Fachsprachen / Languages for Special Purposes: 1. Halbband 9783110203271, 9783110111019


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German Pages 1412 [1411] Year 1997

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Table of contents :
Inhalt / Contents
Vorwort
Preface
I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation
1. Fach und Fachwissen
1. Fach
2. Fachwissen
3. Literatur (in Auswahl)
2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation
1. Rahmenbedingungen als wissenschaftstheoretischer Leitbegriff
2. Rahmenbedingungen von Kommunikation
3. Rahmenbedingungen von Fachkommunikation
4. Rahmenbedingungen von Fachkommunikations-Forschung
5. Literatur (in Auswahl)
3. Fachsprache und Fachsprachenforschung
1. Fachsprache
2. Beschaffenheiten des Objekts 'Fachsprachen' - Ansprüche an die Fachsprachenforschung
3. Literatur (in Auswahl)
4. Darstellungsformen und Leistungen schriftlicher Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte
1. Wissenschaftstheoretische Grundlagen
2. Inhalt und Form: Einblicke in die Begriffs-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte
3. Texte und Gattungen (Textsorten)
4. Darstellungsformen der Fachlichkeit in den Einzeltexten
5. Literatur (in Auswahl)
5. Spezifische Leistungen der Sprache und anderer Kommunikationsmittel in der mündlichen Fachkommunikation
1. Einführung
2. Ansätze der Gesprächsforschung
3. Empirische Analyse mündlicher Fachkommunikation
4. Fachsprachendidaktik
5. Literatur (in Auswahl)
6. Sprachnormen und die Isolierung und Integration von Fachsprachen
1. Fachsprachliche Normen
2. Normenaspekte der Fachsprachen
3. Zur Isolation von Fachsprachen
4. Zur Integration von Fachsprachen
5. Zur kulturtheoretischen Interpretation der Fachsprachen
6. Literatur (in Auswahl)
7. Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen
1. Allgemeines
2. Die Determinanten fachlicher Kommunikationsbeziehungen
3. Ansätze zur Beschreibung fachlicher Kommunikationsbeziehungen
4. Literatur (in Auswahl)
II. Auffassungen vom Status der Fachsprachen
8. Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung
1. Einleitung
2. Begriffspluralismus
3. Theoretische Konzepte der Fachsprachenforschung
4. Ein Integrationsversuch
5. Literatur (in Auswahl)
9. Fachsprache als Wissenschaftssprache
1. Das Verhältnis von Fach- und Wissenschaftssprache
2. Wissenschaftsprozeß und Wissenschaftssprache
3. Die Dialogizität der Wissenschaftssprache
4. Universalität und Partikularität
5. Literatur (in Auswahl)
10. Techniksprache als Fachsprache
1. Problemstellung und Begriffsbestimmung
2. Techniksprache: die älteste Fachsprache
3. Techniksprache: die "alltäglichste" Fachsprache
4. Forschungsfelder
5. Sprachliche Isomorphie von Natur und Technik
6. Grundlegende Metaphernkonzepte
7. Bilanz
8. Literatur (in Auswahl)
11. Fachsprache als Gruppensprache
1. Fachsprache und soziale Heterogenität
2. Fachsprache als Wirklichkeitsorientierung für die Expertengruppe
3. Kollektives Wissen als Kommunikationsfaktor
4. Sprachregelung und Sprachdokumentation als Orientierungshilfen
5. Literatur (in Auswahl)
12. Fachsprachen und Gemeinsprache
1. Besonderes und Allgemeines
2. Polarisierung
3. Neutralisierung
4. Skalierung
5. Sozialisierung
6. Fazit
7. Literatur (in Auswahl)
13. Fachsprachen und Gruppensprachen
1. Gruppenprofile innen und außen
2. Gruppenvielfalt und metasprachliche Heterogenität
3. Gemeinsamkeiten und Besonderheiten
4. Die soziale Einheit der Handelnden. Gruppensprachen zwischen Fach- und Berufsgemeinschaft
5. Fachsprachen unter Gruppensprachen
6. Ausblick: Der dritte Prototyp
7. Literatur (in Auswahl)
14. Fachsprachen als Varietäten
1. Zum Begriff ,Varietät‘
2. Fachsprachen im Rahmen des globalen Varietätenkonzepts
3. Variationslinguistik
4. Fachsprachen im Rahmen der Variationslinguistik
5. Literatur (in Auswahl)
15. Fachsprachen als Subsprachen
1. Gemeinsprache - Subsprachen - Fachsprachen
2. Reduzierter Sprachgebrauch
3. Fachwortschätze
4. Reduzierte Syntax
5. Fachtexte
6. Literatur (in Auswahl)
16. Fachsprachen und Funktionalstile
1. Einleitung
2. Das Konzept der Funktionalstile
3. Das Konzept der Wirtschaftslinguistik
4. Ausblick: Nachwirkungen der Funktionalstilistik
17. Fachsprachen als Register
1. Sprachliche Register
2. Register und Fachkommunikation
3. Literatur (in Auswahl)
18. Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen
1. Vorüberlegungen zu den Begriffen
2. Statusspezifizierung in unterschiedlichen Zusammenhängen
3. Die Statusvielfalt der Fachsprachen
4. Literatur (in Auswahl)
III. Methoden in der Fachsprachenforschung
19. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von empirischen Erhebungsmethoden in der Fachsprachenforschung
1. Erhebungsmethoden und Gegenstandsverständnis
2. Erhebungsmethoden und Erkenntnisinteresse
3. Erhebungsmethoden im allgemeinen
4. Erhebungsmethoden im einzelnen
5. Ausblick
6. Literatur (in Auswahl)
20. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von statistischen Methoden in der Fachsprachenforschung
1. Sprachstatistik
2. Methoden
3. Ergebnisse
4. Anwendungen
5. Literatur (in Auswahl)
21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden in der Fachsprachenforschung
1. Vorbemerkungen
2. Analyse von Fachwortschätzen
3. Analyse syntaktischer Strukturen und Funktionen
4. Analyse von Fachtexten und Fachtextsorten
5. Intralinguale und interlinguale Vergleiche
6. Literatur (in Auswahl)
22. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von philologisch-historischen Methoden bei der Erforschung der Fachsprachen der Artes
1. Der Forschungsgegenstand: Die Fachsprachen der deutschen Artesliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit
2. Stand der Forschung zu deutschen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fachsprachen der Artes
3. Literatur (in Auswahl)
23. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von philologisch-historischen Methoden bei der Erforschung der älteren Rechtssprache
1. Die ältere Rechtsprache und ihre Erforschung
2. Historisch-philologische Methoden zur Erfassung rechtssprachlicher Phänomene
3. Die Sprache des Rechtslebens und die Fachsprache der Juristen
4. Literatur (in Auswahl)
24. Probleme und Methoden bei der Bestimmung der Fachgebietszugehörigkeit von Fachtexten
1. Standort und Umfeld des Themas
2. Begriffsbestimmungen
3. Notwendigkeit und Problematik der Zuordnung von Fachtexten zu Fachgebieten
4. Methodik
5. Literatur (in Auswahl)
IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung: ausgewählte Schwerpunkte
25. Fachsprachenforschung in vorhistorischen Sprachen: Forschungsansätze und Sprachrelikte
1. Wörter und Sachen im Neolithikum
2. Fernentlehnungen zeigen alte Handelswege
3. Übergang zur Steinkupferzeit
4. Von der Jagd zur Viehzucht
5. Krieger und ihre Waffen im Altertum
6. Geräte der Landwirtschaft
7. Fischfang
8. Schiffahrt
9. Von der Wohngrube zur Pfahlbausiedlung
10. Frauenarbeit und indogermanische Frauensprache
11. Schlußbemerkung
12. Literatur (in Auswahl)
26. Reflexionen zu fachsprachlichen Phänomenen in der Antike und Spätantike
1. Corpus- und Methodenprobleme
2. Die griechische Antike bis zum Hellenismus
3. Die römische Antike und Spätantike
4. Gesamtsicht
5. Literatur (in Auswahl)
27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance
1. Kulturgeschichte als Vermächtnis
2. Renaissance: Zeitliche Bestimmung
3. Renaissance-Begriff: Mentalitätsgeschichtliche Konturierung
4. Fachliches Handeln
5. Der Künstler als Wissenschaftler und Techniker: Integrative Praxis dreier Fachgebiete
6. Diglossie und Wissenschaftssprachen
7. Fachbezogene Kommunikation
8. Aspekte einer integrativen diachronen Fachsprachenforschung zur Renaissance
9. Literatur (in Auswahl)
28. Anfänge der europäischen Fachsprachenforschung im 17. und 18. Jahrhundert
1. Latein oder Volkssprache: ein Positionswandel
2. Das Differenzierende der Fachsprachen
3. Fachsprachen und wissenschaftliche Erkenntnis
4. Fachsprache und Wissensvermittlung: das Anliegen der Enzyklopädie
5. Literatur (in Auswahl)
29. Deutsch als Fachsprache in den historischen und philologischen Wissenschaften seit dem 19. Jahrhundert
1. Die deutsche Sprache und das 19. Jh.
2. Kulturspezifische Erkenntnis, Wissenschaft und Sprache
3. Schluß
4. Literatur (in Auswahl)
30. Wirtschaftslinguistik: ein historischer Überblick
1. Entstehung und historischer Hintergrund
2. Strömungen der Wirtschaftslinguistik
3. Auswirkungen der Wirtschaftslinguistik auf die Fachsprachenund Terminologieforschung
4. Wirtschaftslinguistik - heute?
5. Literatur (in Auswahl)
31. Terminologieforschung in Europa: ein historischer Überblick
1. Ursprung und frühe Vorläufer der Terminologieforschung
2. Personen, die die terminologische Forschung und Entwicklung prägten
3. Die Entwicklung bis zum 2. Weltkrieg
4. Die Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg bis zum Ende der 70er Jahre
5. Die Terminologie auf der Suche nach eigener wissenschaftlicher Identität
6. Vom Beginn der 80er Jahre bis in die Gegenwart
7. Literatur (in Auswahl)
32. Germanistische Forschungen zur mittelalterlichen Fachprosa (Fachliteratur): ein historischer Überblick
1. Mittelalterliche Fachprosa: Benennung und Definition
2. Die Anfänge der germanistischen Forschung zur mittelalterlichen Fachliteratur (19. Jh.)
3. Die Bedeutung der Wissenschaftshistoriker (1. Hälfte 20. Jh.)
4. Die Forschung nach 1945
5. Jüngste Entwicklung
6. Literatur (in Auswahl)
33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen in der Fachsprachenforschung
1. Defizite vor dem Hintergrund erarbeiteter Fakten - Desiderate in der Dynamik von Forschungsprozessen
2. Das Ende des 20. Jahrhunderts aus disziplingeschichtlicher Retrospektive
3. Forschungsstand mit Lücken - Disziplinsystematische Herausforderungen und forschungsstrategische Erwartungen
4. Methodologische Positionen - Perspektiven für die Zukunft
5. Literatur (in Auswahl)
V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen
34. Das Postulat der Exaktheit für den Fachsprachengebrauch
1. Exaktheit als Kennzeichen der Fachkommunikation
2. Exaktheit auf lexikalisch-semantischer und stilistischer Ebene
3. Exaktheit auf textueller Ebene
4. Exaktheit auf funktionaler Ebene
5. Exaktheit auf inhaltlich-gegenständlicher Ebene
6. Exaktheit auf kognitiver Ebene
7. Exaktheit auf sozialer Ebene
8. Exaktheit auf kultureller Ebene
9. Literatur (in Auswahl)
35. Vagheit bei der Verwendung von Fachsprachen
1. Vorwissenschaftliche Einstellung
2. Übersicht
3. Definition
4. Abgrenzungen
5. Pinkals Taxonomie von Vagheit
6. Praxis und Konsequenzen
7. Literatur (in Auswahl)
36. Das Postulat der Explizitheit für den Fachsprachengebrauch
1. Einleitung
2. Definition
3. Typologie der Explizierung
4. Explizierungsregeln
5. Praxis
6. Nichtsprachliche Daten
7. Literatur (in Auswahl)
37. Das Postulat der Ökonomie für den Fachsprachengebrauch
1. Einleitende Bemerkungen
2. Lexikalische Ebene
3. Syntaktische Ebene
4. Ökonomie und Explizitheit - ein Widerspruch?
5. Tendenzen zur Ökonomie in der schriftlichen und mündlichen Fachkommunikation
6. Schlußbemerkungen
7. Literatur (in Auswahl)
38. Das Postulat der Anonymität für den Fachsprachengebrauch
1. Gegenstandsbestimmung
2. Lexikalische Ebene
3. Morphosyntaktische Ebene
4. Textuelle Ebene
5. Literatur (in Auswahl)
39. Verständlichkeit beim Gebrauch von Fachsprachen
1. Problemstellung und Forschungsstand
2. Verständlichkeit, Verstehen und Wissen
3. Fachsprachliche Schichtung, Fachtextsorten und Verständlichkeit
4. Adressatenorientierung und Sachangemessenheit
5. Didaktische Möglichkeiten zur Verbesserung der Verständlichkeit bei der Gestaltung von Fachtexten
6. Literatur (in Auswahl)
VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen
40. Textuelle Eigenschaften von Fachsprachen
1. Der Fachtext als Manifestation von Fachsprache
2. Der Fachtext als transphrastische Ganzheit
3. Der Fachtext als semantische Ganzheit
4. Der Fachtext als syntaktische Ganzheit
5. Der Fachtext als funktionale Ganzheit
6. Das Konzept der Gliederungssignale als Grundlage für die Analyse von Fachtextmakrostrukturen
7. Die inhaltlich-gegenständliche Dimension des Fachtextes
8. Der Fachtext als Ausdruck von Fachkompetenz
9. Literatur (in Auswahl)
41. Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen
1. Syntaktisch-morphologische Selektion und Funktionswandel
2. Eigenschaften von Sätzen
3. Eigenschaften der Satzkonstituenten
4. Morphologie im Dienste der Syntax
5. Literatur (in Auswahl)
42. Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen
1. Vorbemerkung
2. Die lexikalische Seite von Fachsprachen
3. Die Inhaltsseite
4. Quellen für Fachwortschätze
5. Literatur (in Auswahl)
43. Graphematische und phonologische Eigenschaften von Fachsprachen
1. Vorbemerkungen
2. Schriftliche Aspekte der Fachsprachen
3. Lautliche Aspekte der Fachsprachen
4. Literatur (in Auswahl)
VII. Textlinguistische Ansätze in der neueren Fachsprachenforschung I: Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten
44. Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik, dargestellt mit Bezug auf Fachtexte
1. Textbegriffe: Paradoxien der Definition
2. Was ist ein Fachtext?
3. Verhältnis zum Wissen des Rezipienten
4. Pragmatisch-kommunikative Textauffassung: ein Widerspruch?
5. Über den (zweifelhaften) Nutzen der Textsorten
6. Kohärenz und Kohäsion: Textschemata
7. Textsemantik: Beziehbarkeiten
8. Ausblick: Texte als Problemlösungen
9. Literatur (in Auswahl)
45. Fachtextsorten und andere Textklassen: Probleme ihrer Bestimmung, Abgrenzung und Einteilung
1. Einleitung
2. Textlinguistische und klassifikatorische Bezugspunkte
3. Fachtextsorten im Textsortenspektrum
4. Schlußbemerkungen
5. Literatur (in Auswahl)
46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung
1. Vom Fachwort zum Fachtext
2. Fachtexte
3. Fachtextsorten
4. Literatur (in Auswahl)
47. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen I: der wissenschaftliche Zeitschriftenaufsatz
1. Einleitung: terminologische Klärung
2. Die kommunikative Funktion akademisch-wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze gegenüber populärwissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln
3. Linguistische Merkmale des akademisch-wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatzes
4. Die Verwendung nichtverbaler Informationsträger
5. Der wissenschaftliche Zeitschriftenaufsatz als Gegenstand diachroner und interkultureller Untersuchungen
6. Literatur (in Auswahl)
48. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen II: die wissenschaftliche Rezension
1. Vorbemerkungen
2. Beschreibung der Textsorte wissenschaftliche Rezension
3. Anspruch und Wirklichkeit
4. Literatur (in Auswahl)
49. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen III: Abstract und Protokoll
1. Abstract und Protokoll: texttypologische Besonderheiten
2. Das Abstract als rekapitulierende Textsorte
3. Das Protokoll als rekonstruierende Textsorte
4. Literatur (in Auswahl)
50. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen IV: das fachinterne Gutachten zu wissenschaftlichen Arbeiten
1. Gutachten: Begriff und Funktion
2. Fachinterne Gutachten als Textsorte
3. Linguistische und kommunikative Beschreibung fachinterner Gutachten
4. Literatur (in Auswahl)
51. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen V: der Kongreßvortrag
1. Allgemeine Charakteristik der Textsorte Kongreßvortrag
2. Strukturelle Eigenschaften der Textsorte Kongreßvortrag
3. Differenzierungen innerhalb der Textsorte Kongreßvortrag
4. Literatur (in Auswahl)
51a. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen VI: Diskussion(en) unter Wissenschaftlern
1. Allgemeine Charakteristika von Diskussionen unter Wissenschaftlern
2. Strukturelle Eigenschaften von Diskussionen unter Wissenschaftlern
3. Interaktive Konstellationen und Diskussionen unter Wissenschaftlern
4. Literatur (in Auswahl)
52. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen VII: das Prüfungsgespräch
1. Allgemeine Charakteristik der Textsorte Prüfungsgespräch
2. Strukturelle Eigenschaften der Textsorte Prüfungsgespräch
3. Varianten des Prüfungsgesprächs
4. Literatur (in Auswahl)
53. Fachtextsorten der Institutionensprachen I: das Gesetz
1. Gesetz: allgemeine Bestimmung
2. Recht und Gesetz
3. Formen und Funktionen
4. Literatur (in Auswahl)
54. Fachtextsorten der Institutionensprachen II: Erlaß, Verordnung und Dekret
1. Vorbemerkungen zur Fachsprache des Rechts
2. Erlaß, Verordnung und Dekret im Sprachenvergleich deutsch-französisch
3. Literatur (in Auswahl)
55. Fachtextsorten der Institutionensprachen III: Verträge
1. Vertrag: Begriff und Funktion
2. Verträge als Textsorte
3. Linguistische und kommunikative Beschreibung von Verträgen am Beispiel von Kaufverträgen über Wohnungseigentum
4. Literatur (in Auswahl)
56. Fachtextsorten der Institutionensprachen IV: die Personenstandsurkunde am Beispiel der Geburtsurkunde
1. Begrifflichkeit
2. Geschichte
3. Die Geburtsurkunde als Textsorte
4. Die Geburtsurkunde als Gegenstand der Übersetzung
5. Literatur (in Auswahl)
57. Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik: ein Überblick
1. Zur Relation von Fächern, Fachsprachen und Fachtextsorten
2. Das Textsortenspektrum der Naturwissenschaften und der Technik
3. Charakteristika von Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik
4. Literatur (in Auswahl)
58. Fachtextsorten der Techniksprachen: die Patentschrift
1. Einleitung: die Funktion der Patentschrift in der wissenschaftlich-technischen Entwicklung
2. Linguistische Merkmale der Fachtextsorte Patentschrift
3. Historische und interkulturelle Aspekte der Patentschrift
4. Ausblick
5. Literatur (in Auswahl)
59. Types of subject-specific informational texts I: The weather report in daily newspapers
1. Weather reports - a minilect
2. Studies of weather reports
3. Macrostructure
4. Text and picture
5. Syntax
6. Vocabulary and choice of words
7. Conclusion
8. References
60. Sorten fachbezogener Vermittlungstexte II: die Bedienungsanleitung für fachexterne Adressaten
1. Bedienungsanleitung: Begriff und Funktion
2. Bedienungsanleitungen als Textsorte
3. Linguistische und kommunikative Beschreibung von Bedienungsanleitungen für Elektrogeräte
4. Literatur (in Auswahl)
61. Sorten fachbezogener Vermittlungstexte III: bebilderte Werkzeugkataloge
1. Bild und Wort, Wort und Bild
2. Bebilderte Werkzeugkataloge: Begriff und Funktion
3. Strukturelle und sprachliche Merkmale bebilderter Werkzeugkataloge
4. Abgrenzung gegen andere bebilderte (Fach-)Textsorten
5. Literatur (in Auswahl)
62. Sorten fachbezogener Vermittlungstexte IV: Beipackzettel
1. Einführung
2. Kommunikative Merkmale der Fachtextsorte Beipackzettel
3. Strukturelle Spezifika
4. Ausblick
5. Literatur (in Auswahl)
62 a. Fachsprachliche Phänomene in Gebrauchstexten
1. Begriffsklärungen
2. Eine Systematik der Kommunikationsbereiche, in denen Gebrauchstexte mit fachsprachlichen Elementen vorkommen
3. Literatur (in Auswahl)
VIII. Textlinguistische Ansätze in der neueren Fachsprachenforschung II: spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung
63. Isotopien in Wirtschaftsfachtexten: ein Analysebeispiel
1. Einleitung
2. Zum Isotopie-Begriff in der Sprachwissenschaft
3. Analysebeispiel
4. Isotopien und Fachsprachenforschung
5. Schlußbemerkung
6. Anhang I und Anhang II
7. Literatur (in Auswahl)
64. Intertextualität von linguistischen Fachtexten: ein Analysebeispiel
1. Intertextualität und Wissenschaftskommunikation
2. Textbegriffe und Relationen zwischen Texten
3. Arten intertextueller Bezugnahmen
4. Intertextualität von Wissenschaftskommunikation: Textbeispiele
5. Literatur (in Auswahl)
65. Kohärenz und Kohäsion in wissenschaftssprachlichen Texten: ein Analysebeispiel
1. Einleitung
2. Hyperthema und thematische Makrostruktur
3. Texttyp
4. Textsorte
5. Thema-Rhema-Organisation im allgemeinen
6. Beispiel einer Thema-Rhema-Analyse
7. Literatur (in Auswahl)
66. Titel in wissenschaftlichen Texten
1. Zum Forschungsinteresse an Fachtiteln
2. Funktionen von Fachtiteln
3. Historische Fachtitelforschung als Desiderat
4. Literatur (in Auswahl)
67. Textverdichtung und Textauflockerung im standardisierten Fachwörterbuchartikel
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen und Operationen
3. Schlußbemerkungen
4. Literatur (in Auswahl)
IX. Spezielle Aspekte der Fachkommunikation I: die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt
68. Fachkommunikation im Betrieb am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt
1. Fachkommunikation im Betrieb: theoretische Aspekte
2. Der Beispiel-Betrieb: die Stadtwerke einer Großstadt
3. Ausgewählte Aspekte fachlich-beruflicher Kommunikation in der Abteilung Rohrnetzbetrieb
5. Literatur (in Auswahl)
69. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in ausgewählten Bereichen der modernen Arbeitswelt
1. Computer-Fachsprachen und Büroarbeit
2. Manuals
3. Die Benutzereinweisung
4. Arbeitsorganisierung
5. Ausblick
6. Literatur (in Auswahl)
70. Die Verwendung von Institutionensprache in Ämtern und Behörden
1. Ämter und Behörden als Institutionen
2. Sprachliches Handeln in deutschen behördlichen Institutionen (Praxeogramm)
3. Institutionensprache als schriftliche Kommunikation
4. Institutionelle Materialität der Sprache
5. Amtsdeutsch
6. Mündliche Kommunikation auf Ämtern und Behörden
7. Amtssprache
8. Ausblick
9. Literatur (in Auswahl)
71. Fachsprachen und Fachjargon im Theater
1. Inhomogenität
2. Fachsprache in Aktion
3. Terminologisierung
4. Subsysteme
5. Jargon
6. Soziolekt
7. Literatur (in Auswahl)
X. Spezielle Aspekte von Fachkommunikation II: Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt
72. Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen: theoretische und methodische Probleme
1. Differenzierung im Sprachgebrauch: Dialekt, Soziolekt, Technolekt; Funktionalstil
2. Kommunikation und Kommunikationsbereich(e)
3. Fachliche und andere Kommunikationsbereiche
4. Austauschprozesse und gegenseitige Einwirkungen
5. Methoden zur Erfassung, Beschreibung und Erklärung der Austauschprozesse
6. Literatur (in Auswahl)
73. Austauschprozesse zwischen unterschiedlichen fachlichen Kommunikationsbereichen
1. Interdisziplinäre Kommunikation
2. Fachliche Kommunikationsbereiche
3. Interfachliche Kommunikation als kulturelles Handeln
4. Aktantenkonstellationen
5. Sprache und Wissen
6. Ausdrucks- und Wissensstufen
7. Importe
8. Wissensakzeß als kommunikativer Prozeß; interagentialer Transfer
9. Fächerdiskurse
10. Agent-Agent-Kommunikation
11. Literatur (in Auswahl)
74. Fachsprachliche Phänomene in der Alltagskommunikation
1. Problemstellung
2. Methodische Vorannahmen
3. Ursachen des sprachlichen Transfers
4. Transfers aus der Wissenschaftssprache
5. Transfers aus der Techniksprache
6. Literatur (in Auswahl)
75. Fachsprachliche Phänomene in der Schönen Literatur
1. Literarität - Fiktionalität - Ästhetik
2. Ästhetik - Pragmatik
3. Verschränkung von Literatur und Fachlichkeit
4. Gemeinschaft der Künste
5. Schöne Literatur und fachliche Anliegen
6. Methodologische Ansprüche
7. Literatur (in Auswahl)
76. Fachsprachliche Phänomene in den verschiedenen Sorten von populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten
1. Populärwissenschaftliche Vermittlungstexte aus kulturhistorischer Sicht
2. Die invarianten fachsprachlichen Phänomene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte
3. Die varianten fachsprachlichen Phänomene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte
4. Literatur (in Auswahl)
77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern
1. Forschungsstand
2. Fachsprachen und politische Fachsprache
3. Untersuchungen fachsprachlicher Phänomene in politischöffentlichem Sprachgebrauch
4. Literatur (in Auswahl)
78. Fachsprachliche Phänomene in Verkauf und Konsum
1. Einführung: die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
2. Charakterisierung des Objektbereichs
3. Der Bereich Verkauf und Konsum im Rahmen allgemeiner Fachsprachenkonzeptionen
4. Beispiele für Kommunikationsformen im Bereich Verkauf und Konsum
5. Schlußbetrachtung
6. Literatur (in Auswahl)
79. Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen I: Englisch - Deutsch im 20. Jahrhundert
1. Englisch als weltweit dominierende Verkehrs- und Fachsprache
2. Gründe für die Verringerung der Bedeutung des Deutschen in derWelt
3. Hermann Dungers Streitschrift wider die Engländerei in der deutschen Sprache
4. Deutsch als Wissenschaftssprache
5. Die Situation in den Fachsprachen heute
6. Zum Eindringen von Fachwörtern in die Gemeinsprache
7. Lexikographische Behandlung der Fachwörter
8. Literatur (in Auswahl)
80. Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen II: Englisch - Französisch im 20. Jahrhundert
1. Der Anglizismus im Neufranzösischen
2. Der historische Rahmen und die Imagologie
3. Englisch dominierte Fachsprachen des Neufranzösischen
4. Der technische Anglizismus als Gegenstand der Sprachkritik
5. Die Ausbildung der heutigen Fachsprachen und der Einfluß des Englischen
6. Technischer Anglizismus und Sprachplanung
7. Fachsprache und Gemeinsprache
8. Lexikographie und englischer Lehnwortschatz
9. Grammatische Anglizismen
10. Ergebnisse und Ausblick
11. Literatur (in Auswahl)
81. Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen III: Fachübersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften
1. Die Problematik der Fachübersetzung
2. Einzelfragen des Übersetzens in den Geistes- und Sozialwissenschaften
3. Übersetzen in einzelnen Fachbereichen
4. Literatur (in Auswahl)
82. Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen IV: Fachübersetzung in den Naturwissenschaften und der Technik
1. Einführung
2. Zum Übersetzen allgemein
3. Übersetzungsrelevante Besonderheiten der Kommunikation in Naturwissenschaft und Technik
4. Fachsprache und Übersetzen
5. Einzelfragen des Übersetzens in Naturwissenschaft und Technik
6. Literatur (in Auswahl)
XI. Spezielle Aspekte von Fachkommunikation III: Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik
83. Fachsprachen und öffentliches Leben: Kommunikation in der arbeitsteiligen Gesellschaft
1. Alltag und fachliches Umfeld
2. Pragmatische Aspekte fachbezogener Kommunikation
3. Sprachkultur
4. Literatur (in Auswahl)
84. Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch I: die Stellung der deutschen Wissenschaftssprachen außerhalb des deutschen Sprachgebiets
1. Zu den Begriffen ,Stellung einer Sprache (als Wissenschaftssprache)‘, ,außerhalb ihres Sprachgebiets‘ und ,international‘
2. Historischer Abriß der Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache
3. Derzeitige Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache
4. Probleme infolge von Stellungseinbußen von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache und Förderungsbemühungen
5. Literatur (in Auswahl)
85. Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch II: die Stellung der französischen Wissenschaftssprachen außerhalb Frankreichs
1. Der Begriff ,Frankophonie‘
2. Technolektbezogene Sprachpolitik und ihre Institutionen
3. Normative Gesichtspunkte
4. Konkurrenz
5. Literatur (in Auswahl)
86. Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch III: die Stellung der englischen Wissenschaftssprachen in der Welt
1. Einleitung
2. Problem
3. Situation
4. Gründe
5. Kritik
6. Ausblick
7. Literatur (in Auswahl)
87. Das Englische als Fachsprache in internationalen Institutionen des 20. Jahrhunderts
1. Einleitung
2. Probleme des Gegenstandsbereichs
3. Situation
4. Tendenzen
5. Literatur (in Auswahl)
88. Fachsprachliche Phänomene in der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation
1. Bestandsaufnahme
2. Theorie interkultureller Wirtschaftskommunikation
3. Literatur (in Auswahl)
89. Kritik der Wissenschaftssprachen
1. Begriffliche Klärungen
2. Kritik der Wissenschaftssprache als Teil und im Zusammenhang innerwissenschaftlicher Entwicklungen
3. Wissenschaftssprache und Öffentlichkeit
4. Wissenschaftssprachkritik und Sprachkultur
5. Wissenschaftssprachen-Kritik - Wissenschaftssprachliche Interkulturalität oder neue Einsprachigkeit?
6. Literatur (in Auswahl)
90. Kritik der Institutionensprache am Beispiel der Verwaltungssprache
1. Grundsätzliches zum Verhältnis von Verwaltungsund allgemeiner Sprache
2. Die vorbildliche Kanzleisprache
3. Gegen den „Papierstil“
4. Die Sprache der verwalteten Welt
5. Bürgernahe Verständigung
6. Expertensprache und Plastikwörter
7. Literatur (in Auswahl)
91. Plansprachen als Fachsprachen
1. Plansprachen - Sprachplanung - Fachsprachen
2. Die wichtigsten Plansprachen
3. Esperanto
4. Plansprachliche Impulse für die Terminologiewissenschaft
5. Literatur (in Auswahl)
92. Der Einfluß der puristischen Strömungen in Deutschland auf die Gestaltung der deutschen Fachlexik
1. Fachsprachen, Fremdwörter und (Fremdwort-)Purismus
2. Geschichte des fachsprachlichen Fremdwortpurismus
3. Schluß
4. Literatur (in Auswahl)
93. Möglichkeiten der Optimierung von Fachtexten
1. Ansatzpunkte für Textoptimierungen
2. Textoptimierung auf der Grundlage
3. Textoptimierung von Benutzertests
4. Textoptimierung durch kontrollierte Sprachen
5. Zur Relation von Ausgangstext und optimiertem Text
6. Ausblick
7. Literatur (in Auswahl)
XII. Spezielle Aspekte von Fachkommunikation IV: zur Funktion von künstlichen Sprachen
94. Der Gebrauch und die Leistung von logischen Sprachen in den Geisteswissenschaften
1. Einführung: Zu Geschichte und Begriff der modernen Logik
2. Formale Logiksprachen: Aufgabenstellung und Darstellung
3. Übersetzung zwischen natürlicher Sprache und Logiksprache
4. Zum Gebrauch der Logiken bzw. Logiksprachen in den Geisteswissenschaften
5. Was sollte die Anwendung formaler Logiksprachen in den Geisteswissenschaften leisten und was leistet sie?
6. Literatur (in Auswahl)
95. Das Verhältnis von formalen Sprachen und verbalen Fachsprachen in den neueren Naturwissenschaften
1. Historischer Überblick
2. Formalisierung
3. Logik und Mathematik
4. Physik
5. Modellbildung in Physik, Chemie und Biologie
6. Literatur (in Auswahl)
96. Mensch-Maschine-Interaktion: die Struktur und der Gebrauch von Interaktionssprachen
1. Interaktionssprache gegenüber Fachsprache und Notation
2. Entwicklung der Interaktionssprachen
3. Struktur der Interaktionssprachen
4. Untersuchungen über Interaktionssprachen
5. Schlußbemerkung
6. Literatur (in Auswahl)
XIII. Fachsprachliche Ausbildung und Fachsprachendidaktik
97. Bedarf, Ziele und Gegenstände fachsprachlicher Ausbildung
1. Zur (neueren) Entwicklungsgeschichte und Typologisierung fachsprachlicher Ausbildung
2. Bedarf und Bedarfsorientierung
3. Zielsetzungen fach- und berufsbezogener Sprachausbildung
4. Gegenstände: Lehrinhalte/Lehrstoffe
5. Literatur (in Auswahl)
98. Methoden im fachbezogenen Muttersprachenunterricht
1. Fachsprachen in Sprach- und Sachfächern
2. Grenzen und Möglichkeiten der Behandlung von Fachsprachen im muttersprachlichen Unterricht
3. Fachsprachen in einzelnen Schularten
4. Ausblick
5. Literatur (in Auswahl)
99. Methoden des fachbezogenen Unterrichts Deutsch als Fremdsprache (DaF)
1. Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen
2. Methoden und Unterricht
3. Methodik und Fachsprachendidaktik
4. Entwicklungen im methodischen Bereich
5. Fachbezug in unterschiedlichen Konstellationen
6. Literatur (in Auswahl)
100. Methoden im fachbezogenen Fremdsprachenunterricht
1. Historische Abhängigkeiten
2. ESP - EOP - EAP - EST
3. Methodische Grundsätze des fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts
4. Literatur (in Auswahl)
101. Fachsprachliche Fehlerlinguistik
1. Definition
2. Literatur
3. Methoden der Fehlerlinguistik
4. Funktionen einer fachsprachlichen Fehlerlinguistik
5. Aufgabenfelder einer fachsprachlichen Fehlerlinguistik
6. Spezifik einer fachsprachlichen Fehlerlinguistik
7. Literatur (in Auswahl)
102. Terminologieausbildung
1. Geschichtliche Entwicklung
2. Typologie der Ausbildungsgänge und ihre Zielgruppen
3. Ausbildungsbedarf
4. Themenkreise der Terminologieausbildung
5. Didaktik und Ausbildungsmaterial
6. Typologie der Terminologieausbilder
7. Berufsbild des Terminologen
8. Literatur (in Auswahl)
103. Fachsprachliche Lehrmittelsysteme
1. Vorbemerkungen
2. Bestimmungsfaktoren fachsprachlicher Lehrwerke
3. Lehrwerksgenerationen und Klassifizierungskriterien
4. Lehrwerkanalyse und Lehrwerkkritik
5. Literatur (in Auswahl)
104. Institutionen für die fachsprachliche Ausbildung
1. Vorbemerkungen
2. Universitäten
3. Technische Hochschulen(Universitäten), Wirtschaftshochschulen(-universitäten), Fach(hoch)schulen
4. Berufsschulen, betriebliche Erwachsenenbildung, Volkshochschulen, private Sprachenschulen
5. Schulen
6. Andere Einrichtungen
7. Literatur (in Auswahl)
105. Fachsprachliche Ausbildung in einzelnen Regionen und Ländern
1. Die Bedeutung des Englischen
2. Fachfremdsprachenunterricht und Sprachenpolitik
3. Fachfremdsprachenunterricht für Studium und Beruf
4. Lehr- und Lernmaterialien
5. Lehrerausbildung
6. Literatur (in Auswahl)
106. Fachübersetzerausbildung und Fachübersetzungsdidaktik
1. Einleitung
2. Strukturen der Fachübersetzerausbildung
3. Aspekte der Fachübersetzungsdidaktik
4. Literatur (in Auswahl)
106 a. Schreiben in der Technik / Technical Writing
1. Definition
2. Benennungsaspekte
3. Ursprünge und Entwicklung des Technical Writing
4. Die zunehmende Bedeutung des Technical Writing
5. Vereinigungen zur Förderung der Technischen Kommunikation
6. Berufskundliche Aspekte
7. Aus- und Weiterbildungsangebot
8. Auswirkungen auf andere Berufsbilder
9. Didaktik des Technical Writing
10. Forschung auf dem Gebiet des Technical Writing
11. Literatur (in Auswahl)
107. Neue berufliche Aufgaben und Berufsbilder
1. Wissenskommunikation
2. Veränderte Rolle der Sprache
3. Klassische Herausforderungen der Wissensspeicher
4. Die Probleme der Wissensvermittlung über die Medien
5. Herausforderungen an der Benutzerschnittstelle
6. Die zunehmende Komplexität des Wissenszugangs
7. Literatur (in Auswahl)
XIV. Beschreibungen ausgewählter Fachsprachen I: deutsche Fachsprachen der Urproduktion und des Handwerks
108. Die deutschen handwerklichen Fachsprachen und ihre Erforschung: eine Übersicht
1. Handwerk als sprachgestütztes Resultat der Arbeitsteilung
2. Stadien der Handwerkentwicklung und sprachlicher Ausbau
3. Systematik der sprachbezogenen Analyse
4. Literatur (in Auswahl)
109. Die niederdeutsche Fachsprache der Reepschläger
1. Das Reepschlägerhandwerk und seine Geschichte
2. Die Erforschung der Fachsprache
3. Merkmale der Fachsprache
4. Literatur (in Auswahl)
110. Die niederdeutsche Fachsprache im Fischereiwesen
1. Begriffsbestimmung
2. Forschungsgeschichte
3. Außersprachliche Einordnungen
4. Innersprachliche Merkmale
5. Literatur (in Auswahl)
111. Die niederdeutsche Fachsprache der Schifferei
1. Vorbemerkungen
2. Die Entwicklung der Schiffersprache
3. Sozio-pragmatische und geographische Anwendungsbedingungen
4. Schiffersprache: Begriff und Sprachrealität
5. Literatur (in Auswahl)
112. Die niederdeutsche Fachsprache der Müllerei
1. Definitionen. Theoretisches
2. Aspekte der Forschung
3. Merkmale des Wortschatzes
4. Zur Geschichte des Wortschatzes
5. Literatur (in Auswahl)
113. Die Fachsprache der Fischer an Rhein und Mosel
1. Historische Fischerfachsprache
2. Die deutsche Fischerfachsprache in diachroner und diatopischer Sicht
3. Die Fischerfachsprache als Terminologie
4. Literatur (in Auswahl)
114. Die Fachsprache der Maurer im Pfälzischen
1. Abgrenzung
2. Zur Geschichte
3. Materialbasis
4. Beschreibung der Fachsprache der Maurer
5. Literatur (in Auswahl)
115. Die Fachsprache der holzverarbeitenden Berufe im Hessischen
1. Zum Gegenstand
2. Terminologische Felder
3. Die Werkstoffe
4. Werkzeuge
5. Tätigkeiten
6. Perspektiven
7. Literatur (in Auswahl)
116. Die Fachsprache der Imker im Südhessischen
1. Einleitung
2. Materialgrundlage
3. Historischer Exkurs
4. Lexik der südhessischen Imkersprache
5. Volkskundlicher Aspekt
6. Literatur (in Auswahl)
117. Die Fachsprache der Winzer unter besonderer Berücksichtigung des Rhein-Mosel-Gebiets
1. Historische Winzerfachsprache
2. Die Winzerterminologie als Quelle der Sprach- und Kulturgeschichte. Fallbeispiele aus den Rheinlanden
3. Vorläufiges zur Arealstruktur der Winzerterminologie
4. Winzerfachsprache und Winzerlexik gestern und heute
5. Literatur (in Auswahl)
118. Die Fachsprache des Bergbaus
1. Bergbausprache und Kommunikation
2. Textsorten und Sprachwandel
3. Quellen für die Untersuchung der Bergbausprache
4. Ausblick
5. Literatur (in Auswahl)
119. Die Fachsprache der Buchdrucker
1. Einleitung
2. Fach- und Sachgeschichte
3. Forschungsgeschichte
4. Der frühe handwerkliche Fachwortschatz bis 1800
5. Die Veränderung der handwerklichen Fachsprache durch die Technisierung: die Lexik
6. Innerfachliche Sprachebenen: der Fachstil
7. Die Fachsprache der Buchdrucker nach dem Ende des Buchdrucks
8. Literatur
120. Die neuere Fachsprache der Jäger
1. Vorbemerkung
2. Die Jagd im 18. Jh. und in der 1. Hälfte des 19. Jh.s
3. Einschätzung der Jagdterminologie im 18. Jh.
4. Einschätzung der Jagdterminologie im 19. Jh.
5. Sozial und fachlich bedingte Elemente in der Jagdterminologie
6. Entwicklung der Jagdterminologie nach 1848
7. Literatur (in Auswahl)
121. Die Fachsprache der bäuerlichen Landwirtschaft im Schweizerdeutschen (Käserei, Molkerei, Viehzucht)
1. Vorbemerkung
2. Historischer Abriß
3. Gliederung
4. Sachbereiche
5. Zur Herkunft des Wortschatzes
6. Literatur (in Auswahl)
122. Die Fachsprache der Fischerei im Schweizerdeutschen
1. Forschungsgeschichte
2. Quellen zur Fachsprache der Fischerei
3. Die Fachsprache der Fischer anhand eines ausgewählten Beispiels: Das ortsübliche Fischerboot
4. Schlußbetrachtung
5. Literatur (in Auswahl)
123. Der Quellenwert von Dialektwörterbüchern für die historische Fachsprachenforschung I: handwerkliche Fachsprachen in den großlandschaftlichen Wörterbüchern der niederdeutschen Dialekte
1. Einleitung
2. Ausgewählte Wörterbücher
3. Methode der Untersuchung
4. Zur Berücksichtigung der handwerklichen Fachsprachen in den großlandschaftlichen Wörterbüchern
5. Zum Quellenwert der Dialektwörterbücher bezüglich der handwerklichen Fachsprachen
6. Literatur (in Auswahl)
124. Der Quellenwert von Dialektwörterbüchern für die historische Fachsprachenforschung II: handwerkliche Fachsprachen in den großlandschaftlichen Wörterbüchern der hochdeutschen Dialekte
1. Vorgängige Klärungen
2. Die Aussagen der Vorwörter
3. Die Praxis der Beschreibung I: Zeichen und Zeichenausdruck
4. Die Praxis der Beschreibung II: Sache und Zeicheninhalt
5. Literatur (in Auswahl)
XV. Beschreibungen ausgewählter Fachsprachen II: technische Fachsprachen des Deutschen und Fachsprachen angewandter Wissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert
125. Technische Fachsprache im Bereich der Gießereitechnik
1. Einleitung
2. Technische Fachsprache in der Gießereitechnik
3. Praxis der Fachsprache
4. Literatur (in Auswahl)
126. Technische Fachsprachen im Bereich der Kraftfahrzeugtechnik
1. Gegenstand der Kraftfahrzeugtechnik
2. Geschichte der Kraftfahrzeugtechnik
3. Das Kraftfahrzeug als Spiegel der Kultur
4. Textsorten und Stilebenen der Kraftfahrzeugtechnik
5. Terminologie der Kraftfahrzeugtechnik
6. Translatorische Aspekte
7. Literatur (in Auswahl)
127. Technische Fachsprachen im Bereich der Elektrotechnik. Zur Genese einer wissenschaftlich-technischen Fachsprache - ausgewählte Entwicklungsaspekte
1. Entwicklung der Fachkommunikation
2. Vertikale Schichtung der Fachsprache
3. Charakteristika elektrotechnischer Fachlexik
4. Literatur (in Auswahl)
128. Technische Fachsprachen im Bereich der Informatik
1. Gebiet der Informatik und Gesamtgebiet der Computertechnologie
2. Generelle Merkmale der Fachsprache
3. Formale Systeme und Textebene
4. Wortschatzebene
5. Bezug zur Gemeinsprache
6. Literatur (in Auswahl)
129. Die Fachsprache der Verfahrenstechnik
1. Vorbemerkung
2. Geschichte der Fachsprache der Verfahrenstechnik und Forschungslage
3. Allgemeine Merkmale von Fachtexten der Verfahrenstechnik und wichtige Fachtextsorten
4. Syntax und Morphologie
5. Fachwortschatz der Verfahrenstechnik
6. Nichtsprachliche Mittel in der Fachsprache der Verfahrenstechnik
7. Vertikale Schichtung in der Fachsprache der Verfahrenstechnik
8. Nachbarschaft zu anderen Fachsprachen
9. Literatur (in Auswahl)
130. Die Fachsprache im Bereich der Wärmetechnik / Feuerungstechnik
1. Die Wärme- / Feuerungstechnik als interdisziplinäres Fach
2. Konsequenzen für die Fachsprache
3. Die Fachsprache im Bereich im Bereich der Wärme- / Feuerungstechnik
4. Ausblicke
5. Literatur (in Auswahl)
131. Technische Fachsprachen im Maschinen- und Anlagenbau - am Beispiel der Fördertechnik
1. Einleitung
2. Technische Fachsprachen im Maschinen- und Anlagenbau
3. Sprachliche Charakteristika der Fachsprachen
4. Praxis der Fachsprachen
5. Literatur (in Auswahl)
132. Technische Fachsprachen im Textilwesen
1. Vorbemerkungen
2. Explikative Implikationen zur textilspezifischen Fachsprache
3. Grundlegungen für eine normative Fachsprache
4. Literatur (in Auswahl)
133. Technische Fachsprachen im Eisenbahnwesen unter besonderer Berücksichtigung des Eisenbahnbaus
1. England als Mutterland der Eisenbahn
2. Synonymie im Fachwortbereich und Armut im verbalen Ausdruck
3. Die neuere Entwicklung
4. Forschungsstand und Ausblick
5. Literatur (in Auswahl)
134. Die technische Fachsprache der Seefahrt
1. Einleitung
2. Entstehung der modernen Seefahrt
3. Entwicklung der maritimen Fachsprache
4. Gegenwärtiger Stand
5. Ausblick: künftige Tendenz
6. Literatur (in Auswahl)
135. Technische Fachsprachen im Bereich der Telekommunikation
1. Vorbemerkung
2. Entwicklung und Strukturierung des Kommunikationsbereiches
3. Fachwortschätze im Bereich der Telekommunikation
4. Syntax
5. Nichtsprachliche Mittel in Texten der Telekommunikation
6. Literatur (in Auswahl)
XVI. Beschreibungen ausgewählter Fachsprachen III: wissenschaftliche Fachsprachen des Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert
136. Die neuere Fachsprache der Mathematik seit Carl Friedrich Gauß
1. Einleitende Bemerkungen
2. Allgemeine Merkmale von mathematischen Fachtexten
3. Syntax und Morphologie
4. Terminologie
5. Nichtsprachliche Mittel
6. Vertikale Schichtung
7. Leistungsfähigkeit der Fachsprache
8. Nachbarschaft zu anderen Fachsprachen
9. Literatur (in Auswahl)
137. Die neuere Fachsprache der Physik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts
1. Allgemeine Merkmale von physikalischen Fachtexten
2. Terminologie
3. Andere sprachliche Besonderheiten der Physik
4. Nichtsprachliche Mittel
5. Vertikale Schichtung
6. Leistungsfähigkeit und Nachbarschaft zu anderen Fachsprachen
7. Literatur (in Auswahl)
138. Die neuere Fachsprache der Chemie unter besonderer Berücksichtigung der Organischen Chemie
1. Chemie: ein System der Namen- und Begriffsbildung
2. Chemische Nomenklatur
3. Systematische Nomenklatur der Organischen Chemie
4. Trivialnomenklatur
5. Ersatzstrategien
6. Terminologie
7. Literatur (in Auswahl)
139. Die neuere Fachsprache der Biologie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Genetik
1. Einleitung
2. Von den Landessprachen im 19. Jahrhundert zur neuen Universalsprache Englisch im 20. Jahrhundert
3. Die vertikale Gliederung der Fachsprache der Biologie
4. Die horizontale Gliederung der Fachsprache der Biologie am Beispiel der Genetik - fachsprachliche Einflüsse benachbarter Disziplinen
5. Allgemeine Merkmale der Fachsprache der Genetik
6. Fachsprache und Gemeinsprache - Zur Rolle der Fachsprache der Biologie in der modernen Gesellschaft
7. Literatur (in Auswahl)
140. Die neuere Fachsprache der Pharmazie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts
1. Begriff und Inhalt der Pharmazie
2. Struktur des Fachwortschatzes
3. Hauptmerkmale und Besonderheiten der Terminologie
4. Probleme der Kommunikation
5. Literatur (in Auswahl)
141. Die neuere Fachsprache der Medizin seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Inneren Medizin
1. Zum Fach
2. Zum Fachwortschatz
3. Zu den Textsorten
4. Nichtsprachliche Mittel in medizinischen Texten
5. Literatur (in Auswahl)
142. Die neuere Fachsprache der juristischen Wissenschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung von Verfassungsrecht und Rechtsmethodik
1. Geschichte der Fachsprache der Jurisprudenz und Forschungslage
2. Allgemeine Merkmale von Fachtexten der Jurisprudenz und wichtige Fachtextsorten
3. Syntax und Morphologie in Fachtexten der Jurisprudenz
4. Fachwortschatz bzw. Terminologie der Jurisprudenz
5. Andere charakteristische sprachliche Erscheinungen in Fachtexten der Jurisprudenz
6. Nicht sprachliche bzw. nur mittelbar sprachliche Handlungsformen der Jurisprudenz
7. Funktionale und inhaltliche Gründe für die Auswahl und Verwendung sprachlicher Mittel in juristischen Fachtexten
8. Vertikale Schichtung in der Fachsprache der Jurisprudenz
9. Leistungsfähigkeit der Fachsprache der Jurisprudenz
10. Nachbarschaft zu anderen Sprachtypen
11. Literatur (in Auswahl)
143. Neuere institutionelle und wissenschaftliche Wirtschaftsfachsprachen
1. Vorbemerkung
2. Wirtschaftsfachsprachen in Institutionen und Wissenschaft
3. Ausblick
4. Literatur (in Auswahl)
144. Die Fachsprache der Theologie seit Schleiermacher unter besonderer Berücksichtigung der Dogmatik
1. Begriffsbestimmungen
2. Systematischer Überblick
3. Geschichtliche Darstellung
4. Literatur (in Auswahl)
145. Die neuere Fachsprache der Erziehungswissenschaft seit dem Ende des 18. Jahrhunderts
1. Vorbemerkung
2. Erste Phase (ausgehendes 18.Ende 19. Jh.)
3. Zweite Phase (ausgehendes 19.Mitte 20. Jh.)
4. Dritte Phase (Mitte 20.Ende 20. Jh.)
5. Literatur (in Auswahl)
146. Die neuere Fachsprache der Philosophie seit Hegel
1. Einleitung
2. Die philosophischen Fachsprachen im 19. Jahrhundert
3. Die philosophischen Fachsprachen des 20. Jahrhunderts
4. Literatur (in Auswahl)
147. Die Fachsprache der Musikwissenschaft
1. Zum Fach
2. Zur Verbalisierung von Musik
3. Zur Terminologie
4. Zu den Textsorten
5. Das Notenbild als Darstellungsmittel
6. Zur Fachsprachenforschung
7. Literatur (in Auswahl)
148. Die Fachsprache der Sprachwissenschaft seit den Junggrammatikern
1. Einleitung
2. Zur Positionsbestimmung der junggrammatischen Schule
3. Von den Junggrammatikern zum Strukturalismus: Umorientierungen - Neuorientierungen
4. Schlußbemerkungen
5. Literatur (in Auswahl)
149. Die Fachsprache der Literaturwissenschaft im 20. Jahrhundert
1. Begriffsbestimmung
2. Kennzeichen literaturwissenschaftlicher Fachsprache
3. Spezifik literaturwissenschaftlicher Begriffsbildung und Terminologisierung
4. Literatur (in Auswahl)
150. Die Fachsprache der Ökologie im 20. Jahrhundert
1. Forschungslage
2. Geschichte der Fachsprache der Ökologie
3. Die Relation zwischen der Fachsprache der Ökologie und der Gemeinsprache
4. Textsorten und Textmerkmale der Fachsprache der Ökologie
5. Der Wortschatz in Fachtexten der Ökologie
6. Morphologie
7. Syntax
8. Nichtsprachliche Mittel
9. Literatur (in Auswahl)
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Fachsprachen / Languages for Special Purposes: 1. Halbband
 9783110203271, 9783110111019

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Fachsprachen Languages for Special Purposes HSK 14.1



Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Handbooks of Linguistics and Communication Science Manuels de linguistique et des sciences de communication Mitbegründet von Gerold Ungeheuer

Herausgegeben von / Edited by / Edite´s par Hugo Steger Herbert Ernst Wiegand Band 14.1

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

Fachsprachen Languages for Special Purposes Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft An International Handbook of Special-Language and Terminology Research

Herausgegeben von / Edited by Lothar Hoffmann · Hartwig Kalverkämper Herbert Ernst Wiegand In Verbindung mit / Together with Christian Galinski · Werner Hüllen 1. Halbband / Volume 1

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die 앪

US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek ⫺ CIP-Einheitsaufnahme Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft / mitbegr. von Gerold Ungeheuer. Hrsg. von Hugo Steger ; Herbert Ernst Wiegand. ⫺ Berlin ; New York : de Gruyter Früher hrsg. von Gerold Ungeheuer und Herbert Ernst Wiegand Teilw. mit Parallelt.: Handbooks of linguistics and communication science Teilw. mit Nebent.: HSK Bd. 14 Fachsprachen Halbbd. 1. ⫺ (1998) Fachsprachen : ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft ⫽ Languages for special purposes / hrsg. von Lothar Hoffmann … ⫺ Berlin ; New York : de Gruyter. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ; Bd. 14) Halbbd. 1. ⫺ (1998) ISBN 3-11-011101-2

쑔 Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin

Inhalt / Contents 1. Halbband / Volume 1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII Preface . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVI

I. 1. 2.

3. 4.

5.

6.

7.

II. 8.

9. 10.

Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation General aspects of specialized communication Hartwig Kalverkämper, Fach und Fachwissen (Subject and subject knowledge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Kalverkämper, Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation (Basic conditions for specialized communication) . . . . . . . . . . . . . Hartwig Kalverkämper, Fachsprache und Fachsprachenforschung (Special language and special-language research) . . . . . . . . . . . . . Hartwig Kalverkämper, Darstellungsformen und Leistungen schriftlicher Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte (Forms of expression and performances of written specialized communication: Diachronic and synchronic aspects) . . . . . . . . . . . Klaus Munsberg, Spezifische Leistungen der Sprache und anderer Kommunikationsmittel in der mündlichen Fachkommunikation (Specific performances of language and of other means of communication in oral subject-specific communication) . . . . . . . . . Klaus Gloy, Sprachnormen und die Isolierung und Integration von Fachsprachen (Linguistic norms and the isolation and integration of special languages) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Dieter Baumann, Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen (Forms of subject-specific communicational relationships) . . . . . . . .

1

24 48

60

93

100

109

Auffassungen vom Status der Fachsprachen Conceptions of the status of special languages Andrea Becker/Markus Hundt, Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung (Special language in the differentiation of individual languages) . . . . Heinz L. Kretzenbacher, Fachsprache als Wissenschaftssprache (Special language as the language of science) . . . . . . . . . . . . . . . Karlheinz Jakob, Techniksprache als Fachsprache (The language of technology as a special language) . . . . . . . . . . .

118 133 142

VI

11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Inhalt / Contents

Dieter Möhn, Fachsprache als Gruppensprache (Special language as a group language) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Fachsprachen und Gemeinsprache (Special languages and general language) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Möhn, Fachsprachen und Gruppensprachen (Special languages and group languages) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Adamzik, Fachsprachen als Varietäten (Special languages as varieties) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Fachsprachen als Subsprachen (Special languages as sublanguages) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rosemarie Gläser, Fachsprachen und Funktionalstile (Special languages and functional styles) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernest W. B. Hess-Lüttich, Fachsprachen als Register (Special languages as registers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Ammon, Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen (Problems of determining the status of special languages) . . . . . . .

III.

Methoden in der Fachsprachenforschung Methods in special-language research

19.

Burkhard Schaeder, Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von empirischen Erhebungsmethoden in der Fachsprachenforschung (Possibilities of application and the recent application of empirical data collection methods to special-language research) . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von statistischen Methoden in der Fachsprachenforschung (Possibilities of application and the recent application of statistical methods to special-language research) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden in der Fachsprachenforschung (Possibilities of application and the recent application of linguistic methods to special-language research) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Dietrich Haage, Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von philologisch-historischen Methoden bei der Erforschung der Fachsprachen der Artes (Possibilities of application and the recent application of philologicalhistorical methods to research into the special languages of the Artes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruth Schmidt-Wiegand, Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von philologisch-historischen Methoden bei der Erforschung der älteren Rechtssprache (Possibilities of application and the recent application of philologicalhistorical methods to research into the older language of the law) . . .

20.

21.

22.

23.

150 157 168 181 189 199 208 219

230

241

249

269

277

Inhalt / Contents

24.

Ingo Hohnhold, Probleme und Methoden bei der Bestimmung der Fachgebietszugehörigkeit von Fachtexten (Problems and methods in the determination of the affiliation of specialized texts to subject areas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV.

Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung: ausgewählte Schwerpunkte Prehistory and history of special-language research: Selected main fields

25.

Johann Knobloch, Fachsprachenforschung in vorhistorischen Sprachen: Forschungsansätze und Sprachrelikte (Special-language research into prehistoric languages: Research approaches and linguistic relics) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otta Wenskus, Reflexionen zu fachsprachlichen Phänomenen in der Antike und Spätantike (Reflections on special-language phenomena in antiquity and late antiquity) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Kalverkämper, Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance (Subject-specific activity, specialized communication and reflection on special languages in the Renaissance) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerda Haßler, Anfänge der europäischen Fachsprachenforschung im 17. und 18. Jahrhundert (The beginnings of European special-language research in the 17th and 18th centuries) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig M. Eichinger, Deutsch als Fachsprache in den historischen und philologischen Wissenschaften seit dem 19. Jahrhundert (German as a special language in the historical and philological sciences since the 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heribert Picht, Wirtschaftslinguistik: ein historischer Überblick (The study of the language of commerce: A historical survey) . . . . . Erhard Oeser/Heribert Picht, Terminologieforschung in Europa: ein historischer Überblick (Terminology research in Europe: A historical survey) . . . . . . . . . . Gundolf Keil/Johannes G. Mayer, Germanistische Forschungen zur mittelalterlichen Fachprosa (Fachliteratur): ein historischer Überblick (Research in German studies into medieval specialized prose (specialized literature): A historical survey) . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann/Hartwig Kalverkämper, Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen in der Fachsprachenforschung (Research desiderata and present-day development tendencies in special-language research) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26.

27.

28.

29.

30. 31.

32.

33.

VII

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348

355

VIII

Inhalt / Contents

V.

Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen Findings of research into special languages I: Characteristics of the use of special languages

34.

Klaus-Dieter Baumann, Das Postulat der Exaktheit für den Fachsprachengebrauch (The postulate of exactness for the use of special languages) . . . . . . Walther von Hahn, Vagheit bei der Verwendung von Fachsprachen (Vagueness in the use of special languages) . . . . . . . . . . . . . . . . Walther von Hahn, Das Postulat der Explizitheit für den Fachsprachengebrauch (The postulate of explicitness for the use of special languages) . . . . Liane Fijas, Das Postulat der Ökonomie für den Fachsprachengebrauch (The postulate of economy for the use of special languages) . . . . . . Els Oksaar, Das Postulat der Anonymität für den Fachsprachengebrauch (The postulate of anonymity for the use of special languages) . . . . . Bernd Ulrich Biere, Verständlichkeit beim Gebrauch von Fachsprachen (Comprehensibility in the use of special languages) . . . . . . . . . . . .

35. 36.

37.

38.

39.

VI.

Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen Findings of research into special languages II: Systemic characteristics of special languages

40.

Klaus-Dieter Baumann, Textuelle Eigenschaften von Fachsprachen (Textual characteristics of special languages) . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen (Syntactic and morphological characteristics of special languages) . . Claudia Fraas, Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen (Lexico-semantic characteristics of special languages) . . . . . . . . . . Manfred Kohrt, Graphematische und phonologische Eigenschaften von Fachsprachen (Graphematic and phonological characteristics of special languages)

41.

42.

43.

373 378

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IX

Inhalt / Contents

VII.

Textlinguistische Ansätze in der neueren Fachsprachenforschung I: Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten Text-linguistic approaches in recent special-language research I: Classification of specialized texts and subject-specific informational texts

44.

Clemens Knobloch, Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik, dargestellt mit Bezug auf Fachtexte (Basic concepts and central questions of text linguistics, presented in relation to specialized texts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Wolski, Fachtextsorten und andere Textklassen: Probleme ihrer Bestimmung, Abgrenzung und Einteilung (Types of specialized texts and other classes: Problems of their determination, delimitation and classification) . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung Types of specialized texts: A concept for subject-specific foreign language training) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rosemarie Gläser, Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen I: der wissenschaftliche Zeitschriftenaufsatz (Types of specialized texts of the languages of science I: The scientific journal article) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martha Ripfel, Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen II: die wissenschaftliche Rezension (Types of specialized texts of the languages of science II: The scientific book review) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz L. Kretzenbacher, Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen III: Abstract und Protokoll (Types of specialized texts of the languages of science III: Abstract and record) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen IV: das fachinterne Gutachten zu wissenschaftlichen Arbeiten (Types of specialized texts of the languages of science IV: The referee’s report on scientific works) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Techtmeier, Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen V: der Kongreßvortrag (Types of specialized texts of the languages of science V: The conference paper) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Techtmeier, Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen VI: Diskussion(en) unter Wissenschaftlern (Types of specialized texts of the languages of science VI: Discussion(s) among scientists) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Techtmeier, Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen VII: das Prüfungsgespräch (Types of specialized texts of the languages of science VII: The oral examination) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45.

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X

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59.

60.

61.

62.

62a.

Inhalt / Contents

Ludger Hoffmann, Fachtextsorten der Institutionensprachen I: das Gesetz (Types of specialized texts of the language of institutions I: Laws) . . Sigrid Selle, Fachtextsorten der Institutionensprachen II: Erlaß, Verordnung und Dekret (Types of specialized texts of the language of institutions II: The edict, the ordinance and the decree) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Fachtextsorten der Institutionensprachen III: Verträge (Types of specialized texts of the language of institutions III: Contracts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irene Mohl, Fachtextsorten der Institutionensprachen IV: die Personenstandsurkunde am Beispiel der Geburtsurkunde (Types of specialized texts of the language of institutions IV: The registration of status as exemplified by the birth certificate) . . . Susanne Göpferich, Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik: ein Überblick (Types of specialized texts in the natural sciences and technology: A survey) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rosemarie Gläser, Fachtextsorten der Techniksprachen: die Patentschrift (Types of specialized texts of the languages of technology: The patent specification) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Nordman, Types of subject-specific informational texts I: The weather report in daily newspapers (Sorten fachbezogener Vermittlungstexte I: der Wetterbericht in Tageszeitungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Sorten fachbezogener Vermittlungstexte II: die Bedienungsanleitung für fachexterne Adressaten (Types of subject-specific informational texts II: The operating instruction for the non-specialist) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Hoffmann, Sorten fachbezogener Vermittlungstexte III: bebilderte Werkzeugkataloge (Types of subject-specific informational texts III: Illustrated tool catalogues) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Janina Schuldt, Sorten fachbezogener Vermittlungstexte IV: Beipackzettel (Types of subject-specific informational texts IV: The drug information sheet) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Adamzik/Eckard Rolf, Fachsprachliche Phänomene in Gebrauchstexten (Special-language phenomena in texts for daily use) . . . . . . . . . . .

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Inhalt / Contents

VIII.

Textlinguistische Ansätze in der neueren Fachsprachenforschung II: spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung Text-linguistic approaches in recent special-language research II: Exemplary description of the specific characteristics of specialized texts

63.

Heidrun Gerzymisch-Arbogast, Isotopie in Wirtschaftstexten: ein Analysebeispiel (Isotopy in specialized texts on economics: An example of analysis) Gisela Harras, Intertextualität von linguistischen Fachtexten: ein Analysebeispiel (Intertextuality of specialized texts on linguistics: An example of analysis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang U. Dressler, Kohärenz und Kohäsion in wissenschaftssprachlichen Texten: ein Analysebeispiel (Coherence and cohesion in scientific texts: An example of analysis) Gunther Dietz, Titel in wissenschaftlichen Texten (Titles in scientific texts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Wolski, Textverdichtung und Textauflockerung im standardisierten Fachwörterbuchartikel (Text compression and text loosening in the standardized article of specialized dictionaries) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64.

65.

66. 67.

XI

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624

IX.

Spezielle Aspekte von Fachkommunikation I: die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt Special aspects of specialized communication I: The use of special languages in the organizational units of the present-day working world

68.

Gisela Brünner, Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt (Specialized communication in the workplace as exemplified by a city electricity works) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilhelm Grießhaber, Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in ausgewählten Bereichen der modernen Arbeitswelt (The use of the special languages of computers in selected areas of the present-day working world) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen Rehbein, Die Verwendung von Institutionensprache in Ämtern und Behörden (The use of institutional language in local government departments and offices) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Beck, Fachsprachen und Fachjargon im Theater (Special languages and jargon in the theatre) . . . . . . . . . . . . . . .

69.

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XII

Inhalt / Contents

X.

Spezielle Aspekte von Fachkommunikation II: Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt Special aspects of specialized communication II: Special languages in intra- and interlinguistic contact

72.

Lothar Hoffmann, Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen: theoretische und methodische Probleme (Exchange processes between subject-specific and other communicational areas: Theoretical and methodological problems) . . Jochen Rehbein, Austauschprozesse zwischen unterschiedlichen fachlichen Kommunikationsbereichen (Exchange processes between various subject-specific communicational areas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karlheinz Jakob, Fachsprachliche Phänomene in der Alltagskommunikation (Special-language phenomena in everyday communication) . . . . . . . Hartwig Kalverkämper, Fachsprachliche Phänomene in der schönen Literatur (Special-language phenomena in literature) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Dieter Baumann, Fachsprachliche Phänomene in den verschiedenen Sorten von populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten (Special-language phenomena in the various types of popular scientific informational texts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Simmler, Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern (Special-language phenomena in the public texts of politicians) . . . . Gerlinde Mautner, Fachsprachliche Phänomene in Verkauf und Konsum (Special-language phenomena in marketing and consumption) . . . . . Wolfgang Viereck, Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen I: Englisch-Deutsch im 20. Jahrhundert (The role of special languages in the contact between individual languages I: English-German in the 20th century) . . . . . . . . . . . . Christian Schmitt, Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen II: Englisch-Französisch im 20. Jahrhundert (The role of special languages in the contact between individual languages II: English-French in the 20th century) . . . . . . . . . . . . . Radegundis Stolze, Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen III: Fachübersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften (The role of special languages in the contact between individual languages III: Specialized translation in the humanities and the social sciences) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt / Contents

82.

Rainer Barczaitis/Reiner Arntz, Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen IV: Fachübersetzung in den Naturwissenschaften und der Technik (The role of special languages in the contact between individual languages IV: Specialized translation in the natural sciences and technology) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI.

Spezielle Aspekte von Fachkommunikation III: Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik Special aspects of specialized communication III: The culture, criticism and politics of language

83.

Els Oksaar, Fachsprachen und öffentliches Leben: Kommunikation in der arbeitsteiligen Gesellschaft (Special languages and public life: Communication in modern society based on the division of labour) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Ammon, Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch I: die Stellung der deutschen Wissenschaftssprachen außerhalb des deutschen Sprachgebiets (Present-day special languages in intercultural exchange I: The position of the German languages of science outside the Germanspeaking area) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Pöckl, Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch II: die Stellung der französischen Wissenschaftssprachen außerhalb Frankreichs (Present-day special languages in intercultural exchange II: The position of the French languages of science outside France) . . . . Hartmut Schröder, Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch III: die Stellung der englischen Wissenschaftssprachen in der Welt (Present-day special languages in intercultural exchange III: The position of the English languages of science in the world) . . . . . . . . Karlfried Knapp, Das Englische als Fachsprache in internationalen Institutionen des 20. Jahrhunderts (English as a special language in international institutions of the 20th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Bolten, Fachsprachliche Phänomene in der interkulturellen Wirtschaftskommunikation (Special-language phenomena in intercultural business communication) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konrad Ehlich, Kritik der Wissenschaftssprachen (Criticism of the languages of science) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Knoop, Kritik der Institutionensprache am Beispiel der Verwaltungssprache (Criticism of institutional language as exemplified by the language of administration) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XIII

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XIV

91. 92.

93.

XII.

94.

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XIII. 97.

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100.

101. 102.

Inhalt / Contents

Detlev Blanke/Wera Blanke, Plansprachen als Fachsprachen (Planned languages as special languages) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alan Kirkness, Der Einfluß der puristischen Strömungen in Deutschland auf die Gestaltung der deutschen Fachlexik (The influence of purist movements in Germany on the formation of the specialized German lexicon) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Susanne Göpferich, Möglichkeiten der Optimierung von Fachtexten (Possibilities of optimizing specialized texts) . . . . . . . . . . . . . . .

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Spezielle Aspekte von Fachkommunikation IV: zur Funktion von künstlichen Sprachen Special aspects of specialized communication IV: On the function of artificial languages Klaus Mudersbach, Der Gebrauch und die Leistung von logischen Sprachen in den Geisteswissenschaften (The use and performance of logical languages in the humanities) . . Brigitte Falkenburg, Das Verhältnis von formalen Sprachen und verbalen Fachsprachen in den neueren Naturwissenschaften (The relationship between formal languages and natural special languages in modern science) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magdalena Zoeppritz, Mensch⫺Maschine⫺Interaktion: die Struktur und der Gebrauch von Interaktionssprachen (Man⫺machine interaction: The structure and use of command languages) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fachsprachliche Ausbildung und Fachsprachendidaktik Special-language training and its didactics Hans-R. Fluck, Bedarf, Ziele und Gegenstände fachsprachlicher Ausbildung (Needs, goals and subjects of special-language training) . . . . . . . Rudolf Hoberg, Methoden im fachbezogenen Muttersprachenunterricht (Methods in subject-specific first language teaching) . . . . . . . . . Anneliese Fearns, Methoden des fachbezogenen Unterrichts Deutsch als Fremdsprache (DaF) (Methods in the subject-specific teaching of German as a foreign language) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Hüllen, Methoden im fachbezogenen Fremdsprachenunterricht (Methods in subject-specific foreign language teaching) . . . . . . . Eva Lavric, Fachsprachliche Fehlerlinguistik (Error analysis for special languages) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heribert Picht, Terminologieausbildung (Terminology training) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt / Contents

103. 104. 105.

106.

106a. 107.

XV

Rosemarie Buhlmann, Fachsprachliche Lehrmittelsysteme (Systems of teaching materials for special languages) . . . . . . . . . . 982 Lothar Hoffmann, Institutionen für die fachsprachliche Ausbildung (Institutions for special-language training) . . . . . . . . . . . . . . . . . 988 Norbert Yzermann, Fachsprachliche Ausbildung in einzelnen Regionen und Ländern (Special-language training in individual regions and countries) . . . . . 994 Reiner Arntz/Rainer Barczaitis, Fachübersetzerausbildung und Fachübersetzungsdidaktik (The training of translators of special languages and the didactics of special-language translation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998 Susanne Göpferich, Schreiben in der Technik/Technical Writing . . . 1003 Gernot Wersig, Neue berufliche Aufgaben und Berufsbilder (New vocational opportunities and job descriptions) . . . . . . . . . . . 1015

XIV.

Beschreibung ausgewählter Fachsprachen I: deutsche Fachsprachen der Urproduktion und des Handwerks Description of selected special languages I: German special languages of primary production and crafts

108.

Dieter Möhn, Die deutschen handwerklichen Fachsprachen und ihre Erforschung: eine Übersicht (The special languages of German crafts and their investigation: A survey) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Eichhoff, Die niederdeutsche Fachsprache der Reepschläger (The Low German special language of rope makers) . . . . . . . . . . . Reinhard Goltz, Die niederdeutsche Fachsprache im Fischereiwesen (The Low German special language of fishing) . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Kettmann, Die niederdeutsche Fachsprache der Schifferei (The Low German special language of shipping) . . . . . . . . . . . . . Jürgen Meier, Die niederdeutsche Fachsprache der Müllerei (The Low German special language of milling) . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Kleiber, Die Fachsprache der Fischer an Rhein und Mosel (The special language of fishers on the Rhine and Moselle) . . . . . . . Rudolf Post, Die Fachsprache der Maurer im Pfälzischen (The special language of masons in the Palatinate) . . . . . . . . . . . . Heinrich J. Dingeldein, Die Fachsprache der holzverarbeitenden Berufe im Hessischen (The special language of the wood-working trades in Hesse) . . . . . . Roland Mulch, Die Fachsprache der Imker im Südhessischen (The special language of bee-keepers in South Hesse) . . . . . . . . . . Wolfgang Kleiber, Die Fachsprache der Winzer unter besonderer Berücksichtigung des Rhein-Mosel-Gebiets (The special language of winegrowers with particular consideration of the Rhine-Moselle area) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109. 110. 111. 112. 113.

114. 115.

116. 117.

1020 1040 1043 1047 1051

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XVI

Inhalt / Contents

118.

Ilpo Tapani Piirainen, Die Fachsprache des Bergbaus (The special language of mining) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1092 Kurt Dröge, Die Fachsprache der Buchdrucker (The special language of printers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 Sigrid Schwenk, Die neuere Fachsprache der Jäger (The recent special language of hunters) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105 Peter Ott, Die Fachsprache der bäuerlichen Landwirtschaft im Schweizerdeutschen (Käserei, Molkerei, Viehzucht) (The special language of peasant farming in the Swiss-German area (cheese and butter making, cattle breeding)) . . . . . . . . . . . . . . . . 1111 Hans Bickel, Die Fachsprache der Fischerei im Schweizerdeutschen (The special language of fishing in the Swiss-German area) . . . . . . 1115 Hermann Niebaum, Der Quellenwert von Dialektwörterbüchern für die historische Fachsprachenforschung I: handwerkliche Fachsprachen in den großlandschaftlichen Wörterbüchern der niederdeutschen Dialekte (The source value of dialect dictionaries for historical special-language research I: Special languages of crafts in the large-scale dictionaries of the Low German dialects) . . . . . . . . . . . 1120 Oskar Reichmann, Der Quellenwert von Dialektwörterbüchern für die historische Fachsprachenforschung II: handwerkliche Fachsprachen in den großlandschaftlichen Wörterbüchern der hochdeutschen Dialekte (The source value of dialect dictionaries for historical special-language research II: Special languages of crafts in the large-scale dictionaries of the High German dialects) . . . . . . . . . . 1131

119. 120. 121.

122. 123.

124.

XV.

Beschreibung ausgewählter Fachsprachen II: technische Fachsprachen des Deutschen und Fachsprachen angewandter Wissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert Description of selected special languages II: Technical special languages of German and special languages of the applied sciences in the 19th and 20th centuries

125.

Jürgen Bast, Technische Fachsprache im Bereich der Gießereitechnik (Technical special language in the field of foundry practice) . . . . . . Khai Le-Hong/Peter A. Schmitt, Technische Fachsprachen im Bereich der Kraftfahrzeugtechnik (Technical special languages in the field of automotive engineering) . . Christiane Unger, Technische Fachsprachen im Bereich der Elektrotechnik. Zur Genese einer wissenschaftlich-technischen Fachsprache ⫺ ausgewählte Entwicklungsaspekte (Technical special languages in the field of electrical engineering. On the origin of a scientific and technical special language ⫺ selected aspects of its development) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126.

127.

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Inhalt / Contents

128.

129. 130.

131.

132. 133.

134. 135.

XVII

Sigurd Wichter, Technische Fachsprachen im Bereich der Informatik (Technical special languages in the field of computer science) . . . . . 1173 Axel Satzger, Die Fachsprache der Verfahrenstechnik (The special language of chemical engineering) . . . . . . . . . . . . . . 1182 Susanne Wendt, Die Fachsprache im Bereich der Wärmetechnik/ Feuerungstechnik (The special language of heat technology/fuel engineering) . . . . . . . 1188 Gerhard Freibott/Katharina Grewe/Ulrich Heid, Technische Fachsprachen im Maschinen- und Anlagenbau ⫺ am Beispiel der Fördertechnik (Technical special languages in mechanical engineering and plant manufacturing as exemplified by haulage engineering) . . . . . . . . . . 1192 Günter Schnegelsberg, Technische Fachsprachen im Textilwesen (Technical special languages in the textile industry) . . . . . . . . . . . 1201 Lothar Hums, Technische Fachsprachen im Eisenbahnwesen unter besonderer Berücksichtigung des Eisenbahnbaus (Technical special languages of railways with particular consideration of railway construction) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1207 Kurt Opitz, Die technische Fachsprache der Seefahrt (The technical special language of shipping) . . . . . . . . . . . . . . . . 1211 Axel Satzger, Technische Fachsprachen im Bereich der Telekommunikation (Technical special languages in the area of telecommunication) . . . . 1216

XVI.

Beschreibung ausgewählter Fachsprachen III: wissenschaftliche Fachsprachen des Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert Description of selected special languages III: Scientific special languages of German in the 19th and 20th centuries

136.

Günther Eisenreich, Die neuere Fachsprache der Mathematik seit Carl Friedrich Gauß (The recent special language of mathematics since Carl Friedrich Gauß) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1222 Günther Eisenreich, Die neuere Fachsprache der Physik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (The recent special language of physics since the middle of the 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1231 Hans F. Ebel, Die neuere Fachsprache der Chemie unter besonderer Berücksichtigung der Organischen Chemie (The recent special language of chemistry with particular consideration of organic chemistry) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1235

137.

138.

XVIII

139.

140.

141.

142.

143.

144.

145.

146. 147. 148.

149.

150.

Inhalt / Contents

Peter E. Fäßler, Die neuere Fachsprache der Biologie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Genetik (The recent special language of biology since the middle of the 19th century with particular consideration of genetics) . . . . . . . . . . Peter Dilg, Die neuere Fachsprache der Pharmazie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (The recent special language of pharmacy since the middle of the 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Wiese, Die neuere Fachsprache der Medizin seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Inneren Medizin (The recent special language of medicine since the middle of the 19th century with particular consideration of internal medicine) . . . . Bernd Jean d’Heur, Die neuere Fachsprache der juristischen Wissenschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung von Verfassungsrecht und Rechtsmethodik (The special language of the legal sciences since the middle of the 19th century with particular consideration of constitutional law and legal methodology) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Hundt, Neuere institutionelle und wissenschaftliche Wirtschaftsfachsprachen (The recent institutional and scientific special languages of economy) Norbert Müller, Die Fachsprache der Theologie seit Schleiermacher unter besonderer Berücksichtigung der Dogmatik (The special language of theology since Schleiermacher with particular consideration of dogmatics) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Lenzen/Friedrich Rost, Die neuere Fachsprache der Erziehungswissenschaft seit dem Ende des 18. Jahrhunderts (The recent special language of educational theory since the end of the 18th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Dierse, Die neuere Fachsprache der Philosophie seit Hegel (The recent special language of philosophy since Hegel) . . . . . . . . . Thomas Störel, Die Fachsprache der Musikwissenschaft (The special language of musicology) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Wolski, Die Fachsprache der Sprachwissenschaft seit den Junggrammatikern (The special language of linguistics since the Neo-grammarians) . . . Andreas Gardt, Die Fachsprache der Literaturwissenschaft im 20. Jahrhundert (The special language of literary studies in the 20th century) . . . . . Ulrike Haß-Zumkehr, Die Fachsprache der Ökologie im 20. Jahrhundert (The special language of ecology in the 20th century) . . . . . . . . . .

1260

1270

1278

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1313 1321 1334

1341

1355

1363

Inhalt / Contents

2. Halbband (Überblick über den vorgesehenen Inhalt) Volume 2 (Preview of contents) XVII.

Beschreibung ausgewählter Fachsprachen IV: Institutionensprachen des Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert

151. 152.

Josef Klein, Die politische Fachsprache als Institutionensprache Dietrich Busse, Die juristische Fachsprache als Institutionensprache am Beispiel von Gesetzen und ihrer Auslegung Michael Becker-Mrotzek, Die Sprache der Verwaltung als Institutionensprache

153.

XVIII.

Beschreibung ausgewählter Fachsprachen V: Fachsprachen des Englischen im 19. und 20. Jahrhundert

154.

Rudolf Beier, Die englischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Gudrun Zerm, Die englische Fachsprache der Metallurgie unter besonderer Berücksichtigung des Teilgebietes Schwarzmetallurgie Margarete Sohst, Die englische Fachsprache der Verfahrenstechnik Rolf Tatje, The recent special language of mineralogy Günter Weise, Die englische Fachsprache der Chemie Klaus Baakes, The recent English special language of electrical engineering and electronics Heinrich H. Müller, Die englische Fachsprache der Datenverarbeitung unter besonderer Berücksichtigung der Lexik Richard Brunt, Medical English since the mid-nineteenth century Peter R. Whale, The recent register of English theology Richard John Alexander, The recent English-language register of economics and its present importance for world commerce and trade in the late 20th century Sabine Fiedler, Die neuere Fachsprache der Pädagogik im Englischen Rainer Schulze, Die neuere englische Fachsprache der Linguistik seit dem Strukturalismus Christian Timm, Die neuere Fachsprache der Literaturwissenschaft im Englischen

155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163.

164. 165. 166.

XIX.

Überblicksdarstellungen zum 20. Jahrhundert: Fachsprachen in ausgewählten Einzelsprachen

167.

Wolfgang Pöckl, Die französischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Stefania Cavagnoli, Die italienischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht

168.

XIX

XX

169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178.

179.

180. 181.

182.

Inhalt / Contents

Reiner Arntz/Julio Ce´sar Arranz, Die spanischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Axel Schönberger, Fachsprachen im Katalanischen des 20. Jahrhunderts und ihre Erforschung: eine Übersicht Georges Darms, Fachsprachen im Bündnerromanischen des 20. Jahrhunderts und ihre Erforschung: eine Übersicht Lothar Hoffmann, Die russischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Marie Teˇsˇitelova´, Die tschechischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Stanisław Gajda, Languages for special purposes in Poland in the 20th century and their investigation: A survey Christer Lauren, Swedish special languages in the 20th century and their investigation: A survey Jan Engberg, Die dänischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Helga Hipp (†)/Guy Janssens, Die niederländischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Outi Järvi/Mika Kallio/Hartmut Schröder, Die finnischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Nelu Bradean-Ebinger/Ja´nos Ga´rdus (†), Die ungarischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Yong Liang, Die chinesischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht Teruhiro Ishiguro/Nobuyuki Yamauchi/Chiharu Uda/Kenichi Hashimoto/Yumi Kawamto, Japanese special languages in the 20th century and their investigation: A survey Dieter Blohm, Die arabischen Fachsprachen im 20. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht

XX.

Fachsprachen in ausgewählten allgemeinen Enzyklopädien, Fachenzyklopädien und großen Wörterbüchern

183.

Hartwig Kalverkämper, Die Fachsprachen in der Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert Rosemarie Gläser, Die Fachsprachen in der Encyclopaedia Britannica von 1771 Ralf Georg Bogner, Die Fachsprachen in Zedlers Universallexikon Heidrun Peters, Die Fachsprachen in der Großen Sowjetischen Enzyklopädie Jürgen Schiewe, Die Fachlexik im Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm Peter Gilliver, Specialized lexis in the Oxford English Dictionary Jörn Albrecht, Die Fachlexik im Tre´sor de la langue franc¸aise Lothar Hoffmann, Die Fachlexik im Wörterbuch der russischen Sprache von Vladimir Dal’

184. 185. 186. 187. 188. 189. 190.

Inhalt / Contents

191. 192.

Willy Birkenmaier, Die Fachlexik im vierbändigen Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften Slovar’ russkogo jazyka (1957⫺1961) Ming Zhong Dai, Specialized lexis in the Chinese Grand Encyclopedia

XXI.

Fachlexikographie I: allgemeine theoretische und methodische Aspekte

193.

Helmut Felber/Burkhard Schaeder, Typologie der Fachwörterbücher Caroline de Schaetzen, New directions in computer-assisted dictionary making Lothar Hoffmann, Die Anwendung statistischer Methoden in der neueren Fachlexikographie Henning Bergenholtz/Sven Tarp/Herbert Ernst Wiegand, Datendistributionsstrukturen, Makro- und Mikrostrukturen in neueren Fachwörterbüchern Werner Hupka, Illustrationen im Fachwörterbuch Reinhold Werner, Das Problem der Äquivalenz im zwei- und mehrsprachigen Fachwörterbuch Henning Bergenholtz/Jette Pedersen, Fachwörterbücher als Hilfsmittel bei der Übersetzung von Fachtexten Hans-Peder Kromann (†)/Henning Bergenholtz/Herbert Ernst Wiegand, Die Berücksichtigung der Fachlexikographie in der neueren Wörterbuch- und Fachsprachenforschung: eine sachliche und bibliographische Übersicht

194. 195. 196.

197. 198. 199. 200.

XXII.

Fachlexikographie II: die europäische Lexikographie der Fachsprachen im Zeitalter der Industrialisierung

201.

Wolf Peter Klein, Formen der Fachlexikographie in der vorindustriellen Zeit: eine historische Übersicht Kurt Opitz, Special lexicography for navigation: A survey Ilpo Tapani Piirainen, Die Fachlexikographie des Bergbaus: eine Übersicht Karl-Heinz Trojanus, Die Fachlexikographie der Biologie: eine Übersicht Gerhard Wenske, Die Fachlexikographie der Chemie: eine Übersicht Gerhard Wenske, Die Fachlexikographie der Physik: eine Übersicht Günther Eisenreich, Die Fachlexikographie der Mathematik: eine Übersicht Herbert Lippert, Die Fachlexikographie der Medizin: eine Übersicht Klaus Rossenbeck, Die Fachlexikographie des Wirtschaftswesens: eine Übersicht

202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209.

XXI

XXII

210. 211. 212. 213. 214. 215.

Inhalt / Contents

Thorsten Roelke, Die deutschsprachige Fachlexikographie der Philosophie in ihrem europäischen Umfeld: eine Übersicht Markus Bandur, Die Fachlexikographie der Musikwissenschaft: eine Übersicht Dieter Lenzen, Die Fachlexikographie der Pädagogik/ Erziehungswissenschaft: eine Übersicht Rüdiger Zymmer, Die Fachlexikographie der Literaturwissenschaft: eine Übersicht Andrea Lehr, Die Fachlexikographie der Elektronischen Datenverarbeitung und Informatik: eine Übersicht Annette Peth/Burkhard Schaeder, Die Fachlexikographie des Bibliothekswesens: eine Übersicht

XXIII.

Fachlexikographie III: die Terminographie im 20. Jahrhundert

216.

Gerhard Budin/Hildegund Bühler, Grundsätze und Methoden der neueren Terminographie Gerhard Budin/Adrian Manu/Magdalena Krommer-Benz, Terminography in UN organizations: A brief overview Roger Goffin, Terminographie bei der Europäischen Union M. Alain Reichling, Terminology and the Computer at the European Commission Heribert Picht, Terminographie in regionalen Organisationen I: NORDTERM Daniel Prado, Terminographie in regionalen Organisationen II: RITerm Louis-Jean Rousseau, Terminographie in regionalen Organisationen III: Rint Ingo Hohnhold, Übersetzungsorientierte Terminographie: Grundsätze und Methoden Klaus-Dirk Schmitz, Computergestützte Terminographie: Systeme und Anwendungen

217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224.

XXIV.

Terminologiearbeit und Terminologieregelung

225.

Erhard Oeser/Gerhard Budin, Grundlagen der Terminologiewissenschaft Christian Galinski/Gerhard Budin, Deskriptive und präskriptive Terminologieerarbeitung Christian Galinski/A. D. de V. Cluver/Gerhard Budin, Terminologieplanung und Sprachplanung Christian Galinski/Gerhard Budin, Terminologie und Dokumentation Erhard Oeser/Heribert Picht, Terminologische Wissenstechnik Gert Engel/Heribert Picht, Der Terminologe ⫺ Beruf oder Funktion? Christian Galinski, International Information Centre for Terminology: Infoterm. ⫺ International cooperation in terminology

226. 227. 228. 229. 230. 231.

Inhalt / Contents

XXV.

Geschichte der Fachsprachen I: Ausschnitte aus der Entwicklung innerhalb der Antike und Spätantike

232.

Hermann Funke, Grammatik, Rhetorik und Dialektik (,Trivium‘) und ihre Fachsprachen: eine Übersicht Karlheinz Hülser, Philosophie und ihre Fachsprache im Altertum: eine Übersicht Jutta Harig-Kollesch, Medizin und ihre Fachsprache im Altertum: eine Übersicht Otto Hiltbrunner, Theologie und ihre Fachsprache im Altertum: eine Übersicht Otto Hiltbrunner, Jurisprudenz und ihre Fachsprache im römischen Altertum: eine Übersicht Johannes Niehoff, Landwirtschaft und ihre Fachsprache im Altertum: eine Übersicht

233. 234. 235. 236. 237.

XXVI.

Geschichte der Fachsprachen II: Ausschnitte aus der Entwicklung innerhalb des Deutschen

238. 239.

Jochen Splett, Fachsprachliche Phänomene im Abrogans Ruth Schmidt-Wiegand, Rechtssprache im Althochdeutschen und ihre Erforschung: eine Übersicht Stefan Sonderegger, Fachsprachliche Phänomene in den zum Trivium gehörenden Werken Notkers III. von St. Gallen Dagmar Gottschall, Fachsprachliche Phänomene im Lucidarius Ruth Schmidt-Wiegand, Der Rechtswortschatz im Sachsenspiegel Gundolf Keil, Die bairische Fassung des Pelzbuchs Gottfrieds von Franken: ihr Fachwortschatz und ihr Quellenwert für die historische Fachsprachenforschung Dagmar Gottschall, Die erste Fassung des Buches der Natur von Konrad von Megenberg: ihr Fachwortschatz und ihr Quellenwert für die historische Fachsprachenforschung Karl-Heinz Weimann, Paracelsus und der Fachwortschatz der Artes mechanicae Peter O. Müller, Die Fachsprache der Geometrie in der frühen Neuzeit Franz Patocka, Die frühneuhochdeutsche Sprache des Salzwesens und ihre Erforschung: eine Übersicht Sigrid Schwenk, Die ältere deutsche Jägersprache bis zum Ende des 17. Jahrhunderts und ihre Erforschung: eine Übersicht Peter O. Müller, Die Wörterbücher des 16. Jahrhunderts: ihr Fachwortschatz und ihr Quellenwert für die historische Fachsprachenforschung Peter Seidensticker, Botanik und Fachsprache in den Kräuterbüchern der Renaissance Andreas Gardt, Die Auffassung von Fachsprachen in den Sprachkonzeptionen des Barock

240. 241. 242. 243.

244.

245. 246. 247. 248. 249.

250. 251.

XXIII

XXIV

252. 253. 254.

Inhalt / Contents

Thorsten Roelcke, Das Kunstwort in der Zeit der Aufklärung: wissenschaftliche Konzeption und faktischer Gebrauch Ulrich Ricken, Christian Wolffs Einfluß auf die Wissenschaftssprache der deutschen Aufklärung Gerda Haßler, Fachliche Textsorten in der deutschen Aufklärung

XXVII. Geschichte der Fachsprachen III: Ausschnitte aus der Entwicklung innerhalb des Englischen 255. 256. 257. 258. 259. 260. 261. 262.

Hans Sauer, Angelsächsische Glossen und Glossare und ihr Fachwortschatz Noel Edward Osselton, English specialized lexicography in the Middle Ages and in the Renaissance Werner Hüllen, The Royal Society and the plain style debate Roger K. French, The special language of anatomy in England from the Middle Ages to the 18th century Maurice Crosland, The language of chemistry from the beginnings of alchemy to c. 1800 Rolf Berndt (†), The languages of the law in England John Walmsley, English grammatical terminology from the 16th century to the present Vivian Salmon, The development of special registers in English: a historical review

XXVIII. Geschichte der Fachsprachen IV: Ausschnitte aus der Entwicklung innerhalb des Französischen 263. 264. 265.

266. 267.

268. 269. 270.

271.

272.

Arnulf Stefenelli, Latein und Altfranzösisch Hans Goebl, Charakteristika der französischen Urkundensprache Livia Gaudino-Falleger/Otto Winkelmann, Fachwissenszuwachs und Bezeichnungsnot in der Renaissance: gelehrtes Latein und Volkssprache Französisch in fachlicher Kommunikation Hartwig Kalverkämper, Kulturgeschichte der französischen Fachsprachen im 16. und 17. Jahrhundert Lothar Wolf, Die Entstehung und Entwicklung einer beruflichen Fachsprache in und ab dem 16. Jahrhundert: die französische Druckersprache Christoph Strosetzki, Fachsprachliche Kommunikationsformen in der französischen Aufklärung Marco Beretta, Die Herausbildung einer chemischen Fachsprache in Frankreich Alf Monjour, Lexikalische Auswirkungen des industriellen und wissenschaftlichen Aufschwungs im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts Roland Kaehlbrandt, Wissenschaftssprachliche Stilistik im Frankreich des 18. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der „Economie politique“ Thomas Krefeld, Kodifizierte Rechtssprache im 19. Jahrhundert und ihre Erforschung: eine Übersicht

Inhalt / Contents

XXIX.

Bibliographie und Register

273.

Lothar Hoffmann, Bibliographie der Bibliographien zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft

Sachregister Namenregister

XXV

Vorwort Der Objektbereich dieses Handbuches sind Fachsprachen; behandelt werden unter verschiedenen Perspektiven ihre systematische Beschaffenheit, ihre Verwendung in mündlichen und schriftlichen (Fach-)Texten im pragmatischen Rahmen fachlicher (und nichtfachlicher) Kommunikationsprozesse, ihre lexikographische Bearbeitung in Printwörterbüchern und Datenbanken und nicht zuletzt ihre Erforschung in Geschichte und Gegenwart. Der Grund für die Entstehung von Fachsprachen wird im allgemeinen in der durch Arbeitsteilung bewirkten Spezialisierung menschlicher Tätigkeiten und der sprachlichen Verständigung darüber gesucht. Zunächst haben sich Fachsprachen im Zusammenhang mit dem Nahrungserwerb der Menschen herausgebildet (Jagd, Fischfang, Viehzucht, Ackerbau, samt der Verarbeitung der dabei gewonnenen Produkte); ihnen folgten solche, die mit der Befriedigung anderer elementarer Bedürfnisse zu tun haben (Herstellung von Kleidung und Behausung); hinzu kamen die Erzeugung und Benennung bzw. Beschreibung von Werkzeugen und Geräten. In dieser Frühphase ist Fachsprache weitgehend identisch mit Fachwortschatz und Phraseologie. Vom Handwerk und seinen Fachsprachen kann man sprechen, sobald nicht mehr jeder nur die eigenen Bedürfnisse befriedigt, sondern ganze soziale (berufliche) Gruppen ihren Lebensunterhalt vorwiegend durch spezialisierte Tätigkeiten und weiterhin über Tausch und Handel bestreiten. Hier vollzieht sich im Laufe der Zeit eine ständige Vermehrung und Differenzierung, stimuliert durch vielfältige und verfeinerte Bedürfnisse (z. B. Wagenbau, Waffenproduktion, Schmuckherstellung, Heilmittelzubereitung). Dabei entstehen durch die Notwendigkeiten der Fachkommunikation auch schon spezielle Textsorten wie Bauernregeln, Handwerksurkunden, Zunftordnungen, Rezepte, Jagdgesetze, Handlungsbücher und Arzneibücher. Im Bergbau und im Buchdruck wird bereits früh die Grenze zwischen genuin handwerklicher und frühindustrieller Produktionsweise überschritten, wie überhaupt die neueren Techniksprachen ihre Wurzeln in den nationalen Handwerkersprachen haben, die als Frühformen technischer Fachsprachen verstanden werden müssen und die sich erst später den wissenschaftlichen Fachsprachen und der Internationalisierung öffnen. Gut dokumentiert ist der Übergang in der mittelalterlichen Artes-Literatur, insbesondere in den auf die Artes mechanicae bezogenen „Kunstbüchern“. Mit dem weiteren Aufschwung der Technik treten die Fachsprachen des Handwerks allmählich in den Hintergrund oder erscheinen eher als Teil der Gemeinsprache oder werden in die neueren Fachsprachen der Technik integriert. Die entscheidende Phase in dieser Entwicklung war die der „industriellen Revolution“ (18./19. Jh.). Seither hat sich in den Fachsprachen der Technik eine gewaltige Erweiterung des Wortschatzes im Sinne von Terminologie vollzogen, und auch die Palette der Fachtextsorten hat sich beträchtlich vergrößert, z. B. durch Patentschriften, Normen, Prüfstandards, Bedienungsanleitungen u. ä. Naturwissenschaftliche Fachsprachen haben sich seit der Lösung vom sog. Gelehrtenlatein (16./17. Jh.) relativ zügig herausgebildet. In den Naturwissenschaften bewirk-

XXVIII

Vorwort

ten die großen Entdeckungen des 19. Jh.s eine zunehmende Expansion des Fachsprachengebrauchs, die Terminologien vermehrten und verfeinerten sich, und die Textgestaltung fand ihre modernen Formen. Die wissenschaftliche Monographie und der wissenschaftliche Aufsatz wurden die dominierenden Textsorten, begleitet von Rezensionen und Überblicksdarstellungen bis hin zum Lehrbuch. Ähnliches gilt für die Geistes- und Sozialwissenschaften seit dem 18. Jh. im Gefolge der Aufklärung. Bei den Fachsprachen der Wirtschaft kann man die Anfänge ins Zeitalter der Entdekkungen und der Gründung von ersten Handelsniederlassungen (15./16. Jh.) zurückdatieren. Geschäftsbriefe und Verträge gehören zu den frühen Textsorten. Die Terminologie spielt erst später, und zwar seit der Begründung der Wirtschaftswissenschaften in Gestalt der klassischen Nationalökonomie (18./19. Jh.), eine größere Rolle. Hier kommt es auch relativ früh (Anfang 20. Jh.) zu einer eigenartigen Verbindung mit der Sprachwissenschaft in der sog. Wirtschaftslinguistik, die zu den Vorläufern der modernen Fachsprachenforschung gezählt werden kann. Erste Ansätze von Fachsprachenforschung finden sich da, wo über den fachlich determinierten Gebrauch von Sprache reflektiert wird, ohne daß dabei sofort eine systematische Analyse und Darstellung angestrebt sein muß. Je nach Kulturkreis fällt die Datierung dafür unterschiedlich aus; unterschiedlich ist auch die Quellenlage etwa zur ägyptischen, chinesischen, indischen, antiken, arabischen und abendländischen Arbeits- bzw. Sprachwelt. Das historische Interesse an der Fachkommunikation hat sich bisher im wesentlichen auf den europäischen Raum konzentriert, wobei Antike und Abendland ⫺ geklammert durch das sog. „Mittelalter“ ⫺ nur zu leicht als Kontinuum gesehen werden. Die Verwendung des Lateinischen als Sprache der Wissenschaften über Jahrhunderte hinweg und die Konstituierung ganzer Terminologien aus griechischen und lateinischen Wortbildungselementen legen diese Sichtweise nahe. Wichtige Wegbereiter der modernen Fachsprachenforschung bis zur Mitte des 20. Jh.s waren die Funktionalstilistik mit ihren Arbeiten über den wissenschaftlichen Stil, die Terminologiearbeit mit ihren Bemühungen um die Fachwortschätze und die Übersetzungswissenschaft unter dem speziellen Aspekt der Übersetzung von Fachtexten. Kennzeichnend für diese Etappe sind die Anlehnung der Übersetzungswissenschaft an die Funktionalstilistik und die mangelnde Bekanntschaft zwischen den aus Fachkreisen stammenden Terminologen einerseits und der Masse der technisch und naturwissenschaftlich wenig interessierten Philologen andererseits, deren Ursachen neben anderen in unterschiedlichem Anwendungsinteresse und Nutzendenken lagen. ⫺ Auch die Erforschung der Handwerkersprachen im Rahmen der Dialektologie seit dem späten 19. Jh. und die der Rechtssprache innerhalb der Mediävistik spielen eine wichtige Rolle, wenn es um die Wegbereiter der modernen Fachsprachenforschung geht. Im Gefolge des Zweiten Weltkrieges und beim Wieder- bzw. Neuaufbau danach haben sich tiefgreifende Veränderungen im Leben der Menschen, insbesondere in ihrer Arbeitswelt, vollzogen, deren Spuren sich auch in ihrer Sprache, insbesondere in den Fachsprachen, wiederfinden. Das betrifft vor allem die großen Fortschritte in der Technik, die Globalisierung der Wirtschaft und Politik, den die neuesten Entwicklungen in Wissenschaft, Kultur, Bildungswesen und Sport sowie die rasche Expansion der Massenmedien. Mit der Entstehung zahlreicher internationaler Organisationen, Verbände und Gesellschaften erhielt die fremdsprachige Fachkommunikation ein neues Gewicht. So kommt es nicht überraschend, daß die Fachsprachenforschung seit der Mitte der 60er Jahre unseres Jh.s eine neue Richtung und eine bemerkenswerte Entwicklung ge-

Vorwort

XXIX

nommen hat. Davon zeugen die seit 1977 in zweijährigem Turnus stattfindenden Europäischen Fachsprachensymposien, die Sektionsveranstaltungen bei Kongressen der Association Internationale de Linguistique Applique´e (AILA), der Mezˇdunarodnaja Associacija Prepodavatelej Russkogo Jazyka i Literatury (MAPRJaL), der Fe´de´ration Internationale des Professeurs de Langues Vivantes (FIPLV) und des Internationalen Deutschlehrer-Verbandes (IDV) oder bei den Jahrestagungen der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) sowie zahlreiche andere nationale und internationale Tagungen, die Aktivitäten des Fagsprogligt Center an der Handelshochschule Kopenhagen, welches das UNESCO Anthropology and Language Science in Educational Development (ALSED) LSP Network aufgebaut hat, das Wirken von Infoterm beim Österreichischen Normungsinstitut, die Tätigkeit von GIRSTERM und OLF in Que´bec. Besonders hervorzuheben ist auch die Gründung von Zeitschriften wie Fachsprache (Wien), English for Specific Purposes (Ann Arbor), TermNet News (Wien), UNESCO ALSED-LSP Newsletter (Kopenhagen) und von Reihen wie Forum für FachsprachenForschung (Tübingen), Fachsprache⫺Fremdsprache⫺Muttersprache (Dresden), Leipziger Fachsprachen-Studien und Hamburger Arbeiten zur Fachsprachenforschung. Hinzu kommt das Erscheinen einer stattlichen Zahl von Monographien, Sammelbänden, Zeitschriftenaufsätzen und Lehrmaterialien. Zu den häufig zitierten Überblicksdarstellungen gehören u. a.: Lubomir Drozd/Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache (1973), Hans-Rüdiger Fluck: Fachsprache (1976), Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache (1976) und Vom Fachwort zum Fachtext (1988), Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen (1990), Juan C. Sager/David Dungworth/ Peter F. McDonald: English Special Languages (1980), Rostislav Kocourek: La langue franc¸aise de la technique et de la science (1982), Walther von Hahn: Fachkommunikation (1983), Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen (1984), Reiner Arntz/Heribert Picht: Einführung in die Terminologiearbeit (1989), Helmut Felber/Gerhard Budin: Terminologie in Theorie und Praxis (1989), Willy Birkenmaier/Irene Mohl: Russisch als Fachsprache (1991), Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik (1992), Hartwig Kalverkämper/Klaus-Dieter Baumann (Hrsg.): Fachliche Textsorten (1996), von denen einige bereits in mehreren Auflagen greifbar sind. Stark gestiegen ist auch die Zahl der Fachwörterbücher und Terminologiebanken. Auch zur Fachlexikographie liegen inzwischen erste Überblicksdarstellungen vor; zu erwähnen sind hier u. a.: Henning Bergenholtz/Sven Tarp (Hrsg.): Manual of specialized lexicography (1995) und Burkhard Schaeder/Henning Bergenholtz (Hrsg.): Fachlexikographie. Fachwissen und seine Repräsentation in Wörterbüchern (1994). Betrachtet man die Ergebnisse all dieser Bemühungen, dann gelangt man zu dem folgenden Eindruck vom Stand der Fachsprachenforschung am Beginn der 90er Jahre, von dem die Konzeption des Handbuches auszugehen hatte: Gut erfaßt und erforscht sind viele Fachwortschätze bzw. Terminologien im Hinblick auf ihre Herkunft, die produktiven Typen und Mittel der Wortbildung mitsamt ihren Motivationsbeziehungen, die Polysemie, die Hypo- und Hyperonymie, die Synonymie sowie die Homonymie, die Vorkommenshäufigkeiten, die Fügungspotenzen und -realitäten, die Struktur terminologischer Systeme, die Isotopiebeziehungen zwischen Fachwörtern im Text, die Referenz auf Individual- und Gattungsbegriffe des Faches, die vertikale Schichtung innerhalb des Faches und der Austausch mit anderen Fächern, die Verständlichkeit für Fachleute und Laien, das Eindringen in den alltäglichen Sprachgebrauch u. a. m. Die übergeordnete Fragestellung lautet hier: Wie befriedigen die Fach-

XXX

Vorwort

sprachen den ständig wachsenden Benennungsbedarf von Wissenschaft und Technik, von Wirtschaft und Politik, von Produktion und Konsumtion? Relativ weit ist auch die Erforschung der fachsprachlichen Syntax gediehen. Sie hat sich zunächst auf die Länge und den Komplexitätsgrad von Sätzen und Teilsätzen sowie die Satztypen und die Funktion der Satzglieder konzentriert. Später kamen Untersuchungen zur Valenz und Distribution fachsprachlicher Verben hinzu. Die Erfassung der Thema-Rhema-Gliederung erfolgte sowohl innerhalb der Einzelsätze in Gestalt der aktuellen Satzgliederung bzw. funktionalen Satzperspektive als auch über die Satzgrenzen hinaus nach den Typen der thematischen Progression. Aus funktionaler Sicht wurden die Anonymisierung, die explizite Spezifizierung und die Kondensierung als sog. Schlüsseltechniken fachsprachlicher Syntax identifiziert. Auch bevorzugte Kommunikationsverfahren und Sprachhandlungen wurden zunächst am Satz festgemacht. Stand die Betrachtung des Fachwortschatzes unter dem Aspekt der Erweiterung von Einzelsprachen, so stand bei der Syntax eher die Tendenz zur Einschränkung oder zur bewußten Selektion im Vordergrund. Die zentrale Frage lautete: Welche syntaktischen (und morphologischen) Mittel fördern die Informationsverdichtung? Mit der Betrachtung der thematischen Progression und anderer transphrastischer Faktoren, wie z. B. der Isotopie, hatte sich die Fachsprachenforschung schon einem wesentlichen Textualitätskriterium angenähert: der Kohäsion bzw. der syntaktischen und semantischen Kohärenz. Die zunehmende Berücksichtigung weiterer Kriterien wie Informativität, Situationalität und Intertextualität führte zur Durchsetzung textlinguistischer Prinzipien in der Fachsprachenforschung, die durch die sog. kommunikativpragmatische Wende in der Sprachwissenschaft noch beschleunigt wurde. Die Definition des Fachtextes als strukturelle und funktionale Einheit (Ganzheit) ermöglichte es, einen großen Teil der früheren Erkenntnisse über die Spezifik von Lexik und Syntax der Fachsprachen in fachtextlinguistische Beschreibungsmodelle zu integrieren. Der ständige Vergleich textexterner und textinterner Merkmalkomplexe, bei dem Teiltextfolgen und Makrostrukturen eine besondere Rolle spielten, brachte schließlich auch die exakte Differenzierung von Fachtextsorten ein beträchtliches Stück voran. Eine der Kernfragen lautete hier: Welchen Einfluß hat die Funktion der Fachtextsorte auf die Wahl der sprachlichen Mittel? Die entscheidenden Fortschritte in der Fachtextlinguistik wurden etwa gleichzeitig mit der Entstehung dieses Handbuches erzielt. Das hat sich natürlich auf dessen Konzeption ausgewirkt. Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Stärken der Fachsprachenforschung bis in die Gegenwart hinein in der sorgfältigen quantitativen und qualitativen Analyse umfangreicher Materialkorpora lagen sowie in den zahlreichen Versuchen, neue linguistische Theorien und Methoden auf ihren spezifischen Untersuchungsgegenstand zu applizieren. Hier hat allerdings auch die Kritik an der Fachsprachenforschung angesetzt und darauf verwiesen, daß sie keine eigenen Forschungsmethoden entwickelt hat und eigenständigen theoretischen Ehrgeiz vermissen läßt, ja sogar hier und da eine gewisse Naivität kultiviert. In der Konzeption des Handbuches wurden diese Einwände berücksichtigt. Aber auch andere Sachbereiche hat die Fachsprachenforschung noch in Angriff zu nehmen bzw. verstärkt zu untersuchen, z. B. die kognitive Funktion der Fachsprachen gegenüber der kommunikativen; die Interiorisierung, Speicherung und Exteriorisierung fachlicher Kenntnissysteme gegenüber der Aneignung und Verwendung terminologischer Systeme; die (psychischen) Voraussetzungen der Rezeption und Produktion von

Vorwort

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Fachtexten gegenüber ihrer (linguistischen) Analyse und Beschreibung; die Korrelation textinterner und textexterner Merkmale von Fachtextsorten gegenüber ihrer gesonderten Aufzählung; den interlingualen gegenüber dem intralingualen Vergleich von Fachtext(sort)en; die Standards und Empfehlungen für Fachtextsorten gegenüber denen für Terminologien; die diachronische Beschreibung von Fachsprachen gegenüber der synchronischen; die kulturspezifische Situierung von Fachsprachen gegenüber einem vermuteten Universalismus. Einige dieser Defizite mögen aus der nur zum Teil selbstverschuldeten Isolierung der Fachsprachenforschung von benachbarten Forschungsfeldern wie Sprachtheorie, Semantik, Psycholinguistik, Soziolinguistik, Computerlinguistik, Lexikographie und Terminologiewissenschaft herrühren. Andere sind auf den ständigen Praxisdruck und Anwendungszwang zurückzuführen. Bei alledem ist allerdings zu bedenken, daß die Fachsprachenforschung eine relativ junge Disziplin ist, die bei aller bereits vorhandenen bzw. absehbaren Bewährung noch wachsen und reifen muß. Der gelegentlich bemängelte Eklektizismus der Fachsprachenlinguistik erklärt sich auch daraus, daß ihre Vertreter von sehr unterschiedlichen nationalen Traditionen und sprachwissenschaftlichen Schulen herkommen und Fachsprachenforschung meist nur nebenher betreiben. Letzteres gilt insbesondere für sprachlich interessierte Fachleute. Sie treffen sich manchmal nur in ihrem gemeinsamen Objektbereich, der Fachkommunikation. All das und noch vieles andere, was den Rahmen eines Vorwortes sprengen würde, war bei der Erarbeitung der Konzeption des Handbuches zu berücksichtigen und führte zur Formulierung der folgenden Entscheidungen und Hauptaufgaben: (1) Schaffung eines deutlichen Bewußtseins dafür, welche vergangenen und gegenwärtigen Forschungsaktivitäten trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte und Zielsetzungen und trotz der äußerlichen Zugehörigkeit zu anderen Disziplinen oder Teildisziplinen (auch) als (Beiträge zur) Fachsprachenforschung aufzufassen sind. (2) Vermittlung der Einsicht in die Notwendigkeit, daß die Fachsprachenforschung, wenn sie zu einer eigenständigen Teildisziplin der Sprachwissenschaft weiterentwickelt werden soll, eine weitestgehend konsensfähige Theorie der Fachsprachen erarbeiten muß, aus der Methoden und Forschungsprogramme abgeleitet werden können. (3) Möglichst repräsentative Darstellung des Forschungsstandes ohne Anspruch auf Exhaustivität, aber mit dem Ziel, theoretische Fragestellungen, Problemfelder und empirische Befunde so auszuwählen, daß vorsichtige Schlüsse vom dargestellten Teil auf das Ganze nicht von vornherein als unangemessen gelten müssen. (4) Verklammerung der beiden wichtigsten Interessenbereiche: nämlich der Terminologiewissenschaft und der Fachsprachenlinguistik (insbesondere der Fachtextlinguistik) auch mit Blick auf (inter-)kulturelle Spezifika. (5) Bemühen, die einzelphilologischen Grenzen zu überschreiten; allerdings dort, wo die Germanistik, Anglistik, Romanistik und Slawistik besondere Forschungsschwerpunkte entwickelt haben, diese auch entsprechend vorzustellen. (6) Kritische Einschätzung von Hypothesen, Methoden und ihrer Anwendung sowie der bisherigen Ergebnisse ohne dogmatischen Anspruch auf Endgültigkeit. (7) Kulturhistorisch bewußte Entscheidung für eine konzeptionelle und darstellerische Verbindung diachroner (bzw. historischer) und synchroner (speziell die Gegenwart betreffender) Aspekte.

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(8) Anregung, Konzipierung und Perspektivierung künftiger Forschung durch Hinweise auf fruchtbare Ansätze sowie auf Möglichkeiten zur weiteren Vervollständigung und Präzisierung von Beschreibungen und lexikographischen Bearbeitungen, auf störende Lücken und nicht zuletzt auf bleibende Probleme und weiterreichende Fragestellungen. (9) Unterbreitung von Angeboten für die Umsetzung in die Praxis, z. B. durch Vorschläge für die Optimierung fachlicher Kommunikation, für die Standardisierung von Terminologien und Fachtextsorten und durch Empfehlungen zu Zielen, Inhalten und Methoden der Fachsprachenausbildung. (10) Prinzipielle Beachtung interdisziplinärer Vielfalt, was sich deutlich in einer breiten Palette dargestellter Handwerke niederschlägt, aber auch bei den Wissenschaften die unterschiedlichen „Kulturen“ ⫺ Geistes-, Sozial-, Kultur-, Natur- und Technikwissenschaft(en) ⫺ aufeinander bezieht. (11) Erschließung der für die Kenntnis der Fachsprachenforschung und für die sprachliche Handlungsfähigkeit im Fach wesentlichen Literatur durch sorgfältig ausgewählte, themenbezogene bibliographische Angaben am Schluß jedes Artikels sowie durch eine Bibliographie der Bibliographien am Ende des 2. Teilbandes. (12) Dokumentation der für die Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft wichtigen nationalen und internationalen Organisationen. Die genannten Ziele will das Handbuch, das in zwei Halbbänden erscheint, durch eine Gliederung in 29 Kapitel erreichen. Die Gliederung spiegelt wissenschaftssystematische und wissenschaftshistorische Gesichtspunkte wider. Sie berücksichtigt gleichermaßen die Bedürfnisse der globalen wie der selektiven Nutzung und hilft das Anliegen der HSK-Reihe verwirklichen, das darin besteht, neben der Bestandsaufnahme eine möglichst breit gefächerte, strukturierte Übersicht über Problemfelder, Zugangsweisen und Theorieansätze zu geben. Insgesamt ergeben sich mehrere Darstellungsstränge, die miteinander verbunden sind und sich auf sechs Korrelationen zurückführen lassen: (1) Eine grundlegende Korrelation besteht zwischen dem darzustellenden Objektbereich, den Fachsprachen, und dem ebenfalls darzustellenden Metabereich, der Fachsprachenforschung. Beide Bereiche sind streng aufeinander bezogen, nur die Gewichtungen sind blockweise verschieden. In den Kap. I, IX⫺XII, XIV⫺XVIII, XX und XXV⫺XXVIII liegt das Gewicht mehr auf dem Objektbereich, in den Kap. II⫺IV, XIII, XXI⫺XXIV dagegen mehr auf dem Metabereich; in den Kap. V⫺VIII und XIX sind beide Bereiche etwa gleichwertig. (2) Eine weitere Korrelation existiert zwischen den Darstellungen von Einzelsprachen. Theorierelevante und grundsätzliche Ausführungen ⫺ insbesondere in den Kap. I, II und V⫺IX ⫺ beziehen sich auf die Einzelsprachen, die bisher offenkundig am gründlichsten untersucht worden sind, also auf das Deutsche und das Englische. Wegen der unterschiedlichen Forschungslage in der germanistischen und anglistischen Fachsprachenlinguistik lassen nur einzelne Artikel in den Kap. XV⫺XVIII Vergleiche zwischen beiden Sprachen zu. Aussagen über die Antike in Kap. XXV, das Französische in Kap. XXVIII und andere lebende Sprachen in Kap. XIX entsprechen dem derzeitigen Forschungsstand und sind geeignet, weiterführende Untersuchungen anzuregen. (3) In einer komplementären Korrelation zueinander stehen ferner generelle und spezielle Perspektiven, erstere in den Kap. I und II, letztere beispielsweise in den Kap. V und VI.

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(4) Eine nicht minder wichtige Korrelation ergibt sich zwischen dem überwiegenden Gegenwartsbezug in den Kap. VII⫺IX, XIII, XVII, XIX und XXII einerseits und dem vorherrschenden Vergangenheitsbezug in den Kap. IV und XXV⫺XXVIII andererseits, bei dem sowohl historische Schnitte als auch Darstellungen entlang der Zeitlinie die Perspektive und die Ergebnisse bestimmen; beide Bezüge lassen sich aber auch verbinden wie in den Kap. XV und XVI. (5) Die Korrelation zwischen Systemaspekt und Verwendungsaspekt gilt für die Beschreibung von Fachsprachen ebenso wie für die Sprachbeschreibung generell; betont systembezogen sind die Kap. II, VI und VII, verwendungsbezogen die Kap. I, V, X und XX, während sich in den Kap. XIV⫺XVIII beide Aspekte ergänzen. (6) Schließlich wirkt sich auf die Darstellung die Korrelation von relativ komplexen Sprachgebilden (Textebene) und relativ einfachen Sprachgebilden (Lexikebene) aus. Das gilt für fast alle Kapitel des Handbuches. Die Feingliederung der Kapitel ist aus dem Inhaltsverzeichnis zu ersehen, wobei die Zahl der Artikel vom Forschungsstand abhängen kann, ihr Umfang jedoch auch subjektive Bewältigungsstrategien erkennen läßt. Einer der leitenden Gesichtspunkte bei der Konzipierung des Handbuches war, daß jeder Artikel nach Möglichkeit in sich geschlossen sein sollte. Damit waren kleinere Überschneidungen unvermeidbar. Da die Autoren von den Herausgebern für jeden Artikel ein Abstract zur Groborientierung erhalten hatten, sind überflüssige Doppelungen jedoch weitestgehend vermieden worden. Über die gedruckte Gesamtkonzeption, die Abstracts, einige Literaturhinweise und die Einrichtung der Manuskripte hinaus haben die Herausgeber nur dann auf Inhalt, Form und Umfang der Artikel Einfluß genommen, wenn die Sachlage dies dringend erforderlich machte; denn ein weiterer leitender Gesichtspunkt war die Eigenverantwortung der Autoren. Unterschiede, angefangen bei kontroversen Positionen in Theorieund Methodenfragen oder unterschiedliche Meinungen über den Status der Fachsprachen bis hin zur Wahl der Darstellungsperspektive, zur Schwerpunktsetzung und zu Eigenheiten im persönlichen Stil, wurden nicht nur geduldet, sondern in den meisten Fällen sogar begrüßt, weil sie den oben charakterisierten Stand der Fachsprachenforschung und die Interdisziplinarität ihres Gegenstandes zutreffend wiedergeben. Übrigens war das schon bei der Gewinnung der Autoren ein Anliegen der Herausgeber. Es gilt also das Prinzip der Einheit in der Vielfalt. Da die Ergebnisse der Fachsprachenforschung zum größten Teil in Deutsch und Englisch sowie für das Deutsche und Englische vorliegen, wurde den Autoren empfohlen, ihren Beitrag in einer der beiden Sprachen einzureichen. In den seltenen Fällen, in denen das nicht durchführbar war, ermöglichte der Verlag die Übersetzung. Im Sinne einer benutzerfreundlichen Zugriffsstruktur wurde große Sorgfalt auf die Bibliographie der Bibliographien zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, das Sachregister und das Namenregister in Kap. XXIX verwandt. Auch Querverweise in den einzelnen Artikeln erleichtern die Orientierung. Die aus mehreren Entwürfen der Herausgeber entstandene Konzeption des Handbuches wurde auf der 22. Jahrestagung der GAL 1991 (Mainz) und in der Zeitschrift Fachsprache (Wien) Heft 1⫺2/1992 der Öffentlichkeit vorgestellt. Aus der anschließenden Diskussion und aus Zuschriften ergab sich eine Reihe von Anregungen, die vor allem auf Themenergänzungen, die Neuformulierung von Artikelüberschriften und die Gewinnung kompetenter Autoren hinausliefen, der Gesamtkonzeption und -gliederung

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jedoch zustimmten und die Wichtigkeit des Vorhabens bekräftigten. In diesem Zusammenhang danken die Herausgeber besonders Henning Bergenholtz, Hans-Peder Kromann (†), Dieter Möhn und Oskar Reichmann. Die weitere Feinabstimmung erfolgte auf der Grundlage der Abstract-Vorgaben zwischen den Autoren und den Herausgebern. Dabei wurden auch die Zuständigkeitsbereiche der Herausgeber festgelegt: Lothar Hoffmann Kap. V⫺VII, XIII, XV, XVI, XIX; Hartwig Kalverkämper Kap. I, II, IV, IX⫺XI, XXV, XXVIII; Herbert Ernst Wiegand Kap. III, VIII, XII, XIV, XVII, XX, XXI, XXII, XXVI; Werner Hüllen Kap. XVIII, XXVII; Christian Galinski Kap. XXIII, XXIV. Der Adressatenkreis des Handbuches ist wegen seiner ausgesprochenen Interdisziplinarität groß: Mögen sich vom HSK-Reihentitel her Sprach- und Kommunikationswissenschaftler direkt angesprochen fühlen, so hatten die Herausgeber und Autoren doch immer die Bedürfnisse von Fachleuten der unterschiedlichsten Wissensgebiete und Tätigkeitsbereiche im Auge, von denen ein hohes Maß an Kompetenz oder zumindest ein bewußter Umgang mit Sprache, d. h. sprachliche Handlungsfähigkeit in ihrem Fach, zunehmend erwartet wird. Explizit thematisiert sind handwerkliche, technische und wissenschaftliche Fachsprachen ⫺ die handwerklichen stärker aus historischer Sicht und in dialektalem Zusammenhang, die technischen und wissenschaftlichen wegen der enormen Bedeutung von Metallurgie, Kfz-Technik, Elektrotechnik und Elektronik, Informatik, Verfahrenstechnik, Maschinen- und Anlagenbau, Telekommunikation oder Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Rechtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Ökologie und anderen Disziplinen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ⫺ aber auch die (Fach-)Kommunikation in Betrieben, Ämtern, Behörden und anderen Kontaktbereichen von Fachleuten mit unterschiedlichem Spezialisierungsgrad und Laien. Die genannten Fachleute können sich in Forschung, Lehre und Praxis auf das Handbuch stützen; Laien werden ebenfalls Auskünfte finden, wo sie bestimmten Fächern und ihrem Sprachgebrauch ⫺ angefangen bei der Fachterminologie ⫺ suchend gegenüberstehen. Dringenden Bedarf haben nicht zuletzt Terminologen, Sprachmittler, Dokumentare und Bibliothekare angemeldet. Aber natürlich haben Herausgeber und Autoren das Handbuch auch für die Fachkollegen, ihre Mitarbeiter und Studenten in der fachsprachlichen Forschung und Ausbildung als Teilgebiet der Angewandten Linguistik geschrieben. Am Ende einer mehrjährigen, nicht immer problemlosen, aber von gegenseitigem Verständnis geprägten Zusammenarbeit haben die Herausgeber das Bedürfnis, allen Beteiligten zu danken. Das sind zunächst die Autorinnen und Autoren, die auf ihre Artikel viel Mühe verwandt, z. T. andere Vorhaben zurückgestellt und beim unerwartet langsamen Fortgang der Arbeiten ein großes Maß an Geduld aufgebracht haben. Da Verzögerungen durch die nachträgliche Aufnahme von Beiträgen, den Widerruf früherer Zusagen und ⫺ seltener ⫺ die Zurückweisung von Manuskripten, die der Konzeption des Handbuches nicht entsprachen, eintraten, sind diejenigen von ihnen besonders hervorzuheben, die trotz der geringen verbleibenden Zeit kurzfristig in die Bresche gesprungen sind. Der Dank der Herausgeber gilt ferner den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die Konzeption, das Inhaltsverzeichnis und einzelne Artikel in eine der Veröffentlichungssprachen übersetzt oder stilistisch bearbeitet haben, insbesondere Richard J. Brunt. Das Organisationszentrum für dieses Handbuch lag am Lehrstuhl für germanistische Linguistik der Universität Heidelberg. Für ihr unermüdliches und umsichtiges Wirken

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sei den Sekretärinnen Ursula Quoos und Lissy Säuberlich sowie Gisela Schmidt, die das Namenregister erarbeitet hat, und nicht zuletzt Matthias Kammerer, der bei der Erarbeitung des Sachregisters geholfen hat, sehr herzlich gedankt. Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen des Verlages Walter de Gruyter Christiane Bowinkelmann, Angelika Hermann und Heike Plank, die unter Leitung von Brigitte Schöning die Arbeiten am Handbuch umsichtig betreut haben. Bei aller Freude über das vollendete Werk gedenken wir in achtungsvoller Trauer der Autorin Helga Hipp sowie den Autoren Rolf Berndt, Ja´nos Ga´rdus und Hans-Peder Kromann, denen es nicht mehr vergönnt war, das Erscheinen des Handbuches zu erleben. Im Sommer 1997

Lothar Hoffmann (Großdeuben) Hartwig Kalverkämper (Berlin) Herbert Ernst Wiegand (Heidelberg)

Preface The subject matter of this Handbook is special languages. It deals with the following topics from various perspectives: their systemic constitution, their use in oral and written (specialized) texts within the pragmatic framework of specialized (and nonspecialized) communication processes, their lexicographical arrangement in printed dictionaries and data banks and, finally, their investigation in the past and in the present. The reason for the emergence of special languages is generally sought in the specialization of human activities brought about by the division of labour, and by linguistic communication about these activities. Initially, special languages developed in connection with the acquisition of food (hunting, fishing, cattle breeding, farming, including the processing of the products thus obtained); they were followed by those which are concerned with the satisfying of other basic needs (production of clothes and housing); they were joined by the manufacture and naming or description of tools and implements. In this early phase, special language is to a great extent identical to specialized vocabulary and phraseology. It is possible to speak of crafts and their special languages as soon as people no longer satisfy only their own needs, but when whole social (professional) groups make their living primarily through specialized activities and then through barter and trade. In the course of time, a constant growth and differentiation take place, stimulated by a variety of more sophisticated needs (e. g. coach building, weapon production, jewellery making, preparation of medicines). The necessity for specialized communication already leads here to the creation of special text types such as country sayings, trade documents, guild rules, recipes, hunting laws, Handlungsbücher and pharmacopoeias. In the fields of mining and printing, the dividing line between genuine manual and early industrial production methods was soon crossed, just as the modern languages of technology have their roots in the national languages of crafts, which have to be seen as early forms of technical special languages and which only later open themselves to scientific special languages and internationalization. The transition is well documented in the medieval Artes literature, especially in the Kunstbücher pertaining to the Artes mechanicae. With the further rise of technology, the special languages of crafts gradually recede into the background, appear as part of the standard language or are integrated into the modern special languages of technology. The decisive phase in this development was the Industrial Revolution (18th/19th centuries). Since then, a tremendous expansion of vocabulary in the sense of terminology has occurred in the special languages of technology, and the range of specialized text types has also considerably increased, e. g. through patent specifications, norms, industrial standards, operating instructions and the like. The special languages of the natural sciences emerged relatively rapidly after the abandonment of so-called learned Latin (16th/17th centuries). In these sciences the great discoveries of the 19th century brought about an increasing expansion of special language use, terminologies increased and became more sophisticated, and text structure attained its modern form. The scientific monograph and the scientific article became

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the dominant text types, accompanied by reviews, surveys and textbooks. The same is true of the humanities and the social sciences from the end of the 18th century in the wake of the Enlightenment. In the case of the special languages of industry and commerce, the beginnings date back to the era of discoveries and of the founding of the first branches of trading organizations (15th/16th centuries). Business letters and contracts belong to the early text types. Terminology plays a greater role only later, namely from the founding of economics in the form of classical national economics (18th/19th centuries). Here there is a relatively early (beginning of the 20th century) and peculiar association with linguistics in so-called Wirtschaftslinguistik, which can be counted among the precursors of special-language research. The first beginnings of special-language research are to be found where reflections are made on the use of language as determined by subject matter, without any attempt being immediately made at a systematic analysis and description. Depending on which areas of culture are involved, the dating varies as does the availability of sources, for example, the Egyptian, Chinese, Indian, antique, Arabic and western worlds of work and language. The historical interest in specialized communication has to date concentrated primarily on the European area, in which antiquity and the West ⫺ linked by the so-called “Middle Ages” ⫺ are all too easily regarded as a continuum. (The use of Latin as the language of science for many centuries and the formation of whole terminologies from Greek and Latin elements encourage this view.) Functional stylistics with its work on scientific style, terminology work with its attention to specialized vocabularies and translation science under the particular aspect of the translation of specialized texts were important forerunners of special-language research up to the middle of the 20th century. The borrowings made by translation science from functional stylistics and the lack of communication between terminologists belonging to specialized areas on the one hand and the majority of philologists with little interest in technology and science on the other are characteristic of this stage. The reasons, among others, for this lay in the differing interests in the use of and the differing conceptions of the usefulness of special languages. The investigation of craft languages within dialectology since the late 19th century and of legal language within medieval studies should also be mentioned when talking about the precursors of modern special-language research. In the wake of the Second World War and the period of reconstruction and new construction after it, profound changes took place in people’s lives, especially in their working world, whose traces are also to be found in their language, particularly in the special languages. This concerns above all the enormous progress in technology, the globalization of trade and politics, the growth of science, culture, education and sport and the gigantic expansion of the mass media. The emergence of numerous international organizations, associations and societies has lent specialized communication in a foreign language a new weight. It is therefore not surprising that special-language research since the mid 1960s has followed a new direction and has undergone a remarkable development. Evidence of this are the European symposia on special languages which have taken place every two years since 1977, the section meetings at congresses of the Association Internationale de Linguistique Applique´e (AILA), the Mezˇdunarodnaja Associacija Prepodavatelej Rus-

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skogo Jazyka i Literatury (MAPRJaL), the Fe´de´ration des Professeurs de Langues Vivantes (FIPLV) and the Internationaler Deutschlehrer-Verband (IDV) or at the annual conferences of the Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) as well as the many other national and international conferences, the activities of the Fagsprogligt Center at the Copenhagen School of Economics, which set up the UNESCO Anthropology and Language Science in Educational Development (ALSED) LSP Network, the work of Infoterm in the Austrian Institute for Standardization and that of GIRSTERM and OLF in Quebec. Special mention should also be made of the founding of journals such as Fachsprache (Vienna), English for Specific Purposes (Ann Arbor), TermNet News (Vienna), UNESCO ALSED-LSP Newsletter (Copenhagen) and of book series such as Forum für Fachsprachen-Forschung (Tübingen), Fachsprache ⫺ Fremdsprache ⫺ Muttersprache (Dresden), Leipziger Fachsprachen-Studien and Hamburger Arbeiten zur Fachsprachenforschung. In addition, an impressive number of monographs, multi-author works, journal articles and teaching materials has been published. Among the frequently cited survey works are: Lubomir Drozd/Wilfried Seibicke, Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache (1973), Hans-Rüdiger Fluck, Fachsprache (1976), Lothar Hoffmann, Kommunikationsmittel Fachsprache (1976) and Vom Fachwort zum Fachtext (1988), Juan C. Sager/David Dungworth/Peter F. McDonald, English Special Languages (1980), Rostislav Kocourek, La langue franc¸aise de la technique et de la science (1982), Walther von Hahn, Fachkommunikation (1983), Dieter Möhn/Roland Pelka, Fachsprachen (1984), Reiner Arntz/Heribert Picht, Einführung in die Terminologiearbeit (1989), Helmut Felber/Gerhard Budin, Terminologie in Theorie und Praxis (1989), Rosemarie Gläser, Fachtextsorten im Englischen (1990), Willy Birkenmaier/Irene Mohl, Russisch als Fachsprache (1991), KlausDieter Baumann, Integrative Fachtextlinguistik (1992) and Hartwig Kalverkämper/ Klaus-Dieter Baumann (eds), Fachliche Textsorten (1996), some of which have already gone into further editions. The number of special-language dictionaries and terminology banks has also greatly increased. The first surveys of special-language lexicography have also now appeared. These include Henning Bergenholtz/Sven Tarp (eds), Manual of Specialised Lexicography (1995) and Burkhard Schaeder/Henning Bergenholtz (eds), Fachlexikographie: Fachwissen und seine Repräsentation in Wörterbüchern (1994). If we consider the results of all these efforts, we gain the following impression regarding the state of special-language research at the beginning of the 1990s, from which the concept of this Handbook had to proceed: Many specialized vocabularies and terminologies have been well covered and investigated as regards their origin, the productive types and means of word formation including motivational relationships, polysemy, hypo- and hyperonymy, synonymy and homonymy, frequencies of occurrence, the potentialities and realities of collocations, the structure of terminological systems, the isotopic relationships between specialized words in texts, reference to individual and generic concepts of the subject, the vertical stratification within the subject and the interchange with other subjects, their comprehensibility for specialists and non-specialists, their penetration into everyday language use and many other areas. The overriding question here is: How do special languages satisfy the permanently increasing need of science and technology, of trade and politics, of production and consumption for names? Research into the syntax of special languages has also come a relatively long way. Initially, it concentrated on the length and degree of complexity of sentences and sen-

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tence parts as well as on sentence types and the function of parts of speech. Later, investigations on the valency and distribution of verbs in special languages were added. The description of theme-rheme structuring then followed, both within the sentence in the form of functional sentence perspective and also across sentence boundaries according to the types of thematic progression. Anonymization, explicit specification and condensation were identified from a functional standpoint as the so-called key techniques of special-languages syntax. Preferred communication procedures and speech activities were also initially demonstrated for the sentence. Whereas special-language vocabulary was considered from the standpoint of the expansion of individual languages, in syntax a tendency towards limitation or conscious selection was predominant. The central question here was: What syntactic (and morphological) means further the compression of information? With its consideration of thematic progression and other transphrastic factors such as isotopy, special-language research had already come close to one important criterion of textuality: cohesion or syntactic and semantic coherence. The increasing consideration of further criteria such as informativity, situationality and intertextuality led to the acceptance of text-linguistic principles in special-language research, this being further accelerated by the so-called communicative-pragmatic turning point in linguistics. The definition of specialized texts as a structural and functional unit(y) made it possible to integrate a large number of earlier findings on the specificity of the lexis and syntax of special languages into the descriptive model of special-language linguistics. The constant comparison of text-external and text-internal feature complexes, in which sequences of text segments and macrostructures played a particular role, finally also brought about considerable progress in the exact differentiation of specialized text types. One of the key questions here was: What influence does the function of specialized text types have on the selection of linguistic means? Decisive progress in speciallanguage linguistics was being made at roughly the same time as this Handbook was being conceived and it naturally influenced it. To summarize, we can state that the strenghts of special-language research to date lay in the careful quantitative and qualitative analysis of extensive text corpora and in the numerous attempts to apply new linguistic theories and methods to its specific subject of research. It is here, however, that criticism of special-language research has been raised, pointing out that this research has not developed its own methods and is lacking in autonomous theoretical ambitions, even cultivating here and there a certain naivety. These objections were considered in the conception of the Handbook. There are also, however, other areas which special-language research has still to tackle or to investigate more closely, e. g. the cognitive function of special languages as opposed to the communicative; the interiorization, storage and exteriorization of specialized knowledge systems as opposed to the acquisition and use of terminological systems; the (mental) preconditions for the reception and production of specialized texts as opposed to their (linguistic) analysis and description; the correlation of the text-internal and text-external features of specialized text types as opposed to their separate enumeration; the interlingual as opposed to the intralingual comparison of specialized texts/text types; the standards and recommendations for specialized text types as opposed to those for terminologies; the diachronic description of special languages as opposed to the synchronic; the culture-specific embedding of special languages as opposed to an assumed universalism.

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Some of these deficits may result from the isolation of special-language research from neighbouring research areas such as linguistic theory, semiotics, psycholinguistics, sociolinguistics, computer linguistics, lexicography and terminography, although this isolation is only partly its own fault. Other deficits can be attributed to the constant pressure from practitioners and the need for the application of results. In any case, it should be borne in mind that special-language research is a relatively young discipline which, despite the fact that it has already proved itself or will soon do so, has to grow and mature. The occasionally mentioned eclecticism of special-language linguistics can also be explained by the fact that its representatives come from very different national traditions and linguistic schools and that special-language research is normally only carried out on the side. The last point is particularly true of specialists with an interest in language. They only ever encounter each other within their common area of interest, namely specialized communication. All this, and much more which would go beyond the boundaries of a preface, had to be taken into consideration during the elaboration of the concept of the Handbook and it led to the formulation of the following decisions and main tasks: (1) The creation of a clear awareness of which past and present research activities, despite their differing points of departure and aims and despite their superficial membership of other disciplines or sub-disciplines, can (also) be conceived of as (contributions to) special-language research. (2) The imparting of insight into the necessity for special-language research, if it is to be further developed into an independent sub-discipline of linguistics, to achieve a high degree of agreement on a theory of special languages, from which methods and research programmes can be derived. (3) A description of the state of research which is as representative as possible without laying claim to exhaustiveness, but which has the goal of selecting problem areas and empirical findings in such a way that careful deductions made from the part described to the whole need not be regarded as inappropriate from the outset. (4) The linking of the two most important areas of interest, namely terminography and special-language linguistics (in particular specialized-text linguistics), also with a consideration of (inter-) cultural specifics. (5) An attempt to go beyond the boundaries of the individual philologies, but, where German, English, Romance and Slavonic studies have developed particular emphases in research, to present these accordingly. (6) A critical evaluation of hypotheses, methods and their application, as well as of findings to date, with no dogmatic claim to finality. (7) A conscious, culture-historical decision in favour of a conceptual and descriptive connection between diachronic (or historical) and synchronic aspects (especially as regards the modern period). (8) The furthering, conceptualization and perspectivization of future research through reference to fruitful approaches and to possibilities for the continuing completion and the more precise formulation of descriptions and lexicographical treatments, also to annoying lacunae and, last but not least, to remaining problems and further-reaching questions. (9) The presentation of proposals for conversion into practice, e. g. through suggestions for the optimization of specialized communication, for the standardization of terminol-

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ogies and specialized text types and through recommendations on the aims, contents and methods of training in special languages. (10) The consideration in principle of interdisciplinary variety, which is clearly manifested not only in the wide variety of crafts described, but also in those sciences which relate the various ‘cultures’ ⫺ the humanities, the social, cultural, natural and technical science(s) ⫺ to each other. (11) Making available the literature which is of most importance for a knowledge of special-language research and for the ability to act linguistically in the subject through carefully selected, thematically related bibliographical details at the end of every article and through a bibliography of bibliographies at the end of Part 2. (12) The documentation of those national and international organizations which are of importance for special-language research and terminography. The Handbook, which appears in two volumes, aims to achieve the above goals through its arrangement into 29 chapters, which partly reflects the standpoints of the systematics of science and partly those of the history of science. It takes into consideration the need for both global and selective use and helps to realize the main concern of the HSK-series, namely, besides describing the state of the art, to provide as widely differentiated a survey of problem areas, means of access and theoretical approaches as possible. Altogether, various levels of description result, which are linked to each other and which can be reduced to six correlations: (1) A fundamental correlation exists between the subject area to be described, namely special languages, and the meta-area also to be described, namely special-language research. Both areas are closely related to each other; only the emphases vary within the blocks. In Chapters I, IX⫺XII, XIV⫺XVIII, XX and XXV⫺XXVIII the emphasis is placed more on the subject area; in Chapters II⫺IV, XIII, XXI⫺XXIV, in contrast, more on the meta-area; in Chapters V⫺VIII and XIX both areas have equal emphasis. (2) A further correlation exists between the descriptions of individual languages. Theory-relevant and fundamental expositions ⫺ especially in Chapters I, II and V⫺IX ⫺ refer to those individual languages which appear to have been most thoroughly investigated, German and English. Because of the different research situations in German and English special-language linguistics only a few articles in Chapters XV⫺XVIII permit comparisons between the two languages. Statements about antiquity in Chapter XXV, French in Chapter XXVIII and other living languages in Chapter XIX correspond to the present state of research and aim to stimulate further research. (3) Moreover, general and specific perspectives are in complementary correlation to each other, the former in Chapters I and II, the latter, for example, in Chapters V and VI. (4) A no less important correlation emerges from the predominant relationship to the present in Chapters VII⫺IX, XIII, XVII, XIX and XXII on the one hand and the predominant relationship to the past in Chapters IV and XXV⫺XXVIII on the other, in which both the historical cross-sections and the descriptions along the time axis determine the perspective and the findings; both relationships can however be linked as in Chapters XV and XVI. (5) The correlation between the system aspect and the use aspect is valid both for the description of special languages and for the description of language in general; Chapters II, VI and VII are system-related, Chapters I, V, X, and XX are use-related, while in Chapters XIV⫺XVIII both aspects complement each other.

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(6) Finally, the correlation between relatively complex linguistic constructions (text level) and relatively simple linguistic constructions (lexical level) influences the description. This is true of almost all the chapters of the Handbook. The fine structure of the chapters can be seen from the table of contents, the number of articles depending on the state of the art; their length, however, also reveals subjective coping strategies. One of the guiding principles in the conception of the Handbook was that every article, if possible, should be complete in itself. As a result, minor overlaps were not to be avoided. Since, for every article, the authors received from the editors an abstract for their rough guidance, unnecessary repetitions have been avoided as far as possible. Apart from the printed concept, the abstracts, some references to the literature and information on the lay-out of the manuscripts, the editors exerted their influence on the content, form and length of the articles only when absolutely necessary, since a further guiding principle was the individual responsibility of the authors. Differences, extending from controversial positions concerning questions of theory and method or differences of opinion concerning the status of special languages to the choice of descriptive perspective, the placing of emphases and idiosyncrasies of personal style, were not only tolerated but, in most cases, even welcomed, since they accurately reflect the state of special-language research and the interdisciplinarity characterized above. In fact, it was already one of the editors’ main concerns when recruiting the authors. It is therefore a case of unity in variety. Since the findings of special-language research are largely in German or English or apply to the German and English languages, the authors were recommended to submit their article in one of these two languages. In the few cases in which this could not be done, the publishers made its translation possible. To provide a user-friendly access structure, great care was expended on the bibliography of bibliographies on special-language research and the science of terminology, the subject index and the index of names in Chapter XXIX. Cross-references in the individual articles facilitate orientation. The concept of the Handbook, which originated from several outlines by the editors, was presented to the public at the 22nd annual meeting of the GAL in 1991 (Mainz) and in the journal Fachsprache (Vienna) No. 1⫺2/1992. From the subsequent discussion and from the letters received there resulted a series of suggestions, most of which amounted to additions to the topics, the reformulation of article titles and the recruiting of competent authors, but which expressed approval of the concept and structure as a whole and confirmed the importance of the project. In this context, the editors would like to extend their particular gratitude to Henning Bergenholtz, Hans-Peder Kromann (†), Dieter Möhn and Oskar Reichmann. Further fine tuning was carried out between the editors and the authors on the basis of the abstract guidelines. The areas of responsibility of the editors were also determined at this stage: Lothar Hoffmann Chapters V⫺VII, XIII, XV, XVI, XIX; Hartwig Kalverkämper Chapters I, II, IV, IX⫺XI, XXV, XXVIII; Herbert Ernst Wiegand Chapters III, VIII, XII, XIV, XVII, XX, XXI, XXII, XXVI; Werner Hüllen Chapters XVIII, XXVII; Christian Galinski Chapters XXIII, XXIV. The readership of the Handbook is a wide one, thanks to its pronounced interdisciplinary nature: Whereas linguists and communication scientists may feel themselves to be directly addressed by the HSK series title, the editors and authors nevertheless al-

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Preface

ways kept in mind the needs of specialists from the most varied areas of knowledge and activity, of whom a high degree of competence or at least an awareness of language, i. e. the ability to function linguistically in their field, is increasingly expected. The special languages of crafts, technology and science are explicitly thematized ⫺ those of crafts more strongly from a historical point of view and in a dialectal context, those of technology and science because of the enormous significance of metallurgy, automotive engineering, electrical engineering and electronics, computer science, process engineering, mechanical engineering and plant engineering, telecommunications or mathematics, physics, chemistry, biology, medicine, jurisprudence, economics, ecology and other disciplines in the past, present and future ⫺ but also (specialized) communication in firms, local authorities and government departments and other areas of contact between various grades of specialists and non-specialists. The specialists mentioned above can rely on the Handbook in research, teaching and practice; non-specialists will also find the information they seek when they are confronted with various specialized subjects and their linguistic usage, beginning with specialized terminology. Terminologists, translators and interpreters, documentalists and librarians have also voiced an urgent need for such a work. Of course, the editors and authors have also written the Handbook for their colleagues and their assistants and students in special-language research and training as a sub-area of applied linguistics. At the end of several years of not always problem-free collaboration, but which was nevertheless characterized by a spirit of mutual understanding, the editors would like to thank all those involved. First of all, the authors who expended much effort on their articles, sometimes having to defer other projects, and who showed, in view of the unexpectedly slow progress of the work, commendable patience. Since delays occurred because of the late acceptance of articles, the withdrawal of earlier promises and, more rarely, the rejection of manuscripts which did not correspond to the conception of the Handbook, those persons are deserving of special mention who, despite the brief time remaining to them, stepped into the breach at short notice. The editors’ thanks further go to those collaborators who translated the concept, the table of contents and individual articles into one of the languages of publication or who reworked them stylistically, in particular Richard J. Brunt. The organizational centre for the Handbook was the Chair of Germanic Linguistics at the University of Heidelberg. Our warmest thanks are extended to the secretaries Ursula Quoos and Lissy Säuberlich for their unstinting and judicious efforts, to Gisela Schmidt, who compiled the index of names and, last but not least, to Matthias Kammerer, who helped in the compilation of the subject index. Our thanks also go to Christiane Bowinkelmann, Angelika Hermann and Heike Plank at our publishers, Walter de Gruyter, who, under the direction of Brigitte Schöning, took care of all the work on the Handbook. Despite all our joy at the completion of the work, we wish to respectfully remember in sorrow the authors Rolf Berndt, Ja´nos Ga´rdus, Helga Hipp and Hans-Peder Kromann who did not live to see the publication of the Handbook. Summer 1997

Lothar Hoffmann (Großdeuben) Hartwig Kalverkämper (Berlin) Herbert Ernst Wiegand (Heidelberg)

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation 1. Fach und Fachwissen 1. 2. 3.

Fach Fachwissen Literatur (in Auswahl)

1.

Fach

Der Begriff ,Fach‘ und sein Parallelbegriff, der die qualitas, die Beschaffenheit von ,Fach‘, nämlich: die ,Fachlichkeit‘ meint, gehören zu den Schlüssel- oder Fahnenwörtern (key words, mots cle´ ) der modernen Gesellschaften. Um so merkwürdiger ist es dann, daß ,Fach‘ und ,Fachlichkeit‘ zwar in aller Munde und mit achtbarer Reputation in der Öffentlichkeit behaftet sind, dennoch aber immer noch nicht von den Wissenschaften (den einzelnen Sachfächern ebenso nicht wie von der Linguistik), auch nicht vom Handwerk und der Industrie wie auch nicht von den Nutzer- und Anwendungs-Organisationen (wie z. B. Normungsinstitutionen, Terminologiebanken, Dokumentationszentren u.a.) näher betrachtet, geschweige problematisiert, begrifflich geklärt werden oder sogar definiert sind. Dieser Zustand, schon in der Frühzeit der Fachsprachenforschung als Desiderat beklagt (Kalverkämper 1978; 1979; 1980 a), ist, bis auf einige gezielte Arbeiten (Dahlberg 1974 aus der Sicht der Dokumentations[wissenschaft]; Kalverkämper 1980 a; 1980 b; 1988 a; 1989 a; 1990 b; 1992 a; Hoffmann 1985, 58⫺64; Posner 1988), immer noch nicht behoben. Das ist um so verwunderlicher, als der ,Fach‘-Begriff doch ebenjener Ausweis ist, der einer inzwischen zentralen linguistischen Disziplin, der ,Fachsprachenforschung‘, ihr entscheidendes Selbstverständnis verleiht und ihre wissenschaftssystematische Zugehörigkeit festlegt sowie ihre Methodologie, ihre Rahmenbedingungen und Erkenntnisinteressen absteckt (s. Art. 2). Es gehört sicher zu den wissenschaftstheoretischen Eigenheiten dieser Disziplin, ihr sie rechtfertigendes fundamentum in re nicht reflektiert und näher bestimmt zu haben.

Die folgenden Ausführungen können vor diesem Hintergrund nur andeuten und anleiten, weniger dagegen feste Forschungsergebnisse vermitteln. Als Orientierung bietet sich hier an, die Rahmenbedingungen von Fachkommunikation einzubeziehen (vgl. Art. 2) und somit beim ,Fach‘-Begriff folgende Komplexe zu unterscheiden: (a) die Kommunikationspartner, die als Gesamtheit dann ,die Gesellschaft‘ sind: s. 1.1.; ⫺ (b) das Aktionsumfeld, der soziokulturelle Kontext: s. 1.2.; ⫺ (c) der (fachliche) Referent: Gegenstand, Sachverhalt, Handlungszusammenhang: s. 1.3.; ⫺ (d) die Sprache und die Texte: s. 1.4.; ⫺ (e) die fachsystematischen und fächerrelativen Konstellationen: s. 1.5.

1.1. Gesellschaftsbezogene Dimension Zur gesellschaftlichen Dimension gehören Aspekte, die auf die Kommunikationspartner, auf die Gesellschaft gerichtet sind: also (a) soziale Bezüge: s. 1.1.1.; und (b) kulturanthropologische Grundlagen, aus denen sich mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen ergeben haben: s. 1.1.2. 1.1.1. ,Fach‘ als soziale Orientierungsgröße Menschliche Gemeinschaften, mit dem homo sociologicus: sind immer auch handelnde, interagierende Gemeinschaften, mit dem homo faber: die zieldefinierten Beschäftigungen ⫺ was man als ,Arbeit‘ bezeichnen kann ⫺ nachgehen; und sie führen dies aus als sprechende, kommunizierende Gemeinschaften, mit dem homo loquens. Das ist eine Trias gegenseitiger Bedingtheiten, die im Sosein des Menschen begründet und folglich anthropologischer Natur sind (s. 1.1.2.). Damit ist aber dann auch zugleich gesagt, daß es sich um eine historische, eine tradierte, eine im etwa fünftausendjährigen Menschheitsgedächtnis eingegrabene Erfahrung handelt, die sich zumindest im hiesigen ⫺ d. h. europäischen (im weitesten Sinne) oder, mit dem althergebrachten Kulturbegriff: im abendländischen ⫺ Kulturkreis (vgl. Bossong 1992; Kalver-

2 kämper 1996 a, Abschn. 1.; Krafft 1987) in einem relativ konsentiell eingeschätzten BEGRIFF der FACHLICHKEIT niederschlägt, also dessen, was eine Handlung als fachliche, eine Tätigkeit als fachbezogene, eine Arbeit als berufliche ausmacht. Und zwar (a) ein Selbstverständnis, das sich als systematisch, als gegenseitig strukturbezogen, als eingebettet in eine übergeordnete Ganzheit bestimmt, die als solche Rahmenbedingungen und unmittelbare Voraussetzungen schafft (s. Art. 2), mit denen sich diese Handlungen, Tätigkeiten und Arbeiten definieren oder rechtfertigen. Daraus ergibt sich zwangsläufig: (b) ihre Gerichtetheit auf ein Erkenntnisziel oder produktives Ziel, auf ein Ergebnis hin, das sich seinerseits aus ebenjenem systematischen Zusammenhang ⫺ s. (a) ⫺ ableitet oder rechtfertigt. Dies bringt als Voraussetzung mit sich: (c) ihre methodisch bewußte, kriteriengeleitete Vorgehensweise, die ihrerseits natürlich eng mit dem Systembezug ⫺ s. o. (a) ⫺ zusammenhängt und ohne ihn gar nicht möglich wäre. Dies wiederum ermöglicht: (d) eine soziale Beachtung, Beobachtung, ja Kontrolle durch die Transparenz (die ja mit der methodischen Vorgehensweise notwendig gegeben sein muß) bei den Ablaufstrukturen der Handlungen, Tätigkeiten, Arbeiten „im Fach“. Dies bringt dann mit sich: (e) ihre Erfaßbarkeit in einem Regel- oder Anweisungswerk; und dies schafft wiederum die Voraussetzung für ein weiteres Konstitutivum der Fachlichkeit in Handlungen, Tätigkeiten, Arbeiten: (f) ihre Lehrbarkeit, und damit als permanenter Fortschritt: ihre Veränderung durch kritische ⫺ und das besagt ja wieder: durch kriterienbestimmte: s. o. (c) ⫺ Weiterentwicklung.

Diese Gemeinschaft von Merkmalen der fachlichen Qualität des Handelns und Erkennens setzt ihrerseits Ansprüche an die fachliche QUALIFIKATION der Handelnden in Theorie und Praxis voraus (vgl. Kalverkämper 1992 a, 42). Und diese sind (a) die Fähigkeit zum systematischen Erfassen sachlicher Zusammenhänge; ⫺ (b) speziell (durch Ausbildung, Lehre, Studium) erworbene Kenntnisse; ⫺ (c) Fertigkeiten (in Arbeitsprozessen, spezifischen Handlungsabläufen, Umgangs- und Kommunikationsgewohnheiten); ⫺ (d) (Erfahrungs- und Lern-) Wissen (zu einem Sachgebiet bzw. Handlungszusammenhang).

Die Wissenspsychologen und Arbeitswissenschaftler beschäftigen sich mit dem Thema unter dem Aspekt ,Diagnose von Expertenwissen‘ und trennen die „Könnerschaft“ in prinzipiell zwei Bedeutungen: (a) „die exzellente Leistung aufgrund einer zur Performanz befähigenden Kompetenz“; und (b) „eine unterstellte Erfahrung aufgrund hohen Positions- bzw. Tätigkeitsalters“ (Hacker 1996, 6).

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation „Performanz-Experten machen etwas besser bzw. effizienter als andere. Daß die Ursache dieses andersartigen Tuns ihr Wissen ist, bleibt eine Annahme. Wissen sei […] aufgefaßt als Handlungswissen, also die Gesamtheit handlungsleitender, individuell gespeicherter Information als Aktionsprogramme, Vorstellungs- (mentale Modelle) und Begriffssysteme.“ (Hacker 1996, 6; Kursive von H. K.)

Was nun die Qualifikation so heraushebend und gruppenkonstituierend („Fachleute“, „Experten“) ausmacht, scheint nach jetzigem Forschungsstand der Wissenspsychologie auf „wenigstens fünf verschiedene Ursachenbereiche“ zurückführbar zu sein: (i) „bereichsspezifisches Wissen“; ⫺ (ii) „bereichsübergreifende heuristische Strategien des Aufgabenbearbeitens und Problemlösens, verknüpft mit verallgemeinertem Wissen“; ⫺ (iii) „leitbildhaft wirksame Vorstellungen ⫺ eine professionelle Perspektive ⫺ von idealen, aufgabenangemessenen Vorgehensweisen“; ⫺ (iv) „das bewußt reflektierte Führen und Kontrollieren aufgabenangemessener Vorgehensweisen, für welches Experten als reflective practitioners“ (v) „über metakognitives Können verfügen“ (Hacker 1996, 6; Kursive im Original).

Vor einem solchen Hintergrund ist natürlich das hohe SOZIALPRESTIGE erklärlich, das derjenige erlangt, der „zum Fach gehört“, sich mit einem Fach identifizieren kann, Fachlichkeit im Handeln und Sprechen/ Schreiben zum Ausdruck bringt. Der Grund für eine solche heraushebende Anerkennung ist der hohe Stellenwert von Wissen und lernbasiertem (dies im Gegensatz zum ingeniösen und genialen) Können. Spezialkenntnisse, nicht Allgemeinwissen haben Konjunktur; und der Nicht-Könner, Nicht-Ausgebildete, Nicht-Fachmann steht im Abseits, außen vor. So hat sich die Gesellschaft polarisiert in einerseits diejenigen „vom Fach“, mit einem deutlichen Gruppen- oder Status-Verständnis und starker Identifikation; und andererseits diejenigen außerhalb des eigenen Fachs. Hier zeigen sich die Auswirkungen einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die sich immer mehr spezialisiert und dabei verengt und trotz (oder wegen?) ihrer immensen Informationszuwächse einen breiten, übergreifenden gesellschaftlichen Dialog kaum oder schon nicht mehr schafft. Das Leiden der modernen verfachlichten Gesellschaften ist die Verzäunung (s. 1.1.2.). Und hiergegen im besonderen richten sich, wenn auch vereinzelt und mit zunehmend schwächerer Stimme, Gegenentwürfe, die sich ⫺ in früheren Zeiten ⫺ kulturkritisch

1. Fach und Fachwissen

oder wissenschaftsfeindlich oder bildungsablehnend und ⫺ in heutiger Zeit ⫺ stilkritisch zur Fachkommunikation artikulieren: In der Spätantike und im lateinischen Mittelalter (ca. 4. Jh.⫺13., 14. Jh., seit 12. Jh. bereits in Verein mit den aufblühenden volkssprachlichen Literaturen) tritt diese Haltung unter dem Etikett der ,Zeitklage‘ auf („die Wissenschaft verfällt“; vgl. Curtius 1993, 105) und artikuliert sich auch in eigener (Rede-)Gattung (der ,Mahnrede‘, griech. protreptiko¬w protreptiko´s, lat. adhortatio oder exhortatio), in deren einem Teil ⫺ dem „apelenktischen“ ⫺ die Gegner und Verächter (lat. vituperatores ,Tadler‘) der jeweiligen in Rede stehenden Kunst oder Wissenschaft (vorzugsweise allerdings der Philosophie insgesamt) gebrandmarkt und überführt werden; daraus hat sich, insbesondere im 17. und 18. Jh. (Reformations- und Gegenreformationszeit, Aufklärung), die in jener Zeit vielgebrauchte Gattung (engl.) ,Defence‘, (franz.) ,De´fense‘ (et illustration …) herauskristallisiert (vgl. Curtius 1993, 531). Im 16. Jh. ist die kulturkritische, ja wissenschaftsfeindliche Haltung durch den verbreiteten Gedanken von der incertitudo et vanitas scientiarum belegt. Im 17. Jh. zeigt sich trotz der ältesten und befürwortend gestimmten Wissenschaftsutopie, nämlich Nova Atlantis (1624, gedruckt in lat. Übers. 1627) von Francis Bacon, der negativ besetzte Begriff des Pedanten (im Französischen pe´dant gegenüber dem weltoffenen honneˆte homme; vgl. z. B. die bekannte Formel von Jean de La Bruye`re [1645⫺1696]: „L’honte de l’e´rudition“ [,Schande der Gelehrsamkeit‘]). Im 18. Jh. schiebt sie der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau [1712⫺ 1778] als Welle hoch mit seinem berühmten Traktat für die Akademie von Dijon, dem Discours sur les sciences et les arts von 1750, zu der Preis-Frage „Si le re´tablissement des sciences et des arts a contribue´ a` e´purer les mœurs“. In der zweiten Hälfte des 19., mit dem beginnenden 20. Jh. greift diese Haltung gerade in Deutschland um sich (s. Lepenies 1985, 245⫺264). Und in jüngerer Zeit wird unter gesellschaftskritischen, öffentlichkeitsethischen Aspekten einer deskriptiven und präskriptiven Wissenschaftssprachstilistik versucht, in den öffentlichen Sprachgebrauch bewußtseinsstiftend einzugreifen (vgl. z. B. Pörksen 1986; 1994).

1.1.2. Kulturanthropologische Grundlagen (1) Die etymologische Forschung wird nach langer Tradition aktuell kaum mehr betrieben und auch nur noch selten für wissenschaftliche Erkenntnisförderung und Argumentation zu Rate gezogen. Dazu lassen sich etliche Gründe anführen. Zwei davon seien, weil hier wichtig, erwähnt: (a) Wenngleich sie „eigentlich“ für die Fachsprachenforschung so etwas wie eine Initialzündung hätte abgeben können (man denke an den ersten thematisch einschlägigen Beitrag: Meringer 1891!), ist die

3 Wörter-und-Sachen-Forschung aus der Jahrhundertwende und den ersten beiden Jahrzehnten (Hugo Schuchardt [1842⫺1928], Rudolf Meringer [1859⫺1931], Wilhelm Meyer-Lübke [1861⫺1936] u. a.) leider obsolet geworden, zusammen mit den für jene Zeit (bis noch in die fünfziger Jahre) typischen onomasiologischen Untersuchungen (vgl. Quadri 1952); (b) außerdem das Zurücktreten der ehemals beherrschenden diachronen (historischen) Sprachwissenschaft hinter die synchron-aktuellsprachlich interessierte Linguistik im Zuge der strukturalistischen Strömungen in der ersten Jahrhunderthälfte.

In den vierziger, fünfziger Jahren hatte sie einen wichtigen Schlüsselbegriff zur Hand: die „Wirkwelt“ des Menschen, womit der soziale Zugriff auf die umgebende Welt als eine stets klassifizierende Handlung und somit als ein gestaltender Akt gemeint ist. Kultursoziologische Grundlagen wurden so über wortgeschichtliche und wortfeldhistorische Zusammenhänge wieder offenbar. In seiner Arbeit (1951) hat der Münsteraner Wortfeldforscher und Etymologe Jost Trier (1894⫺1970) Erkenntnisse vorgestellt, die geeignet sind, den ,Fach‘-Begriff historisch, bis in die INDOGERMANISCHE Zeit, also bis in eine mehr als fünftausend Jahre zurückliegende (und Völker aus einem Raum von West- und Mitteleuropa, Südrußland, Skandinavien bis ⫺ im Zuge ihrer Wanderungen Ende des dritten Jahrtausends ⫺ den Nahen Osten und Indien umgreifende) Epoche zurückzubinden, ihm also eine mentalitätsgeschichtliche Tradition in den Gesellschaften und Völkern zu sichern. Dies wiederum erweitert die Horizonte der Fachsprachenforschung mit kulturanthropologischen und arbeitssoziologischen Aspekten (vgl. zum Folgenden ausführlicher Kalverkämper 1990 a, 1990 c, 1992 a). Nach Triers etymologischen Erkenntnissen hatte im Verhältnis von Urgemeinschaft und Arbeit der Zaun eine zentrale Funktion inne. Wörter des Teilens, Verteilens, des Anteils, des Teils, des Messens, des Zumessens, des Rechnens lassen darauf schließen (Trier 1951, 57). Da die zugehörigen Handlungen Verteilung von Jagdbeute und des Ertrags der Arbeit ⫺ das Essen, Opfern, Helfen, der Tanz und der Zauber ⫺ nicht ohne Gemeinschaft denkbar sind, gehört die Vorstellung vom Zaun aus Menschen, vom genossenschaftlichen Ring, von der gegenseitig kreisenden Arbeitshilfe, dem Mannring, hierzu.

Vom Zaun ist die Erfahrung nicht weit, durch Weiterflechten Wände zu erstellen, durch Verstärkung mit Stielen und Balken tragfähige Fachwerkwände zu bauen. Mit die-

4 sem Schritt, so vertreten es die Anthropologen und Sozialhistoriker, hat der seßhaft werdende Mensch grundlegende Voraussetzungen für kulturelle Entwicklungen auf Fortschritt, auf eine Zivilisation hin geschaffen. Der metonymische Sprung vom Zaun zum Umzäunten liegt nahe (Trier 1951, 14), so wie z. B. im Deutschen vom ,Deich‘ zum ,Teich‘, oder von ,Hegung‘ zum ,Hafen‘. Eigennamen von Häfen ⫺ wie Po´gon, Pegaı´ ⫺ verweisen hier auf Umzäunungs- oder Zaun-Wörter mit einer wirkungsmächtigen indogermanischen Wurzel, nämlich *pag-, *pak-, die an die gemeinschaftsbildende Vorstellung vom ,Ring‘ (s. o.) anknüpft (Trier 1951, 16, 20): Lat. pax ,Friede‘; pactum ,Übereinkunft‘, ,Vertrag‘; pagus ,Gau‘, ,Gemeinde‘, ,Gilde‘; pangere ,festschlagen‘, ,einrammen‘, ,einsenken‘, ,zusammenfügen‘, ,festsetzen‘, ,bestimmen‘ (vgl. althochdt. fahan ,fangen‘, ,umgreifen‘, ,erfassen‘). Über griech. ph¬gnynai pe´gnynai (dor. pa¬gnynai pa´gnynai) ,festmachen‘, ,zusammenfügen‘, ,befestigen‘ und lat. pangere (s. o.), pagus ,Gau‘, ,Bezirk‘, compages ,Zusammenfügung‘, ,Gefüge‘, ,Bau‘ und pagensis ,zur Gemeinde gehörig‘, ,abgesondert (von der äußeren Umwelt)‘ haben die romanischen Sprachen ihre Wörter für den Begriff ,Land‘ entwickelt: so franz. pays, span. und port. paı´s, ital. paese. Ihnen liegt der arbeitsweltliche Gehalt des hegenden Rings, die handwerkliche Vorstellung vom Einrammen und verflechtenden Zusammenfügen noch zugrunde. Die Weiterentwicklungen in den germanischen Sprachen ⫺ wie angelsächs. fac ,Umfassung‘, ,Umzäunung‘; angelsächs. fœc ,Abteilung‘; althochdt. fah ,Teil‘, ,Abteilung [eines Raumes oder Gewässers]‘, ,Schutzwehr‘ ⫺ weisen auch auf spätere handwerkliche Tätigkeiten: auf die ,Abteilungen‘, ,Abgrenzungen‘, wie sie die Bauhandwerker, die Fischer und die Bauern ⫺ die ersten beruflichen Tätigkeiten mit der Seßhaftwerdung ⫺ fertigten und für ihre beruflich-fachlichen Zwecke (Mauergerüstbau, Wehrbau, Fangkästen, Speicherkisten usw.) einsetzten.

Der Begriff des ,Faches‘ hat von hier seine für ihn typischen Merkmale des Eingegrenzten, damit zugleich auch des Ausgrenzens, somit also des Abgegrenztseins, der nur mühevollen, oft aussichtslosen Überwindbarkeit ⫺ von innen hinaus oder auch von außen hinein ⫺ fest erhalten. ,Fach‘ ist damit ein kulturwissenschaftlich zentraler, weil die Menschheitsgeschichte prägend begleitender Begriff: (a) Er führt auf Urformen der sozialen Organisation (Ring, Hauswandbau) zurück; (b) er nimmt zudem die anfänglichen Weisen werkzeuggestützter Arbeitsteilung (wie Fischer, Bauern, Bauhandwerker) auf; und (c) er wirkt sich außerdem noch aus auf kulturelle ⫺ man kann durchaus sagen: auf

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation kultivierte ⫺ Errungenschaften der Menschheitsentwicklung: denn Trier (1951, 61, 74, 76 f) stellt etymologische Verbindungen her, aus denen sich die enge Wirkgemeinschaft von ,Zaun‘, ,Zaungeflecht‘, ,Fach‘, ,Fachwerk‘ und ,schreiben‘ (lat. pangere, pagina ,Schreibfläche‘, ,Seite‘) offenbart: „Das Geflecht des Zauns […] ist die bauliche Grundlage von wrıˆtan [scil. german. ,schreiben‘; vgl. engl. write, dt. ritzen, reißen (Reißbrett!) H. K.]. Die Urbedeutung dieses Schreibworts wäre ,die letzte schmückende und zeichensetzende Hand anlegen bei der Herstellung des Fachwerks‘“ (Trier 1951, 77; Kursive von H. K.). „In die Fachfläche zu reißen, ist eine Weise des wrıˆtan“ (76), ,schreiben‘ hat „am Fachwerk begonnen“.

(2) In dieser Kulturverfeinerung, das Hand-Werk durch Kopf-Arbeit zu ergänzen, dürfte der ,Fach‘-Begriff von den kulturanthropologischen Befindlichkeiten der indogermanischen Vorzeit aus in die ANTIKE tradiert worden sein, als die Schriftkulturen differenzierte Einteilungen und Abfächerungen von Handlungen herausbildeten. Die Scheidung von (a) einerseits erwerbsmäßigen, produktiven Arbeiten, von Handwerken, von praktischen Aufgaben, und von (b) andererseits allgemeinbildenden, theoriegeleiteten, geistigen Tätigkeiten ist der Ursprung der modernen Trennung in (a⬘) ,praktisch-handwerkliche‘ Fächer, die dann auch eher die Bezeichnung ,Beruf‘ oder ,Branche‘ (dies insbesondere verwendet im Rahmen der Industrie [Film-, Holz-, Auto-, Bau-, Freizeit-, Touristik- etc. -branche] ⫺ wobei ,Industrie‘ etymologisch selbst auch ein Handwerk-Wort ist [lat. industria ,Tätigkeit‘, ,Betriebsamkeit‘, ,Fleiß‘]) haben, und (b⬘) ,theoretisch-wissenschaftliche‘ Fächer, die auch gern mit ,Disziplin(en)‘, ,Wissenschaft(en)‘, ,Forschung‘ etikettiert werden (s. u. 1.3.1.). Diese prinzipielle Trennung, so künstlich sie im Einzelfall sein mag (wie es sich z. B. bei ,technisch‘ und ,technologisch‘ verdeutlicht), ist einhergegangen mit der Entwicklung von Schrift. Schreibkulturen sind auch Wissenschaftskulturen. Und so läßt sich das wissenschaftliche Denken nicht nur an der Entwicklungsgeschichte seiner Grundlage, nämlich der Schrift, bemessen, sondern auch in seinem Entstehungsgebiet, nämlich den antiken Reichen des Vorderen Orients (Mesopotamien ⫺ die Heimat der Babylonier ⫺ und Ägypten) und im Griechenland der vorklassischen Zeit (vorsokratisch, also 6. und 5. Jh. v. Chr. [das 4. Jh. mit Sokrates, Platon und Aristoteles ist die klassische Zeit]), lokalisieren, wo immerhin die Wurzeln der abendländischen Wissenschaft liegen. Der Wissen-

1. Fach und Fachwissen

schaftshistoriker Andre´ Pichot (1991; dt. 1995) widmet sich in seinem faszinierenden und brillant geschriebenen Buch La naissance de la science den Forschungsbereichen des Kopf-Wissens, also den Urzellen wissenschaftlichen Denkens und fachlichen Kommunizierens (was Zeugnisse wie Papyri, Täfelchen, Kopien und Kopiekopien zeitgenössischer Arbeiten [Texte-Tradition!, Probleme der Text-Interpretation wegen der Texttreue in der Überlieferungsgeschichte!], Traktate, Abhandlungen, medizinische Anweisungen, Inschriften u. a. belegen): Es sind, ausgehend von Zahlen und Maßen, die Kosmologie und Astronomie mit Kalenderrechnung, die Mathematik (Arithmetik, Geometrie), die Medizin (Anatomie, Physiologie, Chirurgie, Therapie, medizinische Theorie) und Biologie, die Physik und die Technik. Hier verdeutlicht sich, daß der Weg zu einer rational bestimmten Wissenschaft in der Aufklärungszeit des 18. Jh.s und dann weiter zu einem freiheitlichen, wertneutralen Wissenschaftsverständnis des beginnenden 19. Jh.s, wie es sich als Ethos der Universitäten niedergeschlagen hat (Wilhelm von Humboldt! [1767⫺1835]) (vgl. z. B. Müller 1990), seinen Anfang aus einem handwerklich, d. h. durch Erfahrung (griech. empeiri¬a empeirı´a ,Fertigkeit‘, ,Kenntnis‘, ,bloße Erfahrung ohne wissenschaftliche Erkenntnis‘) gestützten Anwendungs- oder Gebrauchswissen (Bewältigung und konstruktive Gestaltung der umgebenden Lebenswirklichkeit) nimmt, das als Sachwissen die ,Technik‘ begründet, aber noch ohne wissenschaftliche Konzeption und verwoben mit Mythos, Mystik und Magie.

Erst am Ende des 5. Jh. v. Chr. werden sich grundlegende Elemente eines wissenschaftlichen Denkens herausgebildet haben; und dies aus einer hochsensiblen griechischen Errungenschaft sozialer Organisation heraus, nämlich: „Der Platz, den Demokratie und verfassungsgebende Gesetze dem Menschen in der Gesellschaft einräumten (also Gesetze, die die Macht beherrschten, während Mesopotamien und Ägypten nur Gesetze kannten, durch die die Macht herrschte ⫺ falls sie nicht einfach willkürlich herrschte), blieb nicht ohne Einfluß auf seine Vorstellung von seinem Platz in der Natur und damit natürlich auch auf seine allgemeine Weltanschauung. In einer demokratischen Gesellschaft, die sich ihre Gesetze selber gibt (also weder natürliche noch göttliche Gesetze hat), wird der Mensch geneigt sein, auch in der Natur nach einer ihr eigenen Ordnung [zu] suchen, nach einer natürlichen, dem Menschen zugänglichen, nichtgöttlichen Ordnung.“ (Pichot 1995, 15 f [Zitat], 547⫺557)

5 Für die „Entstehung des wissenschaftlichen Denkens“ ist folglich „neben Mythos, Magie und Technik zweifellos auch das Rechts- und Gesellschaftssystem“ (Pichot 1995, 16) von Belang. Und in einem ebensolchen Kontext haben die Griechen des Altertums mit ihrem Begriff sophı´a (griech. sofi¬a, lat. sapientia) die Spanne von ,Wissen‘, ,Weisheit‘ und ,Wissenschaft‘ bis zu den Göttern hin gezogen, wovon die dem Menschen zukommende ,Philo-Sophie‘, das freundschaftliche Streben nach sophı´a, abgeleitet wurde (vgl. Kalverkämper 1996 a; auch Snell 1924) (s. Art. 2, Abschn. 3.1.1.). Und es ist ebenso die griechische und römische Antike, die die Arbeitsteilung als den ökonomischen Ordnungsfaktor mit der Rollenverteilung als einem sozialen Strukturfaktor eng verknüpft. Sie prägt damit eine fächergeordnete Bildungsstruktur, ja ein Ausbildungsraster in („Schul“-)Fächern heraus, was als Grundlage der christlich-abendländlischen Fach-Lehre bis zum Beginn der Neuzeit, also als Unterrichtsmodell immerhin etwa tausend Jahre lang, diente (vgl. Dolch 1982), bis es dann vom modernen Weltbild und von den umwälzenden Entwicklungen in den Wissenschaften als schulischer und universitärer Lehrplan verdrängt wurde. Hier liegt die Schnittstelle, wo die kulturanthropologische Grundlage verlassen wird und in eine kulturhistorische Dimension, in eine Mentalitätsgeschichte, speziell mit Blick auf die Bildungs-Konzeptionen, überwechselt. Der Beginn der Bildungskonzeptionen sei hier noch kurz skizziert: Die Griechen erfaßten mit egky¬kliow paidei¬a enky´klios paideı´a (,allgemeine Bildung‘), später die Römer mit artes liberales (artes honestae / humanae / ingenuae, bonae artes u. a.) eine gehobene Allgemeinbildung der freien (liberales) Bürger, die sich auf einen bestimmten Kreis von Fächern („enzyklo-pädisch“) und Lehrinhalten erstreckte, ohne eine detaillierte Fachkönnerschaft (d. h. eine ⫺ geistig und körperlich unfrei machende wie auch sozial, d. h. für die Oberschicht nicht würdige ⫺ Bindung an eine te¬xnh te´chne bzw. lat. ars) anzustreben (vgl. Christes 1975; Kühnert 1961). Ein Spektrum von Fächern hatte sich spätestens durch die Unterrichtstätigkeiten der Sophistik (5./4. Jh. v. Chr.) mit Hierarchien und Grenzziehungen herausgebildet; es wurde ab der Spätantike in das („naturwissenschaftliche“) Quadrivium (,Vierweg‘) der „Zahlenfächer“ Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik, und ⫺ seit dem 9. Jh. ⫺ in das („geisteswissenschaftliche“) Trivium (,Dreiweg‘) der „Wortwissenschaften“ Grammatik, Rhetorik, Dialektik eingeteilt.

6 Diesem Angebot elitarisierender geistiger Allgemeinbildung durch höheren Unterricht stand die auf Broterwerb, körperliche Arbeit und handwerkliche Berufsausübung gerichtete und in der Antike wenig geachtete, weil abhängig machende banaysi¬a banausı´a gegenüber, später bei den Römern als artes mechanicae (,Eigenkünste‘ [Terminus nach Eis 1967]), was sich insbesondere auch im mittelalterlichen Verständnis hielt: Handwerk, Kriegswesen, Seefahrt (mit Erdkunde und Handel), Ackerbau, Jagd, Heilkunde, Schauspielkunst, Sport (im Mittelalter: Hofkunst). Das Mittelalter kennt noch die artes magicae (,Verbotene Künste‘), also die Mantik und Magie, Gaunerpraktiken, Betrügereien.

(3) Fachliche Rezeption, Reflexion, Systematisierung und Applikation haben hier an einem mentalitätsgeschichtlich frühen Zeitpunkt ⫺ vor spätestens zweitausend Jahren (vgl. Dolch 1982) ⫺ zu einer Einheit der Fachlichkeit gefunden, von der das abendländische Kulturbewußtsein entscheidend geprägt worden ist und die erst MITTE DES 20. JHs. unter Stichwörtern wie ,Informationsgesellschaft‘ bzw. ,Informationsverarbeitungsgesellschaft‘, ,Bildungsgemeinschaft‘, ,Diversifikation von Wissen‘, ,Internationalität‘, ,Wissens- bzw. Wissenschafts- oder Forschungstransfer‘ u. a. und mit der Zerstörung eines humanistischen Erziehungsideals und der Aufhebung eines ganzheitlichen Ausbildungsanspruchs grundlegend verändert, wohl eher inzwischen auf- und abgelöst worden ist. 1.2. Soziokulturelle Dimension Hier sind (a) der Kommunikationsraum (s. 1.2.1.) und (b) das Handlungsumfeld (s. 1.2.2.) anzusprechen. Beide stehen gleichsam vermittelnd zwischen ,Gesellschaft‘ (s. 1.1.) und dem ,Fach‘ (s. 1.3.) und verstehen sich deshalb dynamisch, funktional. 1.2.1. ,Fach‘ als Kommunikationsraum Der Kommunikationsraum ergibt sich aus Rahmenbedingungen, die in Art. 2, Abschn. 2., dargelegt sind. Dort spielen sich dann jene Prozesse ab, die in Art. 2, Abschn. 3.2.1. entfaltet sind: (a) die Erstellung von Fachlichkeit, und somit dann (b) die Konstituierung von ,Fach‘, durch eine entsprechende fachsprachliche Kommunikation. Da dies zu den (sozialen) Rahmenbedingungen von Fachkommunikation gehört, findet es sich, obwohl es auch hier seinen systematischen Ort hat, dort ausgeführt. Somit genügt hier die Erkenntnis, daß ,Fachlichkeit‘ und ,Fach‘ durch eine fachsprachlich merkmalreiche, ja merkmalspezifische (s. Art. 2, Abschn.

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

3.2.3.2., Punkt (c)) (referentielle) Kommunikation über die Welt, über die Gegenstände, Sachverhalte und Handlungszusammenhänge in ihr, erstellt werden. Und das läuft nur ab in ,(Fach-)Texten-in-Funktion‘ (s. Art. 2, Abschn. 3.2.1. und 3.3.). 1.2.2. ,Fach‘ als Wirkfeld Der Ausdruck ,Wirkfeld‘ soll die Erweiterung des ,Kommunikationsraums‘ (s. 1.2.1.) signalisieren: Es geht um das ,Fach‘ als pragmatische Größe, als (zu-)ordnende Interaktionsgröße. Von ,Fach‘ kann man in einem solchen globalen Verständnis dann durchaus sprechen, wenn man die kulturanthropologischen Gegebenheiten (begrifflich-sprachliche Wurzel *pak-) (s. o. 1.1.2.) ernst nimmt und auch sieht, daß es bislang an einem geeigneten Begriff mangelt. Demnach wäre auf der obersten Ebene des menschlichen Handelns in der Welt bereits eine Trennung, eine Dichotomie anzusetzen: (1) Einerseits der Lebensbereich von ALLTAG und Fest (1.a), und andererseits der Lebensbereich von ARBEIT (1.b). Zu (1.a) ist mit den ausgehenden sechziger, eher mit den siebziger Jahren, eine Alltagsforschung entstanden: als eine „Phänomenologie der Lebenswelt“ von Alfred Schütz zu einer empirisch-soziologischen Methode ausgebaut und Harald Garfinkel, Aaron Victor Cicourel u. a. zu einer „Ethnomethodologie“, einer „Soziologie des Alltagshandelns“, entwickelt (Literatur und Ausführungen s. Kalverkämper 1990 c, insbes. 89⫺92). Hier befindet sich der Handlungsbereich des sogen. Laien, des Nichtfachmanns (s. Kalverkämper 1990 c; zur Relativität dieses Begriffs s. auch Art. 1, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (b)).

Der Bereich von ,Arbeit‘ (1.b) ist das Handlungsumfeld des Fachmanns (Experten, Spezialisten, Sachverständigen) und zeichnet sich durch eine Reihe von Merkmalen aus, die diesen Bereich gemeinsam konstituieren; die wichtigsten (vgl. auch von GemmingenObstfelder 1973; Graach 1964; Krupp 1964; Meurers 1964; s. auch Art. 2, Abschn. 3.1.2., Punkt (6)) dürften sein: (i) zielgerichtet, resultatbestimmt; (ii) methodisch geordnet; (iii) orientiert auf Erkenntnisgewinn („Fortschritt“) und Effizienz (Ökonomie); (iv) theoriegeleitet und praxisbestimmt in gegenseitiger Bedingtheit; (v) in Lehrtradition stehend, also erklärungsbedürftig, somit: Verbesonderung durch Lehre, Studium, Ausbildung, d. h. also: (vi) lernabhängig.

(2) Die nächste Ebene darunter leitet sich aus der Position ,Arbeit‘ (1.b) ab und ist, wie

1. Fach und Fachwissen

hier oben in Abschn. 1.1.2. sowie in Art. 2, Abschn. 3.1.1. dargelegt, die Dichotomie in: einerseits ,HANDWERK‘ (2.a) und andererseits ,WISSENSCHAFT‘ (2.b). Ihre gemeinsame Wurzel aus der Lebenspraxis ist hinreichend bekannt (Pichot 1995; Störig 1982). Sie trennen sich aber unter dem Gesichtspunkt der Hand-Arbeit und der Kopf-Arbeit, auch gefaßt als Praxis und Theorie. Dabei hat dann speziell der Bereich der Wissenschaft bestimmten Qualitäten zu genügen, die spätestens mit Aristoteles und seinem Begriff der griech. episth¬mh episte´me ,Wissen‘, ,Wissenschaft‘ mit ihren Komponenten der ,Wahrheitssuche‘ (griech. alh¬qeia ale´theia ,Wahrheit‘) und der vernunftgeleiteten ,Beweisbarkeit‘ (griech. no¬ow no´os ,Einsicht‘, ,Verstand‘, ,Vernunft‘) gelten und den Wissenschaftsbegriff der westlichen (abendländischen) Kulturengemeinschaft bestimmen: als „rationale Wahrheitssuche mit experimentellen und mathematischen Methoden“ (Bossong 1992, 84; vgl. auch Kalverkämper 1996 a, Abschn. 1 sowie Krafft 1987), woraus sich Merkmale der Wissenschaftlichkeit ⫺ die Wissenschaftskriterien (s. z. B. Wohlgenannt 1969; Theimer 1985) ⫺ ergeben, wie z. B. die Intersubjektivität (Verstehbarkeit und Nachprüfbarkeit von Aussagen) und die Rationalität. (3) Auf der nächsten Ebene ist dann, speziell aus der Position ,Wissenschaft‘ (s. o.: 2.b) abgeleitet, die spätestens mit Wilhelm Dilthey (1833⫺1911) formulierte Scheidung in ,NATURWISSENSCHAFT‘ (3.a) und ,GEISTESWISSENSCHAFT‘ (3.b) anzusetzen (vgl. neben Störig 1982 auch Schmidt 1975), wobei nicht geklärt ist, ob die singulare Form gegenüber den möglichen Pluralformen (,-wissenschaften‘) überhaupt gerechtfertigt werden kann. Eine ähnlich nachhaltige Resonanz fand die ⫺ schon aus dem 19. Jh. (man denke an die Debatten zwischen Matthew Arnold und Thomas Huxley) her bekannte ⫺ These von den „zwei Kulturen“, der literarisch-geisteswissenschaftlichen und der naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz, die (in Kontroverse mit Frank R. Leavis) der Romancier und Wissenschaftler Sir Charles P. Snow 1959 in Cambridge vertrat (s. Kreuzer 1987), wobei die literarische und die wissenschaftliche in einer möglichen „dritten Kultur“ zusammenwirken können. Eine vermittelnde Position bietet hierzu Lepenies (1985) an, der drei Kulturen ⫺ die Naturwissenschaften, die Literatur und die Sozialwissenschaften ⫺ ansetzt (vgl. hierzu auch Shaf-

7 fer 1995). (S. auch Frühwald/Jauß/Koselleck u. a. 1991). (4) Bei den Naturwissenschaften (Position s. o. 3.a) bliebe dann noch das Verhältnis zu ,TECHNIK‘ oder auch ⫺ terminologisch entweder analog zum Englischen oder in Absetzung einer Theorie (-logie) zur technischen Praxis (-ik) inzwischen durchgesetzt ⫺ zur ,Technologie‘ zu prüfen (s. jüngst dazu Göpferich 1995, Kap. 0.4). Hierzu haben die Einzelsprachen unterschiedliche Konventionen zur Verfügung, so semantische Inklusionen (wie engl. science) oder Komposita (wie franz. technoscientifique, dt. naturwissenschaftlich-technisch) oder Junktionen (wie dt. [in] Naturwissenschaft[en] und Technik), die bei Bedarf eine Gemeinsamkeit in der Sache signalisieren sollen.

(5) Was nun auf den Ebenen darunter angesiedelt wird, stellt sich als ein besonderes Problem: s. 1.3. 1.3. Referentielle Dimension Der ,Fach‘-Begriff fußt auf einem allgemeinen, sozial gefestigten Konsens des Verstehens, was sich im spontanen Aufzählen von Fächern zeigt (vgl. Kalverkämper 1990 c, 92 ff). Das vermittelt allerdings nur eine trügerische Einigkeit, denn aus wissenschaftlicher Sicht ist weiterhin noch Grundsätzliches im argen. Die Forschung, insbesondere aus der Sicht der Kulturgeschichtsschreibung, der Sozialwissenschaft und der vorhandenen (d. h. [durch Universitäten, Studiengänge, Ausbildungsprofile, Übereinkünfte der Handwerksinnung etc.] institutionalisierten) Sachfächer, müßte sich konsequent mit der aktuellen Situation der Fächer und Fachgebiete auseinandersetzen, und zwar speziell unter drei Aspekten: (a) die inhaltliche Qualität von Fächern: was macht ein Fach aus?: s. 1.3.1.; ⫺ (b) die FächerSystematik: s. 1.3.2.; ⫺ (c) die horizontale Gliederung von (Fach-)Sprachen der Fächer zueinander: s. 1.3.3.

1.3.1. Inhaltliche Qualität von ,Fach‘ Die Ausführungen hier in Abschn. 1.1.1., 1.1.2. und 1.2.1., 1.2.2. sowie die Darstellungen in Art. 2: Abschn. 3.1. dürften die Auffassung bekräftigen, daß ,Fach‘ nicht in erster Linie, erst recht nicht allein, mit Grenzziehungen und aufgezählten Inhalten beschrieben sein kann, sondern vielmehr prozessual, dynamisch, funktional erfaßt werden muß (,entsteht aus‘, ,dient zu‘, ,stellt zur Verfügung‘, ,leistet‘, ,bindet Handlungen zusam-

8 men‘, ,bildet Ziele‘, ,entwickelt Methoden‘ u. a.). Dies hat im übrigen, in anderem Zusammenhang, schon Sir Karl Popper formuliert, der nach seiner Feststellung, daß es „ein solches Ding-an-sich wie ein wissenschaftliches Fach gar nicht gibt“, in der 9. These seiner Logik der Sozialwissenschaften von 1962 formuliert: „Ein sogenanntes wissenschaftliches Fach ist nur ein abgegrenztes und konstruiertes Konglomerat von Problemen und Lösungsversuchen. Was es aber wirklich gibt, das sind die Probleme und die wissenschaftlichen Traditionen.“ (Popper 1979, 108)

In der Tat sind Abläufe (Prozesse), Handlungszusammenhänge, Aktionen und Reaktionen, Zielsetzungen, Methodologien, Funktionen die eigentlichen Komponenten eines dynamischen ,Fach‘-Begriffs, sei er im praktischen (handwerkliche Berufe), sei er im theoretischen Bereich des Handelns (wissenschaftliche Disziplin) angesiedelt. Und es ist wohl auch gerade wegen der schwierigen extensionalen (Geltungsumfang) und intensionalen (Inhalt) Verbindlichkeit inzwischen die Einsicht vorhanden, Fächer und Fachgebiete nicht starr und definit, sondern pragmatisch zu bestimmen: Fach ist, was (a) als solches institutionalisiert ist, (b) von der (sozialen und sachlichen) Bedarfslage her sich als ganzheitlicher Komplex motiviert und (c) als identifizierbares Arbeitsfeld mit Effizienz funktioniert und (d) durch soziale Konvention (von welchen Gruppen auch immer) akzeptiert ist. Mit dieser existentiellen Bestimmung kann man nun näher feststellen, was dann diese pragmatischen Erfordernisse zur inhaltlichen Identifizierung eines Faches erbringen: Hierzu haben verschiedene Erklärungsmodelle bereits Einzelsichten auf epistemologische Kriterien geliefert, ohne allerdings deren Gemeinschaftlichkeit zu berücksichtigen: So (mit Posner 1988, 176 f) (a) die ontologisch ausgerichteten Philosophen (von Christian Wolff [18. Jh.] bis zu Nicolai Hartmann): Weltstruktur und ihre Segmente; (b) die idealistische Philosophie der Jahrhundertwende (W. Dilthey, W. Windelband, H. Rickert, E. Becher): Methoden; (c) der logische Empirismus (L. Wittgenstein, R. Carnap, J. H. Woodger, A. Naess): Theorien, Theorie(re)präsentation; (d) die Soziologie des Alltags (P. Bourdieu, R. Whitley, S. W. Woolgar, K. KnorrCetina): die Wissenschaftsgemeinschaft („Scientific Community“) und ihre Kommunikationsweisen; (e) entwicklungsgeschichtlich orientierte Konzeptionen (K. P. Popper, T. S. Kuhn, I. Lakatos): historisch

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation gegründete Identität eines Faches durch Akzeptanz geltender Paradigmen.

Als Kombination der verschiedenen Zugriffe läßt sich mit Posner (1988, 179) feststellen: “[…] every discipline in the epistemological sense is a set of activities with five components. […]: 1) a discipline, or rather a person working in it, studies its domain [sc. i. e. a set of objects]; 2) a discipline construes its perspectives [sc. the subject matter as the set of relevant properties of theses objects]; 3) a discipline follows its methods [sc. methods as a set of rules]; 4) a discipline results in / produces as a result its body of knowledge [sc. as a set of propositions]; 5) a discipline employs its means of presentation [sc. the presentation as a set of means of presentation].” (Kursive u. sc.-Zusätze v. H. K.)

Eine wesentlich andere Definitionsrichtung erscheint schon deswegen kaum sinnvoll, weil Fächer immer Hilfen sind, um die Komplexität der Welt durch Zuteilen von (i) Handlungen, (ii) Handlungsweisen, (iii) Handlungszielen, (iv) Handlungserwartungen, (v) Handlungsverantwortung und (vi) Handlungserkenntnissen zu segmentieren und somit überschaubar (und natürlich auch dabei kontrollierbar) zu gestalten. Dies hat schon seine alte Tradition als „Binnengliederung“ der Fächer, wie sie spätestens mit der Industrialisierung (s. Art. 2, Abschn. 3.1.2.) einsetzte und sich inzwischen verdichtet hat; da sie sich sprachlich manifestiert, wird auch von „vertikaler Schichtung der Fachsprachen“ gesprochen (s. u. 3.2.). Ein technischer Großbetrieb z. B. (s. Möhn/ Pelka 1984, 37) funktioniert nur, wenn er sich in sachorientierte Bereiche aufgliedert (z. B. Forschung, Marktanalyse, Einkauf, Produktentwicklung, Produktion, Werbung, Vertrieb, Kundendienst, Ausbildung, Verwaltung) und sie den dort Tätigen als Beruf zuweist (z. B. Wissenschaftler, Produktmanager, Kaufmann, Konstrukteur, Vorarbeiter, Techniker, Personalleiter).

Neben etlichen Vorschlägen, diese beruflichen Zusammenhänge zu strukturieren (skizziert in Fluck 1991, Kap. 1 u. 5; Möhn/Pelka 1984, 37 ff; s. auch unten 1.3.2. u. 1.3.3.), sei das Stratifikationsmodell von Hoffmann (1985, 64⫺70) angeführt, weil es ganzheitlich angelegt ist und eine korrelative Sicht repräsentiert; hier für dieses Kap. 1.3.1. ist davon die Komponente von Belang, die Hoffmann in fünfstufiger Rangfolge „Milieus“ nennt: (i) Theoretische Grundlagenwissenschaften, (ii) Experimentelle Wissenschaften, (iii) Angewandte

1. Fach und Fachwissen Wissenschaften und Technik, (iv) Materielle Produktion, (v) Konsumtion.

Diese Schichtungen und Zuweisungen legen es gerade unter inhaltlichem Vorzeichen (dieses Kapitels) nahe, über die Begriffe sowie die Konnotationen und Kollokationen von (a) ,Fach‘ (das hier als der umfassendste und prinzipielle Ausdruck gewählt worden ist [s. 1.3.1. Anfang] und ,Beruf‘, sogar ,Berufsgruppen‘ mit einschließt; vgl. Möhn/Pelka 1984, 31), ,Disziplin‘, ,Branche‘, ,Domäne‘, ,Sparte‘, ,Beruf‘, ,Zweig‘, ,Ressort‘ u. a. und von (b) den zugehörigen Trägern, nämlich ,Fachmann‘, ,Experte‘, ,Spezialist‘, ,Sachverständiger‘, ,Profi‘, ,Professioneller‘, ,Gelehrter‘, ,Meister (seines Fachs)‘, ,Kenner‘, ,(„Fünf“) Weisen‘ [jährliches Wirtschaftsgutachten] u. a. nachzudenken (s. o. 1.1.2.); und dies dann natürlich im Vergleich etlicher Einzelsprachen und in interkulturellem Maßstab (als Beitrag in dieser Richtung vgl. Kalverkämper 1992 a). Über die lexikographischen Zuordnungen allerdings läßt sich eine weitestgehende Strukturierung ableiten, die inkludierend angelegt ist (s. Kalverkämper 1988 a, insbes. 108 f; 1989 a): (i) Als innerster Zuordnungsbereich von Fachlichkeit dient das OBJEKT (der Welt), mit faktischer, statischer Erfassungsabsicht: z. B. ,Fernsehen‘, ,Telephon‘, ,Rundfunk‘. (ii) Der diesen Bereich der Lebenswirklichkeit ⫺ (i) ⫺ umgreifende Bereich, nämlich der des zielgerichteten Handelns, ist der BERUF (Produktion, Konsumtion), als dynamische, evolutive Dimension: z. B. (vergleichbar zu den Beispielen in (i)) ,Hochfrequenztechnik‘, ,Informationstechnik‘, ,Funktechnik‘, ,Nachrichtentechnik‘. (iii) Diese beiden ⫺ (i), (ii) ⫺ werden umgriffen vom FACH(GEBIET) (oder Berufsfeld), das die konzeptionelle, organisative Dimension einbringt, z. B. wieder in Vergleichbarkeit mit den Beispielen in (i) und (ii): ,Datenverarbeitung‘, ,Elektronik‘, ,Informationswissenschaft‘, ,Kommunikationsforschung‘, ,Telegraphie‘. (iv) Die umfänglichste Fachlichkeits-Größe ist dann der LEBENSBEREICH (Wirklichkeitsausschnitt, Modellierung der Welt), der als Dimension der Fachlichkeit konzeptuell, konstellativ ausgelegt und, analog zu den vorangehenden Beispielen, hier dann als Fach lautet: ,Fernsprechwesen‘, ,Funkwesen‘ oder ,Kommunikation‘. Vgl. aus der lexikographischen Fächer-Angabe auch z. B. (i) ,Parlament‘, (ii) ,Politik‘, (iii) ,Politologie‘/,Politikwissenschaft‘, (iv) ,Diplomatie‘. Oder (i) franz. ,bible‘ oder ,monnaies‘, engl. ,food and drink‘; (ii) ,liturgie catholique‘ oder ,banc‘/,bourse‘, ,cookery‘; (iii) ,the´ologie‘ oder ,finances‘, ,domestic science‘; (iv) ,religion‘ oder ,e´conomie‘, ,aliment‘.

9 Fächer dienen also der Verortung des Handelns (neutraler: des Verhaltens) in der Welt. Sie sind darin, betrachtet man dazu die Seite der Kommunikation, vergleichbar mit den to¬poi to´poi, den loci der antiken Rhetorik; analog ⫺ um eben die enge Determinationsgemeinschaft von Kommunikation und Handeln zu umgreifen ⫺ mag man die ,Fächer‘ durchaus als ,Topik der Lebensgestaltung‘, als ,pragmatische Topik‘, bestimmen. 1.3.2. Fächer-Systematik So wie der Mensch sich prinzipiell versteht als ein Element innerhalb einer (philosophischen, religiösen, weltanschaulichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen u. a.) Ordnung, hat er auch Kosmologien seines Handelnsim-Fach erstellt. Innerhalb dieser lokalisiert er sein Handeln, seine berufliche Arbeit, seinen Erkenntnisgewinn überhaupt. Man nennt sie ,Fächer-Systematiken‘, ,Klassifikationssysteme‘, ,Ordnungen‘. Sie sind stets hierarchisch aufgebaut, d. h. sie funktionieren nach dem ⫺ dem ordo-Begriff inhärenten ⫺ Prinzip der Relationen, zum einen der Überund Unterordnung, zum anderen der Nebenordnung. In ihrem Umfang, ihrer gestaffelten Erfassungstiefe, ihren systematischen Anfängen und Endpositionen sowie ihren Nachbarn sind die Systematiken abhängig (a) vom Lebensraum und Zeitpunkt ihrer Erstellung, (b) von dem leitenden Interesse (Relevanzsetzung) der Klassifikation, (c) von der Akzeptanz der Systematik in der Gemeinschaft bzw. bei den betroffenen Gruppen, (d) von der Aussagekraft und Steuerungsintensität der systematischen Klassifikation (man kann auch von deren ,Orientierungsqualität‘ sprechen). Eine Systematik der Fächer (i) als den konventionalisierten Handlungsausschnitten aus der Welt (s. 1.3.1.) (ii) bildet somit letztlich zu ihrem Zeitpunkt und in ihrem soziokulturellen Geltungsbereich (iii) die Welt aus der Sicht und der Interessenlage der dergestalt (zu-)ordnenden Menschen ab. Darin entsprechen solche Systematiken jenen Merkmalen, die nach heutiger Vorstellung den Modell-Begriff ausmachen: Gegenüber dem Original wird das Modell bestimmt durch das Abbildungsmerkmal (s. o.: i), das Verkürzungsmerkmal (s. o.: ii) und das Subjektivierungsmerkmal (s. o.: iii) (vgl. Stachowiak 1965). Daran ändern im Prinzip auch die sogen. Universalklassifikationen ⫺ zur Zeit gibt es davon sechs meistverwendete ⫺

10 nichts, da auch sie letztlich ontologisch begründet sind und somit die Lebenswirklichkeit und deren ⫺ wenn auch breit konsentielle ⫺ Einschätzung in sich bergen (Wirklichkeitsrepräsentanz) (vgl. Dahlberg 1974, Kap. 3 sowie dort den Vergleich in Kap. 3.5; s. auch die pragmatisch bestimmte Arbeit von Sˇamurin 1964; 1967). Systematiken, hier speziell von Fächern, sollen stets den Wunsch nach (geordneter) Überschaubarkeit von (chaotisch anmutender) Komplexität einlösen. Anlaß der Erstellung und Funktion der Verwendung sind demnach: die Ökonomie, also letztlich: die Pragmatik. Deshalb findet man Fächer-Systematiken speziell in ebensolchen Anwendungs-Kontexten, seien sie (a) lebenspraktisch, wie ⫺ spätestens bei Aristoteles mit seinem dichotomischen Unterteilungsprinzip beginnend ⫺ in der Philosophie; sei es (b1) im weitesten Sinne dokumentarisch ⫺ wie in der Sachlexikographie (vgl. Kalverkämper 1988 a; 1989 a; Schaeder/Bergenholtz 1994; Wiegand 1988) oder im Bibliothekswesen (vgl. Sˇamurin 1964; 1967; Dahlberg 1974) ⫺ und (b2) datenverarbeitend, so (i) in der Wissenschaft (als Wissensdarstellung), (ii) in der Wirtschaft (als Wissensverwendung und Wissensvermittlung), und (iii) in der Verwaltung (als Wissensorganisation). Fächer-Systematiken klassifizieren sinnvollerweise nach pragmatischen Überlegungen, und diese (a) sind entweder wissenstheoretisch nachvollzogen (was sich in Dezimalklassifikationen zeigt; Beispiele in Dahlberg 1974 oder Möhn/Pelka 1984, 35 f) oder (b) gründen in den Binnengliederungen von fachlichen Handlungen (s. 1.3.1.): So lassen sich z. B. (Möhn/Pelka 1984, 35) als drei handlungsvorbestimmende Arbeitsfelder („Berufssektoren“) die (i) ,Urproduktion‘, (ii) die ,Fertigung‘ und die (iii) ,Dienstleistung‘ unterscheiden; sie finden sich in (Groß-)Fachgebiete aufgeteilt, so ⫺ analog zu den genannten Feldern ⫺ z. B. (i⬘) die ,Landwirtschaft‘, (ii⬘) die ,Bautechnik‘, (iii⬘) das ,Verkehrswesen‘; diese wiederum trennen sich in untergeordnete (Teil-)Fachgebiete, so z. B. (i⬙) ,Tierzucht‘, (ii⬙) ,Tiefbau‘ und (iii⬙) ,Schienenverkehr‘; zu diesen gehören jeweils verschiedene Berufe, so z. B. (i⵮) ,Schäfer‘, (ii⵮) ,Gleisbauer‘ und (iii⵮) ,Rangierer‘. In ihrem zu diesem Thema ausgezeichneten Buch skizziert Dahlberg (1974, Kap. 2) philosophische (2.1.), pädagogisch-didaktische (2.2.), enzyklopädische (2.3.), bibliothekarisch-bibliographische (2.5.), dokumentarische (2.6.), wissenschafts-,

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation wirtschafts- und verwaltungspolitisch orientierte (2.7.) sowie informationssystem-orientierte (2.8.) Klassifikationen (von Fächern bzw. Sachgebieten); ein Anhang (293⫺324) bietet eine Auswahl von 27 Klassifikationssystemen von 1250 v. Chr. bis heute in die siebziger Jahre; s. dazu aber auch die kulturhistorische Ausrichtung bei Sˇamurin (1964; 1967).

1.3.3. Horizontale Gliederung der (Fach-)Sprachen für Fächer Während die Fächer-Systematik eine Herausforderung an Dokumentaristen, Sozialwissenschaftler, Kulturhistoriker, nicht jedoch eine primäre Aufgabe für Linguisten ist, muß es die Fachsprachenlinguistik dann doch interessieren, welche außersprachliche Systematik in Relation zu der Fachkommunikation gesetzt ist bzw. werden soll. Bislang allerdings wurde diese Relation nur (a) aus der Perspektive und als Problem der (Fach-)Sprache (so Hoffmann 1985, 58⫺62 ff [mit Diskussion weiterer Vorschläge] oder Fluck 1991, 16 f) gesehen, und dann auch (b) nur in engem Blickwinkel, der die Relation ,Fachsprache hier ⫺ ihr (zugehöriges?) Fach(gebiet) dort‘ nicht in systematisch-hierarchischer Komplexität, sondern in horizontaler Zuordnung wahrnimmt und dabei prinzipiell eine offene Liste präsentiert (vgl. die Kritik bei Kalverkämper 1978; 1980 a). Die Blickrichtung ,von der Fachsprache auf ihr Fach‘, die von dieser Beziehung als Eins-zu-eins-Relation, ebenso dazu von dieser Beziehungsrichtung wie selbstverständlich ausging, ist disziplinhistorisch naheliegend gewesen, weil nämlich in den sechziger, siebziger Jahren mit dem linguistischen Interesse an der Fachkommunikation keine geeigneten außersprachlichen Systematiken und praktisch keine Diskussionen von ,Fach‘ als Begriff wie als lebenspraktisches Phänomen vorhanden waren (s. Kalverkämper 1978; 1979; 1980 a). So ergab es sich, daß für jene Fachsprachen, die in der Fachsprachenforschung untersucht wurden, dann das zugehörige Fach wahrgenommen und eben den anderen beigeordnet wurde, wobei Abstand und Nähe zueinander nach sprachlicher Affinität (ermittelt durch Vergleich) und/oder nach intuitiver Evidenz in der Sache entschieden wurden. So bietet Hoffmann (1985, 58⫺62) eine durchaus problembewußte Anordnung von Fachsprachen in folgender Horizontalen: Künstlerische Prosa 储 Literaturwissenschaft 兩 Pädagogik 兩 Philosophie 兩 … 兩 Ökonomie […] 兩 … 兩 Landwirtschaft 兩 Tierproduktion u. Veterinärmedizin 兩 … 兩 Bauwesen 兩 … 兩 Maschinenbau 兩 … 兩

1. Fach und Fachwissen Elektrotechnik 兩 … 兩 Medizin 兩 … 兩 Chemie 兩 Physik 兩 Mathematik 兩 …

Es paßt in diese Vorgehensweise, dann auch die Frage nach der Anzahl der Fächer zu stellen, eben um erkunden zu können, ob man inzwischen alle Fachsprachen erfaßt und beschrieben hat. „Wir dürfen […] annehmen, daß es etwa ebensoviele Fachsprachen wie Fachbereiche gibt.“ (Fluck 1991, 16)

Diese Ansicht wird nicht allgemein geteilt, weil hier die sprachliche Einteilung ihr bestimmendes Maß nimmt an außersprachlichen Taxonomien (s. o.) (und z. B. universalistische Konzeptionen, die auf den Status von Fachsprachen zielen [s. Art. 2, Abschn. 3.2.3.1., Punkt (a)], verstehen sich als Gegenentwürfe dazu). Bekannt wurde die Schätzung des Altmeisters der Terminographie, Eugen Wüster (in Drozd/Seibicke 1973, IX), auf ungefähr 300. Ein Blick allein in Fächerkataloge wie den z. B. für Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender weist allerdings schon 1000 Fächer aus; oder der des Hochschulverbandes bietet zweieinhalbtausend Fächer (geordnet nach 88 Disziplinen, verteilt auf 6 Großbereiche: Sozial-, Sprachwissenschaft, Physik, Biologie, Medizin, Technik); oder der der Bundesanstalt für Arbeit bietet allein bei den Berufen zu Fächern rund 2000 Positionen; bis hin zu Klassifikationen mit fast 7000 Fächern, verteilt auf 39 übergeordnete Gebiete (Dahlberg 1974).

Es ist vor dem Hintergrund der arbeitsteiligen Gesellschaft (Dynamik der Spezialisierungen) und speziell wegen des Subjektivierungsmerkmals (s. o. 1.3.2.) bei der Modellierung der Welt in Fächern kaum sinnvoll ⫺ und für die Fachsprachenforschung auch nicht grundlegend ⫺, die Zahl von Fächern genau zu kennen oder sich darüber zu streiten. Was aber gerade deshalb als eine methodologisch unverzichtbare Notwendigkeit verlangt werden muß, ist (a) in den Untersuchungen die jeweilige linguistische Selbstortung zu dem ,Fach(gebiet)‘ und der ,Fachsprache‘ zu leisten (dazu Kalverkämper 1992 b); sonst gerät man nämlich ⫺ bei der voreiligen bzw. wie selbstverständlichen Annahme einer Eins-zu-eins-Relation (d. h. ein [wie auch immer bestimmtes und begrenztes] Fach hier, und dann „seine“ Fach„sprache“ dort) ⫺ (b) in die Gefahr, nicht die bis möglicherweise ins absurd Minimale reichende Reduktion im Fach(gebiet) (und der dazu dann als „zugehörig“ angesehenen Fachsprache) zu erkennen (wie ⫺ bislang noch fiktiv ⫺ die

11 ,Fachsprache des Fabrikarbeiters an der elektronisch gesteuerten Buntmetallsäge‘ oder die ,Fachsprache des Kunststoff weiterverarbeitenden Kunstgewerbes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts‘; einschlägige Diskussion dieses methodologischen Problems in Kalverkämper 1979, 63 f; 1980 a, 7; 1983, 139⫺141; 1992 b). Daß man aber durchaus mit den kleinen Sprachhandlungsräumen „rechnen“ kann, zeigt Nordman (z. B. 1993) mit ihrem Konzept der „Minilects“ (,Minilekte‘), die im Rahmen von LSP (Language for special purposes) die „scientific technolects“ (,wissenschaftliche Fachsprachen‘) als „more restricted technolects“ untergliedern: „[…] when a technolect is used by a very limited group of specialists or when it is connected with a very restricted special field, the language used is called a minilect.“ (Nordman 1993, 773). Dazu gehören z. B. musical score, military reports, operating instructions, seaspeak, aviation English (loc. cit., 786), weather synopses, police commands, telex communication, recipes, doctor’s prescriptions, u. a. (loc. cit. 793), also funktional geordnet: „one-way communication“ ,Reports‘ und ,Instructions‘; und „two-way communication“ ,Dialogues‘; sie haben gewisse Charakteristika gemeinsam (loc. cit.; auch Kalverkämper 1996 b, 47 f).

1.4. Sprachliche Dimension Fächer haben eine sprachliche Dimension, weil sie nur mit Hilfe von Kommunikation „über sie (über ihre Teile, Inhalte, Grenzen, Hierarchien)“ konstituiert, verändert und vermittelt werden können (vgl. 1.3.2.; s. Art. 2, Abschn. 3.2.1.). Das Kommunikative bezieht sich (a) auf das Sprachsystem (s. 1.4.1.), (b) auf die Sprachverwendung (Parole) (s. 1.4.2.) 1.4.1. ,Fach‘ als kognitive Größe Es ist das Sprachsystem, das den ,Fach‘-Begriff in sich birgt: Die konstitutiven Merkmale von dem, was ein Fach ausmacht, somit also auch von den Spezifika, die die Fachlichkeit repräsentieren, sind im Sprachsystem eingelagert. Gerade deshalb ist man imstande, abzuwägen, was fachlich ist und was zu welchem Fach gehört. Für das Französische und für das Italienische sowie kontrastiv für die großen europäischen Sprachen liegen entsprechende Untersuchungen vor (Kalverkämper 1980 b; 1990 b; 1992 a). Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede in der kognitiven Handhabung des ,Fach‘-Begriffs im Deutschen gegenüber der Romania (Kalverkämper 1992 a); von einer generell international

12 übereinstimmenden, interkulturell einheitlich kodifizierten Auffassung und sprachlichen Etikettierung von ,Fach‘ und ,Fachlichkeit‘ kann man jedenfalls nicht grundsätzlich ausgehen. 1.4.2. ,Fach‘ als Konfliktraum Mit dem kommunikativen Reizbegriff ,Konfliktraum‘ kann es sich natürlich nur um die konkreten Sprachsituationen, um die Sprachverwendung (zur Orientierung über Gegenstände, Sachverhalte und Handlungszusammenhänge), handeln (vgl. Wiegand 1979). 1.4.2.1. Verständlichkeit Die Lebenswirklichkeit schafft nicht einheitliche Kommunikationsanlässe, sondern ein konfliktbeladenes, weil im Wissensgefälle stehendes schriftliches und mündliches Kommunizieren (s. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (b)). Mit ,Fach‘ und seiner Qualität, nämlich der ,Fachlichkeit‘, ist in höchstem Maße die ,Verständlichkeit‘ als eine in Texten verankerte kommunikative Qualität verbunden (Kalverkämper 1989 b; Raible 1978). Wie eng diese Beziehung ist, läßt sich daran ermessen, daß erst mit der stabilen Etablierung der Fachsprachenforschung und dem Erkennen der mit Fachkommunikation gekoppelten gesellschaftlich relevanten Konflikte die Verständlichkeitsforschung, und in ihrer Weiterentwicklung: die Analysen um hochaktuelle Reizbegriffe wie ,Technical Writing‘ / ,Technische Kommunikation‘ (vgl. Krings 1996; Göpferich 1997) (s. Art. 93, 106 a), ,Interkulturelles Verstehen‘, ,Texte-Optimierung‘ (s. Art. 93) und ,Informations-Haftpflicht‘ (inzwischen neben der Produkt- oder Materialsowie der Konstruktions- oder FertigungsHaftpflicht; vgl. z. B. Schuldt 1992) in der wissenschaftlichen Diskussion aufgekommen sind und dann auch als weiterführende Erkenntnisse prosperiert haben. 1.4.2.2. Wissenschaftsethik Derartige Themenbereiche lenken den Blick darauf, daß die Fächer und ihre Fachkommunikation auch mit (sozialer) Verantwortung, mit bewußter Zukunftsgestaltung und ethischer Verpflichtung gegenüber dem Gesamtkontext des fachlichen Handelns zu tun haben. Diese Zusammenhänge um ,Verantwortung des Wissens‘, ,Fach und Macht‘, ,Fachkommunikation und Elitenwissen‘, ,Gesellschaftsbewußter Fortschritt und Fortschrittskontrolle‘ (diese durch Selbstverantwortung im fachlichen Handeln, durch sach-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

bezogenes Informieren, breitenwirksamen Dialog, interfachliches Verstehen, fachliche und fachsprachliche Transparenz) diskutiert mit starker Resonanz seit den achtziger Jahren ⫺ in denen, geprägt von Atomzeitalter, Gentechnologie, Umweltkatastrophen und globalen humanen Herausforderungen (wie Hungerbekämpfung, Armut, Bevölkerungsentwicklung u. a.), die „Zukunftsverantwortung“ (Hans Jonas) zu einer neuen ethisch-moralischen Verpflichtung reifte ⫺ die philosophisch-wissenschaftstheoretisch, linguistisch und fachlich (dort vorzugsweise naturwissenschaftlich) engagierte Wissenschaftsethik mit ihrem Zentralbegriff ,Freiheit und Verantwortung‘ (vgl. z. B. Arbeitsgruppe Fortbildung 1978; Beach 1996; Good 1982; Jonas 1979; Lenk 1992; Mittelstraß 1992; Picht 1969; Riesenhuber 1995; Schubert 1995; Ströker 1984; Weber 1995). 1.4.2.3. Technikfolgen-Abschätzung Stärker unter Effizienzaspekten (Wirtschaftlichkeit, Funktionsfähigkeit, Sicherheit u. a.) und mit prognostischen Absichten (Rahmenbedingungen, Entwicklungen, Indikatorenbewertung u. a.), aber geleitet von sozialen und ethisch ausgerichteten Argumenten (Freiheit, Fortschritt, Verantwortung, Lebensqualität, Werte, Umwelt u. a.), argumentiert die Technikfolgen-Abschätzung (engl. Technology Assessment; in den USA der späten sechziger Jahre entstanden, seit den Siebzigern in Deutschland diskutiert) im Spannungsfeld von Technik, Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und öffentlicher Fachkommunikation (mit Reizwörtern wie ,Informations‘-, ,Wissens-‘, ,Technologiegesellschaft‘). Dazu hat sich inzwischen zu Beginn der neunziger Jahre, in Umkehrung des Ansatzes, eine Technikgenese-Forschung (Technikentstehung, ,Leitbilder‘) gesellt. (Vgl. zur Orientierung in der inzwischen reichen Literatur Bullinger 1994; s. auch Lohmeyer 1984; Beck 1997). 1.5. Interfachliche Dimension Gemeint ist die Beziehung von Fächern zueinander. Wenn diese eine intensive und gegenseitig bestimmende bis integrative Qualität innehat, spricht man seit Mitte der siebziger Jahre von Interdisziplinarität. Das Konzept nahm 1968 mit der Gründung eines ,Zentrums für Interdisziplinäre Forschung (,ZIF‘) (Helmut Schelsky) an der Universität Bielefeld institutionalisierte Gestalt an und verfolgte ⫺ sich von seinem Vorbild, den ,Institutes for Advanced Study‘, absetzend ⫺ eine pluralistische und

1. Fach und Fachwissen pragmatische Auffassung von Wissenschaft (maßgeblich geformt von Harald Weinrich [vgl. z. B. Weinrich 1974]). Für die Linguistik hat Roman Jakobson (1972) besonders evident ein interdisziplinäres Vorgehen eingefordert, ebenso Harald Weinrich, der zudem ein ⫺ immer noch nicht realisiertes ⫺ interdisziplinäres Lexikographie-Projekt (Weinrich 1978) angeregt hat (vgl. Henne/Mentrup/Möhn/Weinrich 1978). Mit der pragmatischen Wende in den siebziger Jahren (vgl. Bartsch/Vennemann 1973) und dann übernommen von den Sachfach-Kooperationen der Fachsprachenforschung ist Interdisziplinarität als Anspruch und Wirklichkeit inzwischen etabliert (vgl. Kocka 1987; Kalverkämper 1996 a).

Grundgedanke des InterdisziplinaritätsPostulats ist, daß die Forschung innerhalb eines einzelnen Faches zu einem bestimmten Zeitpunkt an die Grenzen stößt, die den Blick nach innen festhalten und die Erkenntnisse nicht in die Gesellschaft und somit auch nicht in die allgemeine wissenschaftliche Beachtung ausstrahlen lassen, was die Entwicklung des Faches zu dessen Schaden hemmt. In einem Ansatz, der ein reduktionistisches Wissenschaftsbild widerspiegelt, wurde in den dreißiger Jahren und später das Konzept einer Unified Science ⫺ die Einheit der Wissenschaft als Integrationsziel „wider die Trennung von Natur und Geist, Kunst und Wissenschaft“ (s. Mainusch/ Toellner 1993) ⫺ vertreten (Niels Bohr, Rudolf Carnap, John Dewey, Otto Neurath, Bertrand Russel, u. a.): Nach der aktuellen „Zersplitterung der Wissenschaft in Disziplinen, die notwendig ist um der detaillierten und effektiven Bearbeitung der verschiedenen Gegenstandsbereiche willen“, sollten diese Wissensbestände dann „irgendwann in der Zukunft wieder zusammengeführt [werden] zu dem einheitlichen Gebäude einer umfassenden Wissenschaft“ (Weingart 1995 b, 11); dazu müßte „auf der Grundlage einer einheitlichen Erkenntnistheorie und eines allgemeinverbindlichen Rationalitätsbegriffs eine Hierarchie der Disziplinen konstruiert werden […]. In diesem Bild wird letztlich jede Erkenntnis der Welt auf die Physik reduziert werden können, wenn dereinst die Zusammenhänge bekannt sein werden“ (Weingart 1995 b, 11).

Der heute geltende InterdisziplinaritätsBegriff vertritt nicht mehr die These von der Aufhebung der Wissenschaftsgrenzen. Vielmehr sollen in den verfestigten Wissenschaften selbstangebotene Grenzöffnungen angestrebt werden und Grenzüberschreitungen in die Gebiete anderer ⫺ benachbarter wie entfernterer ⫺ Wissenschaften als notwendige Gegenstrategien zur fortschreitenden fachlichen Spezialisierung gewagt werden, um Blindheit ⫺ die bekannte „de´formation pro-

13 fessionnelle“ ⫺ und Isolation in Forschung und wissenschaftlicher Argumentation (Weinrich 1994) bis auch hin zu berufsethischen Verselbständigungen (s. o. 1.4.2.2.) zu verhindern (vgl. für den methodologischen und kognitiven Gewinn speziell der Linguistik z. B. Raible 1981; 1993). Wissenschaft läßt sich vor diesem Hintergrund als „soziales Gebilde, als eine Institution“ verstehen, „und ebenso die Grenzziehungen als Ergebnisse sozialer Strukturen und Prozesse: kulturelle Prägungen von Wahrnehmung, Erfahrung und Praxis, Herausbildung sprachlicher Konventionen, Abgrenzungen von Sinnsystemen, Investitionen in lebenslange Karrieren und die sich daraus ergebenden vested interests“ (Weingart 1995 b, 12). Benachbarte Begriffe wie ,Gelehrtenrepublik‘, ,Intellektueller‘, ,Entdeckungspriorität‘, ,Sprachenpolitik‘ (insbesondere im Bereich der Wissenschaftssprache), ,Denkstile‘, ,zwei [oder drei] Kulturen‘ (C. P. Snow: s. Kreuzer 1987; Lepenies 1985) [nämlich Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften: s. o. 1.2.2. Punkt (3)], ,Wissenschaftsparadigma‘ u. a. zeugen von diesen sozialen An- und Einbindungen, machen aber auch deutlich, daß trotz der sozialen Bedingtheit von Wissen „ein gemeinsames Verständnis“ und „die eine Kultur der Wissenschaft“ (Weingart 1995, 25 f) gegeben sind.

