aebischer 1928, 73 und Moll 1982, 177 für die katalanischen FamN; Kunze 2004, 151 für die deutschen FamN. Die galicische Form Roibo ist in der Datenbank nicht belegt. Unter http://servergis.cesga.es/ website/apelidos/viewer.asp (5. 12. 2010) kommt dieser FamN nur zweimal vor. Zur Entwicklung von -BY- zu -y- im Aragonesischen und zu -ig [t6] im Katalanischen aus vlat. RǍBƞU s. Alvar 1953, 195 und Moll 2006c, 138. Zu den iberoromanischen FamN im Mittelalter nach körperlichen und charakterlichen Eigenschaften, nach Tier- und Satznamen und Farbbezeichnungen s. Kremer 1971, 150– 178; ders. 1972/73, 102–118, 118–132, 139–165; ders. 1974/75, 159–203.
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Varianten Ferrer, Ferré, Farré) und morphematische (Patronyme auf -ez) Phänomene. Anhand der relativen Karten konnte die Verbreitung der untersuchten FamN dargestellt werden. Die auf dialektale Verhältnisse zurückgehenden arealen Besonderheiten, die beispielweise für das Baskische und Katalanische beschrieben wurden, treten auf den Kartenbildern deutlich zu Tage und ermöglichen u.a. Rückschlüsse auf den Grad der Anpassung der Schreibung der FamN an die dialektalen Lautungen. Die Möglichkeiten der Verwendung von Telefonanschlüssen für die Untersuchung von FamN in Spanien wurden vor allem von Faure (2005, XVI, Anhang I, Anhang II) genutzt. Seine statistischen Daten zeigen, dass von den insgesamt 5.538 erfassten FamN 1.807 (33%) zu HerkunftsN, 1.421 (26%) zu WohnstättenN, 1.078 (19%) zu Nominativpatronymen und 365 (7%) zu BerufsN gehören.29 Damit bilden die HerkunftsN die häufigste Klasse. Diese Häufigkeit bezieht sich allerdings auf die Frequenz der Types. Eine vergleichende Studie für die FamN in Spanien, in der auch die Tokenfrequenz berücksichtigt wird, liegt nicht vor (vgl. Strauch 2006 für die deutschen und portugiesischen FamN). Interessant wären ebenso Untersuchungen für die einzelnen iberoromanischen Sprachen, in denen u.a. die prozentualen Anteile der BerufsN verglichen werden könnten, um eine eventuelle Zunahme der BerufsN von Westen nach Osten zu beweisen.
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–––––––— 29
Es werden keine Daten für die ÜberN und die suffigierten Patronyme angegeben, da die verwandtschaftsbezogenen ÜberN (z.B. Sobrino ‚Neffe‘) mit den suffigierten Patronymen (z.B. Rodríguez ‚Sohn des Rodrigo‘) unter dem Begriff parentesco ‚Verwandtschaft‘ zusammengefasst wurden (Faure 2005, 813). Diese ergeben eine Gesamtzahl von 235 (4%) FamN.
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Karte 1: Absolute Verbreitung des FamN García
Karte 2: Relative Verbreitung des FamN García
Familiennamengeographie in Spanien auf der Grundlage von Telefonbüchern
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Karte 3: Echevarría, Echeverría
Karte 4: Absolute (links) und relative (rechts) Verbreitung von Rodríguez in Galicien nach Volkszählung
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Karte 5: Rodríguez
Karte 6: Häufigste Patronyme auf -ez ( 100.000 Tokens)
Familiennamengeographie in Spanien auf der Grundlage von Telefonbüchern
Karte 7: Sanchis, Llopis, Peris, Gomis
Karte 8: De Miguel, De Diego, De Pablo, De Pedro
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Karte 9: Ferreiro, Ferrero, Herrero, Ferrer
Karte 10: Ferrer, Ferré, Farré
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Karte 11: Barceló, Ripoll, Roselló, Rosselló
Karte 12: Navarro
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Karte 13: Sevilla
Karte 14: Pueyo, Puig
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Karte 15: Otero
Karte 16: Rubio, Royo, Roig
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Familiennamengeographie grenzübergreifend
Georg Cornelissen
Regionale Familiennamen zwischen Niederländisch und Deutsch: Divergente Entwicklungen im Raum Arnheim-Neuss
Abstract Along its entire course the border between the Netherlands and Germany presents today a marked linguistic boundary separating the two closely related languages Dutch and German. Indigenous surnames on both sides of the border between the cities of Arnhem (in the Netherlands) and Neuss (in Germany) inevitably vary in their respective orthography, pronunciation or a combination of both. With the help of seven maps showing the distribution of family names the author takes a closer look at the gradual divergence within the original linguistic and onomastic continuum. On the German side of the border a pronounced variance is apparent which displays geographic patterns and is dependent on three factors: 1. an old north-south progression, 2. the extent to which – besides the German language – Dutch was in use here from the 16th to the 19th century, and 3. the nature and extent of migration in recent times.
1. Die sprachliche Spaltung des Raumes an Maas und Rhein Die Staatsgrenze zwischen dem Königreich der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland stellt heute in ihrem gesamten Verlauf eine scharfe Sprachgrenze zwischen zwei benachbarten Schwestersprachen dar. Vor der Entstehung der Staatsgrenze und vor der Herausbildung der zwei Standardsprachen Niederländisch und Deutsch bildete das Gebiet zwischen Nordsee und Alpen ein sprachliches Kontinuum, auf den Ebenen der Mündlichkeit wie der Schriftlichkeit. Bei diesem kontinentalwestgermanischen Sprachkontinuum hat anzusetzen, wer die Entwicklung der Bei- und Familiennamen an Rhein und Maas nach 1500 beschreiben will. Der Ansatz muss also sprachgrenzübergreifend oder, wie Luc de Grauwe es nennt, „theodistisch“ sein (de Grauwe 2003). Die folgenden Namenkarten für den niederländisch-deutschen Grenzraum zwischen Arnheim und Neuss zeigen insgesamt 22 Ortspunkte. Ihnen liegt die Auswertung von Telefonbüchern (aus den Jahren 2003–2006) zugrunde.1 Jedem der 22 Ortspunkte entspricht dabei ein telefonisches Ortsnetz. Die sechs heute niederländischen Orte im Norden und Westen der Karte haben nach der Abwahl der mittelalterlichen Schreibsprachen im 16. und 17. Jh. für das Niederländische optiert (Cornelissen 2003). Allerdings hielten sich in den drei südlichen Orten (Venray, Venlo, Roermond) ältere Schreibungen länger als im Norden (Nimwe–––––––— 1
Für ihre Unterstützung bei der Auszählung danke ich Stephanie Eumann, Sonja Klaverkamp und Janine Overmann.
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gen, Arnheim, Doetinchem). Auf diesen Aspekt, auf den Gegensatz zwischen „Nordniederländisch“ und „Südniederländisch“, kann in diesem Beitrag jedoch nicht weiter eingegangen werden (Janssens/Marynissen 2008). Wie sehr sich die südniederländischen Familiennamen durch stark veraltete Graphien von der nordniederländischen Namenwelt unterscheiden, haben Jan Goossens und Ann Marynissen wiederholt aufgezeigt (Goossens 1978; Marynissen 1994, 247ff.). Im Nordwesten des heute bundesrepublikanischen Niederrheins wurden in nachmittelalterlicher Zeit beide Schriftsprachen nebeneinander verwendet. Die Zweisprachigkeit dauerte z.T. bis ins 19. Jh. hinein, nicht selten mit dem Niederländischen als vorherrschender Sprache. Das Kerngebiet dieser Nordwestecke wird auf meinen Karten durch die Orte Emmerich – Xanten – Geldern abgesteckt. Die deutschen Orte im Süden der Karte (Schwalmtal, Neuss, Ratingen) sowie das westfälische Borken haben mit dem Niederländischen als Schrift- und Standardsprache nie etwas zu tun gehabt (Eickmans 2000; Mihm 2000). Zwei Fragen stehen im Mittelpunkt der folgenden Darstellung: 1. Welche Divergenzen zeigen sich entlang der niederländisch-deutschen Staats- und Sprachgrenze: Stichwort „Spaltung des alten Kontinuums“? 2. Welche Spuren haben die voneinander abweichenden lokalen Sprachgeschichten bei den Familiennamen am deutschen Niederrhein hinterlassen: Stichwort „Binnendifferenzierung“? Gesucht wird mithin nach namenkundlichen Reflexen der regionalen Sprachgeschichte.
2. Der historische Bezugspunkt Im Jahr 1536 war die spätere sprachliche Spaltung des Gebietes an Rhein und Maas noch nicht abzusehen. In der Stadt Geldern, die mitten in diesem Gebiet liegt, wurde im genannten Jahr eine Mitgliederliste der Schuhmachergilde angefertigt. 2 Ob man zu diesem Zeitpunkt (1536) in Geldern schon von Familiennamen sprechen kann oder ob es sich (in Teilen) doch noch um nicht vererbte Beinamen handelt, sei hier offen gelassen. Hier ein Auszug aus der Liste; die aufgelösten Abkürzungen sind am Wechsel der Schrifttype zu erkennen: Jan ingen boss. et vxor Jan huysken et vxor Gaert van daernen Elbert ingen huls Claes slyeten styn vxor Jochim elberts Jan saelmeker et vxor Derick van dungelen Thys steuens et vxor Gerit aengen eeß
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Stadtarchiv Geldern AA3. Mit Dank an Dr. Stefan Frankewitz, Stadtarchivar in Geldern.
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Einige Erläuterungen, die das Verhältnis von Laut und Zeichen betreffen, zugeschnitten auf die im Folgenden behandelten Namen: Elbert ingen huls: In der ersten Hälfte des 16. Jhs. können am Niederrhein dem Buchstaben u durchaus unterschiedliche Laute entsprochen haben. In huls darf man, analog zum heutigen Standardniederländischen, ein /ö/ ansetzen. Dieser Laut kommt auch in dem vom Beruf des Küsters abgeleiteten Familiennamen vor (s. 3. Kösters). Jochim elberts – Thys steuens: Mit elberts (vergleiche auch Elbert ingen huls) und steuens sind Patronyme mit starker Genitivbildung zu finden. Zu Gerit (vergleiche Gerit aengen eeß) wäre analog *Gerits zu erwarten (s. 4. Gerritz(en)). Thys steuens – Claes slyeten styn vxor: Bei Thys und styn wird man von einer regionalen /i/-Aussprache ausgehen dürfen. Spätere orthographische Entwicklungen im Niederländischen ließen aus dem y (mit oder ohne Diakritika) digraphisches ij werden, das heute als Diphthong ausgesprochen wird (s. 6. Thissen/Theißen). Jan huysken: Dem ui im heutigen Niederländisch entspricht als spätmittelalterliche Schreibung häufig ein uy. Als regionale Aussprache von uy kommen in der Stadt Geldern des Jahres 1536 grundsätzlich /u/ und /y/ in Frage. Im Standardniederländischen entwickelte sich /y/ weiter zum heutigen Diphthong /öi/ (s. 7. Huismann) (Goossens 2008, 63ff.). Gerit aengen eeß: Bei aengen eeß handelt es sich um einen Beinamen, dessen Bildungstyp heute nur (noch) kleinräumig auftritt.3 Bei Jan ingen boss und Elbert ingen huls findet sich derselbe Typ. Aengen- und Ingen- stellen Präpositionalgruppen mit Artikel dar, die sich weit ins Mittelalter zurückverfolgen lassen (s. 9. Angen-) (Heinrichs 1952).
3. Kösters Pro Ort werden auf dieser Karte die beiden häufigsten Varianten genannt, wobei unten in den Dreiviertelsymbolen die Variante auf Platz zwei und oben die am häufigsten vorkommende Form zu finden sind. So landeten in der Stadt Geldern Köster und Kösters auf den Plätzen eins und zwei, während für das benachbarte Venlo Kusters und Custers aufzunehmen waren. Gut zu erkennen ist, dass im Norden die umlautlose Variante Koster stark ist, die in den niederländischen Städten Arnheim, Nimwegen und Doetinchem als Hauptform vorkommt und im benachbarten Emmerich an zweiter Stelle rangiert. –––––––— 3
Hier darf man auf den Deutschen Familiennamenatlas von Konrad Kunze und Damaris Nübling gespannt sein; s. Kunze/Nübling 2007.
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Karte 1: Kösters
Im Mittelpunkt der Karteninterpretation hat die alte Variante Kösters zu stehen, die analog zu den jeweiligen Orthographien in den Niederlanden mit u und in Deutschland mit ö geschrieben wird. Der Name hat also auf beiden Seiten der Grenze dieselbe Lautung; was divergiert, ist die Schreibung. Auf der deutschen Seite schiebt sich vom Süden her mit Küsters eine weitere, deutsche Lautvariante ins Kartenbild. Wie stark die Karte durch die hier gewählte Darstellungsart die in den Telefonbüchern dokumentierte tatsächliche Varianz reduziert und vereinfacht, sei einmal am Beispiel der Einträge Gelderns gezeigt: Köster 4, Kösters 3, Küsters 2, Koster 1, Koester 1, Küster 1.
4. Gerritz(en) In Gerrits/Gerritz liegt ein starker Genitiv vor; Gerritsen/Gerritzen gehört mit seinem sen-Suffix zu den Sohn-Namen wie Derksen oder Hermsen (Marynissen 1991).
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Karte 2: Gerritz(en)
Die Karte, die für jeden Ortspunkt nur die zahlenmäßig dominierende Variante enthält, zeigt, dass an der niederländischen Seite Gerrits und Gerritsen mit s vorherrschen. Die s-Graphien entsprechen der modernen niederländischen Orthographie: fiets, muts, botsen, ritsen. Schreibungen mit z landen dort stets nur auf hinteren Plätzen und waren deshalb hier nicht zu kartieren. Zur Illustration seien die Venrayer Zahlen genannt: Gerrits 13, Geerits 1, Gerritsen 1, Gerritzen 1. In den deutschen Orten stehen die rechtschreibkonformen Varianten mit tz achtmal auf Platz eins. In Borken tauchen die Namen überhaupt nicht auf (auf der Karte weggelassen). In den übrigen Fällen beruhen die hellen Symbole (Gerrits(en)) mehrfach auf sehr kleinen Belegzahlen, so in Xanten, Viersen und Neuss. Man wird sowohl Gerrits als auch Gerritz als alte einheimische Schreibungen zu betrachten haben, gleichfalls Gerritsen und Gerritzen. Die Karte eignet sich als Beispiel für eine Tendenz der Sprachgemeinschaften, unter den vorfindlichen Varianten den jeweils zum eigenen Graphiesystem passenden den Vorzug zu geben; auf der niederländischen Seite tritt diese Tendenz hier klarer zutage. Alte Nord-Süd-Gegensätze, hier etwa zwischen sen-Ableitung und genitivischer Bildung, lasse ich unberücksichtigt.
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5. Theunissen Kartiert ist hier das Patronym Theunissen, das auf Theunis/Thönis, Kurzform zu Anthonis, zurückgeht. Für die niederländischen Orte war T(h)eunissen zu verbuchen, dass mit einem langen /ö/ auszusprechen ist. Auf der deutschen Seite der Grenze ist man mit den eu-Graphien auf unterschiedliche Weise umgegangen. Die Namenträger, die sich bis heute so schreiben, haben die Aussprache der Schreibung angepasst. Umgekehrt verlief die Geschichte bei Namen wie Thönnissen oder Tönnesen. Hier wurde die Schreibung zur Aussprache hin korrigiert. Tünnesen ist eine Fortentwicklung von Tönnesen.
Karte 3: Theunissen
Stellt man niederländisches T(h)eunissen zu deutschem Theunissen, hat man ein Beispiel für phonetische Divergenz unter Beibehaltung der alten Schreibung. Vergleicht man aber niederländisches T(h)eunissen mit deutschem Thönnissen, wird eine Form graphischer Anpassung bei lautlicher Kontinuität fassbar.4 –––––––— 4
Dabei spare ich einmal die Quantität des Vokalismus aus.
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6. Thissen/Theißen Thissen ist ein genitivisches Patronym zu Thys, einer Kurzform von Mathys ‚Matthias‘. In den nördlichen Orten auf der Karte könnte es auch eine Folgebildung vorausgehender Sohn-Namen sein.
Karte 4: Thissen/Theißen
Die sechs niederländischen Orte haben einheitlich Thijssen als häufigste Variante; die übrigen an einem Ort vorkommenden Varianten bleiben auf dieser Karte unberücksichtigt. Wir dürfen davon ausgehen, dass sich die Aussprache nach der heutigen Laut-Zeichen-Relation des Niederländischen richtet, mithin diphthongisch ist und nicht mehr, wie einstmals, monophthongisch. Am deutschen Niederrhein dominieren Thyssen, T(h)issen und Theißen u.ä. Thyssen setzt unverändert bei altem Thys an, die Aussprache dürfte in der Regel wie im 16. Jh. ein /i/ haben. Hinter den zahlreichen Thissen-Belegen werden sich sowohl alte i-Schreibungen als auch graphische Anpassungen (y > i) verbergen. Bleiben noch Theißen, Theisen, Theissen und Theyssen. Schreibungen mit ei, ey
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u.ä. begegnen auch in den Niederlanden, wenn dort auch deutlich seltener. Ich nehme an, dass hier eine diphthongische Ausgangsform anzusetzen ist, sodass auf dieser Karte eigentlich zwei Namen erfasst werden (Rheinisches Wörterbuch, Bd. 5, Sp. 948). Im vorliegenden Beitrag ist, wenn es um die Aussprache der Namen geht, stets die Lautung in den Standardsprachen gemeint. Die dialektale Artikulation kann davon erheblich abweichen und dabei mit der „ursprünglichen“ Lautung übereinstimmen. Für den niederländischen Ort Montfort (bei Roermond) ist etwa die /i/-Aussprache für Namen wie Pijpers oder Thijssen belegt (Bakkes 2007, 36, 40).
7. Huismann Der Beiname huysken in der Gelderner Personenliste von 1536 (s.o.) lässt sich als ‚Häuschen‘ deuten, wegen der gegebenen Umlautbedingung ist von einem /ü/ auszugehen. Im Falle des Familiennamens Huismann käme für die Aussprache im Geldern des 16. Jhs. wohl auch ein /u/ infrage. Die Karte, die wieder nur die dominierende Variante enthält, zeigt im Hinblick auf die Lautung und die Schreibung der ersten Silbe eine Dreiteilung. In den Niederlanden dominiert Huis-, eine graphische Modernisierung von altem huys-. Die Aussprache entspricht dem heutigen Stand, ist also diphthongisch. Auf deutscher Seite zeigt sich im Norden Huß-/Huss- und im Süden Haus-. Huß-/Huss lässt sich als Anpassung der Schreibung an die alte regionale Aussprache des Vokals interpretieren, vielleicht auch als graphische Schwundstufe eines früheren uy. Als Erklärung für die zahlreichen Haus-Belege im Raum Moers – Neuss kommt einmal standardorientierter Lautersatz infrage. Aber man muss auch an die Auswirkungen von Migration denken; so haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Hausmann-Gebiet deutlich mehr Flüchtlinge und Vertriebene niedergelassen als im niederrheinischen Nordwesten (Hantsche 1999, 174f.). Kleve und Kranenburg stimmen mit Huismann mit den Niederlanden überein. Auch in diesem Fall könnte grenzüberschreitende Wanderung mit im Spiel sein. Borken hat die Variante Husemann, die zum Westfälischen hin deutlich zunimmt.5 Das niederländische Venlo fällt durch veraltete Schreibungen aus dem Rahmen: Huysmans und Huijsmans in gleicher Anzahl (bei insgesamt kleiner Belegzahl).
–––––––— 5
S. Geogen.
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Karte 5: Huismann
8. -mann Zu den strukturellen Unterschieden zwischen den orthographischen Regeln der beiden Schwestersprachen gehört die Darstellung des Folgekonsonanten in geschlossener Silbe nach Kurzvokal, der im Niederländischen nicht verdoppelt wird: man – Mann, dun – dünn usw. Für die Karte zu Komposita mit -mann als zweitem Element wurde die Strecke H in den Telefonbüchern ausgewertet. Auf der niederländischen Seite dominieren die Schreibungen mit einfachem n (-man/-mans), auf der deutschen Seite begegnet doppeltes n (-mann/-manns). Varianten mit genitivischem -s sind nur stark jenseits der Grenze, und zwar in dem südlichen Abschnitt zwischen Venray und Roermond vertreten. Von welcher früheren Varianz hat man in diesem Fall auszugehen? Ich vermute, dass in der Vergangenheit die Genitivformen auch am heute deutschen Niederrhein häufiger waren, im Laufe der Jahre aber durch -mann ersetzt worden sind. Viermal war -mans auf der deutschen Seite zu berücksichtigen: Im
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westfälischen Borken (allerdings mit nur einem Beleg) sowie in drei Orten der Nordwestecke: in Kranenburg, Xanten und Kevelaer. Die Kevelaerer Belege verteilten sich dabei wie folgt: -mann 107, -mans 19, -manns 17, -man 0. (Zum Vergleich die Viersener Zahlen: -mann 216, -manns 106, -mans 21, -man 4.) Der Abgleich mit den beiden niederländischen Namenrepertorien für das Gelderland (Norden) und für Limburg (Süden) bestätigt den Befund: Im Gelderland tauchen unter den 100 häufigsten Namen sieben mit -man auf: Bosman (Platz 40), Huisman (48), Bouwman (56), Polman (77), Schuurman (85), Hofman (95), Beekman (100) (Nederlands Repertorium van Familienamen VIII, 1971, 11/12).
Karte 6: -mann
Für Limburg waren sechs Namen zu verzeichnen, hier ausschließlich mit -mans: Hermans (6), Timmermans (15), Coumans (62), Offermans (78), Bemelmans (97), Gommans (98).6 –––––––— 6
Nederlands Repertorium van Familienamen XIV, 1988, 7. – Mitgezählt wurden also auch die Belege für das Patronym Hermans usw., einem in Limburg sehr verbreiteten Namen. Die Telefonbuchauswertung für Venlo ergab immerhin 111 Einträge unter Hermans.
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9. AngenIm Falle des Gelderner Gildemitglieds Gerit aengen eeß (s.o.) ist der Beiname möglicherweise identisch mit Aengenesch, dem Namen einer in der Nähe Gelderns gelegenen Bauernschaft. Die Bedeutung ist ‚An der Esche‘. Die Präposition wird hier mit ae geschrieben. Dieser Digraph mit nachgestelltem e als Längenzeichen kommt 1536 häufiger vor: Gaert van daernen – Claes slyeten – Jan saelmeker – Gerit aengen eeß. Als Längenmarkierung in mittelalterlichen Texten des Raumes an Rhein und Maas begegnen daneben auch nachgestelltes i und y. Wenn es um die frühere regionale Aussprache des ae geht, kommt neben /a/ durchaus offenes /o/ in Betracht (Cornelissen 2006, 334). Die niederländische Fortsetzung des alten ae ist heute ein doppeltes aa, die Präposition aen wird heute aan geschrieben.
Karte 7: Angen-
Was aus dem ae geworden ist, soll am hier Beispiel von Familiennamen wie Aengeneyndt oder Angenheister gezeigt werden. Die Karte enthält diesmal auch Angaben zur absoluten Häufigkeit. Die Angen-Namen treten massiert im Gebiet zwischen Kleve, Wesel und Moers und auch in den Großstädten Duisburg und Krefeld auf. Es kommen zwei Schreibvarianten vor, An- (häufiger) und Aen-
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(seltener). In beiden Varianten wird am Niederrhein ein /a/ gesprochen. Die Karte ist wegen der geringen Belegdichte auf der niederländischen Seite nur bedingt geeignet, grenzübergreifende Vergleiche vorzunehmen. Ich bin geneigt, die Belege für Ratingen auf Migration zurückzuführen. In Schwalmtal gab es nur einen Telefonbucheintrag. Bleibt als auffallender Befund das Ergebnis für Kevelaer; dort waren unter den 37 Einträgen 20mal Schreibungen mit ae zu verbuchen. Das passt zur sprachgeschichtlichen Entwicklung dieser Stadt und ihrer Umgebung, wo man bis ins 19. Jh. hinein Niederländisch in seiner brabantisch-flämischen Version (mit aen anstelle von aan) schrieb. Die alte aeSchreibung findet man gehäuft auch in Ortsnamen des betreffenden Raumes, beispielsweise in Straelen, Schaephuysen, Aengenesch und natürlich nicht zuletzt auch in Kevelaer selbst (stets mit /a/-Aussprache).
10. Divergenz Eine Vorbemerkung: Namengeschichtlich weist der heute deutsche Niederrhein zahlreiche Parallelen mit den Niederlanden und Belgien auf. Die niederländische Kolorierung der dort einheimischen Familiennamen macht es notwendig – ganz gleich, welche Namenbücher man sonst noch zu Rate ziehen wird – bei Forschungen zur Namenkunde das „Woordenboek van de familienamen in België en Noord-Frankrijk“ von Frans Debrabandere immer griffbereit auf dem Schreibtisch liegen zu haben (Debrabandere 2003). Die erste der beiden anfangs formulierten Fragen zielte auf die Bedeutung der niederländisch-deutschen Staats- und Sprachgrenze. Entlang dieser Grenze divergieren einheimische Familiennamen heute entweder hinsichtlich ihrer Schreibung (a) oder ihrer Lautung (b) oder gleich in beiden Hinsichten (c). Beispiele wären: Kusters – Kösters (a) T(h)eunissen – Thönnissen (a) Gerrits – Gerritz (a) T(h)eunissen – Theunissen (b) Thijssen – Thissen/Thyssen (c) Huisman – Hußmann (c)
Beobachtbar ist dabei die Tendenz, die Laut-Buchstaben-Relation der Namen den jeweiligen Regeln für die Schreibung des appellativischen Wortschatzes anzupassen. Die Namen westlich der Grenze werden dabei immer niederländischer, die niederrheinischen Namen immer deutscher. (Neben dieser Tendenz zeigen sich natürlich zahlreiche Abweichungen und Relikte.) Die Divergenz entlang der Staatsgrenze, die damit fassbar wird, könnte man mit einem Begriff Luc de Grauwes als „Bifurkation“ bezeichnen (de Grauwe 2003). Die zweite der eingangs gestellten Fragen zielte auf die Binnendifferenzierung am deutschen Niederrhein. Die tatsächlich beobachtbare Varianz, soweit sie räumliche Muster zeigt, hängt wohl von drei Faktoren ab: 1. von einer alten
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Nord-Süd-Staffelung, 2. von der Intensität des Gebrauchs des Niederländischen zwischen dem 16. und 19. Jh. und 3. von Art und Ausmaß der Migration in jüngerer Zeit. Alte Nord-Süd-Oppositionen zeigen sich etwa beim Gegensatz zwischen endungslosem Köster (oder Koster) im Norden und genitivischem Kösters im Süden oder auch bei der vokalischen Staffellandschaft von Koster-KöstersKüsters (1.). Für das im Nordwesten gegebene Vorherrschen von Hußmann gegenüber Hausmann kann man auf den vergleichsweise späten Wechsel zum Hochdeutschen in diesem Raum verweisen (2.). Die Jahrhunderte lange Kontinuität des Niederländischen in der Klever Nordwestecke hat ihren Reflex ebenfalls in Graphien wie -mans oder Aengen- (2.). Die Auftretenshäufigkeit von Hausmann im Süden ließe sich mit Migrationseffekten in Verbindung bringen, ebenso die Belege für Koster oder Huismann ganz im Norden (3.). Die deutschen Orte im Süden des hier kartierten Gebietes (Schwalmtal, Neuss, Ratingen) erweisen sich als schon stark in rheinischen Zusammenhängen stehend. Sie setzen sich vom nördlichen Niederrhein und seiner regionalen und niederländischen Kolorierung der Familiennamen deutlich ab. Damit sei die Erwartung ausgesprochen, dass sich auf den Karten des Deutschen Familiennamenatlasses der untere Niederrhein, also das Gebiet nördlich von Neuss und Düsseldorf, in auffälliger Weise vom übrigen Rheinland abheben wird.7
Literatur Bakkes, Pierre (2007): Mofers Waordebook. Montforts Woordenboek. Met onder meer de woordenlijsten Mofers-Nederlands en Nederlands-Mofers, Montfort. Cornelissen, Georg (2003): Kleine niederrheinische Sprachgeschichte (1300–1900). Eine regionale Sprachgeschichte für das deutsch-niederländische Grenzgebiet zwischen Arnheim und Krefeld. Met een Nederlandstalige inleiding, Geldern, Venray. – (2006): Sprache und Sprachen an Rhein und Maas: Ostmittelniederländische Schreibsprachen, in: Helmut Tervooren (Hrsg.): Van der Masen tot op den Rijn. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und Maas. Unter Mitarbeit von Carola Kirschner und Johannes Spicker, Berlin, S. 327–340. Debrabandere, Frans (2003): Woordenboek van de familienamen in België en Noord-Frankrijk. Grondig herziene en vermeerderde uitgave met medewerking van Peter De Baets, Amsterdam, Antwerpen . Eickmans, Heinz (2000): Zwischen Amsterdam, Brüssel und Berlin: Zur niederrheinischen Sprachgeschichte im 17. Jahrhundert, in: Jürgen Macha / Elmar Neuss / Robert Peters (Hrsg.): Rheinisch-Westfälische Sprachgeschichte. Unter Mitarbeit von Stephan Elspaß, Köln, Weimar, Wien, S. 209–222. Goossens, Jan (1978): Naar een Nederlandse familienaamgeografie, in: Naamkunde 10, S. 213–233.
–––––––— 7
Einen Vorgeschmack darauf gaben Rita Heuser und Damaris Nübling in ihrem am 17. November 2007 in Geldern gehaltenen Vortrag, erschienen unter dem Titel „Von Angenendt über Derix, Janssen und Terlinden bis Elspaß – Niederrheinische Familiennamen im Rahmen des Deutschen Familiennamenatlasses“ vgl. Heuser/Nübling 2010.
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– (2008): Dialectgeografische grondslagen van een Nederlandse taalgeschiedenis, Koninklijke Commissie voor Toponymie en Dialectologie, Vlaamse afdeling, Overdruk 12, o.O. Grauwe, Luc de (2003): Theodistik. Zur Begründung eines Faches und ein Plädoyer für eine kontinentalwestgermanische Sicht auf die neuzeitliche Bifurkation Deutsch/Niederländisch, in: Raphael Berthele u.a. (Hrsg.): Die deutsche Schriftsprache und die Regionen. Entstehungsgeschichtliche Fragen in neuer Sicht, Berlin, New York, S. 127–156. Hantsche, Irmgard (1999): Atlas zur Geschichte des Niederrheins. Kartographie: Harald Krähe, Bottrop, Essen. Heinrichs, Heinrich Matthias (1952): Die Entstehung des niederfränkischen ‚gen‘-Artikels, in: Niederdeutsche Mitteilungen 8, S. 23–36. Heuser, Rita / Nübling, Damaris (2010): Von Angenendt über Derix, Janssen und Terlinden bis Elspaß. Niederrheinische Familiennamen im Rahmen des Deutschen Familiennamenatlasses. In: Cornelissen, Georg / Eickmans, Heinz (Hrsg.): Familiennamen an Niederrhein und Maas. Von Angenendt bis Seegers/Zeegers. Bottrop, S. 37–66. Janssens, Guy / Marynissen, Ann (2008): Het Nederlands vroeger en nu, Leuven. Kohlheim, Rosa / Kohlheim, Volker (Bearb.) (2000): Duden Familiennamen, Mannheim u.a.. Kunze, Konrad / Nübling, Damaris (2007): Der Deutsche Familiennamenatlas (DFA). Konzept, Konturen, Kartenbeispiele, in: Beiträge zur Namenforschung 42, S. 125–172. Marynissen, Ann (1991): Morfosyntactische aspecten van de Belgische familienamen op basis van het ‚Belgisch repertorium van familienamen‘, in: Naamkunde 23, S. 29–79. – (1994): Limburgse familienamengeografie, in: Naamkunde 26, S. 243–301. Mihm, Arend (2000): Rheinmaasländische Sprachgeschichte von 1500 bis 1650, in: Jürgen Macha / Elmar Neuss / Robert Peters (Hrsg.): Rheinisch-Westfälische Sprachgeschichte. Unter Mitarbeit von Stephan Elspaß, Köln, Weimar, Wien, S. 139–164. Nederlands Repertorium van Familienamen (1971): VIII Gelderland. Ingeleid door K. Heeroma en R. A. Ebeling, Assen. Nederlands Repertorium van Familienamen (1988): XIV Limburg. Met een inleiding van J. M. Verhoeff, Zutphen. Rheinisches Wörterbuch (1928–1971). Auf Grund der von J. Franck begonnenen, von allen Kreisen des rheinischen Volkes unterstützten Sammlung bearb. u. hrsg von Josef Müller u.a. Berlin, Bonn.
Internetadressen Geogen: http://christoph.stoepel.net/geogen/v3/ (Stand: 17. 4. 2009).
Ernst Eichler
Tschechische Familiennamen in Leipzig
1. Vorbemerkung Die Messestadt war und ist ein wichtiger Standort internationaler Begegnungen. Dies schlägt sich natürlich auch im Bestand der Familiennamen (FN) nieder. Dabei sind die Beziehungen zu Osteuropa besonders signifikant, früher und heute. FN aus diesen Ländern fließen ständig nach Leipzig. Wir haben schon vor längerer Zeit auf die verschiedenen slavischen FN-Schichten in Leipzig hingewiesen (Eichler 1970, 264–271) und möchten uns in diesem Beitrag den tschechischen FN zuwenden, die Probleme ihrer Erkennung aus dem Bestand nichtdeutscher FN in Leipzig untersuchen und Hinweise geben, wie man die tschechischen FN sicher fixieren kann, bei allen Unsicherheiten, die sich dadurch ergeben, dass ein Namenforscher natürlich nicht auch die Genealogie der Namenträger bearbeiten kann, obgleich diese für die Erklärung oft erforderlich ist, um den sprachlichen Ausgangspunkt zu kennen und evtl. auch mundartliche Eigenheiten des FN, die seine Entstehung und Entwicklung entscheidend beeinflusst haben, zu sehen. Die Einsicht in die slavischen FN, wie sie sich heute in Leipzig darstellen, zeigt ganz eindeutig, dass der größte Bestand durch den Zuzug von Namenträgern aus dem polnischen Sprachgebiet stammt, während die tschechischen und sorbischen FN zurücktreten, wenn sie auch linguistisch interessante Fragestellungen bieten, wie wir noch sehen werden. Ost- und südslavische FN spielen eine geringe Rolle und sind in der Regel durch Lautung und Bildung, vor allem auch durch ihre Orthografie, leicht zu erkennen (vgl. FN wie Kholodenko = Cholodenko). Dieses Beispiel weist bereits auf die methodischen Prämissen hin, die bei einer Differenzierung der slavischen Schichten in den FN deutscher Bestände zu beachten sind. Wir wollen auf diese nun näher eingehen.
2. Die Herkunft der Familiennamen aus slavischen Sprachen Grundlegend für die Sondierung des FN-Bestandes nach seiner Herkunft sind die Laut- und Bildungsverhältnisse der FN, die außerordentlich vielfältig und differenziert sind, wobei die herkömmliche Teilung des slavischen Sprachgebietes in West-, Ost- und Südslavisch nur bedingt dienen kann, da zahlreiche Entwicklungen nicht dieser Dreiteilung folgen und anders zu beurteilen sind. Wir
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Ernst Eichler
gruppieren die Prämissen nach Laut- und Bildungsentwicklungen in den slavischen Sprachen unter besonderer Berücksichtigung der onymischen Konstellationen. In traditioneller Betrachtung kann man für die Lautverhältnisse von der „vergleichenden Grammatik der slavischen Sprachen“ ausgehen, wie sie in einer ganzen Reihe fundamentaler Darstellungen vorliegt, die prominente Philologen wie F. von Miklosich, W. Vondrák, A. Vaillant, Z. Stieber, S. Bernštejn u.a. im 19.–20. Jh. verfassten, abgesehen von einer Fülle von grundlegenden Einzeluntersuchungen. Bei diesen Werken handelt es sich allerdings nicht um Grammatiken im modernen Sinne, sondern in ihnen wurde auch die Lautlehre einbezogen, die gerade für unsere Ziele der Differenzierung des FN-Bestandes bei zahlreichen FN entscheidend ist, wenn es z.B. um die Zuweisung zum Tschechischen und Polnischen geht. Wir gehen zunächst auf die Lautverhältnisse, auf die historische Phonologie, ein und besprechen die wichtigsten Kriterien. Da wir in diesem Beitrag nicht das Ziel verfolgen, ein Lexikon der betreffenden FN zu bieten – eine Aufgabe der Zukunft – , führen wir bei den einzelnen Kriterien einige markante FN an, die wir den neueren Telefonbüchern der Stadt Leipzig entnommen haben, auch wenn wir uns dessen bewusst sind, dass diese Quellen bestimmte Probleme mit sich bringen, die man berücksichtigen muss. Dennoch kann man schon heute einige wichtige Leitlinien herausstellen, die wohl durch materialmäßige Anreicherung kaum verändert werden können.
2.1. Vokalismus a. Das Urslavische besaß zwei nasalierte Vokale: Ċ und oØ. Diese sind im Polnischen erhalten geblieben (Ċ und ą), während sie in den anderen westslavischen Sprachen, so im Tschechischen (und Sorbischen), in Vollvokale übergingen und ihren nasalierten Charakter einbüßten; aus Ċ wurde a bzw. e, aus oØ ein u. Soweit die etymologische Zuweisung bestimmter FN gesichert ist und wir wissen, dass sie zu einem Lexem mit nasaliertem Vokal gehören, wie z.B. zu doØbɴ ‚Eiche‘, vgl. tsch. dub und poln. dąb, ist eine Differenzierung klar, vgl. FN wie Dubek (tsch.) gegenüber Dembick, Dembski, Dombeck, Dombrowski usw. (poln.), die auf den nasalierten Vokal verweisen. b. Der urslavische Vokal Č blieb im Alttschechischen bewahrt und entwickelte sich je nach Quantität weiter. Vor harten Vorderzungenkonsonanten (z.B. Dentalen) wurde er entpalatalisiert, so im Polnischen, wo er 'a ergab, daher stehen sich tsch. FN wie Dedek (zu dČd ‚Großvater‘) und poln. FN wie Dziadek gegenüber. c. Die urslavischen reduzierten Vokale ɶ und ɴ haben eine sehr differenzierte Entwicklung aufzuweisen. Je nach ihrer Stellung, die man als stark oder schwach definiert (sog. Havlíksches Gesetz), erscheinen sie im Tsch. und Poln. meist als -e-, wobei -ɶ- (vorderer reduzierter Vokal) im Poln. Erweichung des
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vorhergehenden Konsonanten bewirkte, während im Alttsch. -e- diese Wirkung verloren ging. In Fällen wie den FN Dedek, Dziadek ist keine einzelsprachliche Zuweisung gegeben, sie geschieht über den Konsonantismus (Erhalt von d im Tsch., doch d' > dz im Poln.). Die e-Entwicklung erfolgte in starker Stellung im Tsch. und Poln., während das Sorbische in Suffixen wie -ɶkɴ, -ɴkɴ beide Vokale schwinden ließ, daher FN wie Domaschk usw. gegenüber tsch. Domášek neben Domaška usw. FN wie Duschanek, Duschek usw. zeigen die tsch. Entwicklung. d. Dem Vokalismus können die sogenannten silbischen Liquide G und F (genauer G', F' und G, F) zugeordnet werden, die in eingeschlossener konsonantischer Umgebung, die man formelhaft als tG't usw. (t = für jeden Konsonanten) bezeichnet, eine besondere differenzierte Entwicklung – gerade in den westslavischen Sprachen – durchmachten und sich auf diese Weise bei den in FN enthaltenen Lexemen sehr gut zur sprachspezifischen Differenzierung eignen. Erinnert sei nur an FN wie Vlþek = tsch. Vlþek gegenüber poln. Wilcz-, auch an die von þFn- ‚schwarz‘ abgeleiteten vielfältigen FN wie Tscherny (tsch.) gegenüber Czarnetzki (poln.). Die Entpalatalisierung von F' zu F, im Poln. als -ar- reflektiert, bietet die Zuweisung zum Tsch. und Poln., so bei Twardy (poln.): *tvFd‚hart‘, während FN wie Tschorn, Tschurn usw. schwer zu beurteilen sind (sie können auch aus dem Sorbischen stammen). Kommen morphologische Befunde (s. unten) hinzu, wie im Falle des FN Tscherniak, wohl poln. Czerniak, wird die Differenzierung erleichtert; so muss wohl der FN Czerniuk letzthin aus dem Ukrainischen stammen. e. Hierher gehören auch die wichtigen Liquidaverbindungen, die formelhaft mit telt, tert, tolt, tort (urslavische Lautung) bezeichnet werden und die im Westslavischen eine Umstellung von Vokal + Liquida zu Liquida + Vokal, also zu tlet usw., erfahren haben, ebenso im Südslavischen, während das Ostslavische einen Volllaut (polnoglasie) zeigt, der in FN wie Voronkova, Volodymyrska usw. vorliegt. Eine Unterscheidung zwischen tschechischen und slovakischen FN, die die Umstellung tlat, trat zeigen, und tlot, trot im Polnischen und Sorbischen, bietet die Möglichkeit, entsprechende FN zuzuordnen. Wir führen einige Beispiele aus dem Leipziger FN-Bestand an: Zu *born- ‚Kampf, Streit‘: Bransky (tsch.) – Bronowski (poln.) Zu *gord- ‚Eingrenzung‘ o.ä.: Zahradnik (tsch. zahradník ‚Gärtner‘) – Zagrodnik (poln.) Zu *korl- ‚König‘, entlehnt aus dem Namen Karls des Großen: Kral (tsch. král) – Kroll (poln. król) Zu *kort- ‚kurz‘: Kratochvil, im ersten Bestandteil tsch. krátký ‚kurz‘ – Kruttke (poln. krótky) Zu *sold- ‚Malz‘: Sládek zu sládek ‚Brauer‘: Slodowski (poln.) Zu *solm- ‚Stroh‘: Slama (tsch.) – Slomka (poln.) Zu *solv- ‚Nachtigall‘: Slawik (tsch.) – Slowik, Slowiok (poln.)
In vielen anderen Fällen wird die unterschiedliche Vertretung der Liquidaverbindungen wie trat/trot usw. die Zuweisung zu einer bestimmten Sprache garantieren, selbstverständlich in einer gesamtslavischen Betrachtung, die unbedingt erforderlich ist, um Fehleinschätzungen zu vermeiden. Dagegen bieten die
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tert-Gruppen keine sicheren Sondierungen, es sei denn, sie sind im Polnischen zu trzet verändert, vgl. urslav. *berza – poln. brzoza ‚Birke‘, vgl. FN wie poln. Brzozowski, Brzezinski. f. Es wird hier eine Gruppe vokalischer Veränderungen angeschlossen, die ihrerseits der Differenzierung dienen und sowohl im Tschechischen als auch im Polnischen vor sich gingen. Das Tschechische war hier eigentlich mit seinen vokalischen Veränderungen aktiver als das Polnische, so dass diese Veränderungen auch der Zuweisung dienen können. Aus einigen vokalischen Wandeln können wir Näheres ersehen: 1. Die Vokale -y- (-ý-: lang) und -u- (-ú-: lang) sind im Alttschechischen unter bestimmten Bedingungen diphthongiert worden, und zwar zu -ej- bzw. -ou-, vgl. FN wie Koreytek = tsch. Korejtek aus Korýtek und Soukup = tsch. Soukup; Souþek = tsch. Souþek usw.; Kocourek: kocour ‚Kater‘; Koubek = tsch. Koubek, Kúbek: Jakub, hierher auch der FN Kubicek = tsch. Kubiþek. 2. Die Verengung des Vokals -e- in alttsch. ciesar ‚Kaiser‘, tsch. císaĜ: FN Cizar, dagegen Cesarz (poln.), ist offensichtlich. – Sicher lassen sich noch weitere Entwicklungen eliminieren, die das Tschechische vom Polnischen trennen.
2.2. Konsonantismus In den westslavischen Sprachen hat sich der Konsonantenbestand auf Grund der im Urslavischen angelegten Entwicklungen weiterentwickelt, so dass hier Differenzen auch in den FN zu beobachten sind. Es können hier nur die wichtigsten Veränderungen angesprochen werden. a. Bei den Velaren ist g im Tschechischen zu h (etwa im 13. Jh.) spirantisiert worden und schlägt sich natürlich auch in den FN nieder, so in FN wie Halas, Horacek, Hradetzky, Hromada, Hubalek, Hubatsch, Hudak, Hudecek, Huedetz, Hupka, Hussack u.a., die zum Teil orthografisch ans Deutsche angelehnt wurden, aber den Wandel von g > h voraussetzen. Der Bestand muss von obersorbischen FN, die ins Deutsche gelangten, abgegrenzt werden, vgl. FN wie Hanitzsch, Hansch, Hanschkatz, Hanisch u.a. b. Im Wesentlichen sind weiche Dentale wie d' und t' im Tschechischen erhalten geblieben und in FN mit -d- und -t- reflektiert, dagegen sind sie im Polnischen zu dz und c (dĨ, ü) verändert worden und geben Möglichkeiten der Differenzierung, vgl. FN wie Jagodzik mit d' zu dz, u.a.
3. Zur Wortbildung der Familiennamen Die Morphologie (Wortbildung) der FN befindet sich in keiner beneidenswerten Situation, da die entsprechenden Probleme in den slavischen Sprachen leider
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kaum untersucht wurden und die Dreiteilung in west-, süd- und ostslavische Sprachen eigentlich hier versagt, da bestimmte Morpheme in mehreren Bereichen agierten bzw. für bestimmte Regionen spezifisch waren. Ein einfaches Beispiel: Die FN auf -ski, die ins Deutsche gelangten, sind spezifisch polnisch und nicht tschechisch oder sorbisch. Als spezifisch tschechisch kann die Kombination des Suffixes -ek mit anderen Morphemen gelten, vor allem mit -þ-, vgl. FN wie Doleschalek, Duchanek, Hubalek, Hudecek, Kubetschek, Pechacek, Petraschek, Polatschek, Rzeznicek, Sedlaczek, Vanecek, Vojtisek u.a. Man sieht hier zugleich die Versuche, die fremde tschechische Schreibung im Deutschen wiederzugeben, indem z.B. tsch. þ als c, cz, tsch usw. vertreten wird. Dagegen sind die FN auf -ski im Tschechischen ausgesprochen selten.
4. Künftige Aufgaben Die hier dargelegten Fragen der Zuweisung von FN zu einer bestimmten Sprache zeigen die Probleme, denen sich die Forschung widmen muss und die in Zukunft gelöst werden müssen. Angebracht wäre z.B. eine Bearbeitung fremdsprachiger FN-Bestände eines Landes – etwa Sachsens –, um eine größere Materialbasis zu erlangen und der Zuwanderung slavischer Sprachträger Rechnung zu tragen, etwa in der Form, wie es Jakus-Borkowa und Nowik beispielhaft für die poln. FN von Graz dargelegt (Jakus-Borkowa/Nowik 2002) und auch andere Autoren herausgestellt haben. Es kann die erfreuliche Tatsache beobachtet werden, dass das Interesse an diesen FN-Schichten steigt und die damit verbundenen Fragen, so die der Graphie und Aussprache, die in den Medien immer noch sehr zu wünschen übrig lassen, diskutiert werden. Der Zufluss tsch. FN nach Leipzig war eher bescheiden im Vergleich mit den zahlreichen polnischen FN, die noch näherer Untersuchung bedürfen (Eichler 2006). Im Ganzen übertrifft der sicher aus Polen stammende FN-Bestand bei weitem den aus dem Tschechischen. Er ist von Rymut 1999–2001, CzopekKopciuch 2004 u.a. dargestellt worden. Die Bearbeitung der poln. FN in Leipzig (und Umgebung, wie in Sachsen generell) bleibt ein dringendes Desiderat. Ein Aspekt soll hier noch angesprochen werden: In manchen Familien hat man sich seit der Nazizeit eines aus dem Slavischen stammenden FN geschämt, fürchtete offenbar unangenehme Folgen und beantragte deshalb eine Umbenennung, nach welchen Kriterien auch immer, z.B. Smolorz aus altpoln. smolarz ‚Pechsieder‘, mit dem polnischen „pochylenie“ (Verengung) von a > o, das vor allem in poln. Dialekten Oberschlesiens eintrat und auf den FN-Bestand wirkte, so in Fällen wie poln. Olszok, ursprünglich Olschak. Diese Zuordnungen sind von Bedeutung, da sie gleichzeitig auf die Ausgangsgebiete der FN und somit auf Erklärungsmöglichkeiten verweisen. Aus diesem Beispiel wird zugleich deutlich, dass das Ausmaß eines fremden Personennamen-Bestandes, aus welcher Sprache auch immer (nicht nur der aus
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dem Slavischen), schwer ermittelt werden kann. Wenn Umbenennungen stattfanden, um die Herkunft möglichst zu verschleiern, geht der entsprechende FN unter. Als Beleg kann hier noch ein schon früher angesprochener Fall eines FN genannt werden: ein Leipziger Bürger heißt heute Horst Horst, also mit Vorund FN gleich. Wie konnte es dazu kommen? Die Eltern des Betreffenden haben sich für die Veränderung des für das Deutsche schwer auszusprechenden tsch. FN Hrstka entschieden und ihn in Horst verändern lassen, so dass diese seltsame Konstellation zustande kam. Es ist zu vermuten, dass auch in anderen Fällen solche Adaptionen stattfanden. Damit wird auf die historische und soziologische Problematik der FN als Prisma der demographischen Entwicklung deutlich verwiesen und den Fachvertretern jenseits von fachspezifischen Grenzen neue Postulate vorgelegt, um die FN als Erkenntnisquelle besser zu nutzen. Dies kann nur durch eine genaue Bearbeitung der einzelnen FN-Bestände erfolgen und setzt hohe fachliche Kompetenz, slavistische wie germanistische sowie historisch-soziologische, voraus und darf auch in der Öffentlichkeit auf großes Interesse hoffen. Dafür ist es jedoch notwendig, sich theoretisch und praktisch mit den slavischen Nachbarsprachen, vor allem dem Tschechischen, Slovakischen und Polnischen, zu befassen: aussichtsreiche Aufgaben für die Zukunft in „globaler“ Sicht.
Literatur Beneš, Josef (1962): O našich pĜíjmeních, Praha. Czopek-Kopciuch, Barbara (2004): Nazwiska polskie w ZagáĊbiu Ruhry, Kraków. Eichler, Ernst (1970): Zum slawischen Anteil am Familiennamenschatz einer sozialistischen Großstadt [Leipzig], in: Slavica Slovaca, 5/1970, S. 264–271. – (2006): Akkulturation im Namenschatz: Polnische Familiennamen in Leipzig, in: Munuscula Linguistica. In honorem Aleksandrae CieĞlikowa oblata, Kraków, S. 187–191. Moldanová, Dobrava (2004): Naše pĜíjmení, Praha. Jakus-Borkowa, Ewa / Nowik, Krystyna (2002): Die polnischen Familiennamen in Graz, in: Onomastica Slavogermanica XXII. Kraków, S. 15–24. Rymut, Kazimierz (1999–2001): Nazwiska Polaków. Sáownik historyczno-etymologiczny, Bd. I–II, Kraków. Svoboda, Jan (1964): Staroþeská osobní jména a naše pĜíjmení, Praha.
Inge Bily
Der Familienname Lehmann, seine Varianten und Ableitungen im Polnischen
Zusammenfassung Die Gründung von Städten und die damit einhergehende relativ große Bevölkerungszunahme erforderte im Mittelalter zunehmend eine exakte Unterscheidung der Personen. Dies geschah größtenteils durch Übernamen, teilweise auch durch Herkunftsnamen. Beide Gruppen gehören zu den Grundlagen der späteren Familiennamen. Die Prozesse der Herausbildung der Zweinamigkeit sind im mittelalterlichen Europa unter ähnlichen gesellschaftlichen Verhältnissen auch ähnlich verlaufen. Der Beitrag wendet sich zunächst dem Familiennamen Lehmann im Deutschen zu, um anschließend seine graphischen Varianten und Ableitungen im Polnischen zu betrachten. Dabei wird das Namenmaterial unter Einbeziehung der entsprechenden Appellative sowohl diachron wie auch synchron analysiert. Der Zusammenfassung und Visualisierung der Ergebnisse dienen drei Verbreitungskarten.
1. Einleitung Die Gründung von Städten und die damit einhergehende relativ große Bevölkerungszunahme erforderte im Mittelalter zunehmend eine exakte Unterscheidung der Personen. Dies geschah größtenteils durch Übernamen, teilweise auch durch Herkunftsnamen. Beide Gruppen gehören zu den Grundlagen der späteren Familiennamen. Die Prozesse der Herausbildung der Zweinamigkeit sind im mittelalterlichen Europa unter ähnlichen gesellschaftlichen Verhältnissen auch ähnlich verlaufen. Konrad Kunze 1998, 59 betont: „Nach 1350 war Zweinamigkeit in den Städten so üblich, dass das Fehlen eines Beinamens selbst zum Namen werden konnte: Heinrich ane czunamen ‚H. ohne Beinamen‘ 1361 Breslau“. Zu vergleichen sind ebd. auch mehrere Übersichten zur Entwicklung der Zweinamigkeit, u.a. nach Breslauer Bürgerbüchern der Jahre 1361–1400 (Kunze 1998, 58). Rosa Kohlheim belegt am Beispiel der Stadt Regensburg ab dem 12. Jh. einen Übergang zur Zweinamigkeit, die sich weitgehend um 1600 durchgesetzt hatte (Kohlheim 1996, 1282). Und Isolde Neumann stellt in ihrer Untersuchung zur Herausbildung der Doppelnamigkeit in Oschatz fest: „… in der Stadt Oschatz sind bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jh. alle [Ratspersonen] bis auf wenige Ausnahmen mit einem Beinamen versehen. […] Aber 100 Jahre später – in den Jahren 1482/83 – sind alle Bürger und Pfahlbürger der Stadt zweinamig.“ Und unter Hinweis auf nur vier Einzelnamen unter den Vorstädtern folgert die Autorin: „Die Zeit der Einnamigkeit war also in der Stadt Oschatz spätestens Ende des 15. Jh. vorbei“ (Neumann 1981, 194f.). Ganz
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ähnlich beschreibt auch Kazimierz Rymut die Herausbildung der Zweinamigkeit im polnischen Benennungssystem als einen Prozess, der um die Mitte des 13. Jhs. begann, zuerst natürlich beim Adel. Darüber hinaus verweist der Autor besonders für die Zeit seit dem 14. Jh. auf Beispiele für Zweinamigkeit in den Stadtrechtsbüchern (Rymut 2002, 391f.). „Erstaunlich ist, dass nicht nur die auf historischem Material basierende Arealanthroponomastik weit in die Vergangenheit zurückzuleuchten vermag, sondern auch die auf der Grundlage von Telefonanschlüssen entwickelten Karten [gemeint sind hier vor allem die Ergebnisse der Untersuchungen Konrad Kunzes – I.B.] sowohl neue Erkenntnisse zur heutigen deutschen Familiennamengeographie als auch zur historischen Sprachgeographie bieten können und die Eingrenzung von Gebieten ermöglichen, in denen die betreffenden Wörter und Bedeutungen vor 700 bis 800 Jahren gegolten haben müssen. Auf diese Weise lässt sich ein wesentlicher Beitrag zur Rekonstruktion der Wortgeschichte in onomasiologischer und semasiologischer Hinsicht leisten. Nicht zuletzt kann auch die historische Phonologie aus solchen Untersuchungen profitieren.“ (Wenzel 2004a, 726–727)
So liefern z.B. die beiden Familiennamenbücher Kazimierz Rymuts zu den in Polen heute gebräuchlichen Familiennamen (Rymut 1992–1994; ders. 1999/2001), die ausschließlich Material enthalten, das auf aktuellen statistischen Erhebungen basiert, den Nachweis, dass der deutsche FamN Lehmann in mehreren Schreibvarianten und auch in suffigierter Form unter den heute in Polen gebräuchlichen Familiennamen vertreten ist (Rymut 1992–1994, Bd. 5, 509, 546f., 554, 557; ders. 1999/2001, Bd. 2, 14). Dagegen ist die polnische semantische Entsprechung des deutschen Appellativums Leh(e)nsmann, d.h. poln. lennik, das Nomen agentis aus poln. lenno ,Lehen‘, das nach Aleksander Brückner 1957, 295 über das Tschechische ins Polnische gekommen ist, als Ableitungsbasis für polnische Familiennamen kaum belegt. Dies gilt auch für evtl. zu erwartende suffigierte Familiennamenbildungen (Rymut 1992–1994, Bd. 5, 562).1 Für die Entlehnung von poln. lenno aus dem Deutschen über das Tschechische spricht auch, dass die Lehen „zuerst in den Territorialherrschaften Böhmens üblich [wurden], bes. im B[istu]m. Olmütz […] Im 13. Jh. erschienen L[ehn]smänner in einigen F[ür]s[tentü]mern Schlesiens, im nachfolgenden Jh. in den eingegliederten Ländern Rutheniens und Podoliens […] Sowohl in Böhmen als auch in Polen begann man im 13. Jh., die Lokatoren von Städten und Dörfern aufgrund des dt. (sächs.) Rechts der L[ehn].smänner zu behandeln (advocatus feodatus)“ (Lexikon des Mittelalters 2003, Bd. 5, 1822). Dies hat, glaubt man den bisher erschlossenen und in Wörterbüchern zitierten Quellen, in dieser frühen Zeit noch keinen Niederschlag im appellativischen Wortschatz gefunden.
–––––––— 1
Lennik 1, Wa: 1.
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2. Der Familienname Lehmann im Deutschen und seine graphischen Varianten im Polnischen 2.1. Der Familienname Lehmann im Deutschen Der FamN Lehmann ist im Deutschen gut belegt. Zu vergleichen sind in der Chronologie der historischen Überlieferung u.a.: 1297 Heinr. dictus Lehenman zu Vogelsberg, Kr. Oberndorf (Brechenmacher 1957–1963, Bd. 2, 164–165); 1304 Bernardus Leman,2 1339 um Gerlein den lehener (Kohlheim 1990, 81); 1375 Cuncze Leman (Grünert 1958, 273); 1381 der richter, der leman, schultis, Landregister Sorau (Bahlow 1985, 310); 1476 Jorge Lehmann (Neumann 1981, 104); zu vergleichen sind außerdem: Gottschald 2006, 320f. und Naumann 1994, 180. Hans Bahlow 1985, 310 nennt als Verbreitungsorte für den FamN Lehmann Sachsen, Schlesien und die Lausitz und verweist auf zahlreiche Belege (Bahlow 1953, 111). Außerdem erfolgt ein Hinweis auf Walthers v.d. Vogelweide Freudenruf: „al diu werlt, ich hƗn mƯn lƝhen!“, vgl. auch Brechenmacher 1957–1963, Bd. 2, 164–165: „Als FN [Familienname] erscheint L[ehmann]. noch zu Ende des 13. Jh., breitet sich im 14. Jh. noch zögernd, im 15. Jh. reißend aus.“ Auf der Grundlage der Karte Konrad Kunzes 2001a, 8 sind inzwischen detailliertere Aussagen zur Verbreitung des FamN Lehmann in Deutschland möglich, nämlich der Nachweis einer überaus starken Konzentration im ostmitteldeutschen Raum. Kohlheim/Kohlheim verzeichnen neben Lehmann zu mhd. lƝhenman, auch Lehnick, Lehnig(k) zu niedersorb., obersorb. lenik ,Lehensmann, Lehngutsbesitzer‘ (Kohlheim/Kohlheim 2000, 416). Den in der historischen Überlieferung belegten Wechsel von deutschen Lehmann- und sorbischen lenik-Nachweisen unter den Bedingungen des slawisch-deutschen Sprachkontakts zeigt W. Wenzel eindrucksvoll, vgl. die Belege: 1374–82 Leynik, 1498 Lenig, 1501 Leman, 1509 Lenigk, 1589 Lönigk, 1652 Lehman, 1655 Stephan Lehmann oder Lehnigk (Wenzel 1991/1992 Bd. I, 244). Wenzel weist außerdem darauf hin, dass es sich bei Lehmann um den häufigsten aller Familiennamen im ehemaligen Bezirk Cottbus handelt, was auf der Lehmann-Karte von Kunze (2001a, 8) seine Bestätigung findet. Deutschem Lehmann entspricht niedersorbisch Lenik, „dessen Areal, wie der Sorbische Personennamenatlas ausweist, sich mit dem Kern des Verbreitungsgebietes von Lehmann deckt“ (Wenzel 2004a, 725), zu vergleichen ist auch der FamN Lenik: 1533 Lenig, zu niedersorb. lenik ‚Lehensmann‘ (Wenzel 2004b, 255).
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MGB [= Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg] Bd. 10, 168, zitiert nach Zoder 1968, Bd. 2, 31.
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2.2. Der Familienname Lehmann in historischen Wörterbüchern Im Wörterbuch der altpolnischen Personennamen (Sáownik staropolskich nazw osobowych 1965–1987), das im Wesentlichen Material aus Quellen vom Beginn der schriftlichen Überlieferung bis zum Jahre 1500 erfasst, sind belegt: 1362 ein Helmanno Leymann3, Cracoviensi4 … civ(e) (MVat II 276) und 1418 ein Hannus Leeman, laycus … dyocesis (Culmensis) Woel5 507 (Sáownik staropolskich nazw osobowych, Bd. 3, 239). Die Materialsammlung des Projektes zum Wörterbuch der Familiennamen der mittelpolnischen Zeit (1500–1800)6 verzeichnet den FamN Lehmann ebenfalls, vgl. die Belege: 1564 Katherina Przedpelska alias Lemanowa; ... Leman; Petrus Leman; weiterhin 1570 palatinatus Culmensis … Die Buerger von Thorenn … Lucas Lehman von Kuczwal (Region Cheámno); 1754 pan Gotfryd Lehman (Region Warschau); 1825–1869 Lehmann (Johannes) Carolina Maria Julia (Sljusar 2005, 285). In dieser Materialsammlung ist unter dem Stichwort Leman weiterhin zu vergleichen: 1598 Paweá Leiman; 1625 Francisci Lemąn de Villa Bartodzeie; 1742 cztery puáwáoczki Roli pod MyslĊcinkiem od Lemana; 1753 Matyjasz Leman z jednego puáwáocza [Hervorhebungen fett und kursiv – I. B.]. Zu ergänzen ist an dieser Stelle noch das Material aus dem Wörterbuch der Familiennamen Edward Brezas, der sich in einem eigenen Namenartikel dem FamN Lehmann und seinen Ableitungen in Pomorze zuwendet und als suffigierte Ableitungen folgende Familiennamen verzeichnet: LemaĔczyk, LemaĔski, Lemanek (Breza 2000, 244–245). Der FamN Lehmann einschließlich seiner graphischen Varianten wird gewöhnlich zum Appellativum leman ‚lennik, hoádownik, wasal‘ gestellt (Czaplicka 1996, 225).7
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Die Familiennamen heben wir hier durch Kursivdruck hervor. Hinweise auf die Herkunft der genannten Personen in den Quellen bzw. als Anmerkung der Bearbeiter heben wir durch Fettdruck hervor. Urkundenbuch des Bistums Culm. 1885, 281–526. Für die freundliche Bereitstellung des Materials zum Wörterbuch der Familiennamen für die Zeit von 1500–1800 danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Anthroponomastischen Arbeitsstelle der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Krakau. Für die Hilfe beim Einholen der Informationen danke ich Frau Prof. Barbara Czopek-Kopciuch aus der Toponomastischen Arbeitsstelle dieser Akademie ebenfalls sehr herzlich. Vgl. das Material zum Wörterbuch der Familiennamen für die Zeit von 1500–1800 in der Anthroponomastischen Arbeitsstelle der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Krakau.
Der Familienname Lehmann, seine Varianten und Ableitungen im Polnischen
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2.3. Der Familienname Lehmann sowie seine graphischen Varianten und Ableitungen im Wörterbuch der Familiennamen Polens In der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind folgende Schreibungen des FamN Lehmann im Polnischen belegt (Rymut 1992–1994, Bd. 5, 509, 546f., 554, 557): 1. unabgeleitetes Lehmann in unterschiedlichen Schreibungen: Lehmann (2050), Leman (559), Lehman (356) und Lemann (22), 2. suffigierte Ableitungen aus dem FamN Lehmann, die wir nach der Häufigkeit ihres Vorkommens ordnen: -ski: 4632: LemaĔski (4508), LamaĔski (66), Lemanski (53), LemoĔski (5); s.u. auch -owski (44); zum Suffix -ski vgl. die Untersuchung von Skowronek (2001, 154f.), ebd. mit dem Hinweis, dass -ski vom 16. Jh. an auch an bestehende Familiennamen angefügt werden kann. Bei polnischen Familiennamen ist -ski das häufigste Suffix (Skowronek 2001, 201–203, Tab. 4.6 und 4.7). -czyk: 2042: LemaĔczyk (1888), LamaĔczyk (2), Lemanczyk (152), LemoĔczyk (0); zum Suffix -czyk s. Skowronek 2001, 142. Das Suffix -czyk, eine Variante zu -ik/-yk, liegt in der Häufigkeit der polnischen Familiennamensuffixe an 4. Stelle (Skowronek 2001, 201í203, Tab. 4.6 und.4.7). -owicz/-(i)ewicz: 740: Lemanowicz (736), Lemanewicz (1), Lemaniewicz (3), Lemonowicz (0); s.u. auch -ki/ewicz (76); zum Suffix -owicz s. Skowronek (2001, 136f.), vgl. ebd. auch den Hinweis, dass dieses Suffix gewöhnlich weißrussischen und ukrainischen Einfluss signalisiert und Familiennamen mit diesem Suffix besonders in den östlichen Wojewodschaften Polens anzutreffen sind. -ik: 218: Lemanik (217), Lemonik (1); zum Suffix -ik (Skowronek 2001, 142) und s.o. -czyk. -ek: 77: Lemanek (77); zum Suffix -ek s. Skowronek (2001, 141f.). Das Suffix -ek liegt in der Häufigkeit der Suffixe polnischer Familiennamen an 5. Stelle (Skowronek 2001, 201í203, Tab. 4.6 und 4.7). -ki/ewicz: 76: Lemankiewicz (74), Lamankiewicz (2); zum Suffix -kiewicz s. Skowronek (2001, 136f.), s.o. -owicz/-(i)ewicz; -owski: 44: Lemanowski (43), Lamanowski (1); zum Suffix -owski s. Skowronek (2001, 154f.); s.o. -ski. Die Ergebnisse der Auswertung des hier vorgestellten Materials können wie folgt zusammengefasst werden: 1. Unter den unabgeleiteten Familiennamen in unterschiedlichen Schreibvarianten ist Lehmann (2050) am häufigsten. Es folgen in der Reihenfolge ihrer Frequenz: Leman (559), Lehman (356) und Lemann (22). 2. Im Vergleich zu den unabgeleiteten Familiennamen in unterschiedlichen Schreibvarianten ist ein deutliches Übergewicht abgeleiteter suffigierter Bildungen festzustellen (7833).
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An erster Stelle liegen dabei die Familiennamen mit dem Suffix -ski (4632), die über die Hälfte der suffigierten Bildungen ausmachen, vgl. auch bei W. Wenzel 1999, 157 den Beleg 1841 Lemanski, für den polnische Herkunft angegeben wird. Es folgen in der Reihenfolge ihrer Frequenz die Lehmann-Namen mit den Suffixen: -czyk (2042), -owicz/-(i)ewicz (740), -ik (218), -ek (77), -ki/ewicz (76) und -owski (44). 3. Der Vergleich unserer Auswertung mit den Ergebnissen der Untersuchung von Skowronek 2001 bestätigt eine Übereinstimmung zwischen der Frequenz derjenigen Suffixe, die sich mit dem FamN Lehmann verbinden, und der Frequenz dieser Suffixe bei den polnischen Familiennamen insgesamt, d.h. das -ski-Suffix als das häufigste Suffix polnischer Familiennamen steht auch bei den suffigierten Lehmann-Namen an erster Stelle.
3. Das Appellativ leman ‚Lehnsmann‘ in der polnischen Lexikographie Die deutschen Appellativa Lehen, Lehensmann, Lehnsherr usw. sind, wie auch die entsprechenden deutschen Familiennamen, im Zuge der deutschen Ostsiedlung ins Polnische gekommen. In den polnischen etymologischen und historischen Wörterbüchern ist poln. leman ‚Leh(e)nsmann‘ gut belegt und wird vom 16. Jh. an auch nach entsprechenden historischen Quellen zitiert, vgl. poln. leman, für das als älteste Nachweise Belege aus den Jahren 1565, 1570 und 1624 genannt werden (BaĔkowski 2000, Bd. 2, 21; Brückner 1957, 294; Linde 1854–1860; Wydanie trzecie fotooffsetowe, Warszawa 1951, Bd. 2, 618; Slawski 1952–1982, Bd. 4, 143–144; Sáownik polszczyzny XVI wieku, Bd. 12, 137). Im altpolnischen Wörterbuch (UrbaĔczyk 1953ff., Bd. 1ff.), das den altpolnischen Wortschatz bis 1500 erfasst und das auch Lehnwörter enthält, ist leman nicht verzeichnet, d.h. in den für das Wörterbuch ausgewerteten Quellen kommt ein solches Appellativ nicht vor, vgl. auch den Hinweis im Wörterbuch des 16. Jhs., wo auf das Fehlen von leman im altpolnischen Wörterbuch aufmerksam gemacht wird (Sáownik polszczyzny XVI wieku, Bd. 12, 137).
4. Das polnische Appellativ lennik ‚Lehnsmann‘ und der polnische Familienname Lennik Sáawski nennt in seinem etymologischen Wörterbuch der polnischen Sprache (1952–1982, Bd. 4, 155) Material aus dem 16. Jh. als erste Nachweise für die Appellativa lenno ‚Lehen‘ (aus dt. Lehen, vgl. mhd. lêhen, mnd. lên, frühnhd. lehen) und lennik ‚Leh(e)nsmann‘, vgl. außerdem ebd. das Appellativ lenownik ebenfalls ‚Leh(e)nsmann‘, Nachweis: 1611). Die polnische semantische Entsprechung des deutschen Appellativums Leh(e)nsmann, d.h. poln. lennik, das
Der Familienname Lehmann, seine Varianten und Ableitungen im Polnischen
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Nomen agentis aus poln. lenno ‚Lehen‘, ist nach Brückner 1957, 295 über das Tschechische ins Polnische gekommen. Die Wörterbücher von Rymut verzeichnen für die Gegenwart lediglich eine äußerst geringe Frequenz für den FamN Lennik (Frequenz 1 (Wa) (Rymut 1992–1994, Bd. 5, 562; ders. 1999/2001, Bd. 2, 14). In altpolnischer (Sáownik staropolskich nazw osobowych 1965–1987) und mittelpolnischer Zeit8 ist kein FamN Lennik belegt.
5. Zur Analyse des Materials 5.1. Wie ist die große Anzahl suffigierter Lehmann-Namen im heutigen polnischen Familiennamenbestand zu erklären? Es ist davon auszugehen, dass der FamN Lehmann, der mit den deutschen Siedlern nach Osten kam, im Laufe der Zeit an die Struktur der polnischen Familiennamen angepasst, d.h. integriert wurde, und zwar durch Anfügen polnischer Familiennamensuffixe. Daher verzeichnet das Wörterbuch der heutigen Familiennamen in Polen (Rymut 1992–1994; ders. 1999/2001) mehr suffigierte Lehmann-Namen als nichtsuffigierte. Die eingehende Prüfung von Belegreihen einzelner Familiennamen und ihre Zuordnung zu bestimmten Personen könnte den Übergang von nichtsuffigierten zu suffigierten LehmannNamen gewiss bestätigen und den Prozess der Anpassung des FamN Lehmann an das polnische Namensystem nachvollziehbar machen. Anhand des vorliegenden polnischen Materials können allerdings verschiedene Veränderungen nachgewiesen werden, vgl. z.B. in anderen Familiennamen den Wechsel suffigierter und nichtsuffigierter Formen in der Überlieferung des Familiennamens: Szoátysik: 1415 Jacobum Scholtissyk, 1431 Jacobus Scholtiszyk, 1447 Iacobus Scholcz [Beleg ohne Suffix] (Sáownik staropolskich nazw osobowych, Bd. 5, 318) und den 2. Wechsel polnischer und deutscher weibl. Namenformen in der Überlieferung des Familiennamens: Szoltysowa (fem.): 1398 … dictam Szoltiszewa, 1397 Katherina Scholtisynne (Sáownik staropolskich nazw osobowych, Bd. 5, 318). Hier sei auch besonders und erneut auf die Arbeiten Walter Wenzels hingewiesen, der in seinen Untersuchungen von Personennamen in der Lausitz den Wechsel von deutschen und sorbischen Belegen und schließlich das Festwerden einer bestimmten Namenform anhand der Quellen vielfach nachweisen kann (Wenzel 1991/1992). Würde man die polnischen Quellen unter diesem Aspekt weiter auswerten, wären ähnliche Ergebnisse zu erwarten, zumindest bei einem Teil der historischen Überlieferung der Personennamen. Hier sind weitere Ergebnisse aus der Untersuchung der polnischen Personennamen des 16. bis 18. Jhs. zu –––––––— 8
Freundliche Mitteilung von Frau Prof. Barbara Czopek-Kopciuch, Krakau.
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erwarten (CieĞlikowa 2006, 95–101; dies. 2008, 63–69). Auf ein Nebeneinander mehrerer Suffixe in Belegreihen zu ein und demselben Familiennamen weisen auswertende Studien zu diesem Material hin (CieĞlikowa 2008, 66).
5.2. Wie verhalten sich der Familienname Lehmann und das deutsche Lehnwort leman im Polnischen zueinander? Die Existenz eines Appellativums leman (deutsches Lehnwort im Polnischen) kann aus den Lehmann-Belegen des 14. Jhs. im Wörterbuch der altpolnischen Personennamen (Sáownik staropolskich nazw osobowych) für das Polnische dieser Zeit nicht abgeleitet werden. Eher ist davon auszugehen, dass der FamN Lehmann vor dem Appellativ leman in den Sprechergemeinschaften der jeweiligen Gebiete des heutigen Polens verankert war. Hierfür spricht einerseits die historische Überlieferung des Familiennamens (Erstbelege im 14. Jh.) und des Appellativums (Erstbelege im 16. Jh.), aber auch die gesicherte Erkenntnis, dass für den Gebrauch des FamN Lehmann durch eine deutsche, polnische oder auch eine gemischte Sprechergemeinschaft das Vorhandensein des Appellativums leman nicht nötig war, denn bekanntlich ist für das Funktionieren eines Namens sein ursprüngliches Benennungsmotiv, d.h. die ihm zugrundeliegende appellativische Bedeutung, nicht notwendig. Damit können die LehmannBelege im Wörterbuch der altpolnischen Personennamen (14. Jh.) nicht als Beweis für ein frühes deutsches Lehnwort leman im Polnischen gelten. Es handelt sich beim FamN Lehmann nicht um eine Bildung, die im Polnischen und auf der Grundlage des deutschen Lehnwortes leman erfolgte. Vielmehr kam zunächst der deutsche FamN Lehmann in die Sprechergemeinschaft. Das deutsche Appellativum wurde dagegen erst später entlehnt, wie der Erstbeleg aus dem 16. Jh. zeigt. Alle suffigierten Formen des Familiennamens sind Ausdruck seiner Angleichung an das Polnische. Dies wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass mehr suffigierte Formen belegt sind als unabgeleitete. Ein weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen: Die ersten Nachweise für leman, lenno und lennik in historischen Quellen für die Gebiete des heutigen Polens stammen aus dem 16. Jh. und damit aus einer Zeit, zu der die Bildung der Familiennamen in Polen, vor allem in den Städten, im Wesentlichen als abgeschlossen gelten kann. Dies erklärt auch, warum poln. lennik im Gegensatz zu dt. Lehmann in Familiennamen in Polen nur schwach belegt ist, was gleichermaßen auch für entsprechende suffigierte Ableitungen aus lennik gilt. Die im Wörterbuch der Ortsnamen Polens (Nazwy miejscowe Polski. Historia, pochodzenie, zmiany 2005, 51f.) verzeichneten Ortsnamen Leman, Lemany können für unsere Untersuchung nicht herangezogen werden, da ihre historische Überlieferung erst relativ spät einsetzt. Teilweise handelt es sich bei diesen Ortsnamen auch um jüngere Umbenennungen.
Der Familienname Lehmann, seine Varianten und Ableitungen im Polnischen
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5.3. Notwendigkeit der Berücksichtigung der Ergebnisse der Siedlungsforschung Rymut 1999/2001, Bd. 1, LXV–LXXV, bes. LXVI weist in seinen Untersuchungen zu den polnischen Familiennamen darauf hin, dass die frühesten deutschen Einflüsse in Pommern, Schlesien und im westlichen Großpolen zu verzeichnen sind. In Pommern sind deutsche Personennamen in den historischen Dokumenten schon im 11. Jh. belegt, in Schlesien im 13. Jh. In die westlichen Gebiete des späteren polnischen Staates kamen deutsche Familiennamen im Laufe einer mehrere Jahrhunderte dauernden deutschen Kolonisation. Unter den Städten mit einer beträchtlichen Anzahl deutscher Familiennamen nennt Rymut besonders Krakau (Kraków), Lemberg (L‘viv), Thorn (ToruĔ), Posen (PoznaĔ) und Warschau (Warszawa) (Rymut 1999/2001, Bd. 1, LXVI; ders. 2002, 397). Dies wird u.a. auch durch die historische Überlieferung für den FamN Lehmann bestätigt, wo sich in den Quellen im Kontext der Namensnennungen Hinweise auf Orte wie Kulm (Cheámno), Krakau und Warschau finden, vgl. die bereits oben genannten Belege: 1362 Helmanno Leymann, Cracoviensi … civ(e) (MVat II 276),9 1418 ein Hannus Leeman, laycus … dyocesis (Culmensis) Woel 507 (Sáownik staropolskich nazw osobowych Bd. 3, 239)10 und 1570 Die Buerger von Thorenn … Lucas Lehman von Kuczwal (Region Cheámno), vgl. die Materialsammlung zum Wörterbuch der Familiennamen der mittelpolnischen Zeit, die einen Zeitraum von 1500–1800 erfasst. Noch stärker auszuwerten ist Material aus den Untersuchungen zur deutschen Besiedlung in Polen (vgl. u.a. BaraĔski 2008, 20–29).
5.4. Welche weiteren Aufgaben können aus den oben vorgestellten Ergebnissen abgeleitet werden? In einem nächsten Schritt müssen weitere deutsche Familiennamen in Polen untersucht, kartiert und zu den bisherigen Ergebnissen in Beziehung gesetzt werden. Auch hier ist u.a. nach dem Verhältnis von abgeleiteten und unabgeleiteten Namenformen zu fragen. Eine Kartierung kann Aufschluss über die Distribution der Familiennamen geben. Dabei ist neben der Untersuchung des Verhältnisses zwischen abgeleiteten und unabgeleiteten Namenformen jeweils immer auch das Verhältnis zum jeweiligen appellativischen Wortschatz zu betrachten. Von besonderem Interesse ist die Frage nach der Überlagerung von Arealen der in den mittelalterlichen Quellen belegten unterschiedlichen Personen- und Familiennamen in den einzelnen Siedlungsgebieten. Gedacht ist dabei zunächst an die Untersuchung von Familiennamen wie z.B.: Rychtarz/Rychter (Rymut 1999/2001, Bd. 2, 375; ders. 1992–1994, Bd. 8, 207), vgl. dt. appellati–––––––— 9 10
Die Familiennamen heben wir hier durch Kursivdruck hervor. Hinweise auf die Herkunft der genannten Personen in den Quellen bzw. als Anmerkung der Bearbeiter heben wir durch Fettdruck hervor.
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visch Richter; Landwojt (Rymut 1999/2001, Bd. 1, 8; ders. 1992–1994, Bd. 5, 513), vgl. dt. appellativisch Landvogt; Wojt,11 vgl. dt. appellativisch Vogt; Szep, vgl. dt. appellativisch Schöppe, Schöffe; Szulc, Szuác, Szult12, vgl. dt. appellativisch Schulze; Soátys13, vgl. dt. appellativisch Schultheis. Im Zusammenhang mit dem poln. FamN Soátys ist besonders auf die Bearbeitung von poln. soátys durch Eggers (1988) hinzuweisen, wo nach Prüfung appellativischen und anthroponymischen Materials die „deutsche Vorlageform […] geographisch und dialektal“ bestimmt werden kann. „Das Entlehnungsgebiet [von poln. soátys] ist eindeutig Großpolen“ (Eggers 1988, 69–70).
6. Möglichkeiten der Kartierung und ihre Auswertung Der Frage „[i]nwieweit […] Familiennamen sprachgeographisch überhaupt auswertbar [sind], wo sich doch ein Name mit seinen Namenträgern aus mehreren aufeinander folgenden Generationen mehr oder weniger weit vom Entstehungsort des ursprünglichen Bei- bzw. Familiennamens entfernen kann“, geht Wenzel nach: „Spezielle Studien zu diesem Problem führten zu dem Schluss, dass die Bevölkerung trotz einer gewissen Binnenmigration zwar wenig stellenfest, wenig ortsfest, aber ausgesprochen landschaftsfest ist. Berücksichtigt man jedoch zusätzlich noch, dass die einstigen Beinamen und späteren Familiennamen über große Zeiträume hinweg auf dem Lande als Hofnamen, in den Städten auch als Hausnamen, genauer Hof- und Hausbesitzernamen fungierten, die ihrem Wesen nach lokal gebunden sind, so hat die Arealanthroponomastik festen Boden unter den Füßen“ (Wenzel 2004a, 724).
Mit den polnischen Personennamenbüchern, vor allem mit den beiden Familiennamenbüchern von Rymut (1992–1994 und 1999/2001) wurden umfangreiche Nachschlagewerke vorgelegt. Die Zusammenfassung der Familiennamen unter historisch-etymologischem Aspekt im zweibändigen und die statistischen Angaben bei den einzelnen Namen im 10-bändigen Wörterbuch laden zu Kartierung und weiterer Auswertung ein.14 Kommentar zu Karte 1 (Der Name Lehmann und seine nichtsuffigierten (Lehman, Lemann, Leman) und suffigierten Varianten, s. Anhang S. 363): Zum Verhältnis unabgeleitete/abgeleitete Lehmann-Namen ist zu bemerken, dass die Wojewodschaften mit einer hohen Frequenz an einfachen, unabgeleiteten Lehmann-Namen auch eine hohe Frequenz an suffigierten Lehmann-Namen verzeichnen, vgl. bes. die Areale zu den Wojewodschaften GdaĔsk (1548) und PoznaĔ (1355). –––––––— 11
12 13 14
Rymut 1999/2001, Bd. 2, 695–697; ders. 1992–1994, Bd. 10, 292–301, vgl. auch Wenzel 2004b, Karte 3, u.a. mit der Verbreitung des Familiennamens Wojt und Ableitungen daraus. Rymut 1999/2001, Bd. 2, 558–559; ders. 1992–1994, Bd. 9, 360, 363. Rymut 1999/2001, Bd. 2, 462; ders. 1992–1994, Bd. 8, 571. Für die Hilfe bei der Erstellung der Karten danke ich Frau Claudia Hollstein.
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Der Vergleich nichtsuffigierter und suffigierter Namen zeigt weiterhin, dass die suffigierten Lehmann-Namen eine größere Verbreitung als die nichtsuffigierten haben, denn eine Reihe von Wojewodschaften, besonders im östlichen Polen, die gar keine einfachen, unabgeleiteten Lehmann-Namen belegen, verzeichnen eine, wenn auch sehr geringe, Anzahl suffigierter Lehmann-Namen, vgl. die Karten 2 und 3 sowie die entsprechenden Kommentare. Geordnet nach der Häufigkeit haben die höchste Frequenz: die Wojewodschaften GdaĔsk (1548), PoznaĔ (1355) und Bydgoszcz (1270). Es folgen mit deutlich weniger Nachweisen: Sáupsk (691), Páock (549) und Katowice (443). Darüber hinaus sind einige regionale Häufungen zu verzeichnen, vgl. die Wojewodschaften Warszawa (421) und àomĪa (396). Am geringsten ist die Frequenz im Osten, genauer im Südosten, Polens, vgl. mit folgender Frequenz: die Wojewodschaften Cheám, PrzemyĞá (je 1), Krosno (3), Biaáa Podlaska (4), Siedlce, Rzeszów, Tarnów (je 9), Nowy Sącz (10), Piotrków Trybunalski (12), Bialsko-Biaáa (1) und Tarnobrzeg (14). Kommentar zu Karte 2 (Der Name Lehmann und seine nichtsuffigierten Varianten (Lehman, Lemann, Leman), s. Anhang S. 363): Die Hauptverbreitungsgebiete liegen im Westen und Nordwesten Polens. Belege sind auch in Schlesien zu verzeichnen. Geordnet nach der Häufigkeit haben die höchste Frequenz: die Wojewodschaften GdaĔsk (920), PoznaĔ (619), Zielona Góra (202), Bydgoszcz (170) und Katowice (117). Zu vergleichen sind die Ausführungen unter 2.3, Punkt 1. Nach Osten, besonders nach Südosten, zeigt sich eine deutliche Abnahme der Belege bis hin zu völligem Fehlen. Kommentar zu Karte 3 (Die suffigierten Bildungen aus dem Namen Lehmann, s. Anhang S. 364): Geordnet nach der Häufigkeit haben die höchste Frequenz: die Wojewodschaften Bydgoszcz (1100), PoznaĔ (736), GdaĔsk (628), Sáupsk (613) und Páock (548). Zu vergleichen sind die Ausführungen unter 2.3, Punkt 2. Die Hauptverbreitungsgebiete liegen im Norden Polens, die geringste Verbreitung ist im Südosten verzeichnet.
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Jürgen Udolph
Familiennamen als Zeugen von Flucht, Vertreibung und Umsiedlung
Abstract Family names are high-quality historical sources that reflect history at a high rate. To be able to use family names as historical sources, it is necessary not only to know the spread of the family names as it appears today, but also the distribution of the name before the major changes and movements of population that took place during and after World War II. Progress in computer applications and in the mapping of family names makes it possible to qualify the impact of escape, eviction and relocation in Central Europe – and even to chart it. Huguenots, Waldensians, emigrants for religious reasons, like those from Salzburg, and refugees from the German and Polish Eastern territories have found new homes. Their family names and their traces illustrate where they have come from and where they have migrated.
1. Einleitung Die heutige deutsche Bevölkerung ist ein Sammelbecken von sehr verschiedenen Zuwanderungsströmen, die vor 1945 noch relativ schwach waren, erwähnt werden können hier Hugenotten, Waldenser, Welsche Einwanderer (vor allem aus Norditalien) und Salzburger Exulanten. Stärker war schon der Zuzug von Arbeitern aus West- und Ostpreußen, Pommern, Posen und Schlesien, die vor allem in das Ruhrgebiet einwanderten.1 Eine völlige Umwälzung der deutschen Bevölkerung brachten aber der 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit mit sich. Ca. 16,5 Millionen Vertriebene, Umsiedler und Flüchtlinge (ca. 25% der Bevölkerung Deutschlands im Jahre 1939) verließen ihre Heimat, zumeist in Ost- und Südosteuropa, und ließen sich im heutigen, durch die Kriegsfolgen kleiner gewordenen Gebiet Deutschlands nieder. „Diese große Wanderungswelle des 20. Jahrhunderts ist oftmals viel schwerer in den heutigen Namendistributionen zu erkennen“ meint Fraust 20082 mit Recht. Dass man aber mit heutigen Hilfsmitteln und vor allem mit modernen Kartierungen diesen Wanderungen nachgehen kann, möchte ich mit den folgenden Ausführungen zeigen.3
–––––––— 1 2 3
Die Aufarbeitung speziell der Einwanderer mit polnischen Namen hat begonnen: Rymut/Hoffmann 2006. Eine Zusammenfassung auch bei Fraust 2007, 139–149. Zum Teil schon behandelt in dem Beitrag: Udolph 2006, 48–75.
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Jürgen Udolph
2. Waldenser Diese Protestanten ließen sich nach zahlreichen Umsiedlungen und Wanderungen z.T. auch in Deutschland nieder. Die heutigen Waldensergemeinden in Deutschland gehen auf Wiederansiedlungen in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. v.a. in Hessen und Baden-Württemberg zurück, worauf auch einige Ortsnamen hinweisen. Hierzu gehört auch der Familienname Jourdan (422 Telefonteilnehmer), dessen Verbreitung in Süddeutschland (vgl. Karte 1) dem in hohem Maße entspricht. Die Deutung des Namens aus dem biblischen Taufnamen Jordan ist unstrittig (vgl. z.B. Gottschald 2006, 275; Morlet 1997, 545), allerdings ist auch eine Vermischung mit dem germanischen Vornamen Jordanes bzw. dem aus dem Germanischen ererbten Namen Jornandes zu beachten. Die Verbreitung von Jourdan in Frankreich, Italien und der Schweiz zu ermitteln, ist mit Hilfe entsprechender Internetprogramme4 heute kein Problem mehr.
Karte 1: Jourdan (Quelle: Geogen.de)
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notrefamille.com; gens.labo.net/it/cognomi; verwandt.ch/tel.search.ch.
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3. „Welsche Einwanderer“ Sogenannte „Welsche Einwanderer“ wanderten vor allem im 17. Jh. nach dem 30jährigen Krieg nach Deutschland ein, u.a. waren es Tessiner und Bündener Bauhandwerker, die „Muratori“; Südfrüchtehändler oder Zitronenkrämer, die meist aus der Gegend um den Comer See kamen; Seiden- und Galanteriewarenhändler aus Savoyen und Piemont, d.h. vom Lago Maggiore und dessen Seitentälern; ferner Einwanderer aus verschiedenen Tälern der Lombardei, meist Bauhandwerker. Hierzu gehört der bekannte Familienname Brentano, der heute in Deutschland auf einer Telefon-CD 1998 ca. 50-mal nachgewiesen werden kann. Eine Kartierung unter Einschluss der historischen Belege (123mal zwischen 1687 und 1854; s. Karte 2, historische Belege = schwarz, 1998 = grau) zeigt, dass vor allem Südwestdeutschland das Ziel der Einwanderer gewesen ist.
Karte 2: Brentano (Quelle: Gen-evolu.de)
4. Hugenotten Die wohl bekannteste Flüchtlingsgruppe vor dem 2. Weltkrieg sind die Hugenotten. Ihr Bekanntheitsgrad ist in der deutschen Bevölkerung so hoch, dass sehr häufig vermutet wird, ein undurchsichtiger oder fremd erscheinender Fami-
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lienname stamme von den Hugenotten ab.5 Ihr Einfluss wird entschieden überschätzt, die fraglichen Namen sind zumeist polnischer oder niederdeutscher Herkunft, zudem sind Hugenottennamen auch heute noch oft gut zu erkennen: de Maiziere, Fontane, Manoury, Pellet. Die Verbreitungen der Namen können bei der Bestimmung der Herkunft helfen, vor allem ist ein Blick in die französische Internetdatei notrefamille.com dringend zu empfehlen. Fehlt der gesuchte Name in Frankreich, darf der „Hugenottenverdacht“ meist schon aufgegeben werden. Da nur bestimmte deutsche Länder Hugenotten aufgenommen haben (vor allem Brandenburg, Hessen-Kassel, Württemberg), kann auch die Verbreitung zu einer Klärung beitragen.6 Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass die Folgen des 2. Weltkriegs mit der massenhaften Fluchtbewegung aus den deutschen Ostgebieten zu einer Verwischung der ursprünglichen Verhältnisse beigetragen haben. Hier ein Beispiel: der Familienname Roquette ist in der DFADatenbank 37-mal eingetragen.
Karte 3: Roquette (Deutscher Familiennamenatlas, Stand 2005)
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Ein schönes Beispiel für diese Einschätzung bietet Andrack 2008 in seiner gelungenen Einführung in die Ahnen- und Familienforschung „Von wem habe ich das bloß. Auf den Spuren der Ahnen. Eine Gebrauchsanweisung“. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der namenkundlichen Standardwerke wie Debrabandere 2003; Germain/Herbillon 2007; Morlet 1997, Zamora 1992.
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Seine Verbreitung (s. Karte 3) spricht nicht unbedingt für einen französischen Namen. Allerdings ist er in Frankreich 138-mal nachgewiesen (notrefamille. com) und kann von daher durchaus durch Hugenotten nach Deutschland gekommen sein.7 Entscheidend sind historische Belege, die man vor allem in der Internetdatei familysearch.org finden kann, sowie deren Kartierung (s. Karte 4).8 Diese lässt klar erkennen, dass der Name vor allem in Brandenburg verbreitet war und die heutige Streuung durch die Ereignisse nach 1945 bedingt ist (zu ähnlichen Streuungen s. auch unten).
Karte 4: Roquette (Quelle: Gen-evolu.de)
5. Salzburger Exulanten Ca. 20.000 Protestanten mussten 1730/31 das Erzbistum Salzburg verlassen, die meisten fanden Zuflucht in Ostpreußen. Ihre Namen verraten aber zumeist immer noch die Herkunft aus Österreich (vgl. Gollub 1934; Kessler 1937),9 gelegentlich aber wurden diese so weit verändert, dass eine namenkundliche Analyse notwendig ist. Ich greife hier eine Anfrage aus Schmalkalden (Thüringen) auf: Nach Überlieferung innerhalb der Familie Oberüber ist diese nach 1945 aus Ostpreußen gekommen, die Vorfahren sollen jedoch aus dem Salzburger Land gekommen sein. Heute ist dieser Name in Deutschland 107-mal be–––––––— 7 8 9
Das wird auch durch Zamora 1992, 476, 477, 688 bestätigt. Die Grundlagen dafür legte Fraust 2007; ders. 2008. Im Internet findet sich eine Liste der Namen: www.woodele.de/genealogie/gensalzburger.html.
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zeugt, die Verbreitung ähnelt einem Flickenteppich, was zumeist auf Umsiedlung, Vertreibung oder Flucht nach 1945 hinweist. In Österreich lässt sich jedoch kein einziger Name nachweisen!10 Allerdings ist er in Ostpreußen gut und früh bezeugt,11 so etwa 1795 in Gumbinnen. Die Herkunft aus Ostpreußen steht außer Frage, jedoch lässt sich damit noch keine Verbindung mit Österreich oder Salzburg herstellen. Diese gewinnt man, wenn man weitere Interneteinträge wie etwa Maria Oberuber, geboren 1812 in Darkehmen (Ostpreußen),12 berücksichtigt. Dadurch lässt sich wahrscheinlich machen, dass die Namenvariante Oberüber eine Umdeutung aus Oberuber und wohl letztlich aus Oberhuber ist. Dieser Name erscheint auf einer Telefon-CD 1998 über 200-mal, vor allem in Südostbayern; seine höchste Dichte besitzt er im Landkreis Traunstein. Aber auch in Österreich ist er häufig (Geogen Austria: 235 Einträge), darunter auch im Salzburgischen (s. Karte 5: Verbreitung von Oberhuber (in Österreich) s. Anhang S. 365). Das alles spricht dafür, den Berichten der Familie Oberüber aus Schmalkalden zu vertrauen und eine Siedlungsbewegung Salzburg o 1730/31 Ostpreußen o 1945 Thüringen (und übriges Deutschland) anzunehmen. Wie so oft sind die Namen verlässliche Zeugen der Geschichte.
6. Zuwanderung im 19. Jh. aus Pommern, Ostpreußen, Schlesien Nicht erst im 20. Jh., sondern schon Jahrzehnte zuvor, beginnend in der Mitte des 19. Jhs., wanderten Arbeiter aus Polen und den damals preußischen Ostgebieten nach Deutschland ein, vornehmlich in das Ruhrgebiet. Mit ihnen gelangte nicht nur die polnische Sprache in dieses Industriegebiet (vgl. Michalewska 1991), sondern auch eine große Zahl von Erwerbsmigranten vor allem aus Großpolen und Schlesien. Man schätzt ihre Zahl auf ca. 400.000 Menschen. Nicht wenige von ihnen trugen polnische Namen. Die bekanntesten von ihnen sind diejenigen von Fußballern wie Kwiatkowski, Szepan, Kuzorra, Libuda. Die Bearbeitung dieser Namen hat in den letzten Jahren durch eine Veröffentlichung in deutscher Sprache,13 aber auch durch Kartierungen,14 vor allem durch ein neu entwickeltes Projekt,15 wichtige Impulse erfahren. An zwei Beispielen kann das gezeigt werden.
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Geogen Austria (christoph.stoepel.net/geogen-at/). www.familysearch.org. www.familysearch.org, s.v. Oberuber. Rymut/Hoffmann 2006. www.genpol.com; www.moikrewni.pl/mapa/. www.gen-evolu.de.
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6.1. Kowalski Mit Hilfe der Kartierung der Namen aus Deutschland (Telefonanschlüsse 1998: ca. 3.900 Belege)16 und Polen (Einwohner: ca. 70.000, Rymut 2003) erkennt man mit einem Blick, dass dieser Name aus Polen stammt (poln. kowal ‚Schmied‘, z.T. auch aus davon abgeleiteten Ortsnamen gebildet), s. Karte 6, historische Belege vor 1945 = schwarz).
Karte 6: Kowalski (Quelle: Gen-evolu.de)
Der weitaus größte Teil dieser Name ist natürlich erst in den Jahren nach 1945 nach Deutschland gelangt, aber einige schon weitaus früher. Deren Verbreitung zeigt am besten das Reichstelefonbuch von 1942,17 eine Datenquelle, in der ca. 2,6 Millionen Telefonteilnehmer des damaligen deutschen Reiches verzeichnet sind. Die Kartierung des Namens Kowalski mit ihren 124 Belegen (s. Karte 7) zeigt, dass es außerhalb der ostdeutschen und polnischen Siedlungsgebiete nur im Ruhrgebiet eine Häufung gibt. Das wiederholt sich bei weiteren Namen, so auch beim folgenden.
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DT-Info & Route 1998. Einzelheiten dieser Quelle erläutert Fraust 2008, 22ff.; die Karten sind abrufbar im Internet unter www.gen-evolu.de.
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Karte 7: Kowalski (Quelle: Gen-evolu.de – Reichstelefonbuch 1942)
6.2. Nowak Auch hier ist klar, dass die ca. 13.000 deutschen Namen (Telefon-CD 1998) ihre Entsprechungen im Osten haben (in Polen ist der Name über 200.000-mal (Einw.) bezeugt), s. Karte 8 (historische Belege vor 1945 = schwarz). Die Kartierung nach dem Reichstelefonbuch 1942 (s. Karte 9) zeigt zum einen – wie erwartet –, dass der Name vor 1945 schon gehäuft im Ruhrgebiet auftritt, aber er bietet auch eine kleine Überraschung in der Verbreitung im Osten: Offensichtlich spielt auch Böhmen mit dem tschechischen Familiennamen Novak/ Novák eine wichtige Rolle,18 denn die Namen der angrenzenden Gebiete Oberschlesien, Sachsen, Sudetenland und Österreich können – mit Ausnahme von Oberschlesien – am ehesten aus dem Tschechischen erklärt werden. Immerhin ist der Familienname Novák heute in Tschechien fast 35.000-mal (Telef.) bezeugt.19
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Poln. nowak, tschech. novák ‚der Neue, Neuankömmling‘. Statistik des Innenministeriums der ýSR (heute im Internet nicht mehr verfügbar): www.mvcr.cz/sprava/informat/cetnost/index.html.
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Karte 8: Nowak (Quelle: Gen-evolu.de)
Karte 9: Nowak (Quelle: Reichstelefonbuch 1942)
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7. Flucht, Vertreibung und Umsiedlung im 20. Jahrhundert Es ist keine Frage, dass die überwältigende Menge der zugewanderten Namen in Deutschland auf den verheerenden Folgen des 2. Weltkrieges beruht. In den ersten Jahren dürften rund 13 Millionen Menschen in Deutschland angekommen sein, später folgten weitere 2–3 Millionen. Diese Wanderungen lassen sich anhand von zahlreichen Familiennamen leicht nachzeichnen, ich greife nur einige wenige heraus.20
7.1. Buggent(h)ien Die Kartierung der 54 Telefonteilnehmer von 1998 (Buggenthin 32, Buggenthien 22) bietet ein typisches Flickenteppichbild im Norden Deutschlands. Es handelt sich um einen Herkunftsnamen. Zugrunde liegt die bis 1945 amtliche Form des heutigen Ortsnamens Bogucino bei Kolberg/Koáobrzeg, 1191–1194 Bogutino, 1276 Buggentino, Boggentino, 1554 Bogentin und so weiter.21
7.2. Vanselow Personen, die Fanselow oder Vanselow heißen, vermuten, der Name stamme aus dem Holländischen und sei eingedeutscht. Eine Telefon-CD von 1998 verzeichnet den Namen Fanselow 264-mal, Vanselow 481-mal. Sowohl das Reichstelefonbuch von 1942 wie die Kartierung der historischen Belege nach Gen-evolu.de (s. Karte 10, historische Belege = schwarz) zeigen, dass eine Konzentration der Namen in Pommern die Ausgangsbasis des Familiennamens ist. Grundlage ist aber der westlich davon liegende Ortsname Vanselow bei Demmin (Mecklenburg-Vorpommern) (zur Etymologie s. Trautmann 1948, 138). Die Häufung in Pommern im heutigen Polen geht offensichtlich auf eine Wanderung des Herkunftsnamens von Westen nach Osten zurück. 22 1945 zwangen die Kriegs- und Nachkriegsereignisse die Träger der Namen Fanselow und Vanselow zu einer entgegengesetzten Wanderung. Ein ähnliches Schicksal ist mit dem nächsten Namen verbunden.
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Auf einige Fälle bin ich, auch mit Kartierungen, schon in anderem Zusammenhang eingegangen: Udolph 2006b, 255–265; ders. 2006a; ders. 2007, 23–32. Nazwy miejscowe Polski, Bd. 1 (A-B), Kraków 1996, 254. Für weitere Bereiche der Ostseeküste vgl. entsprechende Belege für Herkunftsnamen bei Feyerabend 1985.
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Karte 10: Vanselow (Quelle: Gen-evolu.de)
7.3. Mantey/Manthey/Mantei/Manthei Eine gewisse Klärung dieses schwierigen Namens wurde mir durch den Hinweis eines Anfragenden möglich, der darauf verwies, dass seine Vorfahren Mennoniten gewesen seien. Die Geschichte dieser Glaubensgemeinschaft lässt sich knapp wie folgt zusammenfassen: Auswanderung aus Friesland und den Niederlanden nach Westpreußen (Weichsel-Nogat-Delta), weiter nach Russland und in die Ukraine, nach 1945 wie zahlreiche weitere Flüchtlinge versprengte Zuwanderung nach Deutschland (die Auswanderung nach Amerika ist für unsere Frage ohne Bedeutung). Die bisherigen Deutungsversuche des Familiennamens Mant(h)ey, Mant(h)ei gingen in Richtung eines weiblichen Vornamens *Mant-heid(is), verbanden den Namen mit dem Ortsnamen Mantau (Ostpreußen), Mantey (Neumark), Mantel an der Waldnaab, MĊtno in Polen oder mit französisch montet ‚kleiner Berg‘ (Naumann 1994, 190; Bahlow 1982, 62; Gottschald 2006, 340; Rymut 2001, 65; Debrabandere 2003, 869). Zur Klärung ist die Kartierung unerlässlich. Heute streuen die Namen Mantei, Mantey, Manthei und Manthey wie folgt: unverkennbar ist das Zentrum im deutschen Nordosten, vor allem in Vorpommern (s. Karte 11: Verbreitung von Mant(h)ei, Mant(h)ey s. Anhang S. 366). Zieht man jedoch die historische Verbreitung hinzu (Karte 12, historische Belege = schwarz), so ist klar erkennbar, dass sich das Zentrum der Namen und damit der Ausgangsbereich der Wanderung westlich des Weichselknies befunden hat.
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Karte 12: Manthey (Quelle: Gen-evolu.de)
Daran scheitern schon fast alle Deutungen des Namens, allein der Gedanke, ihn mit niederländischen und belgischen Familiennamen wie Montet, Monté(e), Monte, Mantez, Manthé, Manthee, Manthey zu verbinden (Debrabandere 2003, 869), könnte zutreffen. Allerdings zeigt sich auch in diesem Fall ein Problem: Diese vor allem von F. Debrabandere behandelten Namen sind nicht in Friesland nachweisbar, sondern in den niederländischen Provinzen Nord- und Südholland. Für diese mag eine Etymologie mit Hilfe von franz. mont(et), montée richtig sein, kaum aber für friesische Mennoniten. Es bleiben Unsicherheiten, unter Umständen kann der schwierige Familienname mit friesischen Vornamen wie Mantje (Tammena 2009, 753) verbunden werden.
7.4. Kuleßa/Kulessa Ein „klassischer“ Fall eines Familiennamens, der durch Umsiedlung, Vertreibung oder Flucht in das heutige Deutschland gelangt ist, liegt in dem Familiennamen Kulessa/Kuleßa vor. 1998 ist er 375-mal auf einer Telefon-CD bezeugt. Die Streuung ähnelt, wie bei fast allen Namen, die aus dem Osten gekommen sind, einem Flickenteppich. Ein ganz anderes Bild zeigt die Verbreitung von 1942 (s. Karte 13): Obwohl nur 16 Einträge verzeichnet sind, ist unverkennbar, dass der Name in Schlesien und Ostpreußen seine Wurzeln hat. Er kann mit polnischen Parallelen wie Kulesa (656 Einträge), Kulessa (72 Einträge) bzw. Kulesza (14.000 Einträge) (Rymut 2003) verglichen werden und gehört zu poln. kulesza, der Bezeichnung für ein Mehlgericht.
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Karte 13: Kulessa (Quelle: Reichstelefonbuch 1942)
7.5. Kirschnick Die jahrhundertelange Symbiose von Deutschen und Polen hat auch in den Familiennamen ihre deutlichen Spuren hinterlassen. Ein schönes Beispiel dafür ist der Familienname Kirschnick. Der Urgroßvater der Informantin stammte aus Ostpreußen. Auf einer Telefon-CD von 1998 ist der Name 409-mal verzeichnet, seine Streuung ergibt keine Häufungen oder Konzentrationen, ein typisches Zeichen für Zuwanderung nach 1945. Die Basis des Namens liegt in Polen, wie die folgenden zahlreichen Namenvarianten belegen: Kersznik (2), Kierszniok (29), KirĞniok (6), Kirsznok (1), Kirzsnik (19), Kirszniak (40), Kirschnick (7), Kirschnik (1), Kirschniok (12).23 Zugrunde liegt dt. Kirsche oder – eher – Kürschner (bezeugt auch schlesisch dial. kirszner), erweitert mit dem polnischen Suffix -(n)ik-. Eine Kartierung unter Einschluss historischer Belege (s. Karte 14, historische Belege = schwarz) zeigt zweifelsfrei, dass der Name aus Ostpreußen kommt.
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Die Daten entstammen Rymut 2003.
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Karte 14: Kirschnick (Quelle: Gen-evolu.de)
Karte 15: Joschko (Quelle: Gen-evolu.de)
7.6. Joschko Die Familie des Informanten stammt aus dem oberschlesischen Bergbaurevier um Königshütte (Chorzów). Eine Kartierung des Vorkommens in Deutschland und Polen (s. Karte 15) zeigt, dass der Name in Deutschland fast 5-mal so häu-
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fig ist wie in Polen (479 Belege gegenüber 108 Nachweisen). Jedoch ist diese Gleichsetzung nicht korrekt, denn die Schreibung mit -sch- ist selbstverständlich eine Eindeutschung. Die polnische Vorlage ist Joszko, diese ist in Polen 885-mal bezeugt und besitzt ein eindeutiges Zentrum in Oberschlesien (s. Karte 16: Verbreitung von Jozko s. Anhang S. 367). Zugrunde liegt eine polnische Koseform zu Joachim oder Josef, Józef. Die bisherigen Flüchtlingsnamen stammten aus Pommern, Ostpreußen und Schlesien. Bei Umsiedlung, Vertreibung oder Flucht aus dem Sudetenland oder Böhmen zeigt sich ein anderes Bild der Verbreitung im heutigen Deutschland, wie die beiden folgenden Beispiele belegen.
7.7. Brichta Die Kartierung der 77 Belege des Familiennamens Brichta aus einer TelefonCD von 1998 zeigt, dass die Namen rund um Böhmen in Sachsen, Thüringen und vor allem Bayern zu finden sind (Karte 17). Ein tschechisches Telefonbuch24 enthält diesen Namen 30-mal, häufiger findet sich Brychta (191 Belege). Es liegt ein tschechischer Übername zu bĜich ‚Bauch‘, bĜicháþ ‚Dickbauch, Dickwanst‘ vor (Beneš 1962, 87; Wenzel 1992, 62).
Karte 17: Brichta (Quelle: Deutscher Familiennamenatlas, Stand 2005)
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seznam.1188.cz.
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7.8. Hamatschek Die Familie stammt aus Böhmen. In Deutschland erscheint der Name auf einer Telefon-CD 114-mal, es gibt auch die Varianten Hamacek (4) und Hamaczek (3). Die Streuung zeigt eine Verbreitung rund um Böhmen (Karte 18), was auch durch 8 Nachweise in Österreich (Hamatschek 7, Hamacek 1)25 bestätigt wird. Die Herkunft aus Tschechien wird bestätigt durch Telefoneinträge (Hamatschek 1, Hamáþek 67)26 und Einwohnernachweise (Hamáþek 378).27 Es liegt wahrscheinlich ein Übername zu tschech. hamižník ‚Habgieriger‘, zu hamati, ‚gierig schnappen‘ o.ä., vor.
Karte 18: Hamatschek (Quelle: Geogen.de)
7.9. Umsiedlung, Vertreibung, Flucht – auch in Polen Zum Abschluss sei daher ein Blick auf Polen erlaubt, nicht zuletzt deshalb, weil die polnische Namenforschung durch wichtige Publikationen und Sammlungen zu Familien- und Ortsnamen die Grundlagen zu einer Betrachtung gelegt hat. –––––––— 25 26 27
Geogen Austria. seznam.1188.cz. Statistik des Innenministeriums der ýSR.
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Der Familienname Abramczuk ist in Polen 913-mal bezeugt (Rymut 2003). Seine Verbreitung (Karte 19: Verbreitung von Abramczuk s. Anhang S. 367) zeigt, dass er sein Zentrum im Osten Polens besitzt, wahrscheinlich greift die Streuung auch nach Weißrussland und die Ukraine über. Daneben aber ist ein deutlich erhöhtes Vorkommen in den ehemals deutschen Ostgebieten erkennbar. Die Ursachen liegen auf der Hand: der ostpolnische, weißrussische und ukrainische Familienname Abramczuk, eine Ableitung von Abra(ha)m, ist im Zuge der Umsiedlung aus den ehemals polnischen Ostgebieten in die ehemals deutschen Ostgebiete gelangt. Die Konsequenzen der neuen Grenzen im östlichen Mitteleuropa zeigen also auch auf namenkundlichem Gebiet ihre deutlichen Spuren.
8. Zusammenfassung und Ausblick In letzter Zeit ist des öfteren Kritik daran geübt worden, dass Telefon-CDs zu namenkundlichen Studien genutzt werden. Es wird gemeint, die Daten seien nicht aussagekräftig: so besäßen nicht alle Einwohner ein Telefon, viele ließen sich nicht in die Telefonbücher oder CDs aufnehmen, die Daten seien z.T. unzuverlässig, die Zunahme der Handys verfälsche die Aussagen u.a.m.28 Entgegen der Meinung von K. Kunze, wonach die Telefonverzeichnisse eine „namenkundliche Basis ersten Ranges“ seien, die „sich ausgezeichnet für namensystematische und -geographische Untersuchungen eignen“ (Kunze 2004, 199), wird von der Kritik daher empfohlen, Kartierungen, die auf Telefonbüchern oder -CDs basieren, mit großer Vorsicht zu nutzen oder ganz auf sie zu verzichten. Ich kann dem nicht zustimmen. Wie die hier behandelten Namen und deren Kartierung zeigen, sind die Millionen von Namen, die die Telefon-CDs enthalten, absolut ausreichend, um schlüssige Ergebnisse zu erhalten. Hinzu kommt ja, dass man inzwischen auch ergänzend historische Daten von Familiennamen auswerten kann. Die zweifelhaft vorhandenen Fehler in Telefon-CDs werden von der Kritik entschieden überbewertet; die Streuungen sind in fast allen Fällen aussagekräftig und verlässlich. Das betrifft auch die Daten von familysearch.org; man muss sie nur mit Sorgfalt und Vorsicht nutzen (s. Fraust 2007, 2008). Hinzu kommt das Reichstelefonbuch 1942, das eine weitere wichtige Stütze für die Kartierung der historischen Streuung der Familiennamen darstellt, was gerade in Fällen von Umsiedlung, Vertreibung und Flucht von Bedeutung ist. Die Möglichkeiten, Familiennamen in Polen kartieren zu können (genpol.com; moikrewni.pl), hat inzwischen die Qualität der Namenanalysen erhöht. Bemerkenswert ist auch, dass sich keine entscheidenden Differenzen zwischen der polnischen CD, die auf Einwohnermeldeverzeichnissen bzw. Einträgen in –––––––— 28
Ohne auf Einzelheiten eingehen zu können, nenne ich hier: Schiller 2007, 177–190; Kohlheim/Kohlheim 2007, 60–73.
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der (einzigen) staatlichen polnischen Versicherung beruht,29 und den TelefonCDs ergeben haben. Beide Datenbanken liefern Verbreitungskarten, denen vertraut werden kann. Vereinzelte Fehler fallen nicht ins Gewicht. Die Streuung der Familiennamen kann daher mit Hilfe der CDs im Wesentlichen nachverfolgt werden. Es kommt ein wichtiges Argument hinzu: es ist die sprachwissenschaftliche und sprachhistorische Analyse, die in den mir bekannten Fällen – und das sind Tausende – zu keinerlei Diskrepanzen führt. K. Kunze und sein Sohn haben das am Beispiel der Apokope und anderen Erscheinungen bereits beispielhaft gezeigt (Kunze/Kunze 2003, 121–224). Ich fasse zusammen: Weder für die Telefon-CDs, noch für die Rymut-CD der polnischen Familiennamen oder die Daten von familysearch.org gibt es einen Ersatz. Im Gegenteil: Die Berücksichtigung dieser Hilfsmittel hat die Untersuchung der Familiennamen Deutschlands und Europas auf eine neue und fundierte Grundlage gestellt. Im Einklang mit der sprachwissenschaftlichen Analyse gelingt es jetzt viel besser, Familiennamen sicher zu deuten. Bei Vergleichen mit den hervorragenden Werken von Gottschald, Brechenmacher, Zoder, Bahlow u.a., die alle noch nicht auf die mit Hilfe von Telefon-CDs erstellten Verbreitungskarten zurückgreifen konnten, zeigt sich die Qualität der Streuungskarten in beeindruckender Weise. Dabei wird uns zukünftig vor allem die Arbeit der jungen Leipziger Namenkundler M. Fraust, M. Reichelt und Ch. Riese sehr helfen. Ich denke vor allem an die Entwicklung von Gen-evolu.de und die Aufbereitung der Daten des Reichstelefonbuchs von 1942. Es sind Meilensteine in der Kartierung und Untersuchung der Familiennamen, vor allem derjenigen Deutschlands, und sie erlauben es, auch die Folgen von Umsiedlung, Vertreibung und Flucht in der Geschichte der Familiennamen nachzuzeichnen.
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Rządowy Centrum Informatycznego PESEL, vgl. Rymut 2003, 4f.
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Familiennamengeographie regional
Hans Ramge
Familiennamengeographie und Flurnamenforschung Methodisches an hessischen Beispielen
Abstract The article reflects possibilities for a historical geography of surnames by using fieldnames as a helpful tool. There are two basic relations. (1) a lot of surnames are derived from fieldnames; so the geographical distribution of fieldnames (or main variants of those) may indicate locations where particular surnames could have been generated in the past. (2) a lot of fieldnames contain a surname (as a whole or as a part); in these cases, the geographical distribution of fieldnames reflects the distribution of their included surnames from a historical perspective because most fieldnames originate from 15th to 18th century. In both cases, we have to evaluate und solve some methodical problems. We are aiming to get an appropriate view on the chances for a historical geography of surnames reflected in fieldnames. Some of these problems are discussed in the article, using empirical evidence from the results of research on Hessian fieldnames. Here we can use a databank with about 750,000 entries, including both, recent and historical fieldnames, and that allows to generate their geographical distribution. Our goal is to prove that historical aspects of the geography of surnames help to understand and to interpret their recent distribution.
1. Historische Familiennamenräume Die kommunikationstechnische Revolution hat seit Ende der neunziger Jahre die deutsche und die europäische Familiennamenforschung ungeheuer vorangebracht: Mittels Tastengriff die Verbreitung von Familiennamen im Raum sekundenschnell und differenziert darstellen zu können, führt nicht nur erstmals zu einer ziemlich exakten Familiennamengeographie. Sie liefert zugleich unschätzbare Informationen für die Deutung und Etymologisierung von Familiennamen, weil die schwerpunktmäßige Verortung eines Familiennamens oft die unerlässliche Voraussetzung für die Deutung bzw. für die Minimierung von Deutungsalternativen darstellt. Wegen der sozialen Mobilität von Namensträgern müssen dabei allerdings Unschärfen, Auflösungstendenzen und „Verrauschungen“ in Kauf genommen werden (Steffens 2008, 269–292). Verantwortlich dafür ist größtenteils die soziale Mobilität im 19. und vor allem im 20. Jh. Wenn es gelänge, historische Familiennamenräume mit auch nur annähernd der gleichen Exaktheit abzubilden wie die rezenten, die mit Hilfe der gewaltigen Stichprobe der Telefonanschlüsse (um 2000) erzeugt werden, hätten wir einen Schlüssel zur Erklärung der rezenten Räume und einen präziseren, verbesserten Ansatzpunkt für die Namendeutung. Für die vergleichbare Herstellung von
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Karten mit historischen Familiennamenverbreitungen gibt es erste, aber durchaus verbesserbare Ansätze.1 In der für die historische Familiennamengeographie von der Datenaufbereitung her schwierigen Situation möchte ich auf Möglichkeiten aufmerksam machen, die sich aus der neueren Flurnamenforschung ergeben. Zwar sind wir hier von einer deutschen Flurnamengeographie entsprechend der bevorstehenden Familiennamengeographie für den deutschen Sprachraum2 meilenweit entfernt. Allerdings wurden die Flurnamenbestände besonders in den letzten drei Jahrzehnten seit etwa 1980 vor allem in Westdeutschland flächendeckend gesammelt und EDV-bearbeitet, so dass zumindest prinzipiell eine Flurnamengeographie der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland (unter Einschluss des germanophonen Lothringens) in Angriff genommen werden könnte.3 Was zwischen den Namenklassen der Familiennamen und der Flurnamen in Bezug auf eine historische Familiennamengeographie abgeglichen werden kann, möchte ich im Folgenden an einigen hessischen Beispielen diskutieren. Für dieses Bundesland liegt seit 1987 mit dem „Hessischen Flurnamenatlas“ eine differenzierte geographische Präsentation rezenter Flurnamenbestände vor; es war übrigens der erste rein computativ erzeugte Namenatlas überhaupt (Ramge 1987b). Die Sammlungen wurden danach durch umfangreiche Sammlungen historischer Flurnamen ergänzt, so dass heute eine umfangreiche Datenbank mit ca. 750.000 Einträgen vorliegt, von denen ein Teil bereits veröffentlicht ist (Ramge 2002).4
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www.gen-evolu.de/ Als Ergebnis des Freiburg-Mainzer Projekts (www.familiennamenatlas.de). Das deckt sich damit ziemlich genau mit dem Gebiet des in Vorbereitung befindlichen „Kleinen Atlas westmitteldeutscher Familiennamen“ (Steffens 2008). Ramge, Hans, Mittelhessisches Flurnamenbuch. Kreis Gießen, hrsg. und bearb. unter Mitarbeit von Jasmin Behrouzi-Rühl, Gerd Richter, Jörg Riecke, Herbert Schmidt, http://www.lagis-hessen.de/mhfb.html (Stand: 25. 5. 2005). Die gesamte Datenbank mit allen rezenten und historischen Belegen soll 2009 unbearbeitet ins Internet gestellt werden, damit sie trotz ihrer Mängel öffentlich zugänglich ist. – Für die Übernahme der Datenbanken in das Lagis-Projekt bin ich dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde und dem Projektleiter Otto Volk sehr dankbar. Die Karten 1 und 3–5 des vorliegenden Beitrags sind auf der Grundlage der Datenbank in Lagis (also einschließlich auch der nur historisch belegten Namen) und einem darauf aufbauenden Graphikprogramm entstanden. Für die Entwicklung der Software und des Layouts bin ich Stefan Aumann vom Hochschulrechenzentrum Marburg sehr zu Dank verpflichtet.