Die Metaphern des ,frischen Blutes‘, der ,gegenseitigen Befruchtung‘, des ,Brückenschlags‘ oder ⫺ mit durchgreifenden Konsequenzen für die „Entstehung des Neuen“ in der Wissenschaftsgeschichte von Fächern ⫺ des ,Paradigmenwechsels‘ (Kuhn 1995) lassen sich hierbei allerdings nur speziell anwenden: (a) Zum einen auf die relativ tiefe Ebene der Fächer-Systematik (s. 1.3.2.), also auf die Ebene der konkreten, recht deutlich umgrenzten Einzelfächer: also Interdisziplinarität zwischen z. B. ,Linguistik und Theologie‘, ,Biologie und Informatik‘, ,Klimatologie und Medizin‘, ,Jura und Rhetorik‘. Auf abstrakteren Ebenen ⫺ so für die Beziehung zwischen ,Geistes- und Naturwissenschaften‘ bevorzugt man dagegen eher den ,Dialog‘. ⫺ (b) Des weiteren beziehen sie sich eher auf wissenschaftliche Fächer; Interdisziplinarität zwischen Fächern des Handwerks, selbst wo sie sich traditionsgemäß in praxi etabliert hat, z. B. bei ,Schreiner und Zimmermann‘, ,Maurer und Dachdecker‘, ,Anstreicher und Maler‘, ,Gärtner und Landschaftsgestalter‘, ist begrifflich praktisch nicht vertreten. ⫺ (c) Die interdisziplinär verbundenen Fächer können nicht auf kraß unterschiedlich hohen Hierarchie-Ebenen angesiedelt sein: z. B. ,Holzschutztechnik und Chemie‘, ,Schallschutztechnik und Physik‘ sind ⫺ als Fächerkombination ⫺ so kaum möglich. Hier müssen dann die hochrangigen Fächer oder Fachgebiete (z. B. ,Chemie‘ oder ,Physik‘) auf eine annähernd vergleichbare Ebene heruntergestuft werden, z. B. ,Farb-/Lacke-Chemie (eben nicht gene-

14

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

rell: Chemie) und Malerhandwerk‘. Höherrangige Verbindungen auf unterschiedlichen Systemebenen, wie ,Chemie und Geisteswissenschaften‘ (so Mittelstraß/Stock 1992), signalisieren schon Perspektivierungen problematisierter Beziehungen. ⫺ (d) Die Interdisziplinarität wird zwischen Fächern mit recht klar umrissenen Profilen angesetzt, weniger vermutet bei recht unspezifischen und dabei selbst Interdisziplinaritäts-Fächern wie ,Ökologie‘, ,Klimatologie‘, ,Verkehrswesen/-technologie‘; ,Ernährungswissenschaft‘, ,Umwelttechnologie‘ oder ,Handwerk‘. ⫺ (e) Interdisziplinarität wird dort gesehen, wo Kooperation zunächst verwundert, und das sind die entfernte(re)n Fächer, weniger die eng und offensichtlich benachbarten, wie sie in der fachlichen Binnengliederung ganz stark vertreten sind (vgl. 1.3.1., 1.3.2.). Etabliert hat sich dieser Aspekt durch die sogen. Bindestrich-Fächer wie ,Soziolinguistik‘, ,Biomedizin‘, ,Kultursemiotik‘ u. a., auch mit spezifizierenden Adjektiven wie ,Forensische Rhetorik‘, ,Physikalische Biochemie‘, ,Medizinische Informatik‘, ,Aquatische Mikrobiologie‘, ,Pharmazeutische Technologie‘, ,Psychiatrische Genetik‘, ,Experimentelle Physik‘, ,Internationales Privatrecht‘, ,Ausländisches Zivilprozeßrecht‘, ,Pädagogische Psychologie‘, ,Philosophische Anthropologie‘ u. a.

Interdisziplinarität bedeutet Kooperation, und diese ihrerseits verlangt Integration und, damit die Identität erhalten bleibt, auch Abgrenzung (vgl. z. B. Kocka 1987). Das bezieht sich auf (i) die beidseitigen Erkenntnisziele, (ii) die jeweiligen Analyse-Instrumentarien, (iii) die gemeinsam verwendbaren Methodologien, (iv) die vitale Umsetzung und fortschrittsfördernde Weiterverwertung der Ergebnisse. Das Konzept der Interdisziplinarität hat inzwischen auch den Blick für die Interkulturalität als Rahmenbedingung fachlichen Handelns und fachsprachlichen Kommunizierens geöffnet und ⫺ insbesondere im Bereich der internationalen Wirtschaftskommunikation ⫺ geschärft: s. Art. 2 und Art. 3 (dort Abschn. 1.4.3., Punkt (f)).

2.

Fachwissen

Wissen erwirbt sich jeder Mensch in seinem Lebenslauf von Kindesbeinen an durch seine Weltbegegnung und Sozialisation. Es gibt dabei ein in Umfang und Intensität persönlich aufgebautes Erfahrungs-, Alltags- oder Weltwissen. Dieses wurzelt, meist als implizites Wissen, allerdings schon in fachlichen Handlungszusammenhängen (z. B. Wenndann-Folgen), und Kindergarten, Schule, Lehre/Studium/Ausbildung und Arbeitspraxis verengen und vertiefen dabei die Spektren

des Handlungswissens immer stärker zur Fachausbildung und zum expliziten, zum beruflichen Wissen: d. h. (i) zum Fakten- und relationalen bzw. funktionalen Wissen und zugleich (ii), was das fachliche Kommunizieren dabei angeht: zum (fach-)sprachlichen (so terminologischen, argumentativen, fachtextstrukturellen, stilistischen, textsortenspezifischen, kulturbezogenen u. a.) Wissen. Daneben gibt es natürlich auch die Allgemeinbildung, die Universalbildung, das Breitenwissen, was in der Antike als universitas der artes liberales kanonisiert war (s. 1.1.2. und Art. 2, Abschn. 3.1.2.), in der romanischen Klassik des 17. Jh. als Lebensideal galt (uomo universale, honneˆte homme, gens du monde), mit den letzten Universalgelehrten oder -genies ⫺ Gottfried Wilhelm Leibniz (1646⫺1716), Johann Wolfgang von Goethe (1749⫺1832), Wilhelm und Alexander von Humboldt (1767⫺1835, 1769⫺1859) ⫺ individuell wurde und schließlich in der Neuzeit obsolet geworden ist.

Die arbeitsteilige Gesellschaft hat das Wissen unterschiedlich verteilt; es hat aber stets die Qualität eines fachlichen Wissens. Dieses läßt sich nur schwierig definieren und entspricht darin dem ,Fach‘-Begriff: im prinzipiellen aufgeteilt nach ,theoretischem‘ und ,praktischem Wissen‘ (wobei das auch eher als Schwerpunktgemeinschaft aufzufassen ist!), muß es operational/prozessual/funktional/dynamisch, zudem mit einem Merkmalbündel (der definitio per proprietates aus der alten Logik) erfaßt werden, weniger phänomenologisch oder statisch-eingrenzend. In diesem Sinn (vgl. Kalverkämper 1990 c, 94) sei eine BESTIMMUNG von ,Fachwissen‘ versucht: Als ,FACHWISSEN‘ kann (a) die Gemeinschaft der besonderen Kenntnisse in der (erwerbsmäßigen) Arbeit ⫺ aber letztlich auch im anspruchsvollen Hobby ⫺ gelten, wie man es sich in Ausbildung, Lehre, Studium, also in als fachbezogen geltenden Lernzusammenhängen aneignet und dabei spezifische Handlungsabläufe, Umgangsgewohnheiten und Konventionen der Kommunikationspragmatik, Arbeitsverteilungen und Zuständigkeiten kennenlernt und schließlich auch selbst einsetzt. Dies entwickelt ein Bewußtsein für Methoden und Arbeitsprozesse, für funktionierende Zusammenhänge der Tätigkeiten auf ein bestimmtes Produktionsziel hin. ⫺ Des weiteren (b) gehört dazu das spezialisierte Wissen zu einem Sachgebiet und Handlungszusammenhang; es verschafft tiefere Einsichten in sachliche Zusammenhänge und ermöglicht es, einzelne Gegebenheiten in ihrer Vernetzung zu erfassen und systematisch einzuordnen. ⫺ Um dies zu erreichen, bedarf es (c) einer fachbezogenen sprachlichen Kompetenz, die sich in der Kommunikationsfähigkeit-im-Fach zeigt und innerhalb der Fachwissen-Gruppe ⫺ den Fachleuten

1. Fach und Fachwissen (oder Experten, Spezialisten, Sachverständigen) ⫺ Identitätsbewußtsein schafft und zwischen ihnen ein Direktverstehen der mitgeteilten (Fach-)Information ermöglicht. Die Fachsprache repräsentiert das Fachwissen dabei vorzugsweise in den Termini: diese speichern es als Definition, als genormten Text; die Definition ihrerseits wird mitverstanden und als Fachwissen-Inhalt einbezogen, wenn der Terminus in der Fachkommunikation auftaucht; man kann es auch so formulieren: das Vorkommen eines Terminus ist die Anweisung an den Rezipienten, sein Vorwissen zu der Terminus-Definition in den Text-Verstehensprozeß einzubringen (hierzu Kalverkämper 1987). ⫺ (d) Fachwissen ist niemals „fertig“, sondern angewiesen auf Lehren und Lernen, ist somit stets evolutiv angelegt, korrigierbar, ausbaufähig, Grundlage und Motor für Fortschritt in Wissenschaften, Technik und Wirtschaft (,Handwerk‘), für Konsumtion und für Verwaltung (zu diesen Kalverkämper 1988 a; 1989 a).

2.1. Fachmann versus Laie Es ist offensichtlich das Fachwissen, das den Gesellschaften begrifflich jenen Maßstab gibt, nach dem die Skala des Handelns im Fach, also des fachlichen Handelns, bis hin zu dem Handeln im Alltag, ohne fachbezogenen Ausweis, kalibriert ist: der Gegenentwurf ist nämlich der Laie, für den die Wörterbücher angeben: ,ungelehrt‘, ,etwas nicht gelernt habend‘, ,von etwas nichts verstehend‘, ,unvertraut mit einer Sache oder Handhabung‘, ,nicht versiert‘, ,ohne Kenntnis‘. Der Laie, der Handelnde im Alltag, definiert sich also negativ zum Fachmann, zum fachlichen Handeln; es ist wohlgemerkt nicht umgekehrt (Kalverkämper 1990 c, 96 f; 1992 a). Es ist folglich der fachbezogene Ausweis im Handeln jener zentrale Prozeß, an dem sich jede Einschätzung von Fachwissen ⫺ wie auch von dessen Fehlen ⫺ orientiert. 2.2.

Kenntnis und Sprache

2.2.1. Relativitätsprinzip Das Verhältnis von Kenntnis und Sprache wurde in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts aus der philosophischen Blickrichtung heraus eher verstanden als das Verhältnis von Erkenntnis und Sprache: Sprache vermittelt Weltsicht. Die These, die Wilhelm von Humboldt vertreten hatte, gelangte durch die Sprachstudien des Amerikaners Benjamin Lee Whorf bei den Hopi-Indianern als „sprachliches Relativitätsprinzip“ (s. z. B. Gipper 1972) zu neuer Wirkung, indem Leo Weisgerber sie seinerseits aufgriff und eine Sprachinhaltsforschung begründete. Sein Schüler Helmut Gipper sieht insbesondere bei den (geistes-

15 und naturwissenschaftlichen) Fachsprachen und ihren (wissenschaftlichen) Begriffsbildungen eine vorprägende Wirkung von einzelsprachlichen Spezifika gegeben (Gipper 1971); Fluck (1991, 181) stellt zu dieser Meinung einer „Rückbindung naturwissenschaftlicher Weltbilder an die Muttersprache“ den gegengesetzten Wunsch von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern „nach einer Bearbeitung des Instruments ,Sprache‘ oder seinem Ersatz durch künstliche Sprachen“. In der Tat ist hier noch keine Klärung erfolgt, zumal es um die Sprachinhaltsforschung und die Relativitätshypothese seit den siebziger Jahren sehr still geworden ist. 2.2.2. Terminologie / Definition Kenntnis und Sprache zeigt sich im fachlichen Handeln und fachsprachlichen Kommunizieren primär und obstinat bei den Termini, in ihrer Ordnung: bei der Terminologie, dem Wissens- und Begriffssystem (Budin 1996). Hierzu repräsentiert selbstverständlich die Definition diese wichtige Beziehung, da sie als sprachliche Manifestation die Wirklichkeit (beschreibend, normierend, zuordnend etc.) erfaßt, wonach sich verschiedene Definitionsarten ergeben und Begriffssysteme erstellen lassen (s. Arntz/Picht 1989; Felber/Budin 1989; Picht 1993) (s. auch u. 2.3.). Hierzu gilt grundlegend die Aussage von Hoffmann (1992, 145): „[…] die Fixierung einzelner Begriffe, die Bestimmung ihres Inhaltes und Umfangs sowie ihre Definition mit Hilfe ihrer wesentlichen Merkmale sind jedoch nur die elementare Basis der Wissensstrukturierung. Von Wissensstrukturen und Begriffssystemen kann man erst dann sprechen, wenn für ein Fachgebiet oder einen Ausschnitt daraus die innerbegrifflichen und besonders die zwischenbegrifflichen Beziehungen eine bestimmte Ordnung erfahren haben, bei der Hierarchien, Netzwerke u. a. entstehen.“

2.2.3. Fachlichkeit durch Fachsprachlichkeit Mit dem Aufkommen der Pragmatik in den mittsiebziger Jahren kamen die Erstellungsprozesse, die die Kommunikation ,über etwas‘ leistet, in den Blick: die außersprachliche Fachlichkeit wird durch kommunikative Fachsprachlichkeit konstituiert, das Fach durch Kommunikation „über das Fach“ und „im Fach“. Dazu sei verwiesen auf Art. 2, Abschn. 3.2.1.; sowie auf Kalverkämper (1982; 1983; 1990 c; 1992 a; 1996 a, 132⫺136).

16 2.2.4. Integrativität Mit seiner Untersuchung (1992) hat KlausDieter Baumann die Sicht geweitet auf das Zusammenspiel ⫺ eben die Integrativität ⫺ verschiedener Komponenten bei der Fachkommunikation. Dies führt letztlich zu einer praktizierten Interdisziplinarität (s. o. 1.5.), bei der die Fachsprachenforschung methodologische Erweiterungen, insbesondere zur kognitiven Psychologie hin (Psycholinguistik), erfährt (Baumann 1996; Budin 1996). Die sprachliche Handlungsfähigkeit im Fach sieht Baumann in einem Funktionengefüge gegründet, das sich zwar im einzelnen Fachtext niederschlägt, aber von genereller Präsenz ist. Es gehören hierzu folgende Ebenen: die (i) interkulturelle, (ii) soziale, (iii) kognitive, (iv) inhaltlich-gegenständliche, (v) funktionale, (vi) stilistische und (vii) semantische Ebene (s. auch Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (e)).

Wie Baumann legt auch Jahr (1996) ausdrücklichen Wert auf die Feststellung, daß bei der Vertextung von Fachsprache, also in Fachkommunikation, sprachliche Manifestationsweisen kognitive Strategien zum Ausdruck bringen. Die Spannweite umgreift hier, die Positionen funktionierender Kommunikation beachtend, Textverarbeitung und Textverstehen gleichermaßen und bezieht sich auf semantische (insbesondere Wissensdarstellung in semantischen Netzen), makrostrukturelle und eben auch kognitive oder mentale Komponenten und deren Aufgaben im Fachtext. Hierbei haben die Termini ⫺ s. o. 2.2.2. ⫺ eine inzwischen als zentral erkannte Kontext-Funktion inne, indem sie in ihrer Kontextsituierung, als Termini in Verwendung, semantische Vernetzungen schaffen (vgl. Gerzymisch-Arbogast 1996; Wendt 1997). Hier treffen sich (kognitions-)psychologische und (fach-)textlinguistische Ziele und Methoden, und es ist zu erwarten, daß in dieser Richtung sich die Fachsprachenforschung, auch unterstützt von übersetzungswissenschaftlichen Anliegen (s. Gerzymisch-Arbogast 1996), weiterentwickelt (so auch Baumann 1996; und Budin 1996). 2.3. Kenntnissystem (kognitive Strukturierung) ,Kenntnis‘ ⫺ was mit ,Können‘, ,Kundigsein‘ zusammenhängt ⫺ und ,Wissen‘ ⫺ was mit ,Weisheit‘ und ,Wissenschaft‘ verbunden ist ⫺ sind Begriffe des geistigen Vermögens, die eine Ordnung, eine Systematik der Einzelteile, voraussetzen: als (je nach terminologi-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

scher Präferenz) Kenntnissystem oder kognitive Strukturierung oder Wissensorganisation oder mentales Modell. Dabei geht es inzwischen durchaus nicht mehr nur darum, Klassifikationssysteme, Thesauri und andere starre Formen von Wissenskorpora zu erstellen, zu optimieren und abzurufen. Vielmehr greifen auch hier die dynamischen Konzeptionen, indem nämlich Linguistik, Kognitionswissenschaft, Wissenssoziologie, Erkenntnistheorie, Informationswissenschaft u. a. dafür sorgen, daß der prozessuale Begriff von ,Wissen‘ auch entsprechend pragmatisch ausgelegt wird: in diesem interdisziplinären Spektrum als Aneignung, als Verwertung, als aktives Angebot für die fachliche Kommunikation (Budin 1996; Heyer 1988; Jakob 1991). So dürfte es einsichtig sein, daß ein Klassifikationssystem als solches zwar eine sich starr gebende Ordnung des Erkannten, ein Angebot der segmentierenden und zuordnenden Sicht auf die Welt und ihre Objekte, Sachverhalte und Handlungszusammenhänge ist, daß aber diese Wissensstruktur mit ihren Leerstellen und Ordnungskriterien (wie z. B. bei der Periodensystem-Tafel der chemischen Elemente 1869 von Lothar Meyer bzw. von Dimitrij Iwanowitsch Mendelejew; oder bei der Pflanzen-Systematik von Carl von Linne´, 1. Hälfte des 18. Jh.) ihrerseits organisatorische Kraft und Interrelationen bis in das (noch) Unbekannte hinein freisetzt. Außerdem eröffnet sie diachron-hermeneutische Einsichten in die Wissens- und Sprachgeschichte sowie in deren prägende Funktion für die Fachsprachen (insbesondere die Metaphorik) und die fachlichen Sichtweisen bis in die Jetztzeit hinein (Jakob 1991; Kalverkämper 1993 b). Gerade die Epistemologie, mit ihrem wichtigsten Repräsentanten Gaston Bachelard (1884⫺1962) (s. Bachelard 1987; 1988), hat diese Zusammenhänge, die über die bisher praktizierten Systeme (s. o. 1.3.2.; s. Dahlberg 1974; Budin 1996) dynamisch hinausgehen, aufgedeckt. Und auch in der Soziologie und Sozialanthropologie ist die dynamische Modellierung von Kenntnis oder Wissen ⫺ als „Organization of Experience“ 1974 von Erving Goffman mit dem inzwischen auch in anderen (so z. B. computerwissenschaftlichen, übersetzungswissenschaftlichen) Theorien verwendeten Zauberwort ,Rahmen‘, engl. frame analysiert (Goffman 1980) ⫺ als „Rahmen-Analyse“ etabliert.

1. Fach und Fachwissen

So hat das frame-Konzept auch in der (Fach-)Lexikographie, einem offensichtlichen Ort der Repräsentation von Kenntnissystemen (Schaeder/Bergenholtz 1994) und gesellschaftlichen Wissens- und Werte-Rahmen (Wiegand 1997), Platz gegriffen (vgl. Konerding 1993) (s. u. 2.5.1.). 2.4. Interiorisierung / Exteriorisierung Es fällt eigentlich nur für die fachbezogene Kommunikation auf, wie man zu Wissen kommt und wie man das erworbene Wissen seinerseits wieder sprachlich weitergibt. Konsequent zu der Erfahrung, daß ,Fach‘ durch Kommunikation ,über dieses‘ und ,in diesem‘ konstituiert wird ⫺ s. o. 2.2.3. ⫺, ist die Erstellung (oder der Aufbau) und die Verwendung (d. h. das Abrufen) von Wissen ⫺ erst recht von systematisch geordnetem Wissen ⫺ nur über Versprachlichung möglich. Zwar könnte die Linguistik hier von der Kognitionspsychologie nähere Einblicke erwarten, doch ist auch diese auf die sprachlichen Manifestationen angewiesen: „Das mentale Modell ist der Beobachtung nicht direkt zugänglich. Wir können seine Eigenschaften nur aus Indizes erschließen.“ (Hubert Zimmer/Johannes Engelkamp, aus Heyer 1988, 131; zit. nach Jakob 1991, 50)

Der „Zusammenhang von geistigen und sprachlichen Tätigkeiten bzw. Handlungen, zwischen Kognition und Kommunikation“ (Hoffmann 1993, 599) wird insbesondere in den fachlichen Handlungskontexten offenkundig, wo ja planerisch wie auch werkend einzusetzendes (i) fachbezogenes Faktenwissen, (ii) kognitives Strukturieren und (iii) Handlungswissen einschließlich Handlungsfolgenwissen ineinandergreifen. Und ihr Bemessen von außen, d. h. die Beurteilung von Fachkenntnis oder, wie die Wissenspsychologen (Klix 1987) und Arbeitstechnologen (Arbeitswissenschaftler) sagen, die „Diagnose von Expertenwissen“ (Hacker 1996 mit einschlägiger Literatur; Mandl/Spada 1988) ⫺ wozu es „etwa ein Dutzend Methodengruppen“ mit jeweiligen Unterteilungen gibt (Hacker 1996, 11; eine Klassifikation der Hauptmethoden zur Diagnose von Leistungsvoraussetzungen [d. i. (a) Tätigkeitszentrierte Zugänge; (b) Personenzentrierte Zugänge: (b1) dyadische Zugänge, (b2) Gruppenprozesse] findet sich dort auf S. 27) ⫺ ist immer an die Verbalisierung gebunden (Rothe 1990; Teske-El Kodwa 1992; Wolff 1988).

17 In dieser Korrelation von Kognition und Kommunikation sind grundsätzlich zwei Prozess-Richtungen zu beachten: (a) von der sprachlichen Darstellung ⫺ und das kann nur besagen: vom (Fach-)Text aus ⫺ in das Gedächtnis zur kognitiven Verarbeitung; und (b) die Abrufung der im Gedächtnis systematisch gespeicherten kognitiven Einheiten, ihrer Strukturen und Relationen, um dies in den (Fach-)Text einzubringen und so der Kommunikation ihr fachliches Gepräge zu verleihen (Kalverkämper 1987; Hoffmann 1993). ⫺ Die erstgenannte Richtung (a⬘) kondensiert also die sprachbezogene Textform, wie sie sich als syntagmatische Dimension in der Linearität des Textverlaufs zeigt, in den fachbezogenen Textinhalt, wie er sich als paradigmatische Dimension in der Simultaneität der systemischen Einheiten einordnet: das ist die INTERIORISIERUNG von Fachtextinformationen in das Kenntnissystem (Begriffsrelationen, „Thesaurus“: Hoffmann 1993) im Gedächtnis. ⫺ Die umgekehrte Relation (b⬘), von den systematischrelational gespeicherten Wissenseinheiten des Gedächtnisses hinein in die textuelle Präsenz des Textes, ist die EXTERIORISIERUNG. Die beiden Relationen sind in einer Funktionsgemeinschaft ineinander gebunden und voneinander abhängig. Diese Interrelationen zu sehen, besagt zugleich, die sich schon disziplingeschichtlich als getrennt gebenden Positionen ,Terminus‘ hier (lexikalische Sicht) und ,(Fach-)Text‘ da (textlinguistische/textpragmatische Sicht) nunmehr miteinander so zu vereinen, daß sie als zwei lediglich verschiedene Kondensationsvorkommen von semantischen Charakteristika gelten und dementsprechend, mit einer dem Sprachvorkommen angemessenen Dynamisierung, als „terminologisierte Texte“ (a⬙) und als „textualisierte Termini“ (b⬙) (Kalverkämper 1987) beschrieben werden können: entweder (a⵮) hochkondensiert, mit einem dahinterstehenden und mitzuverstehenden Definitionskontext beim Terminus („paradigmatische Texte“: Kalverkämper 1987), oder (b⵮) expandierte Fachinformation in der Linearität des Textverlaufs (Kalverkämper 1987; 1996 b, 45 f; Wendt 1997). 2.5. Formen der Repräsentation von Fachwissen Fachwissen läßt sich nur durch fachliche Kommunikation repräsentieren (und natürlich auch, umgekehrt, nur so weiter auf- und ausbauen) (s. 2.2.3., s. 2.4.). Ihrerseits signali-

18 sieren die Fachtexte mit ihren fachsprachlichen Elementen, daß sie fachwissenschaftliche Kenntnisse für eine gelingende Kommunikation voraussetzen. Daraus ergeben sich in dem Beziehungsverhältnis ,Autor ⫺ (Fach-)Text ⫺ Rezipient‘ grundlegende Einschätzungsqualitäten über (i) die Wissensanforderungen vom Autor an den Leser und über (ii) die Verstehensleistungen des Lesers bei dem jeweiligen Fachtext (der Text signalisiert also durch seine Vertextungsweise von Fachwissen, welche fachliche Kompetenz er bei seinem Leser voraussetzt, und der Leser merkt dies, indem er sich unterfordert oder überfordert oder als fachlicher Rezipient vom Autor angemessen angezielt fühlt) (zu dieser Konzeption s. Kalverkämper 1988 b, 163f und 1990 c, 122⫺125).

Repräsentationsformen (vgl. auch Art. 4!) sind, gemäß den tragenden Ebenen der Fachkommunikation, (a) die lexikalischen Einheiten: s. 2.5.1.; (b) die textuellen Formen, also die Fachtexte: s. 2.5.2.; (c) die semiotischen Mittel, hier speziell zu bedenken: das fachliche Bild: s. 2.5.3. 2.5.1. Lexika Die offensichtlichste, weil den Gebrauch und das Verstehen grundlegend betreffende Auffälligkeit der Fachkommunikation sind die Fachwörter bzw., wenn begrifflich definiert oder genormt, die Termini. Gerade für sie bedarf es geeigneter Nachschlagewerke, der Fachlexika. Diese ordnen sich ein zwischen der Sammlung einerseits sprachorientierter Auskünfte („Wörterbuch“, „Sprachwörterbuch“) und andererseits sachorientierter Information („Enzyklopädie“, „Sachwörterbuch“) als dem altetablierten Kräftefeld, zu dem es Mischtypen gibt („Konversationslexikon“; „Allbuch“, das nach einem Vorschlag von H. E. Wiegand beide Informationen leistet) (Wiegand 1988; 1994). Die typologischen Fragen, aber auch strukturelle und inhaltliche Probleme der Fachlexikographie (hierzu Schaeder 1994) geben diese als ein noch „unerforschtes Terrain“ zu erkennen (Schaeder/Bergenholtz 1994, 2 f). Dies ist um so dringlicher zu ändern, als die Fachlexikographie nach einer recht schwachen vierhundertjährigen Entwicklung ab etwa 1500 nun seit 1900 stark zugenommen hat und seit 1950 als „eine regelrechte Explosion“ (ebda.) anwächst. Fachwissen und seine Repräsentation in Wörterbüchern ist inzwischen ein gesellschaftlich genutztes Kulturgut geworden; denn letztlich dient es ja dazu, Wissensgefälle zwischen (i) Fachleuten und zwischen (ii)

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Fachleuten und Laien (Kalverkämper 1990 a; 1995) zu überbrücken, also einen Informationsdialog bei den Partnern der verschiedenen kommunikativen Konstellationen (s. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (b)) zu ermöglichen. Die inzwischen anwachsende Praxis bedarf allerdings immer dringender (s. Schaeder/Bergenholtz 1994) einer theoretisch-wissenschaftlichen Bearbeitung im Rahmen einer Meta-(Fach-)Lexikographie. 2.5.2. Fachtexte Die Ordnung des Lexikons (s. o. 2.5.1.) wird notwendig ergänzt durch den Text als dem eigentlichen Ort von Fachwissen-Repräsentation; es gibt hier sogar Integrationsmöglichkeiten (s. Kalverkämper 1995). Über den (Fach-)Text werden die Kenntnissysteme aktualisiert (s. 2.2.3., 2.4.). Und nur über den jeweiligen Text wird signalisiert, wie das Informationsverhältnis zwischen (Fach-)Autor und seinen angezielten Adressaten gestaltet ist; der Text in den kommunikativen Konstellationen (s. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (b)). Und demnach wird auch nur über den Text und seine spezifischen Vertextungs- und Erklärungsweisen die sprachliche Verständlichkeit und die kognitive Verstehbarkeit des Kenntnissystems und der daraus mitzuteilenden Informationen gewährleistet: Verständlichkeit ist eine Textqualität (Kalverkämper 1983) (s. o. 1.4.2.1.). 2.5.3. Semiotische Vielfalt Werbetexte, Kinderbücher, Reiseprospekte und eben Fachtexte haben gemeinsam, daß sie genuin auf eine semiotische Erweiterung ihrer Darstellungsmittel angewiesen sind und darin auch der allgemeinen Rezeptionserwartung entsprechen. Die Fachkommunikation, in der schriftlichen Form: die Fachtexte setzen Zeichnungen, Graphiken, Symbole und Sonderzeichen ein, um ihre fachlich definierten Informationen mitzuteilen (vgl. Art. 4). Diese Darstellungsmittel sind unterschiedlich konventionalisiert: Logik und Mathematik haben hier streng verbindliche Zuordnungen; die Technik hat schon eine breitere Palette an Varianten, z. B. um Fachinhalte über verschiedene Typen von Diagrammen, Informationsverteilungen und -zuordnungen kompakt vorzustellen; die Naturwissenschaften wie Medizin, Physik oder Chemie können ihrerseits ebenfalls auf Präsentationsvarianten zurückgreifen (s. ⫺ z. B.! ⫺ die Darstellungsmöglichkeiten des Campher-Moleküls bei

1. Fach und Fachwissen

Niederhauser 1996, 52). Fachtexte der Geisteswissenschaften weisen eher Tabellen, Zusammenstellungen oder Strukturzeichnungen, weniger Skizzen oder Bilder auf. All diese semiotisch die schriftliche Sprache ergänzenden Präsentationsformen von Fachwissen kann man als ,Fachliches Bild‘ bündeln (s. Kalverkämper 1993 a). Sie verlangen, um ihrer Informationsaufgabe gerecht zu werden, natürlich (i) eine enge Einbindung in den Textverlauf und (ii) eine fachkundige ,Ersehens‘kompetenz bei der Rezeption.

3.

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23 Schaeder 1994 ⫽ Burkhard Schaeder: Zu einer Theorie der Fachlexikographie. In: Schaeder/Bergenholtz 1994, 11⫺41. Schaeder/Bergenholtz 1994 ⫽ Burkhard Schaeder/ Henning Bergenholtz (Hrsg.): Fachlexikographie. Fachwissen und seine Repräsentation in Wörterbüchern. Tübingen 1994 (Forum für FachsprachenForschung 23). Schmidt 1975 ⫽ Siegfried J. Schmidt: Zum Dogma der prinzipiellen Differenz zwischen Natur- und Geisteswissenschaft. Göttingen 1975. Schröder 1991 a ⫽ Hartmut Schröder (Ed.): Subject-oriented Texts. Languages for Special Purposes and Text Theory. Berlin. New York 1991 (Research in Text Theory/Untersuchungen zur Texttheorie 16). Schröder 1991 b ⫽ Hartmut Schröder: Linguistic and Text-theoretical Research on Languages for Special Purposes. A thematic and bibliographical guide. In: Schröder 1991 a, 1⫺48. Schröder 1993 ⫽ Hartmut Schröder (Hrsg.): Fachtextpragmatik. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19). Schubert 1995 ⫽ Venanz Schubert (Hrsg.): Experimente mit der Natur. Wissenschaft und Verantwortung. Interdisziplinäres Forum. […]. St. Ottilien 1995 (Wissenschaft und Philosophie. Interdisziplinäre Studien 11). Schuldt 1992 ⫽ Janina Schuldt: Den Patienten informieren. Beipackzettel von Medikamenten. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 15). Shaffer 1995 ⫽ Elinor S. Shaffer (Ed.): The Third Culture. Literatur and Science. Berlin. New York 1995 (European Cultures). Snell 1924 ⫽ Bruno Snell: Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie. Berlin 1924 (Philologische Untersuchungen 29). Sprachwissenschaftliches Colloquium 1964 ⫽ Sprachwissenschaftliches Colloquium (Bonn) (Hrsg.): Kurzmonographien I: Wörter im geistigen und sozialen Raum. München 1964 (Europäische Schlüsselwörter. Wortvergleichende und wortgeschichtliche Studien. Band II). Stachowiak 1965 ⫽ Herbert Stachowiak: Gedanken zu einer allgemeinen Theorie der Modelle. In: Studium Generale 18. 1965, 432⫺463. Störig 1982 ⫽ Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft. 1, 2. Frankfurt/M. 1982. Teske-El Kodwa 1992 ⫽ S. Teske-El Kodwa: Gewinnen von Expertenwissen: Steigerung der Verbalisierungsleistung durch methodische Intervention. (Vortrag Frühjahrstagung der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft in Braunschweig). Dresden [Eigenverlag der Technischen Universität Dresden] 1992.

24

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

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Hartwig Kalverkämper, Berlin

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Rahmenbedingungen als wissenschaftstheoretischer Leitbegriff Rahmenbedingungen von Kommunikation Rahmenbedingungen von Fachkommunikation Rahmenbedingungen von Fachkommunikations-Forschung Literatur (in Auswahl)

Rahmenbedingungen als wissenschaftstheoretischer Leitbegriff

Das Kompositum ,Rahmenbedingungen‘ bringt zwei Aspekte zusammen: Zum einen, angegeben durch ,RAHMEN‘ und dessen

Assoziationsbereich: die ,Grenzen, Vorgaben und festen Bestimmungsgrößen‘. Zum andern, repräsentiert von ,BEDINGUNGEN‘ und dessen semantischem Umfeld: die ,Voraussetzungen für Kreatives, für Dynamik, für Wenn-dann-Abfolgen‘. Eine solche Gemeinschaft eigentlich widerstreitender Aspekte ist Voraussetzung für das Selbstverständnis der Wissenschaften, seien sie Naturwissenschaften, Technologien, Geistes-, Sozial- oder Kulturwissenschaften mit ihren jeweiligen Disziplinen. In der begrifflichen Komprimierung von ,Rahmenbedingungen‘ verbinden sich ,eingrenzende Festlegung und orientierende Vorgabe‘ einerseits und ,dynamisch schaf-

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation

fende (Weiter-)Entwicklung‘ andererseits. Mit diesen beiden Fundamenten ist ,RahmenBedingungen‘ demnach ein zentraler wissenschaftstheoretischer Begriff; er kann ja auch nicht mit Objekten zusammengebracht werden und hängt vielmehr mit ,Forschen‘, ,Wissenschaft‘, ,(Aus-)Bildung‘ zusammen. So gibt es z. B. keine Rahmenbedingungen von Objekten oder Phänomenen, z. B. des Blutes, der Gesundheit, der Umwelt etc., wohl aber welche der Begegnungsweisen gegenüber den Objekten oder Phänomenen, so z. B. ⫺ für das letzte Beispiel ⫺ Rahmenbedingungen einer Umwelttechnologie, einer Umweltforschung, eines umweltorientierten Handelns, einer umweltpolitischen Verantwortung, einer umweltsensiblen Erziehung und Ausbildung usw.

Wenn der Begriff ,Rahmenbedingungen‘ Verwendung findet, dann richtet er sich folglich immer auf die geistige (kognitive, intellektuelle, systematische, analytische, theoretische, wissenschaftliche, fachgeleitete, …) Verarbeitung von Phänomenen. Dies aber setzt ein Bindeglied zwischen dem Phänomen (Gegenstand, Objekt, Sachverhalt, Handlungszusammenhang) und ebenjener Möglichkeit voraus, Rahmenbedingungen der geistigen Durchdringung, Erkenntnis, Einordnung, Beurteilung usw. ebendieses Phänomens zu setzen. Das notwendige Bindeglied ist grundlegend, weil unverzichtbar, die KOMMUNIKATION. Die Welt, die erkannt und erlebt und (z. B. kategoriell) erfaßt werden will, ja muß, kann nur durch ,Kommunizieren über sie‘ erkannt, erlebt und erfaßt werden.

2.

Rahmenbedingungen von Kommunikation

So vielfältig die Aspekte von ,KOMMUNIKATION‘ auch sind, immer ist ihr begrifflich eigen, was in ihr etymologisch als communis esse beschlossen ist, nämlich (a) die Partnerschaftlichkeit und somit (b) die Gerichtetheit von verbaler und nonverbaler (körpersprachlicher u. a.) Kommunikation (Interaktion). So läßt sich auch der zugrundeliegende wortund begriffsgeschichtliche Bezug auf lat. moenia (plural., ,Stadtmauern‘, ,Festungswerke‘, ,Haus‘; zu lat. munire 1. ,bauen‘, ,mauern‘, 2. ,befestigen‘, 3. ,verwahren‘, ,schützen‘, ,sichern‘) im Sinne von ,gemeinsame (lat. cum!) Mauern habend‘ verstehen, woraus sich dann neben den neutral-entitätischen Bedeutungen ,gemeinschaftlich‘, ,allgemein‘, ,gemeinsam‘

25 eben auch sozio-emotional gerichtete Bedeutungen wie ,zugänglich‘, ,leutselig‘, ,partnerbezogen‘ entwickelt haben. Bei diesem Zentralbegriff von Interaktion ist also die Bedeutung tätigkeitsfundiert und nimmt ihr Maß an der Arbeitswelt (,mauern‘), die ihrerseits die semantischen Einschätzungen für die sozialen Auswirkungen (von ,gemeinsame Mauern habend‘ zu ,zugänglich‘) liefert. Dies paßt vollkommen zu jenen Beobachtungen und ergänzt diese sehr evident, die die etymologisch-pragmatische Basis des ,Fach‘- und ,Fachlichkeits‘-Begriffs (s. Art. 1, Abschn. 1.) und des Begriffs der ,Fachkommunikation‘ (s. u. 3.1.1.) betonen (vgl. Kalverkämper 1992 a).

Wer zugänglich ist, ist selbstverständlich offen für den Dialog. DIALOGIZITÄT ist das konstitutive Prinzip von Kommunikation, sie ist deren natürliche Erscheinungsform und auch in der Sprache selbst in zweifacher Weise angelegt: (a) zum einen in dem Primat der Mündlichkeit; diese wäre ohne Partnerbezug und somit ,Dia-log‘, also Zweier-Rede (griech. dia¬logow dia´logos ,Unterredung‘, ,Gespräch‘, zu griech. diale¬gesqai diale´gesthai ,sich unterreden‘, ,sprechen‘ [vgl. ,Dialekt‘/,Dialektik‘]), gar nicht sinnvoll; und (b) zum andern in den anthropologischen Fundamenten der Morphosyntax von Sprache (vgl. Weinrich 1976 d; 1982, 1989 b; 1993; 1994; 1995), die in der Dualität von ,etwas bedeuten‘ (transitiv) und ,jemandem bedeuten‘ (intransitiv, im Sinne einer Instruktion) (Weinrich 1976 b; 1976 c; 1985 b) offenbar wird. Die Dialogizität ist eigentlich so zentral, daß die drei prinzipiellen Komponenten von Kommunikation, auf die speziell Karl Bühler (1934; 1965, 24⫺48) mit seinem Organon-Modell der Sprache aufmerksam gemacht hat ⫺ nämlich bekanntermaßen die „Darstellung“ (Referenten-Bezug; referentielle Funktion), der „Appell“ (EmpfängerBezug; appellative Funktion) und der „Ausdruck“ (Sender-Bezug; expressive oder emotive Funktion) ⫺, ergänzt werden müßten zu einem Vierermodell, bei dem die dialogischen Sprachfunktionen entscheidend, zumindest gleichberechtigt mitwirken: nämlich als „interrogative Funktion“ („Frage“), wie von dem Sprachpsychologen Friedrich Kainz (1965, XV; 1967, 172⫺219, spez. 172⫺185) vorgeschlagen, aber schon von dem Vorsokratiker Protagoras von Abdera (ca. 485⫺ 416 v. Chr.) als die Sprachfunktion ,Frage‘ (neben den Funktionen ,Ausdruck‘ [oder ,Appell‘], ,Befehl‘ [oder ,Auftrag‘], und ,Ant-

26 wort‘ [oder ,Bescheid‘] erkannt. Die „kommunikative Dyade“ (Weinrich 1993, 17 f) ist unabdingbare Voraussetzung für funktionierende Sprache im ⫺ mit Ludwig Wittgenstein (Philosophische Untersuchungen § 7, § 23) (1960, 293 u. 300) ⫺ „Sprachspiel“, das Sprache, Situation und Kommunikanten verbindet im Akt des sprechenden Handelns wie auch des handelnden Sprechens (was man seit den sechziger Jahren als ,Pragmatik‘ bezeichnet). Als RAHMENBEDINGUNGEN gelten für gelingende, funktionierende Kommunikation: (1) Kommunikationsrollen (Sender/Autor/Sprecher/Schreiber; Empfänger/Rezipient/Hörer/Leser); ⫺ (2) gemeinsamer Code (oder anders formuliert: relativ gleiche Teilhabe an mindestens einem Sprachsystem); ⫺ (3) zwischen den Partnern ausgetauschter oder als (z. B. literarisches) Angebot bereitgestellter Text (Botschaft); ⫺ (4) inhaltlicher Bezug auf die kognitive Projektion der Welt; ⫺ (5) (außersprachliche) Kommunikationssituation (z. B. Vorlesung im Hörsaal, Telephongespräch, Brief schreiben, in der Fabrikhalle; usw.); ⫺ (6) soziokultureller (Makro-)Kontext (,Kultureinbettung‘). Verfeinerungen sind hierzu noch möglich und sinnvoll (z. B. der Vorschlag von Gülich/ Raible 1977, 21⫺59).

Es sind also bei allem Kommunizieren personale/soziale (1⬘), sprachsystematische (2⬘), auf die Sprachverwendung bezogene (3⬘), auf den Gegenstand/Sachverhalt/Handlungszusammenhang orientierte (4⬘), situative/pragmatische (5⬘) und kulturspezifische (6⬘) Rahmenbedingungen gegeben, die stets gemeinschaftlich bei Kommunikation beteiligt sind; keine von ihnen kann fehlen, aber es können unterschiedliche Gewichtungen auftreten, die natürlich Einfluß auf den jeweiligen Text haben. Es ist also, mit einem umfassenden Begriff, der ,Kommunikationsraum‘ (auch in ihm stecken wieder die Aspekte des ,Rahmens‘ [mit -,raum‘] und der ,Bedingung‘ [mit communis esse, ,Kommunikation‘]), der sich durch die sechs prinzipiellen Dimensionen konstituiert (Sicht auf den Autor), sich jeweils anders präsentiert (Sicht auf die [verbalen und nonverbalen] Phänomene der Kommunikation zwischen den Partnern) und der folglich auch entsprechend unterschiedlich wahrgenommen wird (Sicht auf den Rezipienten). Sind diese Wahrnehmungen jeweils wissenschaftliche, so entstehen oder erweitern sich damit FORSCHUNGS(AUS)RICHTUNGEN; unter anderem: Soziologie, Soziolinguistik/Sprachsoziologie, Anthropologie (1⬙); ⫺ (Systematische) Linguistik (2⬙);

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation ⫺ Sprachverwendungs-/Parole-Linguistik, Kontrastive Linguistik, Rhetorik und Stilistik, Psycholinguistik/Sprachpsychologie (3⬙); ⫺ Sprachgeographie, Wörter-und-Sachen-Forschung, Fachsprachenforschung (4⬙); ⫺ Pragmalinguistik/Sprachpragmatik, Kommunikationswissenschaft (5⬙); ⫺ Kulturanthropologie und Kulturemforschung, Interkulturalitätsforschung (Interkulturelle Germanistik), Semiotik (6⬙).

Der Kommunikationsraum wird von diesen (und weiteren) Disziplinen wissenschaftlich analysiert. Dabei wechselten und wechseln die Interessenschwerpunkte, was die Wissenschaftsgeschichte der Linguistik begründet: So werden für die auf das Sprachsystem orientierte Linguistik [s. o. (2⬙)] üblicherweise die beiden Nachkriegsjahrzehnte bis Ende der sechziger Jahre angesehen. Für die „Pragmatische Wende“ [s. o. (3⬙), (5⬙)] wird eher der Verlauf der siebziger Jahre, in Verein mit dem Aufkommen der Textlinguistik und ihrem disziplinenübergreifenden Interesse für Handlungstheorien, angesetzt. Ab etwa Mitte der sechziger Jahre gerät der Sachbezug und die Kommunikation im beruflichen Umfeld stark in den Blick (Fachsprachen), zunehmend dann ab Mitte der siebziger Jahre genereller als Kommunikation ,im Fach‘ [s. o. (4⬙)], was sich als Forschungsinteresse und Vermittlungsanliegen auf die Kommunikation in den Wissenschaften und dann sogar auf die in den Institutionen ausweitet. Zur Zeit, seit etwa fünfzehn Jahren, findet auch die Semiotik [s. o. (6⬙)] starken Zuspruch, wohl insbesondere deswegen, weil sie den Blick weitet für die Einbettung von Kommunikation und Handeln in kulturell spezifischen Vorgaben, und gerade diese sind in etwa der letzten Dekade als forschungsrelevant (wieder-)entdeckt worden. Dazu hat sich, nicht zuletzt nahegelegt durch das breite Forschungsspektrum der Semiotik, eine Interdisziplinarität zwischen Linguistik und Psychologie, hier speziell der Kognitionswissenschaft, etabliert, deren Perspektiven als so fruchtbar für die komplex gewordenen linguistischen Fragestellungen angesehen werden [s. o. (5⬙) und insbesondere (6⬙)], daß die aktuelle Wissenschaftsposition seit Mitte der achtziger Jahre als die „Kognitive Wende“ gilt.

Der Kommunikationsraum wird seit etwa dreißig Jahren zunehmend in seiner Komplexität zur Kenntnis genommen: die SPRACHE steht zwar selbstverständlich weiterhin im Mittelpunkt des Interesses, aber nun (a) über ihren systematischen Aufbau (,Komponenten‘, ,System‘) hinaus (so die phonologische, lexikalisch-semantische, morphologische, syntaktische, makrosyntaktische/textuelle Ebene betreffend) auch (b) in ihren Abhängigkeiten (z. B. von den Kommunikationspartnern, den gesellschaftlichen/textuel-

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation

len/persönlichen u. a. Konventionen, von den jeweils aktuellen Situationen) sowie (c) in ihren Beziehungen (z. B. zu Vorwissen, zu Kenntnissystemen, zu Thementraditionen, zu den Gegenständen, Sachverhalten und Handlungszusammenhängen, zu den kulturellen Eigenheiten der Sprachgemeinschaft), und schließlich (d) in ihren Geltungsweisen (,Funktionen‘) (z. B. für die Mitteilungsabsicht, die Textsortenwahl, die Rezeptionswirkung, die Informationsleistung). Das wissenschaftliche Format der Linguistik hat sich also mit den neu erkannten Rahmenbedingungen des Kommunizierens über das bekannte und auch weiterhin in der Forschung praktizierte Selbstverständnis der philologischen Sprachwissenschaft hinaus deutlich zu einer kommunikativ, pragmatisch, funktional und kulturanthropologisch ausgerichteten Disziplin erweitert (s. auch unten: 4.).

3.

Rahmenbedingungen von Fachkommunikation

Dieses Wissenschaftsbild (s. o. 2.) ist maßgeblich angeregt und dann geprägt worden durch ein stark wachsendes Interesse an der Kommunikation (oder der Sprache) im Beruf, im Fach, im wissenschaftlichen und technologischen Forschen und Lehren. Hier liegen also jene Abhängigkeiten (b) [s. o., Ende von 2.], Beziehungen (c) und Funktionen (d), die die Sprache im Kommunikationsraum der modernen Gesellschaften bestimmen: (b⬘): Fachleute und Laien, Formen des fachbezogenen, sachspezifischen Umgangs miteinander, berufliche Situationen bei der Arbeit (z. B. in der Werkstatt) und bei deren Inanspruchnahme (z. B. Kunde mit seinem Anliegen in der Werkstatt), u. a. ⫺ (c⬘): Spezialwissen als Herrschaftswissen, Prestige des Expertentums, beruflicher und wissenschaftlicher Kenntnisausweis mit Hilfe von Terminologie-Gebrauch, Aktualität „moderner“ ⫺ und d. h. meist: gesellschaftlich brisanter und polarisierender, also öffentlich kontrovers diskutierter ⫺ fachbezogener!, ja fachlicher Fragestellungen (z. B. Genmanipulation bei Nahrungsmitteln, Ethik der Transplantation in der Medizin, Ozonloch, Chemie-Problematik, Umwelt/Ökologie, Argumentationen bei der Kernkraft-Frage, Probleme der Weltbevölkerung, High Technology in Haushalt, Beruf und Freizeit, (Aus-)Bildung und berufliche Flexibilität, Mobilität der Gesellschaft, Freizeit, Tourismus, Konsum, usw.), u. a. ⫺ (d⬘): Instruktive und informierende, Sachwissen vermittelnde bzw. mit Fachkenntnis anleitende Texte, eine Palette handlungsbezogener und sach(aus)gerichteter

27 Textsorten wie ,Patentschrift‘, ,Bericht‘, ,Protokoll‘, ,Rezension‘, ,(Arzt- und Koch-)Rezept‘, ,Gebrauchsanweisung‘, ,Montageanleitung‘, ,Enzyklopädischer Stichwortartikel‘, ,Vorlesung‘, ,Wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel‘, ,Dissertation‘, ,Laborbericht‘, ,Sachbuch‘, u. a. m.

Indem sich die Linguistik auch diesen Herausforderungen aktueller Kommunikation in der modernen Gesellschaft widmet, erweitert sie die Rahmenbedingungen der bisherigen Linguistik in Dimensionen, die sich in einem Schlüsselbegriff kondensieren, nämlich in dem Begriff ,Fach‘ bzw. dem Qualitäts-Begriff ,Fachlichkeit‘ sowie den Varianten dazu (Kompositumformen wie ,Fach-arbeit‘, Adjektive wie ,fachliche Ausbildung‘, ungefähre Synonyme wie ,Fachmann‘/,Experte‘/,Spezialist‘/,Sachverständiger‘ u. a.). Der Begriff ,Fach‘ seinerseits (vgl. Art. 1) stützt diese wissenschaftliche Erweiterung der Rahmenbedingungen, weil er seit den letzten dreißig Jahren maßgeblich an Bedeutung gewonnen hat: (a) er ist inzwischen fest eingebettet in eine breite gesellschaftliche Akzeptanz; ⫺ (b) er ist getragen von einer hohen Reputation in der öffentlichen Meinung; ⫺ (c) er wird als wichtiger Leitbegriff im Bewußtsein gehalten durch die (Aus-)Bildungssysteme und deren Ziele und (Prüfungs-)Anforderungen; ⫺ (d) er ist auffällig durch eine positive wie auch negativ-kritische, auf jeden Fall kontrovers-lebendige Resonanz in der Medien-Diskussion.

Damit sind schon die grundlegenden Aspekte zusammen: (1) Gesellschaft und ihr soziokultureller Kontext; ⫺ (2) Sachverhalte oder Handlungszusammenhänge mit besonderem ⫺ nämlich fachlichem ⫺ Status; ⫺ (3) Sprache bzw. Kommunikation mit spezifischem Profil; ⫺ (4) Kommunikationspartner mit besonderem Wissensausweis; ⫺ (5) Einschätzungstraditionen. So verknüpfen sich die Rahmenbedingungen gegenseitig und lassen sich zwar analytisch trennen, in der Vorkommenswirklichkeit aber nicht vereinzeln: (1) Auf der einen Seite das ,Fach‘ und dessen spezifische Qualität, die ,Fachlichkeit‘, deren Rahmenbedingungen eng zusammenhängen mit denjenigen (2) auf der anderen Seite: die fachsprachliche Kommunikation oder die Fachsprachen bzw. die Fachkommunikation, mit deren spezifischer Qualität, nämlich der Fachsprachlichkeit; schließlich, (3) auf der dritten, hier: der Meta-Seite, die Rahmenbedingungen der daran interessierten Linguistik, der ,Fachsprachenforschung‘ oder

28 ,Linguistik der Fachkommunikation‘, sogar noch weiter, über die Zuständigkeiten der Linguistik hinaus, aufzufassen als ,Fachkommunikations-Wissenschaft‘. Es sind also letztlich die drei Größen (1⬘) Gegenstand / Sachverhalt / Handlungszusammenhang‘ als außersprachliche Rahmenbedingung (s. 3.1.); ⫺ (2⬘) ,Gesellschaft / Kommunikation / Sprache‘ als soziale Rahmenbedingung (s. 3.2.); ⫺ und (3⬘) ,Forschung / wissenschaftliche Analyse / methodologische Reflexion‘ als disziplinäre Rahmenbedingung (s. 3.3.) zu unterscheiden. Die beiden ersten Größen passen dann auch zu den eingangs (s. o. 2.) unterschiedenen generellen sechs Rahmenbedingungen allen Kommunizierens, dann natürlich auch des fachsprachlichen; wobei die dortigen Punkte (4⬘), (5⬘) und (6⬘) zu der nun hier festgelegten außersprachlichen Rahmenbedingung (1⬘) gehören, die dortigen Punkte (1⬘), (2⬘) und (3⬘) zu der hiesigen sozialen Rahmenbedingung (2⬘); die hier noch abgeleitete dritte, die disziplinäre Rahmenbedingung (3⬘) ist ja eine metakommunikative.

3.1.

Rahmenbedingungen der außersprachlichen Welt 3.1.1. Kulturanthropologische Anfänge: Handwerk, Wissenschaft Die Welt der Gegenstände, Sachverhalte und Handlungszusammenhänge ist durch zwei kulturanthropologische Tatsachen gekennzeichnet: Der Mensch als homo sociologicus und, daraus folgernd, als homo faber und, sich daraus ergebend, als homo oeconomicus begegnet ihr gestaltend und sie nutzend: Nahrung, Wohnstatt, Handel, Kulturschaffen ⫺ das sind grob die anthropologischen Kategorien, zu denen dann weitere, so die Arbeit oder die Organisation, hinzutreten. Fundamental ist dabei die handwerkliche Tätigkeit: Ihre ältesten Ausformungen hängen direkt mit den anthropologischen Grundlagen zusammen: Fischer und Bauern, dann auch Weinbauern, Bauhandwerker und schließlich Bergbaukundige prägen mit ihrer Arbeit, mit deren Selbstverständnis und mit der Weitergabe ihres Wissens das aus, was Beruf und Fach zusammenbringt. Denn den konkreten baulichen Formen ihres Schaffens entspringt der Begriff ,Fach‘: Umrahmungen, Kästen zum Fangen, Aufbewahren und Stützen, Umfassungen als Zäune, mit Flechtwerk stabilisierte und ausgefüllte Fächer, Gefache, Fachwerkwände ⫺ sie geben bereits eine Vorstellung von den charakteristischen Merkmalen des ,Fach‘-Begriffs: Umschließende Be-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

wahrung nach innen, ausgrenzender Schutz und kaum überwindbare Abschirmung gegenüber außen (s. Art. 1, Abschn. 1.); immerhin eine Vorstellung, die sich bis in die heutige Zeit als charakteristisch für ,Fach‘, ,Fachleute‘, ,Fachsprache‘ gehalten hat: Identitätsbildung nach innen, Ausgrenzung nach außen. In Ergänzung der handwerklichen Praxis kommt in frühen Kulturstufen die theoretische Durchdringung, die intellektuell geführte Erkundung, die nach Gesetzmäßigkeiten und höheren Ordnungen suchende Erkenntnis hinzu: hier sind die Astrologen und Astronomen, in dem Zusammenhang die Priester und ihre Kaste, aber auch die Seefahrer die wohl ersten Erfahrenen. Die prinzipielle Neu-Gier des Menschen, was die Anthropologen ,Neotenie‘ nennen, ist der Motor für ein Streben nach ,Wissen‘, ,Weisheit‘ und ,Wissenschaft‘ ⫺ nicht zufällig hängen sie, die eine Kette der Intensivierung von geistiger Durchdringung meinen, etymologisch zusammen (vgl. Trier 1973; s. auch Kalverkämper 1992 a; 1996 b). Sie finden sich bei den Griechen des Altertums in dem Begriff sophı´a (griech. sofi¬a, lat. sapientia) vereint. Er bedeutet ,Kundigsein‘, ,Beherrschen von Fachlichkeiten‘, ,Könnerschaft‘, die ,auf Sachkunde und Wissen beruhende Tüchtigkeit‘; modern formuliert: er meint ,Sachwissen‘, ,systematische Einsicht‘, ,kriteriengeleitete Gestaltung‘. Aus ihm nimmt die Philo-Sophie, die freundschaftliche Annäherung des Menschen an die sophı´a, ihren Anfang (ab der klassischen Zeit 5. und 4. Jh. v. Chr.: die Epoche des Sokrates, Platon, Aristoteles). Die klassisch-griechischen Denker, insbesondere Aristoteles (384⫺322 v. Chr.), prägen dem Abendland den grundlegenden Begriff von ,Wissenschaft‘ aus (in den asiatischen oder den arabischen Kulturen ist er anders ausgelegt!), den sie dem des Handwerks (griech. te¬xnh te´chne ,Geschicklichkeit‘, ,Handwerk‘; lat. ars), zur Seite stellen und somit ein ganzheitliches kulturelles Lebensideal schaffen. Die Rahmenbedingungen des ,Wissenschafts‘-Begriffs, wie er (zumindest für die westliche Hemisphäre und ihre Ausstrahlungsgebiete) Geltung hat und Maßstab für die Forschung und wissenschaftliche Ausbildung ist, gründen in dem aristotelischen episte´me- (griech. episth¬mh)-Begriff (,Wissen‘, ,Kenntnis‘, ,Einsicht‘, ,Geschicklichkeit‘, ,Fertigkeit‘, ,Wissenschaft‘; lat. scientia), der bestimmt wird von den Komponenten ,Wahrheitssuche‘ (griech. alh¬qeia ale´-

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation

theia ,Wahrheit‘) und ,Beweisbarkeit‘ (griech. no¬ow no´os ,Einsicht‘, ,Verstand‘, ,Vernunft‘); darin erfüllt er eine eigenständige Kulturfunktion. Was in der Antike ⫺ so bei Aristoteles (Nicomachische Ethik), bei Cicero (Brutus 29, 111) oder bei Quintilian (Institutio oratoria II, 17, 41) ⫺ betont wird, nämlich: die Anbindung des theoretischen Wissens an Erfahrungswerte, an Empirie (griech. empeiri¬a empeirı´a ,Erfahrung‘, ,Kenntnis‘) und deren methodische Sichtung mit Kriterien und in Kategorien, gilt bis heute als grundsätzliche Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens und Erkennens. 3.1.2. Mentalitätsgeschichtliche Grundlagen: Fach und Fachlichkeit Aus den vorhergehenden Ausführungen (s. 3.1.1.) läßt sich ableiten, daß (a) handwerkliche Fertigkeit; ⫺ (b) theoretische Durchdringung; ⫺ (c) wissenschaftliche Reflexion; ⫺ (d) empirische Überprüfung; ⫺ (e) dies alles auf einem nach Kriterien ausgerichteten und durch Kategorien geordneten Weg, eben in einem ,methodischen‘ (griech. me¬qodow me´thodos ,Weg‘) Vorgehen, die mentalitätsgeschichtlich beglaubigten Rahmenbedingungen sind von (1) ,Fach‘ als einer Einrichtung des wirkenden Menschen bei seiner Gestaltung der Welt und in seiner durch Arbeit zielbestimmten Lebensordnung und gesellschaftlichen Organisation; sowie der mit dem ,Fach‘ gegebenen Qualität, nämlich: (2) ,Fachlichkeit‘, und zwar als ,Handeln und Wirken im Fach‘. Gerade aber weil die Mentalitätsgeschichte hier tragende Begriffe aus der Lebensorganisation der Menschheit herausgebildet und im gesellschaftlichen Gedächtnis tradiert hat, lassen diese sich auch nicht absolut bestimmen, sondern nur in ihren jeweils geltenden kultur-, bildungs- und geistes- sowie sozialgeschichtlichen Kontexten, also letztlich nur in epochenspezifischer Würdigung. Dennoch hat sich in den zweieinhalb bis dreitausend Jahren quellenhistorisch nachvollziehbarer Herausbildung von Fertigkeiten, Wissen, Reflexion, Kriterien und Wissenschaft eine GEMEINSCHAFT FUNDAMENTALER MERKMALE DER FACHLICHKEIT UND GENERELLER KONSTITUTIVA VON FÄCHERN herausgeschält (hierzu s. auch Art. 1): Zu ihnen gehören (1) die von den Griechen tradierten Charakteristika (s. o. 3.1.1.) als Ausgangsbasis. Aber natürlich gibt es auch:

29 (2) geltende Fächer-Einteilungen und übergreifende Ordnungs-Systeme, die sich an Bedarfslagen, modellgeleiteten Interessen oder methodologischen Vorgaben ausrichten (und darin dann ja auch jederzeit verändert ⫺ korrigiert, ergänzt, vereinfacht ⫺ werden können); so haben (2 a) Wissenschaft (Natur- / Geistes- / Sozial- / Kultur-Wissenschaft[en]; Leitbegriffe: Forschung, Theorie, Experimentieren), (2 b) Technik (Technologie, Angewandte Wissenschaft[en]), (2 c) Wirtschaft (Produktion, Industrie, Berufswelt, Betrieb, Werkstatt) (zu ,Technik‘ [2 b] und ,Wirtschaft‘ [2 c] übergreifend läßt sich ⫺ als Antipode zu ,Wissenschaft‘ [2 a] (die natürlich auch ein Stück in den Bereich ,Technik‘ hineinreicht) ⫺ auch Handwerk als summarische FächerOrganisation ansetzen); und zudem (2 d) Verwaltung (amtlicher Verkehr, öffentliche Institutionen, Öffentlichkeit) ihre jeweils an der Praxis orientierten Fächer-Taxonomien, ergänzt auch noch um den Bereich (2 e) Konsumtion (Verkauf, Verteilung); (vgl. Kalverkämper 1988 b, 112). Und diese sind, so gerade auch bis in die vielfältigen innerbetrieblichen Anwendungen hinein, bedarfsbezogen hierarchisiert (vgl. Art. 1). Kurzfristig entschiedene Festsetzungen oder langfristig geltende Konventionen über (i) Anzahlen (wieviele Fächer gibt es?), (ii) intensionale (inhaltliche) und (iii) extensionale (umfangsbezogene) Begrenzungen (Delimitationen), (iv) Relationen, Strukturen, Systeme von Fächern sind stets Ergebnisse angewandter, praxis-abgeleiteter, nach empirischen Gesichtspunkten wie Effizienz, Ökonomie, Funktionen oder Methoden (bzw. Methodologien) ausgerichteter Zugriffe auf die Komplexität der handelnden Menschen und der behandelten Welt (vgl. Art. 1). (3) Evidenzen, nach denen recht eindeutige ,Fächer‘ sofort aufgezählt werden können, wie Medizin, Physik, Chemie, Mathematik, Theologie, selbstverständlich auch die sogen. Schulfächer, deren epochenabhängige Geltung besonders auffällt (Schulfach im antiken Griechenland, in römischlateinischer Zeit, im Spätmittelalter, in der Renaissance, der Aufklärung, der Neuzeit mit ihren vielen Wechseln und Gewichtungen bis heute). Gerade hier sind natürlich die Vorgaben der (4) Bildungssysteme relevant, die gesellschaftliche Erfahrungen mit Fächern und Qualitäten der Fachlichkeit ausprägen. Dazu steuern einen wichtigen Beitrag auch die Positionen der (5) Wissenschaftstheorie bei, die die Gegebenheiten in Theorie, Praxis und Vermittlung analysiert, Vorgaben formuliert und ihrerseits die Rahmenbedingungen für fächerspezifische Arbeitsaufgaben und Anforderungen unter ganzheitlichen Gesichtspunkten absteckt.

Auch spielt eine Palette von gesellschaftlichen Einschätzungen eine Rolle, so (6) ein ideologieabhängiger Begriff von ,Arbeit‘ (vgl. auch Art. 1, Abschn. 1.2.2.) und ⫺ verstanden als durch Ausbildung und spezifisches Selbstverständnis konturierte Arbeit ⫺ ,Beruf‘. Deren ge-

30 sellschaftliche Reputation und soziopsychologisch hoher Stellenwert offenbaren sich gerade dann besonders auffällig, wenn Arbeitslosigkeit um sich greift. Mit der Mobilität im Informationszeitalter verändern sich die Korrelat-Begriffe von ,Arbeit‘, nämlich ,Arbeitszeit‘ und ,Arbeitsort‘, immer stärker und wirken prägend auf den ,Arbeits‘-/,Berufs‘Begriff ein. (7) ein nicht minder gesellschaftsideologischer Begriff von ,Arbeitsteilung‘. (7 a) Sie läßt sich archäologisch über sogen. Hort- oder Versteckfunde (nicht immer unterscheidbar von Opfergaben) aus Gräbern und Verstecken nachweisen, die bis in die frühe Bronzezeit (ca. 2200⫺1600 v. Chr.; Bronzezeit insgesamt bis 750 v. Chr.) zurückreichen. Die Metallbeigaben zeigen, daß sich mit dem neuen begehrten Metall gegenüber dem üblichen Stein der Wert-Begriff änderte. Die Bronze konnte wiederverwendet werden und besaß einen eigenen Materialwert (schon vergleichbar mit einer frühen Geldform), der sich noch dadurch erhöhte, daß nur wenige Kupfer- und Zinnvorkommen bekannt waren. Für den Erzabbau in den Bergwerken waren viele Menschen nötig, die ausschließlich damit beschäftigt waren und folglich von den übrigen, die auf den Feldern arbeiteten, miternährt werden mußten. In dieser Situation entstand die wohl erste gesellschaftliche Arbeitsteilung mit den ersten Berufen (wie Bergmann, Bauer, Bronzeschmied). (7 b) Spätestens ab dem 14. Jh. ist das arbeitsteilende Prinzip der Gemeinschaften in Europa herausentwikkelt, um sich dann (7 c) im 18. Jh. voll durchzusetzen, was seitdem (7 d) die Grundlage für das Verständnis von ,Fach‘ als einem abgegrenzten Gebiet im Spektrum der zahlreichen handwerklichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Betätigungen war. Das kulturhistorische Konzept der Arbeitsteilung mit den großen Wellen (i) der „Naturwissenschaftlichen Revolution“ in der Renaissance des 16. und frühen 17. Jh. (Entdeckung des Experiments als Methode [Francis Bacon]), (ii) der „Industriellen Revolution“ im 19. Jh. (Dampfmaschine) und (iii) der „Zweiten industriellen Revolution“ nach dem Zweiten Weltkrieg (Automatisation, Kernenergie, Telekommunikation, Elektronik), bis hin zu (iv) der schon proklamierten „Dritten industriellen Revolution“ der neunziger Jahre des 20. Jh. (Schlüsselstellung der Mikroelektronik unter den Technologien) läuft heute unter dem Stichwort ,Spezialisierung‘. Das führt zu einer Isolierung in der beruflichen Arbeit, zu einer Partikularisierung der fachlichen Zuständigkeit, deren Auswirkungen im schlimmsten Fall mit dem pejorativen Etikett des „Fachidioten“ (griech. i¬diow ´ıdios ,eigen‘, ,eigentümlich‘, lat. species) belegt werden. Doch wird dem inzwischen auch schon wieder der berufliche ,Generalist‘, das ,Studium generale‘, die ,Allgemeinbildung‘ (s. u.) als Wert ⫺ entsprechend dem humanistischen Ideal der universitas ⫺ entgegengesetzt. Diese Verengung des Handelns, damit aber auch die Vertiefung des dafür notwendigen Könnens

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation und Wissens, also die ,Spezialisierung‘ als kognitiver, pragmatischer und sozialer Prozeß (und als wissenschaftsevolutive Voraussetzung) ist in der Gesellschaft so deutlich bewußt, daß das dazu notwendig zugehörige (s. u. 3.2.1.) Kommunikationsmittel ⫺ die Fachsprache ⫺ in den anderen europäischen Sprachen mit ebendiesem Merkmal als dem rahmenbedingenden Ausweis bezeichnet wird: mit engl. languages for special purposes (vorzugsweise gebraucht bei wissenschaftlicher Betrachtung der Fachsprachen), engl. languages for specific purposes (gewählt bei der didaktischen Behandlung von Fachsprachen), franz. langues de spe´cialite´, span. lenguas de especializacio´n, katalan. llengües especialitzades, port. linguagens de especializac¸a˜o, ital. lingue speciali, russ. special’nyj jazyk. (8) eine bestimmte Wertschätzung des Fachmanns (Experten/Spezialisten/Sachverständigen/ Gelehrten/Wissenschaftlers/Forschers/…) im gesellschaftlichen Leben; und damit auch (9) eine Einschätzung und begriffliche Vorstellung wie auch lebenspraktische Bewußtheit für ,Alltag‘; daß dieser keine zu vernachlässigende Größe ist, hat inzwischen die Alltagsforschung und, mit wissenschaftlichen Instrumentarien und empirischsoziologischen Methoden, die sogen. Ethnomethodologie erkannt (Alfred Schütz, Harald Garfinkel, Aaron Victor Cicourel u. a.) (vgl. Art. 1, Abschn. 1.2.2.(1)). Ebenso (10) eine entsprechende Ansicht vom ,Laien‘ und vom ,Nichtwissen‘ (vgl. Art. 1, Abschn. 2.1.); und damit wiederum zusammenhängend (11) eine zugewiesene gesellschaftliche Rolle der Allgemeinbildung, die auf den antiken und dann humanistischen Gedanken der universitas zurückgeht (er zeigt seine Attraktionskraft z. B. in entsprechenden Formen der Fernsehunterhaltung, von Quizsendungen, der Talk Show u. a.). Schließlich auch das (12) Prestige und der soziale Status (es gibt Prestige-Berufe, in der heutigen Zeit z. B. den Arzt oder ⫺ Gesellschaft, Kulturwerte und Politik maßgeblich beeinflussend ⫺ den Juristen).

Auch setzen die verschiedenen Kulturkreise, Völker oder Gruppen sowie deren sich verändernde Epochen durchaus (13) unterschiedliche Interessenschwerpunkte und bilden jeweils (14) besondere Fertigkeiten heraus, die sich dann auf das Verständnis von ,Fach‘ und ,Fachlichkeit‘ sowie von ,fachlichem Handeln‘ verstärkend auswirken und damit den Grund legen für eine wechselvolle Kulturgeschichte: So richtet die griechische Antike ihr Hauptaugenmerk auf medizinische Probleme, naturkundliche Phänomene, mathematische Fragestellungen, philosophische Herausforderungen. Die Römer zeigen ihre Stärke in der Jurisprudenz, Verwaltungsorganisation, Baukunst (Architektur) und auch Landwirtschaft. Im Mittelalter regt sich großes In-

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation teresse für praktische Naturkunde (Alchimie, Medizin), Bergbau, Handwerk. Die Renaissance des 16./frühen 17. Jh. bringt die „naturwissenschaftliche Revolution“ mit der Entdeckung des Experiments als Methode. Das 18. Jh., die Aufklärung, sichtet und kompiliert das in der Tradition Beobachtete, Erkannte und bislang Erforschte und versucht, Ordnung nach wissenschaftlichen Maßgaben in die aufgetürmte Menge an Wissen zu zwingen (Nomenklaturen, Lexikographie [Enzyklopädien]) und prägt einen positiven Begriff von ,Gelehrtentum‘ und ,Wissenschaft‘ aus.

Die Fächer und die Fachlichkeit in der modernen Zeit, des 20. Jh., sind auf ihrem nachvollziehbaren zweieinhalbtausend Jahre alten Weg aus ihrer ehemals bestaunten Eigenqualität, die ihr die hermetischen Wissenskasten und geschlossenen Führungsschichten zubemessen hatten, nunmehr in die bildungsoffenen demokratischen Gesellschaften der Neuzeit gelangt und übernehmen dort eine prägende Funktion: jetzt ist Wissen eine anbietbare Ware, ist die Ausbildung ein verteilbares Gut, ist das Können ⫺ es hat mit ,Kenntnis‘ zu tun ⫺ ein breitenwirksamer Anspruch, gehört Fachlichkeit zur kollektiven Lebenserfahrung, wird fachliches Handeln zu einem Bemessungsfaktor für Lebensstandard, Fachzugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Ortungsmuster. Gesteuert und eingelöst wird dies über den alleinigen Weg öffentlicher Ausbildung, Wissensvermittlung, Bildung, nämlich durch Kommunikation in der und für die Gesellschaft. Hier liegt die soziale Rahmenbedingung für Fachkommunikation. 3.2. Soziale Rahmenbedingungen Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Fachkommunikation beziehen sich, gemessen an den personalen und interpersonalen sowie an den relevanten sachlichen Komponenten von Kommunikation (s. o. 2.), auf folgende Träger: (1) auf die eng determinative Trias von (a) Sender und Empfänger ⫺ (b) Text zwischen ihnen ⫺ (c) Gegenstand, Sachverhalt, Handlungszusammenhang als Referent (Kommunikationsanlaß, Mitteilungsintention, Bezugsobjekt) des Textes; (s. 3.2.1.); (2) auf die psychosozialen Besonderheiten der Kommunikanten, soweit sie für Fachkommunikation von Wichtigkeit sind (s. 3.2.2.); (3) auf die Fachtexte, ihrerseits Realisationen von Fachsprache, mit den spezifischen Charakteristika, denen Ausweis-Charakter für (textuelle) Fachsprachlichkeit als Korrelat der (außersprachlichen) Fachlichkeit eigen ist (s. 3.2.3.).

31 3.2.1. Partner, Text und Referenzobjekt: Fachlichkeit durch Fachkommunikation Die Fachlichkeit als eine außersprachliche Qualität von ,Fach‘, gleichsam als dessen Ausweis, kann keine absolute Zuordnungsgröße sein; dies allein schon deswegen nicht sicher, weil ja das Fach als solches den gesellschaftlichen Erfordernissen und institutionellen, wissenschaftlichen und berufssystematischen Bedürfnissen gleichsam angepaßt wird bzw. werden kann (s. o. 3.1.2.), also sich letztlich als eine relationale Zuordnungs-, Einteilungs- oder Ausschnittsgröße „der Welt“ offenbart. Sein Charakteristikum, die Fachlichkeits-Qualität, ist aber ihrerseits ebenfalls nicht natura vorhanden, also durchaus nicht dem außersprachlichen Gegenstand, Sachverhalt oder Handlungszusammenhang gleichsam anhaftend oder mitgegeben oder inhärent; vielmehr wird dies nur erstellt, geschaffen, die Fachlichkeit wird konstituiert, und zwar durch ,Kommunizieren darüber‘, genauer: durch die Art und Weise des ,Kommunizierens darüber‘ (Kalverkämper 1996 b, 132⫺135, 160 f; Raible 1981, 21). Einem Apfel ist genausowenig oder genausoviel an Fachlichkeit eigen ⫺ als natürlicher Eigenschaft ⫺ wie einem Fernsehturm, einem Automotor oder einer Blinddarmoperation. Daß man dennoch fachliche Unterschiede sieht zwischen einem Apfel und einem Apfelkuchen, zwischen einem Klotz Eisen und einem Motorblock, zwischen dem Ausnehmen einer Forelle und der Herztransplantation bei einem Patienten, ist dabei völlig unbestritten, weil evident. Nur erhebt sich die Frage: Woher weiß man das? Das ist möglich, weil der Mensch über die Welt und über sein Handeln in der Welt kommuniziert. Genau damit schafft er die Fachlichkeit in der Welt. Man kann über einen Gegenstand ⫺ z. B. einen Apfel ⫺ kommunizieren als Genießer, Hungriger, Obstfreund, Vegetarier, Biobauer, LKW-Spediteur, Supermarktkäufer, Marktverkäufer, Schulkind, Zigaretten-Neuabstinenzler, Chemiker, Biologe, Umweltschützer, Theologe (Eva!), Lehrer, EG-Kommissar, Mediziner, Semiotiker (Symbolwert!) usw. ⫺ erst durch das Sprechen über den Apfel wird klar, wie er von dem Sprecher gesehen wird, welche fachliche Sichtweise der Sprecher einnimmt. Der Apfel selbst ist kein fachlicher (und natürlich auch kein nicht-fachlicher) Gegenstand ⫺ wie sollte er auch eine Kategorie des menschlich geordneten Handelns in sich bergen oder an sich zeigen?; er wird dazu gemacht durch die Sichtweise, in der Aussagen über ihn oder mit Hilfe von ihm getroffen werden. Von den abstrakteren Begriffen ist ,Landschaft‘ ein anderes Beispiel: Landschaft aus der Sicht des Malers, des Geographen, des Bauern, des Um-

32 weltschützers, des Wanderers, der Verkehrsplaner, der Industrie, des Dichters … usw. (vgl. Hardt 1970; Raible 1979).

Grundsätzlich muß klar sein, daß die Fachlichkeit als Qualität eines Gegenstandes, Sachverhalts oder Handlungszusammenhangs ,im Fach‘ keine naturgegebene, sondern vielmehr eine durch Kommunikation darüber verliehene, eine durch entsprechende (Fach-) Kommunikation konstituierbare Qualität, also im Grund eine kommunikative Qualität ist (s. Raible 1981; Kalverkämper 1983 a; 1988 a; insbes. 164; 1996 b, Kap. 2.3.). Wenn dieser Eindruck durch fachliche Kommunikation sich mit der Zeit immer mehr selbst verstärkt, entsteht durch die Tradition der Texte der gefestigte, dann konstante Eindruck, daß mit dem bestimmten Themenbereich oder mit dem und dem gegebenen Gebiet selbstverständlich auch eine ihm eigene Fachlichkeit gegeben sei. In Wirklichkeit aber ist es (i) die Texte-Tradition ⫺ das Kommunikations-Vorwissen, die trainierte Erwartung (die ja ihrerseits auch wieder aus Texten und Erfahrungen mit einschlägigen Kommunikationssituationen aufgebaut worden ist und ständig weiter wächst und korrigiert wird) ⫺, und es sind dann natürlich auch (ii) die Lernwege (Alltagswissen, Lehre, Ausbildung, Studium, Forschung), die es nahelegen und evident werden lassen, ,Fachlichkeit‘ anzunehmen und ,fachliche Gegenstände, Sachverhalte oder Handlungszusammenhänge‘ aufzuzählen.

In diesem Verhältnis zwischen Fachlichkeit durch Fachsprachlichkeit der Kommunikation ⫺ oder einfacher: Fachlichkeit durch Fachkommunikation ⫺ wird deutlich, daß man die ,Rahmenbedingungen‘ gleichsam aufteilen muß: (1) Der Rahmen für das Fach ist die außersprachliche Welt (s. o. 1.); die Bedingungen der Fachlichkeit ⫺ der fachlichen Qualität ⫺ darin aber ist die Fachkommunikation. ⫺ (2) Der Rahmen der Fachkommunikation sind ⫺ mindestens ⫺ die Partner (als Fachleute wie auch als [interessierte, gebildete] Laien), die Welt und die Sprache; die Bedingungen für Fachkommunikation in diesem Rahmen sind die fachbezogenen bzw. fachlichen Situationen und die Fachsprache(n). ⫺ Funktionierende Träger der Fachkommunikation sind also nicht spezielle Weltausschnitte oder bestimmte Inhalte, sondern (1) der Autor (noch nicht einmal so sehr der Empfänger!) (s. u. 3.2.2.) und (2) der sprachliche Ausweis des Textes in seiner ⫺ nicht: in (irgend)einer! ⫺ Kommunikationssituation (s. u. 3.2.3.).

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

3.2.2. Kommunikanten in der Fachkommunikation Wer fachbezogen kommuniziert, bringt dafür persönliche Voraussetzungen mit, wie: (a) manuelle Geschicklichkeit, intellektuelle Fähigkeiten; ⫺ (b) dynamische Qualitäten wie Zielstrebigkeit und Verknüpfungsfähigkeit von faktischem und strategischem (Handlungs-)Wissen; ⫺ (c) Urteilsfähigkeit, kriteriengeleitete Entscheidungskraft bei Alternativen; ⫺ (d) selbständiges Mitdenken und Handeln; ⫺ (e) Kommunikationsfähigkeit; ⫺ (f) Belastbarkeit; ⫺ und über diese prinzipiellen hinaus, noch mögliche weitere individualpsychische Qualitäten.

Solche Anlagen können innerhalb sozialer Rahmenbedingungen ausgebaut werden: durch (1) Alltagserfahrung sowie (2) Lehre, Studium, Aus-, Weiter-, Fortbildung. Als dann wieder rückgeführtes persönliches Ergebnis kann man danach (3) Zuwachs an Spezialkenntnissen, hier insbesondere zu einem Sachgebiet bzw. Handlungszusammenhang, für sich verbuchen, der sich ausweist in dem (4) Aufbau eines spezifischen Arsenals sprachlicher Kommunikations-Notwendigkeiten (insbesondere: Termini) und Konventionen (zu Texten, Textsorten, Sprachhandlungen, kommunikationspragmatischen Abläufen), was (5) als Bündelung von Wissen und Können, also als ,Kompetenz‘, dann wieder sozial nutzbar wird in der Produktion, Entwicklung, Weitervermittlung bzw. Lehre, u. a. Es ist damit eindeutig, daß die Kommunikanten als eine der Rahmenbedingungen für Fachkommunikation eine prozessuale Größe sind: es ist stets der Fortschritt vom LaienStatus zum Status des Fachmanns, also der fachlich ausgewiesenen und fachsprachlich erkennbaren und sich äußernden Person, der hier zentral ist (s. Art. 1, Abschn. 2); das verwundert ja auch nicht, weil es sich um ,Fachkommunikation‘ handelt, und die kann nicht starr oder monolithisch sein. 3.2.3. Fachsprache Als dritte zentrale gesellschaftlich verankerte Rahmenbedingung für Fachkommunikation gilt selbstverständlich das Kommunikationsmittel, also die Fachsprache. Sie ist die von allen Rahmenbedingungen bislang am besten erforschte Größe, wobei man zwar in den dreißiger Jahren im Zuge einer pragmatisch und international ausgelegten Wirtschaftslinguistik (s. Art. 30) insbesondere terminologische (Übersetzung, Angleichung, Normung),

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation

aber auch praxisbezogene textsortenspezifische Fragen (Handelskorrespondenz) verfolgt hat, aber eine methodisch umfassende und in ihrem Selbstverständnis eigenprofilierte Fachsprachenforschung ⫺ die ja ihrerseits zunächst mit den Fachwörtern, dem Fachwortschatz, den Termini, der Terminologie, dann als Disziplin: mit der Terminologiearbeit, -lehre und dann -wissenschaft Anfang der dreißiger Jahre einsetzte (Wüster 1931) und sich in den siebziger Jahren breit und eigenständig etablierte (Wüster 1979; Felber/ Budin 1989; Picht 1993; Wiegand 1979) (s. Kap. XXIII u. Kap. XXIV) ⫺ kann man erst ab etwa der zweiten Hälfte der sechziger, eher mit Beginn der siebziger Jahre ansetzen. Für den damaligen Stand der Forschung gilt die 1. Aufl. von Lothar Hoffmanns Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung (Berlin 1976. ⫺ [2. völlig neu bearb. Aufl. Berlin 1984/Tübingen 1985; 3. Aufl. Berlin 1987]) als unbestrittener Klassiker. Eine hilfreiche Ordnung und summierende Selbstfindung der Disziplin ,Fachsprachenforschung‘ brachte zu jener Zeit auch die 1. Aufl. von Hans-Rüdiger Fluck Fachsprachen. Einführung und Bibliographie (Tübingen 1976. ⫺ [2. durchges. u. erw. Aufl. 1980; 3. aktualis. u. erw. Aufl. 1985; 4. Aufl. 1991: 5. aktualis. u. erw. Aufl. 1996]). Eine Präsentation des bis dahin geleisteten Forschungsstandes bot Walther von Hahn (1981) als eine wissenschaftshistorische Basis für zukünftige „Wege der Forschung“.

Seitdem interessieren sich für das Thema ,Fachsprachen‘, inzwischen erweitert gesehen (gemäß den allgemeinen Rahmenbedingungen von ,Kommunikation‘ (s. o. 2.)), für das Thema ,Fachkommunikation‘: (a) die moderne Linguistik, insbesondere (b) die Angewandte Linguistik; (b) die Übersetzungswissenschaft; (c) die einzelnen Sachfächer und Berufsausbildungen (Stichwort: ,Sprache im Beruf‘) sowie (d) die Institutionenforschung (Stichwort [vgl. Art. 51⫺54]: ,Effiziente Kommunikation im Management‘, ,Bürger-Verwaltung-Kommunikation‘ bzw. ,Kommunikation in Institutionen‘ [s. Becker-Mrotzek 1990⫺1992; 1992; Steger 1989], ,Büro-Medien‘, ,Mensch-Maschine-Kommunikation‘ [vgl. Art. 95⫺97]).

Und das Thema interessiert als Herausforderung und Ergänzung (vgl. Art. 1): (e) die Philologie; (f) die Wörterbuchforschung (Metalexikographie); (g) die verschiedenen Sachwissenschaften mit Bewußtsein für ihre sprachlichen Darstellungs-, Kommunikations- und Vermittlungsweisen; (h) die Interkulturalitätsforschung und (i) die Semiotik.

Fachsprache als inkludierte Manifestation von Fachkommunikation ist eingespannt in

33 zwei prinzipielle Vorgaben, dies im realen Vorkommen (objektsprachlich) wie in der wissenschaftlichen Analyse (metasprachlich): (1) Problem des Status von ,Fachsprache‘ (s. u. 3.2.3.1.) (vgl. Art. 18); (2) Manifestationsweisen von ,Fachsprache‘ und ihre Phänomene (fachsprachliche Charakteristika) (s. u. 3.2.3.2.) (vgl. Art. 3). 3.2.3.1. Status von ,Fachsprache(n)‘ (a) Der Ausdruck ,die Fachsprache‘, im Singular, und verstanden im Rahmen einer bestimmten Einzelsprache, z. B. Deutsch oder Französisch, verlangt nach einer attributiven Ergänzung: die deutsche Fachsprache des Bergbaus / der Automobiltechnik / der Dermatologie / der Medizin / der Sozialwissenschaften / usw. Hier wird die sprachliche Entität einer fachlichen zur Seite gestellt, erhält die sprachliche ihre Spezifizierung durch Zuordnung zu einem Fach. Wie das Fach seinerseits sich rechtfertigt ⫺ man beachte allein in den Beispielen oben kritisch das undifferenzierte Nebeneinander von ,Dermatologie‘ und ,Medizin‘ ⫺, wird nicht gesehen, das Fach wird einfach „gesetzt“. Die Bestimmung der Fachsprache ist hier abhängig von der außersprachlichen Vorentscheidung über ein wie auch immer konstituiertes Fach (Fachgebiet). (b) ,Die Fachsprachen‘, im Plural, im Rahmen der einzelsprachlichen Geltung signalisiert eine Vielzahl von schwierig zu bestimmenden ⫺ s. (a) ⫺ einzelnen Fachsprachen. (c) ,Die Fachsprachen‘, im Plural, aber nun übereinzelsprachlich gemeint, lenkt den Blick auf Gleichheiten, wie sie im Vergleich vieler einzelsprachlicher Fachsprachen ⫺ s. (b) ⫺ erkennbar werden (und auch schon gefunden worden sind). Über den Zugriff einer „kontrastiven Fachsprachenforschung“ (Baumann/Kalverkämper 1992) lassen sich generalisierende Aussagen treffen, die das Insgesamt fachsprachlicher Spezifika gegen andere Auffälligkeiten, z. B. sondersprachliche (s. Art. 13), abheben. (d) ,Die Fachsprache‘, im Singular, aber gegenüber (a) hier im Verständnis übereinzelsprachlicher Geltung, vertritt einen universalistischen Anspruch und meint „das Fachsprachliche“ als ein prinzipielles Charakteristikum, das sich ⫺ indem die Mittel aller Ebenen des Sprachsystems spezifisch genutzt werden ⫺ in vielen Manifestationsweisen der Kommunikation zeigt, was sich demnach auf die Einschätzung des Kommunikats als ,fachsprachlich‘ auswirkt. Nach der Anregung eines Universalienkonzepts durch Widdowson

34 (1979) fand es für ,die Fachsprache‘ durchaus beifällige Aufnahme (z. B. Schwanzer 1981; Ulijn 1979), wenngleich gerade wegen des eher impressionistischen Anspruchs ohne eine hinreichende empirische Ausstattung bislang berechtigte Zurückhaltung angebracht erscheint (Gläser 1992, 83⫺86; Laure´n 1993). 3.2.3.2. Manifestationsweisen von Fachsprache Mit ,Manifestationsweise(n)‘ sollen, entsprechend der heuristischen Trennung in Langue und Parole, in begrifflicher Vereinigung (i) die Seinsweisen (systembezogen) und (ii) die Vorkommensweisen (realisierungsbezogen) von Fachsprache(n) gemeint sein. Die Manifestationen finden sich, ähnlich wie bei der Status-Frage (s. o. 3.2.3.1.), (i) in übereinzelsprachlicher, also genereller, und (ii) in einzelsprachlicher Geltung. Mit den übereinzelsprachlichen Manifestationsweisen hängen zusammen: (1) die Bestimmung als Varietät: s. u. (a); ⫺ (2) die Festlegung von kommunikativen Konstellationen: s. u. (b); ⫺ (3) die Zusammenstellung der spezifischen Merkmale als fachsprachlicher Ausweis: s. u. (c); ⫺ (4) etliche Gesichtspunkte der innersprachlichen Beziehungen: s. u. (d). Als einzelsprachlich gebundene Manifestationsweisen zeigen sich (5) ebenfalls ⫺ wie bei (d) ⫺ etliche Gesichtspunkte der innersprachlichen Beziehungen: s. u. (e); ⫺ (6) einige Schwerpunkte der zwischen- bzw. fremdsprachlichen Kontakte: s. u. (f). (a) Bestimmung als Varietät Die Linguistik der neunziger Jahre nimmt, nach Phasen idealisiert-unnatürlicher und realitätsferner Vorannahmen für ihre Theoriebildung und Analyse (so bis Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre im Strukturalismus und bei der Generativen Transformationsgrammatik), die Komplexität von Kommunikation für ihre Methodologie, ihre Analyse-Instrumentarien und ihre Argumentation ernst. ,System‘ und ,Verwendung‘ werden nicht einseitig gewichtet oder gar als Gegensätze gesehen: In bildlicher Vorstellung läßt sich die Komplexität ganzheitlich als „Orchestrierung“, „Register“ (im weiten Sinn), „System von Varietäten“, „Polysystem“ oder „Architektur“ fassen. Die Dimensionen, die Coseriu (1966, 192; 1981 [1958]) für die Architektur der Sprache ansetzt und zwischen denen sich der Sender und

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Empfänger als permanente, aber unterschiedlich gewichtete Rahmenbedingungen bei der Kommunikation notwendig bewegen, umfassen: (i) ,Raum‘ (mit den ,Dialekten‘ als dia-/syntopischer Variation der Sprache); ⫺ (ii) ,Gesellschaft‘ (,Soziolekte‘, stratische Variation); ⫺ (iii) ,Zeit‘ (,Stadien‘, chronische Variation); ⫺ (iv) ,Sprechsituation‘ (,Register‘, phasische Variation);

Steger (1983, 36⫺38) fügt noch hinzu: (v) die ,Funktion‘ (,Funktiolekte‘) und (vi) das ,Medium‘ (,Mediolekte‘).

Für Fachsprache in der Fachkommunikation gilt, daß sie wohl angemessen im Schnittpunkt zwischen gesellschaftlich gegliederter Varietät (Soziolekt) und dem an die Sprechsituation gebundenen Sprachgebrauch (Register, Niveau) angesiedelt werden kann: Fachsprachen als soziale Varietäten. Indem fachsprachliche Mittel für ein fachliches, weil fachbezogenes Kommunizieren durch Fachleute bereitgestellt sind, fällt neben der starken sozialen Bindung (Fachleute) auch die zweckgebundene Verknüpfung von Sprechen/ Schreiben und Handeln (Fach, Fachgebiet, Beruf), von Kommunikation-im-Fach, auf, was die Fachsprachen auch als Funktiolekte ausweist, eben als sprachliche Funktion von „ihrem“ Fach (was an die oben in Punkt 3.2.3.1. (a) geschilderten Schwierigkeiten erinnern läßt). (b) Festlegung von kommunikativen Konstellationen Als funktionale Soziolekte und sozial gebundene Funktiolekte ⫺ s. o. (a) ⫺ ermöglichen es die Fachsprachen, daß die Kommunikationspartner sich jeweils aufeinander und auf ihren Gesprächsgegenstand einstellen können. (Dies war ja schon bei dem Beispiel ,Apfel‘ vorgestellt worden ⫺ s. o. 3.2.1. ⫺, dort allerdings unter dem Gesichtspunkt der Konstitution von außersprachlicher Fachlichkeit durch Kommunikation).

Diese soziale und funktionale Flexibilität läßt sich auf sieben typische Konstellationen im Prozeß fachlicher (fachbezogener, sachorientierter) Kommunikation zurückführen (Kalverkämper 1983 a: 143⫺149; zur „Vertikalität von Wissen“ s. auch Wichter 1994): (1) der Fachmann eines Faches spricht mit dem Fachmann seines Faches über Inhalte seines Faches; als Strukturformel [Exp für ,Experte‘, F für ,Fach‘]:

Exp F1 ⫺ F1 ⫺ Exp F1

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation (2) der Fachmann eines Faches spricht mit dem Fachmann seines Faches über Inhalte eines ganz anderen Faches:

Exp F1 ⫺ Fx ⫺ Exp F1 (3) der Fachmann eines Faches spricht mit dem Fachmann eines anderen Faches über Inhalte seines bzw. dessen Faches:

Exp F1 ⫺ F1 ⫺ Exp F2 Exp F1 ⫺ F2 ⫺ Exp F2 (4) der Fachmann eines Faches spricht mit dem Fachmann eines anderen Faches über Inhalte eines gänzlich anderen Faches:

Exp F1 ⫺ Fx ⫺ Exp F2 (5) der Fachmann eines Faches spricht mit einem Nicht-Fachmann (d. h. einem [interessierten, gebildeten, lernwilligen, „mündigen“] ,Laien‘ [L]) (seines Faches) über Inhalte seines Faches:

Exp F1 ⫺ F1 ⫺ L F1 (6) der Fachmann eines Faches spricht mit einem Nicht-Fachmann (seines Faches) über Inhalte eines ganz anderen Faches:

Exp F1 ⫺ Fx ⫺ L F1 (7) zwei Nicht-Fachleute sprechen über ein Fach:

⫺ Fx ⫺ Die Kategorien ⫺ Exp, F, L ⫺ und ihre Merkmale sind soziologischer Art (bei den Kommunikanten im Sinne von „Rollen“) und außersprachlich begründet; sie sind keine linguistische Kategorien. Ihre Zuordnung zu Konstellationen ist trotz der Typisierung hier doch relativ zu verstehen:

L1

L2

So kommt die Position Exp F2 gegenüber Exp F1 in Konstellation (3) ja durchaus der Position eines Laien gleich, liegt also parallel zu Konstellation (5); dabei ergeben sich noch Affinitäten bei F, indem die Nähe und Ferne von F1 und F2 den Verstehensgrad zwischen den Kommunikanten bestimmt (z. B. Medizin als F1 und Biologie als F2, oder ⫺ als Berufe z. B. ⫺ Schlosser und Autowerkstattmonteur sind affin und überlappen und ergänzen sich sogar weithin; dem gegenüber z. B. Chemie und Linguistik [als Fächer] oder z. B. Friseur und Schuster [als handwerkliche Berufe] bzw. z. B. Friseur und Lehrer [als Berufe unterschiedlicher fachlicher Organisation] mit weiter Distanz zueinander). Auch der chronologische Aspekt ist zu beachten: So ist schon innerhalb eines bestimmten Faches der mit dem Lernen Beginnende (Ausbildung, Lehre, Studium) ein ,Laie‘ gegenüber dem schon langjährig Erfahrenen. Der Begriff des ,Laien‘ ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft sowieso ein problematischer (s. Art. 1, Abschn. 2.1.).

35 Von den sieben Konstellationen dürften drei einen prototypischen Stellenwert innehaben, weil sie prinzipielle kommunikative Beziehungen repräsentieren; (vgl. Möhn/Pelka 1984: 26): (1) innerfachliche oder intrafachliche oder fachinterne Kommunikation (d. h. also innerhalb der jeweiligen Fächergrenzen); das entspricht oben der Konstellation (1), eventuell auch (2); (2) interfachliche Kommunikation (d. h. zwischen den einzelnen Fächern, also die Grenzen der einzelnen Fächer überschreitend), und dies (i) kooperativ wie auch (ii) kontrastiv; dies entspricht oben den Konstellationen (3) und (4), eventuell auch (2); (3) fachexterne Kommunikation (d. h. fächerüberschreitend, sich an interessierte Laien mit fachlichen Inhalten in einer entsprechend aufbereiteten Auswahl und sprachlichen Darstellungsweise wendend); das entspricht oben den Konstellationen (5) und (6). ⫺ Der Ausdruck wird trotz seiner Analogie zu den beiden anderen nur mit kritischer Haltung gewählt, weil ,extern‘ kein Merkmal hat, das Direktionalität ausdrückt, was aber genau hier gemeint ist; man spricht eher und genauer von ,Fachmann-Laie-Kommunikation‘ (,ExpertenLaien-Kommunikation‘).

Diese drei grundlegenden Relationen zeigen, wie stark die außersprachlichen Größen ,Fach‘ und ,Kommunikationspartner‘ in der und durch die Kommunikation ⫺ also mit der Sprache, den Texten, den Texten-in-ihren-Kommunikationssituationen ⫺ bestimmt werden und sich zu einer komplex-ganzheitlichen Rahmenbedingung zusammenfinden. (c) Spezifische Merkmale Von spezifischen Merkmalen der Fachsprachen, dabei übereinzelsprachlich geltend, auszugehen, besagt zweierlei: (1) Zum einen die Erkenntnis, daß mit wählund setzbaren (Autor-Seite) und in ihrem fachsprachlichen Wert erkennbaren (Empfänger-Seite) Signalen eine Abgrenzung, eine ,Verbesonderung‘ erreicht werden kann, es folglich ein Arsenal von Trägern der spezifischen ⫺ hier: fachsprachlichen ⫺ Aussagequalität gibt. Und (2) zum anderen, daß (2 a) bei geringer Anzahl der isolierbaren Besonderheiten es nicht gerechtfertigt ist, ein eigenes fachsprachliches ,System‘ anzunehmen; und daß (2 b) über diesen quantitativen Aspekt hinaus auch die fehlende „reine“ Vorkommensform der gefundenen fachsprachlichen Charakteristika es verhindert, eine fachsprachliche Eigenständigkeit zu postulieren. Eher ist es so, daß sich die fachsprachlich signifikanten Merkmale einfügen in das gesamtsprachliche Ganze und ihre Signifikanz durch Präferenz im Gebrauch und demnach mit deutlicher Funktio-

36 nenbesetzung ⫺ nämlich auf das Signal ,fachsprachlich!‘ hin ⫺ erlangt haben [s. u. auch (e), dort Punkt (1); und vgl. Art. 3].

Als von der Fachsprachenforschung inzwischen erkannte Auffälligkeiten in Fachtexten gelten folgende Charakteristika; bzw. ⫺ über die einzelsprachlichen Möglichkeiten hinaus ⫺ folgende Strukturen (vgl. Kalverkämper 1990, 119⫺122; ⫺ Baumann 1992; Fluck 1976; Göpferich 1995; von Hahn 1983; Hoffmann 1985; 1988; Ickler 1997; Kalverkämper/ Baumann 1996; Oksaar 1988; Schröder 1993 a): Terminologisierung, Internationalismen; ⫺ Komposition, Derivation; ⫺ Kasus-Besetzung (in KasusSprachen; im Deutschen z. B. der wissenschaftssprachliche Genitiv); ⫺ Funktionsverbgefüge (ist umstritten; vgl. von Hahn 1981, 4 f; 1983, 111ff); ⫺ Passiv-Bevorzugung, Deagentivierung; ⫺ Partizip, Infinitiv, Gerundiv; ⫺ Tempus-Dominanz (Präsens); ⫺ Personen-Wahl (3. Person); ⫺ Relationsadjektive; ⫺ Nominalisierung; ⫺ Thema-Rhema-Verteilungen (Koskela 1996); ⫺ Argumentations-Strukturen (Forner 1992; Eggs 1996; Schütte 1996); ⫺ Entropie; ⫺ Meta-Informationen (Reflexivität): Metasprachliche [Definitionen, Erklärungen, Präzisierungen, Terminus-Einführung, Kommentierung, u. a.] und metakommunikative Komponenten [Gliederungssignale, kommentierende Elemente, u. a.]; ⫺ Verweisstrukturen (Textdeixis); ⫺ Hypothesenbildung mit ihren morphosyntaktischen Spezifika (Thiel/Thome 1996); ⫺ Sprechakte (direktiv [Anweisen/Verbieten, Empfehlen/Abraten, Erlauben, u. a.]; Vermuten [Hypothesenbildung]; u. a.); ⫺ Textbaupläne (Makrostrukturen); ⫺ Textstrukturen, Textkohärenzen, Textgliederungen; ⫺ Titelgebung (Dietz 1995); ⫺ Textsorten-Spektrum (Kalverkämper/Baumann 1996); ⫺ Situationsbindungen (Pragmatik); ⫺ Text-Bild-Relationen; ⫺ Formale („externe“, Layout-) Konventionen (insbesondere in stark pragmatischen Fächern und Gebieten wie Wirtschaft [Handelskorrespondenz, Rechnung, Angebot, u. a.], Recht [Verträge, Urteile, u. a.], Verwaltung [Antrag, Anmeldung, Bescheid, u. a.]; ⫺ Kulturspezifika, interkulturell auffällige Konventionen.

Die meisten Merkmale sind textinterne, nur die letzten vier bzw. ⫺ mit Textsorten ⫺ fünf umgreifen auch textexterne (vgl. Gülich/ Raible 1977; Kalverkämper 1981 a). Dies ist nur eine Zusammenstellung; sie ist zwar offen, dürfte aber nicht mehr spektakulär erweitert werden können; der Rahmen als Bedingung für Fachsprachlichkeit ist damit gesteckt. Es sei hierzu noch eine allgemeinere Ordnung geboten: Es sind als Manifestationen von Fachsprachlichkeit in den (Fach-)Texten vorhanden bzw. vorstellbar:

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation phonologische; ⫺ lexikalisch-semantische und terminologische; ⫺ morphologische; ⫺ syntaktische; ⫺ textuelle; ⫺ textsortenspezifische; ⫺ pragmatische, speziell kommunikationspragmatische; ⫺ mediale (mündlich, schriftlich, multimedial); ⫺ semiotische (wie graphische oder bildliche); ⫺ kulturelle (kulturgebundene).

Was nun noch von der Forschung als Aufgabe erwartet werden muß, ist die Hierarchie der Merkmale: (a) Wieviele und (b) welche Merkmale müssen (im Text) gegeben sein (g), um dem Kommunikat einen fachsprachlichen Eindruck zu verschaffen? Wie sind dabei die Merkmale verteilt (d)? Lassen sich dazu Korrelationen zwischen Quantität (a⬘), Qualität (b⬘), Rekurrenz (g⬘) und Distribution (d⬘) erkennen und als Hierarchie auswerten? (d) Übereinzelsprachliche Bedingungen im Rahmen innersprachlicher Beziehungen bei der Fachkommunikation In den arbeitsteiligen Gesellschaften (s. o. 3.1.2.: ,Gemeinschaft fundamentaler Merkmale‘, Punkt (7); vgl. auch Art. 1, Abschn. 1.1.1. u. 1.2.) muß auch notwendig sprachenteilig kommuniziert werden. Arbeitsteilung hat sprachliche Spezialisierung zur Folge und verlangt zugleich Teilhabe an einer ,Gemeinsprache‘, um die Kommunikation in der Sprachgemeinschaft weiterhin zu gewährleisten; die Teilhabe an den Fachsprachen gilt als selbstverständliche Voraussetzung für die eigene fachbezogene Aktivität, die fachliche Tätigkeit, die berufliche Arbeit, dann aber auch für den erweiterten oder sogar gesamtgesellschaftlichen Konsens (Kalverkämper 1989 b; vgl. auch Art. 1, Abschn. 1.4.2.). Die moderne Gesellschaft ist in bezug auf ,Wissen‘ geprägt von folgenden Kennzeichen: (a) durch Ausbildung, Berufe und Expertokratie verteilte Funktionen und vielfältige Funktionsträger; ⫺ (b) strukturell unterschiedlich genutzte Fähigkeiten; ⫺ (c) verteilte Fertigkeiten und (d) ausbildungsorganisatorisch, technisch (Dokumentation) und über die Medien vernetzter Wissens(be)stand; ⫺ (e) breite Wissensnutzung (Bibliotheken, Datenbank-Systeme, Multi-Media-Präsentationen, moderne elektronische Möglichkeiten der Konsultation, des Dialogs, der Information wie InterNet, Daten-Autobahn, Cyber Space, Virtuelle Realitäten u. a.); ⫺ (f) rasante Informationsvermehrung und ⫺ (g) spezialisierte Wissensoptimierung.

Vor diesem Hintergrund ist die Gesellschaft gezwungen, sich in der Architektur ihrer Sprache durchlässig und in ihren Kommunikationsmöglichkeiten offen zu halten (vgl. Kalverkämper 1989 b). Innersprachliche

37

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation

Beziehungen sind also Voraussetzungen wie auch Beleg für einen reichen Austausch und für kommunikative Interaktion zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und ihren Funktionsträgern. Innersprachliche Beziehungen sind gekennzeichnet durch Kontrast: Ob z. B. ein Text beginnt mit „Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, […]“ oder mit „Im Kinderanfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsrechtlich Rotkäppchen genannt zu werden pflegt“ (wie es in der Parodie des RotkäppchenMärchens durch Thaddäus Troll geschieht), signalisiert im Kontrast zu einem möglichen anderen, vielleicht erwartbareren „Stil“ die eigene Zugehörigkeit, hier in diesem Beispielfall: zur ,Gemeinsprache‘ oder ,Alltagssprache‘ der Märchen, und zur ,Institutionensprache‘ der Behörden, Verwaltung, Ämter, zur fachsprachlichen Kommunikation in den Institutionen.

Als solchermaßen Kontraste sind sie natürlich nur konkret in den Texten, und das besagt: in den einzelsprachlichen Abgrenzungen, erkennbar. Diese Abgrenzungen bilden die Rahmenbedingung für die sprachliche Ortung von Fachkommunikation. Mit dieser Qualität sind dann aber auch übereinzelsprachliche Geltungsmöglichkeiten gegeben, und zwar aus zwei Gründen: (1) die sprachlichen Phänomene, die die jeweilige Zugehörigkeit signalisieren, sind in den verschiedenen Einzelsprachen recht gleich bzw. miteinander durchaus vergleichbar (jede Einzelsprache verfügt über eine sogenannte ,Gemeinsprache‘; und viele Kultursprachen ⫺ bei ca. 5000 gezählten allerdings wohl nur etwa 1 Prozent (s. Art. 18) ⫺ haben fachsprachlich [bei diesen Zahlen sind speziell gemeint: wissenschaftssprachlich] ausgewiesene und ausgebaute Varietäten); und (2) die kommunikativen Anliegen, die auf solche Weise mitgeteilt werden, haben übereinzelsprachliche Geltung inne, und zwar eben weil es sich um Anliegen handelt, die im Außersprachlichen, nämlich innerhalb fachlicher Rahmenbedingungen (s. o. 3.1.), liegen.

Die übereinzelsprachliche Geltung, die in diesem Kapitel speziell interessiert, bezieht sich auf folgende Kontrast-Konstellationen der Fachsprache(n), die die Rahmenbedingung bilden für die Fachkommunikation: (1) Relation der Ko-Existenz. Sie betrifft die Beziehung von Fachsprache(n) und (i) Gemeinsprache (s. Art. 3, 12) sowie (ii) Gruppen- bzw. Sondersprache(n) (s. Art. 13, 18).

(2) Relation der Transgression. Sie betrifft die Überbrückung, ja Überwindung des koexistentiellen Kontrastes ⫺ (1) ⫺ durch Vermittlungsformen, wie sie speziell bei der Fachmann-Laie-Kommunikation verlangt sind und vorkommen (s. oben (b); und in (e) den Punkt [3]) (s. Art. 58⫺62).

Diese Fragenkreise werden in den jeweils eigenen Artikeln dieses Handbuchs aufgenommen und geklärt. Was aber unter dem hier geltenden Aspekt ,Rahmenbedingungen‘ interessiert, ist (gleichsam in Meta-Sicht auf diese) die Relativität von Rahmenbedingungen, wie sie gerade durch diese Problemfelder der Ko-Existenzen und der fachexternen Vermittlung ⫺ Punkte (1) und (2) oben ⫺ auffällt: Verengt man nämlich den Begriff der ,Fachsprache‘ auf den Wortschatz, noch spezieller auf die Termini (Terminologie) und bestimmt dazu einige evidente Fachgebiete und Fächer, ist ⫺ was oben Punkt (1) betrifft ⫺ die Ko-Existenz zu der ,Gemeinsprache‘, insbesondere wenn diese recht einfach definiert wird, z. B. als ,allen Sprachteilnehmern bekannt‘ (s. Art. 3 u. 12), als solche offenkundig, und der Kontrast in dieser Beziehung zwischen ,Fachsprache(n)‘ und ,Gemeinsprache‘ ist dementsprechend scharf und entscheidbar: Appendicitis gegenüber [umgangs- oder alltagssprachlich] Blinddarmentzündung, Ulcus duodeni gegenüber Zwölffingerdarmgeschwür, Fraktur gegenüber Bruch, C10H16O gegenüber Campher, Innensechskantschraube gegenüber Schraube, Schwarzwälder Kirschtorte gegenüber Kuchen oder Torte (bei Steger 1991 werden Fälle wie ,Grippe‘ oder ,Schnupfen‘ diskutiert). Das ist allgemeine Forschungsposition und Methodologie der Fachsprachenforschung bis Mitte, Ende der siebziger Jahre gewesen. Aber mit der textlinguistisch, pragmatisch ausgerichteten, kommunikativ orientierten Methodologie ab etwa Mitte der siebziger Jahre kamen die Analyse-Ebenen ,Text‘, ,Situation‘ (oder ,Textpragmatik‘) und ,Kommunikanten‘ (oder ,soziokulturelle Faktoren‘) beherrschend in den Blick. Auf diese Weise wurde die ehemalige lexikalisch-terminologische Verengung nun erweitert auf die Ebene von ,Text-in-Funktion/Situation‘ hin, was den an der (Fach-)Kommunikation beteiligten Faktoren ⫺ Kommunikanten, Text, Kommunikationssituation ⫺ Rechnung trug und die sprachliche Fachinformation in ihrer komplexen Ganzheitlichkeit beachtete: Lexik, Morphologie, Syntax, Makrosyntax, Text (Konstitution, Delimitation, u. a.), Situation und Handlung sowie der außersprachliche Referent (Gegenstände, Sachverhalte, Handlungszusammenhänge) galten nun als gemeinsam funktionierende Größen unterschiedlicher, aber jeweils unabdingbarer Wichtigkeit für die (auch fachliche) Kommunikation. Vor diesem Hintergrund, der methodologisch ein Relationennetz von mindestens drei tragenden

38 Faktoren der (Fach-)Kommunikation (Kommunikationspartner, Text, Kommunikationssituation) zugrunde legte (und bis heute, allerdings noch bis in die Kultur-Dimension erweitert, so beibehält), hat sich die linguistische Einschätzung zur Ko-Existenz von ,Gemeinsprache‘ hier und ,Fachsprache(n)‘ dort grundlegend geändert: Der Vorschlag einer Integration des ,Gemeinsprache‘-Konzepts in ein Skala-Modell der gestaffelten Fachsprachlichkeit, das deutlich an die Texte und die Textsorten gebunden ist (Kalverkämper 1990), zielt darauf hin, die statische systembezogene Sicht auf Ko-Existenzen praktisch kaum sauber zu trennender Gegensätze (,Gemein‘- gegen ,Fachsprache[n]‘) nun zu überwinden, und zwar mit einer dynamischen Sicht, die sich an den kommunikativen Rahmenbedingungen orientiert und dabei deren Resultate, die Texte, methodisch als Maß nimmt. Rahmenbedingung von Fachkommunikation wäre demnach nicht die übereinzelsprachliche (und dann natürlich erst recht einzelsprachliche) systembezogene Ko-Existenz innersprachlicher Kontrastgrößen, sondern die sprachverwendungsbezogene Skala der Fachsprachlichkeit, wie sie sich aus den konkreten Texten bemessen läßt [s. dazu auch Punkt (e)] (vgl. Art. 3).

Punkt (2) oben ⫺ die Relation der Transgression ⫺ greift im Grunde genommen die Probleme der bipolaren Ko-Existenz von ,Gemeinsprache‘ einerseits und ,Fachsprache(n)‘ andererseits auf, indem er von einer Art ,Brückenschlag‘, einer Vermittlung zwischen zwei Kontrast-Positionen, ausgeht. Aber auch hier hat sich seit den ausgehenden siebziger Jahren die methodologische Ausgangsposition deutlich gewandelt. Aus einem Schattendasein der wissenschaftlichen Beachtung ist die fachexterne Kommunikationsrichtung ⫺ die Fachmann-Laie-Kommunikation ⫺ nunmehr in den Fokus des gesellschaftlichen und damit auch des linguistischen Interesses gerückt. Das hat es mit sich gebracht, daß die Beachtung von Verständlichkeit und somit die textuell erkennbare Einbeziehung der Rezipienten eine ausschlaggebende Funktion bei der Einschätzung von Fachtexten innehat (Biere 1989; 1991; Kalverkämper 1988 a; 1989 a) (vgl. Art. 3, 37, 93). Auch hier hat sich die Rahmenbedingung für Fachkommunikation stark erweitert, und sie gewinnt nach den ehemaligen Verengungen auf den Aspekt ,Vermeidung der Fachtermini‘ nunmehr an neuem Profil, indem sich die Rahmenbedingung dafür textsortenbezogen und textstrategisch definiert.

(e) Einzelsprachliche Bedingungen im Rahmen innersprachlicher Beziehungen bei der Fachkommunikation Mit diesem und dem nächsten Punkt ⫺ (f) ⫺ wird die Sichtweise von den übereinzelsprachlichen ⫺ (a) bis (d) ⫺ zu den spezifi-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

schen einzelsprachlichen Rahmenbedingungen gelenkt. Auch hier, wie in (d), finden sie sich als Kontrast-Relationen: als (1) Relation der Ko-Existenz [s. unten (1) und (2)]; und als (2) Relation der Transgression (d. h. als Überwindung der Ko-Existenz) [s. unten (3)]. Hier ist der Gesichtspunkt der Einzelsprachlichkeit gleichzusetzen mit ,einzeltextlich‘ oder ,einzeltextuell‘ (auch dann, wenn es Sprachenmischungen im Text gibt, z. B. mit fremdsprachlichen Zitaten); die Bedingungen und Phänomene hier sind also an den jeweiligen einzelsprachlichen Text gebunden und über oder durch ihn erkennbar. Der Text seinerseits ist natürlich Exemplar ⫺ also Repräsentant ⫺ einer Textsorte (oder, mit dem literarischen Terminus: Gattung), zu der er typologisch gehört, also unter deren Rahmenbedingungen er fällt (s. auch Art. 3, Abschn. 1.1.). Die Textsorte ihrerseits wird unter anderem auch verstanden als Repräsentant von Kulturspezifika und kulturkonventionalisierten Erwartungen, Gewohnheiten, Vorgaben, Regeln. Jeder einzelne Text birgt diese Signale, Merkmale, Spezifika in sich. Somit weist darin jeder Text, natürlich auch der Fachtext, über sich hinaus in die Dimensionen der typologisierten und der kulturellen Rahmenbedingungen von Kommunikation [s. o. Abschn. 2.], natürlich auch von Fachkommunikation [s. o. (d), s. auch Abschn. 3.1.]. (1) Im Text ⫺ hier speziell: im Fachtext ⫺ als dem Ort und dem Medium von Fachkommunikation verweben sich ⫺ der Begriff bietet den Kern der ,Text‘-Metapher! (lat. textum ,Gewebe‘, texere ,weben‘; vgl. Textilien) ⫺ grundsätzlich gemeinsprachliche und fachsprachliche Phänomene einer Einzelsprache. Hier ist der Ort der Ko-Existenz der VARIETÄTEN. Von denen interessieren eben hier jetzt speziell die gemein- und die fachsprachlichen Varietäten, wenngleich sie natürlich nicht die einzigen der Kommunikation sind. Auch hier greift wieder ⫺ [s. o. (c), Punkt (2)] ⫺ das Prinzip der Präferenz, nicht das einer Alleingeltung. Der Text ist der Rahmen, in dem die Bedingungen fachsprachlicher Kommunikation verwirklicht werden; und das besagt: Die spezifischen fachsprachlichen Merkmale ⫺ s. o. (c) ⫺ sind die der Auffälligkeit, der ,Verbesonderung‘, und diese ergibt sich durch ⫺ zu lernende, in Ausbildung und Studium erwerbbare und im Berufsleben aktiv praktizierte ⫺ Auswahl und Präferenz und hohe Rekurrenz (d. h. Wiederauftauchen in den Texten, in der fachsprachlichen Kommunikation), also ⫺ in umgekehrter Sicht formu-

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation liert ⫺ durch Abwahl von Alternativen eben zugunsten dieser fachsprachlichen: (s. o. (c); vgl. auch Art. 3). Vor diesem Hintergrund greift Lothar Hoffmanns Konzeption von Fachsprachen als Subsprachen besonders evident (dazu s. Art. 15): „Jede Fachsprache wäre unter diesen Umständen ein relativ selbständiges Kommunikationsmittel und verhielte sich zur […] Gesamtsprache [sc.: Gesamtheit aller sprachlichen Mittel; H. K.] wie das Besondere zum Allgemeinen; ihre Besonderheit läge aber nur in der Auswahl und Zusammenstellung der sprachlichen Mittel zu einem speziellen Zweck [sc.: der fachsprachlichen Kommunikation!; H. K.], nicht in den sprachlichen Mitteln selbst.“ (Hoffmann 1985, 50; 1. Aufl. 1976, 165)

(2) Neben der Ko-Existenz von Varietäten im einzelsprachlichen Fachtext ⫺ s. o. (1) ⫺ gibt es notwendig auch Ko-Existenzen von EBENEN der (Einzel-)Sprache, die in ihren Beziehungen die Rahmenbedingung fachsprachlicher Kommunikation bieten. Dies hat zwar übereinzelsprachliche Geltung ⫺ und findet sich ja auch oben in (d) vorgestellt ⫺, aber die Konkretisierung bietet allein der jeweilige einzelsprachliche Text, und so ist auch nur er ⫺ im Zusammenhang eines Korpus ⫺ der Ort, aus dem heraus Verallgemeinerungen statthaft sind. Aus heuristischen Gründen darf man hier sicherlich die Ebenen vereinzeln, doch muß bewußt bleiben, daß sie funktional zusammenhängen, als Bedingungen innerhalb des Rahmens ,(Fach-)Text‘.

Als Rahmenbedingungen einzelsprachlicher Fachsprachen haben folgende sprachsystematischen Funktionsebenen zu gelten (Abb. 2.1) (in aufsteigender Komplexität und in hierarchischer Zuordnung zueinander) (vgl. Kalverkämper 1981 b, 261⫺264; 1992 b):

Abb. 2.1: Sprachsystematische Funktionsebenen

Man kann diesen Sprach(beschreibungs)Ebenen INTERESSENSCHWERPUNKTE DER FACHSPRACHEN-FORSCHUNG zuweisen:

39 (a) (Einzel-)Fachsprachliche Phonologie/Phonetik/Graphetik (s. Art. 41). (b) (Einzel-)Fachsprachliche Lexikologie, was wohl eher als Terminologiewissenschaft figuriert und ja auch entsprechend institutionalisiert ist: als Terminologie-Einrichtungen, -Datenbanken, -Normungsinstitutionen (jeweils national und international) (s. Art. 40). (c) (Einzel-)Fachsprachliche Morphologie oder Morphosyntax, was speziell in etlichen Fächern, so besonders auffällig in der Medizin, der Chemie und der Physik, zu didaktischen Listen von (grammatischen) Morphemen ⫺ so Suffixen, Präfixen, z. B. -ide, -ose, -ase, -itis usw.) ⫺ geführt hat (s. Art. 39). (d) (Einzel-)Fachsprachliche Syntax (s. Art. 39). (e) Im Übergangsbereich von den einzelnen Lexemen über syntaktische bis hin zu textuellen und stratischen sowie phasischen Phänomenen [s. o. 3.2.3.2. (a)] ist die (einzel-)fachsprachliche Stilistik angesiedelt. (f) (Einzel-)Fachsprachliche Textlinguistik (s. Art. 38, 42, 69 a), die, global formuliert, untersucht, wie die vier vorstehenden, den Fachtext konstituierenden Ebenen die Signalisierung auf dessen Fachsprachlichkeit hin leisten. Die Fachtextlinguistik, die Anfang der achtziger Jahre bestimmend wurde, läßt sich methodologisch gewichten in (f1) Fach-Textlinguistik und (f2) Fachtext-Linguistik (Kalverkämper 1983 a, 127⫺157): (f1) Die Fach-Textlinguistik stellt heraus: Fachsprachlichkeit ist eine Textqualität, nur über den Text läßt sich die kommunikative Qualität einer Fachlichkeit vermitteln (s. o. 3.2.1.; vgl. auch Art. 1, Abschn. 2.2.3.). Dieser Ansatz läßt sich also periphrasieren als ,fachbezogene Textlinguistik‘ oder als ,fachbezogene Linguistik der Texte‘. Da der Text, insbesondere der Fachtext, immer auch Textin-Funktion/Situation ist, also mitbestimmt wird von seinen soziokulturellen Kontexten (wie Kommunikanten, Situation, Kultur), greift dieser Ansatz in die Pragmatik ⫺ Textpragmatik ⫺ aus und umfaßt somit auch die Konventionen, Traditionen, Normen und Ökonomien des Fachs, wie sie sich im Text spiegeln. (f2) Die Fachtext-Linguistik läßt sich periphrasieren als ,Linguistik der Fachtexte‘ oder als ,Linguistik der fachsprachlichen Texte‘. Beachtet man die breite Koinzidenz der Begriffe ,Text‘ und ,Sprache‘, erweist sich diese Ausrichtung als prinzipiell für eine ,Fachsprachen-Linguistik‘. Sie interessiert sich speziell für eine bestimmte Kommunikationsform ⫺ nämlich für die fachliche bzw. fachbezogene. Nach etwa einer Dekade der Analyse fachtext-konstitutiver Elemente (vgl. oben 3.2.3.2. (c)) sind dann mit Beginn der neunziger Jahre die übergeordneten, komplexeren Gemeinschaften ⫺ die fachlichen Textsorten ⫺ in den Blick gekommen (s. u. (g)) (Gläser 1990; Hoffmann 1990; Baumann 1992; Göpferich 1995; Kalverkämper/Baumann 1996; Engberg 1997). (g) Da der einzelsprachliche Fachtext nicht nur abhängig ist von seinen ihn tragenden Ebenen, sondern auch von übergeordneten Rahmenbedingun-

40 gen, ist auch die (einzel-)fachsprachliche Textsorten-Linguistik einbezogen (s. o. (f2); vgl. Art. 43); denn jeder Text gehört schon mit seinem Existieren prinzipiell zu einer bestimmten Textsorte (Kalverkämper 1983 b). Gerade hier kommt der über die unteren systematischen Ebenen hinausgehende, d. h. kommunikative Gesichtspunkt zum Tragen, indem die Kommunikationssituation, somit die Textsorte-in-Funktion beachtet wird. (h) Und dies (s. o. (g)) wiederum ist eingebettet in die ebenfalls dynamische Rahmenbedingung der (einzel-)fachsprachlichen Kultureme (Kulturspezifika), denen sich die Kulturemforschung widmet. Daß die Kulturbindung oder ⫺ neutraler formuliert ⫺ die Kultureinbettung nicht zu leugnen ist, ja eine wichtige Kraft bei der Fachkommunikation ausübt, haben u. a. Galtung (1983) oder auch Clyne (1987; 1993) mit großer Breitenwirkung vorgeführt. Die Kulturgebundenheit wird in erster Linie erkannt in komplexen Rahmen: ⫺ (i) im Schreib-Stil (z. B.: Clyne 1987; 1991; Galtung 1983), was aber schon in der alten (mit Charles Bally und Alfred Malblanc in den vierziger Jahren erarbeiteten) stylistique compare´e angelegt ist, wo u. a. zwischen Denkform und Sprachstil unterschieden wird; ⫺ (ii) in den Textsorten-Konventionen (z. B. Bolten u. a. 1996; Göpferich 1995); ⫺ (iii) in spezifischer Kommunikationspragmatik (Wirtschaft [s. Art. 88], aber auch Wissenschaft; vgl. z. B. Müller 1993; Schröder 1993 b; Clyne 1987; 1991; s. auch Weinrich 1996); ⫺ (iv) in Kontexten der (Fach-Fremd-)Sprachvermittlung (z. B. Schröder 1988; Kalverkämper 1989⫺1993 und dazu 1995 b; 1996 a). ⫺ Allerdings steht die Forschung hier noch am Anfang, wobei man schon jetzt mit Pöckl (1995) in der Tat den Wandel „vom Tabu- zum Modethema“ kritisch sehen muß.

Es ist nach dem trennenden Analysieren und Darstellen der Leistungen dieser einzelnen Ebenen ⫺ was ja auch ein didaktisch notwendiges Vorgehen sein kann, so bei Hoffmann (1985): Ebene der Grapheme/Phoneme, der grammatischen Morpheme, der Lexeme, der Sätze, der Texte ⫺ mit den beginnenden neunziger Jahren der Blick für die ganzheitlich funktionierende Fachkommunikation geschärft worden (vgl. Kalverkämper 1983 a); hierzu hat Baumann (1992 a; 1993; 1994) mit einem INTEGRATIVEN methodologischen Zugriff auf den Zusammenhalt und den konkordanten fachsprachlichen Signalwert der Ebenen hingewiesen. Somit kann als gegenwärtiger Forschungsstand ein Bündel von einzelsprachlich relevanten Rahmenbedingungen vorausgesetzt werden, das bei einer adäquaten linguistischen Analyse auch in entsprechend komplexer Weise Berücksichtigung finden muß. Baumann (1992 a; 1992 b; 1996) sieht hier acht

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Komponenten an der Fachkommunikation beteiligt: (a) die inhaltlich-gegenständliche Komponente (Fachkompetenz); ⫺ (b) die semantische (hier insbesondere die Termini); ⫺ (c) stilistische (qualitative und quantitative Aspekte der stilistisch relevanten Phänomene im Fachtext); ⫺ (d) textuelle (Textkonstitution, Makrostruktur, Teiltexte-Gemeinschaft, Informationsverteilung, Kohärenzen, semiotische Vielfalt [Bilder, Graphiken, etc.], u. a.; ⫺ (e) funktionale (Sprechhandlungstypen, Textfunktionen, etc.); ⫺ (f) kognitive (FachspracheFachdenken-Relation, fachspezifische Denk- und Mitteilungsstrukturen); ⫺ (g) soziale (Situation, Partner, Rollen, etc.); ⫺ und die (h) kulturelle Komponente.

Fachsprachenforschung (oder: die Linguistik der Fachkommunikation) gewinnt über eine solche komplexe Konstellation von Rahmenbedingungen ihres Arbeitsgebietes ihrerseits ein ganzheitlich-komplexes Format, das geeignet ist, sie als eine zentrale geistes-, sozial- und kulturwissenschaftliche Disziplin auszuweisen (s. Art. 3). (3) Ko-Existenz im Text ⫺ s. die vorhergehenden Ausführungen unter (1) und (2) ⫺ läßt sich nicht nur als Phänomen beobachten, sondern auch textfunktional einsetzen; das ist dann eine neue Qualität: nämlich die Transgression. Das besagt, daß Mittel eingesetzt werden können, um das Miteinander von Varietäten [s. o. (1)] und auch von Ebenen [s. o. (2)] zu überbrücken. Als Textanliegen kommt dies nur in Kommunikationssituationen mit Wissensgefällen, in asymmetrischer Kommunikation also, vor. In fachbezogenen Kontexten ist dies typisch für die Kommunikation von Fachleuten und Nicht-Fachleuten, also für die Fachmann-Laie-Kommunikation [s. o. 3.2.3.2. [b)]. In einer ersten Phase herrschte die Meinung, man könne dies einfach erreichen durch Ersetzen (und somit: durch Vermeiden) von Termini (als den „unbekannten“, „laien-unverständlichen“ Fachwörtern), wodurch der Text für den Laien dann schon verständlich werde. Und in diesem Sinne liegen auch lexikographische Werke mit einschlägigen Titeln und deutlich angestrebter gesellschaftlicher Außenwirkung (Kalverkämper 1996 b, insbes. 130 f) vor ⫺ so zu „schweren Wörtern“ (engl. hard words) (Strauß/Zifonun 1985), zu „brisanten Wörtern“ (Strauß/Haß/Harras 1989), zu „kontroversen Begriffen“ (Stötzel/Wengeler 1995). Inzwischen hat sich mit der textlinguistischen Phase in der Fachsprachenforschung seit gut einer Dekade (s. Kalverkämper 1983 a) und einer inzwischen erstarkten Verständlichkeitsforschung (vgl. Biere 1989; s. Art. 93) nunmehr eine hermeneutisch

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation bestimmte Meinung durchgesetzt („Fachsprachen-“ oder „fachtextuelle“ bzw. „fachkommunikative Hermeneutik“: Kalverkämper 1988 a, 158⫺ 168; Jahr 1996, insbes. 51⫺60) (s. Art. 3). Danach geht es nicht um Ersetzen, sondern um Erklären im Text(verlauf) als Strategie des Textautors, die antizipierten Verstehensschwierigkeiten seines Adressaten im Text zu vermeiden oder auszuräumen. Diese Strategie ist (i) gerade in der Textsorten-Tradition des literarischen wissenschaftlichen Dialogs seit den Platonischen Dialogen über das Mittelalter und den Renaissance-Humanismus bis zur Aufklärung hin gepflegt worden (hierzu Kalverkämper 1989 c; 1996 c); (ii) heutzutage findet sie sich, journalistisch bzw. wissenschafts-journalistisch (Ruß-Mohl 1987) sowie technisch-fachextern bezogen (Krings 1996) eingesetzt, in den Sachbüchern, in den Fachwissen popularisierenden Zeitschriften, auf fachlich orientierten Zeitungsseiten (wie „Wirtschaftsseite“) und bei fachspezifischen Informationen, die sich an Laien richten (wie z. B. Apothekenzeitung, Ärzte-Blatt, Aufklärungsschrift der chemischen Industrie, Broschüren von Umweltschutzorganisationen, Verhaltensregelungen und Vorsorge-Informationen für Schwangere usw.) (dazu Kalverkämper 1995 a).

Die Transgression verlangt so durch die besondere Adressatenspezifik der Fachkommunikation (nämlich auf den Laien hin) eine eigene Rahmenbedingung: Den Rahmen bietet der Text mit seiner Linearität, seiner zweiten Dimension (Teiltexte; vgl. Gülich/Raible 1977) und seiner möglichen semiotischen Vielheit (Farben, Zeichnungen, Photos, etc.); die Bedingung wäre die Textstrategie des Erklärens, wozu es etliche praktizierte Varianten gibt (hierzu Kalverkämper 1995 a; Bührig 1996). Eine komplexe Variante des Erklärens ist das Kommentieren. Auch der Kommentar dient der Verstehenssicherung und Rezeptionssteuerung und ermöglicht Intertextualität (Texte-Bezüge, seien sie fachlich [juristische Kommentare z. B.], seien sie literarisch) (vgl. Raible 1995). (f) Schwerpunkte der zwischen- bzw. fremdsprachlichen Kontakte Rahmenbedingungen im fachsprachlichen Kontakt zwischen verschiedenen Einzelsprachen sind eindeutig relationale. Mindestens drei solcher Kontaktbeziehungen beherrschen die aktuelle Dimension in der Fachsprachenforschung [s. u. (1), (2), (3)], nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich in die für Fachkommunikation beherrschende Rahmenbedingung ⫺ nämlich die gesellschaftlichen Bedürfnisse und der öffentliche Kommunikationsbedarf ⫺ stimmig einpassen

41 (und eben deshalb hier unter Kapitel 3.2. gehören). Als Rahmenbedingungen gelten im Speziellen: (1) Relation der Außensicht auf die eigene Sprache: Deutsch als Fremdsprache / English as a Foreign Language / Franc¸ais langue e´trange`re / Espan˜ol como lengua extranjera / Italiano como lingua straniere usw. Das Interesse an einer Fremdsprache ist heutzutage im Zuge der Globalisierung weniger von dem Wunsch geprägt, lediglich einfache Alltagskommunikation betreiben zu wollen; vielmehr sind spezifische Register, und zwar pragmatisch einsetzbare, d. h. also fachbezogene, gefragt: Die Nachfrage nach fachlichem Deutsch/Englisch etc. oder Wissenschafts-Deutsch/-Englisch etc. im Ausland ist enorm gestiegen, wobei speziell die jeweilige Wirtschaftsfachsprache ganz oben rangiert. Da die internationalen Verflechtungen und die technischen Möglichkeiten für weltumspannende Kommunikation solchen Kriterien wie ,Entfernungen‘, ,Zeit‘, ,Mündlichkeit und Schriftlichkeit‘, ,direkte Kontaktnahmen‘, ,Individualität‘, ,Einzelperson und Gruppe‘ u. a. veränderte Bedeutungen oder auch ganz neue Maßstäbe vermitteln (z. B. kontinuierliches Weiterreichen von Entwicklungsarbeiten um den Globus im Rhythmus der jeweils nationalen Arbeitszeiten: von New York nach Tokio nach Hamburg nach New York …), muß auch die benötigte spezifische Kommunikationsfähigkeit in Handel, internationaler Zusammenarbeit und industrieller Produktion gezielt gelehrt, ausgebaut und gepflegt werden (entsprechend Kalverkämper 1989⫺ 1993; orientierend 1996 a).

(2) Relation der Äquivalenzsicht zwischen zwei Sprachen und ihren Texten: Translation Die pragmatischen Anforderungen ⫺ s. o. (1) ⫺ haben auch die Übersetzungs- und Dolmetschpraxis maßgeblich erweitert: von der alten Dualität des literarischen und des nicht-literarischen Übersetzens nun in die allseits beherrschende dritte Komponente, nämlich das Fachübersetzen. Und hier ist die Komplexität der Anforderungen im Sachwissen und in der zugehörigen Sprachkompetenz inzwischen so stark, daß sich das Fachübersetzen in der Praxis wie auch in der (übersetzungs-) wissenschaftlichen Reflexion trennt in das Fachübersetzen (i) einerseits in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern, und (ii) andererseits in den Naturwissenschaften und der Technik (s. Art. 80, 81).

(3) Relation der Dominanz- oder Konkurrenzsicht zur eigenen Sprache: Anglophonie In dem Verhältnis von Englisch zu anderen Sprachen bzw. von einer Sprache zum Englischen als Fremdsprache steckt eine hohe soziale Herausforderung, die mit Fachkommunikation ganz eng zu-

42 sammenhängt. Denn das rasant gestiegene und platzgreifende Prestige der englischen Sprache steht natürlich in Zusammenhang mit dem Bedarf der fachlichen Kommunikation: die Anglophonie in den Wissenschaften ist inzwischen zwingende Selbstverständlichkeit. Die Spitzenforschung (und das besagt zugleich: in Naturwissenschaften und Technologie) spricht (nur noch) Englisch; die nationalen Wissenschaftssprachen haben da, wenn überhaupt, nur noch ihre Nischenfächer bewahren können (vgl. z. B. Kalverkämper/Weinrich 1986; Kretzenbacher 1992; Oksaar/Skudlik/von Stackelberg 1988; Skudlik 1990; Weinrich 1989). Diese Umstände werden inzwischen kritisch von der Sprachpflege und von der nationalen Bildungsund Sprachpolitik zur Kenntnis genommen (vgl. Ammon 1991) und dabei durchaus kontrovers diskutiert. Grundkonsens muß dabei bleiben, daß die Einzelsprachen, erst recht dann, wenn sie auch als Wissenschaftssprachen dienen, ihre Geltung und ihre Fähigkeiten zur Fachkommunikation behalten (müssen), gerade auch um kulturelle Identität zu erhalten und zu fördern; und dies funktioniert natürlich nur und allein im ständigen Einsatz, im konkreten Gebrauch, und nicht in der freiwilligen Abtretung an die vorgeblich mächtige Sprachenkonkurrenz (vgl. Art. 78, 79).

3.3. Objektsprachliche Rahmenbedingungen Die hier vorgestellten Überlegungen sind die Konsequenz aus jenen Darlegungen zur ,Fachsprache‘ (s. o. 3.2.3.), die ganz zu Recht unter den ,Sozialen Rahmenbedingungen‘ (3.2.) eingerichtet sind. Danach lassen sich als Schlüsselbegriffe ableiten: (a) Fach; ⫺ (b) Text; ⫺ (c) Kommunikation; ⫺ (d) Situation; ⫺ (e) Kultur. Sie bilden die eckpunktartigen Rahmenbedingungen für Fachkommunikation. Das Objekt selbst, das ja Gegenstand und Ziel der fachsprachenlinguistischen Analyse ist, sollte sich deshalb auch nicht mehr einfach ,Fachsprache‘ oder im Plural ,Fachsprachen‘ nennen, sondern in der Tat ,Fachkommunikation‘, dies aber in einem weitestgehenden Verständnis von ,Kommunikation‘, in das alle Komponenten des communis esse eingeschlossen sind (s. o. 2.) (vgl. Art. 3). Statt eines solchen inklusiven Vor-Verständnisses kann man aber auch ganz ausdrücklich die Komponenten bezeichnen und sie in Form einer Nominaljunktion zu einer weiten Extension zusammenführen: Das über seine Rahmenbedingungen bestimmte Forschungsobjekt der Fachsprachenforschung sind die Fachsprachen-in-Texten-und-Kommunikationssituationen-und-Kultur(einbettung). Letztlich ist damit das Forschungsobjekt als ein Kernstück von ,Sprachkultur‘ (Scharn-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

horst/Ising 1976⫺1982; Weinrich 1985 a; Kalverkämper 1996 b, 156) ausgewiesen (vgl. Art. 4, Abschn. 3.2.8.2.).

4.

Rahmenbedingungen von Fachkommunikations-Forschung

Fachkommunikation und ihre Erforschung bedingen sich gegenseitig. Erstere ⫺ die Fachkommunikation ⫺ ist abhängig von wissenschaftlicher, kriteriengeleiteter, methodologisch reflektierter, kritischer Begleitung; letztere ⫺ die Fachsprachenforschung ⫺ definiert sich auf ebendiese Varietät hin, rechtfertigt sich aus deren Vorhandensein als eine zentrale Disziplin der Linguistik ⫺ [vgl. oben 3.2.3.2. (e), Punkt (2)] ⫺ und ist bestrebt, durch Verfeinerung ihrer Methodologie und durch Schärfung der Analyse-Instrumentarien den Untersuchungsgegenstand adäquat beschreiben und möglicherweise auch kritisch beeinflussen zu können. In diesem Sinn seien hier lediglich schlagwortartig ⫺ um die Darlegungen in diesem Art. 2 ordnungsgemäß zu runden ⫺ die Rahmenbedingungen von Fachkommunikation in Rahmenbedingungen von FACHKOMMUNIKATIONS-FORSCHUNG transponiert. Nähere Ausführungen dazu finden sich in Art. 3. Es ist hier absichtlich abgesehen worden von einer wichtigen Rahmenbedingung, die die Forschung inzwischen immer stärker bestimmt: nämlich die externen Faktoren wie Personal, Sachausstattung, Forschungszeit, unterschiedliche Einschätzungen der finanziellen Relevanzen bei den Geistes-/ Sozial-/Kulturwissenschaften auf der einen, und den Natur- und Technikwissenschaften auf der anderen Seite, u. a.; diese Einflüsse von außen, die nur mit entsprechender Wissenschafts- und Finanzpolitik abgefangen werden können, haben nämlich nichts damit zu tun, wie sich die Rahmenbedingungen des Forschungsobjekts ⫺ also ,Fachkommunikation‘ ⫺ auf übergeordnete Bedingungen von dessen Erforschung ⫺ nämlich ,Fachkommunikationsforschung‘ ⫺ auswirken.

(a) Fachgebundenheit/Sachbezogenheit; ⫺ (b) Systematizität; ⫺ (c) Medialität (Schriftlichkeit, Mündlichkeit); ⫺ (d) Chronizität (Syn-/Diachronie); ⫺ (e) Applikabilität (Gesellschaftsbezug, Angewandte Linguistik); ⫺ (f) Semiotizität (Gemeinschaft von verschiedenen Zeichen, Zeichenqualitäten, Zeichenrelationen); ⫺ (g) Kontrastivität; dabei ist zu denken an (g1) Intertextualität, (g2) Interdisziplinarität und (g3) Interkulturalität.

2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation

Mit Blick auf dieses Spektrum forschungsbezogener Rahmenbedingungen (vgl. Kalverkämper 1996 b) läßt sich ermessen, wie umfassend der Untersuchungsanspruch der modernen Fachsprachenforschung inzwischen gesehen wird und folglich: welch vielfältige Anforderungen ihr Untersuchungsobjekt dann an die linguistische Forschung wie auch an die Angewandten Disziplinen stellt. Im Vordergrund muß dabei eine strenge methodologische Reflexion stehen, da die Komplexität des Untersuchungsobjekts eine wissenschaftliche Ordnung der eigenen Analyse voraussetzt, um über die Vergleichbarkeit der Ergebnisse eine Ganzheitlichkeit der Einzelerkenntnisse für „die Fachkommunikation“ zu gewährleisten. Es ist geraten, die zentrale methodologische Prozedur im Vergleichen zu sehen (Baumann 1992 b; Hoffmann 1992; Kalverkämper 1992 b; Minogue/ Weber 1992). Die Komplexität des Untersuchungsobjekts ,Fachsprachen‘ bzw. ,Fachkommunikation‘ ihrerseits spiegelt wider, wie inzwischen verdichtet die einzelnen Komponenten des Handelns und Sprechens bzw. Schreibens ineinandergreifen ⫺ pragmatisch, dynamisch, funktional, kommunikativ, interaktiv (je nach terminologischer Wahl) als handelndes Sprechen/Schreiben und sprechendes/schreibendes Handeln ⫺ und wie sich innerhalb der Rahmenbedingungen von Fachkommunikation zentrale Prozesse der arbeitsteiligen Gesellschaft ganzheitlich verbinden.

5.

Literatur (in Auswahl) (vgl. auch ergänzend Art. 1 und 3)

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2. Rahmenbedingungen für die Fachkommunikation

45

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Hartwig Kalverkämper, Berlin

48

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

3. Fachsprache und Fachsprachenforschung 1. 2. 3.

Fachsprache Beschaffenheiten des Objekts ,Fachsprachen‘ ⫺ Ansprüche an die Fachsprachenforschung Literatur (in Auswahl)

1.

Fachsprache

1.1. Komplexitätsgrade (1) Der Terminus ,Fachsprache‘ umgriff (a) vom Einsetzen der Fachsprachenforschung in den mittsechziger Jahren bis in die spätsiebziger, dann auch achtziger Jahre hinein lediglich ⫺ aus heutiger Sicht durchaus als lexikalisch-semantische Verengung zu bewerten ⫺ die TERMINOLOGIE. Eine solche Gleichsetzung wurde aber mit zunehmendem Einfluß der Textlinguistik kritisiert, und es weitete sich das Verständnis von der lexikalischen Ebene (b) über die syntaktische und funktionalstilistische auf (c) die textuelle der (FACH-)TEXTE (in den einsetzenden achtziger Jahren; s. Kalverkämper 1983), um (d) mit pragmatischen (Situation, Handeln) und kommunikativen (u. a. Partner, Verstehen, Wissensvoraussetzungen) Faktoren in den achtziger Jahren und (e) mit soziokulturellen Aspekten (z. B. Kulturbedingtheit, Konventionen, Erwartungen und Erwartungserwartungen) in den frühen neunziger Jahren sowie (f) mit semiotischem Neuland (z. B. fachliches Bild, fachliche Körpersprache, Schriften und andere Zeichensysteme) inzwischen eine Komplexität erreicht zu haben, die es zwingend nahelegt, die durch den 1976 erschienenen Buchtitel Kommunikationsmittel Fachsprache von Hoffmann (1985) schon markierte Position aufzugreifen und nunmehr umfassend von FACHKOMMUNIKATION zu sprechen (vgl. Kalverkämper 1996 a, Kap. 5.; Picht 1996; s. auch Art. 2, Abschn. 3.3.). Es kann kaum erstaunen, daß aus dieser Gründerzeit der Fachsprachenforschung auch jene Definitionen stammen, die der Fachsprachenforschung als Wegweiser dienen können: (2) Die FACHKOMMUNIKATION bestimmt Hoffmann (1993, 614) mit dem notwendigen Rückgriff auf die Kognition (vgl. Art. 1, Abschn. 2.3. und 2.4.): „Fachkommunikation ist die von außen oder von innen motivierte bzw. stimulierte, auf fachliche Ereignisse oder Ereignisfolgen gerichtete Exteriorisierung und Interiorisierung von Kenntnissystemen und kognitiven Prozessen, die zur Veränderung der

Kenntnissysteme beim einzelnen Fachmann und in ganzen Gemeinschaften von Fachleuten führen.“

(3) FACHSPRACHE als die bei der Fachkommunikation eingesetzten sprachlichen Mittel definiert Hoffmann (1985, 53[⫺57]) in folgender inzwischen vielzitierter Version: „Fachsprache ⫺ das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten.“

Möhn/Pelka (1984, 26 ff) bestimmen im Rahmen etlicher anderer referierter Definitionsangebote ,Fachsprache‘ als: „Variante der Gesamtsprache, die der Erkenntnis und begrifflichen Bestimmung fachspezifischer Gegenstände sowie der Verständigung über sie dient und damit den spezifischen kommunikativen Bedürfnissen im Fach allgemein Rechnung trägt.“

Als solche weist sie etliche Merkmale auf: (a) primär an Fachleute gebunden; ⫺ (b) schriftlich oder mündlich; ⫺ (c) fachintern wie auch interfachlich; ⫺ (d) grundsätzlich öffentlich; ⫺ (e) grundsätzlich überregional; ⫺ (f) charakterisiert durch spezifische Auswahl; ⫺ (g) Verwendung und Frequenz sprachlicher Mittel der Sprachebenen (s. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (e) (2) [,Ebenen‘]); ⫺ (h) hohe Normhaftigkeit in Lexik, Morphosyntax und Textstrukturen.

(4) Fachsprache manifestiert sich in (FACH-)TEXTEN, genauer: in (Fach-)Texten-in-Funktion/Situation. Die unabdingbaren Konstitutiva des Textseins sind (a) die (relative) Abgeschlossenheit des Kommunikats; ⫺ (b) die sprachliche Komplexität (Beteiligung aller Sprachebenen); ⫺ (c) die morphosyntaktische und semantische Kohärenz; ⫺ (d) die thematische (referentielle) Identifizierbarkeit (fachlicher Inhalt, ,Thema‘); ⫺ (e) die Funktion im Kommunikationsaustausch; ⫺ (f) die Situationsbezogenheit (Partner und Kommunikationssituation).

Vor diesem Hintergrund bietet sich Hoffmanns Definition von ,Fachtext‘ an (1985, 233; 1988, 126): „Der Fachtext ist Instrument und Resultat der im Zusammenhang mit einer spezialisierten gesellschaftlich-produktiven Tätigkeit ausgeübten sprachlich-kommunikativen Tätigkeit; er besteht aus einer endlichen, geordneten Menge logisch, semantisch und syntaktisch kohärenter Sätze (Texteme) oder satzwertiger Einheiten, die als komplexe sprachliche Zeichen komplexen Propositionen im

3. Fachsprache und Fachsprachenforschung Bewußtsein des Menschen und komplexen Sachverhalten in der objektiven Realität entsprechen.“

(5) Als solche lassen sie sich in Klassen (Typen, Arten, Sorten, Gattungen, je nach terminologischer Präferenz) zusammenfassen. Die fachlichen Textsorten oder FACHTEXTSORTEN werden Mitte der neunziger Jahre von der Fachsprachenforschung als die attraktivsten und für die gesellschaftliche Kommunikation sehr relevanten Manifestationsformen von Fachkommunikation eingeschätzt (s. Kalverkämper/Baumann 1996; Baumann/Kalverkämper 1996). Welcher Schub sich hier ergeben hat, läßt sich ermessen an der damals angebrachten Beobachtung von Weinrich (1989, 142): „Die Textsortenforschung ist […] im Bereich der Fach- und Wissenschaftssprachforschung ein großer blinder Fleck.“

Inzwischen, kaum eine halbe Dekade später, ist das Interesse einschlägig geweckt. Denn (i) zum einen fällt die außerordentliche Vielfalt unterschiedlicher Textsorten auf, ebenso ihre deutliche Bindung an die fachlichen Kommunikationssituationen (pragmatischer Bezug), und daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sie in angemessener Weise zu untersuchen, zu systematisieren und für die Lehre transparent zu machen; (ii) zum andern profitiert von genau diesem Aufgabenkomplex ein Kranz von Disziplinen (Linguistik allgemein, Gattungsforschung, Soziologie mit ihrem Interesse an Handlungsund Situationstypologien, Fachkommunikationsforschung), denn „es gibt zur Klärung der Textsortenproblematik kein günstigeres Terrain als das der Fachsprachen“ (Hoffmann 1988, 26), und es profitiert davon natürlich die Fachsprachenforschung ihrerseits durch den integrativen Zugriff, indem nämlich „die zahlreichen Einzelerkenntnisse der Fachsprachenforschung in eine komplexe, aber einheitliche Beschreibung der Fachsprachen als Ensembles unterschiedlicher Textsorten einfließen, die sich aus unterschiedlichen sprachlichen Mitteln konstituieren“ (Hoffmann 1985, 242; vgl. auch Baumann/ Kalverkämper 1996, insbes. 28⫺31). Unterstützt wird diese Hinwendung zu den schriftlichen und mündlichen Fachtextsorten auch durch die bereits in den siebziger Jahren erarbeiteten generellen Erkenntnisse der Textlinguistik (vgl. Gülich/Raible 1977; Kalverkämper 1981 a; 1981 b; Weinrich 1976), die die prinzipiell herausragende Funktion der Ordnung von Texten in Textsorten (Gü-

49 lich/Raible 1975; Raible 1980) für die Kommunikation mit folgenden Textsorten-Merkmalen belegen: (a) Konventionalität; ⫺ (b) historische Bedingtheit; ⫺ (c) Funktion als Muster für komplexe sprachliche Handlungen (,Textsorte‘ ist nicht nur eine rein sprachliche, sondern eine auch pragmatische Kategorie); ⫺ die Punkte (a), (b) und (c) lassen sich bündeln in dem ⫺ auch für literarische Gattungen gültigen ⫺ grundständigen Merkmal der ,Kulturgebundenheit‘ von Textsorten; ⫺ (d) kommunikativer Einsatzwert (,Erleichterung‘ durch Erwartungsvorgaben bei der Rezeption, ,Verpflichtung‘ durch Erwartungserwartung bei der Textproduktion); ⫺ (e) mehr oder weniger vorhandenes Meta-Wissen bei den Kommunizierenden (Norm-, Normverstoß-, Bewertungs-, AkzeptanzWissen).

Man kann sich hier der Definition von Gläser (1990, 29) anschließen, die nach Prüfung etlicher Vorschläge aus der Forschung zu folgender Version gelangt: „Die Fachtextsorte ist ein Bildungsmuster für die geistig-sprachliche Verarbeitung eines tätigkeitsspezifischen Sachverhalts, das in Abhängigkeit vom Spezialisierungsgrad von kommunikativen Normen bestimmt ist, die einzelsprachlich unterschiedlich ausgeprägt sein können.“

Auch Hoffmann (1988, 133, 163) bekräftigt, daß die Fachtextsorten im Grunde Textsorten sind, in denen sich speziell die funktionellen und die sprachlichen Faktoren in typischer Weise verbinden. Geht man allerdings von einem dynamischen Textmodell aus, für das eine referentielle Trennung in ,gemeinsprachliche‘ und ,fach(sprach)liche Texte‘ nicht entscheidend ist (s. Kalverkämper 1990 a), kann man stattdessen (so ist die Anregung Kalverkämper 1990 a, 124 z. B. bei Göpferich 1995, 23⫺31, 65 konsequent aufgenommen) eine Skala mit Textsorten von jeweils unterschiedlichen Fach(sprach)lichkeitsgraden zugrunde legen. (6) Eine besondere Herausforderung an die wissenschaftliche Abstraktion ist die Systematisierung derartiger Textsorten zu einer FACHTEXTSORTEN-TYPOLOGIE. Solche Zugriffe haben auch zu tun mit der Klassifizierung von Welt, mit Einordnung von Kommunikation, mit Repräsentation von Wissensbeständen (vgl. Art. 1, Abschn. 2.). Zur Zeit konkurrieren bei den Modellen ⫺ von denen 23 bei Rolf (1993, Kap. 3) referiert und die vier wichtigsten und umfassendsten (E. U. Große, E. Werlich, W. Schmidt, Kl. Brinker) bei Göpferich (1995, 97⫺119) kri-

50 tisch vorgestellt sind ⫺ zwei gut ausgebaute Anlageweisen miteinander: (a) die statisch-taxonomische Ausrichtung, bei der im Stammbaumverfahren Zuordnungen, also Stellenzuweisungen, für Fachtextsorten in der Typologie vorgenommen sind (ein Beispiel ist Gläser 1990, insbes. 50 f); ⫺ und (b) die dynamisch-funktionale Ausrichtung, die mit kommunikativ-pragmatischen Kriterien flexibel auf die eben nicht starren Vorkommensformen und Einsatzweisen von Fachtextsorten und ihren Fachtexten reagiert (ein Beispiel ist Göpferich 1995, insbes. 123⫺135, 140⫺148).

(7) Die Definitionen spiegeln die Schwierigkeiten wider, ein vielfältiges Phänomen überhaupt als ein grundlagefähiges KORPUS für aussagekräftige Untersuchungen zusammenstellen zu können (hierzu s. Laure´n/ Nordman 1991) und es dann in ebendieser Komplexität angemessen zu erfassen: (a) die konstitutiv enge Bindung von Sprechen/ Schreiben und Handeln, und hier speziell (b) in seinem instrumentell planerischen Zugriff einer Kommunikation-im-Fach (oder: -im-fachlichen-Handeln), (c) mit den (sprachlichen bzw. kommunikativen) Funktionen und den (sozialen) Rollen, dabei (d) in Beachtung einer Beziehung nach „außen“, d. h. zu den Fächern und Fachgebieten, die allerdings ihrerseits (immer noch) nicht die überfällige Selbstdefinition geleistet haben, ohne die aber eine Definition via Sprache und Kommunikation noch ungelöste Zuordnungsprobleme birgt.

Dennoch: mit einer kombinatorischen Definition, einer definitio per proprietates, dürfte sich das Phänomen zufriedenstellend umreißen lassen: dabei sind dann stets folgende Faktoren gemeinsam beteiligt: (a) außersprachliche (das Fach); ⫺ (b) soziale (der Fachmann); ⫺ (c) situative (Kommunikationskonstellation, Partner-Profile [Experte, Laie, …], fachlicher Handlungskontext); ⫺ (d) sprachsystematische (Fachsprache, von den Phonemen über die Termini/Lexik und Morphologie sowie die Syntax bis zu Text und hin zu Kulturspezifika: s. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (e)); ⫺ und (e) sprachverwendungsbezogene (Funktionen; varietätenbestimmte Auswahl [z. B. Jargon, dialektgefärbte Berufssprache]; kulturelle Eigenheiten) Faktoren.

Diese Kompaktheit einer unabdingbaren definitionstragenden Fünfergemeinschaft ⫺ (a) bis (e) ⫺ läßt sich auch in eine lineare Kette bringen (s. auch Art. 2, Abschn. 3.3.), die den aktuell methodologisch erreichten Stand der Fachsprachenforschung maximal erfaßt als FACHSPRACHEN-IN-TEXTENUND-KOMMUNIKATIONSSITUATIONEN-UND-KULTUREINBETTUNG (vgl. Kalverkämper 1996 a, Kap. 4.3.).

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

1.2. Vertikale Schichtung Neben der horizontalen Gliederung (s. Art. 1, Abschn. 1.3.3.) bietet ,die Fachsprache‘ auch eine vertikale Schichtung (s. Art. 1, Abschn. 1.3.1.). Sie zeigt sich an der sprachlichen Auswahl (Stilistik) sowie an den pragmatischen Einsatz-Umständen fachsprachlicher Kommunikation. Letztlich verweben sich diese Aspekte in der konkreten Fachsprachenverwendung. Für das System sind, als Abstraktion, schon ab Mitte der sechziger Jahre Modelle entworfen worden, allerdings als zweidimensionale, kreisförmige WORTSCHATZModelle, die sektoral (Kurt Baldinger in den fünfziger Jahren), dann relational (Werner Reinhardt, Mitte der sechziger Jahre), und schließlich, als bislang letztes Angebot funktional (Klaus Heller zu Beginn der siebziger Jahre) angelegt sind (s. Kalverkämper 1990 a, 100⫺105). Die pragmatisch orientierten Versuche (z. B. v. Hahn, Anfang der achtziger Jahre) sind als dreidimensionale Kuben mit Schichten gestaltet. Eine größere Breitenwirkung für modellbewußte Analysen (s. z. B. in Baumann/Kalverkämper 1992) kann das vierdimensional ausgerichtete („[1.] Abstraktionsstufe“, „[2.] äußere Sprachform“, „[3.] Milieu“, „[4.] Teilnehmer an der Kommunikation“) Fünfschichtenmodell von Hoffmann (1985, 64⫺70) für sich geltend machen. In Fluck (1991, 17⫺26) und in Göpferich (1995, 33⫺39) finden sich die wichtigsten Vorschläge dargestellt und kritisch gewürdigt. 1.3. Wissenschaftssprache Keine der vertikalen Schichten von Fachsprache hat so großes Interesse erfahren wie ⫺ in den ausgehenden achtziger Jahren bis in die Jetztzeit ⫺ die Wissenschaftssprache. Sie ist im Modell von Hoffmann (1985, 64⫺70) (s. o. 1.2., auch zu den Zahlen [1.] bis [4.]) mit folgenden SCHICHTENMERKMALEN zu beschreiben: A ⫽ [1.] höchste Abstraktionsstufe, [2.] künstliche Symbole für Elemente und Relationen, [3.] theoretische Grundlagenwissenschaften, [4.] Wissenschaftler ⇔ Wissenschaftler B ⫽ [1.] sehr hohe Abstraktionsstufe, [2.] künstliche Symbole für Elemente, natürliche Sprache für Relationen (Syntax), [3.] experimentelle Wissenschaften, [4.] Wissenschaftler (Techniker) ⇔ Wissenschaftler (Techniker) ⇔ wissenschaftlich-technische Hilfskräfte.

Mit dieser Sichtweise steht die Wissenschaftssprache in einem Inklusionsverhältnis zu der übergeordneten ,Fachsprache‘. Be-

3. Fachsprache und Fachsprachenforschung

greift man sie, was noch nicht abschließend geklärt ist (s. Kretzenbacher 1992), dagegen als eigenständig, steht sie in horizontaler Relation (vgl. Art. 1, Abschn. 1.3.3.) zu ,Fachsprache‘. Das Interesse an Wissenschaftssprachen etabliert sich mit dem Ziel, die bisherige „Dyas Wissenschaftstheorie ⫺ Wissenschaftsgeschichte […] zu einer Trias Wissenschaftstheorie ⫺ Wissenschaftsgeschichte ⫺ Wissenschaftssprachforschung zu erweitern“ (Weinrich 1989, 154 [Kursive von H. K.]). Dies ist um so dringlicher, als die Wissenschaft vom Dialog, folglich von der Kommunikation im Fach zwischen den Wissenschaftlern lebt: Hierzu hat Harald Weinrich (1986, 183) das „Veröffentlichungsgebot auf der einen Seite und das Rezeptions- und Kritikgebot auf der anderen Seite“ [Kursive von H. K.] als (wenn auch idealisierte) Forderungen wissenschaftlicher Prozesse erkannt. Die Konzentration auf die wissenschaftlichen Kommunikationsweisen im Rahmen einer Wissenschaftssprachforschung hat eine Reihe von Phänomenen und etliche noch nicht durch die bisherige Fachsprachenforschung in der gebotenen Schärfe gesehene PROBLEMBEREICHE ⫺ s. u. (1) bis (4) ⫺ aufgedeckt: (1) So steht die wissenschaftliche (insbesondere schriftliche) Kommunikation, z. B. in wissenschaftlichen Aufsätzen mit Forschungsergebnissen, unter verpflichtenden Ansprüchen; Weinrich (1994, 165) faßt sie nach eingehender einzelner Prüfung zusammen: „Referenzwahrheit, Protokollwahrheit, Dialogwahrheit und Orientierungswahrheit sind also, an der kanonischen Vierschrittigkeit des wissenschaftlichen Aufsatzes abgelesen, vier Aspekte einer Wahrheitspflicht, die als Schibboleth des wissenschaftlichen Verfahrens in allen denkbaren Disziplinen dienen kann.“ [Kursive von H. K.]

Und er präzisiert dort generell: „In jedem Fall handelt es sich dabei um eine kommunikative Wahrheit, die nicht zwischen einem Menschen und einer Sache besteht, sondern auszuhandeln ist zwischen den verschiedenen Menschen, die sich gemeinsam, wenn auch nicht selten kompetitiv, um die Erkenntnis einer Sache bemühen.“

Für die sprachliche Darstellung gibt es in diesem Rahmen offensichtlich spezifisch geltende Konventionen, auf die Weinrich (1989, 132⫺139) aufmerksam macht (vgl. auch Kretzenbacher 1994 b):

51 „Erstes Verbot: Ein Wissenschaftler sagt nicht „ich“. […]. Zweites Verbot: Ein Wissenschaftler erzählt nicht. […]. Drittes Verbot: Ein Wissenschaftler benutzt keine Metaphern.“

Zu den Verdikten oder, mit Kretzenbacher (1994 a, 26⫺35), den Tabus meldet er berechtigte Vorbehalte an. (1a) Wird das ,Ich‘-Verbot heute schon seit geraumer Zeit in den Geistes- und Kulturwissenschaften wie auch in den Naturwissenschaften (s. Loffler-Laurian 1980) als Zeichen der sprachlichen Individualisierung von Forscherleistung und von ausdrücklich übernommener Verantwortung für den Text in praxi unterlaufen, läßt sich natürlich auch auf die Textetradition aus der Philosophie (Michel de Montaigne, Rene´ Descartes, JeanJacques Rousseau) verweisen, die eine persönliche Kundgabe im wissenschaftlichen Text beglaubigt (Weinrich 1971; 1989, 134 f). (1b) Und natürlich gibt es auch das Erzählen als fachliche Kommunikationsform, so z. B. (i) in der Theologie (Weinrich 1973: „Narrative Theologie“; 1989, 137) oder (ii) in der Philosophie (Weinrich 1971) oder (iii) in den Geschichtswissenschaften (Koselleck/ Stempel 1973; Weinrich 1989, 136 f) und selbst, wenn auch sporadisch, (iv) in den Naturwissenschaften (z. B. Weinrich 1986 zu den Berichten über die Entdeckung der DNSStruktur durch James D. Watson und Francis Crick; Niederhauser 1996, 57 f), und durchaus auch (v) in fachlichen Textsorten, so in Sportberichten (Harweg 1993), sowie (vi) in fachlichen Textsortenzusammenhängen und Kommunikationsformen, wie sie im Unterricht, als didaktische Texte, vorkommen; mit dem Hinweis, die „narrative Kompetenz“ sei „genauso wichtig, wenn nicht wichtiger als die diskursive Kompetenz. Beide zusammen erst bilden die volle kommunikative Kompetenz“ in der Mutter- und Fremdsprache (Weinrich 1985 b, 278 f), wird eine Didaktik des Erzählens wünschenswert vorbereitet, die den Alltag (Ehlich 1980) (übrigens dort durchaus in erlebbarem Kontrast zur fachlichen Welt, z. B. vor Gericht [Ludger Hoffmann 1980], bei der Arztvisite [Bliesener 1980], in den Institutionen [Becker-Mrotzek 1990⫺1992, dort auch Weiteres zu juristischen und medizinischen Institutionen]), die Schulsituationen mit ihren fach- und alltagssprachlichen Anteilen (Ehlich 1984), die Fachmethodik (Sandig 1979; Klein 1980; Weinrich 1985 a) und die Schöne Literatur (Narrativik!, Erzählsemiotik!; Überblick dazu bei Gülich/Raible 1977, Kap. III; Läm-

52 mert 1982; Haubrichs 1976; 1977; 1978) gleichermaßen umfaßt. Und spätestens mit Umberto Eco (Il nome della rosa, 1980) hat das Fabulieren als Ausweg aus der Begrenztheit wissenschaftlicher Abhandlungen an Ludwig Wittgensteins (1960, 83) bekannte TractatusThese 7 in einer gewandelten Version angeschlossen: „Wovon man nicht theoretisch sprechen kann, darüber muß man erzählen“. Das wäre in der Tat der Gegenentwurf, mit genau jener neuzeitlichen wissenschaftskritischen Einstellung (z. B. Husserl 1954), die ihr „Unbehagen an den Ausblendungen der ,Lebenswelt‘ durch Formalisierung, Idealisierung, Technisierung, Rechenhaftigkeit usw.“ (Weingart 1995, 26) artikuliert. Allerdings ist das Narrative in den Wissenschaften bislang wirklich nur wenig beachtet worden, so daß es immer noch „eine interessante Aufgabe für eine Ästhetik des wissenschaftlichen Diskurses wäre, nach der Stellung des Erzählens im schriftlichen und mündlichen Sprachverkehr der Wissenschaften zu fragen“ (Weinrich 1986, 190). (1c) Und es sind speziell zu den Metaphern inzwischen auch Untersuchungen für Kommunikationszwänge und -gewohnheiten (i) in ganzen Wissenschaften oder Disziplinen (z. B. Musikwissenschaft, Computerelektronik, Technik) vorgelegt worden (so z. B. von Taylor 1984; Jakob 1991; Störel 1992; 1997), die belegen, daß die Metaphorik im Fach nicht einfach nur ein Stilphänomen ist, sondern einen konstitutiven Bestandteil des fachwissenschaftlichen Selbstverständnisses (vgl. Harre´ 1970) sowie der wissenschaftlichen Fachsprache und der Fachkommunikation selbst (vgl. Honeck/Hoffmann 1980; Way 1991), sei sie mündlich, sei sie schriftlich, ausmacht (vgl. Brünner 1987; Ickler 1993; Munsberg 1994, 14, 218); ganz davon abgesehen, daß die Metapher aufgrund ihrer Anbindung an das Weltwissen und der in der Sprachgemeinschaft bekannten Bildfeld-Traditionen (Weinrich 1976) (ii) für die popularisierende Fachkommunikation (Fachmann-Laie-Kommunikation) sehr gut geeignet ist (z. B. Liebert 1996). (2) Auch das Verhältnis von wissenschaftlicher Kommunikation einerseits und kommunikativer TRANSPARENZ zur Laienöffentlichkeit hin (Verständlichkeits-Problematik; s. auch Art. 1, Abschn. 1.4.2.1.) andererseits (vgl. Kretzenbacher 1995; Kalverkämper 1989) bestimmt sich hier neu. Dabei sind vor allem Gesichtspunkte wie Sprachkultur: s. u. (3), Stilistik und Sprachkritik: s. u. (3) und

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Anglophonie-Problem: s. u. (4) im Zentrum der Argumentation. (3) Harald Weinrich (1985 b) hat den Begriff der ,SPRACHKULTUR‘ aus der klassischen Zeit des Prager Strukturalismus, den dreißiger Jahren (s. Scharnhorst/Ising 1976; 1982), mit ebenjenem ganzheitlichen Verständnis reanimiert und in die Moderne umgesetzt, das sich für die aktuelle Wissenschaftsposition ⫺ s. o. 1.1., Punkt (7); ebenso Art. 2, Abschn. 3.3. ⫺ rahmenbildend auswirkt: „Den Inbegriff eines beweglichen Sprachbewußtseins, das kritisch und selbstkritisch ist, das die geltenden Sprachnormen, ohne ihnen hörig zu sein, beachtet und sich in allen Zweifelsfragen des guten Sprachgebrauchs zuerst an der Literatur orientiert, wollen wir Sprachkultur nennen.“ (Weinrich 1985 b, 17)

Sprachnormen, Fachsprachen, historische Einbindung in die europäische Geisteswelt und Sprachentwicklung, Fremdsprachen und das Verhältnis der eigenen Sprache zu ihnen ⫺ also alles letztlich Themen im Umfeld von (a) SprachPFLEGE und SprachKRITIK und (Wissenschafts-)SprachSTILISTIK (s. Weinrich 1986; 1989; 1994; Kalverkämper/Weinrich 1986; Kretzenbacher 1992; Pörksen 1994; Schröder 1995) sowie (b) SprachERWERB (s. u. (5)), damit aber auch (c) SprachLENKUNG und SprachPLANUNG (s. Art. 91), letztlich also (d) SprachPOLITIK (s. u. (4)); und dies alles unter der Führerschaft der (e) SprachWISSENSCHAFT; dabei (e1.) durchaus auch historisch (vgl. Kalverkämper 1993) ⫺ so insbesondere auf das ergiebige 18. Jh. (s. einschlägige Beiträge in Kretzenbacher/Weinrich 1995) ⫺ ausgerichtet; und (e2.) die Schriftlichkeit wie auch die Mündlichkeit gleichermaßen beachtend (s. u. 2., Punkt (5): a)); sowie (e3.) insbesondere auf die wissenschaft(ssprach)lichen Textsorten und Kommunikationsformen hin orientiert; im Verein mit ⫺ wie Harald Weinrich (1985 b) es verlangt ⫺ (f) der (sogen. Schönen) Literatur und der Literaturwissenschaft, dabei natürlich auch flankiert von der (g) Übersetzungswissenschaft und Übersetzungspraxis (vgl. Art. 81 u. 82). Sprachkultur ist also praktische Anwendung bewußter Sprach(aus)wahl und auch, gleichsam meta-, kriteriengeleitete Reflexion über den Einsatz von Sprache. Daß es sich hier um einen gesellschaftlich virulenten Themenkomplex handelt, ist wohl erst mit der Fachkommunikation, dabei dann speziell mit

53

3. Fachsprache und Fachsprachenforschung

den Wissenschaftssprachen in den Blick geraten. (4) Hierhin gehört, weil von der wissenschaftssprachlichen Kommunikation her als eine gesellschaftliche und nationalsprachliche Herausforderung seit den letzten beiden Dekaden von allseits wachsendem Interesse, das Problem der um sich greifenden ANGLOPHONIE im internationalen (aber sogar auch im nationalen) wissenschaftlichen Austausch (vgl. grundsätzlich Skudlik 1990). „Die Spitzenforschung spricht Englisch“ (s. Kalverkämper/Weinrich 1986) birgt für die Sprachkultur im Wissenschaftsdiskurs Aussichten, die von Einschätzungen als einer Chance bis hin zu Beurteilungen als einer Form der monokulturellen Monotonie reichen (s. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2. (f), dort Punkt (3); vgl. auch Kalverkämper 1996 a, Kap. 2.6.3.; sowie Kretzenbacher 1992 und Oksaar/Skudlik/von Stackelberg 1988). (5) Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Problemstellungen (s. o. Punkte (1) bis (4)) stellt sich immer deutlicher die Herausforderung, eine dem fachlichen und wissenschaftlichen Bedarf adäquate Sprachvermittlung (Muttersprache wie Fremdsprache[n]) für die beteiligten gesellschaftlichen Gruppen und die verschiedenen Interessenten in der Öffentlichkeit anzubieten, und das setzt eine erfolgreich geleistete Reflexion voraus. Wissensvermittlung (Transfer) und Wissenschafts- bzw. Fachsprache gehören fest zueinander, so daß das ehemalige Feld einer DIDAKTIK (als Komplex der Lernziele und Lerninhalte) und METHODIK (als Beschäftigung mit den Lehrverfahren) des (Mutter- und Fremd-) Sprachenunterrichts nunmehr sich um einen zentralen Block „Didaktik der Fachsprachen (sprachübergreifend)“ zu gruppieren scheint, dort mit den Spezifizierungen „Didaktik der Fachfremdsprache (z. B. deutsche Fachsprache)“ und „Methodik der Einzelfachsprachen (z. B. deutsche Fachsprache Physik)“ (s. Fluck 1992, 112, insbes. Kap. 2.5., 3.1.2., 107⫺114, spez. 112; vgl. auch Buhlmann/ Fearns 1987). Eine prinzipielle Trennung bietet sich dabei an nach (i) ,(fach)übergreifend‘, wozu die wissenschaftssprachliche Ausbildung gehört, und nach (ii) ,fachspezifisch‘, was sich deutlich berufsbezogen orientiert (z. B. ,chemische Fachsprache‘). Zu diesen beiden Ausbildungszielen für fachbezogen handelnde und kommunizierende Gruppen ⫺ (i⬘) die wissenschaftsbezogene und (ii⬘) die berufspraxisbezogene

Sprachvarietät ⫺ sollte man noch, gemäß den situativen Vorgaben (Lernort, Adressaten, Zielsetzungen u. a.) (iii) die ausbildungsbezogene und (iv) die öffentlichkeitsbezogene Kommunikation hinzunehmen (Fluck 1992, 3). Vor dem Hintergrund einer zunehmend mobilen Lernerschaft in einer sich insgesamt als Informationsgesellschaft verstehenden bildungsbereiten, motivierten, eine fachlich qualifizierte Ausbildung und (fach- und wissenschafts-)sprachliche Kompetenz als Leistungsvoraussetzungen hoch schätzenden Klientel kommt dem mediengestützten Lernen ⫺ im Fernstudium ⫺ eine wichtige Rolle mit gesellschaftlich neuartigen Perspektiven (insbesondere: der Globalisierung) zu (s. Kalverkämper 1990 b); die Wissenschaftssprache als die dabei vom allgemeinen Lerninteresse her bevorzugte Varietät (vgl. Kretzenbacher 1992, 11) ermöglicht hier den Zugang: so ist für den Rahmen des Fernstudiums einer Fremdsprache das Wagnis erfolgreich abgeschlossen worden (s. Kalverkämper 1990 b; 1996 b), einen fächerübergreifend, dabei aber wissenschaftssprachlich stringenten Sprachlehrkurs (,Deutsch als Fremdsprache‘) zu entwickeln und fertigzustellen (Kalverkämper 1989⫺1993); (vgl. auch Art. 2, Abschn. 3.2.3.2. (f), dort Punkt (1)).

2.

Beschaffenheiten des Objekts ,Fachsprachen‘ ⫺ Ansprüche an die Fachsprachenforschung

Die Mittel, Leistungen, Besonderheiten, Möglichkeiten und Bedingungen der Fachsprachen werden mit Hilfe der Fachsprachenforschung untersucht. Forschungsobjekt und wissenschaftliche Disziplin bedingen sich gegenseitig. Die Fachsprachenforschung hat, da sie es mit Sprache ⫺ wenn auch in einem sehr komplexen Verständnis als ,Fachsprachen-inTexten-und-Kommunikationssituationen-undKultureinbettung‘ (s. o. 1.1. Ende; sowie Art. 2, Abschn. 3.3.) ⫺ zu tun hat, bislang keine eigenen Methoden und Darstellungsmittel entwickelt. Vielmehr bindet sie sich ein (1) in die Angebote an bewährten Instrumentarien und Methoden, die von den einzelnen linguistischen Disziplinen (wie Phonologie, Lexikologie, Morphologie und Syntax [,Morphosyntax‘], Textlinguistik, Pragmatik [hierzu s. Schröder 1993], Kontrastlinguistik [hierzu s. Baumann/Kalverkämper 1992], Soziologie [hierzu s. Oksaar 1988], Semiotik, Kulturemforschung u. a.) erarbeitet worden sind.

54 Und sie bindet sich (2) in den daraus abgesteckten Rahmen ein, indem sie (2 a) von dem anfänglichen (sechziger bis spätsiebziger Jahre) Selbstverständnis als Fachwortschatz-Analyse (Lexikologie und Lexikographie der Fachwörter bzw. des Fachwortschatzes), woraus sich relativ verselbständigt die Terminologiewissenschaft, Terminologielehre und Terminologiearbeit abgezweigt haben (s. Felber/Budin 1989 sowie ⫺ speziell zum Wissenschaftsumfeld des Begründers Eugen Wüster ⫺ Felber/Lang/Wersig 1979), sich weiterentwickelt hat (2 b) über die Fachsyntax und -stilistik (in den siebziger Jahren) zur (2 c) ab den mittsiebziger bis in die spätachtziger Jahre hin beherrschenden Fachtextlinguistik (in der methodologisch relevanten Gewichtung von [i] ,Fach-Textlinguistik‘ einerseits und [ii] ,Fachtext-Linguistik‘ andererseits (Kalverkämper 1983)) mit ihrer ab den spätachtziger Jahren bis heute dominierenden Fachtextsortenanalyse und Fachtextpragmatik, was dann (2 d) nunmehr, mit den neunziger Jahren, zu der äußerst komplexen, auch die kulturellen Kontextbedingungen mitberücksichtigenden Analyse der Fachkommunikation, der Fachkommunikationsforschung (Kalverkämper 1996 a; Picht 1996), geführt hat. In diesem umfassenden Spektrum ist der Disziplin größte wissenschaftliche und angewandte, somit auch breite gesellschaftliche Beachtung sicher. Und darin wiederum bietet sich ihr die Möglichkeit, die notwendigen Impulse interdisziplinär auszubringen (illustratives Stichwort dazu: FachmannLaie-Kommunikation; Antizipation und didaktisch gesteuerte Vermeidung von derart motivierten Kommunikationskonflikten) und Einfluß zu nehmen, wo es in der wissenschaftlichen ⫺ komplexer gesehen: in der gesellschaftlichen ⫺ Kommunikation sinnvoll und sogar als Bedarf gefragt ist (drei illustrierende Stichpunkte dazu: [i] Texte-Optimierung und kritische Stilistik der Wissenschaftssprache [vgl. Kretzenbacher 1992]; [ii] neue Berufsbilder wie Technischer Redakteur oder, ganz neu daraus abgeleitet, der Technische Illustrator [das fachliche Bild!] im Umfeld von Technical Writing bzw. ,Technischer Kommunikation‘ (vgl. Krings 1997; Göpferich 1997; sowie Art. 93 u. 106 a); [iii] Wissenschaftsethik (vgl. Art. 1, Abschn. 1.4.2.2.).

(1) Was allerdings die besonderen und somit die sie KONSTITUIERENDEN FAKTOREN sind, liegt im Untersuchungsbereich, nämlich (a) in den Fachsprachen, und über sie und mit ihnen natürlich auch: (b) in den Fächern, Berufen, Forschungszweigen, Wissenschaften (s. Art. 1). In dieser Kombination von neu verlangtem und erarbeitetem Forschungsbereich ⫺ Fachsprachen und Fächer ⫺ und dafür bereits bekannten Untersuchungsmitteln und Wegen hat die Fachsprachenforschung eigenprofilierte Optiken und Schwerpunktsetzungen entwickelt; diese finden sich hier schlagwortartig zusammengestellt (für nähere Aus-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

führungen s. die Art. 1, 2, 4 u. den vorliegenden 3) als Punkte (2) bis (4): (2) WISSENSCHAFTSBEREICHE: a) Lexikologie (Terminus, Normung) und Lexikographie (Fachwörterbücher); b) TextsortenAnalyse; c) Pragmatik (Bezüge zu Sachgebieten, fachlichem Handeln, Sprachhandeln im Fach, Sprache-in-Situationen). (3) METHODOLOGISCHE BEREICHERUNG: a) Varietäten-Problematik; b) Systematizität (Integrativität); c) Kontrastivität (Sprachenvergleich); d) Semiotizität (d. h. die Gemeinschaft von verschiedenen Zeichen, Zeichenqualitäten und Zeichenrelationen; semiotische Komplexität: Bild-Text-Gemeinschaften, Semiosen fachlicher Informationen, fachbezogene Körpersprache); e) Interdisziplinarität; f) Interkulturalität. (4) PROFILIERENDE AUSWIRKUNG AUF ANGEWANDTE DISZIPLINEN: a) (Fach-)Fremdsprachenunterricht; b) Translationswissenschaft (Übersetzen und Dolmetschen). Diese (und wohlmöglich noch weitere) Aspekte der Fachsprachenforschung und ihrer Auswirkungen begreifen sich aber prinzipiell als korrelativ zu anderen Forschungsaktivitäten. ,Eigenes‘ kann es da ⫺ abgesehen von der notwendig konstituierenden Fachgebundenheit und Sachbezogenheit (s. o. (1)) ⫺ nicht geben, aber Eigengewichtetes und, daraus abgeleitet, Eigenständiges in der Fachsprachenforschung und für sie sehr wohl. (5) Gerade der letzterwähnte Aspekt, nämlich die Eigenständigkeiten für die Fachsprachenforschung, rückt allerdings auch jene Merkmale in den Blick, die als unbestreitbare Qualitäten der Fachsprachen bislang dennoch noch nicht als Ansprüche an die Fachsprachenforschung breit zur Kenntnis genommen worden sind: Es sind also OBJEKTQUALITÄTEN, deren mögliches fachsprachliches Eigenprofil erst noch genauer untersucht werden muß (vgl. auch Art. 33); das betrifft in erster Linie: a) Die Medialität (Schriftlichkeit, Mündlichkeit), wobei die mündliche Fachkommunikation inzwischen seit Beginn der neunziger Jahre im Rahmen von ,Kommunikation und Institution‘ (vgl. Art. 69; gemeint sind z. B. Arzt-Patient-Konsultationsgespräche, Richter-/Anwalt-Angeklagter-Dialoge, Laborslang, Kommunikation im Betrieb/in innerbetrieblichen Funktionsabläufen und Kooperationsprozessen, u. a.) (vgl. Becker-Mrotzek 1990⫺ 1992; Brünner 1993) und durch gezielte Forschung zur Mündlichkeit und Dialogizität (so

3. Fachsprache und Fachsprachenforschung

Lenz 1993, Munsberg 1994) beachtet wird (vgl. Art. 5). b) Die Chronizität (Diachronie/Synchronie) muß ein unabweisliches Anliegen der Fachsprachenforschung sein, indem sie die historische Komponente mit einbezieht, und dies nicht nur als relativ eigenständige Disziplin (im Sinne einer historisch-fachsprachlich interessierten Philologie: Artes-Forschung, mittelalterliche Fachprosa-Forschung; s. Eis 1967; vgl. Art. 4, Abschn. 3.2.6.). Selbstverständlich sind Fachtexte auch Vorkommen in Texte- und Textsorten-Traditionen, sind sie Manifestationen von Konventionen (die sich ja ausschließlich historisch, in Zeitausdehnung, definieren). Und aus historischen Vorkommen lassen sich vielfältige gesellschaftsund arbeits- bzw. sachgeschichtliche sowie kulturhistorische Konsequenzen für die forschungsbestimmenden Probleme der Moderne ableiten (vgl. Kalverkämper 1993). c) Die Intertextualität, zuerst von der Literaturwissenschaft (Julia Kristeva) Ende der sechziger Jahre erkannt, meint die Abhängigkeitsbeziehungen und inhaltlichen Aufruf-Bezüge zwischen Texten bzw. Textsorten und ihren schriftlichen und mündlichen Vorgängertext(sort)en. In diesem verkettenden Wechselspiel bildet sich eine Textetradition heraus, die die Autoren nutzen und die die Hörer und Leser in ihre Rezeption mit einbeziehen (vgl. Broich/Pfister 1985). Bei der fachlichen Kommunikation ist dies von konstitutivem Belang und muß als relationales Band der fachlich, wissenschaftlich interagierenden Gemeinschaft berücksichtigt werden, insbesondere (i) bei den Textsorten und ihren Beziehungen (wissenschaftlicher Dialog, Fußnoten und Anmerkungen [Zitierwesen], Vorlesung, Seminar, Laborlisten, Forschungsbericht, Gutachten, Gegengutachten, Rezension, Abstract, Vorwort, Sachbuch usw.) (vgl. z. B. Kretzenbacher 1990; Oldenburg 1992; Kretzenbacher/Thurmair 1992; Adolphi 1996; Sternkopf 1996); (ii) bei der Didaktik (s. o. 1.3., Punkt (5)); (iii) bei der Interkulturalität (vgl. Kap. XI.).

3.

Literatur (in Auswahl)

Adolphi 1996 ⫽ Katrin Adolphi: Eine fachliche Textsorte in ihren Bezügen und Abgrenzungen: Die Textsortenvariante ,Extended Abstract‘. In: Kalverkämper/Baumann 1996, 478⫺500. Arntz/Picht 1989 ⫽ Reiner Arntz/Heribert Picht: Einführung in die Terminologiearbeit. Hildesheim. Zürich. New York 1989 (Studien zu Sprache und Technik 2).

55 Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 18). Baumann 1993 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Ein komplexes Herangehen an das Phänomen der Fachlichkeit von Texten. In: Fachsprachentheorie I: Fachsprachliche Terminologie, Begriffs- und Sachsysteme, Methodologie. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 395⫺429. Baumann 1996 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Fachtextsorten und Kognition ⫺ Erweiterungsangebote an die Fachsprachenforschung. In: Kalverkämper/ Baumann 1996, 355⫺388. Baumann/Kalverkämper 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann/Hartwig Kalverkämper (Hrsg.): Kontrastive Fachsprachenforschung. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20). Baumann/Kalverkämper 1996 ⫽ Klaus-Dieter Baumann/Hartwig Kalverkämper: Curriculum vitae ⫺ cursus scientiae ⫺ progressus linguisticae. Fachtextsorten als Thema: Zur Einführung. Zugleich eine Würdigung des wissenschaftlichen Werks von Lothar Hoffmann (Leipzig) anläßlich seines 65. Geburtstags am 23. Oktober 1993. In: Kalverkämper/Baumann 1996, 13⫺34. Becker-Mrotzek 1990⫺1992 ⫽ Michael BeckerMrotzek: Kommunikation und Sprache in Institutionen. Ein Forschungsbericht zur Analyse institutioneller Kommunikation. Teil I: Sammelbände mit Arbeiten zur Kommunikation in Institutionen und Monographien zu Beratungen in Institutionen. In: Deutsche Sprache 18. 1990, 158⫺190, 241⫺259. ⫺ Teil II: Arbeiten zur Kommunikation in juristischen Institutionen. In: Deutsche Sprache 19. 1991, 270⫺288, 350⫺372. ⫺ Teil III: Arbeiten zur Kommunikation in medizinischen Institutionen. In: Deutsche Sprache 20. 1992, 275⫺286, 336⫺369. Bliesener 1980 ⫽ Thomas Bliesener: Erzählen unerwünscht. Erzählversuche von Patienten in der Visite. In: Ehlich 1980, 143⫺178. Broich/Pfister 1985 ⫽ Ulrich Broich/Manfred Pfister (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35). Brünner 1987 ⫽ Gisela Brünner: Metaphern für Sprache und Kommunikation in Alltag und Wissenschaft. In: Diskussion Deutsch 18. Heft 94, 1987, 100⫺119. Brünner 1993 ⫽ Gisela Brünner: Mündliche Kommunikation in Fach und Beruf. In: Fachsprachentheorie II: Konzeptionen und theoretische Richtungen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 730⫺771. Budin 1996 ⫽ Gerhard Budin: Wissensorganisation und Terminologie. Die Komplexität und Dynamik wissenschaftlicher Informations- und Kommunikationsprozesse. Tübingen 1996 (Forum für Fachsprachen-Forschung 28). Buhlmann/Fearns 1987 ⫽ Rosemarie Buhlmann/ Anneliese Fearns: Handbuch des Fachsprachenun-

56 terrichts. Unter besonderer Berücksichtigung naturwissenschaftlich-technischer Fachsprachen. Berlin. München. Wien. Zürich. New York 1987 (Fremdsprachenunterricht in Theorie und Praxis). Drozd/Seibicke 1973 ⫽ Lubomir Drozd/Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Bestandsaufnahme⫺Theorie⫺Geschichte. Wiesbaden 1973. Ehlich 1980 ⫽ Konrad Ehlich (Hrsg.): Erzählen im Alltag. Frankfurt/M. 1980. Ehlich 1984 ⫽ Konrad Ehlich (Hrsg.): Erzählen in der Schule. Tübingen 1984 (Kommunikation und Institution 10). Eis 1967 ⫽ Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. 2., durchges. Aufl. Stuttgart 1967. Felber/Budin 1989 ⫽ Helmut Felber/Gerhard Budin: Terminologie in Theorie und Praxis. Tübingen 1989 (Forum für Fachsprachen-Forschung 9). Felber/Lang/Wersig 1979 ⫽ Helmut Felber/Friedrich Lang/Gernot Wersig (Hrsg.): Terminologie als angewandte Sprachwissenschaft. Gedenkschrift für Univ.-Prof. Dr. Eugen Wüster. München. New York. London. Paris 1979. Fluck 1991 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 4. Aufl. Tübingen 1991. (Unveränd. Aufl. der 3., aktual. u. erw. Aufl. 1985; 5., aktual. u. erw. Aufl. 1996). Fluck 1992 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Didaktik der Fachsprachen. Aufgaben und Arbeitsfelder, Konzepte und Perspektiven im Sprachbereich Deutsch. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 16). Gerzymisch-Arbogast 1995 ⫽ Heidrun GerzymischArbogast: Termini im Kontext. Verfahren zur Erschließung und Übersetzung der textspezifischen Bedeutung von fachlichen Ausdrücken. Tübingen 1996 (Forum für Fachsprachen-Forschung 31). Gipper 1971 ⫽ Helmut Gipper: Denken ohne Sprache? Düsseldorf 1971. Gipper 1972 ⫽ Helmut Gipper: Gibt es ein sprachliches Relativitätsprinzip? Untersuchungen zur Sapir-Whorf-Hypothese. Frankfurt/M. 1972 (Conditio humana). Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). Göpferich 1995 ⫽ Susanne Göpferich: Textsorten in Naturwissenschaften und Technik. Pragmatische Typologie ⫺ Kontrastierung ⫺ Translation. Tübingen 1995 (Forum für Fachsprachen-Forschung 27). Göpferich 1997 ⫽ Susanne Göpferich: Fachliches adressatengerecht vermitteln. Interkulturelles Technical Writing. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Tübingen 1997 (Forum für Fachsprachen-Forschung 40). Gülich/Raible 1975 ⫽ Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible (Hrsg.): Textsorten ⫺ Differenzierungskri-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation terien aus linguistischer Sicht. 2. Aufl. Wiesbaden 1975. Gülich/Raible 1977 ⫽ Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible: Linguistische Textmodelle. Grundlagen und Möglichkeiten. München 1977 (Uni-Taschenbücher 130). von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung. Linguistische Konzepte. Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Harre´ 1970 ⫽ R. Harre´: The Principles of Scientific Thinking. London 1970. Harweg 1993 ⫽ Roland Harweg: Narrative Fachsprache. Ein Beitrag zur Fachtextlinguistik am Beispiel von Sportberichten. In: Fachsprachentheorie II: Konzeptionen und theoretische Richtungen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 848⫺879. Haubrichs 1976 ⫽ Wolfgang Haubrichs (Hrsg.): Erzählforschung 1. Theorien, Modelle und Methoden der Narrativik. Mit einer Auswahlbibliographie zur Erzählforschung. Göttingen 1976 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Beiheft 4). Haubrichs 1977 ⫽ Wolfgang Haubrichs (Hrsg.): Erzählforschung 2. Theorien, Modelle und Methoden der Narrativik. Mit einem Nachtrag zur Auswahlbibliographie in Erzählforschung 1. Göttingen 1977 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Beiheft 6). Haubrichs 1978 ⫽ Wolfgang Haubrichs (Hrsg.): Erzählforschung 3. Theorien, Modelle und Methoden der Narrativik. Mit einem Nachtrag zur Auswahlbibliographie in Erzählforschung 1 und 2. Göttingen 1978 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Beiheft 6). Henne/Mentrup/Möhn/Weinrich 1978 ⫽ Helmut Henne/Wolfgang Mentrup/Dieter Möhn/Harald Weinrich (Hrsg.): Interdisziplinäres deutsches Wörterbuch in der Diskussion. Düsseldorf 1978 (Sprache der Gegenwart 45). Hoffmann 1985 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2. völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1985 (Forum für Fachsprachen-Forschung 1). Hoffmann 1988 ⫽ Lothar Hoffmann: Vom Fachwort zum Fachtext. Beiträge zur Angewandten Linguistik. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 5). Hoffmann 1993 ⫽ Lothar Hoffmann: Fachwissen und Fachkommunikation. Zur Dialektik von Systematik und Linearität in den Fachsprachen. In: Fachsprachentheorie II: Konzeptionen und theoretische Richtungen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 595⫺617. Hoffmann 1980 ⫽ Ludger Hoffmann: Zur Pragmatik von Erzählformen vor Gericht. In: Ehlich 1980, 28⫺63. Honeck/Hoffmann 1980 ⫽ R. P. Honeck/R. R. Hoffmann [Eds.]: Cognition and Figurative Language. Hillsdame/N. Y. 1980.

3. Fachsprache und Fachsprachenforschung Husserl 1954 ⫽ Edmund Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Den Haag 1954 (Husserliana VI). Ickler 1993 ⫽ Theodor Ickler: Zur Funktion der Metapher, besonders in Fachtexten. In: Fachsprache. International Journal of LSP 15. 1993, 96⫺110. Ickler 1997 ⫽ Theodor Ickler: Die Disziplinierung der Sprache. Fachsprachen in unserer Zeit. Tübingen 1997 (Forum für Fachsprachen-Forschung 33). Jahr 1996 ⫽ Silke Jahr: Das Verstehen von Fachtexten. Rezeption ⫺ Kognition ⫺ Applikation. Tübingen 1996 (Forum für Fachsprachen-Forschung 34). Jakob 1991 ⫽ Karlheinz Jakob: Maschine, Mentales Modell, Metapher. Studien zur Semantik und Geschichte der Techniksprache. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 123). Kalverkämper 1978 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Problematik von Fachsprache und Gemeinsprache. In: Sprachwissenschaft 3. 1978, 406⫺444. Kalverkämper 1980 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Axiomatik der Fachsprachen-Forschung. In: Fachsprache 2. 1980, 2⫺20. Kalverkämper 1981 a ⫽ Hartwig Kalverkämper: Orientierung zur Textlinguistik. Tübingen 1981 (Linguistische Arbeiten 100). Kalverkämper 1981 b ⫽ Hartwig Kalverkämper: Der Bestand der Textlinguistik I, II. In: Deutsche Sprache 9. 1981, 224⫺270 (I), 329⫺379 (II). Kalverkämper 1982 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Fachsprachen und Textsorten. In: Proceedings of the Third European Symposium on Language for Special Purposes ‘LSP’, Copenhagen 1981: Pragmatics and LSP. Ed. by Jørgen Høedt, Lita Lundquist, Heribert Picht and Jacques Qvistgaard. Copenhagen 1982, 105⫺168. Kalverkämper 1983 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Textuelle Fachsprachen-Linguistik als Aufgabe. In: Fachsprache und Fachliteratur. Hrsg. v. Helmut Kreuzer und Brigitte Schlieben-Lange. Göttingen 1983 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 13. Heft 51/52), 124⫺166. Kalverkämper 1987 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Vom Terminus zum Text. In: Standorte der Fachsprachen-Forschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum für Angewandte Linguistik 11), 39⫺78. Kalverkämper 1989 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Verständlichkeit, Verständnis und Verständigung im Fadenkreuz: der Wissenschaftstransfer. In: Kodikas/Code ⫺ Ars Semeiotica. An International Journal of Semiotics 11. 1989, 114⫺126. Kalverkämper 1989⫺1993 ⫽ Hartwig Kalverkämper [Verantwortl. Leiter u. Mit-Autor]/[wechselnde Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der fünfjährigen Projektentwicklung]: Fernstudienkurs Deutsch. Ein Weg zu wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und

57 kulturellen Kontakten. Ein Kurs für Lerner mit spanischer Muttersprache in Mittel- und Südamerika. Hagen (FernUniversität) 1989⫺1993. ⫺ (12 Lehreinheiten zu je ca. 190 S. plus je 2 bis 3 Tonkassetten; pädagogisches Begleitmaterial [Fernstudium] zus. ca. 100 S.). ⫺ (2., überarb. Aufl. Hagen 1996). Kalverkämper 1990 a ⫽ Hartwig Kalverkämper: Gemeinsprache und Fachsprachen ⫺ Plädoyer für eine integrierende Sichtweise. In: Deutsche Gegenwartssprache. Tendenzen und Perspektiven. [Jahrbuch 1989 Institut für deutsche Sprache, Mannheim, zum 25-jährigen Jubiläum des IdS]. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Berlin. New York 1990, 88⫺133. Kalverkämper 1990 b ⫽ Hartwig Kalverkämper: Kultur- und Wissenschaftssprache Deutsch ⫺ Deutsch als Fremdsprache für das Fernstudium in Lateinamerika. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen. Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen 19: Fachsprachen und ihre Vermittlung. 1990, 97⫺125. Kalverkämper 1993 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Diachronie in der Fachsprachenforschung ⫺ Überlegungen zu Inhalt, Methoden und Zielen. In: Finlance. A Finnish Journal of Applied Linguistics (University of Jyväskylä, Finland) 12: Diachrone Fachsprachenforschung/Diachronic LSPResearch. 1993, 18⫺47. Kalverkämper 1995 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Kultureme erkennen, lehren und lernen ⫺ Eine kontrastive und interdisziplinäre Herausforderung an die Forschung und Vermittlungspraxis. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen. Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen 24: Kontrastivität und kontrastives Lernen. 1995, 138⫺181. Kalverkämper 1996 a ⫽ Hartwig Kalverkämper: Im Zentrum der Interessen: Fachkommunikation als Leitgröße. In: Hermes. Tidsskrift for Sprogforskning/Journal of Linguistics/Revue de Linguistique/ ˚ rZeitschrift für Linguistik [Handelshøjskolen i A hus, Danmark] 16. 1996, 1⫺61. Kalverkämper 1996 b ⫽ Hartwig Kalverkämper: „Deutsch als“: Herausforderungen im DisziplinenSpektrum ⫺ Verpflichtungen für die Sprach-, Sachund Kulturvermittlung. In: Autonomes Lernen ⫺ Lernpsychologie im Fremdsprachenunterricht ⫺ Deutsch als Fremdsprache im internationalen Kontakt ⫺ Qualitätskriterien für Sprachkurse DaF im außeruniversitären Bereich. Hrsg. v. Armin Wolff, Anette Köppel und Anneliese Stein-Meintker. Regensburg 1996 (Materialien Deutsch als Fremdsprache 42), 35⫺61. Kalverkämper/Baumann 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper/Klaus-Dieter Baumann (Hrsg.): Fachliche Textsorten. Komponenten ⫺ Relationen ⫺ Strategien. Tübingen 1996 (Forum für FachsprachenForschung 25). Kalverkämper/Weinrich 1986 ⫽ Hartwig Kalverkämper/Harald Weinrich (Hrsg.): Deutsch als Wis-

58 senschaftssprache. Tübingen 1986 (Forum für Fachsprachen-Forschung 3). Klein 1989 ⫽ Klaus-Peter Klein. Erzählen im Unterricht. Erzähltheoretische Aspekte einer Erzähldidaktik. In: Ehlich 1980, 263⫺295. Koselleck/Stempel 1973 ⫽ Reinhart Koselleck/ Wolf-Dieter Stempel (Hrsg.): Geschichte ⫺ Ereignis und Erzählung. München 1973 (Poetik und Hermeneutik 5). Kretzenbacher 1990 ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher: Rekapitulation. Textstrategien der Zusammenfassung von wissenschaftlichen Fachtexten. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 11). Kretzenbacher 1992 ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher: Wissenschaftssprache. Heidelberg 1992 (Studienbibliographien Sprachwissenschaft 5). Kretzenbacher 1994 a ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher: Wie durchsichtig ist die Sprache der Wissenschaften? In: Kretzenbacher/Weinrich 1994, 15⫺39. Kretzenbacher 1994 b ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher: ‘Just Give Us the Facts!’ The Connection Between the Narrative Taboo, the Ego Taboo and the Metaphor Taboo in Scientific Style. In: Lingua e Stile 29. 1994, Heft 1, 115⫺130. Kretzenbacher/Thurmair 1992 ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher/Maria Thurmair: Textvergleich als Grundlage zur Beschreibung einer wissenschaftlichen Textsorte: Das Peer Review. In: Baumann/ Kalverkämper 1992, 135⫺146. Kretzenbacher/Weinrich 1994 ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher/Harald Weinrich (Hrsg.): Linguistik der Wissenschaftssprache. Berlin. New York 1994 (Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Forschungsbericht 10). Krings 1996 ⫽ Hans P. Krings (Hrsg.): Wissenschaftliche Grundlagen der Technischen Kommunikation. Tübingen 1996 (Forum für Fachsprachen-Forschung 32). Lämmert 1982 ⫽ Eberhard Lämmert (Hrsg.): Erzählforschung. Ein Symposion. Stuttgart 1982 (Germanistische Symposien. Berichtsbände IV). Laure´n/Nordman 1991 ⫽ Christer Laure´n/Marianne Nordman: Corpus Selection in LSP Research. In: Schröder 1991 a, 218⫺239. Lenz 1993 ⫽ Friedrich Lenz: Ansätze zur Analyse mündlicher Fachkommunikation. In: Fachsprachentheorie I: Fachsprachliche Terminologie, Begriffs- und Sachsysteme, Methodologie. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 341⫺367. Liebert 1996 ⫽ Wolf-Andreas Liebert: Die transdiskursive Vorstellungswelt zum Aids-Virus. Heterogenität und Einheit von Textsorten im Übergang von Fachlichkeit und Nichtfachlichkeit. In: Kalverkämper/Baumann 1996, 789⫺811. Loffler-Laurian 1980 ⫽ Anne-Marie Loffler-Laurian: L’Expression du locuteur dans les discours

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation scientifiques. ,Je‘, ,nous‘ et ,on‘ dans quelques textes de chimie et de physique. In: Revue de Linguistique Romane 44. 1980, 135⫺157. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Munsberg 1994 ⫽ Klaus Munsberg: Mündliche Fachkommunikation. Das Beispiel Chemie. Tübingen 1994 (Forum für Fachsprachen-Forschung 21). Niederhauser 1996 ⫽ Jürg Niederhauser: Darstellungsformen von Wissenschaften als Thema der Fachsprachenforschung. In: Kalverkämper/Baumann 1996, 37⫺64. Nordman 1993 ⫽ Marianne Nordman: Minilects. In: Fachsprachentheorie II: Konzeptionen und theoretische Richtungen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 772⫺801. Oksaar 1988 ⫽ Els Oksaar: Fachsprachliche Dimensionen. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 4). Oksaar/Skudlik/von Stackelberg 1988 ⫽ Els Oksaar/Sabine Skudlik/Jürgen von Stackelberg: Gerechtfertigte Vielfalt. Zur Sprache in den Geisteswissenschaften. Darmstadt 1988. Oldenburg 1992 ⫽ Hermann Oldenburg: Angewandte Fachtextlinguistik. ,Conclusions‘ und Zusammenfassungen. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 17). Picht 1996 ⫽ Heribert Picht: Fachkommunikation⫺Fachsprache. In: The 10th European Symposium on Language for Special Purposes, Wien 1995: Multilingualism in Specialist Communication/Mehrsprachigkeit in der Fachkommunikation/ Multilingualisme dans la Communication spe´cialise´e. Proceedings/Tagungsband/Actes. Vol. 1. Ed. by Gerhard Budin. Vienna 1996 (IITF, Infoterm), 27⫺45. Pörksen 1986 ⫽ Uwe Pörksen: Deutsche Naturwissenschaftssprachen. Historische und kritische Studien. Tübingen 1986 (Forum für FachsprachenForschung 2). Pörksen 1994 ⫽ Uwe Pörksen: Wissenschaftssprache und Sprachkritik. Untersuchungen zu Geschichte und Gegenwart. Tübingen 1994 (Forum für Fachsprachen-Forschung 22). Raible 1980 ⫽ Wolfgang Raible: Was sind Gattungen? Eine Antwort aus semiotischer und textlinguistischer Sicht. In: Poetica. Zeitschrift für Sprachund Literaturwissenschaft 12. 1980, 320⫺349. Rolf 1993 ⫽ Eckard Rolf: Die Funktionen der Gebrauchstextsorten. Berlin. New York 1993 (Grundlagen der Kommunikation und Kognition/ Foundations of Communication and Cognition). Sandig 1979 ⫽ Barbara Sandig: Erzählen ⫺ Vorschläge für eine Lehreinheit in Klasse 6 auf erzähltheoretischer Grundlage. In: Linguistik und Didaktik 10. 1979, 171⫺190. Schaeder/Bergenholtz 1994 ⫽ Burkhard Schaeder/ Henning Bergenholtz (Hrsg.): Fachlexikographie.

3. Fachsprache und Fachsprachenforschung Fachwissen und seine Repräsentation in Wörterbüchern. Tübingen 1994 (Forum für FachsprachenForschung 23). Scharnhorst/Ising 1976 ⫽ Jürgen Scharnhorst/ Erika Ising (Hrsg.): Grundlagen der Sprachkultur. Beiträge der Prager Linguistik zur Sprachtheorie und Sprachpflege I. Berlin 1976 (Sprache und Gesellschaft 8/1). Scharnhorst/Ising 1982 ⫽ Jürgen Scharnhorst/ Erika Ising (Hrsg.): Grundlagen der Sprachkultur. Beiträge der Prager Linguistik zur Sprachtheorie und Sprachpflege II. Berlin 1982 (Sprache und Gesellschaft 8/2). Schröder 1991 a ⫽ Hartmut Schröder (Ed.): Subject-oriented Texts. Languages for Special Purposes and Text Theory. Berlin. New York 1991 (Research in Text Theory / Untersuchungen zur Texttheorie 16). Schröder 1991 b ⫽ Hartmut Schröder: Linguistic and Text-theoretical Research on Languages for Special Purposes. A thematic and bibliographical guide. In: Schröder 1991 a, 1⫺48. Schröder 1995 ⫽ Hartmut Schröder: Der Stil wissenschaftlichen Schreibens zwischen Disziplin, Kultur und Paradigma ⫺ Methodologische Anmerkungen zur interkulturellen Stilforschung. In: Stilfragen. [Jahrbuch des Instituts für deutsche Sprache, Mannheim, 1994]. Hrsg. v. Gerhard Stikkel. Berlin. New York 1995, 150⫺180. Schuldt 1992 ⫽ Janina Schuldt: Den Patienten informieren. Beipackzettel von Medikamenten. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 15). Skudlik 1990 ⫽ Sabine Skudlik: Sprachen in den Wissenschaften. Deutsch und Englisch in der internationalen Kommunikation. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 10). Sternkopf 1996 ⫽ Jochen Sternkopf: Vorwort und Rezension: Nahe Textsorten für eine ferne Interaktion. In: Kalverkämper/Baumann 1996, 468⫺477. Störel 1992 ⫽ Thomas Störel: Metaphern für musikalische Eindrücke in Wissenschaft und Dichtung. In: Baumann/Kalverkämper 1992, 211⫺220. Störel 1997 ⫽ Thomas Störel: Metaphorik im Fach. Bildfelder in der musikwissenschaftlichen Kommunikation. Tübingen 1997 (Forum für Fachsprachen-Forschung 30). Tayler 1984 ⫽ W. Tayler (Ed.): Metaphors of Education. London (Studies in Education 14). Way 1991 ⫽ Eileen Cornell Way: Knowledge Representation and Metaphor. Dordrecht 1991 (Studies in Cognitive Systems 7). Weingart 1995 ⫽ Peter Weingart: Die Einheit der Wissenschaft ⫺ Mythos und Wunder. In: Grenzüberschreitungen in der Wissenschaft. Crossing Boundaries in Science. Hrsg. v. Peter Weingart. Baden-Baden 1995 (Interdisziplinäre Studien/ZiF 1), 11⫺28.

59 Weinrich 1971 ⫽ Harald Weinrich: Erzählte Philosophie oder Geschichte des Geistes. In: Harald Weinrich: Literatur für Leser. Essays und Aufsätze zur Literaturwissenschaft. Stuttgart. Berlin. Köln. Mainz 1971 (Sprache und Literatur 68), 150⫺163. ⫺ Auch in [Taschenbuchausgabe]: München 1986, 184⫺202. ⫺ Franz. Übers.: Histoire de l’esprit ou la philosophie raconte´e. In: Harald Weinrich: Conscience linguistique et lectures litte´raires. Paris 1989 (Maison des sciences de l’homme), 89⫺97. Weinrich 1973 ⫽ Harald Weinrich: Narrative Theologie. In: Concilium 5. 1973, 329⫺344. ⫺ (Auch in: Theologisches Jahrbuch 1976, Leipzig 1978, 482⫺ 490). Weinrich 1974 ⫽ Harald Weinrich: Interdisziplinäre Forschung an neuen Universitäten. In: Freiburger Universitätsblätter, Heft 45 (August 1974). 1974, 43⫺54. Weinrich 1976 ⫽ Harald Weinrich: Sprache in Texten. Stuttgart 1976. Weinrich 1978 ⫽ Harald Weinrich: Plädoyer für ein interdisziplinäres Wörterbuch der deutschen Sprache. In: Henne/Mentrup/Möhn/Weinrich 1978, 11⫺30. ⫺ Bearb. auch in: Weinrich 1985 b, 61⫺82. Weinrich 1985 a ⫽ Harald Weinrich: Fremdsprachen für den Alltag und der Alltag des Fremdsprachenunterrichts. [1981]. In: Weinrich 1985 b, 265⫺ 289. Weinrich 1985 b ⫽ Harald Weinrich: Wege der Sprachkultur. Stuttgart 1985. ⫺ (2. Aufl. 1988). Weinrich 1986 ⫽ Harald Weinrich: Sprache und Wissenschaft. In: Kalverkämper/Weinrich 1986, 183⫺193. ⫺ Auch in: Kretzenbacher/Weinrich 1994, 3⫺13. ⫺ Auch in: Weinrich 1985 b, 42⫺60. ⫺ Franz. Übers.: Langage et science. In: Harald Weinrich: Conscience linguistique et lectures litte´raires. Paris 1989 (Maison des sciences de l’homme), 273⫺285. Weinrich 1989 ⫽ Harald Weinrich: Formen der Wissenschaftssprache. In: Jahrbuch 1988 der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin. New York 1989, 119⫺158. Weinrich 1994 ⫽ Harald Weinrich: Wissenschaftssprache, Sprachkultur und die Einheit der Wissenschaft. In: Kretzenbacher/Weinrich 1994, 155⫺174. Wiegand 1988 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Was eigentlich ist Fachlexikographie? Mit Hinweisen zum Verhältnis von sprachlichem und enzyklopädischem Wissen. In: Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien. Ludwig Ernst Schmitt zum 80. Geburtstag von seinen Marburger Schülern. Hrsg. v. Horst Haider Munske, Peter von Polenz, Oskar Reichmann und Reiner Hildebrandt. Berlin. New York 1988, 729⫺790. Wittgenstein 1960 ⫽ Ludwig Wittgenstein: Schriften: Tractatus logico-philosophicus ⫺ Tagebücher 1914⫺1916 ⫺ Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. 1960.

Hartwig Kalverkämper, Berlin

60

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

4. Darstellungsformen und Leistungen schriftlicher Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Wissenschaftstheoretische Grundlagen Inhalt und Form: Einblicke in die Begriffs-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte Texte und Gattungen (Textsorten) Darstellungsformen der Fachlichkeit in den Einzeltexten Literatur (in Auswahl)

Wissenschaftstheoretische Grundlagen

1.1. Kommunikation-im-Fach Alles Kommunizieren ist dyadisch oder dialogisch, also: partnergerichtet. Die „kommunikative Dyade“ (Weinrich 1993, 17 f) dient im Grunde nur einem Zweck: auf den anderen einzuwirken, um sein Handeln zu beeinflussen. Das gilt gleichermaßen für die mündliche wie für die schriftliche Kommunikation. Die KOMMUNIKATION-IM-FACH ist hiervon nicht ausgenommen; hier sind allerdings die Kommunikationsziele deutlich auf das Handeln-im-Fach gerichtet, indem das Kommunizieren darauf einwirken will, das Handeln so auf ein bestimmtes Ziel hin steuern zu können (s. Art. 1). Dieses Ziel ist ⫺ innerhalb des grundsätzlich geltenden Kommunikationsziels, nämlich die mit Sprache (und Nonverbalität wie Körpersprache) erreichbare Veränderung von Situationen ⫺ spezieller gefaßt: d. h. hin auf Nutzen und Mehren (i) von Wissen, von fachbezogenen Kenntnissen (zum Wohl von Fach, Disziplin, Beruf, Wissenschaft und Technik), (ii) von Forschungs- und fachlicher Entwicklungs- sowie Produktionsleistung, (iii) von Effektivität (wie sie sich an akzeptierten Ergebnissen mißt). Das Ziel von Fachkommunikation ist also primär utilitaristisch definiert (und nicht z. B. ästhetisch) und dient dem Fortschritt, und dieser versteht sich in der heutigen Welt als Teil von Zivilisation, die ihrerseits (insbesondere in der abendländischen Wertegemeinschaft) die Grundlage eines komplexen Begriffs von ,Kultur‘ (vgl. Art. 1, Abschn. 1.1.2.) bietet. 1.2. Information Das aber genau (s. o. 1.1.) setzt voraus, daß Inhalte mitteilbar sind (und daß ⫺ umgekehrt ⫺ das Mitgeteilte seinerseits erkennbare Inhalte hat). Dafür gibt es die sprachliche In-

Form-Setzung oder kurz: die INFORMATION, was etymologisch genau dies auch besagt: Eine Mitteilungsabsicht soll „gebildet“, „in Form gebracht“ werden. Es liegt nahe, hier mit dem Aspekt des ,Bildens‘ auch belehrende, instruktive, lehrende, didaktische Komponenten über die reine Nachricht hinausgehend zu erkennen (im 15./16. Jh. ist, aber schon gemäß lateinisch-antikem Verständnis ⫺ informare ad humanitatem ,unterrichten‘, ,bilden‘ ⫺, der Begriff ,Information‘ gleichbedeutend mit ,Belehrung‘, ,durch Unterweisung bilden‘, also: ,unterrichten‘). Einflußnahme auf die Reaktion des Gegenüber ist dem begrifflichen Umfeld von ,Information‘ seit alters her eigen. Dies wiederum besagt (was für die moderne Informationstheorie fast schon trivial ist, für die etymologische Herleitung aber einen begrifflichen Prozeß beinhaltet), daß mit dem Informieren somit immer eine Steuerung des Rezeptionsablaufs durch Auswahl vorgenommen wird, also immer eine Verengung der potentiellen Sichtweisen gegeben, folglich eine Reduktion von Möglichkeiten grundständig ist (hierzu, aus textlinguistischer Sicht, bereits Weinrich 1966). Dies seinerseits setzt dann voraus, daß der Hörer oder Leser in ebendieser Beschneidung von möglichen anderen Informationen und Informationsweisen orientiert und folglich nicht mit dem (ihm bis zum Hören oder Lesen noch unbekannten) Informationsangebot unvorbereitet allein gelassen wird. 1.3. Erwartbarkeit Hier muß folglich der Informations-Begriff ergänzt werden durch den Begriff der ERWARTBARKEIT: und zwar (a) der Erwartbarkeit von Inhalten durch deren sie vorbereitende Form (Rezipientenperspektive) (z. B. Gedicht oder Theaterstück als solches bereits erkennbar über die Form); und (b) umgekehrt gesehen (Produzenten-/Autorenperspektive): die Gebundenheit von (relativ) konstanten Inhalten oder Inhaltstypen an bestimmte, eben dann für solche Inhalte erwartbare Formen und Formtypen (z. B. wer einen Handelskorrespondenz-Text, ein Abstract, ein medizinisches Rezept, usw. schreiben will, hat bestimmte Formalia zu beachten und einzuhalten). Die (relativ) feste Relation von

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte

Form und Inhalt als eine erwartbare (das ist die Rezipientenposition) und dann auch zu praktizierende (das ist die Produzentenposition) und somit auch im Ergebnis manifeste Bedingungsgemeinschaft (das ist die RealisatPosition, also der jeweils konkrete Text [in seinem soziokulturellen Kontext]) ist Voraussetzung für eine Kommunikation, die (i) ökonomisch (Komplexitätsbewältigung), (ii) inhaltlich effizient (maximale Ausbeute von Information durch zusätzliche Determinanten und Orientierungshilfen wie insbesondere deren Formgebung) und (iii) sozial weitestgehend konfliktlos („konsentiell“ durch Konventionen) funktionieren soll. Im Alltag mögen die Ansprüche an diese drei tragenden Kommunikationsideale (i) bis (iii) schon mal zurückgeschraubt sein, was dann toleriert wird, weil so viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen, diese Ansprüche im Bedarfsfall dann doch durchzusetzen, wie z. B. situative Verstehenshilfen, spezifisches Vorwissen, fallbezogenes Kombinieren, direktes Nachfragen, sofortiges Antwortgeben, nonverbale Ersatzformen (Gestik, Mimik, Zeichen usw.) u. a. 1.4. Fachliche Kommunikationsinhalte / Kommunikationsformen In der Gegenwelt des Alltags aber (s. Art. 1, Abschn. 1.2., insbes. 1.2.2.), also in der Arbeitswelt, verlangen (a) die FACHLICHEN KOMMUNIKATIONSINHALTE auch bestimmte, formal manifeste Verwendungseigenschaften, von denen die Postulate der Exaktheit, der Explizitheit, der Ökonomie und der Anonymität die bekanntesten, weil immer wieder erhobenen sind (vgl. Kap. V). ⫺ Und (b) umgekehrt, mit Blick auf die FACHLICHE KOMMUNIKATIONSFORM, gibt es (b1), worauf Harald Weinrich (1989 a, 132⫺139) im Zusammenhang einer kritischen Stilistik der Wissenschaftssprache hingewiesen hat, Form-Verbote, wie das ,Ich‘-Verbot, das Erzähl-Verbot und das Metaphern-Verbot (vgl. Art. 3, Abschn. 1.3.); sowie (b2), was z. B. Gauger (1985), Oksaar (1985) oder auch Pörksen (1994) ⫺ in Verein mit anderen Sprachkritikern, -stilistikern und -pflegern (vgl. dazu orientierend Kalverkämper/Weinrich 1986 sowie bibliographisch grundlegend Kretzenbacher 1992, außerdem Schröder 1995) ⫺ mit Kritik und Kriterien propagieren, Form-Gebote (mit deutlichem Ausgriff auf die inhaltliche Darstellung), wie ,dienendes Sprechen‘, ,Faßlichkeit‘, ,sprachliche Anmut‘, ,Eigenprägung‘ (gemeint ist die

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Toleranz in Wissenschaftstexten für individuellen Stil) bei Gauger, oder wie ,Klarheit‘/,Eindeutigkeit‘, ,Genauigkeit‘/,Vollständigkeit‘, ,gedankliche Ordnung‘/,Übersichtlichkeit‘, ,Knappheit‘/,straffe Bündigkeit‘, ,Schlichtheit‘/,Mäßigkeit‘, ,Angemessenheit‘ und schließlich ,Anschaulichkeit‘/,Eingängigkeit‘ bei Oksaar (in weitgehender Übereinstimmung mit der breiteren Forschungslage dazu).

2.