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2. In Flurnamen gebundene Familiennamen: Spezifika 2.1. Benennungsmotiv und Wahrscheinlichkeitsbedingungen Zwischen Familiennamen und Flurnamen können zwei Basisrelationen bestehen, die für unser Problem von Bedeutung sind: – Das namengebende Motiv für den Familiennamen geht auf einen Flurnamen zurück. Flurnamen erzeugen einen großen Teil der sog. Wohnstättennamen, z.B. Brühl, Brunner, Vonderau, Kemper, Weidenbörner. – Flurnamen enthalten als namengebendes Motiv einen Familiennamen. Das kann ein Simplex sein (z.B. Im Bender, Auf dem Kasimir) oder – was in Hessen der Normalfall ist – der Bestimmungsteil des Flurnamens (Die Benderswiese, Auf dem Gerlachsgraben). Für unsere Fragestellung ist der entscheidende Punkt: Auch Flurnamen mit Familiennamen als namengebendem Motiv bilden in der Regel Flurnamenräume (Ramge 1987a, 15–54). Diese zeigen dann den Geltungsbereich des Familiennamens, und zwar unter den Bedingungen der Flurnamengenese und -entwicklung. Diese aber ist per definitionem historisch, weil Flurnamen zu einem bestimmten Zeitpunkt entstehen, einen festen Ort benennen und dann in der Regel durch die Zeiten mehr oder weniger unverändert erhalten bleiben. Das Merkmal der Fixiertheit von Flurnamen unterscheidet sie wesentlich von den Familiennamen, die durch eine relative Flexibilität in Raum und Zeit gekennzeichnet sind. Flurnamen, die einen Familiennamen enthalten, sind in der Mehrzahl im 15.–18. Jh. entstanden. Der Flurnamenraum spiegelt dann also einen Familiennamenraum, wie er in der frühen Neuzeit bestanden hat. Er repräsentiert insoweit Verbreitungszentren von Familiennamen, die mit heutigen Verbreitungen verglichen werden können. Der historische Kernraum wird im Flurnamenbild abgebildet. Der Familienname ist nur ein mögliches Motiv zur Benennung eines Flurstücks neben konkurrierenden wie z.B. nach der Form, der Nutzung u.ä. Man kann die Wahrscheinlichkeit5 aber wenigstens grob abschätzen, mit der ein Familienname namengebend wird. – Der Familienname dient in der Regel als Besitzerangabe. In einer spätmittelalterlich-frühneuzeitlich stark differenzierten Feldflur wird man einen Berg oder einen Bach seltener nach dem Besitzer benennen als etwa einen Acker, eine Wiese oder gar einen Garten. – Hinzu kommt: Je seltener ein Familienname in einer Gegend verbreitet ist, umso geringer sind seine Chancen, einen Niederschlag in einem oder mehreren Flurnamen zu finden; je häufiger ein Familienname vorkommt, umso häufiger wird er auch in Flurnamen als Besitzername vertreten sein. –––––––— 5
Zu Wahrscheinlichkeitsbedingungen in der Flurnamengenese vgl. Ramge 1985, besonders 663–670.
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– Umgekehrt hat dieser Selektionsmechanismus aber einen für die historische Familiennamengeographie bemerkenswerten Vorteil: Es sind dann nämlich besonders die für eine Region charakteristischen Familiennamen der dörflichen Bevölkerung, die in den Flurnamen aufscheinen, die der besitzenden bäuerlichen Schicht zumal, und nicht die Namen der Städte und Zentren mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass Familiennamen in Flurnamen die historische Verbreitung des Familiennamens in der Neuzeit spiegeln, und zwar sowohl räumlich in der Flurnamengeographie wie zeitlich in der Fixierung durch historische Belegreihen.
2.2. Einschränkungen: Name oder Appellativ? Dieser Vorteil wird allerdings eingeschränkt durch ein methodisches Problem: Es ist in der Regel nicht exakt zu bestimmen, ob familiennamenverdächtige Bestimmungsteile tatsächlich auf einen Familiennamen zurückgehen. Denn es kann auch das diesem zu Grunde liegende Appellativ sein, das als namengebendes Motiv sowohl für einen Familiennamen wie für einen Flurnamen fungiert. Wie wollen wir entscheiden, ob einem Schneidersgarten die Berufsbezeichnung Schneider oder der Familienname Schneider zu Grunde liegt? Bei manchen Namengruppen wie Namen nach Eigenschaften ist hingegen die Entscheidung relativ einfach: Ein Langacker ist mit Sicherheit ein ‚langer Acker‘, wohingegen ein Langsacker mit hoher Wahrscheinlichkeit einem Besitzer namens Lang gehörte. Ebenso bei Wohnstättennamen: da geht z.B. ein Brühlgarten auf einen ‚Garten an/in einem Brühl‘ zurück, während ein Brühlsgarten auf einen Besitzernamen Brühl deutet. Bei Besitzernamen, die einen Personennamen aufweisen, ist kaum entscheidbar, ob der alte Personenname oder der daraus entstandene Familienname namengebendes Motiv waren, z.B. Gerlach.
2.3. Methodisches Vorgehen Familiennamenverbreitungen in Flurnamen unterliegen also zwei Variablen: – Sie sind historisch, indem sie den Zeitraum der (frühen) Neuzeit repräsentieren. In diesem haben sich aber möglicherweise selbst Wandlungen der Räume vollzogen. Mit Blick auf die geographische Distribution kann deshalb beobachtet werden, ob und inwieweit sich rezenter und historischer Familiennamenraum decken, bzw. wie Veränderungen und unterschiedliche Entwicklung in historischer Perspektive zu interpretieren sind. – Sie sind in die Genese und Verbreitung der Elemente einer anderen Namenklasse eingebunden, der Flurnamen eben. Deshalb muss die Frage geprüft werden, wie sicher Familiennamen als solche in Flurnamen identifiziert werden können. Eine besondere Bedeutung kommt dabei offensichtlich der
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Bewertung morphologischer Strukturen zu, vor allem der Genitivmarkierung.
3. Familiennamen aus Flurnamen (Wohnstättennamen) Betrachten wir zunächst die erste Basisrelation: Das namengebende Motiv für den Familiennamen geht auf einen Flurnamen zurück.
3.1. Kongruenz von historischem Familiennamenraum und Flurnamenraum Viele Flurnamen als onomastische Einheiten oder auch deren Varianten haben einen regional begrenzten Geltungsbereich. Der Schluss ist dann erlaubt, dass der Wohnstättenname ursprünglich aus dem Raum stammt, in dem der Flurname bzw. seine Variante gilt oder gegolten hat. – Brunner u.ä. vs. Börner u.ä. Wie das funktioniert, zeigt sehr schön die Verbreitung der Familiennamen Brunner/Brünner vs. Börner/(Berner) in hessischen Flurnamen. Der Familienname ist ein typischer Wohnstättenname: ‚der am Brunnen wohnt‘ (Kohlheim/ Kohlheim 2005, 148, 160).6 Die Varianz beruht auf den zu Grunde liegenden Appellativen Brunnen vs. Born, deren sprachgeschichtliches Verhältnis in Hessen durch ein hochmittelalterliches Verdrängen von Brunnen zugunsten von Born und eine spätere roll-back-Bewegung gekennzeichnet ist, die in Hessen ungefähr am Main zu einer „Schwingungszone“ zwischen südlichem Brunnen und nördlichem Born geführt hat (Ramge 2003, 2737f.). Genau diesen Zustand spiegelt die Karte der in Flurnamen gebundenen Familiennamen. Obwohl die Zahl der Belege recht begrenzt ist, ist der Befund eindeutig: Nördliche und südliche Formen grenzen sich an Main und Kinzig gegeneinander ab. Vergleicht man das mit der heutigen Verbreitung der Familiennamenvarianten in Hessen, so stellt man fest, dass alle vier Varianten in Hessen ziemlich gleichmäßig verteilt vorkommen.7 Es hat also ein Ausgleich stattgefunden, der den alten, aus der Flurnamengeographie rekonstruierbaren Zustand ausgelöscht hat. Der hat darin bestanden, dass der Familienname dem regional jeweils geltenden Appellativ gefolgt ist. Die flurnamengebundene Familiennamengeographie erweist sich als konservativ. –––––––— 6 7
Zur Ambiguität von Berner vgl. Kunze 1998, 154. Vgl. http://christoph.stoepel.net/geogen (im Folgenden: Geogen) für Brunner, Brünner, Börner, Berner. Im deutschen Sprachraum ist Brunner heute eher süddeutsch, Börner/ Berner sind diffus verbreitet.
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Karte 1: Brunner/Börner u.ä.
– Brühl vs. Breul Der Vergleich von Flurnamenraum und rezentem Familiennamenraum erlaubt mitunter weitergehende Schlüsse. Normalerweise kann man bei Wohnstättennamen von einer ungefähren Kongruenz zwischen Familiennamen und zu Grunde liegender Wohnstättenbezeichnung ausgehen, auch was die phonologischen und morphologischen Haupteigenschaften angeht.
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So befindet sich das heutige Verbreitungsgebiet des Familiennamens Luh in Mittelhessen von der oberen Lahn bis an die Kinzig, mit einem absoluten Schwerpunkt im Kreis Gießen.8 Luh ist nun eine phonologische Variante zu Loh, mhd. lô ‚Wald, Gehölz: der am/im Gehölz wohnt‘. Der heutige Vorkommensbereich des Familiennamens Luh ist nun fast identisch mit dem rezenten Vorkommensbereich von Luh in Flurnamen (Ramge 1987b, Karte 123). Die Schreibung ist Ergebnis der mitteldeutschen dialektalen Hebung /o:/ > /u:/, die in Hessen den mittelhessischen Raum umfasst.9 Luh als Familienname übernimmt die regionale appellative Variante, die ihren Niederschlag in den Flurnamen gefunden hat. Das Vorkommen des Familiennamens Breul in Hessen zeigt die Reichweite des Ansatzes. Er wird gewöhnlich auch als Nebenform zum Familiennamen Brühl aufgefasst (Gottschald 2006, 128; Kohlheim/Kohlheim 2005, 157), der als Wohnstättenname zu Brühl ‚Wiese‘ (Ramge 1987b, Karte 16) gehört und vorwiegend im Westmitteldeutschen verbreitet ist (Steffens 2008, 279, Abb. 7). /broil/ ist durch steigende Diphthongierung aus mhd. brüel entstanden (Ramge 2003, 2736; Wiesinger 1980, Karte 14).10 Die Karte Brühl aus dem Hessischen Flurnamenatlas zeigt das Vorkommen und die lautlichen Varianten in Flurnamen: Sie zeigt, dass die Verbreitung der diphthongierten Form /broil/ u.ä. auf Mittelhessen beschränkt ist. Genau in diesem Gebiet kommt der Familienname Breul rezent nicht vor. Vielmehr ist er vertreten in Nordhessen, besonders im Kreis Hersfeld-Rothenburg,11 einem Gebiet, wo nun die Diphthongierung zu /broil/ gerade nicht vollzogen war. Der Schluss liegt nahe, dass nicht mhd. brüel ‚Wiese‘ hier namengebendes Motiv war, sondern das von Gottschald 2006 und Kohlheim/Kohlheim 2005 ebenfalls in Erwägung gezogene mhd. briuwel ‚Brauer‘.12 Damit trägt die flurnamengebundene Familiennamengeographie zu einer Vereindeutigung der Namendeutung bei.
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Geogen, s.u. Luh, Schwellenwert 5. Vgl. für die räumlich entsprechende Hebung /i:/ > /e:/: Wiesinger 1980, Karte 8; Ramge 2003, 2736. Der Familienname Beuler hingegen, der in Mittelhessen häufiger auftritt (Geogen), scheint auf die steigende Diphthongierung mhd. bü(h)el > /boil/ zurückzugehen. Vgl. Ramge 1987b, Karte 71. Geogen, s.u. Breul, Schwellenwert 4. Lexer 1992, Bd. 1, 357. Zu den Vorkommen in Nordrhein-Westfalen (Kr. Steinfurt, Warendorf) wird damit nichts ausgesagt.
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Karte 2: Brühl als rezenter Flurname in Hessen
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4. Appellativ und Familienname in Besitzer anzeigenden Flurnamen Als zweite Basisrelation halten wir fest: Flurnamen enthalten als namengebendes Motiv einen Familiennamen. Da die größte Unsicherheit hier in der Ungewissheit liegt, ob überhaupt Familiennamen dem Bestimmungsteil der Flurnamen zu Grunde liegen, prüfen wir unser Problem zunächst an zwei Extremfällen (Gerlach, Schultheiß/Schulze), bevor wir uns abschließend einem komplexen Fall zuwenden (Bender u.a.). – Gerlach: Personenname Bei Gerlach in Flurnamen ist zumindest sicher, dass ein Anthroponym namengebendes Motiv ist. Die Übergänge zwischen dem Personennamen und dem daraus entstandenen Familiennamen (Gottschald 2006, 206; Kohlheim/Kohlheim 2005, 274) sind fließend und nicht rekonstruierbar. Der Personenname wird stark flektiert, so dass im Bestimmungsteil in Flurnamen erwartbar ein -s-Flexiv erscheint.
Karte 3: Gerlach
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Ein ziemlich genau begrenzter Bereich in Hessen weist Gerlach-Namen auf: Die meisten Namen finden sich im Rhein-Main-Kinzig-Gebiet über die Wetterau bis in den Raum Gießen. Ausgespart bleiben weitgehend Südhessen, Ostund Nordhessen sowie der Vogelsberg und der Taunus.13 Vergleicht man diese Gerlach-Vorkommen in Flurnamen mit der heutigen Verbreitung des Familiennamens Gerlach in Hessen, so stellt man zunächst eine verblüffende Übereinstimmung fest: Der Raum zwischen Main und Lahn, also Main-Kinzig, Wetterau, Gießen, Marburg, sind auch heute die Hauptvorkommensräume von Gerlach, wobei sich der Name natürlich in einer Basisverbreitung überall nachweisen lässt. Aber in Vogelsberg, Taunus und Südhessen ist er noch heute unterdurchschnittlich häufig vertreten. Die einzige nennenswerte Abweichung findet sich im Nordosten Hessens (Hersfeld, Rotenburg), wo der Name heute im Gegensatz zu früher ziemlich häufig ist.14 Als methodisches Ergebnis des Vergleichs kann man m.E. festhalten, dass auch sicher als Personennamen identifizierbare Bestimmungsteile in Flurnamen Vorkommensräume bilden. Das aus den Flurnamen gewonnene Bild bestätigt und intensiviert das heutige. – Schultheiß u.ä./Schulz(e), Scholz(e): Überwiegend Berufs-/Funktionsbezeichnung Schultheiß, Schultes, Scholdes u.ä. und Schulze, Schulz, Scholze, Scholz u.ä. werden heute als zwei unterschiedliche Familiennamen wahrgenommen. Alle Formen gehen aber auf ahd. schultheizzo, mhd. schultheize ‚Richter, Dorfrichter, dann auch Ortsbürgermeister usw.‘ zurück (Lexer 1992, Bd. 2, 815). In Hessen waren die (prototypisch gemeinten) Bezeichnungen Schultheiß und Schulze für den Ortsvorsteher offensichtlich beide üblich (Berthold/Friebertshäuser/Dingeldein 1943ff., Bd. 3, 467f.; Mulch/Mulch 1965ff., Bd. 4, 816f.; Vilmar 1883, 372f.), wobei Schultheiß wohl ab der Wetterau und weiter südlich bevorzugt wurde. Alberus hat dorffschultes (Mulch/Mulch 1965ff., Bd. 4, 816). Bei Schultheiß/Schulze haben wir praktisch kein Kriterium, um formal zu unterscheiden, ob der Familienname oder die Amtsbezeichnung für den Bestimmungsteil des Flurnamens namengebend war. Denn auch beim Familiennamen konnte in der Neuzeit die schwache -en-Flexion für den Genitiv verwendet werden. So überrascht es nicht, dass wir so gut wie keine -s-Flexionsbelege haben. Da Feldgüter zur Amtsausstattung der Schultheißen gehörten, zudem ein Gutteil unserer Belege historisch ist und nicht selten bis ins 14. Jh. zurückreicht, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass weitaus die meisten einschlägigen Flurnamen auf die Amtsbezeichnung und nicht auf den Familiennamen zurückgehen. Allerdings ist auch der Familienname Schultheiß in Hessen seit der Mitte des 14. Jhs. nachgewiesen.15 Dennoch ist der Vergleich der historischen Ver–––––––— 13 14 15
Tendenziell sind es also die Altsiedelräume, wobei (mir) völlig unklar ist, ob das Zufall ist oder nicht. Daten nach Geogen s.u. Gerlach. Heinrich gen. Scholtheisse 1347, Henze Schultheyze 1360 (Mulch 1974, 186).
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hältnisse mit der rezenten Verteilungskarte von Schultheiß/Schulze aufschlussreich. Es zeigt sich nämlich, dass Schulze u.ä. in ganz Hessen ziemlich gleichmäßig verteilt in Flurnamen vorkommen, dabei ab einer Linie obere Lahn – Nordrand des Vogelsbergs – Fulda aber in Konkurrenz stehen zu Schultheiß. Während nun Südhessen südlich des Mains, der Rhein-Taunus-Raum und das östliche Osthessen ein Nebeneinander aufweisen, finden sich in einem geschlossenen Raum Mittelhessens zwischen Main und Kinzig über Wetterau und Vogelsberg bis in den Gießen-Marburger Raum fast ausschließlich mit Schultheiß gebildete Namen. Nördlich der Linie Lahn – Vogelsberg – Fulda gibt es keinen einzigen Schultheiß-Beleg. Man kann deshalb begründet annehmen, dass schwerpunktmäßig in Hessen als Amtsbezeichnung in Nordhessen Schulze, in Mittelhessen Schultheiß, in Süd-, West- und Osthessen beides etwa gleichermaßen gegolten hat, zumindest in den schriftlichen Gebrauchsformen.
Karte 4: Schultheiß u.ä./Schulze u.ä.
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Betrachtet man die heutige Verbreitung des Familiennamens Schulze u.ä., fällt auf, dass er im gesamten deutschen Sprachraum außer in Teilen Bayerns sehr stark und allgemein verbreitet ist. Der Familienname Schultheiß u.ä. hingegen konzentriert sich auf den westmitteldeutschen Raum, Unterfranken und den alemannisch-schwäbischen Sprachraum. In Hessen ist Schultheiß am dichtesten belegt im Main-Kinzig-Kreis, aber auch in der Wetterau und den Kreisen Gießen und Marburg erreicht er weit überdurchschnittliche Werte.16 Das bestätigt zunächst sehr schön das Bild, das wir aus der historisch orientierten flurnamengebundenen Verbreitung gewonnen haben: Auch hier hat sich kein grundsätzlicher Wandel vollzogen. Appellativ und Name stehen in historischer Zeit in einem engen räumlichen Zusammenhang, sind (vermutlich) weitgehend kongruent. Andererseits zeigt die rezente Verteilung des Familiennamens aber auch ein starkes Vorkommen im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis, das durch die Flurnamenverbreitung nicht gedeckt ist. Also hat entweder der Familienname seinen überdurchschnittlichen Geltungsbereich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte nach Norden verschoben, oder die Flurnamen spiegeln nicht den historischen Geltungsbereich des Familiennamens, sondern den des Wortes, d.h. der Amtsbezeichnung. Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass sich als Wort Schultheiß gegen Schulze vorgedrängt oder zurückgezogen hat, ist m.E. eine Ausweitung des Geltungsbereichs des Familiennamens nach Norden wahrscheinlich. Worträume und Familiennamenräume sind in der (frühen) Neuzeit zumindest in den Kernbereichen offenbar noch weitgehend identisch. Das Distinktionsproblem zwischen Appellativ und Familienname bleibt damit methodisch bestehen, verliert aber in der Regel pragmatisch viel von seiner theoretischen Bedeutsamkeit. Deshalb erproben wir die Reichweite des methodischen Ansatzes abschließend an einem relativ komplexen Fall: an Familiennamen, die auf die Berufsbezeichnung des Fassherstellers zurückgehen. – Bender, Büttner, Böttcher, Küfer: Berufsbezeichnung und Familienname im Verbund (1) Bender(-) vs. BendersDie alteinheimische Bezeichnung für den Fasshersteller ist mhd. binder, in der mitteldt. gesenkten Form als bender, dialektal durch Assimilation weiterentwickelt zu benner. Das Wort findet sich im 19. Jh. „nur noch selten, am meisten noch im nördlichen Oberhessen; ehedem sehr üblich, und, wie es scheint, in Hessen sogar die allgemein gebräuchliche Bezeichnung dieses Handwerks. Oberhessische Schriften des 16. und 17. Jhs. haben nur Bender; in Schriften aus Niederhessen kommt dagegen in jener Zeit auch Büttner vor“ (Vilmar 1883, 31).
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Geogen, s.u. Schultheiß, Schultheiss
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Als Familienname ist Bender seit dem Anfang des 15. Jhs. in Hessen vielfach belegt.17 Bezüglich Bender läuft also die Überlieferungsgeschichte von Appellativ und Familiennamen in Flurnamen zeitlich parallel. Böttner und Böttger als Familiennamen erscheinen in Marburg erst in der 2. Hälfte des 18. Jhs. (Allmann 1989, 39). Im Unterschied zu Schultheiß/Schulze und Gerlach begegnen bei Bender als Bestimmungsteil in Flurnamen s-flektierte und unflektierte Formen in buntem Wechsel, oft sogar in historischen Belegreihen. Obwohl es keinesfalls als strenges Diskriminierungsmerkmal gelten kann, tendiert die flektierte Form Benders dazu, auf den Familiennamen zurückzugehen, während die unmarkierte Form Bender tendenziell wohl eher auf die Berufsbezeichnung zurückgeht, gelegentlich auch den Plural repräsentiert.18 Im Unterschied zu Schultheiß/Schulze steht bei Bender außer Frage, dass häufig (wenn nicht überwiegend) der Familienname zu Grunde liegt. Die Verbreitungskarte von Bender/Benders in Flurnamen zeigt zunächst ein verblüffend ähnliches Bild wie Schultheiß. Wir finden wieder eine ziemlich scharf ausgeprägte Grenze von der oberen Lahn zum Nordrand des Vogelsbergs. Allerdings ist dieser ebenso wie ganz Ost- und Nordhessen fast belegleer. Auch Rheingau/Taunus und Odenwald haben kaum Bender-Belege. Gerade in Südhessen fällt auf, dass fast nur -s-Formen belegt sind, die hier meist eindeutig auf den Familiennamen verweisen, z.B. eine historisch belegte Bendershube in Mitlechtern und Oberschönmattenwag.19 Aber auch der Darmstädter Beleg von 1553 zeucht off Adam Bender Gartten (Ramge 2002, 210) mit der unflektierten Form bezieht sich eindeutig auf einen Familiennamen. Wir finden also, hier wieder analog zur Schultheiß-Verteilung, einen Kernraum vom Main über die Wetterau bis zur Lahn mit vorherrschend unmarkierten Bender-Bestimmungsteilen, an den Rändern in Mischzonen ausfransend in -s-lose und -s-haltige Varianten. Soweit die -s-Formen auf FamiliennamenHerkunft hindeuten, deckt sich also der Vorkommensraum von Appellativ und Namen in Flurnamen. In Südhessen dominiert erkennbar die FamiliennamenHerkunft. Vergleicht man diesen Befund wiederum mit der rezenten Verteilung der Familiennamen Bender, Benner, Binder, so stellt man folgendes fest: Heute tritt der Familienname schwerpunktmäßig in einem breiten Streifen entlang des Rheins einschließlich ganz Baden-Württembergs auf.20 Am häufigsten ausgeprägt ist Bender u.ä. in Hessen, und zwar im Lahn-Dill-Kreis (und dem nördlich anschließenden Kreis Siegen-Wittgenstein, Nordrhein-Westfalen) und den östlich anschließenden Regionen (Marburg-Biedenkopf, Gießen, Wetterau, –––––––— 17 18 19 20
Fritze Bendir 1410 (Mulch 1974, 157). Wie in der Bendergasse in Frankfurt. 1720 Lorentz Benders Erben Wise (Groß-Umstadt), 1722 an die Bendershub (Mitlechtern), 1568 Benders huben (Oberschönmattenwag) (Ramge 2002, 210). Geogen s.u. Bender; Steffens 2008, 286, Abb. 16.
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Taunus, Frankfurt, Main-Kinzig). Gering ist der Name im Vogelsberg und in Nord- und Osthessen vertreten, aber auch im Odenwald kommt er eher selten vor. Wir finden also wieder eine bemerkenswerte Kongruenz zwischen der heutigen Verbreitung der Bender-Namen und ihrem historischen Vorkommen in Flurnamen vor. Dabei scheint die morphologische Struktur mit oder ohne Flexionsmarker keine nennenswerte Rolle zu spielen. Bender als altes Wort und als alter Name in Hessen hatte Jahrhunderte lang die Chance, namengebendes Motiv für Flurnamen zu werden. Methodisch können wir also davon ausgehen, dass die Vorkommensräume von Appellativ und Familienname in der Neuzeit noch so eng miteinander verbunden sind, dass sie als Einheit betrachtet werden können, wenn sie als Vergleichsfolie zur heutigen Distribution herangezogen werden.
Karte 5: Bender u.ä./Küfer/Böttcher/Büttner
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(2) Bender, Küfer, Böttcher, Büttner Dass Bender in Hessen in beiden Existenzformen (als Familienname und in Flurnamen) häufig vorkommt, ist also nicht erklärungsbedürftig, wohl aber die Distribution, die große Teilräume Hessens auslässt, obwohl dort Bender für den Fassbinder appellativ gegolten hat und die sich auch mit der heutigen Verteilung der Wortsynonyme für den Fassbinder überhaupt nicht deckt. Denn heute gilt als Wort hessenweit Küfer für die Berufsbezeichnung, ein Wort, das – aus dem deutschsprachigen Südwesten stammend – in der jüngeren Neuzeit alteinheimisches Bender vollständig verdrängt hat. Das geschah aber offensichtlich so spät, dass der darauf beruhende Familienname Küfer bzw. seine dialektal entrundete Form Kiefer nur noch vereinzelt in Südhessen seinen Niederschlag gefunden hat. Die Überlagerung wird durch die allgemeine Verbreitung des Familiennamens Kiefer (nur selten Küfer) gestützt, dessen Schwerpunkte auch heute am Südwestrand des deutschen Sprachraums (Saarland, Pfalz, Baden) liegen. In Hessen ist der Name ganz wenig verbreitet (vgl. Steffens 2008, 283–285). Lässt sich so das Vorkommen von Bender und Küfer als zeitlicher Überlagerungsprozess erklären, so stellt uns die Beleglage bei Büttner und Böttcher vor ein anderes Problem. Wir finden nur einige wenige Belege für Böttcher in Nordhessen und für Büttner in Osthessen. Das entspricht grosso modo der Wortgeographie (Kunze 1998, 122, Abb. A; Steffens 2008, 285, Abb. 14) und auch der heutigen Namenverteilung: Büttner, Böttner am Ostrand Hessens, Böttcher u.ä. bei allgemeiner Verbreitung etwas verstärkt in Nordhessen.21 Dies wäre – analog zu Küfer – leicht als (zu) späte Überschichtung erklärlich, fänden wir auch in diesen Regionen Bender-Namen. Das ist aber nicht der Fall. Da es aber natürlich auch hier den Beruf und Bezeichnungen dafür von Alters her gegeben hat und die gleichen namengebenden Motive vorgelegen haben, ist die Diskrepanz schlechthin unerklärlich. Denn entweder galt auch in Nord- und Osthessen Bender (zumindest auch), dann sollte Bender in Flurnamen vorkommen. Oder es galt nicht: Dann wären Belege mit den Synonymen in vergleichbarer Dichte erwartbar. In jedem Fall sind Familiennamen aus Berufsbezeichnungen dankbare Kandidaten für einen Verbreitungsvergleich. In Hessen gilt das etwa für Scherer, Schröder ‚Schneider‘, Euler/Pötter/Häfner, Geiger/Fiedler, Löber/Gerber. Nur gelegentlich versprechen auch Familiennamen nach Eigenschaften wie Feist/Fett brauchbare Ergebnisse.
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Geogen, s.u. Büttner, Böttner, Böttcher, Böttger.
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Hans Ramge
5. Ergebnis Zusammenfassend kann man festhalten: 1. Historische Familiennamenräume sind beschränkt über Flurnamen rekonstruierbar. Sie spiegeln dann im Wesentlichen Familiennamenstrukturen besitzender Schichten der Landbevölkerung in der frühen Neuzeit (15.–18. Jh.). 2. Auch wo in Flurnamen nicht strikt zwischen Appellativ und Familiennamen als namengebendem Motiv geschieden werden kann, ist die Verteilung im Raum und in der Belegintensität aussagekräftig für die Distribution des Namens in der frühen Neuzeit, da sich in diesem Zeitraum Wort- und Namenräume noch ziemlich genau decken. 3. Die so gewonnene Distribution kann deshalb als historische Vergleichsmatrix herangezogen werden, wenn es um Erklärungen der rezenten Verbreitung von Familiennamen geht. 4. Bei Wohnstättennamen erlaubt der Vergleich zwischen Sprachraum (mit seinen lexikalischen, morphologischen und phonologischen Varianten) und Namenraum die Identifizierung der historischen Kernräume von Familiennamen (Brunner/Börner, Luh) bzw. deren Abweichung (Brühl/Breul). 5. Bei Familiennamen, die auf Tätigkeiten zurückgehen, entsprechen die heutigen Verteilungsintensitäten im Wesentlichen dem Zustand, wie er sich in der frühen Neuzeit herausgebildet hat (Schultheiß/Schulze, Bender/Küfer/ Böttcher/Büttner).
Literatur Allmann, Gudrun (1989): Familiennamen Marburger Handwerker und ihres beruflichen und gesellschaftlichen Umkreises 1500–1850, Gießen. Berthold, Luise / Friebertshäuser, Hans / Dingeldein, Heinrich (Bearb.) (1943ff.): HessenNassauisches Volkswörterbuch, Marburg. Gottschald, Max (2006): Deutsche Namenkunde. Unsere Familiennamen, 6. durchgesehene und bibliographisch aktualisierte Auflage, Berlin, New York. Kohlheim, Rosa / Kohlheim, Volker (Bearb.) (2005): Duden. Familiennamen. Herkunft und Bedeutung, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich. Kunze, Konrad (1998): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet, München. Lexer, Matthias (1992): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Mit einer Einleitung von Kurt Gärtner, 3 Bände, Stuttgart. Mulch, Roland (1974): Arnsburger Personennamen. Untersuchungen zum Namenmaterial aus Arnsburger Urkunden vom 13.–16. Jahrhundert, Darmstadt, Marburg. Mulch, Rudolf / Mulch, Roland (Hrsg., Bearb.) (1965ff.): Südhessisches Wörterbuch, Marburg. Ramge, Hans (1985): Hessische Flurnamengeographie. Methodische und praktische Probleme am Beispiel von Bezeichnungen für Sonderland, in: Rudolf Schützeichel (Hrsg.): Gießener Flurnamen-Kolloquium 1. bis 4. Oktober 1984, Heidelberg, S. 660–693. – (1987a): Zur Struktur der hessischen Flurnamenräume, in: Friedhelm Debus / Hans Ramge, Flurnamenräume. Jahrespreis 1986 der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Förderung der
Familiennamengeographie und Flurnamenforschung
217
westdeutschen Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage, Heidelberg, S. 15–54. – (Hrsg.) (1987b): Hessischer Flurnamenatlas. Nach den Sammlungen des Hessischen Flurnamenarchivs Gießen und des Hessischen Landesamts für geschichtliche Landeskunde hrsg. unter Mitarbeit von Sonja Hassel-Schürg / Ulrich Reuling / Gerda Weigel / Bernd Vielsmeier, computativ bearb. von Harald Händler und Wolfgang Putschke, Darmstadt. – (Hrsg.) (2002): Südhessisches Flurnamenbuch, bearb. von Jörg Riecke, Herbert Schmidt, Gerd Richter. Unter Mitarbeit von Jasmin S. Rühl und Gerda Weigel-Greilich, Darmstadt. – (2003): Aspekte einer Sprachgeschichte des Hessischen, in: Werner Besch / Anne Betten / Oskar Reichmann / Stefan Sonderegger (Hrsg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 3. Teilband, Berlin, New York, S. 2729–2744. Steffens, Rudolf (2008): Der „Kleine Atlas westmitteldeutscher Familiennamen“, in: Peter Ernst / Franz Patocka (Hrsg.): Dialektgeographie der Zukunft. Akten des 2. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD) am Institut für Germanistik der Universität Wien, 20. bis 23. September 2006, Stuttgart, S. 269–292. Vilmar, August Friedrich Christian (1883): Idiotikon von Kurhessen, Marburg, Leipzig. Wiesinger, Peter (1980): Die Stellung der Dialekte Hessens im Mitteldeutschen, in: Reiner Hildebrandt / Hans Friebertshäuser (Hrsg.): Sprache und Brauchtum. Bernhard Martin zum 90. Geburtstag, Marburg, S. 68–148.
Internetadressen http://christoph.stoepel.net/geogen = Geogen http://www.gen-evolu.de/ www.familiennamenatlas.de Ramge, Hans, Mittelhessisches Flurnamenbuch. Kreis Gießen, hrsg. und bearb. unter Mitarbeit von Jasmin Behrouzi-Rühl, Gerd Richter, Jörg Riecke, Herbert Schmidt, http://www.lagishessen.de/mhfb.html (Stand: 25. 5. 2005).
Rudolf Steffens
Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland
Abstract The Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland is planned as a regional amendment to the national project German Surname Atlas (Deutscher Familiennamenatlas). The atlas will map those surnames which mainly occur in the West Central German language area, first of all in the federal states of Rhineland-Palatinate, Hesse, and Saarland. The database consists of German fixed network lines (from the year 1995). Postal code areas serve as the point of reference. These data are used to explore the areal variation of regional German surnames regarding lexical (Bender/Binder – Kiefer ‘cooper)ތ, phonological (Lauer, Lehr, Loer, Löhr, Löwer ‘tanner)ތ, and morphological aspects (Gerhards – Thelen).
1. Einführung Das als regionaler Namenatlas1 konzipierte Unternehmen greift auf Festnetzanschlussdaten aus dem Jahre 1995 zurück und wird (in Auswahl) auf Karten die Verbreitung solcher Familiennamen visualisieren, die vor allem im Sprachraum des Westmitteldeutschen anzutreffen sind. Das Westmitteldeutsche ist durch die Linienverläufe der Zweiten Lautverschiebung (Rheinischer Fächer) nach außen abgegrenzt und zudem binnendifferenziert. Die Flächen der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen und des Saarlandes entsprechen grob der Ausdehnung der westmitteldeutschen Sprachlandschaft. Das Atlas-Areal lässt sich auch mit Postleitzahlen (PLZ) – und auf Postleitzahlbereiche werden die Symbole auf den Namenkarten projiziert – umschreiben: der Atlas dokumentiert Familiennamen aus den Postleitzahlbereichen 34í36, 40í42, 50í57 sowie 60í69. Die fünf häufigsten Familiennamen in Deutschland (nach Festnetzanschlüssen) sind Müller, Schmidt, Schneider, Fischer und Meyer. Bis zu Rang 14 (Schröder) handelt es sich ausnahmslos um Namen aus Berufsbezeichnungen. Auf Rang 15 folgt mit Klein ein Übername. Im Regionalbereich ergeben sich zum Teil abweichende Rangfolgen (vgl. Tabelle 1). –––––––— 1
Es handelt sich um ein Arbeitsvorhaben des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz, Abteilung II: Landeskundliche Sprach- und Volksforschung (Steffens 2007; Steffens 2008a. Der Arbeitstitel ist mittlerweile modifiziert. Der Atlas möchte auch das Laienpublikum erreichen. Daher wurde der dialektgeographische Terminus westmitteldeutsch getilgt und das Arbeitsgebiet des Atlasses durch die Nennung der drei Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland (grob) eingegrenzt. Regionale Namenatlanten liegen mit Klausmann 2007, Klausmann 2009 und Hohensinner 2010 vor.
220
Rudolf Steffens
Namenfrequenzen Deutschland
Rheinland-Pfalz
1)
Müller
268905
Müller
17073
2)
Schmidt
194884
Schneider
10585
3)
Schneider
114849
Schmidt
9122
4)
Fischer
99241
Becker
8238
5)
Meyer
92902
Weber
7509
6)
Weber
85504
Schmitt
7149
7)
Schulz
78173
Klein
6345
8)
Wagner
77518
Schäfer
6343
9)
Becker
76665
Wagner
5998
10)
Hoffmann
72810
Hoffmann
5412
11)
Schäfer
61724
Schmitz
4555
12)
Koch
60727
Fischer
3902
13)
Bauer
59505
Braun
3436
14)
Schröder
52979
Wolf
3316
15)
Klein
56872
Bauer
3164
Tabelle 1: Die 15 häufigsten Familiennamen in Gesamtdeutschland vs. in Rheinland-Pfalz
Der Atlas ist gegliedert in die Abschnitte Familiennamen aus Rufnamen,2 nach der Herkunft, nach der Wohnstätte, aus Berufsbezeichnungen,3 aus Übernamen, fremde Familiennamen (Hugenotten). Eine Karte kann mehrere Varianten eines Namens oder mehrere unterschiedliche Namen zum Thema haben. Zu jeder Karte gibt es einen Kommentar und Literaturhinweise. Nachfolgend seien einige wenige Namen und Namentypen besprochen und kartiert, die sich auch im regionalen Familiennamenatlas finden werden.
2. Beispielkarten 2.1. Familiennamen aus Rufnamen Die Patronyme stellen mit einem Anteil von etwa 35% die bedeutendste Gruppe unter den 1.000 häufigsten Familiennamen in Deutschland dar (Kohlheim/ Kohlheim 2001, 285). Die häufigsten Familiennamen aus Rufnamen sind deutschlandweit Hartmann (Position 26), Werner (29), Herrmann (36), Walter (39). Mit Peters (40) folgt der erste fremde Rufname, der zudem mit starkem –––––––— 2
3
Der Verfasser hat das Aufkommen der Heiligennamen (alt- und neutestamentliche Namen: Jakob, Johannes, Namen nachbiblischer Heiliger: Nikolaus) im Spätmittelalter für Mainz und das dörfliche Umland kontrastiv untersucht (Steffens 2008b). Historisch orientierte Untersuchungen liegen hierzu von Kohlheim 1990 und Steffens 1991 vor.
Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland
221
Genitiv gebildet wird. Im Postleitzahlbereich 5 stehen die Namen Peters und Jansen auf den Rängen 26 und 27, die frequentesten germanischen Rufnamen nehmen mit Hartmann und Werner die Ränge 30 und 33 ein. Abgebildet auf das Bundesland Rheinland-Pfalz ergibt sich folgende Rangfolge nach Telefonanschlüssen (vgl. Tabelle 2): Namenfrequenzen Rheinland-Pfalz FN aus germ. RN
FN aus fremden RN
1)
Hartmann
1897
Simon
2082
2)
Herrmann
1879
Marx
1393
3)
Werner
1705
Martin
1286
4)
Walter
1608
Thomas
1281
5)
Kuhn
1519
Theis
1203
6)
Kunz
1296
Michel
1167
7)
Wilhelm
1222
Michels
1155
8)
Friedrich
1189
Peters
1123
9)
Ludwig
1128
Lorenz
1033
Thiel
1019
Adam
922
10)
Tabelle 2: Die 10 häufigsten Patronyme aus germanischen vs. fremden Rufnamen in Rheinland-Pfalz (FN = Familiennamen, RN = Rufnamen, germ. = germanisch)
2.1.1. Starker Genitiv bei Familiennamen aus germanischen Rufnamen Aus diesem Bereich sind nach Telefonanschlüssen (TA) Hartmann (TA 1897), Herrmann (1879) und Werner (1705) die häufigsten Familiennamen in Rheinland-Pfalz. Bei den nicht-deutschen Patronymen belegen Simon (2082), Marx (1393) und Martin (1286) die ersten Ränge. Die Bildung von Patronymika kann durch den Genitiv erfolgen, wobei starke Flexion mit -s bzw. (nach Dental) -z oder schwache Flexion mit -(e)n zu beobachten ist. Im niederdeutschen Bereich gibt es Namen des Typus -en+s (Ottens), bei denen der schwache und der starke Genitiv gemeinsam auftreten. Die Genitivflexion zur Bildung von Patronymen ist vor allem für das nördliche Westmitteldeutsche, für den Niederrhein und für die an Belgien und die Niederlande angrenzenden Gebiete sowie (teilweise) für den Norden des deutschen Sprachgebiets bekannt (Nübling/Dammel 2007, 147f.; Schützeichel 2006, 48). Karte 1 (s. Anhang S. 368) hat die Familiennamen Diederichs (TA 1275), Gerhards (1902), Heinrichs (4293) und Hermanns (2750, siehe auch Cornelissen 2010, 73f.)4 zum Thema, zusammen über 10.000 TA. Es handelt sich um zweigliedrige germanische Rufnamen, die aus zwei oder drei Silben bestehen. Diese Namen wurden deshalb ausgewählt, da sie offenbar überwiegend stark flektieren (aber Henrichen, TA 11). Auch kontrahierte Einsilbler wie Goe–––––––— 4
Die TA-Werte beziehen sich auf ganz Deutschland.
222
Rudolf Steffens
rtz/Görtz < Gerhard oder Cordes < Cord < Konrad (niederdeutsch) sowie aus Kurzformen gebildete Patronyme wie Wolfs < Wolfgang (Rheinland-Pfalz: Landkreis Cochem-Zell, auch Niederrhein) oder Behrs < Bernhard (meist niederdeutsch) können stark flektiert werden und einsilbig bleiben.5 Namen wie *Gerharden oder *Hermannen gibt es nicht. Der Rückgriff auf diese großen Datenbestände zeigt, dass die starke Flexion bei germanischen Genitivpatronymen bis tief ins Westmitteldeutsche (Arenz: vor allem Landkreis Cochem-Zell) hineinreicht (und sich im Norden und Nordwesten auch in Familiennamen in Belgien und den Niederlanden findet, vgl. Marynissen 1991, 32ff. und Karten 3–32; dies. 1994, 270ff.). Weitere einschlägige Namen sind Arnolds, Göbbels, Gödderz, Lennartz, Ludwigs (auch niederdeutsch) und Rüttgers. Hier kommt ein morpho-prosodisches Verfahren zur Anwendung, das auch aus der deutschen Nominalflexion bekannt ist: Der Trochäus (^`) als „das Substantivmuster“ (Eisenberg 1991, 47; vgl. auch Szczepaniak 2007, 287f.) wird durch Antritt nicht-silbischer Flexionselemente bewahrt: (der) Vogel – (des) Vogels, (der) Zeuge – (des) Zeugen. Dies gilt auch für die hier behandelten Namen, die meist zweisilbig sind und bleiben: Gerhard – Gerhards.
2.1.2. Schwacher Genitiv bei Familiennamen aus germanischen Rufnamen Karte 2 (s. Anhang S. 369) enthält kontrastiv zu Karte 1 Namen mit schwacher Genitivflexion: Coenen (TA 1155, < Kuno), Kohnen (1089, < Kuno), Thelen (3021, < Thielo) und Thielen (1625, < Thielo). Coenen/Kohnen (< Kuni[gund]?) sind möglicherweise Metronyme. Es handelt sich um einstämmige auf Vokal auslautende Namen, die offensichtlich die schwache Flexion präferieren (Heuser/Nübling 2010, 42 mit Karte 8). Durch Antritt des silbischen Genitivflexivs an einsilbige Basen entstehen Trochäen. Weitere Namen dieses Typs sind Kürten (< Kurt), Nolden (< Arnold), Rütten (< Rud[olf]). Der Name Otten < Otto reicht vom nördlichen Westmitteldeutschen bis tief ins niederdeutsche Sprachgebiet hinein. Den schwachen -en-Ausgang gibt es auch in den angrenzenden Namenlandschaften Belgiens und der Niederlande (Marynissen 1991, 32ff.; dies. 1994, 270ff.). Kohnen scheint mit Kohns (TA 242, Eifel, Obermosel) eine stark flektierende Variante zu haben. Ob vereinzelte Coens, Gehls, Hills und Thiels aufgrund ihrer unspezifischen Distribution in diesen Zusammenhang gehören, ist fraglich. Den Namen *Thels gibt es nicht. Diese Karte zeigt ebenfalls, dass sich das Areal der Genitivflexion weit nach Süden ausdehnt. Thielen und Görgen (ohne Karte) reichen deutlich ins Saarland hinein.
–––––––— 5
Bach 1951/1952, I, 1, 247f.
Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland
223
2.1.3. Schwacher Genitiv bei Familiennamen aus fremden Rufnamen Auch Karte 3 (s. Anhang S. 370) zeigt, dass sich das Areal der Genitivflexion zur Bildung von Patronymen weit nach Süden erstreckt. Am Südsaum des Moselfränkischen scheint diese Bildungsweise aber ihre Produktivität verloren zu haben. Die Karte bietet Familiennamen aus fremden Rufnamen (christliche Namen): Dahmen (TA 2425, < Adam), Franzen (2798), Hennen (567, < Johannes), Josten (940, < Jodokus), Lenzen (1599, < Laurentius). Bei den kartierten Namen handelt es sich um Einsilbler, an die silbisches -en herantritt. Ähnliche Verbreitungsmuster ergäben die Namen Dresen (< Andreas), Görgen/Goergen, Claßen/Klasen (< Nikolaus, s. Dräger in diesem Band), Joisten (< Jodokus), Maassen/Maaßen (< Thomas), Nießen (< Dionysius, Antonius), Theissen (s. Debus in diesem Band), Thönnessen/Thönissen (< Antonius, Cornelissen 2010, 67f.). Bei -s und -z im Stammauslaut ist nur -en möglich. Stark ins Niederdeutsche hinein reicht Jansen (< Johannes). Ob Dahms (TA 1645, Nord- und Ostdeutschland) eine stark flektierte Form ist, muss offen bleiben. Erneut werden durch Antritt von -en trochäische Strukturen geschaffen: Sichere Fälle stark flektierender Familiennamen aus fremden Rufnamen sind für den westmitteldeutschen Regionalatlas kaum aufzufinden. Ausnahmen sind die Zweisilbler Adams (TA 3596, westmitteldeutsch, auch Niederrhein), Caspers/Kaspers (1059/544, nördliches Westmitteldeutsch, auch Niederrhein), Steffens (5841, nördliches Westmitteldeutsch, auch Niederrhein, nördliches Niedersachsen).6
2.2. Familiennamen nach der Herkunft: -er-Ableitung vs. bloßer Ortsname Im Süden und in der Mitte des deutschen Sprachgebiets tritt bei Familiennamen aus Ortsnamen vor allem der Typus „Ortsname + -er-Ableitung“ (s. Karte 4) auf: Furtwängler ‚einer aus Furtwangen‘ (im Schwarzwald). Im nördlichen Teil des Mitteldeutschen und im niederdeutschen Bereich gibt es den Typus „bloßer Ortsname“: Wirges (Westerwald). Das Niederdeutsche kennt zudem die -mannAbleitung: Münstermann. Dittmaier 1952, Karte 3 (Karte 4) hat das staffelförmige Auslaufen des -er-Typus im Westmitteldeutschen nach Norden hin aufgezeigt. Danach enden die -heimer-Namen etwa auf der Höhe von Mainz – Bingen – Bad Kreuznach, etwas weiter nördlich liegen die Verbreitungsgrenzen von Familiennamen auf -häuser und -bächer, während -inger- und -bergerNamen bis auf die Höhe von Bonn reichen. Nördlich davon treten mit -erAbleitung gebildete Herkunftsnamen nicht mehr in nennenswertem Umfang auf. Somit ergibt sich im Westmitteldeutschen ein Oszillationsraum, der gekennzeichnet ist durch das Auslaufen der Bildungsweise mit -er-Ableitung und die südlichsten Fälle für die Bildungsweise „bloßer Ortsname“, die südlich von Mainz etwa auf der Höhe Oppenheim – Darmstadt zu finden sind. –––––––— 6
Zum Genitiv in Patronymen (niederländisch/deutsch kontrastiv) vgl. Marynissen/Nübling 2010, 331ff.
224
Rudolf Steffens
Karte 4: Die staffelförmige Verbreitung der Herkunftsnamen auf -er im rheinischen Raum
Karte 5: Verbreitung von Lorscheid, Lorscheider
Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland
225
Karte 5 enthält die Namen Lorscheid (TA 180) und Lorscheider (TA 206). Es handelt sich um Herkunftsnamen nach den Orten Lorscheid (Kreis TrierSaarburg) und Lorscheid, heute zu St. Katharinen (Kreis Neuwied, beide Rheinland-Pfalz). Aus dem östlich von Trier gelegenen Lorscheid konnten noch -erAbleitungen generiert werden, die Nordlage von Lorscheid etwas nördlich von Linz am Rhein erlaubte dies nicht mehr. Aus dem etwa 22 km südlich von Lorscheid (Neuwied) gelegenen Adenau konnte hingegen noch der Familienname Adenauer gebildet werden.
2.3. Familiennamen aus Berufsbezeichnungen: -macher als Zweitglied Aus dem Bereich „Ledergewerbe“ liegt für den Regionalatlas die Karte Lauer, Lehr, Loer, Löhr, Löwer vor. Die Karte Bender, Binder, Kiefer zeigt die Verbreitung von Familiennamen aus dem Komplex „holzverarbeitende Berufe“. Nachfolgend soll eine Karte mit Berufsnamen vorgestellt werden, welche mit -macher als Zweitglied gebildet sind. Das Suffix -er zur Bildung von Berufsbezeichnungen aus Substantiven (Fleischer) und Verben (Schlachter) lautete im Ahd. -Ɨri, im Mhd. -ære (aber auch schon -er), im Frühnhd. dann -er. Mit diesem Suffix werden auch Einwohnerbezeichnungen aus Ortsnamen gebildet: Weilbach > Weilbacher und Weilbächer (nicht: Weilbecher, s.o. Adenauer und Lorscheider). Im obd. Sprachraum scheint dieses Suffix im Allgemeinen keinen Umlaut ausgelöst zu haben. Im md. Bereich tritt aber offenbar fast ausnahmslos Umlaut auf. So ergeben sich dann im Frühnhd. tendenziell obd.-md. Gegensätze des Typus haller – heller (Münze), pfarrer – perrer (Historischer Südwestdeutscher Sprachatlas, Karten 5–7). Im Mainzer Spätmhd. und Frühnhd. ist in solchen Fällen Umlaut die Regel (Steffens 2010, 301ff.). Nachfolgend einige Mainzer Beispiele (Datenbank des Verfassers) aus Mainzer Urkunden und Güterverzeichnissen: 1345 CĤnrade EBzigmeng(er), 1366 Henne EBBingmenger, 1366 der hultzmeng(er), 1379 JBenmeng(er) (jeweils zu ahd. mangƗri, mhd. mangære m. ‚Händler‘). Aus den Ortsnamen Bierstadt, Erbach, Igstadt, Liederbach, Medenbach und Nordenstadt (alle Raum Wiesbaden) können Straßen- und Wegenamen sowie Personennamen gebildet werden, die ausnahmslos Umlaut aufweisen: 1315 of den BirgeBtedir weg, 1365 den Erbechern, 1401 off die JgBtedir BtraBBze, 1348 CĤnrad Lǔderbecher, 1401 Wernher Medenbechir, 1315 offe nordenBtedir wege. Berufsbezeichnungen, Haus- und Familiennamen auf -macher zeigen ebenfalls Umlaut: 1366 zĤm bildemecher (Hausname), 1366 der Bteynwege mecher, 1366 der kerzmecherBen (Movierung), 1393 deBchenmechers ,Taschenmacher‘, 1395 Bch)chmecher. In Urkunden aus dem hessischen Kloster Arnsburg sind belegt: 1286 Duchmechere ‚Tuchmacher‘, 1491 hutmechers ‚Hutmacher‘ (Mulch 1974, 162f.). Für den Bonner Raum sei angeführt: 1346 der assinmecher van bunne ‚Achsenmacher, Wagner‘ (Bickel 1978, 238).
226
Rudolf Steffens
Trotz dieser starken Präsenz des Umlauts in frühnhd. Zeit enthalten heutige Familiennamen mit -macher als Zweitglied im Westmd. und im angrenzenden niederdeutschen Raum fast nie Umlaut. Karte 6 (Karte 6: Verbreitung von Hamacher, Radermacher, Hutmacher, Wannemacher, s. Anhang S. 371) bietet die Namen Hamacher (TA 2380, ,Handwerker, der das Halsgeschirr (Hamen) für die Zugtiere fertigt‘ (Brechenmacher 1960–1963, I, 645f.), Hutmacher (TA 442), Radermacher (TA 1498, ‚Stellmacher, Wagner‘) und Wannemacher (TA 311, ‚Hersteller von Kornschwingen‘. Nicht kartiert: Wannenmacher TA 256). Namen wie Schumecher gibt es nicht. Lediglich Hamecher (TA 35) tritt mit Umlaut auf. Die -macher-Namen reichen von Norden her weiter ins Mitteldeutsche hinein als die Appellative auf -macher (vgl. Kunze 2004, 108f., Abb. B). Der Name Wannenmacher tritt gar im Süden von Baden-Württemberg auf.7 Weitere einschlägige und umlautlose Namen auf -macher sind z.B. Assenmacher, Ax-, Bender-, Eimer-, Glas-, Rad- und Schuh-/Schumacher. Schumacher ist mit 21.520 TA der frequenteste Familienname mit -macher als Zweitglied.
2.4. Familiennamen von Hugenotten Im Raum Oppenheim am Rhein südlich von Mainz gibt es den Familiennamen Marbe, der als [ma'be:] ausgesprochen wird. Weitere Namen, die in Mainz, in Rheinhessen, in der Pfalz, in Hessen und im Saarland gefunden werden können, sind Cezanne, Delorme, Guttandin, Hussong, Landua, Leppla, Pirrung oder Raquet. Dies sind wohl französische Namen, die zum Teil Anzeichen phonischgraphischer Integration ins Deutsche zeigen. Mit dem Edikt von Nantes 1598 wurde für die französischen Protestanten eine gewisse Rechtssicherheit geschaffen. Das Edikt von Fontainebleau 1685 widerrief die Privilegien (‚Revokation‘). Jetzt begann ein Massenexodus von ca. 160.000 bis 170.000 Hugenotten (Dölemeyer 2006). Vielfach gelangten die Flüchtlinge über die Schweiz ins Deutsche Reich.8 Hier einzubeziehen sind auch die reformierten und französischsprachigen Wallonen sowie die aus dem piemontesischen Raum zusiedelnden Waldenser (Kiefner 1980–1997; Köhler 2007, 31–50). Die Waldenser kommen fast ausnahmslos aus dem Tal der Chisone (franz. Cluson) westlich von Turin. Walldorf im Kreis Groß-Gerau (Hessen) ist beispielsweise eine Waldenserkolonie (Besiedlung seit 1699). Hier und in der näheren Umgebung findet sich der Familienname Coutandin, der wie Guttandin (Rheinhessen) zum Rufnamen Constantin gehört (Dauzat 1994, 144). Die neu gegründeten Hugenottenkolonien haben oft atypische Ortsnamen wie –––––––— 7 8
In Freiburg im Breisgau schon für das Jahr 1414 bezeugt, vgl. Brechenmacher 1960–1963, II, 744. Dölemeyer 2006, 81ff. Karten von Hugenotten-Gemeinden in Deutschland bei Bischoff 1994. Vgl. auch Lausberg 2007. Für einige Gebiete/Städte liegen Spezialstudien vor, z.B. Ebrard 1906; Kadell 1980; Schmidt-von-Rhein 1997, 29–62. Wichtig ist auch der Sammelband von Thadden/Magdelaine 1986.
Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland
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Gewissenruh, Gottstreu oder Karlshafen (nach dem Landgrafen von HessenKassel Karl 1654–1739) in Nordhessen. Die häufigsten Hugenottennamen in Deutschland nach Telefonanschlüssen dürften Louis (TA 907, < Ludwig), Schirra (TA 895, < Girard < Gérard), Clement (TA 868, < lat. Clemens, -entis), Magin (TA 650)9 und Mathieu (TA 628, < Matthias) sein, offensichtlich ausschließlich Patronyme. 10 Fallbeispiel Oppenheim am Rhein südlich von Mainz: Seit 1554 hatten sich in Frankfurt am Main französisch/wallonisch reformierte Christen niedergelassen. Am 3. Juni 1609 wurde mit dem pfälzischen Kurfürsten Friedrich VI. eine Ansiedlungskapitulation geschlossen, in der die Rechte und Pflichten der Oppenheimer Neubürger festgelegt wurden. Die Flüchtlinge wurden im heute noch so genannten Welschdorf westlich und südwestlich der Katharinenkirche angesiedelt (Weber 1989, 255–282). Noch heute gibt es in Oppenheim französische Familiennamen wie Choquet, Cichon, Collet, Delorme, Dumont, Huguenin, Lawall, Maneval, Tiné. Der Oppenheimer Bürger und Architekt des Berliner Reichstagsgebäudes Paul Wallot (1841–1912), Oppenheimer Aussprache ['val2t], entstammt einer Familie von Glaubensflüchtlingen. Die französischen Familiennamen Valot/Vallot sind gebildet aus val ‚Tal‘ plus -ot-Diminutivsuffix ‚kleines Tal‘ (Dauzat 1994, 585).
2.4.1. Patronymische Hugenottennamen Karte 7 (s. Anhang S. 372) enthält patronymische Hugenottennamen vor allem für Rheinland-Pfalz und das Saarland: Louis (TA 842, < Ludwig), Mathieu (TA 603, < Matthias), Piroth (TA 256, < Piere mit -ot-Suffix),11 Schillo (TA 270, < Gillot), Schirra (TA 893, < Girard < Gérard. Bei Schillo < Gillot und Schirra < Girard sind graphische und phonische Integrationsphänomene zu beobachten. So wurde der französische, palato-alveolare, stimmhafte Reibelaut [=] durch den stimmlosen Reibelaut [6] substituiert (Volland 1986, 61ff.), die auslautenden (stummen) Konsonanten -t und -d graphisch nicht realisiert. Die Kirchenbücher werden später, vermutlich vor allem bei Mischehen mit Deutschen, zu denen es etwa seit dem Jahre 1700 kam, eine wichtige Quelle für die Verschriftung französischer Namen nach deutschem Gehör.12 –––––––— 9 10 11
12
Nicht sicher deutbar, vgl. Morlet 1991, 311, 647 und 657; Debrabandere 2003, 802; Germain/Herbillon 2007, 690f.; Gottschald 2006, 336ff. Sammlung und Deutung von Namen bei Keiper 1891; Christmann 1961, 109–116; Zamora 1992. Vgl. auch Neumann 1959, 273–274. Ob Piroth und Pieroth (nicht auf der Karte) in allen Fällen Namen von Hugenotten sind, ist unsicher. Für den Westerwald sind Hugenotten-Ansiedlungen gesichert. Kolonien auf dem Hunsrück hat es aber nicht gegeben. Vgl. die Karten bei Bischoff 1994. Zudem scheinen die Piroths und Pieroths auf dem Hunsrück mehrheitlich katholisch zu sein. Es ist darauf hinzuweisen, dass mit den hugenottischen Flüchtlingen zum Teil auch französische Katholiken aus Frankreich kamen. Diese hatten sich strafbar gemacht, weil sie den Hugenotten beigestanden hatten. Schöne Beispiele hierfür finden sich bei Kraiselmaier 1978–1981, 525–526.
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Rudolf Steffens
2.4.2. Hugenottische Familiennamen nach der Herkunft Karte 8 bietet die Namen Berrang (TA 139), Pirrong (TA 35) und Pirrung (TA 154). In Ostdeutschland sind noch vereinzelte Peronne zu finden. Diese Familiennamen könnten zu franz. Ortsnamen wie Péronne, Péronnes oder Péron gehören.13 Am ehesten scheint hier aber Perron14 vorzuliegen. Im Auslaut wäre dann von einem nasalierten Vokal vor stummem -n auszugehen. Der Nasalvokal wird bei seiner Integration ins Deutsche durch einen nicht nasalierten Vokal ersetzt. Gleichzeitig wird der nasale Konsonant durch den velaren Nasalkonsonanten [1] substituiert. Aus Perron wird Pirrong usw. (Perrong gibt es nicht). Vergleichbare Fälle im Appellativwortschatz sind Balkon > [bal'k21], Beton > [b('t21] (hierzu Volland 1986, 48ff.). Der Familienname Marbe/Marbé (TA 44/6) (siehe oben) sei hier noch einmal aufgenommen. Er gehört zu Ortsnamen wie Marbais oder Marbaix.
Karte 8: Verbreitung von Pirrung, Pirrong, Berrang
–––––––— 13 14
Dauzat/Rostaing 1989 führen nur Péronne an. Bei Cordier 1930, XLIII mehrfach gebucht, S. XLIV auch Piron.
Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland
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3. Schlussfolgerung Der Beitrag hat gezeigt, was ein regionaler Familiennamenatlas zu leisten vermag. Für die Beispielkarten wurden Patronyme (Gerhards, Heinrichs: starker Genitiv; Thelen, Thielen: schwacher Genitiv; Franzen, Dahmen: schwacher Genitiv bei Familiennamen aus fremden Rufnamen), Familiennamen nach der Herkunft (Lorscheid, Lorscheider), Berufsnamen auf -macher, sowie Familiennamen von Hugenotten (Schillo, Pirrung) ausgewählt. Auf Familiennamen nach der Wohnstätte und auf Übernamen konnte nicht eingegangen werden. Hierfür sei verwiesen auf den Familiennamenatlas: Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland. Die Beschäftigung mit den Familiennamen und ihrer Verbreitung im Raum bietet faszinierende Perspektiven. Das zeigen die Karten aus dem Deutschen Familiennamenatlas. Die Familiennamen sind, gerade auch bei regionaler Betrachtungsweise, eine hervorragende Quelle für die Sprachgeschichte. Die Verbreitung von Namen und Namentypen kann Raumstrukturen ergeben, wie sie aus der Dialektgeographie bekannt sind (s. Klausmann (in diesem Band)). Bei den Familiennamen aus Rufnamen treten bisweilen spätmittelalterliche Areale der Heiligenverehrung hervor (Frings). Regionalatlanten haben die für den jeweiligen Teilraum typischen Namen herausgearbeitet: für Bayern sei auf die (frequenten) Familiennamen Huber, Mayr und Wimmer verwiesen (Klausmann 2009). Im (nördlichen) westmitteldeutschen Sprachgebiet ist hochfrequentes Schmitz (ca. 40000 TA) ein typisch rheinischer Familienname. Es ist zu wünschen, dass den erschienenen Regionalatlanten zu Baden-Württemberg, Bayern (Klausmann 2007 und 2009), Oberösterreich (Hohensinner 2010) und dem projektierten westmd. Familiennamenatlas bald weitere folgen mögen.
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Rudolf Steffens
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Hubert Klausmann
Der „Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg“ – Probleme, Lösungsansätze, sprachgeographische Erkenntnisse
Zusammenfassung Ziel des kleinen „Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg“ war es, für dieses südwestliche deutsche Bundesland typische Familiennamen aufzuspüren. Dabei stellte sich zunächst das Problem, aus der riesigen Menge der Familiennamen Namen zu finden, die für eine Region typisch sind. Um dieses Problem zu lösen, wurden verschiedene „Filter“ berücksichtigt. Nachdem die gefundenen Familiennamen bezüglich ihres Verbreitungsgebietes kartiert waren, stellte sich heraus, dass diese Gebiete sowohl bezüglich ihrer Grenze als auch bezüglich ihrer Raumgröße immer wieder an Karten der Dialektgeographie erinnerten. Diese Übereinstimmung wurde mehrfach nachgewiesen. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass diese Übereinstimmung auch zu neuen Erkenntnissen der Siedlungsgeographie und Siedlungsgeschichte unseres Landes führen kann.
1. Einleitung In den beiden für die südwestdeutsche Familiennamenforschung auch heute noch so wichtigen Nachschlagewerken von Brechenmacher 1957–63 und Linnartz 1958 finden wir immer wieder Hinweise auf eine regionale Ausbreitung. Dies ist erstaunlich, denn die beiden Forscher verfügten nicht über die technischen Hilfsmittel, die wir heute zur geographischen Erfassung der Familiennamen in Händen haben. Es war Konrad Kunze, der mit Hilfe von Telefonbüchern der regionalen Ausbreitung einzelner Familiennamen im deutschen Südwesten genauer nachging und hierbei aufzeigte, wie interessant die Familiennamengeographie für die Sprachgeschichte sein kann (so z.B. schon in Kunze 1993, 48–62). Anfangs musste er zur Gewinnung seiner Daten noch mühselig per Hand die Namen aus Telefonbüchern auszählen. Seit der Speicherung der Telefonanschlüsse auf CD-Rom hat dies ein Ende und wir können in kürzester Zeit Namen aufsuchen und zählen lassen. Aus diesem Grund hat die Erforschung der Familiennamen einen regelrechten Aufschwung erlebt, dessen Höhepunkt zweifellos das von Konrad Kunze und Damaris Nübling geleitete Projekt „Deutscher Familiennamenatlas (DFA)“ bilden wird (s. Kunze/Nübling 2009; Internet: www.familiennamenatlas.de). Während dieses Projekt – ähnlich einem traditionellen Sprachatlas – die Namen nach sprachwissenschaftlichen Kriterien untersucht und dann kartiert, bin ich in einem eigenen kleinen Projekt, dem „Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg“, der Frage nachgegangen, welche Familiennamen denn eigentlich für dieses Bundesland im Gan-
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Hubert Klausmann
zen als auch für die einzelnen Regionen im Besonderen charakteristisch sind.1 Bei der Beantwortung dieser Frage ergaben sich von Anfang an Probleme, die hier mitsamt den Lösungsvorschlägen vorgestellt werden sollen. Dass dieser Ansatz für die Sprachgeographie lohnend ist, zeigen die Verbreitungskarten einzelner Namen, die ausgehend von den Atlaskarten neu gezeichnet wurden.
2. Wie findet man für einzelne Regionen typische Familiennamen? 2.1. Die Durchsuchung der Telefonverzeichnisse Auch wenn wir heute über digitale Möglichkeiten verfügen, die es uns erlauben, in Sekundenschnelle nach Namen zu suchen, müssen wir dennoch sehr mühsam erst einmal Namen finden, nach denen wir in den CD-Rom-Dateien suchen lassen. Man kann natürlich nicht jedem Namen in jedem Ort nachgehen, sondern man muss eine Auswahl treffen, und diese Auswahl sollte möglichst so sein, dass man an die regionaltypischen Familiennamen herankommt. Um dieses grundsätzliche Problem zu lösen, habe ich folgendes Verfahren gewählt: Ich nehme das Telefonverzeichnis eines Ortes A und suche dieses Telefonbuch nach auffällig häufigen Familiennamen ab. Wann aber ist ein Familienname auffällig häufig? Um mich nicht zu verzetteln, habe ich ein Ortsregister stets unter folgenden Gesichtspunkten durchsucht: (a) Familiennamen, die zu den deutschlandweit 140 häufigsten Familiennamen gehören, wurden innerhalb der einzelnen Postleitzahlgebiete BadenWürttembergs gesondert untersucht und zunächst ausgeblendet. Für jede Region (Postleitzahlen 70***, 71*** usw.) wurde ihr Auftreten zahlenmäßig erfasst und es wurde eine Rangfolge erstellt. Diese Rangfolge schien mir interessant zu sein, da es hier doch einige Unterschiede zur deutschlandweiten Verbreitung gibt.2 So nimmt zum Beispiel Beck deutschlandweit Platz 58 ein, in Baden-Württemberg liegt er dagegen schon auf Platz 21, und am oberen Neckar gehört dieser Name sogar zu den zehn häufigsten Familiennamen. Ansonsten wurden die 140 häufigsten Familiennamen aber geographisch nicht noch weiter verfolgt. Da man in fast jedem Ort den Namen Müller, Schmidt, Maier, Fischer begegnet, hätte das Auszählen dieser Namen für jeden Untersuchungsort einen zu großen Aufwand bedeutet, bei dem man kaum für die jeweilige Region typische Familiennamen herausbekommen hätte.
–––––––— 1
2
Die folgenden Aussagen über die Familiennamengeographie in Baden-Württemberg stammen allesamt aus Klausmann 2007. Die Abbildungen wurden für diesen Aufsatz allerdings umgezeichnet, um die Räume besser sichtbar zu machen. Für die deutschlandweite Verbreitung der Familiennamen wurde die Statistik von Kunze 2004, 198 übernommen.
Der Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg
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(b) Da bei einem Umzug einer Familie nach 2–3 Generationen schnell 10 Telefonanschlüsse in einem Ort registriert werden können, habe ich als absolute Zahl den Grenzwert bei 15 Telefonanschlüssen festgelegt. Das heißt: Ich habe in einem Ort lediglich diejenigen Familiennamen als für einen Ort typisch betrachtet, die dort mindestens 15mal im Telefonverzeichnis registriert waren. (c) Bei größeren Städten hätte die absolute Zahl 15 zu einer riesigen Menge von ortstypischen Familiennamen geführt. Daher habe ich als weitere Einschränkung eine prozentuale Mindestzahl eingebaut. Sie lag bei 0,2%, in Großstädten bei 0,1%. Praktisch heißt das: In einem Ort mit etwa 10.000 Telefonanschlüssen habe ich nur solche Namen in meine Liste aufgenommen, die dort zwanzig Mal belegt waren. Das Arbeiten mit Prozentsätzen ermöglichte es mir, das Ungleichgewicht Großstadt (mit jeweils großen Zahlen von Namensvertretern) – Kleinstadt zu beheben. Ort A FN 1 FN 2 FN 3 FN 4 FN 5 FN 6
Ort B FN 1 FN 2
Ort C FN 1 FN 2 FN 3 FN 4 FN 5 FN 6 FN 7 FN 8 FN 9 FN 10
Ort D FN 1
Ort E FN 1 FN 2 FN 3 FN 4 FN 5 FN 6
Ort F –
Ort G FN 1 FN 2 FN 3
Tabelle 1: „Tiefenbohrungen“ in ausgewählten Ortschaften und Familiennamen (FN), die die Bedingungen (a) bis (c) erfüllen
Die beiden Vorgaben b) und c) würde ich heute, nach Abschluss der Arbeit am Atlas, nicht mehr so streng sehen. Sie führten nämlich dazu, dass in manchen Ortschaften gar kein Name herausgefiltert werden konnte. In einem solchen Fall wurde der ausgewählte Ort dann durch einen anderen Ort in der Nähe ersetzt. Gerade in ländlichen Gegenden war die Suche nach Ortschaften mit sogenannten „Familiennamennestern“ nach den oben angegebenen Vorgaben nicht immer leicht. Vermutlich lässt sich mit weniger strengen Vorgaben (absolute Zahl: 10, relative Zahl für alle Ortschaften: 0,1%) der Ertrag um einiges erhöhen, ohne dass der Mehraufwand an Arbeit zu groß wird. Am Beispiel des Telefonverzeichnisses der Stadt Calw im Nordschwarzwald kann das Verfahren nochmals verdeutlicht werden: Für Calw waren in meiner Datei 9.600 Telefonanschlüsse verzeichnet. Die Bedingung 0,2% wird damit von denjenigen Familiennamen erfüllt, für die mindestens 19 Anschlüsse registriert waren. Da das absolute Minimum von 15 damit gleichzeitig schon erfüllt ist, war die Zahl 19 die Mindestanforderung für die Suche nach Familiennamen. Wenn wir nun noch die 140 häufigsten Familiennamen weglassen, erfüllen in Calw folgende Namen diese Bedingung: Rentschler (85 Telefonanschlüsse), Pfrommer (63), Kober (48), Roller (45), Blaich, Burkhardt (34), Kugele (28),
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Hubert Klausmann
Lörcher (27), Stoll (26), Walz (26), Niethammer (26), Kirchherr (25), Keck (22), Wacker (22), Bühler (20), Rau (20) und Großmann (19).
2.2. Das Ortsnetz Das nächste Problem ist das Ortsnetz. Bei wie vielen Ortschaften muss ich das Telefonverzeichnis nach den Kriterien a) bis c) durcharbeiten, um sicher zu sein, die regionaltypischen Familiennamen zu erhalten? Ursprünglich dachte ich, dass es genügt, wenn man im Land ein paar Probebohrungen macht, doch hat sich dies rasch als Irrtum erwiesen. Wie in der Dialektgeographie muss auch in der Familiennamengeographie das Ortsnetz recht engmaschig sein. Für Baden-Württemberg habe ich über das ganze Land verteilt 220 Ortspunkte untersucht, darunter alle größeren Städte.3 Am Schluss der Ortsuntersuchungen hatte ich etwa 2.500 Familiennamen herausgefiltert.
2.3. Die Verbreitung der Familiennamen in größeren Räumen Um zu schauen, ob es sich bei den ermittelten Namen wirklich um regionaltypische Familiennamen handelt, wurde ihrer Verbreitung im Raum (Landkreis, Region, Bundesland) mit Hilfe der auf den CD-Roms vorhandenen Suchmaschine nachgegangen. Zum Zeitpunkt der Bearbeitung der Familiennamen von Baden-Württemberg war der geogen-Internet-Auftritt von Christoph Stöpel leider noch nicht vorhanden, so dass die deutschlandweite Suche noch mühselig war. Heute bedeutet diese Internetseite sowohl für das deutschlandweite und landesweite zahlenmäßige Erfassen von Namen als auch für einen Überblick nach Landkreisen einen riesigen Fortschritt für die Familiennamengeographie.
2.4. Das Erstellen der Karten Stellte sich durch die Untersuchung heraus, dass die Verbreitung eines Familiennamens einen bestimmten geographischen Raum umfasste, so wurde eine Verbreitungskarte dieses Namens erstellt. Danach wurden die Karten nach der Zugehörigkeit des bearbeiteten Familiennamens zu den Großgruppen der deutschen Familiennamen geordnet:
–––––––— 3
Diese Auswahl war im Allgemeinen gut durchzuführen und bereitete lediglich im Großraum Stuttgart Probleme, denn die Berücksichtigung aller größeren Gemeinden hätte dort zu einer Überlastung der Karten geführt. Ich musste mich also im Raum Stuttgart auf wenige Städte beschränken. Um das Kartenbild zusätzlich zu entlasten, wurden übrigens auf den Karten nicht alle untersuchten Ortschaften eingetragen.
Der Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg
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1. Familiennamen auf -mann. Dieser Namentyp ist in Baden-Württemberg weit verbreitet. Daher wurden die vielen Namen auf -mann auf einer eigenen Karte erfasst. 2. Familiennamen aus Rufnamen 3. Familiennamen aus Berufsbezeichnungen 4. Familiennamen aus Berufsübernamen 5. Familiennamen aus Übernamen 6. Familiennamen aus Herkunfts- und Wohnstättennamen. Kehren wir zu unserer Illustration an einem konkreten Beispiel wieder nach Calw zurück und greifen dort aus der Gruppe der ermittelten Familiennamen den Namen Rentschler heraus. Nach Brechenmacher 1957–63, II, 401 handelt es sich hierbei um einen Übernamen zu mhd. rensen ‚die Glieder dehnen und strecken‘. Die verwendete CD-Telefonauskunft weist diesen Namen 930mal in Deutschland nach. Hiervon entfallen auf Baden-Württemberg 800 Anschlüsse. Die Verteilung zeigt, dass der Raum Calw das Zentrum des Verbreitungsgebietes bildet (540 Anschlüsse in und um Calw herum). Es ist also ein echter badenwürttembergischer Name. Auf der Karte „Nordwest“ wird daher bei den „Familiennamen aus Übernamen“ der Familienname Rentschler für den Raum Calw eingetragen. Oft ergab sich allerdings das Problem, dass mehrere Zuordnungen möglich waren. Ich musste mich aber für eine Deutung entscheiden. Um die anderen Möglichkeiten nicht zu vergessen, wurden sie – insofern dafür Platz vorhanden war – im begleitenden Kommentar zur Karte wenigstens kurz erwähnt. Schließlich wurden mehrere Karten, die zur gleichen Gruppe – z.B. zu den Familiennamen aus Rufnamen – gehörten, auf einer Karte zusammengetragen. Für jede Gruppe konnten somit mehrere Karten mit vielen Namen erstellt werden. Bei den Karten gab es zwei Gruppen: Familiennamen mit landesweit über 1.000 Telefonanschlüssen wurden auf Baden-Württemberg-Karten eingetragen, alle anderen Namen kamen auf eine der vier Regionalkarten (Südwest, Südost, Nordost, Nordwest). Insgesamt hat der Atlas 100 Karten. Die Karten 1 und 2 (Karten s. am Ende des Beitrags) zeigen eine großräumige und eine kleinräumige Karte aus dem Atlas.
3. Familiennamengeographie und Dialektgeographie Die Karten für den „Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg“ wurden – wie oben beschrieben – nicht nach sprachwissenschaftlichen Kriterien erstellt, sondern es ging in diesem populärwissenschaftlichen Werk darum, für größere und kleinere Räume typische Familiennamen aufzuzeigen und zu erklären. Bei der Kartierungsarbeit aber wurde deutlich, dass Räume zustande kamen, die schon aus der Dialektgeographie bekannt sind. Hierzu einige Beispiele.
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Hubert Klausmann
3.1. Der West-Ost-Gegensatz am Oberrhein Karte 3 zeigt mit den Familiennamen Roß, Fässler, Kollmer, Sexauer, Dischinger, Brombacher Namen, die für das Rheintal charakteristisch sind, denn wir finden sie in den direkt an die Rheinebene anschließenden Schwarzwaldtälern nicht. Dagegen sind Öhler, Haberstroh und Waldvogel für die nach Westen und damit zum Rheintal offenen Schwarzwaldtäler typisch. Und dieser Gegensatz wird durch eine Fülle von Schwarzwälder Namen, die nicht in die Rheinebene vorgedrungen sind, beeindruckend untermauert.4 Hier, beim Eintritt in die Täler, treffen nach Erkenntnissen aus der Dialektgeographie anhand der Urkunden5 als auch anhand der heutigen Mundarten das West- und Ostalemannische aufeinander (Karte 4), also nicht oben auf dem Schwarzwaldkamm. Die Schwarzwaldtäler müssen von Osten und damit von oben her, quasi über die „Pässe“, besiedelt worden sein. Von dort haben die ersten Siedler der Schwarzwaldtäler ostalemannische Merkmale mitgebracht und bewahrt. Die Familiennamengeographie bestätigt diesen Fund nun ganz genau. Dialektgeographie und Familiennamengeographie führen damit zu eindeutigen Erkenntnissen der Siedlungsgeographie und Siedlungsgeschichte.
3.2. Der Nord-Süd-Gegensatz am Oberrhein Karte 5 zeigt mit der Verbreitung des Familiennamens Baumgartner einen Nord-Süd-Gegensatz, der ebenfalls an eine aus der Dialektgeographie bereits bekannte Raumstruktur erinnert. Es ist der Gegensatz zwischen dem OberrheinAlemannischen und dem Südalemannischen.6 „Südalemannischen“ Charakter haben auch noch die Familiennamen Amann, Bernauer, Dörflinger, Eckert, Ebner, Jehle, Matt, Mutter, Strohmeier, Sutter/Sütterlin, Thomann, Waßmer und Wunderle. Wie in der Dialektgeographie so ist auch in der Familiennamengeographie der Gegensatz räumlich nicht so scharf zu erfassen wie der West-OstGegensatz am Schwarzwaldrand. Man hat hier eher den Eindruck eines gestaffelten Raumgegensatzes. –––––––— 4
5
6
Weitere Beispiele für Familiennamen, die in den Schwarzwaldtälern auftauchen, aber nicht in der Rheinebene vertreten sind, wären Dietsche, Duffner/Dufner, Engler, Ganter, Geppert, Harter, Holzer, Hügel, Kimmig, Klausmann, Nopper, Ortlieb, Pfefferle, Riesterer, Ringwald, Schilli, Schwendemann, Trenkel, Tritschler, Willmann, Winterhalder/Winterhalter, Zipfel. Es ist letztendlich – wie Ernst Erhard Müller schon 1960 beeindruckend dargelegt hat – ein sehr alter Gegensatz, der noch älter ist als der für uns heute so wichtige schwäbischalemannische Gegensatz, s. Müller 1960. Dialektgeographische Hinweise zu diesem Gegensatz findet man bei Klausmann 1987, 116–134. Karte 4 zeigt eine der vielen westalemannischen Besonderheiten, die alle genau am Eintritt in die Schwarzwaldtäler enden. Dasselbe gilt – aus umgekehrter Sicht – für die ostalemannischen Merkmale. Zahlreiche Beispiele zu dieser Grenze findet man bei Klausmann/Kunze/Schrambke 1997 sowie bei Klausmann 1985.
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3.3. Der schwäbisch-fränkische Gegensatz an der Jagst Die schwäbisch-fränkische Dialektgrenze zwischen Ellwangen und Crailsheim ist eine der schärfsten Dialektgrenzen im süddeutschen Raum.7 Daher mag es nicht verwundern, wenn hier Verbreitungsgrenzen bei zahlreichen Familiennamen mit den Verbreitungsgrenzen aus der Dialektologie genau zusammenfallen. Hierzu wieder einige Beispiele: (a) Typisch fränkisch sind aus Ellwanger Sicht die relativ häufigen Familiennamen Hanselmann, Ehrmann und Breuninger, typisch schwäbisch sind hingegen aus Crailsheimer Sicht die großen klassischen ostwürttembergischen Familiennamen Wiedmann, Abele und Schiele (Karte 6). So großräumig auftretende Familiennamen sind natürlich auch im jeweils anderen Sprachraum nicht gänzlich unbekannt. Daher müssen wir – wie so oft in der Namengeographie – wieder mit relativen Zahlen arbeiten. Wenn man an der fränkisch-schwäbischen Dialektgrenze bezüglich der Anzahl der Telefonanschlüsse zwei gleich große Räume gegenüberstellt, so erhält man bei den oben erwähnten Familiennamen folgende Relationen (Karte 7).8 Ehrmann
Breuninger
Hanselmann
Wiedmann
Schiele
Fränkisch
Name
6
10
15
1
1
Abele 1
Schwäbisch
1
1
1
5
7
20
Tabelle 2: Fränkische und schwäbische Familiennamen an der Dialektgrenze nördlich von Ellwangen (1)
(b) Noch stärker wirkt sich die Grenze natürlich bei kleinräumig verbreiteten Familiennamen aus: Name
Otterbach
Glasbrenner
Leyh
Messerschmidt
Fohrer
Fränkisch
9
10
12
12
30
Schwäbisch
1
1
1
1
1 Stelzer
Name
Gold
Hauber
Schäffler
Vaas
Köder
Rief
Fränkisch
1
1
1
1
1
1
1
Schwäbisch
5
5
5
8
10
10
10
Tabelle 3: Fränkische und schwäbische Familiennamen an der Dialektgrenze nördlich von Ellwangen (2)
(c) Schließlich gibt es an dieser scharfen Dialektgrenze sogar den bei Familiennamen ausgesprochen seltenen Fall, dass die Verbreitungsgrenze eine absolute ist, das heißt, dass es einen Namen außerhalb seines Verbreitungsgebie–––––––— 7 8
Die jüngste Untersuchung der gesamten Grenze sowie eine Zusammenfassung der Forschungsliteratur findet man bei Ruoff 1992 sowie bei Klausmann 1997, 65–84. Um hier eine vergleichbare Anzahl von Telefonanschlüssen diesseits und jenseits der Dialektgrenze zu erhalten, muss man im fränkischen Raum die beiden Landkreise Schwäbisch-Hall und Hohenlohekreis addieren, im schwäbischen Raum den Ostalbkreis und den Raum Nattheim – Heidenheim – Giengen.
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tes gar nicht gibt. Dies ist der Fall bei den schwäbischen Familiennamen Seckler, Stempfle, Egetenmaier, Lingel, Jaumann, Gaugler, Hilsenbeck, Eiberger, Rettenmaier und Rathgeb (Karte 8).
3.4. Ostschwäbische Gemeinsamkeiten Vergleicht man Karten aus der Dialektgeographie mit Karten aus der Familiennamengeographie, so erhält man aber nicht nur identische Verbreitungsgrenzen, sondern auch identische Räume. Dass unsere heutigen politischen Grenzen (Staatsgrenzen, Landesgrenzen, Kreisgrenzen) zu jung sind, um sprachlich eine Rolle zu spielen, gilt für beide Bereiche der Sprachgeographie. So spielt die Grenze zu Bayern weder bei den Dialekten noch bei den Familiennamen eine Rolle. Vielmehr ist es so, dass man hier in beiden Fällen zahlreiche Beispiele findet, die südlich einer Linie Crailsheim – Dinkelsbühl rechts und links der Landesgrenze gelten und die man als ostschwäbisch bezeichnen kann. In der Dialektgeographie wären das sprachliche Erscheinungen wie die Sprossvokalbildung in Garn, gern, Horn, die Einsilberdehnung in Kopf, Fisch, Gold, Holz, Loch, Dach oder die gemeinsame lautliche Entwicklung von mhd. ê (Schnee), mhd. ô (groß) und mhd. oe (böse) zu -äa- (Schnäa), -oa- (groaß) und -äa(bäas). In der Namengeographie wären als ostschwäbisch zu bezeichnen Familiennamen wie Miller und Wiedemann/Wiedenmann, Haugg und Egger.
3.5. Oberdeutsche Gemeinsamkeiten Schließlich können wir in der Dialekt- und Familiennamengeographie – soweit wir dies von Baden-Württemberg ausgehend schon sagen können – auch noch gemeinsame Großräume erkennen. Mit Hilfe des bereits erwähnten GeogenProgramms ist es heute möglich, Namen auf ihre deutschlandweite Verbreitung hin zu untersuchen. Da dieses Programm mit Landkreisen arbeitet, ist es für kleinräumige Grenzbeobachtungen wie den West-Ost-Gegensatz zwischen Rheintal und Schwarzwaldtälern oder den schwäbisch-fränkischen Gegensatz an der Jagst nicht brauchbar, doch ist es gerade für großräumige Verbreitungskarten eine enorme Arbeitserleichterung. Rainer Hildebrandt hat die Karten des Deutschen Wortatlas (DWA) (Mitzka/ Schmitt 1951ff.) einmal nach Raumtypen geordnet und dabei festgestellt, dass der Nord-Süd-Gegensatz der häufigste ist (s. Hildebrandt 1983, 1331–1367; ders. 1987, 149–162). Stellvertretend für die zahlreichen Beispiele des DWA sei hier lediglich der Gegensatz Junge/Bube (DWA IV, Karte 11) erwähnt. Sonderfälle dieses Nord-Süd-Gegensatzes wären dann die weitere Aufspaltung in drei Räume, so dass wir einen Nord-Mitte-Süd-Gegensatz erhalten, sowie der NordSüd-Gegensatz mit Westkeil, das heißt, dass das Westmitteldeutsche sich dem Oberdeutschen anschließt. Letzteres zeigt die Karte „Ziege“ (DWA V, Karte
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14): Die oberdeutsche Bezeichnung Geiß gilt auch noch in den westmitteldeutschen Mundarten. Wenn wir nun einmal nur den Süden betrachten und dort Familiennamen, die uns aufgefallen sind und die sich als großräumig erwiesen haben, bezüglich ihrer deutschlandweiten Verbreitung nachgehen, so finden wir die soeben beschriebenen Raumtypen aus der Wortgeographie wieder. Als oberdeutsche Familiennamen können wir die Namen oder in diesem Fall auch Namenvarianten Schmid und Maier bezeichnen (Karte 9). Oberdeutsch sind aber auch die Namen Betz, Utz (Karte 10), Reiser, Kirner und – mit Abstrichen – Kopp. Oberdeutsch mit westmitteldeutschem Anschluss sind die Namenvarianten Sailer und Baumgärtner. Wie in der Familiennamengeographie häufig sind hierbei die Verbreitungskarten nicht immer so schön geschlossen wie bei Schmid und Maier.
4. Zusammenfassung Ziel des kleinen „Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg“ war es, mit Hilfe zahlreicher Probebohrungen, die über das ganze Land verteilt waren, für dieses südwestliche deutsche Bundesland typische Familiennamen aufzuspüren. Um solche Namen aus der riesigen Menge der Familiennamen herauszufiltern, wurden Kriterien erstellt, die die Zahl der zu untersuchenden Familiennamen pro Ort einschränkten. Nach diesen Kriterien wurde in über 200 Ortschaften des Landes nach regionaltypischen Familiennamen gesucht. Bei den auf diese Weise ermittelten Namen wurde daraufhin ihre geographische Reichweite erfasst. Namen, bei denen ein mehr oder weniger klares Verbreitungsgebiet zu erkennen war, wurden in einem letzten Schritt den verschiedenen Gruppen der deutschen Familiennamen zugeordnet und auf einer Karte eingetragen. Beim Kartieren der Verbreitungsgebiete hat sich immer wieder der Fall ergeben, dass die Verbreitungsgebiete bezüglich ihrer Grenzen als auch bezüglich ihrer Raumgröße an vergleichbare Karten der Dialektgeographie erinnerten. Es ist klar, dass Mundartgrenzen von Menschen gebildet werden, und diese haben im deutschen Südwesten seit dem 13./14. Jh. auch einen Familiennamen. Findet aus welchen Gründen auch immer kein Sprachaustausch statt, so bleiben auch die Familiennamen im jeweiligen Gebiet haften. So wird letztendlich die anhand der Mundarten des 20. Jhs. erarbeitete sprachliche Raumaufteilung durch ein historisches Material aus dem 13./14. Jh. unterstützt. Es tauchen typisch ostschwäbische, ostfränkische, südalemannische, oberrheinische, west- und ostalemannische, ja sogar oberdeutsche Familiennamen auf. Auch wenn es sich beim „Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg“ um einen populärwissenschaftlichen Atlas handelt, so kann doch auch dieser Atlas durchaus einen Beitrag zur oberdeutschen Sprach- und Siedlungsgeographie leisten.
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Literatur Brechenmacher, Josef Karlmann (1957–63): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Familiennamen, 2 Bde., Limburg/Lahn. Fischer, Hermann (1904–1936): Schwäbisches Wörterbuch, zu Ende geführt von Wilhelm Pfleiderer, 6 Bände, Tübingen. Gottschald, Max (62006): Deutsche Namenkunde, Berlin, New York. Heintze, Albert / Cascorbi, Paul (1967): Die deutschen Familiennamen geschichtlich, geographisch, sprachlich, Hildesheim. Hildebrandt, Reiner (1983): Typologie der arealen lexikalischen Gliederung deutscher Dialekte aufgrund des Deutschen Wortatlasses, in: Werner Besch / Ulrich Knoop / Wolfgang Putschke / Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.): Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung, 2. Halbband, Berlin, New York, S. 1331–1367. – (1987): Zur Raumtypologie des deutschen Dialektwortschatzes, in: Germanistische Linguistik, 91–92, S. 149–162. Klausmann, Hubert (1985): Die Breisgauer Mundarten, Bd. 1.2., Marburg (= Deutsche Dialektgeographie 85). – (1987): Schwarzwaldtäler und Rheintal: ein ost-west-alemannischer Gegensatz, in: Eugen Gabriel / Hans Stricker (Hrsg.): Probleme der Dialektologie, Bühl/Baden (= Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg/Breisgau Nr. 58), S. 116–134. – (1997): Der Ellwanger Sprachraum – ein ostschwäbisches Randgebiet, in: Arno Ruoff / Peter Löffelad (Hrsg.): Syntax und Stilistik der Alltagssprache, Beiträge zur 12. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie 25.–29.9.1996 in Ellwangen/Jagst, Tübingen (= Idiomatica 18), S. 65–84. – (2004): Telefonanschlüsse als namenkundliche Quelle: Die Familiennamen in Nordostwürttemberg, in: Václav Bok / Ulla Williams / Werner Williams-Krapp (Hrsg.): Studien zur deutschen Sprache und Literatur, Festschrift für Konrad Kunze zum 65. Geburtstag, Hamburg, S. 354–370. – (2007): Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg, Ostfildern. Klausmann, Hubert / Kunze, Konrad / Schrambke, Renate (Hrsg.) (31997): Kleiner Dialektatlas. Alemannisch und Schwäbisch in Baden-Württemberg, Bühl/Baden. Kluge, Friedrich (1989): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 22. Auflage herausgegeben von Elmar Seebold, Berlin, New York. Kohlheim, Rosa / Kohlheim, Volker (2000): Duden. Familiennamen. Herkunft und Bedeutung von 20 000 Nachnamen, Mannheim u.a. Kunze, Konrad (1993): Zur Rekonstruktion der Wortgeschichte in und um Vorarlberg anhand von Familiennamen, in: Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs, 45, S. 48–62. – (1996): Wortgeschichte aus Telefonbüchern, in: Ernst Bremer / Rainer Hildebrandt (Hrsg.): Stand und Aufgaben der deutschen Dialektlexikographie, Berlin, New York, S. 37–47. – (2000): Familiennamengeographie und Sprachgeschichte – Beispiele aus dem Alemannischen, in: Edith Funk / Werner König / Manfred Renn (Hrsg.): Bausteine zur Sprachgeschichte, Referate der 13. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie in Augsburg, Heidelberg, S. 181–198. – (2001): Zur Verbreitung der häufigsten deutschen Familiennamen, in: Jürgen Eichhoff / Wilfried Seibicke / Michael Wolffsohn (Hrsg.): Name und Gesellschaft. Soziale und historische Aspekte der Namengebung und Namenentwicklung, Mannheim, S. 179–208. – (52004): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. München. Kunze, Konrad / Nübling, Damaris (2009): Deutscher Familiennamenatlas. Band 1: Graphematik/Phonologie der Familiennamen I: Vokalismus. Berlin/New York. Lexer, Matthias (1992): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd.1–3, Stuttgart [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1872–1878].
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Internetadressen www.familiennamenatlas.de
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Matthäus und Matthias in deutschen Familiennamen. Varianten und Verbreitung
Zusammenfassung Die beiden inhaltlich identischen, formal sehr ähnlichen Namen Matthäus/Matthias wurden in der älteren Überlieferung gelegentlich verwechselt, linguistisch betrachtet lassen sich die zahlreichen Varianten aber weitgehend den Ausgangsformen zuordnen. Die Interpretation ausgewählter Karten zeigt mannigfache dialektal-lautgeographische Verteilungen und öfters auffällige Nestbildungen. Die Notwendigkeit familiengeschichtlicher Untersuchungen wird betont und an einem Beispiel aufgezeigt.
1. Einleitung: Herkunft, Form und Bedeutung der beiden Namen Die Rufnamen (RN) Matthäus und Matthias sind – wie nicht wenige andere – als solche und in mannigfach variierter Form zu Familiennamen (FN) geworden. Sie gehören zu einer der fünf Klassen deutscher FN (Debus 2001). Die lateinische Form Matthaeus geht, wie die griechische Form ȂĮșșĮƭȠȢ, auf hebräisch Mattanja mit der Kurzform (KF) Mattai ‚Gottesgeschenk‘ zurück. Es ist der Name eines biblischen Zöllners, der von Jesus als Jünger berufen wurde (Matthäus 10,3). Nach dem Zeugnis von Markus 2,14 und Lukas 5,27–29 hieß er ursprünglich Levi. Es liegt also offenbar eine Umbenennung vor, wohl auf Grund des neuen Status: ein nicht ungewöhnlicher Vorgang, gab Jesus doch drei weiteren Jüngern neue Namen bzw. Beinamen, z.B. Simon den Namen Petrus.1 Nach der altkirchlichen, jedoch nicht belegbaren Tradition ist dieser Matthäus der Verfasser des ersten neutestamentlichen Evangeliums gewesen. Als man begann, sich in der RN-Gebung nach biblischen Vorbildern bzw. Heiligen zu orientieren, wurde Matthäus zu einem häufig gegebenen Namen. Der Jünger dieses Namens gehörte freilich nicht zu den auffälligen Aposteln. Das waren vielmehr die drei mit (Bei-)Namen bedachten Petrus, Johannes und Jakobus, die von Jesus bei besonderen Anlässen zugezogen wurden (Markus 5,37; 9,2; 14,33). Nicht von ungefähr wurden daher Peter, Johannes und Jakob die beliebtesten deutschen RN mit davon abgeleiteten häufigen FN in reich
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Markus 3,16f.; Johannes 1,42. Schon im Alten Testament wird der Vorgang beschrieben: „du sollst mit einem neuen Namen genannt werden, welchen des HErrn Mund nennen wird.“ (Jesaja 62,2)
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variierter Form.2 Alle drei Namen sind bis heute in der Namengebung üblich, was für Matthäus nur sehr eingeschränkt gilt; dieser Name hat seit dem 19. Jh. an Beliebtheit verloren, im 20. Jh. ist er – mit regionalen Unterschieden – nur noch vereinzelt gegeben worden (Seibicke 2000, 261; ders. 2007, 436). Matthias, lat. Mathias, griech. ȂĮșșȓĮȢ, geht auf die KF von hebr. Mattathias, auch ‚Gottesgeschenk‘, zurück und ist über die Jahrhunderte hin bis in die Gegenwart besonders gebräuchlich gewesen; in den letzten Jahrzehnten des 20. Jhs. rangierte er öfters unter den zehn beliebtesten Vornamen (VN), zuletzt 1982.3 Matthias ist der Name des Mannes, der für den Verräter Judas Iskariot durch Losentscheid als Apostel nachgewählt wurde (Apostelgeschichte 1,15– 26). Seine Reliquien sollen nach der Legende auf Veranlassung der Kaiserin Helena über Rom nach Trier verbracht worden sein, weshalb für das Mittelalter und auch noch für die Neuzeit zahlreiche Pilgerfahrten dorthin bezeugt sind, was die Beliebtheit des Namens mit bewirkt haben dürfte (Drosdowski 1974, 152; Laufner 1961).4 Das spiegelt sich auch in der regionalen Verteilung des einschlägigen FN wider (s. Kt. 2). Die neuzeitliche VN-Gebung braucht uns hier nicht weiter zu interessieren. Wichtig ist allerdings die spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Namengebung und -verwendung für die Entwicklung der FN gewesen. Aus dieser Sicht ist sowohl für Matthäus als auch für Matthias die Situation gleich. Beide gehören seit jener Zeit zu den häufig verwendeten RN, was ihre beträchtliche Repräsentation im deutschen FN-Schatz beweist. Beide Namen haben dieselbe Bedeutung und sind formal recht ähnlich: die Erstglieder sind identisch, die Zweitglieder sind lediglich durch den Doppelvokal unterschieden, freilich zusätzlich durch den Akzent markiert (-tháeus vs. -thías). Das sichert grundsätzlich die Distanz zwischen beiden Namen, was auch weitgehend für die Varianten gilt. Das -ä- in -thäus wird oft zu -e-, entsprechend der regionalen Lautgeschichte, und das -i- in -thias wird zu -ei- diphthongiert. Bei den häufig um das schwach betonte Erstglied verkürzten Formen entsteht dann z.B. einerseits Theus und andererseits Theis mit zusätzlichem Schwund des -a-.
2. Frühe Verwechslungen beider Namen Nun gibt es allerdings Überschneidungen bzw. Verwechslungen. Matthäus „wechselt in älterer Zeit oft mit Matthias“, stellt Wilfried Seibicke 2000, 259 fest und belegt es mit dem Beispiel Mathys (a. 1498) und Matthäus (a. 1500) für denselben Namenträger. Auch Volker Kohlheim hat für die Regensburger RN –––––––— 2
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Zu Johannes ist weiter der Name des Täufers zu nennen, und für Jakob gilt, dass es neben dem alttestamentlichen Erzvater einen zweiten Jünger und einen leiblichen Bruder Jesu mit diesem Namen gab. Vgl. Seibicke 1984, 35; Seibicke Bd. 3, 2000, 262ff. und Bd. 5, 2007, 436. Und mündliche Auskünfte.
Matthias und Matthäus in deutschen Familiennamen
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des 13. und 14. Jhs. gezeigt, dass für dieselben Namenträger Mathyas, Matheus und Matheis begegnen, ja letztere Form als Nomem gegenüber den beiden anderen als Allonomen gelte (Kohlheim 1977, 279f.); demgegenüber erscheinen aber Matthäus und Matthias bei der Nennung der Heiligentage stets deutlich unterschieden. Ob bei Matheis das Zweitglied als Diphthong artikuliert wurde oder im Sinne Peter Wiesingers durch Atemdruckverteilung zunächst eine Art Zweigipfeligkeit wie bei -thyas und -theus entstand, wissen wir nicht, doch würde das die Nivellierung der Formen annähernd erklären können. Sicherlich treten Verwechslungen eher auf, wenn von den Vollformen ausgegangen wird, bei denen ja bereits die Erstglieder identisch sind und durch Akzentverlagerung auf das Erstglied das Zweitglied artikulatorisch verändert wird, also die Doppelvokale -ä-u- und -i-a- vereinfacht oder gar ganz unterdrückt werden. Die so z.B. entstehenden Formen Matthes und Matthys mit stark abgeschwächten Zweitgliedern oder zur Einsilbigkeit verkürztem Mats führen dann leicht zu Verwechslungen. Bei Mats ist sogar jedes Differenzierungsmerkmal verloren gegangen, weshalb Wilfried Seibicke sowohl im Artikel Matthäus als auch im Artikel Matthias wiederholt diese Form in verschiedenen Belegen verzeichnet, öfters mit -z. Damit vergleicht sich diese Form solchen Bildungen mit dem ursprünglichen Kosesuffix -z (< *-izo, *-iza), z.B. Fritz, Hinz, Kunz, Metz(e). Derartige Formen sind oft deonymisiert bzw. auch mit abwertender Bedeutung gebraucht worden, etwa Hinz und Kunz oder besonders Metze. Es verwundert daher nicht, dass auch Matz in entsprechender Verwendung vielfältig historisch und regional bezeugt ist, auch in Zusammensetzungen mit -matz als Grundwort (DWB 6, 1768f.; Meisinger 1924, 67ff.). Heutige vergleichbare Verwendungen von Matz, Mätze, Mätzchen verzeichnen Duden 2001, 1059f. und Paul 2002, 646, doch leitet Duden die KF von Matthias ab, hingegen Paul von Matthäus (wie auch das DWB). Demgegenüber muss betont werden, dass beide Namen die Ausgangsformen darstellen. Das hat bei der KF mit zur Häufigkeit der Verwendung geführt, was ein wesentliches Kennzeichen der Deonymisierung ist (Debus 2009). Übrigens zeigen zwei weitere Namenformen eine entsprechende Entwicklung: die zu Matthias gehörenden Varianten, einerseits bair. Hiesel, Hies, Hias ‚einfältiger, dummer Mensch‘ mit den Ausdrücken hieseln, einen zum Hiesel haben ‚zum Besten haben‘, und andererseits schweizerisch-lokal Mattis, z.B. Lugi-Mattis ‚Lügner‘ oder Günkelemathis ‚Spaßmacher‘ (Meisinger 1924, 68).
3. Varianten und ihre linguistisch begründete Zuordnung Neben den offiziellen Namenformen hat es also im Laufe der Zeit mannigfache sprachliche Varianten gegeben – durch Lautwandel, Verkürzung, Kontamination, Volksetymologie oder willkürliche Veränderung, differenziert zusätzlich in sprachgeographischer Sicht. Das hat sich in den FN niedergeschlagen, wobei es zu ähnlichen bis identischen Lautungen und so zu Verwechslungen zwischen
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beiden Namen kommen konnte, so etwa bei -e- und -i- in den Formen The(e)s vs. Thi(e)s. Gleichwohl lassen sich aus linguistischer Sicht die phonetischmorphologischen Varianten weitgehend Matthäus bzw. Matthias zuordnen. Die folgenden Listen enthalten die aus überregionalen FN-Büchern registrierten FN, die freilich nicht alle in der Datenbank des DFA (= Deutscher Familiennamenatlas) enthalten sind. Das muss nicht verwundern, denn FN-Bücher können inzwischen untergegangene oder seltene bzw. nicht durch Telefonanschlüsse erfasste Formen enthalten, die in den Listen durch runde Klammern markiert sind. Demgegenüber sind in der Datenbank weitere, in den FN-Büchern nicht verzeichnete Namen enthalten, die meist in geringerer Zahl, gelegentlich nur einmal vertreten und in den Listen mit eckigen Klammern versehen sind.5 Natürlich wäre bei nicht wenigen FN wichtig zu wissen, wie diese von den Namenträgern selbst ausgesprochen werden oder wie sie ausgesprochen wurden. Manchmal ist in den Namenbüchern die Aussprache verzeichnet, z.B. dass -eus und -ei nicht als Diphthonge zu artikulieren sind. Das gilt freilich nicht für Heuss und Varianten, die eine gerundete Form von Heiss darstellen, allerdings auch von mhd. hiuze ‚munter, frech‘ abgeleitet sein können. Heis mit Varianten erscheint als um die Erstsilbe verkürzte Form von Matheis (< Matthias), kann aber auch zu mhd. heiz ‚heiß, hitzig, heftig‘ gehören. Die 2573 Heiß/HeissBelege der DFA-Datenbank kommen, neben Einzelbelegen im deutschen Sprachgebiet, sehr konzentriert vor: an bzw. besonders südlich der Donau und westlich bzw. südlich von Frankfurt/M. im Odenwaldbereich, durchmischt mit 336 Heuß/Heuss-Vorkommen; Hies (< Hias) mit Varianten begegnen weniger häufig. – Die Formen Mat(t)hey/Mathei u.ä. gehören zur patronymischlateinischen Genitivform Matthaei/Matthäi. Diese Genitive streuen über das ganze Sprachgebiet, mit einem dichteren Vorkommen in Thüringen und im Rheingebiet. Im Übrigen können diese Formen weiter verkürzt werden bis hin zur akzentuierten Variante Matthée. FN nach Matthäus aus FN-Büchern (s. Text) (…) = in DFA-Datenbank nicht verzeichnet […] = in DFA-Datenbank zusätzlich verzeichnet * = weitere Deutungsmöglichkeit(en) Matthäus [Matthaeus] Mathäus (Mattaeus) Mattheus Matheus Matheuß [Matteus]
Matthai Matthay [Mathay] Matthae Mathae Matthä [Mathä] Matthe
Dewis Thewes Tewes Dewes Deweß [Däwes] [Daewes] Thews
[Tessmann] [Theßmann] [Teßmann] [Deßmann] (Theesmann) Debusmann Thewissen
Deußing Deusing Thesinga [Thessinga] [Theßinga] (Theessinga) (Thessenga)
–––––––— 5
Folgende FN-Bücher wurden systematisch ausgewertet: Bahlow 1967; Brechenmacher 1957–63; Gottschald 2006; Heintze-Cascorbi 1967; Kohlheim/Kohlheim 2005; Linnartz 1958; Naumann 2003/2004; Wenzel 1999. Für die Auskünfte zur DFA-Datenbank und für die Bereitstellung der Verbreitungskarten habe ich Frau Dr. Rita Heuser zu danken.
Matthias und Matthäus in deutschen Familiennamen Mateus Mattheas (Matthäas) Matthaeß Matthaes Matthäß [Mathäß] [Matthäs] Mathäs Matthees Mathees Matthes Mattheß Mathes Matheß [Mattaes] (Mattäs) [Matees] Mattes [Matteß] [Mates] Mades (Motheus) (Motthes) Mothes [Motheß] [Mottes] [Motes] Moths Motz* Modes Modess Modeß Matthäsius Matthesius Mathesius Matthaei Matthäi Mathäi [Matthäy] [Mathäy] Matthei Mathei Matthey [Mathey] (Mattheih) Mattei
Mathe (Matthea) Matthee [Mathee] Matthée [Mathée] Matho Matthewes Mathewes Matthews Mathews (Mattewes) [Mattews] [Matews] (Mathebus) Matthaiwe (Mattessohn) Matheson Matthesen [Mattheßen] [Mattheesen] Mattheessen Mattheeßen Mattesen [Mattessen] (Mathson) Madsen (Madzen) Matzen (Matthesing) (Matthäser) [Mathäser] Matteske Theus Teus Deus [Theuss] [Deuss] [Theuß] Deuß Dehus (Thewus) (Dewus) Thewis [Tewis]
Tews Thevis [Theves] Teves [Deves] (Täves) Däves [Daeves] [Thevs] [Tevs] Thebus [Tebus] Debus [Thebuss] Theebusch Debusch Thebis [Tebis] [Debis] Thebes [Tebes] Debes Tebs Debs (Thöbus) [Thoebus] (Töbus) [Döbus] [Döbis] [Doebis] [Thöbes] [Thoebes] [Toebes] (Döbes) Dabes Thees [Tees] Dees [Theess] [Deess] Theeß [Teeß] [Deeß]
Thesmann Tesmann [Thessmann]
[Tewissen] [Terwissen] Thewißen [Tewißen] [Teweßen] Thewen [Theuwissen] Teuwsen Tevissen (Devissen) [Thevißen] Thevessen [Theveßen] [Teveßen] Theven [Teven] (Thev) (Dävesen) (Dävessen) [Däveßen] [Daevessen] [Theuvsen] [Theusen] Deusen Theussen Deussen [Theußen] Deußen Thösen Thesen [Desen] [Theesen] (Deesen) Theessen Deessen Theeßen Thessen [Theßen] Desens Thesing [Tesing] [Desing] (Theesing) (Teesing) [Dessing] [Theussing] [Deussing] [Theußing]
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[Thäuser] [Theuser] [Teuser] Deuser [Teusser] [Deusser] [Teußer] [Deußer] Deser (Hews)
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FN nach Matthias aus FN-Büchern (s. Text) (…) = in DFA-Datenbank nicht verzeichnet […] = in DFA-Datenbank zusätzlich verzeichnet * = weitere Deutungsmöglichkeit(en) Matthias Mathias [Mattias] [Matias] Matthies Matthieß Mathies [Matties] Maties (Matthyes) (Mathyes) Matthis [Matthys] Mathis Mathys Mattis [Mattys] Matis Matys (Matthiges) (Mattiges) (Matigs) (Matthix) (Mathiewe) (Matiewe) [Matiwe] Mathiebe [Mattiebe] Matiebe Matiebel Matthia [Mathia] Mattia [Matia] Madeia Matthiae [Mathiae] Matthiä [Mathiä] Matthie Mathie [Matie] [Matye] (Matthi) Mathi
Matheisl [Matteis] [Mateis] (Mettias) (Metties) (Meteis) [Matthiasson] [Mathiasson] [Mattiasson] [Mathieson] [Mattiesson] Matthisson Mathison Mattison [Matison] [Mattisson] Matthiasen Mathiasen [Matthiassen] [Mathiassen] Matthiesen Matthiessen Matthießen [Mathiesen] [Mathiessen] Mathießen Mattiesen [Mattiessen] [Matthisen] [Mathisen] [Matthissen] Mathissen [Mattissen] [Matissen] [Matheisen] Mattheisen [Mattheissen] [Matteisen] [Matthien] [Mathien] (Matthin) Matthein [Mathein]
Tias [Dias] Tyas [Dyas] [Thyes] [Dyes] Thies Thiess Thieß Ties Dies* Tiess Diess* [Tieß] Dieß* This Thys (Thyß) Tis Dis [Tiss] Diss Diß [Tys] [Dys] [Tyss] [Tyß] (Thieges) [Tiegges] Tieges [Dieges] Thigges Tigges [Tygges] (Tiges) (Tyges) (Tyghes) [Thyggs] Tiegs [Diggs] (Teiges) Theis [Theys] Theiss Theiß Teis
(Theize) [Thiesmeyer [Tiesmeyer] [Dießmeyer] [Thißmeyer] [Thiessmeier] [Diessmeier] [Dissmeier] [Dißmeier] [Diesmayr] [Thiesmann] [Diesmann] [Tismann] [Dismann] [Dissmann] [Tißmann] Dißmann Theismann Teismann Deismann Theissmann [Deissmann] [Teißmann] Deißmann Thiesen Thiessen Thießen [Tiesen] [Diesen] [Disen] [Tiessen] [Tießen] Tissen Dissen [Tißen] [Dißen] Thissen [Thißen] [Thysen] Thyssen [Thyßen] Tyssen Thygesen Theysohn
[Teisen] Deisen [Teysen] [Teissen] [Teyssen] [Teißen] [Thiwissen] Thywissen [Thywißen] [Tiwissen] [Thivissen] [Thievessen [Thievßen] Thivesen [Thivessen [Thiveßen] [Thiewes] [Thieves] Tieves Thives Tives [Thiebus] Thibus [Tibus] Tybus [Diebus] [Dibus] Thiebes [Tiebes] [Thibes] [Tibes] [Thieve] Thiebe Tiebe [Diebe] (Thya) Thie Thisius [Tisius] Thiesing [Tiesing] Diesing Düsing [Dising]
Theisig Thiesgen Theisgen Thieser [Thiesser] [Tieser] Dieser* [Diesser] [Dießer] Tiser [Diser] [Tyser] [Tisser] [Disser] [Dißer] Theiser [Teiser] Taiser [Daiser] Deiser [Deisser] [Deißer] [Tiesel] Diesel [Thiessel] Diessel [Thießel] [Dießel] [Tisel] [Thyssel] Dissel [Dißel] [Diesl] [Tiessl] [Diessl] Dießl [Tysl] [Dysl] [Disl] [Tissl] Theisel [Taisel] [Daisel]
Theißl [Teißl] Tiesler Dieske Dieses (Hias) Hies [Hiess] Hieß Hiss Hiß Hiese [Hise] Hiesel (Hiessel) [Hießel] [Hisel] [Hissel] Hiesl [Hiessl] [Hießl] (Hiesle) Heis* Heiss* Heiß* [Hays]* [Haiss]* Haiß* Heisel* [Heisl]* [Heus]* Heuss* Heuß* Heusel* Hoiß* (Hoisle)* (Hiesmaier) (Hieslmaier) Hiesbauer Haisjackl
Matthias und Matthäus in deutschen Familiennamen Mathy Matti [Matty] [Mati] [Maty] Mattheis Matthais Matheis
Matthiesing [Mattheißing] Mattheier (Matheier) [Mattheuer] Thias (Thyas)
Dies (Teys) [Deys] [Teiss] [Deiss] [Deyss] [Teiß] Deiß Deyß
Theyson [Theisen] [Theysen] Thaysen Theissen [Theyssen] Thayssen [Theißen] [Theyßen]
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[Dissing] Theising [Teising] Deising Theissing [Deissing] [Theißing] [Deißing]
[Deisel] [Theissel] [Theißel] [Deißel] [Theisl] (Teisl) [Deisl] [Theissl] Teissl]
FN nach Matthäus oder Matthias aus FN-Büchern (s. Text) (…) = in DFA-Datenbank nicht verzeichnet […] = in DFA-Datenbank zusätzlich verzeichnet = weitere Deutungsmöglichkeit(en) (Mads) Maths Mats Matz Matzel [Matzl] [Maetzel] Mätzel [Mätzl] (Mätzle) (Mätzlin) Matzer Matzner [Mätzing] Metzing Math* Mat* Matt* Matte* Mattel* Mattle* [Mattl]* Mattner [Matner] Mathing
FN slawischen Ursprungs nach Matthäus oder Matthias aus FN-Büchern (s. Text) (…) = in DFA-Datenbank nicht verzeichnet […] = in DFA-Datenbank zusätzlich verzeichnet * = weitere Deutungsmöglichkeit(en) Mach* [Mache]* [Machek]*
Matuschek [Mattuschek] [Mathusek]
Metzke Matzeg Matzek
[Matticka] Matika [Matyka]
262
Friedhelm Debus [Machik]* Masch* [Mäsch]* Maasch* [Maasche]* Maschek* Maschik* Maschk* Maschke* [Maeschke]* Mäschke* Maskus* Mattack Mattagk Mattek Mattausch Matthausch [Matausch] [Mattauch] Madaus Matus [Mattus] Matthus [Mathus] Mattusch Matusch (Matuscha) Matuschak
(Mattuszek) Matousek [Matouschek] Mattuschik Matuschik Mattuschka Matuschka [Matuska] (Mattuschke) Matuschke Matuszewski Matsch [Matsche] Matschak Matschek Maczek Matschko Matschke [Maetschke] Mätschke Matschula Matula Matzko Matzke [Mazke] [Metzko] [Maetzke] Mätzke
[Matzeck] Mazek Mazeck [Mazik] [Mazick] Matzik [Matsik] [Matzick] [Mattzick] Matzig [Maetzig] Mätzig Maciej Maciejewski* (Mazeus) [Matteg] Mattheck Mateck [Matteck] Matthecka [Mattecka] Matecka [Matthick] Mathick Mattick [Matick] Mattik Matyk
Mattig Mättig Matig Matisch Matischka [Mattischke] (Matteska) [Mathiske] Mattiske [Matiske] Mattiza Mattischenz Matischenz [Mattschenz] Matschenz Mathenz [Mattk] Matk Mattka [Matka] Mattke [Matke] Matcko Matho Mathow
FN slawischen Ursprungs nach Matthias aus FN-Büchern (s. Text) (…) = in DFA-Datenbank nicht verzeichnet […] = in DFA-Datenbank zusätzlich verzeichnet Mathiasch Mathiaschk Matthiaschk Mattiasch Matiasch Matyasch (Matyaschk) Mattiaschk [Matiaske] [Matthiak] [Mathiak] [Matiak] [Matyak] [Mathisiak] [Matisiak]
Matysiak Matyjasik [Matysak] Matysek [Matyssek] [Mattissek] [Mathiszik] [Matisik] Matysik [Matyschik] [Matischok] [Matyschok] Matychowiak Mathiank Matschie
Matthias und Matthäus in deutschen Familiennamen
263
4. Interpretation ausgewählter Familiennamenkarten Auf den zahlreichen FN-Karten nach der DFA-Datenbank lassen sich erstaunlich gut abgrenzbare Raumbildungen erkennen, trotz der bereits seit dem ausgehenden Mittelalter „nicht unbeträchtlich“ vorauszusetzenden „Binnenwanderung in Deutschland“ (Bach 1952, 241)6 und trotz der später vermehrten Mobilität der Bewohner – was übrigens Edward Schröder 1944, 147 schon 1936 am Beispiel von südlichem Schneider und nördlichem Schröder/Schrader an Hand von Adressbüchern beschrieben hat. – Im Folgenden können nur ausgewählte Kartenbilder berücksichtigt und analysiert werden: Karten 1 und 2 (Verbreitung von Matthäus, Mattheus, Matheus und von Matthias, Mathias, s. Anhang S. 373) zeigen das Vorkommen der Vollformen mit geringen graphischen Varianten.7 Matthäus ist hier in deutlich geringerer Zahl und dazu wesentlich im mittleren und südlicheren Raum belegt, während Matthias mit mehr als doppelter Belegzahl und eher in der nördlichen Hälfte vertreten ist. Dieses Verteilungsbild wird durch Karte 3 und 4 (Verbreitung von Matthes, Mattes, Mathes, Mo(th/d)es und von Matthies, Mathis, Mathies, Matthis, s. Anhang S. 374) bestätigt, doch sind hier die Belegzahlen deutlich anders. Das bezeugt – wie das auch die weiteren Daten tun –, dass Matthäus mit Varianten in der früheren Namengebung Matthias nicht nachstand. Auch die 129 mal bezeugte latinisierte Form Mat(t)hesius bestätigt die Popularität der Variante Mat(t)hes. Zu Matthäus gehört weiter die gut belegte Variante Mothes/Modes mit Rundung des Stammvokals, die konzentriert im Vogtland begegnet und sonst im ganzen Sprachgebiet streut (vgl. Kt. 3). Zu Matthies (Kt. 4) gehört die patronymische Form Matthiesen mit Varianten, deren vorwiegend schleswig-holsteinische Verbreitung Karte 5 (Verbreitung von Matthiesen, Matthie(ss/ß)ens, Matheisen, Matheis, Mattheis, s. Anhang S. 375) veranschaulicht, in Verbindung mit der diphthongierten KF Mat(t)heis. Diese begegnet konzentriert im Saarland und in der Pfalz. – Sowohl von Matthäus als auch von Matthias entstand durch extreme Verkürzung die bereits erwähnte Form Mats/Matz, deren Verbreitung Karte 6 (Verbreitung von Matz, Motz, Matzen, Madsen, s. Anhang S. 375) zeigt, zusammen mit der nahezu ausschließlich zum Dänischen hin begrenzten patronymischen Form Matzen/Madsen und der KF Motz. Während nun aber Matz in den FN-Büchern übereinstimmend als KF von Matthäus und Matthias gedeutet wird, wobei allerdings kein -z-Suffix vorliegt (so Kohlheim/Kohlheim 2005, 450), sondern Verschärfung des Schluss-s, wird das außer bei Gottschald 2006, 343 nicht für Motz vorausgesetzt. Diese Namenform wird zu alemann. motz ‚Schmutz, Schlamm‘ bzw. zu süddt.-bair. moz ‚Hammel‘ oder zum Verb mutzen/motzen ‚verdrießlich sein, pfuschen‘ gestellt, wobei Gottschald 2006, 356 auch noch die Deutung ‚Hammel‘ zulässt. Diese –––––––— 6 7
Daher sei „die Landschaft, in der ein FN entstand, nicht stets mit Sicherheit zu bestimmen.“ (Bach 1952, 241). Entsprechendes gilt auch für die übrigen Karten, die nur die häufigsten der in den Listen verzeichneten Varianten enthalten.