Inhalt und Form: Einblicke in die Begriffs-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte

2.1. Aristoteles Wenn nun die Wissenschaftstheorie (Ströker 1977) die Bedingungsgemeinschaft von ,Inhalt‘ und ,Form‘ in den Zusammenhang von ,Kommunikation‘ ⫺ ,Dialogizität‘ ⫺ ,Information‘ ⫺ ,Erwartung‘/,Erwartbarkeit‘ stellt und für die wissenschaftlichen Bedürfnisse besonders herausstellt (s. o. 1.), so gründet sie damit auf einem Fundament, das im 4. Jh. v. Chr. von Aristoteles gelegt wurde: Indem er die Logik als eigene Wissenschaft ⫺ nämlich als Lehre von den Formen und Methoden des richtigen Denkens (von ihm selbst „Analytik“ genannt) ⫺ schuf, gelang ihm als erstem, die Ordnung des Denkens nicht allein vom Inhalt her, sondern auch der Form nach zu untersuchen („formale Logik“ [im Gegensatz zu den Realwissenschaften], „Begriff“, „Kategorie“, „Urteile“ und deren regelbestimmte Verknüpfung [vgl. die berühmte Urteile-Verknüpfung ,Syllogismus‘] zu „Schlüssen“ und wiederum deren Verknüpfung zu „Beweisen“ [vgl. deren obersten: ,Satz vom Widerspruch‘]). Das der ,Logik‘ zugrundeliegende griech. lo¬gow lo´gos, führt mit seinen zentralen Bedeutungen ⫺ ,Sprechen‘, ,mündliche Mitteilung‘, ,Nachricht‘, ,Erzählung‘, ,Rede‘ sowie ,Wort‘ ⫺ auf (i) die Dyade von Inhalt und Form, auf (ii) Dialogizität (vgl. Art. 2, Abschn. 2.) und somit auf (iii) Kommunikation (was wieder auf die Grundlagen zurückführt: s. o. 1.). 2.2. Strukturalismus Hierzu hat dann, nach mehr als zweitausend Jahren Philosophiegeschichte, spätestens der (europäische wie amerikanische) Strukturalismus des beginnenden 20. Jh. (insbesondere in der Sprachtheorie/Linguistik, Literaturtheorie/Literaturwissenschaft, Sozialwissenschaft und Anthropologie, Ethnologie, Philo-

62 sophie und Ästhetik; vgl. Piaget 1968; Broekman 1971; Blumensath 1972; Auzias 1975; Albrecht 1988) die prinzipielle Unterscheidung von ,Ausdrucks-‘ und ,Inhaltsseite‘ und deren Vereinigung im ,Zeichen‘ zentral gesehen und dabei den Begriff der ,Funktion‘ in ein neues Licht gerückt: Strukturalismus (vgl. Jakobson 1974; 1979), Funktionalismus (vgl. Bühl 1975), (Russischer) Formalismus (vgl. Erlich 1955) sind wissenschaftliche Disziplinen, Ausrichtungen oder Methodologien, in deren Kontext auch eine neue, wenngleich im Prinzip wieder auf die griechische Klassik (Sokrates, Platon, Aristoteles im ausgehenden 5. und im 4. Jh. v. Chr.) zurückführbare wissenschaftliche Ausrichtung im Umfeld von ,Zeichen‘ erwuchs, nämlich die Semiotik (vgl. Posner 1993): 2.3. Semiotik Die Semiotik ihrerseits könnte, möglicherweise in Konkurrenz zur Anthropologie, inzwischen jenen Nimbus einer Orientierungswissenschaft geltend machen, den die Linguistik in den sechziger und siebziger Jahren unter den Sozialwissenschaften für sich in Anspruch zu nehmen versuchte und der bei den modernen Naturwissenschaften wohl der Physik eignet: Immerhin ist eine unverkennbare Semiotisierung der Kulturwissenschaften insbesondere mit den zentralen und übergeordneten Gesichtspunkten von ,Ganzheitlichkeit‘, ,Teilganze‘ (,funktionale Ganze‘), ,System‘, ,Struktur‘ und ,Zeichen‘ vorangeschritten; Albrecht (1988, 164) sieht die treibende Kraft dafür gerade in dem offenkundig fruchtbaren Aspekt der Inhalt-Form-Gemeinschaft, eben der Dichotomie von signifiant (,Ausdrucksseite‘) und signifie´ (,Bedeutungsseite‘), wie sie Anfang des Jahrhunderts Ferdinand de Saussure (1916) erkannt hat: man könne nunmehr einen „kritisch geschärften Blick für den Zeichencharakter der Kulturgegenstände“ (Albrecht 1988, 168) erwarten. In der Tat steht dazu, gerade bei dem Verhältnis von Form und Inhalt des (einfachen wie auch komplexen) Zeichens, in erster Linie die Wertigkeit, la valeur, wie de Saussure die Beziehungsqualität der Zeichen im System gefaßt hat, im Vordergrund (hierzu Albrecht 1988, 38⫺43, spez. 40; präzisierend Siertsema 1975). Sie meint die Relationalität ⫺ die Ableitungen auseinander und die Bezüge zueinander ⫺, wie sie über die Ausdrucks- und Inhaltsseite gegeben sind. Daraus erwachsen die Prozesse und Vernetzun-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

gen, die den systematischen Verbund der Zeichen ausmachen und die Funktion des einzelnen Zeichens in der Ganzheit definieren. 2.4. Kulturhistorische Handlungsschritte Diese Prozesse und Vernetzungen lassen sich in kulturhistorischen Handlungsschritten erfassen, die sich folgendermaßen [s. u. (1) bis (4)] auseinander ableiten und schließlich ein relativ stabiles System von Form-InhaltsKorrelationen, also von sprachlichen Zeichen (unterschiedlicher Komplexität: vom ,Wort‘ bis zum ,Text‘ und zur ,Gattung‘ [s. u.]), ergeben: (1) Zuerst entsteht ein Kommunikationsbedarf, sei er nun individuell (z. B. bei einem Entdecker oder Erfinder) oder sei er gemeinschaftlicher Natur (z. B. bei einem sozialen Ereignis wie Reformation und Gegenreformation, politische Revolution, Erdbebenkatastrophe [wie das rezeptionsgeschichtlich berühmte Erdbeben von Lissabon 1755; vgl. dazu Weinrich 1971] u. a.). Der Kommunikationsbedarf ist eindeutig inhaltlich motiviert: man will einen bestimmten Objektbereich, Sachverhalt, Handlungszusammenhang sprachlich fassen und mitteilen, also ,in Form fassen‘: eine res ficta, wie sie in den Werken der Literatur oder des Films etc. zum Leben erweckt wird; oder eine res gesta, wie sie insbesondere in der Historien-Darstellung üblich ist; oder eine res futura, wie sie bei den Prophetien des Alten Testaments Thema ist oder bei Prognosen der Wirtschaft oder bei Trendmeldungen der Statistiken und der Demoskopie ansteht; oder um eine res vera, die den Bezug zu Alltag und Handeln schafft, aber auch im juristischen Kontext eine ⫺ hier sogar ausschlaggebende ⫺ Rolle spielt, oder spezieller um eine res agenda, die insbesondere in fachlichen Handlungskontexten erwartbar ist. (2) Dazu nun bedarf es einer zugehörigen oder zu wählenden Mitteilungs- oder Darstellungsform (diese ist komplex, die Textgestalt oder formale [makrostrukturelle] Anlage beim einzelnen Text bzw. das äußere, identitätsausweisende Profil bei den jeweiligen Textsorten [Textsortenprofil]. (3) Mitteilungsbedarf [s. o. (1)] und Darstellungsform [s. o. (2)] haben gemeinsam eine bestimmte Kommunikationsfunktion. Sie wird (je nach Ansatz) verschieden bezeichnet; das Organon-Modell von Bühler (1965) bietet (s. o. Abschn. 1.) (i) die ,referentielle‘ (Bezug auf Gegenstände, Sachverhalte, Handlungszusammenhänge), (ii) die ,expressive‘ oder ,emotive‘ (Bezug auf Sender) und (iii) die ,appellative‘ Funktion (Bezug auf Empfänger). Das ist allerdings noch nicht sehr fachkommunikativ gerichtet, und so unterscheiden Möhn/Pelka (1984, Kap. 3. u. 4.4.) die (i) ,deskriptive‘ (,informative‘), (ii) ,instruktive‘, (iii) ,direktive‘ Funktion und deren Kombinationen sowie dann dazu zugehörige Textsorten (i⬘, ii⬘, iii⬘) mit ihren spezifischen Funktionen (i⬙, ii⬙, iii⬙): so z. B. (i⬘) Bekanntma-

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte chung, Kommentar, Stellungnahme, Rezension, Protokoll, Zeugnis u. a. mit (i⬙) Dokumentieren, Bekanntmachen, Kommentieren, Mitteilen u. a.; und (ii⬘) Anleitung, Ratgeber, Gutachten, Lehrbuch, Fachlehre u. a. mit (ii⬙) Anleiten, Empfehlen, Werben, Beraten, Unterweisen u. a.; und schließlich (iii⬘) Anordnung, Vorschrift, Regel, Auftrag, Verordnung, Norm, Anleitung u. a. mit (iii⬙) Anordnen, Vorschreiben, Regeln, Verfügen, Erlassen, Normen u. a. Gläser (1989, Kap. 3.3.) unterscheidet in ihrem taxonomischen System pragmatisch nach den Richtungsfunktionen (i) ,fachinterne‘ und (ii) ,fachexterne‘ Kommunikation, worunter mit funktionaler Einteilung als Textsortentypen fallen: (i⬘) die fachinformationsvermittelnden, interpersonalen/ kontaktiven, direktiven und didaktisierenden Textsorten; sowie (ii⬘) die didaktisierenden, popularisierenden und verhaltenssteuernden Textsorten. Mit der Arbeit von Göpferich (1995, insbes. Kap. 4.3.) bekommt die Diskussion einen dynamisierenden Schub, indem mit relativ flexiblen Kategorien die Funktionalitität des fachlichen (naturwissenschaftlichen und technikbezogenen) (schriftlichen) Kommunizierens widergespiegelt wird (vgl. Art. 3, Abschn. 1.1., Punkte (5) u. (6)): sie unterscheidet auf höchster, sich an der kommunikativen Funktion orientierender Ebene als „Fachtexttypen“ (i) einerseits die juristisch-normativen Texte (z. B. Patentschrift, Norm), sodann (ii) die fortschrittsorientiert-aktualisierenden (z. B. Forschungsbericht, Dissertation, Versuchsprotokoll) sowie (iii) die didaktisch-instruktiven Texte (z. B. Lehrbuch, Sachbuch, Software-Handbuch), schließlich (iv) die wissenszusammenstellenden Texte (z. B. Enzyklopädie, Formelsammlung, Tabellenbuch). Ein solcher dynamisch-pragmatischer Zugriff auf die Kommunikationsfunktionen und ihre Manifestationen in Textsorten (Texttypen) und Texten empfiehlt sich deshalb, weil er auf die Aspekte des nächsten Punktes (4) entscheidenden Einfluß nimmt: (4) Der inhaltlich motivierte Kommunikationsbedarf, der, in eine Darstellungsform gebracht, eine bestimmte Kommunikationsfunktion erfüllen soll [s. o. (1) bis (3)], hat eine ⫺ durchaus auch intendierte ⫺ Einwirkung auf (i) das Sprechen und Schreiben, (ii) das (Anschluß-)Handeln sowie (iii) das Wissen des Rezipienten. Diese komplexe Einflußnahme ihrerseits bringt mit sich [s. (5)]: (5) Der Textautor (i) hält sich mit seinem Text (als Exemplar einer Form-Inhalt-Gemeinschaft) im Rahmen der Konventionen, der Erwartungen und Erwartungserwartungen („Erwartungshorizont“, franz. horizon de l’attente / d’une attente; vgl. Jauß 1977), was die Gegebenheiten bestätigt und stabilisiert (vgl. Voßkamp 1977); oder (ii) er geht über diesen Rahmen hinaus und setzt somit, als Angebot an den Rezipienten, seinen Wunsch nach adäquate(re)n Formen für das (inhaltliche) Kommunikationsanliegen konstruktiv um. Darin steckt ein gut Teil Innovationspotential, Kreativität oder, wie die Literaturwissenschaftler ⫺ und hier insbesondere

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die Rezeptionsforscher und Gattungstheoretiker ⫺ sagen: Anlagen zur „Horizontverschiebung“ durch ,Ausspielen von Möglichkeiten‘ (Jauß 1977). Konkret besagt dieser Vorgang aber: Rückbindung an den Auslöser dieses Kreislaufs von ⫺ oben so genannten ⫺ kulturhistorischen Handlungsschritten: Mit der Horizontverschiebung reagiert die Produzent-Rezipient-Gemeinschaft ⫺ hier also die fachlich Kommunizierenden ⫺ auf einen (wie auch immer entstandenen) veränderten oder neuen (inhaltlichen) Kommunikationsbedarf [s. o. (1)] mit einer veränderten oder neuen Darstellungsform [s. o. (2)], die eine spezifische Kommunikationsfunktion [s. o. (3)] innehat und mit dieser auf den Rezipienten entsprechend als Handlungsimpuls einwirkt [s. o. (4)], was stabilisierend wirkt oder bei Nichtfunktionieren zu Angleichungen und Kompensationsreaktionen Anlaß gibt [s. hier Anfang von (5)]; der Kreislauf läßt sich hier wieder, wie gerade oben, an (1) zurückbinden und von neuem durchlaufen … .

2.5. Evolutive Dimension Diese kreislaufenden kulturhistorischen Handlungsschritte sich in ihrem gegenseitig abhängigen Ablauf vor Augen zu führen, ist sinnvoll, weil damit die evolutive Dimension in der Inhalt-Form-Gemeinschaft deutlich wird und dem Funktionalen somit die diachrone Komponente erhalten bleibt (was in der Zeit des praktisch ausschließlich synchron betonten Strukturalismus verloren gegangen schien). Mit der Diachronie (vgl. Kalverkämper 1993 b) sind dabei dann drei tragende Aspekte verknüpft: (a) der kultur- oder sachhistorische Aspekt; (b) der auf Texttraditionen bezogene, komplexer: der gattungsgeschichtliche Aspekt; und (c) der ausschließlich auf die Schriftlichkeit gerichtete Blick (die Mündlichkeit läßt sich erst mit der entsprechenden Speicher- und Dokumentationstechnik berücksichtigen, und die beginnt in der ersten Hälfte des 20. Jh.; vgl. Art. 5).

3.

Texte und Gattungen (Textsorten)

Um nochmals bei dem obigen Punkt 2.4. (1) ⫺ ,inhaltlicher Kommunikationsbedarf‘ ⫺ einzusetzen: Die Entstehung der InhaltForm-Gemeinschaft ,Text‘ ist mit seinen spezifischen, dann von der Textsorte mitgetragenen Funktionen durch den Initialwunsch bestimmt, etwas ausdrücken ⫺ das ist der Wunsch nach Form(gebung) ⫺ zu wollen: Literarhistorisch wohl ziemlich zu Anfang der Überlieferung stehend, hat der Wunsch nach imaginären Inhalten der schöpferischen Phantasie die Texte, und in deren Vielfalt dann die Textsorte(n) (oder Gattung[en]) der res fictae ⫺ s. o. 2.4. (1) ⫺

64 herausgeformt; entsprechend hat der Wunsch nach historischer Aufarbeitung der dicta et facta memorabilia die Texte und Textsorten der res gestae hervorgebracht; der Wunsch nach Summierung und Konservierung ließ die Textformen der Thesauren, Summen, Dokumentationsformen etc. entstehen; der Wunsch nach Ordnung brachte die Listen, Klassifikationsschemata und hierarchischen Systeme auf; der Wunsch nach Vermittlung und Lehre von Wissen: die vielen didaktisierenden Texte und somit die didaktischen Textsorten; der Wunsch nach fachlicher Darlegung verlangte nach wissenschaftlichen Darlegungsformen für die Texte und Textsorten der res agendae; der Wunsch nach Erklären von Erkanntem: die Erklärungsmodelle und Theorie-Entwürfe; der Wunsch nach Diskussion im Forschungsfortschritt: die wissenschaftlichen und fachbezogenen Texte mit deren (oft dialogischen) Textsorten; usw.

3.1. Klassifikation Dies führt prinzipiell zu Problemen der Klassifikation (Kalverkämper 1983 a; Steger 1983; Steinmetz 1983), und diese ist stets ⫺ weil sie sich letztlich pragmatisch motiviert (s. o. 3.: ,Wunsch nach …‘) ⫺ eingebunden in die semiotische Bedingungsgemeinschaft von (a) ,Inhalt und Form‘, und aus dieser erwachsend: (b) von Funktionen im Kommunikationsablauf, und diese repräsentierend (eben als Klassifikation): (c) von Textsorten (oder literarisch und enger gesehen: von Gattungen): Ein Text wird nie einfach produziert, indem man sich beliebig aus den Sprachmitteln bedient; sein Entstehen verläuft stets im Gattungsrahmen, also im Rahmen von Traditionen, Konventionen und Erwartungen, und er wird auch immer rezipiert als Text einer Gattung, und dementsprechend wird das mündliche und schriftliche Kommunizieren auch klassifiziert als ,Rede‘, ,Unterhaltung‘, ,Beschwerde‘, ,Ankündigung‘, ,Brief‘, ,Gebrauchsanweisung‘, ,Medikamentenbeipackzettel‘, ,Garantieurkunde‘ usw.

3.2. Fachliches Schreiben: Literaturgeschichtliche Schritte Fachbezogen, und insbesondere wissenschaftlich schreiben zu wollen, ist ein gesellschaftsgeschichtliches Kulturereignis, das sich als spezifische Geistesleistung neben den Wunsch gesellt, sich literarisch zu äußern (und gemeinsam mit dieser sich zur Alltagskommunikation stellt). Beide Kommunikationsabsichten ⫺ die fachlichen wie die literarischen ⫺ stehen am Anfang einer geistig verfeinerten Gesellschaftsentwicklung, und dort sucht man nach (poetischen) Formen für die literarische Kreativität und nach (sachinhalts-angemessenen) Formen für die wissenschaftli-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

che Reflexion; sie müssen in diesem frühen Prozeß des Kulturaufbaus erst noch geschaffen werden. 3.2.1. Griechische Antike Für das Abendland setzt dieser Prozeß ein bei den Griechen der archaischen Zeit, die neben den beiden großen Epen Ilias und Odyssee (etwa 2. Hälfte des 8. Jh. v. Chr.) als den Zeugnissen entstehender Literatur auch fachliche Schriftzeugnisse hinterlassen haben, die sich mit der physikalischen Beschreibung und Erklärung von Phänomenen der Natur sowie mit Verstehen und Erkennen, also mit philosophischen Fragen auseinandersetzen (um ca. 500 v. Chr.: insbesondere Herakleitos von Ephesos [Heraklit benutzt als erster das Wort lo¬gow lo´gos in einer philosophisch terminologisierten Fachbedeutung (Dihle 1967, 115)], Parmenides aus Elea [der dem hexametrischen Lehrgedicht ⫺ vgl. Lesky 1981, 67⫺72 ⫺ statt der epischen Sprache als Mittel zur Darlegung fachlicher Inhalte den Vorzug gab (Dihle 1967, 117 f)], Empedokles aus Akragas). Neben den philosophischen Themen interessierten auch physiologische, botanische, mathematische, astronomische, optische Probleme, die als inhaltliche Kommunikationsbedürfnisse neue Herausforderungen an die Sprache und ihre Textgestalt herantrugen: „Alle diese Werke waren ebenso wie die in Prosa stilisierten philosophischen Schriften jener Epoche in dem durch Anaximander und Hekataios von Milet als Sprache literarischer Prosa für mehr als ein Jahrhundert kanonisierten Ionisch abgefaßt, das man sehr wohl mit dem Latein in seiner Rolle als Gelehrtensprache des Mittelalters vergleichen kann.“ (Dihle 1967, 120) „So wenig man die literarische Bedeutung der ganzen frühen Wissenschaft unterschätzen darf, weil in ihr zahlreiche Möglichkeiten sprachlichen Ausdrucks zum erstenmal erschlossen wurden, so sehr steht doch eine unter diesen Wissenschaften ganz eindeutig in ihrer literarischen Wirkung obenan, nämlich die in jener Frühzeit von der Geschichtsschreibung noch nicht unterschiedene Geographie.“ (Dihle 1967, 120) In der klassischen Zeit des 5. und 4. Jh. mit ihrer reichen Entfaltung (vgl. Gigon 1981) (a) der PHILOSOPHIE (als eine Art Gesamtwissenschaft: Anaxagoras, Demokritos von Abdera, u. a.; Sokrates, Platon und Aristoteles und ihre Schulen) und (b) der EINZELNEN WISSENSCHAFTEN wie Medizin (Hippokrates von Kos [459⫺Mitte 4. Jh. v. Chr.]) und Mathematik (Demokritos von Abdera, Hippokrates von Chios) oder Astronomie und Historiographie (Herodot, Thukydides, Xenophon [Memorabilien-Literatur!], u. a. [vgl. Momigliano 1981]) sowie (c) der FACHGEBIETE UND SACHBEREICHE wie Stadtanlagenbau und Bautechnik, Musik, Malerei, Jagd, Ackerbau, Pferdezucht, militärische Taktik, Administration und Finanzwesen, Handel, Redekunst (Antiphon, Isokrates, u. a.) und vieler anderer mehr wurden schließ-

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte lich „fast alle Verrichtungen des öffentlichen und privaten Lebens, zu denen irgendein Fachwissen gehört, in Lehrbüchern“ dargestellt (Dihle 1967, 202); das LEHRBUCH war die te¬xnh te´chne (s. Fuhrmann 1960). Dieses breitenwirksame Zeugnis eines kulturhistorischen Beginns formaler Ausformung wissenschaftlicher und fachbezogener Kommunikationsanliegen ist zugleich mit einer Art ,Berufsstand‘, den SOPHISTEN, gekoppelt, „die sich anheischig machten, die allgemeine Tüchtigkeit, insbesondere im öffentlichen Leben der Polis, in Wort und Schrift zu lehren“ (Dihle 1967, 203); abgesehen von deren späterer, aus den platonischen Dialogen stammender negativen Einschätzung bezeichnete man als ,Sophist‘ denjenigen, „der auf irgendeinem Gebiet Experte ist, und erst durch das Auftreten jener Männer, die sich das Wort als Titel zulegten, erhielt es die präzise Bedeutung des Sachverständigen und Lehrers der Lebenstüchtigkeit, der als Wanderlehrer tätig war und davon seinen Lebensunterhalt bestritt“ (Dihle 1967, 203). Deren Bemühungen um die „lehrbare Tüchtigkeit“ ⫺ um das Fachwissen und die Lernkenntnisse also ⫺ haben „in einer umfangreichen Literatur moralphilosophischen, soziologischen, staatstheoretischen, pädagogischen und psychologischen Inhalts ihren Niederschlag gefunden“ (Dihle 1967, 204). Da Praxis (Kunst) und Theorie der Argumentation dabei eine wichtige Rolle spielten, ergab sich zwangsläufig auch ein Aufblühen der RHETORIK, insbesondere der Kunst des Debattierens (,Eristik‘) (Protagoras von Abdera, Gorgias aus Leontinoi, Isokrates, Demosthenes, u. a.) (vgl. Hommel 1981).

3.2.2. Wissenschaftlicher Dialog In diesem soziokulturellen Kontext erblühte dann auch eine Darstellungsform für grundlegende, eben philosophische Inhalte, die ein Optimum an Vorzügen in sich vereint: der ,Dialog‘, genauer: der ,WISSENSCHAFTLICHE DIALOG‘, und unter Berücksichtigung der Überlieferungslage und der praktizierten sprachlich-stilistischen und rhetorischen Kunstfertigkeit noch spezifischer: der ,literarische wissenschaftliche Dialog‘ (immerhin zählt die antike Dichtungstheorie den ,Dialog‘ zur Poesie: Aristoteles, Poetik 1447 b [⫽Kap.1], wenngleich nach antiken Bezeugungen Aristoteles auch die Meinung vertrat, die Dialoge des Platon seien zwischen Poesie und Prosa anzusiedeln [Aristoteles, ed. Fuhrmann 1976, 39; ed. Hardy 1985, 30]). Zwar kannten Ägypten und der Orient bereits diese Form der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung, und in den literarischen Großgattungen ,Tragödie‘ und ,Komödie‘ war der Dialog sowieso selbstverständliche Form des Gedankenaustausches, auch gelegentlich in

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der Geschichtsschreibung zur Wiedergabe von Rededuellen zu zentralen gesellschaftlichen Wendepunkten, aber diese Gattung der zwei- und mehrpersonalen Debatte formal zur Entfaltung fachlicher Inhalte einzusetzen, sie also als Darstellungsform für philosophische (Sophistes-Dialog [Der Sophist], wohl 365 v. Chr.) und andere fachwissenschaftliche Themen (s. u.) zu wählen, ist eine künstlerischliterarische Entscheidung der griechischen Klassik; insbesondere sind neben den (gerade erwähnten) grundsätzlich PHILOSOPHISCHEN noch folgende Fachthemen inhaltlich und als Dialoge formal vertreten (Platon, 427⫺347 v. Chr.): STAATSPOLITISCHE (Kriton; Politeia [Der Staat]; Politikos [Der Politiker]; Nomoi [Die Gesetze]), GESELLSCHAFTLICHE (Hippias II [oder: Hippias minor]; Laches; Lysis; Phaidros), INDIVIDUALSOZIOLOGISCHE (Tugend- und Erkenntnisfragen: Protagoras; Menon; Symposion [Das Gastmahl]), RELIGIONSPHILOSOPHISCHE (Euthyphron; Phaidon), NATURPHILOSOPHISCHE (Timaios), RHETORISCHE (Gorgias, 393⫺388 v. Chr.), POETOLOGISCHE (Ion, ca. 399⫺390 v. Chr.), ÄSTHETISCHE (Hippias I [oder: Hippias maior], Entstehungszeit unklar), SPRACHTHEORETISCHE (Kratylos-Dialog, 393⫺388 v. Chr.) und WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE Themen (z. B. die Frage nach episth¬mh episte´me [,Wissen‘, ,Kenntnis‘, ,Einsicht‘, ,Wissenschaft‘]: Theaitetos-Dialog, ca. 366 v. Chr.).

Für eine breite Palette drängender fachwissenschaftlicher Inhalte stand also zu Beginn einer Konturierung von ,Wissenschaft‘, wie sie mit Aristoteles ihre bis in die heutige abendländische Welt prägenden Merkmale erhalten hat ⫺ griech. episth¬mh episte´me [,Wissen‘, ,Kenntnis‘, ,Einsicht‘, ,Wissenschaft‘] mit den Komponenten ,Wahrheitssuche‘ [griech. alh¬qeia ale´theia ,Wahrheit‘] und ,Beweisbarkeit‘ [griech. no¬yw nous ,Einsicht‘, ,Verstand‘, ,Vernunft‘] (vgl. Kalverkämper 1996 b, 117⫺127; Gloy 1995, Kap. 1 u. 2; Pichot 1995 für die Zeitspanne vor der griechischen Klassik) ⫺, eine recht blasse Gattung zur Verfügung. Deren Profil bestimmt sich eigentlich nur aus der Lebenspraxis, speziell aus der Kommunikationskonstellation heraus: zwei oder mehr Personen in gegenseitiger Zuwendung und im Redeaustausch (,Gespräch‘). Die Gattung ist also im Formalen festgelegt, aber dann für die inhaltliche Füllung gänzlich offen; (mit diesen Qualitäten im Formalen und Inhaltlichen hat der Dialog als ursprünglich mündliche Gattung unverkennbare Parallelen mit dem ,Brief‘ als

66 der schriftlichen Gattung). Darin lag die Chance der Gattung ,Dialog‘, für neue Kommunikationsanliegen ⫺ d. i. die philosophische Suche und das wissenschaftliche Darlegen sowie die fachlich bezogene Auseinandersetzung ⫺ einsatzfähig zu sein. Zudem ermöglichte sie, als schriftlich-literarische Gattung die „eigentlich“ dem Dialog eignende Mündlichkeit ein Stück weit mit einzubeziehen und so, mit unterschiedlichem stilistischen Ergebnis, lebendig zu wirken, was natürlich dem Rezipieren des dort traktierten wissenschaftlichen Stoffes zugute kam. Die sogen. „sokratischen Dialoge“ der Sokrates-Schüler, speziell von Platon, verfolgten mehrere Funktionen: (a) sie hielten ⫺ mehr oder weniger deutlich ⫺ die Erinnerung an die Lehrweise des verehrten Meisters wach; (b) sie entwickelten lehrend und durch Selbsteinsicht überzeugend durch prüfendes (Nach-)Fragen (elenktisches Verfahren; sokratische Elenktik) eine bestimmte Meinung und verhalfen so, (c) zu eigener Einsicht und Selbsterkenntnis zu finden (philosophische Psychoagogie), wozu man ansonsten durch Beeinflussung „von außen“ nicht gelangt wäre (Maieutik ,Hebammenkunst‘, griech. maieytikh¬ te¬xnh maieutike´ te´chne); (d) sie ermöglichten, argumentierend zwischen Alternativen abzuwägen und begründete Entscheidungen zu treffen (Dialektik!); (e) sie schärften das Bewußtsein für methodisches Vorgehen (griech. me¬qodow me´thodos ,Weg‘!) und, indem sie entsprechend abliefen, vervollkommneten sie natürlich dieses Verfahren seinerseits auch selbst. Über Marcus Tullius Cicero (106⫺43 v. Chr.), den größten römischen Redner, der die Dialogform für philosophische und rhetorische Schriften in Rom zugänglich machte, und bei reicher Verwendung in der Kaiserzeit (ca. 1. Jh. v. Chr.⫺ca. Ende 2. Jh. n. Chr.) war die literarische Gattung ,Dialog‘ prädestiniert für Fachdarlegungen: z. B. für RECHT (Brutus), LANDWIRTSCHAFT (Varro), RHETORIK / PHILOSOPHIE / THEOLOGIE / POLITIK (Cicero) u. a. Diese Tradition des Fachgesprächs ⫺ bei unterschiedlichen Meinungen (Dialektik!): des Streitgesprächs ⫺ wird sich im Renaissance-Humanismus (Erasmus von Rotterdam [1469⫺1536], Ulrich von Hutten [1488⫺1523]) weiter entfalten (vgl. Kalverkämper 1996 a; vgl. Art. 27) und in der französischen Aufklärungszeit (18. Jh.) (vgl. Kalverkämper 1989 b; 1996 a) wie in der deutschen Klassik (Goethezeit; Mitte 18. Jh. ⫺ Beginn 19. Jh.) großer Beliebtheit erfreuen (vgl. u. 3.2.8.3. u. 3.2.9.).

3.2.3. Methodenbewußtsein Gemeinsam mit der Medizin, die stark empirisch war und ihre Hypothesen steter pragmatischer Kritik und neu hypothetisierender Korrektur zu unterwerfen hatte, entwickelte sich in der griechischen klassischen Zeit ins-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

gesamt ein gesteigertes Methodenbewußtsein, was sich bis zur heutigen Moderne (vgl. unten 3.2.8. sowie Art. 27) in das abendländische Verständnis von ,Wissenschaft‘ bleibend in das Gedächtnis wissenschaftlich-fachlich Arbeitender für die Lehre, Praxis und Theorie eingegraben hat (so finden sich in anderen Großkulturen wie der arabischen, der indischen oder der chinesischen bzw. asiatischen andere Parameter; interessant, auch unter modernen Inferenzaspekten, hierzu Bossong 1992). 3.2.4. Frühe Wissenschaft und Literatur Die wissenschaftliche Artikulation auf praktisch allen Gebieten des alltäglichen wie auch des philosophisch sublimierten Lebensinteresses im griechischen 5. und 4. Jh. und die literarische Prosa haben sich in diesen Anfängen auseinander ergeben und sich, von der Wissenschaft auf die Literatur wirkend (!), in der „Geschmeidigkeit“ des sprachlichen Ausdrucks, befruchtet (Dihle 1967, 220). Und etliche wissenschaftliche Werke ⫺ so gerade die historiographischen, zum Beispiel von Xenophon ⫺ enthalten Teile, deren fachinformierende oder belehrende Absicht sich nicht textprägend in den Vordergrund drängen, sondern mit ihrer Sprachkunst „die Entstehung der selbständigen Gattungen des Abenteuer- und des Liebesromans in der nächsten Epoche der griechischen Literatur“ (Dihle 1967, 298), also im Hellenismus ab dem 3. bis etwa zum 1. Jh., vorbereiten und ermöglichen. Darstellungsformen und Leistungen von Fachkommunikation unter diachroner Perspektive zu betrachten, verlangt bei den Anfängen, in der griechischen Antike, stets eine Offenheit für die Grenzen zwischen einerseits literarischem und andererseits philosophischem, wissenschaftlichem oder fachlichem Schrifttum; die Beschäftigung mit diesen Gegebenheiten ist deshalb auch in evidenter Weise ,philologisch‘, zumal sie ja auch der Überlieferungslage Rechnung tragen muß und somit Fachtexte selbstverständlich und dankbar genauso wie literarische Texte zur Kenntnis nimmt. (Daraus hat sich auch ein weites Verständnis von ,Literatur‘ durchgesetzt, das über die sogen. „Schöne“ oder „Höhenkamm“-Literatur hinaus auch die Gebrauchs-, Zweck- und Dokumentartexte mit einbezieht).

3.2.5. Römische Antike Was nun die Weitergabe des Wissens, die translatio artium oder studii oder sapientiae von den Griechen an die Römer, und somit

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte

die Wanderung der Kultur (griech. sofi¬a sophı´a; lat. sapientia) von Ost nach West (s. die kulturhistorischen Zusammenhänge [mit Literaturangaben] in Kalverkämper 1983 b, 349⫺353; Hausmann 1996, 14⫺22) ab dem 3. Jh. v. Chr. betrifft, so haben die Römer keine eigenständige Tradition begründet, weil sie an die griechischen Vorbilder in den Naturwissenschaften, der Mathematik und Medizin anknüpften und insbesondere deren praktisch verwertbare Komponenten und dasjenige übernahmen, „was ihre Neugier, ihre curiositas erregte: die Geographie und die beschreibenden Naturwissenschaften. Alles Unanschauliche hingegen blieb ihnen verschlossen“ (Fuhrmann 1974, 182). Theorieausbauende eigene Leistungen erbrachten die Römer nur auf wenigen fachwissenschaftlichen Gebieten: (a) Landwirtschaft (Cato der Ältere [234⫺149 v. Chr.], Marcus Terentius Varro [116⫺27 v. Chr.], Lucius Iunius Moderatus Columella aus Gades [Mitte 1. Jh. n. Chr.] mit Lehrdichtung in Versen [Hexametern] als „ein Kuriosum der antiken Fachliteratur“ (Fuhrmann 1974, 189)); ⫺ (b) Bauwesen/Architektur (Vitruvius [2. Hälfte des 1. Jh. v. Chr.]; ⫺ (c) Rechtswissenschaft (mit formaler Herausbildung spezifischer Textsorten aufgrund der rechtspraktischen Bedarfslage: Responsa [Sachverständigen-Antwort auf Anfragen], Epistularum libri [rechtswissenschaftlich erörternde und belehrende Briefe], Digesta [nach Materien geordnete Sammlung von klassischen JuristenÄußerungen, Pandekten], Institutiones [Lehrbuch], Novellae leges [Erlasse], Codex [Erlasse-Sammlung], letzere beiden speziell in und nach der Zeit von Kaiser Iustinian I. [regierte 527⫺565 n. Chr.]; u. a.; Einblicke gewährt z. B. die Sammlung von Fuhrmann/Liebs 1988): „Es handelt sich um das erste Volk der Geschichte mit einer spezifisch juristischen Literatur, die sich ⫺ ius ist sächlich, kein Tempel ist ihm geweiht ⫺ von der Beherrschung durch die Priesterschaften löste und die von Fachleuten geschaffen wurde; diese Fachleute stammten in früherer Zeit aus dem Adel, dann aus dem Ritterstand.“ (Senoner 1981, 167) Man kann noch auf (d) enzyklopädische Leistungen (Marcus Terentius Varro [116⫺27 v. Chr.]; Gaius Plinius Secundus *,der Ältere‘+ [23/24⫺79 n. Chr.]) und auf (e) die Medizin hinweisen (Aulus Cornelius Celsus [1. Hälfte des 1. Jh. n. Chr.], bedeutendste Fachquelle seit Hippokrates aus dem 5./ 4. Jh. v. Chr.; Galenos aus Pergamon [129⫺ca. 200 n. Chr.], der berühmteste Arzt, Forscher und Lehrer der Kaiserzeit in Rom mit Wirkung über das Mittelalter hinaus bis in die Renaissance [vgl. z. B. Baader 1982]).

Ansonsten ist „ ,Römische Wissenschaft‘ […] ⫺ außerhalb der Jurisprudenz ⫺ nahezu eine contradictio in adiecto“ (Fuhrmann

67

1974, 182). Dementsprechend sind typisch fachkommunikative und wissenschaftssprachliche Textsorten als dazu notwendige Darstellungsformen nicht eigens ausgeprägt. 3.2.6. Mittelalterliche Fachprosa Nach der griechischen und römischen Antike müßte nun das europäische Mittelalter mit seiner Herausbildung von romanischen, germanischen und slawischen Nationalliteraturen seine Darstellungsformen schriftlicher Fachkommunikation präsentieren; das ist nach heutigem Forschungsstand allerdings überhaupt nicht in wünschenswertem Umfang möglich. Die Klassische Philologie hat zwar, wie oben (s. 3.2.4.) erwähnt, mit einem aus der Überlieferungslage abgeleiteten weiten Begriff von ,Literatur‘ die (Einzel-)Texte und Gattungen der fachlichen Kommunikation prinzipiell im Blick, doch haben die Philologien, die sich mit der Anschlußzeit beschäftigen ⫺ also die Romani(sti)sche, Germani(sti)sche, Anglistische und die Slawi(sti)sche Philologie ⫺ die Zweck-, Gebrauchs-, Dokumentations-, Fach-, Wissenschafts-, Berufs-Literatur beiseite gelassen und ihre vorzugsweise Aufmerksamkeit der Schönen (oder fiktionalen) Literatur (Prosa, Poesie) gewidmet. Dies scheint erst mit den neunziger Jahren einer dringend notwendigen Änderung zu unterliegen: Der Inventaire syste´matique des premiers documents des langues romanes (Frank/Hartmann 1997) verzeichnet u. a. „Litte´rature de caracte`re religieux“, „Litte´rature instructive et scientifique“ (wozu „Collections du savoir de base“, „The´ologie, morale et philosophie“ und „Sciences pratiques“ gehören), „Historiographie“, „Le´gislation“, „Documents administratifs“ (nämlich „Cartulaires“, „Tarifs“, „Releve´s“, „Notices“). ⫺ Eine Darstellung der spanischen Literaturgeschichte bietet ein Kapitel „Mittelalterliche Fachprosa“ (Briesemeister 1991). ⫺ Eine italienische unterscheidet neben den fiktionalen Werken auch fachbezogene mit Kapiteln wie „Die religiöse Literatur“, „Die didaktische Literatur“ und „Kunstprosa“ (worunter u. a. fallen: „Geschichtsschreibung, Chroniken, Legenden“ und „Reiseberichte“) (Petronio 1992). ⫺ Eine mentalitätsgeschichtlich breit angelegte Literaturgeschichte zum französischen Mittelalter widmet sich eigens dem wissenschaftlichen Fachschrifttum (Hausmann 1996). ⫺ Und eine sozialgeschichtlich orientierte deutsche Literaturgeschichte beachtet für die Darstellung von „der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit“ die „Heilkundliche Fachprosa“, „Rechtsschriften“ sowie die „Geistliche Prosa“ (Mertens 1988).

Die Germanistik hat sich verstärkt dem „Gebrauchsschrifttum“, der „mittelalterli-

68 chen Fachliteratur“, der „Artes-Forschung“ ab Mitte der fünfziger Jahre gewidmet (Eis 1967) und als eigene Disziplin ⫺ ,(Mittelalterliche) Fachprosaforschung‘ ⫺ ausgebaut (vgl. Art. 32) und dabei, ab den siebziger Jahren, den ehemalig engen Literaturbegriff hin zu den Gebrauchs- und Fachtexten gesprengt (Eis 1967; Keil 1970; Crossgrove 1994; zum lateinischen Schrifttum [insbesondere der Alchimie, Astrologie und Medizin] hervorragend Thorndike 1934); sie ist, im Universitätsbetrieb entsprechend institutionalisiert, vorzugsweise an die Wissenschafts-, und hier insbesondere an die Medizingeschichte gekoppelt. Unterschieden werden die mittelalterlichen Literaturdenkmäler nach den FÄCHERN des zeitgenössischen Bildungskanons (Artes liberales ,Freie Künste‘ des [„geisteswissenschaftlichen“, formalsprachlichen] Triviums [Grammatik, Rhetorik, Dialektik] und des [„naturwissenschaftlichen“, mit Maßen arbeitenden] Quadriviums [Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie]) und den Berufen und Sachgebieten (Artes mechanicae, „Eigenkünste“ [Eis 1967]; und Artes incertae, „verbotene Künste“ [Thorndike 1934]; und Sprachdenkmäler des Rechtswesens). (Vgl. Eis 1967; Assion 1973; Crossgrove 1994).

Die literarische Strukturierung methodisch ganz an der (mittelalterlichen) fachlichen Einteilung der Sachwelt zu orientieren (wie gerade gezeigt), kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit lediglich die Kommunikationsanlässe und die fachbezogenen Kommunikationsbedürfnisse, also die inhaltlichen Aspekte, im Vordergrund stehen, nicht aber (auch) deren Formgebung in Texten-einer-Gattung und, darüber hinaus, in Gattungen eines fachkommunikativen Gattungensystems. Dadurch wirken die literarhistorischen Analysen zu den schriftlichen Darstellungsformen von Fachkommunikation recht punktuell, sich philologisch (oft verbunden mit kritischer Textedition und Filiationen in „Stammbäumen“) mit dem einzelnen Werk (vorzugsweise human- und veterinärmedizinischen oder pharmazeutischen Inhalts [so z. B. „Arzneibücher“]) oder mit einem Themenstrang (Jagd, Pest, Malerei, Falknerei usw.) beschäftigend (vgl. auch Riha 1992).

Es wäre aber dringend notwendig, auch gattungssystemgeschichtlich hinzusehen, wobei dann auch die fließenden Beziehungen zwischen den fiktionalen und den nonfiktionalen Gattungen und ihren Texten deutlich würden. Dies wiederum ließe sich, über den literatur- und gattungsgeschichtlichen Ertrag

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

hinaus, auch kultur-, gesellschafts- und mentalitätsgeschichtlich weit nutzen und auch unter sachgeschichtlichem Aspekt nicht nur punktuelle, sondern zu einem Berufsbild vernetzte Einsichten bieten, die zu einem ganzheitlichen Einblick und Verstehen mittelalterlichen fachlichen Handelns und (schriftlichen) Kommunizierens darüber (!) führen würde. So betont Eis (1967, 55), daß der Adel sich auf die Rezeption der höfischen Dichtung beschränkte, die aber um 1200 noch kein wirkungsmächtiges Schrifttum darstellte. Dagegen „erlangte das Fachschrifttum seit dem 13. und 14. Jahrhundert eine ganz erstaunliche Verbreitung und durchdrang auch alle in Betracht kommenden Schichten des deutschen Volkes‘.“ Auch handschriften- und druckwerkestatistisch läßt sich nachweisen: „das Fachschrifttum war das weitaus meistverbreitete und das heißt meistgelesene Schrifttum in jenen Jahrhunderten, als die Schriftsprache entstand“, wobei er Prag mit der ersten Universität (gegründet 1348) des Reiches (Sitz des Kaisers, Reichskanzlei!) eine Schlüsselfunktion zuweist (vgl. auch Drozd/Seibicke 1973, 33 u. insgesamt dort Kap. I.3. u. I.4.). An FACHLICHEN GATTUNGEN mit einem deutlich zugewiesenen und ⫺ aus Rezipientensicht ⫺ erwartbaren fachbezogenen Inhalt skizziert Eis (1967, 57⫺64) (s. auch Drozd/Seibicke 1973, 19⫺ 21; Crossgrove 1994) für das Mittelalter: Rezept, Consilium, Gebet, Schreizettel (Reklameblätter zur eiligen Werbung), Rätsel, Sprucharten (Zaubersprüche, Merksprüche, Kalenderregeln, Weidsprüche, das Priamel), dann (gegen Ende des Mittelalters) Parodien „auf die wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Literaturzweige“, (astronomische) Tabellenwerke, Seekarten; fachwissenschaftlich zentral der Traktat (sehr oft in Dialogform! und in durchaus „guter Kunstprosa“) (s. auch Kästner 1979) und das Lehrgedicht, das „seiner Art und Aufgabe nach ungefähr dem Traktat entspricht“ und „auch wissenschaftliche Gegenstände auf[nimmt], die wir heute nicht mehr in Versen darstellen können“ [gereimte Pestregimina, Weltchroniken, Kriegskunst, Anlastern von Pferden u. a.: „nahezu alle Sachgebiete konnten in Reimen traktiert werden“] (vgl. dazu auch Boesch 1977 und, europäisch erweitert sowie von Ovid bis Brecht reichend, Rötzer/Walz 1981). Eis (1967, 63) macht auch auf die Funktion von Zeichnungen und Abbildungen (künstlerische Illustrationen) in den Fachtexten als fachwissenschaftliche Darstellungsweise aufmerksam: „Es gibt Sachgebiete, die regelmäßig mit Bildern dargestellt werden, wobei der begleitende Text ganz kurz ist und auch völlig fehlen kann (militärwissenschaftliche Ikonographien, Fechter- und Ringerbücher).

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte An spätantike Traditionen knüpfen manche medizinischen Bilderhandschriften an, die bestimmte Operationen immer in der gleichen Weise darstellen (Starstich, Exzision des Nasenpolypen, Kaiserschnitt) oder einzelne Körperstellen angeben (Aderlaßmann, Tierkreiszeichenmann).“ Von Interesse sind darüber hinaus die malerischen Darstellungsformen von Inhalten der Künste und Wissenschaften, so als Allegorien der artes liberales, als Personifikationen des Wissens schon seit der Antike (Kalverkämper 1996 b, 118⫺121, 157 f), als ikonographische Tradition im Mittelalter bis hin zu den Bildprogrammen im 16. und 17. Jh. (Jacobs 1996 b).

3.2.7. Systematisierung und Diachronie Über die verdienstvoll geleisteten philologischen Einzelwerkerschließungen und solche skizzenhaften Darlegungen von einigen wenigen Gattungsprofilen hinausgehende systematisch breit angelegte Untersuchungen fehlen noch; sie müßten sich u. a. der Frage widmen, ob die neuen fachlichen Inhalte über konstante Textformen und Textformalia auch eigene Texttypen und Gattungen ausgeprägt und diese dann spezifisch genutzt haben (im Sinne von: für dieses bestimmte fachliche Thema steht [bzw. stand] die und die bestimmte Gattung mit den und den vorgegebenen Textgestaltungsrahmen zur Verfügung). Hier erhebt sich ein Desiderat (i) an die diachrone Fachsprachenforschung (s. Kalverkämper 1993 b), (ii) an die mittelalterliche Fachprosaforschung selbst, (iii) an die Literaturgeschichte, dort sehr deutlich auch (iv) an die Motivgeschichte (vgl. Frenzel 1966; Daemmrich/Daemmrich 1995), (v) an die historische Gattungssystematik (vgl. Jauß 1977; Köhler 1977; Voßkamp 1977) und somit auch (vi) an die Gattungstheorie überhaupt (vgl. Hempfer 1973; Jauß 1977). Methodisch könnte sich ein Ansatz anbieten, der (a) vom fachlichen Sachverhalt (Kommunikationsanliegen) ausgeht und demnach unterscheidet nach: (i) ,Wissensaufarbeitung, -darlegung und -erörterung‘ (,Wissensproduktion‘), (ii) ,Wissensdokumentation‘, (iii) ,Wissensvermehrung‘ (spekulative oder empirische etc. Erkenntnishäufung/Forschung/Fortschritt); (iv) ,Wissensorganisation‘, (v) ,Wissensvermittlung‘, (vi) ,Wissensrezeption‘, [(vii) …].

Oder man orientiert sich, Raible (1980, 342⫺346) folgend, (b) an den „sechs Dimensionen, aus denen Gattungsbezeichnungen ihre Merkmale beziehen“: (i) ,Kommunikationssituation‘, (ii) ,Objektbereich‘, (iii) ,übergeordnete Ordnungsstruktur‘, (iv)

69

,Verhältnis zwischen Text und Wirklichkeit‘, (v) ,Medium‘, (vi) ,sprachliche Darstellungsweise‘.

Dieses Dimensionenraster gilt für literarische wie für nichtliterarische Texte, also auch für die historischen Darstellungsformen der fachlichen und wissenschaftlichen Kommunikation; es zeigt damit auch, daß diese Darstellungsweisen miteinander übergeordnet verknüpft sind. Es mußte sich offenkundig erst ein Prozeß (a) des sprachlichen, (b) dann des (einzel-)textuellen, (c) dann des gattungsliterarischen Reagierens auf die neuen (fachwissenschaftlichen) Anforderungen an die Kommunikation im beruflichen Alltag wie im Fach in Gang bringen und sich als eine Texttradition (Kalverkämper 1983 c; 1993 b) oder Diskurstradition (Koch 1988; 1997; Oesterreicher 1997) für die Kommunikationsgemeinschaft verfestigen, ehe sich jene Formen spezifischer Fachkommunikation formal und funktional isoliert haben, die heute als ,fachliche Textsorten‘ (Gläser 1990; Göpferich 1995; Kalverkämper/Baumann 1996) evident sind (vgl. Art. 3, Abschn. 1.1.). 3.2.8.

Renaissance

3.2.8.1. Fachbereiche Die Zeit der Renaissance in Italien, in Frankreich und in Spanien (ca. 1350 bis Ende des 16. Jh.) hat, wie aus der Kulturgeschichte hinreichend bekannt (vgl. Art. 27), neuen fachlichen Kommunikationsbedarf großen Ausmaßes geschaffen; und zwar insbesondere (1) in den Handwerken (Bildungsreisen [Dürer!], Wanderungen von Werkstätten und Bauhütten, Erfindungen [insbesondere auch militärischer und militärstrategischer Art], u. a.); ⫺ (2) in den Wissenschaften (auf der Basis des Humanismus; Astronomie, Medizin, Gesellschaftsentwürfe, idealistische Stadtanlagen, u. a.); ⫺ (3) in der Technik und den angewandten Wissenschaften (Maschinen, optische Geräte [Fernrohr!], u. a.); ⫺ (4) im gänzlich neuen ideologischen, beruflichen, technischen und sozialen Umfeld der Erfindung des Buchdrucks (mit beweglichen Lettern; Johannes Gutenberg; um 1450) (neuer Markt für wissenschaftliche Informationen; das Buch als bewußt gestaltetes Produkt; Verbreitung von Wissen in allen Bevölkerungsschichten [vom handschriftlichen Einzelexemplar zur gedruckten ,Auflage‘]; Ablösung des Latein zugunsten volkssprachlicher Darlegungen] (vgl. auch Cahn 1991, insbes. Kap. 1); ⫺ (5) in den Künsten (Entdecken der Perspektive für die malerische Darstellung,

70 Ausbau der Proportionenlehre); ⫺ (6) in den außergewöhnlichen Herausforderungen bei der Entdeckung ungeahnter Welten (Amerika ab Beginn des 16. Jh.). 3.2.8.2. Fachkommunikation Im Laufe der zweieinhalb Jahrhunderte europäischer fachlicher Kommunikation in diesen fachlichen Handlungsbereichen (s. o. 3.2.8.1.) entstanden (a) aus Benennungsbedarf: Termini und Begriffssysteme (vgl. z. B. Altieri Biagi 1965; Huberty 1996; 1997); entwickelten sich (b) mit deren Einsatz die fachlichen Texte; konturierten sich (c) durch deren situationstypische und themenspezifische Wiederholungen schließlich die Merkmale dazu übergeordneter Gattungen (fachlicher Textsorten) heraus (s. u. 3.2.8.3. bis 3.2.8.5.) und schlossen sich dann (d) zu einer systematischen Ordnung zusammen. Diese Prozesse [(a) bis (d)] reichen somit vom (i) (hier: fachlichen) Kommunikationsbedarf zur (ii) Darstellungsform als ein dann für Produzent und Rezipient (iii) funktional vertrautes (hier speziell: berufliches/fachbezogenes/fachliches/wissenschaftliches) Kommunikationsmittel (s. o. 2.4.): über die konkrete Verwendung (Text und Situation) [s. hier oben (b)] zum abstrakten System [s. hier oben (d)]. Sie liefen neben den kanonischen Vorgaben der klassischen Poetik aus der Tradition des Aristoteles ab. Es haben sich hier die Texte der ⫺ nach lat. genera minora ⫺ sogen. „kleine(re)n Gattungen“, „literarischen Kleinprosa“ (Bürgel 1983), „einfachen Formen“ (Jolles 1974) oder „genres mineurs“ (Nies 1978) als Möglichkeiten angeboten, die Kommunikationsbedürfnisse aus dem „unmittelbarere[n] Lebensbezug“ (Lausberg 1960, 601, § 1242), somit als „literarische Gebrauchsformen“ (Belke 1973) oder „Gebrauchsliteratur“ (Fischer/Hickethier/Riha 1976) oder „Gebrauchstextsorten“ (Rolf 1993), folglich als „Prosakunst ohne Erzählen“ (Weissenberger 1985) zu realisieren (vgl. dazu Kalverkämper 1989 b, 23 f). Für die Renaissancezeit hat hier die Literaturwissenschaft immer noch nicht die Verhältnisse über die kanonische Literatur hinaus wahrgenommen, geschweige komplex und erst recht nicht systematisch untersucht; eine Impulsgebung und Kooperation zwischen Literarhistorik und Fachkommunikationsforschung zur Aufhellung diachroner Darstellungsformen in den Berufen, Fächern und Wissenschaften wäre sehr sinnvoll (vgl. Kalverkämper 1993 b; 1996 a).

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation Eine großartige Arbeit zu den Darstellungsformen schriftlicher Fachkommunikation in historischer Zeit (Renaissance) bietet allerdings, viel zu selten konsultiert und kaum zitiert, das dreibändige Werk von Olschki (1918; 1922; 1927), das sich auf Italien bezieht; die Trilogie war schon zu ihrer Publikationszeit eine Pionierleistung und hat bis heute ihre unübertroffene Gültigkeit gewahrt. Die von Karl Vossler vertretene Ansicht von „Kultur im Spiegel der Sprachentwicklung“ konkretisiert sich bei Olschki im Begriff der ,Zivilisation‘ (zu diesem als einem europäischen Schlüsselbegriff vgl. Sprachwissenschaftliches Colloquium 1967); der heute wiederbelebte Begriff der ,Sprachkultur‘ (Weinrich 1985) des Prager Strukturalismus (vgl. Scharnhorst/Ising 1976⫺1982) (s. Art. 2, Abschn. 3.3.; Art. 3, Abschn. 1.3., Punkt (3)) setzt diese Tradition fort. Dennoch: Etwas Vergleichbares zu Olschkis Werk, auch für andere Sprachen und Literaturen, gibt es bislang nicht; sicherlich auch deshalb nicht, weil (i) die Diachronie als Methode seit dem Strukturalismus obsolet geworden und die Kulturgeschichte erst wieder von der Sprachwissenschaft neu „entdeckt“ werden muß, und weil (ii) die Renaissance als Brücke zur Antike wie auch als eigenständiger Kulturzeitraum dem humanistisch nicht mehr (aus)gebildeten Publikum der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts aus dem Blick geraten ist.

3.2.8.3. Dialog Der Dialog erweist sich hier als stabile Gattung, die auch weiterhin (s. o. 3.2.2.) für die fachlichen und wissenschaftlichen Kommunikationsanliegen zur Verfügung steht: als ,literarischer wissenschaftlicher Dialog‘ erfüllt diese Darstellungsweise auch (i) den Bedarf an Lebendigkeit der inhaltlichen Präsentation, (ii) an (be)lehrender, prinzipiell didaktischer Grundhaltung im Diskussionsgefälle zwischen Fachkundigem und Interessierten, (iii) an Geschmeidigkeit bei der Verfechtung brisanter Themen auch im Sinne eines Selbstschutzes des Autors (z. B. Astronomie gemäß ptolemäischem gegenüber kopernikanischem Weltbild), (iv) an Zusammenführung von Schrift und fachlicher Zeichnung (vgl. Kalverkämper 1996 a). Der Dialog ermöglicht schließlich (v) eine kolloquiale Darstellungsweise fachlicher Inhalte, bei der auch Geschmacksvorlieben des Zeitgeistes (locus amoenus-Elemente, adelige Frau als Lernbegierige, Komponenten der Salonkultur) auflockernd einfließen und so den Fachinhalten eine breite Leserschaft sichern: mit der Haltung des docere und delectare, des utilis und dulcis [Horaz], des „ni trop se`che, ni trop badine“ [Fontenelle] beim Fachgespräch (vgl. Kalverkämper 1989 b; 1996 a).

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte

3.2.8.4. Lehrgedicht Ebenso ist das Lehrgedicht weiter in der Textetradition deutlich vertreten (s. o. 3.2.1.; 3.2.6.), auch wieder in der Kombination von fachlichem Inhalt und poetischer Präsentation. Diese Darstellungsform, die heute als Gattung (Lesky 1981; Schetter 1974; Siegrist 1974) unbekannt ist, eben weil sie als Vertextungsweise für fachliche und wissenschaftliche Lehre (in Gebieten wie Philosophie, Medizin, Gartenbaukunst, Landwirtschaft, Malerei, Theater, Moral und Religion, u. a., hier in den Themenschwerpunkten national ⫺ deutsch, französisch, italienisch, englisch ⫺ durchaus verschieden! [Siegrist 1974, 53⫺68, 85⫺88]) nun nicht mehr eingesetzt wird und gänzlich der Darlegung in fachlicher (didaktischer) Prosa weichen mußte, hat in der Aufklärungs- bzw. Barockzeit und darüber hinaus, wohl bis zum 19. Jh., ein reiches Profil an fachlichen Themenspektren, an textuellen Makrostrukturen, an Metaphernvielfalt, an rhetorischer (argumentativer) Durchdringung ausgebaut (vgl. Siegrist 1974). 3.2.8.5. Nichtkanonische Gattungen Natürlich gibt es noch weitere nichtkanonische Gattungen für fachliche Inhalte. So bietet Nies (1978, 14): Annotation (Erstbeleg in diesem Sinne: 1690), Croix de par Dieu (1690), Remarque (1690), [Analyse (1772), Me´thode (1874), Notice (1874)]; Bürgel (1983) führt neben den Textsorten der Gruppe ,delectare‘ und ,movere‘ auch die des ,docere‘ (z. B. Traktat, Rezension, Aphorismus, Kommentar); bei Belke (1973) finden sich mit (i) informierender Funktion Abhandlung, Traktat, Sachbuch, Dialog, Bericht, Reportage, Interview, Biographie, mit (ii) wertender Funktion u. a. Essay, Leitartikel, Kritik, mit (iii) appellierender Funktion u. a. Predigt. Das Angebot an Gattungen rundet sich mit dem „Kanon“ bei Weissenberger (1985), der (unstrukturiert) eine Gemeinschaft von „Gattungsarten“ vorstellt und diese als „separate Gattung“ (Weissenberger 1985, 1) auffaßt (Aphorismus, [Auto-]Biographie, Brief, Dialog, Essay, Fragment, Predigt, literarischer Reisebericht, Tagebuch). 3.2.9. (Französische) Klassik und Aufklärung Eine Vielzahl derartiger Gattungen etabliert sich in der Übergangszeit zwischen französischer Klassik und Aufklärung (also zwischen etwa 1650 bis 1750):

71

Z. B. Traite´, Discours, Re´flexion, Dissertation, Remarque, Explication, Instruction, De´fense, Description, Entretiens, Essai, Examen, Observation, Eclaircissement, u. a.

Es läßt sich nachweisen (Kalverkämper 1984; 1989 b, 22⫺29; 1996 a, 695⫺703), daß in der hundertjährigen Zeitspanne diejenigen Fachtexte, die ihre Inhalte in unterhaltender, dialogischer, gesprächiger, narrativer, kolloquialer Weise bieten und als ,kommunikative‘ Gattungen ⫺ z. B. Dialogue, Discours, Traite´, Entretiens, Conversation ⫺ noch um 1680/ 1690 hochaktuell waren, auf die Mitte des 18. Jh. zu und darüber hinaus unattraktiv werden (und sie haben heutzutage für einen gelehrten Austausch von fachlichen Argumenten ausgedient), während jene Texte, die monologisch, präsentierend, expositorisch verfahren, also im heutigen Sinne ,wissenschaftlich‘ ihre Inhalte vorlegen, deutlich wachsende Zustimmung und ⫺ bis heute ⫺ regen Gebrauch finden: so (i) die ,geschichtlich zielenden Gattungen‘ (Me´moire, Re´cit, Histoire, Relation u. a.) und (ii) die ,analytischen Gattungen‘ (wie Observation, Critique, Jugement, Examen, Explication, E´claircissement u. a.). So ist auch die lange Tradition des wissenschaftlichen Dialogs (s. o. 3.2.2.; 3.2.8.3.) als Darstellungsform fachlicher Inhalte damit nach der Spätaufklärung abgeklungen (vgl. auch Schlieben-Lange 1989 b; Hoppe 1989). 3.2.10. Literaturgeschichte der Fach- und Wissenschaftssprachen Da mindestens für die letzten fünfhundert Jahre Literaturgeschichte nähere, geschweige systematische Kenntnisse zu den Darstellungsformen schriftlicher Fachkommunikation fehlen, eben weil diese Fachliteratur üblicherweise als die „Randzonen und Dürregebiete der Literatur“ (Nies 1978, 14) galt und ⫺ außer für die Fachprosaforschung (s. o. 3.2.6.) ⫺ noch gilt, bedarf es einer Ergänzung (i) der seit langem vorhandenen Sprachgeschichten (die sich auch der Ausformung und Entwicklung von Handwerker(fach)sprachen, Rechts- und Kanzleisprache, Kommerz- oder Handelssprache, oder von Technik- und Naturwissenschaftssprachen [wie speziell Alchimie zu Chemie; Seefahrtsberichte zu Nautik] widmen) und dafür die entsprechenden einschlägigen Textzeugnisse als sprachhistorische Quellen verwerten (vgl. z. B. für das [Frühneuhoch-]Deutsche: Besch 1980; für das Französische: Eckert 1990; Pöckl 1990; für das Italienische: Krefeld

72 1988; für das Spanische: Schmitt 1992) sowie (ii) der ebenfalls vorliegenden Sachgeschichten, (meist konzipiert als Kulturgeschichten): und zwar durch eine ⫺ noch zu schreibende ⫺ (iii) Literaturgeschichte der Fach- und Wissenschaftssprachen. Man hat sie sich sinnvollerweise vorzustellen als eine Gattungsgeschichte des wissenschaftlichen Schrifttums. Sie ließe sich, angelegt als ein diachrones System der fachkommunikativen Gattungen, (i) in das (bestens erforschte) System der kanonischen („Schönen“) literarischen Gattungen (einschlägiges Beispiel zur historischen „Konstituierung von Textsorten“ mit wieder nur ausschließlich literarisch-poetologischer Optik Schulz-Buschhaus 1996) und (ii) in das der (erst ab Mitte der siebziger Jahre [vgl. Rucktäschel/Zimmermann 1976; Klein/Hecker 1977] ins literaturwissenschaftliche Interesse gerückten) Trivialliteratur (wie Heftromane [Western, Kriminal-, Frauen-, Arzt- etc. -roman], Bühnenschwank, Schlager u. a.) integrieren. Erst dann wird es möglich sein, die Texttraditionen in ihren Filiationen und engen Bezügen und in ihren auf die jeweiligen inhaltlichen Bedarfslagen reagierenden Veränderungen so zu sehen, daß sich die Scheidung nach (i) ,literarisch‘ und ,nichtliterarisch‘, oder (ii) ,fiktional‘ gegen ,nonfiktional‘, (iii) ,Kunstprosa‘ gegenüber ,Gebrauchs-/Zwekkliteratur‘ bzw. ,Fachprosa‘, (iv) ,poetisch‘ im Gegensatz zu ,beruflich/fachbezogen/wissenschaftlich‘ (oder ,pragmatisch‘ oder ,expositorisch‘), (v) ,ästhetisch‘ gegen einerseits ,pragmatisch‘ und andererseits gegen ,theoretisch‘, in einem Verbund von Gattungssystemen zu einem übergeordneten System hin aufhebt. 3.2.11. Neuzeit Spätestens mit den Auswirkungen der Industriellen Revolution in der ersten Hälfte des 19. Jh. haben die Menschen in den arbeitsteilig organisierten Gesellschaften zunehmend bis in die heutige Zeit die Vielfalt und die Interdependenzen der zur Verfügung stehenden Darstellungsformen schriftlicher Fachkommunikation zur Kenntnis nehmen müssen: (a) Probleme der ,Kommunikation in Institutionen‘ setzen ein, (b) die Einbuße von sozialer Verständlichkeit der fachlichen Inhalte geht einher mit (c) einer Entfremdung der Rezipienten gegenüber den formalen Regelungen und Erscheinungsweisen der vielen differenzierten Fachtextsorten, (d) die Beziehung zwischen fachlichem Kommunikations-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

inhalt und der zugehörigen Mitteilungsform (s. o. 1.4.) muß neu gepflegt werden (Stichwörter: Texte-Optimierung [s. Art. 1, Abschn. 1.4.2.1.; Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (e) (3); Art. 93], Technical Writing [vgl. Art. 106 a], Wissens- und Wissenschaftstransfer [Arbeitsteilung und Sprachteilhabe!)] (vgl. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkte (d) u. (e) (3)), kritische [Fach-]Textsortenanalyse [vgl. Art. 3, Abschn. 1.1. u. 2., Beginn], Normung von Fachtexten und Fachtextsorten [vgl. Oldenburg 1996]). Fachkommunikation mit Fachsprache entwickelt sich mit der zunehmenden Arbeitsteilung (s. Art. 1, Abschn. 1.2.2.; Art. 2, Abschn. 3.1.1. u. 3.1.2., Punkt (7)) und deren fortschreitender Fächerdifferenzierung und Disziplinen-Entstehung (bis hin zu deren komplexen Integrativformen in den sogen. Bindestrich-Disziplinen, wie ,Bio-Medizin‘, ,submarines Bautechnikwesen‘, ,Psycholinguistik‘) (s. Art. 1, Abschn. 1.5., Punkt (e)) zu einem gesellschaftlich und kommunikativ ausgrenzenden Faktor: bei ihm macht sich die Fremdheit im Umgang miteinander ⫺ nämlich die Nicht-Verstehbarkeit von Gesprochenem und Geschriebenem durch Nichtteilhabe am fachlich spezifischen Handeln ⫺ gerade darin bemerkbar, daß sich die sprachlichen Darstellungsformen für wissenschaftliche, fachbezogene, berufliche Inhalte einer breiten Beachtung entziehen und sich immer stärker auf eine kommunikative und damit auch auf eine soziale Identitätsfindung der engen Fachgruppe, der Experten und Sachverständigen, der Kenner und Wissenden beziehen. Kommunikation wird in der Gesellschaft nun kaum mehr gepflegt, um die fachlichen Anliegen in ihren für die Gesellschaft wichtigen Auswirkungen gemeinsam zu diskutieren, sondern um sich abzuschotten und ein expertokratisches Solidaritätsgefühl zu etablieren (die „wir vom Bau“-Mentalität). Die Darstellungsformen fachlicher Kommunikation sind spezifisch geworden.

4.

Darstellungsformen der Fachlichkeit in den Einzeltexten

Daß sich in der heutigen Zeit die Darstellungsformen von Fachkommunikation als erkennbar fachbezogene, als wissenschaftliche wie auch als berufliche und handwerkliche präsentieren, verdanken sie, wie vorgestellt (s.o. 3.), einer langen Textetradition, die sich am ehesten als Gattungsgeschichte der praxis-

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte

orientierten (d. h. hier insbesondere: aus den Handwerken stammenden) und der theoriebezogenen (d. h. wissenschaftlichen) Texte versteht (s. o. 3.2.10.; vgl. Art. 27, Abschn. 8. (c)). Dies ist der oberste Rahmen der fachlichen Darstellungsformen. Die konkrete Kommunikation spielt sich aber nicht in einer Gattung ab, sondern funktioniert ganz materiell mit einem Text, hier einem (hier: schriftlichen) Fachtext (dieser natürlich als Exemplar [s]einer Gattung oder Textsorte). Da die Gattungsmerkmale abhängen von der Übereinstimmung konstitutiver Merkmale der ihnen zugehörigen Texte und Handlungsmuster, müssen hier nun die Fachlichkeitsausweise der Einzeltexte als Darstellungsformen schriftlicher Fachkommunikation vorgestellt werden. Die BERUFLICH-HANDWERKLICHE Fachkommunikation hat neben (ihren) (i) schriftlichen Texten (i1) des praxisorientierten Umgangs wie ,Angebot‘, ,Vorkalkulation‘, ,Rechnung‘, ,Baubeschreibung‘, ,Materiallisten‘, ,Materialbestellung‘, ,Prüfungsbericht‘, ,Produktabnahme‘, ,Werkstattzettel‘, ,Reklamation‘ usw. sowie den (i2) fachinternen Texten wie ,Ständebuch‘, ,Zunftrolle‘, ,Handwerksordnung‘, ,Lehrvertrag‘, ,Gesellenbrief‘, ,Meisterzeugnis‘ vorzugsweise (ii) mündliche Darstellungsformen (,Verkaufsgespräch‘, ,Beratung‘, ,Vorführung‘, ,Anleitung‘ u. a.), mit denen dann auch Präsentationsformen zusammenhängen, die sich aus der fachlichen Kommunikationssituation selbst ergeben, also stark pragmatisch (d. i. situationsgebunden) sind: (ii1) so einerseits bei der (lehrenden) Vermittlung von handwerklichem Fachwissen, bei dem die Gemeinschaft mündlicher und pragmatisch-situativer Darstellung unabdingbar ist; (ii2) so andererseits die Einbindung wissenschaftspraktischer Tätigkeiten in ein mündlich vermitteltes übergeordnetes (christliches) Weltbild, das bis zur Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks (ab Mitte des 15. Jh.; vgl. Grosse/Wellmann 1996) den fachlichen Handlungsrahmen und manufakturell-beruflichen Kommunikationsraum des Mittelalters insgesamt bestimmte (was sich gerade auch im Wirken des Benediktinerordens mit seiner Wertschätzung der Arbeit und ⫺ im Hochmittelalter ⫺ des Zisterzienserordens mit seiner Hochschätzung der Technik widerspiegelt); (ii3) und schließlich, ganz stark situativ bestimmt, die Präsentation eines Meisterstücks als Ausweis fachlicher Eignung und Qualifikation, oder die Vorlage von Musterexemplaren des handwerklichen Könnens, oder die Ausstellung beruflicher Stücke (z. B. im Schaufenster) als werbende Offerte, oder ⫺ noch aus dem Zunftwesen herkommend ⫺ die symbolisch-kompakte fachliche Darstellungsform als Aushänger über der Tür. ⫺ (Zur Berufs-, Arbeits-, Lebensform und Kulturge-

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schichte des [alten] Handwerks vgl. z. B. Reith 1990; Mummenhoff 1924). In den folgenden Darstellungen (s. u. 4.1.⫺4.5.) soll der Blick primär auf die WISSENSCHAFTLICHE FACHKOMMUNIKATION (und hier die schriftliche ⫺ die mündliche behandelt Art. 5) gerichtet sein. Und selbstverständlich muß auch hierbei die historische Sicht auf die Einzeltexte mit einbezogen werden, wenngleich dazu bislang sehr wenig an Forschung vorliegt, eben weil die Attraktivität solcher Sichtweisen bis heute noch nicht in der wünschenswerten Weise erkannt worden sind (vgl. als Anstoß: Kalverkämper 1993 b).

4.1. Fachlichkeitsausweise der Textform Da Texte für eine gelingende Kommunikation immer Funktion innehaben und diese sich stets aus der Bedingungsgemeinschaft von Form und Inhalt ableitet, kann die Textform allein nicht ausreichenden Signalcharakter für eine fachkommunikative Darstellungsweise aufbieten. Sie wird aber, was die folgenden Fälle betrifft, vorzugsweise eingesetzt und hat im Zusammenspiel von Form und Inhalt dort primäre Signalaufgaben.

Die formale Seite eines Textes hat einen allgemeinen äußerlich-klassifikatorischen Informationswert: Man kann formal (1) einen relativ langen von einem relativ kurzen Text unterscheiden; man kann (2) Schrifttext und Schrift-Bild(er)-Text unterscheiden, man kann (3) formal einen nichtpoetischen (prosaischen) Text von einem poetischen unterscheiden, wenn dieser (i) lyrisch (Gedichtform mit Versen und Strophen; bestens zu belegen mit den berühmten Laut- und Umrißgedichten der ,nonsense-Dichtung‘ oder ,Unsinnpoesie‘, so z. B. von Christian Morgenstern Fisches Nachtgesang [1905]; oder mit den visuellen Kompositionen der Dadaisten, so z. B.: Dadaistisches Lautgedicht ohne Worte von Man Ray [1924]; vgl. z. B. Adler/Ernst 1987, 230, 260; s. auch Massin 1970) oder (ii) dramatisch (dialogische Wechselreden, typische Überschriften wie ,Akt‘ oder ,Szene‘) ist; man kann (4) ästhetisch angelegte und „normal“ gesetzte Texte unterscheiden.

Die wissenschaftliche Darstellungsform liegt quer über diesen formalen Vorentscheidungen und hat eigentlich nur bei der gerade oben unter (2) erwähnten Text-Bild-Gemeinschaft einen deutlicheren, allerdings nicht eigenständigen Ausweis gegenüber einer nichtwissenschaftlichen Darstellung inne. 4.2. Textpräsentation (Text als Figur) Form und Inhalt können sich als Text nahezu so mit ihren Möglichkeiten ergänzen, daß der Informationsgehalt des Textes sich in der formalen Präsentation widerspiegelt („mime-

74 tisch“, „ikonisch“) und ⫺ umgekehrt ⫺ über die äußere Gestalt des Textes schon ein Rückschluß auf seinen Inhalt naheliegt (Vorinformation, Erwartungsweckung): der Text als Figur. Als pragmatisch-künstlerischen Ort für das Bild als Text (wie dieser sich faktisch zeigt) bzw. für den Text als Bild (wie er als Präsentationsform intendiert ist) hat das Mittelalter die Kirchenpforten mit dem Figurenschmuck und die Glasmalerei der Kirchenfenster und die Abbildungen und Bilderfolgen in den sogen. Armenbibeln aufgefaßt: eine didaktisch motivierte, auf Religiosität und Frömmigkeitspraxis zielende, dabei meist kanonisierte Darstellungsform fachlicher, nämlich theologischer Inhalte. In einer alphabetisierten Gesellschaft ist dann die figürliche Präsentation von Text eigentlich ein Ort der Ästhetik und der Poesie: Die „visuelle Poesie“ als Kunstform der verfremdeten Textinformation ist schriftliches Ausdrucksmittel seit der Antike (Adler/Ernst 1987; Massin 1970; Ernst 1991) und hat über die carmina figurata des Mittelalters und die Figurengedichte der Renaissance und Aufklärung sowie die barokken Spielformen auch in der Neuzeit Interesse gefunden, wie in der Konkreten Poesie (Figürliches Gedicht, Konzeptionelles Gedicht) als literarische Strömung der fünfziger Jahre bis heute („Experimentelle Literatur“) (dazu z. B. Hartung 1975; Gomringer 1991).

Wissenschaftliche Texte verschließen sich offenkundig einer solchen Ästhetisierung, eben weil derartige Funktionen des formalen ornatus ihnen nicht eigen sind. Lediglich im Rahmen katechetischer oder religionspraktischer Informationen dient in der Barockzeit die textformale Gestaltung gelegentlich der Unterstreichung von Thema und Anliegen des Inhalts (so vgl. z. B. Creutz- und TrostKelch von Ernst Müller [1663]; in Adler/Ernst 1987, 120 f). 4.3. Textsemiose (Text und Bild) Wissenschaftliche Darstellungsformen, die nicht mit Sprachzeichen (als ,Darlegungs‘oder ,Fließtext‘) allein auskommen, entwikkeln sich erst in Zeiten, als der Informationsbedarf ansteigt, weil die fachlichen Kenntnisse sprunghaft anwachsen: und das ist nach frühen sporadischen Vorkommen (vgl. z. B. Keil 1990) natürlich die Zeit der Renaissance (ca. 1450 bis 1600) (vgl. Art. 27). (1) Die formalästhetische Komponente fällt zwar für die Textpräsentation weg (s. o. 4.2.), kommt aber als Bestandteil in den Text

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

hinein durch das Bild. Das Bild ist zunächst mimetisch oder ikonisch, d. h. die Natur nachzeichnend, so weit die zeitgenössische Darstellungstechnik oder das damalige Weltwissen dies zuließen. Man denke an das Fehlen von Kenntnissen zum perspektivischen Malen bis zur Renaissance, oder an die Darstellung nicht selbst gesehener Bekanntheiten (wie Albrecht Dürers Holzschnitt Rhinozeros von 1515, dem Prototyp für alle Nashorn-Darstellungen bis ins 18. Jh. hinein) (vgl. Lepenies 1976, 31; Gombrich 1977; Muckenhaupt 1986, 71⫺78).

Insbesondere die Mediziner machen schon im Altertum in den Schriftrollen und ab der christlichen Antike in den Codices, im Mittelalter dann in Büchern von der Möglichkeit Gebrauch, ihre fachlichen Informationen durch Bildbeigaben, die den Textinhalt betreffen, zu verdeutlichen (vgl. Zotter 1986): In der neuen Gemeinschaft von sprachlichem Text und präsentiertem Bild hat das Bild illustrierende Funktion inne. In dem fachlichen Kontext und mit dieser eng gebundenen Funktion zum Text erfüllt das Bild über die Illustration hinaus eine fachliche Leistung, es wird selbst zum fachlichen Bild (s. Kalverkämper 1993 a). Da zur antiken Technik die entsprechenden schriftlichen Quellen, z. B. als fachliche Traktate, größtenteils fehlen und sich oft nur der Weg der Fremderschließung anbietet (z. B. die attische Technik des Schmiedens mit Blasebalg gemäß dem 18. Gesang in Homers Ilias), muß man hier die Abbilder technischen Geräts, wie sie als Wandgemälde, als Keramikdekor, als Halbreliefs auf Grabsteinen, Sarkophagen, Stelen u. a. erhalten sind (Orient, Ägypten, Griechenland, Pompeji), mit Kontexten von Sprachhandlungen neu versehen; das ist die von der Überlieferungslage her bestimmte umgekehrte Richtung, bei der das (Ab-)Bild als eine fachliche Darstellungsform angesehen und deshalb schon sofort von einem „fachlichen Bild“ (und nicht von z. B. einer ästhetischen oder religiösen Präsentation) ausgegangen wird. (Interessant das einschlägig bekannte Werk von Neuburger 1920).

In seiner fachlichen Aussageleistung kann das Bild dann die Informationen des Textes nicht nur (i) verdeutlichend stützen, sondern auch (ii) mit seinen spezifischen semiotischen Leistungen ergänzen und sogar noch im Sinne eines Sprach- oder Text-Ersatzes darüber hinausgehen, wenn nämlich (iii) die sprachliche Fassung zu aufwendig wäre oder aber, was gerade für die historischen Zeitstufen ⫺ so die Renaissance ⫺ gilt, (iv) noch nicht die wissenschaftssprachlichen (insbe-

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte

sondere terminologischen) Möglichkeiten voll ausgebaut zur Verfügung stehen (vgl. z. B. Huberty 1997). (2) So fungiert das fachliche Bild als (fach-)informationstragend, als wissenschaftliche Demonstration (dies spätestens seit der Renaissance mit Leonardo da Vinci als Exponenten: Braunfels-Esche 1984; Kalverkämper 1993 a; Huberty 1997); und dies komplementär zum Text in drei prinzipiellen Relationen (Kalverkämper 1993 a, 222⫺230): (a) GLEICHWERTIG: das Bild dient zur Illustration des sprachlichen Textinhalts; es bietet vergleichbare Information mit anderen semiotischen Möglichkeiten; das Einbettungsverhältnis des fachlichen Bildes ist folglich: textintegriert. ⫺ (b) ÜBERWERTIG: das Bild bietet entscheidend mehr Information als der sprachliche Text; das Einbettungsverhältnis ist hier: textdominierend. ⫺ (c) UNTERWERTIG: das Bild dient (lediglich) als Schmuck, ornatus, zum sprachlichen Text und könnte auch ohne Verlust der Textverständlichkeit wegfallen; das Einbettungsverhältnis ist somit textergänzend.

Diese Relationen lassen sich noch auf die Sprachhandlungsformen hin erweitern, wie sie gerade bei der Fachkommunikation anfallen; mit Muckenhaupt (1986, 11 f) kann man hierfür „Einführungs-, Verwendungs- und Klärungssituationen“ unterscheiden. Und natürlich gilt es, die Aussagequalität der fachlichen Darstellungsform ,Bild‘ zu prüfen, sei es (a) in den semiotischen Informationsleistungen, nämlich in den beiden korrelativen (!) Gegensatzpaaren ,statisch vs. dynamisch‘ und ,punktuell vs. systematisch‘ (Kalverkämper 1993 a, 224⫺230), sei es (b) im textsortengebundenen Funktionsrahmen: so sehr bedeutend ⫺ auch kulturgeschichtlich ⫺ in der Lexikographie (Hupka 1989) (vgl. Art. 198). (3) Es sei noch darauf hingewiesen, daß die Dokumentationswissenschaft, hier speziell die Technische Dokumentation im Rahmen des sogen. Technical Writing, sowie die technische Normung (z. B. DIN) die Informationsgemeinschaft von Text und Bild als fachliche Darstellungsform so fest integriert sieht, daß sie den übergeordneten Terminus ,Dokument‘ dafür verwendet (vgl. Göpferich 1997; Krings 1996) (vgl. auch Art. 106 a). In dieser Verbindung färbt dann das Interesse an den bislang bei den sprachlichen Texten festgestellten interkulturellen Spezifika auch auf die bildlichen Eigenheiten ab: und so werden auch hier kulturgebundene Auffälligkeiten der bildlichen Informationsgestal-

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tung bemerkt, was als interkulturell relevante Darstellungsform gerade bei fachlichen Übersetzungsprozessen mit Bildanteilen die gebührend sensible Berücksichtigung finden sollte (vgl. Göpferich 1997). Bei verschiedenen Fachtexten wie der ,Patentschrift‘ oder dem ,Sachverständigengutachten‘, dem ,polizeilichen Unfallbericht‘ oder der ,Anhörung bzw. Anzeige wegen Geschwindigkeitsüberschreitung‘ ist die Determination von Text und Bild als relevante Darstellungsform (Beweis!) juristisch verbindlich und muß deshalb, über den Einzeltext hinaus, als textsortenspezifisch gelten. (4) Die Darstellungsform ,fachliches Bild‘ ist kulturhistorisch entstanden aus einer künstlerischen Grundhaltung heraus: und zwar um (i) Gestaltung von Lebensumfeld und Welterfahrung mit zeichnerischen Mitteln zu leisten und dadurch (ii) anschauliche Erfahrbarkeit in Konstanz (dies ganz analog zur Schrift: Memorierbarkeit, Tradierbarkeit, Reproduzierbarkeit) zu ermöglichen. Deshalb ist es gar nicht so verkehrt, die prähistorische Höhlenzeichnung und das moderne Computerbild im Brückenschlag zu sehen: denn es „zeugen beide vom menschlichen Bemühen, Naturereignisse festzuhalten oder zu verstehen. […]. Sie geben Gelegenheit zum Nachdenken über die Wechselwirkungen von Wissenschaft, Kunst und Kultur im Lauf der Geschichte“ (Robin 1992, 11). Genau darin offenbart sich dann auch das Bemühen, das Darzustellende zu beobachten, zu beschreiben, zu analysieren und zu klassifizieren. Robin (1992) hat in seinem äußerst attraktiven Band diese Bereiche für das wissenschaftliche Bild erkannt: Beobachtung, Induktion, Methodik, Selbstveranschaulichung, Klassifizierung, Begriffsbildung. Das sind auch Aspekte, die für die sprachliche Darstellung mit fachbezogenen Anliegen gelten.

Dennoch scheinen sich in dieser Tradition der abendländischen Malerei die beiden Zeichensysteme nur in gemeinsamem Dienen für fachinformative Ziele, nicht aber in Überschneidungen oder sogar Vereinigungen zu treffen: die figürliche Darstellung schließt die Ähnlichkeit mit der erfahrbaren Wirklichkeit ein, die sprachliche Referenz schließt sie aus. Michel Foucault zieht daraus für die beiden Systeme den Schluß: „Immer werden sie durch eine Ordnung hierarchisiert, die entweder von der Form zum Diskurs oder vom Diskurs zur Form geht“ (zitiert nach Schmidt 1992, 127). Schmidt (1992) sieht diese „unüberbrückbare Differenz zwischen textlichen und bildlichen Kodierungen“ im Zusammenhang maschineller (KI-)Verarbeitung, Ana-

76 lyse und Interpretation von Fachbildern (Computertomogrammen des menschlichen Schädels) nivelliert. 4.4. Textstruktur (1) Das (fachliche) Bild im Sinne einer Abbildung von (fachlich gesehener) Wirklichkeit bietet sich dem Betrachter komplex und mit durchaus vorhandenen ästhetischen Komponenten an und setzt dann bei der Rezeption gewisse Abstraktionsleistungen voraus und erfordert ein selektives (interessegesteuertes) Sehen (Ausgrenzen von Peripherie-Informationen, Reduktion von Detailreichtum); dagegen sind DIAGRAMME, SCHEMATA, STEMMATA, Auf- und Grundrisse, sowie Skizzen bereits Ergebnisse solcher Beschränkungen auf die (unbedingt) relevante Information. Der Autor entscheidet also mit der Wahl seiner nichtsprachlichen Darstellungsform darüber, welche Rezeptionsleistung der Leser zu erbringen hat, und er steuert somit dessen kognitive Prozesse. Es sind also (i) die Wahl zwischen z. B. Photo oder Abbildung einerseits und Skizze andererseits sowie (ii) der Einsatz von z. B. Diagrammen in bezug auf den zugehörigen sprachlichen Text letztlich Entscheidungen, die auf die Textrezeption Einfluß nehmen.

Folglich muß die Wirkung dieser nichtsprachlichen schriftlichen Darstellungsmittel textstrukturell (Kalverkämper 1993 a; Jahr 1996), lese(r)psychologisch (Groeben 1982), kognitionswissenschaftlich (Budin 1996; Felix/ Habel/Rickheit 1994; Felix/Kanngießer/Rickheit 1990; Jahr 1996; Rickheit/Strohner 1993), verständlichkeitsorientiert (Biere 1989; Kalverkämper 1988 b; 1989 a; Liebert 1996) und didaktisch (Buhlmann/Fearns 1987; Fluck 1992; Fearns 1996) analysiert und aus diesen Blickwinkeln heraus auch interdisziplinär ⫺ und weitergehend ergänzend: mit interkulturellem Zuschnitt ⫺ gelehrt werden (Kalverkämper 1996 b; Göpferich 1997). Autor ⫺ insbesondere wissenschaftlicher Autor ⫺ zu sein, ist heutzutage keine Angelegenheit der Intuition mehr, sondern eine der geschulten Kenntnisse um die Arten, Prozesse und Leistungen der (formalen) Textgestaltung (Textdesign) und der (primär sprachlich-inhaltlich begriffenen) Textoptimierung (vgl. Art. 93). Diesen Aufgaben widmet sich inzwischen ein zukunftsorientiertes Berufespektrum vom Setzer und Layouter über den Verlagslektor, Technischen Redakteur (vgl. Krings 1996) und Übersetzer bis zum Sachbuchautor und Mitarbeiter von populärwissenschaftlichen Zeitschriften und Wissenschaftssendungen im Fernse-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation hen (Wissenschaftsjournalismus [Ruß-Mohl 1987]) sowie von Fachorganen.

(2) Diagramme, Stemmata, Schemata und Skizzen in Texten erfüllen eindeutig fachlichinformierende Kommunikationsaufgaben und dienen somit, wenn sie ⫺ allein (was selten ist) oder im sprachlichen Umfeld von Texten ⫺ auftreten, als deutliche FORMALE FACHLICHKEITSAUSWEISE ⫺ dies natürlich mit einem fachinhaltlichen Angebot ⫺; diese Ausweisfunktion üben sie sowohl für sich selbst aus als auch für ihren sprachlichen und ihren situativen Kontext (dieser z. B. bei umweltbezogenen öffentlichen Ausstellungen der chemischen Industrie), in den sie eingebettet sind: (a) Diagramme, Schemata, Stemmata kondensieren Information und etikettieren diese unterschwellig als Fachinformation; ⫺ (b) sie stellen per definitionem die gebotene Information als den relevanten Kern oder Extrakt hin; ⫺ (c) sie bieten je nach Anlage dabei noch genug Freiraum für den Leser ⫺ allerdings bis zur festen linearen Rezeptionsführung (z. B. durch kontinuierliche Pfeile, Zahlenfolgen, progressive Indizes) ⫺, sich mit dem Angebot zu beschäftigen (von selektiv bis komplett). Letztlich sind sie daher Ausdruck eines AutorInteresses, das auf Verdeutlichung und Essentialisierung von Information Wert legt; dies belegt somit eine prinzipiell didaktisch motivierte Grundhaltung: der Rezipient soll ökonomisch und auf das Wesentliche reduziert dem Informationsanliegen folgen können. Darin steckt dann allerdings auch ein Anspruch an den Rezipienten, der von diesem eingelöst werden muß:

Solche fachlichen Darstellungsformen setzen implizit eine Kompetenz der visuellen Begegnung voraus, erfordern ein verstehendes Sehen, sie verlangen, weil sie selbst Informationsträger sind, eine ,Ersehenskompetenz‘. Denn selbstverständlich sind diese komplexen Informationsangebote nicht kompakt, gleichsam ,auf einen Blick‘, zu rezipieren (es gibt keine Simultaneität bei der Rezeption von Bildern, sondern eine bestimmte geregelte Sukzession, wie in der Psychologie der sensorischen Wahrnehmungen von den Neuropsychologen erkannt worden ist [vgl. z. B. Luria 1973: Kap. II, 3; Eccles 1980: 3. Vorl.; Weidenmann 1989]). Vielmehr müssen sie (a) aufgelöst (,segmentiert‘, ,analysiert‘, ,linearisiert‘) werden: im Ersehensprozeß (,visuell‘), und (b) neu zusammengesetzt (,synthetisiert‘) werden: im Verstehensaufbau (,kognitiv‘), müssen dann (c) verarbeitet werden im Einschätzungs- und Bewertungsverhalten dazu (,interpretativ‘), um schließlich (d) verwertet zu werden mit einer textbezogenen Rückbindungs- und Einfügungsleistung (,text[re-]integrativ‘).

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte Das „Ablesen“ von fachlicher Information aus visuellen Darstellungen muß folglich mit Anleitung (Kinder in Schule, Studenten im Statistik-Studium, etc.) gelernt werden. Im Rahmen der Technischen Dokumentation ist einschlägiges Wissen dazu unabdingbar (vgl. Krings 1996; Göpferich 1997). Und umgekehrt: dementsprechend werden die Diagramme und entsprechende Varianten in breitenwirksamen Kommunikationssituationen wie Werbung auch vermieden, und wenn sie sich dennoch dort (dann diskret und interkulturell verschieden gehandhabt) finden, signalisiert das eine bestimmte Absicht: Fachlichkeitsanspruch des Werbematerials, Kompetenz des Produktanbieters, Selektionssignal an nur bestimmte Kunden, Imponierhaltung u. ä.

(3) Letztlich gilt es sowohl für den Autor (bei der zeichnerischen Wahl und Anlage seiner Information) als auch für den Rezipienten (bei seiner Verstehensleistung durch Interpretation), die (fachliche) ,Syntax‘ oder präsentierte ,ORDNUNG‘ der nichtsprachlichen Darstellung zu erfassen und deren Beziehungsstiftungen semantisch aufzufüllen. Mit solchen Leistungen bestätigen Autor und Rezipient gleichermaßen, (a) welch wichtige Funktion diese Darstellungsweisen für die Transparenz zugrundeliegender (Gedankenund Text-)Strukturen innehat (Jahr 1996; zur didaktischen Nutzbarmachung vgl. ⫺ jeweils mit reicher Ausbreitung der Forschungslage seit der Antike ⫺ Kuhn 1993; Sperber 1989). Und (b) zugleich wird damit ⫺ via Form, wie die seit dem hervorragenden Buch The Art of Memory von Frances Yates (1966) nach der Antike wiederentstandene moderne Mnemotechnik und, sich daran anschließend, die Intertextualitätsforschung (vgl. Haverkamp/ Lachmann 1991) betonen ⫺ ein gesteigerter Behaltenseffekt als inhaltlicher Vorteil erreicht (die antike memoria; sie ist als Bearbeitungstechnik der mündlichen Rede neben inventio, dispositio, elocutio und pronuntiatio in der Rhetorik beheimatet! [Lausberg 1960, §§ 1083⫺1090; Weinrich 1990], was sich auch erweitert hat in kulturhistorische Dimensionen hinein [Assmann/Hart 1991; Weinrich 1990]). (4) Als DARSTELLERISCHE MITTEL stehen in der abendländischen Erfahrung hierarchisch angelegte Kästen, Zuordnungspfeile, unterschiedliche Höhen oder Dicken, Farbdifferenzierungen, direkte Bezüge zu übergeordneten Koordinaten und Maßeinheiten, u. a. zur Verfügung. Dazu gibt es inzwischen, durch (a) drucktechnische Konventionen und (b) gewisse gestalttheoretische und wahrnehmungspsychologische Evidenzen

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(Prinzip der Prägnanz!) gestützt (die Gestaltgesetze spielen bei der Verarbeitung visueller Information eine entscheidende Rolle!), verschiedene Abstraktionen nichtsprachlicher Darstellungsformen (die sich funktional unterscheiden) in fach- und wissenschaftssprachlichen Kontexten (s. Abb. 4.1): (a) Aufstellungen mit antithetischen Äußerungen; ⫺ (b) zweidimensionale Korrelationstabellen für Einzelinformationen; ⫺ (c) vernetzte Funktionen und Korrelationen von Einzelfaktoren und Gruppen in einem ganzheitlichen Zusammenhang; ⫺ (d) hierarchische Zusammenhänge und Ordnungs-Ableitungen: Typologien (statische Zuordnungen); ⫺ (e) typische Modellierungen von wissenschaftlichen Entitäten: Strukturbaum-Modell, Schicht-Modell; das Stammbaum-Modell ist sehr alt, es geht klassifikationshistorisch auf den Neuplatoniker Porphyrios aus Tyros in Phönikien (ca. 234⫺ca. 304 n. Chr.) zurück, der die Dichotomie als eine Klassifikationsform einführte (von späteren Kommentatoren graphisch umgesetzt als „Baum des Porphyrios“, Arbor Porphyriana; Abb. z. B. in Raible 1993, 35); das dichotomische Schematisieren seinerseits war allerdings schon bekannt durch Aristoteles und wurde dann ⫺ in der Logik der Spätantike durch Boethius (ca. 480⫺524) vermittelt ⫺ im Mittelalter aufgenommen von Roger Bacon (ca. 1214⫺ca. 1292), dann weiterentwickelt von Pierre de la Rame´e (latinisiert Petrus Ramus, 1515⫺1572) (vgl. z. B. Sˇamurin 1964, 28⫺30, 318); Robin (1992) hat unter ,Klassifizierung‘ berühmte Baumstrukturen von Charles Darwin (1870), Ernst Haeckel (1902), Sir Gavin de Beer (1950), British Museum of Natural History (1978) abgebildet; was bedauerlicherweise fehlt, ist der ganz aufklärerisch von franz. entendement ,Erkenntnis‘ aus reich verzweigte Wissenschaftsbaum von Denis Diderot (1780): Abb. 4.2 als transkribiertes und übersetztes Gesamtsystem; Abb. 4.3 als Ausschnitt aus dem Originalstich; ⫺ (f) dynamische Relationen, Abläufe, argumentative Verläufe, Prozesse, Korrelationsstrukturen.

In diesen Zusammenhang gehören dann auch Zeichenkonventionen der fachlichen, wissenschaftlichen Darstellung, die sich ⫺ sicherlich kulturengebunden ⫺ schon als gleichsam so kodiert im fachlichen Diskurs betrachten, daß sie in Modellen, in Textabläufen und in skizzierten Zuständen und Prozessen wie (nicht-)sprachliche bekannte Zeichen, ohne eigene ,Dekodierung‘ also, eingesetzt werden (s. Abb. 4.4). Letztlich handelt es sich hier um graphische Wissensmodellierung, um Visualisierung von Wissensbeständen (hierzu Budin 1996; auch Wichter 1994). Zum einen wird ein Schema gewählt (z. B. Schaltplan), um komplexe Strukturen und Prozesse transparent und nachvollziehbar zu machen; ein

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I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Abb. 4.1: Beispiele für konventionalisierte nichtsprachliche Darstellungsformen mit funktionaler Differenzierung (a) bis (f)

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte Stemma, um Zuordnungen, also hierarchische Zusammenhänge, qualitative Strukturen zu kennzeichnen und somit Ordnung der Teile in einem komplexen Ganzen zu erreichen; ein Diagramm dagegen bietet sich an, um quantitative Informationen über meßbare Variablen zu liefern und diese im Vergleich zueinander darzustellen (dies als offenkundiges Interpretationsangebot an den Rezipienten); eine Tabelle ermöglicht es, Informationen zweidimensional aufeinander zu beziehen und so „zum einen den Informationsgehalt zu potenzieren, zum anderen die Zugriffsmöglichkeiten durch den Rezipienten“ (Raible 1991, 15); die Tradition dieser Darstellungsart bezieht sich ausschließlich auf die Mathematik (Rechentafeln) (Raible 1991, 25); eine Auflistung ⫺ die Liste scheint wohl eine der ältesten Darstellungsformen fachlicher Information zu sein (Koch 1988) ⫺ stellt unter einem geltenden Kriterium eine eindimensionale Ordnungsstiftung zur Verfügung. Üblich ist z. B. die Konvention, Dynamisches durch Pfeil, Prozesse durch Pfeile-Linien, vorzugsweise von links nach rechts (unserem Leselauf in Texten entsprechend) oder von oben nach unten (gemäß einem abrollenden Verlauf gemäß unseren Kulturkonventionen) anzugeben; Kernbereich und zugehörige Peripherie eines darzustellenden Sachverhalts werden vorzugsweise in Kreismodellen gezeichnet; Kastenmodelle signalisieren eine relative Geschlossenheit des dargestellten Sachverhalts, durchaus mit Hierarchien; u. a. ⫺ und entsprechend verläuft beim Rezipienten die Interpretation dieser Zeichen.

(5) Die graphische Visualisierung als Inhalte (Diagramme) und Strukturen (Hierarchien-Ebenen, Überschneidungen, Abstände u. a. mit Kästen und Kreisen) und Relationen (Pfeile, Zuordnungsstriche, Verbindungen, Abstände) ist aus dem zugehörigen sprachlichen Text abgeleitet oder ergänzt ihn als nichtsprachliches Angebot; sie läßt sich somit formal als Kondensierung auf die Essenz des Textinhalts betrachten. Dies ist heutzutage eine Technik, die als immer mehr verfeinertes Resultat eines langwierigen KULTURPROZESSES zu begreifen ist. Die Kulturgeschichte der Schriftlichkeit im Abendland zeigt nämlich in den literarischen wie auch ⫺ mit gewissen Einschränkungen, so in der juristischen Epigraphik (Raible 1991, 6 ff) ⫺ fachlichen Texten der Frühzeit eine anwachsende Funktionalisierung des Schriftbildes: Von der scriptio continua (bis etwa zum 7. Jh.), die mit lautem Lesen (der Kopisten) oder Vorlesen notwendig verbunden war, zur spatialisierten (ab ca. 4. Jh., durchgesetzt ab 8. Jh., verbreitet ab 9. Jh.) und interpunktierten Schreibweise, bei der nunmehr leise („subvokalisch“), später (nach der

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Scholastik des 12. Jh.) schweigend „optisch“ gelesen wurde (Raible 1991, 8, 38; Frank 1994).

Mit der Scholastik erreicht die historische Darstellungsform schriftlicher Kommunikation einen durchgreifenden Wandel: „Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts wird die innere Organisation von Texten […] durchgehend sichtbar gemacht, ab dem 13. Jahrhundert spiegelt sich die innere Organisation des Textes, die sogenannte ordinatio, in der Textgestalt wider. Es gibt nun Überschriften, Zusammenfassungen, lebende Kolumnentitel, Markierung der Argumentationsschritte in Form kleinerer Resümees am Rand, ergänzende Fußnoten, Verwendung verschiedener Farben“ (Raible 1991, 10). ⫺ „Inhaltsverzeichnisse werden hinzugefügt, nach der Wiederentdeckung des Alphabets als Ordnungskriterium kommen alphabetische Register hinzu“ (Raible 1993, 18).

Die Fachkommunikation ⫺ Bossong (1982) beschäftigt sich mit der Naturwissenschaft; Raible (1991, 12⫺15; 1993) mit der Mathematik; Waschkies (1991) mit der Geometrie; Weitzel (1994) mit dem Recht; Häcki Buhofer (1994) mit dem Handel; Pogarell (1994) mit der Technik; Olson (1994) mit der Industrialisation; Stine (1994) mit der Religion ⫺ nutzt ab ihren verschriftlichten Anfängen die Zweidimensionalität des Textes in spezifischer Weise. Die Vorteile der erwähnten „neuen Textpräsentation mit eindeutig ideographischen Elementen“ (Raible 1993, 18), bei der ⫺ im 12. und 13. Jh. ⫺ „die Gestalt des Textes konsequent und endgültig zu einem zusätzlichen Signifikanten“ geworden ist (Raible 1991, 12; Frank 1994), werden in den Fachtexten noch weiter ausgebaut. Offensichtlich am weitesten und effektivsten treibt es die Mathematik, indem sich dort für die Propositionen und deren Verknüpfung (Rechenoperationen) eine eigene Symbolsprache ausprägt (dies demonstriert Raible 1991; 1993; vgl. auch Bossong 1982), ebenso in der Chemie mit ihrer Formelsprache und deren Darstellung (Loschmidt 1913). Der Kondensationsprozeß von der ausgeführten sprachlichen Vertextung des Fachinhalts hin zu einer symbolischen Präsentation (Formel ) ist im Verlauf des 17. Jh. vollendet (Raible 1991, 15); dazwischen liegen Entwicklungsstufen, die über die Abkürzung (z. B. noch bei Leibniz f. für facit ,ist gleich‘ [Raible 1991, 14]) „das eindimensionale Nacheinander des verbalen Textes zu Ideogrammen, die sich dem Eingeweihten auf den ersten Blick erschließen“, verdichten. „Formeln sind Superzeichen, die komplexe Infor-

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I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte

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Abb. 4.2: Baum der Wissenschaften von Denis Diderot (1780); übernommen aus Darnton (1984, dt. Übers. 1989, 240 f)

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I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Abb. 4.3: Ausschnitt aus dem Baum der Wissenschaften von Diderot (1780)

4. Schriftliche Fachkommunikation: diachrone und synchrone Aspekte

Abb. 4.4: Konventionalisierte Zeichen für logischgrammatische Beziehungen von Argumentationsstrukturen in fachsprachlicher Kommunikation nach Becker (1978); Abb. nach Ickler (1984, 60)

mationen auf einen Blick verfügbar machen“ (Raible 1991, 15); in diesem semiotischen Verständnis sind sie völlig vergleichbar mit den sprachlichen Termini als Kondensation dahinterstehender (Definitions-)Texte (Kalverkämper 1987). Diese kulturevolutiven Zusammenhänge zwischen der Darstellungsform wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihrer Informationsleistung läßt sich an dem folgenden Beispiel (Abb. 4.5) verdeutlichen (Text und IV. aus Bossong 1982, 97 f im Zusammenhang einer Thema-Rhema-Analyse; Notation zu II. in Anlehnung an einen Entwurf von W. Raible; vgl. analog Raible 1991; 1993; Übers. von H. K.). Eine sinnenfällige Anschaulichkeit erlangt über diese darstellerische Grenze der Formel hinaus die Chemie mit ihren Modellen, hier dann variantenreich in Zwei- und Dreidimensionalität, mit abstrakten Relationen oder korrekten Proportionen, in statischer Präsentation oder als dynamisches Modell; für den Namen Campher und die zugehörige Summenformel C10H16O s. mit 9 Varianten Niederhauser (1996, 51 f).

4.5. Textkomponenten In der schriftlichen Fachkommunikation werden Teiltexte ⫺ Textkomponenten ⫺ herangezogen, die Kennzeichen der Fachlichkeit sind; in den Fachtexten sind sie spezieller: Kennzeichen der Wissenschaftlichkeit. (1) An ÄUSSEREN, FORMALEN DARSTELLUNGSMITTELN fällt natürlich der sogen. „wissenschaftliche Apparat“ auf. Fuß-

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noten, Anmerkungen, Exkurse, Literaturhinweise, Nebentexte haben dort ihren Ort (vgl. Niederhauser 1996; Brand 1997; Danneberg/ Niederhauser 1997). Der Apparat hat seine kulturgeschichtliche Tradition; inzwischen ist er zu einem unverzichtbaren Bestandteil akademischer Karriereschriften und anderer Forschungsarbeiten geworden; fehlt er, bekommt der Text ⫺ bei gleichem Inhalt ⫺ einen essayistischen, salopperen Charakter. Hier gibt es interkulturelle Unterschiede, was die Anbindung an die Forschungssituation, was den Belesenheitsnachweis, was die dort gezeigte Diskussionsfreude und gepflegte Streitlust betrifft (Clyne 1991; Galtung 1983; generell Hinnenkamp 1994; vgl. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (e) (2) (h)). Ebenso sind die Anführungsstriche klares Anzeichen von Zitationsweisen, eindeutiger Ausweis eines Zitats, und dieses unmißverständlicher Hinweis auf einen wissenschaftlichen Anspruch (s. Klockow 1980; Skog-Södersved/Liefländer-Koistinen 1991; Skog-Södersved (1993): Wissenschaftlicher Diskurs lebt vom Dialog, und mit dem Zitieren anderer Meinungen wird eine Intertextualität (s. Art. 3, Abschn. 2., Punkt (5) (c)) geschaffen, die die eigene Meinung vernetzt und in die Wissenschaftsgemeinschaft ⫺ auch mit den bekannten juristischen Konsequenzen (Erlaubnis der Übernahme fremden geistigen Eigentums) ⫺ einbindet. Als übergeordnete äußere Textkomponente muß noch der Titel gelten. Er dient als spezifischer Ausweis der Fachlichkeit seines Textes (Dietz 1995) und ragt in dieser Funktion zugleich in den Bereich der textinneren Darstellungsmittel hinein. (2) Der INHALTLICHE Ausweis von Fachkommunikation geschieht über den festen Bezug auf die fachlichen Gegenstände, Sachverhalte und Handlungszusammenhänge (vgl. Art. 1, Abschn. 1.3.; Art. 2, Abschn. 3.2.; Art. 3, Abschn. 1.1.); dabei ist das Verhältnis von ,Fachlichkeit‘ und ,Fachsprachlichkeit‘ ein spezifisches (s. Art. 2, Abschn. 3.2.1.). In der Fachkommunikation fallen sprachliche Strategien auf, die offenkundig den Bedürfnissen der fachlichen Information und Einwirkung entgegenkommen und sich mit dieser Leistung als Darstellungsformen besonders gut eignen: (a) Argumentation; (b) Erklären (d. h. auch: Metakommunikation); (c) Hypothesenbildung.

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I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

I. Et la cuerda del quinto del c¸erco: es quando sopieren la cuerda del diezmo del c¸erco: et multiplicaren la en si. et ayuntaren a lo que saliere dello la meatad del diametro multiplicado en si. et tomaren la rayz de lo que se ayuntare: sera essa rayz cuerda del quinto daquel c¸erco: [Originalnahe Übersetzung:] Und die Sehne (la chorda; aspan. la cuerda) des Fünftels des Kreises: sie ergibt sich, wenn man die [Länge der] Sehne des Zehntels des Kreises weiß: und man jenes mit sich selbst multipliziert. Und wenn man zu dem hinzufügen (,addieren‘) würde, was da herauskommt, die Hälfte (la mitad; aspan. la meatad) des Durchmessers, multipliziert mit sich selbst. Und man würde die Wurzel ziehen von dem, was man hinzugefügt haben würde (,Summe‘): Es wird sich diese Wurzel ergeben als die Sehne des Fünftels ebenjenes Kreises. II.

III. 360⬚ chorda ? 5

IV. 360⬚ ⫽ chorda 5

冑冉

360 ch 10



360⬚ chorda 10

360 ch 10



冊 冉 2

360 ch 10

冊 冉冊 2



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360 ch 10

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d 2

2

l

⫽ ch

360 5

l

2

⫹R

2

Abb. 4.5: Astronomisch-mathematischer kastilianischer Text des spanischen Mittelalters in seiner verbalen Form (Original) (I.), in seiner Beziehungen-Analyse (II.), in seiner dem Text folgenden Notation als Formel mit Symbolen (III.) und in der heutigen algebraischen Notierung (IV.)

5.

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Hartwig Kalverkämper, Berlin

5. Sprachliche Mittel der mündlichen Fachkommunikation

93

5. Spezifische Leistungen der Sprache und anderer Kommunikationsmittel in der mündlichen Fachkommunikation 1. 2. 3. 4. 5.

Einführung Ansätze der Gesprächsforschung Empirische Analyse mündlicher Fachkommunikation Fachsprachendidaktik Literatur (in Auswahl)

1.

Einführung

In linguistischen Untersuchungen galt in der Vergangenheit das Hauptaugenmerk Aspekten der schriftlichen Sprache. Das war in den Anfängen der Fachsprachenforschung nicht anders. Hier stand die Untersuchung isolierter sprachlicher Einzelerscheinungen lexikalischer oder syntaktischer Art im Vordergrund. Die Feststellung, daß eine nur auf den Satz bestimmte Grammatik viele sprachliche Erscheinungen wie Satzgliedstellung, Pronominalisierungen, Tempusfolge, Intonation etc. nicht zu erklären vermochte (vgl. Helbig 1990, 152 f), führte zur Entwicklung der Textlinguistik, die auch die Fachsprachenlinguistik nachhaltig beeinflußt hat. Inzwischen ist diese nämlich in erster Linie textlinguistisch geprägt. Es ist eine eindeutige Entwicklung vom Fachwort zum Fachtext zu konstatieren (vgl. Hoffmann 1988). Textsortenanalysen und -vergleiche stehen nun im Vordergrund (vgl. Schröder 1993). Kontrastive und diachrone Aspekte werden dabei auch verstärkt berücksichtigt (vgl. Baumann/Kalverkämper 1992; Ylönen 1993). Neben dem textlinguistischen Einfluß sind auch die Auswirkungen der kommunikativ-pragmatischen Wende auf die Fachsprachenlinguistik zu vermerken. Diese zeigten sich zuerst in der häufiger geäußerten Forderung, daß auch mündliche Fachkommunikation als Untersuchungsgegenstand zu berücksichtigen sei (vgl. Hoffmann 1987, 98; Beier/Möhn 1988, 40 f; Spillner 1982, 38; von Hahn 1983, 144 ff), ohne daß allerdings geeignete Wege dafür aufgezeigt worden wären (vgl. Munsberg 1994, 43 f). In einem der wenigen fachsprachenlinguistischen Versuche der Analyse mündlicher Fachkommunikation aus der Zeit wurde mit einem konstruierten Text gearbeitet, dem darum viele Merkmale gesprochener Sprache wie Abbrüche, Verschleifungen, Hörersignale, Kommunikationsstörungen usw. fehlen und der auf der Grundlage einer behavioristi-

schen Auffassung untersucht wurde (vgl. Bartha 1987). Analyseeinheit war dabei nicht die Äußerung, sondern der Satz. Diese Herangehensweise zu überwinden hat sich die Gesprächsforschung zum Ziel gesetzt, die sich innerhalb der Linguistik als spezielle Teildisziplin entwickelt hat, in deren Mittelpunkt authentische Gespräche aus allen gesellschaftlichen Teilbereichen stehen. Deren verschiedene Analyseinstrumentarien und -ergebnisse bieten gute Ansatzpunkte auch für die Analyse mündlicher Fachkommunikation. Eine Ursache für die lange Nicht-Beachtung gesprochener Fachsprache ist darin zu sehen, daß ihre systematische Erforschung oftmals mit sehr großem Aufwand verbunden ist. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß auch mündliche Fachkommunikation keine eigene sprachsystematische Existenz besitzt. Für sie werden aus der Gesamtmenge sprachlicher und auch nicht-sprachlicher Mittel spezifische in bestimmter Menge ausgewählt, die dadurch den eigenen Charakter der jeweiligen Fachkommunikationssituation ausmachen. Um die bislang vorgelegten fachsprachenlinguistischen Einzelanalysen aufeinander beziehen und in das Gesamt der Fachsprachenforschung einordnen zu können, schlägt Kalverkämper (1992, 61 ff) „Hierarchisches Vergleichen als Methode in der Fachsprachenforschung“ vor, wodurch der Disziplin ein Rahmen gegeben werden kann, in dem die teilweise noch unverbunden nebeneinander stehenden Einzelanalysen zu einem Gesamtbild zusammengefaßt werden können. Hierbei ist nach den Sprachbeschreibungsebenen der jeweiligen fachsprachlichen Analyse, den untersuchten Varietäten, der Schichtung, dem Medium, der Interlingualität und der Zeit zu differenzieren. Der letzte Aspekt, der zwischen syn- und diachronen Analysen unterscheidet, dürfte für die Untersuchung mündlicher Fachkommunikation nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die technischen Möglichkeiten der Gesprächsaufzeichnung, die eine wesentliche Voraussetzung für eine profunde Analyse bilden, sind erst im Laufe dieses Jahrhunderts entwickelt worden, so daß man für diachrone Analysen kaum auf geeignete, weit zurückreichende Datenkorpora zurückgreifen kann.

94

2.

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

zunehmend von der Linguistik rezipiert wurde und heute den Kernbestandteil der Linguistischen Pragmatik bildet.

Ansätze der Gesprächsforschung

Die Erforschung mündlicher Fachkommunikation steht also keineswegs am Anfang, weil die Gesprächsforschung zahlreiche Ansatzpunkte bietet. Die Erforschung mündlicher Fachkommunikation müßte sich einerseits in die Gesprächsforschung eingliedern und andererseits über den Weg des hierarchischen Vergleichens die Verbindung zur Fachsprachenlinguistik und der Erforschung schriftlicher Fachtexte herstellen, weil diese in mündlicher Fachkommunikation oft auftreten oder in bestimmten Gesprächstypen z. B. rekonstruiert werden können (vgl. Munsberg 1994, 137 ff, 294). An die Standortbestimmung innerhalb der Gesprächsforschung knüpft sich die Frage, welche Bedeutung der Aspekt der Fachlichkeit hat und was sie überhaupt bedingt. Gesprächsanalysen werden aus unterschiedlichen Erkenntnisinteressen betrieben, und darum werden auch sehr unterschiedliche Wege beschritten (vgl. Brinker/Sager 1989, 14 ff). Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen ein datenorientiertes, empirisches Vorgehen, das natürliche, mündliche Kommunikation zum Gegenstand hat. Wichtig ist, daß die zu analysierenden Einheiten nicht als „statisch“ betrachtet werden. Gespräche haben Prozeßcharakter, weil das kommunikative Geschehen von den Beteiligten interaktiv ausgehandelt wird (vgl. Gülich/ Techtmeier 1989, 145). Es treten verschiedene Bezeichnungen wie Gesprächs-, Diskurs-, Konversations-, Dialog- oder Kommunikationsanalyse auf, die z. T. gleichbedeutend verwendet werden. Becker-Mrotzek/Brünner (1992, 13) haben darauf hingewiesen, daß eine Gesamtdarstellung der Methodologie der Gesprächsforschung noch nicht erfolgt ist, die die verschiedenen Konzepte und Prämissen der beteiligten Teildisziplinen beinhaltet. Es werden drei große Richtungen der Gesprächsforschung unterschieden (vgl. Brinker/ Sager 1989, 14): (1) die in den sechziger Jahren beginnende Erforschung der gesprochenen deutschen Sprache, die sog. GS-Forschung, (2) die „Konversationsanalyse“ ethnomethodologischen Zuschnitts, die sich seit den sechziger Jahren in den USA im Rahmen der Soziologie entwickelte, (3) die Sprechakttheorie, die aus der angelsächsischen Sprachphilosophie stammt,

Innerhalb dieser Richtungen wiederum gibt es eine Reihe weiterer Ansätze, die sich im Erkenntnisinteresse und der Art des methodischen Vorgehens unterscheiden. Gemeinsam ist all diesen Ansätzen die methodische Orientierung an folgenden Prinzipien: (1) Den Untersuchungsgegenstand bilden natürliche Gespräche und nicht experimentell erzeugte. Diese Gespräche werden auf Tonband oder Video aufgezeichnet und bilden ein Datenkorpus. (2) Von den Aufzeichnungen werden Transkripte angefertigt, die dem Kriterium der Lesbarkeit genügen müssen. Die Transkripte bilden einen sukzessive entstandenen Gesprächsverlauf ab, dessen Zeitlichkeit in der Analyse zu beachten ist. (3) Ziel der Transkriptanalyse ist die Aufdeckung und Rekonstruktion von Regelhaftigkeiten in den Gesprächen, die keine Zufallsprodukte sind, sondern methodischsystematisch erzeugt sind. Erkenntnisziel sind strukturelle Gemeinsamkeiten. Es geht um das Erkennen des Allgemeinen im Besonderen. (4) Theorien und Terminologien werden nicht (vollständig) vorab gebildet, sondern am empirischen Material entwickelt (vgl. Becker-Mrotzek 1990, 161 f; Bergmann 1981, 18 ff; Fiehler/Sucharowski 1992, 10). Aus unterschiedlichen Definitionen dessen, was unter Fach und damit unter Fachsprache zu verstehen sei, können sich Unterschiede in der Auffassung ergeben, welche der Instrumentarien und bisherigen Ergebnisse der Gesprächsforschung als relevant für die Erforschung mündlicher Fachkommunikation angesehen werden. Wenn man Fachsprache als Sprache in bestimmten Institutionen auffaßt, bieten sich viele Ansatzpunkte in bezug auf Justiz, Medizin, Schule und Ausbildung, Behörden und Verwaltung, Handel und Wirtschaft oder religiöse Institutionen (vgl. Becker-Mrotzek 1992, 7 ff). Außerdem kann die Berücksichtigung von Analysen von Sprechhandlungen, -ritualen und -routinen, die z. T. auch kontrastive Aspekte beinhalten (vgl. z. B. Günthner 1993; Lüger 1992; Peretti 1993; Rauch 1992) von Nutzen sein, weil diese auch in der mündlichen Fachkommunikation auftreten und von Bedeutung sein können.

3.

Empirische Analyse mündlicher Fachkommunikation

3.1. Methodisches Vorgehen Wesentlich für die Planung des methodischen Vorgehens bei der Analyse mündlicher Fach-

5. Sprachliche Mittel der mündlichen Fachkommunikation

kommunikation sind die Fragen nach dem Erkenntnisinteresse und nach der möglichen späteren Anwendung der Untersuchungsergebnisse. Gerade wenn eine fachsprachendidaktische Nutzung beabsichtigt ist (vgl. 4.), könnten eine vorherige Bedarfsanalyse und eine Zielgruppenbeschreibung nützlich sein, wie sie Sprissler (1980, 62 ff) vorgeschlagen hat und wie sie von Riegel/Zahn (1989) für den Hochschulbereich vorgelegt worden ist. Dabei sollte kritisch geprüft werden, ob die Untersuchung tatsächlich einen Beitrag zur Grundlagenforschung leisten oder eine möglichst konkrete Anwendung zulassen könnte und nicht lediglich akademisch bedingter Selbstzweck ist. Bei der Planung und Durchführung einer gesprächsanalytischen Untersuchung sind juristische und ethische Aspekte zu berücksichtigen (vgl. Brinker/ Sager 1989, 25 ff). Dazu gehört, daß die Datenaufnahme nicht ohne Einwilligung der Interaktanten erfolgen darf und deren Persönlichkeitsrecht wahren muß. Auch darf die Einwilligung weder erschlichen noch erzwungen werden. Um die Authentizität und damit die Aussagekraft der Datenaufnahmen zu gewährleisten, dürfen die Kommunikationssituationen oder -handlungen weder von den Untersuchten noch von den Untersuchenden festgelegt, kontrolliert oder manipuliert werden (vgl. Brinker/Sager 1989, 13).

Die Authentizität des Datenmaterials beruht auf dem echten kommunikativen Interesse, das die Interaktanten in den aufgezeichneten Situationen haben (vgl. Becker-Mrotzek/ Brünner 1992, 16). Das Beobachterparadoxon ist ein bedeutendes Problem in diesem Zusammenhang: der Beobachter, der wissen will, wie natürliche, unbeobachtete Interaktion abläuft, kann den Charakter des Unbeobachtetseins gerade durch seine Beobachtung bzw. Aufzeichnung zerstören. In der Praxis läßt sich bei offenen oder pseudo-offenen Aufnahmen dieses Problem wohl nur durch die Hoffnung darauf lösen, daß die Interaktionsteilnehmer die Tatsache der Aufnahme vergessen, weil die sich entfaltende Interaktion ihre Aufmerksamkeit bindet (vgl. Brinker/Sager 1989, 31 ff; Henne/Rehbock 1982, 49 f; Kallmeyer 1988, 1102). Grundsätzlich stellt die Ton-Bild-Aufzeichnung das relativ objektivste Dokumentationsverfahren dar, das auch Untersuchungen der nicht-verbalen Kommunikation bzw. praktischer Tätigkeiten zuläßt (vgl. Dittmann 1979, 14), die in mündlicher Fachkommunikation oft eine wichtige Rolle spielen, und wohl am besten die Nachvollziehbarkeit der Analyse gewähr-

95

leisten (vgl. Becker-Mrotzek/Brünner 1992, 17). Wichtig ist es außerdem, Gespräche vollständig aufzuzeichnen und bei der Analyse ihre Ganzheit zu berücksichtigen (vgl. Gülich/Raible 1977, 46 ff; Kallmeyer 1988, 1102). Denn so wie sich Texte in Textsorten manifestieren, kann man für gesprochene Sprache von Gesprächstypen ausgehen, in denen sich Kommunikation vollzieht und die für sie charakteristische Merkmale haben. 3.2. Transkription 3.2.1. Transkriptionsverfahren Transkriptionen stellen den Versuch dar, die komplexe Realität eines Gesprächs abzubilden und analytisch handhabbar zu machen. Dabei ist es unmöglich, das Geschehen in aller Vollständigkeit wiederzugeben, und deswegen unvermeidlich, bestimmte Kategorien auszuwählen. Die Auswahl ist sowohl abhängig vom Erkenntnisziel als auch von den Auffälligkeiten und Merkmalen der jeweiligen Datenprobe. Bei der Anlage der Transkription ist zwischen Textnotation und Partiturnotation zu unterscheiden. Bei der Textnotation werden die Sprecherbeiträge in einzelnen Textblöcken notiert. Sie ist gut geeignet für Gespräche, in denen längere Redebeiträge weniger Gesprächspartner vorliegen. Bei der Partiturnotation werden für alle Interaktanten eigene Zeilen angelegt, in denen ihr sprachliches oder nicht-sprachliches Verhalten verzeichnet wird (vgl. Brinker/Sager 1989, 41 f). Dieses Verfahren ist besser geeignet für Gespräche, bei denen viele Gesprächspartner beteiligt sind und in denen kurze Redebeiträge und häufige Sprecherwechsel auftreten. Beide Notationsverfahren können in phonetischer, modifiziert orthographischer oder orthographisch korrigierter Transkription erfolgen (vgl. Brinker/Sager 1989, 46 f). 3.2.2. Konkretes Beispiel Das folgende Beispiel ist dem Bielefelder Korpus zur Analyse mündlicher Fachkommunikation in der Chemie im Hochschulbereich entnommen, das 1988 erhoben wurde (vgl. Munsberg 1994, 61 ff). Es handelt sich um eine Sequenz aus einem praktisch orientierten Laborgespräch zwischen einer Chemielaborantin (NW 4) und einem Doktoranden (D 5), in dem in einem Labor NW 4 für D 5 von ihm hergestellte Kristalle unter dem Mikroskop sortiert, schneidet und für eine Röntgenstrukturanalyse vorbereitet. Das vollständige Gespräch dauert ca. 23 Minuten.

96

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

27 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 … ehm . was interessiert Dich&denn mehr die großen orange28 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 ehr die großen orangenen . aber NW4 nen oder die .. (lgs) roten klein*, 29 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 eigentlich beide, NW4 aso die roten orangenen (sn)würd&ich ja sagen* 30 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 des&is ehr was Bekanntes findste nich’ (sn)weil die doch immer/ 31 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 die W drei S neun warn doch immer orange oder &n/* 32 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 mei/ ich mein in diesem Ton, 33 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 (zögernd)n&nöö* . eintlich warn die ehr rotNW4 … hm … (lgs) hier 34 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 is einer*- .. den schneid&ich ma kaputt, . die sind vor allem (lgs) er35 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 (schüttelt Kopf) NW4 staunlich groß- wie lange sin & die denn gewachsen’ 36 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 hm . nich lange (lgs) drei bis fünf Tage*’ wann wäre NW4 (Pause; 9 Sek.) (blickt D5 37 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 .. das alte Diffraktometer frei . für’ . GitterkonstantenNW4 an) (blickt durch Mikroskop, sortiert weiter) vielleicht 38 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 .. das & is doch nich schlecht NW4 schonn/ vielleicht schonn morgen früh39 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 (sn)was is zur Zeit drauf*’ Vorname NW4 ze Zeit is ehm . (sn)(Vorname NW2) drauf*, 40 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 NW2) is draufNW4 (Vorname NW2) hat . auch&was Neues (an)hat&er mir grade gesacht 41 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 aber er is nich näher* .. (legt Messer ab, nimmt Röhrchen aus dem Re42 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 gal) drauf&eingegang was des is, .. un&dann hab&ich was von (Nachname Pl)43 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 wir/ wir wolln ja NW4 .. aber (Nachname Pl) hat unsern Chef noch nich gefragt- (blickt durch Mi44 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 au & nich mit Nehmsächlichkeiten anfangenNW4 kroskop, beginnt zu schneiden) (lacht) (lgs) (Vorname W3) sach45 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 te aber heute morgen* .. wenn wir nichts Andres ham könn & wer die nehm 46 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 der wichtige Teil war der eh/ erste Teil des SatzesNW4 … (lacht) … 47 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 (lgs) hm* . Du der is ga&nich schlecht, .. (lgs) läßt sich gut 48 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 schnein*- … steh ich ga & nich, sonst hast Du doch immer so & n Krüm49 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 .. haste Deine Sehschärfe neu einstelln lassen vielleich’ NW4 melkram50 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 (lachend) (lgs) neinein .. s & liegt nich an mir- warte mal ⫺ (legt Fil51 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 terpapier unter Objektträger, nimmt Messer; 7 Sek.) un & vor allm der is ja

97

5. Sprachliche Mittel der mündlichen Fachkommunikation

52 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 dabei haste natürlich wie immer den kleinsten NW4 richtich groß- .. (blickt durch Mikroskop) 53 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 schon rausgesucht der überhaupt da war, NW4 (legt Röhrchen neben sich ab, bugsiert Kri54 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 stall hinein) nee wieso’ . ich/ ich kann kein größren nehm weil 55 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 der muß ja auch ins Röhrchen passen, . und . (lgs) je größer die 56 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 Röhrchen desto* . unv/ ehm elastischer sin & die- un & dann (sn) bre57 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 chen die so unwahrscheinlich schnell*, (greift ins Regal, zeigt D5 58 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 (blickt auf Röhrchen) NW4 Röhrchen) wenn ich dieses da nehme . (lgs) dies große hier* und ticke 59 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 das nur&ma so an- . wenn ich das in das Wachs reinmache- ne’ dann 60 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 brechen die total schnell- dann muß&ich die tausendma (sn) abfülln 61 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 umfüll* das hat überhaup kein Sinn- .. (legt Röhrchen ins Regal zu62 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 rück) die/ diese mittlere Größe is (lgs) immer am allerbesten, 63 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - NW4 (blickt durch Mikroskop, schneidet weiter; 4 Sek.) 64 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 (nickt) NW4 (lgs) Mensch der is richtich schön, . (Vorname D5) da kann was nich mit 65 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - D5 NW4 rechten Dingen zugehnDas gewählte Transkriptionsverfahren, das sich an das Verfahren der „Halbinterpretativen Arbeitstranskriptionen“ von Ehlich/Rehbein (1976) anlehnt, ist eine Mischform, die an interaktiv relevanten Stellen wie Sprecherwechsel oder Hörersignalen zur Partiturnotation erweitert ist. Aus den verwendeten Transkriptionszeichen lassen sich verschiedene Merkmale gesprochener Sprache ablesen. Dazu gehören Sprechpausen („.“ Pause bis 1 Sekunde, „..“ Pause bis 2 Sekunden, „…“ Pause bis 3 Sekunden), die Notierung von Akzentuierungen oder starken Betonungen (durch Unterstreichung), die Markierung der Abschlußintonation (fallend durch „ , “, steigend durch „ ‘ “ und gleichbleibend durch „-“ am Äußerungsende markiert), die Beschreibung von Sprechgeschwindigkeit [(sn) für schnell gesprochene und (lgs) für langsam gesprochene Redebeiträge und durch „*“ oder einen folgenden Kommentar beendet] und Sprechlautstärke [(ls) für leise gesprochene und (lt) für laut gesprochene Redebeiträge und durch „*“ oder folgenden Kommentar beendet], die Notierung des Abbruchs von Äußerungen (durch „/“), von Verschleifungen oder schnellen Anschlüssen (durch „&“ markiert), Hörersignalen wie „mhm“ und außersprachlichen Handlungen oder Ereignissen [(legt Röhrchen ins Regal zurück), deren Ende durch „⫹“ oder einen folgenden Kommentar beendet wird)]. Die Abkürzung „P“ steht für einen Professor, „W“ für einen Wissenschaftlichen Mitarbeiter.

3.3.

Analytisches Vorgehen

3.3.1. Sequenzierung Je nach Erkenntnisinteresse kann es erforderlich sein, eine Sequenzierung des zu untersuchenden Fachgesprächs vorzunehmen. Gespräche bestehen aus Gesprächsschritten (turns), deren Folge Gesprächssequenzen bildet. Diese wiederum konstituieren die Gesprächsphasen, von denen drei Typen unterschieden werden können: eine Eröffnungs-, eine Kern- und eine Beendigungsphase (vgl. Brinker/Sager 1989, 78 ff). Die Kernphasen sind i. a. weitaus komplexer strukturiert als Eröffnungs- und Beendigungsphase und viel offener für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten (Brinker/Sager 1989, 94 ff). Die Sequenzierung dient dem Ziel, die lineare Gliederung der Makrostruktur zu ermitteln, die einzelnen Sequenzen in hierarchische Beziehungen zueinander zu setzen (vgl. Gülich/ Raible 1977, 53; Hoffmann 1987, 96) und zu ermitteln, was unverzichtbare, konstitutive Bestandteile sind (vgl. Henne/Rehbock 1982, 20; Techtmeier 1984, 74). Wegen der Vielgestaltigkeit mündlicher Fachkommunikation kann es notwendig sein, die Sequenzierung

98 der Gesprächssituation nach verschiedenen Kategorien vorzunehmen. Dafür können eine Gliederung nach thematischen Einheiten, nach sprachlichen Handlungen und/oder nach fachlichen Tätigkeiten in Frage kommen (vgl. Munsberg 1994, 53; 79 f; 117; 171). 3.3.2. Analysemodelle Ein für alle Untersuchungsziele adäquates Beschreibungsmodell für mündliche (Fach-)Kommunikation existiert nicht. Das liegt daran, daß die Untersuchungsgegenstände sehr unterschiedlicher Art sein können und daß die Diskussion geeigneter Analysemodelle längst noch nicht abgeschlossen ist bzw. z. T. noch in den Anfängen steckt. AnalyseInstrumentarien sind darum oft noch unausgereift oder auf andere Datenproben nicht einfach übertragbar. Als Folge der aufwendigen Datenerhebung und -aufbereitung ist der Umfang von Korpora mündlicher Kommunikation meist relativ begrenzt. Darum empfiehlt sich i. a. eine qualitativ-interpretative Vorgehensweise bei gesprächsanalytischen Untersuchungen als eine besonders begründete und reflektierte Form der Hypothesenfindung (vgl. Becker-Mrotzek/Brünner 1992, 16 f; Fiehler 1983, 58; Lenz 1989, 8). Eine quantitative Auswertung hätte die Schwierigkeit zu berücksichtigen, daß sie kaum Repräsentativität im statistischen Sinne beanspruchen könnte, weil dazu die Datenmenge, die als Stichprobe die Grundgesamtheit abbilden soll, nicht ausreichen würde (vgl. Lenz 1989, 5). Ein Analysemodell für mündliche Fachkommunikation hat die Kategorien Themenwahl bzw. -wechsel, Turn-Organisation (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974), Korrekturen (vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks 1977), Praktische Tätigkeiten sowie Fragen und Metadiskursive Äußerungen ermittelt, durch die sich Fachgesprächstypen voneinander unterscheiden lassen (vgl. Munsberg 1994, 297 ff). 3.3.3. Gesprächstypologisierung Ehlich (1986, 57 f) hat bei Versuchen der Typologisierung nachdrücklich für eine empirische Vorgehensweise plädiert, bei der die Kategoriesysteme nicht vorab konstruiert werden. Denn wenn diese Versuche weitgehend getrennt von der sprachlichen Wirklichkeit erfolgen, sei die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß ihnen der Bezug zu den tatsächlichen Erscheinungen fehle. Resultat empirischer Vorgehensweise ist so z. B. auch die Feststellung, daß in chemischer Fachkommunikation die Existenz einer fachspezifischen

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Gestik nachweisbar ist (vgl. Munsberg 1994, 331 ff). Innerhalb von Fächern oder Institutionen kann eine Vielzahl verschiedener Gesprächstypen auftreten. Für die Chemie im Hochschulbereich z. B. läßt sich allein für den Bereich, an dem Studenten teilnehmen, eine Differenzierung nach Vorlesungen, Seminaren, administrativen Gesprächen, praktisch oder theoretisch orientierten Laborgesprächen, Prüfungen und Mischformen wie Abtestaten feststellen, die entweder allgemein öffentlich, institutionell öffentlich oder institutionell abgeschlossen sind und als singuläre oder serielle Diskurse stattfinden können (vgl. Munsberg 1994, 282 ff). Faktoren wie die Zugänglichkeit oder Singularität der Gesprächssituation haben ebenso Einfluß auf die interaktive Entwicklung der Kommunikation wie die Position der Gesprächspartner innerhalb der Hierarchie der Institution oder des Faches. Dieser Einfluß ist ablesbar an der Anrede mit Vor-, Familiennamen oder akademischem Titel, am Duzen oder Siezen, der Verwendung oder Vermeidung von (fach)umgangssprachlichen oder Laborslang-Bezeichnungen (vgl. Munsberg 1994, 311, 322 ff). Die Länge und die interaktive Behandlung der Pausen im konkreten Beispiel (vgl. 3.2.2.) sind ebenso charakteristisch für den Typ des praktisch orientierten Laborgesprächs wie die auftretenden praktischen Tätigkeiten. Das Gerüst, an dem sich die sprachliche Interaktion entwickelt, bilden die praktischen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Präparierung von Kristallen: ihr Auswählen, Zerschneiden, Mikroskopieren, die Auswahl passender Spektroskopie-Röhrchen, das Einfüllen der Kristalle in Röhrchen und deren Zuschmelzen sowie das abschließende Aufräumen des Arbeitsplatzes. NW 4 als Ausführende der praktischen Tätigkeiten begleitet die wesentlichen Teilarbeitsschritte mit kommentierenden Äußerungen bzw. markiert verbal deren Abschluß, solange D 5 anwesend ist (vgl. Munsberg 1992, 155 ff).

4.

Fachsprachendidaktik

Ein wesentlicher Anwendungsbereich für die Nutzung fachsprachenlinguistischer Ergebnisse ist die Fachsprachendidaktik. Sie darf sich nicht von der Fachsprachenlinguistik abkoppeln, sondern sollte ⫺ um seriös und solide zu arbeiten ⫺ deren Ergebnisse zur Kenntnis nehmen und zur Grundlage ihrer Lehrmaterialentwicklung machen. Wenn mündliche Fachkommunikation bislang überhaupt berücksichtigt wird, geschieht

5. Sprachliche Mittel der mündlichen Fachkommunikation

dies meist durch konstruierte, nicht authentische Dialoge. Untersuchungsergebnisse zu mündlicher Fachkommunikation lassen sich u. a. verwerten für die Entwicklung von Hörverstehen, die Schulung von Sprechfertigkeit, die Vermittlung von Wissen über die Merkmale von Gesprächstypen oder die Entwicklung von Kommunikationsstrategien.

5.

Literatur (in Auswahl)

Bartha 1987 ⫽ Magdolna Bartha: Analyse fachsprachlicher Dialoge auf Mikro- und Makroebene. In: Külkereskedelmi Föiskola: Kommunikation in der Fachsprache. Budapest 1987, 147⫺162. Baumann/Kalverkämper 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann/Hartwig Kalverkämper (Hrsg.): Kontrastive Fachsprachenforschung. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung. 20). Becker-Mrotzek 1990 ⫽ Michael Becker-Mrotzek: Kommunikation und Sprache in Institutionen. Ein Forschungsbericht zur Analyse institutioneller Kommunikation. In: Deutsche Sprache 2/1990, 158⫺190. Becker-Mrotzek 1992 ⫽ Michael Becker-Mrotzek: Diskursforschung und Kommunikation in Institutionen. Heidelberg 1992 (Studienbibliographien Sprachwissenschaft 4). Becker-Mrotzek/Brünner 1992 ⫽ Michael BeckerMrotzek/Gisela Brünner: Angewandte Gesprächsforschung: Ziele⫺Methoden⫺Probleme. In: Kommunikationsberatung und Kommunikationstraining. Hrsg. v. Reinhard Fiehler und Wolfgang Sucharowski. Opladen 1992, 12⫺23. Beier/Möhn 1988 ⫽ Rudolf Beier/Dieter Möhn: Fachsprachlicher Fremdsprachenunterricht. Voraussetzungen und Entscheidungen. In: Die Neueren Sprachen 87, 1/2. 1988, 19⫺75. Bergmann 1981 ⫽ Jörg Bergmann: Ethnomethodologische Konversationsanalyse. In: Dialogforschung. Jahrbuch 1980 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. P. Schröder und Hugo Steger. Düsseldorf 1981, 9⫺51. Brinker/Sager 1989 ⫽ Klaus Brinker/Sven F. Sager: Linguistische Gesprächsanalyse. Berlin 1989. Dittmann 1979 ⫽ Jürgen Dittmann (Hrsg.): Arbeiten zur Konversationsanalyse. Tübingen 1979. Ehlich 1986 ⫽ Konrad Ehlich: Die Entwicklung von Kommunikationstypologien und die Formbestimmtheit des sprachlichen Handelns. In: Kommunikationstypologie. Jahrbuch 1985 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. Werner Kallmeyer. Düsseldorf 1986, 47⫺62. Ehlich/Rehbein 1976 ⫽ Konrad Ehlich/Jochen Rehbein: Halbinterpretative Arbeitstranskriptionen (HIAT). In: Linguistische Berichte 45/1976, 21⫺41. Fiehler 1983 ⫽ Reinhard Fiehler: Verallgemeinerungen in der Konversationsanalyse. In: Grazer Linguistische Studien 20/1983, 47⫺60.

99

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100

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

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Klaus Munsberg, Essen

6. Sprachnormen und die Isolierung und Integration von Fachsprachen 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Fachsprachliche Normen Normenaspekte der Fachsprachen Zur Isolation von Fachsprachen Zur Integration von Fachsprachen Zur kulturtheoretischen Interpretation von Fachsprachen Literatur (in Auswahl)

1.

Fachsprachliche Normen

Fachsprachliche Normen sind eine Teilmenge der Sprachnormen und deshalb grundsätzlich wie diese beschaffen und zu bestimmen (Gloy 1987, 119 ff; 1993, 46 ff). Im besonderen handelt es sich um solche Sprachnormen, die die Bildung und Anwendung sprachlicher Einheiten und Handlungen in den fachlichen Bereichen vorschreiben. Da aber bezüglich der differentia specifica (z. B. Fach) innerhalb der Fachsprachen-Forschung einige Unklarheiten bestehen (Kalverkämper 1980, 7 ff.), steht eine theoretisch befriedigende Definition fachsprachlicher Normen noch aus. Zu den umstrittenen Fragen, die die SprachnormenThematik direkt betreffen, gehören: (1) die Fachlichkeit des Sprachhandelns; der Ver-

such, die „zweckrationale Absicht“ zu ihrem Kriterium zu machen (von Hahn 1983, 65), ist jedenfalls untauglich: er ist sowohl unterdeterminiert (denn Zweckrationalität kommt in jeder Planung vor) als auch inoperabel (daß eine Absicht vorliegt, ist nur aus der jeweiligen Binnenperspektive entscheidbar); (2) die Kriterien einer Fachsprache; ist Fachsprache eine Gruppensprache (so z. B. Haage 1983, 195) oder eine occupation language oder ganz allgemein eine Sprache for special purposes, die entweder situativ (so z. B. Beier 1983, 94) oder funktional (so z. B. Bungarten 1986 a, 137; Cherubim 1989, 143 ff) und überhaupt allein linguistisch zu bestimmen ist? In partieller Abhängigkeit von der Erweiterung der Fachsprache als Textsorte (Hoffmann 1988; Baumann 1992, 159 ff) bzw. als kommunikative Varietät (Weber 1989, 11 ff) ist auch die Dichotomie Fachsprache⫺Gemeinsprache sowie der Verzicht auf jegliche Binnendifferenzierung (horizontaler oder vertikaler Art) obsolet geworden (vgl. schon Kalverkämper 1980, 7 ff), was u. a. den Blick auf Diffusionsprozesse fachsprachlicher Nor-

6. Sprachnormen und die Isolierung und Integration von Fachsprachen

men freigegeben hat (vgl. Korpiun 1981, 130 f). Vergleichsweise unproblematisch sind jene fachsprachlichen Normen empirisch von einer Fachsprachenforschung zu bestimmen, die schriftlich, also als kodifizierte Normen vorliegen; auf sie beschränkt sich vielfach das Thema „fachsprachliche Normen“. Unter ihnen sind diejenigen Normen, die in legalisierenden Akten juristisch verbindlich gemacht worden sind (statuierte Normen), die prominentesten Beispiele. Allerdings ist die Statuiertheit nicht der einzige (mitunter nicht einmal ein probater) Weg, einer fachsprachlichen Norm zu allgemeiner Geltung zu verhelfen: der nichtfachliche Sprachgebrauch kann sich z. B. gegenüber den staatlich verordneten Benennungen als recht resistent behaupten. Kodifizierte Normen findet man in Institutionen mit funktioneller oder institutioneller Autorität (z. B. International Organization for Standardization, nationale Normenausschüsse), sie werden aber auch von Vereinen (z. B. Deutsche Gesellschaft für Dokumentation e. V., DGD) vorgenommen und liegen in zahlreichen Industrie- und Wirtschaftszweigen, im Versorgungs- und Versicherungswesen vor, bis hinunter zu unternehmensund sogar abteilungseigenen Festlegungen. Der mit diesen Normen beanspruchte Geltungsbereich ist jeweils unterschiedlich groß; er ist zudem nicht wirklich feststehend, sondern erfährt in der Praxis allenthalben Veränderungen, so daß fachsprachliche Normen auch eine Ausdehnung ihres Geltungsbereichs weit über ihren Entstehungsort und -zusammenhang hinaus erfahren können: als Standardisierung innerhalb größerer fachlicher Bereiche (u. U. sogar als Legalisierung) oder als Übernahme in nicht-fachliche Kommunikationsbereiche.

Die Beschaffenheit der Fachsprachen sowie deren Verbindlichkeit werden allerdings nicht allein von kodifizierten Normen hergestellt. Auch informelle Normierungsprozesse (subsistente Normen) spielen für die Entstehung und Verbreitung der Fachsprachen eine wichtige, vermutlich sogar entscheidende Rolle. Dazu müssen die invisible colleges (von Hahn 1983, 47), Handbücher und (Fach-)Lexika ebenso gerechnet werden wie die im Wissenschafts- und Fachjournalismus favorisierten Aspektualisierungen und Benennungen, die sogar effektiver verbreitet werden als die der staatlichen Verwaltungen (Jernudd/Das Gupta 1971, 210). Oft wirken Benennungsvarianten stärker standardisierend als kodifizierte Normen. Allerdings hängt das von besonderen Umständen ab (z. B. vom Publika-

101

tionsort oder von der Auftretenshäufigkeit), die noch kaum analysiert sind, aber zumindest historisch-spezifisch zu sein scheinen. Zu Normen werden die genannten Beispiele dann, wenn ihnen seitens der Rezipienten Vorbildcharakter oder andere Arten von Verbindlichkeit zugeschrieben werden, z. B. im Zuge von Erwartenserwartungen („Ich erwarte, daß relevante Andere jene Sprachgebräuche auch von mir erwarten“) oder in Form von Normalitätsvorstellungen (vgl. 5). Subsistente Normen bereiten zwar hinsichtlich ihrer Analyse beträchtliche methodische Schwierigkeiten, ihre theoretische Berücksichtigung in der Fachsprachenforschung ist aber gleichwohl wichtig; sie gestatten zunächst überhaupt die Unterscheidung zwischen Geltungsansprüchen (deren Ausdruck die kodifizierten Normen sind) und faktischer Geltung aufseiten der Rezipienten; ihr teils komplementäres, teils konkurrierendes Verhältnis zu den kodifizierten Normen (Gloy 1984, 287) vermag sodann die Geltung der Fachsprachen plausibler als letztere allein zu erklären; schließlich werden mit ihnen die Sprachbenutzer thematisiert, so daß die Isolations- und Integrationsprozesse von Fachsprachen auch als Folge von Zuschreibungen (und nicht nur als auf objektiven Sprachmerkmalen gründend) erkennbar werden.

2.

Normenaspekte der Fachsprachen

Fachsprachen werden von der Fachsprachenforschung einhellig mit den Erfordernissen arbeitsteilig strukturierter Gesellschaften in Zusammenhang gebracht, allerdings erscheinen sie teils als Ursache (Gnutzmann 1980, 52), teils als Wirkung (Möhn 1975, 171), zuweilen auch als Ferment der Arbeitsteilung. Überwiegend wird ihnen ein hohes Maß an Zweckrationalität bescheinigt: sie dienten einer präzisen, effektiven und ökonomischen Verständigung unter Experten. Damit aber würden sie sich ⫺ als „Einzwecksprachen“ (Steger 1982, 9) bzw. als „funktional homogene Sprache“ (Bungarten 1986 a, 137) ⫺ ausschließlich den Zielen und Normen des jeweiligen Fachgebiets unterordnen, in dem sie entstanden sind (z. B. den Erfordernissen eindeutiger Benennungen, zielgerichteter Wiederauffindung von Informationen). Sie würden kaum für interfachliche und fachexterne Kontakte, ja nicht einmal für alle abteilungsspezifischen Kommunikationsinteressen eines einzigen Betriebs (Häfele 1977) taugen; auch im universitären Bereich können die Normen über Wissenschaftssprache selbst bei Lehrenden und Studieren-

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I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

den ein und desselben Faches z. T. erheblich voneinander abweichen (Gloy 1994, 35 ff). In der Zurichtung auf Experten gründet die Isoliertheit der Fachsprachen. Aber diese Isoliertheit ist zunächst einmal nur als soziale zu verstehen, linguistisch kommt den Fachsprachen eher der Charakter von Registern (deren Elemente sich v. a. in quantitativer und kombinatorischer Hinsicht von denen anderer Sprachvarietäten unterscheiden) zu. Fachsprachen werden allerdings in dem Maße auch in linguistischer Hinsicht isoliert, wie sie auf expliziten (kodifizierten) Normen beruhen. Während Janich (1975, 36) zufolge dies das Kriterium für Fachsprachen sein sollte, anerkennt Fricke (1986, 71) sowohl explizit normierte als auch konventionalisierte Fachsprachen. Nun führt gesellschaftliche Arbeitsteilung nicht nur zur Dissoziation; sie ermöglicht gleichwohl und erfordert vielfach auch Kooperation bzw. Interaktion der getrennten Bereiche. Es kommt also zwangsläufig auch zu Kontakten zwischen verschiedenen Experten bzw. zwischen Experten und Laien. Insoweit kann allgemein von Integrationsprozessen gesprochen werden, ohne daß damit freilich die Richtung oder der Grad der Integration linguistisch schon bestimmt ist. Da eine lingua franca für diese Fälle nicht existiert, werden jedenfalls Kommunikationskonflikte, Verständigungsprobleme und Normen-Konflikte unter den Interagierenden wahrscheinlich. Ihre Analyse kann z. B. im Paradigma einer Kontaktlinguistik erfolgen und die globale Vorstellung einer „Integration“ durch unterschiedliche Interferenztypen ersetzen. Mit der Bestimmung von Fachlichkeitsgraden und mit der Orientierung auf das situationsspezifische Funktionieren von einzelnen Texten zur handlungstheoretischen Explikation des Fachsprachlichen (Baumann/Kalverkämper 1992, 12 ff) ist die Fachsprachenforschung dafür bereits gerüstet. Im Zuge dieser Entwicklung hat sie sich gleichfalls Voraussetzungen geschaffen, bei der Konzeption von fachsprachlichen Normen Rezipientenurteile stärker zu berücksichtigen. Der weitere Schritt, die normative Gültigkeit des Fachsprachlichen kulturkritisch zu analysieren (vgl. 5.), harrt freilich noch seiner Realisierung.

3.

Zur Isolation von Fachsprachen

Nach Ansicht Seibickes (1959) registrieren und katalogisieren Fachsprachen Ausschnitte

von Welt und enthalten folglich ein Wissen über letztere. Unbeschadet einer Kritik (z. B. seitens Möhns 1968, 333) an solch enger Funktionszuschreibung der Fachsprachen dürfte aber die These, daß z. B. für die Sprache der Technik gewisse Sachkenntnisse nötig seien und sie deshalb so wenig allgemein wie die Sachkenntnis selbst sein könne (Paul 1894), für Fachsprachen allgemein anerkannt sein (Savigny 1975, 23 ff). Das bedeutet eine Isolierung der Fachsprachen hinsichtlich ihrer Benutzer (bzw. deren Ausbildung, Zugangschancen und Tätigkeit) und ihres Gegenstandsbezugs; die Fachsprachen können nicht von jedem und nicht anläßlich beliebiger Themen verwendet werden. Es bedeutet aber auch eine Beschränkung des in ihnen formulierten (und nur in ihnen formulierbaren) Wissens auf die jeweiligen Benutzer. In früheren Jahrhunderten habe dementsprechend das Fachwissen den Status eines „priesterlichen Wissens“ (Trabant 1983, 27) mit Geheimhaltungsinteresse (von Hahn 1983, 24; Drozd/Seibicke 1973, 16) besessen, und das Latein sei in fachsprachenanaloger Funktion Refugium für ketzerisches Denken gewesen (Pörksen 1983, 244). Erstmals in der Aufklärung werden Fachsprachen auch als kommunikatives Hindernis empfunden und die Experten in die moralische Pflicht genommen, das Unwissen der Laien aufzuheben (Wetzels 1980, 15). Die angetroffene Hermetik der Fachsprachen wurde und wird allerdings sehr unterschiedlich beurteilt: teils wird jegliche Absicht einer Absonderung bestritten (von Hahn 1983, 40) bzw. zum Anlaß genommen, statt von „Fachsprachen“ von „Sondersprachen“ („Jargon“) zu sprechen (Gnutzmann 1980, 52 f), teils ⫺ und dies zumeist seitens der Laien ⫺ wird diese Absicht gerade unterstellt (vgl. das Beispiel bei Gnutzmann 1980, 52), zumindest aber, daß sich die Eingeweihten jene Hermetik a posteriori zunutze machten, z. B. zu einer „binnenständischen Selbstvergewisserung und Identitätswahrung“ (wie es Engelhardt 1989, 67, bezüglich der Literatursprache für das Bildungsbürgertum des 19. Jhs. geltend macht). In anderen Fällen wird die Frage offengelassen und von einer Tendenz bestimmter Verkehrskreise, sich gegen Außenstehende abzusondern, gesprochen (Paul 1894); diese Absonderung von der Umgangssprache geschehe nicht vorsätzlich, sondern sei das Resultat situationsbedingter Einzelakte (Steger 1964). Die letztere Position kann sich heute auf soziologische Erklärungen über die Herausbildung so-

6. Sprachnormen und die Isolierung und Integration von Fachsprachen

zialer „Distinktionswerte“ (Bourdieu 1982; vgl. auch Elias 1980) und auf neuere linguistische Theorien des Sprachwandels (Keller 1990) berufen, in denen die Prozesse sozialer und sprachlicher Differenzierung weder nur intentional noch nur kausal gedeutet werden. Ob nun aber programmatisch verankert oder nicht: die „soziale Verselbständigung“ der Fachsprachen (Cherubim 1989, 140) ist eine Gegebenheit ⫺ wenn auch nicht die einzige ⫺, die an den Fachsprachen ausgemacht werden kann (vgl. 4.); sie ist überdies eine Folge, die Fachsprachen mit anderen Sprachvarietäten ⫺ wenn auch aus unterschiedlichen Gründen ⫺ zu teilen scheint: oft hat die sachbegründete Sprachdifferenzierung eine soziale Differenzierung zur Folge (Bausinger 1972, 120 f). In der Fachsprachenforschung wird die Isolation der Fachsprachen über Merkmalsbeschreibungen linguistisch nachgezeichnet und als Verständlichkeitsproblem, das beim kommunikativen Austausch der Fachsprachen mit einem erweiterten Personenkreis virulent wird, thematisiert. In beides spielen die zahlreichen Abgrenzungsversuche der Fachsprachen (gegenüber einer Gemein-, Umgangs-, Alltagssprache usw.) hinein; sie werden zwar zu theoretisch-systematischen Zwecken unternommen, liefern aber zahlreiche Hinweise für oder gegen eine sprachstrukturelle Isoliertheit der Fachsprachen (zur sprachphilosophisch-wissenschaftstheoretischen Frage des Fundierungsverhältnisses von Fachsprachen und Gemeinsprache vgl. Petöfi u. a. 1975). Zu den sprachlichen Besonderheiten der Fachsprachen wurden lange Zeit in erster Linie die Fachwörter gerechnet. Sofern diese explizit vereinbart sind, scheint die Isolierung von Fachsprachen auf mangelndem Sprachwissen der Nicht-Fachleute (auf Unkenntnis der Verwendungsregeln) zu beruhen. Des öfteren wird allerdings angezweifelt, daß die Vermittlung dieser Regeln oder eine Übersetzung der Ausdrücke ein Verständnis der Laien bewirke, letzteres stelle sich vielmehr durch Kenntnis der Sachverhalte ein (Trabant 1983, 31). Die Lexik der Fachsprachen bleibe auch insoweit hermetisch, als sie signaturhaft sei, d. h. keine besonderen Eigenschaften der bezeichneten Sache angebe („repräsentierend“ statt „denotierend“ oder „prädizierend“ schon in der Terminologie Schmidts 1966, 20; 59), im wesentlichen also einer Benennungsfunktion nachkomme und damit gerade eine entsprechende Sachkennt-

103

nis voraussetze. Auf die übrigen Merkmale der Fachsprachen (vgl. Kapitel VI) trifft dies weniger zu. Sie sind auch in viel geringerem Umfang fachsprachenspezifisch, sowohl als Einzelmerkmale (vgl. schon Möhn 1975, 180) als auch als Prinzipien der Textkonstruktion (Weingarten 1994, 132 f). Eine strikte sprachsystematische Isoliertheit der Fachsprachen von anderen Varietäten muß letztlich wohl verneint werden; wie in der Varietätenlinguistik generell erweist sich auch die Isolation der Fachsprachen in heutiger Sicht als ein Thema, das weniger zu trennscharfen Typologien von sprachlichen (Sub-)Systemen als vielmehr zu prototypischen Charakterisierungen nach textsortenspezifischen Maßstäben (Hoffmann 1991) führt. Dies schließt eine sprachpragmatische Isoliertheit der Fachsprachen allerdings nicht aus. Sie kommt in interfachlichen und fachexternen Kommunikationsprozessen zum Tragen, also überall dort, wo die soziale Verselbständigung der Fachsprachen durchbrochen werden soll. An diesen Orten entzünden sich häufig Normenkonflikte, in denen Fachleute und Laien die Berücksichtigung ihrer jeweiligen Gegebenheiten wechselseitig voneinander fordern. Laien, einschließlich der in Wissenschaftssprachen zu initiierenden Studenten (vgl. Gloy 1985, 1994), kritisieren häufig die Unverständlichkeit der Fachsprachen (Stickel 1987, 296 f); Fachvertreter bestreiten demgegenüber, daß ihre Fachsprache übersetzbar ist, oder sie erkennen professionsbedingt die Notwendigkeit dazu nicht mehr; sie berufen sich schließlich auf Sachzwänge (Hohner/Schöller 1979, 166) oder scheuen (z. B. aus Gründen des Dienstrechts) die mit einer Übersetzung verbundene Verantwortung. Exemplarisch sind diese Verhältnisse in Grosse/ Mentrup (1980) erörtert. Ihr Beispiel „BehördenFormular“ macht zugleich deutlich, daß Übersetzungsvorgänge innerhalb der Fachsprachen selber verbleiben können: Gesetze als juristische Fachtexte werden unter Wahrung ihres institutionellen Sinns in Verwaltungssprache transformiert, und deren Funktion bleibt nach „innen“, auf die Behörde selbst, gerichtet. Und dort, wo Mehrfachfunktionen nachweisbar sind, wo also die Laien (mit-)angesprochen werden, schlägt sich dieses sprachlich oft nur in unbedeutenden Einzelheiten nieder (vgl. Duve/Weirich 1981). In der Fachsprachenforschung wird gleichwohl der Beitrag einzelner lexikalischer, syntaktischer oder stilistischer Phänomene zur (Un-)Verständlichkeit von Texten weitgehend überschätzt. Die ihnen geltenden Normierungen beargwöhnt Augst (1981, 260) deshalb als bloßes Symptom-Kurieren.

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4.

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Zur Integration von Fachsprachen

Die Feststellung Heringers (1979, 261), daß Verständlichkeit bislang keine anerkannte Forschungsaufgabe der Linguistik sei, gilt nach wie vor. Das erweist sich auch für die Fachsprachenforschung als Handicap und führt in der Konzeption diesbezüglicher Normen vielfach nur zu ad-hoc-Formulierungen. Diese verdeutlichen immerhin, daß die Verständlichkeit einer Fachsprache nicht allgemein, sondern nur gruppengebunden expliziert werden kann. Viele der normativen Erwartungen und Empfehlungen der Fachsprachenforschung fordern deshalb von den Fachleuten, daß sie das Sach- und Sprachwissen der Laien, an die sie sich jeweils wenden, berücksichtigen (Hennig/Möhn 1983; Otto 1982) bzw. ⫺ im Rechtsbereich ⫺ ein „Falldenken statt Normdenken“ praktizieren (Dt. Akademie 1981, 153; vgl. auch die übrigen Beiträge im selben Band; Heringer 1982; vgl. aber die Kritik von Dobnig-Jülch 1985). Ganz analog würdigt Wetzels (1980, 18 ff) jene Sachautoren, die die in den naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen vollzogenen Deduktionen in Induktionen und das systematische Verständnis (die Theorie) in Wissenschaftsgeschichte transformieren; aus demselben Motiv mahnt Rothkegel (1982, 183) als „Attraktivmacher“ sachinformierender Texte beim Autor Textherstellungsverfahren an, in denen dieser vom Rezipienten nicht den eigenen Wissensstand erwartet. Daß es dem Sachbuch-Autor nicht allein um die Übersetzung des Fachsprachlichen in eine öffentliche Sprache gehen sollte, sondern auch um die Erhellung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses und dessen gesellschaftliche Relevanz, betont Pforte (1976, 144). Dies könnte die Integration einer Fachwirklichkeit in den anders beschaffenen frame of reference der Laien-Rezipienten, die Beier (1983, 92; 95) zur Verbesserung fachexterner Kommunikation fordert, erleichtern. Von sich aus nehmen Rezipienten ohnehin Übertragungen verschiedenster Art vor, um sich das Neue vertraut zu machen (Giesecke 1992, 44), z. B. die Belebung des Technischen oder, umgekehrt, die Konzeption sozialer Phänomene in Termini der Technik. Wenngleich auch letzteres seitens der Fachsprachenforschung wiederholt beschrieben wird, kommt die entscheidende Kritik daran und eine Erörterung seiner Relevanz für Diskurse von außen (Link 1982, 9 ff). Anstötz (1991, 289 f) kritisiert an der Rezeption der Praktischen Ethik Peter Singers darüber hinaus, daß sie sich aus Sorge um unerwünschte Folgen dieses Werkes seiner Verfälschung schuldig mache. Diese bestehe u. a. darin, daß philosophische Begriffe (z. B. Person) und deren fachspezifische Herleitung blind durch die Bedeutungen gleichlautender alltagssprachlicher Ausdrücke ersetzt und als Singers

Position mißverstanden werden. Dies geschieht, obwohl die Forderung Pfortes nach Transparenz erfüllt gewesen ist, und gibt einen Hinweis darauf, daß die Rezeptionsvorgänge wegen der in ihnen wirksamen Einstellungen nicht per se die Normkriterien für eine verbesserte fachexterne Kommunikation liefern sollten.

Es gibt somit eine Forderung an Laien, sich den Fachsprachen anzupassen (Hartmann 1980, 43), und es gibt ein Bemühen, die Fachsprachen dem Laienverständnis anzunähern. In jedem Fall wird damit auf die erwähnten Isolationstendenzen der Fachsprachen reagiert und die Interaktionsfähigkeit differenzierter Gesellschaften zu erhalten versucht. Neben „naturwüchsigen“, d. h. nicht-organisierten Diffusionsvorgängen zwischen Fachsprachen und anderen Sprachvarietäten haben wir es also auch mit sprachplanerischen Aktivitäten zu tun. Die dabei vorherrschende Anpassungsrichtung ist in beiden Fällen verschieden: in ersteren verfachsprachlichen sich die nicht-fachsprachlichen Varietäten, in letzteren werden die Fachsprachen zu einer Anpassung an nicht-fachsprachliche Varietäten veranlaßt. Die jeweiligen Amalgamierungen lassen sich zwar linguistisch als unterschiedlich beschreiben, in soziologisch-kulturtheoretischer Perspektive stimmen aber beide Angleichungsprozesse darin überein, daß sie ⫺ auf je eigenem Wege ⫺ den Status des Fachwissens als legitimes und prestigehaltiges Wissen bekräftigen. Verständliche Fachsprachen können einen (effektiveren) Transfer der jeweiligen Fachwirklichkeit, d. h. ihrer Wissensbestände, ihrer Erklärungen und ihrer Handlungsanweisungen bewirken. Sie sind damit auf andere, vermutlich nachhaltigere Weise in andere Sprachvarietäten integriert als z. B. gesetzlich verordnete Fachausdrücke, welche oft nur als Schibboleth benutzt oder sogar gänzlich ignoriert werden: „Invertzuckercreme“ statt „Kunsthonig“ (Korpiun 1981, 142). Die zunächst fruchtbare Unterscheidung in (u. a.) „fachinterne“ und „fachexterne“ Kommunikation (z. B. Möhn 1977, 314) erwies sich in der Praxis als zu grob. Empirische Analysen der professionellen Vermittlung fachlichen Wissens (zumeist: der Wissenschaften) veranlaßten zur Unterscheidung mehrerer „Fachlichkeitsgrade“ bzw. „Popularisierungsgrade“ von Fachtexten (Stahlheber 1992). Es ist allerdings fraglich, ob damit auch die Verstehensprobleme der Rezipienten erfaßt werden. Den Gradabstufungen liegen in diesem Fall nämlich linguistisch definierte Textelemente

6. Sprachnormen und die Isolierung und Integration von Fachsprachen

(wie Satzkomplexität, Frequenz des Passivs) zugrunde, deren Wirksamkeit psycholinguistisch oder lerntheoretisch ausgewiesen werden müßte. Das regelmäßige Auftreten von Sprachmerkmalen kann zwar auch bei Rezipienten zu entsprechenden Normalitätsvorstellungen führen, aber der daraus resultierende Norminhalt kann gelegentlich auch besagen, daß wissenschaftliche Fachsprache gerade unverständlich zu sein habe (Gloy 1994, 99 f); Kommunikationskonflikte können paradoxerweise dann entstehen, wenn Fachsprache verständlich wird (Bungarten 1986 a, 144). Und Wilke (1986, 311 ff) zufolge hängt der Informationsgewinn, den Rezipienten (hier: Wissenschaftler) aus Fachtexten beziehen, stark von ihren Haltungen (wie Interesse am Thema und Entschlüsselungswille) ab; nur dort, wo sie diese Haltungen in geringem Maße entwickeln, hängt die erfolgreiche Rezeption stark von den Sprachmerkmalen des Textes ab. Der subjektive Nutzen, den Rezipienten für sich zu erkennen vermögen, allgemeiner: ihr Wertesystem, ist demnach wichtiger als die sprachliche Gestaltung der Berichterstattung. Letztere gewinnt kaum neue Rezipienten hinzu, sondern verbessert nur den Kenntnisstand der ohnehin Informierten (These des increasing knowledge gap, der wachsenden Wissenskluft in einer Gesellschaft). Daran gemessen, sind viele Empfehlungen zur Fachsprachen-Vermittlung einseitig rational orientiert. Offenbar geht es ⫺ im Unterschied zur Konstitution von Fachdisziplinen (Baumann 1992, 147 ff) ⫺ bei der Rezeption um mehr als um „Denkstile“ (Anstötz 1991, 276 ff), und Empfehlungen wie, die fachexterne Kommunikation müsse beim Gebrauch des Fachvokabulars „kognitive“ Anknüpfungspunkte in den Vorstellungen der Rezipienten finden (Hennig/Möhn 1983, 81 f), greifen zu kurz (vgl. Pforte 1976, 143 f). Auch das Verfahren der Fachsprachenforschung eigene Normen aus häufig erscheinenden Sprachformen (aus „Regelmäßigkeiten“) zu konzipieren, ist fragwürdig (Gloy 1993, 44 ff). Typischerweise werden dabei Fragen, ob eine Normung dieses Bereichs überhaupt notwendig ist und nach welchen Zweckmäßigkeiten (oder gar Werten) sie gegebenenfalls erfolgen soll, nicht gestellt; stattdessen werden wiederholt die vorgefundenen Formen als funktional oder vernünftig hingenommen, ohne auch nur die Möglichkeit zu erwägen, daß sie einen Scheinkompromiß aus divergenten Interessen darstellen können. Wissenschaftstheoretisch gesellt

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sich das Verdikt des naturalistischen Fehlschlusses hinzu, welches bestreitet, daß aus einem Ist-Zustand ein Gesolltes wissenschaftlich begründet abgeleitet werden kann; und selbst dann, wenn man glaubt, mit den Regelmäßigkeiten zunächst nur die in der Praxis eingespielten Normen ermittelt zu haben, was Max Weber zufolge auf dem Wege des Sinnverstehens (also nicht platt empirisch) erfolgen müßte, würde deren schlichte Übernahme als Fachsprachen-Normen die Fachsprachenforschung jeglichen kritischen Potentials berauben. Diese Einwände treffen z. B. auf Kretzenbacher (1991) und Oldenburg (1992) zu. Im Verein mit dem Umstand, daß die kodifizierten Normen für verwandte Textsorten (z. B. DIN 1426, ISO 214, Ansi Z 39.14) zu wenig auf deren linguistische Aspekte eingehen, wird hieraus deutlich, daß die Fachtext-Linguistik eines reflektierteren Sprachnormen-Begriffs bedarf. Ansätze dazu finden sich bereits seit einiger Zeit (Dt. Akademie 1981).

5.

Zur kulturtheoretischen Interpretation der Fachsprachen

Im Kontakt einer Fachsprache mit einer anderen Varietät kann immer wieder beobachtet werden, daß eine von beiden zu Lasten der anderen dominiert. Zumindest für die Dauer der Interaktion, vermutlich aber mit darüber hinausreichenden Folgen liegt ein Sprachwechsel vor, zumeist in Richtung der Fachsprachen (sofern nicht deren hochgradige Popularisierung angestrebt wird). Solche Sprachwechsel bilden einen Sonderfall der Isolations- und Integrationsproblematik: die dominierenden Fachsprachen tendieren dazu, die Artikulationen der anderen Varietät zu ignorieren bzw. bei Übersetzung ganz in ihrem eigenen Kategoriensystem verschwinden zu lassen. Insoweit können Fachsprachen als „aggressives sprachliches Phänomen“ (Trabant 1983, 27) eingestuft werden, denen Momente der Glottophagie (Calvet 1974) zukommen. Vorzugsweise kann dies im Kontakt zwischen Organisationen und ihrer Klientel beobachtet werden (Gloy 1981); Seibert (1983) hebt allerdings hervor, daß solche Anverwandlungen weniger auf syntaktischen und semantischen Eigentümlichkeiten, als vielmehr auf abweichendem Problemverständnis und einer damit zusammenhängenden Verfahrenspragmatik beruhen. Das Bedingungsgefüge fachsprachlichen Handelns erschöpft sich demnach nicht in Produktnormen, d. h. in den Festlegungen der Ausdrucksformen; Handlungsnormen (einschließlich der Festlegungen institutioneller Verfahrensschritte) sind ebenfalls bedeutsam.

106 Können aber Isolation und Integration der Fachsprachen aus der Existenz derartiger Normen überhaupt befriedigend erklärt werden oder bedarf es dazu nicht vielmehr kultur- und gesellschaftstheoretischer Überlegungen (wie sie derzeit nur außerhalb der Fachsprachenforschung angestellt werden)? Für Z. Bauman (1992, 239 ff) z. B. ist das ständig anwachsende Fachwissen in modernen Industriegesellschaften Anlaß, sich dessen Funktionen zu vergewissern. Fachwissen produziert neben Wissen stets auch neue Probleme, die nach weiterem Fachwissen verlangen. In dieser Spirale wird das Fachwissen nicht nur zu seiner eigenen Ursache, es stellt auch (weil die meisten Aufgaben nur mithilfe spezialisierten Wissens bewältigt werden können) Identitätsangebote für die Einzelperson bereit. Deren Lebenswelt wird mithilfe von Fachwissen artikuliert, und immer setzen die Experten die Maßstäbe für Normalität (vgl. auch Böhme 1979, 121 f). Weil die Einzelperson in funktional differenzierten Gesellschaften mittlerweile sozial ortlos geworden ist, orientiert sie sich am Markt mit seinem Expertenwissen. Dabei scheint Fachsprachlichem als solchem grundsätzlich ein Prestigewert zuzufallen; gleichwohl haben immer wieder auch bestimmte Disziplinen eine zeitweilige Konjunktur als Entlehnungsbereiche (vgl. Bungarten 1981, 422 ff, für Psychologie; Weymann-Weyhe 1978, 197 ff, für Theologie; Link 1982, 6 ff, für Technik). Das Expertenwissen gilt als umso perfekter, je „genauer“, d. h. je spezialisierter es Probleme und Aufgaben umschreibt. Diese seine Trennungspraktiken machen aber blind gegen System-Emergenzen, gegen die tatsächliche Unkontrollierbarkeit des Systems (trotz z. B. ausdifferenzierter Fachsprachen). Sie stellen außerdem eine wirkungsvolle Definitionsmacht darüber dar, wer zur In-group und wer zu den Ausgegliederten gehört. Nun macht aber Link (1992, 68) darauf aufmerksam, daß die Individuen selber gegen Ausgliederungen angehen. Sie tun dies, indem sie sich freiwillig und spontan an das adjustieren, was ihnen der natürliche Normalfall zu sein scheint. Vielfältige, sich wechselseitig stützende Diskurse geben diese Normalität vor und bewirken Normalismus, d. h. eine Orientierung auf Durchschnitte hin. Normalismus ist die spezifische Antwort auf eine historisch-spezifische Formation, nämlich auf die Dynamik des modernen Wachstums und Fortschritts; er tendiert (wegen seiner Abhängigkeit von fachlichen Diskursen) zur Expertokratie.

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

Die sich daraus ergebende Dominanz des Fachlichen und des Fachsprachlichen ist mithin kein Ergebnis irgendeiner Art von Sprachplanung; sie ist eher das Resultat subjektloser Vorgänge, wie Keller (1990, 83 ff) sie beschreibt. Und trotz aller Veränderungen, die die statuierten fachsprachlichen Normen im Zuge jener Ausbreitung bezüglich Inhalt und Gültigkeit erfahren: der resultierende (popularisierte) Sprachgebrauch unterliegt weiterhin Normen, und zwar eigenen. Diese sind allerdings im wesentlichen subsistent und lassen sich am ehesten als Konventionalisierungen charakterisieren, entweder spieltheoretisch mit Lewis (1975, 53 ff; 163 ff) oder funktionalistisch mit Luhmann (1972, 31 ff). Der Fachjargon wäre in diesem Licht ein Ergebnis des Teilhabenwollens an dieser Kultur, das sich allerdings auf die Teilhabe an bloß äußerlichen Abzeichen dieser Kultur beschränkt. Dem Jargon käme statt einer Darstellung von Fachinhalten in erster Linie der Indexwert zu, als in die Expertokratie integriert zu erscheinen (Seiffert 1979, 680 ff). Während die Fachsprachenforschung (Janich 1975; Bungarten 1981, 46 ff) dazu neigt, eine solche Integriertheit zu bestreiten, fallen die Urteile von Laien oft anders aus. Insoweit aber Integration und Isolation des Fachsprachlichen nicht einzig aus linguistischer Sicht zu beurteilen sind, sondern auch ⫺ durchaus problematischen ⫺ Kriterien des alltäglichen Sprachbewußtseins unterliegen (Anstötz 1991; Wilke 1986), bedarf es zu dieser Thematik noch weiterer Forschung.

6.

Literatur (in Auswahl)

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109

7. Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen che erkennen und verstehen. Akten des 16. Linguistischen Kolloquiums Kiel 1981, 2. Hrsg. v. Klaus Detering, Jürgen Schmidt-Radefeldt und Wolfgang Sucharowski. Tübingen 1982, 177⫺186. Savigny 1975 ⫽ Eike von Savigny: Inwiefern ist die Umgangssprache grundlegend für die Fachsprachen? In: Petöfi/Podlech/Savigny 1975, 1⫺32. Schlieben-Lange/Kreuzer 1983 ⫽ B. SchliebenLange/H. Kreuzer (Hrsg.): Fachsprache und Fachliteratur. Göttingen 1983 (LiLi ⫺ Zs. f. Literaturwissenschaft und Linguistik. Heft 51/52). Schmidt 1966 ⫽ F. Schmidt: Zeichen und Wirklichkeit. Linguistisch-semantische Untersuchungen. Stuttgart 1966. Seibert 1983 ⫽ Thomas Seibert: Verständigungsschwierigkeiten zwischen Gericht und Betroffenen. In: Schlieben-Lange/Kreuzer 1983, 59⫺73. Seibicke 1959 ⫽ Wilfried Seibicke: Fachsprache und Gemeinsprache. In: Muttersprache 49. 1959, 70⫺84. Seiffert 1979 ⫽ H. Seiffert: Die Sprache der Wissenschaftler als Imponiergehabe. In: Deutsche Universitätszeitung 21. 1979, 680⫺682. Stahlheber 1992 ⫽ Eva M. Stahlheber: Die Fachtextsorte ,Zeitschriftenartikel‘ im Deutschen und ,Address/Article‘ im Amerikanischen: Popularisierungsgrad und Diachronie von Funktionen und Strukturen. In: Baumann/Kalverkämper 1992, 162⫺189. Steger 1964 ⫽ Hugo Steger: Gruppensprachen. Ein methodisches Problem der inhaltsbezogenen Sprachbetrachtung. In: Zeitschrift für Mundartenforschung 31. 1964, 125⫺138. Steger 1982 ⫽ Hugo Steger: Über die Würde der alltäglichen Sprache und die Notwendigkeit von

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Klaus Gloy, Oldenburg

7. Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen 1. 2.

4.

Allgemeines Die Determinanten fachlicher Kommunikationsbeziehungen Ansätze zur Beschreibung fachlicher Kommunikationsbeziehungen Literatur (in Auswahl)

1.

Allgemeines

3.

Der Charakter der gesellschaftlichen Arbeitsteilung sowie die Spezifik der Sozialstruktur einer Gesellschaftsformation bestimmen die Herausbildung von mehr oder weniger begrenzbaren fachlichen Kommunikationsbereichen und entscheiden über den Zugang von Mitgliedern der Gesellschaft zu diesen

Bereichen. So übernehmen einzelne Menschen oder Gruppen gesellschaftliche Funktionen, die in besonderem Maße mit der Ausübung bestimmter Tätigkeiten verbunden sind. Ein Spezifikum der menschlichen Tätigkeit besteht darin, daß sie an kommunikative Tätigkeit gebunden ist. Die soziale Bestimmtheit der miteinander kommunizierenden Individuen wird dabei im fachlichen Kommunikationsprozeß keineswegs aufgehoben. Vielmehr trägt auch die Fachkommunikation dazu bei, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu realisieren (Möhn/Pelka 1984, 67⫺68). Mit der zunehmenden Differenzierung der kommunikativ zu bewältigenden Objektbereiche der gesellschaftlichen Realität bilden

110 sich differenzierte Verwendungsweisen von Sprache heraus. Dies hat zur Folge, daß die Menschen unterschiedliche Stellungen im System der gesamtgesellschaftlichen sprachlichen Kommunikation einnehmen und sich spezifische Formen von Kommunikationsbeziehungen entwickeln. Damit die Vielfalt der unterschiedlichen Formen und Funktionen fachlicher Kommunikationsbeziehungen aufgezeigt werden kann, ist es erforderlich, das vielschichtige Determinationsgefüge zu bestimmen, welches zwischen den historisch-konkreten Bedingungen der Gesellschaft, den sozialen Charakteristika der Kommunikationspartner, der Spezifik der von ihnen zu realisierenden gegenständlich-praktischen bzw. geistig-theoretischen Tätigkeit sowie den strukturell-funktionalen Merkmalen der kommunikativen Tätigkeit besteht. Die gesellschaftlichen Beziehungen, welche die Menschen untereinander eingehen, bilden die entscheidende Grundlage für den speziellen Rahmen der (fachlichen) Kommunikationsbeziehungen, der sich z. B. durch eine charakteristische Sender-Empfänger- bzw. Empfänger-Sender-Perspektive, die Wiederkehr bestimmter Funktionen kommunikativer Tätigkeit, die spezifische Struktur der kommunikativen Kooperationen in vergleichbaren Situationen bzw. die Gerichtetheit der Kommunikation in bestimmten Tätigkeitsbereichen auszeichnet. So sind bei näherer Betrachtung kommunikative Beziehungen in fachlichen Tätigkeitsbereichen keineswegs beliebig herstellbar (Wardhaugh 1990, 113⫺ 232). Die Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen zwischen den Partnern hängen v. a. von deren Kenntnis des Kommunikationsgegenstandes, dem entsprechenden kontextuellen Wissensstand und dem angestrebten Niveau der Tätigkeitsausführung ab. Nach Beendigung der kooperativen Tätigkeit ist zunächst auch die aktuelle kommunikative Beziehung der Kooperierenden beendet. Allerdings können die Gründe, die zu dem Inbeziehungtreten der Beteiligten geführt haben, fortbestehen. Häufig existieren die Motive für ein analoges kommunikatives Verhalten weiter. Es entwickeln sich übergreifende Mechanismen der Tätigkeitssteuerung, die v. a. in gesellschaftlichen Institutionen deutlich werden. Die grundlegenden kommunikativen Beziehungen sind dabei aus der Sphäre der Produktion hervorgegangen (Schönfeld/Donath 1978, 10⫺14). Außerdem sind jene Kommu-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

nikationsbeziehungen von elementarer Bedeutung, die das umfassende Funktionieren des gesellschaftlichen Lebens ermöglichen (vgl. Kommunikation in der Familie, der Wohngemeinschaft, den Freizeitgruppen, bei der öffentlichen Meinungsäußerung usw.). Zahlreiche soziolinguistische Untersuchungen haben darauf hingewiesen, daß bestimmte Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen in einem engen Zusammenhang mit den kommunikativen Besonderheiten zahlreicher gesellschaftlicher Institutionen stehen (Justiz, medizinische Betreuung, Schule, Ausbildung, Verwaltung, Handel, Produktion, Medizin, Kultur, Politik, Seelsorge u. a.) (Ammon 1991, 524⫺566; BeckerMrotzek 1992, 7⫺10). Dabei wird deutlich, daß die Formenvielfalt fachlicher Kommunikationsbeziehungen innerhalb eines bestimmten institutionellen Rahmens der funktionalen Bestimmung von Institutionen untergeordnet ist (Crone 1989, 233⫺242; Cortelazzo 1989, 319⫺332 u. a.). Die Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen können in Abhängigkeit von den spezifischen Institutionen beträchtlich variieren. Während die Kommunikationsbeziehungen im Bereich der Justiz streng konventionalisiert sind (Fuchs-Khakhar 1987, 13⫺24; Crystal 1988, 387), unterliegen sie z. B. auf dem Gebiet der Psychotherapie keinen vergleichbaren normierenden Einschränkungen (Marks 1993, 18⫺23). Somit wird deutlich, daß die Kommunikation in bzw. zwischen Institutionen eine Form der Objektivierung von kommunikativen Beziehungen darstellt. Die Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen sind das Resultat der Differenzierung und Spezialisierung innerhalb der Gesellschaft und dienen der Koordinierung, Optimierung und Übertragung von Kommunikationsprozessen. Die Betrachtung der Beziehungen, die die Menschen in ihrer kommunikativen Tätigkeit untereinander eingehen, stellt folglich einen methodologisch vielversprechenden Ausgangspunkt dar, um die Verfestigung von Handlungszusammenhängen zu wiederholbaren Handlungsmustern aufzuzeigen (vgl. Begrüßungsritual auf Fachkongressen, kontinuierlicher Wechsel der Fachtextsorten Referat und Diskussion auf Arbeitstagungen usw.). Eine weitere Form der Objektivierung kommunikativer Beziehungen besteht darin, daß deren Realisierung mit der Herausbildung charakteristischer Bedingungen der Kommunikation verbunden ist. Bekanntlich

111

7. Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen

ergeben sich häufig wiederkehrende Anlässe zur Kommunikation. Es entwickeln sich Beziehungen zwischen diesen Anlässen, den an der Kommunikation teilnehmenden Partnern und den Orten, an denen sie sich zusammenfinden. Folglich bilden sich Muster für die personelle Beteiligung an der Fachkommunikation heraus (z. B. Prüfungs- und Seminargespräche; vgl. auch Art. 52). In diesem Zusammenhang entstehen komplexe Determinationsgefüge, als deren Ergebnis die kommunikative Tätigkeit einen bestimmten objektivierten situativen Rahmen erhält. Hierin liegt eine weitere Grundlage für die Ausprägung typischer Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen, die mit unterschiedlicher Verbindlichkeit festlegen, wer mit wem unter welchen Bedingungen wann worüber mit welchem Ziel kommuniziert. Damit hängt eine dritte Form der Objektivierung kommunikativer Beziehungen zusammen, die eng mit den strukturell-funktionalen Merkmalen der Fachkommunikation verbunden ist. Sie äußert sich in der kontinuierlichen Widerspiegelung der Realisierung von Fachkommunikation, die zur Grundlage für die Kommunikationsplanung, -regulierung und Normierung kommunikativen Verhaltens auf allen Ebenen wird (Baumann 1990, 70⫺84).

2.

Die Determinanten fachlicher Kommunikationsbeziehungen

Im Prozeß der Fachkommunikation erfolgt eine Verständigung zwischen den Beteiligten nur dann, wenn bestimmte gesellschaftlich festgelegte Grundmuster im Sprachverhalten eingehalten werden. Diese im Bewußtsein der Kommunizierenden existierenden Konventionen, denen auf bestimmten sprachlichen Ebenen Normen entsprechen können, stellen eine vielschichtige Determinante fachlicher Kommunikationsbeziehungen dar. Ihre vorrangige Funktion besteht darin, Übereinstimmungen in einem bestimmten fachlichen Tätigkeitsbereich hervorzubringen bzw. die innere Dynamik der konkreten Gesellschaftsstruktur in der Strukturiertheit der Fachkommunikation deutlich werden zu lassen. Dabei hat jeder Kommunizierende vor seinem Handeln abzuwägen, welches Wissen er in welcher Situation auf welche Art und Weise umsetzen kann. Die Ausprägung verschiedener Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen wird nachhaltig von der Gesamtheit der situativen Bedingungen bestimmt, die im

Bewußtsein der Kommunikationspartner widergespiegelt werden und über die Vermittlung bestimmter Leistungsvoraussetzungen (individuelles sachliches und sprachliches Wissens- und Könnensniveau) zur Produktion bzw. Rezeption von (mündlichen/schriftlichen) Fachtexten veranlassen. Bei einer systematischen Beschreibung der Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen sind folgende Komponenten zu beachten: (1) Elemente der Tätigkeitssituation: ⫺ Spezifik des betreffenden Fach(gebiete)s der Wissenschaft: naturwissenschaftliche, geisteswissenschaftliche, technische Disziplin, interdisziplinär; ⫺ Anzahl der an der Fachkommunikation Beteiligten und davon abgeleitete Struktur der fachlichen Kommunikationsbeziehungen: Monolog, Dialog, Polylog; Verhältnis von Fachkommunikation und übergeordneter Tätigkeit, d. h. Direktheitsgrad bei der Verbindung von Fachtext und Situation: Verwendung von direkter und indirekter Rede, Zitate u. a.; ⫺ Ausbildung spezieller Kommunikationsintentionen der an der Fachkommunikation Beteiligten; ⫺ Bereich der Kommunikationsgegenstände; ⫺ Vertrautheit der Kommunikationspartner mit dem Kommunikationsgegenstand; ⫺ Fixierung des Kommunikationsthemas; ⫺ Medium der Fachkommunikation: gesprochen, geschrieben; ⫺ Raum-Zeit-Verhältnis: direkte Kommunikation (Fachgespräch), indirekte Kommunikation (Fachtext); ⫺ Raum-Zeit-Referenz der fachlichen Kommunikationsbeziehungen: historische und regionale Besonderheiten.

(2) Elemente der sozialen Situation: ⫺ sozialer Status der Kommunikationspartner: asymmetrisch vs. symmetrisch; ⫺ weltanschaulich-politische Gebundenheit der Kommunikationspartner; ⫺ soziale Wertvorstellungen, Normen, Gewohnheiten und Denkmuster der Kommunikationspartner (Dethloff 1993, 70⫺74); ⫺ Bekanntheitsgrad der Kommunikationspartner: bekannt, unbekannt; ⫺ Fachlichkeitsgrad der Kommunikation: (wenig) fachlich, nicht fachlich; ⫺ Öffentlichkeitsgrad der Fachkommunikation: privat, nicht öffentlich, halb öffentlich, öffentlich.

(3) Elemente der Umgebungssituation: ⫺ Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Kommunikationspartnern; offizielles Verhältnis ⫺ gebunden an starke Öf-

112

⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺

fentlichkeit der Situation bzw. an bestimmte Eigenschaften der Personen; förmliches; unverbindlich-höfliches; zwangloses; freundschaftlich-wohlwollendes; persönlich-entspanntes, intimes Verhalten zwischen den Partnern; Grad der sachlichen/sprachlichen Vorbereitetheit der Kommunikationspartner: vorbereitet, nicht vorbereitet; Grad der Verbindlichkeit, der sich aus der Fachkommunikation ergibt: verbindlich, unverbindlich; Alter, Geschlecht der Kommunikationspartner; Motivation zur Fachkommunikation; Erwartungen an die Fachkommunikation; sprachliches Könnensniveau (Idiolekt); intellektuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten; physischer und psychischer Zustand der Kommunikationspartner; paralinguale Elemente.

Die wechselseitige Bedingtheit der genannten situativen Faktoren wird im Prozeß der Fachkommunikation durch ein konkretes Rollenspiel umgesetzt (Halliday/Hasan 1990, 57⫺ 58). Die Realisierung einer bestimmten Rolle weist auf den dynamischen Aspekt der Gruppenzugehörigkeit der Kommunikationspartner hin. Außerdem stellt das Rollenspiel der Partner eine wichtige Konstituente bei der Herausbildung bestimmter Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen dar. So wird am Beispiel der Unternehmenskommunikation deutlich, daß z. B. gleichrangige Kommunikationsbeziehungen zwischen den Beteiligten durch folgende Faktoren wechselseitig vermittelt werden: symmetrisches Rollenspiel ↔ sozial vergleichbare Tätigkeitssituation der im Unternehmen Beschäftigten ↔ weitgehend adäquates Kontextwissen (mit der Identifikation eines unternehmensspezifischen Objektes werden zugleich (betriebsinterne) Informationen über den Kontext bereitgestellt, in dem das identifizierte Objekt gewöhnlich auftritt) ↔ hohe Informationsverdichtung ↔ fehlende Redundanz im Text. In interdisziplinär orientierten Fachtextanalysen konnte nachgewiesen werden, daß die Spezifik der fachlichen Kommunikationsbeziehungen von einem Komplex interkultureller, sozialer, psychischer, funktionaler, inhaltlich-gegenständlicher, textueller, stilistischer bzw. semantischer Faktoren geprägt wird (Baumann 1992, 159⫺181). Der Einfluß interkultureller Phänomene auf die Ausprägung bestimmter kommunikativer Beziehungen läßt sich im Bereich der Unternehmenskommunikation umfassend demonstrieren (Beneke/Nothnagel 1988, 269⫺280; Wide´n 1988, 288⫺294; Clyne 1993, 3⫺18; Kalver-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

kämper 1993, 18⫺47 u. a.). Die Erfolgsaussichten eines Unternehmens in der Marktwirtschaft nehmen erfahrungsgemäß vor allem dann zu, wenn sich unter seinen Mitarbeitern ein unverwechselbares kollektives Selbstverständnis ⫺ eine Unternehmenskultur ⫺ herausbildet (vgl. die Betriebsgeschichte der Firmen Carl Zeiss Jena, Siemens, Ford u. a.). Deshalb orientieren marktstrategisch denkende Unternehmensleitungen und deren Berater darauf, durch eine wirkungsvolle Gestaltung und kommunikative Umsetzung von kulturspezifischen Leitbildern (images) die besten Fachkräfte an das Unternehmen zu binden. Wenn im Bereich der Wirtschaft die ökonomischen oder sozialen Zielvorstellungen des Beschäftigten mit denen des Unternehmens zusammengehen, so kann sich eine Unternehmensidentität (corporate identity) entwickeln. Unter der Unternehmensidentität verstehen wir die Gesamtheit der sozialpsychologischen Verhaltensmuster einer Belegschaft, die von kulturellen Wertvorstellungen, betriebsinternen Mythen, Geschichten, Legenden und Ritualen beeinflußt und durch spezifische Formen von Kommunikationsbeziehungen umgesetzt wird, die in/zwischen den verschiedenen Beschäftigungsgruppen eines Unternehmens bestehen. So ist die Unternehmensidentität das Ergebnis eines vielschichtigen Prozesses, der insbesondere durch die jeweiligen kooperativen Tätigkeiten der Individuen vermittelt wird. Die Identität eines Unternehmens entwickelt sich stets in der Einheit von Identität (Selbstbild) und Verschiedenheit (Fremdbild) der dort beschäftigten Individuen. So hat jeder Mitarbeiter eines Unternehmens konkrete Vorstellungen über seine Position und seine (kommunikativen) Beziehungen zu Vertretern anderer Beschäftigtengruppen. Zudem schätzt er die Persönlichkeit seiner Partner und die Verbindlichkeit ihrer (kommunikativen) Beziehungen zu sich selbst ein. Die Beurteilung seiner eigenen Persönlichkeit verdichtet sich zu einem Selbstbild, die Bewertung seiner Partner zu einem Fremdbild. Wenn das Selbst- bzw. Fremdbild der Beschäftigten sehr voneinander abweichen, so kann dies den Verlauf des Kommunikationsprozesses und die Ausprägung bestimmter Kommunikationsbeziehungen in Unternehmen erheblich erschweren. Seit Mitte der 80er Jahre wird in mehreren Untersuchungen darauf hingewiesen, daß sich das internationale Wirtschaftsmanagement der kommunikationsfördernden bzw. -hemmenden Bedeu-

7. Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen

tung interkultureller Gegebenheiten zunehmend bewußt geworden ist (Balachanow 1991, 21⫺22; Baumann 1991, 23⫺25; Bensmann 1991, 25⫺27; Blom 1991, 32⫺35; Diehl 1991, 57⫺59; Koop/List/Wagner 1991, 32⫺ 35; Sieffert 1991, 145⫺148 u. a.). So liegen häufig Irritationsgründe bei der Entwicklung kommunikativer Beziehungen zwischen Unternehmen aus verschiedenen Ländern in der unterschiedlichen Unternehmensstruktur und -kultur bzw. in der kulturspezifischen Mentalität der Partner begründet. In verschiedenen Darlegungen wird auf eine Fülle von Problemen beim Zustandekommen von Kommunikationsbeziehungen zwischen den jeweiligen Geschäftspartnern hingewiesen, die den Abschluß einer Kooperationsvereinbarung verhindern können. Bei der Analyse der deutschfranzösischen Unternehmensstrukturen wird folgendes festgestellt: „Deutsche beraten und entscheiden im Team, in französischen Unternehmen entscheidet der Pre´sident Directeur Ge´ne´ral, Teamwork hier ⫺ Hierarchiedenken da. Der typische deutsche Manager ist rigide, richtlinienfixiert, hält sich an schriftlich formulierte Zielvorgaben und gehört seit Jahrzehnten zum Establishment des Betriebes. Sein französischer Gegenpart entscheidet eher intuitiv, er improvisiert und ist als Absolvent einer Grande E´cole nicht unbedingt ein Fachspezialist …“ (Dethloff 1993, 71).

Einer sich etablierenden kulturellen Managementforschung obliegt es deshalb, die kulturbedingten Mentalitäts-, Verhaltens- und Kommunikationsunterschiede der jeweiligen ausländischen Geschäftspartner systematisch zu ermitteln, um entsprechende Kommunikationsstrategien erarbeiten zu können, die Mißverständnisse der Beteiligten vermeiden helfen. Diese Erkenntnis hat auch konkrete Auswirkungen auf eine stärker interkulturell orientierte fachbezogene Vermittlung von Fremdsprachen. So muß zukünftig ein Schwerpunkt der Ausbildung darin bestehen, das nötige Wissen über die Unternehmenskultur und -struktur des ausländischen Partners zu vermitteln, die innerbetrieblichen sozialen und kommunikativen Beziehungen (z. B. Verhältnis Vorgesetzter⫺Angestellter) darzulegen und das Sozial- bzw. Kommunikationsverhalten in der praktischen Anschauung zu trainieren. Die Formenvielfalt fachlicher Kommunikationsbeziehungen wird ferner von den nachfolgenden sozialen Faktoren nachhaltig bestimmt:

113 (1) die Zugehörigkeit der an der Fachkommunikation Beteiligten zu einer gesellschaftlichen Klasse, Schicht oder Gruppe; (2) die durch die Gruppenzugehörigkeit bedingte Denk-, Fühl- und Sichtweise der Individuen (Dethloff 1993, 70⫺74) und (3) die sozialhistorische Situation, in der die Fachkommunikation verläuft (geschichtlicher Werdegang des konkreten Sachgebiets, fachwissenschaftliches Entwicklungsniveau). Die sozialen Qualitäten der Menschen offenbaren sich in spezifischer Weise in den psychischen Besonderheiten der Kommunikationspartner. Bei der Beschreibung der psychischen Eigenschaften des Menschen muß u. E. die Vielzahl der sozialen Beziehungen berücksichtigt werden, in denen der Mensch kommuniziert. Dadurch ist auch die Verschiedenartigkeit der kommunikativen Fähigkeiten und Fertigkeiten bedingt. Häufig wird bei der Beschreibung der Formenvielfalt fachlicher Kommunikationsbeziehungen die Bedeutung psychologischer Faktoren (wie z. B. die Reizbarkeit des Nervensystems, das Temperament, der Charakter) unterschätzt. Dabei stellt die Untersuchung von kommunikativen Verhaltensprogrammen einen Zugang dar, um den Stellenwert psychischer Eigenschaften auf die Ausprägung kommunikativer Beziehungen im Fach aufzuzeigen. Wenn bestimmte Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen mehr oder weniger regelhaft von konkreten psychischen Besonderheiten der Partner abhängen, dann werden solche Regelhaftigkeiten zu einem Verhaltensprogramm verdichtet (vgl. z. B. die persönlich bedingten Animositäten, die in Fachdiskussionen oft zu erwartbaren polemischen Auseinandersetzungen zwischen ganz bestimmten Beteiligten führen). Offensichtlich werden wichtige Parameter der kommunikativen Beziehungen durch ein Verhaltensprogramm vorfixiert. Die Art der wechselseitigen Beziehungen zwischen den an der Fachkommunikation Beteiligten wird zudem entscheidend von deren Fachkompetenz gesteuert. Darunter verstehen wir den auf fachspezifische Inhalte bezogenen Sachverstand, das Wissens- und Könnensniveau bzw. die Fähigkeiten der Individuen. Die Fachkompetenz der Partner ist Ausdruck der inhaltlich-gegenständlichen Dimension fachlicher Kommunikationsbeziehungen. Sie bestimmt das konkrete kommunikative Verhalten der in den

114 fachlichen Bereichen Tätigen. Die Kommunikationsbeziehungen fachkompetenter Partner äußern sich durch die inhaltliche Systematik ihres Austausches bzw. durch eine effiziente Art, fachliche Zusammenhänge für kommunikative Zwecke zu sichern. Die Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen werden außerdem entscheidend von der Funktion der Fachkommunikation bestimmt. Die funktionale Dimension der fachlichen Kommunikationsbeziehungen bezieht sich v. a. auf folgende Faktoren: (1) die Fähigkeit des Kommunikationspartners, die sozialen Persönlichkeitsmerkmale seine(s)r Partner(s) zum Verstehen dessen/deren Kommunikationsmotive und -ziele zu modellieren; (2) die Fähigkeit des Kommunikationspartners (aufgrund gewonnener Erfahrungen) sich auf seine(n) Partner gedanklich einzustellen; (3) die Fähigkeit der Kommunikationspartner, sich an der Funktion der Fachkommunikation zu orientieren und (4) die Fähigkeit der Kommunizierenden, eine bestimmte Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen zu gestalten: distanziert, freundschaftlich, zwanglos usw. Die aus der Funktion der Fachkommunikation abgeleiteten Kommunikationsbeziehungen sind am spezifischen Kommunikationsverhalten der Partner erkennbar. Dieses basiert auf dem Vermögen der Beteiligten, die jeweilige Kommunikationssituation zu analysieren und sich auf den/die Kommunikationspartner bzw. den Kommunikationsgegenstand bewußt einzustellen. Auf der Ebene des Fachtextes manifestieren sich die kommunikativen Beziehungen zwischen den Partnern in bestimmten Struktureinheiten. Deren Funktion besteht darin, das Verhältnis zwischen den an der Fachkommunikation Beteiligten zu charakterisieren. Zu diesen Einheiten gehören z. B. das für einige Fachtextsorten obligatorische Vorwort (Einführung, Prolog), der Aufgabenteil bzw. die Teiltexte, in denen bestimmte soziale Aspekte der Beziehungen zwischen den Kommunikationspartnern aktualisiert werden (Baumann 1992, 174⫺177). Die stilistische Dimension der fachlichen Kommunikationsbeziehungen äußert sich als partnerbezogene Variation stilistischer Mittel. Die Stilvariation erfolgt in den einzelnen fachlichen Kommunikationsbeziehungen sehr dif-

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

ferenziert, da innerhalb einer konkreten Tätigkeit die sozialen Beziehungen der Partner recht vielgestaltig sein können. Die stilistische Markiertheit des Verhältnisses zwischen den Kommunikationspartnern kann auf qualitative und quantitative Parameter zurückgeführt werden, d. h., durch die Frequenz stilistisch relevanter Elemente und die Art ihrer Verwendung werden bestimmte Aspekte fachlicher Kommunikationsbeziehungen indiziert. Einen weiteren Versuch der systematischen Betrachtung der stilistischen Dimension der Kommunikationsbeziehungen stellt das Konzept der Stilebenen dar. Die Einteilung der Stilebenen wird nach adressatenspezifischen sozialen Unterschieden vorgenommen und durch hierarchisch geordnete Kategorien zum Ausdruck gebracht (geschraubt, förmlich, neutral, umgangssprachlich, familiär, salopp-umgangssprachlich, vulgär etc.; vgl. Baumann 1992, 178). In der Fachkommunikation lassen sich die kommunikativen Beziehungen zwischen den Beteiligten maßgeblich auf die im Fachtext akkumulierte Bedeutung zurückführen. Sie basiert dabei nicht nur auf den Ergebnissen des individuellen sondern auch des gesellschaftlichen Erkenntnisprozesses. Dies hat zur Folge, daß die Fachtextbedeutung einen Hinweis auf die strukturell-funktionale Qualität der Kommunikationsbeziehungen zum Ausdruck bringt. Auf textueller Grundlage werden in der Fachkommunikation die Sachverhalte der objektiven Realität von den Partnern auf dem historisch-konkreten Erkenntnisstand ausgetauscht. Folglich wird in der fachlichen Kommunikationsbeziehung ein bestimmter Teil des gesellschaftlichen Erkenntnisstandes thematisiert.

3.

Ansätze zur Beschreibung fachlicher Kommunikationsbeziehungen

Kommunikative Beziehungen nehmen unter den verschiedenen Bedingungen der gemeinsamen Tätigkeit, der sozialen Position der Partner, der Bedeutung der auszutauschenden Informationen und anderer bereits genannter Faktoren unterschiedliche Formen an. Von wesentlicher Bedeutung für die Organisation des fachbezogenen Informationsaustausches sind die relativ umfassenden und fest strukturierten Kommunikationsbeziehungen, die sich auf der Grundlage bestimmter Tätigkeiten von spezifischen Berufsgruppen sowie Institutionen und Organisationen

7. Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen

entwickelt haben. Diese kommunikativen Beziehungen zwischen den Angehörigen größerer fachlicher Tätigkeitsbereiche haben zur Ausbildung bestimmter Kommunikationssysteme und Kommunikationsbahnen (Dienstwege) geführt, durch die der Informationsaustausch über verschiedene Ebenen vermittelt wird. Auf diese Weise können sich innerhalb fachlicher Tätigkeitsbereiche z. B. pyramidenförmig verlaufende Kommunikationswege ausbilden, durch die Informationen von übergeordneten zu untergeordneten Vermittlungsebenen ⫺ und umgekehrt ⫺ weitergeleitet werden können. Außerdem kann die Übermittlung von Informationen auch zwischen gleichgeordneten kommunikativen Partnern erfolgen. Zahlreiche fachsprachlich orientierte Untersuchungsansätze haben in den letzten Jahren versucht, die Vielfalt fachlicher Kommunikationsbeziehungen zu systematisieren. Dabei wird deutlich, daß z. T. von recht unterschiedlichen Beschreibungskriterien ausgegangen wird. Die einzelnen Ansätze zur Beschreibung der Formenvielfalt fachlicher Kommunikationsbeziehungen lassen sich dabei folgendermaßen charakterisieren: (1) Beschreibung fachlicher Kommunikationsbeziehungen in einem bestimmten Kommunikationsereignis (Z. B. Beziehungen Richter ⫺ Kläger, Richter ⫺ Geschworene, Richter ⫺ Zeugen bei Gerichtsverhandlungen; Beziehung Hochschullehrer ⫺ Studenten, Student ⫺ Student in mündlicher Fachkommunikation (Vorlesung/Seminar) (Techtmeier 1984, 27⫺46; Crystal 1988, 387 u. a.).

(2) Analyse fachlicher Kommunikationsbeziehungen in bestimmten Institutionen (Z. B. Beziehungen Wissenschaftler ⫺ Ingenieure ⫺ Techniker ⫺ wissenschaftlich-technische Hilfskräfte; Marktanalytiker ⫺ Produktmanager; Abteilungsleiter ⫺ Meister ⫺ Facharbeiter ⫺ Hilfsarbeiter; Designer ⫺ Konstrukteure in Großbetrieben und Unternehmen; Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ⫺ Bürger (in Verwaltungsbehörden usw.) (Schönfeld/ Donath 1978, 15⫺22; Möhn/Pelka 1984, 37⫺38 u. a.).

(3) Betrachtung fachlicher Kommunikationsbeziehungen in verschiedenen organisatorischen Bereichen einer konkreten Institution/ Struktureinheit (Z. B. Differenzierung nach institutionellen Teilaufgaben z. B. Planung, Entwicklung, Fertigung, Information, Werbung, Vertrieb, Wartung, Reparatur, Ausbildung, Forschung, Einkauf, Verwaltung (vgl. Möhn/Pelka 1984, 72⫺128).

115 (4) Darstellung fachlicher Kommunikationsbeziehungen in fachinternen (Fachkollege ⫺ Fachkollege), fachexternen (Fachmann ⫺ Nichtfachmann) und interfachlichen (Fachmann des FachgebietesA ⫺ Fachmann des FachgebietesB ) Kommunikationssituationen (Möhn/Pelka 1984, 150⫺153) (5) Untersuchung fachlicher Kommunikationsbeziehungen in Abhängigkeit von der Funktion der kommunikativen Handlung (Z. B. Veranlassen von Handlungen durch den Vorgesetzten im Dienst, Auffordern zum Handeln, Danksagung, Bitten bei gleichgeordneten Partnern usw.; vgl. Michel 1986, 23 ff).

(6) Bestimmung fachlicher Kommunikationsbeziehungen von Partnern, die unterschiedliche Funktionsträger sind (Z. B. der Unternehmer und seine Kommunikationspartner im Betrieb, Arzt-Patient-Kommunikation; Beziehung Richter ⫺ Kläger; vgl. Ernst 1980, 10 ff; Schuldt 1992, 12⫺36; Oksaar 1988, 198).

(7) Spezifizierung fachlicher Kommunikationsbeziehungen als Bedingung einer vertikalen Schichtung von Fachsprachen (Vgl. die Differenzierungskriterien Abstraktionsstufe, Sprachform, Milieu, Kommunikationsträger bei Hoffmann 1984, 64⫺71). Hinter der Gliederung L. Hoffmanns steht die in technischen Bereichen häufig realisierte Hierarchie der Kommunikationspartner Wissenschaftler ⫺ Ingenieur ⫺ Techniker ⫺ Konsument.

(8) Mehrdimensionale Darstellung fachlicher Kommunikationsbeziehungen in Kommunikogrammen, welche die komplexen Zusammenhänge zwischen den beteiligten Handlungsträgern, der Richtung der Informationsübertragung, den Informationsressourcen, der Initiative des Informationsaustausches, den Codierungsschwellen, der Frequenz des Austausches über einen Zeitraum, den Kommunikationskanal und den institutionellen Rahmen der Kommunikation deutlich machen (von Hahn 1983, 144⫺160). Aus der Vielfalt der von den Untersuchungsansätzen aufgezeigten kommunikativen Beziehungen lassen sich zwei Grundmodelle fachlicher Kommunikationsbeziehungen ableiten. Zu diesen gehört das symmetrische bzw. das asymmetrische Strukturmuster kommunikativer Beziehungen. Bei symmetrischen fachlichen Kommunikationsbeziehungen sind alle Beteiligten in gleicher Weise am Informationsfluß beteiligt, d. h., jeder Kommunikationspartner kann mit jedem anderen

116

I. Allgemeine Aspekte von Fachkommunikation

in Kontakt treten. Alle Beteiligten sind in informationeller Beziehung völlig gleichgestellt. Bei asymmetrischen Kommunikationsbeziehungen bildet ein Partner das kommunikative Zentrum. Im Hinblick auf ihre Informiertheit sind die anderen Beteiligten von ihm abhängig. Während in asymmetrischen Kommunikationsbeziehungen die kommunikativen Aktivitäten unterschiedlich verteilt sind, zeichnen sich die symmetrischen Kommunikationsbeziehungen ⫺ aufgrund ihrer Reziprozität ⫺ durch eine Ausgewogenheit des Kommunikationsverlaufes aus.

4.

Literatur (in Auswahl)

Ammon 1991 ⫽ Ulrich Ammon: Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin. New York 1991. Balachanow 1991 ⫽ Alexander S. Balachanow: Die subjektive Verarbeitung der Information als zentrale Komponente des Informationsprozesses im Rahmen der schriftlichen Wirtschaftskommunikation. In: Konzepte zur Unternehmenskommunikation, Unternehmenskultur & Unternehmensidentität. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1991, 21⫺22. Baumann 1990 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Ein komplexes Herangehen an die Untersuchung von Normen in der Fachkommunikation. In: Empfehlung, Standard, Norm. Hrsg. v. Lothar Hoffmann. Leipzig 1990 (Linguistische Studien), 70⫺84. Baumann 1991 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Die Fachlichkeit von Kommunikation und ihre Bedeutung in der Entwicklung einer Unternehmensidentität. In: Konzepte zur Unternehmenskommunikation, Unternehmenskultur & Unternehmensidentität. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1991, 23⫺25. Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 18). Becker-Mrotzek 1992 ⫽ Michael Becker-Mrotzek: Diskursforschung und Kommunikation in Institutionen. Heidelberg 1992 (Studienbibliographien Sprachwissenschaft 4). Beneke/Nothnagel 1988 ⫽ Jürgen Beneke/Detlev Nothnagel: Reibungsfelder im Außenwirtschaftsverkehr: Bericht über ein Projekt der Forschungsstelle für interkulturelle Kommunikation. In: Sprache und Information in Wirtschaft und Gesellschaft. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1988, 269⫺280. Bensmann 1991 ⫽ Burkhard Bensmann: Identitätskonzepte in Unternehmen und „Verwaltungen“. Identifikationen via Kommunikation. In: Konzepte zur Unternehmenskommunikation, Unternehmenskultur & Unternehmensidentität. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1991, 25⫺27. Blom 1991 ⫽ Asger Blom: Ein Untersuchungsprojekt für internationale Verhandlungen. In: Kon-

zepte zur Unternehmenskommunikation, Unternehmenskultur & Unternehmensidentität. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1991, 32⫺35. Clyne 1993 ⫽ Michael Clyne: Pragmatik, Textstruktur und kulturelle Werte. Eine interkulturelle Perspektive. In: Fachtextpragmatik (Forum für Fachsprachen-Forschung 19). Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993, 3⫺18. Cortelazzo 1989 ⫽ Michele A. Cortelazzo: Wissenschaftssprache in der Schule. Beispiele aus dem italienischen Schulsystem. In: Wissenschaftssprache und Gesellschaft. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1989, 319⫺332. Crone 1989 ⫽ Frans Crone: Wissenstransfer und seine Kommunikationsformen in Universitätspressestellen und „Wissenschaftsläden“. In: Wissenschaftssprache und Gesellschaft. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1989, 233⫺242. Crystal 1988 ⫽ David Crystal: The Cambridge Encyclopedia of Language. London 1988. Dethloff 1993 ⫽ Uwe Dethloff: Interkulturalität und Europakompetenz. Die Herausforderung des Binnenmarktes und der Europäischen Union. Tübingen 1993. Diehl 1991 ⫽ Nina Diehl: Zur Gesprächsanalyse der deutsch-sowjetischen Geschäftskontakte. In: Konzepte zur Unternehmenskommunikation, Unternehmenskultur & Unternehmensidentität. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1991, 57⫺59. Ernst 1980 ⫽ Otto Ernst: Redepraxis für den Leiter. Berlin 1980. Fuchs-Khakhar 1987 ⫽ Christine Fuchs-Khakhar: Die Verwaltungssprache zwischen dem Anspruch auf Fachlichkeit und Verständlichkeit. Tübingen 1987. von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung, linguistische Konzepte, betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Halliday/Hasan 1990 ⫽ Michael A. K. Halliday/ Ruqaiya Hasan: Language, context, and text: aspects of language in a social-semiotic perspective. Oxford 1990. Hoffmann 1984 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. 2., überarbeitete Auflage. Berlin 1984 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Kalverkämper 1993 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Diachronie in der Fachsprachenforschung ⫺ Überlegungen zu Inhalt, Methoden und Zielen. In: FINLANCE. A Finnish Journal of Applied Linguistics XII. Jyväskylä 1993, 18⫺47. Koop/List/Wagner 1991 ⫽ Werner Koop/Pia List/ Johannes Wagner: Kommunikative Probleme zwischen Firmen aus Deutschland und Dänemark. In: Konzepte zur Unternehmenskommunikation, Unternehmenskultur & Unternehmensidentität. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1991, 97⫺98.

7. Formen fachlicher Kommunikationsbeziehungen Marks 1993 ⫽ Isaac Marks: Ängste. Verstehen und bewältigen. Berlin. Heidelberg. New York. London. Paris. Tokyo. Hong Kong. Barcelona. Budapest 1993. Michel 1986 ⫽ Georg Michel (Hrsg.): Sprachliche Kommunikation. Einführung und Übungen. Leipzig 1986. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Oksaar 1988 ⫽ Els Oksaar: Fachsprachliche Dimensionen. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 4). Röder 1991 ⫽ Ilsetraud Röder: Untersuchungen zur mündlichen akademischen Fachkommunikation. Köthen 1991. Schönfeld/Donath 1978 ⫽ Helmut Schönfeld/Joachim Donath: Sprache im sozialistischen Industriebetrieb. Berlin 1978. Schuldt 1992 ⫽ Janina Schuldt: Den Patienten informieren. Beipackzettel von Medikamenten. Tü-

117 bingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 15). Sieffert 1991 ⫽ Peter Sieffert: Stellung und Stellenwert des technischen Redakteurs im Unternehmen. In: Konzepte zur Unternehmenskommunikation, Unternehmenskultur & Unternehmensidentität. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1991, 145⫺148. Techtmeier 1984 ⫽ Bärbel Techtmeier: Das Gespräch. Funktionen, Normen und Strukturen. Berlin 1984 (Sprache und Gesellschaft 19). Wardhaugh 1990 ⫽ Ronald Wardhaugh: An Introduction to Sociolinguistics. Oxford 1990. Wide´n 1988 ⫽ Pertti Wide´n: Über textgestaltende Einflußfaktoren der interkulturellen Kommunikation und ihre Berücksichtigung als Möglichkeit zur besseren Verständigung in Wirtschaft und Gesellschaft. In: Sprache und Information in Wirtschaft und Gesellschaft. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1988, 288⫺294.

Klaus-Dieter Baumann, Leipzig

II. Auffassungen vom Status der Fachsprachen 8. Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Einleitung Begriffspluralismus Theoretische Konzepte der Fachsprachenforschung Ein Integrationsversuch Literatur (in Auswahl)

Einleitung

Die Vielfalt der Fachsprachen wird in der Forschung von zwei Seiten her angegangen: Zum einen werden Fachsprachen in ihrer konkreten Entwicklung und Ausprägung beschrieben. Zum anderen geht es auch darum, eine Theorie der Fachsprachen auszuarbeiten. Obwohl die Fachsprachenlinguistik ein relativ junger Forschungszweig ist, liegen doch schon zahlreiche Studien zu einzelnen Fachsprachen vor (s. dazu die Art. in Kap. XIV⫺XVIII). Bei der theoretischen Einordnung der Fachsprachen herrscht dagegen eine gewisse Orientierungslosigkeit. Häufig wird ein Theoriedefizit in der Fachsprachenforschung beklagt (vgl. Bungarten 1993 a, 21). Dabei liegt die Relevanz der theoretischen Fundierung fachsprachlicher Varietäten auf der Hand. Die naiv-vortheoretische Klassifikation von sprachlichen Äußerungen als fachsprachlich ist eine Tatsache. Es ist die Aufgabe der Linguistik, nicht nur ⫺ deskriptiv ⫺ die sprachlichen Merkmale einzelner Fachsprachen zu benennen, sondern darüber hinaus auch eine Erklärung für das naiv-vortheoretische Wissen um die Existenz einer ganzen Reihe von Varietäten (z. B. neben Fachsprachen auch Dialekte und Gruppensprachen) zu geben. Solche Erklärungen sollen gleichzeitig Modelle sein, die eine solide Basis für die Fachsprachenforschung liefern. Letzteres ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil sich die Forschung nicht in der Betrachtung einzelner Fachsprachen verlieren sollte. Der sinnvolle Ausgangspunkt für eine Theorie der Fachsprachen ist die Heterogenität der Einzelsprachen, die Existenz einer

Vielzahl von Varietäten, die nicht voneinander isoliert, sondern aufeinander bezogen sind. Von hier aus lassen sich Fachsprachen in der einzelsprachlichen Differenzierung unter drei Blickwinkeln beschreiben: (i) In welchem Verhältnis stehen die Fachsprachen zueinander (⫽ horizontal) und wie sind sie jeweils in sich differenziert (⫽ vertikal)? (ii) In welchem Verhältnis stehen die Fachsprachen zur Alltagssprache? (iii) Welchen Status haben Fachsprachen in einem Gesamtmodell der (deutschen) Sprache? Zu (i) gehören die zahlreichen Vorschläge zur horizontalen und vertikalen Schichtung der Fachsprachen (vgl. Fluck 1991; von Hahn 1983; Hoffmann 1985; Wichter 1994). Unter (ii) finden sich nicht nur vertikale Modelle, sondern auch dichotomische Gliederungen, während der Bezug auf ein Gesamtmodell der Sprache (iii), das nicht nur zur Abgrenzung einzelner Fachsprachen voneinander und dieser von der Alltagssprache dient, noch relativ selten ist (vgl. 3.). Zunächst soll der in der Fachsprachenforschung vorherrschende Begriffspluralismus skizziert werden (2.). Darauf sollen die heterogenen theoretischen Entwürfe der Fachsprachenforschung im Hinblick auf die drei oben genannten Aspekte dargestellt werden (3.). Der Integrationsversuch mit einem vierdimensionalen Gliederungsmodell (4.) orientiert sich am Vorschlag Hugo Stegers und wendet sein Modell auf die einzelsprachliche Differenzierung der Fachsprachen an (vgl. Steger 1986; 1988; 1986/1990; 1991).

2.

Begriffspluralismus

Begriffe wie Varietät, Subsprache, Stil, Register, Jargon und Lekt werden immer wieder im Zusammenhang mit Fachsprachen verwendet. Bei ihrer Bestimmung spielen nicht

8. Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung

nur innersprachliche Merkmale eine Rolle (Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik, Semantik), sondern auch außersprachliche Größen, wie z. B. der Kommunikationsgegenstand, die Kommunikationssituation, die soziale Schicht der Sprechenden oder der Kommunikationszweck (zum Begriff Varietät vgl. Art. 14, zu Subsprachen Art. 15, zu Stil Art. 16, zu Register Art. 17, zum älteren Begriff Sondersprache vgl. Möhn 1980). Varietät: Die Bezeichnung Varietät wird häufig unspezifisch (vortheoretisch) verwendet, um die Differenzierung einer Einzelsprache in verschiedene Ausprägungen (Gruppensprache, Fachsprache etc.) zu erfassen. Das Fehlen einer klaren begrifflichen Trennung wird auch durch die häufig synonyme Verwendung von Varietät und Variante (z. B. Möhn/Pelka 1984, 24 ff) angezeigt (vgl. Art. 14). Dem steht eine Operationalisierung des Begriffs gegenüber, die Variablen, Varianten und Varietäten unterscheidet (vgl. von Polenz 1991, 60 f). Varianten sind Realisierungsalternativen von Variablen. Varietät bezeichnet eine Menge von Varianten, die in bezug auf Variablen fixiert sind: „Sprachliche Ausdrucksalternativen haben ihren Status als Varianten nur im Bezugsrahmen bestimmter Variablen, d. h. einer abstrakten übergeordneten Einheit, die durch eine bestimmte Zahl von Varianten alternativ realisiert wird, z. B. verschiedene Lautvarianten (Phone, Aussprachen), als Realisierungsmöglichkeiten eines Phonems (Lautwerts), das hier die Variable darstellt. […] Im Rahmen größerer Systemzusammenhänge werden Mengen von Varianten aus vielen Variablen zu Varietäten (nach engl. varieties) zusammengefaßt […]“ (von Polenz 1991, 60).

Diese Begriffsbestimmung läßt noch die Menge und Art der Variablen offen, die nötig sind, um eine Varietät zu konstituieren. Wann handelt es sich noch um die Abwahl verschiedener „Satzbauvarianten zu einem Textsortenstil“ (von Polenz 1991, 61) und wann muß man von einem Systemunterschied ausgehen? Als Variablen können nicht nur inner-, sondern auch außersprachliche Merkmale dienen. Bezogen auf Fachsprachen läßt sich demnach der Varietätenbegriff eingrenzen: Es werden aus morphologischen und syntaktischen Variablen mit hoher Frequenz bestimmte Varianten ausgewählt (systematische Nutzung bestimmter Derivationssuffixe z. B. in der chemischen oder medizinischen Fachsprache (vgl. Art. 138 u.

119

141), Nominalstil, Deagentivierung, häufiges Passiv, komplexerer Satzbau in den meisten Fachsprachen). Außerdem werden durch das jeweilige Fach einerseits alltagssprachlich vorhandene Konzepte neu bestimmt und bezeichnet (Variantenabwahl in bezug auf eine bestehende Variable), andererseits auch in hohem Maße neue Variablen geschaffen. In Fachsprachen werden Weltausschnitte versprachlicht, die in der Alltagssprache so nicht ausgegrenzt erscheinen. Auch hier können sich Varianten der so entstandenen Variablen entwickeln. Zu denken ist etwa an die Bezeichnungsvielfalt chemischer Stoffnamen (vgl. Munsberg 1994, 307; Jakob 1996). Ein Denotat kann hier Ausdrucksvarianten in Nomenklaturen, in den verschiedenen Formeldarstellungen, im Chiffrenamen, in Trivial- und Semitrivialnamen haben. Dennoch bleibt auch bei Fachsprachen als Varietäten das Problem der Abgrenzung bestehen. Ab wann handelt es sich „nur“ noch um „fachliche Umgangssprache“ oder „Akademikerjargon“? Wie wird man den verschiedenen Graden der Fachlichkeit gerecht? Die Operationalisierung von Varietäten als Systemen über Variablen/Varianten-Mengen ist ein notwendiger Schritt über die naiv-vortheoretische Begriffsverwendung hinaus. Ohne eine genauere quantitative Festlegung dieser Mengen ist eine klare Abgrenzung etwa zu Stil nicht möglich (vgl. auch Berruto 1987; Nabrings 1981). Subsprache: In Subsprachenkonzepten werden Fachsprachen als Subsprachen begriffen (vgl. Art. 15; Kittredge/Lehrberger 1982; Hoffmann 1985, 47⫺71). Subsprachen werden über den Kommunikationsinhalt, also über den jeweiligen ⫺ im Falle der Fachsprachen den fachspezifischen ⫺ Weltausschnitt definiert. Der funktionale Aspekt ist, wenn er überhaupt berücksichtigt wird, dem thematischen nachgeordnet. Hoffmann geht davon aus, daß Subsprachen zwar relativ selbständig sind, ihre Besonderheit aber nicht in den sprachlichen Mitteln selbst liegt. Vielmehr wird bei der Verwendung der Subsprachen aus der übergeordneten Gesamtsprache abgewählt, die in die Nähe der langue rückt (vgl. 3.1, 3.3; Art. 12 u. 15). Stil: Die Bezeichnung Stil wird vor allem in der Funktionalstilistik im Zusammenhang mit Fachsprachen verwendet (Fachstile). Ver-

120 schiedene Stile sind durch je spezifische Funktionen gekennzeichnet (vgl. 3.2). Register: Der Registerbegriff (vgl. Art. 17; Spillner 1987; Hess-Lüttich 1974) ist primär über die Situation definiert. Bestimmte Situationstypen legen die Abwahl bestimmter Typen des Sprachgebrauchs fest. Gläser (1993) hat Herkunft und Definitionen von Register eingehend analysiert. Sie kommt zu dem Schluß, daß das Register-Konzept aufgrund der terminologischen Unklarheit für die Fachsprachentheorie ungeeignet ist. Lediglich in der Praxis des fachsprachlichen Unterrichts sei es von Nutzen (Gläser 1993, 588). Jargon: Die Bezeichnung Jargon findet sich im Zusammenhang mit Fachsprachen oft mit einer negativen Wertung verbunden. Auslöser sind die für Fachsprachen typischen Terminologien (vgl. Sager 1986). Jargon ist somit meist eine Fremdcharakterisierung durch Außenstehende. Zudem wird davon ausgegangen, daß ein Jargon nicht nur dazu dient, in einem abgegrenzten Fachgebiet die Kommunikation zu optimieren, sondern auch dazu, identitätsstiftend für die Sprechergruppe und ausgrenzend auf die Nichtmitglieder der Fachgemeinde zu wirken. Dieses für Gruppensprachen charakteristische Phänomen ist damit das zweite außersprachliche Definitionsmerkmal für Jargon. Somit können gruppensprachliche Phänomene innerhalb von Fachsprachen als Jargons bezeichnet werden, zur Definition des Konzeptes Fachsprache in seiner Gesamtheit ist Jargon aber ungeeignet (zu Jargon und Slang vgl. Draskau 1983; Domaschnev 1987; Nabrings 1981, 172 f). Lekt: Mit Lekt schließt sich der Kreis wieder hin zu Varietät. Lekt wird als Grundwort vielfältig gebraucht: Dialekt, Soziolekt, Regiolekt, Funktiolekt, Genderlekt, Idiolekt etc. Im Bestimmungwort steht in der Regel der jeweilige außersprachliche Faktor, der für die Variablenauswahl entscheidend ist. Lekt und Varietät können über Variablen/VariantenKombinationen definiert werden. Beide Begriffe werden oft synonym verwendet. Fazit: Der Überblick zeigt, daß für die Fachsprachentheorie insbesondere die Begriffe Varietät und Lekt tragfähig sind. Für die Beschreibung einer Fachsprache, verstanden als eine durch die kommunikativen Anforderungen

II. Der Status der Fachsprachen

des Fachbereichs bestimme Varietät, ergeben sich zwei Aufgaben: (i) Es muß die Variablen/ Varianten-Festlegung ermittelt werden (⫽ konkrete Beschreibung der Fachsprache); (ii) Die Varietät muß in Beziehung zu anderen Varietäten gesetzt werden, d. h. es muß ein Bezug zu einem umfassenden Sprachmodell versucht werden. Hierbei sind systembedingte Aspekte des Sprachgebrauchs, die dem Normkriterium der (Sprach-)Richtigkeit unterliegen, von Abwahlen spezifischer sprachlicher Muster innerhalb des Systems (hier z. B. gruppenbedingte Abwahl von Ausdrucksvarianten innerhalb einer Fachsprache), die dem Normkriterium der sprachlichen Angemessenheit unterliegen, zu unterscheiden (vgl. Steger 1980). Wie ein solches Modell aussehen könnte, soll unter 4. kurz skizziert werden (ausführlich Steger 1988).

3.

Theoretische Konzepte der Fachsprachenforschung

Im folgenden sollen Konzepte dargestellt werden, deren Ziel es ist, die Fachsprachen nicht nur empirisch zu erforschen, sondern auch zu einer theoretischen Bestimmung des Status der Fachsprachen ⫺ und somit auch zu einer Theorie der Fachsprachen (vgl. Bungarten 1993 a) ⫺ zu gelangen (vgl. Becker 1991). Ihr Einfluß auf die Theoriebildung und auf empirische Arbeiten in der Fachsprachenforschung ist sehr unterschiedlich und auch die Vorschläge selbst sind keineswegs einheitlich. Es können unterschieden werden: (i) hinsichtlich des sprachtheoretischen Status der Fachsprachen: einerseits Konzepte, die die Besonderheit der Fachsprachen als spezifische Abwahlen aus dem Gesamtsystem einer Sprache, Fachsprachen also als stilistische Variationen des Gesamtsystems auffassen, und andererseits Konzepte, die von der systematischen Qualität der sprachlichen Charakteristika der Fachsprachen ausgehen und den Fachsprachen einen eigenständigen Status im Sprachsystem einräumen, und (ii) hinsichtlich der Anzahl der berücksichtigten Dimensionen der Gliederung: (eindimensionale) Dichotomien und mehrdimensionale Gliederungsansätze, die verschiedene Dimensionen, z. B. die sprachräumliche, soziale, situative und zeitliche Dimension einbeziehen. Hier muß zusätzlich berücksichtigt werden, ob die auf den verschiedenen Dimensionen liegenden Varietäten als eigenständig verstanden und isoliert voneinander betrachtet wer-

8. Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung

den oder ob die verschiedenen Dimensionen aufeinander bezogen und zu Erscheinungsformen zusammengeführt werden, die als ein Schnittpunkt aller berücksichtigten Dimensionen verstanden werden (vgl. Steger 1986; 1986/1990; 1988; und auch Coserius Konzept der funktionellen Sprache, Coseriu 1973, 32 f; 1992, 285). 3.1. Fachsprachen und Gemeinsprache Als die „Frage der Fragen in der Fachsprachenforschung“ bezeichnet Hoffmann (1985, 48) „die nach dem Verhältnis der Fachsprachen zur (All-)Gemeinsprache“ (vgl. auch den ausführlichen Überblick in Art. 12). Die Gemeinsprache ist in zahlreichen Arbeiten die Bezugsbasis für die Charakterisierung und Definition von Fachsprache(n) (vgl. Seibicke 1959; Möhn 1968; Schmidt/Scherzberg 1968; Schmidt 1969; Drozd/Seibicke 1973; Klute 1975; Petöfi/Podlech/von Savigny 1975). Fachsprachen und Gemeinsprache werden dabei dichotomisch aufgefaßt, andere Varietäten bleiben bei den Definitions- und Abgrenzungsversuchen weitgehend unberücksichtigt. Ein Hauptproblem der Dichotomie ist die Vagheit der Kategorie Gemeinsprache, die meist unerläutert bleibt. Gemeinsprache wird (i) im Sinne eines statistischen Durchschnitts verstanden, über den alle Sprachteilhabenden verfügen, (ii) im Sinne einer virtuellen Gesamtsprache und (iii) zur Bezeichnung der überregionalen Standardsprache in Opposition zu Dialekten und Regionalsprachen. Ausdrucksseitige Uneinheitlichkeit kommt hinzu: Neben Gemeinsprache werden auch Muttersprache, Nationalsprache, Landessprache, Allgemeinsprache, Umgangssprache oder Standardsprache verwendet (vgl. Nabrings 1981, 154⫺157; Opitz 1982; Möhn/Pelka 1984, 140 f; Hoffmann 1985, 48⫺52; Gläser 1987, 191). Die Vagheit der Bezugskategorie in der Dichotomie Gemeinsprache vs. Fachsprache(n) führte zu Klärungsversuchen wie zu Kritik, sowohl an der Kategorie Gemeinsprache wie an der Dichotomie selbst. Eine Klärung des Konzepts Gemeinsprache strebt Hoffmann (1985) im Rahmen eines Subsprachenkonzeptes an. Er diskutiert zwei mögliche Konzeptionen von Gemeinsprache, die in der Forschung nicht klar voneinander getrennt worden waren (Hoffmann 1985, 50 f; vgl. auch 3.3). Gemeinsprache könne als eine Art Subsprache neben anderen Subsprachen aufgefaßt werden, zu denen auch die Fachsprachen zählen. Alle Subspra-

121

chen wären dann dem Oberbegriff Nationalsprache (Gesamtsprache) unterzuordnen, die als langue aufgefaßt werden könne (Hoffmann 1985, 51, Abb. 6). Er entscheidet sich aber für ein anderes Modell, in dem Gemeinsprache mit Gesamtsprache identifiziert wird, die, wie die Nationalsprache (Gesamtsprache) im ersten Modell, in die Nähe der langue rückt (zur Darstellung von Hoffmann vgl. Kalverkämper 1990, 106 f; Steger 1986, 288⫺290). Heftige Kritik an der Kategorie Gemeinsprache übt Hartmann (1980; vgl. 3.4.1). Er plädiert „für die Abschaffung des Ausdrucks ,Gemeinsprache‘ als Teil eines komplementären Begriffspaares zur Beschreibung sprachlicher Systeme“ (Hartmann 1980, 32), weil die Dichotomie vor allem alle anderen sprachlichen Varietäten außer acht lasse und auch zur Beschreibung des Verhältnisses von Fachund Alltagssprache inadäquat sei: „Die Zerlegung der Gesamtsprache in Fachsprachen und Gemeinsprache als komplementäre Begriffe ist auch deswegen verfehlt, weil sich damit die recht unterschiedliche Nähe bzw. Ferne einzelner Fachsprachen zur Gemeinsprache sowie die Benutzung gemeinsprachlicher Mittel durch Fachsprachen nicht erfassen läßt. Es werden bei diesem Ansatz zu scharfe Grenzen gezogen, die mit den empirischen Befunden eines oft fließenden Übergangs von Fach- zu Alltagssprachen nicht mehr in Übereinstimmung gebracht werden können.“ (Hartmann 1980, 32 f).

Auch Kalverkämper (1990) argumentiert gegen die Opposition Fachsprache⫺Gemeinsprache. Er schlägt vor, die Opposition durch die Integration der „Allerweltskategorie“ (Kalverkämper 1990, 105) Gemeinsprache in den Partnerbegriff Fachsprachlichkeit (Kalverkämper 1990, 112) aufzuheben, da Gemeinsprache als sprachliche Kategorie nicht faßbar, inhaltlich nicht zu präzisieren und in ihren Funktionen nicht zu erkennen sei, somit auch keine systematischen, analytischen, deskriptiven oder auch nur heuristischen Aufgaben erfüllen könne (Kalverkämper 1990, 106; vgl. auch die von Kalverkämper 1979; 1980 schon geäußerte Kritik an der Kategorie Gemeinsprache). Fachsprachlichkeit wird als tertium comparationis vorgeschlagen, alles Sprechen über die Welt sei fachlich und zwar auf einer gestuften Fachlichkeitsskala zwischen den Polen ,(extrem) merkmalreich‘ und ,(extrem) merkmalarm‘ anzusiedeln: „Streng fachliches Kommunizieren zwischen Fachleuten wäre somit äußerst merkmalreich, ein Gespräch von Hausfrau zu Hausfrau über die ange-

122 messene Waschmitteldosierung (…) merkmalarm.“ (Kalverkämper 1990, 112)

Dieser Vorschlag wird analog angeschlossen an die Empfehlung, die außersprachliche Laienschaft auf einer Skala der Fachlichkeit zu integrieren. Zur Begründung seines Plädoyers für die Aufhebung der kulturgeschichtlichen Gegensatzrelation Laienschaft⫺Fachlichkeit (Kalverkämper 1990, 89⫺99) und entsprechend für die Aufhebung der sprachlichen Gegensatzrelation Gemeinsprache⫺Fachsprache zieht Kalverkämper sachhistorische und kulturgeschichtlich-etymologische Argumente heran. Ihm ist zwar darin zuzustimmen, daß Laienschaft erst durch Fachlichkeit hervorgebracht wird (Kalverkämper 1990, 97), insofern sie erst durch die Professionalisierung und die Etablierung von Experten in einem Lebensausschnitt konstruiert wird. Die Auffassung, nach der Fachlichkeit und Expertentum als primäre, Laienschaft als sekundäre Kategorie verstanden wird, ist aber eine Umkehrung der Sichtweise, die, im Anschluß an die Sozialphänomenologie von Alfred Schütz (Schütz/Luckmann 1979/1984; Berger/Luckmann 1994), von der Alltagswelt als Ausgangs- und Bezugsgröße ausgeht. Danach bildet die unbeachtete und unbezweifelte Alltagswelt die Grundlage, auf der alle sekundären Welten aufbauen, wie die künstlerische Welt, die Welt einer wissenschaftlichen Disziplin, deren Regeln erst erlernt und übernommen werden müssen (vgl. Schwitalla 1976). Für diese primäre Funktion der Alltagswelt sprechen auch historische und anthropologische Erkenntnisse (vgl. dazu und zur Versprachlichung der Primärsphäre der Alltagswelt Steger 1991, zur Rezeption des Konzeptes von Kalverkämper vgl. Nowottnick/Schierholz 1989; und Art. 12). 3.2. Funktionalstilistik Die Funktionalstilistik trägt der Heterogenität einer Einzelsprache mit der Unterscheidung von verschiedenen Stilen Rechnung. Zentrales Klassifikationsprinzip sind die unterschiedlichen gesellschaftlichen Aufgaben, die eine Sprache zu erfüllen hat (Havra´nek 1969/1971, 29; Riesel 1975, 50). Diese Aufgaben werden deduktiv festgelegt und auf den außersprachlichen Bereich bezogen, indem verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeitssphären jeweils eine dominante sprachliche Funktion zugeordnet wird. Die funktionalsprachliche Betrachtung und die daraus ent-

II. Der Status der Fachsprachen

wickelte Funktionalstilistik gehen zurück auf den Prager Linguistenkreis, der Sprache als ein funktionales System auffaßt (The`ses du Cercle linguistique de Prague 1929, 7). In Analogie zum Organon-Modell werden verschiedenen Sprachformen bestimmte Funktionen zugeordnet, die aber, anders als Bühler für das Sprachzeichen annimmt, nicht gleichzeitig bestehen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Prager Funktionalismus in der Tschechoslowakei und der Sowjetunion wieder aufgegriffen und die Funktionalstilistik entwickelt, die im deutschsprachigen Raum vor allem in der ehemaligen DDR rezipiert wurde. Trotz der gemeinsamen theoretischen Basis und zahlreichen übereinstimmenden Fragestellungen bestehen wesentliche Unterschiede zwischen sowjetischer und tschechischer Funktionalstilistik, etwa hinsichtlich der Anzahl der unterschiedenen Funktionalstile, des sprachtheoretischen Status, der ihnen eingeräumt wird, des Verhältnisses von theoretischen zu empirischen Arbeiten und der Berücksichtigung der Fachsprachen (vgl. die Überblicksdarstellungen von Fleischer/ Michel 1979, 23⫺27, 237⫺267; Nabrings 1981, 186⫺196; und Art. 16). Die Unterscheidung von verschiedenen Stilen wird in Stilklassifikationen systematisiert. In der sowjetischen Forschung ist die Unterscheidung von fünf Stilen gängig (vgl. Riesel 1975, 50 f). In der tschechischen Funktionalstilistik ist die Unterscheidung von Havra´nek grundlegend, der von vier, später von drei Funktionen der Schriftsprache ausgeht, denen funktionale Sprachen entsprechen, die durch funktionale Stile gekennzeichnet sind (Havra´nek 1936/1964, 415; 1969/1971, 29). Feinere Differenzierungen werden in Subklassifikationen der verschiedenen Funktionalstile entwickelt (Drozd 1966; Benesˇ 1969; Schmidt 1969; Gläser 1979). An die Stilklassifikationen schließen sich Charakterisierungen der Stile (Stilzüge) an (Havra´nek 1932/1964, 14 f; 1936/1964, 415; 1969/1971, 29 f; Riesel 1963, 443⫺452; vgl. auch Hoffmann 1985, 41 f; Fleischer/Michel 1979, 253⫺267; vgl. hierzu auch die ausführliche Darstellung in Art. 16). Der Status der Funktionalstile ist umstritten. Sie werden von einigen Autorinnen und Autoren als Untersysteme der Sprache aufgefaßt. So geht Havra´nek bei der funktionalen Differenzierung von der Existenz von Untersystemen aus (Havra´nek 1936/1964, 415; 1967, 366; 1969/1971, 29; vgl. Hoffmann 1985, 40); Benesˇ (1969, 1971) und Barth

8. Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung

(1970) verstehen Funktionalstile als Untersysteme mit eigenständigem Status und auch in der russischen Funktionalstilistik herrscht seit der Stildiskussion Mitte der 50er Jahre die Auffassung von Stil als geschlossenem (Sub-)System sprachlicher Mittel vor (vgl. Hoffmann 1985, 41). Andere verstehen Funktionalstile als Abwahlen sprachlicher Mittel aus einem gemeinsamen zugrundeliegenden sprachlichen System, so etwa Riesel, die sich gegen die Auffassung in der russischen Funktionalstilistik wendet und Funktionalstile als „Realisationsweisen des Sprachsystems“ (Riesel 1975, 37) versteht. Der Versuch, die jeweiligen Positionen aufzuzeigen, wird dadurch erschwert, daß der Systembegriff nicht eindeutig verwendet wird (vgl. Art. 16; Barth 1970, 188 f; Bartha 1993, 553). Insbesondere der Einfluß, den der Funktionsgedanke auf die Fachsprachenforschung hat (vgl. von Hahn 1983, 70⫺72), und der Einfluß der Auffassung von Stil als funktionsspezifische Abwahlen aus dem Sprachsystem dürfen nicht zu gering veranschlagt werden. Auch wenn die Funktionalstilistik keine Antworten auf zentrale Fragen der Fachsprachenforschung (mehr) geben kann (vgl. Art. 16), hat sie sie stark beeinflußt (vgl. Hoffmann 1985, 34; Bartha 1993). 3.3. Subsprachenkonzepte In seiner Einführung ,Kommunikationsmittel Fachsprache‘ bestimmt Lothar Hoffmann Fachsprachen als Subsprachen (Hoffmann 1985, bes. 47⫺52). Das Kriterium zur Differenzierung verschiedener Subsprachen ist der jeweilige Kommunikationsgegenstand (vgl. Kittredge/Lehrberger 1982; Art. 12 und 15). Subsprachen werden bezogen auf die ihnen übergeordnete Gesamtsprache, die als Gesamtheit aller sprachlichen Mittel konzipiert ist, aus der die Subsprachen ihr Material beziehen (Hoffmann 1985, 50). Subsprachen sind jeweils ein relativ selbständiges Kommunikationsmittel, deren Besonderheit „aber nur in der Auswahl und Zusammenstellung der sprachlichen Mittel zu einem speziellen Zweck, nicht in den sprachlichen Mitteln selbst“ liegt (Hoffmann 1985, 50). Fachsprache ist demnach definiert als „die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten.“ (Hoffmann 1985, 53; zur Spezifik der Fachsprachen gegenüber anderen Subsprachen vgl. Art. 15).

123

3.4. Varietätenlinguistische Konzepte Ansätze, die den theoretischen Status der Fachsprachen mit Hilfe eines Gliederungsmodells der gesamten Sprache vornehmen, sind selten. Als Beispiele seien die Modelle von Hartmann (1980) und Gläser (1987) angeführt; zu Steger (1988) vgl. 4. (vgl. auch Braun 1993, 7⫺16). 3.4.1. Hartmann (1980) Der Vorschlag von Hartmann ist verbunden mit einer scharfen Kritik am „sprachtheoretische[n] Defizit“, an der „sprachtheoretische[n] Naivität“ (Hartmann 1980, 31 f) der Fachsprachenforschung. Mit seiner Kritik richtet er sich gegen die Annahme eines homogenen Sprachsystems und besonders gegen das komplementär verstandene Begriffspaar Fachsprache⫺Gemeinsprache (vgl. 3.1). Er plädiert für die Abschaffung der Kategorie Gemeinsprache und fügt die Fachsprachen in ein Gliederungsschema ein (Hartmann 1980, 34). Das Schema wird verstanden als „System von Varietäten, als System von Systemen“ (Hartmann 1980, 34), die zusammen eine inhomogene Einzelsprache ergeben. Auf einer ersten Ebene unterscheidet er „aus rein praktischen Gründen“ (Hartmann 1980, 34) schriftliche und mündliche Varietäten, was so verstanden werden kann, daß gesprochener und geschriebener Sprache kein eigenständiger Status eingeräumt wird. Dementsprechend dürften sie nicht als Varietäten in der Gliederung erscheinen (zum Status von gesprochener und geschriebener Sprache vgl. auch Steger 1987; 1988; und die entsprechenden Beiträge im Handbuch „Schrift und Schriftlichkeit“, HSK 10, vor allem Koch/Oesterreicher 1994). Auf einer zweiten Ebene werden soziale und situationsspezifische, bei den mündlichen Varietäten zusätzlich regionale Varietäten abgegrenzt; situationsspezifische Varietäten werden außerdem in fachund alltagssprachliche Varietäten gegliedert. Es bleibt allerdings unklar, nach welchen linguistischen Kriterien unterschieden wird. Auch fehlen Ausführungen über die Verbindung der unterschiedlichen Varietäten zu Erscheinungsformen. Im Unterschied zu den kritisierten dichotomischen Gliederungen aber hat Hartmann einen wesentlich differenzierteren Ansatz vorgelegt, mit dem er der von ihm geforderten Einordnung der Diskussion um Fachsprachen und Gemeinsprache in die gesamte Varietätendiskussion einen Schritt näher kommt. Der Vorschlag Hartmanns hätte innerhalb der Fachsprachenfor-

124 schung klärend sein können. Durch die Ersetzung der Bezeichnung Gemeinsprache durch Alltagssprache und insbesondere durch die Rückbindung an die Varietätendiskussion wäre eine weitergehende begriffliche Klärung möglich geworden. Der Vorschlag konnte sich allerdings nicht durchsetzen (vgl. Fluck 1991, 197), 3.4.2. Gläser (1987) Auch Gläser ordnet Fachsprachen in ein Varietätenkonzept der Gesamtsprache ein. Sie versteht Gesamtsprache wie Hoffmann (1985) als „hypothetische Setzung“, als „Abstraktion aus allen Varianten bzw. Varietäten der Sprache“, die somit über allen Varietäten steht (Gläser 1987, 191). Die Varietäten werden auf der ersten Ebene in die Existenzformen und in gruppenbezogenen Sprachgebrauch getrennt. Dieser zerfällt wiederum in nicht-fachbezogenen und in fachbezogenen Sprachgebrauch (vgl. die graphische Darstellung des Modells Gläser 1987, 192). Im Gegensatz zu Hartmann (1980, vgl. 3.4.1) wird der Tatsache Rechnung getragen, daß Fachsprachen „gleichberechtigt neben“ den Existenzformen Hochsprache, Umgangssprache und Dialekt existieren, „ohne allerdings völlig von ihnen isoliert zu sein“ (Gläser 1987, 191). Letzteres verdeutlicht Gläser in der Graphik durch Verbindungspfeile zwischen den Existenzformen und dem fachbezogenen gruppenbezogenen Sprachgebrauch. Enge Wechselbeziehungen werden dabei zwischen Fachsprache und Hochsprache bzw. Umgangssprache angenommen. Aus ihnen „bezieht die Fachsprache das Material, das sie für spezifische kommunikative Zwecke auswählt und gegebenenfalls diesen Zwecken anpaßt.“ (Gläser 1987, 192) Es ist daher zu vermuten, daß Gläser von Erscheinungsformen (im Sinne von Steger 1986; 1986/1990; 1988) ausgeht, die durch die Verbindung verschiedener Unterscheidungsebenen bestimmt werden. Trotz der klaren Trennung zwischen fachbezogenem und nicht-fachbezogenem gruppenbezogenem Sprachgebrauch (vgl. Gläser 1987, 194 f), werden auch gewisse Nähen der Fachsprachen zu Sondersprachen und Soziolekten aufgezeigt. So wird eingeräumt, daß „die fachinterne Kommunikation im Bereich der Wissenschaft […] soziolektale Züge tragen kann“ (Gläser 1987, 194). Die so in ein Varietätenkonzept eingeordneten Fachsprachen werden folgendermaßen gekennzeichnet: Fachsprache bezeichnet „den fachspezifischen Sprachgebrauch, der sich ⫺ trotz

II. Der Status der Fachsprachen

der Existenz von Fachwortschatz ⫺ auf der Grundlage der sprachlichen Mittel vollzieht, die potentiell allen Angehörigen einer Sprachgemeinschaft zur Verfügung stehen.“ Sie haben eine „nur relative Eigenständigkeit“ (Gläser 1987, 190). „Fachsprachen sind primär das Kommunikationsmittel von Menschen, die in einem bestimmten gesellschaftlichen Kommunikationsbereich tätig sind.“ (Gläser 1987, 191). Sie bilden kein homogenes Subsystem der Gesamtsprache, sondern weisen eine Binnendifferenzierung auf (Gläser 1987, 192).

4.

Ein Integrationsversuch

4.1. Bestimmungsgrößen sprachlicher Variation Das Konzept der Varietät ist ein geeigneter Ausgangspunkt für die Konstruktion eines theoretischen Modells einer Gesamtsprache. Vor der Frage, in welchen konkreten sprachlichen Variablen/Varianten-Kombinationen sich einzelne Varietäten unterscheiden, steht eine andere, grundsätzlichere. Es geht um die außersprachlichen Bestimmungsgrößen, die erst zur sprachlichen Variation führen, um Variablen wie soziale Schicht, Situation, Raum o. ä. In der Varietätenlinguistik haben sich ⫺ in unterschiedlichen Bezeichnungen und Gewichtungen ⫺ vier Dimensionen durchgesetzt, die als außersprachliche Determinanten der sprachlichen Variation gelten können (vgl. Flydal 1952; Coseriu 1973; 1992; Klein 1994; Nabrings 1981; Steger 1988; Art. 14). (i) die kommunikative Reichweite (diatopische Dimension) (ii) die soziale Gruppe der Sprechenden (diastratische Dimension) (iii) die kommunikative Funktion (diasituative Dimension) (iv) der historische Zeitpunkt (diachronische Dimension) Mit der kommunikativen Reichweite ist der Geltungsbereich einzelner Varietäten in Kommunikationsräumen gemeint. So steigt etwa die kommunikative Reichweite von der Ortsmundart über die Regionalsprache bis hin zur Standardsprache an. Die Dimension der kommunikativen Reichweite wirkt sich primär in den Ausdruckssystemen (Laute, Formen, Bezeichnungen) der Sprache aus und macht keine Aussagen über die Gruppenoder Schichtzugehörigkeit der Sprechenden.

125

8. Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung

Die Gruppenzugehörigkeit als Bestimmungsgröße sprachlicher Variation ist das Kennzeichen der zweiten Dimension. Hiervon sind Ausdrucks- und Inhaltssysteme gleichermaßen betroffen (vgl. dagegen Steger 1988, der Raum und soziale Gruppe zu einer Dimension zusammenfaßt, die ausdrucksseitig gekennzeichnet ist). Die Dimension der ,kommunikativen Funktion‘ oder der funktionalzweckhaften Leistung (Steger 1988) bezieht sich auf den versprachlichten Weltausschnitt und die mit diesem verbundenen Kommunikationssituationen und -zwecke. Diese Dimension, oft auch als diasituative Dimension bezeichnet, wirkt sich in erster Linie auf die Differenzierung der inhaltlichen Systeme einer Sprache (Semantiken, konzeptuelle Seite sprachlicher Zeichen) aus. Fragen des geographischen Geltungsbereichs sowie der gruppenbildenden und -markierenden Funktion der betreffenden Varietät treten dagegen zurück. Die vierte Dimension ist die historische. Sie trägt dem Phänomen des Sprachwandels Rechnung und zielt als Bestimmungsgröße auf die verschiedenen historischen Sprachvarietäten (z. B. Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch, Frühneuhochdeutsch, Neuhochdeutsch) ab. Ähnlich wie bei der diastratischen Dimension sind auch hier sowohl Ausdrucks- als auch Inhaltssysteme der Sprache gleichermaßen betroffen. Die Beziehung zwischen außersprachlicher Dimension und konkreter sprachlicher Realisierung ist zweiseitig. Einerseits führen etwa Gruppeneffekte (diastratische Dimension) zur Setzung bestimmter Varianten in Variablen: z. B. Penne statt Schule in der

(historischen) Schülersprache. Andererseits kann am sprachlichen Material wiederum die Markierung durch die vier Dimensionen abgelesen bzw. rekonstruiert werden. D. h., der Verwendungszusammenhang konkreter Texte sowie das Wissen um andere Varietäten sind die Grundlage für die Zuordnung der sprachlichen Variablen zu den gruppalen, geographischen, funktionalen oder historischen Bestimmungsgrößen. Jede sprachliche Varietät muß in Beziehung zu allen vier Dimensionen gesetzt werden. Selbstverständlich lassen sich nur prototypische Varietäten auf vorwiegend eine der vier Dimensionen beziehen, die konkrete Sprachpraxis ist komplexer (z. B. regional bedingte Dialektmerkmale in Fachsprachen). Varietäten sind somit im vierdimensionalen Raum verortet (als Erscheinungsformen der Sprache, vgl. 3.); d. h. die Bedeutung der jeweiligen Dimension für die entsprechende Varietät, die Nähe zu einem der vier Pole, entscheidet über die Spezifik der Variablenauswahl. So sind Dialekte primär über die kommunikative Reichweite bestimmt, weshalb hier Besonderheiten vor allem in den Ausdruckssystemen (vgl. die Laut-, Formenund wortgeographischen Karten in Dialektatlanten) zu erwarten sind. Fachsprachen sind Varietäten, die spezifische kommunikative Funktionen und damit zusammenhängend spezifische semantische Systeme auszeichnen (vgl. Abb. 8.1). Daher sind hier Systemunterschiede insbesondere auf der konzeptuellen Ebene der Lexik (Terminologie, Semantik) zu erwarten; die Morphologie (z. B. im Zusammenhang mit Nomenklaturen, vgl. Jakob 1996) und die

Variationsdimension

Sprachvariation

Varietät

Kommunikative Reichweite

v. a. Ausdruckssysteme (Phonologie, Lexik, z. T. Morphologie)

Dialekte, nationale Varietäten, Sprachinseln

Soziale Gruppe

Ausdrucks- und Inhaltssysteme

Gruppensprachen: z. B. Jugendsprache

Kommunikative Funktion

v. a. Inhaltssysteme (getrennte Semantiken: Alltag, Technik, Institutionen, Wissenschaften, Literatur, Religionen/Ideologien)

Fachsprachen: z. B. FS der Elektrotechnik

Historischer Zeitpunkt

Ausdrucks- und Inhaltssysteme im geschichtlichen Wandel, Entstehen der kommunikativen Bezugsbereiche

z. B. Althochdeutsch

Abb. 8.1: Vier-Dimensionen-Modell und Sprachvarietäten

126 Syntax zeichnen sich dagegen nicht durch eigene fachsprachenspezifische Systeme aus. Steger (1988) hat auf diesen vier Dimensionen aufbauend ein Gliederungsmodell des Deutschen entwickelt, das auch für die Fachsprachentheorie genutzt werden kann (vgl. die Übersicht in Steger 1988, 311). Ausgangspunkt ist dabei eine meist vernachlässigte oder anders bestimmte Varietät, die Alltagssprache. Gerade bei ihrer Bestimmung ist die Trennung der Dimensionen vorteilhaft. Während Bezeichnungen wie Umgangssprache, Gemeinsprache, Alltagssprache, Normalsprache, natürliche Sprache, Standardsprache etc. oft synonym verwendet werden, kann der Bezug auf die vier Dimensionen eine Klärung bringen (vgl. Steger 1991). Alltagssprache ist als lebenspraktische Sprache durch die Dimension der kommunikativen Funktion bestimmt. Sie ist die Varietät, deren Einsatzbereich und versprachlichter Weltausschnitt der Alltag ist. Charakteristisch sind daher nicht Abweichungen im Ausdruckssystem, sondern die alltagsweltliche Semantik. Unter Standardsprache ist dagegen das Ausdruckssystem zu verstehen, dessen kommunikative Reichweite maximal ist, im Unterschied zur Regionalsprache oder der Ortsmundart (vgl. Steger 1988). Erst die klare definitorische Trennung von Alltagssprache (grundlegendes semantisches System) und Standardsprache (höchstreichweitiges Ausdruckssystem) klärt die Begriffsverwirrung auf. Das oft beklagte Theoriedefizit in der Fachsprachenforschung ist nicht allein in der Heterogenität der Fachsprachen begründet. Die Orientierungslosigkeit hängt auch mit dem oft unklaren, unterbestimmten Begriff der Gemeinsprache zusammen (vgl. 3.1. und Art. 12). Eine Möglichkeit, Gemeinsprache zu bestimmen, besteht darin, sie als die Verbindung eines hochreichweitigen Ausdruckssystems mit der Alltagssemantik zu verstehen. In dieser Bestimmung sollte der Terminus beibehalten werden. Trennschärfer ist die Aufteilung in Standardsprache und Alltagssprache, werden doch hier beide Kriterien separat behandelt. Erst in dieser weiteren Aufteilung kann Fachsprache klar abgegrenzt werden. Sie unterscheidet sich in erster Linie durch die fachspezifische Semantik von der Alltagssprache. Der Begriff von Fachsprache kann nur so präzise gefaßt sein, wie es derjenige der Alltagssprache ist. Der kommunikative Bezugsbereich des Alltags ist der Ausgangspunkt und die Bezugsgröße für alle anderen Bezugsbereiche. Der Alltag mit seinen kommunika-

II. Der Status der Fachsprachen

tiven Anforderungen und mit seinen überlebensnotwendigen Grundbegriffen (Essen, Trinken, Wohnen, Schlafen etc.) ist der historisch älteste und stabilste Bezugsbereich. Für die Gegenwart lassen sich noch mindestens fünf weitere Bezugsbereiche ausmachen: (i) Institutionen, (ii) Technik, (iii) Wissenschaft/ Theorie, (iv) Literatur, (v) Religionen/Ideologien. Für die Fachsprachentheorie sind hier die Bereiche i⫺iii relevant. Erst der Blick auf die kommunikativen Bezugsbereiche (als synchron gültiges Ergebnis der diasituativen Dimension) in ihrer Gesamtheit ermöglicht eine sinnvolle Fassung des Begriffs Fachsprache. 4.2. Kommunikative Bezugsbereiche In einer stark arbeitsteiligen, komplex organisierten Gesellschaft bilden sich unterschiedliche kommunikative Bezugswelten aus, die spezifische kommunikative Funktionen erfüllen und die getrennte semantische Systeme aufweisen. Für den Bereich Alltag gelten die von Steger (1991) herausgestellten Kriterien. Besonders wichtig ist die Tatsache, daß jedes Mitglied einer Kommunikationsgemeinschaft über die Alltagssemantik verfügen muß. Die Aneignung und Verwendung der Alltagssemantik mit ihren grundlegenden Begriffen ist unhintergehbar. Im Gegensatz dazu muß man sich die Semantiken anderer kommunikativer Bezugsbereiche nicht vollständig aneignen. Man kann ohne die Kenntnis von Literatur-, Religions-, Wissenschafts- und auch von Technik- und Institutionensemantiken auskommen. Lediglich das, was aus diesen Bereichen, gewöhnlich stark transformiert, in den Alltag hineinreicht, was diesen maßgeblich beeinflußt und verändert, muß in die Alltagssemantik übernommen werden. Eine enge Verbindung besteht so gerade zwischen dem Alltag und den Bereichen Technik und Institutionen (vgl. Art. 10). Technische und auch institutionelle Fachsprachen stehen somit zwischen der Alltagssprache einerseits und den theoretischen, den wissenschaftlichen Fachsprachen andererseits. Es muß für diese beiden Bereiche ein Basiswissen im Alltag vorhanden sein. Allerdings weist dieses Wissen auch die für den Alltag typischen Randunschärfen, die Fokussierung auf alltagsrelevante Sachverhalte und die wesentlich geringere Vernetzung in Begriffshierarchien auf, so daß ein deutlicher Unterschied zwischen Fachkonzepten und ihren „Übersetzungen“ im Alltag besteht. Ein wichtiges Charakteristikum der Alltagssprache ist dar-

127

8. Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung

Fachsprachenrelevante kommunikative Bezugsbereiche Bezugsbereich Semantik Varietätengruppe Varietäten

Technik B techniksprachliches System B Techniksprache B Fachsprache der Elektrotechnik, Kfz-Technik, Handwerke, des Bergbaus, …

Institutionen B institutionensprachliches System B Institutionensprache B Fachsprache der Verwaltung, Rechtssprechung, Wirtschaftsinstitutionen, …

Wissenschaften B wissenschaftssprachliches System B Wissenschaftssprache B Fachsprache der Mathematik, Chemie, Physik, Biologie, Philosophie, Linguistik, …

Abb. 8.2: Fachsprachen in den kommunikativen Bezugsbereichen

über hinaus die Art der Normierung der Konzepte. Diese gelten in ihrer prototypischen Randunschärfe aufgrund konventioneller Normen. Es handelt sich hier nicht um gesetzte Normen (etwa durch Normierungsausschüsse wie bei manchen Fachsprachen), sondern um Übereinkünfte in der Sprachgemeinschaft, die sich eher mit Ansätzen wie bei Keller (1994, Phänomen der ,unsichtbaren Hand‘) erklären lassen (vgl. auch Steger 1980). Die kommunikativen Bezugsbereiche ,Technik‘ und ,Institutionen‘ umfassen jeweils eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Fachsprachen (vgl. Abb. 8.2). Beide sind stärker an die Lebenswelt des Alltags rückgebunden als der kommunikative Bezugsbereich der ,Wissenschaften‘. Die zunehmende Technisierung und institutionelle Durchdringung des Alltags (Banken, Behörden und andere Dienstleister mit Textsorten wie Kaufvertrag, Mietvertrag, Steuererklärung, verschiedene Formulare etc.) weisen auf diese enge Verflechtung hin. Der wesentliche Unterschied zwischen der institutionellen und der theoretisch-wissenschaftlichen Semantik besteht darin, daß bei jener Fragen der Verfahrenssicherheit und Praktikabilität im Vordergrund stehen, während diese eine maximale theoretisch-reflexive Durchdringung leisten soll. Nicht die Diskussion um Konzepte und deren Definitionen im Rahmen von Theorien, sondern die praktische Handhabbarkeit, die Verfahrensregelung ist für die institutionelle Semantik und die mit ihr verknüpften fachsprachlichen Varietäten zentral. Es liegt auf der Hand, daß oft aus dem Theoriebereich Begriffe für die Institu-

tionen zur Verfügung gestellt werden. Aber ähnlich stark wie die Veränderung von institutioneller zu alltäglicher Semantik ist die vom Theoriebereich zu den Institutionen. Prototypische Institutionenfachsprachen sind vor allem die Verwaltungssprache, die Rechtssprache, die Wirtschaftssprache, die alle auch Pendants im Theoriebereich haben (vgl. Steger 1989). Dort ist die Anzahl der Einzelfachsprachen noch wesentlich größer. Für den Bereich der Technik sind die Fachsprachen der KFZ-Technik, der Elektrotechnik oder der Handwerke als prototypische Beispiele zu nennen. Die Spezifik der technischen Semantik ergibt sich aus den Objekten und den technischen Verfahren, die Gegenstand dieser Fachsprachen sind. Das Moment der theoretischen Reflexion ist hier sehr stark an die konkreten Technikobjekte rückgebunden, ebenso tritt der Aspekt der Verfahrensregelung zugunsten der Beschreibung des Gegenstandsbereichs zurück (vgl. auch Art. 10). 4.3. Horizontale und vertikale Gliederungen Die kommunikativen Bezugsbereiche können nur eine Grobgliederung für die Vielfalt der fachsprachlichen Varietäten vorgeben. Institutionen, Technik und Wissenschaften umfassen jeweils viele verschiedene Fachsprachen. Zu dieser Grobgliederung muß eine Feingliederung hinzukommen. Zur Definition der kommunikativen Bezugswelten diente die Dimension der kommunikativen Funktion. Sie sollte auch zur weiteren Gliederung der Fachsprachen verwendet werden. Hier bestehen Parallelen zu den meisten Fachsprachenmodellen. In der Regel wird der jeweilige Fach-

128 bereich als Bezugspunkt zur Definition der Fachvarietät verwendet. Die Fachsprachen der Physik, Mathematik, Biologie, Chemie, Philosophie, Wirtschaftswissenschaften usw. unterscheiden sich in erster Linie durch den versprachlichten Weltausschnitt, weniger in den semantischen Prinzipien, gehören sie doch alle dem Kommunikationsbereich Wissenschaften an. Inwieweit diese horizontale Gliederung im einzelnen noch weiter verfeinert werden kann (z. B. anorganische vs. organische Chemie), ist keine Frage der Theorie, sondern der Praxis. So ist etwa eine weitere Aufteilung der Fachsprachen der Wirtschaftswissenschaften denkbar (vgl. Art. 143; Hundt 1995), aber noch nicht genügend empirisch erhärtet (zur horizontalen Gliederung vgl. von Hahn 1983; Möhn/Pelka 1984; Hoffmann 1985; Fluck 1991). Eine andere Frage wird durch die vertikale Fachsprachengliederung aufgeworfen. Es handelt sich um das Phänomen verschiedener Fachlichkeitsgrade innerhalb einer einzelnen Fachsprache (vgl. Wichter 1994). Ein Teil dieses Problems ist über den Stilbegriff zu lösen. In einer Fachvarietät sind verschiedene Stile möglich, d. h., bei gleichem Weltausschnitt und semantischen Prinzipien sind unterschiedliche sprachliche Mittel einsetzbar. Dies gilt etwa für den Stilunterschied in formellen und informellen Situationen. Wenn die in einer vertikalen Fachsprachengliederung auftretenden Bezeichnungen auf die verschiedenen Fachlichkeitsgrade der interoder intrafachlichen Kommunikation abzielen, kann man ebenfalls von Stilen derselben Varietät sprechen, da zumindest der Kommunikationsbereich und die ihn auszeichnenden semantischen Prinzipien konstant bleiben. Ist der Stilwechsel jedoch nicht nur ausdrucksseitig, sondern betrifft er auch z. B. die Vereinfachung der Inhalte, so kann nicht mehr ohne weiteres vom Stil einer Varietät gesprochen werden. Gerade die als Werkstättensprache (Mackensen) oder als Verkäufersprache (Ischreyt) bezeichneten Varietäten sind durch solche semantischen Veränderungen ausgezeichnet. Betrachtet man Fachvarietäten als Kontinua, dann sind diese Ausprägungen mindestens am anderen Ende des Spektrums. Wenn sie nicht der Verständigung zwischen Experten (intrafachlich oder auch interfachlich), sondern der fachexternen Kommunikation dienen, dann kann man sie als spezifische Vermittlungsvarietäten ansehen. Sie vermitteln zwischen den Bereichen Institutionen, Technik, Theorie/Wissenschaften einerseits

II. Der Status der Fachsprachen

und dem Alltag andererseits. Beispiele hierfür sind die Arzt-Patienten-Kommunikation, die Kommunikation zwischen Bürgern und Behörden sowie populärwissenschaftliche Schriften. Ob auch andere Vermittlungsprozesse, wie z. B. die zwischen den Wissenschaften und den Institutionen, eigene Varietäten ausbilden, wie es die Theorie nahelegt, ist noch unklar (vgl. Becker 1991; zur vertikalen Fachsprachengliederung vgl. auch Fluck 1991; Wichter 1994). 4.4. Fachsprache und Gruppensprache Eine weitere Frage, die im Rahmen des VierDimensionen-Modells beantwortet werden kann, ist die nach dem Verhältnis von Fachund Gruppensprachen (vgl. bes. Art. 11 und 13). Ein wesentliches Charakteristikum von Gruppensprachen ist ihre identitätsstiftende Funktion. Die Sprecher einer Gruppe bedienen sich bestimmter sprachlicher Mittel nicht nur, um einen für sie relevanten Weltausschnitt optimal zu versprachlichen, sondern primär um über die Sprachverwendung die Gruppenzugehörigkeit anzuzeigen. Gruppengefühl und Gruppenzugehörigkeit sind somit wesentlich durch die Abgrenzung und Ausgrenzung von Nichtzugehörigen und nichtgruppensprachlichen Elementen (z. B. der Alltagssprache) gekennzeichnet. Die häufig erfolgende Fremdcharakterisierung einer Varietät als Gruppensprache, d. h. Nichtmitglieder markieren eine Varietät „von außen“ als Gruppensprache, ist demgegenüber sekundär. Typische Gruppenvarietäten (Soziolekte) sind die Jugendsprachen, das Rotwelsch oder auch die Sportsprache der Mountain-Biker (vgl. Fliegel 1990; zur Sportsprache insgesamt auch Steger 1986 a). Fach- und Gruppensprachen korrelieren ganz offenkundig darin, daß sie von bestimmten Gruppen gesprochen werden (zu Fachsprache als Sprache einer Expertengruppe vgl. Art. 13, Punkt 5.; und Art. 11). Aber nur dann empfiehlt es sich, von einer Fachsprache als Gruppensprache zu sprechen, wenn sie primär zur Gruppenbildung eingesetzt wird, wenn sie vorrangig identitätsstiftend wirkt und weniger dazu verwendet wird, um Sachverhalte, die es z. B. im Alltag nicht gibt, semantisch präzise zu fassen. Diese Verlagerung innerhalb der Dimension der kommunikativen Funktion ist die Voraussetzung für den Wandel von einer Fach- zu einer Gruppensprache. Hier sind auch die Pseudofachsprachen einzuordnen, wie etwa die des Fahrradfreizeitsports. Es handelt sich hier keineswegs um

8. Die Fachsprache in der einzelsprachlichen Differenzierung

eine technische Fachsprache. Gerade das Austauschen von Alltags- und Fachbezeichnungen gegen „modische“ Gruppensymbole ist dafür ein Indiz (z. B. Brake-Booster statt Bremsverstärker, Single-trail, Single-track statt Trampelpfad). Mit der veränderten Bezeichnung geht hier keine semantische Spezifizierung einher, es handelt sich entweder nicht um rein fachspezifische Sachverhalte (Trampelpfad), oder die Technikfachsprache stellt für diese bereits andere Ausdrücke zur Verfügung (Brems(kraft)verstärker). Der Ausdruckswechsel ist damit in der Gruppenfunktion begründet. Gruppensprachen nehmen somit im Vier-Dimensionen-Modell eine Sonderstellung ein. Bei Fachsprachen ist die kommunikative Funktion (Austausch/Information über Sachverhalte des Fachbereichs) zentral. Diese legt auch fest, wie sich die Differenzierungen und Abweichungen im Ausdruckssystem und in der Syntax gestalten. Bei Gruppensprachen steht die diastratische Funktion (soziale Gruppe) im Vordergrund. Davon abgeleitet ergeben sich semantische (z. B. im Rahmen einer Fachsprache) und vor allem ausdrucksseitige Besonderheiten (Varianz der Wortwahl bei gleichem Konzept). 4.5. Fachsprachliche Textsorten Die Dimension der kommunikativen Reichweite führt zu unterschiedlichen Ausdruckssystemen (Dialekt, Regionalsprache, Standardsprache), die Dimension der kommunikativen Funktion zu verschiedenen semantischen Systemen, von denen für die Fachsprachen die der institutionellen, der technischen und der wissenschaftlichen Kommunikation relevant sind. Die Dimension des historischen Zeitpunkts erfaßt Ausdrucks- und Inhaltssysteme im geschichtlichen Wandel. In der Dimension der sozialen Gruppe schließlich sind beide Systemebenen auf synchroner Ebene betroffen. Im Gegensatz zu den Ausdrucks- und Inhaltssystemen ist im Bereich der Syntax nicht von Systemunterschieden auszugehen. Es handelt sich um eine virtuelle Gesamtgrammatik, aus der je nach Fachsprache bestimmte Phänomene mit größerer oder geringerer Frequenz abgewählt werden (Nominalstil, Passivhäufigkeit etc.). Hier kann man allenfalls von fachsprachenspezifischen typischen Häufigkeiten ausgehen. Textsorten sind Verbindungen aus beiden Komponenten: Ausdrucks-/Inhaltssysteme einerseits und grammatisches System andererseits. Fachsprachliche Textsorten sind daher

129

⫺ wie alle anderen Textsorten auch ⫺ zu verstehen als prototypisch definierte Kategorien: „Textsorten stellen sich daher in einer Typologie als idealtypische/prototypische Phänomene dar, als Verallgemeinerungen, die auf Durchschnittserfahrungen (von Sprechern einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft) basieren; sie können daher als globale sprachliche Muster zur Bewältigung von spezifischen kommunikativen Aufgaben in bestimmten Situationen umschrieben werden.“ (Heinemann/Viehweger 1991, 170).

Neben strukturellen Aspekten (grammatische Ebene und Textthema) ist für die Beschreibung von Textsorten insbesondere die Textfunktion von Bedeutung (vgl. Brinker 1992 und den sehr differenzierten Vorschlag zur Textsortenklassifikation auf der Basis der Textfunktion von Rolf 1993). Prototypikalität von Textsorten bedeutet, daß es bei der Definition fachsprachlicher Textsorten nicht nötig ist, eine vollständige Liste notwendiger und hinreichender Textsortenmerkmale anzugeben und danach ein Textexemplar mit dieser Liste abzugleichen. Sinnvoller ist der Blick auf die prototypischen Textsorten der jeweiligen kommunikativen Bezugsbereiche und ⫺ stärker differenziert ⫺ der jeweiligen Fachsprache (zur prototypischen Kategoriendefinition vgl. Kleiber 1993). Die prototypischen Textsorten der Kommunikationsbereiche Institutionen, Technik und Wissenschaften ergeben sich aus den wichtigsten Merkmalen ihrer semantischen Systeme. Diese bedingen die spezifische Abwahl der sprachlichen Mittel auf der grammatischen und der thematischen Ebene (zur Erfüllung der Textfunktion). Ein Charakteristikum von Institutionensprachen ist ihr Interesse an Verfahrensregelungen. Daher sind vor allem direktive (z. B. Satzung/Geschäftsbedingungen), kommissive (z. B. verschiedene Arten von Verträgen) und deklarative (z. B. Zeugnisse, Bescheinigungen) Textsorten typisch für diesen Kommunikationsbereich. Wissenschaftliche Kommunikation zeichnet sich idealiter durch maximale theoretische Durchdringung und Reflexion des Sachverhaltsbereichs aus. Daher ist die wissenschaftliche Abhandlung eine prototypische Textsorte (assertiv, vgl. Rolf 1993, 196). Technische Kommunikation hat als wesentliche Aufgabe, technische Objekte und Verfahren zu bewältigen und verfügbar zu machen. Daher ist die technische Dokumentation für diesen Kommunikationsbereich eine prototypische Textsorte. Die Brauchbarkeit der Prototypik für die Textsortendefinition läßt sich auch durch die

130

II. Der Status der Fachsprachen

Beispiele untypischer Textsorten aufzeigen. Diese stehen an der Kategoriengrenze und werden als nicht mehr uneingeschränkt zu ihr zugehörig empfunden. Weniger typische Textsortenvertreter sind im Bereich der Institutionen etwa der Geschäftsbericht als spezifische Mischung aus Werbung (direktiv) und Information (assertiv), in den Wissenschaften der Tagungsbericht (zusammenfassende Informationen über wissenschaftliche Themen und Tagungsablauf), in der Technik z. B. ein technisches Gutachten (hier stehen Sicherheitsfragen, Ist-Soll-Abgleich und Bewertungen im Vordergrund). Auch der kurze Blick auf die Textsorten zeigt, daß die kommunikativen Bezugsbereiche nicht als hermetische Blöcke gedacht werden dürfen. Die sprachliche Realität zeigt eine Fülle von Übergangsformen. Nicht immer können die Textexemplare eindeutig zugeordnet werden. Zudem bestehen Ähnlichkeiten zwischen Textsorten, die eindeutig verschiedenen kommunikativen Bezugsbereichen zugeordnet werden können. Dennoch ist von der theoretischen Perspektive eine Trennung der Bereiche und darüber hinaus der einzelnen Fachsprachen sinnvoll. Eine noch stärker gliedernde Definition als die in Textsorten, Fachsprachen und kommunikative Bezugsbereiche erscheint als nicht plausibel.

5.

Literatur (in Auswahl)

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133

9. Fachsprache als Wissenschaftssprache Fächer des Wissens. Festgabe für Theodor Lewandowski zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Hugo Aust. Tübingen 1987, 35⫺58. Steger 1988 ⫽ Hugo Steger: Erscheinungsformen der deutschen Sprache. Alltagssprache⫺Fachsprache⫺Standardsprache⫺Dialekt und andere Gliederungstermini. In: Deutsche Sprache 16. 1988, 289⫺319. Steger 1989 ⫽ Hugo Steger: Sprache II. Institutionensprache. In: Staatslexikon. Hrsg. v. d. GörresGesellschaft. Bd. 5. 7., völlig neu bearb. Aufl. Freiburg. Basel. Wien 1989, 125⫺128. Steger 1991 ⫽ Hugo Steger: Alltagssprache. Zur Frage nach ihrem besonderen Status in medialer und semantischer Hinsicht. In: Symbolische Formen. Medien. Identität. Jahrbuch 1989/90 des Sonderforschungsbereichs „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“. Hrsg. v. Wolfgang Raible. Tübingen 1991 (ScriptOralia 37), 55⫺112.

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Andrea Becker, Freiburg i. Br./ Markus Hundt, Dresden

9. Fachsprache als Wissenschaftssprache 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Das Verhältnis von Fach- und Wissenschaftssprachen Wissenschaftsprozeß und Wissenschaftssprache Die Dialogizität der Wissenschaftssprache Universalität und Partikularität Literatur (in Auswahl)

Das Verhältnis von Fach- und Wissenschaftssprachen

Ein problematischer Aspekt der Fachsprachenforschung ist ihre nach wie vor nicht ausdiskutierte mangelnde Reflexion über das für sie grundlegende Konzept der Fachlichkeit. Darauf hat vor allem Hartwig Kalverkämper (z. B. 1980, 67 f; 1983, 128 ff) immer wieder hingewiesen. Dieser Mangel führt notwendig oft zu zirkelhaften Definitionen von Fachsprache wie der vielzitierten als „die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten“ (Hoffmann 1985, 53). Es gibt auch keine außerlinguistische Fach-Theorie, mit deren Hilfe der definitorische Zirkel (Fachsprache ⫽ Sprache im Fach) durchbrochen werden könnte (vgl. Kalverkämper 1980, 62). Im Rahmen von Definitionen der erwähnten Art kommt es zu

abgeleiteten Charakterisierungen der Wissenschaftssprache als Teilmenge der Fachsprache, wobei mittels einer überwiegend lexikalisch begründeten Hierarchisierung fachlicher Sprachverwendung den Sprachen der wissenschaftlichen Disziplinen die oberen Ebenen einer postulierten vertikalen Schichtung der Fachsprachen zugewiesen werden (vgl. Hahn 1983, 72 ff; Hoffmann 1985, 64 ff; Fluck 1985; 16 ff; Gläser 1990, 8 ff). In der philologischen Teildisziplin der Wissenschaftssprachforschung, deren Umrisse sich erst langsam vor dem Hintergrund der Fachsprachenforschung abzuzeichnen beginnen, wird ein solches einfaches Inklusionsverhältnis von Fach- und Wissenschaftssprache mit Skepsis betrachtet (vgl. Kretzenbacher 1992 a, 2), und zwar vor allem aus drei Gründen: (a) Das Schichtungsmodell kommt historisch aus einem Stadium der Fachsprachenforschung her, in dem das überwiegende Forschungsinteresse auf die lexikalische Ebene und auf eine Kontrastierung mit dem Konstrukt einer Gemeinsprache (vgl. Kalverkämper 1980, 64 ff) konzentriert war. Schon daher ist fraglich, ob es sich mit den vorwiegend über die lexikalische und syntaktische Mikrostrukturanalyse hinausgehenden textlinguistischen, stilistischen und pragmatischen Ansätzen der Wissenschaftssprachforschung ver-

134 einbaren läßt (vgl. Bungarten 1981, 32 f; Czucka 1988, 380 f). (b) Für die Wissenschaften ist die Sprache in ganz anderer und ausgezeichneter Weise konstitutiv als für die fachliche Tätigkeit in Bereichen wie den Handwerken, der Landwirtschaft oder dem Sport. Von der wissenschaftlichen Hypothesenbildung über die Stadien der Forschung bis zur Kommunikation und Diskussion von Forschungsergebnissen gibt es keinen „sprachfreien“ Raum, auch keinen, der frei wäre von natürlicher Sprache (vgl. 2.). Wissenschaftliche „Fakten“ werden nicht nur diskursiv hergestellt und verhandelt (Hempel 1988, 26), sie sind auch vor allem in Form sprachlicher Aussagen vorhanden und als solche Objekte des wissenschaftlichen „Sprachspiels“ im Sinn von Wittgenstein (vgl. Budin 1993, 20). Diese fundamental sprachliche Verfaßtheit der Wissenschaft (vgl. Hartmann/Janich 1996, 34 ff; Janich 1996) hat in ihr selbst, anders als in anderen fachlichen Tätigkeitsbereichen, schon früh zu einer bis heute anhaltenden Sprachreflexion geführt (vgl. Cassirer 1942), deren Pole von der apodiktischen Äußerung „There can be no doubt that science is in many ways the natural enemy of language“ (So das Motto des Buches von Savory 1967) und dem Ausspruch Heisenbergs (1965), markiert sind: „Wir wissen, daß jedes Verständnis schließlich auf der gewöhnlichen Sprache beruhen muß, denn nur dort können wir sicher sein, die Wirklichkeit zu berühren […]“. (c) Anders als die Fachsprachenforschung ist die Wissenschaftssprachforschung in der glücklichen Lage, daß das Handlungsfeld Wissenschaft außerhalb der Linguistik historisch, philosophisch und soziologisch definiert ist. Durch den Hinweis auf Ergebnisse dieser Reflexionen muß also eine Definition von Wissenschaftssprache nicht so tautologisch bleiben wie eine Definition von Fachsprache. Gleichzeitig ordnet sich die Wissenschaftssprachforschung in die Reihe der traditionellen wissenschaftsreflektierenden Wissenschaften ein und tritt mit ihnen in einen interdisziplinären Dialog: „Die Dyas Wissenschaftstheorie ⫺ Wissenschaftsgeschichte ist […] zu einer Trias Wissenschaftstheorie ⫺ Wissenschaftsgeschichte ⫺ Wissenschaftssprachforschung zu erweitern.“ (Weinrich 1989, 154). Solange aufgrund der mangelnden Klarheit der Bezeichnung Fach das Forschungsfeld der Fachsprachenforschung nicht ausreichend expliziert ist, kann die Frage nach dem

II. Der Status der Fachsprachen

Verhältnis von Fach- und Wissenschaftssprachen nicht abschließend beantwortet werden. Unter Berücksichtigung des bisher Gesagten und mit Rückgriff auf Bungartens (1981, 31 ff) Klassifizierung der Wissenschaftssprache als Performanzerscheinung läßt sich jedoch eine tentative Definition von Wissenschaftssprache erreichen, die sie als Gesamtheit der Phänomene sprachlicher Tätigkeit versteht, die im kulturellen Handlungsfeld der Wissenschaften auftreten und die zugleich dieses als theoriebildende und -verarbeitende Kommunikationsgemeinschaft sowie als gesellschaftliche Institution entscheidend konstituieren. Im folgenden sollen einige der wichtigsten Problemfelder skizziert werden, die sich bei der Untersuchung der Wissenschaftssprache ergeben.

2.

Wissenschaftsprozeß und Wissenschaftssprache

2.1. Sprache und Theoriebildung Ein Basiskriterium für Wissenschaft ist ihre Theoriefähigkeit. Die Minimalkennzeichen für Theorie sind nach Peter Janich (1992, 169) überwiegend sprachliche Phänomene: „ein eigenes, einschlägiges Vokabular, vorgestellt in Definitionen; einige bereichsspezifische Grundsätze, ob sie nun Postulate oder Axiome heißen; und die Auffassung, daß ein Wissensbereich durch logisches Argumentieren aus den Definitionen und Grundsätzen aufgespannt wird“. Die Elemente wissenschaftlicher Theoriebildung, Intuition und Objektivierung, sind ohne sprachlichen Aspekt nicht denkbar (vgl. Cassirer 1942, 326 f). In der an die klassische Logik angelehnten und streng onomasiologisch vorgehenden Terminologielehre sind die außersprachliche Welt der Sachen und die sprachliche Welt der Wörter streng getrennt, dazwischen wird eine Stufe von wissenschaftlich klaren, aber vorsprachlichen und linguistisch nicht beschreibbaren Begriffen angenommen (vgl. Felber/ Budin 1989, 12; 20; 32; 69 ff). Ähnlich wie die sprachorientierte Wissenschaftslogik (vgl. Lorenzen 1985, 30 ff) kann auch die linguistische Wissenschaftssprachforschung mit dem Konzept des Begriffs nichts anfangen, weil häufig unklar ist, ob Begriff auf der signifiant- oder der signifie´-Ebene des sprachlichen Zeichens anzusiedeln ist (Kretzenbacher 1991, 195 f). Die Vorstellung einer vorsprach-

9. Fachsprache als Wissenschaftssprache

lichen Begriffs-Ebene führt dann zu einem so sprach- wie wissenschaftsfernen Postulat der „Eindeutigkeit“, ja sogar der „Eineindeutigkeit“ von wissenschaftlichen Fachwörtern, also dem Ausschluß sowohl von Synonymie als auch Polysemie (vgl. Kretzenbacher 1992 b, 40 ff; Roelcke 1991, 198 ff). Für die Linguistik ist der vorsprachliche Begriff eine black box, sie kann Aussagen nur über sprachliche Phänomene machen. Als Erkenntnis- und Theorieinstrument wird die Wissenschaftssprache umgekehrt auch „[w]issenschaftstheoretisch bedeutsam“ (Budin 1993, 26). Während der Theoriebildung ist die in der natürlichen Sprache erreichbare semantische Vagheit durchaus von Nutzen. Eine semantische „Randschärfe“ des wissenschaftlichen Vokabulars (Weinrich 1989, 124) ist vor allem ein Kennzeichen theoretischer Stabilität eines Wissenschaftsbereichs, also der „normalen Wissenschaft“ im Sinn von Kuhn (1991, 37 ff). Überall dort, wo wissenschaftliche Theoriebildung im Gange ist, herrschen „kernprägnante“ Ausdrücke vor, wie sie Weinrich (1989, 125) als Kennzeichen der Gemeinsprache darstellt, weil ihr heuristischer Wert ungleich höher ist (Kretzenbacher 1991, 198). Die Wissenschaftsphilosophie spricht sogar von der „Fiktionalität theoretischer Begriffe“, die in Fachwörtern, also sprachlich, greifbar wird (Ströker 1989, 33 ff). 2.2. Sprache im Forschungsprozeß Eine soziologische Sicht auf Wissenschaft definiert diese als „praktisches Räsonieren“ (Knorr-Cetina 1984, 50 ff) und damit den Forschungsprozeß als Verschränkung von Sprache und Handeln. Pures Sammeln von Daten ist keine Wissenschaft: Um irgendeine wissenschaftliche Relevanz zu haben, werden Daten meist theoriegeleitet erzeugt; aber selbst die berühmten „Zufallstreffer“ der Wissenschaft werden erst zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, wenn sie in einem theoriegeleiteten Diskurs versprachlicht und interpretiert werden. Vom Anfang bis zum (vor einer endgültigen Falsifizierung von Ergebnissen immer nur vorläufigen) Ende eines Forschungsprozesses ist sprachliches Handeln untrennbar in das instrumentelle Handeln verwoben. Auch für den Bereich der experimentellen Naturwissenschaften gilt, „daß auf Metapher und Analogie basierende ,Ideen‘ dem Forschungsprozeß eine Richtung geben, indem sie Ressourcen mobilisieren und Investitionsmöglichkeiten eröffnen. Die

135 Schließung dieses Prozesses erfolgt durch die aktiven Konstruktionen des Labors: das heißt durch Verhandlungsprozesse und instrumentelle Fabrikation“ (Knorr-Cetina 1984, 123; Hervorhebung im Original). Die sprachlichen Manifestationen des Forschungsprozesses, das Aushandeln von wissenschaftlich relevanter „Bedeutung“ von der Hypothesenbildung und -revision über das handlungsbegleitende Sprechen (shop talk) und Schreiben (Notizen, Protokolle, Experimentberichte) bis hin zur Formulierung von Forschungsergebnissen sind bezeichnenderweise bisher vor allem von der ethnomethodologischen Wissenschaftssoziologie zum Objekt der Forschung gemacht worden. Neben Karin Knorr-Cetina ist hier z. B. Michael Lynch (vgl. 1985, 143 ff) zu nennen. Linguisten sind bisher kaum in fremde Labors und Studierstuben vorgedrungen. Dort, wo die Linguistik sich auch von wissenschaftssoziologischen Fragestellungen hat inspirieren lassen, begrenzt sie ihren Forschungseifer bisher meist auf schriftliche Manifestationen des wissenschaftlichen Sprachspiels (vgl. z. B. Bazerman 1988; Prelli 1989; Gross 1990, 69 ff; Myers 1990) oder die Formen ihrer Verschriftlichung (vgl. Rymer 1988). Die wissenschaftslinguistische Erforschung der mündlichen Wissenschaftssprache, bisher nur für winzige Handlungsausschnitte ⫺ vor allem innerhalb der Lehre ⫺ durchgeführt (vgl. Stegner 1986; Munsberg 1989; 1993; 1994; 1996; Chen 1994; 1996), ist ein großes Desiderat, zumal in der soziologischen und philosophischen Wissenschaftstheorie und in der Wissenschaftsgeschichte sprachliches Material oft mit einem allzu bereitwilligen Verzicht auf linguistische Reflexion zur Untersuchungsgrundlage gemacht wird. 2.3. Die Mitteilung von Forschungsergebnissen Ein Forschungsergebnis wird erst durch seine Mitteilung an die Wissenschaftsgemeinschaft zu einem wissenschaftlichen Faktum, und es bleibt nur so lange eines, bis innerhalb dieser Gemeinschaft widersprechende Mitteilungen als Fakten akzeptiert werden. Am Beispiel von Röntgens Entdeckung der später nach ihm benannten Strahlen läßt sich nachweisen, daß die in der Wissenschaftsgemeinschaft allgemein akzeptierte Priorität Röntgens „durchaus nicht die der ersten Hervorbringung des Phänomens, sondern die der Mitteilung“ war (Czucka 1993, 17). Das allgemeine Veröffentlichungsgebot als Bedin-

136 gung wissenschaftlicher Arbeit, dem ein ebenso allgemeines Rezeptions- und Falsifikationsgebot auf der Rezipientenseite entspricht, ist so strikt, daß die Veröffentlichung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse potentiell allen Angehörigen der Wissenschaftsgemeinschaft zugänglich sein muß, für die es je relevant sein könnte (Weinrich 1988, 45 f): Vier Jahre vor August Kekule´s Publikation über die Konstitution aromatischer Substanzen (1865), die die rasch berühmt gewordene Benzolformel enthielt, hatte Josef Loschmidt bereits die Ringstruktur des Benzols beschrieben (vgl. Noe/Bader 1993). Allerdings war Loschmidts Veröffentlichung nur ein Privatdruck mit geringer Auflage, der erst 1912 wiederentdeckt und 1913 neu publiziert wurde (Loschmidt 1913); und bis heute wird die Benzolformel als Kekule´s originäres Werk anerkannt (Kretzenbacher 1994 a, 122 f; zur wissenschaftslinguistischen Diskussion der chemiegeschichtlich umstrittenen Benzoldarstellung vgl. Kretzenbacher 1996; im Druck). Veröffentlichungs- und Falsifikationsgebot machen die öffentliche wissenschaftliche Äußerung (ob im Vortrag oder im Druck) zu einem Text mit persuasiver Funktion (vgl. auch 3.), zu einer rhetorischen Sprachhandlung (vgl. Prelli 1989, 117 f). Es ist daher kein Zufall, daß erfolgreiche wissenschaftliche „Fakten“ sehr häufig in beispielhaft eleganter wissenschaftsrhetorischer Gestalt präsentiert worden sind. Am Exempel von Watsons und Cricks Kurzmitteilung über die DNS-Doppelhelix in der Zeitschrift „Nature“ (Watson/ Crick 1953) ist das mehrfach dargestellt worden (vgl. z. B. Bazerman 1988, 27 ff; Prelli 1989, 236 ff; Gross 1990, 54 ff). Ist dieser Artikel ein Beispiel für eine Publikation, die sich meisterhaft in die Normen der modernen Rhetorik der experimentellen Naturwissenschaften einfügt, so ist die Wissenschaftsgeschichte voller Beispiele von Publikationen, die deshalb in der Wissenschaftlergemeinschaft Anstoß erregten, weil ihre sprachliche Gestalt nicht der Erwartungsnorm entsprach (vgl. Pörksen 1990, 17 ff). Ein gründlich analysiertes Beispiel (vgl. Bazerman 1988, 80 ff; Gross 1988) ist Newtons Theorie über den korpuskularen Charakter des Lichts: Ihre erste Publikation 1672 als Aufsatz in den „Philosophical Transactions of the Royal Society“ unter dem Titel „A New Theory of Light and Colours“ brach als induktiver, überwiegend narrativer Experimentbericht ohne persuasiv sorgfältig ausgearbeitete Interpretation (vgl. Gross 1988, 9 f) so radikal

II. Der Status der Fachsprachen

mit der argumentativen Tradition innerhalb der Optik, daß seine Theorie auf harsche Ablehnung stieß. Sie rief eine derart heftige Kontroverse hervor, daß Newton erst wieder im Jahr 1704 mit seiner „Opticks“ auf dem Feld der Optik publizierte. Die „Opticks“ präsentierte nahezu denselben propositionalen Gehalt wie der dreißig Jahre ältere Artikel. Aber sie folgte, ganz anders als dieser, dem traditionellen euklidischen Schema von Definition, Axiom und Propositionen, die, durch experimentelle Belege gestützt, zur strikt deduktiven Argumentation dienen (vgl. Bazerman 1988, 190) und wurde paradoxerweise gerade durch eine dezidiert nicht-revolutionäre wissenschaftliche Rhetorik zur akzeptierten Grundlage einer für Kuhn (1991, 27) beispielhaften wissenschaftlichen Revolution (vgl. Gross 1988, 13 f.).

3.

Die Dialogizität der Wissenschaftssprache

Soweit die moderne Linguistik prinzipiell vom Dialogcharakter der Sprache ausgeht (Weinrich 1993 a, 17 f) mag das Postulat einer Dialogizität der Wissenschaftssprache trivial erscheinen. Dennoch läßt sich mit guten Gründen behaupten, daß der wissenschaftlichen Kommunikation eine besondere Dialogizität zukommt. Für die mündliche Wissenschaftskommunikation ist das leicht einzusehen, da idealiter jeder und jedem an ihr Beteiligten ein Mitsprache- und Widerspruchsrecht eingeräumt ist. Das gilt sogar für die von Jean-Marie Zemb (1981, 458 ff) als strikt monologisch verstandene Vorlesung ⫺ jedenfalls in der Form der Dialogvorlesung. Deshalb soll es im folgenden an der schriftlichen Kommunikation in Form von veröffentlichter Forschung dargelegt werden. Wissenschaftliche Publikationen sind auf zwei verschiedene, aber verwandte und miteinander verknüpfte Weisen dialogisch: einmal als Dialog mit anderen Texten und zum anderen als Dialog mit ihren Rezipienten, als argumentative und damit persuasive Texte. (a) Der intertextuelle Charakter wissenschaftlicher Publikationen ist wie der von fiktional-literarischen Texten durch ihre Einbettung in ein jeweils spezifisches Diskursfeld gegeben. In jeder wissenschaftlichen Publikation wird dieses Diskursfeld ⫺ meist durch Literaturzitate (vgl. Cronin 1984, 55 f; Hübler 1991, 17 ff; Niederhauser 1996, 42 ff) ⫺ implizit oder explizit strukturiert, um den je

137

9. Fachsprache als Wissenschaftssprache

eigenen wissenschaftlichen claim abzustecken. Der intertextuelle Bezug zu bereits existierenden Texten wird meistens in Form von bibliographischen Hinweisen im Teiltext „Stand der Forschung“ zu Anfang einer Publikation (z. B. im Vorwort eines Buches, vgl. Timm 1996, 462 ff) hergestellt, und zwar meist so, daß sich im Forschungsfeld eine Lücke auftut, die gerade durch die eigene Forschung ausgefüllt wird. Um die beiden schon in 2.2. erwähnten Publikationen als Beispiel zu nehmen: Der von Watson und Crick (1953, 737) dargestellte Stand der Forschung erfüllt mit positiven und negativen Bezugnahmen diese Aufgabe perfekt (Kretzenbacher 1994 a, 96 f). Kekule´s Aufsatz ist ein Beispiel für implizite Intertextualität: Das einzige bibliographisch belegte Zitat ist ein Hinweis auf eine eigene Arbeit Kekule´s über die Wertigkeit des Kohlenstoffatoms (Kekule´ 1865, 98, Anm. 1). Der übrige Forschungsstand wird ganz pauschal abgehandelt (Kekule´ 1865, 98). Obwohl Kekule´ Loschmidts Arbeit mit Sicherheit gekannt hat (in einem Brief parodiert er dessen Titel „Konstitutions-Formeln […]“ als „Confusionsformeln“, vgl. Staab 1985, 20), erwähnt er die Veröffentlichung Loschmidts nicht und dessen Namen nur ganz en passant in einer Fußnote zur Erklärung von Kekule´s eigener graphischer Darstellungsweise der Moleküle (Kekule´ 1865, 100, Anm. 2). Aber nicht nur mit der bereits existierenden Literatur wird ein intertextueller Dialog aufgespannt; indem die Autoren auf die Bedeutung ihrer Erkenntnisse hinweisen und zukünftige Forschungsdesiderate formulieren, stellen sie einen virtuellen intertextuellen Bezug mit zukünftigen Publikationen (fremden und eigenen) her. Watson und Crick (1953, 737) schreiben: “It has not escaped our notice that the specific pairing we have postulated immediately suggests a possible copying mechanism for the genetic material. Full details of the structure, including the conditions assumed in building it, together with a set of co-ordinates for the atoms, will be published elsewhere.”

les nombreuses expe´riences qui sont en voie d’exe´cution ».

(b) Dialogisch sind wissenschaftliche Publikationen aber auch als argumentative und damit persuasive Texte (vgl. z. B. Eggs 1996). Da einerseits jede Argumentation ein dialogisches Kommunikationsverfahren ist, weil sie Widerspruch und Einwände aktiv miteinbezieht, da andererseits die schriftliche Publikation eine monologische Kommunikation zu erzeugen scheint (vgl. Kozˇina 1986, 51 f; Paek 1993, 13 ff), spricht Rostislav Kocourek (1991, 60) von einem „dialogue savant simule´“. Der Dialog wird mit dem intertextuellen Mittel des Zitats als Berufung auf unterstützende und als Auseinandersetzung mit konkurrierenden Theorien sowie intratextuell als argumentative Antizipation möglicher Einwände oder Verständnisschwierigkeiten der Leserschaft ausgetragen. Diese von Konrad Ehlich (1993, 28 ff) so genannte „eristische Struktur“ kann durchaus in einen polemischen Dialog ausarten, sie kann aber in ihrer persuasiven Funktion auch einen irenischen Dialog begründen. Die Zielrichtung des persuasiven Dialogs ist sowohl retroaktiv ⫺ insoweit er die Rezipienten bei ihrem durch andere Wissenschaftstexte vorstrukturierten Vorwissen und den darauf beruhenden Erwartungen „abholt“ ⫺ als auch proaktiv, da er versucht, Wissen und Einstellungen der Rezipienten zu verändern. In seiner proaktiven Richtung muß der Wissenschaftstext als Replik (turn) innerhalb eines persuasiven Dialogs vor allem mit „Gegentexten“ in Form von Gutachten zur Forschungsförderung (vgl. Myers 1990, 41 ff), Publikationsgutachten (peer reviews, vgl. Kretzenbacher/ Thurmair 1992), Rezensionen und der Rezeption in anderen Wissenschaftstexten rechnen und versuchen, mögliche Gegenmeinungen argumentativ einzubinden. Die Formen dieser Persuasion müssen in diesem Zusammenhang nicht weiter expliziert werden, es genügt ein Hinweis auf die hier aufgeführten Arbeiten und die unter 2.2. und 2.3. erwähnten Forschungen zur Rhetorik der Wissenschaften.

Und Kekule´ (1865, 98): « Ce qui me de´cide a` publier ces vues the´oriques au moment ou` les investigations sont dirige´es plus que jamais vers ce chapitre de la chimie organique, c’est d’abord l’ide´e que les conse´quences de ces principes pourraient peut-eˆtre guider quelques chimistes dans leur recherche; c’est ensuite l’espoir de voir cette the´orie rapidement confirme´e ou re´fute´e par

4.

Universalität und Partikularität

Bei einer „kulturalistischen“ Betrachtungsweise (vgl. Janich 1992, 165 ff; Hartmann/Janich 1996) des „kulturellen Handlungsfeldes der Wissenschaften“, wie sie in die Definition von Wissenschaftssprache unter 1. eingegan-

138 gen ist, müssen auch Phänomene des Kulturkontakts als interkulturelle Erscheinungen berücksichtigt werden. Der interkulturelle Aspekt der Wissenschaftssprache weist drei Dimensionen auf: eine interdisziplinäre, eine extradisziplinäre und eine interlinguale. (a) Die historische Differenzierung von Wissenschaft (ursprünglich ein Kollektivum wie auch das englische science bis ins 19. Jh.) zu einzelnen Wissenschaften ist ein Vorgang kultureller Dissoziation, wie er auch im Babel-Mythos dargestellt ist. Und wie die Zerstreuung der Völker nach dem Turmbau zu Babel ist auch die Zerstreuung der Disziplinen durch sprachliche Auseinanderentwicklung gekennzeichnet. Wolf Lepenies (1986) hat das exemplarisch am Beispiel der Soziologie vorgeführt. Insofern ist die bekannte „ZweiKulturen“-These C. P. Snows (vgl. Kreuzer 1987) zu revidieren. Maximal formuliert: Es gibt nicht zwei, sondern Hunderte von Wissenschaftskulturen. Die Schwierigkeiten des interdisziplinären Dialogs ließen sich damit sprachlich als Übersetzungsschwierigkeiten sehen. Minimal formuliert: Es gibt Hunderte von Subkulturen der nach wie vor durch ein gemeinsames Erkenntnisinteresse und ein gemeinsames Ethos verbundenen Wissenschaftskultur (vgl. Weinrich 1993 b, 125 f; Kretzenbacher 1994 b, 171 f). Die von der Fachsprachenforschung durch Untersuchungen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Wortschatz begründete „horizontale Gliederung der Fachsprachen“ (Hoffmann 1985, 58 ff) ließe sich auch durch disziplinspezifische Isoglossen kartographieren; die Wissenschaftssprachforschung hätte die Aufgabe, die sprachlichen Bedingungen des interdisziplinären Dialogs durch eine Art Dialektologie der Wissenschaftssprachen zu erforschen. Die wissenschaftlichen Disziplinen selbst, soweit sie daran interessiert sind, den interdisziplinären Dialog aufrechtzuerhalten, sollten die sprachliche Darstellung ihrer Erkenntnisse nicht allzu disziplinspezifisch halten und nach den von Harald Weinrich (1988, 46 f) formulierten „Maximen des unbekannten Adressaten und des unbekannten Adressanten“ mindestens die Nachbarwissenschaften berücksichtigen, d. h. in Veröffentlichungen vom „Lokaldialekt“ der Disziplin in die „regionale Umgangssprache“ der verwandten Disziplinen umschalten. (b) In der extradisziplinären Dimension, also bei der Fachleute-Laien-Kommunikation, kommt dem sprachlichen Ausdruck des wissenschaftlichen „Fachdenkens“ (Bau-

II. Der Status der Fachsprachen

mann 1992, 144 ff) besondere Bedeutung zu. Das gilt zum einen in Fällen, wo wissenschaftlicher und alltagssprachlicher Diskurs aufeinanderprallen. Oft ist die Kommunikation zusätzlich erschwert, weil die betroffenen Laien in einer existentiell bedrohenden Situation mit den wissenschaftlich ausgebildeten Fachleuten kommunizieren. Beispiele dafür sind die medizinische (vgl. z. B. Busch 1994) und die juristische Fachleute-Laien-Kommunikation sowie die Bürgerbeteiligung im Vorfeld wissenschaftlich-technischer Großprojekte. Es gilt zum anderen aber auch für die Stellung der Wissenschaften in demokratischen Gesellschaften, wo der direkt und indirekt überwiegend öffentlich finanzierte Handlungsbereich Wissenschaft eine Verantwortung zur öffentlichen Darlegung und öffentlichen Verteidigung seiner Arbeit hat. Die vielbeschworene „Akzeptanzkrise“ der Wissenschaften hat u. a. auch einen sprachlichen Aspekt (vgl. Weinrich 1989, 153). Interessanterweise gilt im deutschen Sprachraum für einen Wissenschaftler die „Popularisierung“ eigener Forschungsergebnisse schon fast als rufschädigend, während anglophone Wissenschaftler mit großer Souveränität auch mit der Laienschaft kommunizieren. Ohne den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufzugeben, verzichtet Stephen Hawking (1988, 7) in seinem populären Buch, das breites Interesse an physikalischen Fragestellungen erzeugt hat, bewußt fast völlig auf mathematisch-formelhafte Darstellung, vorgeblich deshalb, weil man ihm gesagt habe, „daß jede Gleichung im Buch die Verkaufszahlen halbiert“. (c) Möglicherweise ist es in der Physik auch darum einfacher, Laien wissenschaftliche Erkenntnisse auf Englisch als auf Deutsch mitzuteilen, weil die Physik zu dem großen Bereich von Wissenschaften gehört, die weitgehend anglophon geworden sind (vgl. Skudlik 1990, 210 ff; Skudlik 1992, 393 ff). Der Wissenschaftssprachforschung kann es nicht darum gehen, diese Tendenz zu beklagen; sie muß sie als gegeben akzeptieren, sie muß sich aber auch mit den Konsequenzen auseinandersetzen (vgl. Weinrich 1989, 146 ff). Erstens hat es Konsequenzen für die Entwicklung der einzelnen vernakulären Sprachen, wenn sich wichtige gesellschaftliche und kulturelle Handlungsbereiche aus ihnen verabschieden. Vor dem Hintergrund der großen nicht nur lexikalischen Bereicherung, die das Deutsche in seiner Geschichte aus seinen Wissenschaftssprachen erfahren hat, ist das Problem nicht banal.

139

9. Fachsprache als Wissenschaftssprache

Zweitens hat es Konsequenzen für das Englische als internationale Verkehrssprache wie auch als Nationalsprache. Das international gebräuchliche „Wissenschaftsenglisch“ hat ja mit der Sprache Shakespeares wenig zu tun, es ist eine stark restringierte Sprachvarietät und deswegen eigentlich „not really English, but a pidgin from of its American subdivision“, wie Erwin Chargaff (1986, 109) gesagt hat. Die Partikularität der Nationalsprachen beeinflußt aber auch die Universalität der Wissenschaft selbst, wenn „die Wissenschaftssprache jeweils in einer so intensiven und subtilen Weise die Wissenschaft in ihren Texten und Diskursen beeinflußt“ (Ehlich 1993, 31). Sicherlich hat Ortega y Gasset (1976, 12) recht, wenn er postuliert, daß Wissenschaftstexte deshalb leichter als andere zu übersetzen seien, weil sie schon in der Originalsprache eine Art Übersetzung seien, in „un volapuk, un esperanto estabelecido por convencio´n deliberada entre los que cultivan la disciplina“. Aber schon Ortega exemplifiziert am Beispiel von Cantors Fachwort Menge eine Seite zuvor, daß die Äquivalenz der Wissenschaftssprachen begrenzt ist. Kontrastive Studien haben inzwischen Einblick in die unterschiedlichen Persuasionsstrukturen wissenschaftlicher Texte in verschiedenen Sprachen gegeben (vgl. Clyne 1993; Mauranen 1993, 5 ff). Wie das Beispiel des Cantorschen Ausdrucks Menge zeigt, ist aber schon in der Theoriebildung und im Forschungsprozeß die Sprachstruktur ein helfendes Geländer für den Denkprozeß. Aus der Sicht einer Naturwissenschaftlerin formuliert Uta Seibt in einem Diskussionsbeitrag: „Wenn ich ein Experiment plane und geistig bedenke oder eine fesselnde Hypothese im Kopf habe, in welcher Sprache laufen dann die Gedanken ab? [… I]ch selbst denke wissenschaftlich zuweilen in einem Kauderwelsch von Deutsch und Englisch. Und manchmal frage ich mich: Entspricht dieses sprachvermischende Denken genau demjenigen, das in Deutsch als meiner Mutter- und Umgangssprache abgelaufen wäre? […] Wird da unser Denken nicht davon beeinflußt, in einer fremden, vielfach dann nur unzureichend angeeigneten Sprache Wissenschaft bedenken und artikulieren zu müssen?“ (Kalverkämper/Weinrich 1986, 157).

Das Verhältnis von Universalität und Partikularität der Wissenschaftssprache berührt als Frage der Sprachkultur in den Wissenschaften also den Kern der Wissenschaftskultur selbst.

5.

Literatur (in Auswahl)

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142

II. Der Status der Fachsprachen

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Heinz L. Kretzenbacher, Melbourne

10. Techniksprache als Fachsprache 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

1.

Problemstellung und Begriffsbestimmung Techniksprache: die älteste Fachsprache Techniksprache: die „alltäglichste“ Fachsprache Forschungsfelder Sprachliche Isomorphie von Natur und Technik Grundlegende Metaphernkonzepte Bilanz Literatur (in Auswahl)

Problemstellung und Begriffsbestimmung

Die Techniksprache als Fachsprache nimmt gegenüber den Fachsprachen der anderen Kommunikationsbereiche Institutionen und

Wissenschaften (Steger 1988) eine Sonderstellung ein, denn die Technik beansprucht in der anthropologischen und universalhistorischen Deutung der Menschheitsgeschichte einen besonders herausragenden Platz. Besonders auffällig, weil an Epochenbezeichnungen erkennbar (z. B. Eisenzeit), erscheint eine solche Sonderstellung der Technik in der Urund Frühgeschichte, wo sie gewissermaßen als Indikator für die Entwicklungsstufen der Menschheit fungiert. Technik ist (neben dem Sprachvermögen) ein obligatorischer Bestandteil aller menschlichen Kulturen, gleich welcher Entwicklungsstufe sie angehören. Sie entsteht aus alltäglichem Wissen und Handeln und ist zunächst Teil der Alltagskultur

143

10. Techniksprache als Fachsprache

(Steger 1991). Der Technikbegriff der Gegenwartssprache spiegelt in seiner Vielschichtigkeit (und gewissermaßen auch in seiner Vagheit) die Zwischenstellung des Technischen zwischen Alltagshandeln und Fachwissen wider (vgl. Walther-Klaus 1987, 204 ff; Jakob 1991a, 1 ff). Denn unter Technik kann in der Gegenwartssprache gefaßt werden: (1) eine Benennung einer geistigen oder körperlichen Kunstfertigkeit und Geschicklichkeit des Menschen; (2) ein Kollektivbegriff für alle Maßnahmen des Menschen, die er zur Bewältigung der Natur oder gegen sie einsetzt; (3) eine eingeengte, neuzeitliche Vorstellung von Technik, nämlich die moderne industrielle Produktionstechnik; (4) ein Kollektivbegriff für alle produzierenden Artefakte der Technik (Werkzeuge, Instrumente, Maschinen); (5) ein zusammenfassender Begriff für alle technischen Teildisziplinen, etwa synonym mit Technologie, Ingenieurwissenschaft, Technikforschung. Der begriffliche Zusammenhang von Handeln aus menschlicher Geschicklichkeit ⫺ im Sinne von (1) ⫺ und Handeln aus „künstlicher-unnatürlicher“ Geschicklichkeit ⫺ im Sinne von (2) ⫺ scheint allen Kultursprachen gemeinsam. Auch im griechischen Ursprungswort te´chne¯ steckte schon solche Doppeldeutigkeit. Dabei ist bedeutsam, daß die scheinbar allumfassende und konturenlose Beliebigkeit des Technikbegriffs kein ausschließliches Problem der Technik- oder Sozialwissenschaften zu sein scheint. Auch ein allgemeiner juristischer Begriff von Technik scheint nicht gegeben. Es muß zunächst als Paradoxon erscheinen, daß Technik als zentrales Deutungsmuster der modernen Industriegesellschaft und deren Institutionen in den juristischen Basisnormen offensichtlich nicht erwähnens- oder regelnswert erscheint: „Die Ignoranz des Grundgesetzes gegenüber der Technik scheint bemerkenswert groß“ (Murswiek 1985, 22). Doch die vermeintliche Technik-Ignoranz der Rechtssprechung erweist sich ebenfalls als das Fehlen einer klaren übergreifenden Begriffsbildung, denn der juristische Technik-Begriff kann „immer nur als konkreter Begriff in konkreten rechtlichen Zusammenhängen bestimmt werden“ (Murswiek 1985, 73). Für die Präzisierung eines übergeordneten Technikbegriffs wurde für die Technik- und Sozialwissenschaften vorgeschlagen: Nur dann sollte man von Technik im Sinne von „(Real-)Technik“ sprechen, „wenn vorwiegend künstliche Objekte, also Artefakte, von

Menschen erzeugt und für bestimmte Zwecke verwendet werden“ (Ropohl 1979, 31). Dieser eingeengte Technik-Begriff ist auch im Kontext der Fachsprachenlinguistik zugrundezulegen. Wenn also im folgenden von Techniksprache als Fachsprache gehandelt wird, ist eine Real-Technik vorausgesetzt, die drei Dimensionen erschließt: (1) die technischen Artefakte, (2) deren Herstellung durch den Menschen und (3) deren Verwendung im Rahmen zweckorientierten Handelns. In einem solchen Technik-Begriff sind alle historischen und qualitativen Stufen der Technik eingeschlossen, also mithin die gesamte historische Entwicklung des technischen Handelns (oft einschlägig metaphorisiert: „vom Faustkeil bis zum Kernkraftwerk“). Es ist berücksichtigt, daß menschliches Handeln notwendigerweise schon immer auch technisches Handeln war, daß diese Technik immer zunächst in Alltagshandeln eingebettet war und sich erst später als eigenständiger Handlungs- und Kommunikationsbereich etabliert hat und daß technisches Handeln obligatorisch für das Überleben der menschlichen Kulturen war und ist. Daran anschließend läßt sich das Besondere der Technik-Fachsprachen umreißen und präzisieren.

2.

Techniksprache: die älteste Fachsprache

Der menschliche Alltag wurde nicht erst durch die industrielle Technik technisiert. Er ist seit mindestens zweihunderttausend Jahren nachhaltig durch Artefakte geprägt, etwa in folgenden Bereichen: Beschaffung, Zubereitung und Sammlung der Nahrung (Jagdwaffen, Gefäße), Herstellung von Kleidern (Instrumente zur Bearbeitung von Fellen) u. ä. Der Alltag und der „Überlebenskampf“ des homo sapiens war und ist durch und durch technisch, was ihn in den Entwicklungsstufen der Urgeschichte im übrigen deutlich vom homo erectus und homo habilis unterscheidet (vgl. Sachsse 1978). Die zweckorientierte Werkzeugherstellung und der planvolle und „rationelle“ Werkzeuggebrauch gelten somit auch als entscheidender Entwicklungsschritt bei der „Menschwerdung des Affen“ (F. Engels). Keine höher entwickelte Tierart zeigt Ansätze, die von einem kurzfristigen, dem unmittelbaren Einsatz dienenden Werkzeuggebrauch zu einer planvollen und arbeitsteiligen Artefakt-Herstellung führen.

144

II. Der Status der Fachsprachen

Becker (1993) überschätzt und überhöht ⫺ wohl in modisch-übersteigerter Naturverehrung ⫺ die vereinzelten Ansätze des temporären Werkzeuggebrauchs im Tierreich. Die zentralen Kulturschriften der vorchristlichen Welt enthalten neben ihren Anleitungen für soziales, religiöses, ethisches und institutionelles Verhalten auch stets einen Anteil an Normenvorschriften, die auf technischer Grundlage aufbauen (vgl. Muschalla 1992). Beispiele aus dem Alten Testament: „Ihr sollt kein Unrecht begehen bei Gericht, mit Längenmaß, Gewicht und Hohlmaß.“ (Levitikus 19, 35; ähnlich auch in Deuteronomium 25, 23). Auch der Umgang mit Techniksystemen, die an die einfache Werkzeugtechnik anschließen, ist keine Erfindung der Neuzeit: Der Pflug beispielsweise (erstmals ca. 2700 v. Chr. in Ägypten) ist bereits ein komplexes Techniksystem, das nur durch das koordinierte Zusammenwirken von Mensch (als führende und regelnde Instanz), Tier (als bewegende Instanz) und Gerät (als materialverändernde Instanz) zur Überbietung der einfachen Werkzeugtechnik führt (vgl. Hägermann/Schneider 1991, 37). Aus der hier nur knapp skizzierten historischen und anthropologischen Bestimmung der Technik ergibt sich die wichtige sprachwissenschaftliche Folgerung, daß der Technikfachsprache gegenüber anderen Fachsprachen insofern eine Sonderstellung zukommen muß, als sie die historisch älteste Fachsprache ist. Sie ist dies, weil ihre Herausbildung der Entstehung der Arbeitsteilung, der Schaffung von Institutionen und der Entstehung der Wissenschaften vorausging.

3.

Techniksprache: die „alltäglichste“ Fachsprache

Eben durch seine anthropologische und historische Sonderstellung reicht das Technikwissen am stärksten in die Wissensstufen des Alltagswissens hinab (vgl. Ropohl 1979). Wenn man die Techniksprache in diesem ausgeführten Sinne als anthropologische Konstante der Kommunikation begreift, ist sie notwendigerweise als eine Sprachform anzusehen, die sich aus der Alltagssprache heraus entwickelt hat, aber immer noch ⫺ auch im Industriezeitalter ⫺ nachhaltig in ihr eingebettet ist. Ein maßgebliches Nachschlagewerk für Techniker (Böge 1985) zeigt diese zwei Phasen der Technikentwicklung in seiner Ka-

pitelgliederung. Da gibt es zunächst Technikbereiche, die aus der alltäglichen Handwerkstechnik herrühren: Festigkeitslehre, Werkstoffkunde, Spanlose Fertigung und Zerspantechnik. Demgegenüber stehen Technikbereiche, die erst in der Weiterentwicklung der industriellen Maschinentechnik entstanden sind: Elektrotechnik, Werkzeugmaschinen, Kraft- und Arbeitsmaschinen, Fördertechnik, Maschinenelemente und Steuerungstechnik. Da in den Prozessen des 20. Jh. die „Technisierung des Alltags“ und die „Veralltäglichung“ von Technik (Hörning 1988, 51) eine neue Dimension erreicht haben, werden jedoch auch die Technikbereiche der zweiten Gruppe über die entsprechenden Anwendungsmöglichkeiten (z. B. Haustechnik, Küchengeräte, Kraftfahrzeug, Unterhaltungselektronik, EDV) wieder in die Alltagssprache zurückgeführt. Insofern läßt sich für beide Gruppen die ausdrucksseitige Nähe zur Alltagssprache in vielen sprachlichen Besonderheiten zeigen. So weisen Technikfachsprachen (in völliger Übereinstimmung mit dem alltäglichen Sprechen über Technik) eine Fülle an Körpermetaphorik, naiven Analogien und Modellbildungen auf, die deutlich als sprachliche Indikatoren für die hier skizzierte Auffassung von einer ursprünglichen gemeinsamen AlltagsTechnik-Sprache gelten können (s. 3). Weil Technikwissen aus Alltagswissen entwickelt wurde, sind auch die Techniksprachen voller „Alltäglichkeiten“. Das in ihnen gespeicherte und mit ihnen verarbeitete Wissen ist im Gegensatz zu anderen Fachsprachen nicht aus theoriegeleiteten Prinzipien erwachsen, nicht in Auseinandersetzung um Leitbegriffe, theoretische Deutungsmuster oder Ideologien. Es ist Wissen, das sich aus praktischen und alltäglichen Erfahrungen herleitet und die Regeln für die alltägliche Lebensbewältigung enthält. Dieses technische Praxiswissen fußt auf untheoretischer Wissensgrundlage und körperlicher Erfahrung. Die wissenschaftlich falschen Beschreibungen von technischen Vorgängen zeigen von der Antike bis in die Gegenwart, daß Technik nicht (wie oft fälschlich behauptet) angewandte Wissenschaft ist. In einem Text aus dem 5. Jh. v. Chr. wird der Vorgang der Eisenverhüttung „wissenschaftlich falsch“, aber „technisch richtig“ beschrieben: „Handwerker schmelzen das Eisen durch Feuer, indem sie durch Luftzufuhr das Feuer dazu zwingen. Sie nehmen dem Eisen die vorhandene Nahrung weg. Nachdem sie es locker gemacht haben,

145

10. Techniksprache als Fachsprache

hämmern sie es und drängen es zusammen. Durch die Ernährung mit anderem Wasser wird es stark.“ (zit. nach Hägermann/Schneider 1991, 99 f). Solche Beschreibungen zeigen Bestandteile einer naiven Alltagsphysik und reichen in vergleichbarer Qualität bis in die Gegenwart. Die ausdrucksseitige Nähe von Alltagssprache und Techniksprache ist auch in den Wörtern des Grundwortschatzes einer Sprache beobachtbar. Dazu im folgenden zwei wortgeschichtliche Beispiele aus der deutschen Sprachgeschichte: (1) schleifen: Das Alltagswort ist in seiner ursprünglichen Bedeutung auf eine alltägliche, nichttechnische Handlungskomponente beschränkt. Ahd. slıˆfan bedeutet ,gleiten, kriechen, schleifen, (hin)sinken, herabfließen, vergehen, verfallen, sich verwandeln‘. Man kann davon ausgehen, daß die an erster Stelle genannten Bedeutungsvarianten, die für körperbezogene Handlungen stehen, die Ausgangsbedeutungen für die technische Umdeutung von ,körperlich gleiten‘ (noch heute regional: ,mit den Füßen auf Eis gleiten‘) zu ,ein Objekt mit Hilfe eines Werkzeugs gleitend machen‘ ergeben (vgl. auch mhd. slıˆfen: intr. gleiten, tr. gleiten machen). Das Alltagswort bleibt zweideutig, die Übernahme in den Fachwortschatz führt zur definitorisch festgelegten technischen Bedeutung: „Schleifen“ ist eine mit dem „Fräsen“ verwandte Verfahrensform der „Zerspantechnik“, die dadurch gekennzeichnet ist, daß „beim Schleifen ein umlaufendes Werkzeug (die Schleifscheibe) die Schnittbewegung“ ausführt und daß „viele am Umfang der Scheibe verteilte, geometrisch nicht bestimmbare Schneiden (die Ecken der Schleifkörner) […] dabei vom Werkstück kleine kommaförmige Späne“ abnehmen (Böge 1985, 853). Das Fachwort wird dann zur Grundlage einer typischen Fachwortbildung in der Techniksprache der Gegenwart: Außen-, Band-, Durchgangs-, Feinst-, Feinzieh-, Fertig-, Flach-, Flächen-, Form-, Gewinde-, Gleit-, Innen-, Längs-, Langloch-, Reib-, Rund-, Scharf-, Schnell-, Schrägeinstech-, Schwingzieh-, Spitzenlos-, Trenn-, Trommelgleit-, Vibrations-, Vibrationsgleit-, Werkzeug- und Ziehschleifen (Reinhardt 1992, 10; 32). Das Basiswort bleibt als Simplex mit seiner alltäglich-technischen Bedeutung Teil der Alltagssprache. Dagegen sind die semantisch differenzierten Komposita einer Techniksprache als Fachsprache zuzurechnen. (2) laden: Das Wort ist im Sinne von ,eine Last auf einen Lastträger applizieren‘ ursprünglich für alltäglich-körperliche Handlungen reserviert (vgl. ahd. ladan: ,beladen, behängen, beschweren‘), wobei bereits die ahd. Wortbildung Differenzierungen wie in der Gegenwartssprache ermöglichte (analaden, biladen, firladen, giladen, intladen, ubarladen). Erst später werden in Alltag und Technik die Bedeutungen besonders auf zwei technische Applikationen konzentriert: ,Laden eines Fahrzeuges‘ und

,Laden einer Waffe‘. Dabei entstehen folgende Wortbildungen: abladen, aufladen, ausladen, beladen, einladen, entladen, nachladen, überladen, umladen, verladen (Reinhardt 1992, 35⫺43). In einem weiteren Schritt findet die Übertragung von der (technisch älteren) mechanischen Bedeutung zur (historisch jüngeren) elektrotechnischen Bedeutung statt, nämlich für die Bedeutung ,Speichern von elektrischer Energie in Batterie, Akkumulator oder Kondensator‘, und zwar mit folgenden Wortbildungen: aufladen, entladen, nachladen, überladen.

Das Ineinandergreifen von alltäglicher und technischer Handlung selbst in den einfachsten Verben des Basiswortschatzes zeigt die Problematik auf, die sich bei einer varietätenlinguistischen Kategorisierung und einer Abgrenzung von Alltagssprache und Techniksprache stellt. Die Techniksprache ist in solchen Bestandteilen vormodern und konservativ wie die Alltagssprache. Selbst die weltgeschichtliche Zäsur der Industriellen Revolution erbringt hier keine grundsätzliche, sondern nur eine relative Ablösung des Kommunikationsbereiches Technik aus Alltagswissen und Alltagssprache (vgl. Jakob 1993).

4.

Forschungsfelder

(1) Wortbildung: Zu den wichtigsten Domänen bisheriger Techniksprachenforschung gehört die Untersuchung der Wortbildung. Die Besonderheiten der Derivation und Komposition gehören zu den ⫺ auch für den sprachwissenschaftlichen Laien ⫺ auffälligen Erscheinungen von fachsprachlichen Varietäten. Entsprechend intensiv ist dieses Feld durch eine ohnehin sehr ausdrucksseitig orientierte Fachsprachenlinguistik bearbeitet. Die zusammenfassenden Kapitel in den maßgeblichen Handbüchern zur Fachsprachenforschung zeigen dies (Fluck 1980; Hahn 1983; Hoffmann 1985; Hoffmann 1988; Möhn/Pelka 1984). Einen zusammenfassenden Überblick bieten Reinhardt (1992) und das Wortbildungslexikon Fachwort Technik (1984). (2) Syntax und Stilistik: Im Bereich der Syntax (und in der damit teilweise direkt verbundenen Textstilistik) ist es schwer, einen spezifischen Forschungsstrang für die Techniksprache auszumachen. Was in den einschlägigen Arbeiten generell als Besonderheiten der Fachsprachensyntax oder -stilistik herausgearbeitet wird, gilt oft generell für fachsprachliche Erscheinungsformen (also auch wissenschaftliche und institutionelle)

146 und wird dementsprechend auch vermischt für verschiedene Fachsprachen behandelt. Man gewinnt gelegentlich den Eindruck, als würde die Techniksprache immer dann als stellvertretendes Exempel herangezogen und analysiert, wenn besonders „drastische“ Formen für Nominalisierung, Kondensierung, Deagentivierung, Passivkonstruktionen, Funktionsverbgefüge u. a. gebraucht werden. (Vgl. hierzu die folgenden Arbeiten: Drozd/Seibicke 1973; Köhler 1981; Kuntz 1979; Möslein 1981; Hoffmann 1978; Spillner 1989.) Da viele Sprachstrukturen, wie z. B. die sogenannte Deagentivierung, nicht nur als Analysekategorie fungieren, sondern häufig (und von einem stilkritischen Akzent begleitet) als Symptome einer besonders „technisierten“ Sprache und „technisierter“ Kommunikations- und Handlungsstrategien bewertet werden, gerät die Techniksprache gelegentlich zum beliebtesten Objekt der kritischen Fachsprachenanalyse. Insgesamt zeigt sich die bisherige Techniksprachenforschung in ihrer morphosyntaktisch-stilistischen Ausprägung trotz unterschiedlichster Richtungen weitgehend als Fachsprachenstilistik in der Tradition der Funktionalstilistik. (3) Lexikologie und Semantik: Im Bereich von Lexikologie und Semantik sind die bisherigen Erträge zur linguistisch orientierten Technik-Fachsprachen-Forschung in den Teilbereichen am reichsten, in denen eine Anknüpfung an eine philologisch orientierte Wortgeschichte gesucht wird (besonders in den 50er und 60er Jahren) und in denen besonders die Metaphorik und Bildhaftigkeit der alltagsnahen Fachsprachen und (auf dem Hintergrund einer inhaltbezogenen Sprachwissenschaft) ihre Nähe zur „muttersprachlichen“ Weltdeutung betont wird (vgl. z. B. Bückendorf 1963; Dröge 1978; Hums 1988; Ischreyt 1965; Mackensen 1959; Rahnenführer 1965; Spiegel 1972; Taenzler 1955; Unger 1980). Nicht aus sprachwissenschaftlicher, sondern aus technik-dokumentarischer Intention entstehen Wortschatzsammlungen und Thesauri (vgl. z. B. Thesaurus Maschinenbau 1979). In nicht wenigen Titeln ist die Beschäftigung mit der Techniksprache der modernen Zeit konzentriert in der Auseinandersetzung um den Maschinen-Begriff und um die historisch veränderlichen Anwendungsbereiche der Maschinen-Metapher. Wenn etwa die Maschine teils als historisch-soziologisches Deutungskonzept (z. B. die Welt als Mega-Maschine) oder teils als Träger einer postmodernen Zivilisationskritik, etwa in der

II. Der Status der Fachsprachen

metaphysischen In-Eins-Setzung von Körper und Maschine (z. B. Berr 1990), fungiert, dann steht weniger die technische Metapher im Vordergrund als vielmehr deren Wirkungsbreite außerhalb der Technik (vgl. hierzu die angemessen kritische Position von Ropohl 1991, 167 ff).

5.

Sprachliche Isomorphie von Natur und Technik

Immer wieder wurde beobachtet und betont, daß die Techniksprachen ganz besonders zu einer extensiven Verwendung von Mensch-, Tier-, Körper- und Organmetaphorik neigen (vgl. Hahn 1971, 91 ff; Spiegel 1972, 157 ff; Taenzler 1955, 198 ff). Zur Deutung solch sprachlicher Phänomene bietet sich eine Herleitung aus Konzepten der philosophischen Anthropologie an, wie sie erstmals in der Theorie von Ernst Kapp (1877), der Werkzeugherstellung als „Organimitation“ deutet, und später in der Theorie von Arnold Gehlen (1957) fundiert wurden. Nach Gehlen dienen Werkzeugherstellung und Werkzeuggebrauch dem „Mängelwesen“ Mensch als überlebensnotwendige Strategien, nämlich als „Organersatz“, „Organverstärkung“ und „Organentlastung“ (vgl. hierzu ausführlich Jakob 1991a, Kap. 2). Von solch philosophisch-anthropologischen Deutungsmustern ausgehend, wird plausibel, daß alltägliches Sprechen über Mensch, Natur und Technik notwendigerweise isomorph sein muß. Eine etymologische und wortgeschichtliche Trennung zwischen „natürlicher“ oder „menschlicher“ Grundbedeutung der Wörter und technischen Metaphern (oder auch entsprechend umgekehrt) ist in der Alltagssprache kaum möglich. Aber darauf aufbauend müssen sich auch in der Techniksprache als Fachsprache technische, menschliche und natürliche Inhalte und Sprachformen permanent überlagern und durchdringen. Die Isomorphie von Technik und Natur, besonders die Isomorphie von Artefakt und Körper bzw. Organ, läßt sich an der Metaphorik zeigen, die die Techniksprache auf der Grundlage von Wörtern mit ehemals „natürlicher“ oder „menschlicher“ Grundbedeutung bildet (vgl. Jakob 1991 a, 24). Fünf Quellbereiche, aus denen die Metaphorik der Techniksprache gespeist wird, lassen sich festhalten: (1) Menschliche Organe und Körperteile: Arm, Auge, Backe, Bart, Bauch, Bein, Brust, Busen, Dau-

147

10. Techniksprache als Fachsprache men, Elle, Faust, Finger, Fuß, Gesicht, Glatze, Haar, Hals, Hand, Herz, Kehle, Kinn, Knie, Kopf, Kropf, Leber, Lippe, Locke, Mund, Nacken, Narbe, Nase, Niere, Ohr, Rippe, Rücken, Rumpf, Schenkel, Schulter, Sehne, Sohle, Stirn, Wange, Zahn, Zehe, Zopf, Zunge. (2) „Artifizielle Organe“ des Menschen: Bett, Brille, Flöte, Gabel, Griffel, Haube, Helm, Hemd, Hose, Hut, Kamm, Kette, Korb, Krone, Krücke, Mantel, Mütze, Sattel, Schürze, Schuh, Schwert, Tasche, Trommel. (3) Tiere: Bär, Bock, Esel, Fisch, Frosch, Fuchs, Gans, Geier, Geiß, Gemse, Grille, Henne, Hund, Igel, Kalb, Kamel, Katze, Kranich, Kröte, Krokodil, Küken, Maulwurf, Maus, Pferd, Ratte, Roß, Sau, Schildkröte, Schlange, Schnecke, Schwein, Vogel, Wespe, Widder, Wolf, Wurm. (4) Tierische Organe und Körperteile: Feder, Fell, Flügel, Horn, Huf, Klaue, Kralle, Panzer, Pratze, Quaste, Rüssel, Schnabel, Schuppen, Schwanz, Schwinge, Stachel, Tatze. (5) Pflanzen und Pflanzenteile: Apfel, Ast, Banane, Baum, Beere, Birne, Blatt, Blüte, Blume, Bohne, Dorn, Frucht, Korn, Krone, Nuß, Rose, Rute, Schale, Stamm, Stengel, Stiel, Wurzel, Zweig, Zwiebel.

Neben den Metaphern, die durch einfache Form- oder Funktionsähnlichkeit motiviert sind (z. B. Flügel), sind besonders diejenigen interessant, die eine Gesamtdeutung und -gleichsetzung von Artefakt und Lebewesen anzeigen (z. B. Wolf, Bär). Nach Meinung der älteren Fachsprachenforschung sind solche Lebewesen-Metaphern in den Techniksprachen Indikatoren für bestimmte Denkkonzepte und den Wunsch nach „Verlebendigung“ der Technik (z. B. Taenzler 1955, 216). Doch hier ist wissenspsychologisch zu präzisieren: Der Mensch deutet Technik lebendig oder gar menschlich, ohne aber wirklich an ein „Leben“ im Werkzeug oder in der Maschine zu glauben. In das Alltagshandeln eingebundene technische Handlungen sind so selbstverständlich „menschlich“ und „alltäglich“, daß sie ⫺ ohne weitere Reflexion ⫺ eben auch sprachlich „vermenschlicht“ werden. Die zwanghafte sprachliche Teleologisierung der Technik, besonders der neuen und noch nicht durchschaubaren, bestätigt dies (vgl. Jakob 1991b): Der Drucker spinnt, der Computer will das nicht. Die „Vermenschlichung“ unbelebter Artefakte und die „Technisierung“ von Menschen ist in der Geschichte stets unterschiedlich vollzogen worden, und keinesfalls ist die Grenzziehung zwischen Lebendigem und Künstlichem konstant und zwanghaft durch die Sprache vorgegeben. Dem antiken Autor erscheint offensichtlich eine Dreiteilung der

Instrumente in sprachbegabte, stimmbegabte und stumme (womit Sklaven, Ochsen und Geräte gemeint sind) nicht anstößig (Varro, 37 v. Chr.; nach Hägermann/Schneider 1991, 57). Dem Autor des 18. Jh. ist der menschliche Körper „die allerschönste vortrefflichste, und künstlichste Maschine“ (Zedlers Universal-Lexikon Bd. 20, 1739, 810).

6.

Grundlegende Metaphernkonzepte

Die Isomorphismen im Sprechen über Mensch, Natur und Technik sind nach Auffassung der Wissenspsychologie keine kognitiven oder sprachlichen Einzelfälle. Vielmehr gehört es zu den Grundprinzipien der menschlichen Wissensspeicherung und -verarbeitung, daß sie mit Hilfe von Analogien zu bestehendem Vorwissen und mit modellhaften Repräsentationen anderer Wissensbestände operiert (vgl. Lakoff/Johnson 1980; Johnson 1987; Johnson-Laird 1983; Gentner 1983). Nicht die einzelne Metapher, sondern die hinter ihr stehenden metaphorischen Konzepte, wie z. B. MASCHINE IST MENSCH, sind die sprachlichen Belege dafür, daß die Verarbeitung von Technikwissen in einigen wenigen Modellen vonstatten geht. Gedankliche und sprachliche Verarbeitung von Technik findet im wesentlichen in drei zentralen Modellen statt (vgl. zur ausführlichen Herleitung: Jakob 1991a, Kap. 3): (1) Mentales Modell KÖRPER: Es beinhaltet diejenigen Vorstellungen und sprachlichen Mittel, die Artefakte der Realtechnik analog zu den Gesetzen und Bauprinzipien organischer Körper (Mensch, Tier) behandeln. Das Modell KÖRPER zeigt fünf häufig wiederkehrende Submodelle (im folgenden jeweils mit einem Beispiel aus der Verbrennungsmotoren-Technik): NAHRUNGSZUFUHR ⫺ der Motor säuft viel; STOFFWECHSEL ⫺ der Motor verbraucht viel Öl; SCHWÄCHE/ KRANKHEIT ⫺ der Motor ist altersschwach; LEISTUNGSFÄHIGKEIT ⫺ der Motor ist stark; TIERVERHALTEN ⫺ der Motor schnurrt. (2) Mentales Modell MENSCH: Mit ihm wird das Artefakt der Realtechnik als „intelligent“ und vermeintlich „menschlich“ handelndes Wesen gedeutet und entsprechend beschrieben. Die Metaphorik der gegenwärtigen Computer-Sprache zeigt dies. Sieben Teilmodelle (mit verschiedenen Beispielen aus der Maschinentechnik): INTELLIGENT ⫺ Die Maschine merkt das und schaltet ab;

148 SELBSTÄNDIG ⫺ Die Maschine holt sich selbst das Material; ZUVERLÄSSIG ⫺ Der Motor ist zuverlässig; WAHRNEHMEND ⫺ Der Gasmelder riecht die Verunreinigung; LAUNISCH ⫺ Die Maschine spielt verrückt; STARRKÖPFIG ⫺ Der Motor bockt; FÜRSORGEND ⫺ Der Thermostat sorgt für eine angenehme Raumtemperatur. (3) Mentales Modell MECHANIK: Alle „nicht-mechanischen“, „unanschaulichen“ und „unkörperlichen“ Vorgänge und Operationen der Technik werden mit Kategorien einer naiven Alltagsphysik bewältigt, deren tragende Denkschemata KÖRPERLICHKEIT und ALLTAGSMECHANIK sind. Fünf Submodelle stehen zur Verfügung: FESTER KÖRPER ⫺ einen elektr. Schlag bekommen; FLÜSSIGKEIT ⫺ der Dampf strömt durchs Rohr; MATERIALQUALITÄT ⫺ nasser, trockener, gespannter Dampf; KRAFT ⫺ der Dampf drückt das Ventil herunter; BEWEGUNG ⫺ der Dampf tritt ins Freie aus. Dieses dritte Modell MECHANIK ist insofern gegenüber den ersten beiden ein grundlegenderes, als es auf elementare Formen der menschlichen Erfahrung aufbaut: auf Orientierungskonzepten („orientational metaphers“, Lakoff/Johnson 1980, 14), in denen die räumlich-physikalische Erfahrung gespeichert ist (UP-DOWN, IN-OUT, FRONTBACK, ON-OFF, DEEP-SHALLOW, CENTRAL-PERIPHERAL), und auf elementaren Vorstellungen von Kraft und Bewegung („force schemata“, Johnson 1987, 45), in denen die Erfahrungen über natürliche und technische Kräfte, Bewegungen, Widerstände gespeichert sind (COMPULSION, BLOCKAGE, COUNTERFORCE, DIVERSION, REMOVAL OF RESTRAINT, ENABLEMENT, ATTRACTION) (vgl. die ausführliche Besprechung in Jakob 1991a, 34 ff). Damit wird das Modell MECHANIK besonders wichtig für die sprachliche Gestaltung von komplexer und „undurchschaubarer“ Maschinentechnik. Nur durch die „Verkörperlichung“ von nicht-festen Körpern und Größen (z. B. ELEKTRIZITÄT IST FLÜSSIGKEIT), nur durch die Berufung auf elementare körperliche Erfahrungen von Schub, Kraft, Widerstand können die nicht unmittelbar nachvollziehbaren technischen Prozesse innerhalb eines mentalen Modells metaphorisiert werden. Zustände und Vorgänge in einem Verbrennungsmotor, in einer Dampfturbine, in einem Akkumulator, in einem Getriebe, in einem Informationssystem und an-

II. Der Status der Fachsprachen

derswo müssen zwanghaft mit solch naiver Alltagsmechanik beschrieben werden. Gleich ob der Sprecher nur über (alltägliches) „Funktionales Regelwissen“ oder über (fachgebundenes und spezielles) „Strukturales Regelwissen“ oder (wissenschaftliches) „Technologisches Gesetzeswissen“ verfügt (Ropohl 1979, 209 ff), bleibt er doch weitgehend in den Grenzen dieser Denk- und Sprachschemata. Insofern sind sie gleichermaßen grundlegend für zwei Kommunikationsbereiche: nämlich für die Techniksprache im Alltag und für Techniksprache als Fachsprache.

7.

Bilanz

(1) Der vage Technikbegriff in Alltag und Wissenschaften spiegelt die Zwischenstellung der Technik zwischen dem Bereich des Alltagswissens und dem Bereich des Fachwissens in Geschichte und Gegenwart wider. (2) Eingebunden in die fortschreitende Technisierung der menschlichen Zivilisationen vom werkzeugherstellenden Urmenschen bis zur Zivilisation der Industriegesellschaft ist die Entwicklung der Techniksprache als Fachsprache von weitreichender historischer Tiefe und stets eingebunden in die Alltagssprache. (3) Die Techniksprache als Fachsprache ist in der Abgrenzung der Varietätenlinguistik insofern die Nahtstelle zwischen Alltagssprache und den alltagsferneren Fachsprachen (Wissenschaften, Institutionen). (4) Insofern sind Anthropomorphisierungen und Teleologisierungen im Sprechen über Technik ebenso selbstverständlich wie die dominierende Natur- und Körper-Metaphorik. Sie sind das sprachliche Symptom einer historisch sehr alten Beziehung von natürlicher und technischer Umgebung: Die Technik gehört auch sprachlich zur Kultur des Menschen, die eigentlich seine „zweite Natur“ ist (Gehlen 1986, 38). (5) Die Ausdrucksformen der Techniksprache stehen als Indikator einer kognitiven Isomorphie, die nicht als substantielle Gleichsetzung mißverstanden werden darf. Mit ihr wird angedeutet, daß der Mensch zwingend darauf angewiesen ist, die drei Sphären Mensch, Natur, Technik in gegenseitiger Durchdringung und Parallelisierung kognitiv zu deuten. (6) Vermeintlich naive Vermenschlichungen und Verlebendigungen, vermeintliche Personalisierungen und vermeintlich unangemessene Natur-Metaphorik in den Technikfach-

10. Techniksprache als Fachsprache

sprachen sind damit nicht als Phänomene eines spezifischen „Fachstils“ aufzufassen. Sie sind obligatorischer (und damit nicht zu kritisierender) Bestandteil der Techniksprache im Alltag und der Techniksprache als Fachsprache.

8.

Literatur (in Auswahl)

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150

II. Der Status der Fachsprachen

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Karlheinz Jakob, Dresden

11. Fachsprache als Gruppensprache 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Fachsprache und soziale Heterogenität Fachsprache als Wirklichkeitsorientierung für die Expertengruppe Kollektives Wissen als Kommunikationsfaktor Sprachregelung und Sprachdokumentation als Orientierungshilfen Literatur (in Auswahl)

Fachsprache und soziale Heterogenität

Innerhalb der Aspektvielfalt des Objektes Fachsprache wirkt ein Gesichtspunkt dominant und begegnet in nahezu allen jüngeren Fachsprachenbeschreibungen: der unmittelbare Zusammenhang von Sprache und Gruppe. Dies gründet auf einem breiten Spektrum alltäglicher Kennungen wie Fachmann, Spezialist, er kennt sich aus, sie verstehen was davon, die immer auch an sprachliche

Merkmale geknüpft sind. Unter kulturanthropologischen und -soziologischen Vorgaben ist der Zusammenhang von Sprache und Gruppe längst etabliert. Für die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung wird die indikative Funktion der Sprache hervorgehoben, die als Bestandteil der „Populärsoziologie“ des täglichen Lebens durch den potentiellen Indikationswert der Sprache gegeben sei. Ihre Symptomfülle verweist nicht zuletzt auf die soziale Biographie der Sprechenden/Schreibenden und hat damit Folgen für die Situationseinschätzung der Kommunizierenden und die daraus resultierenden Anschlußhandlungen (Luckmann 1979, 66 f). Ermöglicht wird ein derartiges Orientieren an Sprachsymptomen durch die erworbene kombinatorische Fähigkeit, in der Vielfalt der Sprache Gruppenzeichen auszumachen, Handlungsausschnitte zu bestimmen und mit sozialen Teilstrukturen zu verbinden. Maßstab und Ergebnis zugleich

151

11. Fachsprache als Gruppensprache

ist ein für das jeweilige Sprachstadium einer Gesellschaft konturiertes Gesamtsystem (Diasystem), in dem mehrere Varietäten einer Gesamtsprache zusammentreffen. Der Begriff der Varietät umfaßt hier sprachgrammatische (Subsystem), sprachfunktionale (Handlungsausschnitt) und soziologische (Gruppe) Merkmale (Möhn/Pelka 1984, 11 ff). Setzt man voraus, daß Sprache sozial aufgebaut ist (Luckmann 1979, 61), kommt der Gruppenperspektive ein deutlicher Vorrang bei der Bestimmung von Varietäten zu. „Die Existenz unterschiedlicher Varietäten einer Sprache, die einerseits auf die verschiedenen sozialen Siuationen verweist, in denen eine Sprache verwendet wird, gibt andererseits zugleich Aufschluß über die unterschiedlichen sozialen Gruppierungen in einer Gesellschaft“ (Nabrings 1981, 32).

Der Varietätentyp Fachsprachen fordert grundsätzlich zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen; die eine zielt auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Gesamtverbund von Varietäten, d. h. Gruppensprachen (vgl. Art. 13), die andere gilt dem engeren Zusammenhang von Fachsprache und Gruppe, sie hinterfragt Art und Form der Gruppenkonstitution durch sprachliche Spezialisierung. Verbindender Anteil beider Betrachtungsweisen ist der Gesichtspunkt der sprachlichen Arbeitsteilung (Putnam 1979), der von unterschiedlichen Wirklichkeitskonzepten innerhalb einer entwickelten Gesellschaft ausgeht. Die zugehörige Gruppenkonzeption fußt hier auf den in der Gruppensoziologie gesicherten Merkmalen wie eine bestimmte Zahl von Mitgliedern, gemeinsame Ziele, ein über längere Zeit dauernder relativ kontinuierlicher Interaktionsprozeß, Gefühl der Zusammengehörigkeit (Schäfers 1980, 20), gewinnt ihre Präzision durch das Merkmal „Experten, -innen“, das Sachverstand und in der Regel professionelles Handeln beinhaltet. Dieser Expertenbezug ist als Bestandteil der Dichotomie Experten⫺Laien in den bisherigen Definitionen von Fachsprache präsent gewesen, damit wird nicht ausgeschlossen, daß auch andere Gruppen fachbezogen kommunizieren (zur Problematik Kalverkämper 1990). Wird ein Fach als ein verschiedene Gruppen einbindender, kommunikationsstiftender Objektbereich aufgefaßt, dann markiert der Ausschnitt „Fachexperten unter sich“ zweifellos denjenigen, der unter dem Gesichtspunkt der Fachentwicklung und ihrer sprachlichen Folgen von besonderer Bedeutung ist. Dieser Ausschnitt wird als „fach-

intern“ gekennzeichnet (Möhn 1977) und führt, auch bei einer Differenzierung zwischen Fach, Fachumfeld (⫽ informierte Laien) und Fachaußenfeld (Wichter 1994, 21), immer noch zu Prädikationen wie „Das Fach ist personal gesehen die Gruppe der Experten“ (Wichter 1994, 42) und „Eine Fachsprache ist das sprachliche System der Experten oder kurz das Expertensystem“ (Wichter 1994, 43). Dabei existiert namentlich in komplexen Fächern, zumal wenn sie in Institutionen und Betrieben praktiziert werden, eine von Fach zu Fach unterschiedliche Binnendifferenzierung (vertikale Schichtung), welche aber der übergreifenden Annahme eines Expertenstatus für diese Beteiligten nicht widerspricht; dies gilt selbst dann, wenn nur eine Teilgruppe jeweils beteiligt wird und in der Praxis des Faches personal unterscheidbare Teilkompetenzen benötigt werden (Möhn/ Pelka 1984, 39). Die relative Isolierbarkeit der Expertengruppe und des zugehörigen Sprachausschnittes rechtfertigt in vielerlei Hinsicht eine gesonderte Betrachtung des Wechselverhältnisses von Fachsprache und Gruppe. Primär ist dabei die sprachliche Manifestation von für die Expertengruppe einschlägigen Wirklichkeitsausschnitten, welche die Gruppenmitglieder bindet und orientiert. Versprachlichungen im Verlauf der Gruppengeschichte belegen, daß mit der Entwicklung der Eigenperspektive einer Expertengruppe zugleich ein hohes Innovationspotential für die Sprachgeschichte gegeben ist. Folge dieses in der fortschreitenden Arbeitsteilung begründeten Resultats und Geschehens ist zugleich eine ausgeprägte Exklusivität, Hermetik, zu deren Überwindung es erheblicher mentaler und sprachlicher Aufwendungen bedarf, um eine die Grenzen der Expertengruppe erweiternde, d. h. fachexterne Kommunikation (Möhn 1979) gelingen zu lassen.

2.

Fachsprache als Wirklichkeitsorientierung für die Expertengruppe

2.1. Die sprachvermittelte Sinnobjektivierung Zwischen dem für die Gruppe innerhalb einer Gesamtgesellschaft reservierten Handlungsraum und dem gruppeneigenen Bestand an sinntragenden Zeichen (Sprachzeichen und andere Zeicheninventare) besteht ein unauflösbarer Zusammenhang. Die soziale Ausgliederung ist, entwicklungsgeschichtlich be-

152 trachtet, immer auch von Akten der sprachlichen Spezialisierung begleitet worden. Erfahrungen, Auseinandersetzungen mit der Wirklichkeit, werden versprachlicht und verdichten sich zu Wirklichkeitskonzepten (⫽ Erfahrungsschemata), die in der Sprache objektiviert werden. „Die Erfahrungsschemata sind typisierende ,Stellungnahmen‘ zur Wirklichkeit, gleichsam habitualisierte Problemlösungen“ (Luckmann 1979, 61). Die sie objektivierende Sprache ist dabei intersubjektiv, gruppenkonstituierend und somit für die Gruppenmitglieder in hohem Maße verpflichtend. Die von Ickler (1987, 10 f) für diese ⫺ nicht umkehrbaren ⫺ Prozesse gewählte Benennung der Disziplinierung umfaßt zwei Seiten desselben Phänomens; einerseits erweist sich Fachsprache als „notwendiges Instrument“ des Menschen zur Beherrschung seiner Umwelt und dabei, durchaus sprachgenuin, als „konsequente, aber einseitige Weiterentwicklung eines Teils, eines Aspekts oder einer Komponente der menschlichen Sprache“, zum anderen folgt aus der Gruppenzugehörigkeit auch eine „unleugbare[ ] ,Funktionslust‘ “, mit der die Fachsprache gebraucht wird, etwa wie man ein gut beherrschtes Werkzeug handhabt (Ickler 1987, 11). Die im Laufe der Gruppengeschichte entwickelte und im Medium der Fachsprache objektivierte „Wirklichkeitstopographie“ (Luckmann 1979, 62) finden Gruppenneulinge vorgegeben vor, werden durch sie eingestellt und erreichen durch Aneignen und Praktizieren die Gruppenidentität. Wie eng dabei die Beziehungen zwischen den sprachlichen Signifikanten und der durch sie getragenen Wirklichkeitsdeutung für die Expertengruppe gesehen werden können, unterstreichen Diskussionen zur Eigenart von Fachtermini. Davon ausgehend, daß wissenschaftliche Termini durch Definition in ihrer Bedeutung festgelegt und damit für bestimmte Wissensbereiche (⫽ Kognitionsausschnitt und Aktionsraum der Expertengruppe) monosemiert seien, sieht Jahr (1993, 69 ff) einen entscheidenden Unterschied zwischen Termini der Fachwissenschaften und Wörtern der Allgemeinsprache in der Relation von Bedeutung und Begriff: „Bedeutung und Begriff fallen umso mehr auseinander, je größer die Mehrdeutigkeit und Vagheit ist. In der Wissenschaftssprache ⫺ insbesondere der Naturwissenschaften, aber auch für geisteswissenschaftliche Termini eindeutiger Festlegung ⫺ wird der Abstand kleiner, je fachwissenschaftlicher

II. Der Status der Fachsprachen der Text ist. Im Extremfall (Ebene der Theoriesprache) kann er null werden, d. h. wenn Bedeutung und Begriff des Fachterminus identisch sind […]“ (Jahr 1993, 72).

Für die Mitglieder der Gruppe folgt aus einer derartigen Wirklichkeitsperspektive, so ideal sie auch beschrieben sein mag, in jedem Fall eine spezifische Referenzanweisung, welche die Teilnahme an der gruppeninternen Kommunikation erst ermöglicht. Unter der Vielzahl von Gruppen (vgl. Art. 13) gehört die einzelne Expertengruppe zu jenem Sozialausschnitt, dessen Mitglieder vorrangig bestimmt werden können durch ihre fachspezifische Ausbildung und Tätigkeit. Das zugehörige sprachliche Handeln gilt primär der Darstellung und Vermittlung von Sach- und Fachwissen (Möhn/Pelka 1984, 11), wobei dies in der kommunikativen Realität nur unterschiedlich stringent erreicht werden kann. Unterschiede sind zumindest tendenziell auch in der Eigenart von Geistesund Naturwissenschaften begründet: „Es ist wohl unbestreitbar, daß die Sachverhalte in den Naturwissenschaften dem Menschen stärker als gegeben gegenübertreten als es in den Geisteswissenschaften der Fall ist“ (Jahr 1993, 30).

In diesen ist bei der Erörterung ihrer Gegenstände die Teilnehmerperspektive niemals aufgegeben worden und somit immer eine Mischung der „subjektiven“ und der „objektiven“ Redeweise erwartbar (Ickler 1987, 21). Inwieweit die Verteilung der beiden Anteile (Mischungsverhältnis) für die einzelnen Gruppen in ihren Kommunikationsformen konventionell geregelt ist, sollte weiter untersucht werden. Es bestehen relevante Unterschiede zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit; je intensiver Expertenkommunikation dialogisch-direkt (Diskussionen auf einer Tagung, Kolloquien, Gespräche am Arbeitsplatz im Betrieb) stattfindet, um so größer ist der subjektive Anteil (Beispiele bei von Hahn 1983, 157; Möhn/Pelka 1984, 92 f). Die Verteilung der Mischungsverhältnisse von Objektzentriertheit und Subjektberücksichtigung kann nicht einseitig einzeln Expertengruppen zugewiesen werden, beschreibt vielmehr bestimmte Kommunikationsmuster im gesamten Expertendiskurs. Bei der schriftlichen Vermittlung von Grundlagenwissen (Kommunikationsform: Handbuch) beispielsweise wird eher eine subjektdistanzierte Darstellungsweise vorausgesetzt, vgl. Im 15. Jh. entwickeln bzw. konsolidieren sich mehrere großräumige Schreib- und Druck-Varietäten der

11. Fachsprache als Gruppensprache

deutschen Sprache (Schreiblandschaften): vor allem im östlichen Oberdeutschen, in den wettinischen Territorien, im Gebiet der Hansestädte […] (von Polenz 1991, 100). Es mag mit der Priorität geschriebener Texte (Kriterien der Zugänglichkeit und der Dokumentation) in der Geschichte der Fachsprachenforschung zu tun haben, daß gerade die subjektdistanzierten Texte dazu gedient haben, um Entwicklungstendenzen und daraus abgeleitete Kommunikationsregeln herauszuarbeiten. Ickler (1987, 23 ff) hebt als Merkmale der Objektivierung die Entsubjektivierung, die Entrhetorisierung und die Enthistorisierung hervor. Kretzenbacher (1995, 26 ff) leitet im selben Zusammenhang für den Sprachgebrauch in den Wissenschaften regelrechte Verbote ab, „absolute, unausgesprochene und unhinterfragbare Verbote“ (Kretzenbacher 1995, 26), die in dem Ich-Tabu, dem Metapherntabu und in dem Erzähltabu begründet sind. In der Konsequenz des Ich-Tabus werden weit über 90% aller finiten Verben in 3. Person gebildet, Verstöße fallen offensichtlich auf und können zur Stigmatisierung des Einzelnen in der Gruppe führen. Bei der unmittelbaren Initiation von Gruppennovizen im Rahmen der Ausbildung steht das gruppentypische sachorientierte Handeln im Vordergrund, also die Vermittlung von Sach- und zugehörigem Sprachwissen. Mit dieser sind, vor allem in der mündlichen Unterweisung, solche Sozialisationsprozesse verknüpft, die sich enger auf das Kooperations- und Handlungswissen in der aufnehmenden Gruppe selbst beziehen. Brünner (1987) unterscheidet in begrifflichem Anschluß an Ehlich/Rehbein (1977) hier drei besondere Formen der Tradierung im Gruppendiskurs: die Sentenz, die Maxime und den Tip. Dabei repräsentieren Sentenzen als „kollektive Merksätze“ Gruppenwissen, das weitgehend von den Mitgliedern akzeptiert ist; sie können als feste Wendungen auftreten: Wir hatten gesagt, sicher ist sicher. Maximen als „Destillate aus vorgängiger Erfahrung“ helfen bei der Deutung einzelner Arbeitssituationen, fungieren als Richtsätze bei zu treffenden Entscheidungen: Wir arbeiten nur mit Handschuhn. Tips hingegen beziehen sich eher auf die unmittelbare Handlungsausführung: Oberarm am Oberkörper, dann hab ich eine sogenannte Hebelwirkung, dann machen das die Knochen, verstehste dat (Brünner 1987, 301 ff).

153 2.2. Gruppeninterne Referenzanweisungen Für die gemeinsame Wirklichkeitskonstitution, welche die Expertengruppe in Geschichte und Gegenwart zusammenhält, spielt die Fachlexik eine entscheidende Rolle. Die Inhaltsseite (zur Ausdrucksseite vgl. 2.3) kann als Kontrast zum Individualbegriff aufgefaßt werden, als „das Gemeinsame, das Menschen an einer Mehrheit von Gegenständen feststellen und als Mittel des gedanklichen Ordnens (,Begreifens‘) und darum auch zur Verständigung verwenden“ (Wüster 1991, 8). Bei dieser kollektiven Begrifflichkeit werden zwei Merkmale besonders hervorgehoben, die relative Randschärfe (wird vor allem für die Fachtermini als Untermenge der gesamten in einem Fach verwendeten Lexik postuliert) und die semantische Extension. Das Postulat der Randschärfe erweist sich in jedem Fall als an bestimmte Entwicklungsstadien und Repräsentanten der Expertengruppe gebunden. Es existieren offensichtlich auch in der Synchronie „gewisse Gütespielräume“ (Wichter 1994, 95), die ihre Ursachen in der individuellen Exponierung und im Innovationsbereich des Faches haben. Daher ist die Auseinandersetzung über die Inhalte von Fachlexemen, ihre Interpretation, kommunikationsstiftend und führt zu entsprechenden Deklarationshandlungen für die aktuelle Position wie: Darunter wird verstanden, ich gehe von folgender Definition aus. Derartige Deklarationen erklären sich aus der Wahrnehmung einer gruppenstiftenden gemeinsamen Sprache und der Notwendigkeit einer bewußten Sprachgestaltung. Bei seinen Untersuchungen zu einer Lexikologie der Vertikalität, die auf die Unterscheidbarkeit von Experten- und Laienwortschätzen zielen, hat Wichter (1994) prinzipielle Eigenarten der beiden Gruppen ermittelt. Den Vergleich ermöglichen u. a. sogenannte Inhaltsschemata, welche einen Fachgegenstand in seiner begrifflichen Repräsentanz dokumentieren und dabei deutliche Differenzen in der Wirklichkeitsstrukturierung offenbaren. Entscheidend für die Differenz in der semantischen Extension sind augenscheinlich zunächst die Art und die Anzahl der präsenten Kategorien („Domänenrelevanz“), vgl. die Besetzung von Typ, Marke. Hinzu tritt eine stärkere, auch sprachlich manifeste Differenzierung von einzelnen Teilbegriffen, vgl. Maße/Größe (Wichter 1994, 131 f). Gerade diese belegt ein weiteres Merkmal der Expertensprache: sie entspricht der fortgeschritte-

154

II. Der Status der Fachsprachen

⫺ Holzschrauben Nr. 53275 ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺

(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9)

Typ Anwendung Form Maße/Größe Preis Material Farbe Oberfläche Herstellung

⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺

Holzschraube *folgt aus Typ+ Rundkopf 6,0 ⫻ 70 mm 3,25 DM (6 Stück) *Eisen+ verzinkt *folgt aus Material+ *oder+ *silberfarben+ *evtl. domänenspezifisch irrelevant+ *unbekannt+ *oder+ *evtl. in Grundzügen bekannt+ ⫺ (10) int. Nummer ⫺ Nr. 53275 ⫺ (11) Marke ⫺ suki ⫺ …

Abb. 11.1: Inhaltsschema Experte (nach Wichter 1994, 131)

⫺ fingerlange Schraube

⫺ (1)? ⫺ (2) Anwendung ⫺ (3) Form ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺

⫺ Holz ⫺ der obere Teil der Schraube ist leicht und pilzartig gerundet und mit einem kräftigen Schlitz versehen (4) Maße/Größe ⫺ fingerlang, ein paar Millimeter dick (5) Preis ⫺ *unbekannt, höchstens der Größenordnung nach+ (6) Material ⫺ irgendein Metall (7) Farbe ⫺ silberfarben (8) Oberfläche ⫺ *irrelevant+ *oder+ glatt (9) Herstellung ⫺ *unbekannt+ (10) int. Nummer ⫺ *unbekannt+ (11) Marke ⫺ *unbekannt+ …

Abb. 11.2: Inhaltsschema Laie (nach Wichter 1994, 132)

nen Mikrogliederung der Objektwelt, was sich in der Konstruktion von Begriffssystemen (Begriffsleitern, Begriffsreihen) durch Terminologen niederschlägt (Felber/Budin 1989, 61 ff). Die Kompetenz der detaillierten kohärenten Objektversprachlichung ist zum wesentlichen Indikator der Gruppenzugehörigkeit geworden (vgl. das Kriterium „Beherrschung von Fachvokabular“ bei der Beurteilung von Prüfungsleistungen). 2.3. Formenspezialität der Kommunikation Unter 2.1. wurde der Aspekt der Ausdrucksselektion bereits berührt. In der Tat kommt zur semantischen Differenz als unabweisbares Indiz für die Gruppenzugehörigkeit das spezialisierte Formeninventar dazu. Deshalb ist es zwingend, zwischen Inhalts- und Ausdrucksschemata bei der Gruppencharakteristik zu unterscheiden (Wichter 1994, 131). Ausprägungen des Formeninventars sind in einer Vielzahl von Analysen für einzelne Expertengruppen ermittelt worden, Resultate finden sich als Teil einer Gesamtcharakteristik in den Grundlagenwerken (Fluck 1991;

von Hahn 1983; Hoffmann 1985; Möhn/ Pelka 1984) wieder. Die Perspektiven reichen von der Kombination verschiedener Zeicheninventare (Einbezug von nichtsprachlichen Zeichen, z. B. Sprach-Bildrelationen), über morphologische Indikatoren (Wortbildung), die Integration fremdsprachlicher Anteile im Zuge der Fachgeschichte, die Nutzung einzelner Satzbaupläne bis hin zu Bauplänen einzelner einschlägiger Textsorten. Unter dem primären Gesichtspunkt der Formenspezialität einer Fachsprache sind zwei Einschränkungen angebracht: (1) Es hängt sicher mit dem intensiven Wechselverhältnis von Fachund Allgemeinwelt, von Fach- und Gesamtsprache zusammen, daß der Befund eines eigenständigen Formeninventars zumeist relativiert werden muß zugunsten von typischen Frequenz- und Produktivitätsverteilungen in einzelnen Fachsprachen. Vgl. z. B.: „Die Wortbildungsmodelle der Terminologien stimmen in allen wesentlichen Grundzügen mit denen der übrigen Lexik überein, d. h., bei der Bildung der Termini werden die gleichen Mittel und

155

11. Fachsprache als Gruppensprache Methoden verwendet wie in der Wortbildung sonst auch“ (Hoffmann 1985, 169).

(2) Die Formenspezialität im Sprachgebrauch ist sehr viel stärker auf die einzelnen Sprachverwendungssituationen im Fach zu beziehen (Möhn/Pelka 1984, 71 ff). Hier belegt die spezifische Formenselektion die Zugehörigkeit zur Expertengruppe, in der situationsdifferenzierte Kommunikationsmuster vorgegeben sind. Vor dem Hintergrund der Formenselektion hat Thurmair (1995) das Problem der Doppelterminologie (z. B. Appendizitis, Blinddarmentzündung) diskutiert. Unter gruppenpsychologischem Gesichtspunkt ist interessant, daß sich inhaltsgleiche Formen hinsichtlich ihres Prestigecharakters unterscheiden können, wobei dann der aus der Fremdsprache entnommene Terminus ein „höhere[s] fachsprachliche[s] Register“ markiert (Thurmair 1995, 249).

3.

Kollektives Wissen als Kommunikationsfaktor

Das die Mitglieder einer Expertengruppe verbindende gemeinsame Wissen, bezogen auf die Fachwelt und die sie repräsentierenden Ausdrucksformen, hat unmittelbaren Einfluß auf die gruppeninterne Kommunikation. Sie ist grundsätzlich durch eine ausgeprägte Sprachökonomie gekennzeichnet, die in den „allgemeinen Grundsätzen kooperativer Kommunikation“ (von Polenz 1991, 30) ihre Begründung findet. Besondere Bedeutung kommt dabei dem spezifischen Inhaltsinventar zu, das im Verlauf der Gruppengeschichte mit zugehörigen Formen gruppenidentifizierend verbunden worden ist. Unter dem Gesichtspunkt der Ausdrucksökonomie wird in der Forschung vorrangig auf den Bestand von Fachtermini abgehoben, entwicklungsgeschichtlich sind sie zu verstehen „als maximal kondensierte Texte, welche ihrerseits ⫺ in Verein mit Handlungszusammenhängen ⫺ notwendigerweise die Voraussetzung für Termini sind und paradigmatisch hinter ihnen stehen“ (Kalverkämper 1987, 65). Im inhaltsbezogenen Abgleich von Terminus und Fachtext weist Kalverkämper (1987, 64 ff) nach, daß der grundsätzliche Unterschied nicht in der Exaktheit und Präzision der Information gegeben, vielmehr eine Frage der beteiligten Kommunikationspartner und ihrer wechselseitigen Einschätzung sei. Demnach mache der ungestützte Gebrauch von Fachtermini zur Voraussetzung, daß der Rezipient in der

Lage sei, memorierte Kontexte und Vorwissen zu Handlungszusammenhängen zu aktivieren. Die Ökonomie der Expertenkommunikation ist demnach vor allem dadurch gegeben, daß die Kompetenz des fachspezifischen Referierens vorausgesetzt werden kann. Ein redundantes Paraphrasieren wird als Verstoß gegen die Gruppenkonvention gewertet. Daraus folgt aber auch, daß Modifikationen des Tradierten und Neubenennungen explizit angemeldet werden müssen.

4.

Sprachregelung und Sprachdokumentation als Orientierungshilfen

Bei einer größeren Mitgliederzahl und bei Innovationsschüben in rascher Folge wird die metalinguale Tätigkeit in der Gruppe und für die Gruppe unabweisbar. Andernfalls ist die nicht zuletzt durch ein Mindestmaß an identischem Sprachgebrauch gewährleistete kollektive Bindung des einzelnen Mitglieds und damit die Homogenität der gesamten Gruppe gefährdet. Daher ist die Geschichte der Expertengruppen auch durch die Tradition sprachlicher Referenzwerke bestimmt, die „Unvollkommenheiten der Sprache“ (Leibniz 1904, 354) wirken kommunikationsstiftend. Prinzipiell lassen sich zwei Arten sprachlicher Referenzwerke unterscheiden, die eine ist das Ergebnis expliziter bewußter Sprachnormung, um die Einheitlichkeit der fachlichen Begrifflichkeit gegenüber einem „untragbaren Durcheinander“ (Felber/Budin 1989, 34) zu erreichen. Die allmähliche Genese einer ökonomischen Sprache für frequente gruppeninterne Aufgaben (Gruppennorm) wird auf diese Weise forciert. Dabei geht es bei aller wirtschaftlichen Motivation sprachlicher Koordinierung, die nicht zufällig seit dem 19. Jh. als vorrangiges Argument angeführt wird (Möhn 1976) und die heute innerhalb von Unternehmen primär ist (Häfele 1977), immer auch um das Bewahren von Gruppenidentität. Manifestationen dieser Bemühungen um eine Standardisierung der Sprachverwendung sind diverse Normungswerke mit teilweise internationalem Zuschnitt (zu Einzelheiten Felber/Budin 1989, 237 ff). Die zweite Art sprachlicher Referenzwerke ist eher dadurch gekennzeichnet, daß zumindest ein Überblick über die in einer Fachgemeinschaft gebräuchliche Lexik ermöglicht werden soll (gilt für die meisten Fachwörterbücher). Auf diese Weise werden einzelne

156

II. Der Status der Fachsprachen

Sprachstadien der Gruppengeschichte dokumentiert, Traditionsbewußtsein wird ermöglicht und gestützt. Daß zwischen Innovationen in einem Fach und der sprachbezogenen an die Gruppenmitglieder gerichteten Begleitkommunikation (als Ausschnitt der Fachlexikographie) ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, belegen die Vorwortsequenzen in verschiedenen Auflagen ein- und desselben Fachwörterbuchs. Grund für eine Neubearbeitung ist z. B. „eine rasche Entwicklung […], die zu neuen Ergebnissen, neuen Standpunkten und anderen Betrachtungsweisen geführt hat“ (Lewandowski 1984/1985, Bd. 1, Vorwort). Auch bei den eher dokumentierenden Referenzwerken kann ein sprachkonsolidierender Effekt für die Gruppe, der durch die Benutzung eintritt, durchaus angenommen werden.

5.

Literatur (in Auswahl)

Brünner 1987 ⫽ Gisela Brünner: Kommunikation in institutionellen Lehr-Lern-Prozessen. Diskursanalytische Untersuchungen zu Instruktionen in der betrieblichen Ausbildung. Tübingen 1987 (Kommunikation und Institution 16: Untersuchungen). Ehlich/Rehbein 1977 ⫽ Konrad Ehlich/Jochen Rehbein: Wissen, kommunikatives Handeln und die Schule. In: Sprachverhalten im Unterricht. Hrsg. v. Herma C. Goeppert. München 1977 (Uni-Taschenbücher 642), 36⫺114. Felber/Budin 1989 ⫽ Helmut Felber/Gerhard Budin: Terminologie in Theorie und Praxis. Tübingen 1989 (Forum für Fachsprachen-Forschung 9). Fluck 1991⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 4., unveränd. Aufl. Tübingen 1991 (Uni-Taschenbücher 483). Häfele 1977 ⫽ Margot Häfele: Anforderungen der betrieblichen Wirklichkeit an die Sprache. In: Muttersprache 87. 1977, 86⫺98. von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung⫺Linguistische Konzepte⫺ Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Hoffmann 1985 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1985 (Forum für Fachsprachen-Forschung 1). Ickler 1987 ⫽ Theodor Ickler: Objektivierung der Sprache im Fach ⫺ Möglichkeiten und Grenzen. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 9⫺38. Jahr 1993 ⫽ Silke Jahr: Das Fachwort in der kognitiven und sprachlichen Repräsentation. Essen

1993 (Allgemeine Literatur- und Sprachwissenschaft 1). Kalverkämper 1987 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Vom Terminus zum Text. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 39⫺78. Kalverkämper 1990 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Gemeinsprache und Fachsprachen ⫺ Plädoyer für eine integrierende Sichtweise. In: Deutsche Gegenwartssprache. Tendenzen und Perspektiven. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Berlin. New York 1990 (Institut für deutsche Sprache. Jahrbuch 1989), 88⫺133. Kretzenbacher 1995 ⫽ Heinz L. Kretzenbacher: Wie durchsichtig ist die Sprache der Wissenschaften? In: Linguistik der Wissenschaftssprache. Hrsg. v. Heinz L. Kretzenbacher und Harald Weinrich. Berlin. New York 1995 (Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Arbeitsgruppe: Wissenschaftssprache. Forschungsbericht 10), 15⫺39. Leibniz 1904 ⫽ G[ottfried] W[ilhelm] Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Ins Deutsche übers., mit Einleitung, Lebensbeschreibung des Verfassers und erläuternden Anmerkungen versehen von C. Schaarschmidt. 2. Aufl. Leipzig 1904 (Philosophische Bibliothek 69). Lewandowski 1984/1985 ⫽ Theodor Lewandowski: Linguistisches Wörterbuch. Bd. 1⫺3. 4. Aufl. Heidelberg 1984⫺1985 (Uni-Taschenbücher 200, 201 und 300). Luckmann 1979 ⫽ Thomas Luckmann: Soziologie der Sprache. In: Handbuch der empirischen Sozialforschung. Hrsg. v. Rene´ König. Bd. 13: Sprache. Künste. 2., völlig neubearb. Aufl. Stuttgart 1979 (dtv Wissenschaftliche Reihe 4248), 1⫺116. Möhn 1976 ⫽ Dieter Möhn: Sprache ⫺ Schlüssel zur Technik. In: Fachsprachen. Terminologie, Struktur, Normung. Hrsg. v. Karl-Heinz Bausch, Wolfgang H. U. Schewe und Heinz-Rudi Spiegel. Berlin. Köln 1976 (DIN Normungskunde 4), 20⫺ 32. Möhn 1977 ⫽ Dieter Möhn: Zur Entwicklung neuer Fachsprachen. In: Deutscher Dokumentartag 1976. Münster vom 4. 10. bis 7. 10. 1976. Information und Dokumentation zum Umweltschutz. Das IuD-Programm der Bundesregierung. Öffentliche Gremiensitzungen und Gesprächskreise. Bearb. v. Mathilde von der Laake und Peter Port. München 1977, 311⫺321. Möhn 1979 ⫽ Dieter Möhn: Formen der fachexternen Kommunikation. Linguistische Analyse und fachdidaktische Vermittlung. In: Der Deutschunterricht 31. 1979, H. 5, 71⫺87. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Nabrings 1981 ⫽ Kirsten Nabrings: Sprachliche Varietäten. Tübingen 1981 (Tübinger Beiträge zur Linguistik 147).

12. Fachsprachen und Gemeinsprache von Polenz 1991 ⫽ Peter von Polenz: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. I: Einführung. Grundbegriffe. Deutsch in der frühbürgerlichen Zeit. Berlin. New York 1991 (Sammlung Göschen 2237). Putnam 1979 ⫽ Hilary Putnam: Die Bedeutung von „Bedeutung“. Hrsg. und übers. v. Wolfgang Spohn. Frankfurt/M. 1979 (Klostermann Texte Philosophie). Schäfers 1980 ⫽ Bernhard Schäfers: Entwicklung der Gruppensoziologie und Eigenständigkeit der Gruppe als Sozialgebilde. In: Einführung in die Gruppensoziologie. Geschichte, Theorien, Analysen. Hrsg. v. Bernhard Schäfers. Heidelberg 1980 (Uni-Taschenbücher 996). Thurmair 1995 ⫽ Maria Thurmair: Doppelterminologie im Text, oder: hydrophob ist wasserscheu.

157 In: Linguistik der Wissenschaftssprache. Hrsg. v. Heinz L. Kretzenbacher und Harald Weinrich. Berlin. New York 1995 (Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Arbeitsgruppe: Wissenschaftssprache. Forschungsbericht 10), 247⫺280. Wichter 1994 ⫽ Sigurd Wichter: Experten- und Laienwortschätze. Umriß einer Lexikologie der Vertikalität. Tübingen 1994 (Reihe Germanistische Linguistik 144: Kollegbuch). Wüster 1979 ⫽ Eugen Wüster: Einführung in die allgemeine Terminologielehre und terminologische Lexikographie. Mit einem Vorwort v. Richard Braun. 3. Aufl. Bonn 1991 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur 20).

Dieter Möhn, Hamburg

12. Fachsprachen und Gemeinsprache 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Besonderes und Allgemeines Polarisierung Neutralisierung Skalierung Sozialisierung Fazit Literatur (in Auswahl)

1.

Besonderes und Allgemeines

Die Mitte der 70er Jahre unseres Jh.s kann wegen einer auffälligen Häufung von Publikationen als erster Höhepunkt der neueren Fachsprachenforschung gelten. Damals gehörte es zum guten Brauch, das Verhältnis von Fachsprache(n) und Gemeinsprache ausführlich zu erörtern, wenngleich aus unterschiedlicher Sicht. Das geschah einerseits in Sammelbänden, wo versucht wurde, frühere Beiträge zum Thema kritisch aufzuarbeiten (z. B. Klute 1975; Bausch/Schewe/Spiegel 1976; Ladnar/Plottnitz 1976; Mentrup 1979), andererseits in Überblicksdarstellungen und Einzeluntersuchungen, um die eigenen Positionen zu bestimmen (z. B. Drozd/Seibicke 1973; Schefe 1975; Bock 1976; Fluck 1976; Hoffmann 1976). Die ältere Diskussion läßt sich praktisch in der Frage zusammenfassen: Weisen die Fachsprachen gegenüber der Gemeinsprache genug Besonderheiten auf, um sie als spezielle Existenzform oder Erscheinungsform von Sprache anerkennen zu können? Dabei fehlten oft exakte Definitionen der Begriffe

,Fachsprache‘, ,Gemeinsprache‘ und ,Existenz-‘ bzw. ,Erscheinungsform‘. Fachsprache wurde lange Zeit mit Fachwortschatz oder Terminologie gleichgesetzt. Als Gemeinsprache galt „jenes Instrumentarium an sprachlichen Mitteln, über das alle Angehörigen einer Sprachgemeinschaft verfügen und das deshalb die sprachliche Verständigung zwischen ihnen möglich macht“ (Hoffmann 1976, 162; 1987, 48), oft alterierend verwendet mit ,Nationalsprache‘, ,Landessprache‘, ,Umgangssprache‘, ,Volkssprache‘, ,Alltagssprache‘, später auch ,Standardsprache‘, oder im Sinne von überregionalem gruppenunabhängigem, vereinheitlichtem, allgemeingültigem Sprachgebrauch. Die Abgrenzung der Erscheinungsformen der Sprache wurde nach den Trägern (Gruppe), dem Geltungsbereich (Region) und der Art der Äußerung (Darstellungsart oder Stil) vorgenommen. So unterschiedlich wie die von Schule zu Schule und von Autor zu Autor wechselnden Begriffsapparate und Terminologien waren die Antworten auf die eingangs gestellte Frage. Sie reichten von der Ablehnung der Bezeichnung ,Fachsprache‘ als irreführend (z. B. Spitzbardt 1974, 10) über den Widerruf der Einordnung als Erscheinungsform der Sprache (Schmidt/Scherzberg 1968, 66; dagegen Schmidt 1969, 16) bis zur Anerkennung der Fachsprache als „Teil- und Untersystem der Sprache“ (Benesˇ 1969, 226), das sich in Fachtexten realisiert und diesen ihren besonderen Stil, den Fachstil, aufprägt.

158

II. Der Status der Fachsprachen

Viele der damaligen Unsicherheiten erklären sich aus dem unausgewogenen Forschungsstand: einzelne Fachwortschätze waren recht gut erschlossen; auch bei der Unterscheidung von Funktionalstilen war man relativ weit; hinsichtlich der fachsprachlichen Syntax gab es gerade erste Erkenntnisse; aber eine koordinierte Analyse der Fachtextinterna und ihrer Korrelation mit relevanten Textexterna fehlte. Um bei der Beurteilung des Verhältnisses von Fachsprachen und Gemeinsprache weiterzukommen, hat die Fachsprachenforschung in der nächsten Etappe drei Wege beschritten: (1) die systematische Analyse größerer Fachtextkorpora, (2) die Verallgemeinerung der daraus gewonnenen Daten und (3) die Gruppierung typischer fachsprachlicher Mittelkomplexe um fachlich bedingte Sprachtätigkeiten in Gestalt von Kommunikationsverfahren. Wesentlich war dabei die Entwicklung exakter quantitativer (statistischer) Verfahren zur Ermittlung signifikanter Merkmale und Merkmalbündel (vgl. Hoffmann 1975). Erst auf dieser Grundlage wurde die Rückkehr zu erfolgversprechenden Vergleichen zwischen unterschiedlichen Fachsprachen einerseits sowie Fachsprachen und Gemeinsprache andererseits möglich.

2.

Polarisierung

In den 60er und gelegentlich noch in den 70er Jahren bestand in der Fachsprachenforschung eine starke Tendenz zur Polarisierung in doppelter Hinsicht: (1) Fachsprache (man beachte den Singular, z. B. bei Seibicke 1959; Buchmann 1960; Möhn 1968; Klute 1975; Kalverkämper 1978) und Gemeinsprache wurden einander so gegenübergestellt, daß man die Konjunktion und schon in den Titeln der Veröffentlichungen durch versus (vs.) oder contra hätte ersetzen können. Die extremste Form hat diese Gegenüberstellung in der Dichotomie Fachsprache : Nichtfachsprache (Drozd/Seibicke 1973, 39, 82 f; Trabant 1983, 28) gefunden. (2) Die Spezifik der Fachsprachen wurde von den einen nur im Fachwortschatz bzw. der Terminologie, von den anderen auf mehreren sprachlichen Ebenen gesucht, zunächst als Fachstil und später als Varietät oder Subsprache. Überbrückt wurde diese zweifache Polarisierung erst durch die gesonderte Untersuchung unterschiedlicher Fachsprachen (der Singular wich dem Plural, z. B. bei Schmidt/

Scherzberg 1968; Bock 1976; Mentrup 1979; und in diesem Artikel) und durch verstärkte Bemühungen, in diesen Fachsprachen eine innere Differenzierung, etwa in Gestalt der vertikalen Schichtung, zu erkennen (vgl. Fluck 1976, 16⫺23; 1996, 194⫺196; Hoffmann 1976, 184⫺194; 1987, 64⫺71; von Hahn 1983, 72⫺83). Auch diachronische Betrachtungen zur gegenseitigen Durchdringung von Fachsprachen und Gemeinsprache halfen die starre Konfrontation durchbrechen (vgl. Fluck 1976, 160⫺179; 1996, 196⫺ 198 und die Bibliographie 343⫺346). Einige besonders markante Äußerungen sollen sowohl die Polarisierung als auch den allmählichen Ausgleich veranschaulichen. Da die Entstehung der Fachsprachen gewöhnlich aus der Entwicklung gesellschaftlicher Zustände und Bedürfnisse, der Arbeitsteilung und der Herausbildung von Fächern abgeleitet und erst dann an der Sprache selbst beobachtet worden ist, empfiehlt es sich, an den Anfang zwei Zitate aus soziolinguistischer Sicht zu stellen, bei denen naturgemäß die Sprachträger, die Sprachverwendungssituationen und die außersprachlichen Referenten die entscheidende Rolle spielen. Das ist auch deshalb gerechtfertigt, weil in der Fachsprachenforschung, insbesondere bei der Gegenüberstellung von Fachsprachen und Gemeinsprache, immer wieder das Opponentenpaar Fachmann : Laie auftritt. „Fachsprache und Gemeinsprache bilden […] ein komplementäres Begriffspaar. Als Gemeinsprache werden diejenigen Teile des Gesamtsprachrepertoires der Gesellschaft bezeichnet, die in den für alle Gesellschaftsmitglieder einigermaßen ähnlichen Lebensbereichen gebräuchlich sind und sich auf allgemeinbekannte Gegenstände, Sachverhalte und Vorstellungen beziehen. Als Fachsprache dagegen diejenigen Teile der Sprache, die in den zwischen den Gesellschaftsmitgliedern deutlich differenzierenden Lebensbereichen gebräuchlich sind und sich auf die dafür spezifischen Gegenstände, Sachverhalte und Vorstellungen beziehen. Differenziert ist die Gesellschaft aber vor allem in der Arbeitssphäre. In ihr ist folglich die Fachsprache hauptsächlich verankert. Für alle Gesellschaftsmitglieder einigermaßen gleichartige Bereiche finden sich dagegen primär in der Konsumtionssphäre, auf die sich die Gemeinsprache in erster Linie bezieht. Allerdings gibt es auch Spezialisierungen und Differenzierungen in der Konsumtionssphäre, beispielsweise die Vielfalt der Hobbywelt. Bei den dafür spezifischen Sprachinhalten und Formen handelt es sich ebenfalls um Fachsprachen“ (Ammon 1973/1976, 29). „Die Opposition von Gemeinsprache und Fachsprache basiert im wesentlichen auf der Erfahrung

12. Fachsprachen und Gemeinsprache des Unterschieds zwischen allgemein bekannten und nicht allgemein bekannten Sachen: Die Gemeinsprache deckt alle allgemein bekannten Sachen mit Wörtern ab, die Fachsprache dagegen benennt solche Sachen, die nicht allgemein bekannt sind, sondern nur von Fachleuten, Experten gewußt werden“ (Trabant 1983, 29).

Bei näherem Hinsehen bleibt hier für die Gemeinsprache wenig übrig, zumal auch die Konsumtionssphäre eine weitere Vierteilung erfährt und dabei eigentlich nur der Bereich der Distribution für die Gemeinsprache reklamiert wird. Anlaß zum Nachdenken gibt der Umstand, daß die Konsumtionssphäre auch in Arbeiten auftritt, die nicht der Soziolinguistik zuzuzählen sind, z. B. als „Verbrauchersprache“ (Mackensen 1959, 295) oder als fünfte und unterste Schicht eines fachsprachlichen Stratifikationsmodells (Hoffmann 1976, 186 f; 1987, 64⫺70), das seither vielfach überprüft worden ist. Übrig bleibt die Erkenntnis, daß es sich beim Sprachgebrauch in der Konsumtion um eine Übergangs- und Austauschzone zwischen Fachsprachen und Gemeinsprache handelt, gleichgültig ob man von einer horizontalen (achsialen) Bewegung zwischen ihnen oder einer vertikalen Schichtung innerhalb der Fachsprachen ausgeht. Der Eindruck einer ausgeprägten Polarisierung von Fachsprachen und Gemeinsprache ist vor allem durch lexikozentristische Beobachtungen entstanden, die von Vertretern der Inhaltsbezogenen Grammatik im Rückgriff auf Wilhelm von Humboldts „Weltansichten“ der Sprache ⫺ nun als „Weltbild“ der Sprache ⫺ angestellt wurden. Zum Dreh- und Angelpunkt wurde für sie die Formel vom „Worten der Welt“ vor dem Hintergrund der „sprachlichen Erschließung der Welt“ (Weisgerber 1954; Näheres s. Hoffmann 1976, 86⫺90). „Für die Fachsprachen gilt zweifellos das Ideal der grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen dem geistigen Aufbau des Wortgutes und dem sachlichen Gefüge eines Handwerkes, eines technischen Verfahrens […]. Das Ideal scheint in einer völligen Übereinstimmung zwischen Wortfeld und Sachbereich zu liegen“ (Weisgerber 1954, 95 f).

Die Bedeutung der Lexik als Spezifikum der Fachsprachen wird einmal aus größeren (außersprachlichen) Zusammenhängen hergeleitet, ein andermal einfach festgestellt, oft auch gegenüber der Grammatik, insbesondere der Syntax hervorgehoben. „Im Schwerpunkt ihres Begriffs steht nicht eine Sprachgemeinschaft, sondern die (gegenständliche)

159 Welt. Fachsprachen erfassen sachlich Neues. Sie erschließen bestimmte Sachgebiete, neue Weltausschnitte. In ihnen liegt die Sprache vor Ort. In ihnen vor allem vollzieht sich der sprachliche Fortschritt. Von hier gehen die großen Umwälzungen aus, die aufs Sprachganze zurückwirken. Ihr Wortschatz verdoppelt den gemeinsprachlichen nicht, er erweitert ihn vielmehr in einem Teilgebiet. Die Fachsprachen werden immer selbständiger und wichtiger mit der zunehmenden geistigen Zergliederung der Welt“ (Stroh 1952, 335 f). „Eine auf bestimmte Zwecke beschränkte Abart der Hochsprache stellen die Sprechweisen dar, die Fachleute für die Verständigung auf ihrem Sondergebiet ausgebildet haben, weil dabei ganz besondere Leistungen von der Sprache verlangt werden. Man nennt die Gesamtheit solcher Sprachmittel Fachsprache. Die Eigenart der Fachsprachen besteht vor allem in ihrem Wortschatz. Mit einer Genauigkeit und einer Beachtung auch der geringsten Einzelheiten, die weit über alles hinausgeht, was die Gemeinsprache leisten kann, werden die Gegenstände, Verhältnisse und Vorgänge eines bestimmten Sachgebiets bezeichnet […]. Ein so gewaltiger und stets zunehmender Bedarf an Namen kann selbstverständlich von der Gemeinsprache, die ja andere Aufgaben hat, nicht befriedigt werden“ (Porzig 1957, 258 f; ähnlich auch Ule 1960, 363; Müller-Tochtermann 1959, 89). „Überhaupt besitzt die Fachsprache keine eigenen syntaktischen Mittel. In dieser Hinsicht ist jede Fachsprache von der Muttersprache her aufgebaut; lediglich die Wörter im Satz werden durch neue oder neu verwendete Begriffe ausgetauscht; das Grundschema bleibt unverändert. Sicherlich werden nicht alle Möglichkeiten der gemeinsprachlichen Satzbauweise in der Fachsprache verwirklicht, andere wiederum werden wahrscheinlich besonders ausgebaut und häufig angewandt […]. Wir können nach diesen Überlegungen ganz allgemein feststellen: ,Die Eigenart der Fachsprache besteht vor allem in ihrem Wortschatz‘ “ (Seibicke 1959, 75; ähnlich Buchmann 1960, 292). „[…] special languages are not, in general, characterised by the occurrence of grammatical patterns that do not occur elsewhere, whereas they may be characterised by the occurrence of lexical items that do not occur elsewhere […]. Special languages may, however, be characterised by different statistical distributions of grammatical patterns (as well as by special meanings of generally occurring patterns“ (Halliday 1969, 31).

Der Fachwortschatz wurde auch im Zusammenhang mit Fachübersetzungen häufig als erstes Problem genannt, gelegentlich allerdings in funktionalstilistische und andere allgemeine Überlegungen eingebettet (vgl. Jumpelt 1958, 2 f). Auch die moderne Übersetzungswissenschaft betont gern terminologische Aspekte, wenn es um das Fachübersetzen geht (vgl. Arntz/Picht 1989).

160

II. Der Status der Fachsprachen

Fast selbstverständlich ist es, daß Terminologielehre und Terminologiearbeit sich auf den lexikalischen Aspekt der Fachsprachen konzentrieren, die für sie als „Zwecksprachen“ „bloß Mittel der Mitteilung […] von Wahrheiten und Tatsachen“ (Wüster 1970, 1) sind.

Es hat mehrere Versuche gegeben, diese und ähnliche Vorstellungen graphisch darzustellen (vgl. Phal 1968, 8; Reinhardt 1969, 94). Eine relativ frühe Abkehr von der Polarisierung ergab sich auch aus dem Konzept sprachlicher Varietäten.

„Der erste besondere Zug der technischen Fachsprache, der sie als Ergon von der Gemeinsprache unterscheidet, ist also, daß ihr Wandel dem Zufall entzogen und von ausdrücklicher Änderung der Konvention (⫽ Norm) abhängig gemacht wird […]. So erweist sich die technische Fachsprache als eine Zwecksprache; ihr Zweck ist es, das geistige wie materielle Verfügen über das Technische zu fördern […]. Als derartige Zwecksprache ist die technische Fachsprache durch das einseitige Ausnützen des Verfügens als einer Möglichkeit des Ergons Sprache gekennzeichnet und von der Allgemeinsprache unterschieden“ (Buchmann 1960, 296; ähnlich Ischreyt 1965, 49). „Die ,Wörter‘ werden umgewandelt in ,Termini‘, das heißt, sie sollen alleinstehend für das Verständnis so viel leisten wie die in einem Kontext eingebetteten Wörter der Gemeinsprache. Dabei müssen sie weitgehend auf die Unterstützung durch syntaktische Mittel und die Sprechsituation verzichten. Statt der ,sprachlichen Inhalte‘ gibt es nun ,Begriffe‘ (Beier 1961, 195).

„Wenn anfangs einzelne fachsprachliche Spezialtermini entstanden, so haben sich indessen ganze Sprachsysteme herausgebildet, eben die Fachsprachen. […] Ein bemerkenswerter Fortschritt wird in Arbeiten deutlich, die das Fachwort nicht isoliert, sondern als Teil eines Ganzen sehen, d. h. die Fachsprachen nicht auf die Terminologie einschränken, sondern ihnen gesamtsprachliche Eigenschaften zuerkennen“ (Möhn 1968/1975, 33). „Hier ist zu fragen, in welchem Umfange Fachsprache betrachtet wird, als bloße Terminologie, die in der Tat, bereits isoliert, der Mehrdeutigkeit vorbeugen soll, als Gespräch zwischen Fachleuten eines Ausbildungsranges oder als komplexe Größe innerhalb fachlicher Grenzen, d. h. in ihren Realisationen als Wissenschaftssprache, als Produktionssprache und als Verkaufssprache“ (Möhn 1968/1975, 37).

Eine erste Weitung des Blickes auf andere Merkmale von Fachsprachen im Vergleich mit der Gemeinsprache ist der funktionalkommunikativen Sprachbeschreibung zu danken, deren Vertreter oft aus der funktionalen Stilistik hervorgegangen sind. So verstehen Schmidt/Scherzberg (1968, 65) unter Gemeinsprache „[…] die im ganzen […] Sprachgebiet gültige, allen Angehörigen der Sprachgemeinschaft verständliche und zum allgemeinen, nicht speziell fachgebundenen Gedankenaustausch gebrauchte Form“ der Sprache. Fachsprache hingegen ist „[…] das Mittel einer optimalen Verständigung über ein Fachgebiet unter Fachleuten. Sie ist gekennzeichnet durch einen spezifischen Fachwortschatz und spezielle Normen für die Auswahl, Verwendung und Frequenz gemeinsprachlicher lexikalischer und grammatischer Mittel; sie existiert nicht als selbständige Erscheinungsform der Sprache, sondern wird in Fachtexten aktualisiert, die außer der fachsprachlichen Schicht immer gemeinsprachliche Elemente enthalten. […] ,Fachsprache‘ erscheint also gewissermaßen als eine Schicht spezieller sprachlicher Mittel, die im Fachtext die Mittel des hochsprachlichen, umgangssprachlichen oder mundartlichen Teilsystems überlagern“ (Schmidt 1969, 17).

Nur selten verläßt die Terminologielehre nach der grundsätzlichen Polarisierung die Ebene der Lexik. „Die Terminologielehre […] soll eine wissenschaftliche Darstellung des Phänomens der Fach- bzw. Wissenschaftssprache (FS, WS bzw. FWS) im Unterschied zur Gemeinsprache (GS) bieten“ (Drozd/ Seibicke 1973, 36).

Die Gemeinsprache wird weiter als polyfunktionell, jede Fachsprache als monofunktionell charakterisiert (Drozd/Seibicke 1973, 39). Bei den Fachsprachen vollzieht sich im Rahmen des Differenzierungsprozesses zwischen Gemeinsprache und Fachsprachen ein Funktionswandel, „der vor allem die inhaltliche Seite des Wortes, des Satzes oder der Äußerung berührt“ (Drozd/Seibicke 1973, 51). Mit der Vereinigung von Wort, Satz und Äußerung in jeweils einer Stilschicht ist der Anschluß an die Prager Funktionalstilistik wiederhergestellt, was aber keine weiteren Konsequenzen für die eigentliche Terminologielehre hat. Die polarisierende Gegenüberstellung von Fachsprachen und Gemeinsprache erfährt eine Abschwächung bei der graphischen Darstellung des Verhältnisses von gemeinsprachlichem und fachsprachlichem Wortschatz in den bekannten Kreisdiagrammen von Kurt Baldinger, Werner Reinhardt und Klaus Heller (vgl. Drozd/Seibicke 1973, 102⫺103; Klute 1975, 48⫺49; Fluck 1976/1996, 19⫺20; von Hahn 1981, 219⫺221). Trotz der im Be-

12. Fachsprachen und Gemeinsprache

gleittext verwendeten Oppositionen „zentral : peripher, primär : sekundär, zugewandt : abgewandt“ werden darin Übergänge innerhalb eines Ganzen sichtbar. Noch fragwürdiger wird die vor allem lexikalisch bedingte Polarisierung, sobald weitere sprachliche Ebenen, z. B. die syntaktische, in die vergleichenden Betrachtungen einbezogen werden. Der statistischen syntaktischen Analyse der Fachsprachen der Medizin, der Betriebswirtschaft und der Literaturwissenschaft verdanken wir die folgenden Einsichten. „Es ist m. E. von der Hypothese auszugehen, daß ,Fachsprachen‘ zumindest in Teilbereichen spezifische Systeme ausbilden können, z. B. künstliche Zeichensysteme, Systeme im Wortschatz und in der Wortbildung, die dann teilweise von anderen Kommunikationskreisen übernommen werden können. Es gibt andererseits Bereiche innerhalb der ,Fachsprachen‘, die diese mit anderen Systemen wie den ,Umgangssprachen‘ gemein haben. […] Wo Gebrauch von sprachlichen Zeichen und Regeln gemacht wird, die auch in anderen Subsystemen vorkommen, ist anzunehmen, daß sich Unterschiede in der Frequenz ergeben, die auf unterschiedliche Normen hinweisen“ (Schefe 1975, 17). „M. E. kann ,Gemeinsprache‘ überhaupt nicht als System begriffen werden, sondern nur als Grad der Ausdehnung oder Allgemeingültigkeit von Normen eines Subsystems“ (Schefe 1975, 19). „Die Komplexität der sprachlichen Kommunikation in der modernen Gesellschaft läßt eine Trennung von ,Umgangssprache‘ und ,Fachsprache‘ als diskrete Varietäten nicht zu. Aus Gründen einer ökonomischen Beschreibung liegt es nahe, diese Begriffe auch als kontinuierliche Merkmale von Textsorten oder Texten zu interpretieren, also von mehr oder weniger ,umgangssprachlichen‘ und ,fachsprachlichen‘ Texten zu sprechen“ (Schefe 1975, 20). „Es ist nicht auszuschließen, daß die Syntax zumindest zur heuristischen Abgrenzung von Fachsprachen dienen kann. Eine einheitliche Syntax der ,Fachsprache‘ oder auch nur der ,Theoriesprache‘ anzunehmen, hieße jedoch die Funktionalität dieser Ebene im Ganzen außer acht zu lassen. Die semantische Struktur des ,Faches‘ determiniert wesentlich die syntaktische Form ihrer Texte“ (Schefe 1975, 25; ähnlich Bausinger 1975, 17⫺22).

In Überblicksdarstellungen, die in der Mitte der 70er Jahre erschienen sind, zeigt sich eine deutliche Abkehr von allen Polarisierungsversuchen. Neben der Erweiterung des Gegenstandsbereiches der Fachsprachenforschung über die Fachlexik hinaus hat das seine Ursachen in der stärkeren Berücksichtigung handlungstheoretischer und textlinguistischer Aspekte; hinzu kommen pragmatischkommunikative Faktoren. In ihrer differen-

161 zierten Betrachtung des Verhältnisses von Fachsprache(n) und Gemeinsprache gingen die Verfasser allerdings unterschiedlich weit. Der Begriff der Gemeinsprache wurde dort weiter verwendet, wo die historische Perspektive, d. h. die Entstehung der Fachsprachen, der Einfluß der Fachkommunikation auf die Kommunikation insgesamt und die Allgemeinverständlichkeit von Fachtexten breiteren Raum einnahmen. Das Verhältnis von Fachsprachen und Gemeinsprache gilt weiterhin als „zentrales Thema fachsprachlicher Forschung“ (Fluck 1976/1996, 160). Standen vergleichende Beschreibung, Interpretation und Nutzung im Sinne der Angewandten Linguistik an erster Stelle, so wurde der Begriff der Gemeinsprache durch den der Gesamtsprache ersetzt (Hoffmann 1976/ 1987). Verglichen wurden mehr und mehr Fachsprachen und Fachtexte bzw. Fachtextsorten (vgl. Hoffmann 1986), während die Gemeinsprache mit mehr oder weniger ungeklärtem Status „außen vor“ blieb. Ansonsten aber herrschte weitgehende Übereinstimmung in den folgenden Punkten: „Die Besonderheit der Fachsprachen […] liegt einmal in ihrem speziellen, auf die Bedürfnisse des jeweiligen Faches abgestimmten Wortschatz, dessen Übergänge zur Gemeinsprache fließend sind und der auch gemeinsprachliche und allgemeinverständliche Wörter enthält. Zum anderen liegt ihre Besonderheit in der Gebrauchsfrequenz bestimmter (gemeinsprachlicher) grammatischer (morphologischer, syntaktischer) Mittel“ (Fluck 1976/1996, 12). „Fachsprache“ [steht] nicht als sprachlich selbständiges System neben der Gemeinsprache. Vielmehr ist sie durch Differenzierung und Erweiterung aus der Gemeinsprache herausgewachsen. Die Gemein- oder Standardsprache liefert die lexikalische Basis und das grammatische Gerüst für die Fachsprachen. Zwar treffen die Fachsprachen eine rekurrente Auswahl aus der gemeinsprachlichen Lexik und Syntax, bleiben aber bei aller Differenzierung und Spezialisierung auf die Gemeinsprache angewiesen“ (Fluck 1976/1996, 175). „Grundsätzlich bilden also Fach- und Gemeinsprache kein gegensätzliches Paar, sie liegen nur auf verschiedenen Ebenen“ (Fluck 1976/1996, 176, 196 f). „Die Grenze zwischen Fachsprachen und Gemeinsprache ist offen. Es gibt keine Fachsprache, die nicht zum größten Teil aus lexikalischen und syntaktischen Elementen der Gemeinsprache besteht. Umgekehrt wirken Fachsprachen ständig auf die Gemeinsprache ein, indem sie vor allem deren Wortschatz bereichern. Die Sonderung Fachsprache⫺Gemeinsprache, die wissenschaftsmethodisch sinnvoll ist, darf in der kommunikativen Wirklichkeit nicht statisch gesehen werden, sondern als Prozeß eines differenzierten, rollen- und situationsspezifischen Sprachgebrauchs“ (Klute 1975, 6).

162

II. Der Status der Fachsprachen

Ähnliche Positionen vertritt auch eine weniger bekannte kommunikativ-funktionale Forschungskonzeption. „Eine Fachsprache ist also nicht eine besondere Existenzform von Sprache im Sinne eines sprachlichen Systems, sondern eine in fachspezifischer Tätigkeit realisierte Form der Allgemeinsprache (einer Einzelsprache), die faßbar wird unter spezifischen kommunikativen und funktionalen Tätigkeitsmerkmalen. Ziel und Zweck der Untersuchung von fachsprachlichen Realisierungsformen einer Sprache kann es daher nicht sein, ganzheitliche fachsprachliche Systeme zu postulieren, zu beschreiben und sie als solche der Allgemeinsprache oder gar der Einzelsprache gegenüberzustellen. Es muß vielmehr darum gehen, […] die spezifische fachgebundene kommunikative Tätigkeit „fachgerecht“ zu charakterisieren und die Merkmalhaftigkeit (bezogen auf die Allgemeinsprache) der in ihr vorrangig eingesetzten bzw. einsetzbaren sprachlichen Mittel herauszuarbeiten“ (Bock 1976, 11).

In der dazugehörigen Baumgraphik (Bock 1976, 15) kommt es allerdings zu einer anderen Polarisierung, nämlich der von ,merkmalhaft ⫺ merkmallos bzw. neutral‘ für Fachsprachen und Gemeinsprache. (Zur Verneinung der stilistischen Neutralität sprachlicher Mittel s. Schefe 1975, 17.)

3.

Neutralisierung

Wie schon erwähnt, hat das Verhältnis Fachsprache(n) : Gemeinsprache aus der Sicht der Angewandten Linguistik eine völlig untergeordnete Rolle gespielt. Hier kann nur in gedrängter Form die Argumentation für den „Befreiungsschlag“, d. h. die (vorläufige) Ausklammerung der Gemeinsprache, nachgezeichnet werden. Stellte man sich zu einem willkürlich gewählten Zeitpunkt die Aufgabe, ein möglichst vollständiges Verzeichnis der Mittel der Gemeinsprache für den Vergleich mit bestimmten Fachsprachen, für ein Lehrwerk, ein Wörterbuch oder eine Grammatik zusammenzustellen, so geriete man in gewisse Schwierigkeiten; denn zwischen dem Sprachbesitz der einzelnen Individuen bestehen erhebliche Unterschiede. Was die grammatischen Mittel betrifft, so ließe sich noch am ehesten ein bestimmtes Maß an Übereinstimmung nachweisen; obwohl feststeht, daß ein großer Personenkreis bestimmte Konstruktionen und Formen nie verwendet, so versteht er sie doch. Und natürlich gibt es auch einen allen gemeinsamen Wortschatz, aber im Hinblick auf den aktiven und passiven Wort-

schatz der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft lassen sich beträchtliche Diskrepanzen feststellen. So ist es praktisch unmöglich, den Umfang der gemeinsprachlichen Lexik genau zu fixieren, ein vollständiges Verzeichnis davon aufzustellen oder bei jedem Wort zu sagen, ob es dazugehört oder nicht. All das bedeutet nicht, daß die Gemeinsprache eine Fiktion wäre; ohne sie wäre sprachliche Kommunikation nicht denkbar. Aber sie ist eine Abstraktion, verhält sich also zu den Fachsprachen wie das Abstrakte zum Konkreten. Wollte man sie konkret fassen, dann könnte man sie als statistischen Durchschnitt des Sprachbesitzes aller Individuen er„mitteln“; sie wäre also „die Vereinigung aller Durchschnittsmengen der Sprachkompetenzen zweier Sprachbenutzer einer definierten Sprachgruppe“ (Althaus/Henne 1971, 6). „Hier bleibt unklar, wie der Durchschnitt aus ,Kompetenzen‘ gebildet werden soll […]. Außerdem ist bedenklich, daß bei einer Gruppe von drei Sprachbenutzern das Konstrukt ,Gemeinsprache‘ bereits Elemente enthalten kann, die von je einem nicht benutzt oder verstanden werden“ (Schefe 1975, 18). Versuche, den Grundwortschatz einzelner Sprachen, der als Kern des Wortschatzes der Gemeinsprache gelten könnte, mit qualitativen oder quantitativen Methoden zu erheben, sind zu weit voneinander abweichenden Ergebnissen gelangt (vgl. Hoffmann 1984). Sowohl bei Grammatiken als auch bei Wörterbüchern ist davon auszugehen, daß sie lediglich die Möglichkeiten einer Sprache beschreiben, nicht aber die tatsächliche Verwendung in der Gemeinsprache oder in anderen Erscheinungsformen der Sprache. Dort begegnet man immer nur einer unter bestimmten Bedingungen getroffenen Auswahl. Es läge also nahe, sich vom Begriff ,Gemeinsprache‘ zu trennen und als Grundlage weiterer Gliederungsversuche den Begriff ,Gesamtsprache‘ einzuführen. Besonders bei der schwer zu überschauenden Lexik hätte das den Vorteil, daß man sowohl für die Gemeinsprache als auch für die Fachsprachen Teilwortschätze eines nie vollständig zu erfassenden Gesamtwortschatzes annehmen könnte. Aber auch wenn man die Grammatik mit einbezieht, kann man nun das Verhältnis von Gemeinsprache und Fachsprachen als das von untergeordneten Teilsprachen zu einem übergeordneten Ganzen, der Gesamtsprache, sehen. (Wenn man sich ⫺ wie die angewandte Fachsprachenforschung ⫺ für die Gemeinsprache wenig interessiert, dann kann man

163

12. Fachsprachen und Gemeinsprache

diese jedoch auch durch Gleichsetzung mit der Gesamtsprache eliminieren.) Von der untergeordneten Teilsprache ist der Schritt zur ,Subsprache‘ nicht weit. Für die Analyse von Fachsprachen hat diese Lösung den Vorzug, daß Phänomene aller sprachlichen Ebenen mit ihren Realisierungen in der Fachkommunikation bzw. in ausgewählten Fachtextkorpora als Sprachmittelkomplexe ganzheitlich erfaßt und in Form von Teil- oder Subsystemen übersichtlich dargestellt werden können (vgl. Hoffmann 1976, 166 f; 1987, 50 f). Solche Darstellungen sind eine zuverlässige Grundlage für exakte und systematische Vergleiche zwischen Fachsprachen. Sie bieten aber auch ein leicht zugängliches und wohlstrukturiertes Material für linguistische Vorhaben außerhalb der Fachsprachenforschung und für Projekte zur Optimierung der Kommunikation. (Näheres zum Verhältnis Gesamtsprache : Subsprachen s. bei Hoffmann 1976, 162⫺194; 1987, 48⫺52; Art. 15). Unabhängig von der Angewandten Linguistik hat es auch andere Bemühungen um die Aufhebung des Gegensatzes Fachsprache(n) : Gemeinsprache gegeben. Aus einem eher theoriegeleiteten Ansatz stammen die folgenden Zitate: „In der hier vorgetragenen Konzeption hat sich die Unterscheidung von Gemeinsprache und Fachsprache(n) linguistisch und auch pragmatisch als nicht haltbar erwiesen“ (Kalverkämper 1978, 437). Oder: „Die Vereinheitlichung sollte sich dabei von dem Begriff der Gemeinsprache, der sich in der Dichotomie von Fachsprache und Gemeinsprache ja praktisch immer auf das lexikalische System bezieht, lösen“ (Kalverkämper 1978, 430).

Hier werden zwar auch in erster Linie fachbezogen lexikalische Aspekte erörtert und Konsequenzen für die Fachlexikographie gezogen, aber die Postulate an die Fachsprachenforschung gehen (im großen Zusammenhang des 1. Europäischen Fachsprachensymposiums 1977 in Wien) schon stärker von Erkenntnissen der Handlungstheorie und der Textlinguistik aus, und es deutet sich die Vorstellung von einer gleitenden Skala zwischen verschiedenen Codes an (vgl. Kalverkämper 1978, 428). Eine seinerzeit gewollte Überspitzung findet sich bei mehreren Autoren in der Behauptung, alles Kommunizieren sei fachsprachlich oder jedenfalls Kommunikation for special purposes (Hoffmann 1976, 165; Kalverkämper 1978, 431). Sie erklärt sich aus der Absicht, der bis dahin unterschätzten Fachsprachenforschung zu breiterer Anerkennung zu

verhelfen. Andererseits ist es fast symptomatisch, daß das Stichwort ,Gemeinsprache‘ im Sachregister des HSK-Bandes „Soziolinguistik“ (Ammon/Dittmar/Mattheier 1987, 309, 1506) nur noch zweimal und nicht als Überschrift eines eigenen Artikels auftritt. Einmal wird sie bei der Abgrenzung gegen die Umgangssprache mit der Hoch- oder Schriftsprache gleichgesetzt, ein andermal erscheint sie als Synonym zu Standardsprache. Wenn überhaupt, dann hätte die Fachsprachenforschung also in Zukunft dem Verhältnis von Fachsprachen und Standardsprache nachzugehen; näher läge jedoch die Suche nach einer umgangssprachlichen Schicht in den Fachsprachen (vgl. auch Trabant 1983, 27, 33).

4.

Skalierung

Aus der Negation der Polarität von Gemeinsprache und Fachsprache(n) mit der unterstellten idealtypischen Polarität von Laie und Fachmann hat sich in der jüngeren Fachsprachenforschung, oder besser: Fachkommunikationsforschung eine gleitende Skala der Fachsprachlichkeit von Texten ergeben, die sich mit einer ebensolchen Skala der Fachlichkeit von Handlungen korrelieren läßt, wobei die Skalen von ,(extrem) merkmalreich‘ bis ,(extrem) merkmalarm‘ reichen (Kalverkämper 1990, 124). Die Polarisierung wird auf diese Weise relativiert, weil die meisten Texte irgendwo zwischen den Extremen liegen. Allerdings: „Was noch der Lösung harrt, ist die Hierarchie der Merkmale auf der Skala. Wieviele (a) und welche Merkmale (b) müssen im Text gegeben sein (c), um ihn als fachsprachlich merkmalreich, als einen Fachtext erkennbar werden zu lassen? Wie sind die Merkmale im Text verteilt (d)? Lassen sich Korrelationen zwischen Quantitäten (a⬘), Qualitäten (b⬘), Rekurrenz (c⬘) und Distribution (d⬘) erkennen und als Hierarchie auswerten? An der Beantwortung dieser Frage muß noch (weiter) gearbeitet werden“ (Kalverkämper 1990, 125).

Zu dieser Skalierung haben die folgenden Überlegungen geführt: (1) Zum Maßstab kann der Fachmann mit seinem Können erhoben werden. Der Laie wird als „NichtFachmann“ negativ zum ihm definiert. (2) Die Beziehung zwischen beiden ist durch die Qualität der Fachlichkeit geprägt. (3) Fachlichkeit ⫺ auch im Sinne fachlicher Qualifikation ⫺ ist bei Kommunikationspartnern unterschiedlich stark ausgebildet. (4) Die Ausbildung der Fachlichkeit ist (nur) in der Kommunikation zu erkennen. (5) Sie äußert sich dort in der Fachsprachlichkeit von Tex-

164 ten-in-Funktion. (6) Sowohl Fachlichkeit als auch Fachsprachlichkeit treten mit Merkmalabstufungen auf (vgl. Kalverkämper 1990, 97 f, 110 f). Am Ende führt auch die Skalierung zur Neutralisierung: „Eine faßbare sprachliche (!) Kategorie ,Gemeinsprache‘ kann es somit nicht geben, jedenfalls nicht in einer Seinsweise oder in einer Vorkommensart, die es gestattet, sie im Umfang zu begrenzen, sie inhaltlich zu präzisieren und sie in ihren Funktionen zu erkennen“ (Kalverkämper 1990, 106). Und eine der wesentlichen Schlußfolgerungen für die Zukunft lautet: „Nicht die Grenzen und die Übergänge […], also nicht ausschließlich die Eigenständigkeit von Fachsprachen und ihre Vermischung mit der angeblichen Gemeinsprache sind vorrangig weiterführende Ziele linguistischer Forschung, sondern die kommunikative Reichweite von Fachsprache, ihre Einbettung in Texte-inFunktion“ (Kalverkämper 1990, 108). Der Gedanke einer Skalierung ist relativ schnell aufgegriffen und bei der Untersuchung von Fachtextsorten erprobt worden (vgl. Göpferich 1995, 23⫺31). Neu ist dabei schon im Ansatz ein „Modell der komplementären Spektren“, in dem neben den fachsprachlichen Merkmalen auch „nicht-fachsprachliche Merkmale“ von Fachtexten ausgewiesen werden (Göpferich 1995, 29). Die Abnahme des Fach(sprach)lichkeitsgrades wird in Verbindung mit anderen Kriterien wie Abnahme des Abstraktionsgrades, Erweiterung des Adressatenkreises, Konventionalisiertheit auch für die Fachtexttypologie genutzt (Göpferich 1995, 124 f, 138, 307). Bei der Wertung einzelner Merkmale, z. B. Sprechakte, Personeneinbezug, metasprachliche und metakommunikative Elemente, Frequenz des Passivs, Nominalisierung, zeigt sich allerdings, daß es außerordentlich aufwendig und schwierig ist, die postulierte Fach(sprach)lichkeitsskala mit konkreten sprachlichen Mitteln zu belegen, so daß dabei eine feste Anordnung oder gar Hierarchie von Fachtext(sort)en entstehen könnte (zur Verteilung von Texten unterschiedlicher Fach(sprach)lichkeitsgrade auf einer Achse zwischen den „idealtypischen Polen“ vgl. auch Kuntz 1979, 28). Notwendig ist sicher auch eine Feinabstimmung im Hinblick auf die vertikale Schichtung der Fachsprachen. In diese Richtung geht ein bemerkenswerter Vorstoß aus jüngster Zeit, der allerdings erst einmal zur Wort-

II. Der Status der Fachsprachen

schatzebene zurückkehrt (Wichter 1994). Im Unterschied zum Syntaktiker, der meint, Gemeinsprache könne „überhaupt nicht als System begriffen werden, sondern nur als Grad der Ausdehnung oder Allgemeingültigkeit von Normen eines Subsystems“ (Schefe 1975, 19), erscheint hier die Gemeinsprache als „ein System von Systemen und eine abstrahierende Zusammenführung letztenendes von individuellen Kompetenzen unter bestimmten Gesichtspunkten. Aber diese Zusammenführung ist […] kommunikationspraktisch und damit auf diese Weise existent“ (Wichter 1994, 26). Bezogen auf die Sprachträger und ihr Wissen stehen sich dann Laiensystem(e) und Expertensystem(e) mit je niveaubezogenen Subsystemen gegenüber (Wichter 1994, 43). Die Schwierigkeiten, die sich bei der gegenseitigen Abgrenzung und bei Vergleichen der beiden Systeme ⫺ insbesondere im Hinblick auf Laien- und Expertenwortschätze ⫺ ergeben, münden in den Vorschlag, „eine feinere Skalierung nach Niveausystemen vorzunehmen und dieser Skalierung eine feinere Skalierung der Bedeutungen insbesondere bei signifikantgleichen Zeichen zur Seite zu stellen“ (Wichter 1994, 23). Neben das Kriterium des Wissens tritt dabei das des Verbreitungsgrades. „Beide hängen eng miteinander zusammen. Die Bestimmung als „alltagssprachlich“ zielt auf die Beschaffenheit des Wissens: Es ist einfaches, „alltägliches“, routiniertes, jedem (in sehr ähnlicher Weise) zugängliches Wissen. Die Bestimmung als „gemeinsprachlich“ zielt ab auf den Verbreitungsgrad. […] Die Einfachheit ist die Voraussetzung für die Allgemeinheit, und die Allgemeinheit erlaubt die Kommunikation über den einfachen Bereich“ (Wichter 1994, 24).

So gilt trotz Skalierung, „daß für eine Forschung, die sich mit der Spezialisierung von Tätigkeiten durch Personengruppen, welche aber gleichwohl in einer größeren Gemeinschaft leben, befaßt, die Opposition von Gemeinsprache und Fachsprache, grundsätzlich betrachtet, durch keine andere Opposition ersetzbar ist, es sei denn, man wolle die Forschung selbst aufgeben. Die Opposition von Gemeinsprache und Fachsprache ist, auf der sprachlichen Ebene, für die Erforschung der Variation grundlegend“ (Wichter 1994, 22). Am Ende des Überblicks schließt sich also der Kreis: Die Gemeinsprache läßt sich offenbar nur schwer neutralisieren, geschweige denn eliminieren; die Polarisierung von Fachsprache und Gemeinsprache bleibt in der Skalierung mehr oder weniger deutlich erhal-

12. Fachsprachen und Gemeinsprache

ten; Skalierungen mit vielfältigen Merkmalkomplexen versprechen für die Zukunft eine differenziertere Beschreibung der Sprachvariation in Fachsprachen und anderen Subsprachen auf der Grundlage exakter Merkmalvergleiche, wobei sowohl sprachliche (textinterne) als auch außersprachliche (textexterne) Merkmale berücksichtigt werden sollten.

5.

Sozialisierung

In allen vorgestellten Betrachtungsweisen waren implizit oder explizit diejenigen Personen oder Personengruppen mitgedacht, die von Fachsprachen und/oder der Gemeinsprache Gebrauch machen, die sogen. Sprachträger, einmal allgemein als Kommunikationspartner und dann vor allem als „Kontrahenten“, die sich in bestimmten sozial determinierten Kommunikationssituationen begegnen: Fachleute bzw. Experten oder Spezialisten auf der einen und Laien auf der anderen Seite. Es kommunizieren miteinander: (1) Vertreter ein und desselben Faches (fachinterne Kommunikation) ⫺ das wurde bisher als unproblematisch angesehen, zu Unrecht, wie Wiegand (1979) gezeigt hat. (2) Vertreter unterschiedlicher Fächer (interfachliche Kommunikation) ⫺ hier beginnen die Probleme auf gehobener Ebene. (3) Experten und Laien (fachexterne Kommunikation) ⫺ zwischen ihnen gibt es Verständigungsschwierigkeiten, Kommunikationskonflikte, Kommunikationsverweigerung, Sprachbarrieren u. ä. (s. z. B. Fluck 1976, 37 ff; 1996, 198 f; Wassermann 1979; Bungarten 1981, 19 ff; Hoffmann 1986 a, 87 ff; Oksaar 1988, 83⫺202). (4) Laien und Laien (Alltagskommunikation) ⫺ da ging es der Fachsprachenforschung bisher vor allem um Reflexe der Fachsprachen in der Gemeinsprache, etwa wenn sich zwei Nachbarn über ihre Krankheiten, ihre Autos oder ihre Obstbäume unterhalten, eine systematisch nicht zu erfassende Themenvielfalt. Zu (3) gibt es eine umfangreiche Literatur, die hier nicht andeutungsweise referiert werden kann. (Es sei deshalb auf die Art. 39, 74, 76, 78, 83, 141, 142, 151 und 153 verwiesen.) Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit haben bisher Verstehens- und Verständigungsprobleme der Bürger im Kontakt mit staatlichen Institutionen, bei Rechtsstreitigkeiten, beim Gespräch mit dem Arzt sowie beim Kauf von Industriewaren gestanden. Die untersuchten Fachtextsorten reichen von der Steuererklä-

165 rung und anderen Formularen über Gesetzestexte und Verträge bis zum Beipackzettel und zur Bedienungsanleitung. Auf Vorschläge zur Erhöhung ihrer Verständlichkeit sind die Reaktionen bisher zögerlich. Zu Hoffnungen berechtigt die als notwendig erkannte Arbeit des „Technical writer“ (vgl. Art. 106a). Zum besseren Verständnis wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Errungenschaften tragen populärwissenschaftliche Zeitschriften und Sachbücher, aber natürlich auch Nachschlagewerke bei. Hin und wieder ist beim sprachlichen Kontakt von Juristen, Ärzten, Sachbuchautoren und Fachverkäufern schon vom Übersetzen aus den Fachsprachen in die Gemeinsprache die Rede (s. z. B. Fluck 1976/ 1996, 38; Oksaar 1988, 200; Wassermann 1979, 119, 121). In kritischen und warnenden Veröffentlichungen ist ⫺ vor allem mit dem Blick auf die Wissenschaftssprache ⫺ die Rede von „linguistischer Verselbständigung der modernen Wissenschaft“ (Möhn 1979, 14), von „Entfremdung der Fach- und Wissenschaftssprachen von der Gemeinsprache und […] Entfremdung der Fach- und Wissenschaftssprachen untereinander“ als „kommunikative Bedrohung“ oder von „gestörter oder reduzierter Kommunikation“ (Henne 1979, 309, 314), von einer „Kluft zwischen gemeinund fachsprachlichem Weltbild“ (Fluck 1976/ 1996, 43), von „Abrakadabra“ (Enzensberger 1975, 85 f), „Babuismus“ (Hayakawa 1976, 375 ff) usw. Die Suche nach Auswegen beginnt mit dem Aufruf „zur Versöhnung zwischen den Fachsprachen untereinander und zwischen den Fachsprachen und der Gemeinsprache“ (Mentrup 1979, 9) und der Forderung nach Verbesserung der Sprachkompetenz der Produzenten und Rezipienten von Expertensprache bzw. Expertentexten (von Polenz 1979, 321; Bungarten 1981, 48 f); sie reicht bis zu allgemeinen Sprachprogrammen (z. B. Fluck 1976/1996, 44; Bungarten 1981, 48 f) und konkreten Einführungen in einzelne Fachterminologien (z. B. Fluck 1976/1996, 44; Wimmer 1979, 249⫺259). Bei allen guten Vorsätzen wird die Fachsprachenlinguistik jedoch erkennen müssen, daß mit Forschungsarbeit zum Gebrauch sprachlicher Mittel in der Experten-LaienKommunikation und Programmen zur Erhöhung der fachsprachlichen Kompetenz auf beiden Seiten nur ein erster Schritt getan ist. Wo die Sachkompetenz fehlt, ist erst einmal der Fachmann am Zuge. Er kann sich, wie schon bei der Terminologiearbeit, im Sinne

166

II. Der Status der Fachsprachen

von (2) als Sachexperte mit Sprachexperten beraten, ohne daß dabei große Kommunikationskonflikte auftreten müssen, wenn die Grundkorrelation von Fachlichkeit und Fachsprachlichkeit erkannt ist, wozu dieses Handbuch ja beitragen will.

6.

Fazit

Je mehr man über das Verhältnis von Fachsprachen und Gemeinsprache liest und nachdenkt, desto klarer wird einem, daß es sich hier um eine stark reduzierte, überwiegend linguistische Begrifflichkeit handelt. Werden beide Phänomene in einen größeren interdisziplinären Zusammenhang gerückt, so sind sie in der Relation Fachkommunikation : Alltagskommunikation auf einer höheren Ebene im doppelten Sinne des Wortes „aufgehoben“. Es ist dann ⫺ nicht nur am Wortschatz ⫺ leichter zu zeigen, wie sich Fachkommunikation und Alltagskommunikation auf allen sprachlichen Ebenen und darüber hinaus im gesamten sprachlichen (und nichtsprachlichen) Handeln von Personen und Gruppen auf sehr natürliche Weise durchdringen. Übrigens stellt sich das Verhältnis Fachsprache : Gemeinsprache selbst aus der Sicht der Terminologienormung als „kommunikationssoziologisches Problem“ (Bausch 1976, 124 ff) dar. Die Berücksichtigung kommunikationsund sprachsoziologischer Aspekte hat allerdings nichts mit der Rückkehr zum Begriff der Gruppensprache zu tun. Es geht auch nicht mehr vordergründig um Abgrenzung und Prestigegewinn, so reizvoll diese Themen sein mögen. Wenn weitere Untersuchungen zum Verhältnis Fachkommunikation:Alltagskommunikation Früchte tragen sollen, dann hilft am ehesten eine Synthese von (Fach-) Textlinguistik und (Fach-)Textpragmatik weiter, die sowohl schriftliche als auch mündliche Texte in gegenstands- und situationsbezogenen Kommunikationsbereichen bzw. (Sprach-)Handlungsräumen auf möglichst vielen zweckbestimmten (Sprach-)Handlungsebenen erfaßt (vgl. schon Bausinger 1972/1975, 19).

7.

Literatur (in Auswahl)

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168

II. Der Status der Fachsprachen

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Lothar Hoffmann, Großdeuben

13. Fachsprachen und Gruppensprachen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Gruppenprofile innen und außen Gruppenvielfalt und metasprachliche Heterogenität Gemeinsamkeiten und Besonderheiten Die soziale Einheit der Handelnden. Gruppensprachen zwischen Fach- und Berufsgemeinschaft Fachsprachen unter Gruppensprachen Ausblick: Der dritte Prototyp Literatur (in Auswahl)

1.

Gruppenprofile innen und außen

Innerhalb einer staatlich definierten Gesamtgesellschaft existieren zahlreiche und vielfältige Gruppen. Ihnen gemeinsam sind jeweils spezifische Gruppenziele, ein entwickeltes Normensystem (gruppeneigene Standards) und ein daraus resultierendes Wir-Gefühl. Gruppenbildung und Gruppenleben entspre-

169

13. Fachsprachen und Gruppensprachen

chen einem ausgeprägten Bedürfnis Einzelner nach Soziabilität. Bei der Etablierung und Tradierung gruppenspezifischer Normen kommt der jeweiligen Zeichenauswahl, insbesondere der Sprache, eine primäre Rolle zu. Gruppensprache ermöglicht es, die einschlägigen Wirklichkeitsausschnitte (Gruppenkonzepte) kognitiv zu erfassen und auszudrücken, sie ist Medium der oral und/oder schriftlich manifestierten Gruppengeschichte zwischen den Generationen (zum treffenden Begriff des kulturellen Gedächtnisses vgl. Assmann 1988), und sie prägt maßgeblich das kommunikative Handeln der Gruppenmitglieder. Bedingung für die längere Existenzdauer der charakterisierten Gruppen sind Übernahme und kontinuierliches Praktizieren der gruppeneigenen Gewohnheiten, die sich weiter differenzieren lassen, beispielsweise als Standardisierung des Denkens, Empfindens und Handelns (Hansen 1995, 31 ff). Ihre zugehörigen Ausdrucksformen fungieren in mehrfacher Weise als Gruppenabzeichen. „Abzeichen sind Signale, welche eine bestimmte Zugehörigkeit ⫺ und das heißt fast immer Gruppenzugehörigkeit ⫺ ausdrücken“ (Bausinger 1984, 119). Einerseits stiften sie in ihrer gewachsenen Stabilität Zugehörigkeit, Identifikation; Abweichungen fallen auf und führen im Extremfall zu Sanktionen oder entlarven den Nichtzugehörigen. Er könne die Spitzbuben-Sprache vollkommen. Denn sein Vater habe ihn immer deshalb geschlagen und gesagt: Du Strick und Widstock, willst Du nicht platt (⫽ kompetent in der Gruppensprache) werden! (aus einem Verhörprotokoll 1753, zit. nach Kluge 1901, 221). Andererseits sind sie soziale Grenzgeber für Außenstehende in derselben Gesamtgesellschaft. Beispiele für nichtsprachliche Gruppenabzeichen sind Berufskleidung (Bäcker, Fischer, Köche, Schornsteinfeger, Soldaten u. a.) und Tracht (areale Gruppen). Welche Rolle sie für die Außenwahrnehmung spielen, unterstreichen die sogenannten Berufsschelten, konventionalisierte Sprachformen der berufsbezogenen Stigmatisierung (Klenz 1910). In vergleichbarer Außenorientierung wirkt auch die Gruppensprache. Dabei kommen dem lexikalischen Teilausschnitt als dem für Nichtangehörige am deutlichsten markierten Bereich offensichtlich die stärkste Differenzierungskraft und Wiedererkennungsmöglichkeit zu. Dies können letztlich auch solche Texte belegen, die einen Ausgangstext als Version eines Themas in andere Milieus transferieren und die Themenvertextung ent-

Abb. 13.1: Beispiele für Berufsschelten (Klenz 1910, 69; 107)

sprechend variieren. Der Erfolg derartiger Variationstexte liegt darin, daß ihr Lesepublikum sprachliche Indikatoren (Stereotype) kennt, welche die soziale Vielfalt einer Gesellschaft verfügbar machen. Im Kinderanfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsrechtlich Rotkäppchen genannt zu werden pflegt. Der Mutter besagter R. wurde seitens ihrer Mutter ein Schreiben zustellig gemacht, in welchem diese Mitteilung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte, worauf die Mutter der R. dieser die Auflage machte, der Großmutter eine Sendung von Nahrungs- und Genußmitteln zu Genesungszwecken zuzustellen. (Ritz 1984, 102) Da wa ma ne echt coole Frau, die hatte sich die Haare mit Henna gefärbt, da hieß sie überall nur noch Rotkäppchen. Die wohnte bei ihren Alten wegen der Kohle, auf Malochen hatte sie Null Bock. Aber die Alten machten total Terror von wegen Jobben oder so. Emotional lief da sowieso nichts mehr, und ne Zweierkiste hatte sie auch gerade nicht am Laufen. (Ritz 1984, 118)

2.

Gruppenvielfalt und metasprachliche Heterogenität

Einzelne Gruppenprofile als Wahrnehmungskonzept sind grundsätzlich nur denkbar, wenn ein sozialer Kontrast „Wir/die Anderen“ gegeben ist, soziologisch als „Eigen- und Fremdgruppe“ gefaßt. Für die Unterscheidung von Gruppen in größerem Zusammenhang bedarf es des ganzheitlichen Kollektivs

170 (Superkollektiv) als Bezugsgröße für die zugehörigen Teilgruppen. Ein derartiger Orientierungsrahmen kann aus guten Gründen die staatlich definierte Gemeinschaft sein, unter sprachlichen Gesichtspunkten wäre dieser dann das gesamte Sprachaufkommen (Gesamtsprache) innerhalb dieser Gemeinschaft. Beide Wahrnehmungskonzepte ⫺ Eigen-/ Fremdgruppe und Teilgruppen/Gesamtgesellschaft ⫺ haben metasprachliche Spuren im Lexikon hinterlassen, z. B. Berufssprache, Diebessprache, Druckersprache, Ganovensprache, Geheimsprache, Gemeinsprache, Jägersprache, Muttersprache, Schriftsprache, Seemannssprache, Sondersprache, Studentensprache (Theissen/Alexis/Kefer/Tewilt 1992, 85).

Ein solcher Katalog bestätigt einmal die Heterogenität einer Einzelsprache (Sprachen in der Sprache), zugleich die Vielfalt der Wahrnehmungskategorien. Versuche, diese Heterogenität in einem Sprachzustandsmodell auszudrücken und dabei eine relative Homogenität der Kennzeichnung zu erreichen, gibt es zahlreiche. Ihnen eignet, daß sie ausgehend von einer Sprachform ein topographisches Konstrukt entwikkeln (vgl. Bausinger 1984, 28: „Hochdeutsch und was darunter ist“) oder daß sie innerhalb einer definierten sprachlichen Gesamtheit die inhärenten Teilsprachen unterscheiden. Dies trifft etwa für das Konzept der muttersprachlichen Mehrsprachigkeit (Wandruszka 1979, 13 ff) oder das der inneren Mehrsprachigkeit (Henne 1986, 218 ff) zu. In derartigen Sprachmodellen spielen soziologische Aspekte neben primär auf sprachliche Existenzformen ausgerichteten eine Rolle (so auch schon bei Moser 1960, 231: „Sozialvertikale Schichtung“ und „Gruppen- und Sonderformen“, dort: „Fachsprachen“ und „Sondersprachen“); die terminologischen Konsequenzen können hierbei zu Mißdeutungen führen, insbesondere dann, wenn nach dem Primat des ersten Zugriffs gefragt wird. Wandruszka (1979, 27 ff) etwa führt neben Technolekten (Recht, Medizin, Naturwissenschaften, Technik u. a.) Soziolekte an, Henne (1986, 220) unterscheidet im Kontrast und in Verbindung zur Standardsprache zwischen Fachsprachen, Gruppensprachen, Mundarten und Umgangssprachen. Für die Relation Fachsprachen⫺Gruppensprachen empfiehlt es sich, den Begriff „Gruppensprache(n)“ genauer festzulegen und ihn in der Heterogenität seiner Verwendung einzuschränken. Hilfreich dabei ist, innerhalb des umfangreichen Aufkommens sprachlicher Variation profilierte Ausschnitte zu bestimmen, die primär von den jeweils Beteiligten (Sprechergemeinschaft, Teilgruppe) her charakterisiert werden. Eine solche Typologie von Sprachvarietäten nimmt demnach für die verschiedenen Stadien einer Einzelsprache die Existenz unterschiedli-

II. Der Status der Fachsprachen cher Gruppen an, „die sich auch sprachlich gegeneinander abgrenzen“ (Nabrings 1981, 19). Andere Gliederungsprinzipien wie mediale, situative und stilistische Aspekte werden dabei zunächst vernachlässigt, spielen aber für die Beschreibung des Zeichen- und Kommunikationsprofils der einzelnen Gruppen durchaus eine Rolle. Die Qualifizierung „unterschiedliche Gruppen“ bzw. „spezifische[ ] soziale[ ] Voraussetzungen“ (Nabrings 1981, 19) unterstreicht zugleich, daß keine einheitliche Motivlage der Gruppenbildung innerhalb einer Gesamtgesellschaft gegeben ist, vielmehr sehr verschiedene Anlässe/Zwecke zur Kollektivbildung führen. Hierin sind die eigentlichen Schwierigkeiten begründet, eine soziologisch homogene und umfassende Theorie der Gruppe(n) zu formulieren.

Für ein primär an Gruppen orientiertes Sprachvarietätenmodell kann das nur bedeuten, daß die unterschiedlichen Anlässe/ Zwecke sich auch in der Bezeichnung der Gruppentypen niederschlagen. Demnach sollten topographische Aspekte (areale Gruppen, Lokalgruppen) neben altersspezifischen (Jugendgruppen) stehen, fachorientierte (Expertengruppen) neben auf das gesamtgesellschaftliche Wertesystem bezogenen (Kontragruppen) usw. Bei dieser Art der Gruppencharakteristik sind zwei weitere Gesichtspunkte wichtig: (1) Dieselben Teilsprachen/Gruppensprachen können unter unterschiedlichen Gruppendeklarationen registriert werden, je nachdem, welcher Aspekt priorisiert wird. Beispielsweise lassen sich Experten- und ebenso Kontragruppen auch dem arealen Aspekt zuordnen (Möhn 1984; 1986). (2) Mit gewachsener Differenzierung der sozialen Bindung Einzelner haben sich mehr oder weniger ausgeprägte Kontakte zwischen den einzelnen Gruppen entwickelt. Dies gilt einerseits für eine ausgeprägte passive Gruppenkompetenz, teilweise faßbar in Wahrnehmungsstereotypen (vgl. 1.), andererseits für die aktive Existenz in mehreren Gruppen. Hier ist also eine sozialgeschichtliche Tendenz von einer gruppendefinierten Monokultur zur multikulturellen Existenz zu konstatieren. In Sprachaufkommen und Sprachgebrauch wirkt diese Tendenz in zweierlei Hinsicht: Es haben sich die Gruppengrenzen überwindende, teilweise bereits relativ fest etablierte Vermittlungsformen herausgebildet. Dies gilt etwa für die gesellschaftlich bedeutsame Kommunikation zwischen Experten- und Laiengruppen (fachexterne Kommunikation; Biel 1983; Möhn 1979) oder auch für bestimmte, die Kontrastgruppenhermetik aufschlüsselnde Formen der Lexiko-

171

13. Fachsprachen und Gruppensprachen Gesamtsprache Deutsch Sprecherausschnitt

¿¿¡ ø¿¿

Supergruppe nicht gruppendifferenziert ∑ Einzelgruppen (Auswahl) Areale Gruppen

Teilsprachen Standardsprache als überdachende Varietät ∂

Schichtspezifische Gruppen Geschlechtsspezifische Gruppen Expertengruppen Paare Familien Altersgruppen Arbeitsplatzbestimmte Gruppen Kontragruppen ⯗ Glaubensgemeinschaften politische Gruppen ⯗

Gruppensprachen (Auswahl) Regionalsprachen: Dialekte/regionale Umgangssprachen Unter-/Mittel-/Oberschichtsprachen Frauen-/Männersprachen Fachsprachen Paarsprachen Familiensprachen Jugend-/Altensprachen Arbeitsgemeinschaftssprachen Gauner-/Kriminellensprachen ⯗ Glaubenssprachen Ideologiesprachen ⯗

Individuen

Individualsprachen

Abb. 13.2: Gruppenzentriertes Varietätenmodell

graphie (Möhn 1990). Zugleich beherrschen immer mehr Mitglieder einer Sprachgemeinschaft entsprechend ihrer existentiellen Einbindung in mehrere Gruppen mehrere Gruppensprachen und wechseln ihren Sprachgebrauch nach dem Gruppenreglement (Varietätenswitching). Die Vielfalt der Gruppen innerhalb einer Gesamtgesellschaft (Superkollektiv) führt schließlich, aufgrund der gemeinsamen Mitgliedschaft in dieser und der daraus resultierenden und sie bedingenden kognitiven und kommunikativen Bedarfe aller, zu einer gruppenübergreifenden Sprachform. Diese in mehreren Entwicklungsschüben historisch gewachsene und zu einem nicht geringen Teil präskriptiv-staatlich organisierte (Rechtschreibreform!) Gemeinsprache präsentiert sich in der Gegenwart als sogenannte Standardsprache. Von allen anderen Teilsprachen einer Einzelsprache unterscheidet sie, zumindest tendenziell, die Sprachkompetenz aller Gesellschaftsmitglieder, ihr Einzelgruppen übergreifender Gebrauch: „unter deutscher Standardsprache der Gegenwart verstehe ich die heute gehörte und gelesene, gesprochene und geschriebene deutsche Sprache, soweit sie als allgemein gebraucht, als nicht-mundartlich und als nicht-schichtenspezifisch betrachtet wird“ (Glinz 1980, 610). Aufgrund

dieser kontrastierenden Eigenart kommt der Standardsprache innerhalb eines nach Gruppen organisierten Modells der Teilsprachen eine herausragende Bedeutung zu, gegenüber ihr sind alle anderen Teilsprachen konsequenterweise Gruppensprachen.

3.

Gemeinsamkeiten und Besonderheiten

Erst wenn das ganze Ausmaß gruppensprachlicher Existenzformen in den Blick kommt, bisweilen behindert durch eingeführte Bezeichnungen, die nur Ausschnitte betreffen, aber auch die Gesamtheit meinen können (vgl. den Gebrauch von „Gruppensprachen“ und „Soziolekten“ in der Forschungsliteratur), ist es sinnvoll und möglich, im komparatistischen Verfahren Fachsprachen als einen Teil der Gruppensprachen näher zu charakterisieren. Diesem Verfahren kann eine Fragenauswahl dienen, die geeignet ist, Interdependenz und Eigenart der Fachsprachen aufzuzeigen. Ausgangspunkt und übergeordneter Maßstab sollten hier der Anlaß der Gruppenbildung und ⫺ in engem Zusammenhang ⫺ die jeweiligen Gruppenziele in der Gesamtgesellschaft sein. Aber selbst eine derartige Vor-

172 gabe erweist sich in ihren ordnenden Konsequenzen als kompliziert. Einleuchtend ist zunächst, daß alle Gruppen über ein Mindestmaß an gemeinschaftssichernden Maßnahmen aus existentiellen Gründen verfügen müssen. Dabei besteht ein breites Aktionsspektrum, um Gruppenhomogenität und -kompetenz herzustellen und zu erhalten; es reicht vom die Mitglieder identifizierenden Gebrauch der Gruppensprache über ein gruppengemeinsames Liedgut (z. B. Arbeitslied) bis hin zu förmlichen Organisationen mit innerer Hierarchisierung, zugehörigen Ritualen und einer eigenen Ethik und Gerichtsbarkeit. Unterstellt man eine solche Eigenschaft aller Gruppen, ist für den zentralen Aspekt der Eigenart von Gruppensprachen allenfalls ein Teilmerkmal gewonnen. Vielmehr muß bei der gegebenen Koexistenz von vielen Gruppen nach der jeweiligen sozialen Vorteilssicherung und der damit verknüpften Rolle der Gruppensprache gefragt werden; hierbei macht es Sinn, wiederum nach kognitiven und kommunikativ-funktionalen Gesichtspunkten zu unterscheiden. Der kognitive Gesichtspunkt weist primär auf den Weltausschnitt, der in der Gruppensprache auf eine besondere Weise erfaßt und strukturiert wird. Objekt und Art der Wirklichkeitstopographie (Luckmann 1979, 62) sind demnach wesentliches Kriterium der Abgrenzung. Die Art der Versprachlichung kann aber nicht ausschließlich aus kognitiver Sicht begründet werden, vielmehr resultieren Sprachwahl und Mediennutzung auch aus der gesellschaftlichen Rolle der Gruppe. Wird sie beispielsweise aufgrund ihres primären Interesses im aktuellen Wertesystem einer Gesellschaft anerkannt, bloß akzeptiert oder gar zurückgewiesen, hat dies unmittelbare Folgen für die Zeichenwahl; bei Zurückweisung etwa ist mit einer Umkodierung der konventionell gebrauchten Sprache zu rechnen, um den Zugang zur Gruppenwelt bewußt zu erschweren (zu den sprachlichen Vermeidungsregeln vgl. Möhn 1985, 2010 ff). Neben dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Legitimität bestimmen Präsenz und Bedeutung einer Gruppe innerhalb der Gesamtgesellschaft die Sprachwahl und Kommunikationsform. Hierher gehören regional/lokal begrenzte Sprachinventare als Indikator der kommunikativen Reichweite (Bausinger 1984, 35) ebenso wie die Nutzung von gesprochener und geschriebener Sprache. So erkennen C. und W. Stern (1922, 2 f) als „das soziale Hauptmerkmal des Dialekts, die Verstän-

II. Der Status der Fachsprachen

digungsform einer größeren Sprachgemeinschaft zu sein“. Letztlich machen die kognitiv-semantische Differenz des gruppenzugehörigen Weltbildes, die Ausdrucksspezialität seiner Versprachlichung ebenso wie die Funktionen der Gruppenkommunikation und die zugehörige Formentypik das Merkmalsbündel einer Gruppensprache aus. Dabei sind, mit der bereits erwähnten gruppenstabilisierenden Funktion eng verknüpft, zwei weitere Eigenschaften für alle Gruppen(sprachen) mehr oder weniger zutreffend. Die eine betrifft den jeweils restringierten Formenbestand, der eine relative Homogenität der Gruppe mit ermöglicht. Der Befund bestätigt die Forderung, bei der Gruppencharakteristik zwischen Inhalts- und Ausdrucksschemata zu trennen (Wichter 1994, 146). Die andere Eigenschaft betrifft die Versprachlichung des gruppeneigenen Weltbildes und die Form der gruppeninternen Kommunikation in gleicher Weise; sie wird auch als Sprach- oder Ausdrucksökonomie bezeichnet. Gemeint sind Schlüsselbegriffe der Gruppe, die im Verlauf der Gruppengeschichte etabliert worden sind. Kalverkämper (1987, 64 ff) hat für die fachinterne Kommunikation den Zusammenhang von Fachtermini und der Kompetenz des fachspezifischen Referierens bei ungestütztem Gebrauch der Termini herausgearbeitet. Eine derartige Eigenschaft läßt sich als gruppenspezifisches Referieren, das ein kollektiv gewachsenes Wissen voraussetzt, schlüssig auf andere Gruppen übertragen. Unter den gängigen vielfältigen Gruppensprachedeklarationen (vgl. 2.) weisen Berufs(Bäcker-, Chemiker-, Fischersprache u. a.), Alters- (Jugendsprache) und Geschlechtsangaben (Frauen-, Männersprache) auf die Zusammensetzung der Gruppe hin, für das unter linguistischen Gesichtspunkten konstruierte Merkmalsbündel (s. o.) geben sie lediglich den sozialen Beteiligungsausschnitt an. Das skizzierte Merkmalsbündel mit seiner Unterscheidung von kognitiven und kommunikativ-sozialen Aspekten und den zugehörigen Ausdrucksformen, ergänzt um die bereits festgestellten, alle Gruppensprachen auszeichnenden Eigenschaften, ist zunächst einmal geeignet, bisherige Beiträge zur Gruppensprachendifferenzierung einzuordnen, soweit sie über die reine Beteiligungscharakteristik hinausgehen. Dabei weist die Forschungschronik das Bemühen um zwei Prototypen aus, die primär sachorientierte Varietät (⫽ Fachsprache) und die primär gemein-

13. Fachsprachen und Gruppensprachen schaftsorientierte Varietät (⫽ Sondersprache). Die Modifikation primär (Möhn/Pelka 1984, 11; Möhn 1990, 1523) unterstreicht die Idealtypik des Befundes und zugleich die in der Praxis vorfindliche Mischung von kognitiven und kommunikativen Merkmalen, die bei der Typologisierung je nach Ausprägung zugunsten eines Typs hierarchisiert werden. Bei genauem Hinsehen zeigt sich öfter die Problematik der Zuordnung, wird die Suche nach Kompromissen sichtbar. Das belegen schon einzelne Untersuchungstitel wie „Sprachsoziologische und lexikologische Untersuchungen zu einer Sondersprache. Die Sensenhändler im Hochsauerland und die Reste ihrer Geheimsprache“ (Jütte 1978). Es wäre völlig verfehlt, der hier dokumentierten Gruppensprache eine Sachorientierung abzusprechen, die unmittelbar mit der speziellen Erwerbssicherung der Gruppenmitglieder zusammenhängt. Vgl. Affen ,Transportmenge von Sensen‘; auf Schein verkitschen ,gegen Empfangsschein Sensen verkaufen‘; Auscher ,Sensenhändler, der selbst Lohnhausierer beschäftigt‘; Bemsche ,Auftragsbuch‘; Damp ,jemand, der nicht bezahlen kann‘; Eule ,Wachstuch, in das die Sensen gepackt werden‘ u. a. (Beispiele aus Jütte 1978, 89 ff). Die Spezialität des gruppensprachlichen Ausdrucks, des Schlausmen dibbern (⫽ eine fremde Sprache sprechen), welche Außenstehende gezielt ausschließt, hat hier den Ausschlag für den Prototyp „Sondersprache“ gegeben. In ähnlicher Weise wird bei den sogenannten Gauner- und Verbrechersprachen verfahren. Auch hier ist ein Zusammenhang zwischen einem ins einzelne strukturierten gruppeneinschlägigen Weltausschnitt und einem entsprechenden Sprachaufkommen nicht zu leugnen. Vgl. Pagarezoppa ,Geldräuber‘; Parkmelochna ,Mann, der in Parkhäusern oder auf Parkplätzen Kraftfahrzeuge erbricht oder diese stiehlt‘; Penatndattla ,Wohnungseinbrecher‘; Penatnpflanza ,betrügerischer Wohnungsvermittler‘; Pennfärba ,Hotelbetrüger‘; Packlmaloga ,Gepäckdieb‘; Packschießarlreiba ,Bestecher‘; Pädarastnbanla ,Erpresser eines Homosexuellen‘ (Beispiele aus Burnadz 1970, 134). Die Art der Vorteilssicherung mittels sprachlicher Neubenennungs- und Umkodierungsverfahren, die wiederum mit der gesellschaftlichen Nichtakzeptanz zusammenhängt, gibt hier den Ausschlag zugunsten des Prototyps „Sondersprache“. Weitere Exempel, welche die Abgrenzungsprobleme belegen, weil sie sehr wohl eine „Sachorientierung“ im Sinne eines speziell strukturierten Weltausschnittes und damit einen Expertenstatus der Gruppenmitglieder aufzeigen, andererseits aber auch durch eine ausgeprägte Distanz zum gültigen Wertesystem gekennzeichnet sind, bieten die Sprachen der Prostitutions- und Rauschgiftszene. Bornemann (1971) belegt in seinem Thesaurus die sprachgestützte Systematik des Prostitutionsgewerbes: z. B. werden manuelle, gerontophile, pädophile, homosexuelle, pedikatorische, anilinktorische, urophile, sadomasochistische Teilbereiche unterschieden. Das Charakteristische dieser „Nachtsprache“ besteht in der semantischen Umkodie-

173 rung des gängigen allgemein verfügbaren Wortschatzes, welche dann Außenstehende ausschließt. „Die latente Zweitbedeutung wird nur demjenigen bewußt, der den Code der Sexualsprache erfaßt hat und sie gewohnheitsmäßig dechiffriert, oder zu einer der sexuellen Minderheiten gehört, in denen die Zweitbedeutung üblich und die Erstbedeutung sekundär ist“ (Bornemann 1971, Vorrede zum Thesaurus).