264
Friedhelm Debus
Deutungsmöglichkeiten dürften nur für den süddeutschen Bereich in Frage kommen. Doch auch hier muss – wie generell sonst auch – von der Variante Mothes > Mots/Motz ausgegangen werden, entsprechend Mathes > Mats/Matz. Hier zeigt sich exemplarisch das grundsätzliche Problem, auf das Adolf Bach deutlich hingewiesen hat: „In der Regel werden wir nur bei genauer Kenntnis der G e s c h i c h t e d e r F a mi l i e d e r N a m e n t r ä g e r in der Lage sein, für unsere modernen FN die Deutungsschwierigkeiten zu beheben und von den vorhandenen Konkurrenzen diese oder jene auszuschalten. Wir müssen uns dabei stets die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten vor Augen halten […]. Es ist selbstverständlich, daß neben der leichter zu beantwortenden Frage, wie ein FN u. U. erklärt werden k a n n , die entscheidende, wie er erklärt werden m u ß , angesichts der Dürftigkeit der älteren familiengeschichtlichen Zeugnisse bei einer außerordentlichen Fülle von FN offen bleibt.“ (Bach 1952, § 218)
Genau das trifft auch auf Matt(e) zu, dessen Vorkommen Karte 7 (Verbreitung von Matt, Mathe, s. Anhang S. 376) veranschaulicht. Kohlheim/Kohlheim 2005, 449 geben dazu als letzte von fünf Erklärungsmöglichkeiten an, dass es sich um eine verkürzte Form von Matthäus bzw. Matthias handeln kann. Die von ihnen erstgenannte obd. Herleitung von mhd. mate, matte ‚Wiese‘ dürfte nach dem Kartenbild zu urteilen für den Süden, genauer für den Südwesten zutreffen. Nach Mundartwörterbüchern und Jürgen Eichhoff 2000, 4–75 ist Matte die alemannische Bezeichnung für ‚Wiese‘, und nach Ausweis älterer Zeugnisse war diese „im gesamtgebiet des hochdeutschen nie ganz vergessen“ (DWB 6, 1782). Die bisherigen Betrachtungen haben FN-Beispiele mit Bewahrung der Erstsilbe Ma- berücksichtigt. Besonders aufschlussreiche Formen haben sich ebenso durch den Schwund dieser Komponente ergeben: Karte 8 (Verbreitung von Thies, Thiess, Thieß, Theis, Theiß, Theiss, Deiß, Deis, Deiss, s. Anhang S. 376) vereint die beträchtlichen Belegzahlen der von Matthias abgeleiteten Formen Thies und Theis mit jeweiligen Varianten. Sehr deutlich tritt die Distribution bzw. konzentrierte Verteilung der diphthongierten und nicht diphthongierten Formen hervor, wozu vergleichend auf die Karten 4 und 5 hinzuweisen ist. Und anknüpfend an die frühere Erwähnung des ausgeprägten Reliquienkultes von Trier aus darf die starke Konzentration von Theis/Matheis in diesem Bereich als Bestätigung für die dadurch beeinflusste Namengebung gelten. Hinzu kommt die nicht kartographisch erfasste Verteilung der patronymischen Form Theis(s)en mit Varianten im unteren Moselbereich und im Niederrheingebiet, während die nicht diphthongierten entsprechenden Formen Thies(s)en/Thießen konzentriert in Schleswig-Holstein, weniger auch im Raum Minden – Osnabrück – Bielefeld und die Varianten T(h)issen/Thyssen am Niederrhein besonders zur niederländischen Grenze hin begegnen. Vergleicht man den Isoglossenverlauf der Diphthongierung von Ư : ei auf den Karten des Deutschen Sprachatlas (DSA), so ergibt sich eine gewisse Übereinstimmung von Wort- und Namengeographie. Von den möglichen DSABeispielen sind die Ưs/eis- und die bƯ/bei-Isoglosse von Interesse. Ihr Verlauf stimmt nur teilweise überein, was nicht verwundern muss. Nördlich dieser
Matthias und Matthäus in deutschen Familiennamen
265
Grenzlinien kommt verbreitet Thies vor. Südlich der Ưs/eis-Isoglosse begegnet Theis im Westen und zusätzlich rheinabwärts mit dichter Streuung im beiGebiet. Das wird durch die Verbreitung der Theis(s)en-Formen erheblich ergänzt – ein Bild, das für die staffelförmige Ausprägung des Rheinischen Fächers typisch ist. Diese Ausbreitung rheinabwärts zeigt sich bei nicht wenigen anderen Sprachformen, wobei gelegentlich Restgebiete „zurückbleiben“. Eben dies zeigt sehr schön die bei-Karte im Bereich der Ưs/eis-Linie, einem kleinen Relikt-Vorkommen im westlichen Westerwald und einem etwas länger gestreckten Streifen in der Eifel. Auch hier gibt es, wie auf Karte 8, diesseits und jenseits der Isoglossen mehr oder weniger verteilte Streubelege. Im Übrigen kann auch die bis zum 14.–16. Jh. etablierte Diphthongierungsgrenze am Beispiel Haus bei Frings 1957, Kt. 35 verglichen werden. Eine gut belegte Form des Zweitgliedes von Matthäus ist die hier nicht kartierte Form Theus/Deus mit weiteren Varianten. Neben Streubelegen im ganzen Sprachgebiet zeigen Berlin, das Umfeld von Stuttgart, Frankfurt/M., Bielefeld und besonders das Niederrheingebiet häufigeres Vorkommen, wozu nur am Niederrhein ein regelrechtes Nest der patronymischen Form Deußen mit Varianten erscheint. Die nicht diphthongisch auszusprechenden Theus/Deus-Formen werden dann weiter verändert, indem der Hiatus getilgt bzw. durch einen Gleitlaut überbrückt wird. So entsteht die zahlreich belegte Form Tewes mit Varianten und gleichzeitiger Abschwächung bzw. folgendem Schwund des Endungsvokals. Daneben begegnen die Varianten T(h)eves/T(h)evs insbesondere im Niederrhein-, Ruhrgebiet und in Münster, Bremen und Hamburg. Karte 9 (Verbreitung von Tewes, Tews, Thewes, Dewes, Thews, Debus, Debes, s. Anhang S. 377) veranschaulicht die Verbreitung des -w-Typus und zugleich diejenige der durch die binnendeutsche Konsonantenschwächung gekennzeichneten Form Debus/Debes. Wie ist diese -b-Form zu erklären? Dazu ist die Isoglosse -b-/-w- mit dem Beispiel leben nach Arend Mihm 2008, 17 eingetragen. Wiewohl diese Linie in einem anderen Kontext von Bedeutung ist,8 ist sie im vorliegenden Fall dennoch sehr dienlich, zumal einige Karten des DSA diese dialektal-frikative Realisierung von intervokalischem -b- entsprechend belegen. Das trifft insbesondere zu auf die Karten liebes und glaube (1. Pers. Sing. Präs.). Dazu wird entsprechend im Rheingebiet -v-, bei glaube auch -fbezeugt. Karte 9 zeigt, dass die -b-Formen im Wesentlichen im Grenzbereich und südlich der Isoglosse vorkommen. Das heißt, dass diese Formen mit Bezug auf den lautlich-lexikalischen Befund hyperkorrekt gebildet worden sind. Der -w-Übergangslaut ist hier an die dialektale und zugleich hochdeutsche Form angeglichen worden. Diese Formen sind bereits früh vorhanden, wie meine Auswertung des umfangreichen, 1629 einsetzenden Taufbuches des großen Kirchspiels Dautphe mit neun, seit 1681 sieben Orten ausweist. Dieses Kirch–––––––— 8
Auf Nachfrage teilte mir Arend Mihm am 10. 8. 2008 brieflich mit, dass diese Isoglosse „eine fiktive Linie auf der Basis aller erreichbaren Karten darstellt und die äußerste Nordgrenze markieren soll für jenes Gebiet, in dem man noch mit einer Auslautverhärtung von [-b-] zu [-p-] rechnen könnte.“
266
Friedhelm Debus
spiel, aus dem ich stamme, liegt genau im Zentrum des Hauptvorkommens von Debus. Anfänglich begegnen hier vorwiegend Debus und Debes als FN, daneben die Vollform Matthäus, die auch als VN gegeben wurde, von 1629–1683 neun mal. Aber auch Debes und Debus wurden öfters als VN vergeben, noch am 25. 4. 1865 wurde ein Junge Debus Schmidt getauft, benannt nach dem Großvater und Paten Debus Pitz. Aufschlussreich ist, dass nicht nur einmal ein Junge Matthäus nach dem Paten benannt und getauft wurde, der allerdings Debus mit VN hieß. Das heißt, man hat Debus als Variante von Matthäus verstanden – völlig zu Recht! Erwähnt sei noch, dass auch die Kombinationen von VN und FN Matthäus Debus und Matthias Debus im Taufbuch begegnen. Im Übrigen wurde von 1629–1683 fünf mal Matthias als VN vergeben. Als FN kommen neben Matthias die Formen Theis, Deys und Deismann, als VN auch Diebus, Diebes vor. Die Form T(h)iebes mit Varianten (auch mit -v-) begegnet weiterhin konzentriert-nestartig zwischen Köln und Duisburg sowie in Aachen. Die sowohl in der DFA-Datenbank als auch in FN-Büchern belegte Form Tybus ist bereits seit dem 14. Jh. als Name einer Duisburger Patrizierfamilie nachgewiesen.9 Es liegt hier also wiederum ein auffälliges Beispiel für deutliche FNKonzentration vor, was in diesem Fall auch historisch vertieft werden konnte. Ein letztes Beispiel sei die im Ruhrgebiet bis südlich Münster – Bielefeld und bis nördlich Siegen zahlreich belegte Form Tigges, die durch Dehnung von Thies mit -j- als Übergangslaut und Verschärfung entstanden ist. Solche erstaunlichen Nestbildungen hat es trotz früher Binnenwanderung und weiterer Mobilität der Bevölkerung nicht eben selten gegeben. Das wird wohl bei anderen FN ähnlich sein. Einzelne Streubelege außerhalb solcher Konzentrationen dürften sich als individuelle, wesentlich berufsbedingte „Ausgrenzungen“ erweisen, wie sporadische Befragungen ergaben. Die in den FN hervortretende „Bodenhaftung“ der Namenträger ist ein soziologisch bedeutsamer Befund, der den viel erörterten Begriff „Heimat“ in den Blick rückt. Die Betrachtungen über Variation und Verbreitung der FN Matthäus und Matthias konnten nicht auf alle Aspekte des reichhaltigen DFA-Materials eingehen. Das betrifft nicht zuletzt die erstaunlich zahlreichen FN slawischen Ursprungs, die in den Listen aufgeführt sind und einer gesonderten Untersuchung bedürften. Hier sei lediglich eine Karte ausgewählt: Karte 10 (Verbreitung von Matzke, Maschke, Matschke, Mätzke, s. Anhang S. 377). Darauf häufen sich, wie zu erwarten, diese Namen im Osten und im Ruhrgebiet (vgl. Czopek-Kopciuch 2004; Wenzel 1999).10 Weitere Karten würden dies insbesondere für das Ruhrgebiet eindrucksvoll ergänzen.
–––––––— 9 10
Briefliche Mitteilung Arend Mihms vom 10. 8. 2008. Besonders hingewiesen sei auch auf Rymut/Hoffmann 2006. Zu Matthäus und Matthias wäre dann der zweite Band einzusehen.
Matthias und Matthäus in deutschen Familiennamen
267
5. Ausblick Die Varianten insgesamt erlauben wichtige Erkenntnisse nicht zuletzt hinsichtlich der historischen Laut- und Wortgeographie, da die FN früh entstanden sind. Onomastik und Dialektologie erweisen sich einmal mehr als eine „naturgegebene“ Fächerverbindung (Stellmacher 2005). Die historische Dimension wäre durch einzelne familiengeschichtliche Untersuchungen, wie das am Beispiel Debus versucht wurde, einzubringen. Auch in dieser Hinsicht eröffnet der DFA vielfältige Möglichkeiten für zukünftige Forschungsarbeiten.
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268
Friedhelm Debus
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Kathrin Dräger
Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland1
Abstract The most prominent example for the enormous diversity of patronymics represents surnames derived from the given name Nikolaus. Former studies brought up large lists of those patronymics, but provided almost no further information. Now the database of the project German Surname Atlas (Deutscher Familiennamenatlas, DFA) provides new possibilities to shed light on the huge amount of patronymics. It is possible to prove if the names actually exist (which is not evident), to which amount they exist, and if there are more patronymics derived from Nikolaus which are not listed by now. The geographical spread reveals areal variation not only in spelling but also with respect to phonology and morphology. Furthermore, surname geography helps to verify or falsify different etymologies.
1. Patronyme – ein lohnender, aber unbequemer Untersuchungsgegenstand Patronyme sind nicht zuletzt wegen ihrer schlechten Forschungslage ein lohnender Untersuchungsgegenstand, der jedoch einige Schwierigkeiten bereitet: Sie weisen eine enorme Vielfalt auf, oft liegen viele Bedeutungskonkurrenzen vor, und Untersuchungsmethoden, die bei Berufs- oder Übernamen funktionieren, greifen bei Patronymen oft nicht. Entsprechend ist Forschungsliteratur speziell zu Patronymen relativ selten und oft veraltet. Als Beispiele für neuere Untersuchungen seien genannt: Debus (S. 255–268); Goossens 2001; Goossens 2004; Kohlheim/Kohlheim 2001; Kunze 2005. Was die Arbeit mit Patronymen zusätzlich erschwert: Besonders im 19. Jh. wurden Familiennamen bevorzugt als Patronyme vor allem aus germanischen, teilweise auch aus fremdsprachigen Rufnamen2 erklärt, darunter auch eindeutige –––––––— 1 2
Die folgenden Ausführungen beruhen auf dem Dissertationsprojekt „Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus“ der Verfasserin. Der Terminus Rufname wird hier in erweitertem Sinn gebraucht, also nicht nur etwa als Bezeichnung eines Namens, der im alltäglichen (vor allem mündlichen) Sprachgebrauch hauptsächlich zur Benennung einer Person benutzt wird. Die Verwendung des Terminus Rufname geschieht vor allem aus Mangel an geeigneten Alternativen, denn von Vorname kann man in der Zeit der Einnamigkeit noch nicht sprechen, weil der dazu erforderliche Nachname noch fehlt. Der Terminus Taufname führt in die Irre, weil Namengebung und Taufe bis zum späten MA in keinem direkten Verhältnis zueinander standen und auch danach nicht immer zusammenhängen. Der Titel dieses Beitrags, „Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus“, ist also so zu verstehen, dass es hier um Patronyme geht, die auf Nikolaus oder eine Kurz-/Koseform desselben zurückgehen.
270
Kathrin Dräger
Berufs- oder Übernamen. Diese Perspektive wurde im ersten Drittel des 20. Jhs. als überzogen erkannt und mancher Irrtum behoben; Relikte dieser Tendenz aber haben sich bis in neuere Zeit gehalten. Beispielsweise wird der Familienname Glaser in den Handbüchern von Gottschald 2006, 211 und Linnartz 1958, 221 als Patronym zu Nikolaus gedeutet, weil es prinzipiell möglich ist, dass Klas zu Glas lenisiert werden konnte. Mit patronymischem -er-Suffix würde sich dann Glaser ergeben. In aller Regel dürfte jedoch ein Berufsname für den Glasmacher vorliegen. Es ist leicht, solche Konstrukte in die Welt zu setzen, aber es ist außerordentlich schwierig, sie zu falsifizieren.
2. Nikolaus – ein prominentes Beispiel Das Beispiel Nikolaus wird gern herangezogen, wenn es darum geht zu demonstrieren, welch großes Spektrum von Familiennamen aus einem einzigen Rufnamen entstehen konnte. Edmund Nied hat in seiner Dissertation aus dem Jahr 1924 mit dem Titel „Heiligenverehrung und Namengebung“ (Nied 1924a, 9–14) eine sechs Seiten lange Liste mit 410 Patronymen aus Nikolaus veröffentlicht, die häufig zitiert wird. Das Korpus des in Anm. 1 genannten Projekts umfasst allerdings inzwischen schon die zehnfache Menge, nämlich rund 4000 Familiennamen, die von mindestens einem Autor Nikolaus zugeordnet werden oder die mit Hilfe der Datenbank des Deutschen Familiennamenatlasses (DFA) ermittelt werden konnten (s.u. 4.1). Diese Namenfülle geht zum einen auf die Beliebtheit des Rufnamens Nikolaus im Mittelalter zurück, die nicht zuletzt daraus resultiert, dass Nikolaus von Myra vom Mittelalter bis zur Neuzeit einer der populärsten Heiligen war. In manchen Regionen trug bis zu einem Viertel der männlichen Bevölkerung diesen Rufnamen. Zum anderen potenzieren sich bei der Eindeutschung von griechisch ȃȚțóȜaoȢ bzw. lateinisch Nicolaus und bei der Ableitung entsprechender Familiennamen regional unterschiedliche graphematische, phonologische und morphologische Faktoren. Andererseits hatten sich vor allem im Südosten des deutschen Sprachgebiets Bei- bzw. Familiennamen bereits etabliert, bevor fremdsprachige Rufnamen wie Nikolaus die Rufnamen germanischen Ursprungs abzulösen begannen. Deshalb gibt es dort generell weniger Patronyme aus fremdsprachigen Rufnamen und damit auch weniger Patronyme aus Nikolaus als in anderen Regionen. Hinzu kommt, dass gerade häufige Rufnamen proportional seltener Eingang in die Familiennamen fanden als weniger beliebte,3 so dass Nickel als häufigstes
–––––––— 3
Bei- und Familiennamen dienen – in Verbindung mit dem Rufnamen – vor allem dazu, eine Person eindeutig zu identifizieren. Deshalb eignen sich seltene Rufnamen zur genauen Identifizierung am besten und wurden deshalb als Bei- und Familiennamen bevorzugt.
Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland
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Patronym aus Nikolaus erst auf Rang 2524 der häufigsten Familiennamen in Deutschland erscheint.5
3. Forschungsstand Die meisten Belege für (vermeintliche oder tatsächliche) Familiennamen aus Nikolaus finden sich in den gängigen Nachschlagewerken. Dabei beschränken sich die Einträge oft auf den bloßen Beleg, Erklärungen sind, wenn vorhanden, zumeist knapp gehalten, die Quellen werden nicht genannt, und Deutungen lassen sich oft nicht nachvollziehen. Lange Listen mit 300 bis 400 Namen finden sich bei Heintze/Cascorbi 1933, 366f., bei Nied 1924a, 9–14, dessen Liste weitgehend übernommen wird von Gottschald 2006, 366f., Kunze 2004, 80f. und Linnartz 1958, 220–222. Diese Listen wurden jedoch bislang keiner näheren Prüfung unterzogen, was aber nötig ist. Denn es finden sich zahlreiche Varianten, die Nikolaus zugeordnet werden, an deren Deutung starke Zweifel angebracht sind, z.B. beim bereits erwähnten Familiennamen Glaser, aber auch z.B. bei Barnickel, Gehlhaus, Glaab, Klee, Klei, Kohlhaas, Laabes usw. Die regionalen Namenbücher liefern Belege meist mit kurzen Erklärungen zu den Varianten. Die Arbeit von Gertrude Franke mit dem Titel „Der Einfluß des Nikolauskultes auf die Namengebung im französischen Sprachgebiet“ aus dem Jahr 1934 geht auf Familiennamen nur am Rande und ohne eigene Nachforschungen ein (Franke 1934). Längere Ausführungen zu Familiennamen aus Nikolaus finden sich nur noch bei Karl Meisen in seinem grundlegenden Buch „Nikolauskult und Nikolausbrauch im Abendlande“ (Meisen 1931), der ihnen ein Kapitel gewidmet hat. Doch Meisen betrachtet das Thema nicht aus onomastischer, sondern aus volkskundlicher Perspektive, das heißt, für ihn ist die Verbreitung entsprechender Ruf-, Bei- und Familiennamen vor allem deshalb von Belang, weil sie Rückschlüsse auf die Verbreitung des Nikolauskults gibt. Er geht hauptsächlich auf Rufnamen ein, Bei- und Familiennamen führt er nur aus dem französischen Sprachgebiet an. Die familiennamengeographische Perspektive kommt bisher in der Forschung kaum zur Geltung.
–––––––— 4 5
Nach Daten des DFA zum Stichtag 30. 6. 2005. Dies hängt jedoch auch mit der Variantenfülle der FamN aus dem relativ langen RufN Nikolaus zusammen. Denn Petrus zählte im MA ebenso zu den häufigsten männlichen RufN, hat aber als kürzerer RufN weniger Varianten hervorgebracht. So belegt Peters Rang 44, Peter Rang 112 und Petersen Rang 133 der häufigsten FamN in Dtld.
272
Kathrin Dräger
4. Neue Möglichkeiten zur Erforschung der Patronyme aus Nikolaus 4.1. Ermittlung von Varianten und ihrer Häufigkeit Für die Analyse der Patronyme aus Nikolaus eröffnet die Datenbank des DFA6 nun ganz neue Möglichkeiten. Erstmals kann geprüft werden, ob und wie häufig die in den Namenbüchern genannten Varianten heute noch in der Bundesrepublik Deutschland vorkommen. Dabei stellt sich heraus, dass viele der in den Lexika aufgeführten Namen, die teilweise durch historische Quellen ermittelt wurden, sich rezent nicht mehr belegen lassen. Von den 410 in der Liste von Nied 1924, 9–14 genannten Namen kommen 79 und damit fast 20% nicht mehr vor. Nieglas beispielsweise wird in den Namenbüchern von Bahlow 1972a, 356, Gottschald 2006, 366f., Heintze/Cascorbi 1933, 366, Kunze 2004, 80, Linnartz 1958, 221 und bei Nied 1924, 9 geführt, tritt aber gegenwärtig in der Datenbank für Deutschland nicht mehr auf,7 auch nicht in der für die Schweiz8 und Österreich9. Gleichzeitig lassen sich durch sogenannte reguläre Ausdrücke Varianten ermitteln, die in keinem Nachschlagewerk aufgeführt sind. Illustriert wird dies hier am Beispiel des Falls Clasen. Die betreffenden Patronyme sind aus der Nikolaus-Kurzform Clas entstanden, entweder mit der schwachen Genitivendung -en oder mit patronymischem -sen-Suffix. Der reguläre Ausdruck wird folgendermaßen konstruiert: (C|K)laa?e?i?h?(ss?|ß)ens? Dabei bedeutet: (...|...) alternativ: entweder ...| oder |... ? fakultativ, bezogen auf den vorangehenden Buchstaben oder den Inhalt der vorangehenden Klammer. Konkret heißt das, dass ermittelt wird, inwieweit Clasen etc. mit C oder K beginnt, mit einfachem a, mit aa, mit Länge anzeigendem e, i oder h, mit einfachem s, mit Doppel-s, mit ß geschrieben wird und ob noch ein zusätzliches Genitiv-s hinzukommt. Mit dieser Abfrageformel ermittelt die Datenbank 39 verschiedene Schreibvarianten, sogenannten Types, mit insgesamt 10.774 Telefonanschlüssen, sogenannten Tokens (die Ziffer hinter den Namen bezeichnet die Zahl der Tokens): –––––––— 6
7
8 9
Die Datenbank des DFA beruht auf den Einträgen von 28.205.713 TelefonFestnetzanschlüssen der Deutschen Telekom vom 30. 6. 2005, und zwar nur private Anschlüsse, keine Geschäftsanschlüsse. Registriert sind 850.661 verschiedene Namen, hinzu kommen 245.330 verschiedene Doppelnamen mit Bindestrich vom Typ Meyer-Schulte. Näheres s. Kunze/Nübling 2007, 133f. Es ist allerdings nicht völlig ausgeschlossen, dass der Name in der Datenbank fehlt, aber dennoch in Deutschland vorhanden ist. In diesem Fall dürfte der betreffende Familienname sehr selten sein. www.verwandt.ch (Stand: 10. 9. 2009). Software Geogen Austria, CD-Rom, Daten von 2005.
Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland Claahsen 45 Claasen 190 Claassen 503 Claaßen 544 Claassens 7 Claaßens 19 Claehsen 9 Claehsens 1 Claesen 5 Claessen 78 Claeßen 45 Claessens 50 Claeßens 23
Clahsen 202 Clasen 1641 Clasens 2 Classen 769 Claßen 1499 Classens 7 Claßens 1 Klaahsen 18 Klaasen 47 Klaasens 2 Klaassen 439 Klaaßen 313 Klaassens 19
273
Klaaßens 15 Klaehsen 4 Klaehsens 3 Klaessen 19 Klaeßen 25 Klaessens 7 Klaeßens 6 Klahsen 58 Klasen 1341 Klasens 11 Klassen 2397 Klaßen 407 Klassens 3
Die fett gedruckten 10 Varianten sind in den Namenlexika nicht enthalten, darunter viele Namen mit geringer Frequenz, aber auch Clahsen mit 202 Tokens, das heißt rund 600 Namenträgern.10 Es stellt sich also ein deutliches Missverhältnis heraus zwischen in den Lexika aufgeführten und tatsächlich in Deutschland vorhandenen Familiennamen. Schließlich lässt sich eine Statistik der Patronyme aus Nikolaus nach der Häufigkeit erstellen. Lässt man Zweifelsfälle wie Kohl, Kuhlmann, Lauer usw. außer Acht, ergibt sich folgende Rangfolge: 1. Nickel 8228 2. Klose 7467 3. Klaus 6925 4. Claus 4215 5. Nitsche 4158 ... 13. Nicolai 1617 ... 22. Nikolaus 1044
An erster Stelle steht Nickel, das in der Liste der häufigsten Familiennamen in Deutschland allerdings erst auf Platz 252 auftritt (s. 2.). Auf Rang 2 der häufigsten Nikolaus-Patronyme folgt Klose, das wie Nickel als mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Rufname häufig belegt ist; zahlreiche Gleichungen beweisen seine Zugehörigkeit zu Nikolaus. Platz 3 belegt Klaus, Platz 4 Claus; fasst man jedoch die verschiedenen Schreibvarianten zusammen, ist Typ Klaus weitaus das häufigste Patronym aus Nikolaus (s. 4.4). Typisch ostmd. Nitsche findet sich auf Platz 5. Familiennamen aus Vollformen von Nikolaus sind in der Spitzengruppe nicht vertreten. Der häufigste ist Nicolai im lateinischen Genitiv auf Rang 13, gefolgt von Nikolaus auf Rang 22.
–––––––— 10
Pro Festnetzanschluss waren 2005 durchschnittlich ca. 2,9 Namenträger(innen) zu veranschlagen, s. DFA, Vokalismus, XXXIII.
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Kathrin Dräger
4.2. Geographische Verbreitung der Familiennamen aus Nikolaus Als am wichtigsten jedoch erweist sich die geographische Verbreitung der Nikolaus-Patronyme. Vor allem sie kann zu neuen Erkenntnissen in Hinblick auf die Etymologie (4.2.1), die Verbreitung der Kurzformen (4.2.2), phonologische, graphematische (4.2.3) und morphologische Aspekte (4.2.4) verhelfen.
4.2.1. Etymologie
Karte 1: Verbreitung von Klohe
Es ergeben sich neue Indizien, um zu entscheiden, ob ein konkurrenzbehafteter Name überhaupt zu Nikolaus gehört oder nicht. Bei Klohe beispielsweise handelt es sich nach Brechenmacher 1957–63, Bd. 2, 55, 65, Gottschald 2006, 292, 367, Heintze/Cascorbi 1933, 367, Kunze 2004, 81, Linnartz 1958, 222, Naumann 2005, 161, 204, Nied 1924a, 14; 1924b, 41; 1933, 86 um ein Patronym zu Nikolaus,11 laut Zoder 1968, Bd. 1, 911f. jedoch um einen Herkunfts–––––––— 11
Laut Gottschald 2006, 292, 334 besteht Konkurrenz zu Patronymen aus Rufnamen mit dem germanischen Namenglied Lut.
Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland
275
namen zu Klöden südwestlich von Wittenberg in Sachsen-Anhalt, wobei das intervokalische d ausgefallen sei. Er versieht diese Deutung allerdings mit einem Fragezeichen. Träfe sie zu, müssten sich die Namenträger heute zumindest zu einem Teil in der Nähe von Klöden finden. Nach Ausweis des Verbreitungsgebiets (Karte 1) kommt die Deutung als Herkunftsname zu Klöden kaum in Betracht.
Karte 2: Verbreitung von Glaab und Glab
Die Familiennamen Glaab und Glab sind laut Heintze/Cascorbi 1933, 218, 367, Kunze 2004, 81, Linnartz 1958, 221 und Nied 1924a, 13 Patronyme zu Nikolaus. Für diese Deutung finden sich jedoch weder in historischen Ruf- noch in Bei- und Familiennamenbelegen Hinweise. Nähere Erläuterungen liefern nur Heintze/Cascorbi 1933, 367: Gla(a)b sei zerdehnt aus Klaus. Eventuell haben sich die genannten Autoren durch den lautlich ähnlich gelagerten Fall (K/C)labes leiten lassen. „Klawes (Klabes) = Niklawes = Klaus, ist zerdehnt wie Pawel (Pagel) aus Paul“, Bahlow 1972b, 267. Doch wäre ein Wegfall von -es schwer zu erklären, zudem findet sich Klabes vor allem im nördlichen Md. und Westnd., Clabes in Nordwestdeutschland und damit weitab vom Verbreitungsgebiet von Gla(a)b. Wegen der dichten Konzentration des Familiennamens im Raum Frankfurt – Aschaffenburg und damit weit entfernt von Polen und wegen der Seltenheit der betreffenden Familiennamen in Polen (für Glaab gibt es nur 1 Beleg, für Glab 11 und für Gáab 8)12 dürfte ein slawischer Ursprung der deutschen Gla(a)b –––––––— 12
www.moikrewni.pl (Stand: 15. 4. 2009).
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Kathrin Dräger
allenfalls in Einzelfällen in Betracht kommen. Eine Deutung als slawische Familiennamen zu polnisch gáąb ‚(Kohl-)Strunk‘, metaphorisch ‚Klotz, Dummkopf‘ führen Gottschald 2006, 210f., Ott 1985, 19, 49, Ronge 1968–70, 111, Rymut/ Hoffmann 2006, 195 an. Somit verbleibt nur die Deutung von Kohlheim/ Kohlheim 2005, 278, denen zufolge Glaab ein „wohl auf mhd. glau, glou ‚klug, umsichtig, sorgsam‘ zurückgehender Familienname“ ist, zumal im Dialekt des Hauptverbreitungsgebiets mhd. ou zu â monophthongiert wird.13
4.2.2. Verbreitung der Kurzformen Über die Familiennamengeographie wird erstmals auch ein zuverlässiger und rationeller Zugang zur mittelalterlichen Rufnamengeographie möglich. Interessant wäre z.B. die Frage, ob es Regionen gibt, in denen Ableitungen vom Typ Nickel bevorzugt wurden, und andere Regionen, in denen die Typen Klaus bzw. Klas vorherrschten. Karte 3 (Verbreitung der Typen Nickel, Klaus, Claas, s. Anhang S. 378)14 zeigt, dass alle Typen fast in ganz Deutschland gebräuchlich waren, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Die große Dichte von Typ Klaus in Schleswig-Holstein beruht auf den dort konzentrierten Varianten auf -(s/ss/ß)en.
4.2.3. Phonologie/Graphie Aufschlussreich ist es, das Variantenfeld des Typs Nickel weiter auszufalten. So ist bei 6 Types mit insgesamt 1734 Tokens15 Synkope des e eingetreten (Typ –––––––— 13 14
15
Vgl. König 2006, 60f., Karte 23 (mhd. ou in glauben). Der Karte liegen 91 Types mit zusammen 45312 Tokens zugrunde, die mit folgendem regulären Ausdruck ermittelt wurden: N(ie?|y)(c?k|c|gg?|ch)(e|i)?ll?|(C|K)l(aa?e?i?|au)h?(ss?|ß)(en)?s? Typ Nickel 15 Types/10582 Tokens: Nick(e)l 916+8228, Nigg(e)l 418+72, Nieg(e)l 66+288, Nig(e)l 269+17, Nik(e)l 63+185, Nie(c)kel 24+1, Ni(ck/ch)ell 23+10, Nykl 2. Typ Klaus 15 Types/18913 Tokens: Klaus(en) 6925+112, Claus(en) 4215+2910, Clauß(en) 1529+1144, Clauss(en) 468+876, Klauß(en) 562+2, Klauss(en) 135+1, Clauhs(en) 14+16, Klauhs 4. Typ Klaas 61 Types/15817 Tokens: Klass(en) 712+2397, Clasen(s) 1641+2, Claßen(s) 1499+1, Klaas(en) 1430+47, Klasen(s) 1341+11, Classen(s) 769+7, Claaß(en) 18+544, Claass(en) 2+503, Klae(h)s 617+1, Claas(en) 486+190, Klaass(en) 24+439, Klaß(en) 279+407, (K/C)las 407+82, Cla(ss/ß) 327+127, Claes(en) 335+5, Klaaß(en) 26+313, Cla(a)hsen 202+45, Claessen(s) 78+50, Klais(s) 58+24, Kla(a)hsen 58+18, Claeßen(s) 45+23, Klaiß 50, Klaeß(en) 5+25, Kla(i)hs 25+2, Claa(ß/ss)ens 19+7, Klaess(en) 6+19, Klaas(s)ens 2+19, Klaaßens 15, Claehsen(s) 9+1, Klae(ss/ß)ens 7+6, Klaehsen(s) 4+3, Klassens 3. Die Abfrage N(ie?|y)(c?k|c|gg?|ch)(e|i)?ll? ergibt 15 Types/10582 Tokens: Typ Nickel 9 Types/8848 Tokens: Nickel(l) 8228+23, Nie(g/ck)el 288+1, Ni(e)kel 185+24, Nig(g)el 17+72, Nichell 10. Typ Nickl 6 Types/1734 Tokens: Ni(ck/gg)l 916+418, Ni(e)gl 269+66, N(i/y)kl 63+2.
Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland
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Nickl), ein typischer Bajuwarismus.16 Das Verbreitungsgebiet in Oberfranken, Nieder- und Oberbayern deckt sich mit dem von Vergleichsfällen wie Michl (Patronym zu Michael) oder von deappellativischen Familiennamen wie Vogl (Übername zu mhd. vogel ‚Vogel‘ für einen fröhlichen Menschen bzw. einen Vogelfänger oder -händler).17 Ausgeprägte Schreiblandschaften ergeben sich bei diesem Beispiel auch bezüglich des Gutturals. Im Unterschied zu den Vollformen überwiegen bei der Kurzform die Varianten mit ck mit 5 Types/9178 Tokens, einfaches k weisen 4 Types mit nur 274 Tokens auf, die in Westdeutschland verstreut liegen. Von den lenisierten Varianten mit g(g) (6 Types/1130 Tokens) findet sich Niegel in ganz Deutschland verteilt, Niggel nur im Oberdeutschen verstreut mit Häufung im Raum Freudenstadt – Rottweil, Niggl am Alpenrand, Nigl vor allem in einem Nest im Raum Passau und Ni(e)gl verstreut im Oberdeutschen.
Karte 4: Graphie C-/K- bei Clasen
–––––––— 16
17
Zum Vergleich die Zahl der entsprechenden Telefonanschlüsse in Österreich: Nickel 55, Nig(g)el 2+0 : Nickl 85, Nig(g)l 278+19 (Software Geogen Austria, CD-Rom, Daten von 2005). Karten s. DFA, Vokalismus, K. 318–322.
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Kathrin Dräger
Hinsichtlich rein graphematischer Fragestellungen ergeben sich beim oben erwähnten Fall Clasen klare landschaftliche Abgrenzungen, wenn man die unter 4.1 genannten Varianten nach ihrer Schreibung mit C- oder K- gruppiert.18 Wie Karte 4 zeigt, hat sich in einigen Regionen eine stärker lateinisch (Typ Clasen), in den anderen Regionen aber eine stärker deutsch orientierte Schreibweise (Typ Klassen) durchgesetzt, wobei die beiden Typen quantitativ fast ausgeglichen sind. Laut Marynissen (1994, 247, Karte 2) wird in Belgien C- bevorzugt, in den Niederlanden dagegen K-. Eine entsprechende Verbreitungskarte weist aber für den an Deutschland angrenzenden Raum ein Mischgebiet aus. Karte 6 schlüsselt dieselben Varianten (s. 4.1) nach der Schreibung des Stammvokals auf. Einfaches a (Typ Klassen) überwiegt mit 13 Types/8338 Tokens vor aa (Typ Claassen) mit ebensovielen Types, aber nur 2161 Tokens. Längezeichen e (Typ Claessen) weisen 13 Types/275 Tokens auf. Varianten mit Längezeichen i gibt es nicht. Längezeichen h ist verhältnismäßig selten. Da bei diesen zudem nicht sicher ist, ob nicht Verschreibung ß > hs vorliegt (vgl. Groß/Grohs, Weiß/Weihs u.a.), wurden die betreffenden Types unter die oben genannten Typen subsumiert. Laut Marynissen (2005) ist die Schreibweise mit aa eine typisch niederländische, während ae in Belgien überwiegt. Ein Vergleich ihrer Karte (Marynissen 2005, Karte 4) mit ae und aa in Klaas (Karte 5, s. Anhang S. 379)19 mit einer entsprechenden Deutschlandkarte (Karte 6, s. Anhang S. 379) ergibt, dass sich die Schreiblandschaften über die Grenzen hinweg fortsetzen und dass ihnen in Deutschland die Schreibung mit einfachem a entgegentritt.
4.2.4. Morphologie Auch hinsichtlich morphologischer Fragestellungen erbringt der geographische Aspekt neue Einsichten und neue Fragen. Im Fall Clasen ist unklar, welchen der oben aufgeführten Varianten schwacher Genitiv und welchen Ableitung durch das -sen-Suffix zugrundeliegt. Diese Frage stellt sich, weil Clas auf s endet und sich dies mit der schwachen Genitivendung zu -sen zusammenfügt. Karte 7 (s. Anhang S. 380) zeigt die Hauptverbreitungsgebiete des Suffixes -sen (Typ -sen) und des schwachen Genitivs (Typ -en) bei Patronymen.20 Die Verbreitungsräu–––––––— 18 19 20
Typ Clasen 20 Types/5640 Tokens; Typ Klassen 19 Types/5134 Tokens. Ich danke Ann Marynissen herzlich für die Bereitstellung der Druckvorlage. Für die Karte wurden mit der Abfrage .*s?en die jeweils 20 häufigsten eindeutigen Patronyme dieser Bildungstypen ermittelt: Typ -en 32242: Coenen 1155, Dahmen 2425, Dohmen 1783, Gehlen 950, Heinen 3833, Hillen 989, Johnen 876, Josten 940, Koenen 1052, Kohnen 1089, Köppen 1954, Kürten 1015, Lehnen 1284, Lübben 1112, Nolden 1089, Otten 3620, Rütten 1286, Sieben 1144, Thelen 3021, Thielen 1625. Typ -sen 37831: Boysen 837, Brodersen 1001, Carstensen 2185, Christensen 740, Christiansen 2866, Derksen 1302, Dirksen 803, Erichsen 871, Feddersen 781, Friedrichsen 950, Henningsen 782, Hinrichsen 1438, Ingwersen 611, Jacobsen 2445, Jürgensen 1940, Michaelsen 593, Paulsen 3093, Petersen 13155, Sörensen 779, Willemsen 659.
Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland
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me von Typ -sen und Typ -en decken sich zusammengenommen ziemlich genau mit der Gesamtverbreitung der unter 4.1 aufgeführten Clasen-Varianten, die aus Karte 4, 6 und 8 hervorgeht. Zu erwarten wäre eigentlich, dass die Varianten mit ss durch das -sen-Suffix bedingt seien (Clas-sen), die Schreibung mit s dagegen durch den schwachen Genitiv (Clas-en). Karte 8 (Graphie s/ss/ß bei Clasen/Klassen/Claßen, s. Anhang S. 381), für die die unter 4.1 genannten Varianten hinsichtlich ihrer Schreibung mit s, ss oder ß gruppiert wurden, ergibt überraschenderweise aber eher den gegenteiligen Befund: Die Schreibweisen mit ss und ß herrschen im Gebiet vor, wo schwacher Genitiv üblich ist, die Schreibung mit einfachem s jedoch dort, wo Clas analog zu anderen Namen mit -sen suffigiert worden sein muss. Allerdings tritt einfaches s erwartungsgemäß auch am Niederrhein und an der Mosel gehäuft auf. Für Belgien und die Niederlande hat Ann Marynissen dieses Problem ausführlich untersucht, besonders am Beispiel der Nikolaus-Patronyme. So machte sie den Unterschied zunächst an der Schreibung mit s oder ss fest: Bei Familiennamen wie Claesen liege schwacher Genitiv auf -en vor, bei Familiennamen wie Claessens dagegen -sen-Suffix (Marynissen 1991, 38). Später rückt sie jedoch davon ab und verweist darauf, dass in der niederländischen Schreibtradition intervokalisches s in der Regel als Doppelkonsonant geschrieben wird, wie bei Claassen. Auf Grund der geographischen Verbreitung des Parallelfalls Vaasen/Vaassen schließt sie patronymisches -sen-Suffix aus (Marynissen 1994, 281, Karte 29).
5. Ausblick Die ca. 4000 tatsächlichen oder angeblichen Patronyme aus Nikolaus werden, wie in den Beispielen oben angedeutet, unter lexikalischen, phonologischen, graphematischen und morphologischen Aspekten zu erörtern sein. Dabei werden auch Kriterien eruiert, unter denen die Auswahl patronymischer Kartenkomplexe für den Deutschen Familiennamenatlas zu treffen sein wird. Diese erste auf sicherer Datengrundlage erstellte Aufarbeitung eines variantenreichen Falls dient damit auch als Pilotstudie für den Band des Deutschen Familiennamenatlasses, der den Patronymen gelten soll. Nicht ohne Grund wurden diese für den letzten Band des Unternehmens aufgespart. Sie sind allein schon wegen der ungeheuren Materialfülle der schwierigste Teil des Atlasunternehmens.
–––––––— Grundlegend zur Verbreitung des -sen-Suffixes: Laur 1983, 22–35.
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Kathrin Dräger
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Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland
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Familiennamengeographie interdisziplinär
Mirjam Schmuck
Vom Genitiv- zum Pluralmarker: Der s-Plural im Spiegel der Familiennamengeographie
Abstract The present article aims at shedding new light on the discussion about the origin of plural -s in Dutch and (Low) German. The assumption that the plural -s originated in the genitive case marker was generally rejected because the transition from genitive case to plural meaning was not quite obvious. This reanalysis becomes more evident if we take proper nouns as a basis, namely in constructions where the genitive exhibits collective meaning, e.g., the Miller's [family] (gen. sg.) ĺ the Millers (pl.). Recent results of grammaticalization research and of computer based surname geography clearly point to this direction, as will be demonstrated in the present article.
1. Einleitung Ziel dieses Beitrages ist es, die viel diskutierte Frage nach dem Ursprung des sPlurals mithilfe aktueller Forschungsergebnisse neu zu beleuchten. Zu diesem Zweck wird die bereits von Salverda de Grave 1914, 15–23 vorgebrachte Herleitung aus dem Genitiv Sg. der starken Maskulina aufgegriffen und als bisher fehlende semantische Brücke Kollektivbildungen bei Familiennamen (FamN) (des Müllers Familie ĺ die Müllers) vorgeschlagen. Deutliche Evidenz für diese These liefern neben den Erkenntnissen der aktuellen Grammatikalisierungsforschung insbesondere neue Ergebnisse der computerbasierten Familiennamengeographie.
1.1. Der s-Plural heute Das Nhd. besitzt neun verschiedene Pluralallomorphe, eines davon ist der s-Plural. Dieser wird zum einen bei Eigennamen (EigenN) verwendet (die Müllers, die Marias, die Polos), aber auch bei unassimilierten Fremdwörtern (Pizzas, Sombreros), wo er als Transparenzplural (Wegener 2002) fungiert, da – im Unterschied zum silbischen, Stammflexion bewirkenden en-Plural oder zum modulatorischen Umlautplural – die Ausgangsform unverändert bleibt (vgl. Pizza – Pizzas vs. Pizzen). Im nativen Wortschatz steht Plural-s bei (den wenigen) vokalisch auslautenden Wörtern (Uhus, Omas), umgangssprachlich tritt -s
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Mirjam Schmuck
als Ersatzplural bei Wörtern ohne eindeutigen Pluralmarker auf (Mädels, Kerls, Jung(en)s).1 Das Niederländische kennt im Unterschied zum Deutschen nur zwei produktive Verfahren, Plural auszudrücken: -en und -s. Die Verwendung beider Allomorphe ist primär output-orientiert: Es besteht eine starke Tendenz für Einsilbler, den Plural mit -en (dag ‚Tag‘ – dagen) zu bilden, Zweisilbler bilden i.d.R. den Plural mit -s (lepel ‚Löffel‘ – lepels, keukens ‚Küchen‘, bodems ‚Böden‘), sodass in jedem Fall im Plural Trochäen entstehen.2 Konsequent wird Plural-s bei Diminutiven auf -je (huisjes ‚Häuschen, Pl.‘, boompjes ‚Bäumchen, Pl.‘) verwendet. Zusätzlich kommt -s (neben -en) auch bei einigen einsilbigen maskulinen Personenbezeichnungen (broers ‚Brüder‘, koks ‚Köche‘, zoons ‚Söhne‘) vor, obwohl in diesen Fällen das Trochäenprinzip verletzt wird. Die semantische Konditionierung [+menschlich, +mask.] tritt in Dubletten wie kapiteins ‚Kapitäne‘ – *fonteins ‚Brunnen‘, acteurs ‚Akteure‘ – *likeurs ‚Liköre‘, passagiers ‚Passagiere‘ – *klaviers ‚Klaviere‘ zutage. Auch im Niederländischen bilden vokalisch auslautende Wörter (meist Fremdwörter) den Plural mit -s (bzw. ’s), vgl. auto’s ‚Autos‘, cafés ‚Cafés‘.3 Insgesamt ist der s-Plural im Niederländischen etablierter als im Deutschen, da er nicht nur auf den peripheren Wortschatz beschränkt bleibt, sondern auch im nativen Kernwortschatz auftritt. Einen s-Plural besitzen auch das Friesische (fries. engels ‚Engel, Pl.‘, appels ‚Äpfel‘), aber noch nicht das Altfriesische, sowie das Afrikaans (moeders ‚Mütter‘, eiers ‚Eier‘). Die Herkunft dieses Pluralallomorphs ist bis heute umstritten. Im Folgenden werden die bisherigen Erklärungsansätze kurz skizziert.
1.2. Bisherige Theorien zur Entstehung des s-Plurals Der s-Plural ist relativ jung, die ersten Belege finden sich im Mnd. ab Ende des 13. Jhs., häufig ab dem 15. Jh. Für die frühen mnd. Nachweise wird niederländischer Einfluss angenommen (Lasch 1974, §366, Anm. 3). Im niederländischen Sprachraum ist der s-Plural schon Anfang des 13. Jhs. belegt, und zwar im Westfläm. (vgl. Marynissen 1994a, 63–105). Der Ursprung des pluralischen -s wird im „Morfologische Atlas van de Nederlandse Dialecten I“ (MAND I) als „een historisch raadsel“ („ein historisches Rätsel“, MS) bezeichnet (MAND I, 8). Mehrere Entstehungshypothesen wurden vorgeschlagen, darunter erstens nativer Ursprung, und zwar entweder als Fortsetzung des im Altsächs. und auch im Altengl. belegten os-/as-Plurals oder aber durch Herleitung aus dem Genitivs der starken Deklination. Zweitens wurde Entlehnung aus dem Altengl. oder –––––––— 1 2 3
Zum s-Plural im Nhd. s. DUDEN 82009, §281, §289, §290, §§293–295; Bornschein/Butt 1987, 135–153; Wegener 2002, 109–116. Zur Konditionierung der Pluralallomorphie im Niederländischen s. ausführlich Kürschner 2008, insbes. Kap. III, 2 u. 3. Zum Gebrauch des s-Plurals im Niederländischen vgl. ANS 1997, Bd. I, Kap. 3.5.3.
Vom Genitiv- zum Pluralmarker
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auch aus dem Altfrz. erwogen (vgl. Philippa 1981, 81–103; dies. 1982, 107– 117; dies. 1988, 77–90). In der aktuelleren Forschung wird der s-Plural zumeist als Ingwäonismus gehandelt, d.h. als gemeinsames Phänomen des nordseegermanischen Sprachbunds (Goossens 1987, 143; Marynissen 2001, 666f.). Zunächst zur Entlehnungstheorie. Ein Fremdsuffix erscheint aus verschiedenen Gründen problematisch: Die Übernahme morphologischer Einheiten aus einer anderen Sprache ist selten belegt und setzt intensiven Sprachkontakt voraus. Belegt ist die Übernahme von Derivationsaffixen (prominentes Bsp. ist lat. -Ɨrius ĺ ahd. -Ɨri > nhd. -er zur Bildung von Nomina agentis). Höchst problematisch ist es dagegen, wie in diesem Fall, die Entlehnung einer Flexionsendung anzunehmen. Auch De Schutter 1998, 123 bezeichnet dies als „een erg zeldzaam fenomen“ („ein sehr seltsames Phänomen“, MS). Zudem war der sPlural im Altfrz. noch nicht für alle Kasus generalisiert, sondern galt bei den Maskulina zu dieser Zeit nur im Akk. Pl., nicht aber im Nom. Pl. Gegen Entlehnung aus dem Engl. spricht seine Verbreitung im Altengl., wo Plural-s zunächst nur in den nordengl. Dialekten häufig auftrat, im Süden galt -en (Philippa 1988, 82f.). Ein weiteres, mehrfach angeführtes Gegenargument betrifft die Form des Suffixes: im Mnl. ist nur -s belegt, im Altengl. jedoch noch -es vorherrschend (De Schutter 1998, 126). Vor allem aber würde man im Falle einer Entlehnung die ersten Belege gerade bei engl. bzw. frz. Lehnwörtern erwarten, genau dies ist aber, wie Marynissen 1994a, 66–78 gezeigt hat, nicht der Fall. Vielmehr betreffen die ersten s-Plurale gerade den nativen Wortschatz (ridder-s, wever-s u.ä.) und erst in einem zweiten Schub werden auch Wörter mit Fremdsuffixen wie -ier und -eur erfasst (s. Kap. 2.2). Gegen Entlehnung sprechen ferner die neu hinzukommenden Beschränkungen: Im Unterschied zum Frz. und Engl., wo s-Plural unabhängig von den Faktoren Genus und Belebtheit auftritt, sind es im Mnl. und im Mnd. zunächst ausschließlich Maskulina, und zwar Personenbezeichnungen, die s-pluralisieren (s. Kap. 2.2). Eine Genussteuerung des sPlurals (v.a. Maskulina/Neutra) zeigt sich im Deutschen bis heute (s. Köpcke 1993, 152–156, hier auch weitere Argumente gegen ein Fremdsuffix). Geht man von einem einheimischen Suffix aus, liegt Fortsetzung des für das Altsächs. und das Altengl. belegten os-/as-Plurals maskuliner a(ja)-Stämme nahe. In diese Richtung argumentieren Van Loey 1970, §101, Öhmann 1961/1962, 228–236, Lasch 1974, §366, Anm. 3 und Taeldeman 1980a, 161– 192. Dagegen spricht die Überlieferungslücke zwischen dem Auftreten des Flexivs im Altsächs. (10.–12. Jh.) und den ersten mnl. Belegen im 13. Jh. Zudem nimmt im Altsächs. nachweislich die Frequenz von -s zugunsten von -a ab. Vor allem aber besteht gerade in diesem Fall dringender Erklärungsbedarf für die seit dem Mnl. neu hinzukommenden Beschränkungen auf nur bestimmte Maskulina der ja-Klasse. In der neueren Forschung nimmt man aufgrund der heutigen Verbreitung v.a. in den Küstendialekten (Westfläm., sächsische Dialekte im Nordosten) zumeist einen Ingwäonismus an. Problematisch sind hierbei das gänzliche Fehlen des s-Plurals im Altfries. und die eher spärlichen Belege im holländischen Küstendialekt.
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Als weitere Möglichkeit wurde erstmals von Salverda de Grave 1914, 18 die Übernahme des -s aus dem Genitiv Sg. der starken Flexion vorgeschlagen. Er nimmt als Brücke für den Übergang die kollektive Lesart in Konstruktionen wie ridders ere ‚die Ehre eines Ritters‘ (Sg) ĺ ‚Ritterehre’ (Pl.) an. Diese Herleitung haben seine Nachfolger rasch verworfen, da die angedeutete semantische Brücke zwischen ‚Genitiv Sg.‘ und ‚Plural‘ in Abstrakta wie ‚Ritterehre‘ nicht überzeugte.4 In der aktuellen Forschung ist stattdessen mehrfach für eine Verortung bei den EigenN (Kollektivbildungen) plädiert worden. Konkretisiert und diachron rekonstruiert wurde dieser Entstehungsweg erstmals in Nübling/Schmuck 2011. Der vorliegende Beitrag greift diese Herleitung auf und liefert weitere sprachgeographische Argumente für diesen Entstehungsweg, und zwar neben der niederländisch-flämischen auch aus der deutschen Familiennamengeographie.
2. Evidenz für die Entstehung des s-Plurals aus dem Genitiv-s 2.1. Genitivellipsen Bereits Salverda de Grave 1914 hat angesichts der mnl. Belege das auffällig häufige Auftreten des s-Plurals in Verbindung mit Personenbezeichnungen betont und kommt zu folgendem Schluss: „Zodat wij uit de overeenstemming van het Nederlands met het Middelnederlands mogen opmaken dat er verband moet bestaan tussen de meervoud -s en 1. de eigenschap der substantiva om personen aan te duiden, 2. hun eigenaardigheid van op een stomme klinker gevolgd door een liquida uit te gaan. Aleen een verklaring die met deze twee feiten rekening houdt, heeft enige kans de ware te zijn.” (Salverda de Grave 1914, 18) „Sodass wir aus der Übereinstimmung des Niederländischen mit dem Mittelniederländischen schließen können, dass ein Zusammenhang bestehen muss zwischen dem s-Plural und 1. der Eigenschaft der Substantive, Personen zu bezeichnen und 2. ihrer Eigenschaft, auf einen unbetonten Vokal, gefolgt von einem Liquid, auszulauten. Allein eine Erklärung, die diesen beiden Tatsachen Rechnung trägt, hat eine gewisse Chance, die wahre zu sein.“ (MS)
Salverda de Grave geht bei seinen Überlegungen von Abstraktbildungen (ridders ere ‚Ritterehre‘) aus. Plausibler erscheint die Entstehung aus dem Genitivmarker, wenn man – der neueren Grammatikalisierungsforschung folgend – als Ausgangsform einen konkreten Kontext annimmt: Ich gehe zu des Müllers Haus / Hof / Familie [Gen. Sg.]ĺ Ich gehe zu Müllers [Pl.]
–––––––— 4
Für eine ausführlichere Darstellung der hier nur kurz skizzierten, bisher vorgebrachten Ansätze sowie weitere Pro-und-contra-Argumente s. Philippa 1982, 413-415 und de Schutter 1998, 121–125.
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Personen stehen häufig als Besitzer im Genitiv. In patronymischer Funktion, wie sie für EigenN geradezu charakteristisch ist, kann das Bezugswort entfallen, eine Reanalyse des Genitivsuffixes als Pluralmarker erscheint in solchen elliptischen Genitivkonstruktionen besonders wahrscheinlich (vgl. Wegener 2002, 93): Die Angehörigen (des) Meiers / Peters [Gen. Sg.] ĺ die Meiers / Peters [Nom. Pl.].
Im Falle des s-Plurals bei EigenN wurden mehrfach Kollektivbildungen (Genitivellipsen) als Ausgangsform erwogen (Wilmanns 1967, Bd. III.2, §193.5; Curme 1970). Auch Wegener 2005 greift diese Herleitung auf:5 „Im Falle von Eigennamen geht der s-Plural auf das Genitiv-Suffix zurück, was aus Formen ersichtlich ist, die noch heute in Süddeutschland gebraucht werden: ‘s Meiers = ‚Meiers (Hof, Haus, Familie)‘.“ (Wegener 2005, 93).
Zudem hat Enger 2005 explizit auf eine mögliche Entstehung des s-Plurals aus dem Genitiv-s bei EigenN hingewiesen: „One may wonder whether a native factor may have promoted the growth of the -s plural: the -s after family names – Kristoffersens, Nyströms – originated as a genitive marker (Kristoffersens hus ‚the house, i.e. the family, of Kristoffersen‘).“ (Enger 2005, 1438).
Vom Gebrauch des elliptischen Genitivs bei FamN zeugen die obd. und md. Dialekte6, v.a. das Alemannische, wo solche Bildungen heute noch in regem Gebrauch sind. Von den Sprechern í und das ist entscheidend í werden diese bereits nicht mehr als genitivisch aufgefasst, sondern ausschließlich als Plural interpretiert. Erstmals kartographisch erfasst sind solche regionalen Genitivellipsen im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA), dem Karte 1 (Pluralbildung bei Familiennamen in den deutschen Regiolekten, s. Anhang S. 382) entnommen ist. Vgl. auch die folgenden Beispiele aus dem Alemannischen: ich gang zus Müllers / zus Hesse wörtl.: ‚ich gehe zu des Müllers / des Hessen [Familie]‘ (Gen. Sg.) ĺ ‚ich gehe zu Müllers / zu Hessens‘ (Nom. Pl.) ich bin bis Müllers / bis Hesse wörtl.: ‚ich bin bei des Müllers / des Hessen [Familie]‘ (Gen. Sg.) ĺ ‚ich bin bei Müllers / Hessens‘ (Nom. Pl.) s' Hartmanns kumme au wörtl.: ‚des Hartmanns kommen auch‘ (Gen. Sg.) ĺ ‚die Hartmanns kommen auch‘ (Nom. Pl.)
Für das konsequent bei FamN auftretende Plural-s herrscht also weitgehender Konsens: Üblicherweise wird in diesem Fall eine Genitivkonstruktion angenommen. Im Folgenden soll die gleiche Herleitung auch für Appellative fruchtbar gemacht werden. –––––––— 5 6
Für den appellativischen s-Plural geht Wegener 2005 í wie auch vorher Lasch 1974, §366, Anm. 3 í von einer Entwicklung aus der altsächs. Endung -as/-os aus. Zu Kollektivbildungen bei FamN im Hessischen s. Mottausch 2004, 307–330.