Bezogen auf das vorgegebene Merkmalsbündel kann für die als Diskussionsexemplare vorgestellten Gruppensprachen festgehalten werden, daß zu einer sprachmodellierten gruppenspezifischen Weltsicht als besonderes Merkmal eine Kodierungsweise hinzukommt, welche Nichtzugehörige bewußt ausschließt, um den Angehörigen über die Spezialkenntnisse hinaus auch einen kommunikativen, d. h. isolativen Vorteil zu gewährleisten. Bei diesem Befund des Exklusivstrebens ist höchst aufschlußreich, daß es sich bei dem Prototyp „Sondersprache“ mit seinen Realisationen nahezu immer um gesprochene Sprachen handelt. Verschriftlichungen sind immer sekundär und entspringen sekundären Motivationen (Möhn 1990, 1524). Vgl.: „Es [das Wörterbuch] soll vielmehr dem Fachmann [Kriminalisten] ein Nachschlagewerk und ein Wegweiser zum Studium dieser […] Sprache sein“ (Burnadz 1970, 7) und „Die Kenntnis des Szenenjargons dient der Vorbeugung der Rauschgiftkriminalität und eröffnet Eltern die Möglichkeit, eine Diskussion mit ihren Kindern über das Problem des Drogenmißbrauchs zu führen“ (Harfst 1984, 9). Auch die Literarisierung von Sondersprachen (z. B. Fichtes Interviews aus dem Palais d’Amour 1972) gehört zu dem Bereich der sekundären Schriftlichkeit. Die Sozialisation der Gruppennovizen findet durch mündlichen Spracherwerb im Handlungszusammenhang der Gruppe statt. Die einschlägige Distanzposition hat noch eine weitere Konsequenz, die mit dem Verfahren der Umkodierung von vorfindlicher Sprache („Vermeidungsprinzip“) eng verknüpft ist, nämlich ein ausgesprochen sprachspielerisch-kreatives Merkmal. Im Lexikon, dem als Repräsentanten der einzelnen Gruppensprachen, wie die Beispiele unterstreichen, eine primäre Rolle zufällt, wirkt sich dieses Merkmal zweifach aus: (1) eine Lexemform wird aufgrund ihres assoziationsreichen Inhalts mehrfach neu semantisiert: „Wenn für ein einziges Wort in diesem Wörterbuch vier, fünf oder mehr Ausdeutungen angegeben werden, dann ist es

174 also weder der Schludrigkeit des Autors noch einem Mangel an Klarheit und Entschlußfreudigkeit zuzuschreiben, sondern stellt ein strukturelles Charakteristikum dieser Art der Sprachverformung dar“ (Bornemann 1971, Einleitung zum Wörterbuch). Unter onomasiologischer Perspektive wird dasselbe Objekt mehrfach versprachlicht (Synonymenreichtum); vgl. ,Verraten‘: antippeln, jemanden auf den Markt hauen, einidrahn, poltern lassen, jemandem eine verkehrte Rutschn legen; ,Fingerabdrücke abnehmen‘: Klavier spielen, stempeln, Druckerl machen; ,Jemand anderen [vor Gericht] belasten‘: sich abputzen, sich außidrahn, dem anderen ein Bett bauen, ihm die Rutschn legen, ihn einfahren lassen, aus ihm ein Dradiwaberl machen, mit ihm grob wegfahren (Beispiele aus Girtler 1995, 260 ff).

(2) Innerhalb des Lexikons ist eine relativ starke Fluktuation vorhanden: „Die oft humorvollen und lautmalerischen Ausdrücke wechseln im übrigen ständig im Laufe der Zeit, manche ändern ihren Sinn oder es tauchen andere, modernere auf, welche dann die älteren verdrängen“ (Burnadz 1970, 7). Waren die Sauerländer Sensenhändlersprache, die Gauner- und Verbrechersprache, die Sprache des Prostitutions- und Drogenmilieus (s. o.) bei Anwendung des skizzierten Beschreibungsmodells für Gruppensprachen (Merkmalsbündel) noch einsichtig eher dem Prototyp „Sondersprache“ zuzuordnen, haben sich im Verlauf der Kulturgeschichte Gruppensprachen entwickelt, die, bezogen auf die Prototypen „Fachsprache“ und „Sondersprache“ sich eher als Mischsprache, als Zweikomponentensprache darstellen. Musterfall einer solchen Sprache ist die Sprache der Jägerei. Lindner (1966, 409 f) macht hierfür einen fachsprachlichen und einen standessprachlichen (andere Terminologie: weitgehend inhaltsgleich mit dem hier bevorzugten Ausdruck „Sondersprache“) Anteil aus. Als fachsprachliche Wörter werden diejenigen benannt, „die durch fachliche Vertiefung des Wissens (Spezialisierung) entstehen und von einem Kreis von Menschen, der über dieses Fachwissen verfügt, in allgemein gültiger Form sowohl unter sich als auch gegenüber Dritten zur Anwendung kommen“ (Lindner 1966, 409). Demgegenüber wird dem standessprachlichen Anteil ein esoterischer Charakter attestiert; er stehe für die um der Exklusivität willen bewußte und gewollte Erweiterung der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten mit der Folge einer technisch nicht bedingten Vielfalt inhaltsgleicher Begriffe [in ei-

II. Der Status der Fachsprachen

nem Spezialausschnitt! D. M.]. Als Beispiele für die Mannigfaltigkeit des inhaltsgleichen Ausdrucks werden aus dem Bereich der Beizjagd angeführt: der Falke wird geworfen, von der Hand gestoßen oder von der Hand geschüttet (Lindner 1966, 410). Das gleichzeitig als Merkmal von Standessprachen angeführte Argument, die einem Wort der Gemeinsprache zugehörige übliche Bedeutung werde verändert und damit ein neuer, für den Außenstehenden unverständlicher Sinngehalt etabliert, ist zutreffend, aber nicht unbedingt exklusiv. Auch im Prototyp „Fachsprache“ wird ein erheblicher Bestand der Lexik durch Neusemantisierung vorhandener Bestände gewonnen (vgl. die Kategorie „fachspezifische Bedeutung“ bei Möhn/Pelka 1984, 14 ff). Argumente für das Exklusivitätsstreben liefern da eher die zahlreichen Dokumente in der Gruppengeschichte, welche etablierte Sanktionen bei Mißachtung der Gruppensprache belegen. „Daß Standesgenossen Verstöße gegen die von ihnen gesetzte Sprachregelung zu ahnden bereit waren, dürfte nicht verwunderlich sein, denn jeder sprachliche Fehlgriff war für sie zwangsläufig Ausdruck einer schmerzlichen Mißachtung ihres Standesgefühles“ (Lindner 1967, 108). Hinzu kam das Verbot, Außenstehenden „die Jägerische[n] heimligkeiten zu entdecken“ (Lindner 1967, 109). Hervorgehobenes Strafmaß unter den Sanktionen war die körperliche Züchtigung, das sogenannte Pfundgeben oder Weidmesserschlagen: Wie Man die Jenigen Personen, wölliche bei ainem ordenlichen geiaid Vnwaidmanisch Röden … oder andere fäl Begehen mit Schlagung des waidmößers oder in vnd auf etliche andere weiß Strafen solle (aus einer Quelle des frühen 17. Jh.s, zit. nach Lindner 1967, 109). Für den Prototyp „Fachsprache“ wird, im Gegensatz zu den bisher diskutierten Gruppensprachen, das Merkmal des bewußt isolierenden Sprachgebrauchs weitgehend verneint. Ihm wird vielmehr die Eigenschaft des öffentlichen, zumindest des grundsätzlich möglichen öffentlichen, d. h. Gruppengrenzen überwindenden Zugangs attestiert. Diese Zuerkennung muß bei genauerer Sicht relativiert werden. Die erste Einschränkung bezieht sich auf die Kulturgeschichte der Fächer, genauer auf die unterschiedliche soziale Anerkennung und/oder das eigene Selbstverständnis der Experten in der jeweiligen Zeit. Hier ist als Beispiel die Fachsprache (!) der Alchemisten zu nennen, die zugleich als Arkansprache behandelt wird, weil sie ,absichtlich dunkel‘ gewe-

175

13. Fachsprachen und Gruppensprachen sen sei. „Diese Kreise, die am technischen Fortschritt des späten Mittelalters maßgeblich beteiligt waren, suchten aus sozialethischem Verantwortungsgefühl zu verhindern, daß Unbefugte ihre Erkenntnisse … mißbrauchen könnten …“ (Eis 1967, 15). Segmentierungsversuche, die darauf abzielten, in dieser Gruppensprache zwischen fach- und arkansprachlichen Bestandteilen zu unterscheiden, sind mit guten Gründen als willkürlich beurteilt worden (Barke 1991, 27). Ein zweites Beispiel unter der historischen Perspektive bieten die überlieferten Handschriften zur Fechtersprache des 14./ 15. Jahrhunderts, in denen die gewählte Sprache charakterisiert wird als verborgene und verdeckte Worte, „darumb das die kunst nitt gemain solt werden“ (Wierschin 1965, 97). Die zweite Einschränkung gilt auch für die Gegenwart. Fachliches Handeln wird auch heute oft mit „verdeckten Worten“ ausgedrückt, wenn es sich um Versuche, spezielle Herstellungsverfahren, Planungen handelt, die einen Wettbewerbsvorteil sichern oder sichern sollen. Die Öffnung derartiger Geschäftsgeheimnisse, Betriebsgeheimnisse gegenüber Dritten ist ein strafrechtliches Delikt (Geheimnisverrat). Eine dritte Einschränkung ist in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen, solange die Fachsprachen als Expertensprachen aufgefaßt werden: Fachsprachen werden zur Sondersprache, wenn sie in Gegenwart von Nichtfachleuten gebraucht werden, um diese auszuschließen. In einer solchen Funktion werden Fachsprachen als Jargon qualifiziert.

Abb. 13.3: Zur Funktion der Sondersprachen (Bausinger 1984, 124)

Zusammenfassend und am vorgegebenen Merkmalsbündel orientiert, kann konstatiert werden, daß die Darstellung der Gruppensprachen mittels des Modells der Prototypen „Fachsprache“ und „Sondersprache“ zwar geeignet ist, jeweils wesentliche Eigenschaften zu erkennen, im konkreten Einzelfall aber gehalten ist, einzelne Merkmalsausprägungen zu hierarchisieren, um eine Prototypenzuordnung zu erreichen. Tendenzangaben wie die bereits angeführte Klassifizierungsmodifikation „primär“ belegen das Verfahren. Von vergleichbarem Vorgehen zeugt das Modell Bausingers mit den Kategorien der Geheimhaltung, der Sachorientierung und der Gruppenorientierung und den jeweils anteilig zugeordneten Gruppensprachen.

4.

Die soziale Einheit der Handelnden. Gruppensprachen zwischen Fachund Berufsgemeinschaft

Die Kennzeichnung der Sprache der Jägerei (vgl. 3.) als eine Zweikomponentensprache mit fach- und sondersprachlichen Anteilen lenkt das Augenmerk auf eine grundsätzliche Tendenz, die beachtet sein will, wenn Fachsprachen als Varietät näher bestimmt werden sollen: Je intensiver der unmittelbare sozialkommunikative Kontakt unter den fachlich handelnden Experten ausgeprägt ist und usuell hergestellt wird, um so wahrscheinlicher stellen sich komplementäre gemeinschaftsbezogene Sprachanteile ein. Wird die Gruppe als soziologische Ausgangsgröße für die Sprachbetrachtung gewählt, verwenden dieselben Mitglieder im Zusammenhang des Fachausschnitts und der Intimgemeinschaft vor Ort beide Sprachanteile. Am Beispiel der Handwerkersprache hat Maurer (1964) zwei Aspekte einer fachgebundenen Gruppensprache benannt: „Wenn man von Handwerkersprache reden will, so muß man sie von zwei Seiten her ansehen: einmal als Fachsprache, sodann als Sprache einer Gemeinschaft“ (Maurer 1964, 37). Während für die Fachsprache der „Zwang zu genauer Unterscheidung, zur deutlichen Kennzeichnung jedes Einzelfalls des Handwerkszeugs und jedes Einzelvorgangs bei der Arbeit“ (Maurer 1964, 37) als Motiv ausgemacht ist, wird für die Gemeinschaftssprache die Vielfalt affektischer Bezeichnungen als prägend erkannt, wobei die „Gefühlsverbundenheit“ immer wieder zur Wahl neuer Wendungen und Bildungen führe (Maurer 1964, 45). Maurer betont die zahlreichen Berührungen zwischen den beiden Betrachtungsweisen, der Beruf sei auch die Gemeinschaft, wobei ein kausaler Zusammenhang zwischen der Enge der Gemeinschaft und der Ausprägung der Gemeinschaftssprache angenommen wird.

Zu den älteren Zeugnissen, welche diesen Zusammenhang nachweisen, rechnen die Ordnungen (Satzungen, Statuten) der Zünfte (Ämter). Daß derartige Vereinigungen innerhalb der Städte seit mittelalterlicher Zeit zunehmend entstanden, hat zumindest zwei Ursachen. Zuvorderst ist die fortschreitende Arbeitsteilung zu nennen, welche zur Vorteilssicherung (Privilegien) im städtischen Rechtsbezirk den Zusammenschluß gleichermaßen Betroffener forderte, zugleich war es für Rat und Bürgermeister einfacher, Verantwortlichkeiten zu formulieren und gruppenbezogen zu delegieren. Die Zunft-(Amts-)ordnungen überliefern sprachliche Indikatoren des spezi-

176 ellen fachlichen Handelns ebenso wie solche, welche die Regularien der Gemeinschaft betreffen, z. B. Aufnahme, Meisterprüfung, Qualitätskontrolle, Festlichkeiten, Sterbefälle. Vgl.: Ein groffsmidt schal arbeiden. Item dat gemene best hebben nu auergelecht vnde tho gelaten, wadt ein iszlich arbeiden schall, so dat e de groffschmede scholen alle eggetuch arbeiden, dat men schlipen moth, alsz iseren, allerlei exen, bilen, barden sulexe, winkeliseren vnd allent dat, men peken schall, ock penning nagell, scherff nae gell, spon nagell, miurancker, gadderwerck alsze tho thorenn, karchen, vmme huszer kamen, alle ploichwarck, wagenschenen vnd alle haken, hoffschlag, spaden, schuffelen, forcken, furlepel vnd furtangen, […] [Die Verantwortlichen der Stadt haben beraten und festgelegt, was ein jeder herstellen darf. Demnach dürfen die Grobschmiede alles schneidende Gerät anfertigen, das geschliffen werden muß, wie eisernes Werkzeug, verschiedene Arten von Äxten, Beile, Handbeile, zweischneidige Äxte, Winkeleisen und alles, was mit Pech überzogen wird, auch Pfennignägel, Scherfnägel, Spannägel, Maueranker, Gitterwerk, wie es für Tore, Kirchen und Häuser gebraucht wird, alle Pflugteile, Wagenteile und alle Hakensorten, Hufeisen, Spaten, Schaufeln, Forken, Formen und Zangen, die am Schmiedefeuer gebraucht werden …]

II. Der Status der Fachsprachen

Werden als Ausgangspunkt gruppensprachlicher Darstellung die jeweils Beteiligten gewählt, so verdichtet sich, je enger die räumlich-zeitliche Situation und gruppensprachliches Handeln aufeinander bezogen sind, der Zusammenhang von fachbezogener und gemeinschaftsbezogener Sprache. Offensichtlich vermittelt der Ausdruck Beruf, Berufssprache (zum Verhältnis von Fach und Beruf vgl. Möhn/Pelka 1984, 31 ff) deutlicher dieses Wechselverhältnis, auch in der Außendarstellung der Betroffenen:

Van steruinge. e e Item so we vth eren ampte steruett, scholen brodee ren vnde sosteren, dar dat lick isz, tho steden wee sen, darna tho graue tho volgen by I ß brocke, ahne nothsake entschuldiget. [Wenn jemand aus dem Amt stirbt, sollen die Amtsbrüder und -schwestern dort zusammenkommen, wo sich der Leichnam befindet, danach ihn bis zum Grab begleiten bei 1 Schilling Strafe, wenn nicht eine dringende Angelegenheit die Nichtteilnahme enschuldigt.] (Aus: Der groffsmede, klensmede, mestmaker vnde bosmakerschra vnd rechticheit binnen Flensborch. [1514], zit. nach Nyrop 1904, 340 ff).

Vertrauen und Verantwortung Jeder Beruf kann das Lied von den „Schwarzen Schafen“ singen, von Menschen, die sich nicht an die Standesregeln halten und versuchen, den Kunden auszunutzen. Dagegen haben sich die Mitglieder des Rings Deutscher Makler (RDM) verpflichtet, bestimmte Pflichten zu übernehmen. Sie haben festgestellt, daß sich „jeder Makler und Hausverwalter innerhalb und außerhalb seines Berufes der besonderen Vertrauensstellung und der volkswirtschaftlichen Verantwortung würdig zu erweisen“ hat. Die Mitglieder haben darauf zu achten, daß durch ihr Verhalten und das ihrer Mitarbeiter das Ansehen des Berufsstandes gefördert wird. I. Standespflichten Es gehört zu den Standespflichten des Maklers und des Hausverwalters, 1. seine fachlichen Kenntnisse und die seiner Mitarbeiter den jeweiligen Erfordernissen anzupassen und an den berufsständischen Aufgaben mitzuwirken, […] II. Standeswidrig Es ist im besonderen standeswidrig, 1. gegen die vom Bundeskartellamt mit Beschluß vom 19. 8. 1963 genehmigten Wettbewerbsregeln zu verstoßen, […] Verstöße gegen diese Standesregeln werden nach der Satzung des zuständigen Mitgliederverbandes geahndet. (Anzeige des Rings Deutscher Makler RDM. Hamburger Abendblatt 15. 11. 1994)

Die Vielzahl von sogenannten Standesorganisationen, die im Laufe der Kulturgeschichte entstanden sind und in der Gegenwart Bestand haben, belegt das wechselseitige Verhältnis von Arbeitsteilung und (neuer) Gemeinschaftsbildung. Für den Prototyp „Fachsprache“ bedeutet ein solcher Befund, daß im Zuge der Sprachvarietätentypisierung („primär“) zu Gunsten der Sachorientierung und zu Lasten der Gemeinschaftsorientierung (Binnenorganisation der Beteiligten) abstrahiert wird. Dabei ist unbestritten, daß ein gemeinsames Fachwissen und dessen gemeinsame Versprachlichung allein auch gruppenstiftend wirken.

Letztlich erweist sich „Berufssprache“ auf dem Hintergrund des einheitlichen spezialisierten Kommunikationsbereichs als Begriff, der fach- und sondersprachliche Anteile zusammenzieht. Belege für ein derartiges „vernetztes“ Vorgehen in der Forschung gibt es zuhauf; teilweise wird es bereits in den Titeln signalisiert, vgl. „Decksdeutsch heute“ (Zienert/Heinsius 1983) oder „Reise, Quartier, in Gottesnaam. Niederdeutsches Seemannsleben [!] in der Zeit der Segelschiffahrt“ (Wossidlo 1981). Auch Schirmers „Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache auf geschichtlichen Grundlagen“ gehört dazu: „Besonderer Nachdruck wurde auf die Sammlung der

177

13. Fachsprachen und Gruppensprachen

umgangssprachlichen Bestandteile, namentlich auch der Scherz- und Spottausdrücke der heutigen Kaufmannssprache gelegt“ (Schirmer 1911, V). Das „Kaufmannswelsch“ wird durch zahlreiche Lexeme wie letzte Ölung ,letzte Zahlungsfrist‘; Hypothekenfriedhof ,Anlage mit nicht abgesicherten Hypotheken‘ dokumentiert.

fungen, Ellipsen, Ausklammerungen, Wiederholungen u. a.

Die Einheitlichkeit des Kommunikationsbereichs einigt auch die Komponenten „Militärische Fachsprache“ und „Soldatische Sondersprache“. Während der ersten Komponente eine strikte Normung, die Priorität des institutionellen Funktionierens (Pelz 1980, 42) zukommen, gilt die zweite als Repräsentantin des Nichtoffiziellen. Sie dient der Distanzgewinnung innerhalb der Institution, trägt zum Zusammengehörigkeitsgefühl bei und ermöglicht durch Umbenennung des offiziellen Vokabulars auch eine konnotativ gestützte Verdrängung gegebener existenzbedrohender Situationen, vgl. Eier legen ,Bomben werfen‘; abschwimmen ,sterben‘; Sarg ,Panzer‘. Karlson/Judersleben (1994, 146) haben die beiden Sprachkomponenten des Kommunikationsbereichs „Nationale Volksarmee“ unter „Mischsprache“ zusammengefaßt.

H: A: H: A:

Die angeführten Beispiele für Gruppensprachen haben neben ihrem Mischcharakter auf eine wichtige Tendenz aufmerksam gemacht: Je enger das sprachliche Handeln einer Gruppe räumlich und zeitlich mit einer konkreten Situation in Beziehung steht, um so mehr Gewicht kommt der gesprochenen Sprache zu. Damit ist zugleich ein wichtiges Unterscheidungskriterium für den Prototyp „Fachsprache“ gegenüber dem Prototyp „Sondersprache“ gewonnen: In der Praxis fachsprachlicher Kommunikation sind gesprochene und geschriebene Texte im Sinne einer primären Eigenschaft etabliert, während Sondersprachen primär gesprochene Gruppensprachen repräsentieren (zu der hier einschlägigen sekundären Schriftlichkeit vgl. 3.). Bei den Gesprächen am fachbestimmten Arbeitsplatz lassen sich zwei miteinander verknüpfte Merkmale erkennen. Das für die Expertenkommunikation einschlägige ungestützte Referieren auf einen fachspezifischen Weltausschnitt tritt hier massiv auf; dabei sind situationskonventionalisierte Ausdrücke, etwa als Verkürzung, gebräuchlich, z. B. Absauge für „Absaugschlauch“, Provi für „provisorische Lösung“ in der Zahnarztpraxis. Die zweite Ausprägung betrifft eine Fülle von auf die Situation unmittelbar verweisenden Raum- und Zeitangaben (Deiktika). Hinzu kommen Charakteristika der gesprochenen Sprache überhaupt wie Verschlei-

Beispiele (Dopp 1993) aus einer Zahnarztpraxis; A (Zahnarzt), H (Helferin): A:

A:

5.

Hast du mal eine … ein rotes Winkelstück für mich? ⯗ ⯗ Da an Zweifünf war das, nä? massig massig Zahnstein hier. Zweifünf. Zwei … Zweifünf, Zweisieben. Letztes Mal ham wir ’ne Provi gemacht, nä? … Jetzt woll’n wir mal an’n Achter rangehen ⯗ ⯗ büschen höher … Brauch den Picard.

Fachsprachen unter Gruppensprachen

Bei einer relationierenden Sichtweise ist zunächst die Expertengruppe als prägender Sozialausschnitt anzuführen, dessen Mitglieder durch ihre, zumeist gesamtgesellschaftlich geregelte und akzeptierte, fachspezifische Ausbildung und professionelle Tätigkeit charakterisiert werden. Fachsprachen sind folglich Gruppensprachen von Experten; damit wird nicht ausgeschlossen, daß auch andere fachbezogen kommunizieren (dazu Kalverkämper 1990, 97 f). Fachsprachen sind heute Interessierten grundsätzlich zugänglich, was nicht in gleichem Maße für alle fachlich bestimmten Situationen und die sie begleitenden Sprachformen (noch nicht gesichertes Fachwissen) gilt. Fachsprachen sind intersubjektive Repräsentanten einer spezialisierten Wirklichkeitstopographie, die sich durch eine weit entwickelte kognitive Vernetzung und Differenzierung auszeichnet. Beispiel: Verfahren und Resultate der Abgrenzung und Mikrogliederung sind nicht zuletzt in einem spezifischen Kulturwertsystem begründet (Clyne 1993, 7 ff). Das Verhältnis zwischen den Mikroelementen eines fachspezifischen Weltausschnitts und dem zugehörigen Speziallexikon ist relativ stabil, teilweise explizit durch Normung festgelegt. Änderungen in diesem Verhältnis gehen teilweise (zu anderen Gründen weiter unten) auf Innovationen und/oder individuelle Exponierung zurück und bedürfen der Deklaration vor der Fachgemeinschaft. Sprachspielerische Züge und Variantenreichtum als deren Konsequenz (Prototyp „Sondersprache“) gehören nicht

178

II. Der Status der Fachsprachen

Abb. 13.4: Strukturierung der Handlung „Ehrenrührige Äußerung“ (Süddeutsche Zeitung 8. 11. 1995, nach Dieter Grimm)

zum primären Befund. Die enge und zugleich differenzierte Vernetzung der fachlichen Objektwelt zeigt sich auch in einer ausgeprägten Binnengliederung von Fächern; einem ursprünglichen Segmentierungsverfahren, das vor allem nach einem theoretischen und mehr praktischen Segment unterschied, sind, je mehr das konkrete Fach oder die konkrete Institution in den Blick kamen, differenzierte Modellierungen gefolgt (Hoffmann 1976, 184 ff; von Hahn 1983, 72 ff; Möhn/Pelka 1984, 37 ff). Bei einer derartigen Modellierung kommen weitere Merkmale der Fachsprachen zum Vorschein. So wird durch die Binnengliederung eines Faches einschließlich der Segmente, die sich auf die Außenkommunikation beziehen (z. B. Bedienungsanleitungen, Verkauf, Präsentation in der Öffentlichkeit), auch die kommunikative Reichweite des Faches belegt, und zwar aus der Sicht der Gruppenmitglieder. Kognitive und kommunikative Differenzierung gehen, namentlich bei für eine Gesellschaft besonders einflußreichen Fächern, oft zusammen. Die Binnengliederung von Fächern unterstreicht zugleich, daß „Fachsprache“ als Bezeichnung für Gruppensprache(n) Vielfältiges zusammen-

faßt, auf der einen Seite den idealtypisch alle Experten zumindest im Sinne einer passiven Sprachkompetenz einigenden Sprachausschnitt des Faches (hier spielt die Terminologie eine herausragende Rolle), auf der anderen Seite die vielen am konkreten Arbeitsort der Binnengliederung entwickelten usuellen Sprachausschnitte. Gerade hier tritt zum identifizierenden Fachwissen und seinen sprachlichen Ausdrücken ein auch jeweils Arbeitsplatzgemeinschaft stiftender Sprachanteil hinzu, expliziert sich die jeweilige Gruppe auch sprachlich. Dabei wird das oben für die gesamtfachliche Perspektive behauptete relativ stabile Verhältnis von fachlicher Begrifflichkeit und sprachlichem Ausdruck deutlich zugunsten einer Indikation der Arbeitsgemeinschaft vor Ort abgeschwächt und variiert. Die gesprochene Fachsprache, teilweise als Berufsjargon klassifiziert, gewinnt dabei an Einfluß. Wie in anderen Gruppensprachen existieren weitgehend feste und für die Gruppenmitglieder verbindliche Kommunikationsformen (zum Problem der Formenspezialität vgl. Art. 11). Eigentümlichkeit der Fachsprachen unter kommunikativer Sicht ist tendenziell in

179

13. Fachsprachen und Gruppensprachen

der breiten Nutzung der medialen Möglichkeiten, der Vielzahl etablierter Textsorten (teilweise mit Deklaration) und in ihrer weitreichenden Funktionsdifferenzierung (Möhn/ Pelka 1984, 124 ff) zu sehen.

6.

Ausblick: Der dritte Prototyp

Zuvor wurde für den Prototyp „Sondersprache“ das Exklusivitätsstreben zugunsten der Gruppe als primär gesetzt, bei Anerkennung einer durchaus vorhandenen sprachlich gestützten Differenzierung der gruppeneigenen Wahrnehmungswelt. Als Medium fungierte fast ausschließlich die gesprochene Sprache. Für den Prototyp „Fachsprache“ hingegen wurde seine grundsätzlich gegebene soziale Offenheit konstatiert. Wesentliche Eigenschaft sind die sprachlich manifestierte systematische Segmentierung und Differenzierung der Objektwelt sowie eine Vielzahl von Handlungsformen im Fach. Die Arbeitsteilung im Fach zeitigt, wenn fachliches Handeln und Situation unmittelbar miteinander verknüpft sind, gemeinschaftssichernde sprachliche Anteile am Arbeitsplatz. Fachsprache wird geschrieben und gesprochen. Diese beiden Prototypen (zur Mischproblematik vgl. 4.) decken keineswegs das Gesamt der Gruppensprachen ab. Zumindest muß auf einen dritten Gruppentyp hingewiesen werden, der bisher nicht angesprochen wurde, sehr wohl aber im gesamten Gruppenaufkommen von Bedeutung ist. Ihm eignet einerseits eine deutliche Gruppenstabilität (er ist also gruppenintern ausgerichtet), zugleich wird aber zwecks Durchsetzung des Gruppenweltbildes, zur Vermehrung der Gruppenmitglieder eine gezielte programmatische Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Der gesellschaftliche Bezugsausschnitt wird wertend versprachlicht, wobei zur Vorteilsgewinnung das gruppeneigene Wertsystem in Relation zu anderen vorhandenen Weltdeutungen gesetzt wird. Derartige Gruppen sind etwa Parteien, politische Gruppierungen, Glaubensgemeinschaften, Sekten. Die Gruppensprachen lassen sich als Glaubenssprache, Ideologie- und Programmsprachen fassen. Aus den Zielen der Gruppenstabilisierung und der Beeinflussung von (anderen) Werthaltungen ist das Nebeneinander von gesprochener und geschriebener Gruppensprache unschwer abzuleiten. Geschriebene Texte dienen der Dokumentation des Wertekanons, der Fixierung von Organisationsabläufen, aber auch der

weitreichenden Öffentlichkeitsarbeit (z. B. Flugschriften, Wahlzeitungen). Gesprochene Texte spielen gruppenintern in Ritualen eine wichtige Rolle, in öffentlichen Veranstaltungen ermöglichen sie den unmittelbaren Kontakt zwischen Gruppenrepräsentanten und zu Interessierenden. Fachsprachliche Anteile begegnen durchaus auch in diesem Prototyp. Einmal kann es sich um Transferenzen aus einschlägigen Fächern (z. B. „Politische Theorie“) handeln, zum andern folgert aus einem Fachstudium (z. B. „Theologie“) als Voraussetzung für professionelles Handeln in der Gruppe, daß Fachsprachliches in der Gruppenkommunikation zumindest ausschnittweise integriert wird.

7.

Literatur (in Auswahl)

Assmann 1988 ⫽ Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Kultur und Gedächtnis. Hrsg. v. Jan Assmann und Tonio Hölscher. Frankfurt/M. 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 724), 9⫺19. Barke 1991 ⫽ Jörg Barke: Die Sprache der Chymie. Am Beispiel von vier Drucken aus der Zeit zwischen 1574⫺1761. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 111). Bausinger 1984 ⫽ Hermann Bausinger: Deutsch für Deutsche. Dialekte, Sprachbarrieren, Sondersprachen. Aktual. Neuausgabe Frankfurt/M. 1984. Biel 1983 ⫽ Maria Biel: Vertrauen durch Aufklärung. Analyse von Gesprächsstrategien in der Aufklärung über die freiwillige Sterilisation von Frauen in einer Klinik. Frankfurt/M. Bern 1983 (Sprache in der Gesellschaft 2 ⫽ Europäische Hochschulschriften. R. 1: Deutsche Sprache und Literatur 591). Bornemann 1971 ⫽ Ernest Bornemann: Sex im Volksmund. Die sexuelle Umgangssprache des deutschen Volkes. Wörterbuch und Thesaurus. Reinbek bei Hamburg 1971. Burnadz 1970 ⫽ J. M. Burnadz: Die Gaunersprache der Wiener Galerie. Mit einem Geleitwort von Franz Meinert. 2., erweit. Aufl. Lübeck 1970. Clyne 1993 ⫽ Michael Clyne: Pragmatik, Textstruktur und kulturelle Werte. Eine interkulturelle Perspektive. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 3⫺18. Dopp 1993 ⫽ Martina Dopp: Fachexterne Kommunikation im Bereich der Medizin am Beispiel des Zahnärztin-Patientinnen-Gespräches. Seminararbeit Hamburg 1993. Eis 1967 ⫽ Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. 2., durchges. Aufl. Stuttgart 1967 (Sammlung Metzler. Abt. D: Literaturgeschichte).

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14. Fachsprachen als Varietäten Marsch!“ Bemerkungen einer Linguistin zur „ZDv 3/2“: Formalausbildung. In: Armee für den Frieden. Aspekte der Bundeswehr. Politisch-militärische Lagebeurteilung. Hrsg. v. K. E. Becker, D. Dietrich, E. Lutz und V. Stahl. Hannover 1980, 36⫺44. Ritz 1984 ⫽ Hans Ritz: Die Geschichte vom Rotkäppchen. Ursprünge, Analysen, Parodien eines Märchens. 8., veränd. Aufl. Göttingen 1984. Schirmer 1911 ⫽ Alfred Schirmer: Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache auf geschichtlichen Grundlagen. Strassburg 1911. Neudruck mit einem Nachwort v. Dieter Möhn. Berlin. New York 1991. Stern 1922 ⫽ Clara und William Stern: Die Kindersprache. Eine psychologische und sprachtheoretische Untersuchung., 3., erg. Aufl. Leipzig 1922 (Monographien über die seelische Entwicklung des Kindes 1). Theissen/Alexis/Kefer/Tewilt 1992 ⫽ S. Theissen/R. Alexis/M. Kefer/G.-T. Tewilt: Rückläufiges Wörterbuch des Deutschen. Lie`ge 1992 (Informatique et Statistique dans les Sciences Humaines. Langues

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Dieter Möhn, Hamburg

14. Fachsprachen als Varietäten 1. 2.

5.

Zum Begriff ,Varietät‘ Fachsprachen im Rahmen des globalen Varietätenkonzepts Variationslinguistik Fachsprachen im Rahmen der Variationslinguistik Literatur (in Auswahl)

1.

Zum Begriff ,Varietät‘

3. 4.

In seiner geläufigsten Verwendung ist der Ausdruck Varietät ein allgemeiner Oberbegriff zur Erfassung der Heterogenität einer Einzelsprache. Daß eine Einzelsprache keine in sich homogene Größe darstellt, ist auch ein dem Alltagswissen unmittelbar zugänglicher Tatbestand, und dies schlägt sich u. a. in einer ganzen Anzahl alltagssprachlich geprägter oder verwendeter Begriffe nieder. Charakteristisch für solche vortheoretischen Überlegungen ist, daß spezifische Verwendungsformen zu Systemen hypostasiert werden, auf die die gängigen Komposita mit dem Grundwort Sprache hinweisen (Gruppensprache, Sondersprache, Fachsprache, Werbesprache, Jugendsprache, Amtssprache usw.). Varietät kann als Ausdruck aufgefaßt werden, der einerseits diese Größen unter einem Oberbegriff zusammenfassen, andererseits eine Sy-

stematisierung erlauben soll. Er umfaßt danach neben den eben genannten Größen und Phänomenen wie Dialekt, Jargon, Soziolekt usw. auch Differenzierungen, die mit den Ausdrücken Register, Funktionalstil u.ä. (vgl. Art. 16, 17) bezeichnet werden (für einen Überblick vgl. Nabrings 1981). In dieser umfassenden Bedeutung, auf die ich mich im folgenden mit dem Ausdruck globales Varietätenkonzept beziehe, ist Varietät in der Soziolinguistik relativ gängig, der Ausdruck konkurriert allerdings dort teilweise mit dem Begriff ,Lekt‘, und es ist festzuhalten, daß er allgemein als (noch) nicht fest etablierter Terminus zu gelten hat. Dies zeigt sich daran, daß er etwa in Wörterbüchern und Handbüchern der Linguistik z. T. nicht als Eintrag geführt, sondern unterminologisch (zur Erläuterung von Sprachvariation, Soziolinguistik u. ä.) verwendet wird. Der Ausdruck dient also in erster Linie als bequemer globaler Begriff, was allerdings zugleich mit sich bringt, daß ihm kein spezifischer Forschungsansatz und keine einheitliche sprachtheoretische Konzeption zugeordnet werden kann. Immerhin impliziert er (tendenziell) wenigstens zweierlei: (a) Varietäten werden als Differenzierungen innerhalb einer Einzelsprache gefaßt; (b) sie erscheinen als in sich kohärente, diskrete

182 systemartige Gebilde im Sinne von „Sprachen in der Sprache“. Letzteres ist dagegen prinzipiell nicht impliziert in dem allgemeineren Begriff ,Sprachvariation‘, der lediglich das Phänomen der Heterogenität bezeichnet, ohne irgendwelche Vorannahmen über die Form zu machen, die diese Heterogenität annimmt. Varietäten werden i. allg. in drei bzw. vier Untergruppen aufgeteilt, je nach der Variationsdimension, die dabei zum Tragen kommt. Vom synchronen Standpunkt aus unterscheidet man: 1. regionale, 2. soziale und 3. funktionale oder situative Varietäten. Bei Einbeziehung der diachronischen Komponente kommen 4. historische Varietäten hinzu. Die Fachsprachen werden in diesem Konzept den situativ-funktionalen Varietäten zugeordnet. Das damit grob umrissene globale Varietätenkonzept läßt sowohl allgemein als auch in der spezifischen Anwendung auf Fachsprachen eine Reihe von wesentlichen Problemen ungeklärt. Im Zentrum steht die Frage des Verhältnisses der Varietäten zueinander. Konkret wird dabei zunächst meist diskutiert, ob Varietäten als Sonderformen einer „neutralen“ Sprachform gegenüberstehen oder aber die Gemeinsprache oder Standardsprache eine (ausgezeichnete) Varietät unter anderen bildet. Umstritten ist also, ob eine Einzelsprache als eine Gesamtheit von Varietäten oder als Abstraktion über ihren Varietäten aufzufassen ist. Während es der vortheoretischen Auffassung wohl am nächsten liegt, Varietäten als von der „Normalsprache“ abweichende Sonderphänomene zu betrachten, neigt man in allen Systematisierungsversuchen eher dazu, sämtliche Verwendungsweisen von Sprache irgendwelchen Varietäten zuzuweisen und damit auch die Standardsprache als Varietät zu begreifen. Am einfachsten ist dabei zweifellos die durchaus geläufige, aber besonders problematische Auffassung von einer Einzelsprache als Summe von Varietäten. Diese additive Auffassung verzichtet auf eine genauere Explikation der Beziehungen zwischen Varietäten und kann insbesondere nicht erfassen, was die Varietäten überhaupt verbindet. Dies ist deswegen unangemessen, weil nur das Vorliegen weitgehender Gemeinsamkeiten es überhaupt gerechtfertigt erscheinen läßt, von Varietäten einer Sprache auszugehen. Additive Konzepte implizieren zwar nicht notwendig die Vorstellung, daß die einzelnen Varietäten in sich homogen sind ⫺ es lassen sich inner-

II. Der Status der Fachsprachen

halb einer Varietät Subvarietäten verschiedener Ebenen ansetzen ⫺, dennoch kann man ihnen als prinzipielles Grundkonzept eine (abgeschwächte) Homogenitätsannahme zuschreiben: Zwar wird in ihnen nicht mehr angenommen, daß eine Einzelsprache ein homogenes Gebilde sei, der Sprachvariation wird aber ausschließlich dadurch Rechnung getragen, daß man die Gesamtsprache in kleinere diskrete (und homogene) Subsysteme zerfallen läßt. Welche Probleme eine solche Grundvoraussetzung mit sich bringt, wird besonders augenfällig, wenn man sich deutlich macht, wie die einzelnen Varietäten subdifferenziert werden können. Die oben genannten vier Varietätengruppen sind immer noch sehr globale Einheiten, innerhalb derer vielfältige Variationen möglich sind. Um zu einer in sich relativ homogenen Varietät zu gelangen, müssen jeweils weitere Faktoren konstant gehalten werden, was nichts anderes besagt, als daß die vier Dimensionen jeweils gleichzeitig zum Tragen kommen: Der Dialekt variiert hinsichtlich der Zeit, der Sprechergruppe und der Situation usw. Wenn einzelne Varietäten dennoch einer bestimmten Dimension zugeordnet werden können, so ist dies mit der (impliziten) Annahme zu erklären, daß die betreffende Varietät in dieser Dimension nicht variiert. Dennoch stellt die Tatsache, daß bestimmte Texte (oder Mengen von Texten) im Prinzip jeweils mit Rücksicht auf alle Variationsdimensionen charakterisiert werden können/müssen, in der Praxis ein gravierendes Problem dar. Dieses versucht man häufig dadurch zu lösen, daß man von Einflüssen der Varietäten aufeinander spricht (Einfluß der Fachsprache auf die Gemeinsprache, der Standardsprache auf den Dialekt usw.). Der sprachtheoretische Status, der solchen Einflüssen zuzuschreiben wäre, ist jedoch ungeklärt. Insgesamt scheint damit das Konzept von Varietäten, das diese als diskrete, in sich relativ homogene und gegeneinander relativ deutlich abgegrenzte Gebilde auffaßt, kaum haltbar zu sein. Einen Begriff von Varietät, der die eben geschilderten Probleme umgeht, legt W. Klein seiner Varietätengrammatik zugrunde. Die (vier) Dimensionen der Variation werden als Achsen aufgefaßt, die in unterschiedliche Abschnitte (Punkte) aufgeteilt werden können. Die Punktmengen einer Achse definieren Varietätenräume, und eine einzelne Varietät ist als Punkt in einem vierdimensionalen Koordinatensystem bestimmt (z. B. Sprache schwäbischer Arbeiter in Privatgesprächen

183

14. Fachsprachen als Varietäten

aus dem Jahr 1950). In Kleins Ansatz bekommen Varietäten einen gänzlich anderen Status als im globalen Varietätenkonzept: Während dieses im Prinzip als Versuch zu verstehen ist, bestimmte bereits vortheoretisch unterschiedene und als diskrete Systeme hypostasierte Einheiten zu gliedern und in ein Gesamtkonzept der Sprache einzuordnen, ist eine Varietät im Sinne von Klein eine im Prinzip beliebig gesetzte Größe, die lediglich einen Forschungsbereich definiert. Entsprechend ist es auch möglich, die Dimensionen beliebig fein zu untergliedern und bei Bedarf weitere Dimensionen zu unterscheiden. Während weiter das globale Varietätenkonzept Varietäten als sprachlich charakterisierte Größen begreift, bei denen die außersprachlichen Faktoren v. a. als „Sortier-Kriterien“ fungieren, will Klein (1974, 85) bei der Festlegung seiner Varietäten(räume) „prinzipiell unabhängig von den sprachlichen Formen, die die einzelnen Varietäten charakterisieren“, vorgehen. Zwar betont er, daß nicht jede Varietätenraumfestlegung zu sinnvollen Ergebnissen führt und daß die Relevanz der Festlegung davon abhängt, wie klar mit den einzelnen Varietäten sprachliche Unterschiede korrelieren, es dürfte aber für Klein völlig unerheblich sein, ob sich die entsprechend seinem Ansatz unterschiedenen Varietäten auf die in der vortheoretischen Reflexion hypostasierten Einheiten abbilden lassen oder nicht. Schließlich unterscheiden sich die beiden Ansätze noch darin, daß im globalen Konzept in der Regel eine Gesamtcharakterisierung der Varietäten angezielt ist, die insbesondere deren charakteristischste Merkmale herausstellt, während man im Sinne von Kleins Varietätengrammatik auch die zu untersuchenden sprachlichen Phänomene im Prinzip beliebig wählen kann, sich allerdings in der Praxis auf wenige Bereiche beschränken muß (vgl. zur Varietätengrammatik weiter Punkt 3.). Mit einem Konzept von Varietäten im Sinne von Klein umgeht man nicht nur die Probleme des globalen Varietätenkonzepts, sein Ansatz stellt auch ein überaus flexibles Beschreibungsmodell bereit. Dennoch schiene es mir voreilig, die Bemühungen um eine an vortheoretische Konzeptionen anschließende Systematisierung von Varietäten nun als obsolet beiseite zu stellen. Denn die völlige Abkoppelung der Varietätenforschung vom Alltagswissen über sprachliche Heterogenität kann ebenfalls problematisch sein, da es ja wahrscheinlich ist, daß diese Alltagskonzepte (incl. der mit ihnen verbun-

denen Stereotypen) das Verhalten der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft beeinflussen. Es ist also durchaus nicht nur relevant zu wissen, wie die Menschen in einem genau spezifizierten Varietätenpunkt tatsächlich sprechen, vielmehr ist auch entscheidend, wie sie ihr Sprachverhalten wahrnehmen und kategorisieren. Dies gilt nicht zuletzt für die Problematik der Fachsprachen, denen bekanntlich oft Schlimmeres nachgesagt wird, als sich objektiv belegen läßt.

2.

Fachsprachen im Rahmen des globalen Varietätenkonzepts

Die oben bereits genannten Probleme des globalen Varietätenkonzepts gelten selbstverständlich auch für den Bereich der Fachsprachen, der überdies einige zusätzliche Schwierigkeiten in sich birgt. Die generelle Problematik der Überschneidung verschiedener Dimensionen tritt bei den Fachsprachen in verschärfter Form auf: Daß Fachsprachen sehr einheitlich der funktional-situativen Dimension zugeordnet werden, läßt sich am besten damit begründen, daß die anderen Dimensionen als noch ungeeigneter erscheinen. Allerdings ist dennoch kaum einsichtig zu machen, daß Fachsprachen in bezug auf die kommunikative Funktion, zu deren Realisierung sie eingesetzt werden, oder in bezug auf die situative Einbettung nicht variieren. Außerdem wird oft auch die Bindung der Fachsprache an eine soziale Gruppe als sehr charakteristisch (und nicht-variabel) betrachtet (Fachsprache ⫽ Sprache, die Fachleute untereinander gebrauchen), so daß man alternativ oder für bestimmte Subvarietäten auch eine Zuordnung zur sozialen Dimension vorsehen könnte (dieser Aspekt spielt auch bei Gläser 1987 eine besondere Rolle). In allen Fällen führt die Zuordnung zu einer der vier Dimensionen (tendenziell) dazu, den Begriff ,Fachsprache‘ auf eine bestimmte Schicht (oder Subvarietät) zu beschränken (meistens die Ausprägung mit der stärksten Abweichung von anderen Varietäten, d. h. die Wissenschaftssprache). Da eine solche Eingrenzung des Gegenstandsbereichs den Bemühungen der Fachsprachenforschung um eine differenzierte Übersicht über verschiedene Ausprägungen von Fachsprache jedoch direkt zuwiderläuft und i. ü. das Problem damit nur verschoben wird, da ja bei einem engen Fachsprach-Begriff offen bleibt, welcher Varietät(enmenge) denn dann Werkstatt-

184 sprache, populärwissenschaftliche Texte, Gebrauchsanweisungen usw. zuzuordnen wären, scheint diese Lösung wenig überzeugend. Letzten Endes liegt es vom Blickwinkel der Fachsprachenforschung her am nächsten, die gängigen Variationsdimensionen um eine weitere zu bereichern; und da das, was eine Fachsprache am eindeutigsten charakterisiert (und was bei aller Variation innerhalb einer Fachsprache gleichbleibt), weder die Situation noch die Funktion noch die Gruppe ist, sondern das Fach, der Gegenstand, das Thema, über das kommuniziert wird, so müßte man als Variationsdimension Fachlichkeit/Thematik/Inhalt ansetzen. Ein für Fachsprachen recht spezifisches Problem bringt die Vorstellung mit sich, daß Varietäten Untergliederungen einer Einzelsprache sind. Denn für Fachsprachen ist es ja äußerst kennzeichnend, daß sie die Grenzen zwischen (auch nicht-verwandten und geographisch nicht-benachbarten) Einzelsprachen überschreiten. Auch wenn man sich entschlösse, Fachkommunikation, bei der ein tatsächlicher Wechsel zu einer anderen Einzelsprache stattfindet (für dt. Sprecher in bestimmten Epochen etwa zum Lat. oder Engl.), nicht zum Gegenstandsbereich der Erforschung einzelsprachlicher Variation zu rechnen, verbliebe als Problem, daß in bestimmten Fachtexten auf niedrigerer Ebene Sprachwechsel stattfindet (Abstracts, Zitate und Termini), daß bestimmte Regeln und Normen für Fachkommunikation (etwa in bezug auf Textaufbau, Zitierkonventionen usw.) auf internationaler und damit übereinzelsprachlicher Ebene Gültigkeit haben und daß Besonderheiten einzelner Fachsprachen gegenüber anderen (innerhalb einer Einzelsprache) sich nur durch solche Bezüge zur Fachkommunikation in der Fremdsprache erklären lassen. Mit allen anderen Varietäten(typen) gemeinsam haben Fachsprachen wiederum das Problem der Subdifferenzierung. Jedoch scheint auch hier zu gelten, daß dieses Problem bei Fachsprachen besonders gravierend ist; jedenfalls dürften die Bemühungen um eine Subdifferenzierung bei der Untersuchung keiner Varietät(engruppe) so weit fortgetrieben sein wie bei Fachsprachen (Schichtenmodelle). Auch das Problem der Abgrenzung einzelner Varietäten von einer „neutralen“ Varietät hat sich nirgendwo als so beschwerlich erwiesen wie bei der Gegenüberstellung von Fachsprache und Gemeinsprache, und schließlich wird in bezug auf andere Varietäten(gruppen) auch kaum dis-

II. Der Status der Fachsprachen

kutiert oder als problematisch empfunden, ob sich deren gemeinsame Merkmale zu einer abstrakteren Hypervarietät (z. B. „der Dialekt überhaupt“) zusammenfassen lassen, wie es bei der Diskussion um eine „allgemeine Fachsprache“ geschehen ist. Insgesamt ist damit festzuhalten, daß das globale Varietätenkonzept, das ja nur ein sehr grobes Beschreibungsraster bereitstellt, bei der Anwendung auf Fachsprachen erhebliche Probleme aufwirft. Als Versuche zur Überwindung dieser Schwierigkeiten könnte man v. a. die Überlegungen zur horizontalen und vertikalen Schichtung von Fachsprachen auffassen. Diese stoßen jedoch bei aller größeren Differenziertheit dann notwendigerweise wieder auf dieselben Probleme wie das globale Varietätenkonzept, wenn sie an der Vorstellung festhalten, eine Fachsprache zerfiele in eine Menge (in sich homogener) Subvarietäten: Die Beziehungen zwischen diesen und die Überschneidung der Dimensionen lassen sich auf diese Weise theoretisch nicht angemessen erfassen. Als möglicher Ausweg aus diesen Schwierigkeiten sei ein Vorschlag formuliert, der sich an das Grundkonzept von Klein anlehnt und die Fachlichkeit eines Textes durch die analytische Unterscheidung verschiedener Dimensionen zu beschreiben sucht, die jeweils Kontinua darstellen. Als Dimensionen dürften dabei mindestens die folgenden Faktoren in Rechnung gestellt werden: Inhaltsdimension im Sinne des Gegenstandes, über den kommuniziert wird; Dimension der Kommunikatoren im Sinne des Ausmaßes, in dem Experten beteiligt sind; funktionale Dimension; situative Dimension. Am wichtigsten ist dabei zweifellos die Inhaltsdimension, die jedoch auch besondere Probleme aufwirft, da man bekanntlich im Prinzip über jeden Gegenstand auch in der „Gemeinsprache“ kommunizieren kann (und dies über viele Fachgegenstände geläufigerweise auch tut). Gerade deswegen ist es jedoch notwendig, das Kriterium des Inhalts in einer Weise zu fassen, die Urteile über einen geringeren oder größeren Fachlichkeitsgrad erlaubt. Zu diesem Zweck erscheint es mir am sinnvollsten, Fach zu definieren als eine Menge von Kenntnissen und Fertigkeiten, die gesamtgesellschaftlich erarbeitet worden sind, die aber nicht an alle Mitglieder der Gesellschaft (in den allgemeinen Ausbildungsinstitutionen) weitergegeben werden. Eine solche Bindung des Konzepts von Fachlichkeit an das in einer Gesellschaft jeweils geltende „Elementarcurriculum“ erlaubt es, den erheblichen

185

14. Fachsprachen als Varietäten

Schwankungen in bezug darauf Rechnung zu tragen, was noch/schon zum Allgemeinwissen bzw. bereits/noch zum Fachwissen gehört. Den niedrigsten Grad von Fachlichkeit hätten demgemäß diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten, die in den für alle Mitglieder der Gesellschaft vorgesehenen Ausbildungsgängen vermittelt werden; der Fachlichkeitsgrad steigt in dem Maße an, wie die zum Erwerb der Kenntnisse notwendige Ausbildung sich gegenüber dem Minimum verlängert und spezialisiert (gemessen an der Menge der Gesellschaftsmitglieder, die die Ausbildung durchlaufen). Den höchsten Grad an Fachlichkeit hätten dabei Kenntnisse und Fertigkeiten, die überhaupt (noch) nicht in einem Ausbildungsgang weitergegeben werden, sondern soeben erst erarbeitet worden sind (Forschung). Im engen Zusammenhang mit diesem Maß an inhaltlicher Fachlichkeit steht die Dimension der Kommunikatoren, die das Ausmaß definiert, in dem Experten beteiligt sind, läßt sich doch der Grad des Expertentums daran messen, bis zu welcher Stufe ein Individuum die im jeweiligen Gebiet existierenden Ausbildungsgänge durchlaufen hat. Was die funktionale Dimension angeht, so ist es m. E. n. nicht möglich, diese auf einem Kontinuum zu differenzieren, vielmehr dürfte hier zunächst grundlegend danach zu unterscheiden sein, ob es sich um die Vermittlung bzw. Erarbeitung des Fachwissens handelt oder um seine Anwendung. Für die situative Dimension schließlich scheint mir vor einer Feindifferenzierung am wichtigsten die Frage zu sein, inwieweit die Kommunikationssituation allgemein zugänglich ist bzw. inwieweit zu ihr nur ein Kreis von (professionell agierenden) Experten Zugang hat. Mithilfe dieser im Prinzip beliebig fein untergliederbaren Dimensionen, zu denen bei Bedarf weitere hinzugezogen werden können, sollte es möglich sein, im Sinne von Klein beliebige Varietätenräume als Forschungsbereiche zur Feststellung der jeweiligen sprachlichen Besonderheiten zu definieren. Die Auflösung der Subvarietäten in flexibel handhabbare Kontinua könnte sich außerdem auch bei der Charakterisierung einzelner Texte als sinnvolles Beschreibungsinstrument erweisen. Das Problem des Verhältnisses von Fachsprachen und Gemeinsprache etwa stellt sich bei einer solchen Betrachtung in ganz anderer Weise, Einflüsse und Übergänge zwischen Varietäten bilden insofern kein Beschreibungsproblem mehr, als prinzipiell alle möglichen Kombinationen zulässig sind. Was ins-

besondere das Problem Fachsprache vs. Gemeinsprache angeht, so verliert es seinen Charakter als Beschreibungsproblem und läßt sich rekonstruieren als das gesellschaftliche Problem, das es seinem Kern nach ja ist. Es ergibt sich daraus, daß es eine Unzahl von Wissensbeständen gibt, die nicht in den allgemeinen Ausbildungsinstitutionen vermittelt werden können. Wenn deren Kenntnisnahme dennoch wünschbar oder gar in bestimmten Problemsituationen (z. B. im medizinischen oder technischen Bereich) unumgänglich ist, muß ein mehr oder weniger großer, u. U. hochspezifischer Teil dieses Fachwissens ad hoc vermittelt werden, und dafür müssen selbstverständlich spezifische „zwischen Fach- und Gemeinsprache stehende“ Kommunikationsformen genutzt oder entwickelt werden.

3.

Variationslinguistik

In anderem Kontext und mit anderer Zielsetzung als das globale Varietätenkonzept haben sich Forschungsrichtungen herausgebildet, die als Variationslinguistik zusammengefaßt werden können. Es handelt sich dabei um Ansätze, die die Beschränkungen zu überwinden suchen, die eine Orientierung am Homogenitätspostulat mit sich bringt. Diese Ansätze bauen also nicht auf der unmittelbar evidenten Heterogenität der Sprache und Versuchen auf, diese theoretisch zu erfassen, sondern sind im Gegenteil erst sekundär auf der Grundlage (formaler) Beschreibungsmodelle (meist Chomskyscher Prägung) entwikkelt worden, die den Gegenstand der Linguistik auf die Beschreibung der Kompetenz des idealen Sprechers/Hörers eingeschränkt hatten. Der Vorteil dieses „Umwegs“ über das Homogenitätspostulat ist darin zu sehen, daß sich diese Ansätze dem hohen methodischtheoretischen Standard der formalen Grammatikbeschreibung verpflichtet wissen und nun in einem zweiten Schritt innerhalb eines solchen Modells die reale Heterogenität zum Beschreibungsobjekt machen. Die wichtigsten hierherzustellenden Ansätze sind die Variablenregel (u. a. Labov, Sankoff), die Implikationsanalyse (u. a. DeCamp, Bailey, Bikkerton) und die bereits angesprochene Varietätengrammatik (Klein, Dittmar). Diesen und einigen verwandten Ansätzen sind im Band Soziolinguistik dieser Handbuchreihe Einzelartikel gewidmet, so daß ich mich hier auf weniges Grundlegendes beschränken

186 kann. Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen, daß hier ⫺ im direkten Gegensatz zum globalen Varietätenkonzept ⫺ die Varietäten im Rahmen eines einheitlichen Bezugssystems beschrieben werden. Gemeinsam ist ihnen ferner, daß sie die Beschreibung von Kontinua, also Varietäten, die möglichst nah miteinander verwandt sind, in den Vordergrund stellen. Eine dritte Gemeinsamkeit schließlich ergibt sich in gewissem Maße aus diesen beiden Voraussetzungen. Es wird nämlich in diesen Ansätzen, was die sprachlichen Phänomene angeht, überwiegend kleinräumig operiert: Untersucht werden einzelne Variablen, die jeweils unterschiedliche Ausprägungen (Varianten) haben, z. B. unterschiedliche Realisierungen eines Phonems, unterschiedliche Expandierungen von Nominalphrasen usw. Den Beschreibungsgegenstand bilden also unterschiedliche Verwendungsweisen einzelner Regeln oder aber Zusammenhänge zwischen wenigen Einzelregeln. Uneinigkeit weisen die Ansätze v. a. in zwei wesentlichen Punkten auf, nämlich einerseits in der Frage, welche Rolle außersprachlichen Faktoren bei der Beschreibung zuzuweisen ist, andererseits in der Frage, welche Bedeutung quantitativen Unterschieden zwischen Varietäten zukommt. Den einen Pol bildet die Implikationsanalyse. Hier wird von außersprachlichen Faktoren (zunächst) abgesehen, Gegenstand der Beschreibung bilden Sprechweisen, deren qualitative Unterschiede herausgearbeitet werden sollen. Diese qualitativen Unterschiede wurden zunächst als Anwendung vs. Nichtanwendung einer bestimmten Regel (1 vs. 0) gefaßt; Ziel der Implikationsanalyse ist es, nachzuweisen, daß die Anwendung verschiedener Regeln nicht unsystematisch und unabhängig voneinander variiert, sondern sich die Daten so ordnen lassen, daß z. B. aus dem Vorliegen von 1 bei Varietät 4 und Merkmal 3 vorausgesagt werden kann, daß alle Varietäten über 4 (also 1 bis 3) und alle Merkmale links von 3 ebenfalls die Ausprägung 1 haben. Erwiesen wird damit, daß die Heterogenität systematischer und nicht zufälliger Natur ist, daß sich im Vergleich von Mengen von Regelausprägungen ein geordnetes System von Sprechweisen nachweisen läßt. Solche Sprechweisen können dann sekundär auch mit außersprachlichen Faktoren korreliert werden, der Nachweis einer solchen Korrelation ist aber für die strenge Implikationsanalyse unerheblich. Ebenso unerheblich ist die Frage nach statistischen Verteilun-

II. Der Status der Fachsprachen

gen. Im Idealfall sollten überhaupt nur 1 und 0 vorkommen, was freilich dem empirischen Befund oft nicht entspricht. Zur Verbesserung wurde daher u. a. vorgeschlagen, zusätzlich mit einer Ausprägung v für variabel zu rechnen oder bestimmte Schwellenwerte absolut zu setzen (unter 10% ⫽ 0 u. ä.), in jedem Fall kommt aber der Häufigkeit selbst keine wesentliche Bedeutung zu. Im Gegensatz dazu steht die Analyse mithilfe von Variablenregeln. Variablenregeln stellen im Prinzip eine Verfeinerung des in der generativen Grammatik gängigen Konzepts von optionalen Regeln dar. Während optionale Regeln bloß die Tatsache erfassen, daß die Regel angewendet werden kann oder auch nicht, soll mittels der Variablenregel angegeben werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Regel angewendet wird und welche Faktoren für die Anwendungswahrscheinlichkeit verantwortlich sind. Kategorische Regeln (obligatorische Anwendung oder Fehlen der Regel) bilden dabei nur noch Grenzwerte mit der Wahrscheinlichkeit 1 oder 0. An Einflußfaktoren werden nun neben solchen, die die sprachliche Umgebung betreffen (z. B. unterschiedliche Expandierung von Nominalphrasen, je nachdem ob es sich um ein Subjekt, Objekt oder Attribut handelt), auch außersprachliche berücksichtigt (Alter, Geschlecht, soziale Stellung des Sprechers, Formalität der Situation usw.). Dazu müssen zunächst empirisch die Korrelationen zwischen der Häufigkeit der Varianten und den Einflußfaktoren erhoben und anschließend die unter bestimmten Bedingungen geltenden Anwendungswahrscheinlichkeiten berechnet werden. Da die verschiedenen Faktoren und Regeln miteinander interagieren, läßt sich aus der statistischen Häufigkeitsverteilung nur in Ausnahmefällen direkt die Wahrscheinlichkeit ablesen. Festzuhalten ist, daß in diesem Konzept ⫺ im Gegensatz zur Implikationsanalyse ⫺ erstens quantitative Daten und zweitens außersprachliche Faktoren direkt in die Regelformulierung eingehen. Die Varietätengrammatik nach Klein lehnt sich insofern sehr eng an das Konzept der Variablenregel an, als es auch hier um die Anwendungswahrscheinlichkeit von Regeln, deren probabilistische Gewichtung, geht. Ein wesentlicher Unterschied besteht dagegen darin, daß Klein ⫺ wie bereits in 1. angesprochen ⫺ die Varietäten vorgängig, d. h. ohne Rücksicht auf sprachliche Variablen, definiert.

14. Fachsprachen als Varietäten

Hinter den auf den ersten Blick möglicherweise eher technisch anmutenden Unterschieden zwischen den variationslinguistischen Ansätzen verbergen sich fundamentale sprach- und grammatiktheoretische Differenzen (vgl. zur Kontroverse z. B. Bailey 1987 und die dort angeführte Literatur), wenngleich sich die verschiedenen Sichtweisen (partiell) auch ergänzen können: Den sich dem streng qualitativen Paradigma verpflichtet fühlenden Forschern geht es letzten Endes darum, mit den Implikationsskalen eine „natürliche“ Ordnung zwischen Sprechweisen aufzudecken, die neurobiologisch fundiert ist und es auch erlaubt, Voraussagen über Sprachentwicklungen zu machen, wobei sozial determinierte Variation in erster Linie als Störfaktor (abnatural development) zum Tragen kommt. Demgegenüber steht gerade die Analyse der Beziehungen zwischen Sozialstruktur (im weitesten Sinne) und Sprachverwendung im Zentrum der am quantitativen Paradigma orientierten Untersuchungen. Für die Aufdeckung natürlicher Ordnungen und Entwicklungen hat sich besonders der Bereich der Entstehung von Kreolsprachen aus Pidgins und der Stadien des Spracherwerbs als fruchtbar erwiesen. Schichten- und situationsspezifische Variabilität steht im Mittelpunkt der v. a. von Labovs Arbeiten geprägten quantitativen Richtung, die insbesondere auch für die Dialektologie fruchtbar gemacht wurde. Die Varietätengrammatik schließlich wurde zunächst zum Zweck der Analyse von Stadien des (ungesteuerten) Zweitspracherwerbs ausländischer Arbeiter in der Bundesrepublik entworfen (Klein/Dittmar). Allen Untersuchungsrichtungen gemeinsam ist das starke Interesse am Sprachwandel, der Variationsdimension, bei der auch am unmittelbarsten plausibel ist, daß Kontinua erfaßt werden müssen. Was die sprachlichen Phänomene angeht, so liegt der Schwerpunkt der bisherigen Variationslinguistik auf relativ tiefen Ebenen des Sprachsystems (v. a. Phonologie und Morphologie sowie Syntax).

4.

Fachsprachen im Rahmen der Variationslinguistik

Wie die eben gegebene grobe Übersicht über Untersuchungsfelder der Variationslinguistik schon zeigt, ist die Fachsprache bisher kaum in deren Blickfeld getreten. Am nächsten kommt diesem Bereich noch die auf der Grundlage der Varietätengrammatik durch-

187 geführte Untersuchung von Senft (1982) über das Sprachverhalten Kaiserslauterer Metallarbeiter. Allerdings steht in dieser Arbeit doch deutlich eher die regionale und soziale Dimension im Vordergrund. Senft wird dem eigentlichen Untersuchungsinteresse der Variationslinguistik auch insofern nur z. T. gerecht, als er eine einzige eng definierte Varietät untersucht, für die er (in bezug auf einige phonologische und im Schwerpunkt syntaktische Variablen) v. a. innere Homogenität aufzuweisen sucht. Für das Verhalten von „Abweichlern“ werden jeweils ad-hoc-Erklärungen gegeben, so daß insgesamt natürlich nicht festgestellt werden kann, ob die ermittelten Regelanwendungswahrscheinlichkeiten tatsächlich für die Varietät spezifisch und nicht etwa in gleicher Weise gültig sind für das Sprachverhalten Kaiserslauterer Lebensmittelverkäuferinnen oder, was die Syntax angeht, für Metallarbeiter aus dem Ruhrgebiet usw. Schließlich wurde auch die situative Dimension in einer Weise spezifiziert, die für die Fachsprachforschung nur von marginalem Interesse ist. Die Sprachdaten wurden nämlich in möglichst ungezwungenen Interviews (in der Wohnung der Arbeiter) erhoben; sie betrafen thematisch zwar zum größten Teil Dinge, die mit der Arbeit und dem beruflichen Werdegang zusammenhängen, und umfaßten sogar eine am Ende des Interviews erbetene Maschinenbeschreibung, doch handelt es sich durchweg nicht um Texte, die die Arbeiter in ihrer Berufsrolle (normalerweise) produzieren. Wenngleich damit insgesamt unterstrichen werden muß, daß die Variationslinguistik bislang wenig zur Fachsprachforschung beigetragen hat, sollte man aus diesem negativen Fazit doch nicht den Schluß ziehen, daß die dort entwickelten Modelle für die Untersuchung von Fachsprachen ungeeignet sind. Im Gegenteil, mindestens aus einem Grund drängt sich der Versuch einer Adaptation geradezu auf: Ein Problem der Behandlung von Fachsprachen besteht ja darin, daß für diese im Gegensatz zu anderen Varietäten Besonderheiten (abgesehen vom Wortschatz) v. a. auf quantitativer Ebene angenommen und untersucht wurden. In der Erarbeitung von Verfahren zur Analyse quantitativer Variation, die über die reine Feststellung von Häufigkeitsverteilungen hinausgehen, liegt aber gerade der Vorzug bestimmter Ausprägungen der Variationslinguistik. Dieses gemeinsame Interesse an quantitativer Variation sollte auf jeden Fall fruchtbar gemacht werden können,

188 ohne daß damit gesagt sei, daß ausschließlich die dem quantitativen Paradigma zuzurechnenden Ansätze für die Fachsprachforschung relevant wären. Für die Aufnahme variationslinguistischer Ansätze in die Fachsprachenforschung scheinen mir zunächst zwei Voraussetzungen notwendig zu sein: Erstens müßten zur Untersuchung (statt möglichst klar gegeneinander abgrenzbarer Subvarietäten) Kontinua ausgewählt werden, also Subvarietäten oder Textsorten, die eng miteinander verwandt sind und in gewissem Sinne ineinander übergehen. Zweitens müßten die zu untersuchenden sprachlichen Merkmale enger umgrenzt werden, so daß sie als Variablen mit unterschiedlichen Ausprägungen aufgefaßt und als Varianten einer einzigen Regel bestimmt werden können. Abschließend soll wenigstens grob angedeutet werden, wie sich diese Voraussetzungen konkret umsetzen ließen. 4.1. Was die Festlegung von Kontinua angeht, so bietet sich als erstes natürlich die in der Variationslinguistik auch sonst bevorzugte Untersuchung von historischen Stadien an, wobei ⫺ im Sinne einer auf Kontinua bezogenen Analyse ⫺ besonders der Vergleich des Sprachverhaltens von unterschiedlichen, aber gleichzeitig lebenden Expertengenerationen ergiebig sein dürfte. Unter Punkt 2. wurde bereits angesprochen, daß die vertikale Schichtung von Fachsprachen als Kontinuum von Fachlichkeit umdeutbar ist. In dieser Richtung könnten auch die Untersuchungen zu fachspezifischen Textsorten weitergeführt werden, denen in den letzten Jahren zunehmendes Interesse entgegengebracht wurde. Auch die Untersuchung der horizontalen Gliederung von Fachsprachen dürfte von einer Sichtweise profitieren, die nicht grob etwa Natur- und Geisteswissenschaften oder einzelne ihrer Disziplinen gegenüberstellt, sondern systematisch Kontaktstellen zwischen eng verwandten Disziplinen einbezieht und auch innerhalb einer Disziplin Variationen zwischen verschiedenen Teilbereichen oder gar Schulen untersucht, für die man ja schon intuitiv oft leicht einen charakteristischen Sprachgebrauch diagnostiziert. Für bestimmte sprachliche Phänomene, die nicht an die Struktur einer Einzelsprache gebunden sind, können auch kontrastive Untersuchungen ein potentielles Kontinuum definieren. Schließlich wäre es angesichts der großen praktischen Bedeutung der Fachsprachdidaktik auch nicht abwegig, verstärkt

II. Der Status der Fachsprachen

Lernervarietäten zu untersuchen, um so das allmähliche Hineinwachsen in den Sprachgebrauch eines Faches beschreiben zu können. 4.2. Bei der Festlegung der sprachlichen Variablen schiene es mir wenig ratsam, der Mehrzahl der variationslinguistischen Studien darin zu folgen, daß ein bestimmtes Grammatikmodell zugrundegelegt wird. Insbesondere könnte es m. E. für die Fachsprachforschung nur schädlich sein, wenn durch die Festlegung auf ein (grammatisches) Beschreibungsmodell die Fragestellungen text- und pragmalinguistisch ausgerichteter Arbeiten zur Fachsprache wieder in den Hintergrund träten. Sinnvoll ist es lediglich, dem methodischen Grundprinzip variationslinguistischer Ansätze zu folgen und einzelne Phänomene als Varianten einer Variablen zu definieren. Das Problem der Adaptation besteht also hauptsächlich darin, das Konzept der Variablen an für die Fachsprachforschung relevante Fragestellungen anzupassen. Dazu einige Beispiele: Für Fachtexte bleibt zweifellos der (Fach-)Wortschatz einer der zentralen Beschreibungsgegenstände. Doch dürfte die Feststellung der Wahrscheinlichkeit, mit der z. B. die grammatische Kategorie N durch ein lexikalisches Element mit dem Merkmal ,Fachwort‘ ersetzt wird (Terminidichte), ein zu grobes Instrument sein, um die Regelanwendungen in verschiedenen Text(sort)en miteinander zu vergleichen. Aufschlußreicher könnte es daher sein, als Variable für Texte über ein bestimmtes Thema den Bezug auf einen Referenten x zu definieren und zu untersuchen, mit welchen Ausdrücken auf dieses x referiert werden kann (z. B. Termini, Umschreibungen, Abkürzungen, Symbole) und welche Wahlen in unterschiedlichen Text(sort)en getroffen werden (vgl. für eine variationsorientierte Untersuchung des Fachwortschatzes jetzt Wichter 1994). Auch die ja bereits zahlreich vorliegenden Kenntnisse über die Frequenz von Passiv, Personalform, Tempus usw. geben wenig her, wenn als Variable lediglich die grammatische Kategorie erscheint. Differenziertere Ergebnisse könnte man hier erhalten, wenn man etwa eine Proposition/einen Propositionstyp oder einen Sprechakttyp als Variable definiert und die ⫺ quer zu den grammatischen Kategorien liegenden ⫺ Ausdrucksweisen dafür zusammenstellt und auf ihr Vorkommen überprüft (z. B. Einführen eines Terminus mit heißt x, werde ich im folgenden mit x bezeichnen, nennen die X-Experten x, soll x heißen, x: …

189

15. Fachsprachen als Subsprachen

etc.). Die Untersuchung von geordneter Variation im Sinne von Abhängigkeiten zwischen einzelnen Varianten könnte besonders ergiebig sein, wenn man höhere Ebenen einbezieht. So ließe sich etwa überprüfen, ob nicht z. B. das Vorliegen bestimmter Textteile (Abstract, Anmerkungen), Themenentfaltungstyp, Illustrationen, Gebrauch von Formeln und direkte Anrede systematisch miteinander variieren oder sich gar in einer Implikationsskala anordnen lassen. 4.3. Eine Schlußbemerkung: Bei der hier notwendigerweise sehr knappen Darstellung der Variationslinguistik wurde auf alle technischen Details verzichtet. Wer die Originalarbeiten einsieht, wird sehr schnell feststellen, daß sowohl die Berechnung der Anwendungswahrscheinlichkeiten von Regeln als auch die Aufstellung von Implikationsskalen extrem aufwendig und schwierig sind und die Lösung der technischen Probleme einen erheblichen Teil der Forschungsaktivität in diesem Bereich absorbiert. Hierin dürfte i. ü. auch ein Grund dafür liegen, daß Studien, in denen diese Ansätze konkret angewendet werden, doch noch recht spärlich sind. Angesichts dessen muß man sich ⫺ zumal in einer anwendungsorientierten Disziplin wie der Fachsprachenforschung ⫺ natürlich fragen, wieviel empirische Beschränkung und hermetisches Spezialistentum man um des gepriesenen theoretisch-methodischen Standards formalisierter Modelle willen in Kauf zu nehmen bereit wäre. Ich denke jedoch, daß die Variationslinguistik konzeptuell Anregungen bietet, die auch befruchtend wirken können, wenn man bei der technischen Ausarbeitung bescheidener bleibt.

5.

Literatur (in Auswahl)

Bailey 1973 ⫽ Charles-James N. Bailey: Variation and linguistic theory. Arlington 1973. Bailey 1987 ⫽ Charles-James N. Bailey: Variation theory and so-called ‘sociolinguistic grammars’. In: Language & Communication 7. 1987, 269⫺291. Bickerton 1971 ⫽ Derek Bickerton: Inherent variability and variable rules. In: Foundations of Language 7. 1971, 457⫺492. DeCamp 1971 ⫽ David DeCamp: Implicational scales and sociolinguistic linearity. In: Linguistics 73. 1971, 30⫺43. Gläser 1987 ⫽ Rosemarie Gläser: Zur Stellung der Fachsprachen im Varietätenkonzept der Gesamtsprache. In: Studien zur Sprachvariation (unter besonderer Berücksichtigung des Englischen). Hrsg. v. Klaus Hansen. Berlin 1987, 190⫺198. Klein 1974 ⫽ Wolfgang Klein: Variation in der Sprache. Kronberg/Ts. 1974. Klein/Dittmar 1979 ⫽ Wolfgang Klein/Norbert Dittmar: Developing grammars. Berlin. Heidelberg. New York 1979. Labov 1972 a ⫽ William Labov: Language in the inner city. Philadelphia 1972. Labov 1972 b ⫽ William Labov: Sociolinguistic patterns. Philadelphia 1972. Nabrings 1981 ⫽ Kirsten Nabrings: Sprachliche Varietäten. Tübingen 1981. Senft 1982 ⫽ Gunter Senft: Sprachliche Varietät und Variation im Sprachverhalten Kaiserslauterer Metallarbeiter. Bern. Frankfurt/M. 1982. Wichter 1994 ⫽ Sigurd Wichter: Experten- und Laienwortschätze. Umriß einer Lexikologie der Vertikalität. Tübingen 1994 (Reihe Germanistische Linguistik 144).

Kirsten Adamzik, Genf

15. Fachsprachen als Subsprachen 1. 2. 3. 4. 5. 6.

1.

Gemeinsprache ⫺ Subsprachen ⫺ Fachsprachen Reduzierter Sprachgebrauch Fachwortschätze Reduzierte Syntax Fachtexte Literatur (in Auswahl)

Gemeinsprache ⫺ Subsprachen ⫺ Fachsprachen

Die Frage nach dem Verhältnis der Fachsprachen zur (All-)Gemeinsprache ist von der

Fachsprachenforschung immer wieder neu aufgeworfen worden (vgl. Art. 12). Dabei ist die Gemeinsprache weniger als hochentwikkelte Form der Nationalsprache oder als vereinheitlichte, transdialektale Sprachverwendung, sondern eher als jenes Instrumentarium sprachlicher Mittel gesehen worden, über das alle Angehörigen einer Sprachgemeinschaft verfügen und das deshalb die Verständigung zwischen ihnen ermöglicht. Fachsprachen hingegen dienen in dieser eher soziolinguistischen Sicht der Kommunikation

190 innerhalb mehr oder weniger geschlossener, z. T. elitärer Menschengruppen und setzen eine besondere fachliche und sprachliche Kompetenz voraus. Aus dieser einseitig vereinfachenden Gegenüberstellung ergibt sich die Relation Allgemeines : Besonderes mitsamt der Bezeichnung Sondersprachen (vgl. Bausch/Bliesener/Christ u. a. 1978; Bock 1976; Drozd/Seibicke 1973, 79⫺109; Fluck 1991, 160⫺179; von Hahn 1983, 60⫺72; Hoffmann 1987 a, 48⫺52; Klute 1975; Mentrup 1979; Möhn/Pelka 1984, 140⫺141; Schmidt/Scherzberg 1968; Rondeau 1981, 25⫺28; u. a.). So plausibel dieser Ansatz auch erscheinen mag, es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, ein vollständiges Verzeichnis der Mittel, z. B. der Wörter, der Gemeinsprache aufzustellen; denn zwischen dem Sprachbesitz der einzelnen Individuen einer Sprachgemeinschaft bestehen erhebliche Unterschiede. Was die grammatischen Mittel betrifft, so ließe sich noch am ehesten ein bestimmtes Maß an Übereinstimmung nachweisen, obwohl ein großer Personenkreis bestimmte Formen und Konstruktionen (fast) nie verwendet. Außerdem mag es so etwas wie einen gemeinsamen lexikalischen Kern (E common core; F tronc commun) geben, aber die Unterschiede zwischen den individuellen Vokabularen sind quantitativ und qualitativ beträchtlich und zuweilen größer als die Gemeinsamkeiten. So ist es praktisch unmöglich, den Umfang des gemeinsprachlichen Wortschatzes genau zu bestimmen oder bei jedem Wort einer Sprache zu sagen, ob es dazugehört oder nicht (vgl. Gougenheim/Miche´a/Rivenc u. a. 1964; Hoffmann 1975). Unter diesen Umständen ist es für die Fachsprachenforschung günstiger, den Begriff der Gemeinsprache durch den der Gesamtsprache zu ersetzen. Gemeint ist damit das vollständige Potential aller sprachlichen Zeichen und konstitutiven Regeln für Sprachhandlungen (langue), aus dem ständig Teilbestände ausgewählt werden, um die entsprechenden Sprachhandlungen zu vollziehen, mit anderen Worten: um alle möglichen Arten von Texten zu produzieren (vgl. von Hahn 1983, 62; Hoffmann 1987 a, 48⫺52; Möhn/Pelka 1984, 140⫺141). Um diese Teilbestände systematisch erfassen zu können, hat man den Begriff der Subsprachen eingeführt. Subsprachen sind Teil- bzw. Subsysteme des gesamten Sprachsystems, die in den Texten bestimmter, z. T. sehr spezieller, Kommu-

II. Der Status der Fachsprachen

nikationsbereiche aktualisiert werden. Man kann auch sagen: Subsprachen sind ausgewählte Mengen sprachlicher Elemente und ihrer Relationen in Texten mit eingeschränkter Thematik. Die Untergliederung der Gesamtsprache in Subsprachen geht nicht ⫺ wie die Lehre von den Funktionalstilen (vgl. Art. 16) ⫺ von der Kommunikationsabsicht oder dem Zweck der Kommunikationshandlung, sondern vom Kommunikationsgegenstand aus (vgl. Andreev 1967, 127⫺128; Hoffmann/Piotrowski 1979, 156⫺157; Kosovskij 1974, 175⫺184). Mit Hilfe dieses Kriteriums läßt sich jeder Text einem bestimmten Sachgebiet oder Kommunikationsbereich und damit auch einer bestimmten Subsprache zuweisen. Wieviele Subsprachen eine Sprache hat, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, solange keine eindeutige Klassifizierung vorliegt und neben dem Kommunikationsgegenstand bzw. der Thematik noch andere Kriterien angewendet werden, so daß in einigen Konzeptionen Dialekte und Soziolekte als Subsprachen erscheinen (Kosovskij 1974, 175). Unsicherheit herrscht auch bei der Zuordnung künstlerischer und publizistischer Texte zu konkreten Subsprachen. Deshalb hat sich der Begriff der Subsprache zunächst nur in den Bereichen von Wissenschaft und Technik sowie materieller Produktion durchgesetzt, wo er mit dem Begriff der Fachsprache weitgehend zusammenfällt. Subsprachen sind nicht allein durch ihre Lexik, sondern durch die Gesamtheit der sprachlichen Mittel gekennzeichnet, die in ihren Texten verwendet werden. Ein Teil davon stimmt mit denen anderer Subsprachen überein, ein anderer macht ihre Spezifik aus, in der die linguistische Rechtfertigung für den Begriff der Subsprache liegt. Oft äußert sich diese Spezifik in erster Linie in quantitativen Parametern, d. h. in der Häufigkeit, in der Seltenheit oder im Fehlen bestimmter sprachlicher Erscheinungen. Die meisten Subsprachen sind Fachsprachen. Eine Fachsprache ist im subsprachlichen Verständnis „die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten“ (Hoffmann 1987 a, 53). Voraussetzungen für diese Verständigung im Rahmen der Fachkommunikation sind das Vorhandensein fachlicher Kenntnisse und die Beherrschung fachsprachlicher Gepflogen-

191

15. Fachsprachen als Subsprachen

heiten, beide gewöhnlich beschränkt auf ein spezielles Fach oder eine begrenzte Anzahl von Fächern. (Zu Definitionen nach anderen Kriterien vgl. z. B. von Hahn 1983, 65; Möhn/Pelka 1984, 26.) Die Spezifik der Fachsprachen gegenüber anderen Sub- oder Fachsprachen äußert sich besonders deutlich auf der Ebene der Lexik, d. h. im Fachwortschatz bzw. in der Terminologie und darüber hinaus in der Verwendung bestimmter grammatischer Kategorien, syntaktischer Konstruktionen und Textstrukturen; gewisse Besonderheiten gibt es bei den Wortformen, ihrer Schreibung und Lautung sowie im Bestand der graphischen Zeichen. Deshalb können frühere Auffassungen, wie die Gleichsetzung von Fachsprache und Terminologie, das Wesen der Fachsprachen nicht ausschöpfen. Die Abgrenzung der Fachsprachen gegeneinander und gegenüber anderen Subsprachen kann vor dem Hintergrund der Kommunikationsbereiche bzw. Fachgebiete im Rahmen einer horizontalen Gliederung erfolgen (Hoffmann 1987 a, 58⫺62). Es handelt sich dabei um eine offene Reihe, in der einzelne Fachsprachen entsprechend dem Grad der Übereinstimmung der verwendeten sprachlichen Mittel angeordnet sind. Aus der horizontalen Gliederung läßt sich nicht ableiten, wieviele Fachsprachen es gibt. Ihre Zahl entspricht praktisch der der unterschiedlichen Fachgebiete, zu denen im Rahmen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung immer neue hinzukommen und von denen jedes der Dialektik von Integration und Differenzierung unterworfen ist. Die meisten Fachsprachen unterliegen in sich einer vertikalen Schichtung, d. h. sie werden auf verschiedenen Ebenen verwendet (Beling/Wersig 1979, 147; Fluck 1991, 194⫺ 196; von Hahn 1983, 72⫺83; Hoffmann 1987 a, 64⫺71; Möhn/Pelka 1984, 37⫺44). Kriterien für die Bestimmung der Schichten sind neben anderen: (a) die Abstraktionsstufe; (b) die äußere Sprachform; (c) das Milieu; (d) die Kommunikationspartner u. a. Aus ihrer Berücksichtigung ergibt sich eine unterschiedliche Zahl von Schichten und Zwischenschichten für die einzelnen Fachsprachen, die sich auch durch bestimmte Textsorten, z. B. Zeitschriftenaufsatz, Patentschrift, Bedienungsanleitung, belegen lassen. Weitgehend ungeklärt bleibt trotz horizontaler Gliederung und vertikaler Schichtung die Tiefenstaffelung der Gesamtsprache in Subsprachen oder Fachsprachen und der da-

mit verbundene Spezialisierungsgrad. Anfangs hat man sich ⫺ trotz aller Abgrenzungsprobleme ⫺ mit einer Grobaufteilung zufriedengegeben, z. B. Fachsprache der Medizin, der Chemie, der Elektrotechnik usw. Im Laufe der Zeit ist es dann zu einer durch den Zweck der jeweiligen Untersuchung begründeten Subspezialisierung gekommen, z. B. Fachsprache der Anatomie, der Stomatologie, der Pädiatrie usw., oder: Fachsprache der Festkörperphysik, der Erdölchemie, der Phytopathologie usw. So sinnvoll für den Fachmann eine Feingliederung seines Arbeitsgebietes sein mag, so unergiebig ist ein analoges Vorgehen für den Linguisten, weil die Spezifik der subdisziplinären Fachsprachen sich in ihrer ganz speziellen Terminologie erschöpft.

2.

Reduzierter Sprachgebrauch

Einer der zentralen Begriffe bei der Suche nach dem Wesen der Subsprachen ist der der Reduktion (vgl. Coseriu 1981, 110). In den überwiegend englischsprachigen Arbeiten zu diesem Thema steht dafür der Terminus restriction. Was damit gemeint ist, zeigen die folgenden Zitate: “Actual instances of sublanguages that have been recognized and studied are the result of discourse in particular subject matter fields. The term sublanguage has come to be used not just for any marked subset of sentences which satisfies the closure property, but for those sets of sentences whose lexical and grammatical restrictions reflect the restricted sets of objects and relations found in a given domain of discourse” (Kittredge/Lehrberger 1982, 2). “The discourse in a science subfield has a more restricted grammar and far less ambiguity than has the language as a whole. We have found that the research papers in a given science subfield display such regularities of occurrence over and above those of the language as a whole that it is possible to write a grammar of the language used in the subfield, and that this specialized grammar closely reflects the informational structure of discourse in the subfield. We use the term sublanguage for that part of the whole language which can be described by such a specialized grammar” (Sager 1982, 9). “[…] if we take as our raw data the speech and writing in a disciplined subject-matter, we obtain a distinct grammar for this material. The grammar is obtained by following the same procedures as yield the grammars of whole languages, but it is not identical with the grammar of the whole language. The sublanguage grammar has the same gross structure of word classes combining into sentence structures, but it has above all the novel feature of having families of sentence structures with the

192 same gross form (e. g. NVN) but different subclasses. This conforms to the fact that the sublanguage deals with an organized, if not closed, part of the real world, whereas the whole language imposes only the broadest structuring upon our perception of the world” (Harris 1982, 235). “We define sublanguage here as the particular language used in a body of texts dealing with a circumscribed subject area (often reports or articles on a technical speciality or science subfield), in which the authors of the documents share a common vocabulary and common habits of word usage. As a result, the documents display recurrent patterns of word cooccurrence that characterize discourse in this area and justify the term sublanguage” (Hirschman/Sager 1982, 27). “If we can recognize that a text is ‘in English’ and yet feel that it is distinct enough to be described as being ‘in the language of X’ (physics, aeronautics, electronics, etc.) than we may be justified in saying that the language of X is a ‘sublanguage’ of English. In fact, the term sublanguage is now used by many linguists investigating texts in specialized fields” (Lehrberger 1982, 82). “It should be clear from the preceding discussion that a sublanguage is not simply an arbitrary subset of the set of sentences of a language. Factors which help to characterize a sublanguage include (i) limited subject matter, (ii) lexical, syntactic and semantic restrictions, (iii) ‘deviant’ rules of grammar, (iv) high frequency of certain constructions, (v) text structure, (vi) use of special symbols. […] This notion of sublanguage is like that of subsystem in mathematics” (Lehrberger 1982, 102⫺103).

Diese und ähnliche Aussagen über das Wesen und über die Eigenschaften von Subsprachen enthalten drei Hauptbestandteile: (a) einen pragmatischen (organized part of the real world; science subfield); (b) einen semantischen (lexical, semantic restrictions); (c) einen syntaktischen (restricted grammar), wobei der erste die beiden anderen determiniert. Folglich wird die Verwendung sprachlicher Elemente und Konfigurationen aus den Bedürfnissen der Fachkommunikation erklärt. Aber gleichzeitig bildet dieses „Ensemble sprachlicher Elemente und ihrer Relationen in Texten mit homogener Thematik“ (Andreev 1967, 23) ein auf spezifische Weise strukturiertes sprachliches (Sub-)System. Im übrigen zeigt die wechselnde Terminologie in den zitierten Abschnitten ebenso wie die Uneinheitlichkeit der Definitionen, daß der Begriff der Subsprache “is relatively new and the systematic study of sublanguages is still in its infancy” (Kittredge/Lehrberger 1982, 7). Im Deutschen, Französischen und Russischen sind die Termini Subsprache, sous-langue und одъяк typische Lehnübersetzun-

II. Der Status der Fachsprachen

gen des englischen sublanguage und nicht allgemein akzeptiert. Bei der Analyse von Subsprachen als “Language in restricted semantic domains” (Kittredge/Lehrberger 1982, Untertitel!) verwendet die Sprachwissenschaft unterschiedliche Methoden, je nachdem, welche Absichten sie damit verfolgt. Solche Absichten sind z. B. die automatische Text- oder Sprachdatenverarbeitung für Zwecke der Information und Dokumentation, die Standardisierung bestimmter Textsorten, die Informationsverdichtung, die Unterstützung des Spracherwerbs und die Vervollkommnung des Fremdsprachenunterrichts für Fachleute, besonders in Wissenschaft und Technik. Die Fachsprachenforschung bedient sich zu ihrer Verwirklichung struktureller, semantischer, funktionaler, statistischer und vergleichender Methoden (Baumann/Kalverkämper 1992; Hoffmann 1988, 19⫺48; Kalverkämper 1980; Art. 21). Grammatiken und Wörterbücher von Subsprachen sind auch zusammengestellt worden “by applying transformational decomposition and distributional analysis to a representative corpus of sublanguage sentences” (Kittredge/Lehrberger 1982, 2). In einem weiteren Sinne bildet die Subsprache “another dimension of linguistic variations in addition to register, style, dialect and routine” (Kittredge/Lehrberger 1982, 6). Einige Autoren betonen die Wechselbeziehungen zwischen diesen Varietäten (vgl. Art. 14), z. B. zwischen Subsprache und Dialekt: “The study of changes in sublanguages and of how a person uses his sublanguages belongs to sociolinguistics. Some specialized sublanguages can be, however, studied in their own as fixed sets of forms of speech and writing characteristic of a moment in the development of a discipline, in particular of a science. Sublanguages must be distinguished from dialects, from local variations, from the idiosyncratic speech habits of an individual. In all sublanguages, which one masters, one speaks one’s own dialect. A dialect has a set of phonetic properties which are characteristic of it, although there are also syntactic and lexical dialectal differences. A sublanguage differs from other sublanguages and from ‘ordinary’ English (French, Chinese, etc.) mainly in its restrictions and certain peculiarities of vocabulary and syntax. One switches sublanguages, but never one’s dialect, from moment to moment, depending on the topic of discourse” (Hiz˙ 1982, 206).

Eine andere Art Wechselbeziehung besteht zwischen Subsprache und Stil (vgl. Art. 16), wobei ein und dieselbe Subsprache, abhängig

15. Fachsprachen als Subsprachen

von verschiedenen Intentionen und Situationen, verschiedene Stile verwenden kann. Die Termini Subsprache und Register andererseits werden oft als Synonyme gebraucht. Ein wichtiges und gleichzeitig schwieriges Problem der Erforschung von Subsprachen ist das der Klassifizierung. Untersucht und beschrieben werden z. B. für das Englische: weather report, stock market report, recipe und aircraft maintenance, legal document, patent document, clinical reporting und organic chemistry, mathematics, pharmacology, physics, civil engineering, mining and metallurgy, philosophy und economics, von denen die ersten eher für Textsorten als für ganze Subsprachen stehen. Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma und eine Annäherung an eine stringente (hierarchische) Klassenbildung wäre die Unterscheidung von Subsprachen (z. B. chemistry), Subsubsprachen (z. B. organic chemistry), Texttypen (z. B. abstract) und Textsorten (z. B. chemical abstract), bei der Texttypen und Textsorten die konkrete Realisierung von (Sub-)Subsprachensystemen in der Kommunikation wären. Nicht alle Subsprachen sind Fachsprachen, aber alle Fachsprachen sind Subsprachen. In den folgenden Abschnitten wird der Blickwinkel auf die Fachsprachen als Subsprachen eingeengt, weil sie der eigentliche Gegenstand dieses Handbuches sind. Dabei wird der Übersichtlichkeit halber von einer Grobeinteilung ausgegangen und vorausgesetzt, daß es so etwas gibt wie die Subsprachen der Mathematik, der Physik, der Chemie, […], der Medizin, der Pharmakologie, der Landwirtschaft, […], des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, des Bauwesens, […], der Philosophie, der Ökonomie, der Linguistik usw. Jede von ihnen hat einen mehr oder weniger speziellen Fachwortschatz und eine reduzierte Syntax, die ihre Fachtexte prägen.

3.

Fachwortschätze

Zum Fachwortschatz im weiteren Sinne gehören alle lexikalischen Einheiten in Fachtexten, da sie direkt oder indirekt zur Kommunikation über fachliche (wissenschaftliche, technische u. a.) Gegenstände und Vorgänge beitragen (Hoffmann 1975, 25⫺42; 1984, 224). Der Fachwortschatz im engeren Sinne bildet ein Subsystem des lexikalischen Gesamtsystems bzw. eine Teilmenge des Gesamtwortschatzes einer Sprache. Er wird gewöhnlich dem allgemeinen Wortschatz gegen-

193 übergestellt oder in bezug auf seine Austauschbeziehungen mit ihm untersucht. Im Vordergrund stehen dabei Prozesse der semantischen Einengung bzw. Erweiterung, Erscheinungen der Polysemie, der Homonymie und der Synonymie, Strukturen und Mittel der Wortbildung u. ä. Bei einer sehr engen Grenzziehung fallen Fachwortschatz und Terminologie (vgl. Kap. XXIV) zusammen. Es gibt auch Versuche, innerhalb des Fachwortschatzes zwischen (a) Fachterminologie und (b) nichtterminologischem fachlichem Wortschatz oder zwischen (a) Termini, (b) Halbtermini und (c) Fachjargonismen zu unterscheiden (Benesˇ 1968, 130; Schmidt 1969, 20). Dabei werden als Termini nur die Wörter anerkannt, deren Inhalt durch Festsetzungsdefinitionen bestimmt ist und die im Grunde genommen als Elemente eines Terminussystems die Elemente eines Fachbegriffssystems sprachlich repräsentieren. Daneben stehen nichtdefinierte Halbtermini, die aber das Denotat bzw. Designat ausreichend genau bezeichnen, und Fachjargonismen, die keinen Anspruch auf Genauigkeit erheben. Geht man vom wissenschaftlichen Fachtext aus, dann ergibt sich für seine lexikalischen Elemente eine Dreiteilung in (a) allgemeinen, (b) allgemeinwissenschaftlichen und (c) speziellen Fachwortschatz (Hoffmann 1987 a, 126⫺129); der allgemeinwissenschaftliche Wortschatz ist eine Art Durchschnitt aus vielen speziellen Fachwortschätzen; zum speziellen Fachwortschatz gehört die Terminologie. Im Fachwortschatz dominieren die Substantive und Adjektive („Nominalstil“) über die Verben und anderen Wortarten, weil sie die ganze Vielfalt der Gegenstände und Erscheinungen zu benennen haben, auf die die fachliche Tätigkeit gerichtet ist. Sie machen durchschnittlich 60% der Lexik eines Fachtextes aus. Auch zur Terminologie werden oft nur Substantive, gegebenenfalls determiniert durch andere Substantive und durch Adjektive, gezählt, obwohl auch an fachsprachlichen Verben eine Tendenz zur Terminologisierung zu beobachten ist. Die ständige Erneuerung und Erweiterung des Fachwortschatzes erfolgt vor allem durch (a) Entlehnungen (E dispatcher, transfer ⫺ D Dispatcher, Transfer), (b) Lehnübersetzungen (E impression, association of ideas ⫺ D Eindruck, Ideenassoziation), (c) Metaphorisierung (E head, nose ⫺ D Kopf, Nase), (d) Metonymie (E ampe`re, watt ⫺ D Ampe`re, Watt), (e) definitorische Festlegung (E space, field ⫺

194 D Raum, Feld) und (f) Wortbildung (E depend, dependency, dependency grammar ⫺ D abhängen, Abhängigkeit, Abhängigkeitsgrammatik). Fachwortschätze sind stark mit Internationalismen durchsetzt, die durch Konfigierung aus griech. und lat. Wurzelelementen entstanden sind (E diagnosis, infection ⫺ D Diagnose, Infektion). Sie enthalten eine große Zahl komplexer Wortgruppenbenennungen (E point of maximal bending, fine axed face) oder Komposita (D Braunsteinbrikettelement, Kabelauslegemaschine) zur exakten Benennung komplexer Phänomene. Schließlich spielen Abkürzungen eine bedeutende Rolle in wissenschaftlichen und technischen Subsprachen (E AIDS, OPEC ⫺ D ZNS, Malimo). Die ältere Terminologiearbeit hat den Fachwortschatz an bestimmten Gütemerkmalen, wie Fachbezogenheit, Begrifflichkeit, Exaktheit, Eindeutigkeit, Eineindeutigkeit, Selbstdeutigkeit, Knappheit usw., gemessen. Ihre Forderungen sind inzwischen relativiert worden (vgl. Kap. V und XXIV). Die Wortbildung, d. h. Derivation durch Affixe und Komposition, ist eines der beiden produktivsten Verfahren zur Befriedigung des ständig wachsenden Benennungsbedarfs in Wissenschaft, Technik und anderen Fachbereichen. Sprachen wie das Englische, das Russische, das Französische und das Deutsche besitzen eine große Zahl von Präfixen und Suffixen, mit denen neue Wörter von bereits vorhandenen abgeleitet werden können. Für die Terminologie ist die Überführung von Verben und Adjektiven in die Klasse der Substantive durch Suffigierung besonders wichtig. Es gibt Subsprachen, in denen Derivate dieser Art bis zu 37% der gesamten Terminologie ausmachen, z. B. die der Mathematik, der Physik und der Chemie. Aber nur eine begrenzte Anzahl von Suffixen der Gesamtsprache ist in Fachterminologien produktiv, und ihre Produktivität wechselt sogar von Subsprache zu Subsprache. So stehen in der englischen Subsprache der Mathematik die folgenden Suffixe an der Spitze: -ion (assumption), -ation (multiplication), -y (frequency), -ity (equality), -ence (difference), -al (extremal), -er (identifier), -ment (arrangement), -ing (processing). In der französischen Subsprache der Chemie sind es: -ion (concentration), -ure (chlorure), -eur (chaleur), -te´ (propriete´), -ide (acide), -ie (chimie), -ment (groupement), -ence (influence). Die Komposition ist nicht für alle (Sub-) Sprachen gleichermaßen charakteristisch. Die meisten und längsten Komposita werden

II. Der Status der Fachsprachen

wohl im Deutschen gebildet (Holzdrahtpoliertrommel, Naßabbauhammer, Signalzeichengeber, Ultrakurzwellenüberreichweitenfernsehrichtfunkverbindung). Andere Sprachen haben dafür Wortgruppentermini unterschiedlicher Komplexität (E fine adjustment, device specification, lowest common denominator, jam sense bar; F cable souterrain, pression de serrage, petite vermissage volante, papier au bromure d’argent; R р ток, аряжот оля, акиалая токовая ащита, т икого аряжия, ввод в аралллuю работu, вря дтвия иuла, огофа коллктор двигатл аралллого вобuждия  дво колкто щток). Die syntagmatische Kohärenz zwischen diesen Elementen wird explizit durch Flexionsendungen und/oder Präpositionen und implizit durch logische Relationen hergestellt.

4.

Reduzierte Syntax

Die Analyse und Beschreibung der Subsprachensyntax hat sich zunächst auf formale oder quantitative Aspekte konzentriert: die Länge der Sätze, Teilsätze und Satzgliedgruppen (Phrasen), die Häufigkeit bestimmter Satzarten, Satztypen und Konstituentenstrukturen, die syntaktischen Relationen zwischen Satzgliedern oder komplexeren Satzkonstituenten, die Satzgliedfolge usw. (Beier 1980, 53⫺80; Fluck 1991, 55⫺56; Gerbert 1970; von Hahn 1983, 111⫺119; Hoffmann 1987 a, 183⫺209; Kaehlbrandt 1989, 23⫺27; Kocourek 1982, 48⫺64; Möhn/Pelka 1984, 19⫺22; Sager/Dungworth/McDonald 1980, 182⫺229). Funktionale und semantische Gesichtspunkte sind erst in wenigen Arbeiten berücksichtigt worden (Gerzymisch-Arbogast 1987; Hoffmann 1987 a, 209⫺229; Pumpjanskij 1974; Roth 1980; Weese 1983). Bekannt sind vor allem die folgenden Besonderheiten der Subsprachen von Wissenschaft und Technik. Freie und lexikalisierte Nominalgruppen sind die wichtigsten Grundkomponenten der Sätze. Sie dominieren nicht nur als Subjekt und Objekt, sondern verdrängen als Prädikatsnomen auch die Verben aus dem Zentrum des Satzes, und sie erreichen oft einen hohen Komplexitätsgrad (E dibasic acid, rough atomic weight, current source driving, class-of-service analysis, end of file label). “They contain the individual items of information which make up the detailed descrip-

195

15. Fachsprachen als Subsprachen

tion of a machine, of a process, of the logical exposition of an idea or theory, the reasoned explanation of natural phenomena and the objective evaluation of experimental data” (Sager/Dungworth/McDonald 1980, 219). Verbalgruppen (E draw a conclusion, hold the opinion) sind trotz der wichtigen Rolle des Verbs als organisierendes Zentrum des Satzes und trotz ihrer rhematischen Funktion in die Analyse von Subsprachen kaum einbezogen worden. Es gibt nur einige Versuche, die Valenztheorie auch hier zum Tragen zu bringen und den Fügungspotenzen der Verben die Fügungsrealitäten in einzelnen Subsprachen gegenüberzustellen (vgl. Hoffmann 1989; Kuntz 1979 u. a.). Aufmerksam gemacht wird auf den selektiven Gebrauch einiger grammatischer Kategorien und Formen des Verbs selbst, z. B. Indikativ, Präsens, 3. Person, Passiv, infinite Formen, substantivierte Verben, der auf seine reduzierte Funktion im Satz hindeutet. Erwähnung findet auch der häufige Gebrauch von Adverbien bzw. Adverbialbestimmungen (E often, usually, completely; at full power, to a certain degree, in simple terms), der zur Exaktheit und Explizität der Fachinformation beiträgt: In vielen Fällen werden Prozesse und Handlungen erst eindeutig, wenn gesagt wird, wann, wo und wie sie verlaufen. Ein weiteres Charakteristikum der Verbalgruppen ist die Desemantisierung der Verben (E to call into operation, to gain acceptance, to give consideration), aus der sogenannte Funktionsverbgefüge hervorgehen (Köhler 1985). Von Sätzen in wissenschaftlichen und technischen Subsprachen sagt man, sie seien länger als in anderen Subsprachen. Das ergibt sich aus der größeren Zahl der Nebensätze, bedeutet jedoch nicht, daß Satzgefüge in wissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen häufiger sind als einfache (erweiterte) Sätze; nur ist das quantitative Verhältnis zwischen ihnen ein anderes als beispielsweise in der künstlerischen Literatur. Des weiteren ist die Variabilität der häufigsten Satzstrukturen stark reduziert. Nebensätze in Satzgefügen sind in erster Linie Relativsätze mit Attributfunktion, wo einfache Attribute zur Präzisierung nicht ausreichen, und bestimmte Arten adverbieller Nebensätze (Konditional-, Kausal-, Final-, Modalsätze), die Adverbien und Adverbialbestimmungen an Genauigkeit übertreffen und einen gewissen Erklärungsbedarf befriedigen. Von den Satzarten entspricht in den wissenschaftlichen und technischen Subsprachen

der Aussagesatz dem Bedürfnis nach fachlicher Information am stärksten. Die Möglichkeiten der Thema-RhemaGliederung, die in unterschiedlichen Typologien der Aktuellen Satzgliederung bzw. Funktionalen Satzperspektive und der Thematischen Progression erfaßt worden sind, werden von den Subsprachen nur in gewissem Maße ausgeschöpft. Doch hängt das weniger von der einzelnen Subsprache insgesamt als von ihren Textsorten und deren Makrostruktur(en) ab. Entsprechendes gilt für die Satzglied- bzw. Wortfolge, die in gedruckten Texten funktionale Aspekte, wie die Verteilung der Information im Satz, ausdrücken kann. Konkrete Angaben zur reduzierten Syntax der Subsprachen lassen sich besser bei den Einzelsprachen machen, da sie sich in diesem Punkt z. T. beträchtlich voneinander unterscheiden (vgl. Kap. XVI, XVIII, XIX). Das zeigt sich z. B. bei der Versprachlichung funktionaler Kategorien wie Anonymisierung, explizite Spezifizierung, Kondensierung (von Hahn 1983, 113⫺119).

5.

Fachtexte

Untersuchungen zum Wortschatz und zur Syntax der Subsprachen haben ihr Material schon immer in Fachtexten gesucht. Der Fachtext als thematisch relativ geschlossene, gegliederte, strukturierte und in sich kohärente, komplexe sprachliche Einheit ist aber erst in neuerer Zeit zum bevorzugten Gegenstand der Fachsprachenforschung geworden (vgl. Hoffmann 1987 b; 1988, 122⫺175; Kalverkämper 1983; 1987). Dabei hat die ursprünglich vom Systemdenken beherrschte Vorstellung von den Subsprachen eine Erweiterung durch kommunikativ-pragmatische Kriterien erfahren (Kalverkämper 1982, 109⫺117). Unter Berücksichtigung der Textexterna und der Textinterna ist der Fachtext Instrument bzw. Resultat der im Zusammenhang mit einer spezialisierten gesellschaftlich-produktiven Tätigkeit ausgeübten sprachlichkommunikativen Tätigkeit. Er bildet eine strukturell-funktionale Einheit (Ganzheit) und besteht aus einer endlichen, geordneten Menge pragmatisch, semantisch und syntaktisch kohärenter Sätze oder satzwertiger Einheiten (Texteme), die als komplexe sprachliche Zeichen komplexen Vorstellungen des Menschen von komplexen Sachverhalten in seiner Arbeitswelt entsprechen (Hoffmann 1987 b, 93).

196 Wie jeder Text ist der Fachtext durch mindestens sieben Standardmerkmale gekennzeichnet: (1) Kohäsion, (2) Kohärenz, (3) Intentionalität, (4) Akzeptabilität, (5) Informativität, (6) Situationalität, (7) Intertextualität (Beaugrande/Dressler 1981, 3⫺11). Er (ent)steht in einem komplexen Kommunikationsgefüge, an dem als entscheidende Faktoren der Autor mit seiner Kommunikationsabsicht und der daraus abgeleiteten Kommunikationsstrategie sowie der Adressat mit einer vorgefaßten Erwartungshaltung und gegebenenfalls auch Reaktionsabsicht beteiligt sind; beide stehen in einem möglicherweise unterschiedlichen, aber prinzipiell gleichgerichteten Verhältnis zum (Teil-)System ihrer Muttersprache oder einer im Text verwendeten Fremdsprache sowie zum im Text behandelten Gegenstands- und Sachverhaltsbereich (Inhalt); sie kommunizieren auch in einer durch die außersprachlichen Verhältnisse gegebenen Situation (vgl. das erweiterte Modell sprachlicher Kommunikation bei Gülich/ Raible 1977, 25). Der Fachtext zeichnet sich wegen der hohen Anforderungen an die Genauigkeit der in ihm enthaltenen Mitteilung oft durch Besonderheiten in der Makrostruktur (Gliederung in Teiltexte), in den Kohärenzbeziehungen zwischen seinen Elementen und in seinem Bestand an syntaktischen, lexikalischen, morphologischen und graphischen/phonetischen Einheiten aus. Das gilt allerdings in ganz unterschiedlichem Maße für die einzelnen Fachtextsorten. Die Klassifizierung der Fachtextsorten mit Hilfe fester Merkmalraster und quantitativer Methoden ist für die Subsprachenforschung von besonderem Interesse, weil ihre Kenntnis zur erfolgreichen Lösung fachspezifischer Kommunikationsaufgaben beitragen kann. Der Umstand, daß der Begriff der (Fach-) Textsorte nach wie vor unterschiedlich definiert wird (vgl. Brinker 1985, 124; Gläser 1990, 29; Heinemann/Viehweger 1991, 129⫺ 175; Hoffmann 1990, 11), hat die Fachsprachenforschung nicht davon abgehalten, einige von ihnen, die in der Fachkommunikation leicht nachweisbar sind, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, z. B. wissenschaftliche Monographien, Lehrbücher, Enzyklopädieartikel, Essays, Zeitschriftenaufsätze, Rezensionen, Referate (Abstracts); Patentschriften, Standards, Bedienungsanleitungen u. a. m. (vgl. Kap. VII). Trotz unterschiedlicher Ansätze und Merkmalraster haben sich daraus Beschreibungen ergeben, die neben

II. Der Status der Fachsprachen

allgemeinen Übereinstimmungen auch fachtextsortenspezifische Besonderheiten hervortreten lassen, so daß eine auf textexternen und textinternen Merkmalen aufbauende exakte Klassifizierung in den Bereich des Möglichen gerückt ist. Von den textexternen Faktoren wurden vor allem die folgenden registriert: (1) Kommunikationspartner (z. B. Fachmann : Fachmann, Fachmann : Nichtfachmann); (2) Kommunikationsintention/Textfunktion (z. B. Informieren/Deskription, Aktivieren/Instruktion); (3) Kommunikationssituation (z. B. übergeordnete Tätigkeit, Medium); (4) Kommunikationsgegenstand (z. B. Fachgebiet, Objektklasse). Textinterne Merkmale, von denen ein Teil schon bei früheren Analysen von Subsprachen ermittelt wurde, sind in erster Linie: (1) die Makrostruktur (Abfolge und Hierarchie der Teiltexte), (2) die Kohärenz (pragmatische, semantische, syntaktische); (3) die syntaktischen Phänomene auf der Satz- und Teilsatzebene (Satzart, Satztyp; Satzgliederung; Komplexität der Satzglieder); (4) die Lexik (Herkunft; Typen der Wortbildung); (5) die grammatischen Kategorien von Verb und Substantiv (Modus, Genus, Tempus, Person; Numerus, Kasus); (6) die Stilfiguren (Anapher, Ellipse, Metapher); (7) die metakommunikativen Mittel (Gliederungselemente, Kommentare, Verweise); (8) die graphisch-figürlichen Mittel (Tabellen, Diagramme, Faksimiles); (9) die künstlichen Zeichen (Symbole, Formeln). Die sprachlichen Unterschiede zwischen den Fachtextsorten sind vor allem quantitativer Natur. Sie lassen sich außer in vergleichenden Aufzählungen der besseren Übersicht wegen in Matrizen erfassen, die die aus Häufigkeitsuntersuchungen gewonnenen Werte oder die daraus abgeleitete Merkmalhaftigkeit bzw. Merkmallosigkeit enthalten (Hoffmann 1987 b, 96⫺100). Betrachtet man die externen und die internen Merkmale von Fachtextsorten in ihrer Einheit aus handlungstheoretischer Sicht, dann trifft die folgende Definition weitgehend zu: „Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar eine normierende Wirkung, erleich-

15. Fachsprachen als Subsprachen tern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und Rezeption von Texten geben“ (Brinker 1985, 124; vgl. auch Heinemann/Viehweger 1991, 129⫺133). Man sollte nur hinzufügen: Fachtextsorten sind eine spezielle Klasse von Textsorten, für deren Produktion und Rezeption zusätzlich zum Alltagswissen noch Fachwissen nötig ist und für die hinsichtlich der in der Definition genannten Merkmale strengere Beschränkungen gelten.

Alles in allem führt die komplexe und integrative Analyse von Fachtexten zu der Schlußfolgerung: “An important dimension of sublanguage variation is in the means of textual organization” (Kittredge 1982, 126). Zu neueren Erkenntnissen der Fachtextlinguistik s. vor allem Baumann (1992; 1994), Göpferich (1995), Kalverkämper/Baumann (1996). Anzumerken bleibt, daß Fachsprachen als Subsprachen vor allem in der ehemaligen UdSSR (Leningrad) mit dem Schwerpunkt auf der Lexik, in Kanada (Montreal) fast ausschließlich an der Grammatik und in der ehemaligen DDR (Leipzig) mit dem Blick auf Lexik, Syntax und Text behandelt worden sind.

6.

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Lothar Hoffmann, Großdeuben

16. Fachsprachen und Funktionalstile 1. 2. 2.1. 2.2. 3. 4. 5.

Einleitung Das Konzept der Funktionalstile Definition des Funktionalstils Klassifikation der Funktionalstile Das Konzept der Wirtschaftslinguistik Ausblick: Nachwirkungen der Funktionalstilistik Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung

Das Verhältnis von Fachsprache und Funktionalstil gehört im gegenwärtigen Stadium der Theoriebildung in der Fachsprachenlinguistik nicht mehr zu den strittigen Problemen, da sich inzwischen die textbezogene Betrachtung der Fachkommunikation durchgesetzt hat und der Stil als eine komplexe Organisationsform und Wirkungsweise des Fachtextes gilt. Dennoch sind die Diskussionen der Funktionalstilistik in den sechziger und siebziger Jahren über die Merkmale des Stils der Wissenschaft und anderer, die Fachkommunikation im institutionellen Verkehr und in den Massenmedien berührender Stile heute von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse, kennzeichnen sie doch eine wichtige Etappe in der Entwicklung sowohl der Fachsprachenforschung als auch der Stilistik. Für die Untersuchung der schriftlichen Fachkommunikation haben die sowjetische und tschechische Funktionalstilistik wesentli-

che Kategorien bereitgestellt, die in der Textlinguistik und in der Pragmalinguistik ihre Parallele fanden und weiterentwickelt werden konnten (Komposition, Architektonik des Textes, Automatisierung, Deautomatisierung der Sprachverwendung, Kommunikationsnetz). Mit der Einbeziehung von Fachtexten der schriftlichen Kommunikation in ihren Gegenstandsbereich war die Funktionalstilistik innovativ. Es ist ihr bleibendes Verdienst, die bis in die fünfziger Jahre in der Stilistik verbreitete Annahme, daß nur der literarische Text Stilqualitäten aufweist, überwunden und den Stilbegriff auf die Sachdarstellung und damit auf die Gebrauchsliteratur/Sachprosa/ Fachprosa, die bis dahin nicht als stilistisch untersuchungswürdig gegolten hatte, ausgedehnt zu haben. Mit der Hinwendung zum Text und schließlich zum Diskurs hat sich jedoch weder in der Fachsprachenforschung noch in der Funktionalstilistik ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Öffnung zur Textlinguistik war in beiden Disziplinen bereits angelegt und somit eine folgerichtige Entwicklungsphase unter dem Einfluß der kommunikativ-pragmatischen Richtung innerhalb der angewandten Sprachwissenschaft.

2.

Das Konzept der Funktionalstile

Die Funktionalstilistik, wie sie durch sowjetische und tschechische Linguisten entwickelt

200 und durch deutsche Sprachwissenschaftler vermittelt wurde, erlaubt aus heutiger Sicht eine abstrahierende Standortbestimmung, die individuelle Meinungen ihrer Vertreter und die jüngsten, meist aus dem Ausland kommenden Erneuerungsversuche dieses Konzepts unberücksichtigt läßt: ⫺ Die Funktionalstilistik untersucht die gesellschaftlich bedingten Varianten des Sprachgebrauchs in bestimmten kommunikativen Situationen. ⫺ Sie erfaßt nur die schriftliche Kommunikation und beschränkt sich auf die Standardsprache; die mündliche Kommunikation und andere Existenzformen der Sprache bleiben außer Betracht. ⫺ Sie ist auf die synchrone Beschreibung der Sprachverwendung orientiert. ⫺ Sie ist in erster Linie deskriptiv; präskriptive Arbeiten im Dienste der Kommunikationsbefähigung und Sprachkultur sind nachgeordnete Anwendungsgebiete. ⫺ Das Konzept der Funktionalstile im einzelnen ist eine hypothetische, deduktive Setzung und nicht aus der empirischen Untersuchung umfangreicher Textkorpora erwachsen. Folglich fehlt ihm eine parallelverlaufende Validierung durch empirisch-induktive Analysen repräsentativer Textsorten in den einzelnen Kommunikationsbereichen und insbesondere der Fachkommunikation, die als Korrektiv auf die Theorie der Funktionalstile hätten zurückwirken können. ⫺ Die Untergliederung des Funktionalstils in Substile/Bereichsstile, Gattungsstile und Stile von Textsorten ist ein Versuch, diastratisch und diasituativ die sprachliche Wirklichkeit besser zu erfassen. ⫺ Das System der Funktionalstile ist teils eine aus dem praktischen Alltagswissen der Sprachbenutzer und Stilistiker abgeleitete Klassifikation, teils eine theoretisch-abstrakt konzipierte Typologie, und in seiner Gesamtheit unausgewogen. ⫺ Die Fachsprachen sind in dem FunktionalstilKonzept völlig unterrepräsentiert und auf die Wissenschaftssprache eingeschränkt, wobei jedoch zwischen den sowjetischen und tschechischen Vertretern der Funktionalstilistik Unterschiede festzustellen sind. ⫺ Die theoretische Fundierung der Funktionalstilistik wird dadurch beeinträchtigt, daß ihr ein soziolinguistisches Konzept fehlt und daß sie auf eine Definition tragender Begriffe weitgehend verzichtet hat. So wird selbst in Arbeiten der Prager Schule, der die tschechische Funktionalstilistik verpflichtet ist, der Begriff Funktion nicht eindeutig bestimmt, so daß er je nach Kontext „Aufgabe, Rolle, Zweck, Leistung“ (Weise 1978, 566) bedeuten kann. Der SystemBegriff wird ebenfalls polysem verwendet. ⫺ Der interdisziplinäre Bezug der Funktionalstilistik zur Soziolinguistik, Pragmatik und zu den

II. Der Status der Fachsprachen „philologischen Wissenschaften“ wird lediglich postuliert, im Falle der Fachkommunikation jedoch nicht thematisiert. Eine Integration des Fachsprachenkonzepts in die Funktionalstilistik ist vom Ansatz her nur in der tschechischen Funktionalstilistik erkennbar, während es in der sowjetischen Funktionalstilistik erst Ende der siebziger Jahre ⫺ im Gefolge der Fachsprachenforschung ⫺ stärker berücksichtigt wird.

2.1. Definition des Funktionalstils Im deutschsprachigen Raum ist die sowjetische Funktionalstilistik vor allem durch die Untersuchungen der Germanistin E. Riesel bekanntgeworden. Ihre Begriffsbestimmung ist die Bezugsgrundlage für eine Vielzahl von Nachfolgearbeiten und lautet: „Unter dem funktionalen Stil verstehen wir die historisch veränderliche, funktional und expressiv bedingte Verwendungsweise der Sprache auf einem bestimmten Gebiet menschlicher Tätigkeit, objektiv verwirklicht durch eine zweckentsprechend ausgewählte und gesetzmäßig geordnete Gesamtheit lexischer, grammatischer und phonetischer Mittel“ (Riesel 1963, 10).

Der sowjetische Anglist I. R. Galperin (1977, 32) entwickelte folgende Definition: “A functional style of language is a system of interrelated language means which serves a definite aim in communication. A functional style is thus regarded as the product of a certain concrete task set by the sender of the message. Functional styles appear mainly in the literary standard of a language.”

Aus ähnlich lautenden Begriffsbestimmungen kristallisieren sich als Definitionselemente heraus: ⫺ Funktionalstile als Subsysteme der Standardsprache ⫺ Funktionalstil als Merkmal der Rede/Sprachverwendung ⫺ Funktionalstil als Konfiguration mehrerer Sprachfunktionen und nicht beschränkt auf die „Mitteilungsfunktion“/„Verkehrsfunktion“ der Sprache ⫺ Funktionalstil als Ergebnis der Auswahl, Anordnung und Anpassung bestimmter Sprachmittel und Kompositionsmuster.

2.2. Klassifikation der Funktionalstile In der sowjetischen und tschechischen Funktionalstilistik hat sich die Klassifikation der Funktionalstile als relativ geschlossenes System durchgesetzt, so daß auch in der Folgezeit keine Veränderungen in ihrer horizontalen Anordnung vorgenommen worden sind und eher eine Differenzierung in vertikaler Richtung (in „Substile“, „Gattungsstile“ und

16. Fachsprachen und Funktionalstile

„Textsortenstile“) stattgefunden hat. Beide Klassifikationen haben gemeinsam, daß sie die Fachsprachen faktisch nur als „Stil der Wissenschaft“ (im sowjetischen Konzept) und als „Wissenschaftssprache“ (im tschechischen Konzept) erfassen und damit zwangsläufig auf einen bestimmten Kommunikationsbereich bzw. eine bestimmte Schicht im System der Fachkommunikation eingrenzen und den gesamten nichtwissenschaftlichen Bereich der Fachkommunikation der arbeitsteiligen Gesellschaft unberücksichtigt lassen. 2.2.1. Sowjetische Stilforscher Das Hauptproblem einer Stilklassifikation hat die sowjetische Stilforscherin und Germanistin E. Riesel (1963, 15) treffend erkannt. Es besteht darin, als Bezugsgrundlage einer Klassifikation (im Sinne einer Typologisierungsbasis) zuverlässige Kriterien zu finden. Sie stellt fest, daß tragende Begriffe der Funktionalstilistik wie „gesellschaftliche Funktion“ und „linguistische Spezifik eines funktionalen Stils“ noch nicht hinreichend präzisiert sind. Theoretische Defizite dieser Art haben E. Riesel und E. Schendels (1975, 14 f) erneut in ihrer Gemeinschaftsarbeit zur Stilistik der deutschen Sprache hervorgehoben und auch bemerkt, daß die empirische Basis im Sinne umfangreicher Textuntersuchungen mit statistischer Aussagekraft noch zu schmal sei. So ist die Klassifikation der Funktionalstile, wie sie sich in der sowjetischen Linguostilistik seit der Grundlegung durch V. V. Vinogradov in der Mitte der fünfziger Jahre entwickelt und etabliert hat, ein stark abstrahiertes System von Verwendungsweisen der Sprache in einigen typischen Kommunikationsbereichen der arbeitsteiligen Gesellschaft. Sie umfaßt (1) den Stil des öffentlichen Verkehrs / der öffentlichen Rede (2) den Stil der Wissenschaft (3) den Stil der Publizistik und der Presse (4) den Stil der Alltagsrede und (5) den Stil der schönen / schöngeistigen Literatur. Die Fachkommunikation ist in dieser Klassifikation nur als „Stil der Wissenschaft“ und in Randbezirken der Stile des öffentlichen Verkehrs, der Presse und Publizistik vertreten, ohne daß eine Explikation als Verwaltungssprache, Rechtssprache, Handels- und Börsensprache, Spache des Verkehrswesens, des Erziehungswesens, der kulturellen Institutionen usw. vorgenommen wird. Ebensowenig werden die fachsprachlichen Bezüge im

201 Funktionalstil der Presse und Publizistik ⫺ etwa im Sinne eines Wissenschaftsjournalismus ⫺ herausgearbeitet, sondern als Substil des Funktionalstils der Wissenschaft, als „populärwissenschaftlicher Stil“ verstanden. I. R. Galperins (1977, 33) auf das Englische bezogene Klassifikation der Funktionalstile hat einen analogen Aufbau und beinhaltet fünf major functional styles: “(1) the language of belles-lettres (2) the language of publicistic literature (3) the language of newspapers (4) the language of scientific prose (5) the language of official documents.” Mit anderen Vertretern der sowjetischen Funktionalstilistik teilt Galperin die Auffassung, daß Sprache und Stil zusammenfallen (er spricht absichtlich von “language style”) und daß das Konzept der Funktionalstile und das britische Register-Konzept deckungsgleich seien (zur Abgrenzung der beiden Konzepte (vgl. R. Gläser 1974 und 1976). Auch andere Stilforscher verwenden gelegentlich die Bezeichnung recˇevoj register für Funktionalstil. Trotz geringfügiger terminologischer Unterschiede bei den einzelnen Vertretern ist die Klassifikation der fünf Funktionalstile über zwei Jahrzehnte das herrschende Paradigma in der sowjetischen Funktionalstilistik geblieben. Die Fachsprachen tangiert es nur durch den „Funktionalstil der Wissenschaft“. Unter diesem Leitbegriff sind eine Fülle empirischer Arbeiten zu linguistischen Merkmalen der Fachsprachen erschienen, ohne daß darin der Begriff Fachsprache thematisiert, problematisiert oder gar definiert wird. Auffällig an diesem Konzept ist die stillschweigende Eingrenzung der Fachsprache auf Wissenschaftssprache und die Gleichsetzung von Wissenschaftssprache und Stil, wobei statt eines Inklusionsverhältnisses ein Identitätsverhältnis beider Bezugsgrößen angenommen wird. Die doppelte Einengung des Begriffs Funktionalstil der Wissenschaft hat zur Folge, daß das Funktionalstilkonzept als Ganzes für die Untersuchung der Fachsprachen einen eingeschränkten Erkenntniswert hat. Zu den führenden sowjetischen Vertretern der Funktionalstilistik, die unter dem StilAspekt unterschiedliche Erscheinungen von Fachsprachen überwiegend der Naturwissenschaften untersucht haben, gehören M. N. Kozˇina (1968; 1972; 1986), N. M. Razinkina (1972; 1978), O. S. Achmanova / M. M. Glusˇko (1974), O. D. Mitrofanova (1973), E. S. Trojanskaja (1978), A. N. Vasil’eva

202 (1976) und M. Ja. Cvilling (1977; 1980). Diese Linguisten sind die Verfasser von Aufsätzen bzw. Monographien oder die Herausgeber von Sammelbänden, die zumindest anteilig der Fachsprachenforschung zuzuordnen sind, aber als Stiluntersuchungen deklariert werden. Die Einzeluntersuchungen werden unter Oberbegriffen zusammengefaßt, die in ihrer konzeptionellen wie terminologischen Unschärfe die gesamte Problematik des Funktionalstilkonzepts in bezug auf die Untersuchung von Fachsprachen verdeutlichen: stil’ naucˇnoj i technicˇeskoj literatury; stil’ naucˇnomatematicˇeskogo izlozˇenija; stil’ naucˇnogo izlozˇenija, stil’ naucˇnoj prozy, stil’ naucˇnoj literatury; naucˇnyj stil’ recˇi, naucˇnaja recˇ’, naucˇnaja literatura; naucˇno-professional’nyj stil’; funkcional’nyj stil’ obsˇcˇe-naucˇnogo jazyka, jazyk naucˇno-technicˇeskoj literatury und ⫺ in Anlehnung an das Englische ⫺ recˇevoj register für den Funktionalstil im Kommunikationsbereich der Wissenschaften.

Die in diesen Sammelbegriffen auffällige Opposition zwischen jazyk (Sprache, Sprachsystem) und recˇ’ (Rede, Sprachverwendung) wird in den funktionalstilistischen Untersuchungen nicht mehr zum Problem erhoben, nachdem darüber in den fünfziger Jahren und Anfang der sechziger Jahre eine öffentliche Diskussion u. a. in der Zeitschrift Voprosy jazykoznanija geführt und die dialektische Wechselbeziehung der beiden Begriffe erkannt worden war. Bemerkenswert unter den genannten Bezeichnungen ist die durch den Begriff izlozˇenie „Darstellung“ implizit vorgenommene Gleichsetzung von Fachsprache mit einer ihrer Funktionen, der deskriptiven Funktion, bzw. einem ihrer Texttypen, dem deskriptiven Texttyp. Die Begriffe proza und literatura beziehen sich auf das materialisierte Ergebnis der Fachkommunikation als Druckerzeugnis. Unter diesen diffusen Sammelbegriffen werden ausschnittartig Einzelerscheinungen der Fachsprachen (auch unterschiedlicher Einzelsprachen) auf verschiedenen Ebenen des Sprachsystems behandelt. Dazu zählen: ⫺ lexikalische Merkmale: Terminologie, Nomenklaturzeichen; Wortbildungsmodelle, phraseologische Einheiten, Mehrwortlexeme; Entlehnungen; paradigmatische Beziehungen der Synonymie und Polysemie ⫺ morphologische und syntaktische Erscheinungen: Verwendung der Aspekte; Thema-RhemaGliederung des Satzes; Verwendung bestimmter Satztypen in wissenschaftlichen Texten; ⫺ transphrastische Erscheinungen im Vorfeld textlinguistischer Untersuchungen: komplexe Sätze

II. Der Status der Fachsprachen und Absatzstruktur, die „Integration des Textes“ aus der Verflechtung der Satzstrukturen ⫺ Einzeluntersuchungen zu Fachtextsorten (bezeichnet als zˇanry ⫽ genres): Monographie, wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz, Patentschrift.

In den achtziger Jahren verlagert sich der Schwerpunkt von funktionalstilistischen auf textlinguistische Aspekte der Fachsprachen. Auf die Notwendigkeit, umfangreiche Textkorpora zu untersuchen, hatte bereits M. N. Razinkina (1978) in ihrer diachron angelegten Analyse englischer Fachtexte des 16.⫺ 19. Jahrhunderts hingewiesen. Ihre Arbeit zur Herausbildung der Struktur der Artikel in der englischen Zeitschrift Nature ist durch reichhaltiges Belegmaterial dokumentiert, was die Nachprüfbarkeit der textlinguistischen und stilistischen Aussagen unterstützt. Deutliche Ansätze, den „Stil der wissenschaftlichen Rede“ bzw. den „Funktionalstil der Wissenschaft“ in einen außersprachlichen und interdisziplinären Rahmen einzuordnen, sind bereits in der aus einem Vorlesungszyklus hervorgegangenen Studie von A. N. Vasil’eva (1976) zu erkennen. Ansatzpunkte der Stilbetrachtung sind hier die Funktionen der Wissenschaft als Mittel des Erwerbs, der Akkumulation und Weitergabe von enzyklopädischem und spezialisiertem Wissen; die Existenzformen und Prozesse des schöpferischen wissenschaftlichen Denkens als Begriffsfindung, Systematisierung und Versprachlichung der Ergebnisse der Forschung; Etappen des Formulierens und die Beteiligung der „inneren Rede“ bei der Gestaltung des Inhalts- und Ausdrucksplans ⫺ eine Vorwegnahme des Denkstils; Äußerungsformen des kommunizierenden Subjekts (Verwendung der Ich-Form); Intellektualisierung und Mathematisierung der wissenschaftlichen Darlegung. Damit formuliert Vasil’eva in Ansätzen psycholinguistische und textlinguistische Bezüge, die erst in den Folgejahren in Arbeiten zur Fachsprachentheorie (u. a. L. Hoffmann 1976) zur Diskussion gestellt worden sind. 2.2.2. Tschechische Stilforscher Einige prominente Vertreter des Prager Linguistenkreises, der in die Geschichte der Sprachwissenschaft unter dem Namen Prager Schule eingegangen ist, haben sich schon frühzeitig um eine semiotische Ableitung des Begriffs der Funktionalstile (funkcˇnı´ styly) bemüht. Als Initiator dieses Konzepts, in dem die pragmatische Leistung der Sprache im Mittelpunkt steht, kann B. Havra´nek

16. Fachsprachen und Funktionalstile

(1932) gelten. Er geht von der Hypothese aus, daß die Schriftsprache vier Hauptfunktionen erfüllt: (1) die kommunikative Funktion, (2) die praktisch-spezielle Funktion, (3) die theoretisch-spezielle Funktion und (4) die ästhetische Funktion. Dieese Klassifikation ist insofern hierarchisch, als die kommunikative Funktion als die grundlegende und die ästhetische Funktion als die speziellste und anspruchsvollste Funktion ausgewiesen sind. Die Funktionen setzt Havra´nek folgerichtig zu funktionalen Schichten, die ihrerseits Untersysteme der Nationalsprache bilden, in Beziehung. Diese sind: (1) die Alltagssprache, (2) die Geschäfts- und Amtssprache, (3) die Wissenschaftssprache und (4) die Sprache der Belletristik. Diese Untersysteme enthalten bereits wesentliche Bereiche der Fachsprachen, auch wenn diese noch nicht in horizontaler Richtung weiter differenziert sind. In späteren Arbeiten, die auf eine Theorie der Funktionen der Schriftsprache gerichtet sind, unterscheidet Havra´nek (1969) nur noch drei Funktionalsprachen innerhalb der Schriftsprache: (1) die Konversationssprache, (2) die Fachsprache und (3) die Literatursprache. Er entwickelt einen konzeptionellen Ansatz, der die sprachlichen und insbesondere die stilistischen Besonderheiten der Fachkommunikation stärker berücksichtigt. So behält er die Dreiteilung der Sprachfunktionen bei, differenziert aber zwischen der schriftlichen und mündlichen Äußerungsform. Sein modifiziertes Modell gliedert sich in (1) die einfach mitteilende Funktion der Schriftsprache, einschließlich der gesprochenen Form der Kommunikation (2) die Funktion der fachlichen Mitteilung als (a) Sachsprache (einschließlich der Sprache der Presse und Publizistik) und (b) wissenschaftliche Sprache (3) die komplexe Funktion der Sprache als Wortkunstwerk (,Dichtersprache‘).

Diese Funktionen der Sprache äußern sich in Stilen, die durch allgemeine Merkmale charakterisiert werden. Zu diesen gehören: (1) der Konversationsstil (Die Äußerungen sind durch ihre Spontaneität oft unvollständig, aber durch die Situation verständlich.) (2) der Fachstil (Die Äußerungen sind relativ vollständig. Wesensmerkmale des Fachstils sind die Kodifizierung von Fachausdrücken, die Intellektualisierung und Rationalisierung der Aussage durch

203 Präzision und Deutlichkeit. Die Sprachverwendung ist weitgehend „automatisiert“.) (3) der Stil der Dichtersprache (Stilistische Wirkungen der Dichtersprache entstehen dadurch, daß die Sprachverwendung „deautomatisiert“ ist und sprachliche Einheiten eine geringe Voraussagbarkeit haben.)

Zu den Vertretern der tschechischen Funktionalstilistik, die der Fachkommunikation gebührende Aufmerksamkeit geschenkt haben, ohne aber Fachsprache und Stil gleichzusetzen, gehört L. Dolezˇel. Er arbeitet mit statistischen Methoden, übernimmt weitgehend Havra´neks Ansatz, ersetzt aber den Begriff Funktionalsprache durch Äußerungstyp. Darunter versteht er Normen der Strukturierung einer sprachlichen Äußerung, z. B. eines Autors, einer literarischen Strömung oder einer Gattung. Der Stil wirkt zurück auf die Struktur der Äußerung als Ganzes. Dolezˇels (1965) Klassifizierung der vier Funktionssprachen und analog dazu vier Funktionalstile leitet sich aus der Differenzierung des Kommunikationsnetzes ab. Dieses umfaßt: (1) den rekognoskativen Kreis (Erkenntnisfunktion) (2) den Direktivkreis (Verhaltenssteuerung) (3) den Kontaktkreis (interpersonale Funktion) (4) den ästhetischen Kreis (ästhetische Funktion). Diesen Kreisen ordnet Dolezˇel folgerichtig Funktionssprachen zu, denen Stile entsprechen: (1) Erkenntnissprache⫺Erkenntnisstil (z. B. in den formalisierten Wissenschaftssprachen) (2) Direktivsprachen⫺Direktivstil (bezogen auf die natürlichen Sprachen und auf Instruktionsund Programmiersprachen) (3) Konversationssprache⫺Konversationsstil (mit offenen Grenzen zur Alltagssprache) (4) künstlerische Sprache⫺künstlerischer Stil (bezogen auf ästhetische Systeme über die Sprache hinaus, z. B. auch auf die Musik).

Bei Havra´nek und Dolezˇel ist die Fachsprache ein Unterbereich der Nationalsprache, verstanden als schriftlicher Standard. Die Fachsprache gliedert sich in die „wissenschaftliche Sprache“ und in die „Sachsprache“. Mit dieser Differenzierung setzt Dolezˇel wichtige Akzente, die ihre Bestätigung in der sowjetischen Funktionalstilistik als „akademisch-wissenschaftlicher Forscherstil“ (Riesel/Schendels 1975, 292) und in dem Fachsprachenkonzept von Möhn/Pelka (1984) in bezug auf die „fachinterne Kommunikation“ gefunden haben. Die „Sachsprache“ entspräche nach diesen Vergleichskonzepten dem „populärwissenschaftlichen

204 (Gattungs)stil“ bzw. der „fachexternen Kommunikation“. Die Klassifizierung der Funktionalstile in der tschechischen Funktionalstilistik ist ähnlich deduktiv wie die in dem sowjetischen Konzept und im Grunde eine Typologie mit einer nahezu einheitlichen Typologisierungsbasis. Der Typologie-Gedanke wird explizit von E. Benesˇ als demjenigen Vertreter der tschechischen Funktionalstilistik aufgegriffen, der aus der Beschäftigung mit der Fachsprache und deren Vermittlung in der Lehrpraxis zu dem Problem der Fachstile vorgestoßen ist. Der Prager Germanist Benesˇ hat das tschechische Konzept der Funktionalstile mit Bezug auf die Fachkommunikation weiterentwickelt und durch Fachtextanalysen validiert. In seinem grundlegenden Aufsatz von 1969 entwickelt er eine Typologie der Stilgattungen der wissenschaftlichen Prosa und erste Vorstellungen einer horizontalen Eingliederung der Fachsprache zwischen Alltagsrede (Konversation) und Dichtung. Hier verbindet er auf neuartige Weise das Konzept der Funktionalstile mit Erkenntnissen der Textlinguistik und Fachsprachenforschung. Unter dem Sammelbegriff Sachprosa versteht er „die Textmenge, in der sich die ,Fachsprache‘ als Teil- und Untersystem der Sprache realisiert“. Da Texte stets durch die „Auswahl, Anwendung und eventuell auch Anpassung der Systemmittel der Sprache“ (1969, 226) gestaltet sind und das dieser Gestaltung zugrunde liegende Prinzip der Stil ist, hat folgerichtig die Fachprosa einen bestimmten sprachlichen Stil oder Fachstil. Benesˇ definiert den Fachstil (1969, 226) als „Prinzip der sprachlichen Organisation der Texte der Fachprosa mit Hilfe der Ausdrucksmittel der Fachsprache“. Obwohl er sich auf Fachtexte bezieht, bevorzugt er in seiner Terminologie den von Havra´nek bereits eingeführten Begriff des Sachstils, den er im folgenden als Organisationsprinzip der Sachprosa auffaßt. Benesˇ unterteilt den Sachstil in (1) den praktischen Sachstil (bei dem das Verhältnis zwischen Inhalt ⫺ dem „thematischen Plan“ ⫺ und dem sprachlichen Ausdruck ⫺ den „lexikalischen Einheiten“ ⫺ durch Konvention bestimmt ist) und (2) den theoretischen oder wissenschaftlichen Sachstil (bei dem das Verhältnis zwischen Inhalt und Ausdruck durch definierte Begriffe und präzise Termini geregelt ist). Benesˇ nennt seine Hierarchisierung der Stilgattungen der wissenschaftlichen Prosa

II. Der Status der Fachsprachen

eine „Typologie“ und alternierend eine „Klassifikation“, ohne aber über den konzeptionellen Unterschied dieser Termini zu reflektieren, wie es Dimter (1981) getan hat. In diesem Sinne wäre sein Vorgehen als deduktiv zu bezeichnen. Die Typologisierungsbasis der von Benesˇ gewählten Fachtexte besteht aus vier „Klassifikationskriterien“, die allerdings auf unterschiedlichen Beschreibungsebenen liegen. Diese sind: (1) der Kommunikationsbereich oder Themenkreis (das Sachgebiet) des Fachtextes und die ihm zugeordnete Fachsprache (2) der Fachlichkeitsgrad des Textes und die Einstellung des Senders zum Empfänger der Mitteilung (3) das Medium der Mitteilung (schriftlich oder mündlich) (4) die Art der Stoffbehandlung (darunter zählen Stilverfahren bzw. Darstellungsarten wie das Berichten, Erzählen, Beschreiben, Erörtern ⫺ und Gebrauchsformen wie der Bericht, die Erzählung, die Beschreibung, die Erörterung usw.)

Der Fachlichkeitsgrad und die Darstellungshaltung des Senders gegenüber dem Kommunikationsgegenstand und dem Adressaten spiegeln sich in unterschiedlichen Stilarten wider, die eine Abstufung vom Speziellen zum Allgemeinverständlichen erkennen lassen. Beispiele dafür sind der Forscherstil, der belehrende Stil, der Lexikonstil und der wissenschaftliche Stil. Die Textsorten, die diese Stilarten repräsentieren, bilden eine offene Reihe und weisen eine Vielzahl konkreter Gebrauchsformen aus. So sind Protokolle, Referat und Aktennotiz Sonderformen des Berichts. Lehrbücher und umfangreiche Kompendien, enzyklopädische Aufrisse und Skripten sind Ausprägungen des „belehrenden Stils“. Die von Benesˇ entwickelte Typologie der Stilgattungen gab der weiteren Fachsprachenforschung wichtige Impulse und war der Ansatzpunkt für das aus einer kritischen, aber produktiven Auseinandersetzung mit Benesˇ hervorgegangene Konzept der horizontalen Gliederung und vertikalen Schichtung der Fachsprache, das L. Hoffmann (1976, 181 ff.) als fünfstufiges Modell nach den Kriterien Abstraktionsstufe, äußere Sprachform, Milieu und Teilnehmer der Kommunikation vorgestellt hat. Zusammenfassend kann man feststellen, daß eine bei sowjetischen Vertretern der Funktionalstilistik übliche Gleichsetzung von

16. Fachsprachen und Funktionalstile

Funktionalstil und Fachsprache bei den tschechischen Vertretern der Funktionalstilistik nicht stattgefunden hat, sondern daß hier Stil stets als eine durch die kommunikative Funktion der Sprache und durch mehrere Instanzen gesteuerte Ausdrucksform der Sprache im Sinne der Sprachverwendung aufgefaßt worden ist.

3.

Das Konzept der Wirtschaftslinguistik

Erwähnenswert im Zusammenhang mit dem tschechischen Konzept der Funktionalstilistik ist der Beitrag, den die strukturelle und funktionale Wirtschaftslinguistik im Rahmen des Prager Linguistenkreises zur Untersuchung der Wechselwirkung von Fachsprache und Stil geleistet hat. Die Wirtschaftslinguistik als kommunikativ ausgerichtete Untersuchung der Handelssprache entstand in verschiedenen europäischen Ländern Anfang des 20. Jahrhunderts, namentlich an einigen Handelshochschulen in Deutschland, in der Teschechoslowakei, der Schweiz und den Niederlanden. Ihre Vertreter waren Anglisten, Germanisten und Romanisten, die sich ⫺ z. T. neben ihren Forschungsgebieten der in den philologischen Fächern eingebundenen Nationalliteraturen oder in der historischen Sprachwissenschaft ⫺ mit praktischen Bedürfnissen der Wirtschaftsfächer, mit der Fachsprache des Handels, mit Fachtexten und zwangsläufig mit deren Stilmerkmalen beschäftigten (vgl. E. E. J. Messing 1932). Zu den Vertretern der sich in verschiedene Richtungen aufgliedernden Wirtschaftslinguistik gehören die Germanisten A. Götze, F. Kluge und A. Schirmer, die durch etymologische und onomasiologische Untersuchungen hervorgetreten sind, sowie E. E. J. Messing und L. Jordan, ferner der Anglist B. Fehr und im weiteren Sinne die Romanisten R. Meringer und H. Schuchardt, die das Leitprinzip ihrer Untersuchungen, Wörter und Sachen, zum Titel einer gleichnamigen Zeitschrift (1909 gegründet) erhoben, in der die Fachwortschätze einen wichtigen historischen Platz einnahmen. Die Vertreter der Wirtschaftslinguistik an der Prager Handelshochˇ ada, L. V. Kopeckij und Z. schule sind J. C Vancˇura. Eine Sonderentwicklung dieses Zweiges ist die von dem Germanisten und Literaturwissenschaftler H. Siebenschein an der Prager Universität vertretene Wirtschaftsgermanistik. Im Unterschied zu der wie die

205 Funktionalstilistik synchron eingestellten Wirtschaftslinguistik bemüht sich Siebenschein um eine diachrone Darstellungsweise. Er untersucht u. a. die Verwendung der Kaufmannssprache in literarischen Texten und die Wirkung fachsprachlicher Elemente in der deutschen Literatur. Die historisierende Richtung der Wirtschaftslinguistik (vgl. Drozd/Seibicke 1973, 69 f) befaßt sich in erster Linie mit dem Wortschatz der Handelssprache, darunter seiner Herkunft (einschließlich der Lehneinflüsse), der Wechselwirkung zwischen Handelssprache und Fachsprache und den Tendenzen der Terminologisierung. Noch ehe interdisziplinäre Beziehungen der Fachsprachenforschung als methodologisches Programm postuliert wurden, arbeitete diese Richtung der Wirtschaftslinguistik faktisch bereits nach einem solchen Konzept, indem sie Erkenntnisse der Ethnographie und Völkerpsychologie, Kulturkunde und Soziologie zur Erhellung der Geschichte eines Fachwortschatzes und einer Fachsprache heranzog. Die Wirtschaftslinguistik kann man hinsichtlich ihrer Beziehung zur Fachsprache und zum Stil folgendermaßen charakterisieren: (1) Die Handels- und Wirtschaftssprache wird nicht als Funktionalstil, sondern als Variante der Nationalsprache (Schriftsprache) mit einer besonderen kommunikativen (ökonomischen und völkerverständigenden) Funktion aufgefaßt. Die Wirtschaftssprache ist somit Teil des gesamten Sprachsystems. (2) Stilfragen spielen bei der Analyse von Wirtschaftstexten eine untergeordnete Rolle. Sie sind belangvoll für bestimmte Textsorten (z. B. historische Kaufmannsbriefe, moderne Handelskorrespondenz und Werbetexte). (3) Aufgrund der Polyfunktionalität der sprachlichen Mittel können die gleichen Wörter und Wendungen der Wirtschafts- und Handelssprache ⫺ je nach sozialem Kontext ⫺ als Hinweis auf eine Standes-, Berufs- oder Sondersprache angesehen werden. (4) Die Wirtschaftssprache manifestiert sich nicht als Fachwortschatz, sondern in Fachtexten. Fachtexte sind nach ihren lexikalischen, phraseologischen und syntaktischen Merkmalen und deren Wechselbeziehungen zu untersuchen (vgl. L. Hoffmann 1984, 38 f). (5) Die auf die Vermittlung der Wirtschaftssprache an den Handelshochschulen konzentrierte Wirtschaftslinguistik orientiert sich auf die Gegenwartssprache und deren synchrone Beschreibung und Didaktisierung; sie erkennt aber den Wert der linguistischen Beschäftigung

206

II. Der Status der Fachsprachen

mit dem Fachwortschatz für „die Völkerverständigung und die Selbsterkenntnis“ (vgl. Drozd/Seibicke 1973, 69). Die historisierende Wirtschaftslinguistik ist diachron ausgerichtet und untersucht den Fachwortschatz und historische Quellentexte in interdisziplinärer Sicht.

4.

Ausblick: Nachwirkungen der Funktionalstilistik

Durch die Grenzen ihres traditionellen Konzepts hat die Funktionalstilistik in den achtziger Jahren ein gewisses Abschlußstadium ihrer Entwicklung erreicht und weder der Linguostilistik noch der Fachsprachenforschung neue Impulse zu geben vermocht. Ihre durch Textuntersuchungen konsolidierten Erkenntnisse haben in russischen Stilistiklehrbüchern ihren Niederschlag gefunden. Einen Paradigmenwechsel unter dem Einfluß der Textlinguistik und Textpragmatik hat das Konzept der Funktionalstilistik jedoch nicht durchlaufen, da es von Anfang an auf die funktionsgerechte und situativ angemessene Verwendung der Sprache in Texten verschiedener Kommunikationssphären gerichtet war (vgl. Netschiporenko 1991). Insofern ist die Funktionalstilistik eine Vorläuferin der kommunikativfunktionalen Sprachbetrachtung und Fachtextlinguistik. Im Hinblick auf das Sprachhandlungskonzept sind Versuche unternommen worden, ausbaufähige Teilkonzepte der Funktionalstilistik weiterzuentwickeln. So hat M. Hoffmann (1987) die Kategorie Stilzug umfassend analysiert und Möglichkeiten ihrer „Integration in ein kommunikativ orientiertes linguistisches Stilkonzept“ aufgezeigt. Nachhaltigen Einfluß auf die Fachsprachenforschung hat die Funktionalstilistik durch die namentlich in den tschechischen Arbeiten verwendete Kategorie Sachstil bzw. Fachstil ausgeübt. Mit dem durch empirischinduktive Textuntersuchungen gestützten Konzept der Fachstile (Gläser 1979) wurde ein Weg gewiesen, wie die Betrachtungsweise der Funktionalstilistik und der Fachsprachenlinguistik am konkreten Fachtext zusammengeführt werden können. Der Fachstil gilt hier als Substil eines Funktionalstils und als Mittlergröße zum Textsortenstil. Er erfaßt alle Bereiche der in sich unterschiedlich strukturierten Fachkommunikation der arbeitsteiligen Gesellschaft. Fachstil wird definiert als die für die Gestaltung eines Fachtextes charakte-

ristische Auswahl und Anordnung sprachlicher Mittel, die in einem Gesamtzusammenhang von Absicht, Inhalt, Form und Wirkung einer Aussage fungieren. Die Typologie der Fachstile (Gläser 1979) verdeutlicht die pragmatische Spezifik von Fachtextsorten in der fachinternen und fachexternen Kommunikation. In ihren Einzugsbereich gehören: (1) der theoretisch-wissenschaftliche Fachstil (2) der populärwissenschaftliche Fachstil (3) der didaktische Fachstil (4) der direktive Fachstil (5) der praktische Fachstil (6) der ästhetische Fachstil (Elemente der Belletristik in der Fachliteratur und fachsprachliche Elemente in der Belletristik). Nach der pragmatischen Wende hat sich aber in der Linguostilistik wie in der Fachsprachenlinguistik die Erkenntnis durchzusetzen begonnen, daß eine Stil- und Texttypologie ein theoretisches Konstrukt bleibt, solange nicht empirisch-induktive Untersuchungen an umfangreichen Textkorpora und nach einem integrativen Analysemodus, der textexterne und textinterne Bezugsgrößen vereinigt, vorgenommen werden. Die Stilmerkmale eines Fachtextes bilden in diesem komplexen Beschreibungsansatz nur eine Komponente unter mehreren. Als fachsprachenspezifische und damit obligatorische Merkmale des Fachtextes gelten die Verwendung des Fachwortschatzes, eine mehr oder weniger streng determinierte Syntax und die Makrostruktur des Textes. Stilistische Merkmale liegen dort vor, wo der Textautor das Ausdruckspotential der Sprache für einen bestimmten kommunikativen Zweck und zur Realisierung einer persönlichen Intention einsetzt. Die Darstellungshaltung des Textautors gegenüber dem Adressaten äußert sich im Fachlichkeitsgrad eines Textes, in der Verwendung bestimmter Kommunikationsstrategien (darunter Metakommunikation) und in Elementen eines impliziten Dialoges. Die Stilqualitäten eines Fachtextes resultieren aus einer Gesamtwirkung von Stilzügen (M. Hoffmann 1987) und Stilfiguren. Sie unterstützen die pragmatische Funktion des Textes. Die durch den integrativen Analysemodus gewonnenen Charakteristiken von Textsorten unterschiedlicher Kommunikationsbereiche werden als Textsortenprofile bezeichnet (Gläser 1990). In der gegenwärtigen Fachsprachenforschung zeichnet sich die Tendenz ab, die

16. Fachsprachen und Funktionalstile

207

Funktionalstilistik als einen wesentlichen, wenn auch konzeptionell begrenzten Bestandteil einer integrativen Fachtextlinguistik (Baumann 1992) anzusehen und in stärkerem Maße soziolinguistische, psycholinguistische, semantische und pragmatische Faktoren bei der komplexen Analyse von Fachtexten zu berücksichtigen.

Gläser 1979 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachstile des Englischen. Leipzig 1979 (Linguistische Studien).

5.

Havra´nek 1969 ⫽ Bohuslav Havra´nek: Die Theorie der Schriftsprache. In: Stilistik und Soziolinguistik. Beiträge der Prager Schule zur strukturellen Sprachbetrachtung und Spracherziehung. Hrsg. v. Detlef C. Kochan. Berlin 1971.

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208

II. Der Status der Fachsprachen

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Rosemarie Gläser, Leipzig

17. Fachsprachen als Register 1. 2. 3.

Sprachliche Register Register und Fachkommunikation Literatur (in Auswahl)

1.

Sprachliche Register

1.1. Zur Definition des Register-Begriffs Fachsprachen als Register zu betrachten heißt, sie als funktionale Varianten des Sprachgebrauchs in primär fachlich bestimmten Domänen der Verständigung aufzufassen. Das linguistische Konzept des sprachlichen Registers berührt sich mit dem in der Prager Schule formulierten Ansatz der Funktionalstilistik (Artikel 16; s. u. 2.2.) und bildet das funktionale Gegenstück zu primär sozial oder pragmatisch bestimmten Dimensionen sprachlicher Variation (Art. 11; 13⫺15). In seiner klassischen Version wurde der Begriff als “language variety according to use” definiert und dem des Dialektes (der im angelsächsisch weiten Sinne regionale, soziale und individuelle Merkmale umschließt) als der “language variety according to user” gegenüber gestellt (Halliday/McIntosh/Strevens 1964, 87). Während dieser sich also auf die Unterschiedlichkeit der Sprachbenutzer bezieht, zielt jener auf die unterschiedlichen Anforderungen jeweiliger Situationen: “usually we identify registers by taking the speaker as the invariable element in overlapping situations, and discussing how he adjusts his language to a situation” (Turner 1973, 165). Diese Gegenüberstellung macht den Begriff freilich noch keineswegs eindeutig: “A term like ‘register’ […] because of its breadth of definition, is almost bound to produce confusion” (Crystal 1981, 159). Die linguistischen Nachschlagewerke (soweit sie den Begriff überhaupt verzeichnen) setzen bei seiner Bestimmung zwar häufig unterschiedliche Akzente, aber in den meisten Definitionen sind Elemente enthalten wie ⫺ sprachliche Variation (Crystal 1983, 301: “a variety of language defined according to its use in social situations”),

⫺ situatives Handeln (Crystal 1988, 52: “linguistically distinct activities […] contextually influenced varieties”), ⫺ stilistische Selektion (Stone 1978, 4: “By register itself is meant a style situation”), ⫺ soziales Rollenspiel (Strang 1968, 19: “formes of language in relation to particular social roles”), ⫺ kommunikativer Handlungsrahmen (Hartmann/Stork 1976, 194: “A variety in language used for a specific purpose”). Während Gläser (1993, 568) den Begriff im Hinblick auf Fachsprachen für völlig ungeeignet hält und empfiehlt, „künftig auf seine Verwendung in der Fachsprachendiskussion gänzlich zu verzichten“ (Gläser 1993, 590), rückt er, bei anderen, gerade in deren Nähe, wenn er durch Beispiele veranschaulicht wird (Catford 1965, 85: “Variety related to the wider roˆle being played by the performer at the moment of the utterance; e. g. ‘scientific’, ‘religious’, ‘civil service’, etc.”; Crystal 1988, 429: “A socially defined variety of language, e. g. scientific, legal, etc.”). Gelegentlich wird er auch ausdrücklich verbunden „mit unterschiedlichen Berufsgruppen […] (z. B. naturwissenschaftliches Register, Register der Piloten, religiöses Register usw.), vor allem bezogen auf das distinkte Vokabular“ (Glück 1993, 502).

1.2. Ursprung und Entwicklung des Konzepts Das linguistische Konzept des sprachlichen Registers wurde zuerst im Rahmen der sog. Londoner Schule des britischen Kontextualismus entwickelt (Monaghan 1979). Es ist damit in eine Tradition eingebettet, in der ⫺ in der Nachfolge Philipp Wegeners (1885) mit seiner Differenzierung kontextueller Felder (nach sozialen, thematischen u. a. Kriterien) ⫺ schon früh Sprache als in kulturellen Kontexten und situativen Konstellationen eingebettetes Handeln aufgefaßt wurde (vgl. Juchem 1984). Im Anschluß an Bronislaw Malinowski (1935) entwickelt John R. Firth (1937) sein Textmodell der Einbettungshierarchie von Kontexten, in denen sprachliches Handeln seinen je spezifischen Sinn erhält.

17. Fachsprachen als Register

Firth und seine Nachfolger in der Londoner Schule stellen den gängigen Modellen des Sprachsystems konsequent ihre Auffassung vom Sprachgebrauch zur Seite, nach der Sprecher je nach Situation und sozialer Rolle, je nach Adressat und Gesprächspartner, je nach Gegenstand und Medium spezielle sprachliche Register zu ziehen imstande sind. Als linguistische Kategorie taucht der Begriff wohl zuerst bei Reid (1956, 28) auf: “The linguistic behaviour of a given individual is by no means uniform; placed in what appears to be linguistically identical conditions, he will on different occasions speak (or write) differently according to what may be roughly described as different social situations: he will use a number of different ‘registers’.” Reid verbindet demnach sprachliches Verhalten mit sozialen Rollen des Sprechers in wechselnden Konstellationen und unter sich wandelnden kommunikativen Voraussetzungen. Hill (1958) greift den Vorschlag auf und schlägt bereits eine innere Differenzierung des Terminus vor (“style, genre, and mode”), an die später Halliday anknüpfen wird (s. u.). Ure (1963) benutzte den Ausdruck zur summarischen Bezeichnung der “features in any given text which show it as belonging to the system of features, lexical, syntactical, phonological and others by which the hearer, without regard to context of the text, can draw certain conclusions about the speaker” (Ure 1963, 136). Der klassische Stil-Topos, nach dem man das Wesen des Redners aus seiner Rede erkennen könne (Menander: aœndro¡w xarakth¡r e¡k lo¬gon gnvri¬zetai), taucht hier wieder auf (zur Tradition dieser Stilauffassung seit der Antike s. Müller 1981). Strang (1968) und Catford (1965) unterscheiden dagegen „Register“ in einem engeren Sinne vom Stil und dem sprachlichen Medium und beziehen den Ausdruck ähnlich wie schon Reid auf die soziale Rolle des Sprechers. Im Anschluß an McH. Sinclair beschreibt Dixon (1964) Register als Weisen des Sprechens (“matters of mode”). Zur gleichen Zeit legen Halliday/McIntosh/Strevens (1964) ihre Version der Registertheorie vor, die von Enkvist/Spencer/Gregory (1964, 87 ff) weitgehend übernommen und von Ellis/Ure (1969) modifiziert und fortentwickelt wird. Seither hat das Konzept, ungeachtet seiner vielfältigen Versionen und terminologischen Nuancen (s. Hess-Lüttich 1974), seine Fruchtbarkeit in zahlreichen Feldern Angewandter Linguistik erwiesen, vor allem als Kategorie der Stilistik (z. B. Spillner 1974, 58 ff; Sanders 1977, 138 ff; Spillner 1987, 281 ff), der Soziolinguistik (Gläser 1976, 294⫺243; Crystal 1983, 301), der Textlinguistik und Literaturanalyse (Lux 1981; Pritscher 1981), der Textwissenschaft und Diskursforschung (Hess-Lüttich 1985, 166⫺186) und, nicht zuletzt, der Fachsprachenforschung (z. B. Arnon 1989; aber: Gläser 1993).

209 1.3. Kriterien der Unterscheidung sprachlicher Register Die weite Verbreitung und vielfältige Anwendung des Begriffs mag in seiner mangelnden Randschärfe begründet sein. Die Allgemeinheit seiner Definitionselemente wie situationsgemäßes oder rollenspezifisches Sprachverhalten, seine problemlose Verwendung in unterschiedlichen Sparten der Disziplin, seine Nähe zum alltagssprachlichen Gebrauch des Wortes („der zieht ja alle rhetorischen Register“) lassen ihn ebenso diffus wie beliebt erscheinen. Dies gilt auch für seine eher programmatisch-klassifikatorische als analytisch-deskriptive Kraft. Linguistische Analysen, die sich des Registerbegriffs bedienen, begnügen sich häufig mit wenigen und eher äußerlichen Merkmalen zur Differenzierung zwischen verschiedenen Registern, wobei auffällt, daß die Beispiele sehr häufig aus Fachsprachen (“languages for special purposes”) entnommen werden. Hudson (1980, 50) unterscheidet sprachliche Register beispielsweise nach dem Grad der Technizität bzw. des Fachwissens in technisch/formal (“We obtained some sodium chloride”), nicht-technisch/formal (“We obtained some salt”), technisch/informell (“We got some sodium chloride”) und nicht-technisch/informell (“We got some salt”). Als Kriterien zur Unterscheidung von Registern dienen überwiegend lexikalische Markierungen, die es erlauben oder nahelegen, einen Text oder eine Äußerung einem bestimmten Register (etwa dem der Piloten, der Mediziner, Theologen oder Sportler) zuzuordnen. In solchen Fällen ist die Nähe zur Fachsprachenforschung, aber auch zur klassischen Funktionalstilistik, nicht zu übersehen (Crystal 1983, 301: “register of scientific, religious, formal English”). Die Verwendung disziplinspezifischer Fach- und Fremdwörter gilt dabei als ebenso konstitutiv wie die spezifischer Collocationen, Stilebenen und Phraseolexeme. Deutlich seltener sind Hinweise auf morphologisch-syntaktische Charakteristika spezieller Register, etwa der Werbung, des Pressekommentars, des Pop-Songs, der Sportberichterstattung, des Gottesdienstes, des Wetterberichtes, des Kochrezeptes, der Speisekarte. Hier überschneiden sich die Beispiele meist mit Ergebnissen der linguistischen Beschreibung bestimmter Fachsprachen (Werbesprache, Sportsprache, Mediensprache), Textsorten (Predigt, Rezept, Wetterbericht, Bulletin, Kommunique´), Redekonstellationen

210 („Baby-Talk“, „Party-Talk“, „Foreigner-Talk“, „Talkshow“), Berufssprachen („Banker-Jargon“, „Soziologen-Deutsch“, „WirtschaftsChinesisch“, „Labor-Slang“). In Ausnahmefällen werden auch phonetische, chronemisch-stronemische, phonotaktische, rhythmische, prosodische Kriterien der Register-Differenzierung genannt (z. B. Predigt vs. Gebet vs. seelsorgerisches Gespräch oder Sprechtempo, Apokopen, Deletionen etc. zur Kennzeichnung „informeller“ Register vertrauter Konversation).

Je nachdem, welche Dimension des Registers im Vordergrund steht (1.4.), variieren auch die formalen Beschreibungskriterien. Bei stärker thematisch, inhaltlich, sachlich geprägten „Operationsfeldern der Rede“ (Hüllen 1973, 133) überwiegen lexikalisch-terminologische Charakteristika. Wenn das Interesse stärker auf die Beziehung der Gesprächspartner, ihr Kommunikationsverhältnis oder ihre sozialen Rollen zielt, werden Gradationen stilistischer Selektion beschrieben, die ein Register z. B. auf einer Skala von Formalitätsgraden (z. B. Joos 1962: “frozen, formal, consultative, casual, intimite”) anzusiedeln erlauben. Andere Gradationsachsen verbinden Kriterien wie vorbereitet ⫺ unvorbereitet, persönlich ⫺ unpersönlich, symmetrisch ⫺ asymmetrisch, gesprochen ⫺ geschrieben, regional ⫺ überregional, technisch ⫺ nichttechnisch etc. (Hess-Lüttich 1985, 160). So wird etwa die situationsspezifische Wahl zwischen zwei zu Gebote stehenden Sprachen ⫺ etwa des Französischen in öffentlichen oder amtlichen Sphären und des Letzeburgischen oder Bretonischen im Familien- oder Freundeskreise, zwischen Sakralsprache im religiösen Ritus und Profansprache im Alltagsverkehr ⫺ häufig auch als Wahl zwischen Registern beschrieben (Crystal 1983, 301: “variety of language according to its use in social situations”). Der im deutschsprachigen Teil der Schweiz seit den 70er Jahren beobachtbare Wandel sprachlicher Gepflogenheiten läßt sich anschaulich in terminis der Register-Dimensionen beschreiben: wurde früher (auch noch nach dem 2. Weltkrieg und trotz wachsender Distanz zum „Reichsdeutschen“) die Wahl zwischen Standardsprache („Schriftdeutsch“) und Dialekt (der jeweiligen Ausprägung dessen, was man, andernorts, so summarisch wie ungenau unter „Schwyzerdütsch“ zu rubrizieren pflegt) vom Kriterium der Redekonstellation, Situation, sozialen Rolle bestimmt (“style of discourse”: Dialekt im privaten, vertrauten, familiären Gespräch, Standardsprache im öffentlichen, formellen beruflichen Alltag), so fällt die Entscheidung heute zunehmend nach dem Kriterium des Mediums (“mode of discourse”: Dialekt bei gesprochener Sprache, auch in öffentlichen Situationen des Fernsehinterviews

II. Der Status der Fachsprachen oder der Talkshow und in formellen Kontexten des Fach- oder Amtsgesprächs, Standardsprache nur noch in Fällen schriftlicher Äußerung einschließlich verlesener Nachrichtentexte). Die Konsequenzen dieses markanten Wandels ⫺ im Hinblick auf kommunikative Reichweite, kulturellen Regionalismus, Vertiefung des „Röschtigrabens“ im Innern, politische Verschärfung der Europadistanz nach außen ⫺ dringen dortzulande erst allmählich ins öffentliche (Sprach-)Bewußtsein.

1.4. Die Dimensionen des Register-Begriffs Im Umkreis des Neo-Firthianismus und seiner Rezeption wird der Register-Begriff zumeist in drei (gelegentlich vier: Ellis/Ure 1969; oder auch acht: Crystal/Davy 1969; oder gar dreizehn: Hymes 1972) Dimensionen expliziert: die erste, die Dimension des “field of discourse” (auch “province”, “domain”, “topic”, “genre”, “area of operation in the language activity”), bezieht sich auf den Redegegenstand, den Inhalt der Verständigung, das Thema eines Textes (Ellis), den Texttyp, das Genre des Textes (Hill), das Sach-, Fach- und Arbeitsgebiet, in dem sprachlich gehandelt, über das sprachlich verhandelt wird. Dabei können die Situationen (nach Halliday et al. 1964) grob danach unterschieden werden, welchen Stellenwert die Sprache in ihnen einnimmt: so kann die inhaltlich-verbale Auseinandersetzung im Vordergrund stehen wie in sachbezogener, fachlicher oder institutioneller Kommunikation, in Verhandlung, Hearing, Diskussion, in Verlosung, Aufsatz oder Essay; Thema und Textsorte bestimmen die Wahl des (fachlich) angemessenen Registers. Oder der verbale Anteil der Kommunikation ist sekundär, situationsbezogen, empraktisch eingebettet in nicht-sprachliche Tätigkeiten, auf die deiktisch verwiesen wird. Beispiele hierfür wären etwa die Instruktions- und Demonstrationsprozesse in der betrieblichen oder medizinischen Ausbildung (Brünner 1987; Bliesener 1982). Oder sprachliches Handeln und nicht-sprachliches Verhalten laufen unverbunden nebeneinander her wie in Montagsgesprächen am Fließband. Die Kategorie beschreibt in der Tat ein weites Feld: es kann theoretisch-technische wie praktisch-operationale Bereiche umfassen, “the subject matter” ebenso wie “the whole event” und “what is going on” (Halliday et al. 1964, 90), Thema und Funktion, Referenzakt und Sprechakt, Gesprächsdomäne und Handlungstyp (vgl. kritisch Lux 1981, 96; Hess-Lüttich 1985, 185).

Ähnlich ambivalent ist die zweite Dimension: “mode of discourse” oder “medium” (Strang). Sie betrifft zunächst die Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache mit ihren je spezifischen Merk-

211

17. Fachsprachen als Register

malen und Strukturen. Mit zunehmender medialer Differenzierung weitet sich auch diese Dimension aus ins Unübersichtliche, zumal sie sich nicht nur auf den kommunikativen Kanal und die Materialität des Mediums bezieht, sondern auch auf die Art und Weise (“mode”), in der sich Verständigung konkret vollzieht. Darüber hinaus verweisen die in der einschlägigen Literatur diskutierten Beispiele auch auf einen texttypologischen Aspekt der Kategorie: Textsorten wie Anzeigen, Limericks, Slogans, Briefe werden genannt; “the language of newspapers, of advertising, of conversation and of sports commentary […] of literature” (Halliday et al. 1964, 92) ⫺ dies berührt sich zum Teil mit dem, was unter dem Stichwort “field of discourse” verhandelt wird, mit wichtigen Nuancen freilich: im Focus stehen hier die medial bedingten und materiell (semiotisch) signifikativen Erscheinungsformen der Kommunikation ⫺ etwa die Signalwerte eines handgeschriebenen Billets gegenüber dem amtlichen Formbrief, des Fax-Schreibens gegenüber der e-mail message, die Variationen eines Stoffes in verschiedenen Mediensorten (Drama und Inszenierung, Drama als Film und Oper und Tanz und Comic-Strip und CD-ROM: vgl. Faulstich 1982; Hess-Lüttich 1991, Hess-Lüttich/Posner 1990). Es leuchtet unmittelbar ein, daß mit dem Wechsel der Mediensorte einerseits, mit dem der Textsorte andererseits auch Veränderungen der linguistischen, der allgemein semiotischen Strukturen der „Texte“ (im weiten Sinne: Hess-Lüttich 1981) einhergehen. Dies kann jedoch nur der Ausgangspunkt sein für die genaue Analyse dieser Veränderungen und ihrer Konsequenzen für den Wandel der kommunikativen Gepflogenheiten in einer durch Medienvielfalt geprägten Welt.

Die dritte Dimension schließlich ist die vielleicht schillerndste: “style of discourse” (auch “tenor”, “formality”, “roˆle”). Sie definiert das Verhältnis der Kommunikatoren zueinander: Laie und Experte, Kunde und Anbieter, Vorgesetzter und Untergebener, Lehrer und Schüler, Eltern und Kinder, Widersacher, Gleichgesinnte, Freunde, Vertraute, Männer, Frauen und alles was dazwischen liegt: je nach Definition der Beziehung und sozialen Rolle und gegebenen Situation stufen die Beteiligten ab und wählen das (im Glücksfalle passende) Register aus dem ihnen zu Gebote stehenden Repertoire stilistischer Nuancierung. Dies ist der systematische Ort der Erforschung der kulturell so vielfältigen Formen der Höflichkeit

(Brown/Levinson 1987), der Anredeformen (Winter 1984), der institutionellen Kommunikation (Giesecke 1988; Koerfer 1994), des Variationsreichtums fachlicher Kommunikation, deren eminent soziale Dimension die Fachsprachenforschung endlich zu durchleuchten und zu entschlüsseln beginnt (Bungarten 1986; Hess-Lüttich 1986 b). In der Praxis der Verständigung ebenso wie in ihrer Analyse wirken diese Dimensionen natürlich stets zusammen und bestimmen die Wahl und Beschreibung des Registers mit der charakteristischen Auswahl aus dem Repertoire der Zeichen. Texte werden danach hinsichtlich der Register-Dimensionen sortiert: “Many texts can be located roughly on the same points on the clines of field, mode, and tenors. For example: ‘lectures (modes and tenors) on geography (field)’, ‘sermons (field, mode, and tenors)’, ‘cooking (field) recipe (tenors) books (mode)’, ‘personal (field and tenors) conversations (tenor and mode)’. These represent registers: the varieties according to use of which a text may be regarded as an instance” (Gregory/Carroll 1978, 9; vgl. Spillner 1987, 282).

In fachlicher Kommunikation drängt es den Experten vielleicht zur Mitteilung der Ergebnisse seines Forschens: er macht sich Notizen und gliedert den Stoff, er schreibt einen Aufsatz nach den Konventionen seines Faches für eine Zeitschrift seiner Zunft, er kondensiert die Ergebnisse für einen Handbuchartikel und formuliert sie um für seine Vorlesung, er faßt zusammen in Gutachten, Forschungsanträgen und -berichten, er hält einen Vortrag vor Kollegen und später vor einem informierten Laienpublikum, er äußert sich zum Thema in Interviews, Talkshows oder in Zeitungsartikeln, den Gehalt bereitet er auf in Skripten für Studenten oder in Hypermedia-Lernprogrammen, in Briefen gibt er Hinweise und in ironischen Glossen gewinnt er Distanz zur Zunft und zum Thema ⫺ und nur bei treffender Wahl des jeweils passenden Registers kann er hoffen auf Resonanz und Interesse und damit, im Glücksfalle, auf so etwas wie fachliche Kommunikation.

2.

Register und Fachkommunikation

2.1. Vom Status der Fachsprachen Wer Fachsprachen als Register betrachten will, muß sich mit konkurrierenden Ansätzen und benachbarten Auffassungen vom Status der Fachsprachen im Verhältnis zur Standardsprache auseinandersetzen. Dabei weist der registertheoretische Ansatz zu den traditionellen von der Lexikologie und Terminologieforschung geprägten Überlegungen zum Verhältnis von Fach- und „Gemeinsprache“

212 (Art. 12) noch die vergleichsweise größte Distanz auf. Eine sehr viel stärkere Affinität besteht aufgrund verwandter sprachtheoretischer Prämissen zu text- und soziolinguistischen Auffassungen von Fachsprachen als Varietäten, Subsprachen, Gruppensprachen, Funktionalstilen. Mit der Bestimmung von Fachstilen als Varietäten verbindet der registertheoretische Ansatz die Zuordnung von Fachsprachen zu den situativ-funktionalen Varietäten (Art. 14). Dem Vorschlag von Adamzik (1995, 10), die Variationsdimensionen um das zu ergänzen, „was eine Fachsprache am eindeutigsten charakterisiert und was bei aller Variation gleich bleibt“, nämlich das Fach, der Gegenstand, das Thema, korrespondiert ziemlich exakt die „field“-Dimension des Registers. Ist der Gegenstand ein fachlicher (wissenschaftlicher, technischer etc.: also z. B. geologischer, ingenieurwissenschaftlicher, poetologischer), so haben wir es mit einem Fach-Register (der Geologie, Ingenieurwissenschaft, Literaturtheorie) zu tun, sofern und insoweit die anderen Dimensionen dem nicht entgegenstehen (wie in Fällen von Registertransferenz, Ironie, Jargon usw.: s. u. 2.4.). Im übrigen teilen beide Ansätze jene Probleme, die in ihrer sehr weiten („globalen“) Modellierung begründet sind. Für ihre fruchtbare Anwendung in Detailuntersuchungen müßten ihre Beschreibungsinstrumentarien (diachronisch, typologisch, kategorial) noch erheblich differenziert werden, ohne damit eine Festlegung etwa auf ein bestimmtes Grammatikmodell (etwa der Varietätengrammatik einerseits, der Stratificational Grammar oder Systemic Grammar andererseits) zu verbinden. Register werden immer wieder als “language varieties” definiert, aber auch als “subsystems” einer Sprache, die ein Sprecher nach Maßgabe dessen, worüber er sich zu verständigen strebt, zu aktualisieren vermag. Fachsprachen als „Subsprachen“ werden (nach Hoffmann 1995, 4 ⫽ Art. 15) vom „Sachgebiet oder Kommunikationsbereich“ bestimmt. Dies entspricht wiederum der inhaltlichen Dimension des Registers: wovon die Rede ist. Wenn Subsprachen freilich lapidar als “another dimension of linguistic variations in addition to register, style, dialect and routine” (Kittredge/Lehrberger 1982, 6) eingeführt werden, so bleibt da noch ebensoviel Raum für die innere Differenzierung der spezifischen Art ihres Wechselverhältnisses wie bei der Feststellung, daß „die Termini Subsprache und Register […] oft als Synonyme

II. Der Status der Fachsprachen

gebraucht“ würden (Hoffmann 1995, 14 ⫽ Art. 15). Wenn Subsprachen (vgl. „Substandard“ in der Dialektforschung und in der Soziolinguistik) in der Fachsprachenforschung über das Fach bzw. den Kommunikationsbereich definiert werden, so ist im Auge zu behalten, daß dieser Aspekt nur eine von mehreren Dimensionen des Registers betrifft und daß überdies Ausdrücke wie “field of discourse”, „Fach“, „Kommunikationsbereich“, „Domäne“, „Sphäre“ etc. keineswegs alle einfach mehr oder weniger dasselbe besagen. Im übrigen wäre zu prüfen, welchen begrifflichen Gewinn die Rede von Fachsprachen als Subsprachen bringt, wenn beides praktisch weitgehend ineins gesetzt wird. Demgegenüber nimmt die Auffassung von Fachsprachen als Gruppensprachen einen ganz spezifischen Aspekt der Fachkommunikation in den Blick, der von einer lexikologisch verengten Fachsprachenforschung lange vernachlässigt wurde: den Aspekt nämlich, daß Fachsprachen uns nicht nur als Objekte in Texten entgegentreten, sondern zugleich Hinweise auf die Subjekte enthalten, die da fachlich sich miteinander zu verständigen suchen. Diese Symptomfunktion der Sprache (Hess-Lüttich 1988) ist in fachlicher Kommunikation entgegen landläufigem Vorurteil ja keineswegs suspendiert. Diesen Aspekt hebt die Registertheorie mit ihrer Dimension des “style of discourse” hervor, die die sozialen Rollen der Subjekte, hier der Experten und ihr Verhältnis zueinander, in den Vordergrund rückt. In diesem subjektbezogenen Sinne kann man das „Fach“ in der Tat (z. B. mit Wichter 1994, 21) als „die Gruppe der Experten“ auffassen oder die Fachsprache als „das sprachliche System der Experten“ (Wichter 1994, 43). „Sprachen als Gruppen-Zeichen“ (Hess-Lüttich 1986a) zu betrachten, legt die Registertheorie insofern nahe, als in ihr die Analyse von Fachsprachen sich nicht mit der Kompilation lexikalischer Listen, dem Aufweis statistischer Verteilungen syntaktischer Bauformen, der Sortierung typischer Wortbildungsmuster und Textbausteine begnügt, sondern Fachkommunikation als dialogischen Prozess sozialer Subjekte exponiert, in deren Kommunikation nicht nur „das Fachliche“ sich niederschlägt, sondern auch die das Fach kennzeichnenden Erfahrungssedimente und Realitätsorientierungen der Experten, deren Kollektivität Fachlichkeit zuallererst begründet.

17. Fachsprachen als Register Fachsprache ist hier im Sinne Hallidays (1978) eine semiotische Organisationsform sozialer Erfahrungen. Die Summe der Erfahrungen verdichtet sich (nach Möhn 1995, 6 f ⫽ Art. 11) zu „Wirklichkeitskonzepten (⫽ Erfahrungsschemata), die in der Sprache objektiviert werden“, und diese ist „intersubjektiv, gruppenkonstituierend und somit für die Gruppenmitglieder in hohem Maße verpflichtend.“ Sie figuriert als Mitgliedschaftsausweis und Identitätsmarkierung ⫺ und wirksame Sanktionen hat nicht selten zu gewärtigen, wer sich darüber hinwegzusetzen glaubt leisten zu dürfen. Wenn Möhn (1995, 11 ⫽ Art. 11), in beinahe sakralem Ton, von der „Initiation der Gruppennovizen“ spricht, so illustriert dies anschaulich die Bedeutung der Balance zwischen „sachorientiertem“ und „gruppentypischem“ Handeln für den, der im Fache sich behaupten können soll und will. Das Verhältnis von Fach- und Gruppensprache hat Peter von Polenz (1981) als das eines Kontinuums beschrieben: Fachsprache im Sinne einer Spezial- und Spezialisten-Sprache sei objektorientiert und als ,Soziolekt‘ zugleich gruppengebunden. Je stärker jedoch die soziolektale Gruppenbindung gegenüber der funktionalen Sachorientierung hervortrete, desto mehr werde die Fachsprache zum Fachjargon, der eher der Signalisierung oder symptomatischen Erkennung der Gruppenzugehörigkeit diene als der Förderung und Effektivierung von Arbeits- und Lernprozessen (von Polenz 1981, 86).

Gerade im Respekt vor diesem sprachkritischen Motiv muß das Interesse moderner Fachsprachenforschung beidem gelten: den erkenntnisleitend-sachorientierten Funktionen ebenso wie den gruppenkonstituierendsoziolektalen Funktionen fachlicher Verständigung (vgl. Bungarten 1981, 43 ff). Die registertheoretische Modellierung erlaubt hier einen gleichsam neutralen Ansatz, da sie mit ihrem einerseits fachbezogenen (“field”) und andererseits sprecherbezogenen (“roˆle”) Interesse beide Perspektiven gleich ernst nimmt, ohne die eine von vornherein als positiv (weil vorgeblich objektiv, sachorientiert) und die andere als negativ (weil subjektiv, gruppenorientiert, womöglich prestige-motiviert) zu werten. Darüber hinaus trägt sie mit ihrem text-, medien- und textsortenbezogenen Interesse (“mode”) zugleich zentral der medialen Differenzierung Rechnung, die unbestreitbar für die Fachkommunikation zunehmend an Bedeutung gewinnen wird (Hess-Lüttich 1986b; 1994; 1995). 2.2. Funktionalstilistik und Registertheorie Wissenschaftshistorisch gesehen sind Funktionalstilistik und Registertheorie zunächst unabhängig voneinander entstandene Parallelentwicklungen, wobei die Querbezüge erst

213 relativ spät explizit zutage treten. Sie sind übrigens nicht nur von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse (Gläser 1995 ⫽ Art. 16), sondern können in texttheoretischer Absicht rekonstruiert und fortentwickelt werden (Hess-Lüttich 1985a; b). So lassen sich funktionalstilistische und registertheoretische Überlegungen unter variationslinguistischen Gesichtspunkten unschwer miteinander verknüpfen ⫺ z. B. Hallidays Varietäten “according to user” und “according to use” mit Jelı´neks „subjektiven“ und „objektiven“ stilbildenden Faktoren: in beiden Fällen läßt sich die sprachliche (textuelle) Variation ableiten entweder aus der Selektion stilistischer Varietäten in bezug auf das Individuum und seine psychischen, sozialen, regionalen, biographischen, kulturellen usw. Dispositionen im Sinne idiolektisch-endogener Straten oder aus der Selektion stilistischer Varietäten in bezug auf konventionelle Gebrauchsschemata und ihre funktionalen, situativen, medialen Bedingungen im Sinne soziolektischexogener Typik. Auch die einzelnen Dimensionen der Registertheorie lassen sich auf einzelne „stilbildende Faktoren“ beziehen, wie sie in der Prager Schule klassifiziert wurden. So haben die Aspekte des Themas, Redegegenstandes, Gesprächsbereiches, Kommunikationssektors systematische Anschlußstellen in der Registerdimension des “field of discourse”. Die Definition der Partnerbeziehungen und der ,Adressfaktoren‘ wird in der Dimension des “style (roˆle) of discourse” berücksichtigt. Dem medialen Faktor phonischer oder graphischer Realisierung des Textes trägt die Dimension des “mode of discourse” Rechnung. Die objektbezogenen Stil-Konstituenten und die subjektbezogenen Stil-Komponenten sind als „stilformende Prozesse“ (Dolezˇel) oder „stilbildende Faktoren“ (Havra´nek) eingebettet in das Spannungsfeld zwischen Sprachnorm als derjenigen Instanz, die die Ausdrucksmittel normiert, also das Inventar der Sprache betrifft, und Stilnorm als derjenigen Instanz, die die Selektion dieser Ausdrucksmittel normiert, also die kommunikative Aktivität in der Sprachverwendung betrifft. Dies entspricht ziemlich genau dem, was Halliday als das System der “extrinsic functions” aus psychologischen (Bühler), ethnographischen (Malinowski) und semiotischen (Morris) Forschungstraditionen kategorial systematisiert und den “intrinsic functions” zur Seite gestellt hat (vgl. Hess-Lüttich 1985a, 160 Abb. 6; 1985b, 180 Abb. 8). Eine modern instrumentierte Diskursforschung (im Sinne von discourse analysis), die sich ihrer (wissenschafts-)historischen Wurzeln und Quellen

214 bewußt bleibt, läßt die dort bereits entwickelten Modelle zur vollen Geltung gelangen in der Anwendung auf Forschungssektoren der Fachkommunikation, aber auch der institutionellen, interkulturellen, öffentlichen und, nicht zuletzt, ästhetischen Kommunikation.

2.3. Fach-Register Der Ausdruck „Fach-Register“ soll keineswegs eine Identität von Fachsprache und Register suggerieren, die es nach Gläser (1993, 577) nicht geben könne (wenn sie auch im darauffolgenden Satz in den englischen Äquivalenten „eine bestimmte Ähnlichkeit zwischen register und language for special/specific purposes” konzediert), sondern als Instrument dienen zur besseren Erschließung der inneren Differenzierung von Fachsprachen. Gerade weil das Konzept funktionale, soziale und mediale Komponenten in sich vereint, trägt es den vielfach facettierten Bedingungen fachlicher Verständigung systematisch Rechnung. In der disziplinsystematisch-funktionalen Dimension des Fach-Registers kann die thematische Staffelung fachlich geprägten Diskurses differenziert beschrieben werden im Hinblick auf das in Rede stehende Fach (z. B. Medizin, Jurisprudenz), die Teildisziplin (z.B. Innere Medizin, Strafrecht), den Redegegenstand (z. B. Zuckerkrankheit, Aussage im Strafprozeß) je nach Funktion und Situation („Sie haben Zucker“ oder „Laborbefund: Diabetes mellitus“, „Ich weise Sie darauf hin, daß Sie nach § 243 Abs. 4 StPO das Recht zur Verweigerung der Aussage haben“ oder „Sie brauchen dazu jetzt nichts zu sagen“). Dies trägt zugleich dem in der Praxis ja keineswegs seltenen Problem der Abgrenzung zwischen genuin fachlicher und noch nicht oder nicht mehr fachlicher Redeweise Rechnung, da Sprachgebrauch sich nun einmal nicht immer so übersichtlich in distinkte Klassen von Varietäten sortieren läßt, wie Linguisten dies gerne hätten. Mit der medial-typologischen Dimension des Fach-Registers sind die eminent wichtigen Probleme der Fachtextsorten (Kalverkämper 1982; Hoffmann 1988) ebenso exponiert wie die des Mediums, des Medienwechsels, der Intermedialität, der Multimedialität (Hess-Lüttich 1987). Natürlich lassen sich bei konstant oder invariabel gehaltenem Thema große Unterschiede der Textstruktur und Stilelemente beschreiben, wenn ein Experte seinen Gegenstand in einem Aufsatz, Vortrag, Podiumsgespräch, Fernsehmagazin,

II. Der Status der Fachsprachen

Presseinterview, Brief oder Internet abhandelt (s. o.). Die Entwicklungen im Bereich Multimedia oder Hypermedia (Hess-Lüttich 1994; 1995; Sager 1995) mit ihren mehrfach codierten Textstrukturen erfordern nachdrücklich die semiotische Erweiterung des Beschreibungsinstrumentariums der Fachsprachenlinguistik, weil die Sprache nun einmal von diesen medialen Bedingungen ihrer Übermittlung und Manifestationsform nicht unberührt bleibt. Die sozial-konstellative Dimension des Registers schließlich erlaubt den systematischen Einbezug der Kategorie des Kommunikationsverhältnisses (Hess-Lüttich 1981) als der verallgemeinerten Rollenkomplementarität der an der Fachkommunikation beteiligten Subjekte. Je nach Adressaten-Konstellation nimmt etwa der wissenschaftliche Experte unterschiedliche Rollen ein, wenn er sein Thema (schriftlich, mündlich, technisch vermittelt) behandelt: als Lehrer, Kollege, Forscher, Gutachter, Konkurrent, Schüler, Organisator, Gremienmitglied, Kongreßpräsident, Prüfer, Interviewpartner, Mutter usw. Auch der Maurerpolier bespricht ein technisches Problem mit dem Bauingenieur anders als mit dem Lehrling. Der Geologe äußert sich zu einem Thema im Gutachter-Hearing der Auftraggeber anders (stilistisch wohlgemerkt, nicht im Ergebnis, hoffentlich) als „im Felde“ gegenüber studentischen Teilnehmern seiner Exkursion oder ausländischen Besuchern seines Labors. Selbst- und Fremdbild werden in der Rede mitvermittelt ⫺ und das mag sich ändern in der Biographie eines Lebens: wer schreibt seine Alters-Summa zur Situation des Faches in souveränem Re´sume´ noch so wie seinen ersten Aufmerksamkeit heischenden Aufsatz oder im angestrengten Stil seiner frühen Qualifikationsschriften? In je gegebener Situation entspannt sich das triadische Konzept des Fach-Registers zwischen den Polen des Faches mit seiner (horizontalen?) Tiefenstaffelung, des Mediums in seiner semiotisch materialen Komplexität und typologischen Klassifikationshierarchie und des Kommunikationsverhältnisses, dessen potentielle (nur vertikale?) Definitionspluralität sich subtil sedimentiert im sprachlichen Ausdruck ⫺ dem alten Topos gemäß (in der Fassung Ben Jonsons etwa: “Speake that I may see thee”). Jeder Versuch einer schematischen Darstellung dieses komplexen Zusammenhangs enthüllt die Grobheit seiner linearen Vereinfachung ⫺ in krudester Konsequenz (Abb. 1):

215

17. Fachsprachen als Register Disziplin

Medien

Fach-Register

Kommunikationsverhältnis

Abb. 17.1: Triadisches Konzept des Fach-Registers

Es ist nicht zu bestreiten, daß der (linguistische) Begriff des Registers in den letzten vierzig Jahren seines Gebrauches im Fache in der vielfältigsten Weise variiert wurde, was seine Konturen ein wenig hat verschwimmen lassen ⫺ die von Gläser (1993) fleißig kompilierten Beispiele geben ein eindrucksvolles Zeugnis vom erreichten Stande der terminologischen Stringenz in der Linguisten-Zunft ⫺, aber das muß ja nicht auf immer und ewig so bleiben, es sei denn, man folgte der Empfehlung (s. o.), künftig überhaupt auf ihn zu verzichten. 2.4. Das „unpassende“ Register: Dissonanz, Transferenz, Parodie Das passende Register zu ziehen, dazu bedarf es der Feinabstimmung seiner Dimensionen, was einige Fertigkeit im Gebrauch der Sprache voraussetzt. Keine ganz neue Einsicht, wie die Tradition des aptum-Postulats seit den Rhetorikern der Antike zeigt. In der Regel geschieht das intuitiv: der Pfarrer findet den richtigen Ton in der Gemeinde, der Forscher vermeidet beim Party-Gespräch pedantische Referate seiner Werkstattergebnisse, der Politiker verdeutlicht dem Wähler die Probleme dieser Welt und daß er sie im Griffe hat, der Sozialarbeiter vergißt beim “streetworking” das Soziologendeutsch seiner Ausbildung, der Professor wird von seinen Studenten sowieso immer verstanden. Und doch lehrt die Erfahrung, daß es gelegentlich Ausnahmen von der Regel gibt. Aus der Kontrastiven Linguistik, der Interkulturellen Germanistik und der Fremdsprachendidaktik wissen wir, daß die Wahl eines „unpassenden“ Registers zu den häufigsten Ursachen kommunikativer Irritationen (auch handfester Mißverständisse) zählt zwischen den Angehörigen verschiedener Sprach- und Kulturgemeinschaften. „Fehler“ werden den „Lernern“ (Ausländern, „Anderen“, Fremden usw.) im phonemisch-prosodischen oder morpho-syntaktischen Bereich viel eher nachgesehen als im stilistischen Be-

reich etwa der Wahl des Registers, ohne daß dies den Beteiligten immer bewußt sein muß. Solche Mißgriffe, die gelegentlich auch unter dem Stichwort Xenismen beschrieben werden, also sprachliche Indikatoren der Fremdheit in einer Sprachgemeinschaft (Ehlich 1986), sind jedoch keineswegs auf Situationen beschränkt, in denen sich Angehörige verschiedener Kulturen begegnen. Dieselbe Fremdheit im kommunikativen Gebaren tritt nämlich häufig auch zwischen Menschen zutage, die sich innerhalb einer Sprachgemeinschaft unterschiedlichen Subkulturen zurechnen. Ihr Ausdruck ist nicht selten die Wahl eines nicht als angemessen empfundenen Registers. Der Bereich der Fachkommunikation bietet dafür eine Fülle von Beispielen ⫺ etwa wenn Experten aus verschiedenen Disziplinen einander begegnen und dabei in ihren jeweiligen Begrifflichkeiten, Denkschulen, Weltsichten befangen bleiben; oder wenn Laien von Fachleuten Auskunft begehren über Ergebnisse ihrer Arbeit und beide Seiten dabei auf „Übersetzungsprobleme“ stoßen; oder wenn wissenschaftliche Erkenntnisse „mediengerecht aufbereitet“ werden und dabei die Urheber sich darin nicht wiederzuerkennen vermögen oder die Adressaten sich überfordert (oder nicht ernstgenommen) fühlen; oder wenn Patienten und Klienten Rat suchen von Medizinern und Juristen, die kompetent in der Sache sich äußern und den Verstehenshorizont der Ratsuchenden dabei aus dem Blick verlieren; oder wenn die Konsumenten von Pharmaprodukten und die Besitzer von Haushaltsgeräten oder Personalcomputern ratlos über Beipackzetteln, Bedienungsanleitungen, Benutzerhandbüchern brüten; oder wenn Spezialisten ihren für Fachkollegen formulierten Vortrag noch einmal vor einem gähnenden Laienpublikum halten; oder wenn fachliche Informationen beim Wechsel des Mediums ihrer Präsentation verzerrt werden oder gar verloren gehen. Die Fähigkeit zur Wahl des passenden Registers will gelernt sein. Jeder Deutschlehrer weiß ein Lied davon zu singen, wie Schüler in ihren Aufsätzen über erhabene Themen und hohe Literatur das angemessene Register ihres Kommentars kurios verfehlen; mancher Handbuch-Herausgeber sieht sich mit Beiträgen konfrontiert, die seinem Verständnis der Textsorte nicht entsprechen; für Werbetexter kann das Verfehlen des richtigen, d. h. kommunikativ (und damit auch kommerziell) wirksamen Registers geradezu existentielle Folgen zeitigen. Umgekehrt können sie zuweilen gerade durch die

216

II. Der Status der Fachsprachen

Verletzung eingeschliffener Erwartungen und Vertextungsmaximen erst den eigentlichen Erfolg erzielen; ganze Gattungen zogen aus diesem Verfahren der Wahl des „unpassenden“ Registers Stoff und Wirkung. In Literatur und Medien ist es ein beliebtes Stilmittel zur Erzeugung komischer Effekte. Die Stilfigur des Malapropismus (nach Richard Brinsley Sheridans Drama Mrs. Malaprop) beruht auf demselben Prinzip: Verfehlung der Stilebene, genus gravis in seichter Situation und leichter Thematik. Frau Stöhrs Fischsoßenerläuterungen in Thomas Manns Zauberberg oder Käfersteins Erklärung „gesellschaftspsychologischer Zwischenfälle“ in Gerhart Hauptmanns Ratten, umgekehrt die entlarvenden Mittel der Bauer, Bernhard und Turrini im „neuen deutschen Volksstück“ (Hassel/ Herzmann 1992): der „hohe Ton“ bei trivialem Sachverhalt, der Griff in die untere Sprach-Schublade bei ernsten Problemen ⫺ stets hat die Verletzung des aptum-Postulats, die komische Diskrepanz zwischen Stilebene und Referenzebene zugleich erkenntnisaufschließende Funktion. Die komische oder satirische Wirkung resultiert aus bewußten und gezielt gesetzten „Abstimmungsfehlern“ in einer der Dimensionen des Registers, etwa wenn das christliche Weihnachtsfest Gegenstand einer Glosse im Register eines medizinischen Bulletins aus dem Bereich der Krebsforschung ist (Hess-Lüttich 1974), oder wenn die Bibel als Musical („Das Leben des Brian“) oder Einsteins Relativitätstheorie als Comic-Strip präsentiert werden.

3.

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17. Fachsprachen als Register

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Ernest W. B. Hess-Lüttich, Bern

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18. Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen

18. Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen 1. 2. 3. 4.

Vorüberlegungen zu den Begriffen Statusspezifizierung in unterschiedlichen Zusammenhängen Die Statusvielfalt der Fachsprachen Literatur (in Auswahl)

1.

Vorüberlegungen zu den Begriffen

1.1. Zum Begriff ,Status‘ Der Begriff ,Status‘ (engl. status, frz. statut) beinhaltet stets die Einordnung in eine übergreifende Gesamtheit (vgl. Ammon 1989, 22⫺47). Explizit ist also immer zu formulieren: „x hat den Status y in z“. Dabei repräsentiert x die Variable für den Gegenstand, dem ein bestimmter Status zugeschrieben werden soll, y die Variable für den betreffenden Status und z die Gesamtheit, innerhalb welcher sich der betreffende Status konstituiert. In anderer Sichtweise ist für x der Name eines Elementes einzusetzen, für y der Name der Position dieses Elementes und für z der Name für die Menge der Elemente, innerhalb der die betreffende Position besteht. Statusangaben welcher Art auch immer sind selten explizit. Vielfach sind verkürzte Formulierungen gängiger und auch eleganter. Vor allem tritt häufig „… ist y …“ an die Stelle von „… hat den Status y …“. Die Einordnung in die übergreifende Gesamtheit unterbleibt oft gänzlich oder ist in der Statusangabe selber so fest impliziert, daß ihre ausdrückliche Formulierung überflüssig erscheint und das normale Sprachgefühl geradezu stört. Beispiele: „Fachsprache a (Wert für x) ist Kommunikationsmittel von Experten (Wert für y) [im Rahmen von Gesellschaft A (die selbstverständlich Experten und Nicht-Experten enthält (Wert für z)].“ Oder „Fachsprache b (Wert für x) ist Subsprache c (Wert für y) [im Rahmen von Sprache B (die selbstverständlich verschiedene Subsprachen enthält) (Wert für z)].“ Die Angaben in eckigen Klammern wirken fast redundant, verdeutlichen jedoch was tatsächlich gemeint ist. Nur nebenbei sei darauf hingewiesen, daß Statusangaben wie Subsprache rein formal und inhaltsleer sind und im Grunde Variablen benennen, für die erst noch ein inhaltlich bestimmter Wert einzusetzen wäre (welche Subsprache?). Innerhalb dieser allgemeinen Form des Begriffs Status lassen sich zwei grundverschiedene Unterbegriffe, bzw. genauer: Unterformen von Begriffen, auseinanderhalten, die

beide bei Definitions- oder Beschreibungsversuchen von Fachsprachen eine Rolle spielen. (1) Die ungeordnete, rein qualitative Einfügung in eine übergreifende Gesamtheit. ⫺ Mathematisch entspricht dieser Sicht die Projektion auf eine sogenannte Nominalskala ⫺ eine Spezifizierung, die insbesondere für statistische Zwecke wichtig sein kann. Diese Begriffsform liegt z. B. in der Regel vor, wenn eine Fachsprache als Subsprache oder als Gruppensprache aufgefaßt wird. Sie wird dann als Element oder Teilmenge einer ⫺ als Menge verstandenen ⫺ Gesamtsprache (Wert für z) gesehen bzw. als Bestandteil einer oder mehrerer sozialer Gruppen innerhalb einer ⫺ wiederum als Menge verstandenen ⫺ Gesamtgesellschaft (Wert für z), ohne daß die in diesen Mengen enthaltenen Elemente (Subsprachen bzw. Sozialgruppen) irgendwie geordnet sind. Es genügt, wenn sie rein qualitativ bestimmt und voneinander unterschieden sind. In solchen Fällen läßt sich der Terminus Status ziemlich problemlos durch die Ausdrücke Position oder auch Stellung ersetzen, die hier synonym mit ihm sind (Teilsynonymität). (2) Die Einfügung in eine geordnete Reihe von Einheiten innerhalb der gewählten Gesamtheit. ⫺ Dieser Sicht entspricht mathematisch die Projektion auf eine Ordinal- oder Rangskala; sie kann unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Intervallskala weiterentwickelt werden, und zwar entweder zu einer relativen oder zu einer absoluten Intervallskala (letzteres ⫽ metrische Skala, Verhältnisskala). Eine solche Rangordnung läßt sich beispielsweise herstellen, wenn eine klare Unterscheidung von oben und unten möglich ist. Sie ist insbesondere vorausgesetzt bei dem auf die Sozialschichtung bezogenen Begriff des ,sozialen Status‘. Auf diesen oder einen ähnlichen soziologischen Begriff wird bisweilen angespielt, wenn die Rede ist vom Status von Fachsprachen. Dies ist z. B. der Fall bei der Spezifizierung von Fachsprachen als Expertensprachen. Diese Spezifizierung impliziert ⫺ aufgrund des soziologischen Status von Experten ⫺ auch für Fachsprachen einen soziologisch höheren Status als für NichtFachsprachen (Gemeinsprachen). Auch der Bezug auf sprachlichen Ausbau im Sinne von Kloss (z. B. 1978, 37⫺63), der sich häufig im Zusammenhang mit Fachsprachen findet, impliziert eine Rangordnung, nach der Fach-

220 sprache höher rangiert als Gemeinsprache. Darüber hinaus lassen sich sowohl in der Dimension Laie⫺Experte als auch in der Dimension Nichtausbau⫺Ausbau Fachsprachen verschiedener Art in eine Rangordnung bringen. Allein schon aufgrund dieser verschiedenen Begriffsformen, auf die sich der Ausdruck Status bezieht, läßt sich der Status von Fachsprachen unterschiedlich bestimmen. Die Divergenzen vervielfachen sich durch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Belegung unserer Variablen y und z. So ist etwa der Status ein und derselben Fachsprache (gleiche Belegung der Variablen x) anders je nach Spezifizierung als eine bestimmte Expertensprache, als eine bestimmte Varietät oder ein bestimmtes Register (unterschiedliche Belegungen von y). Sie ist weiterhin jeweils anders je nach Einordnung in Teilsprachen oder in eine Gesamtsprache, mit dementsprechend einfacherer bzw. komplexerer Architektur, und anders je nach Einordnung in Teilgesellschaften oder in Gesamtgesellschaften, mit jeweils unterschiedlich komplexer Struktur (verschiedene Belegungen von z). Die Divergenzen dieser verschiedenen Statusarten sind bisweilen so groß, daß man an der Zweckmäßigkeit der Bezeichnung mittels ein und desselben Ausdrucks (Status) zweifeln könnte. Die Zweckmäßigkeit besteht jedoch unter anderem, und vielleicht sogar in erster Linie, darin, daß man eine fundamentale Abgrenzung vollziehen kann, nämlich die gegenüber der Struktur der Fachsprachen im spezifisch linguistischen Sinn, mit all den damit zusammenhängenden Fragen. Unter den Begriff ,Status (einer Sprache)‘ lassen sich demgegenüber gerade all diejenigen Fragen subsumieren, die nicht unter den Begriff ,Struktur (einer Sprache)‘ fallen. In diesem Sinne hat Kloss (1969) Status und Korpus (letzteres synonym mit Struktur) von Sprachen unterschieden. Diese Unterscheidung hat sich insbesondere in der Sprachplanung als zweckmäßig erwiesen (Status-/ Korpusplanung) ⫺ trotz aller Einwände, gerade auch der Kritik an der Komplexität und Heterogenität der zugrundeliegenden Begriffe. Die Verbindung recht unterschiedlicher Phänomene in einem einzigen Begriff ist nicht bloße Folge undisziplinierten Sprachgebrauchs, sondern entspricht dem berechtigten Bedürfnis, die in irgendeiner Weise auf die Gesellschaft bezogenen, also soziolinguistischen Charakterisierungen von Sprachen in toto von ihrer rein linguistischen Spezifizierung

II. Der Status der Fachsprachen

abzusetzen. Diesem Zweck dient ihre einheitliche Bezeichnung mit dem Ausdruck Status. Verwandt mit dem Status-Begriff ist der Begriff der ,Funktion (einer Sprache)‘ (vgl. Ammon 1989, 22⫺28, auch die Beiträge in Ammon (ed.) 1989). Er erscheint bisweilen in Opposition zu ,Status‘ (als Ausdruck: antonymisch) und bisweilen als Unterbegriff (hyponymisch). In der erstgenannten Verwendung schränkt er den Statusbegriff ein auf etwas Statisches (Art der Stellung einer Sprache) und umfaßt selber die dynamischen Aspekte (Art der Verwendung einer Sprache). So kann z. B. dem (juristischen) Status einer offiziellen Sprache oder einer Konferenzsprache ihre (faktische) Funktion (Verwendung) als offizielle Sprache bzw. Konferenzsprache gegenübergestellt werden. Solche Unterscheidungen können auch in bezug auf Fachsprachen relevant sein. Sie lassen sich jedoch unter einen Oberbegriff von ,Status (im weiteren Sinn)‘ subsumieren. Erforderlichenfalls kann der zu ,Funktion‘ in Opposition stehende Begriff als Status im engeren Sinn spezifiziert werden. ⫺ Ein ganz anderer Begriff von ,Funktion‘ liegt vor im Falle von Funktionalerklärungen, die vor allem in der Biologie und Soziologie eine Rolle spielen (Stegmüller 1969). Dabei wird ,Funktion‘ als Wirkung verstanden, spezieller als systemerhaltende Wirkung von Elementen eines übergreifenden Systems. Solche Funktionen werden z. B. den einzelnen Organen im Hinblick auf den ganzen Organismus oder gewissen Rechtssystemen, Riten und Bräuchen im Hinblick auf die betreffenden Gesellschaften zugeschrieben. Auch Fachsprachen könnte man u. U. solche Funktionen zusprechen hinsichtlich der Gruppen oder Gesellschaften, in denen sie gebraucht werden. Allerdings sind Funktionalerklärungen wissenschaftstheoretisch umstritten. In der Kritik an ihnen ist vor allem immer wieder auf die Gefahr der Zirkularität hingewiesen worden. Unabhängig davon würde diese Thematik jedoch ohnehin über den Rahmen des vorliegenden Artikels hinausführen. 1.2. Einzelsprachlichkeit und Übereinzelsprachlichkeit, Kollektivbegriff und Individualbegriff Unabhängig von der in 1. begründeten Begriffsvielfalt sei ausdrücklich noch auf zwei weitere gängige Differenzierungen des Begriffs ,Fachsprache‘ hingewiesen, die sich ähnlich auch bei anderen statusbezogenen sprachwissenschaftlichen Begriffen finden,

18. Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen

z. B. bei ,Standardsprache‘. Auch sie sind für Statuserwägungen bisweilen bedeutsam. (1) Zum einen kann von Fachsprache die Rede sein entweder (1 a) einzelsprachübergreifend (z. B. Fachsprache gegenüber Gemeinsprache ⫺ unabhängig von einer bestimmten Einzelsprache) oder (1 b) innerhalb einer Einzelsprache (z. B. Fachsprache im Rahmen der deutschen Sprache/Fachdeutsch). (2) Zum andern kann (2 a) Fachsprache als Kollektivbegriff gebraucht werden (wie soeben in den Klammerangaben) oder (2 b) als Individualbegriff, indem ⫺ vor allem in Entsprechung zu verschiedenen Fächern mehrere Fachsprachen unterschieden werden (der Landwirtschaft, Medizin, Chemie usw.). (1 a) und (1 b) sind mit (2 a) und (2 b) frei kombinierbar, woraus vier verschiedene Begriffe entstehen. Beispiele: Für (1 a \ 2 a): Fachsprache ⫺ im Gegensatz zur Gemeinsprache ganz allgemein, für (1 a \ 2 b): Fachsprache der Medizin ⫺ im Gegensatz z. B. zur Fachsprache der Physik, für (1 b \ 2 a): deutsche Fachsprache ⫺ im Gegensatz zur deutschen Gemeinsprache oder z. B. zur französischen Fachsprache, für (1 b \ 2 b): Fachsprache der Medizin im Deutschen ⫺ im Gegensatz z. B. zur Fachsprache der Physik im Deutschen oder zur Fachsprache der Medizin im Französischen. Bei der Erörterung von Statusfragen ist es bisweilen erforderlich, diese Begriffe auseinanderzuhalten. ⫺ Hinzu kommen an weiteren gelegentlich wichtigen Differenzierungen die in der Linguistik gängigen Unterscheidungen in der Tradition der Begriffe ,langue‘ und ,parole‘. ⫺ Nachfolgend kann auf diese verschiedenen Differenzierungsmöglichkeiten aus Platzgründen nicht immer hingewiesen werden; sie sind jedoch stets mit zu bedenken. 1.3. Einschluß oder Ausschluß der Gemeinsprache sowie Fachbezug Umfang und Inhalt des Begriffs Fachsprache divergieren auch erheblich, je nachdem der Begriff einschließlich oder ausschließlich der Gemeinsprache konzipiert ist (vgl. Art. 12). Dieser Unterschied kann auch den Status von Fachsprachen tangieren. Bei Ausschluß der Gemeinsprache reduzieren sich Fachsprachen weitgehend auf ein Terminologiearsenal, bilden also kein vollständiges Sprachsystem mehr. Außerdem stellt sich dann das Problem der Abgrenzung von der Gemeinsprache, das auch dann erhalten bleibt, wenn beide als interferent gesehen werden, also mit einer dazwischenliegenden nichtleeren Schnittmenge

221 sowohl fach- als auch gemeinsprachlicher Elemente, denn diese Elemente müssen ja dann wiederum von den rein gemeinsprachlichen und rein fachsprachlichen abgegrenzt werden. Die Probleme, die bei dieser Abgrenzung auftreten, sind erheblich, wenn man nicht einfach bereits getroffenen Entscheidungen folgen will, z. B. denen irgendwelcher Wörterbuchmacher. Dies erhellt etwa daraus, daß gängige Definitionen von ,Gemeinsprache‘, wie etwa unter Rückgriff auf Bekanntheit in der ganzen Sprachgemeinschaft (alle normalen erwachsenen Mitglieder), unbrauchbar sind. Wären z. B. die Wörter der Gemeinsprache wirklich der ganzen Sprachgemeinschaft bekannt, so wären einsprachige Wörterbücher der Gemeinsprache, von denen es ja bekanntlich viele gibt, überflüssig. Die Gemeinsprache ist demnach schon vom Ansatz her ein schwierigeres begriffliches Konstrukt als solche Definitionen ahnen lassen, unabhängig davon, daß sie bei Konkretisierungen oder Operationalisierungen des Begriffs, etwa für Wörterbücher, im Detail recht unterschiedlich abgegrenzt wird. Für viele Zwecke liegt die Einbeziehung der Gemeinsprache in den Begriff Fachsprache nahe, vor allem bei ihrer Erforschung aufgrund von Fachtexten. Dadurch entsteht jedoch das Problem der Ausgrenzung aus der Obermenge der Gesamtsprache, die nicht mehr sinnvoll zur Gänze in den Begriff Fachsprache einbezogen werden kann (Hoffmann 1976, 57⫺194). Es lassen sich nämlich leicht Sprachformen finden, etwa aus Bereichen wie der Fäkalsprache, der poetischen Sprache usw., die in fachlicher Kommunikation keine oder zumindest so gut wie keine Rolle spielen. Auch diese Ausgrenzung kann hier nicht geleistet werden. Sie wird für das Folgende als möglich vorausgesetzt. ⫺ Ansonsten wird meist aus dem Kontext deutlich, ob der engere oder der weitere Begriff von Fachsprache, also unter Ausschluß oder Einschluß der Gemeinsprache, gemeint ist, oder wird dies verdeutlicht. Schließlich ist Fachsprache zwar nur in bezug auf Fächer bzw. ein einzelnes Fach definierbar (vgl. Art. 15). Es ist jedoch klar, daß der Fachbezug für sich genommen kein hinreichendes Kriterium für Fachsprache darstellt. Man kann auch nicht-fachsprachlich über ein Fachgebiet sprechen. Schon aus diesem Grund ist der Begriff der Gemeinsprache als Gegenbegriff zum engeren Begriff von Fachsprache unverzichtbar. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die explizite

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II. Der Status der Fachsprachen

Definition des Begriffs Gemeinsprache, ebenso wie die des Begriffs Fachsprache, und erst recht deren valide und reliable Operationalisierungen, erhebliche wissenschaftliche Herausforderungen darstellen.

2.

Statusspezifizierung in unterschiedlichen Zusammenhängen

2.1. Ausbausprache und Wissenschaftssprache Die unter anderem von Kloss (z. B. 1978, 37⫺63) vorgeschlagene und in erster Linie mit seinem Namen verbundene Dimension des Ausbaus von Sprachen bietet eine von verschiedenen Möglichkeiten, Fachsprache oder Fachsprachen nach ihrem Status zu spezifizieren. Allerdings muß man sich dabei vor Terminologie- und Begriffsverwirrung hüten. Diese Gefahr besteht vor allem im Zusammenhang mit der Differenzierung in Korpusund Statusausbau, die sich einerseits auf die linguistische Struktur und andererseits auf die Stellung und Verwendung der Sprache in der Gesellschaft beziehen. In ähnlichem Sinn wie Ausbau wird gelegentlich auch von Kultivierung einer Sprache gesprochen, wobei ebenfalls eine strukturelle und eine gesellschaftliche Seite unterschieden werden können. Dagegen bezieht sich der in diesem Zusammenhang ebenfalls gängige Ausdruck Modernisierung zumeist spezieller nur auf den Korpusausbau. Verwirrung kann nun der Umstand stiften, daß auch in bezug auf Modernisierung, oder sogar ausdrücklich in bezug auf den Korpusausbau, von Statusunterschieden zwischen Fach- und Gemeinsprache oder zwischen verschiedenen Fachsprachen gesprochen werden kann. Dabei wird ein ganz allgemeiner, umfassender Statusbegriff zugrundegelegt, der aber immerhin die Form mindestens einer Rangordnung hat. Die Anwendung eines weitgefaßten Statusbegriffs auch auf die Korpusseite von Sprache wird dadurch gefördert, daß bei Kloss Status- und Korpusausbau fast wie zwei Seiten ein- und derselben Medaille erscheinen, eine Vorstellung, die in der Kloss-Rezeption verfestigt wurde durch den häufigen Hinweis, der Ausbau erfolge auf beiden Ebenen notwendigerweise Hand in Hand. In Wirklichkeit sind jedoch Diskrepanzen möglich, die man in der Sprachplanung zu vermeiden versucht. Die Detaildiskussion beschränkt sich bei Kloss so gut wie vollständig auf den Statusausbau im soziolinguistischen Sinn; seine

Ausführungen zum Korpusausbau bleiben auf dem Niveau von Andeutungen. Als wesentliches Kriterium für eine „Ausbausprache“ sieht er die Existenz von „Sachprosa“ ⫺ im Gegensatz zur belletristischen Prosa oder zur sonstigen belletristischen Literatur. Die Textsorte ist dabei wohl als Indikator zu werten für einen Komplex von Eigenschaften, und zwar sowohl Eigenschaften der zugrundeliegenden Sprache, die z. B. über den für die betreffende Textsorte erforderlichen Wortschatz verfügen muß, als auch Merkmale der Stellung dieser Sprache in der jeweiligen Gesellschaft, die diese Sprache eben für solche Textsorten verwendet. Eine Ausbausprache ist, nebenbei bemerkt, nach Kloss’ Auffassung dadurch ausgezeichnet, daß sie ihren Status als selbständige Sprache nicht schon durch eine ausreichende linguistische Distanz („Abstand“) von allen anderen Sprachen gewinnt wie eine „Abstandsprache“, sondern dazu eben des Ausbaus bedarf (vgl. Kloss 1978, 23⫺30; Ammon 1995, 1⫺11). Einschlägig für unser Thema ist nun der Umstand, daß für Kloss die „Fachprosa“ eine Teilmenge der Sachprosa darstellt. Er unterteilt die Sachprosa einschließlich der Fachprosa in einer Art und Weise weiter, die ihm für Ausbaugrade von Sprachen und für die Sprachplanung relevant erscheint. Allerdings versucht er dabei nicht, eine scharfe Grenze zwischen Fachprosa und sonstiger Sachprosa zu ziehen; klar ist nur, daß am einen Extrem reine Fachprosa und am andern Extrem nichtfachliche Sachprosa stehen. Im Hinblick auf diese Unterteilung unterscheidet er einerseits drei „Anwendungsbereiche“, die man auch Sach- oder Themenbereiche nennen könnte. Diese unterteilt er andererseits jeweils in drei „Entfaltungsstufen“, die man ⫺ wenngleich vielleicht nicht gänzlich treffend ⫺ auch Bildungsstufen nennen könnte (z. B. Kloss 1978, 46⫺55). Dadurch entstehen die in Tab. 18.1 dargestellten Kombinationsmöglichkeiten. Das Schema ist dabei folgendermaßen als Grundlage einer Rangordnung zu verstehen: Die Ausbaugrade nehmen sowohl mit den Themenbereichen von links nach rechts (a bis c) als auch mit den Bildungsstufen von oben nach unten (1 bis 3) zu. Bei der Anwendung des Schemas treten allerdings eine Reihe von Schwierigkeiten auf, von denen hier nur die wichtigsten angedeutet werden können. Ein Problem besteht z. B. darin, daß die angegebenen Bildungsstufen einerseits von einer Gesellschaft zur andern variieren können, ande-

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18. Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen

Themenbereiche Bildungsstufen

auf die eigene Gruppe bezogen

über die eigene Gruppe hinaus reichend, aber kulturwissenschaftlich

naturwissenschaftlich, technologisch

„Volksschule“

1a

1b

1c

Höhere Schule

2a

2b

2c

Hochschule

3a

3b

3c

Tab. 18.1: Ausbaustufen nach Kloss

rerseits aber auf ihrer Grundlage übergreifende Sprachvergleiche durchgeführt werden sollen. Diese Schwierigkeit wäre nur behebbar durch Konstruktion allgemeiner Begriffe, die zumindest zu jeweils ein und demselben Zeitpunkt universell anwendbar wären. Unklar ist auch, ob die Themenbereiche und Bildungsstufen jeweils mit gleichem Gewicht zu den Ausbaustufen beitragen. Wenn man davon ausgeht ⫺ und nichts in Kloss’ Ausführungen spricht gegen diese Annahme ⫺, dann ergeben sich insgesamt die folgenden fünf Ausbaustufen: (I) 1 a, (II) 1 b ⫽ 2 a, (III) 1 c ⫽ 2 b ⫽ 3 a, (IV) 2 c ⫽ 3 b, (V) 3 c. Es wäre also in der Anordnung von Tab. 18.1 voranzuschreiten von links oben nach rechts unten, wobei jeweils alle auf einer Diagonalen liegenden Fälle gleichrangig wären und alle Diagonalen parallel liegen müßten. Unter der Voraussetzung, daß dieses Verständnis von Kloss’ Ansatz haltbar ist und die vorhandenen Probleme lösbar sind, gelangt man auf dieser Grundlage zu folgenden Differenzierungen nach dem Ausbaustatus: (i) zwischen verschiedenen fachsprachlichen Schichten innerhalb einzelner Fächer (gemäß den unterschiedlichen Bildungsniveaus), (ii) zwischen den Fachsprachen verschiedener Fächer (gemäß den unterschiedlichen Themenbereichen), (iii) zwischen verschiedenen Sprachen nach Maßgabe der jeweils enthaltenen Fachsprachen. Diese Differenzierungen führen zu fachsprachbezogenen Statusunterschieden. Dabei ist die Differenzierung nach (i) verwandt mit manchen in der Fachsprachenforschung gängigen Einteilungen, z. B. solchen, die aus der Stilistik stammen: „praktischer Sachstil“ gegenüber „theoretischem, wissenschaftlichem Fachstil“ oder „Lexikonstil“ gegenüber „belehrendem Stil“ und „Forscherstil“ (vgl. Fluck 1991, 17⫺23). Die Differenzierungen nach (ii) und (iii) sind dagegen spezifisch für die Ausbaudimension.

Bei aller Unklarheit im einzelnen ist dieser Ansatz durchaus ernstzunehmen; er ist nämlich, zumindest in Grundzügen, empirisch begründet. Er basiert sowohl auf synchronen als auch auf diachronen Beobachtungen. Bezogen auf die Gegenwart läßt sich z. B. synchron feststellen, daß es nur in verhältnismäßig wenigen Sprachen wissenschaftliche Fachliteratur gibt, naturwissenschaftliche in noch wenigeren als kulturwissenschaftliche. Naturwissenschaftliche Forschungsliteratur (Ausbaustufe V ⫽ 3 c) ist auf besonders wenige Sprachen beschränkt. So registriert z. B. das weltweit repräsentativste Referatenorgan für die Chemie, die Chemical Abstracts, für das Jahr 1980 Forschungsliteratur in diesem Fach für nur 46 von den insgesamt rund 5000 Sprachen der Erde (Ammon 1991, 218). Diachronisch kann man beobachten, daß die entsprechende wissenschaftliche Literatur in manchen Sprachen erst nach und nach entstanden ist und daß dies ungefähr in der durch Tab. 18.1 dargestellten Reihenfolge geschah. 2.2. Subsprache oder Varietät Fachsprachen sind „Sprachen in den Sprachen“ (Rossipal 1973). Allerdings sind sie dies nur, wenn sie als einzelsprachspezifisch verstanden werden (vgl. 1.2. oben). Man kann sie dann auch Subsprachen nennen. Damit ist zugleich ausgedrückt, daß es sich um vollständige Systeme und nicht nur um Terminologiearsenale handelt. Die ganzen Sprachen wie das Deutsche, Französische usw. insgesamt können dann als Diasysteme (Weinreich 1954) aufgefaßt werden. Streng strukturalistisch sind solche Diasysteme allerdings keine wirklichen Systeme mehr, sondern Mengen davon. Ihre Elemente, die wirkliche Sprachsysteme bilden, sind nach außerstrukturalistischen Kriterien zu solchen Mengen (Diasystemen) zusammengefaßt,

224 z. B. nach substantiellen oder formalen Kriterien der Ähnlichkeit oder auch nach ihrem Zusammenvorkommen bei denselben Sprechern. Seit einiger Zeit ist es ⫺ vermutlich unter angelsächsischem Einfluß ⫺ gängig geworden, anstatt von Subsprachen von Varietäten (von Sprachen) oder (sprachlichen) Varietäten zu sprechen (Nabrings 1981; Klein 1974; vgl. auch Art. 14). Der zugehörige Begriff bezieht sich über den Begriff der ,sprachlichen Variation‘ auf eine Reihe weiterer Begriffe, die freilich nicht immer gleichzeitig auftreten müssen. Deutlich von ,sprachlicher Varietät‘ zu unterscheiden ist vor allem der Begriff ,sprachliche Variante‘. Damit ist in der Regel eine einzelne sprachliche Einheit (Phon/Phonem, Morph/Morphem, Wort etc.) gemeint, während sich der Begriff Varietät auf ganze Sprachsysteme bezieht, ob nun der Systemgedanke selber dabei im Vordergrund steht oder nicht. So ist z. B. der Terminus Appendizitis eine Variante der Varietät medizinische Fachsprache ⫺ die man, so gesehen, eigentlich genauer medizinische Fachvarietät nennen sollte. Varietäten und Varianten hängen miteinander zusammen über sprachliche Variablen. Diese entsprechen formal mathematischen Variablen, insofern sie mindestens zwei Werte annehmen können; diese Werte sind eben die Varianten. So ist z. B. { Blinddarmentzündung ⫺ Appendizitis } eine solche sprachliche Variable, mit den beiden kursiv gesetzten Ausdrücken als ihren Werten. Bei diesen handelt es sich zugleich um Varianten, von denen eine gemeinsprachlich und die andere fachsprachlich ist. Eine sprachliche Varietät kann nun verstanden werden als ein Sprachsystem, das aus derartigen Variablen eine bestimmte Auswahl trifft. So wählt eine Fachvarietät eben die betreffenden Termini aus. Dabei kann es sich auch um Ausdrücke handeln, die es durchaus ebenso in der Gemeinsprache (eigentlich: Gemeinvarietät) gibt, die jedoch fachlich eine andere Bedeutung haben, z. B. { ,kleine Straße, Strecke‘ ⫺ ,Arbeit : Kraft‘ } (Weg). Wenn man will, kann man hier unterscheiden zwischen onomasiologischen Variablen (gleiche Bedeutung und verschiedener Ausdruck der Varianten) und semasiologischen Variablen (gleicher Ausdruck und verschiedene Bedeutung) ⫺ in Anlehnung an die betreffenden Disziplinen. Man beachte allerdings, daß gleiche Bedeutung streng genommen praktisch nie vorliegt, zumindest nicht bei der Variation zwischen Gemeinsprache und Fachsprache. Hinzu

II. Der Status der Fachsprachen

kommt, daß die ganz überwiegende Zahl der sprachlichen Einheiten mehreren oder sogar allen Varietäten einer Sprache angehört. So enthalten Fachsprachen bekanntlich, sofern sie als ganze Sprachsysteme und nicht nur als Terminologiearsenale verstanden werden, einen Großteil der gemeinsprachlichen Varianten ⫺ außer denjenigen, an deren Stelle aufgrund sprachlicher Variablen spezifisch fachliche Varianten treten. Fachsprachen enthalten in der Regel darüber hinaus spezifische sprachliche Einheiten, die sich kaum sinnvoll als Varianten gemeinsprachlicher Einheiten auffassen lassen, sofern ihnen nämlich in der Gemeinsprache weder ein anderer Ausdruck gleicher Bedeutung noch ein gleicher Ausdruck anderer Bedeutung entspricht. Man prüfe daraufhin z. B. Termini wie Korrelationskoeffizient (Statistik), Polymer (Chemie) oder Allophon (Linguistik). Wenn der Begriff ,sprachliche Varietät‘ den Blick auf diese konstanten Bestandteile von Fachsprachen verstellt, führt er in die Irre. Ansonsten ergibt sich der Status von Fachsprachen als Varietäten aus ihrer Stellung im Gesamtvarietätengefüge der jeweiligen Sprache. Dieses kann nach unterschiedlichen Gesichtspunkten erstellt und geordnet werden, z. B. nach dem Umfang der enthaltenen Varietäten (etwa Mächtigkeit des Wortschatzes), der regionalen oder der sozialen Verteilung der Varietäten und anderem. Je nachdem divergiert auch der Status der Fachvarietäten. Nach einer weithin akzeptierten Auffassung lassen sich zwei grundverschiedene Typen von Varietäten unterscheiden: einerseits nach Maßgabe ihrer Sprecher (“user”) und andererseits nach Maßgabe ihrer Verwendungsart (“use”) (Halliday/McIntosh/Strevens 1964, 87). Zu welchem der beiden Typen gehören die Fachsprachen? Und sind im Hinblick auf die Statusbestimmung von Fachsprachen vielleicht noch andere typologische Differenzierungen hilfreich? 2.3. Soziolekt (Gruppensprache) Es bedarf kaum der Begründung, daß Fachsprache(n) als Gruppensprache(n) oder Gruppenvarietäten aufgefaßt werden können (vgl. Art. 11). Wollte man dem terminologischen Vorschlag von Halliday/McIntosh/ Strevens (1964, 87) folgen, so gehörten sie demzufolge zu den Dialekten, denn so werden von diesen Autoren diejenigen Varietäten genannt, die in bezug auf ihre Sprecher definiert sind (“distinguished according to the user”). Statt von Fachsprachen von Fachdia-

18. Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen

lekten zu sprechen, steht indessen nicht ohne weiteres im Einklang mit dem gängigen wissenschaftlichen Sprachgebrauch, zumindest im Deutschen. Weniger befremdend ist dagegen ihre Bezeichnung als Sozialdialekte, zumal beim Gedanken an den hier zur Diskussion stehenden Gruppenbezug. Im Hinblick auf Fachsprachen von Soziolekten zu sprechen, erscheint schließlich sogar ganz normal. Im Deutschen ist der Ausdruck Dialekt eben stark sowohl mit der regional beschränkten Geltung als auch der Nonstandardsprachlichkeit assoziiert, wohl auch mit der Vorstellung lautlicher Besonderheiten ⫺ alles Eigenschaften, die für Fachsprachen zumindest nicht typisch sind. Der Terminus soziale Gruppe wird in mindestens drei recht verschiedenen Bedeutungen gebraucht, nämlich in bezug auf (1) regelmäßig interaktive Mengen von Personen („aktuelle Gruppe“), (2) Mengen von Personen, die durch ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ zusammengehalten werden, auch bei fehlender regelmäßiger Interaktion, (3) Mengen von Personen mit einem gemeinsamen, soziologisch relevanten Merkmal, ohne daß ein Wir-Gefühl vorhanden sein muß. Beispiele sind: für (1) Freundeskreise oder Familien, für (2): manche Berufsgruppen oder Wohnviertel, für (3): Angehörige einer Sozialschicht oder die Brillenträger. Zwischen diesen verschiedenen Typen sozialer Gruppen besteht unter anderem ein Unterschied im Grad des Zusammenhalts, der von (1) nach (3) tendenziell abnimmt. Im vorliegenden Zusammenhang sind vor allem Gruppen der Typen (2) und (3) von Interesse, innerhalb deren freilich auch Gruppen vom Typ (1) bestehen können. Gruppen vom Typ (1) sind ⫺ wenigstens in neuerer Zeit ⫺ nur selten in der Lage, wirklich eigene Fachsprachen zu verwenden oder gar auszubilden; vielmehr bilden aktuelle Gruppen zumeist nur Teile von Fachgruppen. Sie entwickeln freilich nicht selten einen spezifischen Fachjargon, der solange diesen Status ⫺ außerhalb eigentlicher Fachsprache ⫺ behält, als er von anderen Gruppen desselben Fachs nicht anerkannt oder gebraucht wird (Steger 1964; Möhn 1968). Mit dem Gruppenbezug von Fachsprachen, ihrem Charakter als Soziolekte, lassen sich Vorstellungen von ihrer sowohl „horizontalen“ Gliederung als auch „vertikalen Schichtung besonders leicht in Zusammenhang bringen. Die vertikale Gliederung bezieht sich dabei auf die Sozialschichtung und die horizontale auf die fachliche Differenzie-

225 rung innerhalb derselben Schicht. Beide Dimensionen lassen sich auch unter den StatusBegriff subsumieren, und zwar unter den Status-Begriff im weiten Sinn (vgl. 1.1.): die horizontale Gliederung beinhaltet nur qualitative Kennzeichnungen (Nominalskala), die vertikale Gliederung bildet dagegen eine Rangordnung (Rangskala/Ordinalskala). Dementsprechend läßt sich in horizontaler Perspektive von der Stellung oder Position einer Fachsprache in der Gesamtmenge der gleichrangigen Fachsprachen sprechen. Diese Position hängt insbesondere ab von der Gesamtzahl der gleichrangigen Fachsprachen sowie von der relativen und absoluten Gruppengröße (Sprecherzahl). In vertikaler Perspektive ist der Status-Begriff im engeren Sinn anwendbar. Dementsprechend ist der Status z. B. der wissenschaftlichen Fachsprachen höher als derjenige der handwerklichen. Dies gilt in der Tendenz generell, ist aber besonders deutlich bei einander entsprechenden Fachrichtungen: (praktische) Landwirtschaft ⫺ Agronomie, praktischer Maschinenbau ⫺ Maschinenbau als wissenschaftliche Disziplin usw. Zwar besteht hier auch ein Statusunterschied in der Dimension sprachlichen Ausbaus (vgl. 2.1.), jedoch ist dieser anderer Natur. Hier geht es um den Statusunterschied in voller Entsprechung zum Sozialschichtenunterschied der Trägergruppen, der demnach konzipiert ist nach Maßgabe sozialer Schichtungskriterien wie Dauer der für den betreffenden Beruf benötigten Schulbildung, durchschnittliche Einkommenshöhe, Prestige des Berufs und dergleichen. Aufgrund der Assoziation mit solchen Sozialschichtenunterschieden ist der Status der wissenschaftlichen Fachsprachen höher als derjenige der handwerklichen Fachsprachen. Dieser sozialschichtenbezogene Statusunterschied ist nicht etwa ein arbiträres Konstrukt, sondern in der sprachlichen Interaktion höchst wirksam. Ein Gutteil des Prestiges wissenschaftlicher Fachsprachen, das in der Werbung oder in herrschaftsstabilisierenden Diskursen genutzt wird, basiert auf diesem Sozialschichtenbezug, wenngleich andere Faktoren auch eine Rolle spielen. 2.4. Institutionensprache Von den verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks Institution ist hier diejenige gemeint, die annähernd synonym ist mit dem Ausdruck Organisation, der allerdings seinerseits mehrdeutig ist. Institutionen in diesem Sinne haben eine ⫺ in der Regel juristisch ⫺

226 festgelegte Struktur sowie einen mehr oder weniger klar erkennbaren einheitlichen Zweck. Im Falle staatlicher Institutionen (Organisationen) handelt es sich dabei um einen öffentlichen Zweck. Beispiele von Institutionen in diesem Sinne bzw. von Mengen davon sind: Schulen und Hochschulen, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine, staatliche Ämter, Parlamente, Gerichte, Krankenhäuser, das Militär, Theater, Betriebe, Gefängnisse, Vereine und auch Familien. Solchen Institutionen sind jeweils bestimmte Personen zugeordnet. Sie bilden insofern eine soziale Gruppe, als sie ⫺ wovon man in der Regel ausgehen darf ⫺ zumindest ein gemeinsames Wir-Gefühl haben, je nach Größe der Institution aber auch miteinander interagieren (vgl. 2.3.). Allerdings ist nicht jede soziale Gruppe institutionengebunden bzw. erschöpfen sich Institutionen nicht in den ihnen zugehörigen sozialen Gruppen. Auf institutionenspezifische Sprachen, oder besser: Varietäten, wird oft mit spezifischen Ausdrücken Bezug genommen, z. B. Amtsdeutsch, Schulsprache, Gewerkschafts-, Betriebs-, Krankenhaus-, Militärjargon und dgl. Dabei wird in der Regel mitverstanden, daß diese Varietäten auch ⫺ oft zu beträchtlichen Teilen ⫺ fachsprachliche Bestandteile enthalten, wenngleich sie nicht mit einer spezifischen Fachsprache identisch sind, sowenig Institutionen ohne weiteres mit Fächern bzw. die ihnen zugehörigen Personen mit Gruppen von Fachleuten kongruieren. Einerseits benötigen Institutionen oft verschiedene Fachsprachen nebeneinander; andererseits brauchen sie unter Umständen nur Teile von ihnen. Ein Beispiel sind die Schulen, die sowohl auf die Fachsprachen der verschiedenen Schulfächer als auch der Pädagogik und der Schuladministration angewiesen sind, aber jeweils nur auf Ausschnitte daraus. Die verschiedenen Fachsprachen können sich auf unterschiedliche Subgruppen in der Institution verteilen, so in unserem Beispiel: Schüler (Fachsprachen der Schulfächer), Lehrer (Fachsprachen der Schulfächer, pädagogische Fachsprache), Schulleitung und Sekretariat (schuladministrative Fachsprache), Hausmeister (Fachsprache der Schuleinrichtung). Entsprechend bilden auch andere Institutionen Konglomerate mit subgruppenspezifisch verteilten Fachsprachen. Die Fächer bzw. die Verwendung von Fachsprachen decken sich auch insofern nicht mit den Institutionen, als sie sich oft auf unterschiedliche Institutionen erstrecken, so z. B. die Fachsprachen der

II. Der Status der Fachsprachen

Schulfächer außer auf die Schulen auch auf die Hochschulen und manche Betriebe. Es können intra-, inter- und extra-institutionale Kommunikation unterschieden werden, also Kommunikation innerhalb einer Institution, zwischen verschiedenen Institutionen und zwischen Institution und Außenwelt. Dieser Reihenfolge entspricht tendenziell ein abnehmender Grad von Spezialistentum oder Fachlichkeit der Sprache, die auf Statusunterschiede entweder in der Dimension sprachlichen Ausbaus (2.1.) oder sozialer Schichtung (2.3.) bezogen werden kann. Bisweilen werden die dementsprechend unterschiedlichen Kommunikationsbedürfnisse von einer Institution nicht konsequent beachtet, wodurch unter anderem der Eindruck sprachlicher Abschirmung gegen die Außenwelt entstehen kann oder jedenfalls die Erfüllung der institutionellen Aufgaben beeinträchtigt wird. Die Verankerung in Institutionen kann Fachsprachen eine spezifische, zusätzliche horizontale und vertikale soziale Gliederung verleihen, die nicht identisch ist mit ihrer sonstigen Verteilung auf die Sozialgruppen und -schichten. Damit wirken Institutionen als Faktoren, die sowohl den sozialen Status von Fachsprachen als auch ihre Funktion modifizieren. Indizien dafür sind die notorischen Berichte, daß akademisch hochrangiges Wissen in der Praxis mancher Institutionen nicht viel zählt oder frisch von der Hochschule Kommenden womöglich gesagt wird, sie könnten ihr akademisches Spezialwissen einschließlich der zugehörigen Fachsprache vergessen. In solchen Fällen mag die auf die institutionelle Praxis bezogene Fachsprache höheres Prestige haben als die fachlich dazugehörende akademische Fachsprache, zumindest innerhalb der Institution; es bestehen dann verschiedene Bewertungshierarchien nebeneinander und geraten unter Umständen sogar in Konflikt. ⫺ Entsprechend können in Institutionen spezielle Gruppenbildungen von Fachleuten entstehen, wodurch sich sogar spezifische Kombinationen von ansonsten deutlicher getrennten fachsprachlichen Bestandteilen herausbilden mögen. Außerdem entstehen aufgrund solcher Gruppenbildungen institutionenspezische Jargonismen. 2.5. Stil oder Register Man kann zunächst einmal zwei Arten von Stilbegriffen unterscheiden. (1) Für die eine sind Stil und Fachsprache disjunkt, und (2) für die andere umfaßt Stil Fachsprache, ist Fachsprache eine Art von Stil (vgl. auch

18. Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen

Art. 16 und 17). (1) ist heute vorherrschend bei Markierungen in Wörterbüchern, zumindest in größeren. So unterscheidet z. B. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache (Duden 1993⫺95) „stilistische Bewertungen“ der Wörter als „bildungssprachlich“, „gehoben“, …, „vulgär“ von ihren „Zuordnungen zu „Fachsprachen“ (genauer: „zu Bereichen und Fach- und Sondersprachen“. Duden 1993⫺ 95, 19⫺21). (2) folgt dagegen aus der Auffassung von Stil als Register, also als situationsspezifische Varietät (vgl. 2.2.). Dabei wird ein Individuum, oder auch eine Gruppe von in dieser Hinsicht gleichartigen Individuen, gesehen als ausgestattet mit einem Repertoire sprachlicher Register oder Stile, die situationsspezifisch eingesetzt werden. Diese Auffassung entspricht der Beobachtung, daß Individuen den Grad der Fachsprachlichkeit ihrer Rede in der Regel situationsspezifisch variieren. Die beiden Stil-Begriffe (1) und (2) beinhalten einen unterschiedlichen Status der Fachsprachen, aber auch eine unterschiedliche Funktion. Vor allem sind bei (1) die Fachsprachen aus der Bewertungshierarchie herausgenommen, die der stilistischen Markierung inhärent sind und schon deutlich genug aus den dabei gängigen Ausdrücken spricht wie „gehoben“, „vulgär“ und dergleichen. Die fachliche Zuordnung erscheint im Gegensatz dazu wertneutral. Übrigens sind die Stil-Bewertungen von außen an die Sprachformen herangetragen; die Sprecher selber mögen sie durchaus anders einschätzen. So mag für manche Sprecher das von den Wörterbuchmachern als „vulgär“, für andere das als „gehoben“ Bewertete „ganz normal“ sein. Die einheitliche Bewertung von Sprachformen ist in der Regel nur normativ möglich; die Deskription führt auf soziale Bewertungsunterschiede. (2) folgt dagegen der Sicht der Sprecher selber, d. h. ihrer situationsspezifischen Variantenwahl ⫺ zumindest bei konsequenter Durchführung des Ansatzes. Die betreffenden Sprachformen haben dann nicht mehr ohne weiteres einen in der ganzen Sprachgemeinschaft einheitlichen Status bzw. eine einheitliche Funktion, sondern diese variieren individuell und gruppenspezifisch. Diese Variation im einzelnen festzustellen, ist eine Aufgabe der empirischen Soziolinguistik. Entsprechend kann auch die stilistische Bewertung und situative Verwendung von Fachsprachen innerhalb einer Sprachgemeinschaft variieren.

227 Die funktionalstilistische Auffassung von Fachsprachen (Art. 16) scheint auf den ersten Blick der Auffassung (2) von Stil als Register zu entsprechen, denn sie sucht die situationsspezische Wahl von Sprachformen aus der jeweiligen Kommunikationssituation bzw. den dafür typischen Kommunikationsbedürfnissen zu erklären (Havra´nek 1938; Benesˇ 1969). Daraus entsteht dann eine Typologie der Fachstile, in der zunächst vor allem der „fachlich-praktische“ vom „wissenschaftlichtheoretischen“ und später dann noch zusätzlich der „populärwissenschaftliche“, „didaktische“, „direktive“ und „ästhetische Fachstil“ unterschieden werden (Gläser 1979). Stilistische Bewertungen und Fachsprachlichkeit sind damit bis zu einem gewissen Grad integriert. Dennoch werden in den bisherigen Ausprägungen der Funktionalstilistik die Stile als für die ganze Sprachgemeinschaft einheitlich gesehen und nicht bezogen auf die möglicherweise sozial divergierenden Repertoires einzelner Sprecher oder Sprechergruppen. 2.6. Textsorte Entsprechend der Entwicklung der Linguistik wurden Fachsprachen früher hauptsächlich hinsichtlich sprachlicher Einheiten nur bis hinauf zur Satzebene gesehen, oft sogar lediglich bis zur Wortebene (Termini), während neuerdings die Fachtextsorten und ihre Spezifika stärker ins Blickfeld geraten sind. Je nach Sichtweise und dementsprechend unterschiedlichem Begriff von Fachsprache divergieren auch deren Status und Funktion. Dies folgt im Grunde schon aus der jeweils unterschiedlichen Einordnung in übergreifende Gesamtheiten, z. B. bei einer auf die Lexik ausgerichteten Auffassung in den Gesamtwortschatz der Sprache und bei einer auf Texte konzentrierten Sicht auf die Gesamtheit der Textsorten in der betreffenden Sprachgemeinschaft. Beide Einteilungen sind keineswegs ohne weiteres deckungsgleich. Zwar mögen textsortenspezifische Fachwortschätze existieren, so daß vielleicht eine übereinstimmende Einteilung möglich wäre; sie treten jedoch gar nicht in den Horizont einer rein lexikalischen Betrachtung. Umgekehrt verlangen Textstrukturen eine Gliederung, die kaum mit vorgängigen Einteilungen aus lexikalischer Sicht deckungsgleich sein kann. So liegt z. B. die oft zitierte, wenngleich problematische Einteilung des Fachwortschatzes in Termini, Halbtermini und Fachjargonismen (Schmidt 1969) einigermaßen quer zur

228

II. Der Status der Fachsprachen

Einteilung in Fachtexte wie z. B. diejenige, die dem vorliegenden Handbuch zugrundeliegt (Art. 44⫺62), und läßt sich auch kaum damit zur Deckung bringen. Eher erscheint die eindeutige Abbildung von Fachtextsorten auf soziale Schichten und Gruppen und erst recht auf Institutionen möglich. Bei genauerem Zusehen erweist jedoch auch sie sich als ausgeschlossen. So spielt etwa die Patentschrift (vgl. Art. 58) nicht nur in der Institution des Patentamtes eine Rolle, sondern auch in Betrieben und Hochschulen oder sogar bei individuellen Tüftlern. Außerdem sind für Hochschulen und Betriebe auch andere fachliche und nichtfachliche Textsorten bedeutsam, die in Patentämtern allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Die Analyse von Fachsprachen als Fachtexte impliziert daher wiederum einen spezifischen Status und spezifische Funktionen. Sie ergeben sich aus der Gesamtheit von Texten der betreffenden Sprachgemeinschaft, ihrer sozialen Verteilung, ihrem Prestige (Bezug auf Sozialstatus) bzw. ihren kommunikativen Rollen (Funktion).

3.

Die Statusvielfalt der Fachsprachen

Es hat keinen Sinn, von dem Status oder auch von der Funktion von Fachsprachen zu sprechen. Da Fachsprache oder Fachsprachen unterschiedlich konzipiert und dementsprechend in unterschiedliche übergreifende Zusammenhänge eingeordnet werden können, gibt es auch entsprechend viele Möglichkeiten der Status- und Funktionszuweisung. Die obige Übersicht, die sich an der Einteilung dieses Handbuches orientiert, die wiederum dem heutigen Forschungsstand entspricht, ist vermutlich nicht einmal für die Gegenwart erschöpfend; erst recht dürfte sie sich in Zukunft als partikular erweisen. Daraus folgt keineswegs, daß der Statusbegriff in bezug auf Fachsprachen unbrauchbar ist. Er dient vielmehr einerseits ihrer Einordnung in die jeweilige Gesamtheit von Einheiten, als welche Fachsprachen von Fall zu Fall spezifiziert sind, und andererseits ihrer Einbettung in die jeweilige Sprachgemeinschaft oder Gesellschaft.

4.

Literatur (in Auswahl)

Ammon 1989 ⫽ Ulrich Ammon: Towards a Descriptive Framework for the Status/ Function (Social Position) of a Language Within a Country. In: Ammon (ed.) 1989, 21⫺106.

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18. Probleme der Statusbestimmung von Fachsprachen Steger 1964 ⫽ Hugo Steger: Gruppensprachen. Ein methodisches Problem der inhaltbezogenen Sprachbetrachtung. In: Zeitschrift für Mundartforschung 31. 1964, 121⫺138. Stegmüller 1969 ⫽ Wolfgang Stegmüller: Ideologie, Funktionsanalyse und Selbstregulation (Kybernetik). Berlin. Heidelberg. New York 1969 (Probleme

229 und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie 1. Studienausgabe 4). Weinreich 1954 ⫽ Uriel Weinreich: Is a structural dialectology possible? In: Word 14. 1954, 388⫺400.

Ulrich Ammon, Duisburg

III. Methoden in der Fachsprachenforschung 19. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von empirischen Erhebungsmethoden in der Fachsprachenforschung 1. 2. 3. 4. 5. 6.

1.

Erhebungsmethoden und Gegenstandsverständnis Erhebungsmethoden und Erkenntnisinteresse Erhebungsmethoden im allgemeinen Erhebungsmethoden im einzelnen Ausblick Literatur (in Auswahl)

Erhebungsmethoden und Gegenstandsverständnis

Wie Kalverkämper (1980, 4) konstatiert, gibt es „bislang keine ausgearbeitete Theorie der Fachsprachen und erst recht keine erarbeitete Theorie der Fachsprachen-Forschung […], die ihr Selbstverständnis konzis formulieren und in einer fundierten Methodologie einfassen würden“. Während der erste Teil der Aussage in dieser apodiktischen Form nicht mehr gültig sein dürfte (vgl. Kap. I. und II. in diesem Band), trifft weiterhin zu, daß trotz einer zunehmenden Zahl an empirischen Arbeiten zu Vorkommensweisen und Gebrauch von Fachsprachen kaum einmal Art und Funktion des methodischen Instrumentariums dargestellt und reflektiert wird, das zur Datenerhebung (und der davon nicht zu trennenden Datenauswertung) dient. Die Wahl bzw. Entwicklung von Methoden zur Datenerhebung steht in direktem Zusammenhang mit dem Verständnis vom Gegenstand, der identifiziert, deliminiert, beobachtet, erforscht, analysiert, beschrieben, erklärt werden soll. Für Adelung (1808) war die Kunstsprache, wie die Fachsprache (in Anlehnung an die Bezeichnung „artes liberales“) bis weit ins 19. Jh. genannt wurde, „der Inbegriff aller zu einer Kunst gehörigen Kunstwörter“, und ein Kunstwort, d. h. Fachwort, „ein Wort, einen einer Wissenschaft, Kunst oder Beschäftigung eigenen Begriff auf eine kurze und den Kunstgenossen verständliche Art auszu-

drucken: Terminus technicus“ (vgl. auch Art. 251). Trotz der Erweiterung des ehedem allein auf die Fachlexik konzentrierten Verständnisses von Fachsprache um strukturelle und funktionale Aspekte blieb Fachsprachenforschung bis weit in die 70er Jahre hinein im wesentlichen Fachwort- bzw. Terminologieforschung. Als spätes Zeugnis einer solchen Gleichsetzung von „Fachsprache“ mit „Fachlexik“ kann die Arbeit „Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Bestandsaufnahme, Theorie, Geschichte“ von Drozd/Seibicke (1973) angesehen werden, die im Grunde eine historische und systematische Darstellung der Terminologielehre bietet. Ohne dies hier im einzelnen nachzeichnen zu können, darf festgestellt werden, daß sich, beginnend mit der sog. „Wirtschaftslinguistik“ (vgl. Art. 30) und vor allem mit der durch die Prager Schule etablierten Theorie der Funktionalstile (vgl. Art. 16), das Verständnis der Fachsprachenforschung vom Gegenstand „Fachsprache“ bzw. „Fachsprachen“ schrittweise erweitert hat. Zu den (1) auf die Lexik bzw. Terminologie konzentrierten diachronischen und synchronischen Untersuchungen traten solche hinzu, die mündliche und schriftliche Realisierungen von Fachsprachen betrachten als sich historisch entwickelnde (2) stratisch organisierte Subsysteme des Diasystems einer natürlichen Einzelsprache mit besonderen Eigenheiten im Bereich der Lexik, Grammatik und Textgestaltung (vgl. Art. 14), (3) Funktionalstile wegen ihres primär instrumentellen Charakters (vgl. Art. 16), (4) Kommunikationsmittel wegen ihrer als primär angesehenen Funktion der fachlichen Verständigung, (5) Soziolekte wegen der Gebundenheit ihres Gebrauchs an die Gruppe der Fachleute (vgl. Art. 11),

19. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von empirischen Erhebungsmethoden

(6) Instrumente des fachlich-begrifflichen Denkens wegen der Gebundenheit an spezielle Wissensformen und Denkstile, (7) Formen des sprachlichen Handelns wegen seiner speziellen Ausrichtung auf bestimmte theoretisch-fachliche und praktisch-fachliche Tätigkeitsfelder. ⫺ (Zu den Definitionsversuchen von „Fachsprache“ vgl. insbesondere Hoffmann 1985, 53⫺71; Möhn/Pelka 1984, 25⫺29; Hahn 1983, 60⫺72 sowie Art. 7 bis 18.) Bis heute leidet die Fachsprachenforschung in einer Hinsicht ganz wesentlich an einem unzureichenden Verständnis ihres Gegenstands. Was eigentlich ist „Das Andere der Fachsprache“ (Trabant 1983), dasjenige also, das die Fachsprachen von anderen Varietäten grundlegend unterscheidet? Während die Gemeinsprache (entgegen einer nicht nur unter linguistischen Laien verbreiteten sprachrealistischen Auffassung) die außersprachliche Wirklichkeit gleichsam erst schafft, abgrenzt und gliedert, nehmen Fachsprachen allermeist auf begrifflich vorab modellierte, in vielfacher Weise aspektreduzierte Gegenstände bzw. Sachverhalte Bezug (vgl. Schaeder 1994a, 17⫺21). Fachtermini wie Fachtexte enthalten (anders als Wörter und Texte der Gemeinsprache) eindeutige Denotationsvorschriften, die von den sprachlichen Ausdrücken zu den fachlich modellierten Gegenständen und Sachverhalten führen. Die Kenntnis dieser Modelle ist mithin die unabdingbare Voraussetzung für das Verstehen fachlicher Texte. Eine Analyse fachsprachlicher Texte, die diesen fundamentalen Unterschied zwischen Fach- und Gemeinsprache außer acht läßt, bleibt notwendig der durch die gemeinsprachliche Kommunikation vertrauten semasiologischen Sichtweise verhaftet.

2.

Erhebungsmethoden und Erkenntnisinteresse

Die Wahl möglicher Erhebungsmethoden hängt nicht allein vom jeweiligen Verständnis des wissenschaftlichen Gegenstands „Fachsprachen“ ab, sondern im Rahmen des jeweiligen Gegenstandsverständnis zudem von den je unterschiedlichen Erkenntnisinteressen bzw. Forschungszielen. Umgekehrt präformieren die Methoden der Datenerhebung die möglichen Auswertungen und Auswertungsergebnisse. Es zählt deshalb zu den unerläßlichen Voraussetzungen jeder empirischen

231

Forschung, die den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu verfahren, Rechenschaft über das Erkenntnisinteresse bzw. die jeweils angestrebten Forschungsziele abzulegen. Forschungsziele finden ihren Ausdruck in hypothetischen Aussagen, wobei in aller Regel bestimmte Vorannahmen unausgesprochen als zutreffend postuliert werden, wie z. B. diejenige, daß sich das sprachliche System einer Fachsprache in Ebenen bzw. Teilsysteme unterschiedlicher Komplexitätsgrade gliedern und jedes Teilsystem sich isoliert untersuchen läßt (z. B. Text-, Satz-, Wortgruppen-, Wort-, Morphemebene). Hypothesen können damit über mehr oder weniger große Ausschnitte des Gegenstands unter je unterschiedlichen Aspekten formuliert werden, wobei empirischen Untersuchungen die Aufgabe zufällt, zum einen die Theorienbildung anzuleiten, zum anderen hypothetische Aussagen zu verifizieren, zu falsifizieren bzw. im Hinblick auf ihre Gültigkeit und/oder Reichweite zu modifizieren.

3.

Erhebungsmethoden im allgemeinen

Je nach Gegenstandsverständnis einerseits und nach Erkenntnisinteresse andererseits steht ein Arsenal von Methoden zur Datenerhebung und auch -auswertung zur Verfügung, das in verschiedenen Disziplinen, allen voran in den Sozialwissenschaften (Atteslander 1993; Friedrichs 1990; Opp 1976; Schnell/ Esser/Hill 1988), sodann in der Psychologie und in der Linguistik (Bartschat 1996, Schlobinski 1996, Sichelschmidt 1997), entwickelt und erprobt wurde. Unter Datenerhebung soll im folgenden die kontrollierte Gewinnung von sprachlichen bzw. sprachgebundenen Daten als Ausgangsmaterial wissenschaftlicher Untersuchungen verstanden werden, dessen Auswertung der Analyse, Beschreibung und Erklärung fachsprachlicher Phänomene bzw. der Überprüfung von Hypothesen über fachsprachliche Phänomene dient. 3.1. Intuition und Deskription Wenn auch der Intuition als Initiierungsinstanz bei der Formulierung von Hypothesen und als Kontrollinstanz bei der Beurteilung von sprachlichen Daten eine bedeutsame Rolle zufällt, wird ihr Wert als Datenquelle für empirische Untersuchungen allgemein als gering eingeschätzt.

232 Obwohl unmittelbar einsichtig erscheint, daß die aus der Eigen- oder Fremdintuition stammenden Sprachdaten problematisch sind, weil sie zum einen entweder idiolektal gefärbt oder unbemerkt Reproduktionen bestimmter Sprachnormen darstellen können, weil sie zum anderen ebenso unbemerkt in Art und Auswahl durch die Fragestellung präformiert sein können, führt kein Weg an der Eigen- und Fremdintuition vorbei. Ziel methologischer Überlegungen kann es mithin nicht sein, die Intuition als Störfaktor im empirischen Forschungsprozeß anzusehen und nicht zu berücksichtigen, sondern ganz im Gegenteil möglichst gründlich ihre Rolle und Funktion auf seiten des Forschenden und auf seiten der Probanden zu bestimmen und ins methodologische Kalkül einzubeziehen. Kein wissenschaftliches Datum ist a priori als solches gegeben, sondern wird in einem komplizierten Wechselspiel von Gegenstandsbestimmung, Erkenntnisinteresse, traditionsgebundenen Denkstilen, bereits vorfindlichen Forschungsergebnissen und eingesetzten Methoden vom Forschenden stets erst im Forschungsprozeß als Datum kreiert (vgl. Fleck 1980). Hinzu kommt, daß jedes empirische Datum bzw. dasjenige, das als solches gilt, eine ad-hoc-Interpretation erfährt, deren Basis wiederum die alltäglich erprobte Intuition darstellt (vgl. Garfinkel 1967). Im übrigen spielt die Intuition bei der Zuordnung von Phänomenen zu Konzepten bzw. Kategorien eine bedeutsame Rolle; und je präziser die Konzepte bzw. Kategorien sind, um so intuitiver werden die Zuordnungen. Der Intuition entgegengesetzt wird das, was seit den Anfängen des Strukturalismus als Deskription bezeichnet wird, d. h. ein Verfahren der Datenerhebung (und Datenauswertung), das auf Beobachtung, Befragung und Experiment baut. (Die in der empirischen Sozialforschung ebenfalls relevante Inhaltsanalyse, darf hier außer Betracht bleiben, weil sie in der Fachsprachenforschung bisher keine Anwendung fand. Eingesetzt wurde sie bisher vornehmlich zu Zwecken der Medienanalyse; vgl. Atteslander 1993, 221⫺ 248.) 3.2. Primärdaten und Sekundärdaten Die Unterscheidung von primären und sekundären Daten ist ebenso sinnvoll wie divergierend. Welche Art von Daten jeweils als primär und welche als sekundär angesehen werden, hängt von dem zu untersuchenden

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Gegenstand ab. In fachsprachlichen lexikologischen Untersuchungen haben z. B. die aus Wörterbüchern bzw. Lexika gewonnenen Daten den Status von Sekundärdaten, die aus Texten stammenden Daten den Status von Primärdaten. Schwerer zu entscheiden ist, ob Daten, die für bestimmte Forschungszwecke erhoben wurden, bei einem Forschungsvorhaben mit einer anderen Zielsetzung als Primär- oder als Sekundärdaten zu bewerten sind. Allgemein läßt sich für die Fachsprachenforschung feststellen, daß zu den Primärdaten an erster Stelle solche aus Primärquellen gehören, vornehmlich aus Textkorpora, während Sekundärdaten solche sind, die aus Sekundärquellen stammen, wie sie Wörterbücher bzw. Lexika, schon erarbeitete Grammatiken und vorliegende Untersuchungen darstellen. 3.3. Allgemeine und spezielle Datensammlungen Jede Datenerhebung kann eine eher allgemeine oder eher spezielle Datensammlung anstreben. Unter einer allgemeinen Datensammlung soll jede Zusammenstellung von Daten verstanden werden, die unabhängig von einem speziellen Forschungszweck erfolgt und darum für eine Mehrzahl von Auswertungen als Datenbasis genutzt werden kann. Aus linguistischer Sicht zählen das „Brown Corpus“, das „Lancaster Corpus“ und das „Mannheimer Korpus“ zu den allgemeinen Datensammlungen. Unter einer speziellen Datensammlung soll hingegen jede Zusammenstellung von Daten verstanden werden, die abhängig von einem speziellen Forschungszweck erfolgt und prinzipiell nur für diesen Forschungszweck als Datenbasis genutzt werden kann. So zählt die von Oldenburg (1992) für seine kontrastive Untersuchung von „Conclusions und Zusammenfassungen“ erstellte Datensammlung von 180 Aufsätzen (jeweils 30 deutsch- und englischsprachige wissenschaftliche Aufsätze aus den Fächern Maschinenbau, Wirtschaftswissenschaften und Linguistik) zu den speziellen Datensammlungen. Da es bisher keine allgemeine Datensammlungen mit primären Daten für die Zwecke der Fachsprachenforschung gibt, ist jede empirische Untersuchung in diesem Bereich auf spezielle Datensammlungen angewiesen, wobei nicht verschwiegen werden soll, daß angesichts der Vielzahl von Fächern eine allgemeine Datensammlung, die sich über alle

19. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von empirischen Erhebungsmethoden

oder mehrere Fächer erstreckt, abgesehen einmal davon, ob sie wünschenswert wäre, zur Zeit kaum realisierbar sein dürfte (zu den Problemen der Zusammenstellung einer allgemeinen Datensammlung für die Zwecke der Fachlexikographie vgl. Mentrup 1978). Wünschenswert und realisierbar sind allerdings (nach bisher nicht existierenden Datenerhebungsstandards zusammengestellte und aufbereitete) allgemeine Datensammlungen zu einzelnen Fächern oder Fachausschnitten.

4.

Erhebungsmethoden im einzelnen

Anders als etwa die empirische Sozialforschung (vgl. Atteslander 1993; Friedrichs 1990; Opp 1976; Schnell/Esser/Hill 1988) oder die empirische Sprachwissenschaft (vgl. Schlobinski 1996) verfügt die Fachsprachenforschung bisher über keine eigene umfassende Darstellung, in der die Grundprobleme und der Ablauf empirischer Fachsprachenforschung sowie die Methoden der Erhebung, Aufbereitung und Auswertung fachsprachlicher bzw. fachsprachlich gebundener Daten umfassend vorgestellt und diskutiert werden. (Einen auf die Dialektikforschung bezogenen Überblick über Datenerhebung und Datenbearbeitung bietet HSK 1.1. 1982, Art. 27 bis Art. 36.; einen auf die soziolinguistische Forschung bezogenen Überblick HSK 3.2, Art. 103 bis Art. 109.) Voraussetzung für eine wissenschaftlich fundierte Datenerhebung sind zum ersten die gründliche Kenntnis der zur Verfügung stehenden Methoden und technischen Hilfsmittel sowie Übung in ihrer Handhabung, zum zweiten die Fähigkeit, Leistung und Auswirkungen der einzelnen Methoden im Hinblick auf das jeweils angestrebte Forschungsziel einschätzen zu können. 4.1. Beobachtung Die Beobachtung als theorie- und erfahrungsgeleitete gezielte, selektive, kontrollierte und das eigene Vorgehen reflektierende Wahrnehmung stellt innerhalb der Fachsprachenforschung (bisher) die dominante Erhebungsmethode dar (vgl. hierzu und dem folgenden vor allem Atteslander 1993, 93⫺125; Labov 1980; Lüdtke 1988; Schlobinski 1996, 19⫺56). Die verschiedenen Techniken der Beobachtung werden durch eine Reihe interagierender Faktoren bestimmt: (a) Untersuchungsziel und Methodenorientierung, (b)

233

Beobachtungsobjekt und -subjekt sowie deren situative Einbindung, (c) eingesetzte technische Hilfsmittel, (d) Erhebungssituation, (e) Rolle des Beobachters. Die Kombination der Faktoren ergibt polare Merkmalbündel, mit deren Hilfe sich z. B. unterscheiden lassen: (aa) (ab) (ba) (bb) (bc) (ca) (cb) (da) (db) (dc) (dd) (ea) (eb)

Fremd- vs. Selbstbeobachtung, standardisiert vs. unstandardisiert, wiederholbar vs. nicht wiederholbar, Gruppe- vs. Einzelfall, partiell vs. umfassend, direkt vs. indirekt, stationär vs. mobil, Feld- vs. Labor, authentisch vs. experimentell, natürlich vs. künstlich, offen vs. verdeckt, teilnehmend vs. extern, aktiv vs. passiv.

4.1.1. Korpusmethode In der Fachsprachenforschung ⫺ wie in der allgemeinen linguistischen Forschung ⫺ nimmt die Zusammenstellung eines Korpus als Erhebungsmethode einen hervorragenden Platz ein. Im Unterschied zur Belegsammlung, die aus einer meist eklektischen Kollektion von Zitaten besteht und vor allem bei der Erstellung von Wörterbüchern eine Rolle spielt (vgl. Bergenholtz/Mugdan 1990, 1618⫺1619), ist ein Korpus bzw. ein Textkorpus „eine Menge von Texten (oder zusammenhängenden Teilen von Texten), die in kommunikativer Absicht produziert worden sind“ (Bergenholtz/Mugdan 1990, 1619 f). Die Texte können entweder in geschriebener oder gesprochener Sprache produziert worden sein (zu den besonderen Problemen der Erhebung und Aufbereitung von Texten gesprochener Sprache vgl. Almeida/Braun 1982; Richter 1982; Ruoff 1973; Wodak 1982). Wie oben ausgeführt wurde, kann ein Textkorpus eine allgemeine oder eine spezielle Datensammlung darstellen. Wie ebenfalls oben erwähnt wurde, sind im Rahmen der Fachsprachenforschung bisher nahezu ausschließlich spezielle, auf bestimmte Fragestellungen ausgerichtete Textkorpora erstellt und ausgewertet worden, vornehmlich zur historiographischen Untersuchung von Fachwortschätzen (vgl. z. B. Schirmer 1912, Schwenk 1967, Spiegel 1972, Wolf 1958), bisweilen zur Analyse syntaktischer Besonderheiten im Fachsprachengebrauch (vgl. z. B. Gerbert 1970, Huddleston 1971, Kempter 1969), neu-

234 erlich auch zum Zwecke der Bestimmung von Textsorten (Gläser 1990) und der Beschreibung von textuellen Phänomenen bestimmter Fachtextsorten (vgl. z. B. Kretzenbacher 1990) sowie mit dem Ziel der kontrastiven Fachtextanalyse (vgl. z. B. Clyne 1984, Oldenburg 1992). Wenn Hoffmann (1987, 8) dazu auffordert, aus der „lang andauernden Grundsatzdiskussion der Texttheorie herauszutreten und […] auf der Basis gründlicher […] Korpusanalysen zu konkreten […] Aussagen über die Beschaffenheit von Fachtexten“ zu gelangen, dann läßt diese Ermahnung den Schluß zu, daß der Einzug der Korpusmethode in die Fachsprachenforschung noch bevorsteht. Die Probleme der Korpusmethode liegen (a) in der quantitativen und/oder qualitativen Bestimmung der Grundgesamtheit, aus der eine Stichprobe gezogen werden soll, (b) in der Entscheidung über die Größe und des damit verbundenen Grades an Repräsentativität der Stichprobe (vgl. Sankoff 1988), (c) in der Wahl des Stichprobenverfahrens. ⫺ (Vgl. zu diesem Themenkomplex Bergenholtz/ Schaeder 1979; Bergenholtz/Mugdan 1989; Hoffmann 1985; 243⫺254; Reichmann 1990, Schaeder 1981, 70⫺91.) Ein selbst hohen Ansprüchen genügendes Textkorpus als Datenbasis empirischer Untersuchungen, dessen Zusammenstellung angesichts der heute vorhandenen computertechnischen Möglichkeiten der Textaufnahme keine grundlegenden Schwierigkeiten bereitet, garantiert nicht gleichsam zwangsläufig auch solide und ertragreiche Forschungsergebnisse. Deren Qualität wird vor allem auch durch die die Auswertung leitende Fragestellung sowie die Art und Methoden der Auswertung beeinflußt (vgl. Dittmar 1988, und als Beispiel einer methodisch fragwürdigen Korpusanalyse z. B. Ickler 1993 über Kretzenbacher 1990). Bedenkt man, daß ein Textkorpus, im ganzen betrachtet, einen künstlichen Text darstellt, der von Linguisten für Linguisten nicht etwa zum Zwecke der fortlaufenden Lektüre, sondern zum Zwecke selektiver Auswertungen geschaffen wurde, wird deutlich, daß Überlegungen zum Stellenwert eines Textkorpus und der aus ihm gewonnenen Befunde selbst Bestandteil eines methodologisch und methodisch begründeten Forschungsprozesses zu sein haben. 4.1.2. Feldforschung Feldforschung ist jene Form der Beobachtung, bei der der Forscher seine Daten in unmittelbarem Kontakt und in Kommunikation

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

mit einer Sprechergemeinschaft bzw. einzelnen Sprechern (Informanten) gewinnt. Obwohl der Feldforschung vergleichbare Erhebungsmethoden schon früher etwa in der Dialektforschung angewendet wurden, ist die heute übliche Form der Feldforschung im sog. amerikanischen Strukturalismus zur Erfassung nicht oder wenig erforschter bzw. vom Aussterben bedrohter, oft schriftloser Sprachen entwickelt und erprobt worden. Heute findet sie vor allem im Bereich der Ethno-, Kommunikations- und Soziolinguistik Anwendung. In der Fachsprachenforschung wurde und wird diese Erhebungsmethode zum einen bei der Erforschung untergehender Fachsprachen, zum anderen bei der Untersuchung betrieblicher Kommunikation eingesetzt. Abgesehen davon, daß diese Methode nicht zuletzt wegen der erforderlichen Datenaufbereitung sehr aufwendig ist, birgt der Umstand, daß der Vollzug der Forschung mit der Modellierung ihres Objekts gleichsam zusammenfällt, Probleme, deren Vermeidung bzw. Lösung ein ausgeprägtes methodisches Reflexionsvermögen verlangt. ⫺ (Vgl. zu diesem Themenkomplex Samarin 1967, Weiers 1980.) 4.1.3. Teilnehmende Beobachtung Während in der gerade skizzierten Form der Feldforschung der Beobachtende sich aufs bloße Beobachten beschränkt, d. h. der Forschende seine Rolle als distanzierter Betrachter und Protokollant des Geschehens und der Äußerungen der Informanten niemals aufgibt, ist die teilnehmende Beobachtung jene Form der Feldforschung, bei der der Forscher als Mitakteur in dem beobachteten Geschehen fungiert. Gemildert werden soll auf diese Weise das von Labov (1980, 17) als „Beobachtungsparadoxon“ bezeichnete Grundproblem aller direkten Beobachtung: „Um die Daten zu erhalten, die am wichtigsten für die linguistische Theorie sind, müssen wir beobachten, wie Leute sprechen, wenn sie nicht beobachtet werden.“ Entwickelt und erprobt wurde das Verfahren der teilnehmenden Beobachtung im Rahmen sozialtheoretischer Ansätze, deren prominenteste Ausprägungen der „symbolische Interaktionismus“ (Mead 1934/1980), die Phänomenologie als „Theorie des sinn- und wissensbestimmten Aufbaus der Welt“ (Schütz 1974) sowie die „Ethnomethodologie“ (Weingarten/Sack/Schenkein 1979) sind.

19. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von empirischen Erhebungsmethoden

Die Methode der teilnehmenden Beobachtung geht über die bloße Deskription von Daten hinaus; vielmehr fließt in den auf Sinnverstehen und Interpretation gerichteten Zugang zum Feld immer schon Auswertung ein, weil in der konkreten Forschungssituation erst Sinnverstehen darüber entscheidet, mit Hilfe welcher Daten sich das soziale Handeln erfassen läßt. Da sozialwissenschaftliche Aspekte in der Fachsprachenforschung bisher so gut wie keine Rolle spielen, gibt es ⫺ soweit ich das überblicke ⫺ in diesem Bereich auch keine Beispiele für die Anwendung dieser in den Sozialwissenschaften, z. B. auch in der Industriesoziologie, äußerst erfolgreichen Methode (vgl. Atteslander 1993, 104⫺122). ⫺ (Vgl. zu diesem Themenkomplex Aster 1989.) 4.2. Befragung Keine Erhebungsmethode erfreut sich in der Sozialforschung solcher Beliebtheit wie die Befragung, die mündlich face-to-face bzw. per Telefon (Interview) bzw. im Rahmen einer Gruppendiskussion oder schriftlich mit Hilfe von Fragebogen erfolgen und im Hinblick auf die Kommunikationsform wenig strukturiert, teilstrukturiert oder stark strukturiert organisiert sein kann. Auch in der Linguistik werden verschiedene Arten der Befragung zum Zwecke der Datenerhebung eingesetzt; so z. B. in der Dialektforschung (vgl. HSK 1. 1982, 539⫺ 585) und in der Soziolinguistik zur Erhebung von Sprach-, Regional-, Sozial- und situativen Daten (vgl. Atteslander 1988). Jede Befragung stellt eine kommunikative Situation her, bei der es gilt, die Faktoren die diese Situation beeinflussen bzw. beeinflussen können, im Hinblick auf die Einschätzung der auf diese Weise gewonnenen Daten zu berücksichtigen: Sprache des Fragenden und Sprache des Befragten, Art der Beziehung von Frage und Antwort, sozialer Status von Fragendem und Befragtem, Befragungssituation (Ort, Zeit, Umgebung, beteiligte Personen) usw. Eine größere empirische, auf Befragung basierende Untersuchung zum Wortschatzgebrauch in einem Industriebetrieb stellt die Arbeit von Schönfeld/Donath (1978) dar. Zur Datenerhebung (Schönfeld/Donath 1978, 32⫺37) diente ein von 340 Betriebsangehörigen auszufüllender Fragenbogen, der 300 Fragen mit 800 insgesamt Antwortmöglichkeiten enthielt.

235

Wie auch die Beobachtung wird die Befragung als Datenerhebungsmethode zur Untersuchung der Sprache in Institutionen eingesetzt, darunter auch im Bereich des Gesundheitswesens, der Justiz und der Politik (vgl. Ehlich/Rehbein 1980; Redder 1983). Nicht selten werden Beobachtung und (nachträgliche) Befragung kombiniert, wie etwa in der großangelegten Untersuchung von Brünner (1987) zur sprachlichen Instruktion in der betrieblichen Ausbildung. Im übrigen wird die Befragung als Form der Datenerhebung für die Erforschung der Lexik regional gebundener Fachsprachen sowie des Lexikgebrauchs in ausgewählten Berufen angewandt. Die Befragung ist eine höchst komplexe, von einer Reihe von sprachlichen und außersprachlichen Faktoren beeinflußte bzw. beeinflußbare Methode, deren Handhabung gründliche Kenntnisse der Arten, Techniken und Kontrollverfahren von Befragungen voraussetzt. Ohne daß dieser Grundsatzstreit entschieden ist, lassen sich zwei prinzipielle Ausrichtungen unterscheiden. Während die Vertreter der einen Richtung (die sog. Instrumentalisten) sich vornehmlich der Perfektionierung des Instruments Fragebogen widmen, sind die Vertreter der anderen Richtung (die sog. Interaktionisten) der Meinung, daß die Befragung (insbesondere das Interview) Bestandteil einer durch sie konstituierten sozialen Situation ist, bei der der gesamte Kontext berücksichtigt werden muß. „Die Wissenschaftlichkeit der Befragung liegt in der Systematik der Kontrolle der sie begleitenden Umstände“ (Atteslander 1993, 197). (Vgl. zu diesem Themenkomplex Atteslander 1988; Atteslander 1993, 126⫺200.) 4.3. Experiment Das Experiment als wiederholbare Beobachtung unter kontrollierten Bedingungen spielt bisher in der Fachsprachenforschung keine Rolle, obwohl sich etwa bestimmte Formen des Fachsprachengebrauchs auf diese Weise testen bzw. eruieren ließen. So wurden z. B. in einer noch nicht abgeschlossenen Untersuchung an der Universität Gesamthochschule Siegen (Kreitsch/Schaeder/Scharf 1997) einer Reihe von Experten und Laien chemische Versuche vorgeführt, die sie sich in verschiedenen Konstellationen (Fachmann⫺Fachmann, Laie⫺Laie, Fachmann⫺Laie) gegenseitig zu beschreiben und zu deuten hatten. Ziel der Auswertung des per Videorecorder

236

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

dokumentierten Materials sind Einsichten in Formen und Strategien des Erklärens und Verstehens fachlicher, in diesem Fall: chemischer Vorgänge. Das Experiment zeichnet sich gegenüber der Beobachtung und Befragung u. a. durch den Vorteil aus, daß es sich unter Ausschluß möglicherweise störender Einflußfaktoren in seiner Anlage exakt auf das angestrebte Untersuchungsziel hin zuschneiden läßt. Egal ob ein Experiment als Laboratoriums- oder Feldexperiment, als Simulation oder Planspiel durchgeführt wird, ist ⫺ wie im Fall der Beobachtung und Befragung ⫺ die systematische Kontrolle von entscheidender Bedeutung für die Güte der Befunde. Gegen das Experiment wird (neben ethischen Bedenken) als Einwand die aus der Künstlichkeit der Situation resultierende Selektivität der Daten vorgebracht, die notwendig Faktoren ausschließe, die in eine realen Situation Einfluß auf das Ergebnis nehmen könnten. Ein weiterer Einwand betrifft die in der experimentellen Situation möglicherweise erzeugte Konditionierung der Probanden mit dem Effekt einer self-fulfilling bzw. self-destroying prophecy. ⫺ (Vgl. zu diesem Themenkomplex Auwärter 1988; Atteslander 1993, 201⫺220; Sichelschmidt 1997.)

5.

Ausblick

Von Ausnahmen abgesehen, besteht in der Fachsprachenforschung ein erheblicher Bedarf an empirisch fundierten Untersuchungen. Für Untersuchungen im Bereich der Lexik und Grammatik von Fachsprachen (einschließlich derjenigen von Fachtexten) bieten sich zum einen Methoden der Datenerhebung als Beobachtung an, wie sie im Rahmen einer empirischen bzw. deskriptiven Linguistik bzw. Korpuslinguistik erarbeitet und erprobt wurden, zum anderen solche der Befragung. Dasselbe gilt für Ansätze, die Fachsprachen als Ausprägungen eines Funktionalstils untersuchen. Richtet sich das Erkenntnisinteresse primär auf Fachsprachen als Kommunikationsmittel, als Mittel der fachlichen Verständigung oder Unterweisung, und/oder auf Fachsprachen als Form des sprachlichen Handelns mit einer speziellen Ausrichtung auf bestimmte theoretisch-fachliche und praktischfachliche Tätigkeitsfelder, lassen sich die Methoden der Beobachtung, der Befragung und des Experiments gewinnbringend nutzen.

Für soziolektale Fragestellungen, zu denen u. a. Sprachbarrieren- und Verständigungsprobleme gehören, wie für Untersuchungen von Fachsprachen als Instrumenten des fachlich-begrifflichen Denkens bieten sich alle Formen der Beobachtung und das Experiment als Erhebungsmethoden an. Damit die Fachsprachenforschung einem Anspruch auf empirische Fundierung ihrer Aussagen bzw. auf empirische Überprüfung ihrer Hypothesen gerecht werden kann, benötigt sie dringend eine Methodologie als eine auf den Gegenstand Fachsprache bzw. Fachsprachen bezogene Theorie und Lehre von den Methoden. Um eine solche Methodologie zu entwikkeln, kann die Fachsprachenforschung nutzen, was die empirische Sozialforschung und die empirische Sprachforschung (vor allem die Dialektologie und die Soziolinguistik) an Konzepten hervorgebracht und erprobt hat. Es wäre allerdings ein Trugschluß, das Problem der notwendigen empirischen Fundierung der Fachsprachforschung ließe sich durch eine unreflektierte Übernahme von Methodologien und Methoden aus anderen Wissenschaften lösen. Vonnöten sind Untersuchungen zum Verständnis der Spezifik von Fachsprachen auf seiten der Fachsprachenforscher einerseits sowie der Produzenten und Rezipienten fachsprachlicher Texte andererseits. Vonnöten sind vor allem auch Methoden, mit deren Hilfe sich auf der Seite der Produzenten fachsprachlicher Texte deren Methoden ermitteln lassen, mit Texten Sinn zu erzeugen, vonnöten sind zudem Methoden welche ihrerseits die ad-hoc-Methoden der Rezipienten bei der Interpretation fachlicher Texte verstehen und ordnen helfen. Damit sind die Methoden der Produktion und Rezeption fachsprachlicher Äußerungen nicht nur ein eigenes Problem, sondern auch ein genuiner Gegenstand der Fachsprachenforschung.

6.

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Burkhard Schaeder, Siegen

20. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von statistischen Methoden

241

20. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von statistischen Methoden in der Fachsprachenforschung 1. 2. 3. 4. 5.

Sprachstatistik Methoden Ergebnisse Anwendungen Literatur (in Auswahl)

1.

Sprachstatistik

1.1. Die Sprachstatistik ist eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft, die vor allem quantitative Aspekte des Sprachgebrauchs und des Sprachsystems untersucht und dabei statistische Verfahren verwendet. In ihrer einfachsten Form ergänzt sie die qualitative Sprachbeschreibung durch Angaben zur Häufigkeit sprachlicher Erscheinungen, was für bestimmte Praxisbereiche wie die Informationsrecherche, den Fremdsprachenunterricht u. a. von Nutzen ist. Ihr theoretischer Anspruch besteht darin, die sprachliche Kommunikation als Wahrscheinlichkeitsprozeß zu modellieren. Auf beiden Wegen gelangt sie zu objektiven Parametern der Sprachdifferenzierung, wie sie in unterschiedlichen Subsprachen, Fachsprachen, Soziolekten oder Stilen zum Ausdruck kommen (Ermolenko 1970; Frumkina 1971; 1974; Golovin 1971; Guiraud 1954; 1960; Herdan 1964; Hoffmann 1975; Hoffmann/Piotrowski 1979; Muller 1968; Nalimov 1974; Nübold 1974; Piotrovskij/ Bektaev/Piotrovskaja 1977; Tuldava 1987; u. a.).

Die Sprachwissenschaft verwendet statistische Methoden vor allem dort, wo es darum geht, Sprache in Funktion, d. h. in Texten, zu erfassen und von Teilausschnitten (Stichproben) auf das Ganze (Grundgesamtheit) zu schließen, was beim gewaltigen Umfang und der großen Vielfalt sprachlicher Kommunikation in vielen Fällen gar nicht anders möglich ist. 1.2. Die Grundschritte der sprachstatistischen Analyse sind: (1) Definition der statistischen Elemente, z. B. Wort, Phrase, Satz; (2) Stichprobenplanung, d. h. Auswahl und Wichtung der Stichproben aus einem bestimmten Korpus sowie Fixierung ihres Umfanges und ihrer Anzahl; (3) Ermittlung der absoluten Häufigkeit der Elemente in den Einzelstichproben und in der Gesamtstichprobe; (4) Berechnung der relativen Häufigkeit und damit der Wahrscheinlichkeit für die Grundgesamt-

heit, z. B. Subsprache, Fachsprache, Funktionalstil, Werke eines Autors; (5) Prüfung der Zuverlässigkeit der ermittelten Werte durch die Errechnung der Standardabweichung, des relativen Fehlers, der Konfidenzgrenzen oder mit Hilfe anderer Prüfverfahren; (6) Darstellung der Ergebnisse in Listen, Tabellen oder Graphiken, z. B. Kreisdarstellung, Streifendiagramm, Histogramm, Polygonzug, Kurve, Punktwolke; (7) Interpretation und Verallgemeinerung der Ergebnisse bis hin zur Formulierung statistischer Gesetzmäßigkeiten. Diesen Schritten kann die Aufstellung einer Hypothese vorangehen; dann dienen sie der Verifizierung oder Falsifizierung dieser Hypothese. 1.3. Die Sprachstatistik hat früher im wesentlichen 10 Problemkreise bearbeitet: (1) Allgemeine Prinzipien und Methodologie; (2) Phonetik; (3) Metrik; (4) Indizes und Konkordanzen; (5) Distribution und Häufigkeit der Wörter; (6) Semantik; (7) Morphologie; (8) Syntax; (9) Kindersprache; (10) philologische, z. B. stilistische Probleme (Guiraud 1960, 5). In neuerer Zeit wendet sie sich, angeregt durch Bedürfnisse der Textlinguistik, der integrativen Beschreibung immer komplexerer Einheiten zu und berücksichtigt dabei auch kohärenzstiftende sprachliche Mittel, Textgliederungssignale u. ä. 1.4. So wie die Funktionalstilistik insgesamt als eine der Vorläuferinnen der Fachsprachenlinguistik angesehen werden kann, so hat auch die Stilstatistik der Anwendung statistischer Methoden in der Fachsprachenforschung den Weg geebnet (Hoffmann/Piotrowski 1979, 148⫺156; Perebijnis 1967; Golovin/Perebejnos 1974; u. a.). Ihre Anfänge liegen dort, wo Stile an einem in qualitativer und quantitativer Beziehung repräsentativen Textkorpus untersucht werden und wo an die Stelle der Behauptung, eine oder mehrere sprachliche Erscheinungen seien charakteristisch für einen bestimmten Funktionalstil, die Angabe ihrer Vorkommenshäufigkeit im untersuchten Textkorpus tritt. In den stilistischen Untersuchungen der 1. Generation begegnen wir vorwiegend absoluten Werten und Prozentzahlen für einzelne grammatische Kategorien, Formen und

242 Konstruktionen. Hauptzweck der Zählungen und Grundlage für eine erste Interpretation ist der Vergleich der Häufigkeiten in den verschiedenen Funktionalstilen, z. B. Umgangssprache, künstlerische Literatur und wissenschaftliche Literatur, und damit der Nachweis bestimmter Stilzüge, wie Unpersönlichkeit, Genauigkeit, logische Folgerichtigkeit usw. Die 2. Generation ist daran zu erkennen, daß ihre Vertreter sich bei der Bestimmung des analysierten Textkorpus von den Erkenntnissen der Versuchsplanung und Stichprobentheorie leiten lassen. Sie berechnen den notwendigen Umfang bzw. die erforderliche Zahl der Stichproben und schätzen die Zuverlässigkeit der Ergebnisse ab. Die 3. Generation sucht darüber hinaus nach einem Kriterium für die Signifikanz der Unterschiede zwischen den Häufigkeiten der sprachlichen Phänomene in den einzelnen Funktionalstilen. In der 4. Generation deutet sich die vollständige und systematische Aufarbeitung der Einheiten aller sprachlichen Ebenen für Einzelsprachen mit ihren Funktionalstilen an (vgl. Perebijnis 1967). Eine 5. Generation läßt mit dem Vergleich statistischer Meßwerte für gleiche Stile in unterschiedlichen Sprachen stilstatistische „Universalien“ erahnen. Die Stilstatistik liefert also eine exakte quantitative Beschreibung einzelner Stile, die oft auch qualitative Aussagen stützt. Die große Vielfalt und Differenziertheit sprachlicher Texte, die besonders in der Fachkommunikation aus unterschiedlichen Zielstellungen und Inhalten entspringt und sich auch in der statistischen Struktur deutlich ausprägt, wird jedoch durch die Zusammenfassung in einem Funktionalstil verwischt. Spezifische Merkmale der Texttypen und Textsorten bleiben unberücksichtigt, und auch der Zusammenhang zwischen konkreter Thematik und Stil wird nicht beachtet. Außerdem werden die Untersuchungen durch die Verwendung vorgegebener Kategorien, wie z. B. Genauigkeit, Eindeutigkeit, Folgerichtigkeit, tendenziös beeinflußt und bestimmte Ergebnisse präjudiziert. 1.5. Größere Erfolge hat die statistische Untersuchung von Subsprachen (vgl. Art. 15) dort erzielt, wo die Stilstatistik keinen rechten Ansatzpunkt gefunden hat: auf der Ebene der Lexik. Greifbares Ergebnis sind Häufigkeitswörterbücher (vgl. Art. 195) und Worthäufigkeitslisten der Subsprachen von Wissenschaft und Technik, z. B. Medizin, Physik,

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Chemie, Mathematik, Elektronik, Automatisierung, Bauwesen, Erdöl- und Erdgasverarbeitung, Bodenkunde, Landmaschinenbau, Weinwirtschaft, Militärwesen, Pädagogik, Außenpolitik (Hoffmann/Piotrowski 1979, 156⫺162). Sie bilden einerseits die Grundlage zur Befriedigung praktischer Bedürfnisse, etwa bei der Stoffauswahl für den Fremdsprachenunterricht oder bei der Zusammenstellung von Thesauren für die Informationsverarbeitung. Andererseits bieten sie eine Handhabe zur Beantwortung theoretischer Fragestellungen. Dazu gehören unter anderem der Vergleich der in zwei oder mehr Subsprachen verwendeten lexikalischen Mittel, Beobachtungen zu den Wortarten, zur Wortbildung, zu Entlehnungsbeziehungen, zu semantischen Feldern, zu Fügungspotenzen und auch zu stilistischen Merkmalen, die neben der quantitativen eine qualitative Beschreibung gestatten. Dabei verspricht der große textbildende Wert der häufigsten Lexik eine hohe Verallgemeinerungsmöglichkeit der Beobachtungsergebnisse im Hinblick auf die ganze Subsprache. Verglichen werden können auch statistische Parameter der Lexik wie die Textdeckung oder die Anzahl der unterschiedlichen Wörter in Stichproben aus zwei oder mehr Subsprachen. In ähnlicher Weise lassen sich die Subsprachen durch Häufigkeitsangaben zu Kategorien, die als Merkmale des Wortes, der Wortverbindung (Phrase) oder des Satzes auftreten, charakterisieren (Genus, Kasus, Numerus; Person, Tempus, Modus; Nominalität, Verbalität; Prädikativität, Attributivität, Kausalität, Konditionalität usw.). Bei den Wortverbindungen (Phrasen) erfaßt die statistische Analyse die Zahl ihrer Konstituenten, deren Wortklassen, die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den Konstituenten u. ä. Weiterhin sind aus syntaktischer Sicht die Satzlänge, der Satztyp, die Satzgliedfolge und andere Merkmale der Konstruktion für den Vergleich von Subsprachen leicht zu quantifizieren. Aus textlinguistischer Sicht lohnt sich die Ermittlung der Vorkommenshäufigkeit von bestimmten Makrostrukturen mit ihren Teiltexten, von Mitteln zur Herstellung der semantischen und syntaktischen Kohärenz sowie die integrative statistische Wertung der zuvor aufgezählten sprachlichen Mittel bis zur Satzebene.

2.

Methoden

2.1. Da es praktisch nicht möglich ist, die Gesamtheit der fachsprachlichen Kommuni-

20. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von statistischen Methoden

kation auch nur für eine Sprache und ein Gebiet zu erfassen, muß sich die Fachsprachenstatistik auf möglichst repräsentative Stichproben, d. h. auf schriftliche und/oder mündliche fachtypische Texte, stützen. Jede sprachstatistische Analyse beginnt deshalb mit der Auswahl und Bereitstellung eines entsprechenden Materialkorpus. Erste Voraussetzung dafür ist, daß man sich einen Überblick über die Literatur verschafft, die sowohl das Grundwissen als auch den neuesten Stand und die ausgeprägtesten Entwicklungstendenzen des Faches, aber auch dessen innere Gliederung in den richtigen Proportionen wiedergibt. Bei spezifischen Aufgabenstellungen im Sinne der angewandten Sprachwissenschaft, z. B. bei der Ermittlung eines Lernwortschatzes für den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht oder bei der Erstellung eines Thesaurus für die innerbetriebliche Information und Dokumentation, kann das Materialkorpus stärker eingegrenzt werden. Als Beispiel für die Bereitstellung eines ausgewogenen Textkorpus können die Vorarbeiten zu einem dreisprachigen Häufigkeitswörterbuch der Medizin (Hoffmann 1986) gelten: Die Anzahl der Stichproben gleicher Länge betrug für die Innere Medizin 47, die Chirurgie 41, die Gynäkologie 16, die Physiologie 17, die Physiologische Chemie 12, die Pathologie 8, die Neurologie 8, die Pädiatrie 5, die Sozialhygiene 6, die Geschichte der Medizin 1, die Mikrobiologie 2, die Pharmakologie 1, die Kinderchirurgie 3, die Orthopädie 3, die Radiologie 6 (Hoffmann 1975, 120). Neben den genannten Spezialdisziplinen wurde auch auf die Art der Publikationen bzw. die Textsorten geachtet. Besonders geeignet für die Ermittlung eines wissenschaftlich-technischen Grundwortschatzes sind Hoch- oder Fachschullehrbücher mit Überblickscharakter. Sie bieten am ehesten die Gewähr für eine systematische, wohlproportionierte und vollständige Erfassung des Stoffes und der zu seiner Darstellung nötigen sprachlichen Mittel; sie sind auch weniger als manche andere Textsorten durch den individuellen Sprachgebrauch einzelner Fachleute geprägt. Ein weiterer umfangreicher Materialkomplex sollte neueren Zeitschriften entnommen werden, die ebenfalls keinen zu speziellen Charakter haben. Nachschlagewerke, Referateblätter, Fortschrittsberichte, Anwendungsschriften u. ä. Textsorten sind hingegen eine günstige Ausgangsbasis zur Beobachtung fachsprachlicher Besonderheiten auf den Ebenen des Satzes und des Textes.

243

2.2. Umfang und Anzahl der Stichproben sind vor allem vom Untersuchungsgegenstand, d. h. von der Art und vom Bestand der statistischen Elemente abhängig. Vor allen Detailberechnungen stehen die folgenden elementaren Erkenntnisse: Je größer die Stichprobe, desto sicherer ist die Aussage, desto kleiner ist der relative Fehler bzw. das Vertrauensintervall der ermittelten Häufigkeiten. Je größer die relative Häufigkeit eines sprachlichen Phänomens in der Stichprobe, desto näher liegt ihr Wert bei der Wahrscheinlichkeit für sein Auftreten in der Grundgesamtheit (Sprache, Subsprache, Fachsprache). Je häufiger eine sprachliche Einheit auftritt und je geringer die Zahl der unterschiedlichen Einheiten ist, desto kleiner darf der Stichprobenumfang sein. Das bedeutet, daß Untersuchungen auf der Ebene der Phoneme oder Grapheme mit Stichproben geringen Umfangs auskommen. So sind z. B. fünf Funktionalstile in insgesamt 300 000 Phonemen hinreichend erfaßt (Perebijnis 1967, 44). Um die Spezifik einer Fachsprache zu ermitteln, genügen Textausschnitte im Gesamtumfang von 30 000 Graphemen. Für die Untersuchung der wichtigsten Erscheinungen von Morphologie und Syntax in verschiedenen Stilen stark flektierender Sprachen werden 10 bis 20 Stichproben zu je 500 Autosemantika empfohlen (Golovin 1971, 58). Fachsprachliche Untersuchungen zur Morphologie und zu einigen grammatischen Grundkategorien, wie Wortart, Deklinationstyp, Verbalklasse usw., sind bei einem Stichprobenumfang von 20 000 Wortstellen durchaus repräsentativ. In der Syntax ist ein Unterschied zwischen der Erfassung einzelner Satzglieder und ganzer Konstellationen zu machen: Je mehr Glieder eine Konstellation enthält und je leichter diese ihre Positionen tauschen können, desto größer muß die Stichprobe sein. In der Fachsprachenforschung haben Stichproben von 2000 Sätzen bisher zu guten Ergebnissen geführt. Sehr weit gehen die Auffassungen über den notwendigen Stichprobenumfang bei lexikalischen Untersuchungen auseinander. Sie bewegen sich für die Gemeinsprache zwischen 1 Million (Guiraud 1960, 96) und 400 000 (Frumkina 1963, 74⫺77), wenn nur die 1000 häufigsten lexikalischen Einheiten festgestellt werden sollen. Subsprachliche Worthäufigkeitszählungen sind bis zu 200 000 Wörtern laufenden Textes gegangen (Tuldava 1987, 56). Doch wurden auch mit Stichproben von N ⫽ 35 000 recht brauchbare Ergeb-

244 nisse erzielt (Hoffmann 1975, 25⫺42). Bei der Festsetzung des Stichprobenumfanges für fachtextlinguistische Untersuchungen muß den Besonderheiten der einzelnen Textsorten Rechnung getragen werden. Die sogen. „kleinen“ Textsorten, wie Rezension, Referat (Abstract), Lexikonartikel, werden im allgemeinen vollständig erfaßt, wenn es um die Häufigkeit der Gliederungssignale und der kohärenzstiftenden Mittel oder um die Dominanz anderer textueller Merkmale geht (Hoffmann 1987 b, 54⫺55). Um signifikante Unterschiede zu finden, werden im ersten Ansatz 10 bis 20 Textexemplare je Textsorte miteinander verglichen. Bei längeren Textsorten werden gewöhnlich Stichproben gleicher Länge vom Anfang, aus der Mitte und vom Ende genommen. Nach der Bestimmung des Gesamtumfanges der Stichprobe (N) sind für die Stichprobenplanung noch die Größe der Teilstichproben (n) und deren Verteilung über das Textkorpus von Bedeutung. Das gilt vor allem für Wortschatzzählungen. Wenn kein wesentlicher Teil des zu ermittelnden Fachwortschatzes verloren gehen soll, dann empfiehlt es sich, die Teilstichproben mit gleichmäßigen Intervallen, die weder zu klein noch zu groß sind, über das Korpus zu verteilen. Andernfalls würde auch die vorangegangene Sichtung nach Sachgebieten und Publikationsarten wirkungslos. Günstige Werte sind 200 ⱕ n ⱕ 500 für die Teilstichproben und 10 ⱕ S ⱕ 50 für die Seitenabstände. 2.3. Das erste Ergebnis der Zählung sprachlicher Einheiten ist die absolute Häufigkeit. Sie gibt an, wie oft die betreffende Erscheinung im untersuchten Text aufgetreten ist. Diese absolute Häufigkeit besitzt für weitere Untersuchungen, die praktische Nutzung der Ergebnisse oder gar für verallgemeinernde Aussagen nur wenig Wert, weil sie direkt vom Umfang der Stichprobe abhängt. Sie dient lediglich als Ausgangsgröße, z. B. für die Berechnung der relativen Häufigkeit. 2.4. Die relative Häufigkeit ist ein Prozentwert, der den Anteil der sprachlichen Einheit an der Gesamtheit des Textes ausdrückt. Sie ergibt sich aus der Division der absoluten Häufigkeit durch die Länge der Stichprobe, z. B. für ein Wort mit der Häufigkeit 186 in einer Stichprobe von N ⫽ 50 000 als 186 oder 186 : 50 000 ⫽ 0,00372. 50 000

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Mit anderen Worten: Die relative Häufigkeit einer Erscheinung ist das Verhältnis zwischen der Zahl ihres tatsächlichen Auftretens und der Zahl ihres (theoretisch) möglichen Auftretens. War die Stichprobe groß genug, d. h. repräsentativ für eine Fachsprache, so kann die relative Häufigkeit der Wahrscheinlichkeit des sprachlichen Phänomens gleichgesetzt werden. Sie berechtigt dann zu Aussagen über die statistische Struktur der entsprechenden Subsprache oder über die Wichtigkeit einzelner Elemente für die Konstituierung des Textes. 2.5. Ein besonders wichtiger Schritt bei sprachstatistischen Analysen ist die Prüfung der Zuverlässigkeit der ermittelten Werte. Dafür stehen unterschiedliche Prüfverfahren zur Verfügung. In der Stilstatistik und in der Fachsprachenstatistik werden vor allem die Standardabweichung, der relative Fehler und die Konfidenzgrenzen berechnet. Bei Vergleichen begegnet man auch dem Chi-QuadratTest (x2). Die Standardabweichung (mittlere quadratische Abweichung) ist ein Maß für die Variabilität der mittleren Häufigkeit einer sprachlichen Erscheinung in den Teilstichproben. Ihrer Berechnung dient die Formel: s⫽



SAQ n⫺1

(s ⫽ Standardabweichung; SAQ ⫽ Summe der Abweichungsquadrate; n ⫽ Anzahl der Stichproben) Der relative Fehler wird vor allem für bestimmte lexikalische Einheiten in Häufigkeitswörterbüchern ermittelt, um die Zuverlässigkeit dieser Wörterbücher zu bestimmen. Das geschieht mit Hilfe der Formel:

冏 冏 冑 f⫺p

ⱕ Zr

p (1 ⫺ p) N

(f ⫽ relative Häufigkeit; p ⫽ Wahrscheinlichkeit; Zr ⫽ Koeffizient für das vorgegebene Vertrauensniveau r; N ⫽ Umfang der Stichprobe) In linguostatistischen Arbeiten werden vereinfachte Varianten dieser Formel verwendet, die dadurch entstehen, daß bei kleinem p die Differenz 1 - p ⬇ 1 ist. Eine gängige Variante zur Bestimmung des relativen Fehlers ist: d⫽

Zr

兹Nf

oder d ⫽

Zr

兹F

(d ⫽ relativer Fehler; Zr ⫽ Koeffizient für das vorgegebene Vertrauensniveau r; N ⫽

20. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von statistischen Methoden

Umfang der Stichprobe; f ⫽ relative Häufigkeit; F ⫽ absolute Häufigkeit) (Alekseev 1975, 46). Die Berechnung des Vertrauensintervalls ist eine verfeinerte Variante der Berechnung des relativen Fehlers, mit der die untere und die obere Grenze (p1 und p2 ) der Schwankungen um die mittlere Häufigkeit festgestellt werden. Man begegnet dafür verschiedenen Schreibweisen, z. B.



1 1 fN ⫹ Zr2 ⫺ Zr f (1 ⫺ f) N ⫹ Zr2 2 4 p1 ⫽ N ⫹ Zr2



1 1 fN ⫹ Zr2 ⫹ Zr f (1 ⫺ f) N ⫹ Zr2 2 4 p2 ⫽ N ⫹ Zr2

(Alekseev 1975, 47; Hoffmann 1975, 29). Mit Hilfe des Chi-Quadrat-Tests (x2) wird festgestellt, ob die Häufigkeitsunterschiede, mit denen sprachliche Erscheinungen in verschiedenen Stichproben auftreten, signifikant sind, oder ob die Stichproben der gleichen Grundgesamtheit (Funktionalstil, Subsprache, Fachsprache, Textsorte usw.) angehören. Meistens handelt es sich dabei um die Überprüfung (Verifizierung oder Falsifizierung) einer Grundannahme (Nullhypothese), z. B. der Erwartung, daß die Wortarten bei der Konstituierung eines Textes annähernd die gleiche Rolle spielen. Die Prüfgröße x2 repräsentiert die Summe der zu den erwarteten Häufigkeiten ins Verhältnis gesetzten Quadrate der Differenzen zwischen den beobachteten und den erwarteten Häufigkeiten für eine bestimmte Anzahl von Variablen: k

x2 ⫽

兺 i⫽1

(fbi ⫺ fei)2 fei

(k ⫽ Anzahl der Variablen; i ⫽ Variable; fbi ⫽ beobachtete Häufigkeit der Variablen; fei ⫽ erwartete Häufigkeit der Variablen) (Hoffmann/Piotrowski 1979, 107⫺108). Beim Vergleich von Stichproben wird die erwartete Häufigkeit fei gewöhnlich mit der durchschnittlichen Häufigkeit x¯ gleichgesetzt: x2 ⫽

S (xi ⫺ x¯)2 (Golovin 1971, 28⫺29) x¯

(Beispiele s. Hoffmann/Piotrowski 1979, 105⫺126). 2.6. Bei der Darstellung der Ergebnisse bedient sich die Fachsprachenstatistik unter-

245

schiedlicher Listen, Tabellen und Graphiken (Hoffmann/Piotrowski 1979, 126⫺148). Mit Hilfe von Kreisdarstellungen und Streifendiagrammen werden vor allem Anteile in Prozentwerten abgebildet und verglichen. Zur graphischen Darstellung quantitativer Merkmale wie Wort- oder Satzlänge eignen sich das Histogramm und der Polygonzug. Kurven mit mehr oder weniger typischem Verlauf gehen über diese einfache Zuordnung von Häufigkeiten zu qualitativen und quantitativen Merkmalen hinaus. Sie lassen funktionale Zusammenhänge zwischen Merkmalen und ihren Häufigkeiten erkennen, und die Häufigkeit sprachlicher Erscheinungen kann selbst zum Merkmal werden, das durch andere Werte charakterisiert ist. Abhängigkeiten bestehen z. B. zwischen den Häufigkeiten lexikalischer Einheiten und ihren Rängen in einem Häufigkeitswörterbuch, zwischen der Häufigkeit und ihrer Wahrscheinlichkeit im Text, zwischen der Häufigkeit eines Lexems und der Zahl seiner Sememe, zwischen Häufigkeit und relativem Fehler, zwischen den Rängen eines Häufigkeitswörterbuches und der kumulativen Zahl der lexikalischen Einheiten, zwischen den Rängen und der Textdeckung, zwischen der Häufigkeit und der Fügungspotenz, zwischen der Häufigkeit und dem Spezialisierungsgrad des Fachwortschatzes, zwischen der Textlänge und dem Umfang der Lexik usw. (Hoffmann/Piotrowski 1979, 141⫺146). 2.7. Interpretation und Verallgemeinerung der Ergebnisse fachsprachenstatistischer Untersuchungen erfolgen zumeist unter dem Blickwinkel ihrer Anwendung (vgl. 4), können aber auch sprachtheoretische Konzepte stützen. Da sie in der Masse der Fälle nicht das Sprachsystem, sondern Texte aller Art zum Gegenstand haben, fügen sie sich gut in die tätigkeitsbezogene, kommunikativ-pragmatisch orientierte Sprachbetrachtung ein (Frumkina 1971; 1974; Tuldava 1987).

3.

Ergebnisse

3.1. Das wichtigste Ergebnis der Fachsprachenstatistik sind Häufigkeitswörterbücher der Subsprachen von Wissenschaft und Technik (Hoffmann 1975, 25⫺42; Hoffmann/Piotrowski 1979, 185⫺189; Tuldava 1987, 54⫺ 65). Das Häufigkeitswörterbuch ist ein Wissensspeicher bzw. Nachschlagewerk, in dem die lexikalischen Einheiten mit ihrer Vorkom-

246 menshäufigkeit aufgeführt sind, wobei die Häufigkeit zum Ordnungskriterium werden kann, so daß eine Rangliste entsteht, die mit dem häufigsten Wort beginnt und mit einem Wort geringer Häufigkeit endet. Häufigkeitswörterbücher werden nach den folgenden formalen und inhaltlichen Merkmalen klassifiziert: (1) Nach der Anordnung des lexikalischen Materials. Die lexikalischen Einheiten können entweder alphabetisch oder nach ihrer abnehmenden Häufigkeit angeordnet sein. Viele Häufigkeitswörterbücher enthalten sowohl eine Häufigkeitsliste als auch ein alphabetisches Verzeichnis mit Häufigkeitsangaben. (2) Nach dem Umfang des lexikalischen Materials. Es gibt vollständige Häufigkeitswörterbücher, in denen alle lexikalischen Einheiten des analysierten Textkorpus erfaßt sind, und unvollständige Häufigkeitswörterbücher, die nur einen Teil der Wörter, gewöhnlich die häufigsten, enthalten. (3) Nach dem Umfang des untersuchten Textkorpus. Man unterscheidet große, mittlere und kleine Häufigkeitswörterbücher. (4) Nach Medium, Genre und Thematik oder dem Autor des jeweiligen Textkorpus. Häufigkeitswörterbücher werden für den schriftlichen und für den mündlichen Sprachgebrauch, für Prosa, Lyrik und Dramatik, zu allgemeinen und speziellen Themen sowie zu einzelnen Veröffentlichungen oder dem Gesamtwerk bestimmter Autoren erarbeitet, aber auch für ganze Sub- bzw. Fachsprachen. (5) Nach der Art der lexikalischen Einheiten. Häufigkeitswörterbücher können Wortstämme, Lexeme, Wortformen oder Wortgruppen registrieren. (6) Nach der Art der angegebenen Häufigkeit. Es wird die absolute und/oder die relative Häufigkeit angegeben. Ein dritter Meßwert ist die Anzahl der Quellen bzw. Teilstichproben, in denen das Wort vorgekommen ist (range). Die relativen Häufigkeiten können zur kumulativen Häufigkeit aufsummiert sein. (7) Nach dem angewandten Untersuchungsverfahren. Die lexikalischen Einheiten entstammen entweder einem Gesamtkorpus oder einer Auswahl von Stichproben. Der zweite Fall ist der häufigere, weil die meisten Textkorpora gar nicht vollständig zu erfassen sind (Alekseev 1968, 61⫺62). Die Anzahl der lexikalischen Einheiten in Häufigkeitswörterbüchern liegt zwischen

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

40 000 für die Gesamtsprache und 1000 bis 1200 für einzelne Fachsprachen. Die Sprachstatistik garantiert bei den 100 häufigsten Wörtern 60%, bei den 1000 häufigsten Wörtern 86% und bei den 4000 häufigsten Wörtern 97,5% Textdeckung (Guiraud 1960, 93⫺94). Wendet man die vorstehende Klassifizierung an, so handelt es sich bei den meisten fachsprachlichen Häufigkeitswörterbüchern um den kombinierten Typ eines kleinen Spezialwörterbuches, das keinen Wert auf Vollständigkeit legt, sein Material dem Stichprobenverfahren verdankt und neben den Stichwörtern in ihrer Grundform Angaben zu Rang und relativer Häufigkeit enthält (z. B. Hoffmann 1970 ff). 3.2. Aus fachsprachenstatistischen Untersuchungen sind auch zahlreiche Häufigkeitsverzeichnisse für grammatische Erscheinungen hervorgegangen (Hoffmann 1987 a, 96⫺124, 183⫺230). Erfaßt wurden vor allem klassifikatorische Kategorien und ihre morphologischen Ausprägungen, z. B. Wortart; Genus, Kasus, Numerus der Substantive; Steigerungsformen der Adjektive; Person, Tempus, Modus und Genus der Verben; Flexionsendungen; Syntagmen und Phrasen; Satztypen und Typen der aktuellen Satzgliederung. Während in den Häufigkeitswörterbüchern deutliche Unterschiede sowohl zwischen den Fachsprachen und anderen Subsprachen als auch zwischen den Fachsprachen selbst zutage treten, äußert sich die Spezifik der Fachsprachen im Bereich der Grammatik nur in der besonderen Häufigkeit oder Seltenheit einiger ausgewählter Erscheinungen. Innerhalb der Fachsprachen ergibt sich eine Differenzierung in bezug auf die Textsorten, wobei sich dann gewisse grammatische Eigenheiten bei bestimmten Textsorten durch viele Fachsprachen hindurchziehen. Das gilt z. B. für die syntaktische Kompression bei Referaten (Abstracts), den Typ III der aktuellen Satzgliederung bei Lexikonartikeln, die Parenthese in Lehrbüchern u. ä. m. 3.3. Nicht die Texthäufigkeit, sondern die Systemhäufigkeit ist im Bereich der Wortbildung, insbesondere der Terminusbildung, genauer untersucht worden, weil sie Aufschluß über die Produktivität der Wortbildungstypen und -mittel gibt. Was die Derivation angeht, so treffen wir in der oberen Zone einer Rangliste für die englische Fachsprache der Medizin die folgenden 11 Suffixe an:

20. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von statistischen Methoden

-y (dyspepsy), -ia (mammalgia), -sis (hemoptysis), -ion/-tion/-ation (infection, fixation), -a/-oma (malva, spheroma), -er (sterilizer), -ity (nervosity), -ness (acuteness), -ism (atropism), -ing (scalding), -itis (bronchitis). Sie machen zusammen 68,7% aller suffigierten Substantive in einem entsprechenden Fachwörterbuch aus. Andere Suffixe, wie -ment, -ance/-ence, -ure, -ist, -our, -hood, -age, erscheinen allesamt an weniger als 2% der Derivate. Eine Rangliste der Fachsprache der Mathematik zeigt ein ganz anderes Bild. Wir begegnen dort den folgenden 11 häufigsten Suffixen: -ion/-tion/-ation (addition, modification), -ity (probability), -ness (unrelatedness), -ance/ -ence (expectance, occurrence), -y (symmetry), -ing (linking), -er (modifier), -ment (enlargement), -or (denominator), -ant/-ent (eliminant, component), -ancy/-ency (discrepancy, frequency). Sie machen zusammen 69,6% aller suffigierten Substantive in einem Fachwörterbuch aus. Alle übrigen Suffixe, z. B. -ure, -ism, -age, -osis, -ship, erscheinen auch hier bei weniger als 2% der Derivate. Fachsprachenstatistische Untersuchungen zur Wortbildung ermöglichen also sowohl exakte Einzelaussagen über die Verwendung bestimmter Suffixe in einem fest umrissenen Kommunikationsbereich als auch Vergleiche zwischen mehreren Kommunikationsbereichen, durch die diese voneinander abgegrenzt werden. Ähnliches hat sich bei der statistischen Analyse der Strukturtypen von Mehrworttermini (Wortgruppentermini) ergeben. So machen in der russischen Fachsprache des Hochbaus die 8 häufigsten Konfigurationen 85,2% aller auftretenden Konfigurationen aus: Adjektiv ⫹ Substantiv 63,9%, Substantiv ⫹ Substantiv im Genitiv 8,9%, Adjektiv ⫹ Adjektiv ⫹ Substantiv 5,2%, Substantiv ⫹ Adjektiv ⫹ Substantiv im Genitiv 2,5%, Substantiv ⫹ Präposition ⫹ Adjektiv ⫹ Substantiv 1,8%, Adjektiv ⫹ Substantiv ⫹ Substantiv im Genitiv 1,3%, Substantiv ⫹ Präposition ⫹ Substantiv 0,9%, Substantiv ⫹ Substantiv ⫹ Substantiv im Genitiv 0,7%. In anderen Fachterminologien dominieren etwa die gleichen Strukturtypen, so daß hier vor allem Gemeinsamkeiten zwischen den Fachsprachen und Unterschiede zu anderen Subsprachen offenbar werden.

4.

Anwendungen

4.1. Durch sprachstatistische Untersuchungen lassen sich Grundwortschätze für einzelne

247

Sprachen und ihre Subsprachen bzw. Fachsprachen exakter ermitteln als mit Hilfe anderer Verfahren. Der Grundwortschatz ist aus linguistischer Sicht sehr unterschiedlich definiert worden: als seit Entstehung der Sprachen relativ stabile Elementarlexik; als ein Kern für die Wortbildung produktiver Wurzelwörter; als die strukturelle Basis der Lexik; als allgemein gebräuchliche Bezeichnungen lebenswichtiger Dinge, Erscheinungen und Tätigkeiten; als gesamtnationaler Wortbestand usw. Gemeinsam ist all diesen Definitionen die Vorstellung von einem relativ beständigen, in der Sprachgemeinschaft weit verbreiteten, produktiven lexikalischen Zentrum, an das sich periphere, weniger beständige, im Geltungsbereich eingeschränkte, sekundär abgeleitete Wortschätze, z. B. Fachwortschätze, anlagern. Alle Versuche, den Grundwortschatz einer Sprache in einem Wörterverzeichnis zusammenzustellen, zeigen, wie schwierig die Abgrenzung gegenüber den peripheren Wortschätzen ist. Auch der Umfang dessen, was von einzelnen Autoren als Grundwortschatz bezeichnet wird, schwankt beträchtlich (zwischen 200 und 20 000). Ein zuverlässiges Kriterium für die Aufnahme lexikalischer Einheiten in den Grundwortschatz ist ihre Häufigkeit; denn die Sprachstatistik hat nachgewiesen, daß die häufigsten Wörter Veränderungen in der historischen Entwicklung am längsten überdauern, von der gesamten Sprachgemeinschaft ständig verwendet werden und in der Wortbildung produktiv sind. Neben der Häufigkeit ist auch der Verbreitungsgrad (range) in unterschiedlichen Situationen, Sachgebieten und Texten als Kriterium für Aufnahme oder Ausschluß verwendet worden. 4.2. Häufigkeitswörterbücher sind auch eine wichtige Hilfe bei der Erarbeitung von Thesauri für die Informatik. Sie können, nach Herstellung der begrifflichen Systematik, zur Auswahl der Deskriptoren beitragen, wenn in Fachtexten und Fachwörterbüchern terminologische Synonyme auftreten. In traditionellen zwei- und mehrsprachigen Wörterbüchern sollte die Reihenfolge der Bedeutungsäquivalente nach dem Stichwort durch ihre Gebrauchshäufigkeit bestimmt werden, um den Suchprozeß abzukürzen. Bei kleineren Wörterbüchern kann im Grunde genommen nur die Häufigkeit über die Aufnahme der Stichwörter und über die Zahl der ihnen zuzuordnenden Äquivalente entscheiden. 4.3. In normativen Darstellungen der Grammatik (Morphologie und Syntax), die selbst-

248 verständlich zunächst von der Systematik des Gegenstandes auszugehen haben, fehlen bisher leider Angaben zur Vorkommenshäufigkeit der einzelnen Kategorien und ihrer formalen Repräsentation. Hier böte sich eine gute Gelegenheit zur Verbindung von System- und Tätigkeitsaspekt. Die Fachsprachenstatistik ist dazu ⫺ im Rahmen der von ihr untersuchten Fachgebiete und Textsorten ⫺ aussagefähig. Ihr Hauptanliegen besteht jedoch darin, die Darstellung der Grammatik im Sinne der angewandten Linguistik auf bestimmte für die Fachkommunikation relevante Erscheinungen einzuengen bzw. diese zu akzentuieren. 4.4. Breite Berücksichtigung finden die Ergebnisse der Sprachstatistik in der Fremdsprachenausbildung, insbesondere im Fachsprachenunterricht. Dabei geht es vor allem um die Stoffauswahl und -einschränkung in Gestalt von Minima. Ein Minimum ist die Menge sprachlicher Einheiten, die zur Lösung bestimmter Kommunikationsaufgaben unbedingt erforderlich ist und deshalb das Kernstück des Fremdsprachenunterrichts ausmacht. Mit anderen Worten: Ein Minimum soll die nützlichsten lexikalischen und grammatischen Erscheinungen enthalten, mit deren Hilfe sich der Lernende in kürzester Zeit ein möglichst hohes Maß an Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten aneignen kann. Minima für die Fachsprachenausbildung unterscheiden sich wegen deren spezifischer statistischer Struktur wesentlich von Minima für andere Subsprachen oder die allgemeine Kommunikation. Das lexikalische Minimum trifft eine rigorose Auswahl aus dem nach Hunderttausenden zählenden Gesamtwortschatz mit seinen vielen Fachwortschätzen. Der Umfang der gemeinsprachlichen Minima variiert zwischen 850 und 7000 lexikalischen Einheiten. In ein Fachsprachenminimum sollten auf alle Fälle die 1200 häufigsten Lexeme eingehen, weil sie eine Textdeckung von 86 bis 93% gewährleisten. Das grammatische Minimum entsteht durch den Verzicht auf morphologische Varianten, vor allem aber durch die Beschränkung auf syntaktische Grundstrukturen und die Reduzierung der syntaktischen Synonymie. In den speziellen Minima der Sub- und Fachsprachen sind vor allem syntaktische Konstruktionen enthalten, die dort besonders häufig auftreten bzw. für bestimmte Darstellungsarten, Sprachhandlungen oder Textsorten charakteristisch sind.

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

5.

Literatur (in Auswahl)

ˇ astotnye sloAlekseev 1968 ⫽ Pavel M. Alekseev: C vari i priemy ich sostavlenija. In: Statistika recˇi. Leningrad 1968, 61⫺63. Alekseev 1975 ⫽ Pavel M. Alekseev: Statisticˇeskaja leksikografija. Leningrad 1975. Ermolenko 1970 ⫽ Georgij V. Ermolenko: Lingvisticˇeskaja statistika. Kratkij ocˇerk i bibliograficˇeskij ukazatel’. Alma-Ata 1970. Frumkina 1963 ⫽ Revekka M. Frumkina: Nekotorye prakticˇeskie rekomendacii po sostavleniju cˇastotnych slovarej. In: Russkij jazyk v nacional’noj sˇkole 5/1963, 74⫺77. Frumkina 1971 ⫽ Revekka M. Frumkina: Verojatnost’ elementov teksta i recˇevoe povedenie. Moskva 1971. Frumkina 1974 ⫽ Revekka M. Frumkina (red.): Prognoz v recˇevoj dejatel’nosti. Moskva 1974. Golovin 1971 ⫽ Boris N. Golovin: Jazyk i statistika. Moskva 1971. Golovin/Perebejnos 1974 ⫽ Boris N. Golovin/Valentina I. Perebejnos (red.): Voprosy statisticˇeskoj stilistiki. Kiev 1974. Guiraud 1954 ⫽ Pierre Guiraud: Bibliographie critique de la statistique linguistique. Utrecht. Anvers 1954. Guiraud 1960 ⫽ Pierre Guiraud: Proble`mes et me´thodes de la statistique linguistique. Paris 1960. Herdan 1964 ⫽ Gustav Herdan: Quantitative linguistics. London 1964. Hoffmann 1970 ff ⫽ Lothar Hoffmann (Hrsg.): Reihe Fachwortschatz Russisch⫺Englisch⫺Französisch (Medizin, Physik, Chemie, Mathematik, Bauwesen u. a.). Leipzig 1970 ff. Hoffmann 1975 ⫽ Lothar Hoffmann (Hrsg.): Fachsprachen und Sprachstatistik. Berlin 1975 (Sammlung Akademie-Verlag 41 Sprache). Hoffmann 1986 ⫽ Lothar Hoffmann (Hrsg.): Fachwortschatz Medizin. 7. Aufl. Leipzig 1986. Hoffmann 1987 a ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache, 3. Aufl. Berlin 1987 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Hoffmann 1987 b ⫽ Lothar Hoffmann (Hrsg.): Fachsprache ⫺ Instrument und Objekt. Leipzig 1987 (Linguistische Studien). Hoffmann/Piotrowski 1979 ⫽ Lothar Hoffmann/ Rajmond G. Piotrowski: Beiträge zur Sprachstatistik. Leipzig 1979 (Linguistische Studien). Muller 1968 ⫽ Charles Muller: Initiation a` la statistique linguistique. Paris 1968. Nalimov 1974 ⫽ Vasilij V. Nalimov: Verojatnostnaja model’ jazyka. Moskva 1974. Nübold 1974 ⫽ Peter Nübold: Quantitative Methoden zur Stilanalyse literarischer Texte: Ein Bericht über den Stand der Forschung in der Anglistik.

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden Braunschweig 1974 (Braunschweiger Anglistische Arbeiten 5). Perebijnis 1967 ⫽ Valentina S. Perebijnis: Statisticˇni parametri stiliv. Kiiv 1967. Piotrovskij/Bektaev/Piotrovskaja 1977 ⫽ Raimond G. Piotrovskij/Kaldybaj B. Bektaev/Anna A. Pio-

249

trovskaja: Matematicˇeskaja lingvistika. Moskva 1977. Tuldava 1987 ⫽ Juchan Tuldava: Problemy i metody kvantitativno-sistemnogo isslodovanija leksiki. Tallin 1987.

Lothar Hoffmann, Großdeuben

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden in der Fachsprachenforschung 1. 2. 2.1. 2.2.

4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 5. 6.

Vorbemerkungen Analyse von Fachwortschätzen Modelle und Mittel der Wortbildung Bedeutungsstrukturen und semantische Relationen Analyse syntaktischer Strukturen und Funktionen Nominalgruppen und Verbalgruppen Satzarten, Satztypen und Satzkonstruktionen Fügungspotenzen und Fügungsrealitäten Thema-Rhema-Gliederung Kommunikationsverfahren und Sprachhandlungen Analyse von Fachtexten und Fachtextsorten Beschreibungsansätze und Textmodelle Makrostrukturen Kohärenz und Kohäsion Fachtextsorten Intralinguale und interlinguale Vergleiche Literatur (in Auswahl)

1.

Vorbemerkungen

3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.

1.1. Es gibt wahrscheinlich keine Methode der synchronischen Sprachbetrachtung, die nicht auch schon zur Beschreibung von Fachsprachen verwendet worden ist. Die Fachsprachenforschung muß deshalb dem Sprachtheoretiker ausgesprochen eklekti(zist)isch erscheinen. Ein erster Grund dafür liegt in der Entstehung und Entwicklung der Fachsprachenlinguistik aus ganz unterschiedlichen Teildisziplinen der Sprachwissenschaft, z. B. Terminologiearbeit und Fachlexikographie, Funktionalstilistik, Wirtschaftslinguistik, Übersetzungswissenschaft, Fremdsprachendidaktik (vgl. Hoffmann 1987b, 21⫺71; 1988a, 23⫺34). Ein zweiter ist in den unterschiedlichen Anwendungsinteressen der Fachsprachenforschung zu suchen (vgl. Hoffmann 1988a, 35⫺49). Als dritten Grund könnte man das Fehlen einer in sich konsistenten Fachsprachentheorie nennen (vgl. Fluck

1985, 192⫺194; von Hahn 1983, 60⫺83; Kalverkämper 1980 u. a.). Hinzu kommt, daß bei der großen Masse fachsprachlicher Untersuchungen einmal diese und einmal jene Methode besonders geeignet erschien. 1.2. Da es der Fachsprachenforschung in erster Linie darauf ankommt, die Spezifik der Fachkommunikation gegenüber anderen Kommunikationsbereichen oder Sprachgebrauchssphären zu ermitteln, zu beschreiben und zu interpretieren, greift sie relativ selten zu den Methoden der Sprachkompetenzforschung, häufig dagegen zu Performanzanalysen. Sie interessiert sich weniger für grundlegende und allgemeine Regeln zur Generierung sprachlicher Strukturen oder die Möglichkeit, diese in Modellen darzustellen, sondern vielmehr für Varianten der Sprachkommunikation, für die Ursachen und Bedingungen ihrer Entstehung, die ⫺ bei den Fachsprachen ganz besonders ⫺ im außersprachlichen Bereich liegen. 1.3. Aus ähnlichen Gründen hat die Fachsprachenforschung auch ein ambivalentes Verhältnis zur sog. Systemlinguistik. Einflüsse der Glossematik, des Distributionalismus und anderer strukturalistischer Richtungen ⫺ mit Ausnahme der Prager Schule ⫺ sind so gut wie nicht festzustellen. Die Orientierung am Sprachsystem mit seinen Teilsystemen ist stärker lediglich in der Lehre von den Subsprachen. Dort bilden die Systemeigenschaften der Fachsprachen die Basis für weitere Untersuchungen. Im übrigen aber stehen ihre Verwendungseigenschaften (vgl. Kap. V) im Vordergrund, was die Fachsprachenlinguistik in größere Nähe zur Kommunikationslinguistik, aber auch zur Soziolinguistik, zur Pragmalinguistik, zur Textlinguistik, zur

250

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Diskursanalyse, zur Sprechakttheorie und zur Betonung des Tätigkeitsaspektes bringt. Der Bezug auf das Sprachsystem gewährleistet in erster Linie die übersichtliche und klassifikatorisch saubere Ordnung des in der Fachkommunikation verwendeten Sprachmaterials. Das gilt vor allem für Phänomene wie produktive Modelle und Mittel der Wortbildung, semantische Relationen in terminologischen Feldern, Hierarchien und Netzen, Satztypen und Valenzbeziehungen in der Syntax, Makro- bzw. Superstrukturen bei Fachtextsorten. Ansonsten aber nutzt die Fachsprachenlinguistik überwiegend Methoden, die zu Aussagen über die Verwendung sprachlicher Mittel in der Fachkommunikation, d. h. in schriftlichen und mündlichen Fachtexten, führen. 1.4. In den folgenden Abschnitten wird gezeigt, welche linguistischen Methoden besondere Bedeutung für die Fachsprachenforschung besitzen, weil sie spezifische Systemund Verwendungseigenschaften der Fachsprachen sichtbar machen (vgl. Kap. V und VI). Dabei kann man in der Reihenfolge sowohl eine Aufwärtsbewegung in der Hierarchie der sprachlichen Ebenen als auch eine bedingte Chronologie der Erprobung dieser Methoden sehen.

2.

Analyse von Fachwortschätzen

2.1. Modelle und Mittel der Wortbildung 2.1.1. Die Fachsprachenforschung hat schon sehr früh erkannt, daß Fachwortschätze wegen des ständig wachsenden Benennungsbedarfs von Wissenschaft und Technik eine wahre Fundgrube für die Beschreibung produktiver Modelle und Mittel der Wortbildung sind. Unter Produktivität versteht sie die Möglichkeit, mit einer begrenzten Anzahl von Wortbildungsprozeduren und -morphemen immer wieder neue Benennungen für Gegenstände und Vorgänge im jeweiligen Fach zu schaffen. Beim Ausbau ganzer Terminologien (vgl. Kap. XXIV) steht natürlich die Bildung von Substantiven durch Derivation, Konfigierung, Konversion und Komposition sowie von Substantivgruppen durch Lexikalisierung von Syntagmen im Vordergrund, die man zusammenfassend als Wortbildungskonstruktionen bezeichnen kann und die je nach Sprachtyp eine unterschiedliche Rolle spielen. Man vgl. Drozd/Seibicke 1973, 129⫺158; Hoffmann 1987b, 169⫺176; Kocourek 1982, 86⫺132;

Mitrofanova 1973, 33⫺50; Reinhardt 1975, 26⫺50; Reinhardt/Neubert 1984, 8⫺23; Sager/Dungworth/ McDonald 1980, 251⫺284; Birkenmaier/Mohl 1991, 7⫺80; u. a.

2.1.2. Der alte Streit der Sprachwissenschaftler, ob die Wortbildung zur Morphologie und damit zur Grammatik oder zur Lexikologie als relativ selbständiger Teildisziplin zu zählen sei, ist von der Fachsprachenlinguistik wegen ihres ausgeprägten terminologischen Interesses längst zugunsten der zweiten Lösung entschieden worden. Zur Darstellung der Fachwortbildung werden vor allem drei Methoden verwendet, die nur selten streng voneinander unterschieden sind: (a) die traditionelle Lehre von Affigierung, Konfigierung, Konversion und Komposition, wobei die Grenzen der Komposition je nach Sprachtyp auch über das Einzelwort hinaus ausgedehnt werden können; (b) die Konzeption der unmittelbaren Konstituenten, die aus der Syntax der IC-Grammatik übernommen und sowohl auf die Derivation und Komposition als auch auf die Bildung von Wortgruppentermini angewendet wurde; (c) die Suche nach Motivationsbeziehungen zwischen Basis (Wurzel/Stamm) und Ableitung(en), bei der semantische Aspekte stärker berücksichtigt werden als in den beiden ersten Ansätzen. 2.1.3. Die Ergebnisse, zu denen die Fachsprachenforschung auf diesen drei Wegen gelangt, sind relativ konkret und lassen sich leicht nutzerfreundlich präsentieren, sei es für die Terminologiearbeit, sei es für die Fachsprachenausbildung: als alphabetisch oder nach Häufigkeit oder nach Wortarten geordnete Listen von Suffixen, Suffixoiden und Präfixen (z. B. Kocourek 1982, 95⫺107); als Verzeichnisse von Kompositionstypen (z. B. Reinhardt 1975, 26⫺37); als Strukturtypen attributiv erweiterter Nominationssyntagmen unterschiedlicher Komplexität (s. unten) usw. In allen Fällen läßt sich eine formal und/oder semantisch begründete Abhängigkeit bzw. Hierarchie der mehr oder weniger selbständigen oder auch unselbständigen Konstituenten (Wörter/Konfixe/Affixe) angeben: durch Klammern, durch fortschreitende Segmentierung oder durch Baumgraphen (Beispiele s. S. 251). 2.2. Bedeutungsstrukturen und semantische Relationen 2.2.1. Das Bestreben der Fachsprachenforschung, über die schwachen semantischen

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden

[(((Dreh)(strom))((kurz)(schluß))(läufer))(motor)] electronic

moteur

data

à

processing

courant

centre

alternatif

Ansätze in der Wortbildung hinauszugehen, um zu einer exakten Beschreibung von Bedeutungsstrukturen mit ihren Elementen und Relationen zu gelangen, wurde und wird nach wie vor durch sehr unterschiedliche Bedürfnisse geweckt: Fachlexikographie und Terminologiearbeit (vgl. Kap. XXI⫺XXIV) suchen nach Möglichkeiten, Begriffssysteme und Terminussysteme einander eineindeutig zuzuordnen; für Informationsrecherchesysteme (vgl. Kap. XII) müssen Deskriptorenfonds erstellt werden; Fachwissen (vgl. Kap. I) soll in geordneter Weise weitergegeben werden; der fachbezogene Mutter- und Fremdsprachenunterricht (vgl. Kap. XIII) braucht eine Gruppierung der Lexik nach gegenständlichthematischen Gesichtspunkten. Wahrscheinlich jedoch entspricht die Anordnung lexikalisierten Welt- und Fachwissens in Sachgruppen, semantischen Feldern und Terminussystemen einem Grundprinzip menschlicher Denktätigkeit und Gedächtnisleistung, das von der Fachsprachenforschung nur deutlicher ins Bewußtsein gehoben und operationalisiert wird, nachdem es schon frühzeitig in Enzyklopädien (vgl. Kap. XX), Thesauren, Bildwörterbüchern u. ä. in Erscheinung getreten ist. So kann es niemanden überraschen, daß die Fachsprachenlinguistik sich nach- und nebeneinander ganz unterschiedliche Methoden der Bedeutungsbeschreibung und -erklärung dienstbar gemacht hat, von der einfachen Gruppierung lexikalischer Einheiten um ein Thema, einen Gegenstand, einen Begriff oder ein Archilexem bzw. Archisemem bis hin zur Erfassung innerbegrifflicher und zwischenbegrifflicher Relationen. Entlehnt hat sie

251

diese vor allem der Sachgruppen- und Feldtheorie (F. Dornseiff, R. Hallig, W. von Wartburg; W. Porzig, J. Trier, L. Weisgerber u. a.) einschließlich der Theorie der funktional-semantischen Felder (W. Boeck, A. V. Bondarko u. a.), der europäischen begriffsorientierten Merkmalsemantik (A. J. Greimas, G. F. Meier, R. M. Meier, B. Pottier, G. Wotjak u. a.) und neuerdings auch der Kognitiven Psychologie (J. Hoffmann, W. Kintsch, F. Klix u. a.). 2.2.2. In den meisten fachsprachlichen Arbeiten dominiert das onomasiologische Prinzip; das semasiologische dringt nur in Teilbereichen durch, und zuweilen ergänzen beide einander. Aber die ausschließliche Orientierung auf die Nominations- bzw. Bezeichnungsfunktion der Fachwörter verliert sich nur langsam, während man der einseitigen Bedeutungsbeschreibung an Hand innersprachlicher Relationen bzw. aus den internen Zusammenhängen der Zeichenstruktur heraus so gut wie nie begegnet. Folglich verdrängt die bilaterale Sicht auf das sprachliche Zeichen die unilaterale, die substantielle Bedeutungsauffassung die relationale fast vollständig. Bei der Semanalyse werden überwiegend begriffliche und kaum wertende Merkmale berücksichtigt. Weitgehend vernachlässigt wird der Wandel in den Beziehungen zwischen Formativ und Bedeutung. Es ist hier nicht der Platz, ausführlich auf die allgemeinen Grundlagen der Sach-, Sinn-, Themen- oder Begriffsgruppenlehren und der Feldtheorien, geschweige denn auf ihre Polemik gegeneinander (z. B. F. Dornseiff, R. Hallig/W. von Wartburg) einzugehen oder die einzelnen Varianten der Sem-, Noem- und Komponentenanalyse abzuhandeln. Dazu gibt es genügend Übersichtsdarstellungen (z. B. Coseriu 1973; 1978; Gabka 1967; Hoberg 1973; Sˇcˇur 1974; Wotjak 1977; Viehweger 1977). Erwähnenswert aber ist die Tatsache, daß die Ordnung des Fachwortschatzes nach Themen, Sachgruppen oder funktionalsemantischen Feldern vor allem für die Fachsprachendidaktik Bedeutung hat. Man vgl. Appel 1989; Barth 1991; Boeck 1981; Buhlmann/Fearns 1987, 44⫺49; Duden 1953; Fischer 1964; 1984, 50⫺71; Fluck 1991, 41⫺54, 233⫺ 238; Franz 1977; Mattusch 1981; Junge 1990; sowie die Masse fachsprachlicher Lehrmaterialien.

2.2.3. Erkenntnisinteressen der Fachsprachenforschung werden eher durch Untersuchungen zu innerbegrifflichen und zwischenbe-

252

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

grifflichen Relationen vertreten, deren Ergebnisse in hierarchischen (Teil-)Systemen, z. B. in Thesaur(usausschnitt)en, und neuerdings auch in Netzwerkentwürfen vorliegen. Man vgl.: Baakes 1984; Dahlberg 1985; Drozd/Seibicke 1973, 116⫺125; Felber/Budin 1989, 61⫺138; Fraas 1988; Hoffmann, J. 1986; Hoffmann 1987b, 165⫺169; 1990b; 1991, 136⫺139; Kocourek 1982, 158⫺179; Kleine 1992; Lachaud 1986, 13⫺45; Sohst 1987; Schönefeld 1982; Schnegelsberg 1971; Wendt 1993; Wiese 1984; sowie Fachthesauri der unterschiedlichsten wissenschaftlichen und technischen Disziplinen).

Hier nähert sich die Fachsprachenforschung der Terminologiearbeit (vgl. Kap. XXIV). Thesaurusausschnitt: Künstliche Sprachen • Informationsrecherchesprachen •• Deskriptorsprachen • Programmiersprachen •• Maschinenorientierte Sprachen ••• Auto-code ••• Symbolsprachen •• Maschinensprachen •• Problemorientierte Sprachen ••• Spezialisierte Sprachen •••• Sprachen zur Verarbeitung von Daten •••• Sprachen zur Verarbeitung von Dateien •••• Sprachen zur Rechenprozeßbeschreibung •••• Sprachen zum Modellieren ••• Universelle Sprachen Semantisches Netz: Oberflächenhärten Werkstück

Oberfläche

Obj

Loc Brenner

Instr Wärmebehandlung

Ht

Härten Fin Festigkeit

2.2.4. Da der Hauptgegenstand der Analyse und Beschreibung von Fachwortschätzen naturgemäß Gattungsnamen (Appellativa) sind, finden Eigennamen (Onyme/Nomina propria) in Überblicksdarstellungen nur am Rande Erwähnung (z. B. Kocourek 1982, 73⫺75). Es ist deshalb nicht uninteressant, daß in neuerer Zeit Versuche unternommen werden, durch stärkere Berücksichtigung der Methoden der Namenforschung eine Art Fachsprachenonomastik (vgl. Gläser 1986a; Spitzner 1989; u. a.) zu begründen, die Herkunft, Struktur und Funktion der Eigennamen als Konstituenten von Fachwörtern näher untersucht, z. B. Herz, Watt; Bunsenbrenner, Ohmsches Gesetz; pasteurisieren, röntgen usw.

3.

Analyse syntaktischer Strukturen und Funktionen

3.1. Nominalgruppen und Verbalgruppen 3.1.1. Die meisten Untersuchungen zur fachsprachlichen Syntax gehen von der traditionellen Zweigliedrigkeit des Satzes, d. h. von Subjekt und Prädikat als primären Satzgliedern, aus. Da in Fachtexten einfache Sätze aus Subjekt und Prädikat so gut wie nicht auftreten, sondern stark erweiterte einfache Sätze und Satzgefüge das Bild beherrschen, lag es für die Fachsprachenforschung nahe, sich gründlicher mit den Formen und den Funktionen der Erweiterungen zu beschäftigen. Die im Sinne von Präzisierung und Spezifizierung verwendeten zahlreichen Attribute und adverbiellen Bestimmungen wurden jedoch nicht gesondert als sekundäre Satzglieder behandelt, sondern Subjekt und Prädikat aufs engste angegliedert, so daß zum elementaren Untersuchungsgegenstand der fachsprachlichen Syntax ganze Subjektgruppen und Prädikatgruppen bzw. Nominalkomplexe und Verbalkomplexe wurden, die in ihrer Verbindung nicht nur die Länge der Sätze erklären, sondern auch die Komplexität der Bestandteile wissenschaftlicher Aussagen erkennen lassen. In älteren Arbeiten erscheint diese Komplexität überwiegend als lineare Reihung bzw. in Form von Links- und Rechtserweiterungen eines nominalen oder verbalen Kernes, die auch als Prämodifikation und Postmodifikation bezeichnet werden und sowohl Satzglieder als auch (verkürzte) Gliedsätze sein können, z. B.: transition probability ⫺ an equivalent probability ⫺ in all probability; the probability of occurrence ⫺ the probability of high values; the probability expected ⫺ the probability expected by N. ⫺ the probability that was expected by N.; oder: donnait une espe´rance mathe´matique ⫺ a donne´ strictement la meˆme valeur ⫺ peut donner une fre´quence significativement e´leve´e ⫺ a toujours donne´ des bons re´sultats ⫺ pouvait aussi bien donner une e´quation du forme […] ⫺ peut eˆtre donne´ sous forme d’une poudre usw.

3.1.2. Die unterschiedliche Ausdehnung und Komplexität der Nominal- und Verbalgruppen ist bisher genauer nur für die Fachsprachen des Englischen, Französischen und Russischen, in geringerem Maße für das Deutsche beschrieben worden. Man vgl. z. B.: Gerbert 1970; Hoffmann 1987b, 184⫺204; Kaehlbrandt 1989; Kocourek 1982, 52⫺

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden 59; Krämer 1973; Lariochina 1979, 162⫺230; Mitrofanova 1973, 82⫺119; Sager/Dungworth/McDonald 1980, 219⫺224; Schefe 1975, 142⫺144; Tuchel 1978; u. a.

Dabei wurde den Nominalgruppen immer größere Aufmerksamkeit zuteil, weil sie sowohl als Subjekt als auch als nominales Prädikat oder auch als Objektergänzung innerhalb der Prädikatgruppe eine weitaus wichtigere Rolle im fachsprachlichen Satz als die Verbalgruppe spielen und weil sie häufig ⫺ lexikalisiert ⫺ mit Wortgruppentermini identisch sind. Wie bei diesen läßt sich auch durch die Ermittlung der unmittelbaren Konstituenten leichter eine hierarchische Struktur erkennen (vgl. 2.1.). Wenn die hier behandelten komplexen Syntagmen auch gelegentlich als Nominalphrasen und Verbalphrasen bezeichnet werden, so bedeutet das keine Übernahme der Phrasenstrukturgrammatik (Chomsky 1969, 26⫺48) in die Fachsprachenforschung; denn mit Ersetzungsregeln zur Generierung der Konstituentenstrukturen von Sätzen ist hier nie ernsthaft gearbeitet worden. Es ging wohl eher darum, auch terminologisch klarzustellen, daß die Nominalgruppen nicht an die Subjektfunktion bzw. -position gebunden sind und daß im gegebenen Zusammenhang selbst lexikalische Syntagmen als Konstituenten des Satzes und nicht als Einheiten des Lexikons bzw. der Terminologie auftreten, so wie freie Wortverbindungen auch. 3.1.3. Wegen der relativen Seltenheit von Phraseologismen in der Fachliteratur ist deren gesonderte Untersuchung im Vorfeld der fachsprachlichen Syntax eine ⫺ immerhin interessante ⫺ Ausnahme geblieben (Müller 1990; Walbe 1992). Sie wird hier als Beispiel dafür angeführt, daß Methoden der Phraseologie(forschung) auch in der Fachsprachenlinguistik greifen können (Gläser 1986b, 161⫺164). Im übrigen bleibt die Fachsprachenforschung auf der syntaktischen Ebene überwiegend deskriptiv. So werden in den Nominalund Verbalgruppen Fügungsrealitäten beschrieben und Fügungspotenzen vernachlässigt. Das ist in Anbetracht der Terminologisierungstendenzen bei den Nominalgruppen verständlich. Schaut man sich aber die Beschreibung der Verbalgruppen genauer an, dann entdeckt man erste Möglichkeiten, auch die Fügungspotenzen freizulegen. Damit ist die Einführung der Valenztheorie in die Fachsprachenlinguistik vorbereitet (vgl. 3.3.).

253

3.2. Satzarten, Satztypen und Satzkonstruktionen 3.2.1. Während es die Fachsprachenforschung bei der Untersuchung und Beschreibung von Nominal- und Verbalgruppen im Vergleich zur allgemeinen Lehre von den Wortverbindungen, Wortgruppen oder Syntagmen zu einer gewissen Verfeinerung und zu einer stärkeren Differenzierung der Konstituentenstrukturen gebracht hat, ist sie den eingeschlagenen Weg bei der Analyse ganzer Sätze nicht konsequent weitergegangen, sondern eher zur traditionellen Darstellung einzelner Satzglieder und Gliedsätze zurückgekehrt. Versuche, die Phrasenstrukturgrammatik oder die Generative Transformationsgrammatik in ihr heimisch zu machen (z. B. Gopnik 1972), sind so gut wie unbeachtet geblieben, und auch andere kritische Auseinandersetzungen mit der herkömmlichen Satzgliedlehre, die sich zwischen Strukturalismus und Inhaltbezogener Grammatik bewegten, sind in handfesten Korpusanalysen nie erprobt worden. Für dieses Zurückbleiben der fachsprachlichen Syntax gibt es mehrere Ursachen: (a) Schon „oberflächliche“ Beobachtungen zeigen, daß die Sätze in Fachtexten sich von denen in anderen Texten nicht wesentlich unterscheiden. Die Spezifik der Fachsprachen äußert sich hier lediglich in der Vorkommenshäufigkeit bestimmter Arten, Typen und Konstruktionen. Von der Verwendung neuer syntaktischer Modelle sind offenbar keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. (b) Phrasenstrukturgrammatik, Transformationsgrammatik u. a. generative Erzeugungsmodelle erklären die grammatische Kompetenz des Muttersprachlers im Sinne des Systemaspekts. Sie reichen nicht zur Erklärung der kommunikativen Kompetenz des Fachmannes oder der für die Fachsprachenforschung besonders wichtigen Varianten der Performanz im Sinne des Verwendungsaspektes. (c) Die stark anwendungsorientierte Fachsprachenlinguistik muß auf Verständlichkeit Wert legen, weil sie sich nicht in erster Linie an Linguisten, sondern an Fachleute aller möglichen wissenschaftlichen und technischen Disziplinen, an Sprachlehrer, Studenten und Schüler wendet, die Fachkommunikation nicht nur in der Muttersprache, sondern auch in fremden Sprachen betreiben. Sie muß also an schulischen Voraussetzungen anknüpfen, und in der Schule scheint sich das

254 Festhalten an grammatischen Traditionen zu bewähren. 3.2.2. Darstellungen der fachsprachlichen Syntax berücksichtigen deshalb vor allem die (Häufigkeit der) folgenden Phänomene: Form, Funktion und Position der Satzglieder; selektive Verwendung von Satzarten (Aussage-, Aufforderungs- und Fragesatz) und Satztypen (einfacher erweiterter und zusammengesetzter Satz); Rolle bestimmter Arten von Nebensätzen (Attribut- und Adverbialsatz); semantische Klassen der Adverbialsätze (Kausal-, Konditional-, Konzessiv-, Konsekutiv-, Final-, Modal-, Temporal- und Lokalsätze); Varianten der syntaktischen Kompression; Mittel der Anonymisierung; Nominalisierung des Prädikats und Desemantisierung der Verben (Funktionsverbgefüge); Infinitiv- und Passivkonstruktionen; Parenthesen u. ä. Man vgl. z. B.: Beier 1979; Benesˇ 1966; 1981; Fluck 1985, 55⫺56; Gerbert 1970, 54⫺111; von Hahn 1983, 111⫺119; Hoffmann 1987b, 204⫺216; Huddleston 1971; Kaehlbrandt 1989, 65⫺87; Kocourek 1982, 48⫺64; Kretzenbacher 1991; Lariochina 1979, 43⫺161; Littmann 1981; Mitrofanova 1973, 120⫺140; Möhn/Pelka 1984, 19⫺22; Sager/Dungworth/McDonald 1980, 182⫺204; Schefe 1975, 62⫺69; Spillner 1981; Trillhaase 1966; Birkenmaier/Mohl 1991, 81⫺128; u. a.

3.3. Fügungspotenzen und Fügungsrealitäten 3.3.1. Schon bei den Verbalgruppen (vgl. 3.1.) hatte sich in der Fachsprachenforschung neben der Beschreibung der Fügungsrealitäten ein gewisses Interesse an den Fügungspotenzen der Verben angedeutet. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß in der zweiten Hälfte der 70er und zu Beginn der 80er Jahre eine Reihe von ⫺ recht erfolgreichen ⫺ Versuchen unternommen wurde, von der grundsätzlichen Zweigliedrigkeit des Satzes abzurücken, das Verb mit seinen Aktanten in den Mittelpunkt der syntaktischen Betrachtung zu stellen und sich dabei der Methoden der Valenztheorie (vgl. Brinkmann 1962; Emons 1978; Erben 1964; Schumacher 1986; Tesnie`re 1959; u. a.) und der Kasusgrammatik (vgl. Abraham 1971; Fillmore 1968; 1971; u. a.) zu versichern. Eine entscheidende Mittlerrolle spielten dabei die Arbeiten G. Helbigs (1971; 1977), insbesondere das „Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben“ (Helbig/Schenkel 1969). Einzeluntersuchungen entstanden zum Deutschen (z. B. Kuntz 1979; Littmann 1981), zum Englischen

III. Methoden in der Fachsprachenforschung (z. B. Meyer 1978), zum Französischen (z. B. Einert 1976; Päßler 1983; Selle 1977; Sprissler 1979) und zum Russischen (z. B. Christmann 1974; Gerlach 1977; Kunath 1984; Schütze 1978; Wenzel 1981).

Diese Untersuchungen zur Valenz und Distribution der Verben in Fachtexten gehen mit wenigen Ausnahmen von dem für das deutsche Verb entworfenen Drei-Stufen-Modell aus. Sie ermitteln zunächst die Zahl der obligatorischen und fakultativen Mitspieler, halten dann die syntaktische Umgebung fest und spüren schließlich den Bedeutungen der Aktanten nach, z. B. I. folgen2 (V 3 ⫽ sich ergeben, resultieren [abstrakt]) II. folgen → Sn/NSdaß, pS III. Sn → Abstr (Aus diesem Dokument folgt seine Schuld.) NS → Act (Aus seinen Worten folgt, daß wir uns beeilen müssen.) p ⫽ aus pSd → 1. ⫺ Anim (Aus den Dokumenten folgt seine Schuld.) 2. Abstr (Aus diesem Problem folgt die Schwierigkeit.) (Helbig/Schenkel 1969, 215)

Größere Divergenzen ergeben sich dabei auf Stufe III, weil es schwierig ist, eine hinreichende Zahl allgemeingültiger Bedeutungsklassen zu benennen. In einigen späteren Arbeiten wird deshalb unter Berufung auf die Kasusgrammatik versucht, durch die Analyse der Kasus- und Verbbedeutungen bzw. der semantischen Rollen auf einer zusätzlichen vierten Stufe näher an den semantischen Kern der Valenz heranzukommen, z. B. IV. Ag (Hum) labor contact Pat (Substanz) (Instr ⫺ Substanz) bearbeiten, behandeln, verarbeiten (Wenzel 1981, 77)

3.3.2. Für Fachtexte wesentliche semantische Kasus bzw. Rollen der Valenzpartner (Aktanten und freie Angaben) sind unter anderen: Agens, Patiens, Resultat, Adressat, Quelle, Instrument, Affektiv, Lokativ, Träger, Äquivalent, Determinant. Bei der semantischen Klassifizierung der Verben nach gemeinsamen Kernsemen bzw. Prozessoren kann es zur folgenden Kennzeichnung kommen: Verben der Verwendung/Benutzung, Verben des Produzierens/Verursachens, Verben des Übergebens/Überlieferns/Beförderns, Verben des Veränderns/Umwandelns, Verben der Bewegung/Ortsveränderung/Veranlassung, Verben des Auswählens/Entnehmens, Verben des Festlegens/Befestigens, Verben des Hinweisens/Vorschlagens, Verben

255

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden der Wahrnehmung/Empfindung, Verben der Abstammung/Herkunft, Verben des Seins, Verben der Zuordnung/Entsprechung usw.

Unterschiede zwischen den Fachsprachen sind vor allem durch verschiedene außersprachliche Sachverhalte und die entsprechenden Kenntnissysteme bedingt, woraus zuweilen die Forderung nach einer weiteren Analyseebene für die pragmatische Valenz abgeleitet wird. Von großem Interesse ist der Versuch einer Korrelation von Verbklassen und Mitspielern im Sinne der semantischen Kompatibilität; für die Verben des Veränderns/Umwandelns ergibt sich daraus z. B. die Matrix: Aktanten im Vorfeld Hum Proz ⫺ ⫹ ⫺ ⫺ ⫹ ⫺ ⫹ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ (Päßler 1983, 121)

Sememe Mat ⫺ ⫺ ⫺ ⫹ ⫺ ⫺

Phän ⫹ ⫹ ⫺ ⫺ ⫺ ⫹

augmenter1 augmenter2 de´velopper re´duire travailler varier

Vergleiche der Fügungspotenz mit der Fügungsrealität der häufigsten Verben in Fachtexten haben zu einer Reihe wichtiger Beobachtungen geführt: Valenz und Distribution der Verben erfahren in vielen Fällen eine Einschränkung. Der fachliche Kontext reduziert die Polysemie der Verben im Sinne ihrer Terminologisierung. Es gibt für Fachtexte typische Verbbedeutungen und Kasusrollen. Die semantische Klassifizierung der Verben und ihrer Mitspieler wird erleichtert. Fachspezifische Züge erhält die Kommunikation erst in der Verbindung der Verben mit ihren Aktanten. Freie Angaben spielen in den Fachsprachen eine wichtigere Rolle als in anderen Subsprachen; sie tragen wesentlich zur Präzisierung der Satzsemantik bei. Die Übereinstimmungen im Verbbestand der einzelnen Fachsprachen sind gering, besonders wenn man beim Vergleich die Häufigkeitsverteilungen berücksichtigt. Künftige Untersuchungen sollten sich unter anderem auf folgende Fragen konzentrieren: Können fakultative Mitspieler bei der Darstellung fachlicher Sachverhalte zu obligatorischen Aktanten werden? Haben die Beziehungen zwischen den Aktanten im Subjekt- und im Objektfeld Bedeutung für die Identifizierung der Verbsememe? Welche Ursachen gibt es für die Aktualisierung bzw. Nichtaktualisierung potentieller Valenzen? Wie weit muß die Spezifizierung der semanti-

schen Rollen bei den Aktanten gehen? Wie groß ist der Spielraum semantischer Merkmalkategorien innerhalb der semantischen Rollen? Welche Bedeutung haben Valenz und Distribution über den Satz hinaus bei der Vertextung, und wie wirkt die Vertextung auf sie zurück (Hoffmann 1989)? Ein dringendes Desiderat für die Fachsprachendidaktik sind Valenzwörterbücher zur schriftlichen und mündlichen Fachkommunikation. Schließlich wäre es wünschenswert, wenn die valenzorientierte Analyse der Fachsprachen in den Neuauflagen bekannter Standardwerke und Überblicksdarstellungen stärkere Berücksichtigung fände. Aktanten Hum ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺

im Nachfeld Proz Mat ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫹ ⫺ ⫺ ⫹ ⫺ ⫺

Phän ⫺ ⫹ ⫹ ⫹ ⫹ ⫺

3.4. Thema-Rhema-Gliederung 3.4.1. Mit der Untersuchung der ThemaRhema-Gliederung in Fachtexten wendet sich die Fachsprachenforschung einerseits von der traditionellen und von der strukturellen Satzanalyse ab und einer funktionalen Betrachtungsweise zu; anderseits kehrt sie zunächst zur grundsätzlichen Zweigliedrigkeit zurück. Sie beschreibt diese sowohl am einzelnen Satz und spricht dabei von Aktueller Satzgliederung oder Funktionaler Satzperspektive als auch an Folgen von Sätzen unter dem Namen Thematische Progression. Sie berücksichtigt dabei besonders Unterschiede bzw. Veränderungen in der Satzgliedfolge gedruckter Texte, die als einfache Permutationen, z. B. im Russischen und Deutschen, oder als Ergebnis von Transformationen und sogen. „movement rules“, z. B. im Englischen, begriffen werden, und bemüht sich um eine Typologie der Aktuellen Satzgliederung, der Thematischen Progression oder der ThemaRhema-Gliederung insgesamt. Wie so oft greift die Fachsprachenforschung auch hier auf Methoden zurück, die schon im Rahmen einer allgemeinen Syntax oder Hypersyntax an Sätzen und transphrastischen Einheiten der Standardsprache erprobt worden sind, und zwar vor allem von Vertretern ⫺ unterschiedlicher ⫺ (strukturell-) funktionaler Strömungen.

256

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Man vgl. z. B.: Allerton 1978; Benesˇ 1967; 1968; Blumenthal 1980; Boost 1955; Brömser 1982; Combettes 1983; Dahl 1969; Danesˇ 1964; 1974; Drach 1937; Firbas/Golkova´ 1975; Halliday 1974; Kirkwood 1969; Kovtunova 1976; Lötscher 1983; Lutz 1981; Mathesius 1939; Raible 1971; Raspopov 1961; u. a.

z. B. Englisch und Russisch, die den Sprachvergleich bereichern.

Ihr Hauptverdienst besteht darin, nachgewiesen zu haben, daß der Satz nicht nur ein grammatisches Phänomen, sondern auch eine kommunikative Einheit ist und daß deren funktionale Gliederung nicht mit der syntaktischen Gliederung übereinstimmen muß, so daß im Grunde genommen ⫺ je nach der Mitteilungsfunktion der durch den Satz verkörperten Aussage und je nach Kontext und Situation ⫺ jedes grammatische Satzglied die Rolle des Themas (Bekanntes, Topic) oder des Rhemas (Neues, Comment) übernehmen oder auch als Bindeglied dazwischen liegen kann. Hinzu kommt die Erkenntnis, daß die Satzgliedfolge ein wichtiges Mittel zur Verteilung des Informationsgehalts bzw. zur Setzung von Informationsschwerpunkten ist, die auch über den Satz hinaus zu verfolgen sind und dadurch zur Vertextung im Sinne der syntaktischen und semantischen Kohärenz beitragen. Vor allem diese beiden Aspekte haben die Lehre von der Thema-Rhema-Gliederung für die Fachsprachenforschung attraktiv gemacht.

3.4.3. In einigen wesentlichen Punkten gingen die fachsprachlichen Arbeiten zur ThemaRhema-Gliederung über frühere allgemeinsprachliche Ansätze hinaus: Die Konzepte der Aktuellen Satzgliederung und der Thematischen Progression wurden modifiziert, ihre Typologien revidiert und präzisiert, auch im Hinblick auf die Zahl der Typen; falsche Verallgemeinerungen, z. B. in bezug auf die Satzgliedfolge im wissenschaftlichen Stil, wurden korrigiert; neben einfachen erweiterten Sätzen wurden Satzgefüge in die Betrachtung einbezogen; Verknüpfungen wurden über größere Distanzen verfolgt; besonderes Interesse erregte das Verhalten von Termini in der Rolle des Themas oder des Rhemas; die Zweiteilung in Thema und Rhema wurde durch die weitere Abstufung der „starken“ Satzglieder teilweise relativiert; registriert wurde auch der Verlauf der Isotopie- bzw. Nominationsketten in der Thema-RhemaGliederung; besonders wichtig war jedoch die Einbettung der Thema-Rhema-Gliederung in größere textlinguistische Zusammenhänge, die sich nicht im Begriff der syntaktischen Kohärenz erschöpfen, sondern mit sehr komplexen Faktorenkonstellationen arbeiten. Trotz alledem treten bei der Bestimmung des Informationswertes der Satzglieder immer wieder Schwierigkeiten auf, die auf der Ebene der Thema-Rhema-Gliederung ⫺ selbst bei einer weiteren Hierarchisierung ⫺ kaum je zu beseitigen sein werden.

3.4.2. Bei den Untersuchungen an ausgewählten Fachtexten kamen dann weitere Erwartungen hinzu, die sich allerdings nur zum Teil erfüllt haben: Nachweis der selektiven und spezifischen Verwendung bestimmter Typen der Aktuellen Satzgliederung und der Thematischen Progression gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch oder anderen Subsprachen, bedingt durch fachliche Gegenstände und kommunikative Funktionen; Feststellung von Unterschieden zwischen einzelnen Fachsprachen und Gruppen von Fachsprachen, die deren Abgrenzung gegeneinander stützen könnten; Aufdeckung von Unterschieden zwischen Fachtextsorten, die zu einer möglichst vollständigen Beschreibung und überzeugenden Klassifizierung beitragen; Einordnung von Mischtexten und fachsprachlichen Textvarianten im Sinne einer vertikalen Schichtung; Bestimmung des Zusammenhangs von Textfunktion, Textstruktur und Thema-Rhema-Gliederung; Ermittlung von Äquivalenzbeziehungen zwischen formal unterschiedlichen ThemaRhema-Gliederungen in einzelnen Sprachen,

Man vgl. z. B.: Fijas 1986; Gerzymisch-Arbogast 1987; Hoffmann 1987b, 216⫺224; Lapteva 1966; 1972; Miller 1975; Pumpjanskij 1974; Roth 1980; Sˇevjakova 1976; Weese 1983; u. a.

3.5. Kommunikationsverfahren und Sprachhandlungen 3.5.1. Im Zuge der „kommunikativ-pragmatischen Wende“ faßte auch die funktionalkommunikative Sprachbeschreibung bzw. die kommunikativ-funktionale Sprachbetrachtung (vgl. Boeck 1981; Bondarko 1978; Harnisch 1979; KFS 1981; Leech/Svartvik 1977; Schmidt 1981; u. a.) Fuß in der Fachsprachenforschung. Angelehnt an eine psycholinguistisch orientierte Sprachtätigkeitstheorie (vgl. Leont’ev 1969; 1974; Vygotskij 1956; u. a.), konzentrierte sie sich auf die Ermittlung sogen. Kommunikationsverfahren, ihre Rolle bei der Realisierung bestimmter Kommunikationsabsichten, z. B. Informieren, Ak-

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden

tivieren, Klären, ihre Charakterisierung durch funktional-kommunikative Merkmale, z. B. deskriptiv, prozessual-aktional, real oder sachbetont, erlebnisbetont, ihre Klassifizierung und ihre Aktualisierung durch bestimmte sprachliche Mittel. Kommunikationsverfahren werden definiert als „geistigsprachliche Operationen“, die in kommunikative Handlungen eingeordnet sind und der Erreichung von Handlungszielen dienen; sie gelten als Voraussetzung und Mittel der Strukturierung kommunikativer Handlungen und ihrer Objektivierung in der Textstruktur (Schmidt 1981, 30). Eine andere Definition lautet: „Kommunikationsverfahren sind geistig-sprachliche Operationen zum Ausdruck der verschiedenartigen (rationalen, emotionalen, voluntativen) Bewußtseinsinhalte des Sprechers unter dem Aspekt einer dem Gegenstand und der Kommunikationsabsicht angemessenen sachbedingten und sachgemäßen sowie partnerwirksamen Sprachgestaltung“ (Schmidt/Stock 1979, 41).

Hier bieten die Elemente Gegenstand und sachbedingt Anknüpfungsmöglichkeiten für die Fachsprachenlinguistik. Ein Ausschnitt aus einem von mehreren Klassifikationsversuchen mag veranschaulichen, was gemeint ist: Deskriptive KV: Mitteilen, …, Berichten, Beschreiben, …, Referieren, Zitieren, …, Feststellen, Behaupten, …, Erzählen, Schildern, … Inventive KV: Vergleichen, Begründen, Schlußfolgern, Verallgemeinern, …, Explizieren, Zusammenfassen, …, Antworten, Zurückweisen, …, Klassifizieren, Definieren, …, Beweisen, Widerlegen, …, Beurteilen, Entlarven, … (Schmidt 1981, 37).

Schon diese wenigen Beispiele zeigen die Problematik des Ansatzes: (a) Die KV können in Gestalt von einzelnen Sätzen, von Teiltexten oder von ganzen Texten, möglicherweise als Dominanten in einer Folge von unterschiedlichen KV, auftreten; (b) die Identifizierung der KV und ihre Abgrenzung gegeneinander bereitet große Schwierigkeiten; (c) es ist schwer, sich auf eine überschaubare Zahl von KV zu einigen; (d) die sprachlichen Indikatoren der KV gehören unterschiedlichen Ebenen und Klassen an. Bewährt haben sich die Kommunikationsverfahren am ehesten in der Fachsprachendidaktik, wo sie ⫺ ähnlich wie die funktional-

257

semantischen Felder (vgl. 2.2.) ⫺ eine kommunikativ orientierte Anordnung des Sprachmaterials in funktionalen Sprachmittelkomplexen ermöglichen (vgl. Blei 1981; Weber 1979; 1985; u. a.). Darüber hinaus sind sie aber auch, z. T. kombiniert mit verschiedenen textinternen und textexternen Faktoren, zu Forschungszwecken eingesetzt worden, z. B. zur Entwicklung von Kommunikationsmodellen, zur Unterscheidung von Kommunikationstypen, zur Erschließung von Kommunikationssituationen, zur Gliederung von Kommunikationsvorgängen, zur Überbrükkung der Kluft zwischen Sprachsystem und Kommunikationsgemeinschaft, zur Erklärung der Leistung der sprachlichen Mittel in der (Fach-)Kommunikation, zur Kennzeichnung des Fachstils, zur Charakterisierung und Abgrenzung von Fachtextsorten, zur Identifizierung von Teiltexten und zur Darstellung der Sprachhandlungsstruktur wissenschaftlicher Texte. Man vgl. z. B.: Baumann 1981; Boeck 1981; Böhme 1985; Fiß 1983; Gläser 1982; KFS 1981; Troebes 1981; Weise 1981a; 1981b; u. a.

Schwer zu erklären ist, warum die Vertreter der Sprechakttheorie (z. B. Austin 1962; Searle 1969; Wunderlich 1976) zwar im Literaturverzeichnis einiger Arbeiten der kommunikativ-funktionalen Richtung erwähnt, ihre illokutiven Typen, z. B. Direktiv, Commissiv, Repräsentativ, Satisfaktiv, Deklarativ, aber praktisch nicht berücksichtigt worden sind. Erst im Rahmen der neueren Fachtextlinguistik kommen handlungstheoretische Konzeptionen (z. B. Motsch/Viehweger 1981; Viehweger 1982) stärker zum Tragen (vgl. Satzger 1988). Dafür gibt es mehrere Gründe: (a) Die sprachliche Beschaffenheit fachlicher Äußerungen läßt sich nicht allein aus den Intentionen ihres Urhebers herleiten; sie hat in erheblichem Maße auch auf deren Rezeption bzw. Rezipierbarkeit Rücksicht zu nehmen. Diesem Umstand wird ein interaktionaler Ansatz besser gerecht, der den Rezipienten (Leser/Hörer) ebenso einbezieht wie den Produzenten (Schreiber/Sprecher). (b) Die Bindung bestimmter sprachlicher Handlungen an bestimmte fachliche Handlungen und Gegenstände ist leichter zu durchschauen und zu belegen als die an Handlungen allgemeiner Art. (c) Äußerungs- bzw. Sprachhandlungsfolgen in der Fachkommunikation sind viel deutlicher durch übergeordnete, nichtsprachliche, teilweise stereotype Handlungsfolgen deter-

258

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

miniert als in anderen Kommunikationsbereichen. (d) In der fachsprachlichen Äußerung wird die Satzbedeutung häufiger durch weitere Informationen ergänzt, die im fachlichen Kontext mitverstanden werden; das sind vor allem Präsuppositionen, die fachlichen Kenntnissystemen entstammen, aber auch spezifische Funktionen dieser Äußerungen, die nicht besonders thematisiert werden müssen. (e) Die Vorkommenshäufigkeit einzelner Sprachhandlungstypen ist ein wesentliches Spezifikum der Fachkommunikation im Vergleich mit anderen Kommunikationsbereichen. 3.5.2. So wie schon für die Kommunikationsverfahren gilt auch für die Sprechakte oder Sprachhandlungen, daß sie nicht einzeln genommen, sondern erst als geordnete Folgen von Sprachhandlungen für die Fachsprachenforschung von Interesse sind: Die Handlungsstruktur ganzer Fachtexte eignet sich gut als Integrationsinstanz für die bisher auf mehreren sprachlichen Ebenen getrennt durchgeführten Analysen. Sie ist eine Art „Bindeglied zwischen den allgemeinen Situationsparametern (Kommunikationsgegenstand, lokale und temporale Situierung, Form der Kommunikation, Restriktionen, Partnerkonstellation, Code) und den sprachlichen Repräsentationsformen des Textes“ (Satzger 1988, 91). Mehr Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang noch die Synthese von Handlungsstruktur und propositionaler Struktur sowie die Typologie der Sprachhandlungen, insbesondere der für die Fachkommunikation relevanten Informationshandlungen, auf der Grundlage unterschiedlicher Handlungsziele und Handlungsbedingungen (vgl. Viehweger 1982). Wenn man Handlung als Interaktion, d. h. als Vollzug eines Interaktionsmusters definiert, dann geht es für die Fachsprachenlinguistik um die komplexe und operationalisierbare Bestimmung fachlich determinierter Sprachhandlungstypen als Interaktionsmuster.

4.

Analyse von Fachtexten und Fachtextsorten

4.1. Beschreibungsansätze und Textmodelle 4.1.1. Schließt man sich der Meinung an, daß es bei den Begründern der Textlinguistik zwei ganz unterschiedliche Auffassungen vom Text

(vgl. Brinker 1985, 12⫺17; Isenberg 1977, 119⫺120; u. a.) gegeben hat, nämlich eine propositional-stationäre und eine kommunikativ-dynamische, dann kann man mit gutem Gewissen sagen, daß die Fachsprachenforschung von der ersten so gut wie keine Kenntnis genommen, sondern den Fachtext sofort und fast ausschließlich als kommunikative Einheit (vgl. Schmidt 1976) betrachtet und behandelt hat. Ihre Leistungen sind auch nicht in erster Linie als Beitrag zur Texttheorie oder zur Textgrammatik, sondern eher als Versuch zur möglichst detaillierten Beschreibung von Fachtexten und zur Textsortendifferenzierung mit Hilfe textinterner und textexterner Merkmale zu werten. Die meisten Arbeiten berufen sich allerdings auf Texttheorien und Textmodelle, die seit dem Ende der 60er Jahre zu größerer Bekanntheit gelangt sind, wobei sie selten das ganze Gedankengebäude oder den kompletten Methodenapparat mit all seinen Konsequenzen übernehmen, sondern meistens nur Definitionen des Textes, Kriterien der Textualität, Klassifikationsvorschläge für Texttypen und Textsorten sowie einzelne Begriffe mit den dazugehörigen Termini entlehnen. Dabei werden auch die beiden eingangs erwähnten Grundauffassungen nicht immer streng auseinandergehalten. Ausgeprägter ist die Neigung, sich auf Einzelautoritäten zu berufen, die einen geeigneten theoretischen Rahmen für die eigenen Untersuchungen zu bieten oder die eigene Analysekonzeption zu stützen scheinen. 4.1.2. Es bedeutet keinerlei Wertung, wenn im folgenden einige der meistrezipierten Konzeptionen aufgezählt werden: Text als primäres bzw. originäres Zeichen (Hartmann 1971, 10); Text-Thema-Hierarchien, Themenentfaltung und Themenerschließung (Agricola 1979, 13⫺33; Brinker 1985, 50⫺76); Textlinguistik als „Linguistik des Sinns“ (Coseriu 1981, 51⫺153); Thema-Rhema-Gliederung als Organisationsprinzip des Textes (Danesˇ 1974, 106⫺128); syntagmatische Substitution (Harweg 1968); Textpartitur und Textübergangspartitur (Weinrich 1976, 145⫺162); sieben Kriterien der Textualität (Beaugrande/ Dressler 1981, 3⫺11); Makrostrukturen (van Dijk 1980b); das (erweiterte) Modell sprachlicher Kommunikation (Gülich/Raible 1977, 21⫺59); Texte-inFunktion (Kalverkämper 1981, 69⫺95; Schmidt 1976, 145); semantische Relationen im Text und im System (Agricola 1975); einzelsprachliche Mittel zur Herstellung von Kohäsion (Halliday/Hasan 1976); fünf fokusbestimmte Texttypen als idealtypische Normen für die Textstrukturierung (Werlich 1975, 38⫺39); Textsorten als Konfigurationen text-

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden externer mit textinternen Merkmalen (Gülich/ Raible 1975, Vorwort); Theorie der kommunikativen Handlungsspiele als Basis einer Texttheorie (Schmidt 1976, 43⫺87). Da die Fachsprachenlinguistik sich bisher überwiegend mit schriftlichen bzw. gedruckten Texten beschäftigt hat, sind Hinweise auf die Gesprächsanalyse (z. B. Henne/Rehbock 1982; Techtmeier 1984) selten.

So besteht der theoretische Bezugsrahmen der Fachtextlinguistik aus recht unterschiedlichen Versatzstücken. 4.2. Makrostrukturen 4.2.1. Bei der Analyse der Komposition von Fachtexten aus Teiltexten im Sinne der einfachen linearen Segmentierung oder einer hierarchischen Gliederung (vgl. Kalverkämper 1981, 23⫺33), für die auch Metaphern wie Architektonik oder Textbauplan verwendet werden, begegnet man dem Begriff der Makrostruktur ⫺ seltener Superstruktur (van Dijk 1980a; 1980b) ⫺ mit dem ursprünglich die propositionale Tiefen- bzw. Oberflächenstruktur des Textes gemeint ist, auch in seiner kommunikativen Interpretation (Gülich/ Raible 1977) als Text aus Teiltexten, die ganz bestimmte Funktionen im Textganzen zu erfüllen haben. In der Fachsprachenforschung überwiegt mit wenigen Ausnahmen die zweite, funktionale Auffassung. Man vgl. z. B.: Böhme 1985; Gläser 1979; 1990; Hengst 1985; Kocourek 1982; Lösche 1985; Möhn/ Pelka 1984; Peters 1990; Rust 1990; Sager/Dungworth/McDonald 1980; Schröder 1987; Steinacker 1987; u. a.).

Das erklärt sich aus dem vorrangigen Anliegen, die Makrostruktur zum Hauptkriterium der Textsortendifferenzierung zu machen, und tatsächlich ist die Klassifizierung nach funktionalen Merkmalen einfacher zu bewerkstelligen und leichter in Praxisvorhaben hineinzutragen als die nach inhaltlichen Aspekten, die von Gegenstand zu Gegenstand stark variieren und sich deshalb thematisch unterschiedlich entfalten können. 4.2.2. Bedauerlich bleibt, daß auf diese Weise kognitive Prozeduren und psychologische Gesichtspunkte vernachlässigt werden bzw. auf Überlegungen zur Informationsverarbeitung, z. B. die (automatische) Erstellung von Resümees oder Referaten (abstracts), beschränkt bleiben (vgl. Agricola 1979; Claus 1987; Gülich/Raible 1977, 234⫺238 und 268⫺276; Hoffmann 1988b; u. a.). Dem steht wiederum die Interpretation der Textgliederung als Text-Thema-Hierarchie näher (vgl.

259

Agricola 1979, 43⫺71; Brinker 1985, 50⫺76; Heinemann/Viehweger 1991, 45⫺49; u. a.), weil sie in Gestalt von Expansion und Kondensation Textparaphrasen für die Informationsverarbeitung anbietet. Die Kluft zwischen propositionaler und kommunikativer Textauffassung beginnt sich in der Fachsprachenforschung in dem Maße zu verringern, wie der Begriff der Sprachhandlung, den Vertreter des generativ-textgrammatischen Ansatzes (z. B. van Dijk/Kintsch 1975) für ihre Textmodelle auch schon in Betracht gezogen haben, den Begriff des Kommunikationsverfahrens in sich aufhebt, so daß Textstrukturen als Handlungsstrukturen abgebildet und erklärt werden (3.5.). 4.3. Kohärenz und Kohäsion 4.3.1. Bei Untersuchungen zur Kohärenz oder Kohäsion in Fachtexten überlagern sich ebenfalls mehrere Ansätze. Die Auffassung vom Text als transphrastische Einheit oder komplexes syntaktisches Ganzes (vgl. Heinemann/Viehweger 1991, 26⫺36; Moskalskaja 1981, 18⫺52; u. a.), die ⫺ wie der Name verrät ⫺ die Grammatik vom Satz auf Teiltexte und Texte auszudehnen trachtete, ist von der Fachsprachenforschung nur partiell und als erste Annäherung akzeptiert worden. Größeres Interesse haben konkrete Vertextungsmittel wie Konjunktionen, Pronomina und andere Proformen, Satzadverbien und Gliederungssignale gefunden (vgl. Halliday/Hasan 1976; Wawrzyniak 1980, 72⫺105; u. a.). Auch die Aktuelle Satzgliederung und die Thematische Progression wurden mehrfach untersucht (vgl. 3.4.). Schließlich wurden die Referenzidentität und Substituierbarkeit unterschiedlicher sprachlicher Mittel in „Pronominalisierungsketten“, aber meistens schon in Verbindung mit semantischen Isotopiebeziehungen, beobachtet. Als vollgültige Modelle wurden jedoch weder die syntagmatische Substitution (vgl. Harweg 1968) noch die Textpartitur (vgl. Weinrich 1976, 145⫺162) noch aszendente Signemränge oder das Aktantenmodell (vgl. Heger 1976) übernommen, ganz zu schweigen von den Textmodellen der Glossematik und der Tagmemik (vgl. Gülich/ Raible 1977, 90⫺97). Die Ursachen für die Zurückhaltung gegenüber transphrastischen Konzeptionen liegen vermutlich in ihrer Beschränkung auf den Systemaspekt und die Textinterna. Große Resonanz fanden hingegen semantisch, referentiell oder thematisch orientierte

260 Textbeschreibungsansätze, insbesondere das Isotopiekonzept. Man vgl. z. B.: Agricola 1979, 43⫺49; Brinker 1985, 26⫺44; Greimas 1966, 69⫺101; Heinemann/ Viehweger 1991, 38⫺40; Kalverkämper 1981, 42⫺ 44; Viehweger 1976, 201⫺203; Wawrzyniak 1980, 93⫺105; u. a.

Das erklärt sich aus der starken Orientierung der Fachsprachenforschung auf die Lexik im allgemeinen und den Fachwortschatz bzw. die Terminologie im besonderen. Dabei fallen natürlich lexikalische Merkmale als Indikatoren für Textzusammenhänge zuerst ins Auge. Hinzu kommt, daß die Rekurrenz lexikalischer Einheiten durch statistische Untersuchungen sehr früh erfaßt wurde. Allerdings waren es nicht allein die Semrekurrenz in ihren vielfältigen Formen oder die semantische Äquivalenz der Isotopieelemente, auf die sich die Aufmerksamkeit richtete, sondern mehr noch die Koreferenz bzw. Referenzidentität der Termini und ihrer Substitute als Ausdruck des dominanten onomasiologischen Prinzips (vgl. 2.2.). Dadurch sind auch Benennungen wie Nominationskette, Nominalverflechtung oder thematische Wiederaufnahme bei Fachtexten eher am Platze als Isotopiekette oder Topikkette. Eine Rolle mag auch der Umstand gespielt haben, daß die implizite Wiederaufnahme, die nur der Fachmann durchschaut, in Fachtexten besonders verbreitet ist, während die explizite Wiederaufnahme überall zu beobachten ist. Untersuchungen zur lexikalisch-semantischen Kohärenz in der Fachkommunikation haben gezeigt, daß sich Termini in Nominationsketten und -strängen oft ⫺ auch textsortenabhängig ⫺ anders verhalten als Elemente des allgemeinen Wortschatzes. Das beginnt mit ihrer ausgeprägten einfachen, d. h. unveränderten Repetition und geringen Pronominalisierung, setzt sich in gewissen regelmäßigen Distanzbeziehungen fort, die etwas mit der Makrostruktur der Texte zu tun haben, und ist auch an besonderen Hierarchisierungen und Vernetzungen zu erkennen, die schon im Fachthesaurus bzw. im Begriffssystem (Kenntnissystem) des jeweiligen Faches angelegt sind. Es gibt auch gewisse Zusammenhänge zwischen den semantischen Relationen im Text und der Thema-Rhema-Gliederung. Man vgl. z. B.: Baumann 1987, 20⫺33; Fijas 1986; Hoffmann 1990b; Kleine 1992; Marx 1987; Peters 1990; Rust 1990; Satzger 1988; Sohst 1987; Spranger 1985; Steinacker 1987; Thürmer 1984; Wendt 1993.

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

4.3.2. Die Fachsprachenforschung hat häufig vorausgesetzt, weniger häufig ausgesprochen und selten berücksichtigt, daß die pragmatische Kohärenz für Fachtexte von besonderer Bedeutung ist, da die in ihnen dargestellten fachlichen Zusammenhänge bei der Versprachlichung explizit oder wenigstens implizit reproduziert werden. Mit anderen Worten: Die Textwelt existiert eigentlich nur in ihrem Bezug auf die wirkliche Welt. Nachdem die Formel vom „Worten der Welt“ (Weisgerber 1954) bei Untersuchungen am Fachwortschatz und bei der Terminologiearbeit mancherorts auf fruchtbaren Boden gefallen ist, hätte man erwarten können, daß die Vorstellung von der „besprochenen und erzählten Welt“ (Weinrich 1964) oder die „Textstruktur-Weltstruktur-Theorie“ (Petöfi 1975) zumindest diskutiert worden wären. Aber hier zeigt sich die Theorieabstinenz der Fachsprachenlinguistik besonders deutlich: Das Tempus bleibt eine der summarisch registrierten verbalen Kategorien, zumal Fachtexte mit dem dominierenden Präsens eine Unterscheidung von Besprechen und Erzählen nicht gerade herausfordern; und die Erweiterung einer ursprünglich generativ angelegten Textgrammatik um eine kontextuelle (pragmatische) Komponente war wohl nicht so überzeugend wie ein kommunikativ-pragmatischer Gesamtansatz, ganz zu schweigen von der Kompliziertheit und dem geringen Nutzen (Gülich/Raible 1977, 180⫺191) dieses Unterfangens der Texttheorie. Pragmatik bedeutet also in der Fachtextlinguistik vorläufig immer noch die Berücksichtigung einer mehr oder weniger großen Zahl textexterner Faktoren, z. B. Kommunikationsbereich, Kommunikationssituation, Kommunikationspartner, Kommunikationsgegenstand u. ä., in lockerer Aufzählung, in Zuordnung zu (Gruppen von) sprachlichen Mitteln oder in einem Kommunikationsmodell (z. B. Gülich/Raible 1977, 25; Schröder 1987, 127), das nicht so sehr auf die Kohärenz des Textes als vielmehr auf das Zusammenwirken textinterner und textexterner Faktoren bei der Produktion und Rezeption eines komplexen Ganzen abzielt. 4.3.3. Neben Makrostruktur und Kohärenz bzw. Kohäsion bezieht die Fachtextlinguistik eine Fülle weiterer grammatischer, lexikalischer und auch nichtsprachlicher Textinterna in die Beschreibung von Fachtext(sort)en ein (vgl. 2. und 3.). Als Ordnungsprinzipien fungieren dabei Verwendungs- und Systemeigen-

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden

schaften (vgl. Kap. V und VI), (Teil-)Textfunktionen (vgl. Möhn/Pelka 1984), Stilqualitäten (vgl. Gläser 1991) u. a. Sie lassen sich in Matrizen kumulativ ⫺ aszendent oder deszendent ⫺ zusammenfassen (vgl. Hoffmann 1987a), um Vergleiche zwischen Fachtexten und Fachtextsorten zu erleichtern. Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden in statistischen Parametern oder einfachen Angaben zur (relativen) Häufigkeit bzw. zur Dominanz ausgewählter Textinterna erfaßt (vgl. Art. 20). Durch die Korrelation relevanter textinterner und textexterner Merkmale ergeben sich sehr komplexe integrierte Beschreibungen (vgl. Baumann 1987; Peters 1990; Rust 1990; Satzger 1988). Dazu gehören auch neuere Arbeiten, die in vielem noch der funktionalen Stilistik verpflichtet sind (z. B. Busch-Lauer 1991; Fiedler 1991; Gläser 1979; 1991). 4.4. Fachtextsorten 4.4.1. Die minutiöse Analyse und Beschreibung der Makrostrukturen, der Kohärenzbeziehungen und weiterer Merkmalkomplexe dient der Fachtextlinguistik vor allem zur Differenzierung und Klassifizierung von Fachtextsorten, wie z. B. Zeitschriftenaufsatz, Enzyklopädieartikel, Referat (abstract), Rezension, Patentschrift, Bedienungsanleitung usw. Dabei wird meistens der induktive Weg beschritten, indem immer mehr Textsorten analysiert und die Ergebnisse generalisiert werden (vgl. Heinemann/Viehweger 1991, 133), wobei Vergleiche (vgl. 5.) eine besondere Rolle spielen. Verglichen werden sowohl funktionale als auch strukturelle u. a. Merkmale der Fachtexte; deren Dominanz oder auffällige Häufigkeit entscheidet über die Zuweisung zu einer bestimmten Textsorte. Eine Abstimmung mit allgemeineren Texttypologien (z. B. Werlich 1975) erfolgt gewöhnlich nicht. Neuere Forderungen nach einer Mehrebenenklassifikation: Funktionstypen, Situationstypen, Verfahrenstypen, Strukturierungstypen, Formulierungsmuster (Heinemann/Viehweger 1991, 145⫺175), werden nur zum Teil erfüllt. Anfangs wurde ein Parameter zum entscheidenden Differenzierungskriterium erhoben, z. B. das dominierende Kommunikationsverfahren (Gläser 1982; Troebes 1981; u. a.) oder die Makrostruktur (Hengst 1985; Lösche 1985; u. a.). Dann traten mehrere nebeneinander, z. B. Textfunktion und Sprachverwendungssituation (Möhn/Pelka 1984); Makrostruktur und Kohärenz (Hoffmann

261

1988b); Situation, Makrostruktur, Darstellungshaltung des Autors und Stilqualitäten (Gläser 1991). Je größer ihre Zahl wurde und je mehr sich funktionale und strukturelle Merkmale miteinander verbanden (z. B. Hoffmann 1987a; 1990a), desto dringlicher wurde das Bedürfnis nach einem integrativen Ansatz (Baumann 1987; 1992). Inzwischen zeichnet sich die Gefahr ab, daß die Merkmalsmatrizen überfrachtet werden und diese Überfrachtung echte Korrelationen zwischen Textexterna und Textinterna verdeckt. Die neuerliche Orientierung an Handlungstypen (Satzger 1988; Birkenmaier/Mohl 1991, 129⫺ 246) signalisiert das Bestreben, zu einem dominanten Ordnungskriterium zurückzukehren, unter dem andere ausgewählte Merkmale zusammengefaßt werden können. 4.4.2. Ein interessantes Spezifikum der Fachtextlinguistik ist der Versuch, einen Zusammenhang zwischen den Fachtextsorten und den Ebenen der vertikalen Schichtung herzustellen (z. B. Busch-Lauer 1991, 67⫺72), weil sich dabei Unterschiede zwischen ganzen Fachsprachen und ihren Textsorten zeigen. Aufmerksamkeit verdienen auch Vorschläge zur Unifizierung bestimmter Textsorten, z. B. Standards, Patentschriften u. ä. (Lampe 1989). In größeren Zusammenhängen gesehen, fördert die Fachtextlinguistik Unternehmungen der Angewandten Linguistik, z. B. die optimale Erschließung der in Fachtexten enthaltenen Information im Rahmen der Informationsrecherche, die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz in der Sprachausbildung usw. Sie könnte mit ihren Verallgemeinerungen auch der Texttheorie, die ihr Beispielmaterial oft künstlich konstruiert, manchen Fingerzeig geben, besonders im Hinblick auf die Textsortenproblematik, die in der Fachkommunikation viel konkreter zu fassen ist als in anderen Kommunikationsbereichen. Doch leider geht die textwissenschaftliche Literatur bisher über Randbemerkungen dazu nicht hinaus (z. B. Coseriu 1981, 110⫺111; Heinemann/Viehweger 1991, 134, 144, 219, 254, 262, 264⫺265, 281⫺282, 284). Fachtexte sind außerdem ein sehr geeigneter Gegenstand zur Beobachtung der Versprachlichung kognitiver Prozeduren und fachlicher Handlungsstrukturen. Zur neuesten Entwicklung in der Fachtextlinguistik s. besonders Baumann (1992; 1994), Göpferich (1995), Hoffmann (1995), Kalverkämper/Baumann (1996).

262

5.

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Intralinguale und interlinguale Vergleiche

5.1. Da die Fachsprachenlinguistik bestrebt ist, die Besonderheiten der Fachkommunikation zu ermitteln, zu beschreiben und zu erklären, ist sie auf ständige Vergleiche angewiesen, die Gemeinsamkeiten mit und vor allem Unterschiede zu anderen Bereichen der Sprachverwendung zutage fördern. Am Anfang steht gewöhnlich der intralinguale Vergleich, bei dem Inventare ausgewählter sprachlicher Mittel auf den Ebenen der Lexik und der Syntax oder des Stils in quantitativer, seltener in qualitativer Hinsicht miteinander verglichen werden. Die Vergleiche erstrecken sich vorwiegend auf: zwei oder mehr Fachsprachen, z. B. Physik, Chemie (Mathematik usw.), zwei oder mehr Gruppen von Fachsprachen, z. B. Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften (Technikwissenschaften usw.), einzelne oder mehrere Fachsprachen und eine oder mehrere andere Subsprachen, z. B. die künstlerische Prosa oder die Umgangssprache u. a. m.; die schriftliche und die mündliche Rede in der Fachkommunikation generell, in einzelnen und in ganzen Gruppen von Fachsprachen. Der interlinguale Vergleich erfaßt erst einmal eine oder mehrere Fachsprachen bzw. Ausschnitte davon in unterschiedlichen Sprachen (zumeist Fremdsprache und Muttersprache) oder allgemeine und fachspezifische Pensen für den Fremdsprachenunterricht. 5.2. Auf einer späteren Stufe hat sich eine komplexere Sicht entwickelt, bei der ganze Fachtexte und Fachtextsorten, z. B. Buchankündigungen, Referate, Rezensionen, Enzyklopädieartikel, Zeitschriftenaufsätze u. a., auf der Basis von Merkmalmatrizen miteinander intra- und interlingual verglichen werden. Dabei werden über charakteristische Phänomene der Lexik und Syntax hinaus auch Makrostrukturen, Kohärenzbeziehungen, metakommunikative, stilistische und nichtverbale Elemente berücksichtigt. Die Klassifizierung der Fachtextsorten stützt sich in diesem Konzept auf dominante Merkmale bzw. Merkmalkomplexe (vgl. 4.4.); deren Übereinstimmung dient als Begründung für die Zusammenfassung einer Menge von Texten in einer Textsorte, ihre Nichtübereinstimmung als Kriterium der Textsortendifferenzierung. 5.3. Bei einer weiteren Differenzierung der genannten Vergleiche ist die Fachsprachen-

linguistik auf den einzelnen Ebenen zu folgenden Verzweigungen gelangt: (a) Fachwortschätze ⫺ Bestand, Häufigkeit, Produktivität der Wortbildungstypen und -mittel, Semantik; (b) Syntax ⫺ Satzlänge, Komplexitätsgrad, Satzarten, Satztypen, Satzgliederungen; (c) Fachtexte und Fachtextsorten ⫺ Makrostrukturen, Nominationsketten und -stränge, Syntax, Lexik, nichtsprachliche Mittel (vgl. Baumann/Kalverkämper 1992). Wird die Fachkommunikation in unterschiedlichen Sprachen verglichen, dann steht mittlerweile an erster Stelle der Text(sorten)vergleich, an zweiter der Systemvergleich; Übersetzungsvergleiche sind seltener. Ansonsten gelten dieselben Prinzipien wie in der kontrastiven bzw. konfrontativen Linguistik generell. Man vgl. z. B.: Burgschmidt/Goetz 1974; Dirven 1976; Eichler/Filipec/Havra´nek/Ruzicka 1976; Gak 1976; Helbig 1981; Jarceva 1981; Juha´sz 1970; Kühlwein 1975; Moser 1970; Nemser 1975; Nickel 1971; 1972; Selinker 1971; Siegrist 1980; Sternemann 1983; u. a.

Beim intralingualen Vergleich werden die kontrastiven Methoden häufig durch statistische ergänzt (vgl. Art. 20).

6.

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21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden Gopnik 1972 ⫽ Myrna Gopnik: Linguistic Structures in Scientific Texts. The Hague. Paris 1972. Greimas 1966 ⫽ Algirdas Greimas: Se´mantique structurale. Paris 1966. Gülich/Raible 1975 ⫽ Textsorten. Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht. Hrsg. v. Elisabeth Gülich und Wolfgang Raible. 2. Aufl. Wiesbaden 1975 (Athenaion-Skripten Linguistik 5). Gülich/Raible 1977 ⫽ Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible: Linguistische Textmodelle. Grundlagen und Möglichkeiten. München 1977 (Uni-Taschenbücher 130). von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung ⫺ Linguistische Konzepte ⫺ Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Halliday 1974 ⫽ Michael A. K. Halliday: The Place of ‘Functional Sentence Perspective’ in the System of Linguistic Description. In: Papers on Functional Sentence Perspective. Ed. by Frantisˇek Danesˇ. Prague 1974, 43⫺53. Halliday/Hasan 1976 ⫽ Michael A. K. Halliday/R. Hasan: Cohesion in English. London 1976. Harnisch 1979 ⫽ Hanna Harnisch: Kommunikationsverfahren. Beschreibung und Gruppierung. Habil. Potsdam 1979. Hartmann 1971 ⫽ Peter Hartmann: Texte als linguistisches Objekt. In: Beiträge zur Textlinguistik. Hrsg. v. Wolf-Dieter Stempel. München 1971, 9⫺29. Harweg 1968 ⫽ Roland Harweg: Pronomina und Textkonstitution. München 1968 (Poetica, Beih. 2). Heger 1976 ⫽ Klaus Heger: Monem, Wort, Satz und Text. 2. Aufl. Tübingen 1976 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 8). Heinemann/Viehweger 1991 ⫽ Wolfgang Heinemann/Dieter Viehweger: Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 115). Helbig 1971 ⫽ Beiträge zur Valenztheorie. Aufsätze. Hrsg. v. Gerhard Helbig. Halle 1971 (Linguistische Studien). Helbig 1977 ⫽ Probleme der Bedeutung und Kombinierbarkeit im Deutschen. Hrsg. v. Gerhard Helbig. Leipzig 1977. Helbig 1981 ⫽ Gerhard Helbig: Sprachwissenschaft ⫺ Konfrontation ⫺ Fremdsprachenunterricht. Leipzig 1981 (Zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichtes für Ausländer). Helbig/Schenkel 1969 ⫽ Gerhard Helbig/Wolfgang Schenkel: Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben. Leipzig 1969, 6. Aufl. 1982. Hengst 1985 ⫽ Karlheinz Hengst: Gesichtspunkte zur Analyse von Makrostrukturen bei Fachtexten. In: Linguistische Studien A 133. Berlin 1985, 41⫺ 55. Henne/Rehbock 1982 ⫽ Helmut Henne/Helmut Rehbock: Einführung in die Gesprächsanalyse. 2.

265

Aufl. Berlin. New York 1982 (Sammlung Göschen 2212). Hoberg 1970 ⫽ Rudolf Hoberg: Die Lehre vom sprachlichen Feld. Ein Beitrag zu ihrer Geschichte, Methodik und Anwendung. Düsseldorf 1970, 2. Aufl. 1973 (Sprache der Gegenwart 11). Hoffmann 1986 ⫽ Joachim Hoffmann: Die Welt der Begriffe. Psychologische Untersuchungen zur Organisation des menschlichen Wissens. Berlin 1986. Hoffmann 1987a ⫽ Lothar Hoffmann: Ein textlinguistischer Ansatz in der Fachsprachenforschung. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 91⫺105. Hoffmann 1987b ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 3. Aufl. Berlin 1987 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Hoffmann 1988a ⫽ Lothar Hoffmann: Vom Fachwort zum Fachtext. Beiträge zur Angewandten Linguistik. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 5). Hoffmann 1988b ⫽ Lothar Hoffmann: Makrostruktur und Kohärenz als Fachtextsortenmerkmale. In: Wiss. Ztschr. der Karl-Marx-Universität Leipzig. Gesellschafts- und Sprachwiss. Reihe 37. 1988/6, 552⫺565. Hoffmann 1989 ⫽ Lothar Hoffmann: Allgemeines im Besonderen (Zur Rezeption Gerhard Helbigs in der Fachsprachenlinguistik). In: Deutsch als Fremdsprache 26. 1989/6, 338⫺345. Hoffmann 1990a ⫽ Lothar Hoffmann: Fachtexte und Fachtextsorten. Leipzig 1990 (BSF. Berichte der Sektion Fremdsprachen 5). Hoffmann 1990b ⫽ Lothar Hoffmann: Thesaurus und Fachtext. In: Empfehlung ⫺ Standard ⫺ Norm. Hrsg. v. Lothar Hoffmann. Leipzig 1990 (Linguistische Studien). Hoffmann 1991 ⫽ Lothar Hoffmann: Fachsprachenlinguistik zwischen Praxisdruck und Theoriebedarf. In: Deutsch als Fremdsprache 28. 1991/3, 131⫺140. Hoffmann 1995 ⫽ Lothar Hoffmann: Intraserielle und interserielle Vergleiche von Fachtexten. Ein Beitrag zur Unterscheidung von Textsorten. In: Deutsch als Fremdsprache. An den Quellen eines Faches. Festschrift für Gerhard Helbig zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Heidrun Popp. München 1995, 563⫺574. Huddleston 1971 ⫽ Rodney D. Huddleston: The Sentence in Written English. A Syntactic Study Based on an Analysis of Scientific Texts. Cambridge 1971. Isenberg 1977 ⫽ Horst Isenberg: ‘Text’ versus ‘Satz’. In: Probleme der Textgrammatik II. Hrsg. v. Frantisˇek Danesˇ und Dieter Viehweger. Berlin 1977 (studia grammatica XVIII), 119⫺146.

266 Jarceva 1981 ⫽ Viktorija N. Jarceva: Kontrastivnaja grammatika. Moskva 1981. Juha´sz 1970 ⫽ Ja´nos Juha´sz: Probleme der Interferenz. München 1970. Junge 1990 ⫽ A. Junge: Das funktional-semantische Feld der Zeit in der russischen Fachsprache der Agrarwissenschaften. Diss. Halle 1990. Kaehlbrandt 1989 ⫽ Roland Kaehlbrandt: Syntaktische Entwicklungen in der Fachsprache der französischen Wirtschaftswissenschaften. Stuttgart 1989 (Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, Beih. 16). Kalverkämper 1980 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Axiomatik der Fachsprachen-Forschung. In: Fachsprache 2. 1980/1, 2⫺20. Kalverkämper 1981 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Orientierung zur Textlinguistik. Tübingen 1981 (Linguistische Arbeiten 100). Kalverkämper 1983 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Textuelle Fachsprachen-Linguistik als Aufgabe. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 13. 1983, 51/52, 124⫺166. Kalverkämper/Baumann 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper/Klaus-Dieter Baumann (Hrsg.): Fachliche Textsorten. Komponenten ⫺ Relationen ⫺ Strategien. Tübingen 1996 (Forum für FachsprachenForschung 25). KFS 1981 ⫽ Kommunikativ-funktionale Sprachbetrachtung 1 und 2. Hrsg. v. Forschungskollektiv Kommunikativ-funktionale Sprachbetrachtung und Fremdsprachenunterricht der Sektion Sprachund Literaturwissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle⫺Wittenberg. Halle 1981. Kirkwood 1969 ⫽ H. W. Kirkwood: Aspects of Word Order and its Communicative Function in English and German. In: Journal of Linguistics 5/ 1969, 87⫺107. Kleine 1992 ⫽ Gerlinde Kleine: Untersuchungen zu Termini und ihren lexikalisch-semantischen Beziehungen in russischsprachigen Fachtexten der Farbenchemie und in einem Thesaurus der Informationsverarbeitung. Ein Ansatz zur Erfassung von Strukturen des Fachkenntnissystems. Diss. Leipzig 1992. Kocourek 1982 ⫽ Rostislav Kocourek: La langue franc¸aise de la technique et de la science. Wiesbaden 1982. 2. Aufl. 1991. Kovtunova 1976 ⫽ Irina I. Kovtunova: Sovremennyj russkij jazyk. Porjadok slov i aktual’noe cˇlenenie predlozˇenija. Moskva 1976. Krämer 1973 ⫽ Maria Krämer: Zu Problemen der grammatischen und lexikalisch-semantischen Fügbarkeit russischer Substantive und Verben, dargestellt an Texten der medizinischen Fachliteratur. Diss. Leipzig 1973. Kretzenbacher 1991 ⫽ Heinz L. Kretzenbacher: Syntax des wissenschaftlichen Fachtextes. In: Fachsprache 13. 1991/3⫺4, 118⫺137.

III. Methoden in der Fachsprachenforschung Kühlwein 1975 ⫽ Wolfgang Kühlwein: Kontrastive Linguistik. In: Angewandte Linguistik für den fremdsprachlichen Unterricht. Eine Einführung. Hrsg. v. Albert Barrera-Vidal und Wolfgang Kühlwein. Dortmund 1975, 108⫺131. Kunath 1984 ⫽ Jürgen Kunath: Zur semantischen und syntaktischen Valenz des Verbs in russischsprachigen Texten der Informationsverarbeitung. Diss. Leipzig 1984. Kuntz 1979 ⫽ Helmut Kuntz: Zur textsortenmäßigen Binnendifferenzierung des Faches Kraftfahrzeugtechnik. Eine syntaktische Analyse mittels valenzspezifischer Muster insbesondere im Bereich der Satzbaupläne. Göppingen 1979 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 261). Lachaud 1986 ⫽ Michel Lachaud: Möglichkeiten der internationalen Terminologieangleichung. Hildesheim. Zürich. New York 1986 (Hildesheimer Beiträge zu den Erziehungs- und Sozialwissenschaften 24). Lampe 1989 ⫽ Marianne Lampe: Die sprachliche Unifizierung von RGW-Standards ⫺ ein Weg zur Optimierung der internationalen Fachkommunikation. Diss. Leipzig 1989. Lapteva 1966 ⫽ Ol’ga A. Lapteva: O nekotorych sintaksicˇeskich tendencijach v stile sovremennoj naucˇnoj prozy. In: Razvitie sintaksisa sovremennogo russkogo jazyka. Red. N. S. Pospelov/E. A. Ivancˇikova. Moskva 1966, 186⫺223. Lariochina 1979 ⫽ Natal’ja M. Lariochina: Voprosy sintaksisa naucˇnogo stilja recˇi. Moskva 1979. Leech/Svartvik 1977 ⫽ Goeffrey N. Leech/Jan Svartvik: A Communicative Grammar of English. London 1977, 15. ed. 1988. Leont’ev 1969 ⫽ Aleksej A. Leont’ev: Jazyk, recˇ’, recˇevaja dejatel’nost’. Moskva 1969. Leont’ev 1974 ⫽ Osnovy teorii recˇevoj dejatel’nosti. Red. Aleksej A. Leont’ev. Moskva 1974. Littmann 1981 ⫽ Günther Littmann: Fachsprachliche Syntax. Zur Theorie und Praxis syntaxbezogener Sprachvariantenforschung. Hamburg 1981 (Hamburger Philologische Studien 52). Lösche 1985 ⫽ Christiane Lösche: Untersuchungen zur Makrostruktur von russischen Fachtexten ⫺ Theoretische Standpunkte und Auffassungen in der Textlinguistik sowie Möglichkeiten ihrer Nutzung zur Ermittlung von wiederkehrenden Fachtextstrukturen (dargestellt an russischsprachigen Referaten zu Texten der Geschichtswissenschaft). Diss. Zwickau 1985. Lötscher 1983 ⫽ Andreas Lötscher: Satzakzent und Funktionale Satzperspektive im Deutschen. Tübingen 1983 (Linguistische Arbeiten 127). Lutz 1981 ⫽ Luise Lutz: Zum Thema „Thema“. Einführung in die Thema-Rhema-Theorie. Hamburg 1981 (Hamburger Arbeiten zur Linguistik und Texttheorie 1). Marx 1987 ⫽ Sabine Marx: Überlegungen zur Kohärenz von Texten aus handlungstheoretischer

21. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von linguistischen Methoden Sicht am Beispiel eines französischen Textes. Diss. Leipzig 1987. Mathesius 1939 ⫽ Vile´m Mathesius: O Tak Zvaˇ leneˇnı´ Veˇty. In: Slovo a Slovesne´m Aktua´lnim C nost 5. 1939, 171⫺174. Mattusch 1981 ⫽ Hans-Jürgen Mattusch: Fachsprachen und kommunikativ-funktionale Sprachbetrachtung ⫺ dargestellt an der Aufforderungsmodalität in naturwissenschaftlichen Fachsprachen des Russischen. Habil. Halle 1981. Meyer 1981 ⫽ Hans Joachim Meyer: Englische Verben zur Beschreibung ausgewählter Sachverhalte der wissenschaftlichen Kommunikation: semantische Valenzstrukturen und typische Satzbaupläne. Habil. Berlin 1981. Miller 1975 ⫽ Evgenij N. Miller: Sopostavitel’noe issledovanie struktury porjadka slov v sovremennom nemeckom i russkom jazykach. Diss. Kalinin 1975. Mitrofanova 1973 ⫽ Ol’ga D. Mitrofanova: Jazyk naucˇno-technicˇeskoj literatury. Moskva 1973. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Moser 1970 ⫽ Probleme der kontrastiven Grammatik. Hrsg. v. Hugo Moser u. a. Düsseldorf 1970 (Sprache der Gegenwart. Schriften des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim VIII). Moskalskaja 1984 ⫽ Olga I. Moskalskaja: Textgrammatik. Leipzig 1984. Motsch/Viehweger 1981 ⫽ Wolfgang Motsch/Dieter Viehweger: Sprachhandlung, Satz und Text. Berlin 1981 (Linguistische Studien A 80). Müller 1990 ⫽ Renate Müller: Phraseologismen in ausgewählten Fachtextsorten des Kommunikationsbereiches Humanmedizin im Englischen. Diss. Leipzig 1990. Nemser 1975 ⫽ William Nemser: Problems and Prospects in Contrastive Linguistics. In: Modern Linguistics and Language Teaching. Ed. by Zsigmond Telegdi et al. Budapest 1975, 99⫺113. Nickel 1971 ⫽ Papers in Contrastive Linguistics. Ed. by Gerhard Nickel. Cambridge 1971. Nickel 1972 ⫽ Reader zur kontrastiven Linguistik. Hrsg. v. Gerhard Nickel. Frankfurt/M. 1972 (Schwerpunkte Linguistik und Kommunikationswissenschaft 10). Päßler 1983 ⫽ Helga Päßler: Zur Valenz und Distribution der häufigsten Verben in französischen Fachtexten der Textilindustrie. Diss. Leipzig 1983. Peters 1990 ⫽ Heidrun Peters: Analyse und Beschreibung von Textsorten aus pädagogischen Fachzeitschriften der Sowjetunion. Habil. Greifswald 1990. Petöfi 1975 ⫽ Janos S. Petöfi: Vers une the´orie partielle du texte. Hamburg 1975 (Papiere zur Textlinguistik 9).

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Pumpjanskij 1974 ⫽ Aleksej L. Pumpjanskij: Informacionnaja rol’ porjadka slov v naucˇnoj i technicˇeskoj literature. Moskva 1974. Raible 1971 ⫽ Wolfgang Raible: Thema und Rhema im französischen Satz. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 81. 1971, 208⫺224. Raspopov 1961 ⫽ Igor P. Raspopov: Aktual’noe cˇlenenie predlozˇenija. Ufa 1961. Reinhardt 1975 ⫽ Deutsche Fachsprache der Technik. Ein Ratgeber für die Sprachpraxis. Gesamtredaktion Werner Reinhardt. Leipzig 1975. 2. Aufl. 1978. Reinhardt/Neubert 1984 ⫽ Das deutsche Fachwort der Technik. Bildungselemente und Muster. Sammlung und Ratgeber für die Sprachpraxis. Gesamtredaktion Werner Reinhardt und Gunter Neubert. Leipzig 1984. Rosengren 1979 ⫽ Inger Rosengren: Die Sprachhandlung als Mittel zum Zweck. Typen und Funktionen. In: Lunder Germanistische Forschungen 48. 1979, 188⫺221. Roth 1980 ⫽ Gesine Roth: Zur aktuellen Satzgliederung in russischsprachigen Texten der Tierproduktion. Diss. Leipzig 1980. Rust 1990 ⫽ Angelika Rust: Zu Kohäsionsbeziehungen in pädagogischen Fachtexten des Russischen und Deutschen. Habil. Zwickau 1990. Sager/Dungworth/McDonald 1980 ⫽ Juan C. Sager/David Dungworth/Peter F. McDonald: English Special Languages. Principles and practice in science and technology. Wiesbaden 1980. Sandig 1975 ⫽ Barbara Sandig: Zur Differenzierung gebrauchssprachlicher Textsorten im Deutschen. In: Textsorten. Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht. Hrsg. v. Elisabeth Gülich und Wolfgang Raible. 2. Aufl. Wiesbaden 1975 (Athenaion-Skripten Linguistik 5), 113⫺124. Satzger 1988 ⫽ Axel Satzger: Methodologische Überlegungen zur Untersuchung der pragmatischen, semantischen und syntaktischen Kohärenz in russischsprachigen Fachtexten. Habil. Dresden 1988. Schefe 1975 ⫽ Peter Schefe: Statistische syntaktische Analyse von Fachsprachen mit Hilfe elektronischer Rechenanlagen am Beispiel der medizinischen, betriebswirtschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Fachsprache im Deutschen. Göppingen 1975 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 165). Schmidt 1976 ⫽ Siegfried J. Schmidt: Texttheorie. Probleme einer Linguistik der sprachlichen Kommunikation. München 1976 (Uni-Taschenbücher 202). Schmidt 1981⫽ Funktional-kommunikative Sprachbeschreibung. Theoretisch-methodische Grundlegung. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung v. Wilhelm Schmidt. Leipzig 1981.

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III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Schmidt/Stock 1979 ⫽ Rede ⫺ Gespräch ⫺ Diskussion. Grundlagen und Übungen. Hrsg. v. Wilhelm Schmidt und Eberhard Stock. 2. Aufl. Leipzig 1979.

Sprissler 1979 ⫽ Manfred Sprissler: Fachsprachliche Syntax: Valenz und Satzbaupläne französischer Verben. In: Fachsprache. Sonderheft I (1979), 210⫺218.

Schnegelsberg 1971 ⫽ Günter Schnegelsberg: Systematik der Textilien. München 1971 (Das Wissenschaftliche Taschenbuch. Abteilung Technik). Schönefeld 1982 ⫽ Doris Schönefeld: Untersuchungen zur englischen, russsischen und deutschen Terminologie der Phytopathologie. Diss. Leipzig 1982. Schröder 1987 ⫽ Hartmut Schröder: Aspekte sozialwissenschaftlicher Fachtexte. Ein Beitrag zur Fachtextlinguistik. Hamburg 1987 (Papiere zur Textlinguistik 60). Schumacher 1986 ⫽ Verben in Feldern. Valenzwörterbuch der Syntax und Semantik deutscher Verben. Hrsg. v. Helmut Schumacher. Berlin. New York 1986. Schütze 1978 ⫽ Wolfgang Schütze: Untersuchungen zu Vorkommen, Distribution und Valenz der häufigsten Verben in der russischsprachigen Kommunikation des Militärwesens. Diss. Leipzig 1978. Sˇcˇur 1974 ⫽ Georgij S. Sˇcˇur: Teorija polja v lingvistike. Moskva 1974. Searle 1969 ⫽ John P. Searle: Speech Acts. Cambridge 1969. Selinker 1971 ⫽ P. J. N. Selinker: An Annotated Bibliography of U. S. Ph. D. Dissertations in Contrastive Linguistics. Washington 1971. Selle 1977 ⫽ Sigrid Selle: Zur Valenz und Distribution französischer Verben der Mitteilung und Information, dargestellt am Beispiel von Pressetexten (internationale Politik). Diss. Leipzig 1977. Sˇevjakova 1976 ⫽ Valentina E. Sˇevjakova: Aktual’noe cˇlenenie predlozˇenija (posobie po adekvatnosti perevoda na materiale anglijskogo jazyka). Moskva 1976. Siegrist 1980 ⫽ Leslie Siegrist: Kontrastive Linguistik und Fehleranalyse. In: Angewandte Linguistik. Positionen ⫺ Wege ⫺ Perspektiven. Hrsg. v. Wolfgang Kühlwein und Albert Raasch. Tübingen 1980, 57⫺66. Sohst 1987 ⫽ Margarete Sohst: Semantische Merkmale und sprachliche Realisierung strukturbestimmender Beziehungsinhalte in englischsprachigen Texten der Verfahrenstechnik. Diss. Leipzig 1987. Spillner 1981 ⫽ Bernd Spillner: Probleme der Syntax von Fachsprachen ⫺ an französischen Beispielen. In: Sprache ⫺ Lehren ⫺ Lernen. Kongreßberichte der 11. Jahrestagung der GAL, Darmstadt 1980. Hrsg. v. Wolfgang Kühlwein und Albert Raasch. Tübingen 1981, 41⫺48. Spitzner 1989 ⫽ Ingrid Spitzner: Onymische Einheiten im englischen Wortschatz der Seewirtschaft. Diss. Leipzig 1989. Spranger 1985 ⫽ Ursula Spranger: Untersuchungen zur Kohärenz, Rekurrenz und Konnexion in medizinischen Fachtexten. Habil. Leipzig 1985.

Steinacker 1987⫽ Ludmila Steinacker: Untersuchungen zur Fachsprache der Philosophie am Beispiel der russischsprachigen und deutschsprachigen Texte philosophischer Nachschlagewerke. Diss. Leipzig 1987. Sternemann 1983 ⫽ Reinhard Sternemann: Einführung in die konfrontative Linguistik. Leipzig 1983 (Linguistische Studien). Techtmeier 1984 ⫽ Bärbel Techtmeier: Das Gespräch. Funktionen, Normen und Strukturen. Berlin 1984 (Sprache und Gesellschaft 19). Tesnie`re 1959 ⫽ Lucien Tesnie`re: Ele´ments de syntaxe structurale. Paris 1959. Thürmer 1984 ⫽ Uta Thürmer: Der Beitrag nominaler Kohärenz zur Organisation und Struktur englischer Texte ⫺ ermittelt unter Einbeziehung mathematischer Methoden. Habil. Leipzig 1984. Trillhaase 1966 ⫽ Günther Trillhaase: Strukturelle Beschreibung einiger Syntaxmodelle der russischen Fachsprache. Diss. Jena 1966. Troebes 1981 ⫽ Otto Troebes: Zum Wechselverhältnis von Textklassen und Kommunikationsverfahren. In: Kommunikativ-funktionale Sprachbetrachtung als theoretische Grundlage für den Fremdsprachenunterricht. Ein Sammelband. Hrsg. v. Wolfgang Boeck. Leipzig 1981 (Linguistische Studien), 137⫺151. Tuchel 1978 ⫽ Horst Tuchel: Verbal-nominale Wortverbindungen im schriftlich-monologischen Stil wissenschaftlicher Kommunikation der russischen Sprache der Gegenwart, dargestellt an Texten chemischer, biologischer und medizinischer Fachliteratur. Diss. Halle 1978. Viehweger 1976 ⫽ Dieter Viehweger: Semantische Merkmale und Textstruktur. In: Probleme der Textgrammatik. Hrsg. v. Frantisˇek Danesˇ und Dieter Viehweger. Berlin 1976 (studia grammatica XI), 195⫺206. Viehweger 1977 ⫽ Probleme der semantischen Analyse. Von einem Autorenkollektiv unter der Leitung v. Dieter Viehweger. Berlin 1977 (studia grammatica XV). Viehweger 1982 ⫽ Dieter Viehweger: Handlungsziele und Handlungsbedingungen komplexer Äußerungsfolgen. Untersuchungen zu einer handlungsorientierten Textanalyse. Habil. Berlin 1982. Vygotskij 1956 ⫽ Lev S. Vygotskij: Mysˇlenie i recˇ’. In: Izbrannye psichologicˇeskie issledovanija. Moskva 1956, 37⫺386. Walbe 1992 ⫽ Ute Walbe: Phraseologische Einheiten in publizistischen Texten der englischen und russischen Gegenwartssprache unter Berücksichtigung aktueller politischer Ereignisfelder. Diss. Leipzig 1992.

22. Philologisch-historische Methoden bei der Erforschung der Fachsprachen der Artes Wawrzyniak 1980 ⫽ Zdisław Wawrzyniak: Einführung in die Textwissenschaft. Probleme der Textbildung im Deutschen. Warszawa 1980. Weber 1979 ⫽ Siegfried Weber: Kommunikationsverfahren und ihre sprachliche Realisierung. Zur linguistischen Fundierung der Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet Deutsch als Fremdsprache. Habil. Potsdam 1979. Weber 1985 ⫽ Siegfried Weber: Kommunikationsverfahren in Wissenschaft und Technik. Zur fachsprachlichen Aus- und Weiterbildung von Ausländern. Leipzig 1985 (Zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer). Weese 1983 ⫽ Christine Weese: Zur Gliederung russischsprachiger Sätze in Fachtexten der Verfahrenstechnik. Diss. Leipzig 1983. Weinrich 1971 ⫽ Harald Weinrich: Tempus. Besprochene und erzählte Welt. 2. Aufl. Stuttgart 1971. Weinrich 1976 ⫽ Harald Weinrich: Sprache in Texten. Stuttgart 1976. Weise 1981a ⫽ Günter Weise: Zur Sprachhandlungsstruktur wissenschaftlicher Texte. In: KFS 1981, 2, 86⫺94. Weise 1981b ⫽ Günter Weise: Erörtern als komplexes Kommunikationsverfahren und seine Realisierung in englischen naturwissenschaftlichen Texten. In: Boeck 1981, 80⫺97. Weise 1983 ⫽ Günter Weise: Systemaspekt und Tätigkeitsaspekt in der Wissenschaftssprache. Untersuchungen an englischen Fachtexten der Chemie. Habil. Halle 1983.

269

Weisgerber 1954 ⫽ Leo Weisgerber: Von den Kräften der deutschen Sprache II, 2. Die sprachliche Erschließung der Welt. Düsseldorf 1954. Wendt 1993 ⫽ Susanne Wendt: Thesaurus und Text ⫺ theoretische Voraussetzungen und praktische Ansätze zur Beschreibung der Struktur eines Fachkenntnissystems (Fachbegriffssystems) und seiner Exteriorisierung in russischen Fachtexten der Wärmetechnik/Feuerungstechnik. Diss. Leipzig 1993. Wenzel 1981 ⫽ Natalia Wenzel: Monosemie und Polysemie der russischen Verben in der Fachsprache der anorganischen und organischen Chemie. Diss. Leipzig 1981. Werlich 1975 ⫽ Egon Werlich: Typologie der Texte. Entwurf eines textlinguistischen Modells zur Grundlegung einer Textgrammatik. Heidelberg 1975, 2. Aufl. 1979. Wiegand 1985 ⫽ Ines Wiegand: Untersuchungen zur Rolle der Terminologie bei der Herstellung von Textkohärenz in russischsprachigen wissenschaftlichen Fachtexten der Stomatologie. Diss. Leipzig 1985. Wiese 1984 ⫽ Ingrid Wiese: Fachsprache der Medizin. Eine linguistische Analyse. Leipzig 1984 (Linguistische Studien). Wotjak 1977 ⫽ Gerd Wotjak: Untersuchungen zur Struktur der Bedeutung. 2. Aufl. Berlin 1977 (Sammlung Akademie-Verlag 10 Sprache). Wunderlich 1976 ⫽ Dieter Wunderlich: Studien zur Sprechakttheorie. Frankfurt/M. 1976 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 172).

Lothar Hoffmann, Großdeuben

22. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von philologisch-historischen Methoden bei der Erforschung der Fachsprachen der Artes 1. 2. 3.

1.

Der Forschungsgegenstand: Die Fachsprachen der deutschen Artesliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Stand der Forschung zu deutschen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fachsprachen der Artes Literatur (in Auswahl)

Der Forschungsgegenstand: Die Fachsprachen der deutschen Artesliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Fachliteratur des Mittelalters liegt meist in Prosa vor, kann jedoch ⫺ z. B. als Lehrgedicht (Keil 1979, 77 f; Haage 1993, 229) ⫺

auch in gebundener Rede abgefaßt sein. Von Dichtung, d. h. von Fiktionalliteratur, unterscheidet sie sich durch das Fehlen der „Intention, eine neue, in sich geschlossene, poetische Wirklichkeit aus realen Versatzstücken oder Erfundenem zu schaffen“ (Haage 1993, 228), ist also nicht fiktional in der konnotativen, spezifisch poetologischen Bedeutung des Begriffes. Sie umfaßt das geistliche, juristische, politisch-historische Fachschrifttum sowie die Artes-Literatur, deren Fachsprachen Gegenstand dieser Darstellung sind. Die Beobachtung, daß ein und derselbe Terminus ganz Verschiedenes bedeuten kann, je nachdem, in welchem Fachgebiet er verwendet

270 wird, zeigt die Entstehung dieser Fachsprachen aus einer bestimmten Wissenssparte heraus und die Bindung an sie. Beispielsweise bezeichnet Hund in der Bergmannsprache einen ,Karren zur Beförderung der Erze‘, in der Hüttensprache dagegen einen ,kleinen Ofen, der vor einem größeren steht‘ (Mendels 1968, 148). Schon hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer fachspezifischen Differenzierung. In Anlehnung an Wissenschaftssysteme des Mittelalters (Klinkenberg 1993, 3 ff) hat sich eine Unterteilung der Artes in Artes liberales (Lindgren 1992, 2), Artes mechanicae, deutsch ,Eigenküste‘ (Eis 1967, 13), und Artes magicae (Schipperges 1964, 119 und Schmitt 1974, 170) international durchgesetzt (LMA 1, 1979, 1058⫺1066). Einen eigenen Bereich bilden die Standessprache (Soziolekt) des Berufsgaunertums und Fachterminologien der Betrügereien in bürgerlichen Berufen (Eis 1967, 46 f und Jütte 1987, 134 und Jütte 1988, 21 ff). Die Artes liberales haben ihren Ursprung in der ,enkyklios paideia‘ der Sophisten, zuerst von Varro (116⫺27) ⫺ erweitert um Medizin und Architektur ⫺ in den ,Disciplinae‘ dargestellt, und wurden zu den Schulwissenschaften der Antike und des Mittelalters. Diese eines freien Mannes würdigen Künste umfaßten die drei Artes der Rede, den Dreiweg, das Trivium, nämlich Grammatik, Rhetorik, Dialektik, und die eher rechnenden, den Vierweg, das Quadrivium mit Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie. Kanonisch wurden diese 7 Künste im Mittelalter vor allem seit Isidor von Sevilla (um 560⫺636) mit Buch 13 seiner ,Etymologien‘. Sie dienten der Vorbereitung auf alle höheren Studien und formierten sich zur Artistenfakultät der Universitäten, die nach dem Vorbild der Universität Paris in der Regel durchlaufen werden mußte, bevor man zum Studium an einer der oberen Fakultäten ⫺ Medizin, Jurisprudenz, Theologie ⫺ zugelassen wurde. Im 15. Jh. entwickelten sich an italienischen Universitäten aus dem Trivium unter humanistischem Einfluß die ,Studia humanitatis‘ mit festem Fächerkatalog: Grammatik, Rhetorik, Geschichte, Poetik, Moralphilosophie (Buck 1987, 274). Als wesentlich instabiler in ihrer Siebenzahl werden die Artes mechanicae, die handwerklichen Künste, abgehandelt. Zunächst gehört die Ars mechanica, die praktische und theoretische Ingenieurkunst, in Gesamtdarstellungen der Philosophie, die Logik, Ethik, Physik umfassen, zusammen mit dem Quadrivium, der Astrologie und der Medizin im Anschluß an Varro zu

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

der ,Physica‘, wie bei Isidor von Sevilla (,Differentiae‘, 2,39) oder bei Hrabanus Maurus (um 780⫺856; ,De universo‘, 15,1). Den Begriff ,Septem artes mechanicae‘ prägte Johannes Scottus Eriugena (um 810⫺877) im Kommentar zu Martianus Capella. Die ausführlichste, daher bis heute entgegen Einwänden (Riha 1992, 255 ff), die den notwendig idealtypischen Charakter der Ordnungskategorien außer acht lassen, als Raster adäquateste Systematisierung der mechanischen Künste führte Hugo von St. Viktor (gest. 1141) im 2. Buch seiner ,Eruditiones didascalicae libri septem‘ durch: 1. Lanificium (Wollverarbeitung stellvertretend für Handwerk), 2. Armatura (Kriegs- aber auch anderes technisches Handwerk), 3. Navigatio (Reisen, Handel), 4. Agricultura (Landwirtschaft, Garten), 5. Venatio (Jagd, Lebensmittelgewerbe), 6. Medicina, 7. Theatrica (Theater-, Schau- und Wettspiel). Hugo von St. Viktor erkennt den Artes mechanicae einen theoretischen Überbau zu, der sie in das Gesamtgebäude der Philosophie eingliedert (Dolch, 1982, 137). Dennoch werden sie weiterhin von Wissenschaftstheoretikern bis in die frühe Neuzeit als dienende Künste geführt, deutsch ,Eigenkünste‘ (Eis 1967, 13), ungeachtet ihrer Rolle beim Auf- und Ausbau der Städte seit dem 12. Jh. (Bau der gotischen Kathedralen, Fernhandel). Lediglich die Medizin avancierte als ,scientia‘ (Schmitt 1974, 169) zu einer der oberen Fakultäten an den Universitäten (Buck 1984, 183; Keil/Peitz 1987, 226). Bezeichnenderweise fehlt sie, nun eine ,scientia‘, unter den Handwerkskünsten im ,Allegorischen Reichsadler‘ von 1506/1507 (Wuttke 1987, 34) des Conrad Celtis (1459⫺ 1508). Die Artes magicae (incertae, prohibitae, ,verboten künst‘) der scholastischen Wissenschaftslehren umfassen zunächst seit Varro lediglich die vier elementaren Divinationskünste Geomantia, Hydromantia, Aeromantia, Pyromantia, die als Mantik der Zukunftsdeutung dienen und nicht der Magie (dämonisches Beherrschen der materiellen Welt), so z. B. bei Isidor von Sevilla und Ivo von Chartres (um 1040⫺1116; im ,Decretum‘). Seit dem 12. Jh. (Schipperges 1964, 119 und Schmitt 1974, 170) kommen die Nigramantia (Totenbeschwörung) und die Chiromantia (Handlesekunst) hinzu, so noch im 26. Kapitel des ,Ackermann von Böhmen‘ (Johannes von Tepl/Saaz; um 1350⫺1415). Analog zu den beiden anderen Artesreihen entsteht im 15. Jh. ein Siebenerschema durch Einbeziehen der Spatulamantia (Wahrsagung

22. Philologisch-historische Methoden bei der Erforschung der Fachsprachen der Artes

aus dem Schulterblatt) u. a. bei Nicolaus Cusanus (1401⫺1464, in ,Ibant magi‘) und beim bedeutendsten Schriftsteller der Schwarzen Künste im Spätmittelalter, Johannes Hartlieb (vor 1410⫺1468) im ,Puch aller verpoten kunst‘ von 1455/1456. Es sind jedoch weitere Künste der Magie und Mantik, okkulte Wissenschaften, hier anzufügen (Schmitt 1974, 170 und Harmening 1979, 33 ff und 178 ff). ⫺ Natürlich lassen sich ⫺ und das wäre bei jedem anderen Raster ebenso ⫺ Mischtypen nicht einer einzigen Kategorie zuordnen. Sie sind jedoch mit Hilfe des Rasters zu determinieren. Die Astrologie gehört mit ihren astronomischen Berechnungen ins Quadrivium der Artes liberales, mit ihren divinatorischen Behauptungen in die Artes magiae und als Iatromathematik zudem in die Medizin, dort zur Medicina magica, die zwischen Artes mechanicae und Artes magicae pendelt (MüllerJahncke 1985, 11⫺17). Auf gleiche Weise fußt die Alchemie mit ihrer ,practica‘, also dem Technisch-Handwerklichen, in den Artes mechanicae, ihr philosophischer Überbau, die ,theorica‘, wird zwar überwiegend von griechischer Naturphilosophie bestimmt, nähert sich indes bisweilen der Magie oder doch der Magia naturalis, was entsprechende alchemistische Texte in die Nähe der Artes magicae rückt (Schmitz 1988, 155⫺159). ⫺ Die Entstehung der Fachsprachen der Artes, d. h. vornehmlich ihrer Fachterminologien, aus den verschiedenen vorgestellten Wissenssparten heraus, macht einen Überblick über den historischen Werdegang der Fachliteratur notwendig. Die lateinische Artesliteratur wird vom Frühmittelalter bis ins 16. Jh. von Rezeptionsschüben (Haage 1993, 233⫺235) aus dem Quellbereich antiken Kulturerbes gespeist, seit den ,Institutiones‘ des Cassiodorus (um 490⫺um 583) über die Karolingische Renaissance, insbesondere die Renaissance des 12. Jhs. mit der Flut arabisch tradierter antik-griechischer Wissenschaft vornehmlich aus Salerno und Toledo, und schließlich in der italienischen Renaissance mit ihrem Versuch, ,ad fontes‘ zu gelangen. So unselbständig wie die Humanisten vorgaben, war das von ihnen so genannte Mittelalter jedoch nicht (Keil/Schmitz 1984, VII). Die deutsche Artesliteratur schöpft zwar seit den Anfängen beim ,Abrogans‘ und den ,Basler Rezepten‘ (um 800) aus der lateinischen, woraus Fremdwort, Lehnwort, Lehnübersetzung entstehen (vgl. Art. 238), bietet aber auch eigenständige deutsche Fachterminologie, so auf den Gebieten der einheimischen Fauna

271

und Flora, also der deutschen Pflanzen- und Tiernamen, von denen Hildegard von Bingen (1098⫺1179) Hunderte in ihre lateinischen Werke aufnimmt (Müller 1982, 14), und innerhalb seit jeher bodenständiger Tätigkeiten wie im Bergbau und im Hüttenwesen (Mendels 1968, 150 und Paul 1987, 1). Insgesamt ist die deutsche Fachliteratur wesentlich weiter verbreitet als die Dichtung. Während das bestüberlieferte poetische Werk des deutschen Mittelalters, Wolframs von Eschenbach ,Parzival‘, in nicht ganz 90 Handschriften auf uns gekommen ist, liegt der ,Bartholomäus‘ (ostmitteldeutsches Arzneibuch, 12. Jh.) in über 400, Ortolfs von Baierland (2. Hälfte des 13. Jh.) ,Arzneibuch‘ in über 200 handschriftlichen Textzeugen vor. Bis zum 17. Jh. sind fast alle bedeutenden deutschen Artesschriften gedruckt. Hieraus ist abzulesen: (1) Artesliteratur wird von weiten Kreisen der Bevölkerung produziert und rezipiert, bei Hofe, im Kloster wie im Bürgerhaus, was sich diastratisch in den verschiedenen sozial bedingten Sprachebenen der Texte manifestiert. (2) Hieraus wird der Einfluß von Fachterminologie auf die Dichtung (Eis 1967, 67⫺71 und Jones 1978, 652 und Noggler 1951, 81 ff) wie auf die Alltagssprache über Dialektgrenzen hinweg verständlich (Philipp 1980, 2, 13, 17 und Hartweg/Wegera 1989, 84 f). Die weite Verbreitung der Artesliteratur beruht nicht allein auf der gegenüber dem Pergament weit preisgünstigeren Papierherstellung seit dem 14. und auf dem Buchdruck seit dem 15. Jh., sondern auf der Wertschätzung aller Art von Wissen (Haage 1986, 206 ff) in der adlig-bürgerlichen ,Urbanitas‘ der aufstrebenden Städte spätestens seit dem 14. Jh., in der für den nichtadligen, aber auch für manchen adligen Stadtbürger der Beruf Lebensgrundlage wird. Wundärzte hinterlassen eine Flut von deutscher medizinischer Literatur. Darunter sind auch akademisch gebildete wie Ortolf von Baierland (Keil 1977, 19 ff). Magister der Hohen Schulen Italiens, Frankreichs und seit dem 14. Jh. auch Deutschlands werden literarisch aktiv (Peters 1983, 225 ff), z. B. der Enzyklopädist Konrad von Megenberg (1309⫺1374), der immer wieder fachwortschöpferisch tätig wurde (Deschler 1977, 14, 20), oder Johannes Hartlieb, der gar Doktor der Medizin war (Bosselmann-Cyran 1985, 20⫺22). Derart Gebildete, aber auch einfache Handwerker, schreiben und rezipieren Fachliteratur. Dementsprechend zeigen die Fachsprachen der Artes in ihrer Genese sachlich-fachliche wie gesell-

272

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

schaftliche Impulse. Das geistliche (Ruh 1979, 1 f) und das juristische/politische (Eis 1967, 77; vgl. Kap. XXVI) Schrifttum des Mittelalters und die dazugehörigen Fachsprachen sind weit intensiver untersucht als dasjenige der Artes und die Fachsprachen ihrer Künste bzw. Wissenschaften (Wolf 1987, 9⫺22).

2.

Stand der Forschung zu deutschen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fachsprachen der Artes

Ein lückenloser Überblick ist hier weder möglich noch intendiert. Stattdessen werden im folgenden methodische Ansätze und Probleme der Forschung dargestellt. 2.1. Definition des Terminus ,Fachsprache der Artes‘ Die Artesreihen des Mittelalters mit ihren Schul- und später Hochschulwissenschaften, den mechanischen und den divinatorisch-magischen Künsten bilden also den thematischen Rahmen sowie die matrices der zugehörigen Fachsprachen. Der Terminus Fachsprache selbst wird bisweilen unreflektiert gebraucht und bedarf deshalb der Eingrenzung. Fachsprache unterscheidet sich seit jeher von der Gemeinsprache nicht durch eigene morpho-syntaktische Regeln, sondern allenfalls in deren Verwendungsweise, insbesondere was die Frequenz derartiger gemeinsprachlicher Mittel anbelangt, also im Stil, vor allem aber ⫺ und das ist das einzige durchgängige Unterscheidungsmerkmal ⫺ im Phänomen der Fachlexik (Fluck 1985, 12 und 204; Haage 1993, 238⫺241). Daher haben sich einerseits eine Fachtextlinguistik, die vor allem stilistische Besonderheiten von Fachsprache gegenüber der Gemeinsprache untersucht, herausgebildet und andererseits die Terminologieforschung (vgl. Kap. XXIV). Die Textlinguistik der mittelalterlichen deutschen Fachsprachen steht noch ganz am Anfang (z. B. Ehlert 1987, 261⫺276) ⫺ einheitliche Stiltendenzen gegenüber der Gemeinsprache zeichnen sich nicht ab ⫺, wohingegen die Terminologieforschung vorangetrieben wurde, insbesondere in der Reihe ,Würzburger medizinhistorische Forschungen‘, hrsg. v. Gundolf Keil (vgl. auch Lindner 1966, 101⫺125; Ott 1970, 1 ff; Deschler 1977, 1 ff; Paul 1987, 1 ff; Barke 1991, 1 ff).

2.2. Stiluntersuchungen auf Syntax-Ebene Ein Großteil der altdeutschen Fachprosa besteht aus Rezepten in Arznei-, Koch-, Färbeund Malerbüchern. Es konnte nachgewiesen werden, daß die verschiedenen Typen des Rezepteingangs seit der altägyptischen, griechisch-römischen und frühmittelalterlichen medizinischen Literatur einer Tradition folgen, die ihren Ursprung im ärztlichen Handeln hat: (1) Überschrift: ad rem, z. B. in den Basler Rezepten (um 800) ,uuidhar cancur‘ (Keil 1963, 423), (2) Inhalt, Prozedur, (3) Schluß (Zekert 1960, 10; Goltz 1974, 17⫺24 u. 320⫺322; Ploss 1952, 1 ff; Ploss 1963, 365⫺373; Haage 1982, 363⫺370; Ehlert 1987, 261⫺276). Seit dem 11. Jh. wird ein Konditionalsatz vom Typ si vis facere (Ploss 1952, 17) beherrschend, der an die Stelle der Überschrift ad rem tritt und einen engeren logischen Konnex zwischen der ,res‘ (meist die Diagnose) und dem ,procedere‘ der Arzneimittelherstellung und -anwendung schafft. Da solche Satzeingänge auch z. B. in diagnostischer Didaxe (Haage 1982, 368) vorkommen und natürlich auch in der Gemeinsprache, kann lediglich die erhöhte Frequenz des Auftretens als Stilmerkmal dieser Rezeptfachsprache gewertet werden, nicht hingegen von Fachsprache überhaupt, da es keineswegs in allen Textsorten der altdeutschen Fachliteratur vorkommt. Solche Stilmerkmale zeigen aber, wie Fachsprache Traditionen und Intentionen unterworfen ist, die sich im Laufe der Zeit ändern können. Die bislang ergebnisreichste Untersuchung hierzu (Ehlert 1987, 261⫺276) konnte an einem umfangreichen Textkorpus verdeutlichen, daß in deutschen Kochrezepten des Spätmittelalters bei der „Auswahl aus dem Reservoir syntaktischer Realisierungsmöglichkeiten für direktive Sprechakte“ direkte Direktiven vom Typ Nim frische ele … überwiegen, wohingegen sich seit dem 19. Jh. indirekte vom Typ Man nehme … durchsetzen. Hinzu kommt, daß solche Stilmerkmale nicht nur diachron variabel sind, sondern auch synchron diastratisch. Gegenüberstellen lassen sich in Mittelalter und Früher Neuzeit zwei Idealtypen (Haage 1988, 293⫺294): (1) die überregional und an einem hohen gesellschaftlichen Stand orientierte, syntaktisch wohlgeordnete Fachsprache, und (2) die grobmundartliche niedrigerer gesellschaftlicher Provenienz, die lokal begrenzt Gültigkeit hat und auf stilistischsyntaktischer Ebene häufig Anakoluth u. ä. aufweist. Nur über Texte Lateinunkundiger, z. B. Handwerker, Wund- und Laienärzte,

22. Philologisch-historische Methoden bei der Erforschung der Fachsprachen der Artes

kommt man der Alltagssprache näher. Die Unterscheidung einer Gebildetensprache von derjenigen lateinunkundiger Fachschriftsteller kann erhellend wirken, wenn Stilzüge ganzer Epochen diskutiert werden. Beispielsweise kommt die Zwei- u. Mehrgliedrigkeit des Ausdrucks in Texten einfacher Handwerker, Wund- und Laienärzte kaum vor (Haage 1974 a, 26, A. 50; Köppe 1977, 170⫺194), wohingegen sie in der frühneuhochdeutschen Gebildetensprache auffällt. Der Wert solcher Handwerkersprache für die diastratische Analyse wird bislang meist nicht (Besch 1993, 40 f) erkannt. 2.3. Probleme der Phraseologie mittelalterlicher deutscher Fachsprachen der Artes Eine seit dem Mittelhochdeutschen bezeugte Redewendung wie an den stein strıˆchen, die auch in poetische Werke übernommen wurde, z. B. bei Neidhard von Reuental (44,35), kann in ihrer Bedeutung erst dann erschlossen werden, wenn Parallelbelege aus dem Fachbereich verglichen werden, aus dem sie stammt, hier aus der Goldschmiedekunst, die in ihren ,Probierbüchlein‘ zur Ermittlung des Feingoldgehalts von Legierungen die Strichprobe auf dem Probierstein schildert (Eis 1967, 69). Derartige Phraseologismen der älteren Fachsprachen sind kaum untersucht, und auf die Forschungsproblematik ⫺ insbesondere bei ihrer Absetzung von gemeinsprachlichen festen Redewendungen (vgl. nhd. durch dick und dünn gehen) ⫺ wurde nur ganz vereinzelt hingewiesen (Hopf 1991 und 1993, 161⫺168): es fehlen die entsprechenden Speziallexika des mittelalterlichen Deutsch. 2.4. Der deutsche Fachwortschatz der Artes in Mittelalter und früher Neuzeit Die lexikologische Erfassung des älteren deutschen Fachwortschatzes stellt die Forschung vor allem wieder vor das Problem der genauen Bedeutungsbestimmung eines Fachausdrucks. Die Grundmethodik der semantischen Eingrenzung besteht im Vergleich einschlägiger Parallelstellen der Fachliteratur (s. o. 2.3.). Hinzukommen muß jedoch historisches und fachliches Wissen über die bezeichnete Sache nach dem Prinzip ,Wörter und Sachen‘ (Paul 1987, 2⫺5 und 269⫺271; Wiegand 1976, 124). Für die Lexikographie ergibt sich hieraus, daß zu jedem Lemma die aussagekräftigen Belege aufgeführt und mit Erläuterungen versehen werden müssen (Paul

273

1987, 271; Reichmann 1986, 10⫺164; Rohland 1982, 339⫺343; Keil 1961, 344). Am Beispiel Wolfskugeln (Eis 1959, 204⫺206; Haage 1974, 129) lassen sich in einfacher Weise alle methodischen Komponenten einer semantischen Terminierung verdeutlichen: Erste Vermutungen von 1855, es handle sich um Kugeln zur Schatzsuche, konnten unter Hinweis auf die giftigen Ingredienzen, die auf Giftköder deuten, falsifiziert werden, zunächst lediglich durch Sachkompetenz auf dem Gebiet der Gifte. Voll bestätigt wurde der Ansatz ,Giftköder zur Vernichtung von Wölfen‘ durch ein ausführliches Rezept im Donaueschinger Cod. 793, das die Wolfskugeln eindeutig in den Bereich der Jagd stellt. In manchen hartnäckigen Fällen, wie z. B. ecidemon als Giftschlangenname (481,8) wie als Schutzgeistbezeichnung (736,9 f u. ö.) im ,Parzival‘ Wolframs von Eschenbach (Haage 1992, 91⫺94 u. 154 ff), hilft nur ein unerwarteter Handschriftenfund weiter: in einem Tradierungszweig des Pseudo-Apuleius wurde im Giftschlangenkatalog der nicht hergehörige Ichneumon (Herpestes ichneumon, eine Art der echten Mungos) getilgt und für ihn ecidemon eingesetzt (Groos 1994, S. 137 f). Dies besagt nicht, daß man nun im ecidemon bei Wolfram den ,Ichneumon‘ zu sehen habe, denn es wurde ja gerade die Nicht-Schlange Ichneumon gegen eine Giftschlange ,ecidemon‘ ersetzt. Am ehesten Sinn macht indes die Herleitung aus agathodaimon über eine Latinisierung; denn nur er erfüllt die Doppelgesichtigkeit bei Wolfram: einerseits Schlangen-Schutzgeist von Alexandria und andererseits Giftschlange, wie z. B. im Schlangenkapitel von Avicennas ,Canon medicinae‘, Liber 4, fen 6 (Haage 1992, 155). Die Diskussion ist nicht abgeschlossen. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist es illusorisch, eine genaue Definition des Begriffs ,mittelalterlicher deutscher Fachterminus‘ geben zu wollen. Unter ,Fachliteratur‘ verstehe ich alle nicht fiktionale, an Sparten des Wissens gebundene Literatur mit hoher Dichte an Fachterminologie bis zum Sachbuch, z. B. einem Reisebericht, mit geringem Aufkommen an Fachtermini. Unter ,Fachterminologie‘ verstehe ich eine Variante gemeinsprachlichen Wortschatzes, die sich von diesem durch den Bekanntheitsgrad (Fluck 1985, 20) absetzt, auch von der seit althochdeutscher Zeit eingebürgerten Sachlexik, z. B. Mauer, Ziegel, Kelter (Drozd/Seibicke 1973, 9; Möhn/Pelka 1984, 133). Unter ,Fachterminus‘ verstehe ich eine in einem bestimmten

274 Fachbereich spezifisch für eine Sache oder einen Vorgang verwendete Bezeichnung, deren Bekanntheitsgrad in der Gemeinsprache gering ist. Ein Terminus ⫺ lateinisch: Grenzzeichen ⫺ muß nicht identisch sein mit einem einzelnen Fachwort, sondern kann Syntagmen umfassen (Möhn/Pelka 1984, 14⫺19), kann also sein: (1) verbum simplex (z. B. icterus, m. ⫽ (a)) Gelbsucht, metonymisch abgeleitet vom Namen des gelben Vogels Pirol (b) Hautgelbfärbung bei Neugeborenen; (es liegt also Polysemie vor), (2) verbum compositum (z. B. sternocleidomastoideus, adj. ⫽ vom Brustbein (sternum) und Schlüsselbein (vgl. griech. kleis) zum Warzenfortsatz des Schläfenbeins (processus mastoideus) verlaufend), (3) Konstrukt aus Präfixen, Suffixen, Infixen und/ oder z. T. fragmentarischen Wortelementen (z. B. hypogastrium, n. ⫽ Unterbauch), (4) Mehrwortbenennung (Syntagmen, z. B. musculus sternocleidomastoideus, digitus primus, beidesmal Substantiv ⫹ Adjektiv, oder vena portae, Substantiv ⫹ Substantiv im Genetivus subjectivus).