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2.2. Die Rolle der Belebtheit bei der Grammatikalisierung des s-Plurals Wie Marynissen 1994a; 2001 in ihrer umfassenden Untersuchung zur Flexion der Substantive im Mnl. anhand von Urkundentexten aus dem 13. Jh. gezeigt hat, betreffen die ersten s-Plural-Belege stets maskuline Personenbezeichnungen, und zwar ausschließlich Nomina agentis auf -er (Bsp. wever-s ‚Weber, Pl.‘, ridder-s ‚Ritter, Pl.‘). Diese stehen, wie auch EigenN, oft als Besitzer im Genitiv. Das häufige Auftreten gerade in dieser Gruppe könnte folglich in dieser Eigenschaft begründet sein. Neben der semantischen Beschränkung gilt von Anfang an auch eine phonologische: Auf die Nomina agentis mit er-Auslaut folgen solche mit dem ähnlich strukturierten Fremdsuffix -aer (molenaer-s ‚Müller, Pl.‘) und frz. Lehnwörter mit -eur (brasseur-s ‚Brauer, Mälzer, Pl.‘) und -ier (portier-s ‚Portiers‘), sofern diese Personen bezeichnen. Als nächstes nehmen sonstige maskuline Personenbezeichnungen mit er-Auslaut das Plural-s an, darunter v.a. die Verwandtschaftsbezeichnungen (vader-s ‚Väter‘, broeder-s ‚Brüder‘). Die Affinität des s-Plurals zu Wörtern mit er-Auslaut zeigt sich auch bei der weiteren Ausbreitung, die später Tierbezeichnungen (bever-s ‚Biber, Pl.‘, sterker-s ‚Kälber‘) und schließlich auch Sachbezeichnungen wie akker-s ‚Äcker‘, anker-s ‚Anker, Pl.‘ erfasst. Nur zögerlich kommen Ende des 13. Jhs. die ersten Neutra (kloster-s ‚Klöster‘) hinzu, ebenfalls mit er-Auslaut. Als letztes nehmen Feminina s-Plural an, im 13. Jh. findet sich lediglich die Verwandtschaftsbezeichnung zuster-s ‚Schwestern‘. Zahlreicher sind s-pluralisierte Feminina erst im 15./16. Jh. Für die ersten mnl. Belege gilt offenbar eine strikte Genusbeschränkung [+mask.]. Die Ausbreitung des s-Plurals ist in Abb. 1 vereinfacht dargestellt. Wie Abb. 1 verdeutlicht, ist die Ausbreitung des s-Plurals primär phonologisch konditioniert: Die ersten Belege betreffen ausschließlich Wörter mit dem Auslaut -er. Zusätzlich tritt das semantische Kriterium [+menschlich, +mask.], bzw. [+belebt, +mask.] zutage, Neutra und v.a. Feminina nehmen deutlich später Plural-s an. Die strenge phonologische Beschränkung auf Wörter mit erAuslaut gilt bis ins 15./16. Jh. hinein, dann wird sie aufgeweicht und -s auch auf Wörter mit ähnlichem Auslaut ([]+Liquid/Nasal) ausgeweitet, so dass auch Wörter auf -el (vogel-s), -en (verken-s ‚Ferkel, Pl.‘) und -em (bliksem-s ‚Blitze‘) ihren Plural häufiger mit -s bilden. Auch in diesem Fall sind es zunächst die Maskulina und Neutra, gefolgt von den Feminina. Während die Genusbeschränkung zu Beginn des Nnl. also bereits nicht mehr gilt, bleibt die Auslautbeschränkung zunächst noch bestehen.
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Abbildung 1: Die Ausbreitung des s-Plurals im Mittelniederländischen (nach Nowak [unveröffentlichtes Manuskript])
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Die gerade für die ersten Belege geltende semantische Beschränkung [+menschlich, +mask.] impliziert zugleich [+belebt]. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Ausbreitung des neuen Markers der Belebtheitshierarchie (s. Abb. 2) folgt, wie sie u.a. Dixon 1979 dargestellt hat. Innerhalb der Maskulina läuft, wie gezeigt wurde, die Übernahme des s-Plurals gestaffelt: Personenbezeichnungen treten zuerst mit Plural-s auf, gefolgt von Tierbezeichnungen, zu guter Letzt kommen auch Bezeichnungen für Gegenstände hinzu.7 –––––––— 7
Vgl. auch die Auflistung in Paardekooper 1990, 44–46.
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Abbildung 2: Die Belebtheitsskala nach Dixon 1979, 85
3. Zwischenbilanz: Eigennamen als Katalysator bei der Genese des s-Plurals Die Ausbreitung des s-Plurals im Mnl. liefert zusätzliche Evidenz, dass es sich im Falle des heutigen s-Plurals um ein reanalysiertes Genitiv-s handelt. EigenN sind auf der Belebtheitsskala sehr hoch eingestuft und den Personenbezeichnungen aufgrund ihres höheren agentiven Potentials noch übergeordnet (s. Abb. 2).8 Da die Grammatikalisierung, wie gezeigt wurde, in diesem Fall entsprechend der Belebtheitshierarchie voranschreitet, fügt sich ein Ausgang bei den EigenN gut in das Gesamtbild. Häufiger Gebrauch des Besitz anzeigenden Genitivs bei Ruf- und FamN ist gerade für die gesprochene Sprache charakteristisch. Dass sie in der von Marynissen untersuchten Urkundensprache nicht in Erscheinung treten, dürfte daher kaum verwundern. Auch erweist sich der sGenitiv in Verbindung mit Personenbezeichnungen als besonders stabil und widersetzt sich im Niederländischen dem allgemeinen Kasusverlust (vgl. nl. Henks fiets ‚Henks Fahrrad‘, Vondels drama’s ‚die Dramen Vondels‘) (ANS, Bd. I, Kap. 3.4.1.2.). Einen weiteren Hinweis birgt die mit dem Aufkommen des s-Plurals geltende semantische Beschränkung [+menschlich, +mask.], die auffällig mit den vorwiegend patronymischen FamN korreliert. Auch die zusätzliche, dem semantischen Kriterium übergeordnete phonologische Bedingung Auslaut -er hat eine Entsprechung in den FamN, wo -er+s (starker Genitiv) häufig vertreten ist, und zwar sowohl bei primären Patronymen aus RufN (Peter-s) als auch bei sekundären Patronymen aus BerufsN (Müller-s) (s. Kap. 4.1). –––––––— 8
Dixon 1979 nutzt die Belebtheitshierarchie zur Darstellung des agentiven Potentials. Es handelt sich also genau genommen um eine Agentivitätsskala (potentiality of agency scale).
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Als einzige geschlossene Gruppe weisen im späten Mnl. Diminutiva auf -ken bzw. -jen durchgängig Plural-s auf (Van Loey 1980, §12g). Diminutivformen kommen nicht nur in der Appellativik vor, sondern werden primär bei RufN mit hypokoristischer Funktion verwendet und sind zudem auch in FamN, wo sie i.d.R. patronymische Bedeutung haben, nicht selten.9 Eine Übernahme von den EigenN in die Appellativik liegt in diesem konkreten Fall geradezu auf der Hand und führt auch Wrede 1908, §96 zu der Überzeugung, dass appellativische Formen mit Plural-s (gleich den von ihm untersuchten Diminutivsuffixen) den EigenN entstammen. Eine weitere geschlossene Gruppe mit überwiegend sPlural bilden Appellative auf -man (vgl. Marynissen 1994a, 81). Auch hier finden sich auffällige Parallelen zu den FamN, wo Namen auf -man(s) (Timmerman(s), Hermann(s)) keine Seltenheit sind. Die FamN kommen im Mittelalter, also unmittelbar vor der Entstehung des s-Plurals, auf und werden im Mnl. ab dem 13. Jh. im fläm. Südwesten beginnend fest (Marynissen/Nübling 2010). In Deutschland sind erbliche FamN ebenfalls zuerst im Südwesten belegt, mit dem Unterschied, dass hier die Festwerdung schon früher, ab dem 12. Jh., einsetzt (Kunze 2004, 61). Sowohl die anfängliche Beschränkung bei der Verwendung des s-Plurals (Personenbezeichnungen auf -er) als auch das verstärkte Auftreten in bestimmten Klassen (Diminutivbildungen) lassen eine von den EigenN ausgehende Genese vermuten. Gleichzeitig entspricht die Herleitung aus der Onymik dem häufig beobachtbaren Grundprinzip von Grammatikalisierungsprozessen, wonach diese i.d.R. weit oben in der Belebtheitshierarchie einsetzen. Im Folgenden soll nun geprüft werden, inwiefern aktuelle Ergebnisse der deutschen und niederländisch-flämischen Familiennamengeographie weitere Evidenz für die hier vertretene Genitiv-These liefern.
4. Evidenz aus der Familiennamengeographie 4.1. Deutsche Familiennamengeographie 4.1.1. Die Verbreitung des s-Plurals in den deutschen Dialekten Der s-Plural des Nhd. ist ursprünglich ein nd. Phänomen und hier offenbar aus dem Niederländischen übernommen. Hierfür spricht das spätere Aufkommen erst Ende des 13., Anfang des 14. Jhs. (im Mnl. schon ab Mitte des 13. Jhs.) und die Verbreitung v.a. im Westnd. Obwohl prinzipiell für das Nd. auch Fortsetzung des altsächs. os/as-Plurals denkbar wäre, spricht die nachweisliche Ausbreitung von Westen her und das relativ späte Aufkommen in einer Zeit, als der s-Plural im Niederländischen schon etabliert war, für eine Übernahme aus den –––––––— 9
Zu Diminutivformen in FamN s. Kunze 2004, 71, K. 70D (Verkleinerungssilben in heutigen Dialekten und in Familiennamen).
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eng verwandten niederländischen Dialekten. Auch steht „-s […] in früherer zeit meist da, wo ndl. einfluss anzunehmen ist“ (Lasch 1974, §366, Anm. 3). Zudem gelten für das Mnd., wie auch noch für das heutige Nd., die gleichen Beschränkungen wie schon im Mnl.: Plural-s weisen v.a. Wörter mit dem Auslaut []+Nasal/Liquid auf (mnd. vaders ‚Väter‘, börgers ‚Bürger, Pl.‘, dêgels ‚Ziegel, Pl.‘), zudem auch einige einsilbige maskuline Personenbezeichnungen (sönes ‚Söhne‘, mannes ‚Männer‘, heldes ‚Helden‘) und k-Diminutiva (hüsekens, knechtkens) (Lasch 1974, §366, §370, §386; Schirmunski 1962, 422– 425). Im Deutschen Sprachatlas (zugänglich durch den Digitalen Wenker Atlas, DiWA) ist der s-Plural besonders zahlreich bei k-Diminutiven belegt. So auf den Karten Apfelbäumchen, Pl. (DiWA Karte 26, s. Karte 2: Pluralbildung bei k-Diminutiva, Anhang S. 383), Vögelchen, Pl. (DiWA Karte 36) und Schäfchen, Pl. (DiWA-Karte 37). Auf allen Karten sind v.a. für das Westnd. (Westfäl., Niederrhein., Ostfries.) Plurale auf -kes verzeichnet, seltener -kens. Letzteres tritt v.a. im östl. Ostfäl. und verstreut im Südnd. auf, hier neben -ken.10
4.1.2. Die Verbreitung von Genitiv-s/-en in den deutschen Familiennamen Zieht man nun die deutschen FamN zum Vergleich hinzu, fällt die große Dichte der Namen mit ke-Diminutiv im gesamten nd. Sprachraum auf. Eine Abfrage aller auf -ke auslautenden FamN ( 200 Tokens) in der Datenbank des Deutschen Familiennamenatlas (DFA)11 ergibt 626 verschiedene Namen (Types) mit insgesamt 484.628 Anschlüssen (Tokens).12 Filtert man nun die Formen -kes und -kens mit s-Genitiv heraus (Abfrage: .*ken?s 100 Tokens) erhält man einschlägige 27 Types/10.889 Tokens. Diese sind im Westnd. verbreitet (s. Karte 3: Genitiv-s bei diminutivischen Familiennamen auf -ke, s. Anhang S. 383).13 Ihr Areal deckt sich folglich erstaunlich gut mit dem ebenfalls westnd. sPlural-Gebiet. Den häufigsten Namentyp mit Genitiv-s bilden aus RufN abgeleitete Patronyme. Genitivformen (Typ Peter-s) dominieren auch hier im Nordwesten, im –––––––— 10
11
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Diminutivische Pluralformen mit -kes finden sich außerhalb des Westnd. nur in den deutschen Ostgebieten und sind dort möglicherweise neben westfäl. -ing (s. Schmuck 2009) ein westnd. Import im Zuge der Ostkolonisation v.a. durch westfälische Siedler. Die DFA-Datenbank basiert auf Telefon-Festnetzanschlüssen aus dem Jahr 2005. Genaueres zur Datenbank und zu den Abfragemöglichkeiten s. Kunze/Kunze 2003, 131–324; Nübling/Kunze 2005, 141–151. Enthalten sind auch Namen wie Mischke, die auf ein slaw. k-Suffix zurückgehen, im hier untersuchten Westnd. ist aber i.d.R. von nd. -ke auszugehen. Kartiert sind folgende Namen: Typ -kes 13 Types/4.958 Tokens: Di(e)rkes 361+1.229, Lankes 718, Kempkes 647, Henkes 536, Wilkes 423, Lüpkes 200, Hüskes 190, Berkes 160, Erkes 153, Merkes 117, Winkes 115, Kemkes 109; Typ -kens 14 Types/5.931 Tokens: Wilkens 2.694, Erkens 624, Winkens 449, Ge(e)rkens 422+106, Me(h)rkens 335+179, Kempkens 255, Menkens 187, Wilckens 186, Ripkens 170, Hünnekens 117, Rinkens 107, Gerckens 100.
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gesamten übrigen Sprachgebiet überwiegen – mit Ausnahme der für SchleswigHolstein charakteristischen sen-Patronyme (Typ Peter-sen) – suffixlose Formen (Typ Peter, Hartmann). Ungeklärt ist, ob solche FamN, wie Bach 1952–56, Bd. 1.2, §422, 178f. annimmt, ursprünglich genitivisch waren und später ihre Flexionsendung verloren haben, oder aber von Haus aus flexionslos sind. So wäre es durchaus denkbar, dass in den betreffenden Dialekten Kasus – allen voran der Genitiv – sehr früh abgebaut und durch Periphrase ersetzt wurde und aus diesem Grund in den entsprechenden FamN heute der reine RufN vorherrscht. Im Falle der genitivischen FamN geht man von elliptischen Konstruktionen aus (Jan Peters [Sohn]). Was die suffixlosen Formen betrifft, ist eine entsprechende Periphrase (Jan Peter [sein Sohn]) denkbar. EigenN können, wie auch Appellative, im Genitiv stark (-s) oder schwach (-en) flektieren. Konsonantisch auslautende Namen folgen i.d.R. der starken Flexion (Peter-s), vokalisch auslautende der schwachen (Heino > Hein-en). Historisch überwiegt bei den FamN wie auch in der Appellativik die starke Flexion gegenüber der schwachen.14 Besonders viele Patronyme aus RufN weisen, als Folge der Reduktion unbetonter Silben, im Mnd. Auslaut -er bzw. auch -ert auf. Diesen liegen v.a. germ. RufN mit den frequenten Zweitgliedern -her (Wolter-s < Walther) und -ger (Rüttger-s < Rüdiger), aber auch -hard (Eber-s < Eberhard) und -bert (Alber-s < Albert) zugrunde (s. Karte 4: Patronyme aus germanischen Rufnamen auf -er mit Genitiv-s, s. Anhang S. 384).15 Hinzu kommen auch einige frequente FremdN, allen voran Peter-s (30.380 Tokens), gefolgt von Sander-s (< Alexander, 1.530 Tokens) und C-/Jaspers (< Kaspar, 953+606 Tokens) (s. Karte 5: Patronyme aus fremden Rufnamen auf -er mit Genitiv-s, s. Anhang S. 384).16 Die Masse dieser Namen nimmt -s des starken Genitivs an. Im Falle der Namen auf -bert und -hard geschieht dies mit regelmäßigem Ausfall des auslautenden Dentals (Eber-s < Eberhard, Alber-s < Albert), so dass auch in diesen Fällen das bei der weiteren Ausbreitung des sPlurals produktive Schema -er+s entsteht. In der DFA-Datenbank umfassen aus RufN abgeleitete Patronyme auf -er+s, wenn man nur Namen 500 Tokens berücksichtigt, 46 Types/103.820 Tokens, die im gesamten west- und nordnd. Raum verbreitet sind. Am Niederrhein kommt ein weiterer Typ mit dem Muster -er+s hinzu, nämlich auf BerufsN (Nomina agentis) zurückgehende Patronyme, die hier -s des –––––––— 14 15
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Genaueres zur Flexion der EigenN s. Bach 1952-56, Bd. 1.1, §41-45. Die Typen setzen sich wie folgt zusammen (gelistet sind alle Types 1.000 Tokens): -ers Typ Wolters 16 Types/20.222 Tokens: Wolters 3.708, Reimers 3.005, Lüders 1.965, Hilgers 1.831, Reiners 1.811, Siemers 1.090, Wohlers 1.005; -ers Typ Ehlers 12 Types/25.133 Tokens: Ehlers 5.723, Evers 4.389, Eilers 3.200, Ahlers 3.012, Borchers 2.817, Meiners 1.729, Ewers 1.064; -ers Typ Albers 12 Types/23.292 Tokens: Albers 5.663, Sievers 4.877, Eggers 4.558, Lammers 2.422. Der Typ sonstige FremdN auf -ers umfasst: Sanders (< Alexander) 1.530, (C/J)aspers 953+606, Stoffers (< Christopher) 757, Melchers (< Melchior) 500. Der Asterisk nordwestlich von Hamburg betrifft die (sehr kleinen) PLZ 256+257; diese wurden ausgeblendet, da Peters hier 12,78‰ ausmacht und die Größe des Symbols die Proportionen der Karte verzerrt hätte.
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starken Genitivs annehmen (Küpper-s, Becker-s). Mit Berücksichtigung aller FamN 500 Tokens umfassen diese 18 verschiedene Namen mit insgesamt 19.807 Tokens (s. Karte 6).17
Karte 6: Patronyme aus Berufsnamen auf -er mit Genitiv-s (relativ; Kreise pro dreistellige PLZ, Kreisgröße 2–40, entspricht 0,02–19,10‰; Flächen pro zweistellige PLZ; Anzeigeschwelle 0,50‰)
Neben -s der starken Flexion tritt auch en-Genitiv der schwachen Flexion auf. Die Abfrage aller mit schwachem Genitiv -en gebildeten FamN ( 500 Tokens) ergibt einschlägige 31 Types/37.806 Tokens. Im Vergleich zu FamN, die -s der starken Flexion enthalten, ist ihr Anteil geringer. Auch zeichnet sich ein anderes Verbreitungsgebiet ab, wie Karte 7 (Mit Genitiv-en abgeleitete Patronyme aus germanischen und fremden Rufnamen, s. Anhang S. 385)18 verdeutlicht. Hier –––––––— 17
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Unter Typ -ers sonstige BerufsN sind folgende Namen ( 1.000 Tokens) subsumiert: Schäfers 1.743, Kösters 1.350, Möllers 1.330, Schepers 1.288, Schneiders 1.249, Küsters 1.148, Schnieders 1.023. Typ Genitiv-en umfasst 31 Types/37.806 Tokens, darunter 1.000 Tokens: Heinen 3.833, Otten 3.620, Thelen 3.021, Dahmen 2.425, Dohmen 1.783, Thielen 1.625, Görgen 1.296,
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werden sämtliche Patronyme aus RufN mit Genitiv-en zu einem Typ zusammengefasst. Formen mit schwachem Genitiv finden sich ebenfalls im äußeren Nordwesten, jedoch liegt der Schwerpunkt am westlichen Nieder-/Mittelrhein. Die Dominanz der schwachen Flexion in diesem Gebiet erklärt sich möglicherweise aus dem hohen Anteil patronymischer, auf RufN-Kurzformen basierenden Namen, die für diese Region charakteristisch sind und aufgrund ihres vokalischen Auslauts schwach flektieren (Kuno > Kuhnen). Hinzu kommt eine Vielzahl fremder RufN aus Heiligennamen, die vielfach auf Sibilant auslauten und aus diesem Grund -en annehmen (Theiss-en < Matthäus; Mewes-en < Bartholomäus). Karte 8 (Mit Genitiv-en abgeleitete Patronyme zum Rufnamen Nikolaus, s. Anhang S. 385) illustriert den hohen Anteil der auf Heiligennamen zurückgehenden RufN-Kurzformen beispielhaft für die frequentesten niederrheinischen und ostfriesischen Varianten zu Nikolaus.19 Bei den in SchleswigHolstein beheimateten Typen ist eher von Derivation mit -sen ‚Sohn‘ auszugehen (s. Dräger, dieser Band K. 7).
4.2. Niederländisch-flämische Familiennamengeographie 4.2.1. Die areale Verbreitung von Plural-s und -en in den niederländischflämischen Dialekten Die Distribution der Pluralallomorphe dokumentiert ausführlich der Morfologische Atlas van de Nederlandse Dialekten (MAND) Bd. I. Zudem sind die Arbeiten von Goossens 1987 und für den flämischen Süden von Taeldeman 1980a; ders. 1980b, 29–47 zu berücksichtigen. Prinzipiell fällt auf, dass -en der schwachen Flexion weite Teile des Sprachraums erobert hat und auch sonst die Verteilung der beiden Suffixe zumeist die standardsprachlichen Tendenzen spiegelt. Abweichend vom Standard zeigt der Nordwesten (Groningen, Drenthe, westl. Overijsel und die angrenzenden Gebiete Gelderlands) und insbesondere der äußere Südwesten (West- und Ostflämisch) verstärkt s-Plural. Wie Karte 9 (Pluralbildung in den niederländisch-flämischen Dialekten: armen ‚Arme‘, s. Anhang S. 386) für nl. armen ‚Arme‘ illustriert, gilt in den genannten Gebieten Plural-s unter Verletzung der strengen, für den Standard gültigen output-Regel, die einen Trochäenplural vorsieht. Für den Südosten sei bemerkt, dass hier entgegen dem Standard auch Ø-Plural bzw. vereinzelt Umlaut-Plural auftritt. Umgekehrt zeigt Karte 10 am Fall des Zweisilblers appels ‚Äpfel‘ beispielhaft Übergeneralisierung von Plural-en (appelen), ebenfalls unter Verletzung der output-Regel (Karte 10: Pluralbildung in den niederländisch-flämischen Dialek–––––––—
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Rütten 1.286, Coenen 1.155, Sieben 1.144, Lübben 1.112, Kohnen 1.089, Nolden 1.089, Koenen 1.052, Kürten 1.015. Zu Patronymen zum HeiligenN Nikolaus vgl. auch Dräger, dieser Band, S. 269–281, zu Patronymen aus Matthäus/Matthias des Typs Tewes, Debes, Theis u.ä. s. Debus, dieser Band, S. 255–268.
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ten: appels ‚Äpfel‘, s. Anhang S. 386). Derartige schwach flektierende Formen begegnen im Südosten, und zwar in den flämischen Provinzen Limburg, Brabant und Antwerpen. Im niederländischen Teil Limburgs tritt Umlaut-Plural auf. Für das flämische Sprachgebiet kristallisiert sich insgesamt bezüglich der Pluralallomorphie eine Staffellandschaft (Taeldeman 1980a, 164) heraus mit einem westlichen s-Plural-Gebiet, dessen Schwerpunkt in Frz.-/West-Flandern liegt und das im Osten von Ostflandern endet. Vom Standard abweichendes Plural-s zeigen in Flandern u.a. Wörter wie haans ‚Hähne‘, stiers ‚Stiere‘, stoels ‚Stühle‘. Weiter östlich (beide Provinzen Limburg) ist -s (wie auch im Standard) bei maskulinen Personenbezeichnungen (zeuns ‚Söhne‘, bruus ‚Brüder‘) und bei wenigen jüngeren Lehnwörtern (treins) bezeugt. Ein konträres Bild ergibt sich für Plural-en der schwachen Flexion, das verstärkt für die östlichen Provinzen Limburg, Brabant und Antwerpen verzeichnet ist, im flämischen Westen aber zugunsten von -s zurücktritt (Taeldemann 1980a, K. 1–8). Ein Vergleich mit der Situation im Mnl. zeigt, dass s-Plural damals wie heute im flämischen Südwesten vorherrscht, in Nord-Holland aber zum Nnl. hin von -en der schwachen Flexion verdrängt wurde, wovon der in MAND I (Karte 34b knechten) belegte Doppelplural knechtse(n) zeugt.
4.2.2. Die Verbreitung von Genitiv-s und -en in den niederländischflämischen Familiennamen Im Folgenden werden nun die Areale mit vorwiegend s- bzw. en-Plural und die Verbreitungsgebiete der starken (-s) vs. schwachen (-en) Genitivendung in patronymischen FamN einander gegenübergestellt. Für die heutigen niederländischen und flämischen FamN aus RufN ergibt sich nach Marynissen/Nübling 2010 folgendes Bild (s. Karte 11): Wie die Karte für die hier zur Diskussion stehenden Genitivnamen verdeutlicht, kommen Patronyme mit -s des starken Genitivs im gesamten Sprachgebiet vor, stark konzentriert sind sie v.a. im flämischen Zentrum (Brabant, Antwerpen) und im Südwesten. Schwache patronymische Genitive auf -en finden sich ausschließlich im Südosten. In Belgien gehören Patronyme mit Genitiv-s zu den häufigsten FamN überhaupt. Unter den zehn frequentesten FamN des belgischen Melderegisters (1997) belegen mit -s suffigierte Genitivpatronyme die Plätze 1–9: 1. Peeters, 2. Janssens, 3. Maes, 4. Jacobs, 5. Mertens, 6. Willems, 7. Claes, 8. Goossens, 9. Wouters (wobei allerdings Maes < Thomas und Claes < Nikolaus nicht eindeutig genitivisch sind) (Rangliste aus: Marynissen/Nübling 2010, Kap. 3.1). Im flämischen Südwesten erscheinen neben Patronymen mit starkem Genitiv-s auch sog. juxtaponierte (nominativische) Formen. Diese betreffen vorwiegend zweisilbige germ. RufN (Huyghebaert, Aelbrecht), die östlich der Schelde-
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Dender-Linie Genitiv-s annehmen.20 Neben dem südwestlichen Gebiet kommt Genitiv-s im Nordwesten der Niederlande vor.
Karte 11: Morphemstruktur niederländisch-flämischer Patronyme (aus Marynissen/Nübling 2010, eigene Hervorhebung)
Überwiegend schwach flektierende Namen sind für den flämischen Süd-osten, d.h. die niederländische und die belgische Provinz Limburg charakteristisch. Diese grenzen unmittelbar an das mittelrheinische Gebiet mit vorwiegend schwachem Genitiv an und setzen dieses jenseits der deutschen Staatsgrenze fort. Gemäß dem Nederlands Repertorium van Familienamen (NRF), das auf einer Volkszählung von 1947 basiert, erreicht der Anteil der FamN mit -en des schwachen Genitivs in Limburg in 30 der insgesamt 111 Gemeinden zwischen 10–20%, in 11 Gemeinden sogar mehr als 20% (NRF, Bd. XIV, 28, Karte 4). Auch hier erreichen Patronyme aus Heiligennamen, die aufgrund ihres sibilantischen Auslauts -en der schwachen Flexion annehmen, eine hohe Typen- und Tokenfrequenz.21 Daneben kommen, im Unterschied zum übrigen Gebiet, v.a. in –––––––— 20
21
Zu genitivischen Namen in Belgien s. Marynissen 1991, 29–79; Marynissen/Nübling 2010, Karte 5 (rombout/rombouts), Karte 4 (david/davids/davidse), Karte 7 (Morphemstruktur der Patronyme) und Goossens, dieser Band, Karte 1 (Das Zweitglied -brecht/-brechts in Patronymen). Im NRF XIV, 21f. sind allein 45 Varianten der aus dem Zweitglied von Bartholomäus entstandenen FamN aufgeführt (darunter 100 Tokens: Meuwissen 587, Meijs 548, Meessen 348, Mevissen 284, Mevis 135, Meeuwissen 121).
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der belgischen Provinz Limburg häufiger Metronyme vor, die regelmäßig auf -e auslauten und daher stets schwach flektieren (Baete-n < Elisabeth, Roose-n < Rosa) (Marynissen 1994b, 272f.). Möglicherweise hat auch die Vielzahl der ebenfalls in Limburg beheimateten Hypokoristika mit zu -en abgeschwächtem Ưn-Suffix (Houbin > Houben) zur Prominenz des Ausgangs-en bei limburgischen FamN beigetragen (Marynissen 1994b, 276–278). Insgesamt lautet von den 100 (im NRF verzeichneten) frequentesten FamN der niederländischen Provinz Limburg ein Drittel (34 FamN) auf -en aus, die Hälfte aufgrund eines stammfinalen -s (17 FamN). Da gerade die FamN aus HeiligenN in zahlreichen Varianten vorkommen, ist von einer hohen Typenfrequenz auszugehen. Ihr Anteil dürfte daher, wenn man auch weniger frequente Namen berücksichtigt, noch wesentlich höher ausfallen. Unter den FamN mit Genitiv-en finden sich auch historisch stark gebildete Namen, wie Moons (Simon-s) > Moonen und Daams (Adam-s) > Damen (s. Karte 12: Starker vs. schwacher Genitiv bei Moon < Simon, s. Anhang S. 387). Umgekehrt weisen Kurzformen im Südwesten unabhängig von ihrer ursprünglichen Flexionsklasse stets -s des starken Genitivs auf. (vgl. Karte 13: Starker vs. schwacher Genitiv bei Kool < Nikolaus, s. Anhang S. 387).22 Wie derartige Doppelformen zeigen, wurde die ursprünglich klare Flexionsklassenzuweisung aufgeweicht (vgl. auch Bach 1952–56, Bd. 1.1, §65.3). Stattdessen ist ein geographischer Gegensatz entstanden: Im Südwesten gilt abweichend zum Standard für Einsilbler die starke Flexion, im Südosten die schwache. Das auf den Karten 12 und 13 ersichtliche Gebiet mit doppeltem Genitiv auf -en+s (Typ Koolens, Moonens) in der Region Flämisch-Brabant legt eine historische Ausbreitung des starken s-Genitivs von Westen her nahe.23 „Het grote aantal FN op -en heeft in Limburg patroonvormend gewerkt: de tegenstelling tussen oorspronkelijk sterk en oorspronkelijk zwak verbogen voornamen is er genivelleerd. De historische tegenstelling in de flexie is een geografische tegenstelling geworden.“ (Marynissen 1994b, 276) „Die große Anzahl der F[am]N auf -en hat in Limburg schemabildend gewirkt: der Gegensatz zwischen ursprünglich stark und ursprünglich schwach flektierenden Vornamen ist dort nivelliert. Der historische Gegensatz in der Flexion ist ein geographischer Gegensatz geworden.“ (MS)
Namen mit schwacher Endung -en sind folglich im Südosten (beide Provinzen Limburg) autochthon. Für den flämischen Süden ergibt sich damit im Hinblick auf die patronymische Genitivflexion eine klare Zweiteilung in ein östliches, schwach flektierendes Areal und ein westliches, stark flektierendes Gebiet. Im Falle der BerufsN und der ÜberN tritt, wie Marynissen/Nübling 201024 und Goossens (dieser Band, S. 43–60)25 zeigen, ebenfalls ein südöstliches Geni–––––––— 22 23
24
Für die Bereitstellung beider Karten danke ich herzlich Frau Ann Marynissen. Ein anderes Verbreitungsbild zeigen RufN-Vollformen: Hier stehen s-Formen im Südosten flexionslosen Formen im Südwesten gegenüber (vgl. Karte Rombout/Rombouts in Marynissen/Nübling 2010 und Karte -brechts in Goossens, dieser Band, Karte 1). Marynissen/Nübling 2010, Karte 1 (Struktur der Berufsnamen); Karte 9 (Struktur der Übernamen); WohnstättenN: Karte 12 (bo(n)gaard/bo(n)gaards).
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tivareal zutage. Allerdings haben – vermutlich aufgrund der Nähe zur Appellativik – keine Übergänge von der starken zur schwachen Flexion stattgefunden, die schwache Flexion ist nicht in gleichem Maße produktiv geworden wie im Falle der limburgischen Patronyme. Anders verhält es sich bei den deadjektivischen ÜberN, wo -en vorherrscht, da diese regulär stets schwach flektieren.
5. Ergebnis: Signifikante areale Überschneidungen bei pluralischen und genitivschen Allomorphen -s und -en Kontrastiert man nun die Distribution der Pluralallomorphe -s und -en mit der Verbreitung des starken (-s) und schwachen (-en) Genitivs bei Patronymen, treten frappierende Parallelen zutage: Im Niederländischen zeigt sich sowohl für pluralisches als auch für genitivisches -s und -en eine auffällige Staffelung in den flämischen Provinzen: s-Flexive, ob pluralisch oder genitivisch, dominieren im Südwesten, -en der schwachen Flexion dagegen im Südosten. Allein die Schwerpunkte sind unterschiedlich gelagert: s-Plural gilt v.a. im West-/ Ostfläm., starker patronymischer Genitiv v.a. im Zentrum (Provinzen Antwerpen und Brabant). Auffällige räumliche Überschneidungen pluralischer und genitivischer sFlexive konnten auch für den deutschen Sprachraum festgestellt werden, wo im Westnd. sowohl Formen mit s-Plural (Diminutiva auf -ken ĺ Pl. -kes), als auch starke patronymische Genitive in FamN wie Wilkes, Evers, Beckers u.ä. heimisch sind. Insgesamt zeigt der areale Vergleich, dass der Gebrauch des s-Plurals in den niederländisch-flämischen Dialekten und im Westnd. mehr als nur zufällige Parallelen mit der Verbreitung des Genitiv-s in den FamN aufweist. Auch für den en-Plural und -en des schwachen Genitivs konnten areale Überschneidungen im fläm. Süden festgestellt werden. Dieser geographische Befund zeigt deutlich, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem Gebrauch der Genitivallomorphe -s/-en und pluralischem -s/-en.
6. Fazit Ziel des Beitrags war es, die in der neueren Forschung vielfach kontrovers diskutierte These zur Herleitung des s-Plurals aus dem s-Genitiv anhand der Ergebnisse der neueren Grammatikalisierungsforschung auf ein neues Fundament zu stellen und mithilfe aktueller namen- und dialektgeographischer Be–––––––— 25
Goossens, dieser Band, Karte 2 (FN, die auf die Berufsbezeichnung bakker zurückgehen), Karte 3 (Genitivformen des FNs Mulder), Karte 4 (FN, die auf das Adjektiv groot zurückgehen).
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funde zu überprüfen. Die Zugrundelegung von genitivischen Kollektivbildungen bei EigenN und appellativischen Personenbezeichnungen hat sich als fruchtbare Lösung für das viel diskutierte „Rätsel“ um den s-Plural erwiesen. Die fehlende semantische Brücke für den Übergang ‚Genitiv Sg.‘ ĺ ‚Plural‘ liefern FamN bzw. Appellative, die zur Bezeichnung einer Familie dienen und bei denen aufgrund ihrer patronymischen Bedeutung eine Katalysator-Funktion naheliegt. Das mehrfach zur Erklärung herangezogene Altengl. und das Altfrz. können bei der Herausbildung des neuen Suffixes allenfalls unterstützend gewirkt haben, reichen aber ebenso wenig wie eine Herleitung aus dem Ingwäonischen aus, um die Besonderheiten, die von Anfang an eng mit dem Auftreten des s-Plurals verknüpft sind, plausibel zu erklären. Die auffälligen semantischen [+belebt, +maskulin] und phonologischen (Auslaut []+Liquid/Nasal) Beschränkungen erschließen sich erst, wenn man, wie in dem hier verfolgten Ansatz (vgl. auch Nübling/Schmuck 2011), Kollektivbildungen bei EigenN mit patronymischer Funktion (Peters/Müllers [Sohn, Familie]) zugrunde legt: Die Grammatikalisierung des s-Plurals schreitet, wie Marynissen für das Mnl. gezeigt hat, entsprechend der Belebtheitshierarchie voran, wo EigenN den Appellativen übergeordnet sind. Dieser Grammatikalisierungspfad erklärt sowohl das erste Aufkommen bei den Nomina agentis auf -er und bei Verwandtschaftsbezeichnungen, als auch seine sukzessive Ausbreitung zunächst auf Tier-, dann auch auf Sachbezeichnungen und das bevorzugte Auftreten in Verbindung mit maskulinen Personenbezeichnungen (vgl. standardsprachliche Abweichler vom ansonsten strengen Trochäenprinzip im Niederländischen wie zoons, koks u.a.). Insbesondere aber weisen die keineswegs als zufällig zu wertenden Übereinstimmungen in der räumlichen Verteilung der s-/en-Flexive zweifelsfrei auf einen Zusammenhang zwischen der Genitivflexion und der Pluralbildung hin.
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Luise Kempf / Jessica Nowak
Neubert, Grunert, Taubert: Die Erweiterung von -er zu -ert im Licht der Familiennamengeographie
Abstract In German family names, the ending -ert occurs rather frequently. In most cases, the ending results from a contraction of an Old German compound, such as in Engel-hard > Englert. In other cases, however, the ending is the result of morpho-phonological productivity as in Neuber ĺ Neubert. This very phenomenon is discussed by Nübling (2010). The present study revisits and explores some of the questions raised there – mainly through geographical onomastics. The central issues are: Are there regions in which this expansion occurred more frequently than in others? What can support the assumption that a name emerged through an expansion? Map studies reveal the areas around Saxony and central Baden to have been particularly active. Moreover, they can lend support to the interpretation of a name. Finally, they offer a partial explanation for the geographical distribution: A high density of contracted -ert names (like Englert) appears to have reinforced the expansion of -er to -ert. However, this analogical move was not the only factor. Other factors, such as the need to distinguish names from common nouns, came into play as well.
1. Einleitung 1.1. Gegenstand, Ziele und Vorgehensweise Familiennamen mit der Endung -ert sind in Deutschland stark verbreitet: Mehr als 1,25 Millionen Deutsche tragen einen sog. ert-Namen, z.B. Schubert, Seifert, Eckert. Nach ihrer Entstehung betrachtet bilden die ert-Namen kein einheitliches Phänomen, vielmehr haben verschiedene Wege zu dieser Endung geführt. Im Wesentlichen kann man zwei Typen unterscheiden. Zum einen diejenigen Namen, deren -ert durch Verschleifung ehemaliger Komposita entstanden ist, z.B. Leon-hard > Lehnert, Wîn-gart > Wingert (Genaueres s.u., vgl. auch den Eintrag zu -ert in Kohlheim/Kohlheim 2005, 228f.). Den anderen Typ bilden die Fälle, die durch Erweiterung eines auf -er endenden Namens entstanden sind, z.B. Neuber ĺ Neubert. Die vorliegende Untersuchung gilt diesem zweiten Typus. Kap. 2 untersucht, ob der t-Antritt ein überregionales Phänomen darstellt oder sich in bestimmten Zentren konzentriert. Kap. 3 zeigt, welche Evidenzen eine Analyse als t-Erweiterung stützen können. Von zentralem Interesse sind außerdem die Gründe des t-Antritts. Kap. 4 verfolgt einen polykausalen Erklärungsansatz.
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Luise Kempf / Jessica Nowak
In allen drei Fragen sind Namenkarten aufschlussreich. Erstellt wurden sie hauptsächlich mit dem Kartierungsprogramm, das im Rahmen des Projekts „Deutscher Familiennamenatlas (DFA)“ entwickelt wurde. Es operiert auf Basis der Telekom-Daten von 2005. Zusätzlich wurden Karten berücksichtigt, die auf den Telefonbucheinträgen von 1942 basieren.1
1.2. Hintergrund: Die zahlreichen ert-Namen und ihre Entstehungswege Impulsgebend für diese Untersuchung war u.a. der kürzlich erschienene Aufsatz „Von Schreiner zu Schreinert oder: Auf dem Wege zu einem onymischen Suffix? Der -ert-Ausgang als Ergebnis eines onymischen Verstärkungsprozesses“, in dem sich Nübling der diachronen Entwicklung des Ausgangs -ert bei Familiennamen widmet und sich erstmals eingehend mit seinem linguistischen Status auseinandersetzt. Nübling 2010 plädiert dafür, dass bei -ert Ansätze onymischer Morphologie vorgelegen haben und diese die Folge eines Verstärkungsprozesses gewesen sind: Neben zunächst laut(gesetz)lich entstandenem -ert (z.B. Wîngart > Wingert) setzte eine relativ starke Tendenz ein, auf analogischem Wege zu diesem Namenausgang, zum Output -ert, zu gelangen (z.B. Schreiner ĺ Schreinert). Dass Familiennamen auf -ert überdies sekundär entstanden sind, wird auch in der onomastischen Standardliteratur erwähnt (vgl. u.a. Bach 1952 I, 1, §141, §233c*; Bahlow 1926/1927, 33–38; ders. 1990; Gottschald 2006, 174; Kohlheim/Kohlheim 2005, 224f.). Eine Abfrage nach sämtlichen auf -ert endenden Familiennamen ergibt bundesweit insgesamt 450.980 Telefonanschlüsse bzw. Tokens (Stand: 2005), also knapp eine halbe Million. Im Schnitt teilen sich deutschlandweit 2,9 Personen einen Telefonanschluss, was bedeutet, es gibt ca. die dreifache Anzahl an Trägern. Im Umkehrschluss heißt das: Etwa jede 60. Person trägt einen ert-Namen (Schubert, Seifert, Eckert sind die frequentesten). Die halbe Million Tokens verteilt sich wiederum auf ca. 5000 verschiedene Namenformen (genau: 5033 Types). Betrachtet man das Kartenbild zur Abfrage nach sämtlichen ert-Namen, so zeigt sich, dass auf -ert endende Namen prinzipiell in ganz Deutschland anzutreffen sind (s. Karte 1). Allerdings treten einige Regionen wie das Rhein-MainGebiet, der Osten und der äußerste Südwesten Deutschlands (etwas) stärker hervor als bspw. der bairische Raum und Teile Nordwestdeutschlands, in denen die Vorkommensdichte weitaus geringer ist.
–––––––— 1
Diese lassen sich dank der von M. Fraust entwickelten Plattform Genevolu online erstellen: Genevolu, http://gen-evolu.de, (Stand: 29. 3. 2009). Aufgrund der meist recht niedrigen Belegzahlen sind die Karten von 1942 mit einiger Vorsicht zu betrachten (z.B. indem man absolute und relative Kartierungen vergleicht).
Neubert, Grunert, Taubert: die Erweiterung von -er zu -ert
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Karte 1: Verbreitung aller ert-Namen (450.980 Telef.)
Nach Nübling 2010, 134f. haben verschiedene konvergierende Entwicklungen -ert als Muster genährt: Die zunächst noch semantisch motivierten Rufnamenkomposita sind im Laufe der Zeit zu festen Kombinationen erstarrt. Sie verblassten nach und nach sowohl semantisch als auch formal. So wurden etwa bei Namen wie Raginberht die Bestandteile {ragin}+{beraht} ‚Rat, Beschluss, Schicksal‘ + ‚glänzend‘ nicht mehr verstanden, folglich solche Namen auch nicht mehr als Komposita empfunden. Die fehlende Transparenz der einstigen Zweigliedrigkeit stellte die Weichen für zahlreiche phonologische und phonotaktische Prozesse wie bspw. Verschmelzungen, Verschleifungen, Kürzungen, aber auch Enttonungen und Abschwächungen des Zweitglieds, vgl. {Wîn}{gart} > {Wingert}, {Engel}{hard} > {Englert}; auch die Metathesen von -bre(c)ht > -bert (Reinbrecht > Remmert) und -fri(e)d > -fert (Gottfried > Göpfert) haben die Entstehung von ert-Ausgängen bei Familiennamen begünstigt. Diese Vielzahl interagierender Prozesse hat zu einer drastischen Vergrößerung des Inventars an ert-Namen und damit zur Stärkung von -ert als Schema geführt: -ert muss von den Hörern als typischer Familiennamenausgang interpretiert, genauer reanalysiert worden sein. Das legen die zahlreichen ert-Namen nahe, die eben nicht auf verschliffenes -hard, -bert etc., sondern auf sekundäre Erweiterung zurückgehen. Zentral ist hier der Typus, bei dem auf -er endende
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Luise Kempf / Jessica Nowak
Namen (oft Nomina agentis) um ein t erweitert und damit an das Schema -ert angeschlossen wurden, s. Bsp. 1). Präferenzen bezüglich des Benennungsmotivs sind dabei (bisher) nicht zu verzeichnen; es finden sich Berufsnamen (Beckert), Wohnstätten- und Herkunftsnamen (Grünert), ebenso wie Übernamen (Fickert) und Patronyme (Melcher(t) < Melchior).2 1)
Becker Schreiner
+ -t + -t
ĺ ĺ
Beckert Schreinert
Während also zunächst die ehemaligen Rufnamenkomposita die Basis für die Entstehung von ert-Namen bilden, so wird in der Folgezeit auch auf analogischem Wege (t-Erweiterung) auf dieses Ziel hingesteuert: -ert als Familiennamenausgang.
2. Zentren des t-Antritts Zur Frage nach eventuellen Kernregionen des t-Antritts ist Karte 1 wenig aufschlussreich, da sie ungefiltert alle ert-Namen kartiert. Die stärksten Verdichtungen aller ert-Namen müssen nicht zugleich die Zentren des t-Antritts sein. In der Literatur finden sich folgende Hinweise: Nach Kohlheim / Kohlheim (2005, 228f.) handelt es sich besonders um ein ostmitteldeutsch-schlesisches Phänomen. Diese Vermutung geht wohl letztlich auf Bahlow (Bahlow 1926/1927, 33– 38; ders. 1990) zurück. Nübling 2010, 142 entnimmt den Kartenbildern der relativ eindeutigen Namen Becker+t, Schreiner+t und Wehner+t „eine gewisse Bestätigung“ für diese Vermutung. Andererseits beobachtet Kunze3 anhand der Kartenbilder weiterer einschlägiger Namen, dass die t-Erweiterung in vielen Regionen auftritt, z.B. O(h)lert im Rheinland, Bachert in der Pfalz und dem nördlichen Baden-Württemberg, Prüfert im Nordosten, Sch(u/ü)lert vielerorts in der Mitte und im Norden. Der t-Antritt stellt sich also prinzipiell als überregionales Phänomen dar. Dennoch stellt sich die Frage, ob der ostmitteldeutsche Raum quantitativ dominiert und ob weitere Zentren existieren. Um eine solche Dominanz sichtbar zu machen, eignet sich eine Kombinationskarte, d.h. mehrere Namen werden zu einer Gruppe zusammengefasst und gemeinsam kartiert. Dafür müssen genügend einschlägige Namen ermittelt werden. Die frequentesten ert-Namen gehen jedoch größtenteils auf Verschleifungen zurück. Tabelle 1 zeigt, dass sich unter den 21 häufigsten ert-Namen nur ein einschlägiger Name findet (Neubert).
–––––––— 2 3
Zu umfassenden Deutungen und den Deutungskonkurrenzen s. Dammel/Kempf (demn.). Wir bedanken uns herzlich bei K. Kunze für das Bereitstellen seiner Skizzen und Kartenentwürfe, denen wir diesen Hinweis entnommen haben.
Neubert, Grunert, Taubert: die Erweiterung von -er zu -ert Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Name
Telef.
wahrscheinlichste Deutung
Schubert Seifert Eckert Ebert Reichert Siebert Albert Neubert Eggert Lippert Borchert Ruppert Lehnert Steinert Seibert Ehlert Weinert Kunert Ewert Kleinert Siegert
26821 15886 12082 11526 9733 8523 7048 6144 4882 4304 4157 3855 3760 3730 3495 3443 3433 3153 3006 2994 2874
< mhd. schuochworhte ‚Schuhmacher‘ < -fridu < -hart < -hart < -hart < -beraht < -beraht t-Erweiterung (< Neubauer) < -hart < -hart/-beraht < -hart < -beraht < -hart Zweifelsfall < -beraht < -hart Zweifelsfall < -hart/-rad < -hart Zweifelsfall < -hart
309
Tabelle 1: Anteil der einschlägigen Namen an den häufigsten ert-Namen
Zudem wird die Auswahl dadurch erschwert, dass sich kaum ein Name findet, für den nur eine einzige Deutung in Frage kommt. So geht z.B. Grabert laut Kohlheim/Kohlheim 2005, 286 entweder auf Graber + -t oder auf einen Rufnamen zu ahd. gra ‚grau‘ + -hart zurück. Bei uneindeutigen Namen werden also zwangsläufig Fälle mitkartiert, die nicht auf t-Erweiterung zurückgehen. Eine Ausnahme bildet der fast konkurrenzfreie Familienname Melchert zu Melcher < Melchior. Die Namen wurden folgendermaßen ausgewählt: Aus der rückläufigen Liste bei Kohlheim/Kohlheim 2005, 815–938 wurden diejenigen gesammelt, die als einschlägig genannt sind. Für diese Namen wurden, mit den häufigsten beginnend, die Einträge in Brechenmacher 1957–1963, Gottschald 2006, Hellfritzsch 2007, Naumann 2007, Bahlow 1990 und Zoder 1968 verglichen. Nur solche Namen, für die der t-Antritt die wahrscheinlichste Deutung ist, gingen in die Auswahl ein – bis diese 25 Namen umfasste (s. Tabelle 2). Unter den Namen sind alle Benennungsmotive vertreten. Um festzustellen, ob in Abhängigkeit vom Benennungsmotiv Besonderheiten auftreten, bedürfte es eines größeren Samples. Name
Telef.
wahrscheinlichste Deutung
Neu(b/p)ert
6144+798
Berufs-/ÜberN ‚Neubauer‘
Gr(u/ü)nert
2158+904
Wohnstätten-/HerkunftsN zu mhd. grüene/Orten mit Gr(u/ü)n-
Taubert
1880
BerufsüberN ‚Taubenzüchter, -händler‘
Beckert
1750
BerufsN ‚Bäcker‘
310
Luise Kempf / Jessica Nowak
Name
Telef.
Deckert
1641
wahrscheinlichste Deutung BerufsN ‚Dachdecker‘
Peu(c)kert
1304+351
Baumert
1245
Melchert
982
BerufsN ‚Paukenschläger‘ o. HerkunftsN zu Peuke, Peucker (Schlesien) Wohnstätten-/HerkunftsN ‚der am Baum wohnt/aus -baum stammt‘ Patronym zu Melcher < Melchior
Bohnert
966
Berufs-/ÜberN ‚Bohnenbauer‘
Grubert
735
Wohnstätten-/HerkunftsN zu mhd. gruobe/SiedlungsN Grub
Losert
680
ÜberN zu mhd. lôsre ‚Heuchler, Schmeichler‘ u.a.
Leppert
672
BerufsN zu mhd. lappen ‚flicken‘
Bachert
635
Wohnstätten-/HerkunftsN ‚der am/aus Bach‘
Wehnert
595
Heckert
585
Krö(h)nert
569+391
Fickert
539
BerufsN zu Wagner ‚Wagenbauer, Stellmacher‘ BerufsN zu mhd. hacken ‚hacken, hauen‘; WohnstättenN zu ‚Hecke‘ HerkunftsN zu verschiedenen Orten mit Kr(o/ö)nÜberN zu mhd. ficken ‚reiben, hin und her bewegen, hin und her fahren‘
Schaffert
464
BerufsN ‚Anordner, Aufseher, Verwalter‘
Hackert
421
BerufsN zu mhd. hacken ‚hacken, hauen‘
Tauchert
410
HerkunftsN zu Taucha, Tauche
Bechert
341
BerufsN für den Pechsammler/-brenner
Tabelle 2: Sample einschlägiger ert-Namen (Karte 2 zugrundeliegend)
Auf Karte 2 stechen deutlicher als auf Karte 1 bestimmte Gebiete hervor, nämlich Sachsen/Thüringen und Mittelbaden. Das liefert eine weitere Bestätigung für die o.g. Annahme zum Ostmitteldeutschen. Die starken Ballungen in Sachsen/Thüringen lassen sich einerseits als indigene Vorkommen, andererseits als Reflexe einer früheren Verbreitung in Schlesien und dem Sudetenland interpretieren. Daher wurden für sämtliche Namen der Auswahl die Kartenbilder von 1942 herangezogen. Die Auswertung bestärkt die Interpretation der Ballung in Sachsen/Thüringen: Einige Namen haben ihre stärkste Verbreitung schon im Jahr 1942 eben dort (z.B. Neubert um Chemnitz, 380 Telef.), andere in den östlich angrenzenden Gebieten (z.B. Baumert in Niederschlesien, 66 Telef.). Für Mittelbaden ergeben die Karten von 1942 ein dem gegenwärtigen vergleichbares Bild: Die Region sticht zwar hervor, dies aber in deutlich schwächerem Maße als der ostmitteldeutsche Raum. In welchem Ausmaß t-Antritte auch im Elsass und in Lothringen vorkamen, wäre noch zu untersuchen. In den Karten von 1942 sind des Weiteren auch Pommern, West- und Ostpreußen als Verbreitungsgebiete vertreten (z.B. Melchert in Brandenburg, Pommern, Westpreußen). Doch angesichts der niedrigen Tokenzahlen lässt sich (noch) nicht von einem dritten Zentrum des t-Antritts sprechen. Die Vorkommen könnten auch als Merkmal der Überregionalität des Phänomens angesehen werden. Hierzu ist auch zu beachten: Neben den beiden Kerngebieten zeigt
Neubert, Grunert, Taubert: die Erweiterung von -er zu -ert
311
Karte 2 leichte Streubefunde über ganz Deutschland. Da sich der ostmitteldeutsche Raum als Zentrum bestätigt hat, ist davon auszugehen, dass diese Streuungen teilweise auf die Flüchtlingsbewegungen zurückgehen. In den Karten von 1942 sind Vorkommen in Nicht-Kerngebieten gering, aber dennoch vorhanden. Dieser Befund, sowie die heutigen Kartenbilder (Bachert, Prüfert etc.) sprechen dafür, dass die t-Erweiterung vielerorts autochthon ist.
Karte 2: Verbreitung von 25 einschlägigen ert-Namen (< -er + -t)
3. Indizien für einen t-Antritt Für die obige Kombinationskarte (Karte 2) war es grundlegend, einschlägige ert-Namen zu identifizieren. Aus der heutigen Form der in Frage kommenden Namen lässt sich ihre Genese nicht mehr erkennen (weshalb die Einträge in den genannten Namenbüchern verglichen wurden). Es fragt sich also, wie sich der t-Antritt als Phänomen und bei einem konkreten Namen nachweisen lässt. Schließlich bestünde auch die Möglichkeit, stets einen zugrundeliegenden, u.U.
312
Luise Kempf / Jessica Nowak
nicht mehr bekannten Rufnamen anzunehmen. Bahlow 1926/1927 kritisiert diesen Ansatz anhand seiner Auswertungen schlesischer Kirchenbücher des 16. Jhs. Kap. 3.1 skizziert seine Argumente sowie weitere Evidenzen für einen t-Antritt aus historischen Quellen. Des Weiteren liefern die Kartenbilder einschlägiger Namen häufig eine Bestätigung für den Zusammenhang zu einem entsprechenden er-Namen und damit gegen eine Genese aus -hard etc. (Kap. 3.2.).
3.1. Historische Quellen Evidenzen, die für einen t-Antritt sprechen, liefern historische Namenbücher. Der t-Antritt lässt sich anhand von Namengleichungen gut verfolgen. So ist eine Person namens Rucker 1549 urkundlich bezeugt, die neun Jahre früher als Ruckert verschriftet wurde (2). Entsprechendes gilt für weitere Fälle: 2) 3) 4) 5) 6)
Rucker (1549) = Ruckert (1540) (Bahlow 1926/1927, 35) Baumert zu Gastrup findet sich im Schatzregister von 1590 als Bernt vorm Bome. (Preuss 1884, 32) Melchiors in Tintrup – später dort Melchert (Preuss 1884, 28) Hans Swicker 1468 = Hans Swikart 1477 in Vaihingen (Brechenmacher 1957–1963 II, 583) Meiner 1575 = Meinert 1578 im Vogtland (Hellfritzsch 1992, 138)
Das Phänomen der ert-Namen beschreibt auch Bahlow 1926/1927, 33–35 in seiner o.g. Untersuchung. Dabei macht er darauf aufmerksam, dass sich das -ert in Familiennamen nicht immer und nicht zwingend auf verschliffenes -hard, -frid etc. zurückführen lässt. Es gibt Fälle, die sich nur durch ein sekundär angetretenes -t erklären, wie etwa Peu(c)kert ‚Paukenschläger‘ und Weinert ‚Wagner‘ in Bsp. 7a) und b). In beiden Fällen liegt ein Berufsname auf -er zugrunde. 7a) 7b)
mhd. pnjkær(e) > (f)nhd. pauker, umgelautet Peu(c)ker > Peu(c)kert mhd. wagener, kontrahiert > Weiner > Weinert
Diese und weitere Namen wie etwa Brauner oder Rücker erscheinen in mittelalterlichen Quellen und auch noch im 16. Jh. ohne auslautendes -t. Erst in der darauffolgenden Zeit ist in den Schriftzeugnissen ein vermehrter t-Antritt zu verzeichnen, also Braunert, Rückert usw. Auch der Fall Güntert belegt die Annahme einer t-Erweiterung: Prinzipiell kann er auf zwei Etyma zurückgehen, den Rufnamen Günter bzw. Gunther oder den Rufnamen Gunthard. Güntert auf verschliffenes Gunthard zurückzuführen, scheidet jedoch aus, zumal dieser Rufname den schlesischen Quellen völlig fremd ist; Günter bzw. Gunther war hingegen ein überaus beliebter Rufname in Schlesien, d.h. nur dieser kann für den schlesischen Raum zugrunde liegen. Untermauert und damit bekräftigt wird die Annahme des t-Antritts auch dadurch, dass er sich auch bei Namen auf Schwa + -l beobachten lässt, also Ausgängen, die ebenfalls einen Liquid enthalten (vgl. Bahlow 1926/1927), vgl. Bsp. 8a–d:
Neubert, Grunert, Taubert: die Erweiterung von -er zu -ert 8a) 8b) 8c) 8d)
Weigel Reichel Eckel Apel
313
> Weigelt > Reichelt > Eckelt > Apelt
3.2. Karten Neben den historischen Namenbüchern können auch Kartenbilder die Annahme einer t-Erweiterung unterstützen. Entscheidend ist dabei die Verbreitung des entsprechenden Namens auf -er, der im Fall einer t-Erweiterung ja die Ausgangsbasis des ert-Namens ist. Die Verbreitungen beider Namen sollten dann auf einen Zusammenhang hindeuten. Tatsächlich lassen sich die Kartenbilder der untersuchten t-Erweiterungen klar auf die der er-Namen beziehen. Stark vertreten ist der Typus des regional begrenzten Namens, dessen beide Varianten sich überschneiden oder eng benachbart sind. Dies ist der Fall bei vielen Namen des o.g. Samples (Tabelle 2), so z.B. bei den hochfrequenten ostmitteldeutschen Namen Neu(b/p)er(t) und Gr(u/ü)ner(t) – vgl. Karte 3.
Karte 3: Verbreitung von Gruner und Grunert (2270 und 2158 Telef.)
Karte 4 zeigt diesen Typus bei einem eher niederfrequenten Namenpaar: Kamper und Kampert (zu mnd. kamp ‚eingezäuntes Feld‘) finden sich in engem räumlichen Zusammenhang in einem Gebiet von Aachen über das Münsterland
314
Luise Kempf / Jessica Nowak
bis ins Emsland. Diese Karte führt noch einmal vor Augen, dass t-Antritte auch in Räumen außerhalb der Kerngebiete stattgefunden haben.
Karte 4: Verbreitung von Kamper und Kampert (433 und 181 Telef.)
Bei anderen einschlägigen Namenpaaren gestaltet sich der Zusammenhang so: Der er-Name weist ein mittel- bis großräumiges Verbreitungsgebiet auf, an dessen Rand sich der entsprechende ert-Name anschließt. Karte 5 illustriert diesen Typus am Beispiel Stocker/Stockert (Amtsname zu mhd. stocker ‚Gefängniswärter‘): Stocker ist im südlichen Viertel Deutschlands verbreitet, Stockert säumt den Nordrand dieses Gebiets. Vergleichbar ist z.B. Bacher : Bachert (Baden-Württemberg und Bayern : Saarbücken – Mannheim – Odenwald).