Zusammenfassend gilt folgende Begriffsordnung (Haage 1993, 248 f): ,Gemeinsprache‘ manifestiert sich in Dichtung sowie Alltagsund Gebrauchsliteratur. ,Fachsprache‘ gehört zu den Sondersprachen, deren Kennzeichen Sonderlexik ist, bildet jedoch aufgrund ihrer wissenstradierenden Fachlexik einen eigenen Bereich. Ihre Fachlexik kann sein: (a) sachorientiert (z. B. Medizin) (b) sozial orientiert (z. B. standessprachlich, wie überwiegend die Jagdlexik (vgl. Art. 248), oder arkansprachlich, wie Texte der alchemischen Terminologie). Jede Fachsprache hat ihren eigenen historischen Werdegang und kann nur aus ihm heraus verstanden werden. Die deutsche medizinische Fachterminologie des Mittelalters weist entsprechend ihrer Genese (Baader 1974, 88⫺123) folgende Schichtung auf: (1) z. T. nicht gemeinsprachlich gewordene eingedeutschte Ausdrücke der römischen Profankultur, (2) Fremdwort, Lehnwort, Lehnübersetzung aus der lateinischen Wissenschaftssprache (z. B. versiegelt erd aus terra sigillata, eine Heilerde, oder quecksilber aus argentum vivum, oder zwölfpottensalbe aus unguentum apostolorum, weitere reiche Beispiele bei Keil 1961, 66⫺84), (3) genuin deutsche Neubildungen (z. B. derrwasser, n., ein Arzneiwasser zur Heilung von Röhrenfisteln, erstmals bei Peter von Ulm, 15. Jh., gebucht, vgl. Keil 1961, 77⫺81). ⫺

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Insgesamt dominiert die Abhängigkeit vom lateinischen Terminus. Eigenständige deutsche Neuprägungen setzen sich nicht durch (Keil 1961, 83). ⫺ Ganz anders liegen die Verhältnisse im Bereich des bodenständigen Bergbaus und Hüttenwesens, wo sich von Anfang an deutsche ⫺ wie in der Medizin sachorientierte ⫺ Fachterminologie ausbildet. Beispiele hierfür sind: (1) aus dem Bergbau: Aufschlag ⫽ ein neu begonnener bergmännischer Bau, (2) aus der Erzverhüttung: drängen ⫽ amalgamieren, (3) aus dem Bergrecht: Volk ⫽ die dem Bergmeister unterstellten Bergleute; vgl. Paul 1987, 126⫺268.

Nicht allein sach-, sondern zunehmend standesorientiert, ausgehend von der Herrenjagd auf Hochwild und mit Beizvögeln, zeigt sich die Jagdterminologie (vgl. Art. 248). Wer nicht waidmännisch redete, wurde mit dem flachen Waidmesser geschlagen. Diese Sitte des ,Pfundgebens‘ wird u. a. von Sebastian Brant im ,Narrenschiff‘ bezeugt (Lindner 1966, 108). Die sozial orientierte Standessprache der Jäger ist von wuchernder Synonymik geprägt. Beispiele: der Falke wird geworfen, ,von der Hand gestoßen‘ oder ,von der Hand geschüttet‘; die Ohren des Schwarzwildes heißen Teller oder Schüsseln, vgl. Ott 1970, 6.

Während Synonymik in der medizinischen Terminologie auf die griechische wie lateinische Herkunft ⫺ vgl. nephros und ren für Niere ⫺ zurückgeht, dient sie in der Jagdterminologie dem Bestreben, die Gruppe sozial abzusetzen, und dies im Laufe der Geschichte in steigendem Maße: in der mittelhochdeutschen Jägersprache wurden ⅓ Gemeinsprache, fast ⅔ sachorientierte Fachterminologie und ein Rest von ca. 40 Wörtern als Standessprache eruiert (Dalby 1965, 1 f; Ott 1970, 8 f), wohingegen im Glossar des kurpfälzischen Rates Noe Meurer von 1560 5% der Jagdtermini gemeinsprachlich, etwa 55% sachorientiert und ca. 40% standessprachlich sind (Ott 1970, 10). Bis heute spielt die alte Waidmannssprache ⫺ regional verschieden ⫺ eine Rolle bei der obligatorischen Jägerprüfung. Nochmals andere Intentionen drängten die Alchemisten, bisweilen Passagen in ihren Schriften arkansprachlich (Eis 1965, 55; Haage 1993, 255⫺258) zu verschlüsseln, so daß sie nur einem ganz kleinen Kreis von Eingeweihten verständich waren. Unter Arkansprache sind also nicht die gängigen al-

22. Philologisch-historische Methoden bei der Erforschung der Fachsprachen der Artes

chemistischen Decknamen u. ä. zu verstehen, sondern weitergehende Verschleierung (z. B. kann Mercurius nicht nur den Gott oder den Planeten meinen, sondern verschiedene andere ,Mercurii‘, die in den Reichen der Natur enthalten sind; vgl. Eis 1965, 55 f; Haage 1993, 258) mit doppeltem Ziel: (1) Schutz der Menschheit vor Mißbrauch des Wissens, (2) Schutz des eigenen Lebens vor Willkür und Goldgier der Potentaten. Diese Arkansprache ist ethisch-sozial orientiert. ⫺ Die Übersicht hat gezeigt, daß es vielfältige Ansätze zur Erforschung mittelalterlicher deutscher Fachsprache gibt, daß jedoch eine breite Grundlage edierter Texte bislang fehlt. Die philologische Methodik wurde von Gerhard Eis und Gundolf Keil konzipiert und erprobt sowie in neueren Arbeiten (Paul 1987, 1 f., oder Barke 1991, 1 f) weitergeführt.

3.

Literatur (in Auswahl)

Baader 1974 ⫽ Gerhard Baader. Die Entwicklung der medizinischen Fachsprache im hohen und späten Mittelalter. In: Fachprosaforschung, hrsg. v. Gundolf Keil u. Peter Assion. Berlin 1974, 88⫺123. Barke 1991 ⫽ Jörg Barke: Die Sprache der Chymie. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 111). Besch 1993 ⫽ Werner Besch: Die sprachliche Doppelformel im Widerstreit. In: Arbeiten zum Frühneuhochdeutschen. Gerhard Kettmann zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Rudolf Bentzinger und Norbert Richard Wolf. Würzburg 1993, 31⫺43. Bosselmann-Cyran 1985 ⫽ Kristian BosselmannCyran: ,Secreta mulierum‘ mit Glosse in der deutschen Bearbeitung von Johann Hartlieb. Text und Untersuchung. Pattensen 985 (Würzburger medizinhistorische Forschungen 36). Buck 1984 ⫽ August Buck: Die Medizin im Verständnis des Renaissancehumanismus. In: Humanismus und Medizin, hrsg. v. Gundolf Keil und Rudolf Schmitz. Weinheim 1984, 181⫺198. Buck 1987 ⫽ August Buck: Die Rezeption des Humanismus in den juristischen und medizinischen Fakultäten der italienischen Universitäten. In: Der Humanismus und die oberen Fakultäten, hrsg. v. Gundolf Keil u. a. Weinheim 1987, 267⫺284. Dalby 1965 ⫽ David Dalby: Lexicon of the Mediaeval German Hunt, a Lexicon of Middle High German Terms (1050⫺1500), associated with the Chase, Hunting with Bows, Falconry, Trapping and Fowling. Berlin 1965. Deschler 1977 ⫽ Jean-Paul Deschler: Die astronomische Terminologie Konrads von Megenberg. Frankfurt/M. 1977. Dolch 1982 ⫽ Josef Dolch: Lehrplan des Abendlandes. Darmstadt 1982 [Reprographischer Nachdruck der 3. Aufl. v. 1971].

275

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276 sprachentheorie. Bd. 1 Fachsprachliche Terminologie, Begriffs- und Sachsysteme, Methodologie, hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 229⫺268. Harmening 1979 ⫽ Dieter Harmening: Superstitio. Berlin 1979. Hartweg/Wegera 1989 ⫽ Fre´de´ric Hartweg und Klaus-Peter Wegera: Frühneuhochdeutsch. Tübingen 1989. Hopf 1991 ⫽ Sabine Hopf: Lexikalische Studien zur Sprache in Kochbüchern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Phil. Diss. Halle 1991. Hopf 1993 ⫽ Sabine Hopf: Phraseologismen in frühneuhochdeutschen Fachprosatexten. In: ,Von wyßheit würt der mensch geert …‘ Bern. Frankfurt/M. 1993, 161⫺168. Jones 1978 ⫽ George Fenwick Jones: Fachschrifttum. In: Europäisches Spätmittelalter, hrsg. v. Willi Erzgräber (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft 8). Wiesbaden 1978, 645⫺656. Jütte 1987 ⫽ Robert Jütte: Rotwelsch. In: Das Buch der Vaganten, Spieler, Huren, Leutbetrüger, hrsg. v. Heiner Boehncke u. Rolf Johannsmeier. Köln 1987, 133⫺143. Jütte 1988 ⫽ Robert Jütte: Abbild und soziale Wirklichkeit des Bettler- und Gaunertums zu Beginn der Neuzeit. Sozialmentalitäts- und sprachgeschichtliche Studien zum Liber Vagatorum (1510). Köln. Wien 1988. Keil 1961 ⫽ Gundolf Keil: Die ,Cirurgia‘ Peters von Ulm. Ulm 1961. Keil 1963 ⫽ Gundolf Keil: Die mittelalterliche Übersetzung vom Harntraktat des ,Bartholomäus‘. In: Sudhoffs Archiv 47, 1963, 417⫺455. Keil 1977 ⫽ Gundolf Keil: „ich meister Ortolf, von Baierlant geborn, ein arzet in wirzeburc“. Zur Wirkungsgeschichte Würzburger Medizin des 13. Jahrhunderts. In: Jahresbericht der Bayerischen JuliusMaximilians-Universität Würzburg über das akademische Jahr 1975/76. Würzburg 1977, 19⫺42. Keil 1979 ⫽ Gundolf Keil: Prosa und gebundene Rede im medizinischen Kurztraktat des Hoch- und Spätmittelalters. In: Poesie und Gebrauchsliteratur im deutschen Mittelalter. Würzburger Colloquium 1978, hrsg. v. Volker Honemann u. a. Tübingen 1979, 76⫺93. Keil/Peitz 1987 ⫽ Gundolf Keil und Rudolf Peitz: ,Decem quaestiones de medicorum statu‘. Beobachtungen zum Fakultätenstreit und zum mittelalterlichen Unterrichtsplan Ingolstadts. In: Humanismus und die oberen Fakultäten, hrsg. v. Gundolf Keil und Bernd Moeller. Weinheim 1987, 215⫺238. Keil/Schmitz 1984 ⫽ Gundolf Keil und Rudolf Schmitz: Vorwort. In: Humanismus und Medizin, hrsg. v. dens. Weinheim 1984, VII⫺IX. Klinkenberg 1993 ⫽ Hanns Martin Klinkenberg: ,Divisio philosophiae‘. In: Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter, hrsg. v. Ingrid Crae-

III. Methoden in der Fachsprachenforschung mer-Ruegenberg und Andreas Speer, Berlin. New York 1993, 3⫺19. Köppe 1977 ⫽ Ingeborg Köppe: Zweigliedrige Ausdrücke in Zunftordnungen des 16. Jh. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Halle, 98, 1977, 170⫺194. Lindgren 1992 ⫽ Uta Lindgren: Die Artes liberales in Antike und Mittelalter. München 1992. Lindner 1966 ⫽ Kurt Lindner: Zur Sprache der Jäger. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 85, 1966, 407⫺431; 86, 1967, 101⫺125. LMA ⫽ Lexikon des Mittelalters, München und Zürich 1979 ff. Mendels 1968 ⫽ Judica I. H. Mendels: Einiges über die deutsche Hüttensprache im Mittelalter. In: Fachliteratur des Mittelalters. Festschrift für Gerhard Eis, hrsg. v. Gundolf Keil u. a. Stuttgart 1968, 147⫺166. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Tübingen 1984. Müller 1982 ⫽ Irmgard Müller: Die pflanzlichen Heilmittel bei Hildegard von Bingen. Salzburg 1982. Müller-Jahncke 1985 ⫽ Wolf-Dieter MüllerJahncke: Astrologisch-magische Theorie und Praxis in der Heilkunde der frühen Neuzeit. Stuttgart 1985. Noggler 1951 ⫽ Josef Noggler: Die Gesundheitslehre des Apothekers im ,Ring‘ des Heinrich Wittenwiler. In: Internationale Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Vorträge Salzburg 1951. Wien 1952, 81⫺89. Ott 1970 ⫽ Peter Ott: Zur Sprache der Jäger in der deutschen Schweiz. Frauenfeld 1970. Paul 1987 ⫽ Rainer Paul: Vorstudien für ein Wörterbuch zur Bergmannssprache in den sieben niederungarischen Bergstädten während der frühneuhochdeutschen Sprachperiode. Tübingen 1987 (Reihe Germanistische Linguistik 72). Peters 1983 ⫽ Ursula Peters: Literatur in der Stadt. Tübingen 1983. Philipp 1980 ⫽ Gerhard Philipp: Einführung ins Frühneuhochdeutsche. Heidelberg 1980. Ploss 1952 ⫽ Emil Ernst Ploss: Studien zu den deutschen Maler- und Färberbüchern des Mittelalters. Phil. Diss. München 1952. Ploss 1963 ⫽ Emil Ernst Ploss: Zur Fachsprache der deutschen Färber im Spätmittelalter. In: Jahrbuch des Marburger Universitätsbundes 1963, 365⫺373. Reichmann 1986 ⫽ Oskar Reichmann: Lexikographische Einleitung. In: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, hrsg. v. Robert R. Anderson u. a., Bd. 1, Berlin. New York 1986, 10⫺164. Riha 1992 ⫽ Ortrun Riha: Das systematologische Defizit der Artesforschung. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 229, 1992, 255⫺276.

23. Philologisch-historische Methoden bei der Erforschung der älteren Rechtssprache Rohland 1982 ⫽ Ingrid Rohland: Das ,Buch von alten Schäden‘. Teil II: Kommentar und Wörterverzeichnis. Pattensen 1982 (Würzburger medizinhistorische Forschungen 23). Ruh 1979 ⫽ Kurt Ruh: Poesie und Gebrauchsliteratur. In: Poesie und Gebrauchsliteratur im deutschen Mittelalter, hrsg. v. Volker Honemann. Würzburger Colloqium 1978. Tübingen 1979, 1⫺13. Schipperges 1964 ⫽ Heinrich Schipperges: Die Assimilation der arabischen Medizin durch das lateinische Mittelalter. Wiesbaden 1964. Schmitt 1974 ⫽ Wolfram Schmitt: Zur Literatur der Geheimwissenschaften im späten Mittelalter. In: Acht Vorträge zur mittelalterlichen Artesliteratur. Berlin 1974, 167⫺182. Schmitz 1988 ⫽ Rudolf Schmitz: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurneis-

277

sers zum Thurn. In: Zwischen Wahn, Glaube und Wissenschaft, hrsg. v. Jean Franc¸ois Bergier. Zürich 1988, 141⫺166. Wiegand 1976 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Synonymie und ihre Bedeutung in der einsprachigen Lexikographie. In: Probleme der Lexikologie und Lexikographie. Düsseldorf 1976 (Sprache der Gegenwart 39), 118⫺180. Wolf 1987 ⫽ Norbert Richard Wolf (Hrsg): Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter. Kolloquium 5.⫺7. Dezember 1985. Wiesbaden 1987. Wuttke 1987 ⫽ Dieter Wuttke: Nürnberg als Symbol deutscher Kultur und Geschichte. Bamberg 1987. Zekert 1960 ⫽ Otto Zekert: Das ärztliche Rezept. Ingelheim 1960.

Bernhard Dietrich Haage, Mannheim

23. Anwendungsmöglichkeiten und bisherige Anwendung von philologisch-historischen Methoden bei der Erforschung der älteren Rechtssprache 1. 2. 3. 4.

1.

Die ältere Rechtssprache und ihre Erforschung Philologisch-historische Methoden zur Erfassung rechtssprachlicher Phänomene Die Sprache des Rechtslebens und die Fachsprache der Juristen Literatur (in Auswahl)

Die ältere Rechtsprache und ihre Erforschung

Mit der Sprache der Jäger und der Sprache der Fischer und Seeleute gehört die Rechtssprache zu den ältesten Fachsprachen ethnischer Gemeinschaften überhaupt. Die deutsche Rechtssprache reicht mit einzelnen Rechtswörtern wie Mord und Morgengabe in das Vordeutsche oder Germanische zurück; mit Reich und Amt auch in das Außergermanische. Bei Begründung des ,Deutschen Rechtswörterbuchs‘ (DRW) rechnete man zur älteren deutschen Rechtssprache alles, was zwischen „Ulfilas und Goethe“ liegt. Man bezog also das Germanische in die Geschichte der deutschen Rechtssprache mit ein. Ausgehend von der schriftlichen Überlieferung des Rechts, die in weiten Teilen der Germania zunächst lateinisch gewesen ist, unterschied man in bezug auf die deutsche Rechts-

sprache vier Epochen, für die das Verhältnis von Volkssprache und Latein ausschlaggebend gewesen ist: (1) die Zeit von der Völkerwanderung bis zum 13. Jh., in der die Volkssprache auf den mündlichen Rechtsverkehr beschränkt blieb; (2) die Zeit vom 13. Jh. bis zur Rezeption des römischen Rechts, in der Gesetze und Rechtsbücher auch in der Volkssprache abgefaßt worden sind: Es ist die Blütezeit der deutschen Rechtssprache; (3) die Zeit seit der Rezeption des römischen Rechts, die eine Erweiterung der deutschen Rechtssprache durch die Übernahme von Fremd- und Übersetzungslehnwörtern mit sich brachte; (4) die Zeit der großen Rechtskodifikationen Ende des 18. Jh., die mit dem Ziel der Allgemeinverständlichkeit eine Wiederbelebung volkssprachlicher Ausdrucksmittel im Gefolge hatte. Seit J. G. Herder ist das Verhältnis von Recht und Sprache Gegenstand philosophischer Betrachtung gewesen. C. F. von Savigny hat diesen Zusammenhang für das Rechtsstudium bewußt gemacht, indem er (1802/3) die philologische Methode als eine von vier Ar-

278

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

beitsweisen des Juristen vorgestellt hat. Jurisprudenz war danach nicht ohne Rechtsgeschichte und diese nicht ohne Philologie oder Sprachwissenschaft denkbar. Da aber Recht und Sprache nicht willkürlich „gesetzt“ sind, sondern sich organisch entwickelt haben, sind sie historisch zu untersuchen und zu beschreiben. Als Schüler Savignys hat Jacob Grimm, der die Analogien zwischen Recht und Sprache aufzeigte, das genetische Prinzip und die philologisch-historische Betrachtung auf die „Grammatik des Rechts“ (Wörter, Formeln, Gebärden, Symbole) angewandt. Seine Rechtsalterthümer (1828) sind kein Lexikon im üblichen Sinn, indessen die erste, historisch angelegte Sammlung des Rechtswortschatzes, die sich durch die Anwendung des genetischen Prinzips auf die Lexikographie des Rechts von älteren Werken wie z. B. Ch. G. Haltaus „Glossarium Germanicum medii aevi“ (1758) grundlegend unterscheidet. Bei Begründung des ,Deutschen Rechtswörterbuchs‘ (1897) wollte man den Wortschatz der älteren deutschen Rechtssprache mit philologisch-historischen Methoden lexikalisch genau erfassen. Dabei wurde der Blick von den Ursprüngen weg auf den zeitbedingten Kontext der Überlieferung und damit auf den Befund in seiner Differenziertheit gelenkt. Die methodischen Einzelschritte, die auf diesem Weg zurückgelegt worden sind, betreffen Quellenkunde und Textkritik, die Lexikographie und die Begriffsgeschichte.

2.

Historisch-philologische Methoden zur Erfassung rechtssprachlicher Phänomene

2.1. Quellenkunde Die ältere deutsche Rechtssprache ist allein aufgrund der Wort- und Schriftquellen zu erschließen. Wichtigste Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der Quellen, die über die mündliche wie schriftliche Tradition des Rechts direkt oder indirekt Auskunft geben. Je nachdem spricht man von Rechtsquellen im engeren oder weiteren Sinne bzw. auch von Rechtserkenntnisquellen. Zu den Rechtsquellen im engeren Sinne gehören Recht und Gesetz, wie Stammesrechte (Leges) und Rechtsbücher (Sachsenspiegel), Kapitularien und Edikte, Mandate, Landfrieden, Weistümer, Stadtrechte, Stadtrechtsreformationen u. a. m., also Aufzeichnungen des normativen Rechts. Hier spricht man auch von unmittelbaren oder direkten Rechtsquellen, weil ihre Sätze

im Gericht oder bei entsprechenden Hoheitsakten unmittelbar angewandt werden konnten. Dies ist bei dem sog. Geschäftsschrifttum wie Urkunden und Akten, Traditionsbüchern und Urbaren, Registern und Protokollen nicht im gleichen Maß der Fall, weshalb man diese auch als mittelbare Rechtsquelle bezeichnet. Hinzukommen die sog. Rechtserkenntnisquellen wie historiographische Werke, Dichtung, Inschriften, Namen, sofern sie Rechtliches enthalten. Eine umfassende Quellenkunde der Rechtsgeschichte, die für Rechtshistoriker und Philologen gleichermaßen aufschlußreich ist, fehlt bisher. Der Beitrag ,Recht‘, den K. v. Amira 1890 H. Pauls „Grundriß der Germanischen Philologie“ beigesteuert hat und der heute, in stark erweiterter vierten Auflage von K. A. Eckhardt (1960 u. 1967) vorliegt, kommt den gemeinsamen Interessen noch immer am nächsten: Die Einbeziehung der ganzen Germania, also der Friesen und Angelsachsen, der nordischen bzw. skandinavischen Rechtsquellen ist im Blick auf den europäischen Zusammenhang erneut interessant. Zu ergänzen sind hier die einschlägigen Artikel aus dem „Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte“ (HRG, 1971 ff), deren Herausgeber nicht nur die Germania mitberücksichtigt haben, sondern die „ganze Rechtsgeschichte, die sich in Deutschland entfaltet hat“, mithin auch die Romanisierung von Recht und Sprache durch die Rezeption des gelehrten und kanonischen Rechts. Dieser Aspekt ist in jüngeren Arbeiten zur deutschen Rechtssprache (Elsener 1977) stärker als früher beachtet worden. In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsquellenlehre von Th. Bühler (1977⫺1985) zu verweisen, die bis an die moderne, europäische Gesetzgebung heranführt. Die „Deutsche Rechtsgeschichte“ von K. Kroeschell enthält in ihren auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit bezüglichen Bänden (1972/73) zu jedem Abschnitt eine kurze Quellenkunde. Die Quellen- und Quellenergänzungshefte des DRW sind für die Erforschung der älteren Rechtssprache unverzichtbar. 2.2. Textkritik Die Erforschung der älteren deutschen Rechtssprache muß sich auf schriftliche Texte stützen, die in philologisch gesicherten, d. h. textkritischen Ausgaben vorliegen sollten. Der Reichsfreiherr vom Stein, der 1819 die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde ins Leben gerufen hatte, schuf mit den Monumenta Germaniae Historica ein Quel-

23. Philologisch-historische Methoden bei der Erforschung der älteren Rechtssprache

lenwerk, in dem alle historischen Quellen der Zeit von 500 bis 1500 erfaßt und in kritischen Ausgaben zugänglich gemacht werden sollten. In den Reihen Leges, Concilia, Constitutiones et acta publica, Diplomata und Fontes iuris Germanici antiqui fanden auch die Rechtsquellen ihren Platz. Es handelt sich um lat. Rechtsquellen mit volkssprachigen Rechtswörtern (z. B. Stammesrechte und Kapitularien) und um deutschsprachige Rechtsquellen (z. B. die Rechtsbücher). Die besondere Problematik der Ausgabengestaltung bei den Rechtsquellen sollte sich bald herausstellen. Denn Voraussetzung für eine kritische Ausgabe ist eine geschlossene Überlieferung, bei der ein Archetypus faßbar wird, wie der Umstand, daß jeder Schreiber nur eine Vorlage kopieren wollte, so daß sich aufgrund eines Stemmas ein klares Bild der Überlieferungsgeschichte ergibt. Den Rechtsquellen fehlen diese Voraussetzungen häufig: Ihre Überlieferung ist offen, d. h. zahlreichen Mutationen unterworfen; die Schreiber haben gelegentlich mehrere Vorlagen benutzt und kompiliert. Ein Archetyp ist dann nur schwer zu gewinnen. Die Einführung des Rechtshistorikers H. v. Kantorowicz in die Textkritik geht deshalb von der Möglichkeit mehrerer „Urschriften“ bei einem Quellenwerk rechtlichen Inhalts aus. Große Editionsvorhaben der Monumenta Germaniae Historica wie das einer Lex Salica-Ausgabe oder einer Edition des Schwabenspiegels sind zunächst gescheitert, ehe K. A. Eckhardt kritische Ausgaben schuf, die indessen nicht unumstritten sind. Durch die Möglichkeit der Faksimilierung gewann das Interesse an einzelnen Handschriften wieder an Boden. Hier sind die Faksimile-Ausgaben der Ingolstädter Handschrift der Lex Baiuvariorum, der St. Galler Handschrift von Pactus und Lex Alamannorum, der Heidelberger und Wolfenbütteler Bilderhandschriften des Sachsenspiegels zu nennen. Die Hinwendung zu einzelnen Handschriften und Fassungen wird durch die Diskussion um die „überlieferungskritische“ Ausgabe unterstützt. Bei ihr geht es nicht so sehr um die originäre Fassung wie um einen historischen Text, der nachweislich gelesen worden ist. Er soll durch die Edition so dargestellt werden, daß sich seine Wirkungsgeschichte erschließen läßt. Deshalb ist eine Handschrift zugrunde zu legen, welche die wirksamste Textform präsentiert, in der Regel eine Vulgatafassung. Eine Edition dieser Art ist die Ausgabe der „Rechtssumme“ Bruder Bertholds

279

aus der 1. H. d. 14. Jh.s, die kurz vor dem Abschluß steht. Für einzelne Weistümer, Urbare und Stadtrechte bietet sich die Edition der verschiedenen, aufeinanderfolgenden Redaktionen an. Eine Sonderstellung haben die Urkunden als Zeugnisse des Geschäftsschrifttums. Neben den lokalgebundenen Urkundenbüchern hat das Corpus der „Altdeutschen Originalurkunden“ von Friedrich Wilhelm für die Entstehung der dt. Urkundensprache im 13. Jh. einen besonderen Quellenwert, da es einen nahezu originalgetreuen Abdruck der Texte bietet. 2.3. Lexikographie Kernstück der Erforschung älterer deutscher Rechtssprache ist die historische Lexikographie, die es mit der Erfassung, Klassifizierung, Beschreibung und Erklärung des Rechtswortschatzes in seiner historischen Entwicklung zu tun hat. Ausdruck und Instrument dieser historisch-philologischen Methode ist das „Deutsche Rechtswörterbuch“, ein diachron angelegtes Wörterbuch im Stil des Deutschen Wörterbuchs der Brüder Grimm und bisher „das größte und monumentalste Lexikon“, das einem Teilbereich der deutschen Sprache gilt (Reichmann 1976). Seine zeitliche Dimension reicht von den gotischen Denkmälern bis zu den Kodifikationen des 18. Jh.s; räumlich umfaßt es das Hochdeutsche mit Einschluß des Niederdeutschen und Niederländischen sowie des Langobardischen; die angelsächsischen, friesischen, altnordischen und skandinavischen Rechtsquellen werden zum Vergleich mitherangezogen. Im Sinne Jacob Grimms ist „deutsch“ also hier auf die Germania, insb. die sog. westgermanischen Dialekte, bezogen. An der Begründung des DRW bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin waren Rechtshistoriker wie H. Brunner, K. v. Amira, R. Schröder u. a. beteiligt, als Historiker E. Dümmler, als Philologe und Volkskundler Karl Weinhold. R. Schröder, der erste Leiter der Arbeitsstelle in Heidelberg (1898⫺1917), war Schüler und Mitarbeiter J. Grimms und hatte dessen Sammlung der „Weisthümer“ zu einem vorläufigen Abschluß gebracht und mit einem ausführlichen Register versehen. Sein Nachfolger, E. Frhr. v. Künßberg (1917⫺ 1941), hat durch die Begründung der Rechtlichen Volkskunde und der Rechtssprachgeographie die Verbindung zu den benachbarten Kulturwissenschaften weiter ausgebaut. Der interdisziplinäre Charakter sollte Struktur und Geschichte des Wörterbuchs, das ursprünglich auf vier Bände und eine Laufzeit von acht Jahren berechnet gewesen ist, das bei seinem Abschluß aber 15 Bände umfassen wird, wesentlich beeinflussen.

280 Denn als ein Lexikon, das zunächst einmal für den Juristen gedacht war, enthält es zahlreiche Sachinformationen außersprachlicher Art. Der Aufbau der Artikel ist nicht allein sprachhistorisch, sondern auch juristisch-systematisch bestimmt. Der daraus folgende Mischcharakter läßt das DRW deutlich zwischen Wörterbuch und Enzyklopädie stehen. Von hier aus ergeben sich für den philologischen Benutzer Probleme in bezug auf den Begriff „Rechtsterminus“ und die aufgenommenen Lexeme wie die Lemmatisierung der Stichwörter und die semantische Analyse der Belege. In der Instruktion für die Exzerptionsarbeiten hieß es ursprünglich: „Rechtsterminus ist jeder Ausdruck für eine rechtlich relevante Vorstellung mit Einschluß der Symbole, Maße und Münzen“. Diese weite Fassung wurde im Laufe der Arbeiten (1917) durch eine pragmatisch bedingte Unterscheidung in „Rechtswörter im engeren und Rechtswörter im weiteren Sinne sowie Nichtrechtswörter“ ersetzt. Unter Rechtswörtern im engeren Sinne versteht man Termini, die wie Richter und Gericht von vornherein eine rechtsspezifische Sache bezeichnen; unter Rechtswörtern im weiteren Sinne solche Wörter, die wie Klage und geloben eine an sich außerrechtliche Erscheinung rechtlich werten. Nichtrechtswörter, die für sich genommen noch keine rechtliche Wertung enthalten, werden dann in das DRW mit aufgenommen, wenn sie durch den Kontext einen besonderen Bezug auf das Rechtsleben erhielten. Da sich das Recht auf alle Bereiche des Lebens erstreckt, ist die Zahl der Nichtrechtswörter im DRW verhältnismäßig groß. Von ihnen aus ergibt sich auch das besondere Verhältnisse der Rechtssprache zur Gemeinsprache wie die Forderung nach der „Allgemeinverständlichkeit“ von Rechtstexten. ⫺ Die Lemmatitierung der Simplizia und Komposita folgt in jedem Fall dem Neuhochdeutschen, auch wenn Wort und Begriff einer früheren Sprachstufe angehörten und im 19. Jh. ausgestorben waren. Die zahlreichen Komposita der Rechtssprache, von denen nur wenige lexikalisiert sind, erscheinen im DRW mit eigenem Lemma, obwohl sie besser unter dem betreffenden Grundwort oder im Anschluß daran zu behandeln gewesen wären. ⫺ Dem Mischcharakter des Lexikons entspricht es, daß die Explikationen der Bedeutungen dem sachlich bedingten Schema Gattung⫺ Art folgen, wobei diese häufig bereits als semantische Merkmale interpretiert werden. Die semantischen Merkmale, die sich auf

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

sprachliche Oppositionen gründen, und davon abgesetzt die metonymische Verwendung der Rechtswörter, sind infolgedessen oft nicht genügend beachtet. Der Wunsch zur Straffung des Unternehmens führte zu Kürzungen, die vor allem die Nichtrechtswörter und die Komposita betrafen. Aber auch die zeitliche Grenze wurde zurückgenommen: bei Simplizia bis zum Jahre 1800, bei Komposita bis zum Jahre 1700. Die Verwaltungssprache des 18. Jh.s blieb dadurch ausgeschlossen. Trotz dieser Einschränkungen ab Bd. VII ist das DRW für den Sprachgebrauch unterschiedlicher Schreiblandschaften noch immer repräsentativ. Der Anteil regionaler Quellen ist so stark, daß sich von ihnen aus ein zuverlässiges Bild zeitlicher und räumlicher Verbreitung von Rechtswörtern wie Zunft und Gilde, Anwende, Herberge, Vormund u. a. m. gewinnen läßt, wie die Arbeiten der Philologen K. Hyldegaard-Jensen, H. H. Munske und R. Schmidt-Wiegand gezeigt haben dürften. Die lokalen Unterschiede lassen sich auch an dem „Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache“ (WMU) festmachen, das vom „Corpus der altdeutschen Originalurkunden“ aus als ein von Philologen erarbeitetes Lexikon die Bedeutungen aufgrund des jeweiligen Kontextes bestimmt. Insofern ergänzt dieses Werk nicht nur die regionalen Darstellungen der Urkundensprache, sondern ist darüber hinaus auch für die mittelalterliche Begriffsgeschichte ein unverzichtbares Arbeitsinstrument. 2.4. Begriffsgeschichte Als historisch-philologische Teildisziplin gehört diese zur Quellenkritik. Sie hat es mit den Vorstellungen zu tun, die hinter den Bezeichnungen stehen und als geistige Abstraktion der Realität oder Sache angesehen werden. Ihr Inhalt oder ihre Bedeutung wird aus dem Kontext der ihnen zugeordneten Bezeichnungen erschlossen und im Blick auf traditionelle und innovative Elemente diachron untersucht, um den Bedeutungswandel, den eine Bezeichnung bzw. ein Begriff im Laufe der Zeit erfahren hat, zu erfassen. Linguistisch gesehen handelt es sich um historische Semasiologie, wenn ausgehend von einem Quellenwort wie z. B. Weichbild nach dessen Bedeutungen ,Ortsrecht‘, ,Stadtrecht‘, ,Flecken‘, ,Stadtgebiet‘ gefragt wird. Bildet ein Begriff wie ,Handwerksgenossenschaft‘ den Ausgangspunkt und wird nach den Bezeichnungen der Quellen wie Zunft und

23. Philologisch-historische Methoden bei der Erforschung der älteren Rechtssprache

Gilde, Innung und Zeche gefragt, so handelt es sich um historische Onomasiologie. In der mediävistischen Begriffsgeschichte werden beide Verfahren miteinander verbunden: Meist wird zunächst ein Quellenwort einer semasiologischen Untersuchung unterzogen, ehe man es durch ein onomasiologisches Verfahren einem größeren Wortfeld einordnet. Hier spricht man auch von historisch-philologischer Bezeichnungsforschung. Dabei zeigt sich, daß die begriffsgeschichtliche Entwicklung häufig von konkreten Teilbegriffen wie König, Kaiser, Reich zu abstrakten Grundbegriffen wie Monarchie und Staat geführt hat. Das Lexikon „Geschichtliche Grundbegriffe“ bringt mit Stichwörtern wie Eigentum, Freiheit, Friede, Gesetz, Herrschaft und Recht Beispiele, die auch für die ältere deutsche Rechtssprache aufschlußreich sind. Was für andere Fachsprachen der Terminus, ist für die Rechtssprache der Begriff. Für die Begriffsbildung ist die semantische Leistungsfähigkeit einzelner Bezeichnungen entscheidend gewesen. Denn häufig hat sich von mehreren konkurrierenden Bezeichnungen schließlich nur eine erfolgreich durchgesetzt, wie z. B. Recht als Oberbegriff für objektives und subjektives Recht gegenüber eˆwa, wizzoˆd, gewalt, tuom, gibot, die zunächst besondere Erscheinungsformen des Rechts wie „Gewohnheitsrecht“ oder „Gesetzesrecht“ meinten. Die ältere deutsche Rechtssprache besaß eine Fülle von Synonymen für ein und denselben Begriff. Es fehlte ihr zunächst die Fähigkeit zur Abstraktion. Paarformeln und Wortreihen wie frost, hagel und mißgewächs vertraten die Stelle abstrakter Begriffe im Sinne moderner juristischer Fachsprache wie ,höhere Gewalt‘. Da sich Recht grundsätzlich auf alle Bereiche des Lebens beziehen kann, war die Rechtssprache stets auf die Volksoder Primärsprache angewiesen, um mit ihren besonderen Mitteln der Wortbildung, Komposition und Ableitung sowie durch Mehrwortbildungen eine Begrifflichkeit im Laufe der Zeit aufzubauen. Trotz einer damit verbundenen Tendenz zu fachsprachlich bedingter Eindeutigkeit blieben in der deutschen Rechtssprache eine Fülle vager Begriffe wie gute Sitten und sog. Generalklauseln wie Treu und Glauben erhalten, die der inhaltlichen Ausfüllung durch den geschulten Juristen bedürfen.

3.

Die Sprache des Rechtslebens und die Fachsprache der Juristen

Die ältere deutsche Rechtssprache ist mehr als eine Fachsprache, die sich durch einen ex-

281

klusiven, spezifisch fachsprachlichen Wortschatz von der Umgangs- oder Standardsprache unterscheidet und der Praxis dient, indem sie sich an einen bestimmten Berufsstand wendet. Es hat sie gegeben, lange bevor im ausgehenden Mittelalter der Berufsstand der Juristen entstanden ist. Erst von da an kann man von einer Fachsprache der Juristen sprechen. In diesem Zusammenhang kommt der Rezeption des römischen Rechts und der Übernahme neuer Begriffe wie ihrer Umsetzung in die deutsche Sprache besondere Bedeutung zu. Rechtssprache wurde zuvor und wird auch heute noch von allen Sprachteilnehmern gebraucht, sobald sie mit dem Recht in irgendeiner Weise in Berührung kamen. Man hat sie deshalb auch als „Sprache des Rechtslebens“ (v. Künßberg) bezeichnet; ihre „Allgemeinverständlichkeit“ ist von hier aus immer wieder postuliert worden. Dies schließt nicht aus, daß die Rechtssprache auch die Merkmale einer Fachsprache besitzt. Sie betreffen nicht allein den Wortschatz, sondern vor allem die bisher nur wenig erforschte Syntax: die Vorliebe für das Hauptwort, die Substantivierung von Verben und Adjektiven (Nominalstil), Ableitungen auf -ung und -keit, besondere Satzperioden, die Verwendung von modifizierten Befehlsformen und Funktionsverbgefügen, die Bevorzugung des Hilfsverbs sein mit seinen flektierten Formen und die Verwendung von Attributen an Stelle von Attributsätzen sind hier zu nennen. Dieser zweifellos fachsprachlich bedingte Stil der Rechtssprache, in Ansätzen auch schon in der älteren deutschen Rechtssprache vorhanden, ist mit den besonderen Situationen verbunden, in denen Rechtssprache gebraucht wird. Bei der modernen Rechtssprache unterscheidet man je nach der besonderen Gebrauchssituation Gesetzessprache, Theorie- und Wissenschaftssprache, Urteilsund Bescheidsprache, Sprache des behördlichen Schriftverkehrs. Auf jeder Stufe ist die Rechtssprache durch ihren besonderen Funktionsstil geprägt. Dies gilt auch für die Rechtssprache früherer Sprachstufen, wo zunächst einmal zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu unterscheiden ist. Aus zahlreichen „Reflexen gesprochener Sprache“ in den Rechtstexten sind Rückschlüsse auf die Mündlichkeit vor Gericht möglich. Auch spiegeln die verschiedenen Textsorten eine unterschiedliche Verwendung der Rechtssprache wider. Die Sprache der Rechtsbücher und die Sprache der Urkunden unterscheiden

282

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

sich z. B. mit ihrem Wortschatz und ihrer Syntax erheblich voneinander, entsprechend der Kanzleistil vom Protokollstil usw. Das bedeutet, daß zur Erforschung der älteren deutschen Rechtssprache zwar auf die bewährten historisch-philologischen Methoden nicht zu verzichten ist, daß sie aber durch Prinzipien der modernen Linguistik wie der Textlinguistik, vor allem aber der Fachsprachenlinguistik, zu ergänzen sind.

4.

Literatur (in Auswahl)

Amira/Eckhardt 1960 u. 1967 ⫽ Karl von Amira: Germanisches Recht, 4. Aufl. ergänzt v. Karl August Eckhardt, Bd. 1 Rechtsdenkmäler, Bd. 2 Rechtsaltertümer, Berlin 1960 u. 1967 (Grundriß der Germanischen Philologie, begründet v. Hermann Paul, hrsg. von Ludwig Erich Schmitt und Werner Betz 5/1 u. 2). Behrens 1991 ⫽ Okko Behrens: Die Eindeutschung der römisch-rechtlichen Fachsprache. In: Sprache. Recht. Geschichte. Rechtshistorisches Kolloquium 5.⫺9. Juni 1990 Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, hrsg. v. Jörn Eckert und Hans Hattenhauer, Heidelberg 1991, 3⫺24. Bühler 1977, 1980, 1985 ⫽ Theodor Bühler: Rechtsquellenlehre Bd. 1: Gewohnheitsrecht ⫺ Enqueˆte ⫺ Kodifikation, Zürich 1977, Bd. 2: Rechtsquellentypen, ebd. 1980, Bd. 3: Rechtserzeugung ⫺ Rechtserfragung ⫺ Legimität der Rechtsquellen, ebd. 1985. Dickel 1979 ⫽ Günther Dickel/Heino Speer: Deutsches Rechtswörterbuch. Konzeption und lexikographische Praxis während acht Jahrzehnten (1897⫺1977). In: Praxis der Lexikographie. Berichte aus der Werkstatt. Hrsg. v. Helmut Henne. Tübingen 1979 (Reihe Germanistische Linguistik) 20⫺37. DRW 1917 ff ⫽ Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, bearb. v. Rudolf Schröder, Eberhard Frhr. von Künßberg u. a. Weimar 1917 ff.

schen Rechtsforschung, hrsg. v. Erich Wolff, Tübingen 1950, 36⫺49. Grimm 1828 u. 1899 ⫽ Jacob Grimm: Deutsche Rechtsalterthümer (1828), Nachdruck der 4., vermehrten, von Andreas Heusler und Rudolf Hübner besorgten Ausg., Leipzig 1899, mit einer Einleitung v. Ruth Schmidt-Wiegand, Hildesheim. Zürich. New York 1992. HRG ⫽ Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, ab Bd. 2 unter philologischer Mitarbeit v. Ruth Schmidt-Wiegand, Bd. 1⫺5 (Aachen-Vollmacht) Berlin 1971 ff. Kantorowicz 1970 ⫽ Hermann Kantorowicz: Einführung in die Textkritik (1921). Wiederabdruck in: Ders.: Rechtshistorische Schriften, Karlsruhe 1970, 33⫺58. Kroeschell 1972, 1973, 1993 ⫽ Karl Kroeschell: Deutsche Rechtsgeschichte 1 (bis 1250) Hamburg 1972, 2 (1250⫺1650) ebd. 1973, 3 seit 1650. Opladen 2. Aufl. 1993. Künzßberg 1930 ⫽ Eberhard Frhr. von Künßberg: Die deutsche Rechtssprache. Zeitschrift für Deutschkunde 44, 1930, 379⫺389. Lemberg 1996 ⫽ Ingrid Lemberg: Die Belegexzerption zu historischen Wörterbüchern am Beispiel des Frühneuhochdeutschen Wörterbuches und des Deutschen Rechtswörterbuches. In: Wörterbücher in der Diskussion II. Hrsg. v. Herbert Ernst Wiegand. Tübingen 1996 (Lexicographica. Series Maior 70), 83⫺102. Reichmann 1976 ⫽ Oskar Reichmann: Germanistische Lexikographie, 2., umgearb. Aufl. von „Deutsche Wortforschung“. Stuttgart 1976. Schmidt-Wiegand 1975 ⫽ Ruth Schmidt-Wiegand: Historische Onomasiologie und Mittelalterforschung. In: Frühmittelalterliche Studien 9, 1975, 49⫺78. Schmidt-Wiegand 1989 ⫽ Ruth Schmidt-Wiegand: Rechtssprachgeographie als Sonderfall historischer Wortgeographie. In: Ergebnisse und Aufgaben der Germanistik am Ende des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Ludwig Erich Schmitt. Hrsg. v. Elisabeth Feldbusch. Hildesheim. Zürich. New York 1989, 39⫺95.

Elsener 1977 ⫽ Ferdinand Elsener: Deutsche Rechtssprache und Rezeption. Nebenpfade der Rezeption des gelehrten römisch-kanonischen Rechts im Spätmittelalter. In: Tradition und Fortschritt im Recht. Festschrift der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500jährigen Bestehen 1977, hrsg. v. Joachim Gernhuber, Tübingen 1977, 47⫺72.

Schmidt-Wiegand 1990 ⫽ Ruth Schmidt-Wiegand: Das „Deutsche Rechtswörterbuch“. Geschichte und Struktur. In: Wörter und Namen. Aktuelle Lexikographie, Symposium Schloß Rauischholzhausen 25.⫺27. 9. 1987. Hrsg. v. Rudolf Schützeichel und Peter Seidensticker. Marburg 1990 (Marburger Studien zur Germanistik Bd. 13) 155⫺168.

Geschichtliche Grundbegriffe 1972 ff ⫽ Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. Otto Brunner, Werner Conze und Reinhard Koselleck, Bd. 1⫺7, Stuttgart 1972⫺1992.

Schulze 1977 ⫽ Hans Kurt Schulze: Mediävistik und Begriffsgeschichte. In: Festschrift für Helmut Beumann. Hrsg. v. Kurt-Ulrich Jäschke und Reinhard Wenskus. Sigmaringen 1977, 388⫺405.

Gönnenwein 1950 ⫽ Otto Gönnenwein: Geschichte des juristischen Vokabulars. In: Beiträge zur deut-

Sonderegger 1965 ⫽ Stefan Sonderegger: Die ältesten Schichten einer germanischen Rechtssprache. Ein Beitrag zur Quellensystematik. In: Fest-

24. Probleme und Methoden bei der Bestimmung der Fachgebietszugehörigkeit von Fachtexten schrift für Karl Siegfried Bader. Hrsg. v. Ferdinand Elsener und Wilhelm Heinrich Ruoff. Zürich. Köln. Graz 1965, 419⫺438. Speer 1989 ⫽ Heino Speer: Das Deutsche Rechtswörterbuch. Historische Lexikographie einer Fachsprache. In: Lexicographica 5. 1989, 85⫺128. Speer 1984 ⫽ Heino Speer: DRW to FAUST. Ein Wörterbuch zwischen Tradition und Fortschritt. In: Lexicographica 10. 1994, 171⫺213. Wiegand 1988 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Was eigentlich ist Fachlexikographie? In: Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien. Ludwig Erich

283

Schmitt zum 80. Geburtstag. Hrsg. v. Horst Haider Munske, Peter von Polenz, Oskar Reichmann und Reiner Hildebrandt. Berlin. New York 1988, 729⫺790. WMU 1986 ff ⫽ Wörterbuch der Mittelhochdeutschen Urkundensprache auf der Grundlage der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300 unter Leitung v. Bettina Kirchstein und Ursula Schulze, erarb. v. Sibylle Ohly und Peter Schmitt. Berlin 1986 ff.

Ruth Schmidt-Wiegand, Münster i. Westf.

24. Probleme und Methoden bei der Bestimmung der Fachgebietszugehörigkeit von Fachtexten 1. 2. 3.

organisieren zu helfen. Das Thema wird sowohl deskriptiv als auch tentativ präskriptiv angegangen.

4. 5.

Standort und Umfeld des Themas Begriffsbestimmungen Notwendigkeit und Problematik der Zuordnung von Fachtexten zu Fachgebieten Methodik Literatur (in Auswahl)

1.

Standort und Umfeld des Themas

Die Scheidung des Seienden und Vorstellbaren (der Materie) in Gemeines und Fachliches ist ein Modell. Damit haben auch alle darauf aufbauenden analogen Abgrenzungen Modellcharakter. Es gibt nämlich nicht a priori hier gemeine, dort fachliche Materie, sondern Materie ist einfacher oder schwieriger zu begreifen und zu handhaben, wird von allen oder nur von qualifiziert befähigten Menschen verstanden. Demnach wäre es folgerichtiger, von gemeiner und fachlicher Handhabung von Materie zu sprechen, oder von fachlichem und nicht-fachlichem Handeln (Kalverkämper 1990, 95). (Der Sternenhimmel ist nicht fachlich; fachlich ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm in der Astronomie.) Wir werden uns hier an das etablierte Modell anlehnen und gehen auf dieser Linie von nachstehenden Definitionen für die drei betroffenen Ebenen (Gebiete / Begriffe / Texte) aus. Fachlich: Nicht allen, sondern nur qualifiziert befähigten Mitgliedern einer Kulturgemeinschaft für das Verstehen und/oder Handhaben zugänglich; im Gegensatz zu dem Gemeinen, das im Prinzip allen zugänglich ist. Fachlichkeitsgrad: Größenordnung der Fachlichkeit einer Materie, der Beschäftigung mit einer Materie oder eines Textes über sie.

Wenn jeder Fachtext a priori einem bestimmten Fachgebiet zugehörte, und wenn Fachgebiete und Fachtexte so klar abgegrenzte, stabil bleibende Größen wären, wie es in der Praxis des Verfassens, Übersetzens und Zuordnens letzterer mitunter angenommen wird, dann ließe sich das Thema rein deskriptiv abhandeln. Beides ist nicht der Fall. Der Übergang vom gemeinsprachlichen Text zum Fachtext ist fließend. Neben den Fachgebieten sind andere Ordnungs- und Organisationseinheiten entstanden, denen Fachtexte ebenfalls zugehören können, z. B. pragmatische, oft nur vorübergehend benötigte Geltungsbereiche, Arbeitsgebiete, Projekte, Themen. Vor allem die Themen sind ein wichtiges Kriterium. Auch die Beteiligten ⫺ Forscher und Entwickler, Fachtheoretiker und -praktiker, Verfasser und Wiederverfasser sowie Adressaten von Fachtexten ⫺ beschäftigen sich zunehmend, auch fachübergreifend, mit Gebieten, Themen und Aufgaben. Damit gewinnt unser Thema seinen Standort mitten in der ordnungstechnisch kaum noch zu bewältigenden Welt von Information und Kommunikation über fachliche und fachnahe Materie. Dieser Beitrag ist ein Versuch, sie von einem ihrer zentralen Einzelschauplätze her

2.

Begriffsbestimmungen

284 Fachtext: Text überwiegend fachlicher Ausrichtung, d. h. von einem Fachlichkeitsgrad, der ihn von gemeinsprachlichen Texten abgrenzt. Organisierter, thema- und adressatenbezogener Gegenstand von Fachsprache. Fachtextkategorie: Klasse von Fachtexten mit gleichen Merkmalen. Die in der Literatur gängige Einteilung in Textsorten oder Texttypen läuft auf dasselbe hinaus. Die Einteilungskriterien sind mannigfaltig. (Gläser 1993, 18 ff, Jäschke 1991, 7 ff, Rust 1991, 138 ff, Weise 1993, 28 ff; vgl. Art. 44⫺46). Jede derartige Klassifikation dient dazu, die Unzahl vorliegender Texte durch eine Typologie überschaubar und besser handhabbar zu machen. Das erleichtert das Erstellen, Übersetzen und Verstehen von Texten. Folgender Grobraster pragmatischer Einteilung von Fachtexten in Kategorien sei hier angelegt: nach Autarkie des Fachgebiets in seinen Texten / im gegebenen Text: z. B. Angewiesensein auf Präsenz anderer Fachgebiete; Angewiesensein auf ein nichtfachliches Umfeld; Grad der Durchsetzung mit einem instrumentellen Gebiet (z. B. Statistik, DV). nach Fachlichkeitsgrad. nach Begriffsdichte. nach Kommunikationsabsicht: z. B. Information, Diskussion, Lernerfolg, Verkaufserfolg. nach Kommunikationspartnerkonstellation: z. B. Fachmann adressiert Fachmann (viele Varianten), Fachmann adressiert Laien; oder beide. Fachgebiet: Selbständiges, in sich geschlossenes und innerhalb der Grenzen des aktuell erreichten Kenntnisstandes vollständiges Gebiet fachlicher Materie und Betätigung. Als Teile eines Fachgebietsklassifikationssystems betrachtet, sind die meisten Fachgebiete auch anderen Fachgebieten unter-, über- oder nebengeordnet (Unter-, Ober-, Nebengebiete). Größere oder komplexere Fachgebiete lassen sich in Teilgebiete zerlegen. (Bub 1991, 33 ff) Fach wird häufig als Synonym verwendet. Sachgebiet bezeichnet jedes in sich geschlossene Gebiet, ob fachlich oder nichtfachlich. Fachgebietsklassifikation: Polyhierarchisches Ordnungssystem, in dem Fachgebiete aufgrund ihrer Beziehungen zueinander teils nebeneinander, teils untereinander, auf mehreren Unterteilungsebenen, positioniert sind.

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Thema: Aktuell zweckgerichtete Verknüpfung von Teilinhalten aus einem oder mehreren Gebieten. Ein Thema kann bei Persistenz und notwendiger Weiterentwicklung der Zusammengehörigkeit seiner Teilinhalte zu einem neuen Gebiet werden (z. B. ComputerLinguistik). Nach einer anderen vergleichenden Sicht von Gebiet und Thema erstreckt sich Gebiet auf den materiellen Aspekt, d. h. auf die Materie des betrachteten Ausschnitts der Welt, Thema auf den humanen bzw. instrumentellen Aspekt der Betätigung in besagtem Ausschnitt. Fachlicher Begriff, Fachbegriff: Begriff, der einen fachlichen Gegenstand oder Sachverhalt eindeutig bestimmt. Fachliche Begriffe lassen sich wie folgt einteilen: Facheigene Begriffe: Fachliche Begriffe, die die spezifische Terminologie eines Fachgebiets bilden. Sie sind u. U. ausschließlich in diesem Fachgebiet gebräuchlich. Fächerübergreifende Begriffe: Fachliche Begriffe, die in mehreren, vielen oder allen Fachgebieten gebräuchlich sind und keinem bestimmten Fachgebiet als facheigen zugeschrieben werden können. Fachfremde Begriffe: In Texten aus einem Fachgebiet vorkommende fachliche Begriffe, die weder zu dessen facheigenen Begriffen zählen noch fächerübergreifende Begriffe sind, sondern anderen Fachgebieten als je facheigen zuzurechnen sind. Facheigene und fächerübergreifende Begriffe sind absolute, textfreie Untermengen des Gesamts fachlicher Begriffe. Fachfremde Begriffe sind dagegen relative Einheiten, die nur in einem gegebenen Fachtext relevant werden.

3.

Notwendigkeit und Problematik der Zuordnung von Fachtexten zu Fachgebieten

Die Gesellschaft des ausgehenden 20. Jhs. ist wie keine vor ihr und in noch zunehmendem Maße auf das Recherchieren fachlicher Daten, Fakten, Sachverhalte, Zusammenhänge und Themen anhand von Texten und Daten angewiesen. Die Texte und Daten liegen, ebenfalls zunehmend, nicht mehr allein in konventionellen Fachbüchern, sondern in anderen Einheiten, in Kompendien, Proceedings, Zeitschriften, als Einzelarbeiten sowie auf Datenträgern und in Datenbanken vor.

24. Probleme und Methoden bei der Bestimmung der Fachgebietszugehörigkeit von Fachtexten

Jede Textrecherche erfordert gezieltes „Retrieval“, das die Texte und Daten über Klassifikationssysteme, Thesauri, Bibliographien, Inhaltsverzeichnisse jeglicher Art sowie Informationsvermittlungsstellen abruft. Alle diese zu recherchierenden Einheiten, von einzelnen Daten bis hin zu komplexen fachübergreifenden Themen, wären ohne Fachgebietszuordnung schwieriger, in vielen Fällen nur lückenhaft oder gar nicht abrufbar. Das trifft besonders für die Themen zu. Wenn ein Thema nicht bereits im Titel auf wenigstens ein Fachgebiet verweist, wird dieses unter den beigegebenen Schlagwörtern zu finden sein. Schlagwörter dienen ja in erster Linie dem Zugänglichmachen eines Textes für das fachbezogene Retrieval. Man könnte nun argumentieren, wenn zu einem Thema zu recherchieren sei, genüge ein Fachgebiete außer acht lassendes themabezogenes Retrieval. Das mag dann zutreffen, wenn der Recherchierende ein Thema nicht weiterführen will. Denn dabei bleibt u. U. fachgebietsgebundene Materie unberücksichtigt, die in früher erarbeitete Themen (die jetzt zur Abfrage stehen) nicht einbezogen war. Die Inhalte vieler Texte sind aus mehreren Fachgebieten beschickt. Daher wird ein Text ggf. auch mehreren Fachgebieten zugeordnet, damit er nicht für einen Teil der Abfragen verlorengeht. Die Problematik wird in dem Maße sichtbarer, in dem die Abfrage Feinstrukturierung erfordert, d. h. in (angenommene) Untergebiete vordringt, die sich allerdings nicht selten als gebietsübergreifende selbständige Themen herausstellen. Mit der gleichen Frage nach dem Ansetzen hat sich die Erarbeitung und Nutzung von Terminologie, etwa in Sprachendiensten, auseinanderzusetzen. Hier optiert die Praxis stets nicht für fachgebiets-, sondern für arbeitsgebiets- bzw. projektorientierte (d. i. themaorientierte) Ausrichtung der einzelnen Terminologiebestände in Datenbanken. Das hat Vorteile für die tägliche Übersetzungsarbeit an Ort und Stelle, erschwert aber den Austausch von Terminologien zwischen Sprachendiensten. Der übersetzungsorientierten Terminographie steht die institutionelle nationale und internationale Terminologie- und Sachnormung als ein Bereich strikt fachgebietsorientierten Vorgehens gegenüber. Normen gehören, wie auch viele Lehrbuchtexte, zu den reinsten Fachgebietstexten im Sinne monoinhaltlichen Bezugs. Hier liegt von vornherein

285

Fachgebietszugehörigkeit strikt fest. Dabei wird wie nirgends anders die Parallelität zwischen Sach- und Terminologiezugehörigkeit zu einem Fachgebiet auf Textebene sichtbar und plausibel. In den Tätigkeitsbereichen Fachübersetzen, Terminographie und Terminologienormung erscheint die Zuordnung fachlicher Begriffe und Benennungen oft wichtiger als die Textzuordnung. Allerdings kann die Trias Fachgebiete / Fachwortschätze / Fachtexte auch hier, besonders beim Fachübersetzen, keine ihrer drei Komponenten entbehren, denn auch hier sind, als Voraussetzung für sachgerechte Ergebnisse, ständig Texte zu recherchieren. Wenn man sich Fachtexte auf einer durchgehenden Skala von theoretisch bis pragmatisch-praktisch vorstellt, dann bilden Normen den äußersten Bereich auf der theoretischen Seite. Je weiter ein Text zur anderen Seite hinüberwandert, desto schwieriger wird die fachgebietsmäßige Zuordnung. Die pragmatisch-praktischen Gebrauchstexte bilden die große Mehrzahl aller Texte; für sie ist die Fachgebietszugehörigkeit zu ermitteln.

4.

Methodik

Die Methodik hat im Einzelfall die Zuordnung von Fachtexten aufgrund belegter Fachgebietsbindung und daher angenommener Fachgebietszugehörigkeit zu leisten. Die Zuordnung ist erst abgeschlossen, wenn der betreffende Text auf den ersten Blick als dem ihm zugewiesenen Fachgebiet zugehörig erkennbar ist, d. h. wenn sein Titel, seine Beschlagwortung, ggf. seine Zusammenfassung oder ggf. seine Position in eindeutigem Zusammenhang mit anderen Texten die Zugehörigkeit ergibt. Diese Zuordnung, die auf der Entstehensseite des Textes, vom Verfasser oder Herausgeber, getroffen wird, kann als primäre bezeichnet werden. Auf der Nutzerseite werden häufig noch einmal Zuordnungen getroffen, und nicht unbedingt die gleichen; das sind die sekundären. Die Methodik wird, alle denkbaren Einzelfälle zusammennehmend, schließlich eine Klassifikation der Fachgebietstypen einzurichten haben, die im Ansatz mit der Textsortensystematik auf der anderen Seite vergleichbar wäre und letztere um den Aspekt der überwiegenden Fachgebietstypnähe von Texten erweitern könnte. Was ist Fachgebietsbindung und wie läßt sie sich belegen? Texte sind in dem Maße an

286 Fachgebiete gebunden, in dem ihre wesentlichen Komponenten an sie gebunden sind. Dazu gehören neben den fachlichen Begriffen und Benennungen die fachspezifische Phraseologie, die behandelten fachlichen Sachverhalte und Zusammenhänge sowie die gemachten Aussagen einschl. ihrer Darstellungsart und ihrer Absicht, und die Kommunikationspartner. Über die Ermittlung solcher konstitutiver Einzelparameter läßt sich die Fachgebietsbindung von Texten sicher belegen. Texte sind entweder an ein einziges Fachgebiet oder an mehrere gebunden. Oder sie sind, obgleich es Fachtexte sind, an keines gebunden, sie sind fachgebietsfrei. Die fachlichen Begriffe und Benennungseinheiten (das sind die Benennungen, Wendungen und festen Fügungen von lexikalischer Valenz) bilden die Terminologie. Sie sind die kleinsten und konkretesten Elemente, an denen sich Fachgebietsbindung nachweisen läßt. Jedes Fachgebiet hat nach gängiger Auffassung seine spezifische Terminologie (vgl. Kap. XXIV). Die Zuordnung fachlicher Begriffe zu der einen oder anderen Untermenge ist nicht immer einfach und nicht selten Ermessenssache. Noch schwieriger kann, aufgrund der Polysemie, das richtige Ansprechen fachlicher Benennungen sein; es setzt oft mehr an Kontext voraus, als vorhanden ist. Solchen Schwierigkeiten sieht sich insbesondere das Fachübersetzen gegenüber. Die Frage der Fachgebietszugehörigkeit von Texten ist eine Schlüsselfrage sowohl der Sach- als auch der Terminologierecherche mit dem Ziel gezielter Textauswertung; ihre sachgerechte Beantwortung im Einzelfall muß in der dem Recherchieren vorausgehenden Textarchivierung angelegt sein. Diese Frage allein zu stellen, reicht jedoch nicht aus, wenn auch andere Zuordnungen, etwa eine Themazuordnung, für die Recherche relevant sind. Im folgenden wird der Entwurf zu einer Systematik von Zuordnungen gegebener Fachtexte zu Fachgebieten bzw. Fachgebietstypen skizziert, unter Berücksichtigung etwaiger komplementärer Zuordnungen. Der Entwurf stützt sich z. T. auf Fachbibliotheksordnungen sowie pragmatische Textarchivstrukturen in Sprachendiensten und Dokumentationsstellen. Angeknüpft wird auch an eine vom Verfasser angeregte und betreute Diplomarbeit zur Fachgebietszugehörigkeit von in Fachtexten vorkommender Terminologie (Bub 1991, 33 ff).

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Es sind also gegebene Fachtexte Fachgebieten/Fachgebietstypen zuzuordnen, anhand belegbarer Komponenten von Fachgebietsbindung, die die Zuordnungskriterien bilden, und nach bestimmten Zuordnungsmodi. Die in den folgenden Rastern aufgeführten Positionen sind häufig anzutreffende, wichtige, nicht jedoch alle denkbaren. Es handelt sich um Positionen eines Modells, mit klareren Abgrenzungen als erfahrungsgemäß in der Praxis. Die konkrete Zuordnung eines Textes hat stets zu berücksichtigen, daß häufig nur eine überwiegende Zuordnung, aufgrund ausschlaggebender Kriterien, erfolgen kann. Allerdings sollen auch solche überwiegenden Zuordnungen plausibel und nachvollziehbar sein. Fachgebietstypen: Haupt-, Ober-, Unter-, Nebengebiet Verwandtes Gebiet Neu entstandenes oder entstehendes Gebiet Gebiet aus bzw. im Übergang aus Thema (z. B. Computer-Linguistik) Gebiet mit vorgegebener oder gängiger Themabindung Textautarkes Fachgebiet Fächerübergreifender Raum Übergangszone Fachtext // Gemeintext Zuordnungsmodi: Zuordnung zu einem Fachgebiet Zuordnung zu mehreren Fachgebieten mit differentem übergeordneten Gebiet Zuordnung zu mehreren Fachgebieten in derselben Hierarchiesequenz Zuordnung zu einem oder mehreren Fachgebieten mit zwingender Komplementärzuordnung Zuordnung zu einem neuen Fachgebiet Zuordnung zum fächerübergreifenden Raum Zuordnung zur Übergangszone Keine Fachgebietszuordnung (Nullzuordnung), statt dessen Zuordnung zu einem Thema, Aspekt, Projekt, Arbeitsgebiet oder sonstigen Geltungsbereich Zuordnungskriterien: Fachliche Materie Fachlichkeitsgrad Begriffsdichte Bindung der Begriffe Bindung der Benennungseinheiten (einschl. der phraseologischen Wendungen und Fügungen) Kommunikationsabsicht Kommunikationspartnerkonstellation (oder -ebene)

Zur Illustrierung des Gebrauchs der vorstehenden Raster in der Praxis werden nun einige Texte an ihnen entlanggeführt und zugeordnet.

24. Probleme und Methoden bei der Bestimmung der Fachgebietszugehörigkeit von Fachtexten

Text 1 ⫺ Aufbau und Handhabung einer Terminologie-Datenbank (Benutzerhandbuch, 170 S.). Überlegungen: Materie, Terminologie und Kommunikationsebene weisen den Text als Fachtext aus. Seine wichtigsten Gebiete sind Datenverarbeitung, Sprache, Terminologie. Der Text enthält auch viele Begriffe aus der konventionellen Drucktechnik, Typographie, Lexikographie, die in die Sprachdatenverarbeitung übernommen wurden. Zusammenhängende Aussagen, die für diese Bereiche wichtig wären, werden aber nicht gemacht. Zuordnung: Fachgebiet Sprachdatenverarbeitung, Untergebiet Datenbanken oder Fachgebiet Datenbanken, Untergebiet Sprachdatenbanken, je nach Klassifikationssystem; und Fachgebiet Terminographie. Text 2 ⫺ Computer-unterstützte Übersetzung (Beitrag in Fachzeitschrift, 8 S.). Überlegungen: Als Fachtext gegenüber Text 1 auch noch durch Erscheinungsort ausgewiesen. Wichtigste Gebiete Datenverarbeitung, Sprache, (humanes und maschinelles) Übersetzen, Terminologie. Zuordnung: Fachgebiete Sprachdatenverarbeitung und Übersetzen und Terminographie; und Thema Computer-unterstützte Übersetzung (darunter fällt sowohl das Maschinelle Übersetzen als auch die Computerunterstützte Terminographie). Text 3 ⫺ Informationsspezialisten der Zukunft (Beitrag in Fachzeitschrift, 5 S.). Überlegungen: Fachtext. Gebiete Bibliothekswesen, Informations-Management. Die Überschrift und eine Abschnittsüberschrift verweisen auf Aspekte, die manchem für die Zuordnung unwichtig erscheinen mögen, für betroffene Leser aber der springende Punkt sein könnten: auf Entwicklungstendenzen und Berufsaussichten. Zuordnung: Fachgebiete Bibliothekswesen und Informations-Management (die je nach Klassifikationssystem verwandte Gebiete in verschiedenen Hierarchiesequenzen oder Unter- und Obergebiet in derselben Hierarchiesequenz sein können); und Aspekte Entwicklungstendenzen, Berufsbilder. Text 4 ⫺ Flüssigkristalle in Lebendgewebe (Beitrag in Fachzeitschrift, 22 S.). Überlegungen: Fachtext, als solcher noch zusätzlich durch besonders hohe Terminusdichte aus zwei hier gleichermaßen wichtigen Fachgebieten höchster Spezialisierung ausgewiesen. Text, der sowohl für Physiker als auch für Histologen und Biologen (der Rich-

287

tung Zellbiologie) beim Recherchieren relevant sein kann. Zuordnung: Einfach und eindeutig, nämlich zu den Fachgebieten Flüssigkristalle und Histologie und Zellbiologie. Text 5 ⫺ Arzneimittel-Packungsbeilage (2 S.). Überlegungen: Vertreter einer der geschlossensten Textkategorien, die es gibt. Diese einheitlich als Gebrauchsinformation bezeichneten Fachtexte sind in bezug auf Inhalt und Aufbau streng reglementiert. Die typische Kommunikationspartnerkonstellation Fachmann⫺Laie erfordert Verwendung allgemeinverständlicher Sprache, was begünstigt wird durch die Tatsache, daß die Medizin über eine duale Terminologie verfügt: die deutsche und die griechisch-/lateinisch-basierte. Da praktisch alle vorkommenden Erkrankungen auch medikamentös behandelt werden können, sind in Packungsbeilagen Fachbegriffe aus allen Teilgebieten der Pathologie anzutreffen, außerdem noch solche etwa aus der Allgemeinen Pharmazeutik oder der Pharmakodynamik, sowie viele fächerübergreifende Begriffe. Zuordnung: Eindeutig zu den Fachgebieten Pathologie und Pharmakotherapie. Für die Praxis wichtiger erscheint die Zuordnung zur Kategorie der informativ-anweisenden Texte für Laien und zum Thema Arzneimittel-Pakkungsbeilagen. Eine einzeln gegebene Pakkungsbeilage ist z. B. dem Fachgebiet Antibiotica und z. B. dem Fachgebiet Gastroenterologie zuzuordnen. Text 6 ⫺ Geschäftsbericht (90 S.). Überlegungen: Vertreter einer ähnlich geschlossenen Fachtextkategorie mit strengen Reglementierungen betreffend Angaben zum Jahresergebnis, aber auch mit viel Freiheit zur Darstellung ausgewählter Entwicklungen im Berichtsjahr, auch unter werblichen Aspekten. Die fachspezifischen Begriffe gehören zwei völlig verschiedenen Bereichen an: der Betriebswirtschaft und ⫺ im Falle von Industrieunternehmen ⫺ der Technik, ausgerichtet auf die jeweiligen aktuellen Hauptbetätigungsfelder (z. B. Kommunikationstechnik, Bauelemente). Von den Adressaten sind Laien nicht ausgeschlossen, doch wird betriebswirtschaftliches und technisches Verständnis vorausgesetzt. Zuordnung: Dem Fachgebiet Betriebswirtschaft, u. U. auch dem Untergebiet Bilanzen. Wichtiger ist die Zuordnung zum Thema (bzw. für diejenigen, die Geschäftsberichte erarbeiten oder übersetzen, zum Projekt) Ge-

288 schäftsbericht. So wird z. B. in internen Sprachendiensten die mehrsprachige Terminologie zum Geschäftsbericht nicht in verschiedenen fachgebietsorientierten Teilbeständen geführt, sondern in einem einzigen Projektbestand Geschäftsbericht. Text 7 ⫺ Pleitewelle schwappt 1994 noch höher (Beitrag im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung, ½ Spalte). Überlegungen: Der Wirtschaftsteil der großen Tageszeitungen richtet sich ebenso an Fachleute wie an interessierte Laien. Die Fachbegriffe sind daher in einem eher gemeinsprachlichen, um breite Verständlichkeit bemühten Textrahmen enthalten, der auch den Jargon nicht scheut. Dieser relativ kurze Text enthält 26 Fachbegriffe, von Konkurs bis Neugründung. Natürlich gibt es in dieser Kategorie insgesamt striktere, dichtere Texte als diesen, etwa die monatlichen Konjunkturberichte. Zuordnung: Überwiegend zu den fachnahen Texten der Übergangszone. Sollte im Einzelfall eine Fachgebietszuordnung erforderlich sein, etwa bei grundlegenden Texten, die archiviert werden, dürfte sich ein passendes Untergebiet der Volks- oder Betriebswirtschaft leicht ausmachen lassen. Als Quellenangabe empfiehlt sich pauschal die Textkategorie: Wirtschaftsteil Tageszeitung. Text 8 ⫺ Werkstatthandbuch VW Golf Typ … (240 S.). Überlegungen: Hier aus der spezifischen Sicht einer Übersetzungsagentur, die für verschiedene Firmen der Automobilbranche in und aus mehreren Sprachen Texte übersetzt. Hier wird die Benennungsproblematik unabhängig von der Begriffsebene besonders deutlich. Firmen derselben Branche verwenden z. T. für gleiche Fachbegriffe gezielt unterschiedliche Benennungen, haben ihre hauseigene Terminologie. Die Agentur muß also die Terminologie der Kfz-Technik in ihrer

III. Methoden in der Fachsprachenforschung

Datenbank auch nach Firmen, d. h. Kunden, selektiv speichern. Zuordnung: Zum Fachgebiet Kfz-Technik, ggf. in Untergebiete unterteilt. Bei kritischexakter Zuordnung wird daneben ein separater Bestand für die fächerübergreifende Terminologie geführt, der auch aus anderen Fachtexten gespeist wird. Das erspart Dubletten in fachspezifischen Beständen. Zusätzlich müssen die gespeicherten Termini den verschiedenen Herstellern ⫺ das sind hier die pragmatischen Geltungsbereiche ⫺ mittels Kennungen zugewiesen sein.

5.

Literatur (in Auswahl)

Bub 1991 ⫽ Vera Bub: Begriffe unterschiedlicher Fachgebietszugehörigkeit und -bindung in deutschen und französischen Texten aus der Chip-Technologie. Heidelberg 1991. Gläser 1993 ⫽ Rosemarie Gläser: A Multi-level Model for a Typology of LSP Genres. In: Fachsprache 15/1⫺2. 1993. 18⫺26. Jäschke 1991 ⫽ Matthias Jäschke: Texttypologie und Übersetzungswissenschaft. In: Terminologie et Traduction No. 3. 1991. 7⫺25. Kalverkämper 1990 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Gemeinsprache und Fachsprachen ⫺ Plädoyer für eine integrierende Sichtweise. In: Deutsche Gegenwartssprache. Tendenzen und Perspektiven. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Berlin 1990 (Institut für deutsche Sprache. Jahrbuch 1989), 88⫺133. Rust 1991 ⫽ Angelika Rust: Fachtextsorten und Möglichkeiten ihrer Deskription und Differenzierung. Zu einem intentional determinierten Untersuchungskonzept mit Orientierungen für den Fremdsprachenunterricht. In: Fachsprache 13/3-4. 1991. 138⫺144. Weise 1993 ⫽ Günter Weise: Criteria for the Classification of ESP Texts. In: Fachsprache 15/1-2. 1993. 26⫺31.

Ingo Hohnhold, Gilching

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung: ausgewählte Schwerpunkte 25. Fachsprachenforschung in vorhistorischen Sprachen: Forschungsansätze und Sprachrelikte 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Wörter und Sachen im Neolithikum Fernentlehnungen zeigen alte Handelswege Übergang zur Steinkupferzeit Von der Jagd zur Viehzucht Krieger und ihre Waffen im Altertum Geräte der Landwirtschaft Fischfang Schiffahrt Von der Wohngrube zur Pfahlbausiedlung Frauenarbeit und indogermanische Frauensprache 11. Schlußbemerkung 12. Literatur (in Auswahl)

1.

Wörter und Sachen im Neolithikum

Für den Forschungsbereich „Wörter und Sachen“ in historischer Sicht kann die Fachsprache bis in das europäische Neolithikum zurückverfolgt werden. Beim Bau von Behausungen spielte das Verstreichen der Flechtwände (Wand: winden) mit Lehm eine entscheidende Rolle. Dazu mußte der Lehm aufbereitet werden: geriwwelt, gekniwwelt und geschliwwelt (im rhein. Dialekt) ,gerieben‘, geknetet‘ und ,geschliffen‘. Den Zusammenhang verbaler Flexionsmuster mit Vorgängen im Arbeitsprozeß zeigt auch ein latein. Beispiel. Die Verzierung neolithischer Tongefäße durch Umschnürung (Schnurkeramik) oder durch weitere, mit einem Stichel erzeugte Ornamente (Tiefstichkeramik) ergab die Übereinstimmung folgender Verben: fingo, finxi ,bilde in Ton‘, stringo, strinxi ,verziere durch Umschnüren‘, pingo, pinxi ,färbe durch Ausfüllen der Vertiefungen mit Kreidemasse‘ und stinguo, stinxi ,vermehre die Vertiefungen mit einem Stichel‘. Daß der Lehm auch beim Bau von Wänden angewandt wurde, zeigt griech. teichos n., toichos m., was mit fingo auf die Wurzel *dheigh- zurückgeht. Zu pingo stellt sich die Wurzel *peig-/k,Kennzeichen durch Einritzen oder Färben‘, später auch ,schreiben‘: russ. pisatъ, altpers.

ni-pisˇta ,niedergeschrieben‘. Griech. poikilos ,bunt‘ und got. filu-faihs ,ds.‘, dt. Feh, was ein Tier mit gesprenkeltem Fell (Eichhörnchen, Hermelin) bezeichnet, leiten über zu der Bedeutung von aind. pes´a- ,Schmuck‘. Den handwerklichen Tätigkeiten stehen weibliche Arbeiten gegenüber (*streig-: dt. stricken, eigentl. ,straff zusammendrehen‘ s. o.). Auch *steig- (als Grundlage von sti-nguo) ergab dt. ge-stickt. Slaw. tvoritъ ,schaffen‘ ist mit lat. paries ,Mauer‘ zu verbinden (vgl. lit. atveriu ⫽ lat. aperio ,öffne‘). Die Schwundstufe von *twer- liegt dem mediterran. Wort *tur-si-s (lat. turris, dt. Turm) zugrunde: die Tyrrhener waren kundige Erbauer von Rundtürmen; die Wurzelerweiterung in lit. tvarsty´ti ,mehrfach einfassen‘ weist auf intensive Grundbedeutung der s-Ableitung. In den nördlichen Kulturkreisen herrschte die Holzbauweise, vgl. dt. Dorf, anord. thorp ,Bauernhaus‘, lat. trabs ,Balken‘, taberna ,Blockhaus; zur Ableitungsgruppe gehören noch cisterna, caverna ,Höhlung (Himmels)gewölbe‘, gr. skeparnos ,Schlichtbeil‘ und andere Kulturwörter: lucerna ,Laterne‘, kothornos ,Schuh der Schauspieler mit hohem Absatz‘, sisyrna ,Flausrock‘, die auf eine alte Mittelmeerkultur hindeuten.

2.

Fernentlehnungen zeigen alte Handelswege

Das Etruskische vermittelte auch Fernentlehnungen, wie lat. satelles, zunächst der Angehörige der Leibgarde des Tarquinius Superbus (*xsˇathra-l- zu griech. satrape¯s ,Statthalter des Perserkönigs‘, dies aus altpers. *xsˇathra-pa¯- ,den Herrscher schützend‘). Metallnamen sind ein typischer Beleg für Fernentlehnung. Freilich ist der Gattungsbegriff nicht eindeutig zu erklären. Griech. metallon, ursprünglich ,Bergwerk‘ stellt man

290

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

zu metallao ,suche‘ und verweist auf russ. priisk ,Bergwerk‘ zu iskatъ ,suchen‘. Doch weist eine ,Wurzeletymologie‘ vielleicht in eine andere Richtung. Von *met-/mat- aus gelangt man zu lat. metellus ,Söldner‘, doch ist metella eine ,Holzplatte mit Steinen, die auf Belagerer gekippt werden‘ und mateola (slaw. motyka) eine ,Hacke‘, ,Ramme‘, in der Landwirtschaft ein ,Knüppel zum Schollenschlagen‘. Daraus entstehen dann Kampfgeräte: gall. mataris, matara ,Wurfspieß‘, dazu das Kurzwort mattia (span. maza ,Kolben‘. Der mattiarius war leichtbewaffnet, der mattiobarbulus ein ,Schleuderer (auch die Schleuder) von Bleikugeln‘. Danach wurde wohl auch der Keltenstamm der Mattiaci benannt. Aus *matteuca wurde frz. massue und massacrer (*matteuculare). Die Aktionskette würde einerseits zur Grubenarbeit zurückführen (armen. metal-k¤ ,Grube‘), griech. metalleia ,Mineralien‘, metalleus ,Bergmann‘, andererseits könnte auf die Wurzel *me¯,messen‘ für die Zeit- und Raumvorstellung zurückgegriffen werden (lat. me¯tior, aind. mima¯-ti ,mißt‘, lit. me˜tas ,Zeit, Jahr‘, got. mela ,Scheffel‘, heth. meh˚ ur ,Zeit‘).

3.

Übergang zur Steinkupferzeit

Der einzige sicher idg. Metallnamen liegt vor in *ayos, (das ,Gesuchte‘, vgl. lat. aerusco, -are ,aera undique … colligere‘, später ,geldgierig betteln‘; vgl. im Gathisch-Awestischen isˇasa ,suche zu erwerben‘), was wohl schon in der Stein-Kupferzeit dieses Metall bezeichnet hat. Der spätere Name cuprum wird zurecht mit dem Fundort Kypros verbunden, der Insel der Aphrodite, der schaumgeborenen Meeresgöttin Cupra mater, der in Umbrien die Quellen und Brunnen geweiht waren. Das Beiwort cupra, das die (später römische) Liebesgöttin Venus hier auszeichnet, stimmt im Gehalt mit Cupido ⫽ Amor überein. Andere Metallnamen geben z. T. noch unlösbare Fragen auf. Griech. elektron bezeichnet sowohl eine Gold-Silber-Legierung wie auch den Bernstein, kann demnach als zu aind. a´rcati ,leuchten‘ gehörig angesehen werden, zumal Elektor ein Beiwort der Sonne ist. Zu Unrecht hat man Messing mit dem Namen der Mossynoikoi, der Bewohner (hölzerner) Türme, in Verbindung gebracht. Im Ossetischen ist mæsyg/mæsug ein ,Wehrturm‘, wie deren im Bergland von Ossetien und den Nachbargebieten viele bezeugt sind. Man darf dabei ruhig zwei Arten unterscheiden,

von denen den Griechen (direkt oder indirekt) nur der hölzerne Belagerungsturm bekannt wurde. Für die Erklärung von Messing gibt das Wort nichts her. Griech. chrysos ‘Gold’ ist semit. Lehnwort, vgl. assyr. h˛ urasøu, hebr. hø arusø. Bei der Benennung von Blei hat sicher Sprachtabu die Veränderungen der Lautgestalt verursacht: Fluchtafeln aus Blei wurden in die Erde versenkt als Botschaft an die Götter der Unterwelt und Schadenzauber. Bei griech. molybdos führte die Nähe zu molyno ,besudle‘ zu irrationalen Assoziationen, in lat. plumbum zeigt sich ein Anlautwechsel, der mit dem von griech. molgo´s ,Sack‘ und gallolat. bulga, got. balgs vergleichbar ist, so daß Entlehnung aus einer europ. Restsprache angenommen wird. Daß Blei auch glänzen kann, zeigt der Vergleich mit der Bleie, einer Weißfischart; zu litauisch sˇvinas, russ. svinec ist lit. sˇvi-sti ,aufleuchten‘ zu vergleichen; armen. arcˇicˇ bzeichnet auch das Zinn (vgl. tochar. A: arki ,glänzend weiß‘).

4.

Von der Jagd zur Viehzucht

Eine Aktionskette, verbunden mit der Verbalwurzel *pet- weist in die Fachsprache der Jäger zurück: Ein Jäger beobachtet einen Raubvogel, der zum Fluge seine Fittiche (griech. pteron ,Feder, Flügel‘) ausbreitet (griech. petannymi). Aus der Höhe stürzt sich dieser auf seine Beute (griech. pipto¯ ,falle‘, lat. peto ,strebe ein Ziel an‘). Der Hase (pto¯x) duckt sich (pte¯sso¯ ) aus Furcht. Der Übergang von der Viehzucht zum Akkerbau läßt sich an folgenden Beispielen veranschaulichen. Durch Sachwandel wird die Trift (idg. *ag’ros), wohin der Treiber (aind. aja´hø ) seine Herde (gr. agele¯ ) treibt (griech. ago¯ ), zum Acker (lat. ager). Die Tiere der freien Wildbahn werden gezähmt (lat. domo¯ ,gewöhne an das Heim‘, got. ga-tamjan), andere gejagt (griech. agreuo¯ ). Dabei ist für den Jäger (griech. kyn-e¯g-e´te¯s) der Hund (kyo¯n ,Raufer‘, aus *pk’-wo¯-, zu peko¯ ,ich kämme‘, lat. pecten ,Kamm‘) der ständige Begleiter. Kämmen ist ja das Ordnen des Haares, der Hund ordnet und bewacht die Herde, lat. pecua. Griech. kteis ,Kamm‘ zeigt die Vereinfachung des Anlauts (*pkt-), wie andererseits *(p)kes in slaw. cˇeso¸ ,kämme‘, wozu sich Kosmos als *geordnetes Weltall, aus dem chaos entstanden, stellt. Dem dt. Hund entspricht aengl. huntian ,(*mit dem Hund) jagen‘. Slaw. *pъsъ und aind. s´va¯ beweisen die schon idg. Domestizierung des Hundes.

25. Fachsprachenforschung in vorhistorischen Sprachen: Forschungsansätze und Sprachrelikte

Mit dem Wortschatz der Jagd gelangt man wieder in die Altsteinzeit: man überblickt 30.000 Jahre der Entwicklung. Bogen und Pfeil waren die Waffen: lat. arcus und got. arhvazna (mit einer Ableitung, wie sie in lat. aenus (*ayes-no): aes ,Erz‘ vorkommt.

5.

Krieger und ihre Waffen im Altertum

Als so bewaffnete Krieger fanden Söldner aus dem Osten Aufnahme bei den Römern: lat. sagitta ,Pfeil‘ geht auf ein Wort für den Köcher zurück, das in türk. sajdak und mongol. sagadag erhalten ist. Solche „Mißverständnisse“ sind bei Fremdvölkern denkbar. Griech. toxon ,Bogen (und Pfeile)‘ zeigt das Material an: lat. taxus ,Eibe‘, vgl. auch pers. tachsˇ ,Pfeil‘. Das Bedeutungsverhältnis von tschech. sˇ´ıp ,Pfeil‘, im Russ. aber ,Dorn‘ (vgl. tschech. sˇ´ıpek ,Hagebutte‘) erlaubt die Festlegung der Wurzel *kseip- (aind. ksøipa´ti ,wirft‘) auf das Bild ,spitze Waffen schleudern‘, zur Wurzel gehört auch süddt. Hiffe ,Hagebutte‘. Eine noch ältere Lautform *Ksweib- ergab lat. vibro¯ ,setze schwingend in Bewegung‘, ahd. wipf ,Schwung‘. Den komplexen Vorgang zeigt awest. xsˇvaewayat-asˇtra ,die Peitsche in rasch kreisende Bewegung versetzend‘, womit wieder der Schweif erklärt ist. Unser Pfeil ist entlehnt aus lat. pilum, was dort aber zunächst den Stößel (*pinslom) bezeichnet hat. Auch in griech. obelos kommt zunächst die Verwendung bei der Nahrung in Betracht: *o(po)-belos ,Brat-Spieß‘ wurde in der Militärsprache gekürzt; in einer ironischstaunenden Verkleinerung wurden die ägypt. Obelisken von griech. Söldnern benannt, die ja auch die Pyramiden nach der Formähnlichkeit mit ihrem Kommißbrot (pyramis ,Kuchen aus gerösteten Weizenkörnern‘) benannten. Griech. belos ,Wurfspieß, Pfeil‘ ist wurzelgleich mit Ball (griech. ballo ,werfe‘). Daß die Schilde der Germanenkrieger bemalte Holztafeln ohne Metall waren, erwähnt Tacitus, Annalen II 14; sie spalteten tenues tabulas und verwendeten auch Weidengeflecht. Lat. clipeus schließt sich in der Bildung an andere technische Wörter etrusk. Herkunft an: es bezeichnete den metallenen Rundschild; idg. Verwandtschaft hat das andere Wort: scutum, das mit apreuss. scaytan und slaw. sˇcˇitъ sowie irisch sciath verbunden ist. ⫺ Daß das Pferd zunächst Reittier war, beweist equus (*ek’-wo-): die dehnstufige Abtönung der Wurzel liegt in griech. o¯ky-pous

291

,schnellfüßig‘ vor, bei Homer ständiges Beiwort von hippos. Das Wort, in allen idg. Sprachen (außer dem Slawischen) belegt, ist hier wie auch in den slawischen Sprachen durch Jargonwörter der Legionen römischer Kavallerie ersetzt: ein verbreitetes Präfix cageht auf griech. kata- zurück: lat. caballus war der ,Herabwerfer‘ (griech. ballo ,werfe‘). Das Präfix wurde weiter im Osten, wo es dann die Slawen übernahmen, an *ca-mannius (altruss. komonъ) angefügt, wobei illyr. *mandios ,Fohlen‘ (rumän. mıˆnz; sard. manzu ,junger Ochse‘) zu *mend- ,saugen‘ das Stammwort bildete.

6.

Geräte der Landwirtschaft

In der Landwirtschaft war das Zugtier des Pfluges der Ochse. Das Wort aind. uksøan,Stier‘ bezeichnet, wie uksøa´ti ,besprengt‘ belegt, den Zuchtbullen; im Verhältnis zu lat. uxo¯r zeigt sich noch eine ursprüngliche Unterscheidung der Morpheme: -n ist aktivisch, -r passivisch verwendet worden, was in uridg. Zeiten zurückweist. ⫺ Der Pflug als eisernes Gerät hat die Schar zum Schneiden der Erdkruste (vgl. Schere); lat. culter wird in dieser Funktion von cultellus unterschieden (frz. couteau). Griech. skalı´s ,Hacke‘ gehört zur gleichen Wurzel *(s)kel-; es weist zurück auf die Verwendung des Grabstockes in der Hand der ersten Bebauer der Erde mit Nutzpflanzen: die Sammlervölker wurden seßhaft. Hier läßt sich Grabscheit als dialektale Bezeichnung für die Schaufel anschließen. Als ältesten Pflug verwendete man eine Astgabelung: vgl. russ. socha´ ,Hakenpflug‘, auch: gabelförmige Stütze‘ ⫽ aind. s´a¯kha¯ ,Ast, Zweig‘. Die Pflugkultur ist in Mesopotamien seit achttausend Jahren bezeugt. Die Schar war der vorn zugespitzte Stammteil. Gegen Abnützung der Schärfe wurde (wie der Arder von Dabergotz und andere Moorfunde zeigen) eine pfeil- oder auch ruderförmige Vorschar verwendet und ihr Stiel durch den Krümel (griech. gye¯s ,Krummholz‘) geführt und so befestigt. Nach der Ähnlichkeit mit einem Ruder bekam das ganze Gerät den rätischen Namen ploum ,Pflug‘. Ahd. pfluog ergab vor der Lautverschiebung slaw. plugъ. Eine vergleichbare Bedeutungserweiterung hat apreuss. pedan (vgl. griech. pe¯don ,Ruderblatt‘, pe¯dalion ,Steuerruder‘) erfahren. Die Vorschar wurde im Lateinischen mit einem Ohr verglichen: auris, auricula, katalan. auriyera. Verständlich ist auch der Vergleich des

292

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Pfluges mit dem wühlenden Schwein: porcus erzeugt ebenfalls eine porca ,Furche‘. Zu griech. hys gehört hynnis ,Pflugschar‘ und hynne¯ ,Pflug‘, geminierte Nebenformen zu hynis, -eo¯s f. Entsprechend ir. socc, kymr. swch (*succos) ,Pflugschar u. Schweineschnauze‘. Griech. eche´tle¯ bezeichnet die Handhabe (echo¯ ,halte‘), dt. Sterz sieht darin den Schwanz: es geht also um einen einzigen Griff, der weiterhin abgelöst wird durch ahd. geizza auf Grund des Vergleichs mit den beiden Ziegenhörnern. Auch für lat. stı¯va legt der Vergleich mit russ. stegno´ ,Oberschenkel‘ eine wohl anthropomorphe Betrachtung nahe: im Slowen. wird der Pflugsterz nozˇica ,Beinchen‘ genannt und in engl. stilt immerhin mit den nur vom Menschen benutzten Stelzen verglichen. Eine alte Tiermetapher liegt auch vor in frz. landier ,Feuerbock‘ (mit agglutiniertem Artikel) aus festlandkelt. *anderd-, vgl. irisch ainder ,junge Frau‘. Die Vorrichtung, auch in Ton gebildet, diente dem brennenden Holz als Unterlage und war an den Enden mit Fortsätzen versehen, die es halten sollten. Während die Deutung hier durch prähistorische Funde einfach ist, kann die Bedeutung der Gleichung griech. ophnis ,hynnis, arotron‘ (bei Hesych): lat. vo¯mis, -eris n.: apreuss. wagnis: ahd. waganso ,Pflugschar‘, hierzu auch litauisch vag˜is ,Keil, Zapfen‘ und ahd. weggi, wecki ,Keil‘, nhd. Wecken als Brotform, hinsichtlich der Grundform *wo-gwh- schwer bestimmt werden. Sollte es, wegen der Bedeutung gerade dieses alten Bestandteils des Pfluges, ein Wunschname sein für reichen Erntesegen? Lat. voveo¯ ,geloben‘ (*wo-gwh-) könnte dazu gehören, ebenso die Wurzel *gwhen- ,strotzen, Fülle‘. Ein ,Leitstern‘ könnte in eine neue Richtung führen: russ. zvezda ,Stern‘ (*gwhoigwe-da¯ ,Lichtspender‘, vgl. griech. phoibos ,strahlend‘) hat eine Entsprechung in tscherkess. zˇvaghve: so auch jene Wurzel in zˇven ,pflügen‘. Im Sinne der ,Glottaltheorie‘ sind auch lat. duo ,zwei‘ und tscherkess. t’u¯ ,zwei‘ (zum Verb t’en ,spalten‘) miteinander verwandt. Schon Franz Bopp, der Begründer der Indogermanistik, wandte seinen Blick zum Kaukasus, dem Berg der Sprachen, und fand im Georgischen verwandte Züge zu der von ihm erkannten Sprachfamilie.

7.

Fischfang

Daß es kein gemein-idg. Wort für den Fisch gibt, kann nur in dem Sinne gedeutet werden, daß hier ⫺ anders als bei den Metallen ⫺

kein Warenaustausch über Stammesgrenzen hinaus stattfinden konnte. Immerhin erlauben die einzelnen Fischwörter die Feststellung voreinzelsprachlicher Untergruppen: lat. piscis hat Entsprechungen in irländ. ´iasc (mit typischem Verlust des p-Anlauts) und got. fisks. Es bezeichnet den Fisch als Wassertier (*ap-isk-). In gleicher Weise läßt sich auch aind. ma´tsya- zu lat. mador ,Feuchtigkeit‘ stellen: es ist der ,Feuchte‘, *madsyo-, lat. madidus. Als Tarnwort verbindet sich dieses Adjektivum für ,betrunken‘ (Kurzform matus) mit aind. ma´dati ,ist trunken‘, wie ja unser Met sich zu aind. madhu ,Honig‘ gesellt. Slaw. ryba ,Fisch‘ ist ein Wunschwort (eigentl. *,Gewimmel‘, wozu niederländ. robben ,sich balgen‘ und Robbe ⫺ als Herdentier ⫺ gehört). Schwierig ist die Grundform von balt. zˇuvı`s; zuvs, griech. ichthy¯s, armen. jukn (*-ghdhu¯-) zu erklären. Es kann auch hier der Wunsch eines reichen Fanges ausgedrückt worden sein. Durch Umstellung der Anlautkonsonanz gelangt man zur Wurzel *dheughund weiter zu aind. Kama-duha ,die reichlich spendende Wunschkuh‘. Auch die griech. Göttin Tyche geht darauf zurück. Die Metathese hat mehrere Entsprechungen, vgl. griech. chthon und heth. tekan ,Erde‘ u. a. m. Der Lachs ist der ,Springer‘: griech. le¯ka´o¯ ,springe‘; slaw. lososъ, litauisch lasˇisˇa`, lasˇ`ısˇius (*lokso-sio-), tochar. laks ,Fisch‘. Auch der Salm (lat. salmo¯; salio¯ ,springe‘) wird nach dieser charakteristischen Eigenschaft benannt. Im russ. Dialekt spricht man geradezu von einer skakavica ,Springinkerl‘. ⫺ Das Fangnetz hat einen späten, aus lat. *vertibulum (vom Umdrehen beim Entleeren) weithin verbreiteten Namen: ital. bertovello, südfrz. vertoulh, bartuel, was ins Deutsche als Werluff, Wartholf, Warzloff, Warzluft, Bartleff, auch Watleff (vgl. Wate ,Zugnetz‘) übernommen wurde. Ein SW-deutsches Wartolf (gebildet wie Kutterolf ,Trinkgefäß aus Glas‘, zu lat. guttur-nium) wurde ins benachbarte Französisch als louve übersetzt und ins Englische als wolf-net übernommen. Gekürzt, wie man dies bei Eigennamen gern tut, tritt im Elsaß Warzl, Wartl auf. Während es sich hierbei um späte Entlehnungen aus der die europäischen Völker verbindenden latein. Fachsprache handelt, ist ein sehr alter Bestand german. Seemannswörter einer maritimen, wohl voridg. Fachsprache zuzuweisen (sog. Megalithwörter), einer Kultur, die mit den mittelmeerländischen und atlantischen Großsteinbauten eine uralte Kultur hinterlassen hat. Für altidg. Zusam-

25. Fachsprachenforschung in vorhistorischen Sprachen: Forschungsansätze und Sprachrelikte

menhänge würde allerdings zeugen: See (vgl. got. saiws, wozu saiwala als ,Blutseele‘ gehört: griech. haima ,Blut‘, ferner Honigseim ,belebender Saft‘).

8.

Schiffahrt

Schiffahrt geht von der Herstellung des Einbaumes aus, dem schon neolithischen Wasserfahrzeug, das wieder in regionalen Ausdrücken bewahrt ist: dt. Nachen (zu aind. na´ga- ,Baum‘) ist, wie anord. nokkvi zeigt, der ,nackte‘ (lat. nu¯dus, aus *nogwe-do-s, aind. nagna´-) Stamm. Auch das Lehnwort Kogge (aus pikard. cogue (ahd. coccho m., aus afrz. coque m., aus ait. cocca, aus lat. caudica) geht auf den Einbaum: caudex ,truncus arboris‘ zurück. Verwandt ist auch caulis ,Kohl(stengel)‘. Dt. Schiff selbst weist auch in die gleiche Richtung der Entwicklung: als Grundlage diente die Wurzel *sek-, erweitert zu *skeib-, in anderer Weise zu *skabh- (dt. schaben): griech. skaphos n. ,Schiffsrumpf‘; ein skyphos war ebenso ein Gefäß, wie dt. Schiff (als Metallkasten in einem Kachelherd, für Warmwasser); ebenso ein Nachttopf (vgl. schiffen, sondersprachlich). Diese Bedeutungen sind nur bei ursprünglicher Drechslerware denkbar. Aus griech. skyphı´on (was auch den Schädel des getöteten Feindes ⫺ aus dem Barbaren tranken ⫺ bezeichnete) ist ahd. skiphı¯ ,Schale, Becher‘ entlehnt. Schließlich gehört auch baltoslaw. *al-dh- (lit. aldija`, slaw. lodъja) ,Kahn, Einbaum‘ hierher. Dem in allen übrigen idg. Sprachen verbreiteten Wort naus (lat. navis) entsprechen norw. dial. noˆ ,Trog aus einem ausgehöhlten Stamm‘ und oberdt., dial. Nuosch ,Dachtraufe‘ (ebenso erzeugt). Ein Verbum (lit. no˜vyti ,quälen, verderben‘, tschech. u-naviti ,ermüden‘, aisl. nu´a ,reiben‘) weist auf die gleiche Technik hin. Es kann sich dabei um die erweiterte Wurzel *kes/ks-neu- handeln, vgl. griech. xeo¯ und xyo¯ ,schabe‘, deren Anlautkonsonanz in der Fachsprache vereinfacht wurde. Auch im Deutschen lebt das Wort in Hohe-nau n. fort, bezeugt noch 1782 als ,größte Gattung der Frachtschiffe auf der Donau‘. Got. ga-nawistron ,begraben‘ läßt an die german. Schiffsbestattungen denken. Schließlich geht auch baltoslaw. cˇe˝ln ,Kahn‘ (lit. kelnas ,Fähre‘) und ahd. scalm ,narvis‘ auf den Einbaum (lit. ke´lmas ,Baumstamm‘) zurück.

9.

Von der Wohngrube zur Pfahlbausiedlung

Nicht überall konnte man in natürlichen Höhlen wohnen, doch war die Wohngrube

293

sicherlich die älteste Behausung seßhafter Menschen, vor allem in nördlichen Gegenden in der Winterszeit. Griech. gype¯ ,Erdhöhle‘ und die Entsprechung in Koben (jetzt nur Stall), ahd. chubisi ,Hütte‘ (später glaubt man an einen Hausgeist, der hier waltet: kubawalds ,Kobold‘) und griech. thalamos ,Frauengemach, Vorratskammer‘ (zu russ. dolbitъ ,aushöhlen‘) zeigen dies ebenso, wie dt. Bett (zu lat. fodio ,grabe‘) als Schlafgrube. Sogen. Erdställe waren allerdings auch in Kriegszeiten sichere Zufluchtsorte, so daß man ihrer noch in der Zeit der Türkenbelagerung bedurfte. Das Wohngrubenhaus verband eine unterirdische Schlafstätte mit einem Bretterverschlag als Eingang: vgl. rumän. bordeiu ,Erdhütte‘, provenzal. bordel ,elende Hütte‘, gaskon. borda ,Stall‘ (zu fränk. bord ,Brett‘); der aus der Erde ragende Teil wurde mit Stroh oder Schilf bedeckt. Daß man tagsüber im Freien arbeitete, zeigt dt. Heim (zu griech. koimao¯ ,zur Ruhe legen‘). Als Wohngrubenhäuser der Makedonier bis nach Unteritalien kann man griech. argella, argilla (alban. ragala, rumän. arge`a ,Hütte‘, moldav. ,Balkenwerk‘) verstehen. Wie slaw. ragoz, rogoz ,Schilf; Riedgras‘ zeigt, besteht dabei der Oberbau zunächst aus Flechtwerk: slaw. rozga; lit. re˜zgis ,Korbgeflecht‘. Diese Technik reicht bis in die Altsteinzeit zurück; im Neolithikum erlaubten es die besseren Werkzeuge, Blockhäuser und Fachwerk herzustellen: *dem- ,fügen, bauen‘, lat. domus, zunächst ein Einraumhaus, (vgl. dt. Zimmer, altengl. timbar ,Bauholz‘) mit Feuerstelle und Rauchabzug (dt. Esse; Ern ,Hausflur‘, wie bair. Osn zeigt, zu alat. a¯sa ,Brandaltar‘ gehörig). Hier hing an einer Kette (dt. dial. Hahl, zu hangen) der Kessel. Auch lat. pensı¯le gehört ja zu pende¯re; es ist das beheizbare Bad, auch der Dachboden als Trockenraum für Nahrungsmittel, die dort aufgehängt wurden. Frz. poeˆle ,Ofen‘ geht ebenso darauf zurück wie ahd. pfiesal (aus *pe¯salis, vgl. afrz. poesle ,Ofenstube‘). Die Pfieselkammer in Salzsudwerken diente zum Verdampfen des Wassers der Salzlösung, das Phieselgadem war (wie die Kemenate in den Burgen: caminata ,mit Rauchabzug versehen‘) heizbarer Aufenthalt der Frauen. Der ndd. Pe¯sel ist die ,große Staatsstube‘. In sumpfigen, seenreichen Gegenden wurde eine eigene Technik entwickelt: Pfahlbausiedlungen. Auch hierzu sind bessere Äxte erforderlich, sie zu begründen (got. gasuljan), Häuser auf Schwellen (ı¯n-sula, noch in Rom ein ,Wohnblock‘) zu errichten. Auf idg.

294

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

*kswel- geht neben Schwelle auch griech. xy´lon ,Bauholz‘ zurück. Die Grundlage für die waagrechten Schwellen bildeten die Pfähle (ahd. su´l ,Säule‘). Die german. Quaden Mährens (vgl. Quadfliege ⫽ Schmeißfliege) haben den gleichen Namen als Sumpfbewohner wie die Slawen (sloveˇninъ, zu *sleu- in lat. lu¯bricus ,schlüpfrig‘; tschech. sluje sind Eishöhlen).

10. Frauenarbeit und indogermanische Frauensprache Es gibt ein untrügliches Zeichen für alte fachsprachliche Gruppierungen der idg. Stämme: die partiellen Wortgleichungen. Zum Sachbereich kommen hier auch soziale Umstände in den Gesichtskreis, was im Folgenden an der idg. Frauensprache gezeigt werden soll, deren Bestand sich aus dem Vergleich dreier, jetzt nicht benachbarter Sprachen ergibt: Albanisch, Griechisch, Armenisch. Für gewisse Arbeitsbereiche, die von jeher den Frauen zukamen, gibt es da treffende Beispiele. Es ist bekannt, daß die römischen Frauen als Beteuerungsformel nur ecastor (ein Hinweis auf die göttlichen Zwillinge Castor und Pollux) verwenden konnten und ihnen das Gegenstück der Männersprache mediusfidius (,so wahr mir der Treuegott [Jupiter] helfe‘) verwehrt war. Sie wandten sich also an einen seiner Söhne. Dem Gott des Tages (dies) steht in den drei Sprachen ein anderes Wort (hemera/awr/ze˝me˝r) gegenüber. Tabuvorschriften können Besonderheiten der Frauensprache erklären, so für Körperteile: die Zunge (glo¯ssa, alb. gjuhe˝ ), Hand (cheir/jern/dore˝: als ,Greifer‘ aus *gher-sr-), Bart (aind. s´mas´ru-, armen. mawruk, abl. mjekre˝: offenbar ein spöttischer Vergleich mit dem Ziegenbart, vgl. *mek-mek- in aind. makamaka¯yate ,mekkert‘), Hoden (orchis/orji-k/herdhe, zu *erghi- ,abstehend‘); bezeichnend für die Männersprache ist hier lat. testes, vgl. hierzu dt. zeugen. Für die Sauberkeit der Kinder hatte die Mutter zu sorgen: hierfür ein Beispiel, ,triefäugig‘ (griech. glamo¯n, alb. nglome˝ ). Auch chezo¯ ,Bedürfnis verrichten‘ hat nur ein alban. Gegenstück: dhjes. Das Stampfen der Getreidekörner war Frauensache, vgl. lat. mulier (zu molo¯ ,mahle‘). Da die Wurzel *mel- auch obszöne Bedeutungen hatte, reagierte die Frauensprache durch eine de´capitation tabouistique: *al(griech. aleuron, armen. alewr ,Mehl‘). Im Armen. entspricht aliÓˇ ,Mädchen‘ durchaus der lat. Deutung mulier ,Mahlende‘. Der tabuisti-

sche Anlautverlust traf auch das Wort für den Knochen (dessen magische Bedeutung weit verbreitet ist: osteon/oskr/asht); erhalten ist der alte Anlaut in lat. costa (aber os; -sis) und slaw. kostъ. Die Sitte der Traumdeutung reflektiert die Gleichung onar/anurÓˇ/e˝nde˝rre˝; Frauen fürchten die Dunkelheit: erebos/erek/ erre˝si. Weben war die ,Arbeit‘ vornehmer Frauen: griech. ponos, alb. pune˝, die Grundbedeutung bewahrt armen. hanum ,weben‘: mit ,beweglichem s-‘ gehört dt. spannen in diesen Zusammenhang.

11. Schlußbemerkung In der semantischen Verzweigung alter idg. Verbalwurzeln darf man nicht etwa eine farblose Allgemeinbedeutung sehen: dem kundigen Blick enthüllt sich vielmehr das Bild einer konkreten, erlebten Situation als Kernbegriff einer Fachsprache.

12. Literatur (in Auswahl) Fraenkel 1962 ⫽ Ernst Fraenkel: Litauisches etymologisches Wörterbuch, 2 Bde. Heidelberg 1962; 1965. Frisk 1960 ⫽ Hjalmar Frisk: Griechisches etymologisches Wörterbuch, 2 Bde. Heidelberg 1960; 1970. Knobloch 1980a ⫽ Johann Knobloch: Ergologische Etymologien zum Wortschatz des indogermanischen Hausbaus. In: Sprachwissenschaft 5. 1980, 172⫺200. Knobloch 1980b ⫽ Johann Knobloch: Griech. ko´smos, lat. co¯mis und aksl. kosmъ. In: Studia linguistica in honorem Vladimiri I. Georgiev. Sofia 1980, 310⫺311. Kobloch 1984a ⫽ Johann Knobloch: Die Bedeutung des Namens der Insel Kypros. In: Onomata. Revue onomastique 8. 1984, 97⫺99. Knobloch 1984b ⫽ Johann Knobloch: Le langage des femmes en indo-europe´en d’apre`s les isoglosses arme´niennes, grecques et albanaises. In: Revue des e´tudes arme´niennes. Nouvelle se´rie, tome XVIII. 1984, 317⫺325. Knobloch 1994 ⫽ Johann Knobloch: Jungsteinzeitliche Fachausdrücke in der lateinischen Töpfersprache. In: Die deutsche Schrift 60,3. 1994, 211. Meyer-Lübke 1968 ⫽ Wilhelm Meyer-Lübke: Romanisches etymologisches Wörterbuch. Heidelberg 1968. Pokorny 1949⫺1959 ⫽ Julius Pokorny: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. Bern 1949⫺1959. Schrader/Nehring 1917⫺1929 ⫽ O. Schrader/A. Nehring: Reallexikon der indogermanischen

26. Reflexionen zu fachsprachlichen Phänomenen in der Antike und Spätantike Altertumskunde. 2. verm. u. umgearb. Aufl., 2 Bde. Berlin 1917⫺1929. Walde/Hofmann 1938⫺1954 ⫽ Alois Walde/J. B. Hofmann: Lateinisches etymologisches Wörterbuch. 3. Aufl. Heidelberg 1938⫺1954. Wörter und Sachen 1909⫺1944 ⫽ Wörter und Sachen. Kulturhistorische Zeitschrift für Sprach- und Sachforschung. Hrsg. v. R. Meringer, W. Meyer-

295

Lübke, J. J. Mikkola, R. Much und M. Murko 1. 1909⫺18. 1937. Neue Folge 1. 1938⫺3. 1940. Hrsg. v. H. Güntert unter Mitarbeit v. R. von Kienle, H. Kuen, W. Porzig, K. Stegmann von Pritzwald und L. Weisgerber. 3⫺5. 1943/44. Hrsg. v. W. Wüst. Heidelberg 1909⫺1944.

Johann Knobloch, Bonn

26. Reflexionen zu fachsprachlichen Phänomenen in der Antike und Spätantike 1. 2. 3. 4. 5.

Corpus- und Methodenprobleme Die griechische Antike bis zum Hellenismus Die römische Antike und Spätantike Gesamtsicht Literatur (in Auswahl)

1.

Corpus- und Methodenprobleme

Systematische Überlegungen zu den Themen „Fachsprache“ und „Berufssprache“ scheinen in der Antike nicht schriftlich fixiert worden zu sein. Dennoch sind die Probleme fachlicher Kommunikation schon so früh diskutiert worden, daß sich uns die Frage stellt, ob die betreffenden Fächer als solche bereits existierten, als man sich über ihre Terminologie Gedanken machte: Von der frühesten Dichtung angefangen ist so gut wie kein Genus der antiken Literatur frei von Sprachreflexion. Die Grenze zwischen Fachsprache und Gemeinsprache ist umso schwieriger zu ziehen, als unsere Kenntnis der griechischen Umgangssprache beschränkt ist: Auch das Alter der Wörter ist kein Kriterium; zwar können Wörter, die zuerst oder ausschließlich in Fachtexten belegt sind, indogermanische Erbwörter sein (Irigoin 1980, 247 ff), aber auch Erbwörter können sich in ihrer Bedeutung verengen und zu reinen Fachwörtern werden. Von Ärzten als distinkter, hochangesehener Gruppe spricht bereits die Ilias 11, 514, aber der Unterschied zwischen Berufsärzten und Laien mit Erfahrung in der Behandlung von Verletzungen ist oft gering in einer Gesellschaft, in der die Ausbildung der Ärzte nicht institutionalisiert war: Zum Arzt konnte man sich bei einem praktizierenden Arzt ausbilden lassen; es gab jedoch weder Prüfungen noch Approbationen. Hinzu kommt, daß bei Arztbesuchen u. ä. stets Ver-

wandte und Freunde des Patienten anwesend waren, welche der Arzt überzeugen mußte (Kollesch 1991, 180 ff), so daß sich der medizinische Wortschatz eines Berufsarztes kaum von dem eines Laien unterschieden haben dürfte. Thukydides’ (ca. 460⫺ca. 400 v. Chr.) Formulierung II 49,3 aœpokaqa¬rseiw xolh˜ w pa˜ sai oÕsai y«po¡ iœatrv˜ n vœnomasme¬nai eiœsi¡n apokatha´rseis chole¯s pa¯sai ho´sai hypo` hiatro¯n o¯nomasme´nai eisı`n [alle Arten der Absonderung von Galle, die von den Ärzten einen Namen erhalten haben] bedeutet nicht, die Kenntnis der Namen sei auf die namensgebende Gruppe beschränkt gewesen ⫺ vgl. Platon (427⫺347 v. Chr.), Kratylos 401 c, wo den Orphikern die Prägung des Wortes sv˜ ma so¯ma [Körper] zugeschrieben wird. Noch schwieriger ist die Frage „Fachsprache oder Gemeinsprache?“ für die Beobachtungsastronomie zu beantworten. Zu Homers Zeit gab es keine Berufsastronomen; andererseits war die Zeitbestimmung nach den Sternen nicht so weit verbreitet, wie oft angenommen wird (Wenskus 1990, 12 ff). Es gab aber Berufe, deren Vertretern die Oberschicht, sicher nicht immer zu Recht, astronomische Kenntnisse zuschrieb: Bauern, Hirten und Seeleute. Ist es also fach- oder gemeinsprachliche Reflexion, wenn es Ilias 18, 487 heißt: ÔArkton qÅ, hÀn kai¡ ÔAmajan eœpi¬klhsin kale¬oysin Arkton th, he¯n kai Ama´xan epı´kle¯sin kale´ousin [Den Bären, den man auch Wagen mit Namen nennt]? Natürlich gab es auch te¬xnai technai (Künste; dieses Wort kommt unserem Begriff Fach am Nächsten; die lat. Entsprechung ist artes), die nur bestimmte Gruppen praktizierten, und zu diesen gab es spätestens seit dem 6. Jh. v. Chr. Lehrbücher, die ebenfalls te¬xnai technai genannt wurden; von den meisten kennen wir aber allenfalls die Titel. Spä-

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

testens seit der hellenistischen Zeit (also der Zeit ca. 350⫺31 v. Chr.) gibt es auch „Fachliteratur“, die nicht von Fachleuten verfaßt ist, aber z. T. jahrhundertelang intensiv rezipiert wird; dies gilt vor allem für die hellenistische Lehrdichtung (Effe 1977, 22 ff), aber auch für die früheste erhaltene medizinische Schrift in lateinischer Sprache: die 8 Bücher De medicina des Celsus (Zeit des Tiberius, welcher 14⫺37 n. Chr. regierte), der kein Arzt war, sondern ein Enzyklopädist, dessen Stärke in der Landwirtschaft gelegen zu haben scheint, von dem wir aber außer Fragmenten eben nur die medizinischen Bücher kennen. Er reflektiert zwar expressis verbis über medizinische Fachtermini, aber anders, als ein Arzt es täte (vgl. 3.1.). Ein Problem für sich stellen die Lehrbilder dar. Aristoteles’ Schrift De Caelo z. B. ist in einigen Handschriften illustriert überliefert, aber gehen diese Illustrationen auf Aristoteles zurück? Die Schrift ist im und für den Schulbetrieb des Peripatos entstanden, und wenn Aristoteles sie vortrug, wird er sicher dazu (z. B. im Sand) Zeichnungen angefertigt haben. Ob er diese Zeichnungen jedoch improvisierte oder bereits beim Redigieren des Textes entworfen hatte, können wir nicht wissen. Spätestens seit 300 v. Chr. gibt es für eine weitere Öffentlichkeit bestimmte Fachbücher, deren Text auf Illustrationen vermutlich verweist und zumindest nicht verzichten kann: die mathematisch-astronomischen Schriften des Autolykos von Pitane und die mathematischen sowie die optischen Schriften des Euklid. Ich sage „vermutlich verweist“, denn auch ich meine, daß Formulierungen wie (Autolykos, Peri¡ th˜ w kinoyme¬nhw sfai¬raw Perı` te¯s kinume´ne¯s sphairas 1) „Gegeben sei eine Kugel, deren Achse die Gerade AB ist“ das Vorhandensein einer Zeichnung voraussetzen. Seit Aristoteles gab es auch Tafelwerke, auf die in nichtillustrierten Lehrschriften verwiesen wird (so verweist Historia animalium I 17 auf das verlorene Tafelwerk ÅAnatomai¬ Anatomai; dazu jetzt Stückelberger 1994). Vitruv (Ende des 1. Jh. v. Chr.) verweist mehrmals ausdrücklich auf Zeichnungen; beim ersten Mal erklärt er, sie sollten der Verständlichkeit dienen: I 6, 12: ut facilius intellegatur. Er sagt auch, wo diese zu finden sind: teils unten auf der betreffenden pagina, teils am Ende des betreffenden Buches oder Volumens. In zwei Fällen gibt er an, die Illustrationen von Aristoxenos übernommen zu haben, einem Musiktheoretiker des ausgehenden 4. Jh. v. Chr. (V 4, 1 und V 5, 6). Leider

besitzen wir von Aristoxenos nur Fragmente und können daher nicht entscheiden, ob die Zeichnungen bereits für den Autographen vorauszusetzen sind oder erst von einem späteren Kopisten oder Benutzer hinzugefügt wurden.

2.

Die griechische Antike bis zum Hellenismus

2.1. Ein sprachliches Problem der frühen Texte ist, daß die griechische Metasprache noch im späten 5. Jh. v. Chr. so unterentwikkelt ist, daß das Abstraktionsniveau der Sprache nicht an das Abstraktionsniveau der Gedanken heranreicht (Lanza 1972, 332 ff). Da eine Übersetzung unverständlich wäre, sei der vermutlich erste erhaltene Fall ausführlicher fachsprachiger Reflexion paraphrasiert: 4,2 der Schrift De diaeta in morbis acutis; sie gehört zum hippokratischen Corpus und wurde etwa im letzten Drittel des 5. Jh. v. Chr. redigiert. Angegriffen sind die Verf. der zweiten Fassung der verlorenen „knidischen Gnomen“, welche die traditionellen Krankheitsnamen größtenteils beibehielten und die verschiedenen Erscheinungsformen der einzelnen Krankheiten durchnumerierten (etwa wie wir heute von ,Hepatitis A‘ und ,B‘ sprechen). Unser Verf. meint nun, „einige“ hätten zwar erkannt, daß dieselbe Krankheit unterschiedlich verlaufen kann (polytropi¬aw polytropı´as) und daß es für dieselbe Krankheit mehrere Unterformen gibt (polysxidi¬hn polyschidı´en); sie hätten aber jeweils die Anzahl der Krankheiten bzw. ihrer Unterformen nicht richtig angegeben. Dies sei auch schwer möglich: weder die individuellen Unterschiede in der Symptomatik noch das Fehlen eines gemeinsamen Namens seien hinreichende Kriterien. Unserem Verf. geht es nicht um ein sprachliches Problem, sondern um die Frage, wieviele Krankheitsnamen nötig und sinnvoll sind, wenn man nur wenige Therapien anwenden will oder kann (Langholf 1983, 109⫺111). 2.2. Das Problem der Kommunikation zwischen Laien und Fachleuten wird in De vetere medicina (auch als De prisca medicina zitiert) berührt, einer gegen 400 v. Chr. entstandenen Schrift des hippokratischen Corpus. Der Verf. fordert (Kap. 2), wer über die Heilkunst spreche, müsse Dinge sagen, welche der Laie verstehen kann [gnvsta¡ le¬gein toi˜si dhmo¬thsin gno¯sta` le´gein toı˜si de¯mo´te¯sin]. Ziel ist we-

26. Reflexionen zu fachsprachlichen Phänomenen in der Antike und Spätantike

niger die Aufklärung des Patienten, sondern die Aufklärung des Arztes durch den Patienten, der ja über Informationen zu seiner Krankheit verfügt, die dem Arzt nie zugänglich werden, wenn dieser nicht die richtigen Fragen stellt. 2.3. Wie Lanza (1983, 184) feststellt, zeigen die medizinischen Texte bis ins 4. Jh. v. Chr. nirgends das Bestreben, eine geschlossene Nomenklatur festzulegen. Dies tut erst Aristoteles (384⫺322 v. Chr.). Es ist keineswegs trivial, wenn er Historia Animalium I 7 schreibt: „Dies sind die wichtigsten Teile, in die man den Körper in seiner Gesamtheit unterteilt: Kopf, Hals, Rumpf, die beiden Arme, die beiden Beine [kefalh¬, ayœxh¬n, qv¬raj, braxi¬onew dy¬o, ske¬lh dy¬o kephale¯, auche¯n, tho¯rax, brachı´ones dyo´, ske´le¯ dy´o]. Selbst für diese Begriffe kennt die griechische Sprache auch in Fachtexten Synonyme, die ihrerseits polysem oder nicht allgemein verständliche Dialektwörter sind. So findet sich in der pseudohippokratischen Schrift De morbis II der Dorismus koti¬w kotı´s, was in der Antike teils als „Kopf“, teils als „Scheitel“ oder „Hinterkopf“ verstanden wurde (Jouanna 1974, 531). Der Hals kann in Fachtexten außer ayœxh¬n auche¯n auch la¬rygj larynx, fa¬rygj pharynx (diese Wörter sind in den Hippokrates-Handschriften auch als konkurrierende Varianten belegt), tra¬xhlow trache¯los oder laimo¬w laimo´s heißen, wobei jedes dieser Wörter auch im engeren Sinne gebraucht werden kann (z. B. für die Kehle und/oder die Luftröhre). Der Rumpf kann außer qv¬raj thorax (ionisch qv¬rhj thorex) auch sv˜ ma so¯ma genannt werden (dieser Begriff bezeichnet meist den ganzen Körper). braxi¬vn brachı´on kann außer dem ganzen Arm (ein- oder ausschließlich der Hand) den Oberarm oder das Oberarmbein bezeichnen, während xei¬r cheir außer dem ganzen Arm einschließlich der Hand den Unterarm oder nur die Hand benennen kann. So ist es vor Aristoteles oft unmöglich, den Wortsinn eines anatomischen Begriffes genau zu bestimmen (exemplarisch Irmer 1980, 265⫺283).

Das Streben nach terminologischer Fixierung ist bei Aristoteles in allen Wissensbereichen deutlich, mit denen er sich auseinandergesetzt hat, aber meist wird nicht deutlich, welche Fachausdrücke er selbst geprägt oder in ihrer Bedeutung eingeengt hat und welche zumindest im Ionisch-Attischen seiner Zeit ausschließlich die Bedeutung haben, die Aristoteles ihnen mit Formeln des Typs „a mit der Eigenschaft b nennt man x“ zuschreibt. Gelegentlich stellt er auch das Fehlen einer Bezeichnung fest, offenbar ohne das Bedürf-

297

nis zu empfinden, jede Lücke im System zu füllen (s. die Belege von aœnv¬nymow ano¯nymos). 2.4. Besonders in den zoologischen und botanischen Schriften, von denen die frühesten erhaltenen im von Aristoteles begründeten Schulbetrieb des Peripatos entstanden sind, ist die Existenz von konkurrierenden Regionalismen ein Problem, für das die unterschiedliche geographische Herkunft der Forscher sowie deren Reisen den Blick schärfte. Selbst vom modernen Standpunkt ist gelegentlich unklar, ob die verschiedenen Regionalismen nicht vielleicht verschiedene, evtl. rein endemische Arten bezeichnen. So schreibt Theophrast (ca. 370⫺287 v. Chr.), De causis plantarum II 17,1 zu den Mistelgewächsen (Loranthaceae): „so wie die iœji¬a ixı´a, die sthli¬w ste¯lı´s und das y«fe¬ar hyphe´ar, wobei die Euböer den Ausdruck ste¯lı´s gebrauchen, die Arkader hyphe´ar, und der Ausdruck ixı´a allgemein üblich ist.“ Anschließend referiert Theophrast die Ansicht derer, welche glaubten, es handele sich um dieselbe Pflanze, und die unterschiedlichen Namen erklärten sich durch die Verschiedenheit der Wirtspflanzen (tatsächlich ist noch heute umstritten, ob die Laubholzmistel viscum album und die Nadelholzmistel viscum laxum zwei Arten oder zwei Phänotypen sind); Theophrast sagt es nicht selbst, aber da er hyphe´ar und ste¯lı´s dieselben Wirtspflanzen zuschreibt, ist diese Namensverschiedenheit wohl dialektal zu erklären. Für die Praxis wichtiger ist das Problem der synvnymi¬a syno¯nymı´a (nicht „Synonymie“, sondern Gleichnamigkeit). Theophrast geht Historia plantarum IX 10⫺12 darauf ein ⫺ nicht zufällig im Rahmen eines längeren Abschnittes über Heil- und Giftpflanzen, allerdings nicht in grundsätzlicher Form. So schreibt er IX 11,5: tv˜ n ga¡r stry¬xnvn to¯n gar stry´chno¯n [entweder „von den Pflanzen, die stry´chnos genannt werden“ oder „von den stry´chnos-Arten“] o« me¡n y«pnv¬dhw, o« de¡ maniko¬w ho men hypno¯des, ho de maniko´s [bewirkt die eine Schlaf, die andere Wahnsinn]. Anschließend beschreibt Theophrast die beiden „Arten“, wobei er für die zweite zwei konkurrierende Namen nennt. Die Forderung nach einer vereinheitlichten Terminologie stellt er jedoch nicht; er schwankt oft selbst zwischen zwei ähnlichen Formen eines Pflanzennamens (Amigues 1988, XXXVIII f). Konsequent ist er jedoch in der Benennung der Teile der Pflanzen; er nennt auch seine eige-

298

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

nen Definitionen als für die weiteren Bücher verbindlich am Anfang der Historia plantarum: wie Aristoteles folgt Theophrast in der Regel dem Grundsatz, Allgemeines vor Speziellem zu behandeln (Wöhrle 1985, 23 ff). 2.5. Um 300 v. Chr. wird für mathematische und physikalische Texte die Mikrostruktur der inklusorischen Ringkomposition des Typs Thesis ⫺ Proof ⫺ Thesis obligatorisch: Eine Behauptung wird aufgestellt, bewiesen und am Ende des Beweisganges wiederholt. Wir finden die Form, die heute noch üblich ist, außer bei Euklid bei dessen wohl etwas älterem Zeitgenossen Autolykos. Vorher sind solche Ringkompositionen in der griechischen Prosa zwar sehr häufig; sie werden aber meist unsystematisch eingesetzt und dienen ursprünglich dazu, zwei sich eigentlich ausschließenden Grundbedürfnissen menschlicher Kommunikation gerecht zu werden: einerseits will man die Hauptsache zuerst nennen, andererseits die chronologische Folge der Gedanken wahren (Wenskus 1982, passim). Das Ergebnis ⫺ eben die inklusorische Ringkomposition ⫺ ist zwar zur Darstellung stark vernetzter Kausalbeziehungen ungeeignet und wird (wohl aus diesem Grunde) in philosophischen und biologischen Schriften seit Plato selten, hat sich aber gerade für längere Beweise in der Praxis so bewährt, daß sie noch heute ein konstitutives Element der mathematischen Fachsprache ist.

3.

Die römische Antike und Spätantike

3.1. In der Zeit von ca. 100 v. bis 200 n. Chr. leiden die römischen Fachschriftsteller wie alle Schriftsteller und Redner, die zu offiziellen Anlässen sprechen, an der Angst, sprachliche Tabus zu verletzen (Marache 1952, passim). Das war nicht immer so: das früheste erhaltene lateinische Buch ⫺ des Älteren Cato Schrift De agricultura ⫺ gebraucht unbefangen griechische Lehnwörter (auch solche, deren griechische Herkunft dem Verfasser klar sein mußte), ohne die seit der Goldenen Latinität üblichen Zitatformeln des Typs „ut vocant Graeci.“ Die nächsten erhaltenen landwirtschaftlichen Schriften ⫺ die des Varro (116⫺27 v. Chr.) und die des Columella (1. Jh. n. Chr.) ⫺ stammen ebenfalls von Männern, die von der Materie viel verstanden, aber die Haltung der Sprache gegenüber hat sich gewandelt. Neologismen sind

grundsätzlich unerwünscht; bestimmte Kompositionsformen verpönt. Entlehnungen aus der griechischen Sprache scheinen (außer in hochoffiziellen Zusammenhängen) das geringere Übel, aber sie werden durch Zitatformeln so lange entschuldigt, bis ein Wort „das römische Bürgerrecht erhalten hat“ ⫺ eine geläufige Metapher; z. B. Seneca (ca. 4⫺65 n. Chr.), Epistulae morales 120,4: per analogiam […] Hoc verbum, cum Latini grammatici civitate donaverint, ego damnandum non puto. Dies, obwohl die Grammatiker den Ausdruck analogia nur in einem begrenzten Sinn verwenden, während es Seneca um einen Analogieschluß vom Körper auf die Seele geht. Mit anderen Worten: in Senecas Augen haben die Grammatiker analogia nicht einfach zu einem Element der lateinischen grammatikalischen Fachsprache erhoben, sondern zu einem lateinischen Wort schlechthin, das nunmehr allen Sprechern für alle Themen zur Verfügung steht. Außer dieser Bürgerrechtsmetapher (die erstaunlich weit ausgeführt werden kann: Wenskus 1996) ist wohl schon bei Cicero (106⫺43 v. Chr.) De natura deorum II 36, 91 die Metapher einer seit einiger Zeit außerhalb ihres Ursprungslandes im Umlauf befindlichen Münze belegt; vgl. auch Apuleius, Apologie 38,3. Schwierig wird es für Stubengelehrte wie den Älteren Plinius (23⫺79 n. Chr.), dem auch der Soziolektcharakter vieler Fachwörter peinlich ist. In der Widmung an Kaiser Titus zu Anfang der Naturalis Historia warnt er: ut plurimarum rerum aut rusticis vocabulis aut externis, immo barbaris etiam cum honoris praefatione ponendis [sehr viele Dinge haben bäurische oder ausländische, ja sogar barbarische Namen, die mit entschuldigendem Zusatz zu nennen sind]. Mit diesem sprachlichen Snobismus stand er nicht allein ⫺ Quintilian (ca. 35⫺100 n. Chr.) warnt angehende Redner, Fachwörter mit Soziolektcharakter (humilia) auf Kosten der Verständlichkeit durch Umschreibungen zu ersetzen (VIII 2,2 f): als abschreckendes Beispiel nennt er den Redner, den nur ein Zuhörer verstand, als er das Esparto-Gras (Lygeum spartum) hibericas herbas statt spartum nannte, und fügt hinzu, er verstehe nicht, warum ein berühmter Redner den Ausdruck „in Lake haltbar gemachte Fische“ eleganter fand als den dadurch vermiedenen ⫺ den Quintilian selbst freilich nicht nennt. Psycholinguistisch interessant ist die Haltung des wohlinformierten Dilettanten Celsus

26. Reflexionen zu fachsprachlichen Phänomenen in der Antike und Spätantike

(schrieb zwischen 14 und 37 n. Chr.) zu den Ausdrücken für Physiologie und Pathologie der unteren Leibeshöhle. Die Sprache der in Rom wirkenden Ärzte (und oft ihrer Patienten, sobald sie über ihre Krankheit reden) ist Griechisch, so daß Celsus die anatomischen lateinischen Fachausdrücke aus der Gemeinsprache entlehnen muß. Da Celsus zu denen gehört, für die der Gebrauch einer anderen Sprache als der dominanten Anstößigkeiten mildert, schreibt er VI 18,1 apud nos foediora verba [bei uns sind die Ausdrücke häßlicher]; vgl. auch VII 18,3. Seltsamerweise bedient er sich bei der Beschreibung des weiblichen Körpers anderer Strategien als bei der des männlichen, und zwar gerade nicht derer, die eigentlich zu erwarten wären (von Staden 1991, 271 ff): so fehlen in den gynäkologischen Abschnitten die bei ihm sonst häufigen entschuldigenden Zitatformeln. Die römischen Fachschriftsteller bedienen sich des Griechischen jedoch nicht nur aus Gründen des Euphemismus oder mangels lateinischer Entsprechung. Plinius, Naturalis historia IX 52 zu den trichiae: Graecis enim plerisque nominibus uti par erit, quando aliis eosdem diversi appellavere; d. h. er insinuiert, er habe sich für den griechischen Fischnamen trichia entschieden, um eine Aufzählung lateinischer Regionalismen zu vermeiden. Nun zählt er sonst aber, seinen griechischen Quellen folgend, ganze Serien griechischer Regionalismen auf; in XXIII 23 gleich sieben; also liegt wohl auch IX 52 eine Bequemlichkeitsentlehnung vor. Dennoch ist Plinius’ Vorschlag, Regionalismen durch neutrale Internationalismen zu ersetzen, als intellektuelle Pionierleistung zu würdigen. 3.2. Das Problem der Verständlichkeit ist nicht nur das Hauptthema der praefatio von Vitruvs (Ende des 1. Jh. v. Chr.) De architectura V ⫺ immer wieder betont Vitruv, er habe so deutlich geschrieben wie möglich (quam apertissime). Er zeigt sich der Grenzen der Fachsprache bewußt: die notwendigen Fachausdrücke sind ungewohnt (inconsueto sermone), aber oft macht auch die Schwierigkeit der Materie (obscura res) eine allgemeinverständliche Beschreibung unmöglich: wer die Beschreibung der Wasserorgel nicht verstehe (X 8,6) ⫺ und dies seien alle, die in solchen Dingen nicht praktisch bewandert seien ⫺ werde aus eigener Anschauung (cum ipsam rem cognoscat) dennoch finden, daß alles sorgfältig und geschickt eingerichtet sei. Großen Wert legt Vitruv auf eine benutzerfreund-

299

liche Gliederung: er selbst habe seine Schrift in möglichst kurze autonome Einheiten aufgeteilt, und zwar so, daß der Leser sich die nötigen Informationen nicht aus verschiedenen Stellen zusammensuchen brauche (V praef. 5). 3.3. Wenn wir die praefatio zu Vitruv V wörtlich nehmen, schreibt der Autor für unter Zeitdruck stehende Laien; die praefatio von I spricht Kaiser Augustus nicht nur als Adressaten, sondern auch als Benutzer des Gesamtwerkes an. Aber hier dürfte es sich um praefatio-Topik handeln: When the dedication becomes an obligatory courtesy to a higher person, statements as to the interest of the recipient becomes a fiction (Janson 1964, 102 f). Beiläufige Bemerkungen über die Werke anderer sind in der Regel aufschlußreicher, z. B. wenn Plinius d. Ä. sich über die römischen Pharmazeuten beklagt, welche nur ihnen bekannte Pflanzen knapp und nur mit dem Namen aufgezählt hätten: Namque et hoc vitio laboravere proximi utique herbarii nostri, quod ipsis notas veluti vulgares strictim et nominatim tantum indicavere (Naturalis historia XXVII 67). Vermutlich waren die Schriften, die Plinius kritisiert, zur innerfachlichen Kommunikation bestimmt. Gerade an den landwirtschaftlichen Schriften beklagt Plinius den Mangel an Adressatenorientierung, aber der erste landwirtschaftliche Schriftsteller, der für Bauern verständlich schreibt (und nicht nur I 1,1 behauptet, dies zu wollen), scheint Palladius (ca. 4. oder 5. Jh. n. Chr.) gewesen zu sein (Janson 1964, 133). Die Vorstellung, Inhalt sei (in Fachschriften und überhaupt) wichtiger als Form oder Stil, wird erst in der Spätantike zum Topos (Janson 1964, 133 f). 3.4. Streben nach Vollständigkeit und Aktualität wird am deutlichsten bei Balbus thematisiert, einem Gromatiker der Zeit Trajans (regierte 98⫺117 n. Chr.). Er hatte die Arbeit an der expositio et ratio omnium formarum, also einer Abhandlung über Flurkarten, wegen Teilnahme am Dakerkrieg unterbrechen müssen und schreibt in der praefatio (hrsg. von Lachmann, Schriften der römischen Feldmesser I, 91⫺107): omnium enim, ut puto, liberalium studiorum ars ampla materia est; cui in hac modica re nequid deesset, ingenti animo admoveram vires; d. h. er stellt dem weiten Feld der studia liberalia die verhältnismäßig anspruchslose und begrenzte Teildisziplin gegenüber (Schindel 1992, 386). Trotzdem

300

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

habe es ihn eine gewaltige Anstrengung gekostet, Vollständigkeit im Detail zu erreichen (nequid deesset), und für den Fall, daß ihm dies aufgrund der gewandelten Umstände nicht gelungen sei, bittet er um Nachsicht. 3.5. Streben nach Kürze gehört zwar zur praefatio-Topik (Janson 1964, 96 f) der Fachliteratur, ist aber zumindest im Falle der von Justinian in Auftrag gegebenen Digesten oder Pandekten der Daseinsgrund der Schrift: die Digesten sind eine systematische Sammlung von Exzerpten. Justinian übertreibt nicht, wenn er in seinem Auftrag an Tribonian am 15. 12. 530 schreibt, die rechtswissenschaftliche Literatur übersteige durch ihre Masse und Unübersichtlichkeit die menschliche Aufnahmefähigkeit: ita esse confusum, ut in infinitum extendatur et nullius humanae naturae capacitate concludatur. Kürze soll durch Streichen von Doppelbehandlungen und Polemiken erreicht werden [omni supervacua similitudine et iniquissima discordia]. Kleinere Mängel und Lücken bei den Vorgängern sollten stillschweigend korrigiert werden. Die Kürze soll jedoch nicht zu Unverständlichkeit führen: Zahlen sollen ausgeschrieben werden; rätselhafte Abkürzungen (compendiosa aenigmata) sind zu vermeiden.

4.

Gesamtsicht

Insgesamt läßt sich wohl sagen, daß in der Antike und Spätantike Reflexionen zu den theoretischen Problemen, welche mit der Frage „Was ist Fachsprache?“ verknüpft sind, zwar nicht belegt sind, daß aber über die meisten anwendungsbezogenen Phänomene und Probleme schon früh Überlegungen auf hohem Niveau angestellt wurden. Viele Resultate solcher Überlegungen konnten problemlos in die Praxis umgesetzt werden (wo sie noch heute wirken), besonders solche, welche die Makro- und Mikrostruktur der Texte (einschließlich der Bezüge zu den Illustrationen) betrafen. Die terminologischen Probleme sind hingegen teils grundsätzlich nicht oder nur auf dem Konsenswege lösbar (so das Problem der Krankheitsnamen: da Krankheiten keine ontologischen Einheiten sind, läßt sich nicht sagen, wieviele Krankheiten „es gibt“ und wieviele Namen folglich für sie sinnvoll sind); teils war die Zeit aus wissenschaftsorganisatorischen Gründen für die vorgeschlagene Lösung nicht reif, wie für Plinius’ Vorschlag einer internationalen zoologischen Terminologie.

5.

Literatur (in Auswahl)

Amigues 1988 ⫽ The´ophraste, Recherches sur les plantes, Tome I, livres I⫺II. Texte e´tabli et traduit par Suzanne Amigues. Paris 1988. Effe 1977 ⫽ Bernd Effe: Dichtung und Lehre. Untersuchungen zur Typologie des antiken Lehrgedichts. München 1977 (Zetemata 69). Fuhrmann 1960 ⫽ Manfred Fuhrmann: Das systematische Lehrbuch. Ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaften in der Antike. Göttingen 1960. Irigoin 1980 ⫽ Jean Irigoin: La formation du vocabulaire de l’anatomie en grec: du myce´nien aux principaux traite´s de la collection hippocratique. In: Hippocratica. Colloque hippocratique de Paris (4⫺9 septembre 1978). Hrsg. von Mirko D. Grmek. Paris 1980, 247⫺256. Irmer 1980 ⫽ Dieter Irmer: Die Bezeichnungen der Knochen in Fract. und Art. In: Hippocratica (vgl. Irigoin 1980), 265⫺283. Janson 1964 ⫽ Tore Janson: Latin Prose Prefaces. Studies in Literary Convention. Stockholm. Göteborg. Uppsala 1964. Jouanna 1974 ⫽ Jacques Jouanna: Hippocrate. Pour une Arche´ologie de l’Ecole de Cnide. Paris 1974. Kollesch 1991 ⫽ Jutta Kollesch: Darstellungsformen der medizinischen Literatur im 5. und 4. Jh. v. Chr. In: Philologus 135. 1991, 177⫺184. Langholf 1983 ⫽ Volker Langholf: Symptombeschreibungen in Epidemien I und III und die Struktur des Prognostikon. In: Formes de Pense´e dans la Collection Hippocratique. Actes du IVe colloque international hippocratique (Lausanne, 21⫺26 septembre 1981). Hrsg. von Franc¸ois Lasserre und Philippe Mudry. Genf 1983, 109⫺120. Lanza 1972 ⫽ Diego Lanza: „Scientificita`“ della lingua e lingua delle scienze in Grecia. In: Belfagor 1972, 392⫺429. Lanza 1983 ⫽ Diego Lanza: Quelques remarques sur le travail linguistique du me´decin. In: Formes de pense´e (vgl. Langholf 1983), 181⫺186. Marache 1952 ⫽ Rene´ Marache: Mots nouveaux et mots archaı¨ques chez Fronton et Aulu-Gelle. Rennes 1952. Noack 1992 ⫽ Beate Noack: Aristarch von Samos. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Schrift Peri megetho¯n kai apostemato¯n heliu¯ kai sele¯ne¯s. Wiesbaden 1992. Schindel 1992 ⫽ Ulrich Schindel: Nachklassischer Unterricht im Spiegel der gromatischen Schriften. In: Die römische Feldmeßkunst. Hrsg. von Okko Behrends und Luigi Capogrossi Colognesi. Göttingen 1992. Stückelberger 1994 ⫽ Alfred Stückelberger, Bild und Wort. Das illustrierte Fachbuch in der antiken Naturwissenschaft, Medizin und Technik, Mainz 1994. von Staden 1991 ⫽ Heinrich von Staden: Apud nos foediora verba: Celsus’ reluctant construction of

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance the female body. In: Le latin medical. Hrsg. v. Guy Sabbah. Saint-Etienne 1991, 271⫺296. Wenskus 1982 ⫽ Otta Wenskus: Ringkomposition, anaphorisch-rekapitulierende Verbindung und anknüpfende Wiederholung im hippokratischen Corpus. Frankfurt 1982 (Diss. Göttingen 1982). Wenskus 1990 ⫽ Otta Wenskus: Astronomische Zeitangaben von Homer bis Theophrast. Stuttgart 1990 (Hermes Einzelschriften 55).

301

Wenskus 1996 ⫽ Otta Wenskus: Markieren der Basissprache in lateinischen Texten mit griechischen Einschaltungen und Entlehnungen. In: Indogermanische Forschungen 101. 1996, 233⫺257. Wöhrle 1985 ⫽ Georg Wöhrle: Theophrasts Methode in seinen botanischen Schriften. Amsterdam 1985 (Studien zur antiken Philosophie 13).

Otta Wenskus, Innsbruck

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance 1. 2. 3.

9.

Kulturgeschichte als Vermächtnis Renaissance: Zeitliche Bestimmung Renaissance-Begriff: Mentalitätsgeschichtliche Konturierung Fachliches Handeln Der Künstler als Wissenschaftler und Techniker: Integrative Praxis dreier Fachgebiete Diglossie und Wissenschaftssprachen Fachbezogene Kommunikation Aspekte einer integrativen diachronen Fachsprachenforschung zur Renaissance Literatur (in Auswahl)

1.

Kulturgeschichte als Vermächtnis

4. 5. 6. 7. 8.

Sich mit historischen Kulturstufen zu beschäftigen und sich die jeweils zeitgenössischen Bedürfnisse und die Kommunikationsformen, die dazu zur Verfügung standen, heutzutage zu vergegenwärtigen und (wissenschaftlich) zu analysieren, ist kein nostalgisches Unterfangen, sondern dringende Notwendigkeit einer sich als komplex definierenden Wissenschaft der Kultur des Menschen. Diese ist immer gegenwärtige Vergangenheit ⫺ schon etymologisch steckt in ,Kultur‘ aus lat. colere ,bebauen‘ ein Langzeitbemühen aus dem bäuerlichen Handlungskontext ⫺ und prinzipiell auf eine Weiterentwicklung hin gerichtet, auf einen Fort-Schritt (lat. progressus) in die Zukunft hinein. (Hierzu sei an das traditionsreiche Bild von den ,Zwergen‘ [der jeweiligen Gegenwart wissenschaftlichen Arbeitens] ,auf den Schultern von Riesen‘ [d. h. der Wissenschaftstradition mit ihren akkumulierten und modifizierten Leistungen] erinnert; dazu Merton [1965].) In diesem Sinne ist das arbeitsbezogene, das beruflich spezifische Handeln und Kommunizieren der Menschen in früheren Zeiten ein unverzichtbares Arbeitsfeld für (i) diachrone Erkenntnisse wie auch für (ii) eine angemessene Einschätzung des Standorts gegenwärtigen Denkens und Forschens sowie für (iii) eine fundiert perspektivierte Beurteilung und Prognostizierung der zukünftigen Entwicklungen (vgl. hierzu z. B. Mittel-

straß 1992). Diese Einsicht drängt sich um so mehr auf, als die Periodisierung der Kulturgeschichte der (hier speziell gesehen: abendländischen) Menschheit und Gesellschaftsentwicklungen ihrerseits selbst zwischen ,alt‘ und ,neu‘ (oder ,modern‘), zwischen ,Bestand‘ und ,Umbruch‘, zwischen ,Tradition‘ (oder ,Konvention‘) und ,Innovation‘ unterscheidet und dies stets mit Horizonterweiterungen des menschlichen Geistes, also mit Veränderungen der Denkformen und der Wissensbestände, sowie mit ideologischem, politischem, sozialem und/oder wissenschaftlich-technischem Aufbruch zu unbekannten Ufern rechtfertigt.

2.

Renaissance: Zeitliche Bestimmung

In der historischen Periodisierung nach ,ältester‘, ,alter‘, ,mittlerer‘, ,neuerer‘ und ,neuester Geschichte‘ markiert der Beginn der ,neueren‘ Zeit (üblicherweise ab 15. Jh., gilt bis zum Ersten Weltkrieg 1914) einen umwälzenden Neubeginn auf allen Gebieten des menschlichen Wissens und Könnens und der gesellschaftlichen Entwicklungen. Diesen Beginn kann man zeitlich kaum genau festlegen, umgreift er doch politische, soziale, ökonomische, wissenschaftliche, technische, philosophische sowie künstlerische Prozesse und Veränderungen, die nicht ganz zeitgleich eingetreten sind und auch nicht zu vollkommen koinzidenten Zeitspannen ihre tiefgreifende Wirkung ausüben (vgl. generell zur Problematik Herzog/Koselleck 1987; Keil 1994). Nach dem 14. Jh., dem untergehenden europäischen Hochmittelalter, mit seinen Hungersnöten, verheerenden Kriegen und Pestepidemien, mit dem Verfall der Kirche und dem Aufstieg des Staates als politische und soziale Machtform (Tuchman 1978) dürfte durchaus noch bis ins 16. Jh. hinein das abgeklungene Mittelalter in der aufgebrochenen Ära des jugendlichen Schwungs, der Umwälzungen und der herrschenden Erneuerungen spürbar gewesen sein.

302

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Dennoch bieten die beiden aus zeitgenössischer wie auch aus heutiger Sicht einschneidenden Ereignisse des Jahres 1492 den Anlaß, mit dem sich die neue Epoche vom Mittelalter absetzte (vgl. als ,Stimmungsbilder‘ jener Zeit: Beck 1992 oder Cardini 1989): (i) die erste Entdeckungsreise von Christoph Kolumbus (span. Cristo´bal Colo´n; 1451⫺1506) und die anschließende Ausrichtung des iberischen Europa auf Amerika (vgl. Lucena Salmoral 1990) hin (Entdecker- und Konquistadorenzeit); ⫺ und (ii) die Beendigung der spanischen Reconquista, also die erfolgreiche Vertreibung der Mauren aus ihrem letzten noch verbliebenen westeuropäischen Emirat, nämlich Granada, und somit die Bewahrung des christlichen Abendlandes vor der Gefahr einer Islamisierung (vgl. Vernet 1978; Crespi 1992).

Als grober Umriß gilt, wenn man einen europäischen Zuschnitt anlegt, der mit Italien um etwa 1300 einsetzt, die Zeitspanne 1350 (oder erstes Viertel des 14. Jh.; baugeschichtlich die Zeit der Gotik in Deutschland und Frankreich [Anfang 15. Jh. Spätgotik]) bis etwa 1600 (bzw., wenn man mit Spanien und seinem Siglo/Edad de Oro endet, dem klassischen „Goldenen Zeitalter“ [wie es seit dem 18. Jh. aus speziell literaturgeschichtlicher Sicht für insbesondere den Zeitraum 1520 über die Blütezeit ⫺ Mitte des 16. Jh. bis zum Niedergang der Armada 1588 ⫺ bis ⫺ schon spanische Barockzeit ⫺ 1680 heißt], sogar etwa Mitte des 17. Jh.). Die Periodisierung nach ,Früh-Renaissance‘ (Tre- und Quattrocento), ,Hoch-Renaissance‘ (1500 und erste Hälfte des 16. Jh.) und ,Spät-Renaissance‘ (etwa ab 1520 bis um 1600) richtet sich nach den Entwicklungen im Ursprungsland Italien, wo die Renaissance um etwa 1300 einsetzte (während sie in den anderen Ländern erst im 15. Jh. Bedeutung erlangte). Das Ausklingen dieser bald dreihundertjährigen Epoche wird, wie ihr Beginn, wieder markiert durch geistige Umbrüche; von ihnen ist der gelehrte Streit um die „Alten“ und die „Modernen“ ⫺ Antiqui und Moderni, les Anciens et les Modernes ⫺ (vgl. Perrault 1964; Buck 1976, Kap. VI) eines der untrüglichen Anzeichen für jene „crise de la conscience europe´enne“, wie sie sich in der Zeit 1680 bis 1715, der Übergangszeit hin zur Aufklärung, austrägt (dazu Hazard 1935; 1946; s. auch Stierle 1987).

3.

Renaissance-Begriff: Mentalitätsgeschichtliche Konturierung

Mit dem Begriff ,Renaissance‘ werden speziell aus italienischer Sicht, die aber dann

auf insbesondere die französische Auffassung abgefärbt hat, fünf glanzvolle Aspekte gewürdigt [s. u. (1) bis (5)], die bis dahin ⫺ also zuvor in der Welt des Mittelalters ⫺ nicht im Mittelpunkt des Denkens und der Philosophie, der Ästhetik und Kunstauffassung sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz und individuellen Leistungsbestimmung gestanden hatten: (1) Die Anbindung an die griechisch-lateinische ANTIKE, deren (1 a) literarische und nicht-literarische (fachbezogene, wissenschaftliche) Originalwerke man wieder entdeckte und intensiv studierte (und gerade deshalb vielfach überhaupt der Nachwelt erhielt) sowie, oft über arabische Vermittlung, in die eigene Volkssprache übersetzte, wobei auch originale arabische (insbesondere naturwissenschaftliche [Astronomie, Physik, Mathematik] und medizinische) Werke Beachtung fanden (Buck 1969 b; Schipperges 1976; Vernet 1978; Strohmaier 1995). (1 a.a) Das ist hauptsächlich eine Leistung der Humanisten (ital. [Sing.] umanista; vgl. Böhme 1984; 1986), also jener Rhetoriklehrer, Gelehrten und Literaturbegeisterten, die sich mit den antiken Philosophen, Dichtern, Rednern und Historikern auseinandersetzten, sich mit ihren Werken philologisch beschäftigten und über Konfessions- und Ländergrenzen in Europa hinweg durch rege (natürlich lateinisch geschriebene) Korrespondenz und intellektuellen, kritischen Austausch sowie durch eigene (auf Latein verfaßte) literarisch-philosophische Werke ein zeitgenössisches Menschenbild entwarfen, das vor dem Hintergrund der als universell geschätzten Normen der Antike (i) geprägt war von der prinzipiellen „Hinwendung zum Menschen, in seiner vorzüglich diesseitigen Bestimmung und natürlichen Würde, seiner autonomen Individualität und seiner schier unbegrenzten Fähigkeit zur Vervollkommnung“ (Teller 1989, 607); in dieser Haltung entfaltete es sich von dem (ursprünglichen) italienischen Humanismus (von Petrarca bis zu Ficino reichend) zu einem europäischen RenaissanceHumanismus (mit dem großen Europäer Erasmus von Rotterdam [1466/1469⫺1536] im Zentrum, aber auch Nicolaus von Cues, Ulrich von Hutten, Philipp Melanchthon, Thomas Morus, Leonardo Bruni, Lorenzo Valla, Guillaume Bude´, Antonio de Nebrija, Juan Luis Vives u. a.) und blühte schließlich, in einer dritten geistesgeschichtlichen Periode, im deutschen Humanismus um Wilhelm von Humboldt (1767⫺1835) nochmals im Sinne „einer pädagogischen Bewegung, deren bildungsphilosophische Substanz der Antike entlehnt ist“ (Böhme 1984, 13), auf (1908 findet sich erstmals die dafür seitdem eingebürgerte Bezeichnung ,Humanismus‘ [Böhme loc. cit.]); und es war (ii) das Menschenbild geprägt von einem sicheren Wissen um den menschlichen

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance Eigenwert, das in einem neuen Selbstbewußtsein des Individuums gründete: „Noch nie wurde so breit, tief, differenziert und vielfältig über den Menschen nachgedacht wie jetzt. Das über sich selbst reflektierende Individuum ⫺ z. B., indem es ein Menschenbild schafft ⫺ wird als ein Hauptcharakteristikum der Renaissance verstanden. Jules Michelet und Jacob Burckhardt glaubten, in der Kurzformel ,Entdeckung der Welt und des Menschen‘ das Wesen der Renaissance erfassen zu können. Ähnlich formulierten es andere als Übergang vom Theozentrismus (des Mittelalters) zum Anthropozentrismus.“ (Gurst 1989, 465)

(1 a.b) Der Beweggrund für das neue Interesse an den antiken Schriften und Zeugnissen und für das oft mühselige Vordringen ,zu den Quellen‘ (ad fontes) (Erasmus von Rotterdam), ,um das Wesen der Dinge zu erkennen‘ (rerum cognoscere causae), verdient ausdrückliche Erwähnung: „Es ist bekanntlich eine der zentralen Leistungen der humanistischen Bewegung seit dem ausgehenden 14. Jh., eine Vielzahl antiker Texte wieder zugänglich zu machen. Dies gilt nicht nur für den Bereich der studia humanitatis, sondern gleichermaßen für die Mathematik, die Astronomie, die Geographie u. a. m. So haben die Humanisten den Mathematikern etwa fast das gesamte Korpus der mathematischen Schriften der Griechen neu zur Verfügung gestellt, und von ähnlicher Bedeutung war, daß die gesamte platonische Tradition wieder verfügbar wurde. [Fn.] Die reine Vermehrung des Wissensfundus ist jedoch […] noch nicht das Ausschlaggebende. Entscheidend ist vielmehr, daß diese Vermehrung des Wissensfundus an ein spezifisches Erkenntnisprinzip gebunden ist, das zugleich erklärt, warum die Humanisten geradezu ,besessen‘ nach immer neuen Texten suchten. Dieses Erkenntnisprinzip basiert darauf, daß die Konstitution von Erkenntnis nicht auf einer wie auch immer näher zu bestimmenden Beobachtung von Wirklichkeit beruht, sondern auf der Auslegung von Texten.“ (Hempfer 1993 b, 38; vgl. auch Buck 1969; 1981, 75) Die erwähnten studia humanitatis, nach denen ab ca. 1500 die damit beschäftigten Gelehrten ,Humanisten‘ genannt wurden, verfolgten die Wertschätzung von Ethos, Wissen und Religion (vgl. Müller 1969) und umfaßten als gelehrte Künste Grammatik, Rhetorik, Dichtkunst (Poetik), Geschichte und Ethik (Moralphilosophie; vgl. ,Moralisten‘ [Beschäftigung mit den menschlichen Verhaltensformen, lat. mores]; vgl. z. B. Strosetzki 1991); sie setzten sich hierin, bei intensiver Lektüre der klassischen Autoritäten, von der mittelalterlichen Scholastik (Blüte 13. Jh.) (Bernhard von Clairvaux [1090⫺1153] u. a., sowie die beiden Vermittler des aristotelischen Wissensfundus: Albertus Magnus [ca. 1193⫺1280], Thomas von Aquin [ca. 1225⫺ 1274] u. a.) ab, die auf Logik, Naturphilosophie

303

und Metaphysik Wert gelegt und das Durchdringungsverhältnis von Verstand (wissenschaftlicher Erkenntnis) und (christlichem) Glauben diskutiert hatte („Credo ut intellegam“; Anselm von Canterbury [1033⫺1109]).

(1 b) Desweiteren beschäftigten sich die Zeitgenossen mit den antiken Bauwerken und künstlerischen Objekten, wie sie mannigfaltig in Italien und Griechenland greifbar waren (oft auch erst ausgegraben wurden, um sie zu vermessen und ihre Schmuckformen abzuzeichnen). Man anerkannte sie als für die eigene Zeit maßgebend und vorbildhaft (modern gesprochen: als prototypisch) und prüfte sie auf die ihnen inhärenten Proportionengesetze und Harmoniegefüge hin. Dazu studierte man ⫺ insbesondere BAUMEISTER wie Filippo Brunelleschi (1377⫺1446), dessen Baukunst sich an der ersten weitspannenden Kuppel ⫺ am Dom zu Florenz ⫺ mit der neuen Zweischalentechnik bewies und dessen herausragendes kunsttheoretisches Verdienst in der Entdekkung der Zentralperspektive für bildliche Darstellungen liegt (um 1420), die nicht nur die Malerei fortan beeinflußte, sondern auch den Weg ebnete zur dreidimensionalen exakten technischen Konstruktionszeichnung (sie wurde allerdings erst 1600 [6 Bücher, Bologna] von dem italienischen Mathematiker Guidobaldo Marchese del Monte [1545⫺ 1607] exakt und systematisch als Theorie der Perspektive gefaßt [Gurst/Hoyer/Ullmann/Zimmermann 1989, 538]); Donato Bramante (1444⫺1514) und Andrea Palladio (1508⫺1580) (der selbst Quattro libri dell‘architettura ,Vier Bücher über Architektur‘, 1570, verfaßte) sowie ARCHITEKTURTHEORETIKER wie insbesondere Leon Battista Alberti (1404⫺1472; De re aedificatoria, 1485), Sebastiano Serlio (1475⫺1554) und Giacomo Barozzi da Vignola (1507⫺1573), aber auch MALER wie Raffael (eigentl. Raffaello Santi; 1483⫺1520), Albrecht Dürer (1471⫺1528) und Leonardo da Vinci (1452⫺1519) ⫺ die antiken Architekturlehren, vor allem den zehnbändigen handbuchartigen Traktat De architectura des Römers Vitruv[ius] (1. Jh. v. Chr.), eine Art „Bibel der Renaissancearchitekten“ (K. Büchner), hier insbesondere von Alberti (s. o.).

(1 c) Die ausdrückliche Anbindung an das Wissen, an die Fähigkeiten und an die Leistungen der Antike, wie sie sich in ihren literarischen, architektonischen und künstlerischen Zeugnissen offenbaren, ließ eine kreative und propulsive Bewußtheit für eine europäische kulturhistorische, in der Antike wurzelnde Tradition nach einer als barbarisch, dogmatisch und dunkel beurteilten Zwischen- oder Unterbrechungszeit (eben dem ,Mittel-Alter‘, lat. medium aevum) entstehen.

304

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

(Das Mittelalter seinerseits, insbesondere seine Baukunst, die [als ,deutsch‘ verstandene] Gotik, wurde dann Anfang des 19. Jh.s, ebenfalls im Sinne einer Erstellung von Kontinuität durch Aufdekkung von Tradition, in der Romantik wiederentdeckt).

Die Renaissance-Humanisten bemühten sich darum, mit ihrem Rückgriff auf das als „authentisch“ eingeschätzte Wissens- und Gedankengut der Antike diese angebliche Dunkelheit des Mittelalters (Stierle 1987) zu einer neuen Dynamik aufzulösen. Immerhin gab es im Mittelalter neben der hohen Wertschätzung von Handschriften, Drucken und Büchern als „kontinuitätsstiftende Träger menschlichen Wissens und göttlicher Weisheit“ auch „antiliterarische Skepsis“, da Bücher angeblich die „authentische religiöse Erfahrung“ verhindern. „ ,Heilige Einfalt‘ (sancta simplicitas), ,heilige Ungebildetheit‘ (sancta rusticitas) und ,wissende Unwissenheit‘ (docta ignorantia) verbürgten nach Ansicht der Väter bessere Heilschancen als vernünftiges Wissen (scientia) und intellektuelle Neugierde (curiositas)“ (Schreiner 1984, 2).

(1 d) Die Sinnhaftigkeit einer Anbindung an die Antike wird erst in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s immer schwächer empfunden. Diese Entwicklung setzt ein, (i) zum einen wegen der Veränderungen im Selbstverständnis der Intellektuellen und praktizierenden Fachleute: „Um 1450 war der Naturwissenschaftler entweder ein humanistischer Gelehrter, oder er stand dem Magier bedenklich nahe. Um 1630 war er entweder ein Gelehrter neuer Art oder ein handwerklicher Techniker“ (Boas 1962, dt. Übers. 1988); ⫺ (ii) zum andern aber, weil die Gegenreformation (Aktionen des Katholizismus ⫺ ausgehend von den spanischen Jesuiten ⫺ etwa zwischen 1555 und 1648 gegen die protestantische Reformation) den noch im 14. und 15. Jh. blühenden Antike-Kult und die vorbildgebende Antike-Rezeption dann als Beschäftigung mit heidnischer Kultur zurückdrängt; und sie weicht auch schon vorher einem wachsenden ausgesprochenen Modernitäts-Bewußtsein, mit dem sich zugleich die geistige Regsamkeit geographisch vom Süden (Italien) zum Norden (Frankreich, England, Deutschland, Niederlande) hin verlagert und dabei Aspekte einbringt wie (a) die Ablösung der geistigen ,Beharrung‘ durch nunmehr ,Bewegung‘ (d. h. geistige Offenheit für kulturelle Fremdheit, verstärktes Reisen, selbstkritischer Begriff von ,Zivilisation‘ [Elias 1997] trotz gegensteuernder Zensur u. a.), ⫺ (b) Kampf gegen die ungeprüft übernommenen Überlieferungen durch die Rationalisten und folglich hohe Reputation des Begriffs ,Vernunft‘ als ,kritisches Vermögen‘ (die französische Klassik des 17. Jh.s findet mit Rene´ Descartes [1596⫺1650] zu einer kritischen, wie die Mathematik Gewißheiten schaffenden Methodologie [sein Discours de la Me´-

thode pour bien conduire sa raison et chercher la ve´rite´ dans les sciences, 1637, mit der berühmten Formel „Je pense donc je suis“ ist zudem, wenngleich noch in deutlich anklingendem lateinischen Stilduktus, das erste französisch geschriebene wissenschaftlich-philosophische Werk], und Immanuel Kant wird 1784 die Frage „Was ist Aufklärung?“ gerade mit diesem Aspekt beantworten: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“); ⫺ (c) Durchbruch einer experimente-gesteuerten Wissenschaft aus einer bis dahin geltenden antikenorientierten, eher spekulativen und bibelgebunden-religiösen Haltung hin zu einem breitenwirksamen Fortschrittswillen (Wissenschaft zur gesellschaftlichen Kenntnisnahme; vgl. Kalverkämper 1984; 1989; 1996). Diese Ablösungsphase gegen Ende des 17. Jh.s faßt Hazard (1935, zit. nach der dt. Übers. o. J., 21) in folgende Gegenüberstellung zu ihrer fast dreihundertjährigen Zeitspanne davor: „Welch ein Kontrast! Welch unvermittelter Übergang! Hierarchie, Disziplin, eine von der Autorität gesicherte Ordnung, Dogmen, die das Leben mit fester Hand regeln, das liebten die Menschen des 17. Jahrhunderts. Zwang, Autorität, Dogmen, das hassen die Menschen des 18. Jahrhunderts, ihre unmittelbaren Nachfolger. Die ersteren sind christlich, die letzteren antichristlich; die ersteren glauben an das göttliche Recht, die anderen an das Naturrecht; die einen fühlen sich wohl in einer Gesellschaft, die in höchst ungleiche Klassen aufgespalten ist, die anderen träumen von nichts als Gleichheit.“

Mit dieser als ⫺ im Sinne von Voltaire ⫺ eingeschätzten „Revolution“ endet die Zeit der Renaissance. (2) Die ,SCHÖNHEIT‘ durch ,Harmonie‘ (die ihrerseits als das Ergebnis von inhärenten Proportionengesetzen und folglich von beachteten Proportionen im rechten Maß, also als eine meßbare, konstruierbare Erscheinungsform begriffen wird) als darstellungswürdige Qualität, gerade auch der künstlerischen Ästhetik (vgl. Jäger 1990); ⫺ (3) die Durchsetzung betont WELTLICHER WERTE gegen den immer noch (aus dem Mittelalter überkommenen) beherrschenden Einfluß der Kirche; ⫺ (4) das praktisch unbegrenzte Vertrauen in den Menschen ⫺ in sein Wissen und Können sowie in seine Fähigkeiten und Möglichkeiten, diese beiden (als ,Theorie‘ und ,Praxis‘) zu vervollkommnen und zu vermehren ⫺ und somit die PRIMATSETZUNG DES INDIVIDUUMS, was sich dann auch künstlerisch manifestiert in der Entstehung einer eigenen Porträtkunst (das erste bekannte Porträt zeigt den König von Frankreich Johann II. der Gute [König 1350⫺1364]; vgl. auch Schneider 1992) und in der zunehmenden

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance

Signierung des Kunstwerks durch den Künstler als sein Werk, was die mittelalterliche Haltung einer gottwohlgefälligen Künstlertätigkeit, die sich bescheiden selbst bis in die Anonymität zurücknimmt, ablöst (als erster Signierender wird von der Kunstgeschichte üblicherweise Albrecht Dürer genannt; daß sich im Mittelalter aber auch schon „Künstlerstolz“ manifestiert, bringt Claussen [1981] zur Sprache); ⫺ (5) die von gerade diesem neuen Menschenbild getragene NEUGIER (Wissensdurst, Forschungsdrang, intellektuelle Entdeckerfreude, Lernbegierde; lat. curiositas (studentium) als in der mittelalterlichen Bildungstheorie zentraler Begriff [vgl. Blumenberg 1966, 285 ff, 297 ff, 307 ff, 350 ff]) gegenüber seiner Umwelt, gegenüber der Natur, hier (i) gegenüber dem „Mikrokosmos“, soweit er die erfahrbare und sichtbare Welt betraf und instrumentell (z. B. Vergrößerungsgläser, Brillen, Mikroskop, Analyse-Besteck) dem sezierenden Prüfen und gedanklich geleiteten Experiment zugänglich war, und (ii) gegenüber dem „Makrokosmos“ (,Weltall‘), soweit er sich mit den technischen Hilfsmitteln (speziell dem Fernrohr mit seinen glasherstellerisch und schleiftechnisch verfeinerten optischen Linsen) und dem mathematisch-physikalisch geschulten Geist erobern ließ. Es wird dann der Aufklärung im 18. Jh. obliegen, die erarbeiteten Fakten und die angesammelten Erkenntnisse zu sichten, neu zu ordnen und in ein wissenschaftssystematisches Gesamtkonzept zu bringen; als die mentalitätsgeschichtliche und kulturhistorische Kulmination solcher Bemühungen wird die Encyclope´die, ou Dictionnaire raisonne´ des Sciences, des Arts et des Me´tiers (Paris 1751⫺1780), herausgegeben von Denis Diderot und Jean Le Rond D’Alembert, diese hohe Aufgabe erfüllen (hierzu die berühmten drei Bäume des Wissens ⫺ Francis Bacon, Ephraim Chambers, Diderot/ D’Alembert ⫺ in der vergleichenden Darstellung von Darnton 1984, Kap. 5; vgl. auch Sˇamurin 1964).

4.

Fachliches Handeln

(a) Philosophie (Humanismus) und Bildung, Kunst und Wissenschaft, Natur und Mensch, Religion und Forschung, Antike und ,Neuzeit‘ (letztere zeitgenössisch verstanden als rückgebundene oder wiederaufnehmende Gegenwart für die Zukunft) kreisen um den zentralen Aspekt ,fachliches Handeln‘, ,Kommunikation im Fach‘, spezieller auch: ,wissenschaftlicher Diskurs‘, gerade dieser als

305

schriftliches Zeugnis vorzugsweise ausgelegt als Dialog (vgl. Kalverkämper 1996). Das ideale Menschenbild der Renaissance ließ dabei die ,Fachlichkeit‘ der Handlungen und Themen auf einem relativ unspezifischen, wenngleich durchaus hohen Niveau beginnen, vergleichbar mit dem heutigen Begriff der ,fundierten Allgemeinbildung‘ oder des ,vertieften Laienwissens‘ oder der ,interessegeleiteten (oder motivierten) Breitenkenntnisse‘. (b) Die Renaissance selber bietet dafür das Konzept des uomo universale an, wie er z. B. in den beiden berühmtesten Regelwerken und Erziehungsbüchern jener Zeit für gesellschaftliches Wohlverhalten und gepflegt-anspruchsvolle Konversationskultur entworfen und als Ideal des wohlerzogenen Umgangs und einer ganzheitlich interessierten Bildung gerade auch im fachlichen Wissen vorgestellt wird: (i) Il Libro del Cortegiano (,Das Buch vom Hofmann‘, ,Der Hofmann‘, Urbino 1528) von Baldassarre Castiglione (1478⫺1529) (vgl. Castiglione 1986; auch die Darstellung von Peter Burke zum ,Höfling‘ in Garin 1988, Kap. 4; zudem Hinz 1992), dem „Mitschöpfer von Lebensformen“, „die einige Jahrhunderte lang die menschliche Gesellschaft des Abendlandes bestimmten“ (Fritz Baumgart, zit. n. Roger Willemsen in Castiglione 1986, 429) und dem in der Tat Il Principe (,Der Fürst‘, 1513 erste Fassung, als Buch Firenze 1532) von Niccolo` Machiavelli (1469⫺1527) ergänzend zur Seite gestellt werden muß, wohl gemeinsam mit Erziehungsidealen und Bildungsansprüchen, die Leon Battista Alberti (1404⫺1472) in seinem ⫺ neben Traktaten zur Kunsttheorie der Renaissance ⫺ Hauptwerk Della Famiglia (1434⫺1441) für den Typus des bürgerlichen Familienvaters und in Momus (nach 1443) für den Fürsten als Verantwortungstragenden für seine Untertanen entwirft, und die Pietro Aretino (1492⫺1556) mit seinen Sittenbildern Lettere (,Briefe‘, 6 Bände 1537⫺1577) und I Ragionamenti (,Kurtisanengespräche‘, 1534⫺ 1539) für ein Epikureertum ins Feld führt, und die letztlich in die Aufklärungszeit zu den lebenspädagogischen Weisungen, den Konversationsanleitungen und den Benimmbüchlein (vgl. Strosetzki 1978), besonders berühmt das des Adolph Freiherrn Knigge (1751⫺1796) (Über den Umgang mit Menschen, 2 Bände, 1788), überleiten; ⫺ und (ii) Il Galateo (Galateus) (,Traktat über die guten Sitten‘, 1558, als Buch Milano 1559) von Giovanni Della Casa (1503⫺1556) (vgl. Della Casa 1984; 1988).

Der uomo universale, der der französischen Klassik und Aufklärung, insbesondere zwischen 1650 und 1750, Leitmerkmale für das Gesellschaftsideal und die fachlichen Kenntnisse und die Ansprüche an ein Breitenwissen des honneˆte oder gentil homme (engl. gentle-

306

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

man), der honneˆte femme, der gens du monde vermittelt (vgl. Kalverkämper 1984; 1989), „kann Humanist, Kaufmann, Künstler, Patrizier, Bankier, Aristokrat, Kleriker sein, aber außerdem vieles mehr oder kann vieles mehr. Hinter den Hauptcharakteristika der geistigen und körperlichen Vollkommenheit verbergen sich Eigenschaften wie Selbstbewußtsein, Klugheit, Bildungsstreben, Realitätssinn, Kenntnis der Welt, der Antike, der alten Sprachen, musische Bildung und Aktivität (bei Nichtkünstlern meist dilettierend), Schönheitssinn und -streben, Tugend, Toleranz, Schöpfertum, Selbstdisziplin, Fleiß, Daseinsbejahung, Gewandtheit, körperliche Kraft. Manchmal wird auch Frömmigkeit gefordert, […].“ (Gurst 1989, 466 f). (c) Dieser Menschentyp, sei er auch im einzelnen idealisiert, lenkt mit einer dem Zeitgeist entsprechenden Selbstverständlichkeit den Blick auf das fachliche Handeln, auf die Arbeit und ihre Einschätzung, insbesondere ihr gesellschaftliches Ansehen, dann natürlich auch auf den Ausführenden selbst sowie auf seine Möglichkeiten, sich über seine wissenserfordernden, ausbildungsgebundenen, modern gesagt: qualifizierten Leistungen auch entsprechend ausdrücken und unterhalten zu können. Zeitgenössisch finden sich bei Leon Battista Alberti (1404⫺1472), Paracelsus (1493⫺1541), Johann Calvin (1509⫺1564) und dem Kalvinismus, Giordano Bruno (1550⫺1600), Michel de Montaigne (1533⫺ 1592) und Francis Bacon (1561⫺1626) „Ansätze zu einer Achtung der Arbeit“ (Gurst 1989, 467). Diese erfährt über die Kunst ⫺ für die Renaissance die Königin der erarbeiteten Leistungen ⫺ ihre gebührende Beachtung. Das geschieht, wie allein schon der Beruf des Bildhauers ⫺ Michelangelo zum Beispiel ⫺ verdeutlichen mag, in der Gemeinschaft von (i) vorhandwerklichem Abwägen (z. B. bei der Wahl bestimmter passender Marmorarten je nach Auftrag), (ii) handwerklichem Können bei der Bearbeitung des Materials, (iii) künstlerischer Gestaltungskraft, (iv) ästhetischem Beurteilungsvermögen auch im Vergleich mit den Werken anderer Künstler sowie (v) kunsttheoretischen Kenntnissen (z. B. zu Proportionen, Perspektiven, Farbgesetzen, sozialen Konventionen [wichtig z. B. bei Porträts oder kirchlichen Aufträgen], Motivtraditionen, symbolischen Anspielungen, Möglichkeiten des Experimentierens mit neuen Ideen, u. a.).

5.

Der Künstler als Wissenschaftler und Techniker: Integrative Praxis dreier Fachgebiete

In der vielfach existierenden fachspezifischen Personalunion von Künstler, Erfinder und For-

scher (Wissenschaftler) zeigen sich die Vereinigung ehemalig getrennter Aktivitäten und ein neu sich anbahnendes Verständnis von ,Kunst‘ und von ,Wissenschaft‘. Gerade diese beiden bewegen sich in der Renaissance deutlich aufeinander zu, und herausragende Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci (1452⫺ 1519), Michelangelo (1475⫺1564) oder Albrecht Dürer (1471⫺1528) verfolgen ihre Kunstausübung mit eigenen Reflexionen zu einer (d. h. ihrer) Kunsttheorie und leiten daraus dann wieder praktische, oft (wegen der sich immer stärker durchsetzenden Artillerie) militärisch gedachte Umsetzungen ab. Diese nehmen zum Teil gigantomane Ausmaße an, die eher Zeugnis ablegen von einem an der ökonomischen Realisierbarkeit kaum interessierten, aber technikverliebten und im Erfindergeist die alten Ketten mittelalterlicher Scholastik sprengenden Ausspielen des Denkbaren (Wehrbauten, Festungsanlagen, Angriffs- und Verteidigungsmaschinen, Belagerungsgeschütze, logistische Konstruktionen, ballistische Berechnungen).

Deren praktische Bewährung (z. B. im Stadtbefestigungsbau, bei Bewässerungsprojekten, im Kriegsfall, u. a.) läßt die Mathematik, speziell die Geometrie, und die Physik (Naturgesetze) in den Mittelpunkt des Interesses rükken, und so verbinden sich auch hier (mathematische) Anwendungsbereiche und ihre theoretische Fundierung. Die Kunst repräsentiert somit nicht mehr, wie noch im Mittelalter, ganz selbstverständlich ein religiös bestimmtes Lebensgefühl; vielmehr verändert sie sich zu einer Bekundung der Weltlichkeit, der Zugewandtheit zu den Phänomenen dieser Welt und ihren Anforderungen, selbst dort, wo sie für religiöse Zwecke gedacht ist oder von der Kirche in Auftrag gegeben wird. Auf diese Weise wandelt sich die bildungsinhaltliche Kunst des Mittelalters zu einer nunmehr mit den Formund Wirklichkeitswerten des Kunstwerks jonglierenden, also letztlich ästhetisierenden Kunst. Entsprechend verändert sich auch der soziokulturelle Kontext, in den der Künstler und sein Selbstverständnis, das Kunstwerk, das Anliegen der künstlerischen Mitteilung, der Auftraggeber, natürlich auch das betrachtende Publikum eingebunden sind und eine neue Öffentlichkeit des Kunstschaffens erstellen: An die Stelle der Gläubigen treten mehr und mehr die Kunstliebhaber; folglich ersetzt der Kunstsammler den frommen Stifter von ehemals; verdrängen damit also der ästhetische Genuß und die beglückende Kunsterfahrung voll Sinneslust das frühere andächtige Erschauern.

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance

Es verwundert somit durchaus nicht, daß die Reflexion der neuen Intentionen und des Ausspielens handwerklicher Möglichkeiten eine kunstwissenschaftliche und sogar ästhetiktheoretische Kommunikation mit Traktaten und fachlich (bei durchaus belehrend-anweisendem Ton) darlegenden Büchern in Gang bringt, wenn auch noch recht zaghaft und an die herausragenden Geister der Zeit gebunden. Kunst und Wissenschaft sind also noch ineinander verwoben, verwerten sich gegenseitig, schaffen jeweils die Voraussetzungen für beiderseitigen Fortschritt in der RenaissanceGesellschaft. Das sei nicht vergessen, wenn nun noch die handwerkliche (s. u. 5.1.), dann die (natur-)wissenschaftliche Komponente (s. u. 5.2.) stärker (aber notgedrungen nur auszugsweise) in den Vordergrund rücken sollen. 5.1. Die Handwerke (a) So dürfte offenkundig sein, daß bei den HANDWERKEN die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metall-Lettern (Stempelschneiden, Matrizenschlagen, Letterngießen) durch Johannes Gutenberg (um 1397⫺ 1468) neben theoretischem, übergeordnet inventorischem Wissen und hohem handwerklichen Können auch ästhetisch-künstlerische Voraussetzungen verlangte, wie die an den alten Handschriften orientierte Anlage der 42zeiligen Mainzer Bibel (1442⫺1456) belegt (vgl. Bologna 1995). Entsprechendes gilt auch für die Kartographie, die sich in der Renaissance gerade in dieser Gemeinschaft von Wissenschaft (Verbesserung ihrer „Methodologie und Systematik durch die im Mittelalter verlorenen mathematischen Grundlagen“ [Wilsdorf 1989, 375]) und handwerklicher ⫺ dabei oft neuartig experimentierender ⫺ Praxis (neue „zeichnerische Ausdrucksformen“ wie „Symbole, Schraffuren, Beschriftungsvarianten“ [Wilsdorf 1989, 375]) bei künstlerischer Umsetzung im Rahmen des Möglichen (farbige Anlage des Kartenbildes) stark entwickelt: „Auf Breiteninformation mit ästhetischer Wirkung bedacht, fand sie im Holzschnitt wie im Kupferstich Möglichkeiten zur Vervielfältigung ihrer hart erarbeiteten und mühsam zusammengetragenen Ergebnisse.“ (Wilsdorf 1989, 375) Das Zusammenwirken von Handwerk und (auf die Antike zurückgreifender) humanistischer Wissenschaft zeigt sich hier schon 1492 mit dem Erstellen des ersten Globus als Erdkugel von Martin Behaim (1459⫺1507) in Nürnberg; etwas später schafft

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Martin Waldseemüller (um 1470⫺um 1520) ⫺ der auf seiner „Weltkarte“ von 1507 dem neu entdeckten Kontinent (terra nueva) nach dem italienischen Seefahrer und Kartographen Amerigo Vespucci (1451⫺1512) den Namen America kartographisch zueignen wird ⫺ einen brauchbaren Globus; im Jahr 1554 gelingen dem Duisburger Kartographen und Geographen Gerhard Mercator (1512⫺1594) in der Gemeinschaft handwerklicher und wissenschaftlicher Leistungen, verbunden mit Erkenntnissen aus den Entdeckerberichten und Schilderungen von Seefahrern und Landreisenden, mit Vermessungen grundlegende Verbesserungen der Renaissancekartographie; 1585 wählt er für die Publikation seiner Kartensammlung die Bezeichnung Atlas nach dem Schulterträger der Erdkugel aus der antiken Vorstellung.

Auch in der Hüttentechnik und im Bergbauwesen verbinden sich praktisch-handwerkliche Arbeit und Experimentierfreude mit theoretischen Vorkenntnissen, systematischem Vorgehen und wissenschaftlichen Analysen; so wird etwa 1420 das antike und mittelalterliche Wissen um Metalle um ein achtes Metall erweitert: man kann nun Wismut gewinnen. (b) Während Handwerke wie die erwähnten und natürlich all die vielen weiteren aus der mittelalterlichen städtischen Handwerksorganisation (Zünfte, Gilden, Innungen, u. a.; [vgl. Reith 1990]) mündliche Traditionen der Kommunikation bei ihrer Ausübung (arbeitsbegleitende Fachkommunikation) pflegten und nur in beschränktem Maße die Notwendigkeit von Verschriftlichung spürten, brachte es die fortschreitende Spezialisierung im Zuge der als unausbleiblich erkannten Arbeitsteilung und Vertiefung von Fachwissen und der dadurch entstehenden Konkurrenz durch fachliche Ausbildung und spezialisierte Kenntnisse mit sich, daß sich schriftliche Traditionen der FACHLICHEN KOMMUNIKATION über den Beruf und seine differenzierten Belange herausbildeten. Dies schien zur Festigung der eigenen Identität geraten, entstanden doch trotz oft restriktiver Zunft-Maßnahmen sprunghaft neue Berufsbilder und durchaus gut verdienende Handwerksberufe mit neuartiger technischmechanischer Ausrüstung (Buchdrucker, Schriftgießer, Kupferstecher, Papiermüller, Optiker, Uhrmacher u. a.), aus denen hochdifferenzierte Spezialbetriebe erwuchsen. Es war also dringend notwendig, das erarbeitete Fachwissen schriftlich zu bewahren, zu lehren und in der Dynamik der Entwicklungen natürlich auch zu verändern, um so den aktuellen Stand für die zukünftige weiter speziali-

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

sierte Ausbildung zu sichern. Die Renaissancezeit kann hierzu insbesondere mit lehrenden, anleitenden Werken aufwarten, meist auf Latein geschrieben (Typ: Cosmographiae introductio, 1507, von Martin Waldseemüller) oder, wenn es um summarische Zusammenstellung von „enzyklopädischem“ Globalwissen geht, auf Deutsch geschrieben. So z. B. die Weltchronik des Nürnberger Humanisten und Stadtarztes Hartmann Schedel (1440⫺ 1514), im Juli 1493 in lateinischer Fassung (326 Seiten) erschienen, dann im Dezember 1493 als deutsche Ausgabe (297 Seiten), aber immerhin: beide im Königsformat (47 ⫻ 32,5 cm) und mit 1809 Holzschnitten von 645 Holzstöcken erschienen und „neben den großen Bibelausgaben das aufwendigste und kostspieligste Verlagsprodukt dieser Zeit“ (Schedel 1993, 607), beide Ausgaben „die bilderreichsten Werke der Inkunabel-Zeit überhaupt, neben den großen Bibeldrucken die beiden bedeutendsten Verlagserzeugnisse ihrer Jahre, die in ganz Europa Aufsehen erregten“ (Schedel 1993, 608).

5.2. Die Wissenschaften (a) Bei den WISSENSCHAFTEN, die hier ebenfalls nur angedeutet werden können, vollzieht sich ein grundlegender Wandel in den Methodologien und im theoretischen Gesamtkonzept. Was die Naturauffassung betrifft, so sieht Gloy (1996, 7) einen dreistufigen Zusammenhang im Zeitenlauf: „Die Antike mit ihrer nur intellektuellen Produktion und Rekonstruktion des Kosmos (der Natur), das christliche Mittelalter mit seiner realen Produktion der Welt durch Gott, welche der Mensch aufgrund seiner Ebenbildlichkeit mit Gott nachzudenken vermag, und die Neuzeit und Moderne mit ihrer Tendenz zur realen Produktion der Natur durch den Menschen ⫺ wenn nicht der Welt im ganzen, so doch ihrer Teile.“

Um diesen aktiven Zugriff des Menschen auf seine Welt auch zu seinem Nutzen verwirklichen zu können, bedarf es des Forschens: Forschung für Fortschritt, und so konnte diese Einstellung zur Wissenschaft jene Vorstellung der Antike von einem unverrückbar abgeschlossenen Wissensblock, der dem Denken und Ordnen der Philosophie unterstellt ist, ablösen. Der innovative und ,neu-gierige‘ Geist (lat. curiositas [s. o. Abschn. 3., Punkt (5)]) des nun aufbrechenden WissenschaftsVerständnisses, der die als „wissenschaftliche Revolution“ des 16. und 17. und dann insbesondere des aufklärerischen 18. Jh.s bekannte Umorientierung von der Naturphilosophie und Naturgeschichte zur Naturwissenschaft vorbereitet (vgl. Lepenies 1976), zeigt sich in wissenschaftlichen Entdeckungen und techni-

schen, theoriegeleiteten Erfindungen, die auf allen bis zum 16. Jh. bekannten Gebieten bedeutende und umwälzende Erkenntniszuwächse erbrachten und darüber hinaus Neuland erschlossen, auf dem die geistigen Anstrengungen der späteren Jahrhunderte aufbauen konnten. (b) Als die drei herausragenden Größen des gelehrten Renaissance-Humanismus gelten: (i) der polnische Astronom Nicolaus Copernikus (1473⫺1543), der mit seinem mathematisch-physikalisch-astronomisch berechneten heliozentrischen Weltbild das antike geozentrische Modell (vgl. Ekschmitt 1989; Szabo´ 1992) des letzten großen antiken Naturwissenschaftlers ⫺ Mathematik, Astronomie, Physik ⫺ Klaudios Ptolemaios (Ptolemaeus, ca. 100⫺178 n. Chr.) ablöste und somit neben der Astronomie, Geographie und Mathematik zugleich Philosophie und Theologie grundlegend beeinflußte und veränderte (,kopernikanische Wende‘; vgl. Krafft 1974), indem eine Neubesinnung auf die Stellung des Menschen in der Welt und zu Gott einsetzte; die astronomischen Arbeiten des Italieners Galileo Galilei (1564⫺1642) und des deutschen Astronomen, Physikers und Mathematikers Johannes Kepler (1571⫺1630) bestärkten in dieser Zeit europaweit die neue wissenschaftliche Position; ⫺ (ii) der schweizerdeutsche Arzt, Chemiker und Pharmazeut Paracelsus (Theophrastus Bombastus Aureolus Philippus von Hohenheim, 1493⫺1541), der die immer noch geltenden medizinischen Theorien (so z. B. die Humoralpathologie ,Säftelehre‘) und die dementsprechenden Vorstellungen zu Therapien ablehnte und durch neue, wissenschaftsgestützte Ideen und empiriegeleitete Vorschläge zu ersetzen suchte; ⫺ (iii) der Flame Andreas Vesalius (Vesal, 1514⫺1564), Leibarzt von Karl V. und Philipp II., der das Studium der Anatomie empirisch und systematisch betrieb und, indem er die noch geltenden Lehren der antiken medizinischen Größen (Hippokrates von Kos [459⫺ Mitte 4. Jh. v. Chr.], Galen[os aus Pergamon] [129⫺etwa 200]) durch Empirie (öffentliches Sezieren am Menschen, nicht, wie Galen, an Affen) falsifizierte, als deren Begründer gilt. Als einer der Väter der Chirurgie wird der französische Arzt und „Chirurgien du Roi“ Ambroise Pare´ (um 1510⫺ 1590) genannt (der im übrigen das Französische als Wissenschaftssprache der Medizin gegenüber dem üblichen Latein einführte: Methode de traicter les playes faictes par les arquebuses et aultres bastons a` feu [,Methode, die durch Hakenbüchsen und andere Feuerwaffen hervorgerufenen Wunden zu behandeln‘; 1545]; Dix Livres de chirurgie avec le magazin des instruments necessaires a` icelle [,Zehn Bücher zur Chirurgie mit einem Verzeichnis der für diese notwendigen Instrumente‘; 1564]). Erst 1628 gelingt mit der Entdeckung des Blutkreislaufs durch den englischen Anatom und Arzt William Harvey (1578⫺1657) ein mit Vesalius vergleichbar

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance grundlegender Durchbruch, von Boas (1962, dt. Übers. 1988, 7) richtigerweise neben Galileis brillanten Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo tolemaico, e copernicano (,Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme: das ptolemäische und das kopernikanische‘; 1630) als „Krönung der Arbeit des verflossenen Jahrhunderts“ gestellt. Die Haupt(natur)wissenschaften bezogen sich in der Tat auf den Makrokosmos: es sind die Astronomie, die Mathematik (hier vorzugsweise die Geometrie), die Physik und ihre praktisch-technische Umsetzung, die Mechanik, die ihrerseits ⫺ so mit der Weiterentwicklung von Instrumenten, insbesondere des Fernrohrs ⫺ neue meßbare Erkenntnisse ermöglichte, die wiederum der Falsifikation oder Verifikation, also der wissenschaftlichen Theoriebildung und dem Prüfen des Einzelfalls wie der systematischen Ordnungen dienten. Das Mikroskop, ein in der ausgehenden Renaissance, um 1600, von dem holländischen Brillenschleifer Zacharias Janssen erfundenes Gerät, half beim Eindringen in die Welt des Mikrokosmos.

(c) Die Absetzprozesse der Wissenschaften von den überlieferten und bis dahin ungeprüft übernommenen und weiter gelehrten Meinungen der antiken Naturkundler, Mediziner und Philosophen schon um die Mitte des 15. Jh.s erhielten im 16. Jh., das die entstehende Dynamik und deren Konsequenzen repräsentiert, ihre theoretische Stützung durch die neue wissenschaftliche Methodologie, die der englische Hof- oder Staatsmann und Philosoph Francis Bacon (1561⫺1626) in seinem Buch Two Books of the Proficience and the Advancement of Learning (,Über die Würde und Vermehrung der Wissenschaften‘, 1608), später erweitert als De dignitate et augmentis scientiarum libri IX (,Neun Bücher über die Würde und die Fortschritte der Wissenschaften‘; 1623), und Novum Organum scientiarum (,Neues Organon‘, 2. Teil desselben) im Rahmen seines auf sechs Teile geplanten, aber nur in zweien realisierten philosophischen Werks Instauratio magna (,Die große Erneuerung [der Wissenschaften]‘; 1620⫺1658) ⫺ das Zeitalter der modernen Wissenschaft beginnt! (Störig 1982 II, Kap. 8) ⫺ propagierte: Wissenschaft und Bildung sind, ganz im Sinne der Renaissance, auf das Wohl des Menschen auszurichten und dienen ihm folglich: ,Wissen ist Macht‘ ⫺ das berühmte Dictum ⫺, um mit der Kenntnis der Naturgesetze die Natur handhaben zu können. Dazu ist ein in sich stimmiges, kriteriengeleitetes Ordnungssystem vonnöten (das Bacon als Raster für die einzelnen Disziplinen vorstellt) (vgl. Darnton 1984, Kap. 5). Die Naturgesetze, wissenschaftlichen Ord-

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nungen und ihr System erkennt der Wissenschaftler durch regelbestimmte und methodengeleitete Erfahrung: durch Empirie; deren methodisch günstigste Steuerungsmöglichkeit ist das Experiment. Aus den so gewonnenen Ergebnissen lassen sich allgemeine Aussagen als Erkenntnisse der Naturwissenschaft ableiten: das ist die Methode der Induktion. Damit löst sich die Astronomie von der Astrologie und die Chemie von der Alchimie (vgl. Boas 1962; Buck 1992; Krafft 1992; Telle 1992). (d) Die methodologische Haltung von Empirie und Induktion gab es speziell auf dem Gebiet der Anatomie schon in der 2. Hälfte des 15. Jh.s: hier hatten nämlich die Künstler, insbesondere die Bildhauer, aber auch die Maler, starkes Interesse an besseren, vertieften und detaillierten Kenntnissen zum Funktionieren des menschlichen Körpers und seiner Teile im Ganzen: Antonio Pollaiuolo (1432/33⫺1498), von ihm beeinflußt: Leonardo da Vinci, natürlich Michelangelo sowie Benvenuto Cellini (1500⫺1571) vervollkommneten ihr künstlerisches Können durch genaues anatomisches Wissen, das sie sich mit Sezieren aneigneten. (e) Die Verbindung von Kunst und Wissenschaft in einer Person beweisen die vielen überlieferten Skizzen, Notizen und Studien; auch Fachpublikationen belegen die enge Zusammenarbeit von Renaissancekünstlern und Wissenschaftlern. So z. B. die ersten beiden umfassenden Technikwerke nach dem Mittelalter des „Archimedes von Siena“, Mariano (Daniello di Jacopo), genannt Taccola (1381⫺1453), dem wohl ersten bedeutenden Renaissance-Ingenieur, dessen Manuskripte De ingeniis und De rebus militaribus (De machinis) (,Über das Militärwesen [Über Maschinen]‘, 1449) mit künstlerisch wertvollen Darstellungen kriegstechnischer Geräte sowie praktischer Apparate für Bau und Gewerbe prächtig und unter Zeitgenossen Aufsehen erregend ausgestattet wurden. Auch 100 Jahre später, zur Zeit des Buchdrucks, z. B. De humani corporis fabrica libri septem (,Sieben Bücher über den Bau des menschlichen Körpers‘; Basel 1543, überarb. Aufl. 1555) des Vesalius, ausgestattet mit hervorragenden Holzschnitten des TizianSchülers Jan Stephan van Calcar (ca. 1499⫺etwa 1546).

(f) Die Bilder im (Fach-)Text dienten nun nicht mehr nur allein (i) dem ästhetischen Vergnügen (als Buchschmuck und Textbeigabe), sondern (ii) der fachlichen Information, indem sie den Charakter von (ii.1) sachbezogener Mitteilung, (ii.2) Spezifizierung des Sachanliegens, (ii.3) Steuerung von

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Zuordnungen bei der Rezeption, (ii.4) Handlungsanweisung sowie (ii.5) illustrierender Erklärung textlicher oder auch nicht im Text aufgeführter Information innehaben. Für die medizinischen Traktate und ihre Bebilderungen in den antiken Handschriften und mittelalterlichen Codices gilt dieses Funktionenbündel allerdings ebenfalls (vgl. z. B. Zotter 1986).

Das ,fachliche Bild‘ entsteht so in der Renaissance, mit Leonardo als Begründer der wissenschaftlichen Demonstrationszeichnung (vgl. Braunfels-Esche 1984), als eine eigene semiotische Informationsmöglichkeit aus der Synthese von exakter Wissenschaft, Technik und Kunst (vgl. Kalverkämper 1993 a). So gewinnt auch ein Bild allein, z. B. eine Wasserwelle (ca. 1507) von Leonardo mit ihren Strudeln und Blasen, neben ihrem ästhetischen Ansprechen die Qualität einer wissenschaftlichen Zeichnung, besitzt es die Aussagekraft einer fachlichen Beobachtungsstudie über Strömungsverhalten (vgl. Zammattio/Marinoni/Brizio 1987, 16 f, 38, 114).

Das unterschiedliche Leistungsverhältnis bei der informativen Mitteilung fachlicher Sachverhalte und Zusammenhänge durch geschriebene Sprache und durch bildliche Darstellung hat Leonardo zugunsten einer prinzipiellen Überlegenheit des Künstlerbildes entschieden, sei es in der Technik, sei es bei der anatomischen Beschreibung: „O Schriftsteller, mit welchen Buchstaben wirst du die ganze figürliche Darstellung so vollkommen wiedergeben, wie dies die Zeichnung tut?“ (Zammattio/Marinoni/Brizio 1987, 115). ⫺ Und im Trattato della Pittura (postum ersch. 1550) betont er ebenfalls: „Die Malerei stellt die Werke der Natur dem Verständnis und der Empfindung mit mehr Wirklichkeit und Bestimmtheit vor, als es Worte oder Schriftzüge tun“ (Leonardo da Vinci 1989, 6). ⫺ Weiteres Zeugnis zitiert bei Huberty (1997, 150).

(g) Letztlich bricht hinter solchen Abwägungen die traditionelle Auseinandersetzung über die stets schwelende Konkurrenz der artes (Medizin, Jurisprudenz u. a.) nun auch bei den sogen. Schönen Künsten ⫺ Malerei, Bildhauerei, Architektur, Musik, Dichtung (Poesie und Theater) ⫺ auf, zu der es viele kunsttheoretische Zeugnisse einer Art Renaissance-Ästhetik von zeitgenössischen Künstlern gibt (s. nur z. B. Leonardo da Vinci 1990; er favorisiert in diesem Wettstreit die Malerei).

6.

Diglossie und Wissenschaftssprachen

(a) Die Epoche der Renaissance umgreift einen Zeitraum, an dessen Beginn (i) das Latein ganz selbstverständlich für fachlich-wis-

senschaftliche Inhalte Verwendung findet, und an dessen Ende die wissenschaftliche Kommunikation (ii) vorzugsweise in den einzelnen Nationalsprachen abläuft. Somit bilden sich in den etwa zweihundert Jahren ab 1400 wissenschaftssprachliche Kommunikationsmittel und -formen in den Einzelsprachen heraus, die es ermöglichen, auf den steigenden Bedarf nach fachbezogenem Handeln und schriftlicher wie mündlicher Fachkommunikation angemessen zu reagieren (s. o. 5.1. u. 5.2.). Die Fachkommunikation folgt mit ihren terminologischen, morphosyntaktischen, stilistischen, argumentativ-rhetorischen, textuellen und textsortenspezifischen sowie semiotischen (Bilder) Möglichkeiten den an sie aus Theorie und Praxis gestellten Anforderungen (vgl. Art. 4). (b) Die hierzu verwendete Sprache ist LATEIN, wenngleich nach den (die klassische Reinheit der Musterautoren ⫺ die sogen. ,Goldene Latinität‘ ⫺ „verderbenden“) Veränderungen, die sich im Mittelalter in der gesprochenen Sprache („Mönchlatein“; wissenschaftlich: ,Mittellatein‘, ,Latein des Mittelalters‘) herausgebildet hatten, in einer nunmehr, „um 1300 mit Petrarca und dem Humanismus einsetzenden Wiederbelebung der klassischen Latinität“, was seit Ende des 18. Jh.s (1795) mit dem Begriff ,Neulatein‘ ⫺ der allerdings noch weiter, bis in die heutige Zeit, reicht ⫺ erfaßt wird (Briesemeister 1996, 113). „Man sprach eine gemeinsame Sprache in Florenz, Oxford, Salamanca, Basel, Genf, Nürnberg, Wien, Prag, wo auch immer, man besaß den gemeinsamen Nenner der Verständigung“; in der Tat wird so „aus dem Latein als der Sprache der Theologen und der Sprache einer kirchlich-christlich gestimmten Lebensform die Sprache einer gemeinsamen Kultur Europas“ (Böhme 1984, 129) ⫺ immerhin eine Einheitsstiftung durch eine lingua franca mit unschätzbarem Wert für die gemeinsame europäisch-breite Entwicklung der Wissenschaften: „Das Humanistenlatein der Italiener verbreitete sich seit Petrarca und [scil. Lorenzo] Valla über das gesamte christliche Europa und nach Amerika“ und, mit den Jesuiten, im späten 16. und im 17. Jh., „bis nach Japan und China“, und umgekehrt gelangten „genauere Kenntnisse über Ostasien nach Europa in lateinischen Schriften“ (Briesemeister 1996, 114). Als Verkehrssprache (in Finnland) und sogar Amtssprache (in Ungarn bis 1848) (loc. cit.), als Literatursprache ⫺ „Europas literarische Kultur blieb bis um 1800 zweisprachig“ (loc. cit.) ⫺, als Bildungssprache (gymnasialer Unterricht bis ins 20. Jh.; die „Verbindung von Philologie und Unterricht ist ein Wesenskennzeichen des Humanismus. Wissenschaft gründet auf (lateinische) Sprachunterwei-

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance sung und Texterklärung in der Schule“ [Briesemeister 1996, 116]) und internationales (gelehrtes) Kommunikationsmittel, als Sprache der Kirche (bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil [1962⫺1965]) und des Rechts war Latein ein aus literarischen Vorbildern gezogenes und daran gemessenes lebendiges Mittel fachlich bezogener Kommunikation (Institutionen, Philologie, Philosophie, Literatur, Theologie, Jurisprudenz, Wissenschaften [Astronomie, Mathematik, Botanik, Medizin, Chemie, Pharmazie, u. a.]).

(c) Mit Latein als Wissenschaftssprache war auch GRIECHISCH als Bildungssprache der humanistischen Gelehrsamkeit (universitas magistrorum et scholarium [Böhme 1984, 128]) bis in bürgerliche Schichten hinein verbunden. (d) Daneben ⫺ als sprachkulturelle Situation der Diglossie ⫺ gab es dann natürlich noch die jeweilige (in dialektalen Varietäten differenzierte) VOLKSSPRACHE, die vernakuläre Sprache, (italienisch) das Volgare. Auf sie hat das Latein eingewirkt: hin zu einem „den klassischen Sprachen gleichwertigen und diesen an Aussagefähigkeit nicht nachstehenden“ Kommunikationsmittel sogar mit dem Vorzug, ein politisches Identitätsbewußtsein aufrecht zu erhalten, weshalb gerade die Volkssprache vielfach für Geschichtsschreibung (besonders in Italien) gewählt wurde (Böhme 1984, 125, 128). Das Volgare als Sprache der Literatur in einem politisch zerrissenen und wechselnd fremdbestimmten Italien ist somit poetisch und politisch-national gleichermaßen integrativ wichtig wie das Latein als wissenschaftliches und bildungssoziales und europäisch-internationales Kommunikationsmittel. Die Questione della lingua (,Sprachfrage‘) (vgl. z. B. Mazzacurati 1965; Vitale 1978; Krefeld 1988), die ⫺ übrigens schon im Mittelalter bei Dante Alighieri (1265⫺1321) mit seiner Schrift De vulgari eloquentia (,Über das Dichten in der Muttersprache‘; um 1303) ⫺ auf der Suche nach einer einheitlichen italienischen Nationalsprache insbesondere für die Literatur mit der Überlegenheit des Toskanischen über die anderen italienischen Dialekte im 16. Jh. entschieden worden war, rückt den lateinischen Begriff der imitatio in den Blick, aber nicht etwa (allein) auf die lateinischen Klassiker als literarisch-sprachliche Vorbilder bezogen, sondern auf das eigene volkssprachliche Trecento zurückgebunden, dort mit den drei ,Kronen von Florenz‘, nämlich Dante Alighieri (1265⫺1321), Giovanni Boccaccio (1313⫺1375) und Francesco

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Petrarca (1304⫺1374) (Pietro Bembo [1470⫺ 1547], Prose della volgar lingua [,Schriften über die Volkssprache‘; 1525]). Mitte des 16. Jh.s gewinnt die Sprachfrage dann auch fachbezogene Wichtigkeit (vgl. Krefeld 1988, bes. die Synopsen 758 ff) und mündet in den Anspruch ⫺ so formuliert von der Florentiner Akademie bei ihrer Gründung 1540 ⫺, „alle Wissenschaften in die toskanische Volkssprache zu übersetzen“ (Böhme 1984, 158): (i) zum einen um die erstrebte Vervollkommnung aus dem Latein zu erwerben, (ii) zum andern um die Literatur und die literarische Sprache, die Poesie, selbst natürlich eine Fachsprache (besonderer Art), zu bereichern (s. Kapp 1992 a), (iii) schließlich um die Volkssprache für den fachwissenschaftlichen Einsatz zu pflegen. In dem berühmten Erlaß von Villers-Cottereˆts (1539), mit dem Franz I. das Latein als Sprache der Gerichtsbarkeit abschaffte, kommt noch ein weiterer ⫺ gerade juristisch wichtiger ⫺ Aspekt zum Diglossieverhältnis von Latein und Volkssprache (hier: [Mittel-]Französisch) zum Tragen: (iv) die Vermeidung von Mehrdeutigkeit und Unsicherheit durch Nicht- oder Mißverstehen (von Gesetzen, Urkunden und Urteilen): „[les arreˆts] soient faits et e´crits si clairement, qu’il n’y ait ni puisse avoir aucune ambiguite´ ou incertitude ne lieu a` demander interpre´tation“ (110); „[ils] soient prononce´s, enregistre´s et de´livre´s aux parties en langage maternel franc¸ois et non autrement“ (111).

Selbstverständlich erfaßte die Entwicklung auch die anderen europäischen Einzelsprachen: „Der Übergang der Wissenschaften vom Lateinischen in die Landessprachen, von der „lingua Europaea universalis et durabilis ad posteritatem“, die Leibniz erhalten wissen wollte, [Fn.] ins Spanische oder Italienische, Französische, Englische, Niederländische, Deutsche, Schwedische, war ein Vorgang von nicht zu unterschätzender Tragweite und Dynamik.“ (Pörksen 1986, 42)

(e) Gerade diesen sprachbezogenen Bemühungen sollten auch die vielen ÜBERSETZUNGEN in die eigene Sprache dienen (wobei kritische, klassik-orientierte Reinigungen und Eingriffe bei der Textüberlieferung gegen ,verderbtes‘ Latein ⫺ gemeint ist Vulgär-/ Sprechlatein und Spät-, also nachklassisches Latein sowie Mittellatein [mittelalterliches Latein] ⫺ durchaus üblich waren): Vermittlung dessen, „was an humanistischem Wissen, an humanistischer Gelehrsamkeit, an humanistischem Lebensanspruch in der lateini-

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

schen Sprache ausgedrückt wird“, an das eigene Volk zur Bildung der Allgemeinheit, wiederum mit Italien als Vorreiter (Böhme 1984, 126):

Natur und ihrer Gesetze, Leonardo da Vinci, repräsentieren hierzu die beiden Antipoden im Bildungsbegriff des Renaissance-Humanismus.

„Die Anwendung der altphilologischen Methoden auf die Volkssprachen und ihre Literatur begründet die Neuphilologie“ (Briesemeister 1996, 117); „Humanitas wird gleichgesetzt mit latinitas; eloquentia und sapientia müssen zusammengehen“ (loc. cit.).

7.

(f) Diese Phase der ,RELATINISIERUNG‘ „mit ihrer Übersetzungspraxis aus dem Lateinischen und der gleichzeitigen Rückkehr zum Lateinischen als Sprache der schriftlichen Kommunikation“ (Raible 1996, 127) wirkt sich lexikalisch, semantisch, morphologisch und syntaktisch (vgl. zusammenfassend Raible 1996, 123⫺126) sowie rhetorisch-stilistisch (Latein und die Volkssprache im übersetzerischen Wettstreit um elegantia, copia verborum u. a. [Briesemeister 1996, 117]) auf die Volkssprache aus. Auch sie entwickelt die sprachlichen Möglichkeiten, sich neben literarischer Kraft (vgl. van Tieghem 1943) ebenfalls in den Wissenschaften und Fachgebieten ausdrücken zu können (vgl. Stefenelli 1981; 1983). Damit verändert sich die Situation fachbezogener Rezeption: (i) die Diglossie mit ihrer recht klaren Zuordnung von Sachinhalten (grob: Lateinischer Text gleich fachlicher Text) barg eine Sprachhürde (Voraussetzung fundierter Lateinkenntnisse), die den (breiten) Zugang zu neuem Wissen erschwerte bzw. unterband; ⫺ (ii) mit der Phase ihrer Auflösung und einer zunehmenden Geltung der Volkssprache als Mittel der Fachkommunikation (vgl. oben (a)) entfällt zwar das Sprachenproblem, aber es zeigt sich ⫺ als eine (bis hin zu Satiren spürbare) soziale Störung ⫺ nun im Kenntnisstand die Unfähigkeit zum gegenseitigen fachlichen Verstehen; Arbeitsteilung und Spezialisierung als soziale Prozesse untermauern noch diesen Prozeß.

(g) Dabei ist, bis in das heutige Verständnis von ,humanistisch‘ spürbar, offenbar eher das sogen. GEISTESWISSENSCHAFTLICHE, weniger das naturwissenschaftliche, jenes vermeintlich objektive Bildungsgut, von Interesse: „Dem Humanisten wird es, dank seiner Konzentration auf den Menschen selbst und auf das, was im Menschen vorgeht, und der Konzentration auf die Handlungsmaximen für den Menschen, unmöglich, die Natur als Objekt der Betrachtung gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Die Natur ist überhaupt nicht Gegenstand systematischer Erforschung.“ (Böhme 1984, 120)

Der Buchgelehrte Erasmus von Rotterdam und der empirisch arbeitende Erforscher der

Fachbezogene Kommunikation

7.1. Reflexion der fachsprachlichen Herausforderungen Die entstehenden fachlich vielfältigen Kommunikationsanlässe, die neuen sachlichen Ansprüche, wie sie sich durch Erfindungen, Entdeckungen, Theoriendiskussion, Praxisvielfalt, Ideenreichtum usw. ergaben und zur Mitteilung in zweckdienlicher Sprache ⫺ mit angemessener Lexik und geeigneten textuellen Rahmenbedingungen ⫺ verlangten, dazu natürlich noch die prinzipielle Frage, in welcher Sprache der vorhandenen Diglossie-Situation dies ablaufen solle, lassen eigentlich ein hohes zeitgenössisches Reflexionsniveau zu den auftretenden sprachlichen Schwierigkeiten und ihrer Überwindung erwarten. Hierzu allerdings sind bislang von der Sprachwissenschaft nur äußerst spärliche Zeugnisse zusammengetragen worden, und ein ganzheitliches Bild zur zeitgenössischen Reflexion über die neuen kommunikativen Herausforderungen oder die neuen sprachlichen Anforderungen läßt sich zur Zeit nicht erstellen. Vielmehr ergibt sich der ⫺ möglicherweise sogar begründete ⫺ Eindruck, daß eine zeitgenössische Meta-Haltung zu den auftretenden Schwierigkeiten nicht vorhanden war, jedenfalls nicht als mitteilenswert formuliert worden ist. Hierzu ist gezielte Forschungsarbeit noch erforderlich (vgl. Briesemeister 1996, 113 f). 7.2. Fachbezogene Textsorten und fachliche Texte (a) Die neuen sprachlichen Herausforderungen, die sich aus den neuen sachlichen Anforderungen ergaben, ließen sich ⫺ wie auch heute ⫺ nicht im sprachleeren Raum bewältigen; die Sprachfülle aber wurde und wird gestaltet in und von den (mündlichen wie schriftlichen) Texten; hier ist der Ort der kommunikativen Manifestation von Sprache (vgl. auch Art. 4). Für die Renaissancezeit mit ihrer Diglossie-Situation zwischen Latein und Volgare bestimmt somit zunächst die lateinisch geprägte Kenntnis für die Textproduktion und Erwartung bei der Textrezeption jenen Hintergrund, vor dem relatinisierend oder im Volgare ein fachliches Thema behan-

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance

delt wird: die Texte- oder Diskurstradition der Antike bleibt in die fachbezogenen (wie auch literarischen) Texte im Volgare hinein wirksam: es greift das Prinzip der imitatio (der schöpferischen Nachahmung von Musterautoren, hier des klassischen Latein, aber dann auch des eigenen Trecento). „Viele Autoren haben gleichzeitig in beiden Sprachen geschrieben, innerhalb der alten und der neuen Diskurstradition, z. T. in Abhängigkeit von der Gattung; oder sie haben zwischen beiden geschwankt: Autoren des italienischen Trecento ebenso wie Calvin oder Montaigne im 16. Jahrhundert.“ (Raible 1996, 127)

(b) Der Unterschied lag eher im Erreichen des geeigneten Publikums (vgl. Schalk 1955; Kristeller 1976): (i) die Volgare-Texte ⫺ literarische wie fachliche ⫺ richten sich deutlich an eine breite Leserschaft, und dies waren ja auch u. a. die Beweggründe für Paracelsus (1493⫺1541) und Christian Thomasius (1655⫺1728), ihre medizinischen Vorlesungen ⫺ 1527 und 1687 ⫺ in deutscher Sprache anzukündigen (Thomasius in Leipzig) bzw. zu halten (Paracelsus in Basel sowie Thomasius in Leipzig, später ⫺ ab 1690 ⫺ in Halle/ S.); ⫺ (ii) die lateinischen Texte eignen sich eher für die wissenschaftlichen Fachleute, was die Aura der lateinisch geschriebenen Texte als Fachtexte noch rückverstärkte. (c) Reflexionen dazu, welcher Sprache man sich bedienen wolle, müßten sich neben dem (i) Sprachbewußtsein auch auf eine (ii) Textsortenkompetenz und ein (iii) Textinhaltsgespür (z. B. fachliche oder alltagsrelevante fachbezogene oder nichtfachliche Thematik) und eine (iv) Adressatenspezifik (Fachleute, gebildete Laien, Nichtfachleute [s. o. 6. (f) Ende]) sowie (v) auf deren Verknüpfungsmöglichkeiten beziehen. „Besonders aufschlußreich für Sprachbewußtsein und Wandel des Kulturverständnisses sind Reflexionen von Schriftstellern, die sich entschieden für die Verwendung der Volkssprache in jenen Disziplinen einsetzen, die das Reservat des Lateinischen bilden (wie etwa die Theologie; vgl. Luis de Leo´n, De los nombres de Cristo).“ (Briesemeister 1996, 117)

Allerdings gibt es dazu bislang keine gezielte, geschweige systematische Forschung (vgl. auch Art. 4, Abschn. 3.2.8.). (d) Man wird sich hier deshalb nur mit Einzelhinweisen begnügen müssen: (i) So wird für die Anliegen der Theologie vorherrschend das LATEINISCHE (was aber auch ⫺ durchaus mit bekennender Absicht ⫺ unterlaufen

313

wurde: z. B. Martin Luther, Johann Calvin, Jacques Lefe`vre d’Etaples [sogen. Faber Stapulensis], u. a.) gewählt, somit bestimmen die von dorther auch bekannten alten Textsorten-Konventionen die zeitgenössischen Texte. Dies stellt sich als Problem dann insbesondere bei den neuen Inhalten in alten Schläuchen, so bei Galilei, dar (vgl. Kapp 1992 b, 190⫺196). (ii) Die Unsicherheit bei der textuellen Fassung neuer Inhalte sowie das Suchen nach angemessenen Textsorten für die aufkommenden (fachlichen, wissenschaftlichen, sachbezogenen) Anliegen (diese Attributionen sollen hier von den literarisch-poetischen trennen) ⫺ derartige Verhältnisse sind in Art. 4, Abschn. 2. u. 3., behandelt ⫺ offenbart sich in der (gerade von den Humanisten bis zur Meisterschaft gepflegten) Vorliebe für die traditionsreiche Gattung ,DIALOG‘, genauer: ,Wissenschaftlicher Dialog‘ (s. Art. 4, Abschn. 3.2.2., 3.2.8.3.), oder, in fiktiver Mündlichkeit, für das ,Gespräch‘ als „Dialog der Gebildeten“ (Böhme 1984, 160; vgl. auch Ce´ard 1991; Strosetzki 1991). Die Wahl der Gattung ,Dialog‘ ermöglicht den Humanisten mit literarischem Anspruch zugleich eine darstellerischstilistische Lebendigkeit des Sprachduktus und eine didaktisierende Stoffpräsentation für den interessierten Laienleser (vgl. Art. 4, 3.2.8. u. 3.2.9.; vgl. Kalverkämper 1996). Sie bietet zudem den Rahmen, den geistigen Umbruch der Zeit auch rhetorisch entsprechend ,alternativ‘ einzukleiden: Prüfen, Abwägen, Verwerfen und Verteidigen von Meinungen, Argumentieren, These und Antithese, Diskussion und Disputation von Streitfragen beherrschen hier als Sprechakte bzw. als Kommunikationshaltungen bzw. als Textsorten den Umgang miteinander. Galileis Dialoge (s. Galilei 1982; Kalverkämper 1996) sind dazu ein herausragendes Zeugnis. Und natürlich kann das Wechselspiel des Dialogs auch Wissenschaftspositionen des Autors gegenüber der Zensur schützen. Ansonsten ist das Gattungsprofil von ,Dialog‘ recht schwach konturiert, worin ja seine Beliebtheit zu diesem Zeitpunkt liegt: lediglich die Partnerbezogenheit ist konstitutiv; Anzahl der Personen, behandelte Thematik (Fachlichkeit des Inhalts!), Länge, struktureller Aufbau (Einleitungen, Anknüpfungen, direkter Einstieg, usw.), Kohärenzen, inhaltliche Konstanz, Multimedialität (Mündlichkeit, Schriftlichkeit [literarischer! Dialog], Zeichnungen/fachliche Bilder), Situationsbezug, Sprachniveau, u. a. dienen nicht als funktionale Gattungsmerkmale. (iii) Eine ähnliche Weite der funktionalen Nutzung bietet der BRIEF; die Briefe [lat. epistulae] der Renaissance-Gelehrten sind in der Literaturgeschichte (Epistolographie) als ,Humanistenbriefe‘ bekannt: Sie nehmen, lateinisch geschrieben, antike Vorbilder (Cicero, Plinius d. J.) wieder auf und erörtern soziale, politische, wissenschaftliche ⫺ insbesondere philosophische und theologische ⫺, sowie private Themen, wobei eine Veröffentlichung vom Brief-Verfasser meistens schon vorgesehen war. Der Brief wird sich ⫺ mit ebensolcher Themenbreite ⫺ dann in der französischen Salonkultur des

314

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

17. und frühen 18. Jh. weiter großer Beliebtheit erfreuen, weil er in seiner gattungseigenen Unspezifik zu allen Themen, die den bon sens des honneˆte homme in mehr oder weniger starker Fachlichkeit ansprachen, zwanglos für die Gesellschaft zur Verfügung stand (große E´pistoliers waren z. B. JeanLouis Guez de Balzac [1594⫺1654; Lettres, 1624], Blaise Pascal [1623⫺1662; Lettres provinciales, 1657], Marie de Se´vigne´ [1626⫺1696; Lettres, vollständig ersch. 1818]). (iv) Neben der Wahl des ,Dialog‘ als Gattung für fachliche und wissenschaftliche Themen treten NEUE GATTUNGSBEZEICHNUNGEN wohl nicht mit einer offensichtlichen Präferenz auf; hierzu muß allerdings noch eigene Forschung geleistet werden, um ein gesichertes Bild aus gattungstheoretischem, literaturwissenschaftlich-gattungssystematischem, fachtextsortenanalytischem und kulturgeschichtlichem Blick zu erhalten. Es fällt jedenfalls auf, daß eine eigene metatextuelle Einordnung ⫺ und das ist ja letztlich eine Gattungsbezeichnung im Titel eines Textes ⫺ gern vermieden wird, gerade auch bei Wissenschafts- und sonstigen Fachtexten, zugunsten einer vagen thematischen Orientierung; dabei konnte man natürlich an die lateinische Handhabung wissenschaftlicher Titelgebung anknüpfen und somit die Zuordnungsprobleme ,fachliche Inhalte zu fachthemen-affinen Gattungen‘ recht geschickt umgehen: Und so finden sich gehäuft Globalformulierungen (De ... ,Über …‘) wie: De elegantiis linguae latinae libri sex (Lorenzo Valla, 1444, gedr. 1471), De re aedificatoria (Leon Battista Alberti, 1452, gedr. 1485), De re militari libri XII (Roberto Valturio, 1472), De revolutionibus orbium coelestium (Nicolaus Copernicus, 1543), De humani corporis fabrica libri septem (Andreas Vesalius, 1543), De re metallica (Georg Agricola, 1557) usw. (es gibt ein reiches Schrifttum). Die volkssprachigen Titel bieten entsprechende Formulierungen: Della imitatione poetica (Bernardino Partenio, 1560); ⫺ Le Premier Livre des antiquitez de Rome (Joachim Du Bellay, 1558); Les trois livres de la sagesse (Pierre Charron, 1601); und viele andere mehr. Ausdrückliche Gattungsbezeichnungen für den jeweiligen Text und seinen fachinhaltlichen Charakter dürften widerspiegeln, daß sich ein geschärftes Verständnis für die wissenschaftliche Schreibweise und ihre weit verbreitete Wirkung mit einer autorbestimmten Gattungszugehörigkeit des Textes herausgeschält hat. Die anfänglichen Bemühungen erscheinen dabei noch semantisch recht unspezifisch: Prose della volgar lingua (,Schriften über die Volkssprache‘; Pietro Bembo, 1525); Trattato della pittura (Leonardo da Vinci, postum ersch. ca. 1550); Difesa dell’Orlando furioso (Leonardo Salviati, 1584); Apologia in difesa della Gerusalemme liberata (Torquato Tasso, 1585); Discorsi del poema eroico (Torquato Tasso, 1594). ⫺ Le Traicte´ intitule´, La Concorde des deux langaiges (Jean Lemaire

de Belges, 1513); Institution de la religion chrestienne (,Unterweisung‘; Jean Calvin, 1541); La Deffence et Illustration de la Langue Franc¸oyse (,Verteidigung und Bereicherung‘; Joachim Du Bellay, 1549); Discours de la servitude volontaire (,Abhandlung‘; Etienne de La Boe´tie, vollst. ersch. 1577); Essais ([gedacht als ,Versuche‘ zur Selbstbildung]; Michel de Montaigne, 1580); Remarques sur la langue franc¸oise (Claude Favre de Vaugelas, 1647, vollst. ersch. 1738). ⫺ Discurso de la lengua castellana (Ambrosio de Morales, 1585); Examen de ingenios para las ciencias (Juan Huarte de San Juan, 1575). ⫺ Ein Sendbrief D. M. Luthers, von Dolmetzschen und Fürbit der Heiligenn ([theologisch-hermeneutisches Werk]; Martin Luther, 1530); ⫺ usw. (e) Hier warten noch umfangreiche Aufgaben für die zukünftige Forschung. Daß prinzipiell die Gemeinschaft von (i) Werk-Titel, (ii) dortiger Gattungsbezeichnung für die Textzugehörigkeit und (iii) wissenschaftlicher Thematik bzw. fachlichem Inhalt von Interesse für die Diachronie ist und etlichen Disziplinen, hier insbesondere der Gattungssystematik und der historisch ausgerichteten Fachsprachenforschung (Artes-Forschung z. B.), wertvolle Erkenntnisse bringt, findet sich bei Kalverkämper (1984; 1989) untersucht und in (1993 b) nochmals als eine neue Standortbestimmung der Forschung formuliert. Eine ,POETIK DER FACHLICHEN TEXTSORTEN‘ ⫺ als ,Gattungsgeschichte des wissenschaftlichen Schrifttums‘ oder als ,Literaturgeschichte der Fach- und Wissenschaftssprachen‘ (s. u. 8.(c); vgl. Art. 4, Abschn. 3.2.10.; sowie Art. 33, Abschn. 4.2., Punkt (5)) ⫺ ist erstrebenswert, nicht zuletzt wenn man die Beschränkung lediglich auf die sog. Schöne Literatur sieht, wie sie in verdienstvollen Darstellungen (z. B. Buck/Heitmann/Mettmann 1972; Hausmann/Mandelsloh/Staub 1975) praktiziert wird. (f) So entstehen in dieser Zeit Lehrbücher („die sich von den scholastischen Autoritätenmethoden unterscheiden“ [Böhme 1984, 158 f]) und neue Grammatikwerke, weiterhin Kommentare „zu den antiken Schriftstellern wie zu den Dichtern der Volkssprache, an denen wiederum die Interpretation von Literatur geübt werden kann“, und es entwickelt sich „die Form des Traktats als der dem humanistischen Denken gemäßen belletristischen Behandlung einzelner Gegenstände, insbesondere moralischen Inhalts. Letztere waren ja nicht nur einem philosophisch interessierten Publikum, sondern allen Gebildeten und an Bildung Interessierten zugänglich zu machen“ (Böhme 1984, 159; [Kursive im Zitat v. H. K.]). Dies sind Anreicherungen des zeitgenössischen Textsortenspektrums (vgl. Olschki 1918; 1922; 1927; Steger 1984, Abschn. 9. u. 10.; Kästner/Schwitalla 1985; Kalverkämper 1984; 1989; 1996) und folglich beachtenswerte textuelle Reaktionen auf die sachlichen Mitteilungs-Anforderungen der Zeit.