Neubert, Grunert, Taubert: die Erweiterung von -er zu -ert
315
Karte 5: Verbreitung von Stocker und Stockert (1838 und 252 Telef.)
Verbreitungsbilder wie diese könnten sich dadurch erklären, dass das zugrundeliegende Lexem nur eine begrenzte, dialektabhängige Verbreitung hatte (Hinweis von K. Kunze, s. auch Nübling 2010, 143). Das Kartenbild des er-Namens spiegelt i.d.R. die areale Verbreitung des betreffenden Lexems wider. Wurde ein solcher Name aus dem Stammgebiet des Lexems hinausgetragen, war er im neuen Gebiet nicht mehr transparent. Daher lag es nahe, ihn an die ebenfalls opak gewordenen zweigliedrigen Rufnamen bzw. aus Rufnamen gebildeten Familiennamen anzuschließen, bei denen sich -ert bereits als Schema herausgebildet hatte. Noch deutlicher wird dieses Prinzip bei Schreiner(t) (Karte 6): Das Appellativum Schreiner ist gebräuchlich etwa südlich einer Linie Lingen – Kassel – Passau (vgl. König 2005, 194, Nübling 2010), gleiches gilt für den Familiennamen Schreiner (7442 Telef.). Im nordöstlichen Teil Deutschlands herrscht dagegen das Lexem Tischler vor. Genau über diesen Raum verteilt sich der Familienname Schreinert, der mit 125 Telef. relativ selten ist. Daher kann er gut auf einzelne Umsiedler zurückgehen, deren Name nicht verstanden und mit einem t erweitert wurde (dagegen Gruner 2270 : Grunert 2158).
316
Luise Kempf / Jessica Nowak
Karte 6: Verbreitung von Schreiner und Schreinert (7442 und 125 Telef.)
Die skizzierten Verbreitungstypen (Nachbarschaft, Randlage und komplementäre Verteilung) spiegeln also den genetischen Zusammenhang beider Namen wider. Ganz anders verhalten sich die auf Verschleifung zurückgehenden ertNamen: Ein entsprechender Name auf -er ist typischerweise deutlich seltener und zeigt eine unabhängige Verbreitung, z.B. Lippert (< Liebhard, Liutberht u.a., 4304 Telef., Oberfranken, Oberpfalz, Aschaffenburg) vs. Lipper (zum Toponym Lippe, 67 Telef., Hannover, Bielefeld).
4. Gründe für den t-Antritt Die zentrale Ursache der t-Erweiterung liegt in der Analogie zu den zahlreichen verschliffenen ert-Namen (vgl. Kap. 1.2). Dieser Faktor wird in Kap. 4.1 namengeographisch vertieft. Kap. 4.2 beschreibt den funktionalen Nutzen der t-Erweiterung. Ein weiterer Faktor ist der phonologisch-typologische Status des Deutschen als Wortsprache (Kap. 4.3).
4.1. Verbreitung potentieller Analogievorlagen (-ert < -hard, -bert, -frid) Die wichtigsten Analogievorlagen für die t-Erweiterung waren die auf -hard, -bert, -frid zurückgehenden ert-Namen. In drei Kartenstudien wurde untersucht, in welchen Gebieten diese Namenglieder zu -ert kontrahiert wurden. Die ent-
Neubert, Grunert, Taubert: die Erweiterung von -er zu -ert
317
sprechenden Regionen waren damit reich an Analogievorlagen und daher als Zentren des analogischen t-Antritts prädestiniert. Für das Namenglied -hard wurden die vollformig erhaltenen Gebhard, Eberhard, Burkhard und Engelhard den verschliffenen Pendants G(e/ö)b(b)ert, E(b/v/w)ert, Bur(g/ck)ert und Englert gegenübergestellt (Karte 7).
Karte 7: Verbreitung unverschliffener vs. verschliffener Namen auf -hard
Die hard-Namen sind weitgehend komplementär zu den entsprechenden ertNamen verbreitet. Das heißt, dass es offensichtlich regionale Präferenzen hinsichtlich Erhaltung vs. Verschleifung gab – und somit auch Gebiete, in denen mehr Namen für analogische Erweiterungen Modell stehen konnten. Für auf -bert und -frid zurückgehende ert-Namen wurden je die zehn häufigsten Fälle in einer Kombinationskarte erfasst (-bert: Siebert, Albert, Ruppert u.a.; -frid: Seif(f)ert, Göpfert, Sie(v/f)ert u.a.). Erstere sind in Mitteldeutschland verbreitet. Der eindeutige Schwerpunkt liegt in genau dem Gebiet am Main, das auch beim Typ -ert auf Karte 7 hervorsticht. Die auf -frid zurückgehenden Namen konzentrieren sich in einem breiten Streifen vom Main über Thüringen und Sachsen bis nach Frankfurt/Oder, treten daneben aber auch in Mittelbaden auf. Fazit: Die Zentren des t-Antritts (der ostmitteldeutsche Raum und Mittelbaden) waren reich an Analogievorlagen. Sekundäre Erweiterungen traten also vor allem in Regionen auf, in denen der Ausgang -ert bereits frequent war. Umgekehrt führte jedoch die Dichte potentieller Analogievorlagen nicht zwangsläufig zur Konzentration sekundärer Erweiterungen, wie sich an der mittleren Mainregion zeigt.
318
Luise Kempf / Jessica Nowak
4.2. Onymische Kennzeichnung Unter 3.2 wurde gezeigt, dass einige t-Erweiterungen gerade außerhalb der Verbreitung des Ursprungslexems auftreten (Schreinert, Stockert u.a.). Die Erklärung ist, dass der betreffende Name dort nicht transparent war und sich daher umso besser den verschliffenen ert-Namen anschließen konnte (wo z.B. Schreiner unverstanden ist, kann er leicht mit Namen wie Reiner, Reinert < Reinhart assoziiert werden). Die Analogiewirkung wurde also durch die Opazität verstärkt. Diese Erklärung drängt sich besonders bei komplementärer oder Randlagen-Verbreitung auf. Doch auch bei Paaren, deren Verbreitungen sich überlappen, kommt sie in Frage, denn der Name kann Jahrhunderte nach der Namengebung opak geworden sein (vgl. 3.1: t-Erweiterungen im 15., 16. und 17. Jh.). Allerdings wurden auch Namen, denen ein transparentes Lexem zugrunde liegt, mit einem t erweitert. Hier ist ein anderer Faktor ausschlaggebend: der Bedarf, Namen vom appellativischen Wortschatz abzugrenzen. Er besteht besonders dort, wo Ambiguitäten auftreten. So kann z.B. Becker im mündlichen Gebrauch eine Fehlreferenz (‚Bäcker‘) auslösen, Beckert hingegen ist eindeutig als Onym gekennzeichnet (vgl. auch Ficker 630/Fickert 539 Telef.; beide im südlichen Sachsen konzentriert). Der Bedarf, Onyme von Appellativen abzugrenzen, erklärt sich aus ihren unterschiedlichen Funktionen und manifestiert sich entsprechend in vielen Sprachen und auf vielerlei Arten (ausführlich Nübling 2005). Z.B. zeigen sich Unterschiede auch auf graphematischer Ebene (Becker : Bäcker, Wolff : Wolf, Schwartz : Schwarz). Einige Sprachen nutzen explizite Strategien, um das Onomastikon vom Lexikon zu dissoziieren. Im Polnischen wird Proprialität mittels onymischer Suffixe markiert. Diese können sich an ein beliebiges Appellativ heften und so einen Familiennamen bilden, z.B. poln. kowal ‚Schmied‘ + -ski > Kowalski oder nowy ‚neu‘+ -ak > Nowak. Daher benötigt eine Sprache wie das Polnische kein opakes Onomastikon, sondern kann die transparenten Lexeme aus dem appellativischen Wortschatz nutzen. Die Distinktivität der Familiennamen ist dank der onymischen Suffixe gewährleistet (Szczepaniak 2005, 295–308). Die Funktion, die die t-Erweiterung im Deutschen leistet, ist damit vergleichbar. Ein Familienname wird durch das t von dem zugrundeliegenden Appellativ auf -er abgesetzt und gegebenenfalls disambiguiert (vgl. BäckerAPP vs. BeckertFAMN). Zudem signalisiert der Output -ert den onymischen Status, da dieser Ausgang untypisch für Appellative ist, dafür aber bei einer Vielzahl von Familiennamen bereits vorkam (Nübling 2010). Man kann also sagen, dass hier Ansätze onymischer Morphologie bestanden haben. Diese konnten jedoch durch die relativ frühe Fixierung der Familiennamen ihre Produktivität nicht weiter entfalten.
Neubert, Grunert, Taubert: die Erweiterung von -er zu -ert
319
4.3. Die frühneuhochdeutsche t-Epenthese Ein weiterer Faktor ist die Entwicklung des Deutschen von einer Silben- zu einer Wortsprache (zu Details s. Szczepaniak 2007). Gerade im Fnhd. verstärken viele Wandelprozesse die Profilierung des phonologischen Worts, darunter die fnhd. Konsonantenepenthese. Hierbei wird an eine konsonantisch auslautende Silbe ein Plosiv (meist d oder t) angefügt, wie in mon > Mond, nieman > niemand, obez > Obst, bâbes > Papst. Durch die t-Epenthese wird der Wortrand exponiert, indem ein Konsonant mit maximaler konsonantischer Stärke den Auslaut bildet und das Wortende signalisiert. Im Gegensatz zur fnhd. t-Epenthese in der Appellativik, bei der der Dental vornehmlich an auslautendes -n oder -s antritt (s. Bsp. oben; vgl. Ebert/Reichmann 1993, 97; Moser 1951, 169), konzentriert sich die t-Erweiterung bei Familiennamen auf die Positionen -er und -el (s. 3.1). Sie führt jedoch auf die gleiche Weise zur Verstärkung des Wortrands. Die t-Erweiterung kann also, neben den anderen Faktoren, auch mit der wortsprachlichen Tendenz des Deutschen in Zusammenhang stehen.
5. Zusammenfassung Die vorliegende Studie beleuchtet den t-Antritt an Namen auf -er aus der Perspektive der Familiennamengeographie. Durch den Aufbau eines geeigneten Samples und dessen Darstellung in einer Kombinationskarte (Karte 2) kann die Annahme bestätigt werden, dass sich t-Antritte im ostmitteldeutschen Raum besonders häufen. Zudem tritt Mittelbaden als zweites Zentrum hervor. Daneben zeigen Einzelfallkarten, dass t-Erweiterungen auch in vielen anderen Gebieten auftreten konnten. Es handelt sich also um ein überregionales Phänomen mit regionalen Ballungszentren. In Kap. 3 wurde untersucht, welche Evidenzen für eine t-Erweiterung (vs. Verschleifung) sprechen. Neben den historischen Quellen sind auch hier Kartierungen aufschlussreich. Die Verbreitung einschlägiger Namen zeigt typischerweise einen Zusammenhang zur Verbreitung des zugehörigen er-Namens. In Kap. 4 wurden Faktoren beschrieben, die zur t-Erweiterung geführt bzw. ihre Produktivität verstärkt haben können. Die wichtigste Rolle spielte die Analogie zu Namen auf -ert < -hard, -frid, -bert: Die Verbreitung dieser musterbildenden Namen war offenbar eine Voraussetzung für die Produktivität der tErweiterung. Einerseits wurden nicht (mehr) transparente Namen (Schneider(t), Stocker(t)) leicht mit den verschliffenen ert-Namen in Verbindung gebracht und an ihr Ausgangsschema angeschlossen. Andererseits konnte bei transparenten Namen der Bedarf nach onymischer Markierung ebenfalls die analogische tErweiterung verstärken. Zudem stellt der t-Antritt eine wortsprachliche Optimierung dar, die sich in den phonologisch-typologischen Wandel des Deutschen zu einer Wortsprache einfügt.
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Luise Kempf / Jessica Nowak
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Internetadressen Genevolu, http://gen-evolu.de (Stand: 29. 3. 2009).
Rosa Kohlheim / Volker Kohlheim
Eine Innovation im deutschen Familiennameninventar: Deutsch-türkische Homographien
Abstract Interlingual homographs of surnames are an innovation in the realm of German surnames. Whereas, it is a well-known fact that there exists a certain amount of German-Slavic surname homographs within Germany, the onymic consequences of Turkish immigration are hardly ever recognized. This paper explains the linguistic reasons for the existence of these interlingual homographs and establishes three main categories of this phenomenon: set 1 contains the few German-Turkish surname homographs whose elements have the same etymology, i.e., surnames which in German go back to Turkish loans, set 2 consists of those homographs which – often erroneously – appear semantically transparent, and set 3 contains the semantically opaque German-Turkish surname homographs.
1. Zur Einführung: Ist Kalender etwa kein deutscher Familienname? Dass es einen deutschen Familiennamen1 Kalender gibt, dürfte nicht jedem bekannt sein. Und doch gehört er laut dem Onlinedienst Geogen von Christoph Stöpel2 zu den Namen mit normaler Häufigkeit: Er kommt 214mal in Deutschland vor, relativ gut verteilt über das gesamte Gebiet, mit Schwerpunkten in den industriellen und bevölkerungsreichen Gebieten des Ruhrgebiets, Hamburgs und Berlins (vgl. Karte 1: Die Verbreitung von Kalender, s. Anhang S. 388). Woher kommt dieser eigenartige Name? Im Duden-Familiennamenlexikon ist er nicht enthalten; dafür ist er zu selten (Kohlheim/Kohlheim 2005). Auch Brechenmacher 1957–1963 und Naumann (1994) führen ihn nicht; bei Gottschald 2006, 278 findet sich immerhin ein Verweis unter Kalenscher,3 auch bei Bahlow 1980, 270 unter Kaland, Kalander, doch richtig fündig wird man erst bei Zoder, der den Familiennamen Kalender mit den spätmittelalterlichen Kalandsbruderschaften in Verbindung bringt (Zoder 1968, 1, 837). –––––––— 1
2 3
Im Rahmen des gegenwärtigen namentheoretischen Diskurses ist es nicht mehr möglich, unreflektiert von der Häufigkeit „eines Namens“ zu sprechen. Es sei daher einleitend festgestellt, dass der Terminus „Name“ im Folgenden durchgehend vereinfachend für die abstrakte Einheit des „Nomems“ im Sinne von Kohlheim/Hengst 2004, 17–31 bzw. des „proprialen Lemmas“ im Sinne von Van Langendonck 2007 oder des „Archinomems“ (der „Namensform“) im Sinne von Brendler 2008 verwendet wird. Stöpel, Christoph, geogen, http://christoph.stoepel.net/geogen/v3/ (Stand: 15. 9. 2008). Die hier s.v. (kaland) aufgeführte Form Calender ist im Telefonbuch für Deutschland, DeTeMedien, CD-ROM o.J. (Stand 1998) allerdings nicht nachweisbar.
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Rosa Kohlheim / Volker Kohlheim
Diese hatten sich in Nord- und Ostdeutschland aus ursprünglich geistlichen Vereinigungen gebildet, die sich am ersten Tag jeden Monats, den Kalenden, zur Beratung oder auch zum Gebet trafen. Später wurden auch Laien beiderlei Geschlechts aufgenommen; man setzte sich nun nicht mehr am Monatsersten zusammen, sondern meist zweimal im Jahr bei einer ausgiebigen Mahlzeit, die zu einem üppigen Gelage ausarten konnte (Hoffmann 1991, Sp. 864f.). So nimmt das mittelniederdeutsche Wort kalant den Nebensinn ‚üppige Schmauserei‘ an (Lübben 1995, 166). Grimms Deutsches Wörterbuch kennt auch das Verb kaländern ‚schmausen, jubeln‘ und zitiert aus Cramers Pommerscher Chronik von 1602 den Satz: „er caländert die ganze woche durch, per omnes hebdomadis dies in taberna sedet et bibit“ (Grimm/Grimm 1984, Bd. 11, Sp. 50). Man wird daher den Familiennamen Kalender entweder als Übernamen für ein Mitglied einer Kalandsbruderschaft oder für einen trink- und fresslustigen Menschen interpretieren. Eines ist allerdings auffällig. Kalandsbruderschaften gab es nur im Norden und Osten Deutschlands (Hoffmann 1991, Sp. 864); dennoch kommen Träger des Namens Kalender auch im Südwesten Deutschlands vor, wenn auch nicht sehr zahlreich. Sollte gerade bei diesem Namen die Beobachtung, die nachmittelalterliche Binnenwanderung sei nicht so bedeutend gewesen, dass sie das heutige Verbreitungsbild maßgeblich hätte beeinflussen können (Kunze 1990, 7; Kunze/Nübling 2007, 132),4 ausgerechnet in diesem Fall nicht stimmen? Sieht man sich daraufhin nicht nur die Karte, sondern das digitalisierte Telefonbuch selbst an,5 macht man einen zunächst verblüffenden Fund: Die meisten Kalender, die im Süden Deutschlands wohnen, haben türkische Vornamen,6 was die von Kunze/Nübling angestellte Beobachtung bestätigt: keine nachmittelalterliche Binnenwanderung, sondern Immigration aus der Türkei ist für einen beträchtlichen Teil der südwestdeutschen wie auch der übrigen Nachweise des Familiennamens Kalender verantwortlich. Im Ruhrgebiet überwiegen zwar die deutschen Vornamen, doch sind die türkischen auch recht häufig vertreten. In Berlin und Hamburg sind die Einträge mit türkischen Vornamen wiederum in –––––––— 4
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Hellfritzsch 2005, 69 spricht von den „trotz aller Bevölkerungsbewegungen der Vergangenheit erstaunlich gut erhaltenen historischen anthroponymischen Verbreitungsgebiete[n]“. Hier und im Folgenden wurde die CD-ROM DeTeMedien, Telefonbuch für Deutschland (Stand 1998), benutzt. Ausgewertet wurden nur die Einträge, die ausgeschriebene Vornamen enthalten. Einträge von Firmen, Vereinen und Bindestrichnamen wurden nicht berücksichtigt, ebensowenig – soweit erkennbar – doppelte Einträge. Da der Vorname Kurt deutsch und türkisch sein kann, blieben die entsprechenden Belege unberücksichtigt. Bei Einträgen mit deutschen weiblichen Vornamen ist zu beachten, dass es sich hierbei gelegentlich um einen durch Heirat erworbenen türkischen Familiennamen handeln kann. Ferner muss man in manchen Fällen mit einer falschen Wiedergabe der Namensequenz (z.B. Adem, Demirci [‚Schmied‘] und Adem, Avci [‚Jäger‘] statt Demirci, Adem und Avci, Adem) rechnen. Die 22 Telefonbucheinträge für Kalender im Postleitzahlbereich 7… ergeben folgendes Bild: 13 Einträge mit türkischen Vornamen, 6 Einträge mit deutschen Vornamen (davon 3 mit weiblichen Vornamen), 3 Einträge ohne Vornamen.
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der Überzahl. Es gibt also offensichtlich auch einen türkischen Familiennamen Kalender, sicher nicht genau homophon, aber doch homograph mit dem deutschen Familiennamen. Natürlich hat er etymologisch nichts mit dem deutschen Namen zu tun. Das türkische Appellativ kalender, von dem auch der Familienname kommt, ist persischen Ursprungs. Ein qalandar war im alten Orient ein bettelnder Derwisch. Zufälligerweise ist bei diesem Begriff eine ähnliche Bedeutungsverschlechterung eingetreten wie beim deutschen Kaland/Kalender: Der geistliche Bezug ist in der heutigen Bedeutung ganz verlorengegangen; das bettelnde Herumziehen brachte auch den orientalischen qalandars einen zweifelhaften Ruf ein, sodass man im heutigen Türkeitürkischen unter einem kalender jemanden versteht, der sich eigenbrödlerisch bis bohemienhaft verhält.7 – Die bei der Vornamenkontrolle gemachte Beobachtung kann noch einmal anhand zweier weiterer Verbreitungskarten verdeutlicht werden. Es gibt, wenn auch seltener, neben dem deutschen Familiennamen Kalender auch den Namen Kaland. Da es hier keine interlinguale Homographie gibt, erscheint er erwartungsgemäß nur im Norden Deutschlands (vgl. Karte 2: Die Verbreitung von Kaland, s. Anhang S. 388). Zur Verdeutlichung sei noch die Verbreitung eines ausschließlich türkischen Familiennamens gezeigt. Es wurde absichtlich nicht der in der Türkei und in Deutschland häufigste türkische Familienname gewählt (das ist YÕlmaz ‚der sich nicht fürchtet‘, wohl eine Bildung des frühen 20. Jahrhunderts). Dann wäre im Bereich der alten Bundesrepublik kein weißer Fleck geblieben. Auch YÕldÕrÕm (‚Blitz‘) ist mit rund 2.600 Einträgen immer noch recht häufig. Die flächenmäßige Verteilung ähnelt der von Kalender, aber nicht der von Kaland (vgl. Karte 3: Die Verbreitung von YÕldÕrÕm, s. Anhang S. 389).
2. Gründe für deutsch-türkische Familiennamen-Homographien Es hat sich also herausgestellt, dass sich selbst hinter einem scheinbar so eindeutig deutschen Familiennamen wie Kalender auch ein Name türkischer Herkunft verbergen kann. In einem Artikel in der Zeitschrift „Zunamen“ haben wir auf mögliche Fehlerquellen, die sich dadurch ergeben, dass interlinguale Homographien bei der Interpretation von Verbreitungskarten nicht erkannt werden, anhand des Familiennamens Blaha hingewiesen, der überraschenderweise, wie wir durch die Zuschrift eines Benutzers unseres Familiennamenlexikons erfuhren, nicht nur tschechischer, sondern auch südwestdeutscher Herkunft sein kann (Kohlheim/Kohlheim 2007, 61–65). Während nun das Bewusstsein für die Existenz einer großen Schicht slavischer Familiennamen in Deutschland bei Namenforschern und wohl auch Laien vorhanden ist, hat man sich über die onomastischen Folgen der türkischen Immigration in Fachkreisen bislang kaum –––––––— 7
Es sei an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Klaus Kreiser für diese Information und zahlreiche weitere wertvolle Auskünfte herzlich gedankt!
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Gedanken gemacht. Tatsächlich sind aber türkisch-deutsche Homographien bei Familiennamen gar nicht so selten. Da es wenige Namenforscher gibt, die einen gleich guten Überblick über deutsche wie türkische Familiennamen haben – auch wir rechnen uns keinesfalls dazu – erkennt man nicht immer die entsprechenden homographen Namenpaare und interpretiert daher ohne Kontrolle der Vornamen manchen Namen oder manche Verbreitungskarte falsch. Als „Hauptproblem und Crux der Anthroponomastik“ hat daher (allerdings, wie er selbst sagt, etwas „überspitzt“) Walter Wenzel die anthroponymische Homonymie einmal erklärt (Wenzel 2009, 48). Um zu verdeutlichen, wieso es zu den recht zahlreichen graphischen Übereinstimmungen zwischen deutschen und türkischen Familiennamen kommen kann, sind einige Erläuterungen zu den türkischen Familiennamen und ihrer Orthographie nötig.
2.1. Orthographische Gründe für Homographien Zwei Reformen der frühen kemalistischen Türkischen Republik sind in diesem Zusammenhang wichtig: Die erste betrifft die Orthographie. Bis 1928 wurde das Türkische in arabischer Schrift geschrieben; die dann eingeführte lateinische, im wesentlichen phonemische Orthographie (Jastrow 1985, 103) übernahm für die zahlreichen Umlaute der türkischen Sprache die deutschen Umlautschriftzeichen, was nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass sich zumindest im Schriftbild deutsche und türkische Namen ähneln können. Die zweite große Reform betrifft die Namen selbst: Als „eine Art Schlusspunkt in der Serie spektakulärer Kultur- und Rechtsreformen“ (Kreiser (im Druck)) wurde nach längeren Vorbereitungen am 21. Juni 1934 ein aus 15 Artikeln bestehendes Familiennamengesetz erlassen, das jedem Bürger der Türkischen Republik die Führung eines festen Familiennamens vorschrieb (Jastrow 1985, 101; Kreiser (im Druck); Zengin 2007, 770). Zwar gab es auch schon vorher Beinamen, doch war deren Gebrauch nicht fest geregelt.8 Die Betroffenen konnten ihre Familiennamen selbst wählen; es gab aber auch Listen, aus denen Unentschlossene sich ihre Namen aussuchen konnten, „wenn sie ihnen nicht einfach aufgezwungen wurden“ (Kreiser (im Druck)). „Rangbezeichnungen, Beamtentitel und die Namen von Stämmen, fremder Rassen und Nationen sowie im Widerspruch zu allgemeinen guten Sitten stehende als auch abstoßende und lächerliche Familiennamen“9 durften nicht angenommen werden. Vor allem war aber „die Schaffung einer homogenen Namenslandschaft als Korrelat einer unwandelbaren Nation“ (Kreiser (im Druck)) beabsichtigt. Da dieser Vorgang nicht allzu weit zurückliegt, sind die meisten türkischen Familiennamen semantisch transparent. –––––––— 8
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Offensichtlich verhielt es sich in der Türkei genau umgekehrt wie im Westen: Waren es in Europa die Städter, die im Mittelalter bei der Einführung der Familiennamen vorangingen, so besaßen in der Türkei die Bauern längst patronymische Beinamen, als die Städter sich noch mit ihrem Vornamen nannten; vgl. FÕndÕko÷lu 1969, 235. Artikel 3 des Familiennamengesetzes (SoyadÕ kanunu), zit. nach Kreiser (im Druck).
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Trotzdem kann es vorkommen, dass türkische Familiennamen nicht ohne weiteres verständlich sind, da „häufig […] Wörter und Namen höchst zweifelhafter Provenienz ausgewählt [wurden], die schon für die zweite Generation zum Rätsel werden konnten“ (Kreiser (im Druck)). Auch mit „Übertragungsfehler[n] der Beamten“ (Kreiser (im Druck)) muss gerechnet werden. Dennoch lassen sich die türkischen Familiennamen meist problemlos auf ihre vorpropriale Grundlage zurückführen.
2.2. Formale Gründe Formal sind die türkischen Familiennamen sehr vielfältig. Jastrow 1985 unterscheidet 10 Typen: 1. Primäre und deverbale Substantive (ùahin ‚Falke‘, Sevinç ‚Freude‘), 2. Substantive, die Berufe oder Tätigkeiten bezeichnen (Demirci ‚Schmied‘, AvcÕ ‚Jäger‘), 3. Primäre Adjektive (AydÕn ‚hell‘, Zengin ‚reich‘), 4. Abgeleitete Adjektive (Köprülü ‚von der Brücke‘, Dereli ‚aus dem Tal‘), 5. Adjektiv + Substantiv (Akbulut ‚weiße Wolke‘, Karakaya ‚schwarzer Fels‘), 6. Substantiv + Substantiv (Ertürk ‚Mann‘ + ‚Türke‘, Eraslan ‚Mann‘ + ‚Löwe‘), 7. Partizipien (YÕlmaz ‚der sich nicht fürchtet‘, Yaúar ‚lebend‘), 8. Partizip + Substantiv (Gülenay ‚lachender Mond‘), 9. Imperativbildungen (Ünal ‚nimm Ruhm!‘), 10. Ältere Namen, wozu auch geographische Namen und Rufnamen gehören (Aral, Eyüp; auch die Bildungen mit -o÷lu ‚Sohn‘, z.B. Sinano÷lu) (Jastrow 1985, 104–108). Die hohe Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von deutsch-türkischen Homographien ist auch im äußeren Erscheinungsbild der türkischen Sprache begründet. Obwohl sie als agglutinierende Sprache gänzlich anders als die deutsche gebaut ist, tragen insbesondere der einfache Silbenbau sowie die den deutschen Distributionsregeln weitgehend entsprechende Distribution der Vokale und Konsonanten im Türkischen dazu bei, dass, um es vereinfacht auszudrücken, manche Namen wie deutsche aussehen. So können türkische Appellative und Propria wie deutsche mit einem Konsonanten enden, und schon der häufige Wortausgang auf -er kann zu Homographien führen. Das türkische Wort er bedeutet ‚Mann, mutiger Mann‘. Es erscheint als erster Bestandteil bei Familiennamen wie Erdo÷an, was ‚Mann‘ und ‚Falke‘ heißt, aber genauso gut als zweiter, zum Beispiel bei Eler.10 Dieser Name enthält el ‚Hand‘ und er ‚Mann‘. Und tatsächlich haben wir hier schon eine Homographie, denn Eler ist auch ein deutscher Familienname, eine Nebenform von Ehler mit h, ein Name, dem die alten Rufnamen Adelhard oder Agilhard zugrunde liegen. Außerdem ist -er aber auch eine türkische Partizipialendung, die den gewohnheitsmäßigen oder potenziellen Täter bezeichnet. Hierzu gehört zum Beispiel das bekannte Wort
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24 Einträge im Telefonbuch, davon weisen 10 Einträge türkische Vornamen auf.
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döner. Als Familienname bedeutet es ‚der Zurückkehrende‘.11 Außerdem kann -er als Endung in Lehnwörtern erscheinen.
3. Differenzierung der deutsch-türkischen Homographien nach etymologischen Gesichtspunkten 3.1. Identische Etymologie Man kann die türkisch-deutschen onymischen Homographien in drei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe enthält jene wenigen Namen, deren Etymologie im Türkischen wie im Deutschen gleich ist. Dabei kann man wiederum differenzieren in Namen türkischer Herkunft und Namen anderssprachiger Herkunft. Für die erste Untergruppe haben wir nur ein Beispiel gefunden, den allerdings recht häufigen Familiennamen Türk (2.343 Einträge im Telefonbuch). Verblüffenderweise gibt es mehr als viermal so viele Deutsche, die Türk heißen, wie Türken. Die ca. 160 Deutschen, die den Namen Türck mit ck tragen, sind hier natürlich nicht mitgerechnet, da es den Digraphen ck im Türkischen nicht gibt. Aufgrund der Vornamen kann man feststellen, dass in manchen Gebieten (z.B. Ruhrgebiet, Westfalen, Hannover, Pfalz) die Häufigkeit des Familiennamens Türk maßgeblich durch den türkischen Anteil beeinflusst wird.12 Auch im Südwesten, dem Hauptgebiet des deutschen Familiennamens Türk, finden sich mehrere Einträge mit türkischen Vornamen. Hingegen spielt der türkische Familienname in anderen Gebieten (z.B. Ober- und Niederbayern, Oberpfalz, Oberfranken, Münsterland, Ostfriesland und den Neuen Bundesländern) keine Rolle. Diese Verteilung der beiden Familiennamen müsste bei einer Kartierung berücksichtigt werden. – Dass sich zahlreiche Türken Türk, also ‚Türke‘ nannten, als sie dazu aufgefordert wurden, sich einen Familiennamen auszusuchen, überrascht nicht: In der neu gegründeten Türkischen Republik dachte man sehr national und war stolz darauf, Türke zu sein. Wesentlich häufiger als der Name Türk ist daher der Name Öztürk ‚reiner Türke‘. Der deutsche Familienname Türk ist unterschiedlich motiviert. Man kann einerseits von einem Übernamen ausgehen, der ursprünglich jemanden bezeichnete, der in die Türkei gekommen war oder an einem der zahlreichen Türkenfeldzüge teilgenommen hatte (in sehr seltenen Fällen auch von Nachkommen türkischer Gefangener), andererseits auch von einem Hausnamen Zum Türken. Und gelegentlich kann es sich sogar um einen Herkunftsnamen zu den Ortsnamen Thürk in Schleswig-Holstein oder Türkheim in Baden-Württemberg und Bayern handeln. –––––––— 11
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Jastrow 1985, 102, der bereits auf das Phänomen der türkisch-deutschen Homographien hinweist, kann Döner im Nürnberger Telefonbuch von 1981/82 auch als deutschen Familiennamen nachweisen. Der Familienname Türk wird von Kunze/Kunze 2003, 149, Fußnote 86 als Beleg für Apokope gewertet. Ob hierbei die türkischen Namenträger zuvor ausgegliedert wurden, geht aus dem Text nicht hervor.
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Für die zweite Untergruppe der Namen mit identischer Etymologie, die Namen, die in beiden Sprachen aus einer Drittsprache entlehnt sind, möge der Name Sultan (160 Einträge im Telefonbuch) als Beispiel dienen. Sultan ist im Türkischen ein Lehnwort aus dem Arabischen. Wie bei dem deutschen gleichlautenden Namen dürfte es sich auch im Türkischen ursprünglich um einen Übernamen handeln, den jemand erhielt, der wie ein Sultan auftrat. Allerdings finden sich neben zahlreichen türkischen nur wenige deutsche Namensträger. Die häufigere deutsche Form ist Soldan. In diesem Namen hat sich die mittelhochdeutsche Schreibweise erhalten, in der das Wort ursprünglich entlehnt wurde. Allerdings kann der deutsche Familienname Soldan auch auf ein mittelhochdeutsches Wort für jemanden, der um Sold diente, also einen Söldner oder Soldaten, zurückgehen.
3.2. „Falsche Freunde“ 3.2.1. Scheinbare Entlehnungen aus dem Türkischen ins Deutsche Die zweite Hauptgruppe besteht aus türkisch-deutschen Homographien, die im Deutschen auf den ersten Blick als semantisch transparent erscheinen.13 Auch hier können wir in zwei Untergruppen differenzieren: Die erste Untergruppe besteht aus Namen, die wie Entlehnungen aus dem Türkischen wirken, die aber in Wirklichkeit gänzlich anderer Herkunft sind. Der häufigste dieser Namen ist Osman (rund 600 Einträge im Telefonbuch). Mit einem n geschrieben, ist dieser Familienname fast ausschließlich türkisch oder arabisch. Es handelt sich dabei natürlich um den alten Namen arabischer Herkunft, der namenstiftend für die Dynastie der Osmanen war. Einige Telefonbucheinträge sind aber eindeutig deutsch. Dann liegt eine seltene Schreibung des niederdeutschen Familiennamens Osmann – gewöhnlich mit Doppel-n geschrieben – vor, der auf den gleichlautenden altsächsischen Rufnamen zurückgeht. Auch unter Osmann mit Doppel-n finden sich einige Einträge mit türkischen Vornamen. Hierbei dürfte es sich in jedem Fall um ein Versehen handeln. – Als weiterer Name in dieser Gruppe wäre der allerdings sehr seltene Name Derwisch (10 Einträge im Telefonbuch, zwei eindeutig türkisch) zu nennen. Die Bedeutung des türkischen Namens ist klar; es handelt sich um einen Übernamen nach dem religiösen Orden. In der Schreibung Derwisch liegt natürlich eine Assimilation an das deutsche Schreibsystem vor; das Türkische kennt weder ein w noch den Trigraphen sch. Das Phonem /6/ wird im Türkischen durch ú wiedergegeben; hierfür steht im deutschen Telefonverzeichnis vereinfacht s. Erwartungsgemäß finden sich unter dem teilassimilierten Eintrag Dervis nur Türken. Was aber –––––––— 13
Semantische Transparenz bei Propria lässt sich nicht universal definieren und hängt ab von der sprachlich-kulturellen Kompetenz des jeweiligen Sprechers. Auf jeden Fall haben auch Resemantisierungen als transparent zu gelten; vgl. grundlegend hierzu WindbergerHeidenkummer 2001, 278–282.
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bedeutet der deutsche Familienname? Er ist ausschließlich norddeutsch. Nun ist wisch die mittelniederdeutsche Form von ‚Wiese‘. Derwisch ist also die verkürzte Form eines Wohnstättennamens by der Wisch oder van der Wisch. Beide Namen sind bei Zoder belegt: Arnd by der Wisch für 1365 im Neubürgerverzeichnis von Hannover und Beneke van der Wisch für 1395 in Hildesheim (Zoder 1968, Bd. 2, 834).
3.2.2. Scheinbare Entlehnungen aus dem Deutschen ins Türkische Die zweite, umfangreichere Untergruppe besteht aus denjenigen Namenhomographien, bei denen der türkische Teil scheinbar wie aus dem Deutschen entlehnt wirkt. Ein Beispiel hierfür war uns bereits im Namen Kalender begegnet. Ein weiteres Beispiel ist der bekannte Name Kaplan (1.153 Einträge im Telefonbuch). Bei rund 65% der Einträge handelt es sich um Türken. Diese Einträge müssten also vor einer kartographischen Auswertung aussortiert werden. Der deutsche Familienname ist als Übername zu mhd. kappellƗn entstanden, das türkische Appellativ kaplan bedeutet ‚Leopard‘ oder ‚Panther‘. – Etwa genauso häufig wie Kaplan ist der Familienname Kurt im Telefonbuch verzeichnet (1.167 Einträge). Auch hier überwiegen (ca. 61%) die Einträge mit türkischen Vornamen, allerdings nicht so deutlich wie bei Kaplan. Die Namensform Kurt, die im Deutschen aus der kontrahierten Form des Rufnamens Cuonrat entstanden ist, bedeutet im Türkischen ‚Wolf‘. Durchsichtig erscheint auch der Familienname Hayder, der 56-mal im Telefonbuch verzeichnet ist. Bei dem deutschen Familiennamen handelt es sich um einen Wohnstättennamen zu mhd. heide ‚unbebautes, wild bewachsenes Land‘. Wie ist aber der vereinzelt auftretende türkische Familienname Hayder zu erklären? Hier liegt – wie im Fall von Osmann – eine bei der Eintragung wahrscheinlich unabsichtlich entstandene Assimilation des türkischen Namens Haydar vor. Bei Haydar handelt es sich um eine Entlehnung aus dem Arabischen: Haidar (‚Löwe‘) war der Beiname Alis, des Schwiegersohns Mohammeds und ersten Imams der Schiiten (7. Jh.). Als deutscher Familienname ist Dal die niederdeutsche Form des hochdeutschen Wohnstättennamens T(h)al. Häufiger ist jedoch der homographe türkische Name Dal mit der Bedeutung ‚Zweig‘. Zahlreich sind die türkischen Komposita mit Dal-, zu denen noch Ableitungen vom Verbalstamm dal- (u.a. ‚tauchen‘) kommen, z.B. der türkische Familienname Dalman,14 homograph mit einer deutschen Variante des häufigeren Namens Dalmann. Nur Norddeutsche werden bei den Familiennamen Dede und Tepe vielleicht noch erkennen, dass ihnen alte Rufnamen zugrunde liegen. Dede ist aus einer Kurzform von niederdeutschen Rufnamen, die mit Ded-/Det- beginnen, z.B. –––––––— 14
Türk. Dalman ist ein schwierig zu etymologisierender Name. Möglich wäre eine Bildung zum Verbalstamm dal-. Der Name könnte dann ‚Taucher‘ bedeuten. Von den 36 Einträgen für Dalman im deutschen Telefonbuch weisen 26 eindeutig türkische Vornamen auf.
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Dederich, hervorgegangen. Tepe geht auf eine niederdeutsch-friesische Kurzform von Rufnamen wie Detbolt zurück. Der häufigere Name ist Tepe (rund 800 Einträge). Bei ca. 15% der auswertbaren Einträge handelt es sich um Türken. Auf türkisch bedeutet tepe ‚Berggipfel, Hügel‘. Dede ist mit rund 400 Einträgen halb so häufig wie Tepe, dafür liegt hier der türkische Anteil mit rund 40% höher. Ihm liegt das türkische Appellativ dede ‚Großvater, Ahn‘ zugrunde; die Wahl dieses Familiennamens erfolgte aber meist nach Dede Korkut, dem Helden eines oghusischen Epos (Schimmel 1989, 79).15 – Was auf türkisch tepe bedeutet, nämlich ‚Bergspitze‘, kann dem niederdeutschen Wohnstättennamen Top zugrunde liegen. Dieser Name, der auch auf mnd. top ‚Zopf, Schopf, Büschel‘ zurückgehen kann, wird zwar heute wesentlich häufiger mit auslautendem Doppel-p geschrieben, doch erscheinen zwischen den mehrheitlich türkischen Einträgen für diesen Namen auch einige deutsche. Auf türkisch bedeutet top ‚Kanone‘. – Sehr selten ist der Familienname Armut (19 Einträge im Telefonbuch). Er wirkt gewiss nicht türkisch, und doch ist er es in der Schreibung mit auslautendem -t fast ausschließlich;16 die als deutsch erkennbaren Namen schreiben sich alle mit auslautendem -th, ein schönes Beispiel für graphematische Dissoziierung im proprialen Bereich (vgl. Höfler 1993, 16f.; Nübling 2005, 248–263). Es handelt sich in beiden Sprachen um einen Übernamen; im Deutschen für einen armen Menschen, im Türkischen für einen Obsthändler oder -bauern, denn auf türkisch heißt armut ‚Birne‘. Derartige graphematische Differenzierungen, die natürlich nicht erst durch die Konkurrenz des Türkischen aufgekommen sind, finden sich öfter, vor allem bei Namen mit UmlautInitialen. So erscheint bei deutschen Familiennamen für anlautendes Ö- in der Regel Oe-; bei türkischen sollte eigentlich nur der Umlaut Ö- erscheinen, doch tritt, sicher aus Versehen, auch gelegentlich Oe- auf. – Bei dem Familiennamen Berber (251 Einträge im Telefonbuch) denkt man an den deutschen Namen für die hamitischen Bewohner Nordafrikas. Bei 157 Einträgen handelt es sich aber nach den vorliegenden Vornamen um Türken. Dem deutschen Familiennamen liegt ein Herkunftsname zu dem Ortsnamen Berber, heute Ortsteil von Kevelaer, zugrunde. Interessant ist der türkische Familienname. Er ist ein Berufsname zu dem türkischen Lehnwort berber, das aus dem Französischen übernommen wurde und ‚Barbier‘ bedeutet. Das heutige Türkeitürkische ist eine Sprache mit zahlreichen Lehnwörtern. Von den 77407 Lemmata, die die Ausgabe von 2005 des Türkçe Sözlük, des Türkischen Wörterbuchs der Türkischen Sprachgesellschaft TDK (Türk Dil Kurumu), enthält, sind 19% Lehnwörter (Aktaú 2008, 72). Dass dabei das Arabische die erste Stelle –––––––— 15
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Nach A. Schimmel 1989, 81 spielte die Anknüpfung an alte türkische Ideale und Helden eine Rolle bei der Prägung der modernen Familiennamen. Die Familiennamen Gün (‚Sonne‘), Ay (‚Mond‘), YÕldÕz (‚Stern‘), Kök (‚Himmel‘), Ta÷ (‚Berg‘) und Tengiz (= deniz ‚Meer, Ozean‘) wurden oft deshalb gewählt, weil sie die Namen der sechs Söhne des legendären Helden O÷us Khan sind. Von den 19 Einträgen für Armut im deutschen Telefonbuch weisen 17 eindeutig türkische Vornamen auf, bei 2 Einträgen handelt es sich um weibliche Personen, die geläufige deutsche Vornamen tragen.
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einnimmt, ist bei einem islamischen Land zu erwarten. Danach folgen aber bereits die Lehnwörter aus dem Französischen. Nahezu alle Begriffe, die man aus dem westlichen Kulturbereich übernahm, wurden im Gewand der ehemaligen Sprache der Diplomatie, des Französischen, übernommen. Erst an dritter Stelle folgen Lehnwörter aus dem Persischen – mit Kalender war uns bereits ein solches begegnet – und weit abgeschlagen, an achter Stelle, Lehnwörter aus dem Deutschen.17 – In Schwaben wird man vielleicht den heimischen Familiennamen Bay noch mit dem gleichlautenden Flurnamen in Verbindung bringen, der ‚kleine Schlucht‘ bedeutet.18 Bei den meisten Trägern des recht häufigen Familiennamens (952 Einträge) handelt es sich tatsächlich um Deutsche, knapp ein Zehntel aber sind Türken. Sie tragen einen Übernamen nach türkisch bay mit der Bedeutung ‚Herr‘.
3.3. (Scheinbar) semantisch opake homographe Namen Obwohl die Einschätzung hier sicher subjektiv ist, kann man eine dritte Hauptgruppe türkisch-deutscher Namenhomographien aufstellen, welche diejenigen Namen enthält, die für den sprachwissenschaftlich nicht ausgebildeten Sprecher des Deutschen in der Regel semantisch undurchsichtig, opak sind. Auch hier kann man wieder in zwei Untergruppen differenzieren, nämlich in eine erste mit denjenigen Namen, die der unvoreingenommene Sprecher des Deutschen eher für fremdsprachig als für deutsch halten wird, und eine zweite, welche die eher deutsch wirkenden Namen enthält.
3.3.1. Dem Phänotyp nach türkisch wirkende homographe Namen Wir eröffnen die erste Untergruppe mit dem Namen Ay, nicht zuletzt deswegen, weil wir bei der Erstellung unseres Duden-Familiennamenlexikons diesen Namen zunächst selbst falsch, d.h. als nur türkisch, eingeschätzt hatten und erst durch eine Leserzuschrift darauf aufmerksam gemacht wurden, dass der Name Ay auch deutsch sein kann. In der zweiten Auflage konnte dieses Versehen dann korrigiert werden. Wir waren allerdings nicht unvorbelastet, denn durch die Bearbeitung der häufigsten türkischen Familiennamen in Deutschland für unser Lexikon war uns bekannt, dass ay auf türkisch ‚Mond‘ bedeutet und sowohl alleinstehend als auch in zahlreichen Verbindungen als Vor- und Familienname Verwendung findet. Tatsächlich ist die Mehrheit der 670 Telefonbucheinträge eindeutig türkisch, doch lassen sich die deutschen Teilnehmer nicht übersehen. Der deutsche Familienname Ay ist am ehesten zu einem mit dem Namenwort –––––––— 17 18
Alle Angaben nach Aktaú 2008. Vgl. Klausmann 2007, 187: „Eindeutig ist die Herleitung des Namens Bay (Murrhardt) von einem Flurnamen (‚kleine Schlucht‘).“ Türkische Herkunft des Namens wird nicht erwogen.
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agi- gebildeten Rufnamen zu stellen; gelegentlich kann auch ein Herkunftsname zu dem in Bayern mehrfach vorkommenden Ortsnamen Ay vorliegen. – Dass dem südwestdeutschen Familiennamen Asal der Heiligenname Oswald zugrunde liegt, dürfte nicht allgemein bekannt sein. Hubert Klausmann bezeichnet ihn als einen „etwas fremd klingenden Namen“ (Klausmann 2007, 89), und tatsächlich ist er auch vereinzelt für türkische Namensträger nachzuweisen,19 allerdings nicht in dem Kerngebiet der Asals im Tal des Flüsschens Wiese im Schwarzwald. Den türkischen Namen liegt wohl arabisch a’sal ‚Honig‘ zugrunde.20
3.3.2. Dem Phänotyp nach deutsch wirkende homographe Namen Ein Beispiel für die zweite Untergruppe, die die eher deutsch wirkenden Namen enthält, ist der gar nicht so seltene Familienname Eser (833 Einträge). Etwa ein Viertel der verzeichneten Personen trägt jedoch einen türkischen Vornamen. Bei den deutschen Belegen ist Eser ein vor allem schwäbischer Familienname; eine entrundete Form von Öser (zu mhd. œsen ‚leer machen‘). Ursprünglich konnte dieser Übername jemanden bezeichnet haben, der gern viel aß. Der türkische Familienname dürfte sich von dem Appellativ ‚stark wehender Wind‘ ableiten, wenn ihm nicht arabisch athar ‚Werk‘ (im Sinne von ‚Produkt‘, ‚Kunstwerk‘) zugrunde liegt. – Von den ca. 200 Einträgen für den Familiennamen Erken handelt es sich bei immerhin ca. 30% um Türken. Der deutsche Familienname geht zurück auf eine patronymische Bildung zu Erk(e) aus Erckenbert, der türkische beruht auf dem Adjektiv erken ‚früh‘.
4. Weitere Homographien Hier konnte nur eine kleine Auswahl deutsch-türkischer Homographien vorgestellt werden. Nicht eingegangen sind wir zum Beispiel auf die Homographien von türkischen Namen und solchen slavischer Herkunft, wofür sich ebenfalls Beispiele finden, z.B. der Name Kulak, bei dem die deutschen und türkischen Namensträger ungefähr gleich verteilt sind. Der Name kann auf sorbisch Mikulaš (‚Nikolaus‘) oder auch kula ‚Kugel‘ zurückgehen (Wenzel 1991, Bd. 2, Teilband 1, 229), auf polnisch kuáak ‚Faust‘ oder auf russisch kulak ‚Großbauer‘. Auf türkisch bedeutet kulak ‚Ohr‘.21 –––––––— 19 20 21
Von ca. 500 Einträgen für Asal finden sich nur bei 16 türkische Vornamen. K. Kreiser weist uns darauf hin, dass nicht wenige Türken arabische Nachnamen weltlichen Charakters tragen, die also nicht mit der islamischen Kultur zusammenhängen. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, dass nicht wenige russische Familiennamen türksprachigen Ursprungs sind, z.B. der erste Bestandteil des von Dostojewski verwendeten Namens Karamasov; vgl. Baskakov 1979, 44, 206.
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5. Resümee Die durch die türkische Immigration verursachten Innovationen im deutschen Familiennameninventar dürften zwar den meisten Sprachteilnehmern bewusst sein, haben jedoch bislang kaum Widerhall in der deutschen familiennamenkundlichen Literatur gefunden. Zwei Phänomene tragen vor allem dazu bei, dass deutsch-türkische Familiennamen-Homographien gar nicht so selten sind: die Ähnlichkeit der Phonem-Graphem-Korrespondenz im Deutschen und Türkischen sowie gewisse äußerliche formale Ähnlichkeiten der deutschen und türkischen Familiennamen, beruhend vor allem auf weitgehend identischer Vokal-Konsonanten-Distribution. Derartige Homographien überhaupt zu erkennen stellt Atlas- wie Wörterbuchmacher vor besondere Herausforderungen. Zwar berücksichtigt das Duden Familiennamenlexikon (Kohlheim/Kohlheim 2005) erstmals den Anteil der türkischen Familiennamen am gegenwärtigen Familiennameninventar in angemessener Weise, indem zumindest 10.000 der insgesamt 20.000 Lemmata dieses Wörterbuchs rein statistisch die 10.000 häufigsten Familiennamen in Deutschland nach Telefonbucheinträgen erfassen, ganz gleich, welcher sprachlichen Herkunft sie sind, doch bereiten mögliche oder im Einzelfall auch nicht erkannte deutsch-türkische Homographien immer wieder Schwierigkeiten. Bisher haben wir rund 80 homographe Namen gefunden, doch könnte die Liste sicher erweitert werden. Überraschen sollte das eigentlich nicht: Die polnische Einwanderung nach Deutschland betrug bis 1914 ungefähr nur eine halbe Million und hat doch nachhaltig den deutschen Familiennamenschatz geprägt, trotz zahlreicher Umbenennungen. Sollte das bei ca. 2 Millionen Türken in Deutschland22 anders sein?
Literatur Aktaú, Ayfer (2008): Aus dem Deutschen ins Türkische übernommene Wörter in türkischen Wörterbüchern – eine Bestandsaufnahme, in: Muttersprache 118, S. 72–80. Aysan, Adviye / Tuncay, Selma (1987): Türk adlarÕ sözlü÷ü [Türkisches Namenlexikon], Ankara. Bahlow, Hans (1980): Deutsches Namenlexikon. Familien- und Vornamen nach Ursprung und Sinn erklärt, 5. Auflage, Frankfurt a.M. Baskakov, Nikolai Alexandrovitsch (1979): Russkie familii tjurskogo proischoždenija [Russische Familiennamen türkischen Ursprungs], Moskva. Brechenmacher, Josef Karlmann (1957–1963): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Familiennamen, 2 Bde., Limburg/Lahn.
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Nach Angabe der Deutsch-türkischen Freundschaftsföderation i.J. 2008 über 2,5 Millionen (http://www.d-t-f.com; 12. 9. 2008), nach Angabe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 1.713.551 i.J. 2007 (http://www.bamf.de/cln; 12. 9. 2008).
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Gerhard Koß
Ehename und Familiennamengeographie
Abstract Owing to the Prussian Allgemeines Landrecht (ALR 1794), it was codified for the first time that married women received the family name of their husband. This regulation was also incorporated in the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB 1900) for the, at that time, German Empire. Hence, as a result for the geographic distribution, some names did not endure any longer. In light of he equal status of men and women in the Grundgesetz (GG 1949), it came to a decision in a long lawsuit, that resulted in several possibilities for the choice of the family name. For example, the husband can choose the maiden name of his wife as his family name. Furthermore, the married man and his wife can retain their hitherto existing names. Similar regulations are effective in Austria. In Switzerland, the draft wording of the law regarding names is being discussed by the lawgiving institutions.
1. Diffusion der zweigliedrigen Familiennamen „Es hätte auch alles ganz anders kommen können, wenn das byzantinische Vorbild in Europa nicht einen Jahrhunderte währenden Diffusionsprozess in Gang gesetzt hätte“, resümieren Rosa und Volker Kohlheim in ihrer Betrachtung über das Aufkommen der Familiennamen in Deutschland (Kohlheim/ Kohlheim 2008, 113). Hier entschied man sich für das zweigliedrige System von Rufname und Familienname. Dieses kam – ausgehend vom byzantinischen Gebiet Italiens – von Süden nach Norden und außerdem im Westen über Frankreich nach Deutschland. Es war ein langer Prozess (Koß 2001, 663ff.; ders. 2002, 39ff.; Nübling/Dammel 2007, 139f.). Dabei spielten auch soziale Faktoren eine Rolle. So wurden zum Beispiel Dienstboten lange noch ohne Familiennamen genannt, es genügte der des Dienstherrn. Wolfgang Fleischer führt dazu ein entsprechendes Beispiel aus dem ältesten Kirchenbuch von Briesnitz bei Dresden an: 1587 wurde die Trauung von „Bendix Löbener [...] mit Jungfraw Barbara, eine Dienerin M. Fabian Krügerß“ eingetragen (Fleischer 1968, 88). „Falls die ‚Dienerin‘ um diese Zeit tatsächlich schon einen Familiennamen hatte, so war er doch für die urkundliche Eintragung belanglos gegenüber dem Namen des ‚Haushaltungsvorstandes‘ und Dienstherrn“, kommentiert Wolfgang Fleischer 1968, 88. Ziel der Innovation des zweigliedrigen Systems war die Fixierung der Identität der Personen. Dabei wirkten sowohl interne als auch externe Faktoren mit. Solche systemexterne Faktoren waren zum Beispiel die Bevölkerungskonzen-
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Gerhard Koß
tration in den mittelalterlichen Städten oder der Ausbau der Stadtverwaltung mit Steuerlisten und Bürgerverzeichnissen oder Stadtbüchern. „Ohne Stadtkämmerer und Stadtschreiber sind die Familiennamen als Massenerscheinung nicht denkbar“, schreibt Wolfgang Fleischer 1968, 85. Zu den systeminternen Faktoren gehört etwa die Reduktion des Rufnameninventars, weil immer mehr Personen denselben Rufnamen bekamen. Wie Rosa und Volker Kohlheim ausführen, wurde die „Idee der Erblichkeit“ der Beinamen dadurch begünstigt, dass das „sprachliche Material [...] in der Form von Übernamen schon bereit[lag]“ (Kohlheim/Kohlheim 2008, 110). Der Fundus an verwertbarem Namenmaterial war eine wichtige Grundlage. Dass es sich eben um die Namen der Familie handelte, ist in der Struktur des Personenverbandes begründet. Die Stellung des Mannes wird im „Schlüsselbegriff Familie“ laut Brockhaus 2006, 8, 746 so charakterisiert: „Die Person des ‚Hausvaters‘ nahm eine besondere Stellung ein, die durch die damaligen, v.a. christl[ichen] Deutungen von Ehe und F[amilie] und durch das Erbrecht gestützt wurde.“ Das „Haus“ war, so schreibt Kaufmann 1986, Sp. 105, „der gängige Name für familiare Zusammenhänge“ bis ins 18. Jahrhundert. Der Hausname (auch „Häusername“) bzw. auf dem Land der Hausname für Gehöfte oder Höfe war der gängige Name (Hengst 2010, Sp. 821). Der Rufname war Jahrhunderte lang der wichtigere Personenname. So wurden in den Nürnberger Gerichtsbüchern Ende des 15. Jahrhunderts die Rufnamen alphabetisch aufgeführt (Kohlheim/ Kohlheim 2008, 15). Auch konnten sich die Familiennamen noch ändern, wie ein Beispiel aus dem Coburger Stadtbuch zeigt: 1439: Bernhard Thammenheym, der Zymmermann; 1440: Hans Zymmermann...genannt Thamenheyn; 1443: Hans Zymermann (Koß 2002, 43). So wurde Henne Gensfleisch nach dem Mainzer Hausnamen „Gutenberg“ Johann Gutenberg genannt, was wiederum der Familienname seiner Mutter war (Kohlheim/Kohlheim 2008, 16). Die Bezeichnung „Familie“ wird (nach Kaufmann 1986, Sp. 106) erst um 1700 im deutschen Sprachraum heimisch. Die sich aus dem Bürgertum herauskristallisierende „patriarchalische Familie“ war durch die „Autorität des Vaters“ (Fuchs-Heinritz u.a. 2011, 197f.) gekennzeichnet. Dies spiegelt sich auch in der Namengebung wider, die durch das Interesse der Behörden zu „festen“ Familiennamen führte. Exkurs: Als ein Familien-Modell führt das „Lexikon zur Soziologie“ (FuchsHeinritz u.a. 2011, 273f.) die Hausfamilie an. Dieses „bezeichnet [nach M. Fuchs 2003] über drei und mehr sich erstreckende Familienverbände, die zwar nicht im gleichen Haushalt, aber in einem gemeinsamen Haus wohnen und partiell miteinander wirtschaften“. In Deutschland sind es sieben Prozent der Haushalte mit ca. 13 Prozent der Bevölkerung. Es gibt sie besonders auf dem Land, und sie sind „in aller Regel langfristige Lebensarrangements“ (ebenda).
Ehename und Familiennamengeographie
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2. Landrecht – Bürgerliches Gesetzbuch – Grundgesetz Rosa und Volker Kohlheim 2008, 16 weisen darauf hin, dass vom Ende des 17. Jahrhunderts an die Behörden für eine feste Familiennamengebung sorgten. Es sind vor allem die „Landrechte“, die die entsprechenden Fixierungen vornahmen. Der „Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis“ (CMBM), der 1756 für Kurbayern erschien, deklarierte in §12 des sechsten Kapitels des ersten Teils, dass „der Ehe-Mann für das Haupt der Familie geachtet“ werde. Der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, der Jurist Wiguläus Xaver Alois Frhr. von Kreittmayr (1705–1790), hat in seinen „Anmerkungen“ [Kommentar] zum CMBM §12 (S. 240) dargelegt, dass „die Frau ihren Geschlechts-Namen [Geburtsnamen] nicht mehr beybehält, oder solchen wenigstens mit den Worten G e b o h r n e N. N. [Hervorhebung im Original] dem von ihrem Mann erlangten Namen nachsetzt“. Eine Festlegung des Familiennamens entstand auch 1794 mit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht (eigentlich „Allgemeines Landrecht für die Preussischen Staaten“; abgekürzt: ALR). Der Brockhaus 2006, 22, 89 würdigt es so: „Das nahezu 20 000 Paragraphen umfassende Werk ist als nie wiederholter Versuch anzusehen, die Gesamtheit der Rechtsordnung in einem einzigen Gesetzbuch zu kodifizieren“. Dabei war das Naturrecht der leitende Gedanke. In Band 3 handelt der 4. Abschnitt des 2. Teiles „Von den Rechten und Pflichten der Eheleute, in Beziehung auf ihre Personen“. In §184 ALR heißt es: „Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft; und sein Entschluß giebt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag.“ Der §192 ALR besagt: „Die Frau überkommt durch eine Ehe zur rechten Hand den Namen des Mannes.“ Die Auffassungen des ALR wurden vom Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) fortgesetzt. Dieses wurde 1896 im Reichsgesetzblatt verkündet und trat zum 1. 1. 1900 im damaligen Deutschen Reich in Kraft. Die Entwicklung des Familienrechts wird von Coester-Waltjen 2008, XIIff. eingehend dargelegt. Sie weist darauf hin, dass man sich „im Klaren sein [muss], dass der Gesetzgeber von 1900 sich im Wesentlichen auf das Nachzeichnen vorgefundener herrschender Rechtsgedanken beschränkt und neuere Ideen nur sehr zurückhaltend aufgenommen hat [...]“. Das bedeutete für das Namenrecht, dass die damalige Form von einem „institutionellen Eheverständnis mit einem patriarchalischen Familienmodell und strikten Rollenmustern“ ausging. Demzufolge bestimmte §1355 BGB mit sieben Worten: „Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes.“ Dies wurde sozusagen in einem Kommentar, der 1935 von den Mitgliedern des Reichsgerichts in Leipzig veröffentlicht wurde, höchstrichterlich so begründet, dass „dies der Stellung des Mannes als Haupt der Familie entspricht“ (Hallamik/Sayn 1935, 60). Der Anklang an das ALR ist unverkennbar. Für die Familiennamengeographie bedeutet dies, dass durch die Aufgabe des Geburtsnamens (bis 1976: Mädchenname) Familiennamen obsolet werden konnten. „Seit Inkrafttreten des BGB sind wesentliche Änderungen und Ergänzungen des Familienrechts erfolgt. Dabei sind die entscheidenden Reformen seit
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Gerhard Koß
den 50er Jahren eingetreten“, schreibt Heckelmann 1993, 487, Rn 11 (Hervorhebungen im Original). In des Wortes wahrster Bedeutung wurden zunächst grundlegende Veränderungen durch das „Grundgesetz“ (GG) von 1949 initiiert. Das „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ vom 23. 5. 1949 (BGBl 1,1) wurde vom Parlamentarischen Rat am 8. 5. 1949 verabschiedet und trat am 25. 5. 1949 in Kraft (Creifelds 2011, 552f.). Art. 3, Abs. 2 GG stellt fest, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. In Gesetzesform sorgte dafür das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. 6. 1957 (GleichberG), das 1958 in Kraft trat. Gleichzeitig trat auch in der sozialen Realität ein nachhaltiger Wandel ein. Der Gesetzgeber „wertet als Kerndaten veränderter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse die zunehmende Abkehr vom Prinzip der Nurhausfrauenehe und ein gewandeltes Eheverständnis, das Partnerschaft, Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung in den Mittelpunkt stelle [...]“ (Heckelmann 1993, 493, Rn 25). Was den „Familiennamen“ betrifft, so ging der Prozess über mehrere Stufen, die sich aus den Gesetzesbezeichnungen ablesen lassen. Von Heckelmann 1993, 492, Rn 22 wird es so kommentiert, dass der Gesetzgeber „mit dem Ziel, jegliche Diskriminierung eines der Partner zu vermeiden, ein kompliziertes Gefüge von Gesetz-, Ehe-, Familien- und Begleitnamen“ schuf. Von Bedeutung für die Familiennamengeographie ist zunächst die vom ersten Reformgesetz des Eheund Familiennamenrechts (1. EheRG) geschaffene Beibehaltung des Mädchennamens (seit 1976: Geburtsname) (wenn gewünscht) gewesen. Dadurch ist dieser für das Namenkorpus nicht obsolet geworden.
3. Die Neufassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (2002) Aus dem einen Satz des §1355 alter Fassung BGB sind bei der Neufassung vom 2. 1. 2002 sechs Absätze geworden. Auf Grund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. 2. 2004 (mit Gesetzeskraft) kam es 2005 zu einer weiteren Änderung. Ausgangspunkt ist nach wie vor Abs. 1, Satz 1: Die Ehegatten sollen einen gemeinsamen Familiennamen (Ehenamen) bestimmen. Heckelmann weist auf der Grundlage der Bundestagsdrucksache darauf hin, dass „die Eheleute einen gemeinsamen Ehenamen tragen, der zugleich Familienname ist. Dadurch soll die Zusammengehörigkeit der Familienmitglieder, gemeint ist insoweit die Kleinfamilie von Eltern und Kindern, auch äußerlich in Erscheinung treten [...]“. Soweit nur die Ehegatten betroffen sind, wird er als Ehename bezeichnet (Heckelmann 1993, 543, Rn 4). Nach dem Stand vom April 2009 ergeben sich weitere Möglichkeiten: – Wird kein Ehename bestimmt, so führen die Ehegatten „ihren zur Zeit der Eheschließung geführten Namen“ weiter (Abs. 1).
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– Die Ehegatten können den Geburtsnamen oder den bei der Namenbestimmung geführten Namen des Mannes oder den der Frau als Ehenamen bestimmen (Abs. 2).1 – Der Ehegatte, dessen Name nicht der Ehename wird, kann seinen Namen als Begleitnamen voranstellen oder anfügen. Ist dieser ein mehrteiliger Name, so kann nur einer dieser Namen der Begleitname werden (Abs. 4). Die Frage ist nun, wie die Bestimmungen umgesetzt werden. Bereits in den 1990er Jahren gab es in der Fachzeitschrift „Das Standesamt“ (StAZ) einige Angaben von Standesämtern (Kroll (Hamburg-Mitte 1988), Peters (HamburgHarburg 1992), Stenz (Tübingen 1992)). Eine großangelegte Befragung gab es beim bereits erwähnten Oldenburger Projekt „Warum noch Ehe?“ (MatthiasBleck 1997). Allgemein zeigte sich, dass die traditionelle Form mit der Wahl des Namens des Mannes als Familienname dominierte. In der Zwischenzeit hat vor allem das BVerfG weitere Entscheidungen ausgesprochen (z.B. Ausschluss von Familiendoppelnamen 2002 und 2009, Namen aus der Vorehe 2004). Die Auswirkung der Neufassung des §1355 BGB soll am Beispiel der Standesämter Weiden i.d. OPf. und Marktgemeinde Mantel im Landkreis Neustadt an der Waldnaab auf Grund der Eheschließungen in den Jahren 2004 bis November 2010 dargestellt werden. Die kreisfreie Stadt Weiden in der Oberpfalz [WEN] hat knapp 42.000 Einwohner. Nach wie vor dominiert hier die Wahl des Namens des Mannes als Ehename (s. Tabelle). Die Wahl des Namens der Ehefrau geht in Weiden nicht über zehn Prozent hinaus. Dasselbe gilt für getrennte Namensführung. Zweimal ist 2006 der Familienname aus der Vorehe belegt. Auch die Voranstellungen oder Anfügungen als Begleitnamen liegen bei den Frauen meist unter zehn Belegen. Bei den Männern sind sie mit einem Beleg im Jahr noch geringer. Ein anderes Bild bieten die Zahlen von der Marktgemeinde Mantel [MM] im Landkreis Neustadt a.d. Waldnaab (Regierungsbezirk Oberpfalz). Die Marktgemeinde hat rund 3.000 Einwohner. Auch hier steht die Wahl des Namens des Mannes an der Spitze. 2008 wird erstmals bei neun Eheschließungen einmal der Geburtsname der Ehefrau als Ehename gewählt. Weiterhin ist 2010 von vier Eheschließungen eine Wahl des Namens der Ehefrau belegt. Die getrennte Namensführung ist 2009 erstmals aufgeführt (drei Eheschließungen insgesamt). Ein ganz anderes Bild ergibt sich bei den Begleitnamen. Im ganzen Zeitraum von 2004 bis Ende November 2010 ist nur einmal der Geburtsname der Frau als Voranstellung eingetragen worden. Im Vorfeld wurde eine Pilotbefragung bei verschiedenen Standesämtern in Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern und in Wien-Innere Stadt durchgeführt. In den Universitätsstädten Bayreuth und Regensburg gibt es bei den sogenannten „Studentenehen“ besondere Entwicklungen. In Bayreuth waren zunächst getrennte Namensführungen häufiger, seit 2008 sind es mehr Eheschließungen mit der Wahl des Namens des Mannes. Ähnlich war diese Tendenz in Regens–––––––— 1
Die Wahl des Namens der Frau als gemeinsamer Ehename ist seit 1965 (Entwurf schon 1954) in der DDR mit der Einführung des neuen Familiengesetzbuchs möglich gewesen; Beispiel bei Koß 2002, 85.
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Gerhard Koß
burg. Wenn jedoch ein Kind kommt, so entscheidet man sich bei der Wahl des Ehenamens nach dem Vater. Hintergrund ist der §1617 BGB (Geburtsname bei Eltern ohne Ehenamen und gemeinsame Sorge). Danach müssen Eltern bestimmen, ob der Name des Vaters oder der Mutter der Geburtsname des Kindes werden soll. Ein aus den Namen der Eltern gebildeter Name für das Kind ist nicht möglich (Diederichsen bei Palandt 2010, vor §1616 Rn 4). WEIDEN absolut Eheschließungen insgesamt getrennte Namensführung Namen aus Vorehe nach dem Mann nach der Frau Begleitnamen insgesamt davon Frauen: Voranstellung Anfügung davon Männer: Voranstellung Anfügung nur einen Ehenamen
MARKT MANTEL absolut %
%
1618 119
43 6,50
1
2,30
6
0,40
–-
0,00
1444 55
89,00 3,40
40 2
93,00 4,7
123
7,60
–-
0,00
69
4,30
1
2,30
45
2,80
–
0,00
6
0,40
–
0,00
3
0,20
–
0,00
1499
92,60
42
98,00
Standesämter Weiden i.d. OPf. und Markt Mantel: Eheschließungen von 2004 bis 31. November 2010
4. Wandel im Wortfeld „Familienname“ Die Reformen des Eherechts haben sich beim Ehenamen auch im Wortfeld „Familienname“ niedergeschlagen: Geburtsname: Der Geburtsname ist nach §1355 Abs. 6 der Name in der Geburtsurkunde zum Zeitpunkt der Erklärung des Ehenamens beim Standesamt. Das ist zum Beispiel bei Adoptionen von Bedeutung. Weiterhin haben Spätaussiedler ihre Vatersnamen ablegen müssen, da es diese nach deutschem Recht nicht gibt.2 Auch in der Schreibung der Namen gab es Änderungen. So wurde die transliterierte Form Gofmann in Hofmann umgewandelt. Mädchenname: Dieser ist der „bis zu einer Ehenamensbestimmung geführte Familienname [...] der Geburtsname, in Österreich Geschlechtsname genannt. Vor dem 1. 7. 1976 gab es stattdessen den Mädchennamen einer Ehefrau“ (Kraus 2005, 110–111). Im Großen Duden (6, 2484) wird Mädchenname mit –––––––— 2
Eingehend bei Koß 2002, 43.
Ehename und Familiennamengeographie
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den Bedeutungen „1. weiblicher Vorname. 2. Familienname einer Frau vor ihrer Verheiratung“ aufgeführt, was sicherlich zum Verständnis älterer Texte beiträgt. Der Begriff Mädchenname ist durch die „Gleichberechtigung im Namensrecht“ mit Wirkung vom 1. 7. 1976 aufgehoben worden. Er wurde durch Geburtsname (wie beim Mann gebräuchlich) ersetzt. Hintergrund ist das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familiennamenrechts“ (1. EheRG, in Kraft 1. 7. 1977, Namenrecht bereits 1976 in Kraft; BGBl I 1421). Zuname und Nachname, Begleitname: Nach §1355 Abs. 4 BGB kann jeder Ehegatte, dessen Name nicht der Ehename wird, seinen Geburtsnamen dem Ehenamen voranstellen oder anfügen. Dieser sogenannte Begleitname wird nach Creifelds 2011, 837 „nicht zum Bestandteil“ des Namens der Familie. Darauf weist auch Heckelmann 1993, 544, Rn 4 hin, nach dem diese „Namensverbindung [...] neutral als Nachname bezeichnet werden“ könne. Bei Ammon et al. 2004, 901 werden bei Zuname Österreich und Deutschland als Verbreitungsgebiet und als Varianten Familienname und Nachname angegeben. Als „veraltend“ wird noch für Österreich Schreibname aufgeführt (ders., 689). Zu- und Nachname werden juristisch gleichgesetzt, wobei jedoch Familienname „herkömmlicher“ ist (Diederichsen bei Palandt 2010, vor §1616 Rn 4a). Zu- und Nachname kann auch von der Stellung zum Vornamen gesehen werden. Bereits Weinrich 1993, 318 hat es so gesehen: „Im deutschen Sprachraum haben Personen in der Regel zwei Namen in Juxtaposition: den Vornamen und den Familiennamen (oder Hausnamen).“ Familienname: Mit „Die Familiennamen (Zu- oder Nachnamen)“ überschreibt Seibicke 2008, 160 sein entsprechendes Kapitel, und er weist auch darauf hin, dass man bei Zu- oder Nachnamen „diese Namen als den Rufnamen nachgeordnet verstand“ (ders., 181). Bereits 2006 hat Seibicke die Frage nach der Bedeutung des Familiennamens aufgeworfen (Seibicke 2006, 294). Unter Hinweis auf den Großen Duden in der 2. Auflage von 1993 („aus einem Elternpaar und mindestens einem Kind bestehende Gemeinschaft“ [nunmehr 1999, 3, 1170: „Nachname eines od. beider Elternteile, der den aus dieser Partnerschaft hervorgehenden Kindern gegeben wird; Zuname]) plädierte der Verfasser für „Zuname“, da der Terminus „Familienname“ „seinen Sinn und damit seine Berechtigung verloren“ habe. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, was das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 1 BvR 1993/97 vom 18. 2. 2004, C.I. Abs. 3) in seiner Urteilsbegründung festgestellt hat: „[...] der Familienname [dient] auch dazu [...], Abstammungslinien nachzuzeichnen, familiäre Zusammenhänge darzustellen oder den Familienstatus eines Menschen zu verdeutlichen“. Letztendlich ist wohl die Bezeichnung Familienname nicht nur ein Terminus, da Namen eben nicht „Schall und Rauch“ sind. Dies demonstrierte einmal der Name Bauer, den in Nordbayern ein junger Mann seinem Schwiegervater zuliebe ablegte. Außerdem störte den Mann die Häufigkeit von Bauer in Süddeutschland. (s. Karte 1).
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Gerhard Koß
Karte 1: Familienname Bauer nach dem Deutschen Familiennamenatlas
5. „Ehename“ im Fokus der Literatur Sturm 1988, 290 hatte schon zum Beschluss des BVerfG vom 8. 3. 1988 zum Ehenamen die Frage aufgeworfen, ob dieser eine „versteinerte Eitelkeit“ oder eine „betonte Familieneinheit“ sei. Die einzelnen Schritte des Gesetzgebers oder des BVerfG (seine Entscheidungen haben Gesetzeskraft) fanden in der juristischen Fachliteratur und in der Soziologie ein lebhaftes Echo. Sacksofsky hat einzelne Etappen kritisch begleitet (Sacksofsky 1995; 2002; 2004). 2009 hat sie einen umfassenden Beitrag als eine Art Resümee in der Zeitschrift „L´Homme“ veröffentlicht. Die Zeitschrift hat ihren Band 20 den „Namen“ gewidmet. Dabei steht laut Klappentext der Nachname im Mittelpunkt, „denn ihm hat die Forschung bislang weniger Aufmerksamkeit zugedacht“. Zunächst werden die Veränderungen seit 1949 referiert und die verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Namenrecht aufgelistet. Ausgangspunkt ist der oben erwähnte Art. 3 Abs. 2 GG. „Dennoch hat es bis 1993 gedauert, dass das Namensrecht
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auch nur formale Gleichberechtigung hergestellt hat“, schreibt die Verfasserin (Sacksofsky 2009, 80). Der Artikel verpflichtet den Gesetzgeber, für ein gleichberechtigtes eheliches Namenrecht zu sorgen. Wie Sacksofsky bemerkt, veränderte der Gesetzgeber „das Namensrecht jeweils nur in winzigen Schritten, so dass noch bis 1991 ein offensichtlich der Gleichberechtigung widersprechendes Namensrecht galt, und auch heute [2009] genügt die Regelung noch nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen“ (Sacksofsky 2009, 75). An deutlichen Aussagen zu den „winzigen Schritten“ fehlt es nicht. So zieht bereits Coester zum Gesetz über die Neuordnung des Familiennamenrechts vom 16. 12. 1993 (BGBl I, 2054) folgendes Fazit: „Das neue Gesetz sieht schon am Tage seines Inkrafttretens recht alt aus.“ (Coester 1994, 8). Sacksofsky weist besonders auf den Ausschluss von Doppelnamen für das Kind hin, der „erhebliche Nachteile für Frauen mit sich bringt“. Wie sie darlegt, ist für „viele Menschen [...] die Vorstellung, dass sie nichts mit dem Namen ihrer Kinder verbindet, kaum erträglich. Dies führt dazu, dass viele Frauen – im Vorgriff – dem gemeinsamen Ehenamen zustimmen, obwohl sie lieber ihren eigenen Namen behalten hätten. Der frühere Zwang zum einheitlichen Familiennamen ist einem indirekten Druck gewichen“ (Sacksofsky 2009, 81f.). Eingehend beschäftigt sich Sacksofsky mit den Rechtfertigungen im Gesetzgebungsverfahren. In den Reformdebatten sind die Familieneinheit, die Tradition, die Akzeptanz in der Bevölkerung als (bloße) Ordnungsvorschrift und seit den neunziger Jahren das Kindeswohl (Sacksofsky 2009, 81f.) die Diskussionspunkte. Bei der Familieneinheit spielt „die strikte Ablehnung der Möglichkeit eines Doppelnamens für Eheleute“ (Sacksofsky 2009, 83) eine große Rolle. „Die Überzeugung des überwiegenden Teils der Bevölkerung kann aber nicht die Beschränkung von Freiheit für diejenigen rechtfertigen, die eine andere Einstellung haben“ (Sacksofsky 2009, 84). Die Tradition – sie ist ein gewichtiges Argument in der Diskussion – und das Namenrecht als „Ordnungsvorschrift“ werden ebenfalls nicht als zwingend betrachtet. Als letzten Punkt in der Diskussion um das Namenrecht ist das „Kindeswohl“ zu nennen. Auch hier sind Doppelnamen aus den Elternnamen nicht zulässig (§1617 Abs. 1: Namen des Vaters oder der Mutter zur Zeit der Erklärung gegenüber dem Standesamt). In ihrem Fazit schreibt Sacksofsky: „Im Namensrecht kulminiert der Streit um die Gleichberechtigung in der Ehe“ (Sacksofsky 2009, 89). Sie plädiert für die Zulassung von Doppelnamen für Kinder und für Eheleute – wenn es beide Partner wünschen – und kommt zum Schluss: „Es ist dringend an der Zeit, dass der Gesetzgeber – endlich – auf die Überregulierung im Namensrecht verzichtet und die Entscheidung den Einzelnen überlässt. Einem freiheitlichen Staat stünde dies wohl an“ (ebenda). „Warum noch Ehe? Die Bedeutung und die Gründe der Heirat bei heute Eheschließenden in ausgewählten Stadt- und Landregionen“, so lautete der Titel eines Projekts (1993–1995), das von Nave-Herz geleitet wurde. Im Rahmen des Projekts führte Matthias-Bleck eine Umfrage bei Standesämtern in der Bundesrepublik sowie Befragungen mit qualitativen Interviews durch. Das Ergebnis
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war: „In allen Städten folgt die Mehrheit der Frauen dem alten Modell: Der Name des Mannes wird der Ehename. Begleitnamen sind relativ selten und meistens entscheidet sich die Frau für einen Begleitnamen“ (Matthias-Bleck 2000, 109). Was den Begleitnamen betrifft, sind vor allem für Frauen der „schöne“ Name und „die Dokumentation der Zusammengehörigkeit wichtig“ (Matthias-Bleck 2000, 111). Überhaupt wurde in der Befragung die Wahl des Ehenamens häufig mit der Art des Namens, seiner Schönheit oder seinem Klang begründet (Matthias-Bleck 2000, 112). Auf derselben Ebene weist bei der Wahl „Voranstellung oder Nachstellung“ des Begleitnamens Brudermüller (bei Palandt 2010, §1355 Rn 9) darauf hin, dass die „Praktikabilität“ oder der „Wohlklang“ den Ausschlag geben sollen. Insgesamt stellt Matthias-Bleck 2000, 111 fest, dass das neue Namensrecht [1994] neue Freiheiten bedeutet. Seit dem 1. 1. 2009 gibt es eine bemerkenswerte Änderung der Eheschließung. Sie wurde kaum bemerkt, da der Gesetzgeber „ohne Begründung und praktisch auch ohne jede Diskussion“ den §67 des Personenstandsgesetzes (PStG) aufgehoben hat (Koch 2010, 129). Dieser Paragraph verlangte bis Dezember 2008, dass die kirchliche Trauung nur nach der standesamtlichen Trauung möglich war. Koch betont, dass die bisherige Regelung „historisch für das Zusammenspiel von Staat und Kirche von zentraler Bedeutung war“ (ebenda). Die Reihenfolge mit der Priorität der Ziviltrauung wurde von Bismarck im sogenannten „Kulturkampf“ lanciert. Nach 135 Jahren wurde sie nunmehr aufgehoben. Dies hat auch für die Namengebung Konsequenzen. Bei der kirchlichen Ehe können die „Verheirateten“ keinen „Ehenamen“ wählen. Dieser kann gemäß §1355 BGB (mit den möglichen Varianten) erst durch die Ziviltrauung rechtens erworben werden. Das Personenstandsgesetz, das einst im gesamten Deutschen Reich die standesamtliche Trauung als einzig verbindliche Form der Eheschließung gelten ließ, besteht somit fort (Koch 2010, 135). Dies gilt umso mehr, da sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche verlautbart haben, dass sie die kirchliche Trauung nur bei Nachweis der standesamtlich erfolgten Eheschließung vornehmen wollen (Koch 2010, 136).
6. Familiennamen in Österreich (ABGB) und in der Schweiz (ZGB) In Österreich regelt das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch in §93 die Führung des Familiennamens. Der §93 Abs. 1 ABGB beginnt mit der Feststellung: „Die Ehegatten führen den gleichen Familiennamen.“ Dieser ist der Familienname eines der Ehegatten, bei Nichtbestimmung wird es der Name des Mannes. Der Ehegatte, der seinen Namen abgelegt hat, kann diesen nach Abs. 2 als Doppelnamen (voran- oder nachgestellt mit Bindestrich) weiterführen. Das Gesetz schreibt vor: „Dieser Ehegatte ist zur Führung des Doppelnamens verpflichtet.“ Eine Nachfrage beim Standesamt Wien-Innere Stadt im Mai 2008 ergab, dass
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die Zahl der Doppelnamen aus praktischen Gründen (Länge durch größere Silbenzahl) zurückgeht. Weiterhin betrug in der Stadt Wien damals die Wahl des Namens der Frau als gemeinsamer Familienname nicht mehr als ein Prozent. Bei der Weiterführung des eigenen Namens nach §93 Abs. 3 ABGB ließ sich – insbesondere bei den Ehefrauen – eine steigende Tendenz in der Stadt beobachten. In der Schweiz berichtete unter der Überschrift „Traditionell oder individuell“ die Neue Zürcher Zeitung über die Vorschläge der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats zu einem neuen Namensrecht (Fontana 2./3. 6. 2007, 34). Dazu gab der Bundesrat im Dezember 2008 eine Stellungnahme ab, die in einer Medienmitteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments veröffentlicht wurde (Bundesamt für Justiz 2008). Darin wurde mitgeteilt, dass der Bundesrat die „Gleichstellung der Ehegatten im Namens- und Bürgerrecht“ befürwortet. Zustimmung fand auch der Vorschlag der Rechtskommission des Nationalrats, dass „zukünftig jeder Ehegatte grundsätzlich [...] seinen Namen behält“ und dass „verheiratete Paare [...] den Ledignamen der Braut oder des Bräutigams als gemeinsamen Familiennamen bestimmen“ können. Wie die Neue Zürcher Zeitung vom 12. 3. 2009 berichtet, hat der Nationalrat die Vorlage zurückgewiesen „mit dem Auftrag, nur die notwendigsten Änderungen vorzunehmen und auf eine grundsätzliche Reform zu verzichten“ (Rosenberg 12. 3. 2009, 13). Damit bleibt es gemäß Artikel 160 Abs. 1 des Zivilgesetzbuchs (ZGB) zunächst beim Namen des Mannes als Familiennamen der Ehegatten. Die Frau kann nach Abs. 2 ihren bisherigen Namen dem Familiennamen als Doppelname ohne Bindestrich voranstellen. Allerdings auf Gesuch der Brautleute bewilligt werden, den Familiennamen der Frau zu führen, „wenn achtenswerte Gründe vorliegen“ (Art. 30 Abs. 2 ZGB). Der Mann kann einen Doppelnamen führen. Eine nichtamtliche, aber probate Form ist in der Schweiz der sogenannte gemeinsame Allianzname, bei dem der Nachname des Ehegattens, dessen Name nicht zum Familiennamen wurde, mit Bindestrich angefügt werden kann.
7. Familienname und Identität Laut „Lexikon zur Soziologie“ wirkt bei der kulturellen Identität (FuchsHeinritz u.a. 2011, 292) unter anderem die Sprache als identitätsstiftend mit. In der Jurisprudenz haben Namen auch die Funktion, Personen voneinander zu unterscheiden und ihre Identitäten festzulegen (nach Diederichsen 1995, 1762). In der Schweiz entspricht die „Identitätskarte“ dem deutschen „Personalausweis“, der als ersten Eintrag in drei Sprachen die Angabe von „Name/Surname/ Nom“ verlangt. Nave-Herz berichtet über die in den sechziger und siebziger Jahren abgelaufenen demographischen Entwicklungen, die durch den Rückgang von Eheschließungen und Geburtenquoten gekennzeichnet sind (Nave-Herz 2001, 210).
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Meist kinderlose Lebensgemeinschaften „werden immer stärker zu einer neuen Lebensform“ (ebenda). Hingegen schreibt Siems in ihrem Bericht über den „Familienreport“, dass „die traditionelle Familie auch heutzutage noch immer den Normalfall dar[stellt]“ (Siems 17. 2. 2009, 4). Der Komplex „Name und Identität“ ist wohl ein Motor für dynamische Veränderungen im Namenkorpus, wobei bei den Familiennamen – im Gegensatz zu den Vornamen – Grenzen gesetzt sind. Im Februar 2009 hatte das Bundesverfassungsgesetz die Klage einer Münchner Zahnärztin zu verhandeln. Diese beantragte, entgegen §1355 Abs. 4 drei Nachnamen führen zu können. Sie hatte, wie Wolfgang Janisch (DPA) berichtete, einen Münchner Anwalt mit Doppelnamen geheiratet, und sie führt „unter ihrem Namen seit langem ihre Praxis“ (Janisch 17. 2. 2009, 4). Bei der Anhörung beim Bundesverfassungsgericht gab es Pro-und-contra-Stimmen für den Mehrfachnamen.
8. BVerfG: Mehrfachnamen nicht erlaubt Am 5. 5. 2009 wurde in Karlsruhe ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG] verkündet. Die Begründung umfasst unter dem Leitsatz „Zur Verfassungsmäßigkeit der Verhinderung von Mehrfachnamen“ gut zehn Seiten mit 47 Absätzen (Az: 1 BvR 1155/03 vom 5. 5. 2009). Das Bundesverfassungsgericht bestätigte den 2002 neu gefassten §1355 Abs. 4 Satz 2 BGB, der drei- und mehrgliedrige Nachnamen nicht zulässt. Das Gericht betonte die „Gestaltungsfreiheit“ des Gesetzgebers (Urteil Abs. 40), dass dieser die Bildung langer Namenketten verhindert, damit die Weitergabe an Nachkommen unterbleibt. Das BVerfG bekräftigte erneut die bereits in einem früheren Urteil erläuterte Funktion des Familiennamens, die darin besteht, dass er Ausdruck der Individualität ist, Abstammungslinien nachzeichnet, familiäre Zusammenhänge darstellt und den „Familienstatus eines Menschen“ verdeutlicht (Urteil Abs. 23). Soll der Familienname die „Zusammengehörigkeit von Personen“ ausdrücken, „bedarf es Regeln, nach denen er vergeben oder ausgewählt werden kann“ (ebd.). Außerdem müssen „auch die Belange der Allgemeinheit“ berücksichtigt werden (ebd.). Das Gericht betonte die „identifikationsstiftende Funktion“, die „mit dem Anwachsen der Namenszahl verloren zu gehen droht“ (Urteil Abs. 30). Das Gericht sah es als zumutbar an, dass Grundrechte der Person zurücktreten, weil ausreichende gesetzliche Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen. So könne zum Beispiel im Geschäftsverkehr der bisherige Name weiter geführt werden (Urteil Abs. 42 mit Hinweis auf §21 des Handelsgesetzbuchs). Das Urteil wurde mit 5:3 Stimmen verabschiedet. Die Resonanz in der publizistischen Öffentlichkeit war außerordentlich. Insgesamt resümierte es Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ so: „Das Urteil ist nicht besonders liberal, aber auch kein Unglück.“ (Prantl 2009, 2) „Familie zwischen Tradition und Moderne“ betitelte treffend Nave-Herz ihren Sammelband. Eingehend beschäftigt sie sich mit dem Namenrecht: „Die
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Juristen haben den Weg zur Namenskontinuität auch bei Heirat freigegeben; Selbstbestimmtheit in der Namenswahl soll Identitätsprozessen und individuellen Präferenzen Rechnung tragen.“ (Nave-Herz 2003, 129). Eingebettet ist die Namenwahl in den allgemeinen gesellschaftlichen Wandel, dessen Kennzeichen „Individualisierung“ und „Deinstitutionalisierung“, auch von Ehe und Familie, sind. Es gibt die Namenkontinuität ebenso wie den Namenwechsel, dieser jedoch ist nur „in begrenztem Umfange“ möglich (NaveHerz 2003, 134). Wie auch immer, „Nachnamen haben längst verwaltungsmäßig ihre Ordnungs- und Identifizierungsfunktion durch die Personennummerierung verloren“ (Nave-Herz 2003, 137). Trotz der Gesetzesänderung „herrschen weiterhin [...] Brauch und Sitte in der Namensgebung vor“ (ebenda). Am Schluss widmet sich die Verfasserin den Doppelnamen aus den beiden Geburtsnamen der Ehegatten, die nicht zulässig sind (Creifelds 2011, 837). Die gesetzlichen Möglichkeiten sind nunmehr die eine Seite, die Umsetzung in die Praxis ist die andere. Man kann sagen, dass die bisherige Dokumentation der Zusammengehörigkeit durch den Familiennamen des Mannes weiterhin über 90% beträgt. Immerhin werden durch Weiterführung bisheriger Namen oder durch die Wahl des Begleitnamens (Creifelds 2011, 837) weitere Möglichkeiten eröffnet.
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Für mannigfache Hilfen danke ich den Standesämtern Bad Griesbach (Niederbayern), Bayreuth und Coburg in Oberfranken, Regensburg, Weiden und Markt Mantel in der Oberpfalz und Wien-Innere Stadt sowie dem Schweizerischen Generalkonsulat in München und dem Bayerischen Staatsarchiv in Amberg.
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Was hat Familiennamengeographie eigentlich mit Familiennamen zu tun?
Abstract The article assesses the relationship between the onomastic methodology termed “geography of family names” and the phenomena ambiguously referred to as “family names”. Projecting this relationship into an integral view of onomastics, it becomes evident that geography of family names and actual family names are but indirectly related. The impression that there is a direct relationship between the methodology and its alleged subject results from lack of coordination of theoretical, classificatory and terminological views within the field of onomastics.
1. Einleitung Ein nicht zu unterschätzendes Problem der Namenforschung besteht darin, dass sie vorwiegend von Spezialisten und in vergleichsweise geringem Maße von Generalisten getragen wird. Dabei scheint der Über- und Weitblick des Generalisten in dieser „kleinen“ Disziplin nicht minder wichtig als in anderen Bereichen der Wissenschaft. Spezialisierung innerhalb der Namenforschung erweist sich bekanntlich schon seit langem als unumgänglich. Es verwundert daher nicht, dass sich der typische Namenforscher ein oder zwei, seltener mehr (möglichst verwandte) Spezialgebiete heraussucht und diese intensiv betreibt, also ein Spezialist wird, und auch die Arbeit der anderen in seinem Gebiet/seinen Gebieten tätigen Spezialisten gebührend verfolgt. Der Spezialist erwirbt sich so im Laufe der Zeit einen besonderen Scharfblick für die Probleme seiner Spezialität(en). Nicht selten wird jedoch der Scharfblick von einer Kurzsichtigkeit gegenüber den anderen, nicht eigenen Spezialgebieten und insbesondere gegenüber den allgemeinen Grundlagen und Zusammenhängen der Spezialgebiete der Namenforschung begleitet. Aus genau dieser Art von Kurzsichtigkeit leitet sich die Berechtigung, ja geradezu die Notwendigkeit der im Titel des vorliegenden Beitrags gestellten Frage ab. Um eine angemessene Antwort auf die Frage finden zu können, muss zum einen der Terminus Familienname und zum anderen der Gegenstand der Familiennamengeographie genauer unter die Lupe genommen werden.
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2. Voraussetzungen 2.1. Ganzheitliche Sicht von Namenforschung Unstimmigkeiten zwischen den Spezialisierungen innerhalb der Namenforschung ließen sich verringern, wenn jede einzelne Spezialisierung vor dem abstrakten Hintergrund des Gebäudes Namenforschung arbeitete, dem sie sich ja ohnehin selbst als ein konkreter Baustein einfügt, also eine ganzheitliche Sicht von Namenforschung einnähme. Mit dem Blick auf das wissenschaftliche Gebäude/Gesamtsystem Namenforschung treten Probleme hervor, welche die Spezialisten ansonsten nicht unbedingt sehen (können). Aus diesem Grund sollte sich jeder Spezialist eine ganzheitliche Sicht von Namenforschung wenigstens in grundlegenden allgemeinen Zügen aneignen und diese regelmäßig pflegen. Zur Veranschaulichung sei das Gebäude Namenforschung im Folgenden skizziert. Getragen wird das Dach des Gebäudes Namenforschung von sieben Säulen, bei denen es sich im Einzelnen handelt um: (1) Tradition (Wissensbestand), (2) Innovation (Wissensschaffung zur Erweiterung/Modifikation des Wissensbestands), (3) Empirie (Beobachtung/Erfahrung/Simulation eines Ausschnitts der Welt), (4) Theorie (Erklärung der Empirie), (5) Methodik (Verfahrensweisen), (6) Terminologie (Aufbau/Pflege/Organisation des Fachwortschatzes), (7) Didaktik (Wissensvermittlung und -erwerb/Lehren und Lernen von Wissen). Die angewandte Forschung (Dienstleistung gegenüber anderen Disziplinen und der Öffentlichkeit) bildet einen sinn- und zusammenhaltstiftenden Sockel, auf dem die einzelnen Säulen ruhen. Zum Zwecke der Beantwortung der im Raum stehenden Frage gilt es im Weiteren, die Säulen Theorie und Terminologie hervorzuheben. Dabei werden drei Probleme zu behandeln sein, nämlich, was das Wesen der Namen ausmacht, wie man sie herkömmlich klassifiziert unter besonderer Berücksichtigung der Stellung der Familiennamen, und wie man gewöhnlich den Terminus Familienname definiert.
2.2. Wesen der Namen Die Debatte um das Wesen der Namen (Nomina propria) hat eine lange Tradition und dürfte noch ein wenig anhalten. Für eine vertiefende Durchdringung der Problematik sei auf die einschlägige Literatur verwiesen (Anderson 2007; Brendler 2008a; Hansack 2000; ders. 2004, 51–65; Van Langendonck 2007). An dieser Stelle soll lediglich die Kernfrage nach dem Wesen beantwortet werden:
Was hat Familiennamengeographie eigentlich mit Familiennamen zu tun?
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Namen sind Wörter, die in den ihnen typischen Kontexten ein und dasselbe als Individuum betrachtete (reale oder gedachte) Objekt (Mensch, Tier, Pflanze, Siedlung, Gewässer, Berg und so weiter) benennen (Brendler/Brendler 2004, Brendler 2008a, 26–27, 30–31, speziell zu Pflanzennamen s. Iodice 2004, 795– 834). Man spricht in diesem Kontext daher oftmals von der Monoreferentialität der Namen oder auch vom Eins-zu-eins-Verhältnis von Name/Nomem (nicht Form/Lemma/Archinomem) und benanntem Objekt (Harnisch/Nübling 2004, Bd. 2, 1901; Van Langendonck 2007, 87–88; Werner 1995, 476; Wotjak 1985, 8). Was für den Namen an sich gilt, gilt auch für jeden einzelnen Namen jedwelcher Namenklasse. Somit auch für Familiennamen!
3. Familiennamen in der Klassifikation und der Terminus Familienname Gängige Klassifikationen weisen den Familiennamen zwei Positionen zu: zum einen die als Unterklasse der Personennamen/Individualnamen und zum anderen die als Unterklasse der Personengruppennamen/Kollektivnamen (Kunze 2004, 10; Walther 1990, 15). Derartige Klassifikationen weisen bekannte klassifikatorische Mängel (Verstöße gegen Klassifikationsprinzipien, s. Brendler 2004a, 70–71) auf, die es zu vermeiden gilt. Wenn Familiennamen zweimal als Unterklassen erscheinen, dann kann dies als ein Hinweis auf eine unzureichende Differenzierung der als Klasse der Familiennamen zusammengefassten Menge, bei der es sich eigentlich um eine Zweiheit von qualitativ unterschiedlichen Mengen handelt, betrachtet werden. Und tatsächlich handelt es sich in diesem Fall um zwei Mengen, von denen die eine durch das Klassifikationsmerkmal „Objektklasse, der das durch den jeweiligen Namen benannte Objekt angehört“ und die andere durch das Klassifikationsmerkmal „Kennzeichnung der Art der Gruppenmitgliedschaft des Individuums“ fassbar wird (Brendler 2004a, 73–74; ders. 2004b, 39–40). Die qualitative Zweiheit wird auch im Vergleich von Definitionen des Terminus Familienname ersichtlich. So heißt es etwa in Teodolius Witkowskis terminologischem Wörterbuch unter Familienname: „Erblicher Name einer Familie“ (Witkowski 1964, 28). Wir lassen hier die sich aufdrängende, aber bereits an anderer Stelle beantwortete Frage nach dem Wesen der (familiennamenkundlich relevanten) Familie (Brendler 2009) beiseite und stellen Rosa und Volker Kohlheims Definition des Familiennamens als „zum individuellen Vornamen hinzutretender erblicher Name, der den Namensträger als Mitglied einer bestimmten Familie kennzeichnet“ (Kohlheim/Kohlheim 2005, 800) gegenüber.1 Ausführlicher und die qualitative Zweiheit explizit ansprechend formuliert Rudolf Schützeichel seine Definition von Familienname: –––––––— 1
Was das Mitglied-einer-bestimmten-Familie-Sein (Familienmitgliedschaft) ausmacht, wird weder von Kohlheim/Kohlheim 2005 noch in anderen einschlägigen onomastischen Abhandlungen zu Familiennamen erläutert. Siehe aber Brendler 2009, 584, wo es nach aus-
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Silvio Brendler
„Der Familienname eignet ebenso einer ganzen Gruppe, die als Einheit gesehen wird, wie gleichzeitig der einzelnen Person, die dieser Gruppe angehört. [...] Das besagt dann weiterhin, daß der Familienname, vom Rufnamen her gesehen, für die einzelne Person Beinamencharakter hat. Familiennamen unterscheiden sich natürlich von sonstigen Beinamen, so fest sie auch sein mögen, aber sie haben doch etwas von einem Beinamen. Sie sind „Zunamen“ zu den eigentlichen Namen, den Rufnamen, die im engeren Familienkreise (beispielsweise) allein von Belang sind. Die Zwitterstellung der Familiennamen zwischen Personengruppennamen und Beinamen muß man sich vor Augen halten, wenn ihre Entstehung wirklich begriffen werden soll.“ (Schützeichel 1982, 45–46)
Einen damit verwandten Gesichtspunkt bringt Wilfried Seibicke in die terminologische Diskussion ein, wenn er darauf hinweist, dass heutzutage die Mitglieder einer Familie nicht selten unterschiedliche „Familiennamen“ haben und er daraufhin feststellt: „Es hat folglich keinen Sinn mehr von ‚Familiennamen‘ zu reden – weder im allgemeinsprachlichen und erst recht nicht im juristischen Sinne.“ (Seibicke 2006, 144).2 Was lässt sich aus alledem für die Beantwortung der im Titel gestellten Frage entnehmen? (1) Familienname dient derzeit der Bezeichnung eines janusköpfigen Gebildes. (2) Der (Terminus) Familienname stellt ein theoretisch-terminologischklassifikatorisches Problem dar, das zustande kommen konnte, weil Theorie und Terminologie nicht in Beziehung zueinander gesetzt werden. Wie kann das Problem gelöst werden? Am besten, indem für die zwei Phänomene zwei Termini Verwendung finden, also Familienname und Familienzugehörigkeitsname (alternativ: Familienmitgliedschaftsname; Brendler 2004b, 39–40; ders. 2004a, 73–74; ders. 2008b, 52–54). Diese beiden Phänomene stehen in einem engen Abhängigkeitsverhältnis (siehe Abbildung 1).
–––––––—
2
führlicher Darstellung zusammenfassend heißt: „Wesentliches Merkmal für die Zugehörigkeit zu einer familiennamenkundlich relevanten Familie ist das Teilhaben an der Tradierung des Familiennamens eines angestammten oder durch Affiliation [infolge Heirat, Adoption oder auch im Falle von Privignalität infolge unentdeckt gebliebenen Ehebruchs] ‚erworbenen‘ Vorfahren.“ Natürlich wird hier von Seibicke eine Entwicklung angesprochen, die eine lange Geschichte hat, aber erst jetzt, wo sie allgegenwärtig geworden ist, von der Namenforschung wahrgenommen wird. Zum damit verbundenen Problem der Familienmitgliedschaft siehe die vorangehende Fußnote und beachte folgende Feststellung in Brendler 2009, 578: „Nimmt ein Mitglied der Familie zum Beispiel durch Heirat einen anderen Familien[zugehörigkeits]namen an, dann hört es im Moment des Familien[zugehörigkeits]namenwechsels auf, Mitglied d[ies]er familiennamenkundlich relevanten Familie zu sein. Es bleibt aber Mitglied der genealogisch relevanten Familie [aus der es abstammt].“
Was hat Familiennamengeographie eigentlich mit Familiennamen zu tun?
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Abbildung 1: Verhältnis von Familienzugehörigkeitsnamen und Familienname 3
Die Familienzugehörigkeitsnamen der einzelnen Familienmitglieder (zum Problem der Familienzugehörigkeit/-mitgliedschaft s. Brendler 2009) konstituieren den Familiennamen der von den Familienmitgliedern gebildeten Familie. Die Familienzugehörigkeitsnamen und der Familienname sind homonym, das heißt, sie „teilen sich“ eine Namenform beziehungsweise ein Namenlemma/Archinomem (Mozart). Um im Folgenden den herkömmlichen Terminus Familienname unter Vermeidung der Entfremdung von der namenkundlichen Tradition verwenden zu können, wird er immer dann in Anführungsstriche gesetzt, wenn ich mich von diesem distanziere, weil eigentlich Familienzugehörigkeitsnamen gemeint sind.
4. Gegenstand der Familiennamengeographie Die Namenforschung zeichnet sich bekanntlich durch ihr hohes Maß an Vernetzbarkeit mit anderen Disziplinen aus (Namenforschung als Brückenwissenschaft, s. Brendler 2005, 23–31; Schnetz 1952, 8). Insbesondere historische Forschung hat bisher von ihr profitiert (unter anderem die Sprach- und Kulturraumforschung sowie die Siedlungsgeschichte). Es verwundert daher nicht, dass Namengeographie als historische Hilfsdisziplin charakterisiert worden ist, die insbesondere mittels Karten die räumliche Dimension des Namenschatzes dokumentiert und erhellt (Kunze 1996a). Das gilt auch für die sogenannte „Familiennamengeographie“, die zum Beispiel die Verbreitung von „Familiennamen“ und „Familiennamen“-Bildungstypen, die Verbreitung dialektgeographischer Differenzen anhand von „Familiennamen“, die Einzugsgebiete von Siedlung(sräum)en anhand von Herkunftsnamen kartiert und Hinweise auf die ethni–––––––— 3
Zur besseren Übersichtlichkeit wird hier ausschließlich Filiation in der männlichen Linie berücksichtigt; sowohl zu Filiation als auch Affiliation unter Berücksichtigung weiblicher Familienmitglieder s. Brendler 2009).
356
Silvio Brendler
sche Zusammensetzung einer Bevölkerung ermittelt. Was die Verbreitung von „Familiennamen“ betrifft, so werden durch die Kartierung zunächst „Familiennamen“-Areale sichtbar gemacht, die dann je nach Fragestellung mit anderen „Familiennamen“-Arealen verglichen und schließlich erklärt und ausgewertet werden können (Dammel/Schmuck 2008, 81; Hellfritzsch 2006, 23; Klausmann 2007; West 1986; Wenzel 2005, 198). Ähnliches gilt hinsichtlich der Verbreitung von „Familiennamen“-Bildungstypen, die jedoch eine wesentlich höhere Abstraktion von den eigentlichen Namen darstellen und daher Phänomene zutage treten lassen, die durch die Kartierung der Verbreitung von „Familiennamen“ verdeckt bleiben (Bach 1953, 176, 178; Fleischer 1970, 670; Kunze 2004, 78). Die Kartierung der Verbreitung dialektgeographischer Differenzen anhand von „Familiennamen“ stellt ebenfalls eine hohe Abstraktion von den Namen selbst dar und bietet daher einen großen Informationsgehalt (Fleischer 1970, 681; Kunze 1996b, 45, 47; Nübling/Kunze 2005, 144). Direkt auf die Bedürfnisse der Demographie zugeschnitten sind Karten, welche die Einzugsgebiete von Siedlung(sräum)en anhand von Herkunftsnamen darstellen (Bach 1953, 277; Walther 1965, 16). Auch sie abstrahieren von den Namen, was darüber hinaus auch für Karten zutrifft, mit deren Hilfe man Hinweise auf die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung erkundet (Wenzel 1994, 53–60, 174–179).
5. Was Familiennamengeographie mit Familiennamen zu tun hat Es dürfte sich die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, nämlich, was Familiennamengeographie eigentlich mit Familiennamen zu tun hat, deutlich herauskristallisiert haben: nur indirekt etwas mit Familiennamen, bestenfalls direkt etwas mit Familienzugehörigkeitsnamen/Familienmitgliedschaftsnamen, wobei es oftmals nicht um die Geographie der Familienzugehörigkeitsnamen/ Familienmitgliedschaftsnamen geht, sondern vielmehr um deren Quellenwert für andere Disziplinen (besagte angewandte Forschung). Auch Familiennamengeographie wird also nicht nur zum Selbstzweck betrieben. Der Eindruck, dass es sich bei Familiennamengeographie tatsächlich um eine Art Geographie/Kartographie der Familiennamen handeln könnte, kommt durch Identitätsprobleme (ausführlich dazu Brendler 2008a) zustande, die von der Nichtberücksichtigung der Beziehung von Theorie und Terminologie herrühren, was unter anderem auch an der Metasprache der „Familiennamen“Geographie sichtbar wird, etwa wenn es heißt: „Areale Verteilung und Variation des Berufsnamens Meier“ (Faltblatt des Mainzer Kolloquiums Familiennamengeographie, 2.–4. Oktober 2008; besser: „Areale Verteilung und Variation der Berufsnamen für den Meier“), „Heutige Verbreitung des Zunamens Pechstein/ Bechstein“ (Hellfritzsch 2006, 23; besser: „Heutige Verbreitung der Zunamen Pechstein/Bechstein“) oder „Absolute Verbreitung des Familiennamens Westphal“ (Kunze 2004, 204; besser: „Absolute Verbreitung der Familiennamen Westphal“). – Die in den Klammern gegebenen Verbesserungsvorschläge sind
Was hat Familiennamengeographie eigentlich mit Familiennamen zu tun?
357
m.E. angebracht, da die Singulare in den ursprünglichen Beispielen eher als Ausdruck einer definiten denn einer möglicherweise beabsichtigten generischen Singularität verstanden werden.
6. Schlussfolgerungen Selbstverständlichkeiten der Namenforschung sollten generell gelegentlich hinterfragt werden. Das gelingt am ehesten, wenn man sich die Namenforschung in ihrer Ganzheitlichkeit in wesentlichen Zügen vor Augen führt. Des Weiteren muss man stets die Ganzheit des Namens im Blick haben, da ansonsten leicht einzelne Namenstrukturen für Namen gehalten werden (Brendler 2008a, 129, 315 und passim). Namen sind also als Namen zu begreifen und zu behandeln, eine Notwendigkeit, die gern vergessen wird. Eine Namenforschung, die derart vorgeht, betreibt zunächst Namenerforschung, dann erst Namen(be)nutzung. Mit einer solchen Sicht auf Namen und Namenforschung erscheint die hier in den Raum gestellte und beantwortete Frage als folgerichtig und unvermeidlich.
Literatur Anderson, John M. (2007): The Grammar of Names, Oxford. Bach, Adolf (1953): Deutsche Namenkunde I. Die deutschen Personennamen 2. Die deutschen Personennamen in geschichtlicher, geographischer, soziologischer und psychologischer Betrachtung, 2. Aufl., Heidelberg. Brendler, Andrea / Brendler, Silvio (Hrsg.) (2004): Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik, Hamburg. – (2005): Namenforschung morgen. Ideen, Perspektiven, Visionen, Hamburg. Brendler, Silvio (2004a): Klassifikation der Namen, in: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hrsg.): Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik, Hamburg, S. 69–92. – (2004b): Namenarten und ihre Erforschung, in: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hrsg.): Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik, Hamburg, S. 33–48. – (2005): Brückenschlagen. Von einer zukunftsträchtigen Stärke der Namenforschung, in: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hrsg.): Namenforschung morgen. Ideen, Perspektiven, Visionen, Hamburg, S. 23–31. – (2008a): Nomematik. Identitätstheoretische Grundlagen der Namenforschung (insbesondere der Namengeschichte, Namenlexikographie, Namengeographie, Namenstatistik und Namenstheorie), Hamburg. – (2008b): Probleme und Möglichkeiten der Entwicklung der onomastischen Terminologie, in: Acta Onomastica 49, S. 50–59. – (2009): Familiennamenforschung und Genealogie, in: Karlheinz Hengst / Dietlind Krüger (Hrsg.): Familiennamen im Deutschen. Erforschung und Nachschlagewerke 1. Deutsche Familiennamen im deutschen Sprachraum, Leipzig, S. 575–593.
358
Silvio Brendler
Dammel, Antje / Schmuck, Mirjam (2008): Der Deutsche Familiennamenatlas (DFA). Relevanz computergestützter Familiennamengeographie für die Dialektgeographie, in: Stephan Elspaß / Werner König (Hrsg.): Sprachgeographie digital. Die neue Generation der Sprachatlanten (mit 80 Karten), Hildesheim, S. 73–104. Fleischer, Wolfgang (1970): Personennamen. Familiennamen, in: Erhard Agricola et al. (Hrsg.): Kleine Enzyklopädie. Die deutsche Sprache, Bd. 2, Leipzig, S. 659–684. Hansack, Ernst (2000): Der Name im Sprachsystem. Grundprobleme der Sprachtheorie, Regensburg. – (2004): Das Wesen des Namens, in: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hrsg.): Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik, Hamburg, S. 51–65. Harnisch, Rüdiger / Nübling, Damaris (2004): Namenkunde, in: Geert Booij et al. (Hrsg.), Morphologie. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung, Bd. 2, Berlin, S. 1901–1910. Hellfritzsch, Volkmar, (2006): Der Zuname Pechstein/Bechstein, in: Zunamen. Zeitschrift für Namenforschung 1, S. 21–36. Iodice, Francesco (2004): Pflanzennamen, in: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hrsg.): Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik, Hamburg, S. 795–834. Klausmann, Hubert (2007): Atlas der Familiennamen von Baden-Württemberg, Ostfildern. Kohlheim, Rosa / Kohlheim, Volker (2005): Duden. Familiennamen. Herkunft und Bedeutung, korrigierte Ausgabe der 2. Aufl., Mannheim. Kunze, Konrad (1996a): Namengeographie als historische Hilfsdisziplin, in: Ernst Eichler et al. (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 2, Berlin, S. 1065–1070. – (1996b): Wortgeschichte aus Telefonbüchern, in: Ernst Bremer (Hrsg.): Stand und Aufgaben der deutschen Dialektlexikographie. Beiträge zu der Marburger Tagung vom Oktober 1992 / II. Brüder-Grimm-Symposion zur Historischen Wortforschung, Berlin, S. 37–47. Kunze, Konrad (2004): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet, 5. Aufl., München. Nübling, Damaris / Kunze, Konrad (2005): Familiennamenforschung morgen. Der deutsche Familiennamenatlas (DFA), in: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hrsg.): Namenforschung morgen. Ideen, Perspektiven, Visionen, Hamburg, S. 141–151. Schnetz, Joseph (1952): Flurnamenkunde, München. Schützeichel, Rudolf (1982): Einführung in die Familiennamenkunde, in: Gottschald, Max: Deutsche Namenkunde. Unsere Familiennamen. 5. Aufl., Berlin, S. 13–76. Seibicke, Wilfried (2006): Was ist ein Familienname?, in: Zunamen. Zeitschrift für Namenforschung 1, S. 143–146. Van Langendonck, Willy (2007): Theory and Typology of Proper Names, Berlin. Walther, Hans (1965): Bautzener Bürgernamen vom Ende des 14. Jahrhunderts, in: Rudolf Fischer (Hrsg.): Onomastica Slavogermanica I, Berlin, S. 13–21. Walther, Hans (1990): Die Namenforschung als historische Hilfswissenschaft. Eigennamen als Geschichtsquelle, Potsdam. Wenzel, Walter (1994): Studien zu sorbischen Personennamen III. Namenatlas und Beiträge zur Siedlungsgeschichte, Bautzen. – (2005): Zukunftsvisionen der slawischen Namenforschung, in: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hrsg.): Namenforschung morgen. Ideen, Perspektiven, Visionen, Hamburg, S. 192–210. Werner, Otmar (1995): Pragmatik der Eigennamen (Überblick), in: Ernst Eichler et al. (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 1, Berlin, S. 476–484. West, Robert C. (1986): An Atlas of Louisiana Surnames of French and Spanish Origin, Baton Rouge. Witkowski, Teodolius (1964): Grundbegriffe der Namenkunde, Berlin. Wotjak, Gerd (1985): Zur Semantik der Eigennamen, in: Namenkundliche Informationen 48, S. 1–17.
Anhang Farbige Abbildungen
Abbildung 3: Karte zur Verbreitung von Schwarzentruber
360 Simone M. Berchthold
Abbildung 6: Karte zur Verbreitung von Pieren
Anhang (Berchthold) 361
362
Karl Hohensinner
Karte 10: Verbreitung von Lamayr, Lachmayr, Labmayr
Anhang (Bily)
363
Karte 1: Der Name Lehmann und seine nichtsuffigierten (Lehman, Lemann, Leman) und suffigierten Varianten. Frequenz: 10813
Karte 2: Der Name Lehmann und seine nichtsuffigierten Varianten (Lehman, Lemann, Leman). Frequenz: 2987
364
Inge Bily
Karte 3: Die suffigierten Bildungen aus dem Namen Lehmann. Frequenz: 7833
Anhang (Udolph)
365
Karte 5: Verbreitung von Oberhuber (in Österreich) (Quelle: Geogen Austria)
366
Jürgen Udolph
Karte 11: Verbreitung von Mant(h)ei, Mant(h)ey (Quelle: Deutscher Familiennamenatlas, Stand 2005)
Karte 16: Verbreitung von Jozko (Quelle: http://www.genpol.com)
Karte 19: Verbreitung von Abramczuk (Quelle:
Anhang (Udolph) 367
368
Rudolf Steffens
Karte 1: Verbreitung von Heinrichs, Hermanns, Diederichs, Gerhards
Anhang (Steffens)
Karte 2: Verbreitung von Thelen, Thielen, Coenen, Kohnen
369
370
Rudolf Steffens
Karte 3: Verbreitung von Franzen, Dahmen, Lenzen, Josten, Hennen
Anhang (Steffens)
Karte 6: Verbreitung von Hamacher, Radermacher, Hutmacher, Wannemacher
371
372
Rudolf Steffens
Karte 7: Verbreitung von Schirra, Louis, Mathieu, Schillo, Piroth
Karte 1: Verbreitung von Matthäus, Mattheus, Matheus
Karte 2: Verbreitung von Matthias, Mathias
Anhang (Debus) 373
Karte 3: Verbreitung von Matthes, Mattes, Mathes, Mo(th/d)es
Karte 4: Verbreitung von Matthies, Mathis, Mathies, Matthis
374 Friedhelm Debus
Karte 5: Verbreitung von Matthiesen, Mathie(ss/ß)en, Matheisen, Matheis, Mattheis
Karte 6: Verbreitung von Matz, Motz, Matzen, Madsen
Anhang (Debus) 375
Karte 7: Verbreitung von Matt, Mathe
Karte 8: Verbreitung von Thies, Thiess, Thieß, Theis, Theiß, Theiss, Deiß, Deis, Deiss
376 Friedhelm Debus
Karte 9: Verbreitung von Tewes, Tews, Thewes, Dewes, Thews, Debus, Debes
Karte 10: Verbreitung von Matzke, Maschke, Matschke, Mätzke
Anhang (Debus) 377
378
Kathrin Dräger
Karte 3: Verbreitung der Typen Nickel, Klaus, Claas
Karte 5: Graphie ae/aa in Klaas (Marynissen 2005, Karte 4)
Karte 6: Graphie a/aa/ae in Klassen/Claasssen/Claessen
Anhang (Dräger) 379
380
Kathrin Dräger
Karte 7: Verbreitung des -sen-Suffixes und des schwachen Genitivs (-en) bei Patronymen
Anhang (Dräger)
381
Karte 8: Graphie s/ss/ß bei Clasen/Klassen/Claßen
Karte 1: Pluralbildung bei Familiennamen in den deutschen Regiolekten (aus: Atlas zur deutschen Alltagssprache)
382 Mirjam Schmuck
Karte 2: Pluralbildung bei k-Diminutiva (DiWA-Karte 26 Apfelbäumchen, Pl. nachbearbeitet)
Karte 3: Genitiv-s bei diminutivischen Familiennamen auf -ke (relativ; Kreise pro dreistellige PLZ, Kreisgröße 2-35, entspricht 0,02-5,54‰)
Anhang (Schmuck) 383
Karte 4: Patronyme aus germanischen Rufnamen auf -er mit Genitiv-s (relativ; Kreise pro dreistellige PLZ, Kreisgröße 2-40, entspricht 0,0227,62‰; Flächen pro zweistellige PLZ; Anzeigeschwelle 0,50‰)
Karte 5: Patronyme aus fremden Rufnamen auf -er mit Genitiv-s (relativ; Kreise pro dreistellige PLZ, Kreisgröße 2-40, entspricht 0,03-10,91‰; Flächen pro zweistellige PLZ; Anzeigeschwelle 1,00‰)
384 Mirjam Schmuck
Karte 7: Mit Genitiv-en abgeleitete Patronyme aus germanischen und fremden Rufnamen (relativ; Kreise pro dreistellige PLZ, Kreisgröße 2-40, entspricht 0,03-27,44‰; Flächen pro zweistellige PLZ; Anzeigeschwelle 1,00‰)
Karte 8: Mit Genitiv-en abgeleitete Patronyme zum Rufnamen Nikolaus (relativ; Kreise pro dreistellige PLZ, Kreisgröße 2-35, entspricht 0,02-3,88‰)
Anhang (Schmuck) 385
Karte 9: Pluralbildung in den niederländisch-flämischen Dialekten: armen ‚Arme‘ (MAND I, K. 24a, eigene Hervorhebung)
Karte 10: Pluralbildung in den niederländisch-flämischen Dialekten: appels ‚Äpfel‘ (MAND I, K. 32a, eigene Hervorhebung)
386 Mirjam Schmuck
Karte 12: Starker vs. schwacher Genitiv bei Moon < Simon
Karte 13: Starker vs. schwacher Genitiv bei Kool < Nikolaus
Anhang (Schmuck) 387
388
Rosa Kohlheim / Volker Kohlheim
Karte 1: Die Verbreitung von Kalender
Karte 2 : Die Verbreitung von Kaland
Anhang (Kohlheim)
389
Karte 3: Die Verbreitung von YÕldÕrÕm