7.3. Fachwortschatz und Termini in der Verwendung (a) Die dargestellten (s. o. 4. u. 5.) sachlichen Herausforderungen an die kommunizierenden Zeitgenossen brachten drängende „termi-

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance

nologische“ Probleme mit sich: Wie soll die neue Erkenntnis, das nunmehr als sachlich gültig Festgestellte sprachlich bezeichnet, in einem Fachwort kondensiert werden? Von daher wird hier die Sprachgeschichte über die Kulturgeschichte Zeuge neologistischer Schübe (Olschki 1918; 1922; Kalverkämper 1987 a). Hier besteht für das besonders betroffene naturwissenschaftliche Forschungsumfeld jener Zeit noch großer Bedarf an philologischen Untersuchungen (vgl. Olschki 1918; 1922; 1927; Pörksen 1986). Es ist da zum einen (i) die diglottale Konkurrenz zwischen dem Latein und der jeweiligen Volkssprache zu sehen, die eine Vielfalt von Dubletten mit sich brachte (vgl. Raible 1996, 130 f); zum anderen (ii) die Suche nach einer sprachlichen (lexikalischen) Fassung für die neue Sache oder den neu erkannten Sachverhalt (Bezeichnungsnot[wendigkeit]); schließlich aber auch (iii) die reflektierte und kriteriengeleitete Auswahl aus (volkssprachlichen) Alternativen, von denen es offenbar eine Fülle gab: „Ich habe so viele Vokabeln in meiner Muttersprache, daß ich mich eher über das richtige Verständnis der Dinge beklagen muß als über den Mangel an Worten, mit denen ich die Gedanken meines Verstandes richtig ausdrücken kann“, schreibt Leonardo (zitiert nach Huberty 1997, 150), was eine Art fachsprachlicher Synonymik mit sich bringt, in die eben doch nicht eine zeitgenössische (fachsprachliche) Reflexion die wünschenswerte Ordnung eingebracht hat (vgl. Huberty 1997, 157⫺ 161). (b) Derartige Untersuchungen decken übrigens in nicht unerheblichem Maße die lexikographischen Angaben zu Erstbelegen als falsche (meist: zu späte) Datierungen auf, was natürlich damit zusammenhängt, daß die Fachtexte als reiches Quellenmaterial dafür immer noch nicht ⫺ außer in der Klassischen Philologie ⫺ zur Kenntnis genommen und genutzt werden.

(c) Solche lexikalischen, neologistischen und terminologischen Interessen ⫺ s. o. (a) ⫺ im Rahmen von Sprach- und Sachgeschichte (sie sind standardmäßig beachtet in den sprachgeschichtlichen Darstellungen der Einzelsprachen) sowie ⫺ s. o. (b) ⫺ die damit verbundenen lexikographiekritischen Korrekturen sollten methodologisch noch ergänzt werden um ⫺ noch neuartig ⫺ (c) textlinguistische Fragestellungen: Es ist nämlich durchaus attraktiv zu sehen, wie derartige zeitgenössische kognitiven Neuheiten als Anforderungen an die sprachliche Kreativität nun im Text präsentiert und strategisch gehandhabt werden. In moderner Terminologie: Interiorisierung und Exteriorisierung von Begriffen in Begriffsysteme und in die Textverwendung (vgl. Kalverkämper 1987 b; Hoffmann 1990; 1993) lassen sich

315

hier in nuce beobachten; die zeitgenössischen Lösungen bieten sich als historisch beglaubigte kommunikative Entscheidungen wohlmöglich auch für heutige vergleichbare Probleme an (in diesem verklammernden Sinne vgl. auch Kalverkämper 1989; 1993 b; 1996):

So interessiert die Findung eines Fachwortes, seine im Text erfolgende Definition bzw. semantische Auffüllung z. B. im Sinne einer Erklärung für den Leser, seine weitere Verwendung im Textverlauf, die Meta-Behandlung des Fachwortes als Terminus (z. B. als sprachkritische Reflexionen), ebenfalls die mögliche Funktion der Fachwörter für die Texte-Konstitution oder sogar als TextsortenAusweis (fachliche Textsorte) ⫺ also: es interessiert der kommunikative Umgang mit dem sachlich und sprachlich Neuen. Die Schriften z. B. Albrecht Dürers zeigen hierzu ein sehr aufmerksames Bewußtsein; sein Wissen um das mitzuteilende Neue, um dessen sprachliche Bewältigung, um die Verantwortung für das Leserverstehen, folglich um die gesicherte Verständlichkeit des Fachtextes mit allen Möglichkeiten des Erklärens und der inhaltlichen Transparenz, der MetaFormen und der Leser-Ansprache, bis hin zu anleitendem Duktus und didaktisierendem Stil prägen eine Wissenschaftsprosa aus, die trotz ihrer Jugend (oder gerade wegen ihrer kolloquialen Frische) den heutigen Anforderungen an eine wissenschaftssprachliche Stilistik nahekommt, auch wenn vom frühneuhochdeutschen Sprachstand her heutzutage Schwierigkeiten im Lesefluß gegeben sein mögen. Aus seinen Vier Bücher von menschlicher Proportion (gedr. 1528) als Beispiel: „Aus der ersten Beschreibung folgt anfänglich das Bild zu machen bei seinem Haupt. Das magstu tan durch ein Weg, den ich dir nachmals anzeig. Item mach ein rechte Vierung mit gleichen Winklen. Bezeichen ihre Eck mit a b c d. Und setz in sie Punkten deines Gefallens. Ich setz ihr fünf. Durch dieselben Punkten mügen aufrecht Lini gezogen werden, die man in Latein nennt perpenticulares. Sie söllen auch Paral[le]la sein. Dorum will ich sie fürbaß nennen aufrecht Lini und die parallela Paarlini. Dann sie gehnt allbeg geleich nebeneinander, also daß sie nimmermehr vaneinander oder zusammen kummen.“ (Dürer 1993, 130) [Anmerkung: ,perpenticulares‘ meint: ,Senkrechte‘] Zwar waren zu Leonardos Zeit Fachausdrücke wie ,Perspektive‘, ,Relief‘ oder ital. istoria (,BildErzählung‘, galt in der Kunsttheorie der Malerei als höchste Stufe) bekannt und gebräuchlich, doch hat er seine verfeinernden Beobachtungen dazu auch entsprechend spezifiziert: „Aber das zweite Verfahren ist eine gemischte Perspektive, die zum Teil von der Kunst und zum Teil von der Natur erzeugt wird, und das Werk, das nach ihren Regeln gemacht wird, enthält in all seinen Teilen eine Mischung der natürlichen Perspektive mit der künstlichen Perspektive. Unter na-

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

türlicher Perspektive verstehe ich, daß […]; und diese Verkleinerung ist natürlich. Die künstliche Perspektive aber, das heißt die, welche von der Kunst erzeugt wird, bewirkt das Gegenteil, denn […].“ (Leonardo da Vinci 1990, 254 f). Hier führt Leonardo seine Erfindung des „gemischten“ Verfahrens (s. loc. cit., 243) einfach als Fachwort ein, bringt den Terminus aber zur Evidenz, indem er von ,Mischung‘ schreibt. Diese ermöglicht zwei neue Fachwörter, ,natürlich‘ und ,künstlich‘, die ihrerseits jeweils wieder anaphorisch motiviert werden (durch Erklärung: ,und diese Verkleinerung ist natürlich‘; sowie durch Meta-Anschluß: ,das heißt‘). Diese textstrukturelle Anlage, wie sie über die Termini und ihre Zuordnungsstrukturen deutlich wird, ist systematisch, wissenschaftlich, terminologisch und auch didaktisch (entsprechend findet sich loc. cit., 255 eine Diärese des Herausgebers zu Leonardos ,Perspektive‘-Begriff).

8.

Aspekte einer integrativen diachronen Fachsprachenforschung zur Renaissance

Das Thema ,Fachsprachen in der Renaissance‘ ist als solches neuartig. Es bedarf hierzu noch umfassender und systematischer Forschung (vgl. auch Art. 33). Diese sollte interdisziplinär angelegt sein und folglich auch zu gegenseitigem Nutzen in den erlangten Erkenntnissen geschehen. Eine komplexe Epoche wie die Renaissance mit ihrer mentalitätsgeschichtlich und lateinsprachlich europäischen Dimension wie auch mit ihren einzelsprachlichen Differenzierungen und kulturellen Besonderheiten und zeitlich relevanten Verschiebungen eigenen Kunstschaffens verlangt eine ganzheitliche Sichtweise. Diese muß als Schwerpunkte einbeziehen: (a) Sachgeschichte, Sozialgeschichte, politische Globalkonstellation, kulturgeschichtliche Kontexte, interkulturelle Bezüge; (b) Sprachgeschichte; hierbei spezifisch als (b.1) (Fach-)Textsorten- und (Fach-)Textgeschichte; (b.2) Wortschatz der Zeit, insbesondere im Sinne einer Fachwortschatzgeschichte, gerade auch mit einer historischen Terminologie; (b.3) historisches Sprachbewußtsein, wie es sich niederschlägt in zeitgenössischen Grammatiken, Rhetoriken (und Stilistiken), Textesammlungen, Streitschriften, Wörterbüchern, Vorwörtern usw.; (c) Literaturgeschichte; hierbei ⫺ immer noch als Desiderat ⫺ im Sinne auch einer (c.1) Geschichte des wissenschaftlichen und fachlichen (berufsbezogenen) Schrifttums, das nicht allein die Historischen Wissenschaften oder die Sachwissenschaften, wenn sie historisch interessiert sind (wie z. B. die Medizingeschichte oder die Technikgeschichte), zur Kenntnis nehmen sollten, sondern

eben auch die Literaturwissenschaft mit einem dementsprechend weit geöffneten Begriff von ,Literatur‘. Dazu wäre dann (c.2) eine Gattungsgeschichte zu stellen, die aber auch zeitbezogen synchron ⫺ als Gattungssystem der Epoche ⫺ ausgelegt sein müßte; dadurch würden die textuellen Darstellungsmittel für die Kommunikationsanliegen der Zeit deutlich und zeigten sich ihre systematischen Bewegungen als Reaktion auf sich verändernde (fachliche) Kommunikationsbedürfnisse (s. o. 7.2.(e); sowie Art. 4, Abschn. 3. u. Anfang 4.; vgl. auch Kalverkämper 1984; 1989; 1996).

9.

Literatur (in Auswahl)

Altieri Biagi 1965 ⫽ Maria Luisa Altieri Biagi: Galileo e la terminologia tecnico-scientifica. Firenze 1965 (Biblioteca dell’ ,Archivum Romanicum‘. Serie II: Linguistica. Vol. 32). Apel 1963 ⫽ Karl Otto Apel: Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico. Bonn 1963. Bahner 1956 ⫽ Werner Bahner: Beitrag zum Sprachbewußtsein in der spanischen Literatur des 16. und 17. Jh.s. Berlin 1956. Baur/Bott/Braunfels-Esche u. a. 1984 ⫽ Otto Baur/ Barbara Bott/Sigrid Braunfels-Esche u. a. [insges. 6 Autoren]: Leonardo da Vinci. Anatomie, Physiognomik, Proportion und Bewegung. Köln 1984 (Kölner medizinhistorische Beiträge. Arbeiten der Forschungsstelle des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität zu Köln 23, I). Baxandall 1972 ⫽ Michael Baxandall: Painting and Experience in 15th Century Italy. A Primer in the Social History of Pictorial Style. Oxford 1972. ⫺ (Dt. Übers.: Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jh.s. Übers. v. Hans Günter Holl. Frankfurt/M. 1984. ⫺ [2. Aufl. 1988]). Beck 1992 ⫽ Rainer Beck (Hrsg.): 1492. Die Welt zur Zeit des Kolumbus. Ein Lesebuch. München 1992. Bellosi/Castelnuovo/Conti u. a. 1987 ⫽ Luciano Bellosi/Enrico Castelnuovo/Alessandro Conti u. a. [insges. 10 Autoren]: Italienische Kunst. Eine neue Sicht auf ihre Geschichte. Mit einem Vorwort von Willibald Sauerländer. 1, 2. Berlin 1987. Blumenberg 1966 ⫽ Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt/M. 1966. Boas 1962 ⫽ Marie Boas: The Scientific Renaissance 1450⫺1630. London. ⫺ (Dt. Übers.: Die Renaissance der Naturwissenschaften 1450⫺1630. Das Zeitalter des Kopernikus. Übers. v. Marlene Trier, ergänzt v. Theodor A. Knust. Nördlingen 1988). Böhme 1984 ⫽ Günther Böhme: Bildungsgeschichte des frühen Humanismus. Darmstadt 1984. Böhme 1986 ⫽ Günther Böhme: Bildungsgeschichte des europäischen Humanismus. Darmstadt 1986.

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance Bologna 1995 ⫽ Giulia Bologna: Handschriften und Miniaturen. Das Buch vor Gutenberg. Aus dem Italien. übers. v. Annemarie Seling. Augsburg 1995. ⫺ (Ital. Orig.: Manoscritti e miniature. Il libro prima di Gutenberg. Milano 1988). Boockmann/Moeller/Stackmann 1989 ⫽ Hartmut Boockmann / Bernd Moeller / Karl Stackmann (Hrsg.): Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik⫺Bildung⫺Naturkunde⫺Theologie. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters, 1983⫺1987. Göttingen 1989 (Abhandlungen der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Folge 3, Nr. 179). Braunfels-Esche 1984 ⫽ Sigrid Braunfels-Esche: Leonardo als Begründer der wissenschaftlichen Demonstrationszeichnung. In: Schmitz/Keil 1984, 23⫺50. Briesemeister 1996 ⫽ Dietrich Briesemeister: Mittellatein und Neulatein: Neulatein. [Lexikonartikel]. In: Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL). II, 1: Lateinisch und Romanisch. Historisch-vergleichende Grammatik der romanischen Sprachen. Hrsg. v. Günter Holtus, Michael Metzeltin und Christian Schmitt. Art. 99 c). Tübingen 1996, 113⫺120. Brizio/Brugnoli/Chastel 1981 ⫽ Anna Maria Brizio/ Maria Vittoria Brugnoli/Andre´ Chastel: Leonardo der Künstler. Stuttgart. Zürich 1981 [Sonderausgabe 1987]. Buck 1969 a ⫽ August Buck (Hrsg.): Zu Begriff und Problem der Renaissance. Darmstadt 1969 (Wege der Forschung 204). Buck 1969 b ⫽ August Buck: Zu Begriff und Problem der Renaissance. Eine Einführung. In: Buck 1969 a, 1⫺36. Buck 1976 ⫽ August Buck: Die Rezeption der Antike in den romanischen Literaturen der Renaissance. Berlin 1976 (Grundlagen der Romanistik 8). Buck 1981 a ⫽ August Buck: Studia humanitatis. Gesammelte Aufsätze 1973⫺1980. Festgabe zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. B. Guthmüller, K. Kohut und O. Roth. Wiesbaden 1981. Buck 1981 b ⫽ August Buck: Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Renaissanceforschung. [1980]. In: Buck 1981 a, 68⫺93. Buck 1981 c ⫽ August Buck: Das Selbstverständnis des italienischen Humanismus. [1980]. In: Buck 1981 a, 23⫺33. Buck 1992 ⫽ August Buck (Hrsg.): Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12). Buck/Heitmann/Mettmann 1972 ⫽ August Buck/ Klaus Heitmann/Walter Mettmann (Hrsg.): Dichtungslehren der Romania aus der Zeit der Renaissance und des Barock. Frankfurt/M. 1972 (Dokumente zur europäischen Poetik 3).

317

Burckhardt 1936 ⫽ Jacob Burckhardt: Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. [Vereinigte ungekürzte Textausgaben von: „Die Kultur der Renaissance in Italien“; und von: „Die Kunst der Renaissance“ (1867, 2. durchges. u. verm. Aufl. 1878 u. ö. u. d. T. „Geschichte der Renaissance“ erschienen, aber in der Burckhardt-Gesamtausgabe 1929⫺1933 von Heinrich Wölfflin mit geändertem u. nunmehr verbindl. Titel veröffentlicht)]. Wien. Berlin 1936. Burke 1974 ⫽ Peter Burke: Tradition and Innovation in Renaissance Italy. A Sociological Approach. London 1974. [Geringfügig veränd. Taschenbuch-Version von „Culture and Society in Renaissance Italy“. London 1972.] ⫺ (Dt. Übers. d. Version 1974: Die Renaissance in Italien. Sozialgeschichte einer Kultur zwischen Tradition und Erfindung. Aus dem Engl. v. Reinhard Kaiser. Berlin 1992). Burke 1990 ⫽ Peter Burke: Die Renaissance. Aus dem Englischen v. Robin Cackett. Berlin 1990. Cahn 1991 ⫽ Michael Cahn: Der Druck des Wissens. Geschichte und Medium der wissenschaftlichen Publikation. [Ausstellung 16. Juli⫺31. August 1991, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin]. Wiesbaden 1991 (Ausstellungskataloge ⫺ Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz 41). Cardini 1989 ⫽ Franco Cardini: Europa 1492. Ein Kontinent im Aufbruch. Illustrierte Kulturgeschichte des Abendlandes an der Wende der Neuzeit. München 1989. Castiglione 1986 ⫽ Baldesar Castiglione: Das Buch vom Hofmann. (Il Libro del Cortegiano). Übers. u. erläutert v. Fritz Baumgart. Mit einem Nachwort v. Roger Willemsen. München 1986. Ce´ard 1991 ⫽ Jean Ce´ard: Formes discursives. In: Pre´cis de litte´rature franc¸aise du XVIe sie`cle. La Renaissance. E´d. sous la dir. de Robert Aulotte. Paris 1991, 155⫺192. Claussen 1981 ⫽ Peter Cornelius Claussen: Früher Künstlerstolz. Mittelalterliche Signaturen als Quelle der Kunstsoziologie. In: Bauwerk und Bildwerk im Hochmittelalter. Anschauliche Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte. Hrsg. v. K. Clausberg, D. Kimpel, H.-J. Kvust und R. Suckale. Gießen 1981, 7⫺34. Crespi 1992 ⫽ Gabriele Crespi: Die Araber in Europa. Mit einer Einführung v. Francesco Gabrieli. Aus dem Italien. übers. v. Konrad Norbert Braun. Stuttgart. Zürich 1992 (Völker und Kulturen). ⫺ (Ital. Orig.: Gli Arabi in Europa. Milano 1979). Curtius 1993 ⫽ Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 11. Aufl. Tübingen. Basel 1993. ⫺ (1. Aufl. Bern 1948). Darnton 1984 ⫽ Robert Darnton: The Great Cat Massacre and Other Episodes in French Cultural History. New York 1984. ⫺ (Dt. Übers.: Das große Katzenmassaker. Streifzüge durch die französische Kultur vor der Revolution. Aus dem Amerikan. v. Jörg Trobitius. München. Wien 1989).

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Della Casa 1984 ⫽ Giovanni Della Casa: Galateus. Das Büchlein von erbarn/höflichen und holdseligen Sitten, verdeutscht von Nathan Chytraeus 1597. Nachdruck d. Ausg. Franckfurt 1607. Hrsg. v. Klaus Ley. Tübingen 1984 (Deutsche Neudrucke. Reihe Barock 34). Della Casa 1988 ⫽ Giovanni Della Casa: Der Galateo: Traktat über die guten Sitten. Hrsg. u. übers. v. Michael Rumpf. Heidelberg 1988. Dürer 1993 ⫽ Albrecht Dürer: Schriften und Briefe. Hrsg. v. Ernst Ullmann. 6., veränd. Aufl. Leipzig 1993. ⫺ (1. Aufl. 1978). Ekschmitt 1989 ⫽ Werner Ekschmitt: Weltmodelle. Griechische Weltbilder von Thales bis Ptolemäus. Mainz 1989 (Kulturgeschichte der antiken Welt 43). Elias 1997 ⫽ Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 1.: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. ⫺ 2.: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Frankfurt/M. 1997. Fuhrmann 1969 ⫽ Manfred Fuhrmann: Die Antike und ihre Vermittler ⫺ Bemerkungen zur gegenwärtigen Situation der Klassischen Philologie. Konstanz 1969 (Konstanzer Universitätsreden 9). Galilei 1965 ⫽ Galileo Galilei: Sidereus Nuncius. Nachricht von neuen Sternen. ⫺ Dialog über die Weltsysteme (Auswahl). ⫺ Vermessung der Hölle Dantes. ⫺ Marginalien zu Tasso. Hrsg. u. eingel. v. Hans Blumenberg. Frankfurt/M. 1965. Galilei 1982 ⫽ Galileo Galilei: Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme: das ptolemäische und das kopernikanische. Aus dem Italien. übers. u. erläutert v. Emil Strauss. Mit einem Beitrag v. Albert Einstein sowie einem Vorwort zur Neuausgabe u. weiteren Erläuterungen v. Stillman Drake. Hrsg. v. Roman Sexl und Karl von Meyenn. Stuttgart 1982. ⫺ (Reprograph. Nachdruck d. Ausg. Leipzig 1891). Galilei 1987 ⫽ Galileo Galilei: Schriften⫺Briefe⫺ Dokumente. Hrsg. v. Anna Mudry. I: Schriften. II: Briefe⫺Dokumente. München 1987. Garin 1988 ⫽ Eugenio Garin (Ed.): L’uomo del Rinascimento. Roma 1988. ⫺ (Dt. Übers.: Der Mensch der Renaissance. Frankfurt/M. New York. Paris 1990). Gloy 1996 ⫽ Karen Gloy: Das Verständnis der Natur. II.: Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens. München 1996. Grewenig/Letze 1995 ⫽ Meinrad Maria Grewenig/ Otto Letze (Hrsg.): Leonardo da Vinci. Künstler, Erfinder, Wissenschaftler. [Ausstellungskatalog Historisches Museum der Pfalz, Speyer]. Ostfildern 1995. Große/Wellmann 1996 ⫽ Rudolf Große/Hans Wellmann (Hrsg.): Textarten im Sprachwandel ⫺ nach der Erfindung des Buchdrucks. Heidelberg 1996 (Sprache ⫺ Literatur und Geschichte 13).

Guazzoni 1984 ⫽ Valerio Guazzoni: Michelangelo ⫺ Der Bildhauer. Aus dem Italien. v. Christel Galliani und Helga Böhmer. Stuttgart. Zürich 1984 [Sonderausgabe 1988]. Gurst 1989 ⫽ Günter Gurst: Menschenbild. [Lexikonartikel]. In: Gurst/Hoyer/Ullmann/Zimmermann 1989, 465⫺467. Gurst/Hoyer/Ullmann/Zimmermann 1989 ⫽ Günter Gurst/Siegfried Hoyer/Ernst Ullmann/Christa Zimmermann (Hrsg.): Lexikon der Renaissance. Leipzig 1989. Haage 1991 ⫽ Bernhard Dietrich Haage: Fachliteratur. In: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Hrsg. v. Horst Albert Glaser. Band 2.: Von der Handschrift zum Buchdruck. Spätmittelalter⫺Reformation⫺Humanismus. 1320⫺1572. Reinbek bei Hamburg 1991, 231⫺244. Hausmann 1992 ⫽ Frank-Rutger Hausmann: Quattrocento. [Handbuchartikel]. In: Italienische Literaturgeschichte. Hrsg. v. Volker Kapp. Stuttgart. Weimar 1992, 88⫺115. Hausmann 1996 ⫽ Frank Rutger Hausmann: Französisches Mittelalter. Stuttgart. Weimar 1996 (Lehrbuch Romanistik). Hausmann 1997 ⫽ Frank Rutger Hausmann: Französische Renaissance. Stuttgart. Weimar 1997 (Lehrbuch Romanistik). Hausmann/Mandelsloh/Staub 1975 ⫽ Frank-Rutger Hausmann/Elisabeth Gräfin Mandelsloh/Hans Staub: Französische Poetiken. I.: Texte zur Dichtungstheorie vom 16. bis zum Beginn des 19. Jh.s. Stuttgart 1975. Hay 1981 ⫽ Denys Hay (Hrsg.): Die Renaissance. Die Rückwende zur Antike. München. Zürich 1981 (Große Kulturen in Farbe) [Lizenzausgabe Eltville am Rhein: Rheingauer Verlagsgesellschaft]. Hazard 1935 ⫽ Paul Hazard: La Crise de la Conscience Europe´enne (1680⫺1715). Paris 1935. ⫺ (Dt. Übers.: Die Krise des europäischen Geistes. Mit einer Einführung von Carlo Schmid. Übers. v. Harriet Wegener. Hamburg 1939 [5. u. letzte Aufl. o. J.]). Hazard 1946 ⫽ Paul Hazard: La pense´e europe´enne au XVIIIe sie`cle de Montesquieu a` Lessing. I, II, III [Notes et Re´fe´rences]. Paris 1946. Heinimann 1987 ⫽ Siegfried Heinimann: Romanische Literatur- und Fachsprachen in Mittelalter und Renaissance. Beiträge zur Frühgeschichte des Provenzalischen, Französischen, Italienischen und Rätoromanischen. Hrsg. v. Rudolf Engler und Ricarda Liver. Wiesbaden 1987. Heller 1988 ⫽ Agnes Heller: Der Mensch der Renaissance. Frankfurt/M. 1988. Hempfer 1993 a ⫽ Klaus W. Hempfer (Hrsg.): Renaissance. Diskursstrukturen und epistemologische Voraussetzungen. Literatur ⫺ Philosophie ⫺ Bildende Kunst. Stuttgart 1993 (Text und Kontext. Romanische Literaturen und Allgemeine Literaturwissenschaft 10).

27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance Hempfer 1993 b ⫽ Klaus W. Hempfer: Probleme traditioneller Bestimmungen des Renaissancebegriffs und die epistemologische ,Wende‘. In: Hempfer 1993 a, 9⫺45. Herzog/Koselleck 1987 ⫽ Reinhart Herzog/Reinhart Koselleck (Hrsg.): Epochenschwelle und Epochenbewußtsein. München 1987 (Poetik und Hermeneutik XII). Heydenreich/Dibner/Reti 1981 ⫽ Ludwig H. Heydenreich/Bern Dibner/Ladislao Reti: Leonardo der Erfinder. Stuttgart. Zürich 1981 [Sonderausgabe 1987]. Hinz 1992 ⫽ Manfred Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes. Studien zu den italienischen Hofmannstraktaten des 16. und 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1992 (Romanistische Abhandlungen 6). Hoffmann 1990 ⫽ Lothar Hoffmann: Thesaurus und Fachtext. In: Empfehlung, Standard, Norm. Beiträge zur Rationalisierung in der Fachkommunikation. Hrsg. v. Lothar Hoffmann. Leipzig 1990 (Linguistische Studien), 56⫺69. Hoffmann 1993 ⫽ Lothar Hoffmann: Fachwissen und Fachkommunikation. Zur Dialektik von Systematik und Linearität in den Fachsprachen. In: Fachsprachentheorie. II.: Konzeptionen und theoretische Richtungen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 595⫺617. Huberty 1997 ⫽ Maren Huberty: Leonardo da Vinci (1452⫺1519) und seine anatomischen Studien. Eine Untersuchung zum medizinischen Fachwortschatz im Quattrocento. In: Studia Historica Romanica. In honorem Johannes Klare. Hrsg. v. Maren Huberty und Claudia Perlick. Bonn 1997 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur 90), 143⫺163. Huberty 1998 ⫽ Maren Huberty: Aufbruch in die italienische Wissenschaftssprache. Leonardo da Vinci und seine anatomischen Studien. Tübingen 1998 (Forum für Fachsprachen-Forschung; ersch.). Hubig 1988 ⫽ Christoph Hubig: Humanismus ⫺ die Entdeckung des individuellen Ichs und die Reform der Erziehung. In: Propyläen 1988, 31⫺67. Jäger 1990 ⫽ Michael Jäger: Die Theorie des Schönen in der italienischen Renaissance. Köln 1990. Jahn 1969 ⫽ Johannes Jahn: Deutsche Renaissance. Baukunst ⫺ Plastik ⫺ Malerei ⫺ Graphik ⫺ Kunsthandwerk. Leipzig 1969. Kalverkämper 1984 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Fächer und Fachtexte zwischen französischer Klassik und Aufklärung (1650⫺1750). Habilitationsschrift Freiburg/Br. 1984. Kalverkämper 1987 a ⫽ Hartwig Kalverkämper: Neologismen ⫺ Hinterfragung eines linguistischen Konzepts. In: Quaderni di Semantica 8, 311⫺345. Kalverkämper 1987 b ⫽ Hartwig Kalverkämper: Vom Terminus zum Text. In: Standorte der Fachsprachen-Forschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen (forum Angewandte Linguistik 11), 39⫺ 78.

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Kalverkämper 1988 ⫽ Hartwig Kalverkämper (Hrsg.): Fachsprachen in der Romania. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 8). Kalverkämper 1989 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Kolloquiale Vermittlung von Fachwissen im frühen 18. Jahrhundert ⫺ gezeigt anhand der Entretiens sur la Pluralite´ des Mondes (1686) von Fontenelle. In: Schlieben-Lange 1989, 17⫺80. Kalverkämper 1993 a ⫽ Hartwig Kalverkämper: Das fachliche Bild. Zeichenprozesse in der Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 215⫺238. Kalverkämper 1993 b ⫽ Hartwig Kalverkämper: Diachronie in der Fachsprachenforschung ⫺ Überlegungen zu Inhalt, Methoden und Zielen. In: Finlance. A Finnish Journal of Applied Linguistics (University of Jyväskylä, Finland) 12: Diachrone Fachsprachenforschung/Diachronic LSP-Research. 1993, 18⫺47. Kalverkämper 1995 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Fachinformationen für Laien mit lexikographischen Formen in Texten. In: Lexicographica 11: Fachlexikographie. 1995, 74⫺120. Kalverkämper 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Kultur des literarischen wissenschaftlichen Dialogs ⫺ aufgezeigt an einem Beispiel aus der italienischen Renaissance (Galilei) und der französischen Aufklärung (Fontenelle). In: Kalverkämper/Baumann 1996, 683⫺745. Kalverkämper/Baumann 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper/Klaus-Dieter Baumann (Hrsg.): Fachliche Textsorten. Komponenten ⫺ Relationen ⫺ Strategien. Tübingen 1996 (Forum für FachsprachenForschung 25). Kapp 1992 a ⫽ Volker Kapp: Cinquecento. [Handbuchartikel]. In: Italienische Literaturgeschichte. Hrsg. v. Volker Kapp. Stuttgart. Weimar 1992, 116⫺173. Kapp 1992 b ⫽ Volker Kapp: Seicento. [Handbuchartikel]. In: Italienische Literaturgeschichte. Hrsg. v. Volker Kapp. Stuttgart. Weimar 1992, 174⫺212. Kästner/Schwitalla 1985 ⫽ Hannes Kästner/Johannes Schwitalla: Die Textsorten des Frühneuhochdeutschen. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hrsg. v. Werner Besch, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger. Art. 125. Band 2. Berlin 1985 (HSK ⫺ Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.2), 1355⫺1368. Keil 1994 ⫽ Gundolf Keil: Epochenschwelle. In: Hoffnung und Verantwortung in unserer Zeit. Festschrift für Lothar Bossle zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Harald Müller. Paderborn 1994, 449⫺462. Klein 1957 ⫽ Hans Wilhelm Klein: Latein und Volgare in Italien. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen Nationalsprache. München 1957.

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

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27. Fachliches Handeln, Fachkommunikation und fachsprachliche Reflexionen in der Renaissance Raible 1996 ⫽ Wolfgang Raible: Relatinisierungstendenzen. [Lexikonartikel]. In: Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL). II, 1: Lateinisch und Romanisch. Historisch-vergleichende Grammatik der romanischen Sprachen. Hrsg. v. Günter Holtus, Michael Metzeltin und Christian Schmitt. Art. 100. Tübingen 1996, 120⫺134. Reith 1990 ⫽ Reinhold Reith (Hrsg.): Lexikon des alten Handwerks. Vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. München 1990. Roloff 1988 ⫽ Hans-Gert Roloff: Neulateinische Literatur. In: Propyläen 1988, 196⫺230. Sˇamurin 1964 ⫽ Evgenij Ivanovicˇ Sˇamurin: Geschichte der bibliothekarisch-bibliographischen Klassifikation. Band 1. Autorisierte wissenschaftliche Übersetzung und Registerzusammenstellung v. Willi Hoepp [Original russ.]. Leipzig 1964. ⫺ [Zeitraum von Antike bis einschl. 18. Jh.]. Schalk 1955 ⫽ Fritz Schalk: Das Publikum im italienischen Humanismus. Krefeld 1955. Schedel 1993 ⫽ Die Schedelsche Weltchronik. Nachdruck der deutschen Ausgabe von 1493. Kommentiert von Rudolf Pörtner. 5. Aufl. Dortmund 1993. Schipperges 1976 ⫽ Heinrich Schipperges: Arabische Medizin im lateinischen Mittelalter. Berlin. Heidelberg. New York 1976 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse 1976, 2). Schlieben-Lange 1989 ⫽ Brigitte Schlieben-Lange (Hrsg. ): Fachgespräche in Aufklärung und Revolution. Tübingen 1989 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 47). Schmitz/Keil 1984 ⫽ Rudolf Schmitz/Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Weinheim 1984 (Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung 11). Schmitz/Krafft 1980 ⫽ Rudolf Schmitz/Fritz Krafft (Hrsg.): Humanismus und Naturwissenschaften. Boppard 1980 (Beiträge zur Humanismusforschung 6). Schneider 1992 ⫽ Norbert Schneider: Porträtmalerei. Hauptwerke europäischer Bildniskunst 1420⫺ 1670. Köln 1992. Schreiner 1984 ⫽ Klaus Schreiner: Grenzen literarischer Kommunikation. Bemerkungen zur religiösen und sozialen Dialektik der Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformation. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981. Hrsg. v. Ludger Grenzmann und Karl Stackmann. Stuttgart 1984 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 5). Schulz-Buschhaus 1996 ⫽ Ulrich Schulz-Buschhaus: Gemeinromanische Tendenzen XIII: Konstituierung von Textsorten. [Lexikonartikel]. In: Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL). II, 1: Lateinisch und Romanisch. Historisch-vergleichende Grammatik der romanischen Sprachen.

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Hrsg. v. Günter Holtus, Michael Metzeltin und Christian Schmitt. Art. 117. Tübingen 1996, 538⫺ 557. Seigel 1968 ⫽ Jerrold E. Seigel: Rhetoric and Philosophy in Renaissance Humanism. The Union of Eloquence and Wisdom, Petrarch to Valla. Princeton 1968. Semenzato 1992 ⫽ Camillo Semenzato: Genio e botteghe. L’arte nell’Europa tra Medioevo ed Eta` Moderna. Milano 1992. ⫺ (Dt. Übers.: Glanz der Renaissance. Europäische Kunst vor 500 Jahren. Übers. aus dem Italien. v. Annemarie Seling. Gütersloh. München 1992). Shor 1976 ⫽ Franc Shor (Hrsg.): Aufbruch in die Neuzeit. Die glanzvolle Zeit der Renaissance in Wort und Bild. Luzern. Frankfurt/M. 1976 [Lizenzausgabe Zofingen: Ringier-Verlag]. Steger 1984 ⫽ Hugo Steger: Sprachgeschichte als Geschichte der Textsorten/Texttypen und ihrer kommunikativen Bezugsbereiche. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hrsg. v. Werner Besch, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger. Art. 13. Band 1. Berlin 1984 (HSK ⫺ Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.1), 186⫺204. Stierle 1987 ⫽ Karlheinz Stierle: Renaissance ⫺ Die Entstehung eines Epochenbegriffs aus dem Geist des 19. Jahrhunderts. In: Herzog/Koselleck 1987, 453⫺492. Störig 1982 ⫽ Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft. Bd. I [bis einschl. 18. Jh.], Bd. II. Frankfurt/M. 1982. ⫺ (Neuausgabe nach d. 4., durchges. [um Anm. u. Sachreg. gekürzten] Aufl. Stuttgart 1970). Strohmaier 1995 ⫽ Gotthard Strohmaier: Von Demokrit bis Dante. Die Bewahrung antiken Erbes in der arabischen Kultur. Hildesheim 1995 (Olms Studien 43). Strosetzki 1978 ⫽ Christoph Strosetzki: Konversation. Ein Kapitel gesellschaftlicher und literarischer Pragmatik im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Frankfurt/M. Bern. Las Vegas 1978 (Studia Romanica et Linguistica 7). Strosetzki 1991 ⫽ Christoph Strosetzki: Grammatiker, Humanisten und Moralisten. In: Geschichte der spanischen Literatur. Hrsg. v. Christoph Strosetzki. Tübingen 1991, 214⫺225. Svennung 1935 ⫽ J. Svennung: Untersuchungen zu Palladius und zur lateinischen Fach- und Volkssprache. Leipzig. Uppsala. Haag. Paris 1935. Szabo´ 1992 ⫽ Arpad Szabo´: Das geozentrische Weltbild. Astronomie, Geographie und Mathematik der Griechen. München 1992. Tavoni 1984 ⫽ Mirco Tavoni: Latino, Grammatica, Volgare. Storia di una questione umanistica. Padova 1984. Telle 1992 ⫽ Joachim Telle: Astrologie und Alchemie im 16. Jahrhundert. Zu den astroalchemischen

322

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Lehrdichtungen von Christoph von Hirschenberg und Basilius Valentinus. In: Buck 1992, 227⫺253. Teller 1989 ⫽ Jürgen Teller: Renaissancehumanismus. [Lexikonartikel]. In: Gurst/Hoyer/Ullmann/ Zimmermann 1989, 607⫺609. van Tieghem 1943 ⫽ Paul van Tieghem: La litte´rature latine de la Renaissance. E´tude d’histoire litte´raire europe´enne. Paris 1943. ⫺ (Nachdruck Gene`ve 1966). Tuchman 1978 ⫽ Barbara W. Tuchman: A Distant Mirror ⫺ The Calamitous 14th Century. New York 1978. ⫺ (Dt. Übers.: Der ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert. Übers. v. Ulrich Leschak und Malte Friedrich. Düsseldorf 1980. [Sonderausgabe 1991]). de Vecchi 1984 ⫽ Pier Luigi de Vecchi: Michelangelo ⫺ Der Maler. Aus dem Italien. v. Christel Galliani und Helga Böhmer. Stuttgart. Zürich 1984 [Sonderausgabe 1988]. Vernet 1978 ⫽ Juan Vernet: La cultura hispanoa´rabe en oriente y occidente. Barcelona 1978. ⫺ (Dt. Übers.: Die spanisch-arabische Kultur in Orient und Okzident. Aus dem Span. übers. v. Kurt Maier. Zürich. München 1984). Villwock 1988 ⫽ Jörg Villwock: Rhetorik und Poetik: theoretische Grundlagen der Literatur. In: Propyläen 1988, 98⫺120.

Vitale 1978 ⫽ Maurizio Vitale: La questione della lingua. 2da ed. Palermo 1978. Vossler 1929 ⫽ Karl Vossler: Frankreichs Kultur und Sprache. Geschichte der französischen Schriftsprache von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2., neubearb. Aufl. Heidelberg 1929 (Sammlung romanischer Elementar- und Handbücher. IV. Reihe: Altertumskunde, Kulturgeschichte. I.). Wilsdorf 1989 ⫽ Helmut Wilsdorf: Kartographie. [Lexikonartikel]. In: Gurst/Hoyer/Ullmann/Zimmermann 1989, 375⫺376. Zammattio/Marinoni/Brizio 1981 ⫽ Carlo Zammattio/Augusto Marinoni/Anna Maria Brizio: Leonardo der Forscher. Stuttgart. Zürich 1981 [Sonderausgabe 1987]. Zierer 1983 ⫽ Otto Zierer: Große illustrierte Weltgeschichte. 12: Am Tor der neuen Welt. 1400⫺1500 nach Chr. München. Berlin 1983. Zotter 1986 ⫽ Hans Zotter: Antike Medizin. Die medizinische Sammelhandschrift Cod. Vindobonensis 93 in lateinischer und deutscher Sprache. Mit 48 Faksimileseiten. 2. verb. Aufl. Graz 1986 (Interpretationes ad Codices 2). ⫺ (1. Aufl. 1980). ⫺ (Die Wiener Handschrift 93 [frühes 13. Jh., entstanden in Süditalien] dazu als vollständige farbige Faksimile-Ausgabe Graz 1980 in der Reihe ,Codices Selecti‘ 27).

Hartwig Kalverkämper, Berlin

28. Anfänge der europäischen Fachsprachenforschung im 17. und 18. Jahrhundert 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Latein oder Volkssprache: ein Positionswandel Das Differenzierende der Fachsprachen Fachsprachen und wissenschaftliche Erkenntnis Fachsprache und Wissensvermittlung: das Anliegen der Enzyklopädie Literatur (in Auswahl)

Latein oder Volkssprache: ein Positionswandel

Im Unterschied zu den Fachsprachen der Gelehrten sind die älteren, traditionellen Werkstattsprachen auf praktische Lebensbewältigung gerichtet und trachten nicht nach Erkenntnis an sich. Trotz oder gerade wegen der mündlichen und an die Arbeitsprozesse gebundenen Form der Weitergabe sind diese Werkstattsprachen des Handwerks, der Schiffahrt, des Bergbaus, des Ackerbaus oder der Jagd konservativ. Derartige Kommunika-

tionsformen führten erst dann zu einem Beschreibungsbedarf, als die Verständigung ⫺ etwa durch das Zusammentreffen verschiedener Sprachen ⫺ gestört wurde. Ergebnis solcher Beschreibungen sind deshalb nicht zufällig mehrsprachige Werke (z. B. Miguel Agusti, Livre des secrets de l’agriculture, 1617, mit einer Wortsammlung in lateinischer, spanischer, katalanischer, italienischer, portugiesischer und französischer Sprache). Zur Herausbildung einer stabilen und zum Vorbild werdenden Wissenschaftsprosa kam es allerdings erst, als der „Bruch mit dem Latein auch den Bruch mit den herrschenden Denkgewohnheiten“ (Olschki 1922, 63) bedeutete. Ein wissenschaftlicher Neuansatz dieser Art waren für die Naturwissenschaften mit Galileo Galilei (1564⫺1642) gegeben. Nachdem er bereits das Lateinische mit einer beachtlichen Freiheit gebraucht hatte und dabei Neuerungen eingeführt hatte (discursus,

28. Anfänge der europäischen Fachsprachenforschung im 17. und 18. Jahrhundert

peripheria, confrontatio), ging Galilei dazu über, das Toskanische auch in Texten akademischen Charakters zu verwenden (Lettere copernicane, 1613⫺1615; Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo, 1632). In seinem Saggiatore (1623) begründet er diese Entscheidung in Auseinandersetzung mit seinen Lateinisch schreibenden Gegnern mit einer neuen Sicht der Wissenschaft, die auch für praktische Anwendungen offen sein soll. Doch gerade am Beispiel Galileis, nämlich nach dessen Verurteilung (1633), wurden die Vorteile des Latein offensichtlich. Lateinisch geschriebene neue Lehren gerieten nicht in Verdacht, über den Kreis der Spezialisten hinaus verbreitet zu werden, außerdem war die Möglichkeit einer breiteren, nationale Grenzen überschreitenden Diskussion gegeben. Noch im 18. Jh. übersetzten mehrsprachige technische Wortsammlungen ihre Eintragungen in der Regel auch ins Lateinische. (C. Roland de Virloyer, Dictionnaire de l’architecture, 1770; Philipp Nemnich, Allgemeines Polyglottenlexicon der Naturgeschichte, 1793⫺98). Nach Abschluß des deutschsprachigen Zyklus seiner Werke greift selbst Christian Wolf wieder auf das Lateinische als Kommunikationsmittel der Gelehrtenrepublik zurück. Neben den kommunikativen Bedingungen der Verbreitung wissenschaftlicher Werke gab es unterschiedliche Motivationen für das Festhalten am Latein. Für dem Newtonschen Paradigma folgende Arbeiten bleibt Latein die begriffliche Grundlage, trotz Bernard Bovier de Fontenelles galant-akademischer französischer Verarbeitung in den Entretiens sur la pluralite´ des mondes (1686). In der Medizin wurde das Latein auch zur Dokumentierung des Wissenschaftsstatus eingesetzt, während sich die Chirurgie schon lange volkssprachlicher Darstellungen bediente. In neu entstehenden Wissenschaften, die weniger Rücksicht zu nehmen brauchten, ging man eher vom Gebrauch des Latein ab, etwa in der Elektrizitätslehre, wo Volta ausdrücklich gegen das idioma in or e in us polemisiert. Allerdings wird auch auf diesem Gebiet noch gegen Ende des 18. Jh. das Erscheinen hochrangiger Werke in Latein von ihren Autoren ausdrücklich verteidigt (Luigi Galvani, De viribus electricitatis in motu musculari commentarius, 1791).

Eine wichtige Basis verlor das Latein mit der Auflösung des Jesuitenordens, dessen Bildungseinrichtungen für ausreichende Lateinkenntnisse gesorgt hatten. Als nun zunehmend sprachliche Schwierigkeiten auftraten, stand für den internationalen Austausch das Französische zur Verfügung, dessen sich auch

323

der Elektrizitätsspezialist Volta, schließlich sogar teilweise Galvani bediente. Bereits der Prozeß der Ablösung des Lateins war von sprachtheoretischen Diskussionen begleitet (vgl. Ferri da Longiano, Pro linguae latinae usu adversus Alambertium, 1771, als Gegenstück das anonyme Pregiudizi d’insegnar le scienze e le arti in lingua latina). Die Suche nach einer für die Gelehrtenrepublik geeigneten Sprache überschneidet sich nun teilweise mit der Diskussion um die Universalität des Französischen.

2.

Das Differenzierende der Fachsprachen

Betrafen die genannten Diskussionen Geltungsbereiche von Sprachen als Kommunikationsmittel, so gab es jedoch bereits im 17. Jh. konkrete Beschreibungen von Fachsprachen. Neben allgemeinen Wörterbüchern waren bereits im 16. Jh. und in der ersten Hälfte des 17. Jhs. zunächst aus praktischen Bedürfnissen verschiedene Typen von Spezialwörterbüchern entstanden. Furetie`re, dessen Auseinandersetzung mit der Acade´mie franc¸aise dagegen die Formulierung allgemeiner Prinzipien einer extensiven Lexikographie zu verdanken ist, unterstreicht im Untertitel seines Werkes den Anspruch auf Vollständigkeit sowohl in diachronischer Richtung als auch im Hinblick auf fachsprachliche Wortschatzbereiche: Dictionnaire universel, contenant ge´ne´ralement tous les mots franc¸ais tant vieux que modernes et les termes des sciences et des arts (Rotterdam 1690). Gerade in der Aufnahme fachsprachlicher Wörter und dem damit unterstrichenen Universalitätsanspruch liegt ein Moment, das den Erfolg extensiver Wörterbücher sicherte. Zu den Adressaten solcher Wörterbücher gehörten neben einer gebildeten Elite auch zunehmend bürgerliche Kreise, die ohne philologische Vorbildung Antwort auf vielfältige Sachfragen suchten. Restriktiv in Hinsicht auf die Vielfalt des Sprachgebrauchs waren demgegenüber die Normierungsbestrebungen der Sprachakademien. Mit einer zeitlichen Vorrangstellung gegenüber vergleichbaren Unternehmen in anderen Ländern erschien 1612 das Wörterbuch der Accademia della Crusca. Das 1694 erschienene Dictionnaire de l’Acade´mie franc¸aise ist in seinem restriktiven Vorgehen vor allem durch die Orientierung am bon usage bestimmt. Sprachliches Vorbild wurde der finanziell unabhängige Mensch mit vollendeten höfischen Umgangsformen, der sich zwar in der Konversation zu allen Wissensgebieten äußern kann, dabei jedoch keinesfalls den Verdacht zu detaillierten Wissens oder gar

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

einer zum Broterwerb ausgeübten Tätigkeit erwekken möchte und schon deshalb Fachwörter vermeidet.

Als unmittelbares Komplement zum Dictionnaire de l’Acade´mie franc¸aise erschien jedoch im gleichen Jahr (1694) und im direkten Auftrag der Akademie das Dictionnaire des arts et des sciences von Thomas Corneille, in dessen Vorwort allerdings die Auseinandersetzung mit Furetie`re als der eigentliche Auslöser deutlich wird. Dem Geschmack, den das Publikum an der Kenntnis der termes des Arts gefunden hatte, sollte auch durch ein offiziell dazu autorisiertes Werk Rechnung getragen werden. Ebenso wie in Frankreich entstand auch in Spanien nach dem Wörterbuch der Akademie (1726⫺1739) eine lexikographische Erfassung des Sprachgebrauchs in Künsten und Wissenschaften (Terreros y Pando, Diccionario Castellano con las voces de ciencias y artes y sus correspondientes en las tres lenguas francesa, latina e´ italiana, Madrid, Ibarra 1786⫺1793), und auch in Italien konsolidiert sich die Fachterminologie nicht zuletzt durch lexikographische Initiativen, die den Mängeln des Vocabulario della Crusca abhelfen sollten. Es ist somit festzustellen, daß gerade dort, wo das Wirken von Sprachakademien zunächst von einer Fachsprachliches ausgrenzenden Normauffassung ausgeht, kompensatorische Beschreibungen der Fachwortschätze vorgelegt werden. Diese Entwicklung ist Ausdruck eines inzwischen bestehenden Bedarfs an Wort- und Sacherklärungen in Bereichen, die speziellere Kommunikationsgegenstände betreffen.

3.

Fachsprachen und wissenschaftliche Erkenntnis

Als ein weiterer Anstoß für die Beschäftigung mit Fachsprachen kam das Bestreben hinzu, sprachliche Mittel für den Erkenntnisprozeß zu optimieren. Baum (1992, 148) schlägt in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von primärer und sekundärer Sprachgestaltung vor. Primäre Sprachgestaltung erstreckt sich auf alle Bereiche des Sprachlichen und bedingt die Existenzform von Hoch- oder Kultursprache. Sekundäre Sprachgestaltung hingegen entfaltet sich vornehmlich auf dem Gebiet des Wortschatzes und hat in der Regel die Existenz einer Hochsprache zur Voraussetzung.

Priorität in der Forderung nach einer Universalsprache zu kognitiven Zwecken beansprucht Gottfried Wilhelm Leibniz (Ricken 1989, 10 ff). Seit seiner Abhandlung De arte

combinatoria (1666) beschäftigte ihn das Problem der Leistung der Zeichen für das Denken und der Übertragbarkeit der für die Algebra so hilfreichen Zeichenkombinatorik auf andere Wissenschaften. Leibniz betrachtet die Sprache als „gleichsam neues Organ, das die Leistungsfähigkeit des Geistes weit mehr erhöhen wird, als die optischen Instrumente die Sehschärfe der Augen verstärken und das die Mikroskope und Fernrohre im selben Maß übertreffen wird, wie die Vernunft dem Gesichtssinn überlegen ist“ (Leibniz 1904, 35). Mit seinen 1717 veröffentlichten Unvorgreiflichen Gedanken betreffend die Ausübung der deutschen Sprache setzt Leibniz die kulturpatriotische Sprachbewegung des 17. Jhs. fort, betont aber die Entwicklung des Deutschen als Wissenschaftssprache und stützt sich auf zeichentheoretische Überlegungen aus vorangegangenen Schriften (Rikken 1989, 15). Schon vor Veröffentlichung dieser Leibnizschen Schrift hatte Christian Wolf 1707 in Halle damit begonnen, seine Vorlesungen in deutscher Sprache zu halten und einen deutschsprachigen Zyklus mathematisch-naturwissenschaftlicher Lehrbücher und philosophischer Werke abzufassen. Der in deutschen Wissenschaftstexten damals noch vielfach üblichen lateinischen und französischen Fachterminologie begegnet er mit der Forderung nach Reinheit der deutschen Wissenschaftssprache (Ricken 1989, 20 ff). Einer seiner Beweggründe war der aus aufklärerischem Sendungsbewußtsein erwachsene Wunsch, einem möglichst breiten Publikum verständlich zu sein. Seine praktischen Bemühungen um die Einführung neuer deutsche Kunstwörter verbindet er aber auch mit zeichentheoretischen Überlegungen, die insbesondere Analogie in der Sprache im Interesse von Erkenntniszwecken anstreben. Ein Musterbeispiel für gelungene Analogie sei die deutsche Bezeichnung für cognitio confusa : undeutliche Erkenntnis. Bereits durch die allgemeinsprachliche Bedeutung ist undeutliche Erkenntnis durchsichtig und zusätzlich in der Fachsprache durch die Gegenüberstellung zu deutliche Erkenntnis gestützt, während eine solche morphosemantische Motiviertheit bei cognitio distincta/cognitio confusa im Lateinischen der Erkenntnis nicht zur Verfügung steht (Ricken 1989, 22). Soweit wie möglich sollten schon vorhandene deutsche Kunstwörter genutzt werden. Neue Kunstwörter sollten nicht als Übersetzungen aus dem Lateinischen, sondern nach deutschem Sprachgebrauch gebildet werden, um solche lächerlichen Wortbildungen zu vermeiden, wie etwa Dinger-Lehre für Ontologie, wofür Wolff Grund-Wissenschaft vorschlägt. Wenn Wolff den Zeichen die Eigenschaft

28. Anfänge der europäischen Fachsprachenforschung im 17. und 18. Jahrhundert zuschreibt, willkürlich zu sein, so meint dies neben dem Fehlen einer den Lautformen inhärenten Bedeutung vor allem die Möglichkeit zur zweckgerichteten Auswahl von Zeichen. Daraus kann sich ergeben, daß ein lateinischer Terminus durch unterschiedliche deutsche Entsprechungen wiedergegeben wird: principium mutationum ⫺ Quelle der Veränderung; principium rationis sufficientis ⫺ Satz des zureichenden Grundes. Zur zweckgerichteten Terminologiearbeit Wolffs gehören auch sprachdefinitorische Bemühungen, die etwa bei der Erklärung von Ding als Entsprechung von ens, den Differenzierungen von Bewußtsein und Gewissen, Begriff und Vorstellung, Grund und Ursache auf Bedeutungspräzisierungen gerichtet sind.

Die gleichzeitige Arbeit am Erkenntnisfortschritt und an der zugehörigen Wissenschaftsprache wurde seit der Mitte des 18. Jh.s von mehreren Gelehrten gefordert. Anknüpfend an das von Leibniz entwickelte Ideal einer den Strukturen des Universums entsprechenden Sprache sind für Johann Heinrich Lambert Wörter „wissenschaftlich, wenn sie nicht nur überhaupt die Begriffe oder Dinge vorstellen, sondern auch solche Verhältnisse anzeichen, daß die Theorie der Sachen und die Theorie ihrer Zeichen mit einander verwechselt werden können“ (Lambert 1764, II, 16). Wenn das einzige Mittel der Wahrheitsfindung nach Etienne Bonnot de Condillac im analytischen, das heißt die Erscheinungen gliedernden Vorgehen besteht, so ist dieses seinerseits auf Zeichen angewiesen. Vom Grad der Vollkommenheit der Sprachen hängt somit die Entwicklung des Denkvermögens ab. Condillac selbst hatte versucht, am Beispiel seiner Schrift Le Commerce et le Gouvernement conside´re´s relativement l’un a` l’autre (1776) eine vorbildliche Fachsprache zu schaffen, die er ausdrücklich als grundlegend für jede Wissenschaft betrachtet (Condillac 1947⫺51, II, 242). Zum Reformer der Fachsprache der Chemie wurde Antoine Laurent Lavoisier (1743⫺1794). Nachdem er mit der Erkenntnis, daß es sich bei der Oxydation um ein elementares Prinzip handelt, die Chemie auf eine neue Grundlage gestellt hatte, veröffentlichte Lavoisier 1787 gemeinsam mit anderen seine Me´thode de nomenclature chimique. Vorangestellt ist ihr eine am 18. April 1787 auf der Sitzung der Acade´mie des Sciences verlesene Abhandlung über die Notwendigkeit der Reform der Fachsprache der Chemie, in der er ganz im Sinne Condillacs die Fachsprache als analytische Methode betrachtet und ihre

325

Vervollkommnung zu Erkenntniszwecken fordert (Baum 1992, 152). Als 1798 Condillacs unvollendetes Werk über die Sprache des Rechnens erschienen war, gab vor allem die reduktionistischen Deutungen Vorschub leistende Bestimmung der Wissenschaft als einer wohlgeformten Sprache (langue bien faite) Anlaß für ausdrückliche Stellungnahmen der Ideologen, einer Gruppe von Gelehrten, die sensualistische erkenntnistheoretische Positionen fortsetzten. Die Beschreibung des Einflusses der Zeichen auf die Ideenbildung und den Fortschritt in den Wissenschaften wurde schließlich für die Jahre 1797⫺99 sogar als Preisaufgabe des Institut National ausgeschrieben.

4.

Fachsprache und Wissensvermittlung: das Anliegen der Enzyklopädie

Doch nicht nur für die Suche nach neuen Erkenntnissen, sondern auch für das Verbreiten von bereits Bekanntem wurde die zu leistende sprachliche Arbeit diskutiert. Zur Befreiung von unreflektiertem Sprachgebrauch, der oft genüge, um unser Verhalten zu steuern, formuliert Denis de Diderot das Definieren und Normieren der Wortinhalte als Aufgabe, die hohe Sachkenntnis erfordert. Daß sich diese Arbeit wesentlich von der Art unterscheidet, in der Sprache bisher als Voraussetzung wissenschaftlicher Kommunikation betrachtet wurde, hat insbesondere Jean le Rond d’Alembert im Discours pre´liminaire de l’Encyclope´die verdeutlicht. Durfte man zunächst Texte studieren, um dadurch auch Gewinn für die Beschreibung der Objektwelt zu erreichen, so konnte die Orientierung auf die Wörter (mots) bald zum Hemmnis für die Erkenntnis der Dinge (choses) werden. Das daraus abgeleitete sprachliche Ziel der Enzyklopädie ist daher auch keine philologische Sprachkritik, sondern eine sprachgestaltende Kommunikationswissenschaft. In Theorie und Praxis der Behandlung fachsprachlicher Erscheinungen ist die Encyclope´die das wohl deutlichste Zeugnis für eine gesellschaftliche Neubewertung der Arts et Sciences und damit des Spezialistentums im 18. Jh. Daß die bisherigen Wörterbücher den Anforderungen nicht gerecht werden konnten, liege neben der zu langen Erarbeitungszeit vor allem an den Vorbehalten gegenüber Fachleuten als Mitautoren. Unabhängig davon, ob sie Handwerker oder Philosophen sind, haben die Kenner der einzelnen Fachgebiete mit den

326

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Bezeichnungen für die von ihnen erkannten Erscheinungen Werkzeuge für das weitere Eindringen in ihr Wesen und die Weitergabe von Kenntnissen zu schaffen. Die Forderung nach fachlicher und fachsprachlicher Kompetenz der Artikelautoren findet im Prospectus der Encyclope´die ihren Ausdruck in der Feststellung, daß ein homme de lettres, so gut er auch seine Sprache kenne, höchstens den zwanzigsten Teil ihres Wortschatzes beherrschen würde (D’Alembert 1965, 139). In diesen knappen Formulierungen wird eine Schwierigkeit der Beschreibung von Fachsprachen ausgedrückt, die gerade bei der praktischen Arbeit an der Enzyklopädie deutlich geworden war. Die Verständigung der Fachleute beruht schließlich auf Gewohnheit, die nicht in jedem Fall sprachlich deutlich werden muß, denn gerade fachsprachliche Kommunikation ist in eine Vielfalt von Tätigkeiten eingebunden, die erst ihr Verständnis gewährleisten. Da die Fachsprachen als Bestandteil anderer Tätigkeitsformen der Menschen verwendet und in ihrem Sinn durch diese ergänzt werden, war es notwendig, nicht nur Wort- und Sacherklärungen zu geben, sondern gleichzeitig möglichst viel über die Sprechsituationen zu vermitteln. Das zu diesem Zweck vorhandene schriftliche fachsprachliche Material wird, zumindest für die arts me´caniques für völlig unzureichend erklärt. Wenn die betreffenden Werke nicht von vornherein so schlecht sind, daß sie nur auf die Notwendigkeit einer besseren Behandlung des betreffenden Gebiets verweisen, so sind sie entweder von fachlich inkompetenten hommes de lettres geschrieben oder setzen so viel operationelles Wissen voraus, daß das sprachlich Vorliegende nicht zum Verständnis ausreicht. Ein Ausweg wird nur darin gesehen, Handwerker selbst bei der Arbeit zu beobachten, ihre sprachlichen Äußerungen zu notieren, Artikel gemeinsam mit ihnen zu korrigieren und gegebenenfalls sogar selbst entsprechende Geräte zu bedienen, um das Zusammenwirken des Sprachlichen mit dem Gegenständlichen bei der Arbeit zu verstehen. Der nomenklatorische Ausbau der Kultursprache wurde somit von den Fachleuten einer Disziplin selbst in Angriff genommen und befördert. Dabei markiert der Zeitpunkt, zu dem das geschieht, oft auch einen Einschnitt in der Geschichte der Disziplin oder des Fachgebiets. Der Beginn einer solchen neuen Epoche beruht oft auf der Initiative von einzelnen (Baum 1992), bedarf jedoch einer Sanktionierung durch die betroffenen Fach-

leute und letztlich durch die Sprachgemeinschaft.

5.

Literatur (in Auswahl)

Albrecht/Baum 1992 ⫽ Jörn Albrecht/Richard Baum (Hrsg.): Fachsprache und Terminologie in Geschichte und Gegenwart. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 14). D’Alembert 1965 ⫽ Jean le Rond d’Alembert: Discours pre´liminaire de l’Encyclope´die. Paris 1965. Baum 1992 ⫽ Richard Baum: Die Revolution in der Chemie im Spiegel der Sprache: Das terminologische Manifest Antoine Laurent Lavoisiers von 1787. In: Albrecht/Baum 1992, 145⫺167. Condillac 1947⫺1951 ⫽ Etienne Bonnot de Condillac: Œuvres philosophiques de Condillac. Paris 1947⫺1951. Encyclope´die 1778⫺1781 ⫽ Encyclope´die, ou Dictionnaire raisonne´ des Sciences, des Arts et des Me´tiers. Lausanne et Berne 1778⫺1781. Lambert 1964 ⫽ Johann Heinrich Lambert: Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung von Irrthum und Schein. Leipzig 1764. Lavoisier 1787 ⫽ Antoine-Laurent Lavoisier: Me´moire sur la ne´cessite´ de re´former & de perfectionner la nomenclature de la Chimie, lu a` l’Assemble´e publique de l’Acade´mie Royale des Sciences du 18 Avril 1787. In: Guyton de Morveau, Louis Bernard/ Antoine-Laurent Lavoisier/Claude-Louis Berthollet/Antoine Franc¸ois de Fourcroy (1787): Me´thode de Nomenclature Chimique. Paris 1787, 1⫺25. Leibniz 1904⫺1906 ⫽ Gottfried Wilhelm Leibniz: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Leipzig 1904⫺1906. Olschki 1919⫺22 ⫽ Leonhard Olschki: Geschichte der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur. 2 vol. Leipzig 1919⫺22. Ricken 1989 ⫽ Ulrich Ricken: Leibniz, Wolff und einige sprachtheoretische Entwicklungen in der deutschen Aufklärung. Berlin 1989 (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 129.3). Schlieben-Lange 1989 ⫽ Brigitte Schlieben-Lange (Hrsg.): Fachgespräche in Aufklärung und Revolution. Tübingen 1989. Storost 1972 ⫽ Jürgen Storost: Zur Herausbildung der Grundsätze der modernen französischen Fachsprache der Chemie im ausgehenden 18. Jh. unter Beachtung des philosophischen Einflusses von Condillac. In: Beiträge zur Romanischen Philologie 11. 1972, 291⫺311. Trabant 1983 ⫽ Jürgen Trabant: Das Andere der Fachsprache. Die Emanzipation der Sprache von der Fachsprache im neuzeitlichen europäischen Sprachdenken. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 51/52. 1983, 27⫺47.

Gerda Haßler, Potsdam

29. Deutsch als Fachsprache in den historischen u. philologischen Wissenschaften seit dem 19. Jh.

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29. Deutsch als Fachsprache in den historischen und philologischen Wissenschaften seit dem 19. Jahrhundert 1. 2. 3. 4.

1.

Die deutsche Sprache und das 19. Jh. Kulturspezifische Erkenntnis, Wissenschaft und Sprache Schluß Literatur (in Auswahl)

Die deutsche Sprache und das 19. Jh.

1.1. Die wachsende Bedeutung des Deutschen Im 19. Jh. rückt die deutsche Spache unter die weltweit bedeutendsten Fach- und Wissenschaftssprachen auf. Der Grund dafür war nicht nur, daß das bis dahin wirksame geordnete Gefüge der Sprachen internationaler Kommunikation erschüttert war. Vielmehr gewinnen veränderte Konzepte des Verhältnisses von Sprache und Denken einen beherrschenden Platz, die einer Sprache vom Entwicklungsstand des Deutschen eine veränderte Interpretation der eigenen Rolle erlaubten. 1.1.1. Latein, Französisch und noch nicht Englisch So ist die neue Lage des Deutschen dadurch gekennzeichnet, daß das Lateinische ⫺ wenn auch nicht ohne Zögern ⫺ seinen Platz als Sprache der Gelehrtenrepublik verlassen hat (vgl. Pörksen 1986, 42 ff). Komplexer ist die Lage gegenüber dem Französischen. Im 18. Jh. war es noch der übermächtige Konkurrent gewesen, demgegenüber man sich auf der einen Seite emanzipieren mußte, das aber andererseits das widerwillig bewunderte Vorbild für eine Sprache abgab, die den gesellschaftlichen Anforderungen der Zeit völlig angepaßt erschien. Mit dem älter werdenden 18. Jh. wird aber den Pflegern und Normierern der deutschen Sprache, die zu dieser Zeit das sprachwissenschaftliche Geschäft tragen, klar, daß die kommunikativen Ideale einer höfisch-aufgeklärten Gesellschaft, wie sie das Französische transportierte, den Verhältnissen in Deutschland nicht entsprachen, und sei es nur wegen der Zeitversetzung, mit der die jeweiligen Normen hier ankommen (vgl. aber Schreiner 1992, 85⫺91; 120 ff; 179 f; 193 ff). Aus Gründen dieser gesellschaftlichen Diskrepanz gewinnt vor allem im Norden des deutschen Sprachgebiets das Englische deutliche Vorbildfunktion.

1.1.2. Ein nationales Konzept von Fachlichkeit Letztlich aber entwickelt sich ein eigenständiges deutsches Modell angemessener fachlicher Kommunikation, das seine Gestalt daher bezieht, daß

das Bildungsbürgertum, jene für die deutsche Entwicklung besonders kennzeichnende Schicht, zum Wortführer des gesellschaftlich-politischen Wandels wird (s. Wehler 1987, 210 ff; Mattheier 1991; Linke 1991; von Thadden 1991, 505 f). Die Identität des deutschen Bildungsbürgertums muß sich auf einer Ebene stabilisieren, die von den Disparatheiten der politischen Organisation nicht betroffen ist. Die Überlegungen Johann Gottfried Herders zur Wirksamkeit des Volksgeistes liefern hierzu einen willkommenen Ansatzpunkt (s. Werlen 1989, 30 ff). Allmählich werden so mehr und mehr Teile des wissenschaftlichen Diskurses den bürgerlichen und nationalsprachlichen Bedingungen angepaßt; man kann das daran sehen, daß das Deutsche nicht mehr als pädagogisches Hilfsmittel eingesetzt wird, sondern sich formal und von den benutzten Textsorten her einer neuen, bürgerlich-„pedantisch“ geprägten Schriftsprachlichkeit anpaßt (s. Eichinger 1990; 1995). So entwickeln sich Textsorten und Funktionalstile, die dem Angemessenheitsempfinden einer gebildeten bürgerlichen Schicht angepaßt waren. Man denke hierbei z. B. an die Leittexte der Philosophie. Deren Sprachform ist für unseren Zusammenhang wichtig, betont sie doch sehr stark einen neuen Charakter von Schriftsprachlichkeit mit spezifischen Merkmalen einer hohen Kondensation, die auf die Möglichkeit zum Wiederlesen angelegt sind. Des weiteren ist zu betonen, daß schon seit Leibnizens Bemühungen um den angemessenen Ausbau des Deutschen angenommen wird, daß die Grenze zwischen Vernunft und Unvernunft, Rationalem und Irrationalem hier mehr in Richtung des nicht rein Logischen verschoben werden könnte: „Der Begriff ,Wissenschaft‘ umfaßt seit Leibniz einen viel weiteren Spielraum als der entsprechende Terminus ,science‘ im Französischen oder Englischen. Der leibnizsche Entwurf für wissenschaftliche Akademien schloß nicht nur das Studium der Natur, sondern auch der freien Künste mit ein“ (Iggers 1976, 49 f; vgl. Bubner 1990, 9). Gegen Ende des Jh.s entwickelt sich auf dieser Basis ein Konzept von Bildung und Wissenschaft, das auf der Erkenntniskraft der Muttersprache und der in ihr festgewordenen historischen Erfahrungen fußt. Seine institutionellen Konsequenzen in Form der humboldtschen Universitätsreform und der gymnasialen Bildung gelten im 19. Jh. weithin als vorbildhaft. Es wirken also inhaltliche wie institutionelle Faktoren zusammen, damit das Deutsche nicht nur zur Fachsprache der historischen und philologischen Fächer in Deutschland, sondern zu einer der großen Wissenschaftssprachen des „langen (⫺1918)“ 19. Jahrhunderts heranwächst.

1.2. Die praktischen Voraussetzungen Den institutionellen Rahmen für die Statusveränderung des Deutschen bildete das seit dem Beginn des 19. Jhs. entwickelte neue

328

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Universitäts- und Gymnasialwesen. Es beruht auf der Ideologie des Neuhumanismus und ist getragen von der Säkularisierung der staatlichen Verwaltung. Beides paßt das Bildungswesen an die führende gesellschaftliche Rolle des Bildungsbürgertums an. Das neue Bildungswesen ist durch die staatliche Organisation von unmittelbarer gesellschaftlicher Einflußnahme geschützt, es richtet seine Erziehung am Ideal der individuellen Vervollkommnung aus, für welche die griechische Antike als Exempel gilt. Sie zielt nicht auf den Erwerb praktischer Fähigkeiten und auch nicht auf die Einführung in eine Diskurswelt, in der Anziennität und ein unverbindliches Diskurswissen den Ausweis der Zugehörigkeit geben (s. Bourdieu 1982, 125 ff; 143 ff). Vielmehr wird die Selbstreproduktion des die erste Hälfte des 19. Jh. bestimmenden Bildungsbürgertums durch die in individueller Leistung erworbene Bildung garantiert. Diese weist neben ihren antikisierenden Tendenzen der historischen Kenntnis „nationaler“ Gedächtniselemente einen entscheidenden Platz zu. So soll die eigene Position als organische Entwicklung der eigenen Nation und diese wiederum als wesentliches Elemente der vorbildhaften europäischen Tradition dargestellt und kennengelernt werden. Die staatlich gesicherte Forschung und Lehre in diesen Bereichen, die Möglichkeit damit, diese Wissensbestände nur aufgrund eigener Leistung kennenzulernen, erlauben es auch, die Schicht derer zu vergrößern, die sich mit diesem Bild identifizieren können. Man kann das an „Kleine-Leute-Karrieren“ sehen (vgl. J. A. Schmeller), die neben die traditionelle Quelle des Bildungsbürgertums im Umkreis vor allem der protestantischen Theologie treten (s. Giesen/Junge 1991, 276). Dazu trägt bei, daß man allmählich Berufe finden kann, die der Fortentwicklung dieses Bereiches dienen. Die Art der Forschungsund Bildungsstätten, die diese Möglichkeiten bieten, bestärkt zudem jene Einheit der Nation, die durch die deutsche Kultur zusammengehalten wird. Wenn auch hier von Anfang an Positionen sichtbar sind, die eine enge deutsch-nationale Interpretation forcieren (s. Römer 1991), so ist im Hauptstrom der Wissenschaftskonstitution der Gedanke leitend, in genauer Wissenschaftlichkeit und ohne unmittelbares Gegenwartsinteresse die Wurzeln der eigenen Kultur auf deren früheren Stufen zu finden. Ein ideales Mittelalter mit seiner Volkssprachigkeit erweist sich hierbei als eine Projektionsfolie, welche

die gleichwertige Bedeutung der germanischen und der romanischen Kultur für die europäische Entwicklung nachzuweisen erlaubt. Dabei wird mit der Gleichsetzung der germanischen und der romanischen Tradition als zweier spezifischer, aber gleichberechtigter Ausprägungen europäischer Kultur implizit der Vorrang des Französischen, welcher bisher gegolten hatte, bestritten. So gesehen zeigt die wissenschaftssoziologische Analyse im Sinne Talcott Parsons lediglich die institutionellen Folgen des generelleren Wandels in einem komplexen System auf, der in Substrukturen, wie dem dann herrschenden Muster von Wissenschaftlichkeit, zu neuen Ordnungsstrukturen führt. Talcott Parsons „spricht hinsichtlich der Zeit um 1800 von der Herausbildung des ,disziplinar-professionellen Komplexes‘ als entscheidendem Strukturwandel bei der Genese der ,modernen Wissenschaft‘: eine noch weitgehend undifferenzierte, ganzheitliche ,traditionelle Wissenschaft‘ verwandelte sich in die spezialistische ,moderne Wissenschaft‘ des 19. Jh.s bzw. in wissenschaftliche Disziplinen. Die Wissenschaftler bzw. Gelehrten als die unmittelbaren sozialen Träger von Wissenschaft/Gelehrsamkeit treten in einen Professionalisierungsprozeß ein, d. h. wissenschaftliche Berufe bilden sich heraus. Diese Berufe bedürfen einer spezialistisch-disziplinären Ausbildung sowie Institutionen, die diese Ausbildung tragen“ (Hültenschmidt 1985, 342 f; vgl. Bahner/Neumann 1985, 196 ff; von Raumer 1870, 293 ff).

1.3. Der Inhalt der neuen Wissenschaftlichkeit Es ist nicht zufällig, daß die entscheidenden Schritte einer Trennung der Untersuchung von „Natur und Geist“ (s. Bubner 1990), was die Verwissenschaftlichung der Beobachtung des Geistes angeht (s. Oesterle 1991, 304 f), bei der klassischen Philologie ansetzte, die sich als eine Art „Altertumskunde“ zu verstehen begann, und damit den Weg zur Verwissenschaftlichung durch Historisierung voranging. Gerade der Objektbereich der Altphilologie war dadurch, daß von verschiedenster Seite Interesse vor allem am Griechischen angemeldet wurde, in der spätaufklärerischen Zeit in eine Phase der Unordnung geraten, die durch Textbezug und methodische Strenge überwunden werden konnte. Warum gerade die klassische Philologie? Seit der breiteren Wirkung der sprachphilosophischen Überlegungen Johann Gottfried Herders ist die Sprach- und damit Nationsgebundenheit von Kultur zum Axiom weiterer Forschung geworden. Es bedarf einer ganz genauen und nicht von moderner Schiefsichtigkeit geprägten Betrachtung der sprachlichen Verhältnisse, um den historischen Eigenwert einer Kultur erschließen zu können. Diese Distanzierung vom Eigenen ist nun der eigentliche

29. Deutsch als Fachsprache in den historischen u. philologischen Wissenschaften seit dem 19. Jh.

Schritt zur wissenschaftlichen Disziplinierung, zum historischen Blick auf vergangene Ereignisse. Die dazu notwendige Distanz bedarf des Absehens von der Nützlichkeit für die eigene Zeit, weil das die Intention der Untersuchung in eine inadäquate Richtung führen könnte. Das heißt auch, man versucht aus den vielen im Rahmen der enzyklopädischen Tendenzen der zweiten Hälfte des 18. Jh.s zusammengetragenen Wissensbeständen, die in ihrer Fremdartigkeit der Erhellung des eigenen Standpunktes dienen sollten, eine neue Konsequenz zu ziehen: die Untersuchung der Einzelheiten hat einen eigenen Wert für die historische Erkenntnis, und zudem hat der Wissenschaftler die Aufgabe, über den Einzelheiten das Konzept sichtbar zu machen, in das sie gehören (s. Bubner 1990, 9⫺11), einen internen Zusammenhang herzustellen. Aus verschiedenen Gründen waren beide Punkte bei der klassischen Philologie vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen. Zum einen war gerade in der Arbeit mit antiken Texten die textphilologische Arbeit schon am weitesten entwickelt ⫺ nicht zuletzt, da es sich zum Teil auch um heilige Texte handelt, wo es um das Ioata geht ⫺, zum anderen waren das Griechische und dann langsam auch das Lateinische aus ihren praktischen Zusammenhängen ausgeschieden, boten aber eine positive ideologische Folie. Gerade diese ideologische Wirkung hatte in den letzten Jahrzehnten des 18. Jh.s neue Diskurswelten erobert, die man mit dem Namen Winckelmanns andeuten kann. Dabei gewinnt nun die genaue Kenntnis und Bemühung um den Text im Gefolge der Herderschen Gedanken zum Zusammenhang von Sprache, Kultur und Nation einen nochmals erhöhten Stellenwert. So wird von Friedrich August Wolf an der „neuen“ Universität Halle das Konzept einer „Altertumswissenschaft“ entwickelt (s. Hültenschmidt 1985), die in der Übergangsphase des späten 18. Jh.s Ansatzpunkte zur Aufwertung und Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit den volkssprachlichen Kulturen bot. Wolf führt aus, daß die alten Sprachen nicht nur als „Instrumente“ zu betrachten wären, vielmehr gehörten sie als ein Teil zur Kenntnis des Altertums (s. Hültenschmidt 1985, 352), womit er auch darauf hinweist, daß eine rein grammatische Analyse der Sprachen nicht sein Bild von Wissenschaftlichkeit prägt. Die Auseinandersetzung um diese Frage, die etwa im Nebeneinander von Bopp und Grimm ein germanistisch-indogermanistisches Echo hat, zeigt immerhin, daß die sprachwissenschaftli-

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che Analyse zum Kern einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit zeitlich entfernten Kulturen wird, die auch in ihrer zeitlichen Distanz erfaßt werden sollen: das war der Schritt, der wegen des Status der klassischen Sprachen als toter Sprachen besonders leicht zu tun war. Dennoch ist auch diese Darstellung von dem Gefühl getragen, das im Historismus fortleben wird, daß es sich bei dem untersuchten Zeit- und Kulturabschnitt um eine vorbildhafte Phase handle. Das ist die Begründung dafür, daß diese Art von Studien und ihre Ergebnisse einen wesentlichen Platz in der bürgerlich-nationalen Bildungskultur finden. Sie zeigen vorbildhaft die Entwicklung einer europäischen Kultur aus nationalen und damit sprachlichen Individualitäten, sind so aber auch nur ein Muster dafür, was in den volkssprachlichen europäischen Kulturen überhaupt angelegt ist: „Dieser […] Vergötterung der Griechen gegenüber regt sich gegen Ende des 18. Jh.s das Gefühl, daß die Poesie nicht einem einzigen Volk und einem einzigen Zeitalter allein angehöre, daß sie vielmehr ein Gemeingut der Menschheit sei, an welchem die verschiedenen Völker jedes in seiner Weise Theil haben. Insbesondere richtet diese Ansicht ihren Blick auf die Poesie und Kunst der Völker, die nach dem Untergang des alten Römerreiches die Geschicke Europas bestimmt haben. Es sind die germanischen und romanischen Völker; und hier wieder ist es vorzugsweise die Poesie und Kunst des Mittelalters und die des 16. und 17. Jh.s, welcher die Vertreter der neuen Richtung ihre Liebe zuwenden“ (Raumer 1870, 294)

Wilhelm von Humboldt wird diese Gedanken von Bedeutung und Wert der eigenen Tradition bei aller Vergleichbarkeit kanonisch wenn auch vielfach interpretierbar (vgl. Trabant 1990; Schmitter 1991) fassen. In der Schwebe bleibt, wie die historische Prägung und Erfahrung der Nationen in einer so verstandenen Geschichte gelesen werden sollen, ob man es mit Herder ablehnt, „frühere Leistungen der Menschheit als Mittel zum Zweck des allgemeinen Fortschritts zu erklären“ (Rothermund 1994, 204), oder ob mit Kant der Weg zum westeuropäischen bürgerlichen Nationalstaat als im Einklang mit dem Fortschritt der Menschheit beschreibbar ist (s. Rothermund 1994, 207).

2.

Kulturspezifische Erkenntnis, Wissenschaft und Sprache

2.1. Der historisch-kulturelle Blick als Alternative Das Muster der klassischen Philologie, aber auch die angedeuteten philosophischen Ent-

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

wicklungen, prägen die Disziplinengruppe, die sich in diesem Sinn historisch versteht und der die Geschichtswissenschaft, die sich differenzierenden philologischen Fächer, und zumindest zu Beginn auch die Rechtswissenschaft, zuzurechnen sind. Die wissenschaftliche Position kann als bürgerlich, kulturspezifisch („national“), historisch und „geistbezogen“ charakterisiert werden: das hat Folgen für die Sprachwahl und die Argumentationsweise, aufgrund derer dem Deutschen ein besonderer Platz zugewiesen wird. Der herrschende Denkstil ist geprägt von der Tendenz, die Eigenständigkeit des Beitrags, den die jeweilige Sprachgemeinschaft in die europäische Kultur eingebracht hat, besonders zu beleuchten. Was uns als eine eurozentrische Verengung des Blicks erscheinen mag (vgl. Rothermund 1994, 96) läßt sich historisch auch als eine Erweiterung der Erkenntnismöglichkeiten sehen. Der universale Anspruch, der sprachlich im Gebrauch des Französischen symbolisiert wurde, ist in der „Nationalisierung“ der Sprachenwahl aufgehoben. Für alle nicht französischsprachigen Staaten hat das auch wichtige sozialsymbolische Folgen: ein auf der Basis der Sprache des Bürgertums durch eigene Leistung akkumuliertes kulturelles Kapital verliert das Odium des Pedantischen und wird zu einem positiv bewerteten Material im sozialen Status-Spiel. Fachlich bedeutet das die Entwicklung einer autonomen Rationalität der Forschung: „Ein Merkmal der [philologischen] Forschung und Arbeit in Deutschland wird die Allseitigkeit. Ihre Absicht ist die Erkenntnis der Tatbestände, ihre Gegenstände werden als wissenswürdig in ihrem Wesen ohne Rücksicht auf praktische Zwecke geachtet“ (Gröben 1904, 104).

Hier erweist sich die Verstaatlichung und Reform des Universitätswesens (s. Weimar 1989) mit dem Statusanstieg der alten „Artistenfakultät“ ebenso als förderlich wie die Orientierung des gymnasialen Unterrichts an den neuhumanistischen Konzeptionen. An dieser Stelle ist auch die verwendete Sprache mehr als ein beliebiges Darstellungsmittel. Gerade bei der Erkenntnis geistiger Zusammenhänge verspricht der Gebrauch der Volkssprache spezifische Erkenntnis. Nicht zuletzt, da der Anteil des Romanischen und des Germanischen an der europäischen Kultur einen zentralen Platz einnimmt, kommt dem Deutschen insgesamt die Rolle

des Korrektivs, der Alternative zur französischen Sicht zu. Das Deutsche wird so aufgrund des Erfolgs der neu entwickelten Methoden ⫺ und aufgrund des Erfolgs der Universitätsreform überhaupt ⫺ zu einer in dieser Rolle akzeptierten Sprache der Wissenschaft. 2.2. Die Germanistik ⫺ zum Exempel Jacob Grimm Es verwundert nicht, daß die neue bürgerlichnationale Wissenschaft sich besonders intensiv mit der vergleichend-historischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte beschäftigte. Im Vergleich zum Vorbild der klassischen Philologie wird im strikter wissenschaftlichen Bereich in noch konsequenterer Weise Wert gelegt auf die genaue grammatisch-sprachliche Kenntnis als Basis der Kenntnis der Kultur. Das Deutsche wird so zur Sprache der entstehenden und vergleichenden Sprachwissenschaft. Der neue wissenschaftliche Ansatz ist weit entfernt von der gesellschaftlichen Verwendung des Deutschen und seinen Bedingungen ⫺ man kann das etwa an Jacob Grimms ablehnender Haltung gegenüber dem muttersprachlichen Deutschunterricht sehen. Die Wahl des Deutschen als Fachsprache signalisiert an dieser historischen Stelle eine Absage gegenüber dem rationalistischen Universalismus, es entwickelt sich ein spezifisch geisteswissenschaftlicher Darstellungsstil des sich Anpassens an das jeweils zu beschreibende Objekt. Seit sich das Deutsche mit dem Französischen maß, ist es diese empfindsame Anpassungsfähigkeit, die als Vorrang des Deutschen genannt wird. Die frühe Germanistik, die durch Jacob Grimm geprägt ist, konnte bei ihrem historischen Vergleichen durchaus auf existierende „enzyklopädische“ Traditionen zurückgreifen, die allerdings zumeist zu typologischen Klassifikationen führten, während es jetzt um die Charakteristik von Entwicklungsstufen ging, die jeweils ihren eigenen Wert haben. Die historische Darstellung will zeigen, welche Kräfte sich in den einzelnen Sprachen niederschlagen, durch Einflüsse modifiziert oder fortentwickelt werden. Die Suche nach diesen Kräften schlägt sich in einer Sprachform nieder, die von einer Bildlichkeit aus dem Umfeld organischer Konzepte geprägt ist. Diese Konzeptualisierung kommt wohl daher, daß Herder den Begriff der Kraft auch auf geschichtliche Erscheinungen angewandt hatte, die wirkungsmächtigste Ausformulierung findet diese Idee in Wilhelm von Humboldts Be-

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stimmung der Sprache als Ergon und Energeia (vgl. Krapf 1993, 10 ff). Die Sprache sei insofern organisch, als ihr eine Kraft innewohne, Veränderungen, die innerhalb der wesentlichen Züge einer Sprachstufe blieben, seien als organisch zu betrachten, grundsätzliche Veränderungen als unorganisch, sie führten erst allmählich zu einem neuen organischen Zustand. In diesem Kontext ist verständlich, daß Metaphern des Organischen nicht nur als Verbildlichungen, sondern als das Wesen der Sprache nachformende Ausdruchsweisen angesehen werden. Die von Jacob Grimm benutzte und geprägte Terminologie spricht deutlich von dieser Tendenz, so daß er diachrone Entwicklung als eine Art Wachstum wie bei Pflanzen ansieht, für die jeweiligen Sprachzustände den Funktionszusammenhang wie in einem Körper betont. Die Sprache der eigenen Nation ist auf solch nachvollziehendem Wege das sicherste Erkenntnisinstrument. So benutzt Jacob Grimm Termini und auch syntaktisch-stilistische Mittel, die diesen Bedingungen und Darstellungsansprüchen gerecht werden können. Auffällig ist die Nähe zu Merkmalen, die man bei Goethes Vorgehen in seinen naturwissenschaftlichen Schriften beobachtet hat (s. Pörksen 1986, 72 f); beiden geht es darum, die „gemeinschaftliche Grundstruktur“ der Phänomene zu erkennen. Das hat sein Echo in einer sprachlichen Darstellung, die aus der alltäglichen Anschaulichkeit zu verdeutlichen versucht, Terminologie und Nomenklaturen sparsam einsetzt, Begriffe wählt, die allgemeineren Deutungskonzepten zugänglich sind. Was allerdings Jacob Grimm von Goethe unterscheidet, ist das Bewußtsein vom unabhängigen Eigenwert der wissenschaftlichen Einzeluntersuchung sowie das historische Konzept gegenüber einer typologischen Panchronie, in einer akuten Phase der Trennung der Wissenschaften vom Geist von den universalistisch bleibenden Naturwissenschaften, entwickelt sich langsam eine Ausdrucksform, die dem Ahnen und Verstehen als Erkenntnisweisen entspricht. Viele Termini Jacob Grimms, wie z. B. stark, schwach, eigentlich, uneigentlich, seine Verwendung von Wurzel, sein Reden vom ablaut als der „athmende[n] kraft der deutschen wurzeln“ (nach Krapf 1993) beschreiben die wissenschaftlichen Objekte in einer Art dynamischer Natürlichkeit; so kann er seine Begriffe wie etwa ablaut ohne weiteres in sein Wörterbuch aufnehmen, das sonst dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht offensteht. Wenn das Denken an die Sprache gebunden ist, kann der Anpassungseffekt nur erreicht werden, wenn man sich der organischen Mittel der jeweiligen Sprache bedient; den unmittelbaren Zugang zu den europäischen Sprachen sah Grimm dabei auf der Ebene der mittelalterlichen „Volkspoesie“. Analoge Gedanken hatte Jacob Grimm auch bei seinem Lehrer von Savigny kennenlernen können, der sich aus Anlaß von Überlegungen zur Schaffung eines Bürgerlichen Gesetzbuches für Deutschland für die Achtung des örtlich gewachsenen Rechts, wie es sich in Sitten

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und Bräuchen, also auch in der Volkssprache niederschlage, aussprach (s. Giesen/Junge 1991, 290 f). Dabei erscheint bei Grimm der anti-naturrechtliche Impuls gegenüber von Savigny zurückgenommen (s. Dilcher 1985, 29 f), es geht ihm mehr um eine Klärung, wie es gewesen und wie es zum heutigen Zustand gekommen sei. Daher hält er auch nicht allzuviel von Purismus und Sprachpflege. Durch die Konzentration auf die sprachlichen Fakten und ihre historische Abfolge vermeidet er auch die typisch „romantische“ Umdichtung in die Neuzeit hinein (s. Sonderegger 1985, 43). Ebenso läßt sich Grimm weder auf Verfalls- noch auf Fortschrittstheorien festlegen, vielmehr vertritt er eher ein Konzept des Nullsummenspiels; was an Sinnlichkeit verloren gehe, werde an Abstraktionsfähigkeit gewonnen (der Gedanke läßt sich auf Adam Smith zurückführen; s. Krapf 1993, 20 f).

Das vergleichend-historische Paradigma Grimmscher Provenienz stand von Anfang an Konzepten gegenüber, die andere Akzente setzten, so den stärker mechanistischen Überlegungen Bopps (s. Krapf 1993, 63 f). Die Basis der im Rahmen der Grimm-Konzeption erreichten Erfolge trägt aber auch die folgenden Germanistengenerationen, welche die Muster des wissenschaftlichen Arbeitens und der sprachlichen Darstellung wieder mehr von den Naturwissenschaften nahmen. Zudem hatten auch die Natur- und Strukturwissenschaften die nationalisierende Wendung zum Deutschen hin mitvollzogen. In der Sprachgermanistik wird das naturwissenschaftliche Denken zunächst an Stellen aufgenommen, wo eine Übertragung möglich erschien; so gesehen ist der Weg von organischen Vorstellungen zur Bildlichkeit der Evolutionstheorie, die andererseits den Vorteil einer eher verallgemeinernd-kausalen Sichtweise zu bieten schien, nicht so weit. In dem berühmten Sendschreiben an Haeckel von 1863 zieht August Schleicher ausführlich diese Parallelen. Die einzelnen Wendungen der Ausrichtung an biologischen, dann psychologischen und physiologisch-physikalischen Modellen braucht nicht nachgezeichnet zu werden. Auf jeden Fall ist zu dieser Zeit aufgrund der Erfolge der deutschsprachigen Wissenschaft, auch aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung Deutschlands, das Deutsche unabhängig von romantischen Konstrukten zur Sprache der Wissenschaften in dem uns interessierenden Bereich avanciert. Dabei ist an den Texten aus verschiedenen Phasen ein Wandel der fachsprachlichen Vertextungsstrategien zu erkennen. Daß die Metaphorisierbarkeit der Darwinschen Theorie ihre außerbiologische Übertragung begünstigte, ist bekannt (s. Pörksen 1986, 126 ff). Diese Eigenschaft ermöglicht es, die Sprache des gebildeten Bürgertums nicht zu weit zu verlassen ⫺ wenn auch ein Streben nach Versachlichung erkennbar ist. Analoges gilt für die Psychologie (zur

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

auch literaturwissenschaftlichen Germanistik s. Weimar 1989, 450 ff; Neumann 1971, 93 ff). Die Versachlichung zeigt sich in einem Hang zu Definitionen wie der folgenden Schleichers: „Grammatik nennen wir die wißenschaftliche erfaßung und darstellung der laute, der form, der funktion des wortes und seiner teile und des satzbaues“ (nach Einhauser 1989, 130). Es ist das offenkundig der Gegenpol zu dem von Schleicher (1863) kritisierten „geistreiche[n] Gerede“. Es wird eine neue Art der Signalisierung von Fachlichkeit ausgebildet, nicht zuletzt in der Informationsverteilung des Nominalstils, der als Folge der syntaktischen Wende des 18. Jh.s verstanden werden kann. Es verwundert nicht, solche Merkmale verstärkt in den Programmschriften der Junggrammatiker zu finden: „Ferner überragen die genannten jüngeren sprachen in bezug auf den in rede stehenden zweck auch darum bei weitem die antiken sprachen, weil ihre an der hand der denkmäler seit jahrhunderten zu verfolgende volkstümliche entwicklung in dialektisch reich entfaltete lebende sprache ausmündet, diese aber von der älteren, um jahrhunderte zurückliegenden und bloß in schriftlicher wiedergabe zugänglichen sprachgestaltung noch nicht so stark sich unterscheidet, daß sie nicht ein vortreffliches correctiv abgeben könnte gegen die irrthümer, die bei bloßem verlaß auf diese schriftliche sprechweise früherer jahrhunderte notwendiger weise vielfach unterlaufen müßten“ (Osthoff/Brugmann nach Christmann 1977, 195). Offenkundig ist die syntaktische Distanzhaltung durch das bewußte Vorzeigen der wissenschaftlichen Komplexität (vgl. Admoni 1990, 226 ff). Daneben steht weiterhin ein Strom von Arbeiten in der mehr ästhetischen Humboldt-Tradition (z. B. von der Gabelentz; Schuchardt) bzw. „kulturwissenschaftlich“ gedämpfte Varianten (z. B. Pauls Prinzipien).

deutschen Klassik annäherte. Sie findet über das „Idealgriechentum“ in die Nähe der universalen Menschenrechtsgedanken. Auch bei den Historikern ging es in dieser Zeit um die Suche nach dem organischen Konzept der deutschen Nation, die man beim Volk und in der Sprache finde, auch um die Rolle der Antike bei dieser Entwicklung (s. Rothermund 1994, 87 ff). Dabei ist die deutsche Sprache mehr als ein Mittel der Darstellung. Herausragenden Vertretern wie Ranke gelingt es durch ihre narrative Methode, Deutungen der Entwicklung unmerklich in die scheinbar ganz unabhängige Darstellung dessen, wie es gewesen sei, einzubauen: „Er [⫽ Ranke] erreicht das mit den Mitteln eines narrativen Stils, der bewußt das vom Fluß der Erzählung abgehobene moralische oder analytische Urteil meidet“ (Rothermund 1994, 95). Auch an Ranke wird daher wie zum Teil an Grimm, wo allerdings der sprödere sprachwissenschaftliche Stoff gewisse Grenzen setzt, die unmittelbare, geradezu poetische Anpassung an den Stoff gelobt. So hebt Meinecke (1946, 615 ff) in einer Gedächtnisrede zum 50. Todestag Rankes „die besondere Musikalität“, „die schwebende Rhythmik in der Aufeinanderfolge von fein verwobener Erzählung und plötzlich aus ihr emporfliegender Betrachtung“ hervor. „Wollte man sie in moderne Begriffssprache übertragen, so würde ihnen sofort ein geistiger Hauch, ein unnachahmliches Etwas fehlen“ (a. a. O. 615).

2.3. Die Geschichtswissenschaft ⫺ zum Exempel Leopold von Ranke Im frühen 19. Jh. umfaßt der Begriff der Germanistik neben dem, was wir jetzt darunter verstehen, Rechtswissenschaftliches und auch eigentlich Historisches. Was diese verschiedenen Interessen zusammenbringt, ist das Angewiesensein auf die Sprache und dann jene historische Askese, für die nach dem berühmten Diktum Leopold von Rankes jede Epoche unmittelbar zu Gott sei. Germanistik heißt dann, historische Phänomene, die sich naturgemäß in nationalen Einheiten, der Nation als Individuum niederschlügen, in all ihren individuellen Eigenheiten darzustellen und sie nicht im Hinblick auf universale Kategorien einzuordnen, sondern in ihrem internen Zusammenhang zu verstehen und zu beurteilen. Die Ideen dazu sind aus Herders frühen Schriften genommen, er selbst hat sie später etwas abgemildert, indem er sich den weltbürgerlichen Humanitätsidealen der

Man kann sehen, daß hier ähnliche Elemente eine Rolle spielen wie bei der Germanistik der GrimmZeit, vielleicht bis auf den Unterschied, daß die sprachliche Emphase nicht zuletzt durch eine prinzipiell optimistische Entwicklungssicht gekennzeichnet ist; und das, wiewohl sich Schwierigkeiten ergeben, der Trend der romanisch-germanischen westlichen Welt in seinem deutschen Teil wiederzufinden (s. Rothermund 1994, 93).

Mehr noch als bei der Germanistik prägt der Typus des Historismus, der beschreibt, wie es war, und bei dem die ästhetische Art der Darstellung Teil ihres Wertes ist, die Zeit bis hin zum ersten Weltkrieg (s. Meinecke 1946). Die Geschichtswissenschaft behält auch ungebrochener ihr nationales Gepräge (s. Iggers 1971, 168). Die großen historischen Leistungen des 19. Jh.s setzen sich aus peniblen Quellenstudien und der umfassenden, von der Idee einer Ökonomie in der Geschichte getragenen Deutung der Befunde zusammen. Es finden sich zweifellos unter dem Einfluß naturwissenschaftlichen und positivistischen Denkens

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Verschiebungen in Richtung auf einen Empirismus der Datenpräsentation. Die eigentliche Einsicht in die Relativität der gesellschaftlichen Verhältnisse, auf die man verstärkt auch durch die Naturwissenschaften gestoßen war („Entropie“, vgl. Helmholtz 1854; s. Kanitscheider 1993, 57 f), wurde in den gegen viele Widerstände aufkommenden Sozialwissenschaften, insbesondere die Soziologie, eingebracht. Gegenüber dem geisteswissenschaftlichen Verstehen und dem entsprechenden sprachlichen Gestus wird in diesen neuen Wissenschaften, z. B. von Max Weber, asketische Rationalität und eine entsprechende Ausdrucksweise gefordert: „Er wies auf die Gefahr einer folgenschweren Verwechslung hin, die dadurch entstehen kann, daß man ,die im Interesse der > psychologischen < Beeinflussung des Lesers gewählte > künstlerische < Form‘ für etwas ganz anderes, nämlich die logische Struktur der Erkenntnis selbst hält“ (Lepenies 1985, 297). Das führt bei Weber selbst zu einer „Rigidität der wissenschaftlichen Prosa“ (Lepenies 1985, 297), zu formalen Unvollkommenheiten, die aber von Weber bewußt stehengelassen werden, um die ästhetisierende Irrationalität zu meiden. Diese Haltung hat in unserem Jahrhundert weitergewirkt, wo zumindest in der deutschen Wissenschaft ein „guter Stil“ eher verdächtig macht. 2.4. Die Romanistik ⫺ Wissenschaft und Praxis Die Beschäftigung mit den romanischen Sprachen ist der andere Teil der Betrachtung jener mittelalterlichen Grundlage der europäischen Kultur, die sowohl die Germanistik wie die Geschichtswissenschaft in ihren Interessen leitete. Für den Umgang mit den romanischen Sprachen, insbesondere dem Französischen, kommt noch dazu, daß die Auseinandersetzung zwischen den Anforderungen, diese Sprache praktisch zu beherrschen, und dem Anspruch auf wissenschaftliche Beschreibung besonders heftig aufeinanderstießen. Der neue wissenschaftliche Denkstil steht in deutlichem Gegensatz zum bisherigen Selbstbild des Französischen als der universalen Sprache. Diese Wissenschaftlichkeit wird erreicht durch die Einbettung in die Untersuchungs- und Darstellungsweise, die vor allem innerhalb der Germanistik bzw. genereller in Deutschland entwickelt worden war. Daneben gehört dazu eine entsprechende Repräsentation in den erwähnten Bildungs- und For-

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schungseinrichtungen. In dieser Hinsicht brachte die Forschung in Deutschland die Beschäftigung mit den romanischen Sprachen und Literaturen deutlich voran. Dabei entzündete sich das Interesse, wie bei den germanischen Sprachen, an kulturell anziehenden literarischen Tatbeständen (Grimm, Tieck, Uhland, A. W. Schlegel), die bei Franc¸ois Raynouard auch zu erster sprachlicher Beschäftigung führten (s. Tagliavini 1973, 7). Durch Friedrich Diez, der von Goethe dazu angeregt wird, kommt es zur Eingliederung der sprachlichen Untersuchung der romanischen Sprachen in das historisch-vergleichende Paradigma (s. aber Rettig 1976); ab 1830 wird Diez eine Professur für abendländische Sprachen an der Universität Bonn bekleiden, ab 1836 seine grammatische Beschreibung im Muster der Zeit veröffentlichen ⫺ in dieser Wissenschaftsrichtung natürlich auf Deutsch. In dieser Einbettung machte die Erforschung der romanischen Sprachen die in der Germanistik angedeutete Entwicklung durch das Jahrhundert mit, mit dem Unterschied, daß die Interpretation der nationalen Identität einer konkurrierenden Nation galt, und daß das Französische gleichzeitig als erste Fremdsprache eine herausgehobene Rolle spielte (s. Bott 1982, 47).

In der gymnasialen Ausbildung wie in der Forschung galt die Romanistik als ein Fach, an dem man den anderen Zweig der historisch-vergleichenden Methode untersuchen kann, im Laufe des Jahrhunderts wird durch die größere Praxisorientierung zunächst in den Realschulen der Blick wieder direkter auf die gleichzeitige Sprache und ihre Vermittlung gelenkt. In der junggrammatischen Diskussion spielt gerade der Vergleich von lebenden Sprachen in der kritischen Diskussion Schuchardts eine wesentliche Rolle; wie man sieht, wird diese Diskussion aber zu großen Teilen im deutschen Wissenschaftsraum geführt. Gegen Ende des zu besprechenden Zeitraums wird in der deutschsprachigen Romanistik mit Karl Vossler eine auf humboldtschem Boden stehende vergleichende Nationenkunde eingeführt, sprachlich beschreibt er die großen Sprachen Europas als Kultursprachen, die der logischen Verarbeitung der modernen Welt fähig sind, allerdings kennzeichnende Unterschiede ihrer Erfassung zeigen (s. Weinrich 1985, 42; kritisch G. Schneider 1975). 2.5. Die Anglistik ⫺ späte Emanzipation Die Beschäftigung mit der englischen Sprache nach den historisch-wissenschaftlichen Grundlagen des beginnenden 19. Jh.s gehört völlig in den deutschen Diskurs dieser Wissenschaftsrichtung, handelt es sich ja um eine germanische Sprache. Daher wird in For-

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schung und Universitäts- wie Gymnasiallehre großer Wert darauf gelegt, das Englische, bei dem ja der Praxisdruck im Verlaufe des Jahrhunderts dramatisch steigt, in Form einer historisch-philologischen Wissenschaft zu vermitteln. Tatsächlich wird das Englische lange in Personalunion von den Germanisten mitbetreut, bis es dann allmählich in den neusprachlichen Bereich übergeht, der aber, wie bei der Romanistik gezeigt, dasselbe Ziel hat. So macht die Anglistik im wesentlichen dieselben fachsprachlichen Wendungen mit, die wachsende Bedeutung des Englischen führt allerdings dazu, daß das Englische als Fachsprache der deutschen Anglisten seit Beginn unseres Jahrhunderts an Bedeutung gewinnt (s. Finkenstaedt 1983).

3.

Schluß

Die Wendung zur historischen Wissenschaft und zum Konzept der Sprachnation als relevanter Einheit der Geschichte, die in Deutschland nach einer Übergangsphase in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s zum Durchbruch kam, führte zu einem Aufschwung des Deutschen als Wissenschaftssprache. Dieser Aufschwung wird verbreitet durch die Organisation des Bildungswesens. Die Erfolge der wissenschaftlichen Forschung an den deutschen Universitäten stützten die Rolle des Deutschen zudem. Das Deutsche, wie weitere Sprachen, profitiert dabei auch von dem Druck, unter den das Französische geraten war. Vor allem im Bereich der historischen und philologischen Wissenschaften wurden die deutschen Verhältnisse vorbildhaft; neben den bereits genannten Punkten sei noch darauf verwiesen, daß auch die ersten einschlägigen wissenschaftlichen Beschreibungen slawischer Sprachen auf Deutsch erschienen. Das Deutsche als Wissenschaftssprache machte die Wandlungen des Wissenschaftsverständnisses des 19. Jh.s mit, die in Richtung auf eine Angleichung an die Naturwissenschaften gingen, gleichzeitig bleibt aber eine von Humboldtschen Gedanken geleitete, häufig idealistisch genannte Tradition lebendig. Die sprachliche Eigenart des Deutschen als Sprache der Wissenschaft im 19. Jh. hat damit zu tun, daß es sich um eine Sprachform handelt, die den Interessen des Bildungsbürgertums als der ideologietragenden Schicht entspricht. Das ändert sich allmählich mit der zunehmenden Professionalisierung und Annäherung an die Naturwissenschaften mit ihrer Terminologisierung und universalen Abstraktheit.

4.

Literatur (in Auswahl)

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335

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Ludwig M. Eichinger, Kiel

336

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

30. Wirtschaftslinguistik: ein historischer Überblick 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Entstehung und historischer Hintergrund Strömungen der Wirtschaftslinguistik Auswirkungen der Wirtschaftslinguistik auf die Fachsprachen- und Terminologieforschung Wirtschaftslinguistik ⫺ heute? Literatur (in Auswahl)

Entstehung und historischer Hintergrund

Betrachtet man die Wirtschaftslinguistik im Rückspiegel der Zeit, sieht man an ihrem Anfang einen ungedeckten mono- und multilingualen fachsprachlichen Ausbildungsbedarf. Mit den gegen Ende des letzten und zu Beginn des jetzigen Jahrhunderts enger und vor allem komplexer werdenden Handelsbeziehungen und dem Ausbau der theoretischen und angewandten Wirtschaftswissenschaften ergab sich die Notwendigkeit, den zukünftigen Wirtschaftswissenschaftlern, die an Handelshochschulen ausgebildet wurden, das erforderliche meist fremd(fach)-sprachliche Rüstzeug zu vermitteln, das sie für ihre sprachgrenzenüberschreitende Fachkommunikation brauchten. Allgemeine Sprachkenntnisse reichten für diesen Bedarf nicht aus, da der Fachbezug fehlte. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, einen fachbezogenen Sprachunterricht an Handelshochschulen zu schaffen. Es ist auffällig, daß dieser Bedarf sich vorwiegend im deutschsprachigen Raum, aber auch in einigen nordischen Ländern, bemerkbar machte. Erklären läßt sich dieses Phänomen durch die Dominanz einiger weniger „Leitsprachen“ (vor allem Englisch, Französisch) als Kommunikationsmittel im internationalen Handel; es ist zumindest auffällig, daß viele Wirtschaftslinguisten Romanisten oder Anglisten sind, deren Muttersprache keine der „Leitsprachen“ ist. Vom ursprünglichen Fachprofil und ihrer Ausbildung her waren sie Sprachwissenschaftler und Philologen, die nun vor die Aufgabe gestellt waren, einen „fachbezogenen Sprachunterricht“ anzubieten. Aus dieser generellen Aufgabenstellung, die, soweit die Literatur darüber Aufschluß gibt, anfangs nicht klar definiert war, entwickelte sich die Wirtschaftslinguistik, die auf der Suche nach einem eigenständigen Status eine Reihe von Stadien durchlief. Diese Stadien lassen sich zwar diachronisch nicht

sauber voneinander scheiden, da mehrere Strömungen sich teilweise zeitlich überschnitten, die aber doch eine Entwicklungsrichtung angeben. Es ist bemerkenswert, daß dieser Zweig der Sprachwissenschaft sich schon sehr früh als „angewandte Sprachwissenschaft“ ⫺ als solche hat ihn Schröer (1932 [1921], 133) bezeichnet und definiert ⫺ versteht.

2.

Strömungen der Wirtschaftslinguistik

Schematisch lassen sich die einzelnen Strömungen folgendermaßen einordnen (Drozd/ Seibicke 1973, 68 ff; Hoffmann 1984, 37 ff): (1) Die diachronische Wirtschaftslinguistik (etwa bis 1930) mit ihren Unterteilungen in (a) „historische“ (Hoffmann 1984, 38) oder auch „historisierende“ (Drozd/Seibicke 1973, 69) (s. u. 2.1.1); (b) „nationenwissenschaftliche“ (s. u. 2.1.2) und (c) „ökonomische“ Wirtschaftslinguistik (s. u. 2.1.3). Zu dieser Einteilung gehört auch die in der Mitte der dreißiger Jahre hinzugekommene Wirtschaftsgermanistik. (2) Die synchronische Wirtschaftslinguistik entwickelte sich in den dreißiger Jahren in enger Berührung mit dem und im theoretischen Umfeld der Prager Schule. Drozd/Seibicke (1973, 74) sprechen von der „strukturellen und funktionalen Wirtschaftslinguistik“, Hoffmann (1984, 38) von der „synchronischfunktionalen“ Wirtschaftslinguistik. Beide Hauptströmungen reflektieren bis zu einem gewissen Grade auch die Entwicklung der Sprachwissenschaft in den ersten vier Jahrzehnten dieses Jahrhunderts. 2.1. Diachronische Wirtschaftslinguistik 2.1.1. Historisierende Wirtschaftslinguistik Die historisierende Wirtschaftslinguistik stellt in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen die wort- und besonders die begriffsgeschichtliche Entwicklung von wirtschaftssprachlichen Erscheinungen wie „Der Handschlag im Handel“ oder „Kerbholz und Rechenbrett des Mittelalters im Spiegel der modernen Handelssprachen“ (Schirmer 1932 [1925]); „Die Herkunft des Wortes Bilanz“ (Penndorf 1932 [1929]) und zahlreiche andere Untersuchungen dieser Art. Auf eher stilistischer Ebene bewegt sich der Beitrag von Penndorf „Die historische Entwicklung des kaufmännischen

30. Wirtschaftslinguistik: Ein historischer Überblick

Briefstiles“ (1932 [1908]), woraus ersichtlich wird, daß der Untersuchungsgegenstand keineswegs nur auf die Wort- und Begriffsebene beschränkt blieb. Sehr modern muten Wendelsteins Betrachtungen (1932 [1921]) an, wenn er über die Sprachzeichenebene hinausgeht und andere semiotische Systeme als fachliche Kommunikationsmittel anspricht, die obendrein nicht zum wirtschaftssprachlichen Bereich gehören (sein Hinweis auf Schlomanns Wörterbücher ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant). Er schreibt: „Oder ein Beispiel aus der Technik: das einzige Mittel den Gang, die Leistung etwa einer Schiffsmaschine festzustellen ist das Diagramm, eine graphische Darstellung; der Name verrät, daß es sich um ein schriftsprachliches Ausdrucksmittel handelt. Das führt hinüber zu der mathematisch naturwissenschaftlichen, physikalischen, chemischen, technischen Formel. Der Ausdruck Formelsprache trifft das Richtige, es sind sprachliche, berufssprachliche Gebilde. Und wie im Berufsleben die Graphik in solchen Elementen wie Buchstaben, Zahlen, Linien zur Sprache wird, so auch in ihrer volleren und reicheren Ausbildung: in nüchterner Sachlichkeit als technische Zeichnung“.

Die Verbindung zu heutigen Auffassungen, wie sie z. B. bei Kalverkämper (1993) zum Ausdruck kommen, ist nicht zu übersehen. Ebenfalls zum Forschungsbereich der Wirtschaftslinguistik gehörte die lexikographische Komponente ⫺ heute würde man sie „fachlexikographisch“ oder „terminographisch“ nennen ⫺ wie aus einem Beitrag von Schröer (1932 [1926]), in dem u. a. kritisch zum „Technolexikon“ Stellung genommen wird, hervorgeht und in dem bereits ansatzweise der Gedanke der Korpusbasiertheit fachlexikographischer Produkte auftauchte. Siehe hierzu auch Snyckers (1932 [1927]). Das didaktische Ziel dieser Strömung war es, dem Studenten durch die sprachhistorisch-philologische Komponente einen breiteren, allgemeinbildend-fachlichen Einblick in sein Fach zu vermitteln (Jordan 1932 [1922]). 2.1.2. Nationenwissenschaftliche Wirtschaftslinguistik Die nationenwissenschaftliche Wirtschaftslinguistik könnte als eine Erweiterung der historisierenden bezeichnet werden, wobei allerdings gleichzeitig eine Schwerpunktverschiebung oder auch nur eine Erweiterung des Forschungsgegenstandes stattgefunden hat; und zwar tritt neben das historisierende Element eine stark ausgeprägte kulturvergleichende Sichtweise. Deutlich wird diese

337 Wende bei Dietz (von Messing zitiert 1932 [1930], 126) wo es heißt: „daß die Hochschulen, in deren Studienplänen das Studium der modernen Sprachen die Hauptrolle spielt und das Studium der älteren Sprachen nur als Mittel zum Zweck (Verstehen der Gegenwart) betrachtet werden soll, von vornherein auf dem richtigen Wege waren, und daß sie sich mit dem Verzicht auf eine Vorherrschaft des historischen Sprachstudiums durchaus nicht der Wissenschaftlichkeit begeben haben.“

Vertieft wird dieser Ansatz bei Messing (1932 [1930]). In diesem programmatischen Beitrag heißt es u. a.: „Die Doppelnatur der Sprache als bewußter und unbewußter Ausdruck von Bewußtseinsinhalten einerseits, als Mittel andererseits zur Übertragung von Vorstellungen, Wollungen, Wünschen, Befehlen, sowie deren Verwirklichung durch andere weist der Sprachwissenschaft zwei Wege an, a. den idealistischen, b. den sachzwecklich gerichteten. a. Idealistisch gerichtet: Hinter und in den Worten leuchtet der Geist und die Seele des sprechenden Menschen auf, der allgemeinen, nationalen und persönlichen Idealen nachstrebt, wie sie von National-Religionen, -Recht und -Sitte, -Kunst, -Literatur und -Wirtschaft aufgestellt werden. b. Sachzwecklich gerichtet: Mit den Worten seiner Sprache und durch sie trachtet der Mensch seine auf bestimmte privat- und volkswirtschaftliche Zwecke gerichteten Absichten der Verwirklichung durch andere näher zu bringen. Diese Zwecksprache steht im allgemeinen auf den Lehrplänen der wirtschaftlich orientierten mittleren Schulen im Vordergrunde. Die wirtschaftswissenschaftlich orientierte Hochschule erhebt sich in ihrem Unterricht über die bloße Zweckmäßigkeit des von ihr vermittelten Wissensstoffes hinaus, indem sie das geistige Band aufzeigt, dessen rote Fäden diesen Wissensstoff durchziehen und festhalten.“

Messing schließt seinen Beitrag mit der Forderung nach „der Schaffung von ordentlichen Lehrstühlen für eingehendes nationenwissenschaftliches Sprachstudium“. Drozd/Seibicke (1973, 70) nehmen eine kritische Haltung zum Forschungsgegenstand dieser Strömung der Wirtschaftslinguistik ein und sprechen von einer „methodischen Überforderung“, die sie „auf die Überschätzung der Funktion der Sprache und der inneren Sprachform“ zurückführen, „da der Sprachwissenschaft Aufgaben zugeordnet werden, die sie nicht lösen kann“. Andererseits wird aber a. a. O. zugestanden, daß die „Analyse (fachsprachlicher Kommunikationsmittel) eine Einsicht in die gnoseologischen Strukturen des jeweiligen Faches (er-

338

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

fordert), diese Einsicht wird jedoch nicht durch die Sprachwissenschaft, sondern durch die Erkenntnis des betreffenden Faches vermittelt“. Ob diese Trennung heute, nach 25 Jahren, noch haltbar ist, kann bezweifelt werden; dies gilt besonders in Anbetracht des stark erweiterten Gegenstandes der Fachsprachenforschung nach der pragmatischen Wende der achtziger Jahre und der seitdem stattgefundenen Einbeziehung der Fach- und interkulturellen Kommunikation. Siehe hierzu den Aufsatz von Kalverkämper (1996) sowie Picht (1996). 2.1.3. Ökonomische Wirtschaftslinguistik Die ökonomische Wirtschaftslinguistik könnte als eine weitere Schwerpunktverschiebung bezeichnet werden und zwar in dem Sinne, daß die Frage gestellt wird, ob die Wirtschaftslinguistik nicht eigentlich ein Zweig der Wirtschaftswissenschaften sein sollte. Levy (1932) vertritt einen klar fächerübergreifenden Standpunkt; er meint: „Für beide Wissenschaften also: für die Sprachwissenschaft wie für die Wirtschaftswissenschaft ist die Soziologie ein neuer Anschauungshintergrund geworden“.

Und etwas später heißt es: „Für den Nationalökonomen und Soziologen ist die Einbeziehung des Sprachwissenschaftlichen in seine Forschungssphäre in der Tat noch ein völlig neues und ungeklärtes Gebiet“.

Aus diesen Zitaten und den übrigen Überlegungen in seinem Beitrag kann abgeleitet werden, daß die Erforschung der wirtschaftlichen Sprachmittel eher eine Aufgabe des Wirtschaftswissenschaftlers denn des Sprachwissenschaftlers ist, obwohl die Trennungslinie nicht übermäßig deutlich herausgearbeitet wurde und wohl eher als eine Programmerklärung aufgefaßt werden sollte. Die Wirtschaftsgermanistik ist vor allem auf die Untersuchungen des Prager Germanisten Siebenschein zurückzuführen. Drozd/ Seibicke beschreiben seine Bemühungen: „die Erkenntnisse der deutschen Philologie mit denen der Wirtschaftsgeschichte zu verknüpfen, um die sprachlichen Leistungen der deutschen Handelssprache (vor allem als Standessprache dargestellt) in diachronischer Sicht zu erfassen und ihre Funktion in der deutschen Dichtung darzulegen“.

2.2. Synchronische Wirtschaftslinguistik Die strukturelle und funktionale Wirtschaftslinguistik gründet sich auf das Zusammenfließen der oben beschriebenen Strömungen der

Wirtschaftslinguistik und der Grundgedanken der strukturellen und funktionalen Sprachwissenschaft des Prager Linguistischen Zirkels. Die strukturelle und funktionale Wirtschaftslinguistik entstand an einer Hochschule „nicht-philologischen“ Charakters und war stark durch die didaktischen Bedürfnisse des Fremdsprachenunterrichts geprägt. Mit ihr ˇ ada, L. V. sind vor allem Namen wie Josef C Kopecky´ und Zdenek Vancˇura verbunden. Drozd/Seibicke (1973, 74 ff) nennen als zentrale Ausgangspunkte: (a) Der Gegenstand der strukturellen und funktionalen Wirtschaftslinguistik ist die Sprache in einer besonderen Funktion, die Wirtschaftssprache. Es wird der Anspruch erhoben, wirtschaftslinguistische Forschung als Grundlagenforschung zu betreiben, wobei der linguistische Charakter des Gegenstandes sowie die Angemessenheit der linguistischen Methoden hervorgehoben werden. Die strukturelle und funktionale Wirtschaftslinguistik sieht es als ihre Aufgabe, das Funktionieren der zweckgebundenen Sprachmittel zu untersuchen; im Vordergrund stehen dabei die Dichotomien „terminologische versus nicht-terminologische Elemente“ und „spezielle syntaktische Wendungen versus nichtfachsprachliche Wendungen“. Die Differenzierung zwischen Gemein- und Fachsprache liegt damit im formalsprachlichen und im semantischen Bereich; beide Bereiche sind jedoch nicht völlig voneinander zu trennen, denn nach Vancˇura ergibt sich der semantische Wert erst in „zusammenhängenden Äußerungen“, denen ein wirtschaftliches Ziel zugrunde liegt. Was allerdings eine „wirtschaftsspezifische zusammenhängende Äußerung“ ist, bleibt offen, da man ⫺ mit allen methodologischen Folgen ⫺ sich der fachlichen Abgrenzung entzieht, indem man sie nicht als Anliegen der Sprachwissenschaft, sondern als Aufgabe des Faches ansieht. (b) Die Wirtschaftssprache ist als ein strukturiertes und funktionelles Ganzes zu betrachten, das wirtschaftlichen Zwecken dient. Damit wird postuliert, daß die Wirtschaftssprache „ein besonderes Sprachsystem“ sei. Aus strukturalistischer Sicht ist diese Frage entscheidend, konnte aber nicht gelöst werden; ob ihr heute noch der gleiche Stellenwert zukommt, sei dahingestellt. (c) Die Wirtschaftssprache ist als Kommunikationsmittel zu betrachten. Aus der heutigen Sicht der Fachsprachenforschung ist diese Erkenntnis sicherlich eine der wichtig-

30. Wirtschaftslinguistik: Ein historischer Überblick

sten ⫺ die Sprache ⫺ und damit auch die Fachsprachen ⫺ in ihrer Funktion zu sehen und zu erforschen. Es war daher naheliegend, die Wirtschaftssprache zweier der vier „Einzelfunktionen der Nationalsprache“ (Drozd/ Seibicke 1973, 76) zuzuordnen, nämlich (1) der praktisch fachlichen kommunikativen Funktion und (2) der theoretisch fachlichen kommunikativen Funktion. (d) Die Synchronie ist in der wirtschaftslinguistischen Forschung zu betonen. Diese These geht davon aus, daß die Etymologie der einzelnen Wörter nicht imstande ist, deren Funktion in der Wirtschaftssprache der Gegenwart völlig zu klären. ⫺ Dieser Anspruch wurde zwar anfangs, nicht aber allgemein von der historisierenden Wirtschaftslinguistik erhoben, wie das obige Zitat von Dietz beweist.

3.

Auswirkungen der Wirtschaftslinguistik auf die Fachsprachenund Terminologieforschung

Um die Beiträge der Wirtschaftslinguistik ⫺ ohne jetzt auf einzelne Strömungen hinzuweisen ⫺ aus heutiger Sicht deutlich zu machen, soll auf das von Kalverkämper (1992, 69⫺73) vorgestellte Modell Bezug genommen werden. Auf der 1. Stufe des Modells ist das Sprachsystem angesiedelt; sie ist vom Phonem (a) ausgehend bis zum Text-in-Situation/ Funktion (h) unterteilt. Im Zentrum der Untersuchungen der Wirtschaftslinguistik standen demnach besonders (b) die Wörter, aber auch (c) Syntagmen bzw. Komposita und später (d) die Sätze; besonders in der strukturellen und funktionalen Wirtschaftslinguistik standen naturgemäß auch (h) Texte-in-Situation/Funktion im Vordergrund. Stufe 2 nimmt zu den Varietäten Stellung; auch hier liegen Arbeiten zu Problemkreisen wie Gemeinsprache, Sondersprache und Gruppensprache vor, die aber eher fachlich als soziologisch unterschieden werden. Der Terminus Fachsprache ⫺ auch in der Mehrzahl ⫺ ist durchaus bekannt und wird häufig synonym mit Berufssprache, Wirtschaftssprache, Geschäftssprache, Kaufmannssprache und Handelssprache verwendet. Auch findet man recht früh die Abgrenzung zu anderen Fachsprachen, z. B. der Technik, des Rechts, der Medizin und der Philosophie.

339 Eine sehr modern anmutende Argumentation hierzu ist bei Snyckers (1932 [1928]) nachzulesen. Auf der 3. Stufe, der Schichtung, sind ebenfalls Ansätze vorhanden; anfangs verbergen sie sich hinter stilistischen Formulierungen, treten aber dann deutlich in der strukturellen und funktionalen Wirtschaftslinguistik hervor, wo von Fachstilschichten gesprochen wird, die dann allerdings nicht sauber vom autonomen Sprachsystem der Wirtschaftssprache geschieden werden können, was jedoch wohl eher auf den strukturalistischen Ansatz als die Erkenntnis an sich zurückzuführen ist. Die 4. Stufe bezieht sich auf das Medium, d. h. schriftliche versus mündliche Sprache. Zu diesem Punkt sind kaum Hinweise in der Literatur vorhanden, abgesehen von einigen indirekten Andeutungen auf mündliche Verhandlungssituationen. Auf konkrete Forschungsergebnisse kann jedoch nicht zurückgegriffen werden. Die Interlingualität stellt die 5. Stufe dar. Es liegt in der Natur der Sache, daß zu diesem Punkte Untersuchungen und Stellungnahmen vorliegen, da ja gerade die sprachgrenzenüberschreitende Fachkommunikation einer der Eckpunkte der Wirtschaftslinguistik war. Allerdings gehen auffällig wenige Beiträge auf die Fachübersetzung ein, die hauptsächlich nur in Verbindung mit der Fachlexikographie und ihren Unzulänglichkeiten für die Übersetzung genannt wird. Die 6. und letzte Stufe ist der chronologischen Kategorie, der Zeit, gewidmet. Beide Betrachtungswinkel ⫺ der diachronische wie auch der synchronische ⫺ haben in der Wirtschaftslinguistik ihren Niederschlag gefunden, auch wenn sie in den verschiedenen Strömungen unterschiedlichen Stellenwert einnahmen und sich vorzugsweise auf das Wort und den Stil beschränkten und weniger auf die darüber liegenden Ebenen. Über diese Standortbestimmung hinaus verdienen aber noch einige andere Aspekte hervorgehoben zu werden wie wissenschaftstheoretische Überlegungen, z. B. bei Jordan (1932 [1930]). Ein weiterer Aspekt ist das von allen Strömungen anerkannte Bedingungsgefüge von Fach und Sprache als Voraussetzung für eine erfolgreiche Fachkommunikation und deren Erforschung, auch wenn die verschiedenen Strömungen die beiden Elemente als Forschungsgegenstand unterschiedlich bewerteten. Unter diesem Punkt wäre auch noch ein-

340

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

mal auf die Verbindung zu den bereits genannten nicht-sprachlichen fachlichen Darstellungen hinzuweisen. Was die Terminologie betrifft, wird teilweise sehr ausführlich auf die Unterscheidung und den Zusammenhang von ,Sache⫺ Begriff⫺Wort‘ eingegangen, z. B. Jordan (1932 [1930]), eine Problemstellung, die in der späteren terminologischen Literatur als ,Gegenstand⫺Begriff⫺Benennung‘ auftritt und eine zentrale Stellung einnimmt. Gleiches gilt auch für den Begriff als Erkenntniseinheit und Maßstab für begriffliche Veränderungen. So machte sich Jordan (1932 [1930], 193) zum Fürsprecher des begrifflichen Denkens und der klaren Unterscheidung von Begriff und Benennung; er schreibt: „der Terminus ist so alt wie ihn die Lexiken nachweisen, nicht aber der Begriff“ oder „so geht die Lehre vom Unterschied der Denkweise der Völker mit der begrifflich-terminologischen Unterweisung Hand in Hand“.

4.

Wirtschaftslinguistik ⫺ heute?

Wirtschaftslinguistik im Sinne der bisher dargestellten Strömungen gibt es heute nicht mehr, auch wenn Hoffmann (1984, 39) noch von einer Fortführung spricht. Wohl aber kann gesagt werden, daß eine ganze Reihe von grundlegenden Gedanken der Wirtschaftslinguistik in die heutige Fachkommunikations-, Fachsprachen- und Terminologieforschung eingeflossen sind oder wieder neu entdeckt werden, ohne daß jedoch eine unmittelbare Verbindung zur Wirtschaftslinguistik in der Literatur sichtbar wird. Eine rein utilitaristische Interpretation der Ziele der Wirtschaftslinguistik entspräche nicht den ursprünglichen Intentionen der Wirtschaftslinguisten und würde auch in Anbetracht des heutigen Forschungs- und Erkenntnisinteresses sowie der derzeitigen Ausbildungserfordernisse zu eng gefaßt sein, daher sei noch einmal auf Messings Einleitung zu seinem Sammelband (1932, 7) verwiesen, wo er das übergeordnete Ziel der Wirtschaftslinguistik folgendermaßen beschreibt: „Die Wirtschaftslinguistik dient der Menschheit, indem sie die sprechend-denkenden Menschen aufzeigt als Glieder einer zunächst national-, dann aber auch international geknüpften Kette, und sie erforscht und lehrt die Methoden, mittels derer wir die verschiedenen Völker aus ihrer Nationalkultur heraus verstehen und würdigen lernen. Die Wirtschaftslinguistik dient der Völkerverständigung und darüber hinaus der Selbsterkenntnis.“

Dieses Zitat verdeutlicht den komplexen und fachgrenzenüberschreitenden Forschungsgegenstand der Wirtschaftslinguistik, dessen Umfang weit über rein sprachwissenschaftliche Zielsetzungen hinausgeht und mentalitätsgeschichtliche Elemente im Sinne der Völkerverständigung durch Handelsbeziehungen und der wissenschaftlichen Kommunikation einbezieht. In einer Reihe von modernen Ausbildungsgängen, die Sprache und oft ökonomisch/ fachlich ausgerichtete Fächer kombinieren, wurden diese damals wie heute gültigen Grundgedanken der nationen-wissenschaftlichen Wirtschaftslinguistik erneut aufgegriffen und in moderner Gestalt verwirklicht. Dies geht z. B. besonders deutlich aus den Studienordnungen „Kommunikation og Formidling“ (1996) und „SPRØK“ (1996) (Sprache und Wirtschaft) der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen und anderen vergleichbaren Lehranstalten in Dänemark hervor. Beide Ausbildungen schließen mit dem Diplomniveau ab. Aus dieser Sicht könnte mit Hoffmann (1984, 39) sehr wohl von einer Fortführung der Wirtschaftslinguistik, doch unter anderem Namen und mit den erforderlichen Änderungen, gesprochen werden.

5.

Literatur (in Auswahl)

Drozd/Seibicke 1973 ⫽ Lubomir Drozd/Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Bestandsaufnahme, Theorie, Geschichte. Wiesbaden 1973. Hoffmann 1984 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2. Aufl. Berlin 1984 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Jordan 1932 [1922] ⫽ Leo Jordan: Der Bildungswert philologisch-handelssprachlicher Lehre an Handelshochschulen. In: Messing 1932, 190⫺197. Jordan 1932 [1930] ⫽ Leo Jordan: Über die Beziehungen der Linguistik zur Logik und der Handelssprachkunde zur Wirtschaftswissenschaft. In: Messing 1932, 198⫺271. Kalverkämper 1992 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Hierarchisches Vergleichen als Methode in der Fachsprachenforschung. In: Kontrastive Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Klaus-Dieter Baumann und Hartwig Kalverkämper. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20), 61⫺77. Kalverkämper 1993 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Das fachliche Bild. Zeichenprozesse in der Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993

341

31. Terminologieforschung in Europa: ein historischer Überblick (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 215⫺ 238.

Penndorf 1932 [1929] ⫽ Balduin Penndorf: Die Herkunft des Wortes ,Bilanz‘. In: Messing 1932, 175⫺177.

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Picht 1996 ⫽ Heribert Picht: Fachkommunikation⫺Fachsprache. In: Multilingualism in Specia-

Heribert Picht, Kopenhagen

Kalverkämper 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Fachsprachen und ihre Erforschung. Eine Bilanz für die Zukunft. In: Multilingualism in Specialist Communication I. Ed. by Gerhard Budin. Wien 1996, 1⫺25. Kommunikation og formidling 1996 ⫽ Cand. ling. merc. Kommunikation og Formidling. Handelshøjskolen i København 1996. Levy 1932 ⫽ Hermann Levy: Sprache und Wirtschaftswissenschaft. In: Messing 1932, 304⫺317. Messing 1932 ⫽ Zur Wirtschaftslinguistik. Hrsg. v. Ewald E. J. Messing. Rotterdam 1932. Messing 1932 [1930] ⫽ Ewald E. J. Messing: Zum ,Worte‘. In: Messing 1932, 124⫺127. Messing 1932 [1932] ⫽ Ewald E. J. Messing: Die Sprachwissenschaft auf der Handels-Hochschule als Wissenschaft von der Nationalkultur der Völker. In: Messing 1932, 116⫺123. Penndorf 1932 [1908] ⫽ Balduin Penndorf: Die historische Entwicklung des kaufmännischen Briefstils. In: Messing 1932, 158⫺174.

31. Terminologieforschung in Europa: ein historischer Überblick 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

1.

Ursprung und frühe Vorläufer der Terminologieforschung Personen, die die terminologische Forschung und Entwicklung prägten Die Entwicklung bis zum 2. Weltkrieg Die Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg bis zum Ende der 70er Jahre Die Terminologie auf der Suche nach eigener wissenschaftlicher Identität Vom Beginn der 80er Jahre bis in die Gegenwart Literatur (in Auswahl)

Ursprung und frühe Vorläufer der Terminologieforschung

Der Aufbau wissenschaftlicher Fachsprachen ist eine langwierige, historische Entwicklung, in der es zunächst keine allgemein anerkannten Regeln und Grundsätze gab. Die Folge davon war ein Chaos der Begriffssysteme, das am Beginn der Neuzeit fast alle naturwis-

senschaftliche Disziplinen kennzeichnete. Bereits im 18. Jh. erkannte man jedoch, daß dieses unsystematische Schaffen von Benennungen durch terminologische Regelungen ersetzt werden muß, die auch die Beziehungen der Begriffe, d. h. die Über- und Nebenordnung berücksichtigt. Es war vor allem Carl von Linne´ (1707⫺1778), den man als den Begründer der Terminologieforschung, die auch die Regelung, Normung und Planung von wissenschaftlichen Terminologien umfaßt, ansehen kann. Denn erst seit seinem Werk Fundamenta botanica (1736) kann man von einer geregelten botanischen Terminologie sprechen. Linne´ versuchte ein möglichst vollständiges System der „Kunstwörter“ (termini technici) aufzustellen, die bei der Beschreibung der Pflanzen gebraucht werden. Es waren nahezu tausend Ausdrücke, deren Bedeutung und Anwendung genau erläutert wurden. Wie schwierig diese Vereinheitlichung der Terminologie sogar in dem sehr streng ge-

342

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

regelten Bereich der exakten Wissenschaften war, zeigen die langen Bemühungen zur Schaffung eines einheitlichen internationalen Maßsystems. Während sich Linne´ noch auf die in Europa allgemein gebräuchliche Wissenschaftssprache Latein stützen konnte, entwickelte Michail V. Lomonosov bereits um die Mitte des 18. Jh.s eine eigene russische physikalisch-chemische Terminologie, in der er möglichst viele russische Termini einführte und nur dort fremdsprachliche Termini übernahm, wo er keine entsprechende Bezeichnung in der russischen Sprache fand. Ähnliche Bestrebungen gab es auch in Frankreich in Bezug auf die chemische Terminologie. Diese ist ein glänzendes Beispiel für den Systemcharakter einer wissenschaftlichen Terminologie. Denn die von A. L. Lavoisier, G. de Morveau, M. Berthellot und A. F. de Fourcroy entwickelten Grundsätze zu einem Benennungssystem der chemischen Substanzen (Me´thode de nomenclature chimique, 1787) beruhen auf der Idee durch eine Auswahl von Wurzelwörtern, die die einzelnen Substanzen wiedergeben und eine streng geregelte Form der Wortendungen, welche die gegenseitigen Verhältnisse in den Verbindungen der Substanzen bezeichnen sollten (z. B. bei Schwefelverbindungen: Sulphite, Sulphate, Sulphurate etc.), eine einheitliche und übersichtliche Nomenklatur zu schaffen. Unter dem Eindruck dieser Reformen der Terminologie und Nomenklatur der Botanik und Chemie lieferte William Whewell in seiner Geschichte der inductiven Wissenschaften (1840) die erste allgemeine wissenschaftstheoretische Rechtfertigung der Terminologie und zugleich ihre präzise und heute noch gültige Unterscheidung von der Umgangssprache. Unter Terminologie versteht Whewell das System der Termini technici, die mit Hilfe bestimmter ausdrücklich festgesetzter Regeln so gebildet worden sind, daß sie mit den Begriffen eines Fachgebietes fest verbunden sind. Ein weiterer wichtiger Schritt wurde von Johann Beckmann (1739⫺1811) mit der Begründung der technologischen Terminologie getan. Beckmann hatte Linne´ persönlich kennengelernt und war durch dessen Reformen angeregt worden, das gleiche für das Handwerk und Gewerbe zu versuchen. Denn hier war das terminologische Chaos noch größer. Es gab unterschiedliche Termini für gleichartige Vorgänge oder technische Mittel. Die Gelehrtensprache Latein schloß die Handwerker als mögliche Adressaten weitgehend

aus und die Nationalsprachen wiesen einen deutlichen Mangel an Fachtermini auf, um sich auf technischem Gebiet hinreichend und deutlich ausdrücken zu können. In diesem Sinne verlangte Beckmann, daß für eine geregelte „technologische Terminologie“ einerseits mehr Synonyme abzuschaffen als neue Namen einzuführen seien, andererseits aber „unsere Sprache sich allmählich eine Menge neuer Wörter gefallen lassen“ müsse. (Beckmann 1780, 4). Aber erst 150 Jahre später sollten Beckmanns zukunftweisende Vorstellungen zur Terminologienormung gerade in der technischen Terminologie einsetzen. Bestrebungen nach internationaler Vereinheitlichung der elektrotechnischen Benennungen und Zeichen machten sich schon im vorigen Jh. auf den internationalen Elektrikerkongressen bemerkbar. Der erste Kongreß fand 1881 in Paris statt; der Kongreß in St. Louis (1904) leitete schließlich die Gründung der International Electrotechnical Commission (IEC) 1906 ein. Eine der Hauptaufgaben der IEC sollte die „Normung der Nomenklatur“ sein. 1928 veröffentlichte der dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) nahestehende technische Wörterbuch-Verlag in Berlin das sechssprachige Bildwörterbuch Illustrierte technische Wörterbücher in sechs Sprachen, Bd. 2 Elektrotechnik und Elektrochemie von Alfred Schlomann und ein darauf abgestimmtes Definitionswerk. Beide Werke ⫺ zusammen rund 2000 Seiten ⫺ waren unter Mitwirkung des Verbandes Deutscher Elektroingenieure (VDE) und des VDI und des Zentralverbandes der Deutschen elektrotechnischen Industrie erschienen. Grundsätzlich aber zeigt sich an dem realen Ablauf der Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft, daß Benennungen für neue Begriffe in der wissenschaftlichen Arbeit zunächst ohne Benennungsregeln geschaffen wurden. Das natürliche System der Begriffe beginnt in allen Sachgebieten mit einer ungeordneten Vielzahl von Benennungen zu wuchern, die erst später reduziert werden kann. Es muß daher eine deskriptive und eine präskriptive Terminologiearbeit geben. Die deskriptive oder beschreibende Terminologieforschung führt eine Erhebung der tatsächlich vorhandenen Benennungen eines Fachgebietes durch, während die präskriptive, vorschreibende oder normative Terminologiearbeit die darauf folgende Terminologieregelung durchführt. Diese Zweiteilung gab es schon im 19. Jh., als man die einzelnen Fachgebiete wie Biologie, Chemie, Medizin usw.

31. Terminologieforschung in Europa: ein historischer Überblick

im Sinne explizit terminologischer Regeln durch Terminologiekommissionen von Fachorganisationen zu ordnen begann. Denn man erkannte zu Recht, daß diese Regelungen durch Fachkommissionen nicht nur zuverlässiger waren als die Terminologie eines einzelnen Fachmannes oder Lehrbuchautors, sondern daß eine solche kollektive Regelung auch leichter akzeptier- und durchsetzbar ist. Der erste großangelegte Versuch, eine systematische Terminologie in der jeweiligen Mutter- oder Nationalsprache aufzubauen, setzte nach dem 1. Weltkrieg ein und erreichte Anfang der 30er Jahre seinen Höhepunkt. Die Wirtschaftslinguistik kann aus übergeordneter Sicht als das erste bewußte Zusammentreffen von Sprachforschung und Sachfächern mit dem Ziel der Verbesserung der fachlichen Kommunikation angesehen werden. Dieses Zusammentreffen scheint zunächst weniger durch ein primäres Erkenntnisinteresse, als vielmehr durch die wirtschaftliche Notwendigkeit der damals beginnenden Internationalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und der daraus folgenden fachlichen Kommunikation bedingt gewesen zu sein. In fast allen Beiträgen (Messing 1932) ist die terminologische Komponente nicht zu übersehen. Eine wesentliche Erkenntnis ist die, daß Sachwissen nicht ausgeklammert werden kann oder ausschließlich mit sprachwissenschaftlichen Methoden zu bewältigen ist. Die politischen Veränderungen nach dem 1. Weltkrieg, die auch den Status einer Reihe von Nationalsprachen änderten, haben der bewußten, einsprachigen Terminologieplanung starke Impulse gegeben. Die Motivationen zu solchen Vorhaben waren unterschiedlich. In der Tschechoslowakei z. B. und den baltischen Staaten ging es darum, die erforderlichen Terminologien zu schaffen, um die neue „Staatssprache“ zum vollgültigen Kommunikationsmedium in allen Sachbereichen zu machen. In anderen Fällen wie Island standen sprachpolitische Aspekte im Vordergrund. Bei der um die 30er Jahre einsetzende Terminologieplanung in der UdSSR herrschten u. a. ⫺ obwohl unausgesprochen ⫺ Überlegungen zur Dominanz des Russischen über alle anderen Sprachen dieses Raumes vor. Eine zweite Welle der Terminologieplanung setzte in den 70er und 80er Jahren ein.

343

Sie begann mit den frankokanadischen massiven Bemühungen, französische Terminologien als Gegengewicht zum Englischen in Kanada zu schaffen. Auch hier stehen nationale Tendenzen, nun aber innerhalb eines Staates, im Brennpunkt. Ähnliche soziolinguistische Konstellationen sind heute in mehreren Ländern (z. B. Spanien) zu beobachten. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR ergaben sich ebenfalls sprachpolitische Situationen, wo man nicht nur auf den Erhalt, sondern auch auf den Ausbau der eigenen Sprache bedacht ist. Waren die eben genannten Bemühungen auf eine Sprache bezogen, so strebte Eugen Wüster eine sprachübergreifende Terminologieplanung an, deren Wurzeln in seiner intensiven Beschäftigung mit den Kunstsprachen, besonders Esperanto, zu suchen sind. Der konkreteste Beweis hierfür ist sein „internationaler Terminologieschlüssel“, dessen Grundgedanke die Benennungsbildung auf der Grundlage von internationalen Benennungselementen meist griechischer und lateinischer Herkunft ist. Bei der Zahl und Art der seinerzeit terminologisch relevanten Sprachen schien damit ein Weg aufgezeigt, der jedoch in der heutigen Situation kaum noch gangbar ist. Festzuhalten bleibt aber, daß Wüster einen bei weitem breiteren Ansatz anstrebte und die internationale Verständigung unter Fachleuten anvisierte.

2.

Personen, die die terminologische Forschung und Entwicklung prägten

Die sprachwissenschaftlichen Aspekte der Terminologieforschung, wie sie Eugen Wüster (1898⫺1977) im Bezug auf das Benennungssystem der Technik in seiner Dissertation (1931) behandelt hat, stellen zwar, wie der bekannte Sprachwissenschaftler Leo Weisgerber (1957) festgestellt hat, einen „Markstein angewandter Sprachwissenschaft“ dar, die eigentliche Grundlage seiner Terminologielehre bildet jedoch die Begriffslogik, auf die alle speziellen Terminologien in der Wissenschaft und Technik zurückzuführen sind. Das war auch Wüsters philosophische Ausgangsposition, wie aus folgender Bemerkung klar hervorgeht: „Sie [die Logik] hat allgemeingültig geklärt, in welchem Verhältnis Begriffe zueinander stehen können und wie sie aufgrund dieses Verhältnisses so geordnet werden kön-

344

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

nen, daß sie ein Begriffssystem, ein Begriffsfeld ,bilden‘ “ (Wüster, 1963, 420). Damit wird nun die präskriptive Terminologiearbeit zur angewandten Logik. Und da es sich nicht um die Begriffe der Gemeinsprache, sondern um die Fachbegriffe der Wissenschaft handelt, ergibt sich damit die enge, von Wüster selbst ausdrücklich hervorgehobene Beziehung zur Wissenschaftstheorie, die, als Wüster seine Dissertation schrieb, durch den Wiener Kreis als systematische Anwendungsdisziplin der formalen Logik begründet worden ist. Es war insbesondere Carnaps Werk über den logischen Aufbau der Welt (1928), das bereits grundlegende Bezüge zur Terminologielehre enthielt. Denn auch hier ging es um die Grundidee, daß es eines „logischen Gerüstes“ bedürfe, um die Welt sprachlich „abbilden“ zu können (Nedobity 1984, 45). Das war auch die Idee, die L. Wittgenstein in seinem Tractatus logico-philosophicus vertreten hatte, der damit die Philosophie des Wiener Kreises auf entscheidende Weise beeinflußte. So sehr die Wissenschaftstheorie des Wiener Kreises mit der Terminologietheorie Wüsters in der Grundidee übereinstimmt, so gibt es doch auch einen wesentlichen Unterschied: Für den Wiener Kreis war Wissenschaft ein Aussagensystem, für Wüster dagegen ein Begriffssystem. Die Zielsetzung des Wiener Kreises war es, die Widerspruchsfreiheit für erfahrungswissenschaftliche Theorien nachzuweisen. Die Terminologielehre dagegen hatte von Anfang an eine weniger anspruchsvolle, aber um so praktischere Zielsetzung. Wüster wollte mit seiner internationalen Sprachnormung dem Fachmann einen besseren Zugang zur Struktur seines Fachgebietes bieten und ihm dadurch eine eindeutige Kommunikation ermöglichen. Die Terminologielehre sollte dafür die theoretischen Grundlagen liefern. Damit war von vornherein klar, daß sich die Terminologielehre nicht allein auf die reine formale Logik stützen konnte. Der Gegenstandsbereich eines Fachgebietes mit seinen tatsächlichen in der Erkenntnis der Realität begründeten speziellen Begriffsverhältnissen ist vielmehr der konkrete Bezugspunkt, von dem man in der Terminologielehre nicht abstrahieren kann. Wenn von den terminologieschaffenden und -regelnden Bestrebungen des 18. und 19. Jh. abgesehen wird, steht am Anfang der modernen russischen Entwicklung die Arbeit von D. S. Lotte (1931) Pressing Problems in

the Field of Scientific and Technical Terminology. Lotte (1898⫺1950) war zwar nicht der einzige, wohl aber derjenige, der die theoretische Entwicklung der Terminologie nachhaltig beeinflußt hat (Kulebakin et al. 1993, 121 ff). Lotte schuf die theoretischen und methodologischen Grundlagen für die sowjetische Terminologiearbeit. Nach Kulebakin et al. (1993, 129) kann Lottes Auffassung in folgendem Kernsatz zusammengefaßt werden: „Die Terminologie stellt jene Gesamtheit der Termini dar, die dem Begriffssystem eines gegebenen Gebietes der Wissenschaft oder Technik entspricht. Das Terminussystem repräsentiert sozusagen das Begriffssystem“. Ein Gedanke, der in vollem Einklang mit Wüsters Auffassung steht. Eine weitere zentrale Gestalt, die bereits vor Lotte der russischen theoretischen und praktischen Terminologiearbeit wesentliche Impulse gab, war E. K. Drezen (1892⫺1936). Drezen war Ingenieur, engagierter Kommunist mit einer bemerkenswerten Karriere nach der Revolution und bekannter Esperantist mit breit angelegten Sprachkenntnissen. Seine Verbindungen zu westlichen Ländern in den 20er und 30er Jahren waren bemerkenswert intensiv; Wüster kannte Drezen. Drezens Beziehung zu Lotte scheint wenig fruchtbar gewesen zu sein, die Literatur deutet keine Zusammenarbeit an. Sein terminologisches Hauptbetätigungsfeld ist die Normung und ihre internationale Kommunikationskomponente; in dieser Hinsicht liegen seine und Wüsters Anschauungen eng beieinander, was wohl nicht zuletzt aus der Beschäftigung beider mit den Kunstsprachen herzuleiten ist. Die Titel seiner beiden Hauptwerke deuten seine Interessenschwerpunkte an: Normung wissenschaftlicher und technischer Begriffe, Bezeichnungen und Benennungen (1934) und Internationalisierung der wissenschaftlichen und technischen Terminologie (1936). Seine wissenschaftliche und wissenschaftsorganisatorische Tätigkeit lag im Schnittpunkt der Themen Rationalisierung, Technik und Sprachwissenschaft. Zu Drezen sei auf K. J. Averbuh (1994) verwiesen. Ein besonderes Merkmal der sowjetischen Entwicklung ist die frühe Einbeziehung von Sprachwissenschaftlern in die terminologische Grundlagenarbeit. Hiervon zeugen u. a. Arbeiten von A. A. Reformatskij, V. V. Vinogradov, G. O. Vinokur u. v. a. (Laure´n/Picht 1993, 497).

31. Terminologieforschung in Europa: ein historischer Überblick

3.

Die Entwicklung bis zum 2. Weltkrieg

In den 30er Jahren standen die Normung von Terminologien und die damit verbundenen Grundsätze im Vordergrund. Nach der Übersetzung von Wüsters Dissertation ins Russische wurde auf russische Anregung hin das Technische Komitee 37 bei der Internationalen Normungsinstitution ISA, (ISA/TC 37) „Terminology“, eingesetzt, das bis zum Kriegsbeginn arbeitete und die ersten Grundlagen für die internationale Terminologienormung im Entwurf erstellen konnte. In Rußland wurde die Arbeit in den entsprechenden nationalen Institutionen fortgeführt.

4.

Die Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg bis zum Ende der 70er Jahre

Auf eine chronologische Darstellung muß hier verzichtet werden, es können lediglich einige wesentliche Meilensteine hervorgehoben werden. Sein Wortmodell hat Wüster erstmalig in der Zeitschrift Sprachforum (1959/60, 183 ff) dargestellt. Der Titel seines Aufsatzes zeigt sowohl die Verbindung als auch den Unterschied seiner terminologischen Forschungen zur Sprachwissenschaft auf: „Das Worten der Welt, schaubildlich und terminologisch dargestellt.“ Wüster hat den Ausdruck „das Worten der Welt“ von Weisgerber übernommen, der darunter die Ausprägung der menschlichen Welt im Wort verstanden hat. Sein Anliegen geht aber weiter. Er versucht mit einem Schaubild die vielgestaltigen Beziehungen zwischen Zeichen, Begriff und Gegenstand vom „Standpunkt eines Terminologen aus“ zu beschreiben. Eine solche Darstellungsweise hat eine lange Tradition, die heute unter der Bezeichnung „semiotisches Dreieck“ allgemein bekannt ist. Historische Ansätze reichen bis auf die antike Philosophie (Platon, Aristoteles) zurück. Auch zur Zeit von Wüster waren dreieckförmige Darstellungen üblich. Im Unterschied zu den rein sprachwissenschaftlichen Wortmodellen, wie sie auch Weisgerber zu Darstellung der Beziehungen von Wort (Benennungseinheit), Name (Lautform) und Begriff benützt, bleibt bei Wüster der individuelle reale Gegenstand oder das Objekt nicht außerhalb des terminologisch verstandenen Wortmodells, in dem auch die Beziehung zu den Gegenständen der

345

Sachwissenschaften berücksichtigt werden muß. Außerdem spaltet Wüster mit seinem vierteiligen Wortmodell auch die linke Seite des Dreieckes, die das Zeichen einnimmt, auf und unterscheidet in Anlehnung an F. de Saussure und N. S. Trubetzkoy zwischen dem idealen System der Zeichen (langue) und den konkreten Realisierungen (parole), den Sprech- und Schreibzeichen. Damit hat Wüster bereits den Weg zu einer Wissenstechnik geöffnet, in der die konkreten Realisierungen von Zeichen im Rahmen maschineller Darstellung und Verarbeitung eine zentrale Rolle spielen. Wenn man von der Prager Schule absieht, die auch die Tradition der Wirtschaftslinguistik in eigener Variante weiterführte, zeigte die Sprachwissenschaft der westlichen Länder zunächst wenig Interesse an der Terminologie, die sie eher als eine der möglichen Formen der Lexik betrachtete. Unbekannt waren die Wüsterschen Thesen in der Sprachwissenschaft jedoch nicht, wie aus den Akten der Linguistenkongresse hervorgeht, in denen Wüster mehrfach seine Gedanken dargelegt hat (z. B. 1963, 415). Anders verhielt es sich dagegen mit der Fachübersetzung, die notwendigerweise ständig mit terminologischen Fragen konfrontiert ist. Hier bestand ein deutliches Interesse, das sich auf die Erstellung von Fachwörterbüchern, mehr jedoch noch auf die ersten terminologischen Datenbanken als Werkzeuge der Fachübersetzung konzentrierte. Mit der sich langsam abzeichnenden Disziplin der Fachsprachenforschung begann auch die Einbeziehung der Terminologie in diesen Forschungsgegenstand, obwohl die jeweiligen Ausgangspositionen (einem zunächst systemlinguistisch geprägten Ansatz stand der von Wüster geprägte Ansatz gegenüber), höchst unterschiedlich waren. Wenn Wüster in seinen Arbeiten von Sprachwissenschaft spricht, so sollte man sich daran erinnern, daß er damit explizit die „Wissenschaft von der Gemeinsprache“ (1974, 67 ff) meinte und sie der Terminologie gegenüberstellt, um die unterscheidenden Merkmale hervorzuheben. Dieser Ansatz muß u. a. auch vor dem Hintergrund der seinerzeitigen Abgrenzungsversuche von Gemein- und Fachsprache(n) gesehen werden. Ferner ist hervorzuheben, daß er die Terminologie schon sehr früh (1931, 3) der „angewandten Sprachwissenschaft“ zuordnete und diese Auffassung zeitlebens beibehielt (1974, 64). Die Angleichung der Auffassungen war ein Prozeß, der sich von den 60er bis tief in

346

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

die 80er Jahre hinein erstreckte. Einher damit ging auch eine Neuorientierung und Forschungsgegenstandserweiterung in der Sprachwissenschaft, wobei die Fachsprachenforschung sich weitgehend konsolidierte und nach eigenen Parametern zu arbeiten begann, die denen der Terminologie eher entsprachen. Im Bereich der Prager Schule entwickelte sich die Terminologie besonders, aber nicht ausschließlich, aus linguistischer Sicht im Rahmen der (Fach-)sprachenplanung und -forschung als integrierter Bestandteil dieser Tätigkeiten; siehe hierzu u. a. Drozd/Seibicke (1973) und Kocourek (1993). Die Affinität der Methoden zur Wissensstrukturierung und Darstellung in den Werkzeugen der Information und Dokumentation (I & D) ⫺ Klassifikationen und Thesauren ⫺ wurde schon sehr früh erkannt und führte zu einer engen Zusammenarbeit (Wüster 1971; 1971 a). Die Normung der terminologischen Grundsätze wurde nach dem 2. Weltkrieg sehr bald auf nationaler und internationaler Ebene (ISO) wieder aufgenommen. Diese Bemühungen führten dazu, daß Ende der 60er bzw. Anfang der 70er Jahre nationale terminologische Grundsatznormen ⫺ besonders deutsche ⫺ sowie 6 ISO-Empfehlungen und eine ISO-Norm vorlagen.

5.

Die Terminologie auf der Suche nach eigener wissenschaftlicher Identität

Während die Beschäftigung mit einzelnen Terminologien bereits explizit im 18. und 19. Jh. nachweisbar ist, hat sich die Idee einer selbständigen Terminologiewissenschaft erst seit Anfang unseres Jh. entwickelt. Anlaß dazu war vor allem die Einsicht in den Doppelcharakter der Terminologie als der geordneten Menge von Begriffen eines Fachgebietes mit den ihnen zugeordneten Begriffszeichen. Von den Begriffszeichen her gesehen (Terminus als Wort) fällt die Terminologie in den Bereich der Sprachwissenschaften, von inhaltlicher Seite spiegelt die Terminologie eines Fachs das System der Begriffe wider, für deren Verständnis die Kenntnis des Sachgebietes Voraussetzung ist. Deshalb gelangte man allgemein zur Überzeugung von der Notwendigkeit einer Theorie der Terminologie (A. M. Fotiev 1969/1993) oder einer „allgemeinen Terminologie“, welche die für alle Sprachen und Wissenschaften geltenden Gesetzmäßigkeiten erforscht. Auf dem 1971 in

Moskau abgehaltenen Symposium über semiotische Probleme der Wissenschaftssprachen, der Terminologie und der Informatik wurde die allgemeine Terminologieforschung als eine Grenzwissenschaft zwischen Sprachwissenschaft, Wissenschaft von der Wissenschaft (Metawissenschaft) und allen anderen Sachwissenschaften charakterisiert (A. D. Hajutin, 1971/1993). Diesen interdisziplinären Charakter der „Allgemeinen Terminologielehre“ als einer selbständigen Wissenschaft hat auch Wüster 1972 betont, wenn er sie in einem Vortrag an der Universität Wien und auf dem 3. Internationalen Kongreß für Angewandte Sprachwissenschaft als ein „Grenzgebiet zwischen Sprachwissenschaft, Logik, Ontologie, Informatik und den Sachwissenschaften“ bezeichnet.

6.

Vom Beginn der 80er Jahre bis in die Gegenwart

Als hervorstechendstes Merkmal der Entwicklung ist zum einen die Erweiterung des Forschungsgegenstandes zu nennen, der heute die Disziplinen Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie, Semiotik und Sprachwissenschaft, Logik und Ontologie, Gegenstandsund Begriffstheorien, Terminographie, Wissenstechnik, Informatik, Informationswissenschaft, Fachgebiete, Normung und Terminologieplanung umfaßt. Zum anderen darf diese Erweiterung nicht rein quantitativ aufgefaßt werden; aus höherer Warte betrachtet handelt es sich auch gleichzeitig um ein Zusammenrücken von Bereichen und Disziplinen, zwischen denen ein symbiotisches Verhältnis besteht, das in nicht wenigen Fällen schon zu erheblichen „Randverschmelzungen“ geführt hat. Zur heutigen Situation kann festgestellt werden, (1) daß auf der Wüsterschen theoretischen Grundlage aufbauend ein erheblicher und kontinuierlicher Erkenntniszuwachs zu verzeichnen ist, der zu einer besseren und differenzierteren Untermauerung der Terminologiewissenschaft geführt hat; (2) daß die Entwicklung zu einer direkten Einbeziehung von Disziplinen, die früher eher latent berührt waren oder noch nicht bestanden, geführt hat; (3) daß in Anbetracht der stattgefundenen Entwicklung und des erheblichen Anteils der heute implizierten Disziplinen eine einseitige Bindung an die angewandte Sprachwissenschaft weniger angemessen erscheint als früher, da eine Reihe von rein terminologischen

31. Terminologieforschung in Europa: ein historischer Überblick

Faktoren und Elementen nicht sprachwissenschaftlicher Natur sind und folglich nicht erfolgversprechend allein mit sprachwissenschaftlichen Methoden bearbeitet werden konnten und können; dies bedeutet aber nicht, daß die Sprachwissenschaft für die Terminologie an Bedeutung verloren hätte, im Gegenteil, sie hat lediglich den ihrem Beitrag angemessenen Platz gefunden. Analog zu M. Snell-Hornby (Reiss 1989, 98) läßt sich daher sagen, daß die heutige Terminologiewissenschaft sich als eigenständige Disziplin versteht und nicht als Teilbereich einer Teildisziplin der Sprachwissenschaft; (4) daß die Lehre als notwendiger Bestandteil einer Wissenschaft sich etablieren konnte; (5) daß ein sehr viel weiterer organisatorischer Rahmen als eine Voraussetzung für die zukünftige Entwicklung entstanden ist. Trotz der unbestreitbaren Fortschritte, muß aber auch unterstrichen werden, daß eine Reihe von Problemen ihrer (Weiter-)Bearbeitung harren und noch keineswegs befriedigend gelöst sind. Eine dieser Aufgaben wäre die Formulierung einer erweiterten „Allgemeinen Terminologielehre“, die die in den letzten ca. 15 Jahren gewonnenen Erkenntnisse einbezieht und zu einem vollkommenen theoretischen Gebäude zusammenfügt.

7.

Literatur (in Auswahl)

Averbuh 1994 ⫽ K. J. Averbuh: E. K. Drezen ⫺ Terminologist and Standardizer. In: Terminology Science and Research Vol. 5 (1994), No. 2, 53⫺73. Beckmann 1780 ⫽ Johann Beckmann: Anleitung zur Technologie. 2. Aufl. Göttingen 1780. Carnap 1928 ⫽ Rudolf Carnap: Der logische Aufbau der Welt. Berlin 1928. Drezen 1934 ⫽ E. K. Drezen: Standartizacija naucˇno-technicˇeskich ponjatij, oboznacˇenij i terminov. Moskva. Leningrad 1934. Drezen 1936 ⫽ E. K. Drezen: Internacionalizacija naucˇno-technicˇeskoj terminologii. Leningrad. Moskva 1936. Drozd/Seibicke 1973 ⫽ Lubomı´r Drozd/Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Bestandsaufnahme⫺Theorie⫺Geschichte. Wiesbaden 1973. Fotiev 1969 ⫽ A. M. Fotiev: Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt und die Verständigungsmittel. Terminologie ⫺ eine selbständige wissenschaftliche Disziplin. In: Laure´n/Picht 1993 a, 10⫺13. Hajutin 1971 ⫽ A. D. Hajutin: Die verschiedenen Richtungen in der Terminologiearbeit. In: Laure´n/ Picht 1993 a, 3⫺4.

347

Kocourek 1993 ⫽ Rostislav Kocourek: Der Terminus und seine Definition. In: Laure´n/Picht 1993 a, 33⫺66. Kulebakin/Klimovickij 1993 ⫽ V. S. Kulebakin/ J. A. Klimovickij: Arbeiten am Aufbau einer wissenschaftlich-technischen Terminologie in der Sowjetunion und die Sowjetische Schule der Terminologie. In: Laure´n/Picht 1993 a, 121⫺158. Laure´n/Picht 1993 ⫽ Christer Laure´n/Heribert Picht: Vergleich der terminologischen Schulen. In: Laure´n/Picht 1993 a, 493⫺539. Laure´n/Picht 1993 a ⫽ Christer Laure´n/Heribert Picht (Hrsg.): Ausgewählte Texte zur Terminologie. Wien 1993. Lotte 1931 ⫽ D. S. Lotte: Ocˇerednye zadacˇi technicˇeskoj terminologii. Moskva 1931. Messing 1932 ⫽ Ewald E. J. Messing (Hrsg.): Zur Wirtschafts-Linguistik. Rotterdam 1932. Nedobity 1984 ⫽ Wolfgang Nedobity: Eugen Wüster und die Sprachkritiker des Wiener Kreises. In: Muttersprache 95. 1984/85, 42⫺48. Reiss 1989 ⫽ Katharina Reiss: Was heißt und warum betreibt man Übersetzungswissenschaft? In: Lebende Sprachen 3/1989, 97⫺100. Schlomann 1928 ⫽ Alfred Schlomann: Illustrierte technische Wörterbücher in sechs Sprachen. 2. Elektrotechnik und Elektrochemie. Berlin 1928. Schlomann 1928 a ⫽ Alfred Schlomann: Technologisches Handbuch der Elektrotechnik und Elektrochemie. Berlin 1928. Weisgerber 1957 ⫽ Leo Weisgerber: Sprache und Technik. In: Leo Weisgerber: Die Muttersprache im Aufbau unserer Kultur. 2. Aufl. Düsseldorf 1957, 97⫺123. Whewell 1840 ⫽ William Whewell: Geschichte der inductiven Wissenschaften. 3 Bde. Stuttgart 1840. Wüster 1931/1970 ⫽ Eugen Wüster: Internationale Sprachnormung in der Technik, besonders in der Elektrotechnik. Berlin 1931. 3. Aufl. Bonn 1970. Wüster 1963 ⫽ Eugen Wüster: Die Struktur der sprachlichen Begriffswelt und ihre Darstellung in Wörterbüchern. In: Proceedings of the IIIrd Congress of the International Federation of Translaters. Oxford. London. New York. Paris 1963, 415⫺443. Wüster 1971 ⫽ Eugen Wüster: Die internationale Terminologie im Dienste der Informatik. In: Monda Lingvo-Problemo 26. 1971, 138⫺144. Wüster 1971 a ⫽ Eugen Wüster: Begriffs- und Themaklassifikation. Unterschiede in ihrem Wesen und in ihrer Anwendung. In: Nachrichten für Dokumentation 22. 3. 1971, 98⫺104 und 22. 4. 1971, 143⫺150. Wüster 1974 ⫽ Eugen Wüster: Die Allgemeine Terminologielehre ⫺ ein Grenzgebiet zwischen Sprachwissenschaft, Logik, Ontologie, Informatik und den Sachwissenschaften. In: Linguistics 119. 1974, 61⫺106.

Erhard Oeser, Wien / Heribert Picht, Kopenhagen

348

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

32. Germanistische Forschungen zur mittelalterlichen Fachprosa (Fachliteratur): ein historischer Überblick 1. 2. 3. 4. 5. 6.

1.

Mittelalterliche Fachprosa: Benennung und Definition Die Anfänge der germanistischen Forschung zur mittelalterlichen Fachliteratur (19. Jh.) Die Bedeutung der Wissenschaftshistoriker (1. Hälfte 20. Jh.) Die Forschung nach 1945 Jüngste Entwicklung Literatur (in Auswahl)

Mittelalterliche Fachprosa: Benennung und Definition

Mittelalterliche Fachprosa ist keine Fachliteratur. Dem modernen Terminus Fachliteratur läßt sie sich nur bedingt subsumieren. Mittelalterliche Fachprosa ist ebensowenig Sachliteratur, da sie durchaus theoretische Areale einbegreift und es nur zum Teil mit Realien bzw. Sachkunde zu tun hat. Gerhard Eis, der gemeinsam mit Wolfgang Stammler den Terminus prägte und ihn seit 1948 benutzte, hatte ihn auf die Literatursystematik des ,Aufrisses‘ bezogen, in Antithese zu Stammlers „geistlicher Prosa“ formuliert und aus folgender Benennungsmotivation heraus gestaltet: Das „Prosa“-Lexem ist an den Konnotationen von „prosaisch“ orientiert und steht damit in Antithese zu „dichterisch“ bzw. „fiktional“; das Bestimmungswort „Fach-“ ist auf „fachlich“ bezogen und damit auf derartige Bereiche hin ausgerichtet, die über spezielles, gemeinsprachlich nicht abgebildetes Wissen verfügen und solches über eigene Terminologie im Sinne von Fach- und Sondersprachen vermitteln. Auf diese Weise gelang Eis bzw. Stammler die Ausgrenzung der geistlichen und Rechtsliteratur, für die sie gemeinsprachliche Ausformung oder entsprechende Tendenz voraussetzten. Dieser Engführung des Fachprosa-Begriffs sind Assion, Haage, Kuhn (angesichts der „unabsehbaren Masse des Überlieferten“, 1980, 87) und auch Ria Jansen-Sieben gefolgt, die entsprechend der Eisschen Konzeption von 1951 Theologie samt Aszetik, Jurisprudenz sowie Historiographie aus dem engeren Bereich der Fachliteratur ausgrenzten, ohne eingehender zu reflektieren, daß Gerhard Eis diese Engführung aus vorwiegend pragmatischen Erwägungen vorgenommen hatte, wobei es insbesondere um den Forschungsstand und Fragen der fachinternen

Akzeptanz ging: Eis wollte vordergründig eine Forschungslücke schließen, ohne dabei die rechtliche oder geistliche Gebrauchsliteratur ganz zu vernachlässigen. Eis war ⫺ angeregt durch den spätmal. Fachprosatext ,Siben sint der vrıˆen künste‘ ⫺ zu einer Stoffgliederung gekommen, die (unter Berufung auf Hugo von St. Viktor) mit den enzyklopädischen Werken beginnt, den beruflich-schulischen Bereich der Artes liberales mit Tri- und Quadrivium anfügt, um dann (unter Einschluß der Medizin) die Eigenkünste der „mechanicae“ zu bringen und mit dem (durch Wolfram Schmidt strukturierten) Bereich der Verbotenen Künste oder „incertae“ zu schließen. Dieses Gliederungsschema hat Hugo Kuhn (1980, 91) übernommen, geringfügig variiert, durch die Alchemie ergänzt, während andere Bereiche (z. B. das Schrifttum des Kriegswesens, der Lohnkämpen, des Montanwesens u. a.) hier fehlen, was dazu führte, daß der Kuhnsche Vorschlag in den 15 Jahren seiner Verfügbarkeit nicht verwendet wurde. Kritiker des Eisschen Schemas definitorischer Engführung war Eis selber, der die Grenzzäune zu den juristischen, theologischen und historiographischen Stoffgebieten einriß und als Gegenstand der Fachprosaforschung deklarierte: das „nichtdichterische Schrifttum geistlichen und weltlichen Inhalts“ (1967, 1). Damit war ein erweiterter Fachprosa-Begriff gegeben, der ausgedehnte Areale einbezog und unerwartet neue Dimensionen ins Blickfeld rückte. In diese Richtung zielte auch die „Nicht-Definition“ des Literaturbegriffs der Fachprosaforschung durch Keil: „Alles was sich über den Literaturbegriff der Fachprosaforschung sagen läßt, ist, daß er weit ist, so weit wie irgend möglich“ (1974, 196).

2.

Die Anfänge der germanistischen Forschung zur mittelalterlichen Fachliteratur (19. Jh.)

Die Erforschung der mittelalterlichen „Gebrauchs“-Literatur setzt nahezu zeitgleich mit der literaturwissenschaftlichen Aufarbeitung der Belletristik des Medium Aevum ein. Franz Josef Mone, Heinrich Hoffmann von Fallersleben bezogen bereits die mittelalterli-

32. Germanistische Forschungen zur mittelalterlichen Fachprosa

chen Textbestände der Fachprosa mit ein. Jacob Grimm zeigte besonders an juristischen Fachprosatexten Interesse (Deutsche Rechtsaltertümer). Große Bedeutung kommt Franz Pfeiffer (Edition des ,Buchs der Natur‘ Konrads von Megenberg 1863, des ,Arzenıˆbuochs Ipocratis‘ sowie des ,Bartholomäus‘ 1863) und Josef Haupt zu. Erwähnenswert sind auch die Bemühungen Julius Zachers und Anton Birlingers. Auf den durch Haupt und Pfeiffer geschaffenen Grundlagen haben während des ersten Weltkriegs Friedrich Wilhelm und Robert Priebsch weitergebaut; bei Priebschs Schüler Walter Wardale treten altdeutsche Kurzrezepte in den Brennpunkt literarhistorischen Forschens. Die erste Phase der Erschließung erfolgte also von der Germanistik her und erweist sich ⫺ mit Ausnahme der ihrer Zeit vorauseilenden Studie Josef Haupts ⫺ als unstrukturiert und unsystematisch. Im Zentrum steht die Quellenerschließung für die Erarbeitung von sprachhistorischen Grammatiken, Wörterbüchern u. ä., weniger die Aufarbeitung der Fachgeschichte.

3.

Die Bedeutung der Wissenschaftshistoriker (1. Hälfte 20. Jh.)

Die Geschichte der Forschung zur mittelalterlichen Fachliteratur erfährt um 1900 eine neue Ausrichtung: es sind ⫺ geführt durch Felix von Oefele ⫺ nun vor allem Fachhistoriker, die sich der entsprechenden Texte annehmen und dabei in der Regel auch philologisch ausgerichtet arbeiten: bestes Beispiel ist ohne Zweifel der Medizinhistoriker Karl Sudhoff, der eine schier unermeßliche Fülle an medizinischen Handschriften und Einzeltexten in seinem ,Archiv für Geschichte der Medizin‘ (jetzt: ,Sudhoffs Archiv‘) einer größeren Öffentlichkeit vorstellte (vgl. Keil 1981; Herbrand-Hochmuth 1934). Für andere Bereiche leisteten Fachhistoriker wie Max Jähns (Kriegstechnik 1889), Ernst Zinner (Geschichte der Astronomie 1925/1941), Julius Schuster (Pharmaziegeschichte), Wilhelm Pieper (Montanwesen) und Gustav Hellmann (Meteorologie) bahnbrechende Grundlagenforschung. Unter rein germanistisch-philologischen Gesichtspunkten brachte der „Einbruch“ der Wissenschaftshistoriker, die teilweise philologische Laien bzw. Halblaien waren, neben

349

dem unbestreitbaren großen Zuwachs an Breitenwissen ein Desiderat mit sich, das noch heute den Forschungsstand zur mittelalterlichen Fachliteratur prägt: es wurde versucht, möglichst viele bzw. alle Texte eines bestimmten Fachs aufzufinden; die Darstellung von Überlieferung und Textgeschichte unterblieb jedoch in der Regel, da man sich oft mit einem Textabdruck nach einer möglichst frühen Handschrift begnügte. Exakte Quellenstudien finden sich nur selten. So läßt sich bis heute die Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte vieler weitverbreiteter Texte (z. B. des ,Bartholomäus‘) eher erahnen als wirklich beschreiben. Auf seiten der germanistischen Mediävistik bemühte sich das Hamburger Institut mit Agathe Lasch und Gerhard Cordes u. a. um die niederdeutschen Arzneibücher. Im Zentrum der Arbeit stand allerdings das Mittelniederdeutsche Handwörterbuch; vorausgehende Studien verfaßten bereits Geyl, van Leersum und Munk; den Anschluß lieferte Hans Reutercrona, mit dem sich die niederdeutsche Arzneibuch-Forschung an die Tyska Institutionen zu Stockholm verlagerte, vom „Medizinerkreis“ unter Gustav Korle´n und Gert Mellbourn gestaltet wurde und in den Arbeiten von Agi Lindgren (1967; 1977; 1979; 1985), Helny Alstermark und Birgitt Kusche sichtbaren Ausdruck fand. Querverbindungen ergaben sich zu Walter Wardale nach Schottland. Eine breitere Basis erlangte die Erforschung der Fachliteratur mit dem ab 1933 unter der Leitung von Wolfgang Stammler herausgegebenen ,Verfasserlexikon‘, denn Stammler hatte sich zum Ziel gesetzt, „alle Schriftsteller“ aufzunehmen, „die in deutscher Sprache etwas von sich verlauten ließen” (Vorrede). Hier deutet sich ein erweiterter Literaturbegriff an, der für die germanistischen Forschungen zur Fachliteratur zentrale Bedeutung erlangen sollte.

4.

Die Forschung nach 1945

Die Fachhistoriker haben das Gebiet des Medium aevum in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr vernachlässigt ⫺ so gilt (nach dem Tode Wilhelm Riecks und dem Ausscheiden Kurt Lindners) das Würzburger Institut für Geschichte der Medizin als das einzige, das noch philologisch-germanistische Forschung auf dem Gebiet der mittelalterlichen, medizinischen Fachliteratur schwerpunktmäßig betreibt.

350

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Daneben läßt sich aber eine gegenläufige Entwicklung ausmachen: die Texte der Fachprosa kamen in jüngster Zeit stärker ins Blickfeld der Philologie: Germanisten und Mittellateiner beschäftigen sich zunehmend mit diesem Feld (beispielsweise Nigel F. Palmer und Benedikt Konrad Vollmann). Die von Gerhard Eis 1937 gegründete und von Persönlichkeiten wie Peter Assion, Gundolf Keil, Bernhard Dietrich Haage, Wolfram Schmitt und Joachim Telle sowie im Bereich des Niederländischen von Willy Braekman, Willem Daems und Ria Jansen-Sieben weitergeführte Richtung der Fachprosaforschung hatte sich in allererster Linie den Texten der Artes, also der Septem artes liberales, der (Septem) Artes mechanicae (Eigenkünste) sowie den artes magicae (Verbotene Künste) verschrieben. Eis berief sich bei seiner Gliederung der Fachprosa auf Hugo von St. Viktor. Dabei nimmt jedoch die Beschäftigung mit den medizinischen Texten, obwohl die Medizin nur als Teilaspekt der mechanischen Künste eingestuft war, eine dominierende Rolle ein, was nicht zuletzt darin begründet liegt, daß die Medizin innerhalb des gewählten Forschungsfeldes den Löwenanteil ausmacht (vgl. Weißer 1994). Zum Modell der Fachprosaforschung wurden die Studien von Gerhard Eis zum ,Pelzbuch‘ Gottfrieds von Franken. Dieser Richtung folgten auch George Fenwick Jones, Emil Ploß (Färben), Hans Wiswe sowie Trude Ehlert (Kochen), Jerry Stannard (Botanik), William Crossgrove und Francis Bre´vart (Astronomie). Es kommt zu einer systematischeren Aufarbeitung des Fachwortschatzes, beispielsweise durch aufwendige Glossare zu den Texteditionen (z. B. Keil 1961; Gleinser 1989; Daems 1993; Mildenberger 1996). Daneben wurde das Wagnis eingegangen, erste Gesamtdarstellungen zu schreiben: zunächst durch Gerhard Eis in ,Deutsche Philologie im Aufriß‘ und daran anschließend Peter Assion (1973; 1987; die letztere Darstellung war bereits um 1980 fertiggestellt). Die zweite Auflage des ,Verfasserlexikons‘ ließ diese Versuche jedoch rasch veralten. Seitens der Nederlandistik überraschte Ria JansenSieben mit einem umfangreichen Repertorium der Artes-Handschriften (Freie-, Eigenund Verbotene Künste), und William Crossgrove brachte jüngst (1994) unter dem Stichwort „Sachliteratur“ einen Überblick über den Forschungsstand des ,Verfasserlexikons‘. 1963 begann am germanistischen Institut unter Kurt Ruh die Arbeit der ,Forschungs-

stelle für Prosaliteratur des Mittelalters‘, die 1973 in die Gründung der ,Würzburger Forschergruppe für deutsche Prosa des Mittelalters‘ mündete (ebenfalls unter der Leitung von Kurt Ruh). Aus der Forschergruppe ging schließlich der Sonderforschungsbereich 226 ,Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur des Mittelalters‘ an den Universitäten Würzburg und Eichstätt hervor (Forschungsprogramm: Wolf 1987, 9⫺22), und zwar mit direkter Beteiligung der Medizingeschichte. Bereits in den 70er Jahren hatte mit der ebenfalls unter der Regie von Kurt Ruh begonnenen zweiten Auflage des ,Verfasserlexikons‘ eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Würzburger Germanistik und der Medizinhistorik eingesetzt. Die Fachprosaforschung und die Prosaforschung des Mittelalters, die damals wohl innovativste Strömung innerhalb der älteren Germanistik, hatten sich getroffen. Der methodische Ansatz zu einer erweiterten Konzeption von Literaturgeschichte wurde ausformuliert (Ruh 1985). Parallel und in engem Kontakt dazu entwickelte sich unter Friedrich Ohly an der Universität Münster ein Schwerpunkt der Fachliteratur, der sich mit Realienkunde, Lexikographie (Klaus Grubmüller) sowie Grammatiken beschäftigte und neuerdings auf dem Gebiet der Textprogrammatik bemerkenswerte Ergebnisse vorlegt (Jan Dirk Müller).

5.

Jüngste Entwicklung

Mit dem Zusammenkommen von Fachprosaforschung und Prosaforschung stießen recht unterschiedliche Konzeptionen, Methoden und Inhalte aufeinander, die nun wieder auch grundlegende theoretische Überlegungen evozierten (Jansen-Sieben 1989/1993; Nischik 1991; Haage 1992; Riha 1992; Keil 1993; Mayer 1996). Das in den letzten Jahrzehnten zunehmende Interesse der Germanistik an der Fachliteratur hat in allerjüngster Zeit zu Editionen geführt, die nun auf der Kenntnis der gesamten noch erreichbaren Textzeugen und damit auf der Basis der Überlieferungs- und Textgeschichte einschließlich des Aufarbeitens der Quellen erstellt worden sind. Vorbild wurde die Edition der ,Rechtssumme‘ Bruder Bertholds (Steer u. a. 1987) mit der Beschreibung der Überlieferungsgeschichte (Weck 1982) und dem Quellenkommentar (Hamm/ Ulmschneider 1991).

32. Germanistische Forschungen zur mittelalterlichen Fachprosa

Zu nennen wären hier die Neuausgabe des deutschen ,Lucidarius‘ (Gottschall/Steer 1994), der auch eine Edition des Megenbergschen ,Buchs der Natur‘ folgen soll, dessen Überlieferung vor allem durch Gerold Hayer (1992) erforscht wurde. Ähnliches gilt auch für die im Erscheinen begriffenen Ausgaben des ,Deutschen Salernitanischen Arzneibuchs‘, des ,Arzneibuchs‘ Ortolfs von Baierland (beide Keil und Mitarbeiter), sowie des ,Älteren deutschen Macer‘ (Schnell/Crossgrove); diese Editionen wurden jeweils durch umfangreiche Untersuchungen zu den Quellen der Werke gestützt. Daneben kam es auch zu neuen Gesamtuntersuchungen zu bestimmten Themenbereichen, wie beispielsweise zur Enzyklopädie (Meyer-Staubach 1984), zur Schulliteratur (Nikolaus Henkel) oder zur Geschichte der Frauenmedizin im Spätmittelalter (Kruse).

6.

Literatur (in Auswahl)

Alstermak 1977 ⫽ Helny Alstermark (Hrsg.): Das Arzneibuch des Johan van Segen. Stockholm 1977 (Acta universitatis Stockholmiensis ⫺ Stockholmer germanistische Forschungen 22). Assion 1973 ⫽ Peter Assion: Altdeutsche Fachliteratur. Berlin 1973 (Grundlagen der Germanistik 13). Assion 1987 ⫽ Peter Assion: Fachliteratur. In: Helmut de Boor/Richard Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart II: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250⫺1370. Teil 2: Reimpaargedichte, Drama, Prosa. Hrsg. v. Ingeborg Glier. München 1987, 371⫺395. Baader/Keil 1982 ⫽ Gerhard Baader/Gundolf Keil (Hrsg.): Medizin im mittelalterlichen Abendland. Darmstadt 1982 (Wege der Forschung 363). Braekman 1970 ⫽ Willy L[ouis] Braekman: Middelnederlandse geneeskundige recepten. Een bijdrage tot de geschiedenis van de vakliteratuur in de Nederlanden. Gent 1970 (Koninklijke Vlaamse Academie voor taal- en letterkunde VI, 100). Braekman 1975 ⫽ Willy L[ouis] Braekman (Hrsg.): Medische en technische Middelnederlandse recepten. Een tweede bijdrage tot de geschiedenis van de vakliteratuur in de Nederlanden. Gent 1975 (Koninklijke Vlaamse Academie voor taal- en letterkunde III, 40). Bre´vart 1980 ⫽ Francis B. Bre´vart: Konrad von Megenberg. Die deutsche Sphaera. Tübingen 1980 (ATB 90). Bre´vart 1987 ⫽ Francis B. Bre´vart: Spätmittelalterliche Trivialliteratur. Methodologische Überlegungen zu ihrer Bestimmung und Erforschung. In: Ar-

351

chiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 224, 139. Jahrgang. 1987, 14⫺33. Bre´vart 1988 ⫽ Francis B. Bre´vart: The German Volkskalender of the Fifteenth Century. In: Speculum 63. 1988, 312⫺342. Crossgrove 1971 ⫽ William C. Crossgrove: The Form of Medieval Technical Literature ⫺ Some Suggestions for Further Works. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 3. 1971, 13⫺15. Crossgrove 1993 ⫽ William C. Crossgrove: Die deutsche Sachliteratur des Mittelalters. Bern. Frankfurt/M. 1993 (Langs Germanistische Lehrbuchsammlung 63). Daems 1967 ⫽ Willem Frans Daems (Hrsg.): „Boec van medicinen in Dietsche“ ⫺ Een Middelnederlandse compilatie van medisch-farmaceutische literatuur. Leiden 1967 (Janus, suppl. 7). Daems 1993 ⫽ Willem Frans Daems: Nomina simplicium herbarum ex synonymariis medii aevi collecta: Semantische Untersuchungen zum Fachwortschatz hoch- und spätmittelalterlicher Drogenkunde. New York 1993 (Studies in Ancient Medicine 6). Domes/Gerabek/Haage/Weißer/Zimmermann 1994 ⫽ Josef Domes/Werner E. Gerabek/Bernhard D. Haage/Christoph Weißer/Volker Zimmermann (Hrsg.): „Licht der Natur“ ⫺ Medizin in Fachliteratur und Dichtung. Festschrift für Gundolf Keil. Göppingen 1994 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 585). Eis 1944a ⫽ Gerhard Eis: Neue Wege der landeskundlichen Schrifttumsgeschichte. In: Deutsche Volksforschung Böhmen Mähren 3. 1944, 165⫺ 177. Eis 1944b ⫽ Gerhard Eis: Gottfrieds Pelzbuch. Studien zur Reichweite und Dauer der Wirkung des mittelhochdeutschen Fachschrifttums. Brünn. München. Wien 1944 (Südostdeutsche Arbeiten 38) [Neudruck Hildesheim 1966]. Eis 1948 ⫽ Gerhard Eis: Die mittelhochdeutsche Fachprosa als Gegenstand der germanistischen Forschung. In: Forschungen und Fortschritte 24. 1948, 82⫺84. Eis 1950 ⫽ Gerhard Eis: Die sieben Eigenkünste und ihre altdeutschen Literaturdenkmäler. In: Forschungen und Fortschritte 26. 1950, 269⫺271. Eis 1951 ⫽ Gerhard Eis: Studien zur altdeutschen Fachprosa. Heidelberg 1951 (Germanische Bibliothek 3. Reihe, 11⫺29). Eis 1954 ⫽ Gerhard Eis: Handschriftenstudien zur medizinischen Literatur des Spätmittelalters. In: Sudhoffs Archiv 38. 1954, 233⫺266. Eis 1960 ⫽ Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachprosa der Artes. In: Deutsche Philologie im Aufriß II. Hrsg. v. Wolfgang Stammler. 2. Aufl. Berlin 1960 [Neudruck Berlin 1966]. Sp. 1103⫺1216. Eis 1962 ⫽ Gerhard Eis: Vom Werden altdeutscher Dichtung. Literarhistorische Proportionen. Berlin 1962.

352

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Eis 1967 ⫽ Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. 1. Aufl. 1962, 2. Aufl. Stuttgart 1967 (Sammlung Metzler, Realienbücher für Germanisten, Abt. D: Literaturgeschichte M 14). Eis 1974a ⫽ Gerhard Eis: Forschungen zur Fachprosa. Ausgewählte Beiträge. Bern. München 1974. Eis 1974b ⫽ Gerhard Eis: Altgermanistische Beiträge zur geistlichen Gebrauchsliteratur. Aufsätze ⫺ Fragmentfunde ⫺ Miszellen. Bern. Frankfurt/ M. 1974. Eis 1979 ⫽ Gerhard Eis: Kleine Schriften zur altdeutschen weltlichen Dichtung. Amsterdam 1979 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 38). Eis 1982 ⫽ Gerhard Eis: medizinische Fachprosa des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Amsterdam 1982 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 48). Gerritsen/van Gijsen/Lie 1991 ⫽ Willem Piet Gerritsen/Annelies van Gijsen/Orlanda S. H. Lie (uitgev.): „een school spierinkjies“ ⫺ Kleine opstellen over Middelnederlandse artes-literatuur. Hilversum 1991 (Middeleeuwse studies en bronnen 26). Gottschall/Steer 1994 ⫽ Dagmar Gottschall/Georg Steer (Hrsg.): Der deutsche Lucidarius. Kritischer Text nach den Handschriften. Tübingen 1994 (Texte und Textgeschichte 35). Grimm 41922 ⫽ Jakob Grimm: Deutsche Rechtsaltertümer. Bearb. von Andreas Heusler/Rudolf Hübner. 4. Aufl. Göttingen 1922. Grubmüller 1967 ⫽ Klaus Grubmüller: Vocabularius Ex quo. Untersuchungen zu lateinisch-deutschen Vokabularen des Spätmittelalters. München 1967 (MTU 17). Haage 1992 ⫽ Bernhard D. Haage: Studien zur Heilkunde im Parzival Wolframs von Eschenbach. Göppingen 1992 (GAG 565). Hamm/Ulmschneider 1991 ⫽ Marlies Hamm/Helgard Ulmschneider: Die Rechtssumme Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der Summa Confessorum des Johannes von Freiburg. Quellenkommentar. 2 Bde. Tübingen 1991 (Texte und Textgeschichte 16⫺17). Haupt 1872 ⫽ Joseph Haupt: Ueber das mitteldeutsche Arzneibuch des Meisters Bartholomaeus. In: Wiener Sitzungsberichte, Phil.-hist. Klasse 71. 1872, 451⫺565. Hayer 1992 ⫽ Gerold Hayer: Zu Kontextüberlieferung und Gebrauchsfunktion von Konrads von Megenberg Buch der Natur. In: Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100⫺1500. Regensburger Colloquium 1988. Hrsg. v. Nikolaus Henkel und Nigel F. Palmer. Tübingen 1992, 62⫺ 73. Hellmann 1904 ⫽ Gustav Hellmann: Denkmäler mittelalterlicher Meteorologie. Berlin 1904 (Neudrucke von Schriften und Karten über Meteorologie und Erdmagnetismus 15).

Henkel 1988 ⫽ Nikolaus Henkel: Deutsche Übersetzung lateinischer Schultexte. Ihre Verbreitung und Funktion im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Mit einem Verzeichnis der Texte. München 1988 (MTU 90). Herbrand-Hochmuth 1934 ⫽ Grethe HerbrandHochmuth: Systematisches Verzeichnis der Arbeiten Karl Sudhoffs. In: Sudhoffs Archiv 27. 1934, 131⫺186. Herbrandt-Hochmuth/Zaunick 1938 ⫽ Grethe Herbrandt-Hochmut/Rudolph Zaunick: Bibliographie Karl Sudhoff. Nachtrag für die Jahre 1933⫺1938. In: Sudhoffs Archiv 31. 1938, 343⫺344. Jähns 1889 ⫽ Max Jähns: Geschichte der Kriegswissenschaften. Vornehmlich in Deutschland I. München. Leipzig 1889 [Neudruck Hildesheim 1997]. Jansen-Sieben 1974 ⫽ Ria Jansen-Sieben: Middelnederlandse vakliteratuur. In: Fachprosaforschung. Acht Vorträge zur mittelalterlichen Artesliteratur. Hrsg. v. Gundolf Keil und Peter Assion. Berlin 1974, 24⫺69. Jansen-Sieben 1989a ⫽ Ria Jansen-Sieben: Repertorium van de Middelnederlandse artesliteratuur. Utrecht 1989. Jansen-Sieben 1989b ⫽ Ria Jansen-Sieben (uitgeg.): Artes mechanicae in middeleeuws Europa. Handelingen van het colloquium van 15. oktober 1987. Brüssel 1989 (Archief- en bibliotheekwezen van Belgie¨, extranummer 34). Jansen-Sieben/Daelemans 1993a ⫽ Ria Jansen-Sieben/Frank Daelemans (Hrsg): Voeding en geneeskunde. Brüssel 1993 (Archief- en bibliotheekswezen in Belgie¨, extranummer 41). Jansen-Sieben 1993b ⫽ Ria Jansen-Sieben: Perspektiven der mittelniederländischen Artesliteratur. In: „ein teutsch puech machen“ ⫺ Untersuchungen zur landessprachlichen Vermittlung medizinischen Wissens. Ortolf-Studien I. Hrsg. von Gundolf Keil, zusammen mit Johannes G. Mayer und Christian Naser. Wiesbaden 1993 (Wissensliteratur im Mittelalter 11), 538⫺558. Keil 1961 ⫽ Gundolf Keil: Die Cirurgia Peters von Ulm. Untersuchungen zu einem Denkmal altdeutscher Fachprosa mit kritischer Ausgabe des Textes. Ulm 1961 (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 2). Keil 1968 ⫽ Gundolf Keil: Die deutsche medizinische Literatur im Mittelalter. In: Verhandlungen des XX. Internationalen Kongresses für Geschichte der Medizin. Hrsg. v. Heinz Goerke und Heinz Müller-Dietz. Hildesheim 1968, 647⫺654. Keil 1970 ⫽ Gundolf Keil: Literaturbegriff und Fachprosaforschung. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 2. 1970, 95⫺102 [gekürzt]. ⫺ Auch in: Fachprosaforschung. Acht Vorträge zur mittelalterlichen Artesliteratur. Hrsg. v. Gundolf Keil und Peter Assion. Berlin 1974, 183⫺196. Keil 1981 ⫽ Gundolf Keil: Sudhoffs Sicht vom deutschen medizinischen Mittelalter. In: Nachrich-

32. Germanistische Forschungen zur mittelalterlichen Fachprosa tenblatt der deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik 31. 1981, 94⫺129. Keil 1989 ⫽ Gundolf Keil: Die medizinische Literatur des Mittelalters. In: Artes mechanicae in middeleeuws Europa. Handelingen van het colloquium van 15. Oktober 1987. Uitgeg. door Ria JansenSieben. Brüssel 1989 (Archief- en bibliotheekwezen van Belgie¨, extranummer 34), 73⫺111. Keil 1993 ⫽ Gundolf Keil: Vorwort zu: Gundolf Keil (Hrsg.) zusammen mit Johannes G. Mayer/ Christian Naser: „ein teutsch puech machen“ ⫺ Untersuchungen zur landessprachlichen Vermittlung medizinischen Wissens. Ortolf-Studien I. Wiesbaden 1993 (Wissensliteratur im Mittelalter 11), vii⫺xxi. Keil/Assion 1974 ⫽ Gundolf Keil/Peter Assion (Hrsg.): Fachprosaforschung. Acht Vorträge zur mittelalterlichen Artesliteratur. Berlin 1974. Keil/Assion/Daems/Roehl 1982 ⫽ Gundolf Keil (Hrsg.) im Zusammenwirken mit Peter Assion/Willem Frans Daems/Heinz-Ulrich Roehl: FachprosaStudien. Beiträge zur mittelalterlichen Wissenschafts- und Geistesgeschichte. Berlin 1982. Keil/Mayer/Naser 1993 ⫽ Gundolf Keil (Hrsg.) zusammen mit Johannes G. Mayer/Christian Naser: „ein teutsch puech machen“ ⫺ Untersuchungen zur landessprachlichen Vermittlung medizinischen Wissens. Ortolf-Studien I. Wiesbaden 1993 (Wissensliteratur im Mittelalter 11). Keil/Mayer/Naser 1995 ⫽ Gundolf Keil (Hrsg.) zusammen mit Johannes G. Mayer/Christian Naser: Würzburger Fachprosa-Studien: Beiträge zur mittelalterlichen Medizin-, Pharmazie- und Standesgeschichte aus dem Würzburger medizinhistorischen Institut. Festschrift für Michael Holler. Würzburg 1995 (Würzburger medizinhistorische Forschungen 38). Keil/Menzel 1995 ⫽ Gundolf Keil/Josef Joachim Menzel (Hrsg.): Anfänge und Entwicklung der deutschen Sprache im mittelalterlichen Schlesien. Verhandlungen des VIII. Symposiums [des Gerhard-Möbus-Instituts]. Sigmaringen 1995 (Schlesische Forschungen 6). Keil/Rudolf/Schmitt/Vermeer 1968 ⫽ Gundolf Keil/ Rainer Rudolf/Wolfram Schmitt/Hans Josef Vermeer (Hrsg.): Fachliteratur des deutschen Mittelalters. Festschrift für Gerhard Eis. Stuttgart 1968. Keil/Ruh/Schröder/Wachinger/Worstbrock [1977⫺]1978 ff ⫽ Gundolf Keil/Kurt Ruh [federführend bis Bd. VIII, 1992]/Werner Schröder/Burghart Wachinger [federführend ab Bd. IX, 1995]/ Franz Josef Worstbrock (Hrsg.): Verfasserlexikon: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Bd. I ff. 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin. New York [1977⫺]1978 ff. Kuhn 1980 ⫽ Hugo Kuhn: Entwürfe zu einer Literatursystematik des Spätmittelalters. Tübingen 1980.

353

Lasch/Borchling 1928 ff ⫽ Agathe Lasch/Conrad Borchling: Mittelniederdeutsches Handwörterbuch. Fortgeführt von Gerhard Cordes und Annemarie Hübner. Neumünster 1928 ff. Lindgren 1967 Agi Lindgren (Hrsg.): Ein Stockholmer mittelniederdeutsches Arzneibuch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Stockholm 1967 (Acta Universitatis Stockholmiensis ⫺ Stockholmer germanistische Forschungen 5). Lindgren 1977 ⫽ Agi Lindgren (Hrsg.): Das Utrechter Arzneibuch. Stockholm 1977 (Acta Universitatits Stockholmiensis ⫺ Stockholmer germanistische Forschungen 15). Lindner 1954⫺1973 ⫽ Kurt Lindner (Hrsg.): Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd I⫺XII. Berlin 1954 [21966]⫺1973. Mayer 1993 ⫽ Johannes G. Mayer: Beobachtungen zur volkssprachlichen Rezeption des medizinisch-naturwissenschaftlichen Weltbildes im Mittelalter von Ortolf von Baierland bis Paracelsus. In: Geistliche Aspekte mittelalterlicher Naturlehre. Hrsg. v. Benedikt Konrad Vollmann. Wiesbaden 1993 (Wissensliteratur im Mittelalter 15), 99⫺111. Mayer 1995 ⫽ Johannes G. Mayer: Konrad von Megenberg und Paracelsus. Beobachtungen zu einem Wandel in der volkssprachlichen naturwissenschaftlichen Literatur des späten Mittelalters. In: Gundolf Keil (Hrsg.) zusammen mit Johannes G. Mayer/Christian Naser: Würzburger FachprosaStudien: Beiträge zur mittelalterlichen Medizin-, Pharmazie- und Standesgeschichte aus dem Würzburger medizinhistorischen Institut. Festschrift für Michael Holler. Würzburg 1995 (Würzburger medizinhistorische Forschungen 38), 322⫺336. Mayer 1996 ⫽ Johannes G. Mayer: Taulerpredigten als Fachprosa? Bemerkungen zur Fachprosaforschung. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 14. 1996, 73⫺79. Mellbourn 1988 ⫽ Gert Mellbourn (Hrsg.): Eine zweite Fassung des Benediktbeurer Rezeptars. Stockholm 1988 (Universität Stockholm: Schriften des Deutschen Instituts 19). Meyer(-Staubach) 1984 ⫽ Christel Meyer(-Staubach): Grundzüge der mittelalterlichen Enzyklopädik. Zu Inhalten, Formen und Funktionen einer problematischen Gattung. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposium Wolfenbüttel 1981. Hrsg. v. Ludger Grenzmann und Karl Stackmann. Stuttgart 1984, 467⫺500. Nischik 1991 ⫽ Traude-Marie Nischik: Zur definitorischen Bestimmung der ,Fachliteratur‘. In: „een school spierinkjies“ ⫺ Kleine opstellen over Middelnederlandse artesliteratuur. Uitgeg. door Willem Piet Gerritsen, Annelies van Gijsen und Orlanda S. H. Lie. Hilversum 1991 (Middeleeuwse studies en bronnen 26), 127⫺130. Palmer 1992 ⫽ Nigel F. Palmer: Von den naturlichen troymen. Zur Integration griechisch-arabischer Medizin in die mittelalterliche Enzyklopädik

354

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

und deren Umdeutung bei Konrad von Megenberg und Heinrich von Mügeln. In: Festschrift für Walter Haug und Burghart Wachinger II. Hrsg. v. Johannes Janota u. a. Tübingen 1992, 759⫺792. Pfeiffer 1861 ⫽ Franz Pfeiffer (Hrsg.): Konrad von Megenberg Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Stuttgart 1861 (Neudrucke Hildesheim. New York 1962 und 1971). Pfeiffer 1863 ⫽ Franz Pfeiffer: Zwei deutsche Arzneibücher aus dem 12. und 13. Jahrhundert. In: Wiener Sitzungsberichte, Phil.-histor. Klasse 42. 1863, 110⫺200. Pörksen 1983 ⫽ Uwe Pörksen: Der Übergang vom Gelehrtenlatein zur deutschen Wissenschaftssprache. In: Schlieben-Lange/Kreuzer 1983, 227⫺ 258. Riha 1992a ⫽ Ortun Riha: Das systematologische Defizit der Artesforschung. Überlegungen zur mittelalterlichen deutschen Fachliteratur. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 229, 114. Jahrg. 1992, 255⫺276. Riha 1992b ⫽ Ortrun Riha: Ortolf von Baierland und seine lateinischen Quellen. Hochschulmedizin in der Volkssprache. Wiesbaden 1992 (Wissensliteratur im Mittelalter 10). Ruh 1985 ⫽ Kurt Ruh: Überlieferungsgeschichte mittelalterlicher Texte als methodischer Ansatz zu einer erweiterten Konzeption von Literaturgeschichte. In: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung. Beiträge der Würzburger Forschergruppe zur Methode und Auswertung. Hrsg. v. Kurt Ruh zusammen mit Hans-Jürgen Stahl. Tübingen 1985 (Texte und Textgeschichte. Würzburger Forschungen 19), 262⫺272. Schleißner 1955 ⫽ Margaret Schleißner (Ed.): Manuscript sources of medieval medicine. A book of essays. New York. London 1955 (Garland Medieval Casebooks 9). Schlieben-Lange/Kreuzer 1983 ⫽ Brigitte Schlieben-Lange/Helmut Kreuzer (Hrsg.): Fachsprache und Fachliteratur. Göttingen 1983 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. 51/52. 1983). Stammler 1931⫺1955 ⫽ Wolfgang Stammler (Hrsg., fortgeführt von Karl Langosch): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 5 Bände. Berlin [1931⫺]1933⫺1955. Stannard 1969 ⫽ Jerry Stannard: The Herbal as a Medical Document. In: Bulletin of the History of Medicine 43. 1969, 212⫺220.

Stannard 1983 ⫽ Jerry Stannard: Medieval Gardens and their Plants. In: Gardens of the Middle Ages. Ed. by Marilyn Stokstad and Jerry Stannard. Lawrence (Kans.) 1983, 37⫺69. Stannard 1986 ⫽ Jerry Stannard: Alimentary and Medicinal uses of Plants. In: Medieval Gardens. Ed. by Elisabeth B. MacDougall. Washington 1986, 69⫺92. Steer u. a. 1987 ⫽ Georg Steer u. a. (Hrsg.): Die Rechtssumme Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der Summa Confessorum des Johannes von Freiburg. Synoptische Edition der Fassungen B, A und C. 4 Bde. Tübingen 1987 (Texte und Textgeschichte 11⫺14). Weck 1982 ⫽ Helmut Weck: Die Rechtssumme Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der Summa Confessorum des Johannes von Freiburg. Die handschriftliche Überlieferung. Tübingen 1982 (Texte und Textgeschichte 6). Weißer 1994 ⫽ Christoph Weißer: Verzeichnis der Veröffentlichungen von Gundolf Keil. In: „Licht der Natur“ ⫺ Medizin in Fachliteratur und Dichtung. Festschrift für Gundolf Keil. Hrsg. v. Josef Domes, Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Christoph Weißer und Volker Zimmermann. Göppingen 1994 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 585), 525⫺569. Wiswe 1970 ⫽ Hans Wiswe: Kulturgeschichte der Kochkunst. München 1970. Wolf 1987 ⫽ Norbert Richard Wolf (Hrsg.): Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter. Perspektiven ihrer Erforschung. Wiesbaden 1987 (Wissensliteratur im Mittelalter 1). Würzburger Forschergruppe 1973 ⫽ Würzburger Forschergruppe für Prosaforschung: Programm der Forschergruppe. In: Jahrbuch für internationale Germanistik 5. 1973, 156⫺176. Zinner 1925 ⫽ Ernst Zinner: Verzeichnis der astronomischen Handschriften des deutschen Kulturkreises. München 1925. Zinner 1941 ⫽ Ernst Zinner: Geschichte und Bibliographie der astronomischen Literatur in Deutschland zur Zeit der Renaissance. Leipzig 1941.

Gundolf Keil / Johannes G. Mayer, Würzburg

33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen

355

33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen in der Fachsprachenforschung 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Defizite vor dem Hintergrund erarbeiteter Fakten ⫺ Desiderate in der Dynamik von Forschungsprozessen Das Ende des 20. Jahrhunderts aus disziplingeschichtlicher Retrospektive Forschungsstand mit Lücken ⫺ Disziplinsystematische Herausforderungen und forschungsstrategische Erwartungen Methodologische Positionen ⫺ Perspektiven für die Zukunft Literatur (in Auswahl)

Defizite vor dem Hintergrund erarbeiteter Fakten ⫺ Desiderate in der Dynamik von Forschungsprozessen

(1) Forschungsarbeit und wissenschaftliche Erkenntnis-Suche sind nach modernem Verständnis (s. Weinrich 1986) ⫺ aber durchaus auch aus antiker Vorstellung, wie speziell der Topos „Der Besitz von Wissen verpflichtet zur Mitteilung“ beweist (vgl. Curtius 1993, 97 f) ⫺ prinzipiell keine privaten Angelegenheiten, sondern eindeutig außenwirksame Abläufe. Dies gilt übrigens auch für die Kunst, wie spätestens die Ästheten der Aufklärungszeit gefordert haben; sehr illustrativ zum zeitgenössisch kontroversen Themenkreis um Veröffentlichungszwang, soziale Auseinandersetzung und Notwendigkeit öffentlicher Diskussion ist der erste Brief An meinen Freund Grimm aus dem „Salon von 1769“ von Denis Diderot (1984, 250⫺252).

Als solche sind die Forschungen in offenen, demokratischen Gesellschaften auch einer öffentlichen Inspektion unterworfen und unterliegen folglich einer fachlichen wie auch außerfachlichen Diskussion. Vier kanonische Ansprüche haben hierzu handlungsleitende Funktion für das wissenschaftliche Verfahren: die „Referenzwahrheit, Protokollwahrheit, Dialogwahrheit und Orientierungswahrheit“ (Weinrich 1994, 165). Sie stellen sich, um den unabdingbaren Dialog für ein vernetztes Wissen lebendig zu halten, dem „Veröffentlichungsgebot auf der einen Seite“ und sind eingebunden in das „Rezeptions- und Kritikgebot auf der anderen Seite“ (Weinrich 1986, 183). (2) Nicht ohne Berechtigung werden Kollektiv-Begriffe der wissenschaftlich-fachli-

chen Identitätsbildung ⫺ wie ,Gelehrtenrepublik‘, ,Wissenschaftslobby‘, ,Forschungsgemeinschaft‘, ,Scientific Community‘, ,Discourse Community‘ ⫺ im Sinne einer (a) Interessen-, (b) Interaktions- und (c) Kommunikationsgemeinschaft verstanden, in der (i) die sachbezogene Fachlichkeit und (ii) die fachorientierte Kommunikation, dabei speziell (ii.1) die theoriegeleitete Reflexion und (ii.2) die praxisbestimmte Bewährung, die Richtlinien abgeben. Diese werden zusammengehalten von einem methodologischen Ethos für ,Wissenschaft‘, das seit Aristoteles, also seit dem 4. Jh. v. Chr., ⫺ insbesondere seinem Anspruch der Suche nach der ,Wahrheit‘ (griech. alh¬qeia ale´theia) ⫺ die Wissenschaftstheorie bestimmt: nämlich die Verifikation und Falsifikation als Prüfungsoperationen, und zwar von Methoden wie auch von Forschungsergebnissen. Diese Prüfungsanliegen setzen voraus, daß grundsätzlich zwei methodische Positionen vorhanden sind und miteinander konkurrieren: (a) die Kenntnis des aktuell geltenden Forschungsstandes (,State of the art‘), wie sie sich gegebenenfalls in einer Überblicks- oder einer Orientierungsdarstellung offenbart; und (b) das propulsive Bewußtsein, daß dies nicht das zufriedenstellende Ende der forschenden Tätigkeit sein kann, also das kreative Bewußtsein um Desiderate. Beides ⫺ (a) und (b) ⫺ ist sehr plastisch z. B. in dem Artikel Schmitt (1990, 301 f) verwirklicht. Wissenschaftstheoretiker mit besonderer Ausstrahlung ihrer Modell-Vorstellungen zu diesen Zusammenhängen sind in den sechziger Jahren und später u. a. Karl R. Popper, Thomas S. Kuhn und Imre Lakatos (s. u. Abschn. 3., Punkt (4)).

(3) Die Desiderate, also die formulierten Ansprüche an noch zu leistende Forschungsaufgaben sowie an Forschungsziele für die Zukunft, leitet man ihrerseits ab (i) aus erkannten Trends oder (ii) aus von der Vergangenheit berechtigt hergeleiteten Prognosen für die Zukunft. Entsprechend häufen sich dafür die sprachlichen Indikatoren: (i) Rhetorische Gegenüberstellungen (in früheren Arbeiten ⫺ heute; Anfang des 20. Jh. ⫺ inzwischen; ehemals eingeschränkte Interessenfelder ⫺ nunmehr erweiterte Zuständigkeiten; etc.); ⫺ (ii) neben rückschauenden Besprech- (Perfekt) und Erzähl-Tempora (Imperfekt) auch textsortenspezi-

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

fische (z. B. in der Wirtschaft!), ansonsten in den Fach- und Wissenschaftssprachen seltenere Vorausschau-Tempora (Futur, Konditional) mit ihrem Signalwert der Prognose und Hypothese; ⫺ (iii) Temporaladverbiale (heute, für die kommende Zeit, usw.); ⫺ (iv) Modalitätspartikeln (gibt es noch nicht einmal …); ⫺ (v) Defizite anzeigende Verben (es fehlen, ist dringend erwünscht, benötigen wir in nächster Zukunft, ist großer Bedarf anzumelden, wir brauchen, es bleiben immer noch viele Fragen offen / Probleme ungelöst, usw.) (dies oft mit unterschwelliger oder ausdrücklicher Kritik: weder wurde … gesehen, noch … untersucht; bisher wurde eher … erforscht; noch keine Untersuchung zu … wurde bis heute vorgelegt; usw.); ⫺ (vi) kritisch tönende Adjektive mit Aufforderungspotential (unbefriedigende [Situation], kaum mehr tolerierbarer [Zustand]); ⫺ u. a.

Die erwähnten Ableitungen wiederum sind ihrerseits in sinnvoll nachvollziehbarer Weise natürlich nur möglich, wenn der vorhandene Wissensbestand bekannt ist und, z. B. im Sinne einer „Kontrastfolie“, in die Überlegungen einbezogen wird (s. o. (2) Punkt (a)). Es ist also letztlich der Kontrast zwischen ,Gegenwart (als [Forschungs-] Ergebnis aus der Vergangenheit)‘ und ,Wünschen für die Zukunft‘ ⫺ die sich aber aus den erkannten Möglichkeiten und Anlagen ebendieser gegenwärtigen Situation ergeben! ⫺, aus denen sich die Desiderate motivieren. Letztlich enthalten sie kreatives Potential, also genau das, was zu ,Fortschritt‘ und ,Wissenschaftsentwicklung‘ unabdingbar gehört. Dafür hat die Wissenschaft ein eindrucksvolles Bild überliefert bekommen: die Gegenwart sitzt immer ⫺ als Zwerg ⫺ auf den Schultern von Riesen (also der langen Wissensakkumulation und -tradition) … und kann deshalb, aber auch nur genau deshalb, weitersehen als die Riesen (nani gigantium humeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora videre; nach Bernard von Chartres [† 1126], überliefert von seinem Schüler John of Salisbury) (vgl. Kalverkämper 1983a; Merton 1965). In dem Aphorismus ist die Erkenntnis beschlossen, wie Wissen und Wissenschaft weiterschreiten und die Weitergabe ⫺ der ,Fort-Schritt‘ (lat. progressus!) ⫺ der Forschungsergebnisse von den Früheren über die Zeitgenossen zu den Späteren als Zugewinn abläuft (die translatio studii / artium / sapientiae von den Antiqui zu den Moderni, wie es in der spätlateinischen Zeit hieß [vgl. Curtius 1993, 256⫺261], bzw. von den Anciens zu den Modernes, wie es die Zeitgenossen des 17. Jh. und frühen 18. Jh. in engagierten Diskussionen austrugen [vgl. z. B. Perrault 1964]).

(4) Wissenschaften gehen folglich per definitionem nicht von ,abgeschlossenem Wissen‘, ,kanonisierbarem Erkenntnisstand‘ oder ,fer-

tiger Forschung‘ aus; so wie die ,Unschärferelation‘ Werner Heisenbergs eine neue Qualität in die Sichtweise der sogen. exakten Wissenschaften (wie die Physik) bereichernd gebracht hat und die Geisteswissenschaften mit dem neu legitimierten Begriff der ,Vagheit‘ durchaus einen methodologischen Zugewinn, eben nicht eine Einbuße an Stringenz, erlangt haben (vgl. Kalverkämper 1983b, 136⫺139; vgl. auch Art. 35), ist auch ein anderer Begriff der aktuellen Nichtfaßlichkeit ⫺ doch der durchaus prognostizierbaren Faßbarkeit ⫺ den Wissenschaften eigen: nämlich der der ,Lücke‘. Er impliziert nicht einfach ,Fehlen‘ oder gar abwertend ,Manko‘, sondern neutral ,noch nicht Bekanntes in einem Umfeld von Bekanntem‘. Die ,Lücke‘ in diesem wissenschaftlichen Verständnis ist also stets relational, eben mit Blick auf die bereits vorhandenen Resultate zu sehen und signalisiert selbstverständlich einen Anspruch auf Füllung. ,Desiderate‘ als agitativ ⫺ d. h. als ,zu schließende‘ ⫺ formulierte Lücken der wissenschaftlichen Erkenntnisse verstehen sich also wissenschaftschronologisch umgreifend: nämlich als aus dem Geleisteten (Vergangenheit) abgeleitete Gewichtung der Gegenwart mit kritischem Blick auf die nähere und fernere Zukunft. (5) Gerade aus dieser Komplexität leitet sich ein wissenschafts- oder bildungspolitischer Anspruch ab, indem nämlich damit eine steuernde Funktion gegeben, eine Art Forschungsvorgabe formuliert ist, die Einfluß nimmt oder nehmen kann auf die tendenziellen Entwicklungen der Disziplin oder des Faches. Das Aufzeigen von Lücken ist folglich wichtig und gerade wegen dieser Konsequenzen auch verantwortungsbewußt zu betreiben (weshalb ja die kenntnisreiche Einbindung in den gegebenen Forschungsstand ⫺ s. o. (2) Punkt (a) ⫺ unabdingbare Voraussetzung dafür ist, daß Desiderate Gehör finden und von Interessierten eingelöst werden). Da in ihnen ein Teil des Verständnisses von ,Fortschritt‘ beschlossen ist, gehören sie als integrierter Bestandteil zur Wissenschaftstheorie sowie zur Wissenschaftspraxis und somit natürlich auch zum Selbstverständnis der Disziplinen und Fächer. Lücken, wie sie in Desideraten zum Ausdruck kommen, stellen folglich keinen Makel dar, sondern dienen als Ausweis von Pluralismus und Liberalität im Forschungsablauf und von „natürlicher“ ⫺ wenngleich über berechtigte Wunschvorstellungen (etymologisch „Desiderata“!) gesteu-

33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen

erter ⫺ Entwicklung einer ⫺ wie der Topos lautet ⫺ Wissenschaft „auf dem Weg“. (6) Die vorstehenden Ausführungen legen es geradezu nahe, (a) den Forschungsstand der Fachsprachenforschung ganzheitlich kurz zu umreißen (s. u. Abschn. 2.), um dann (b) mit kritischem Blick auf die gegenwärtigen Forschungsaktivitäten daraus die vorhandenen Lücken zu erkennen und Forschungsdesiderate zu formulieren (s. u. 3.), was dann (c) ⫺ motiviert aus der Einschätzung der allgemeinen linguistischen und geistes-, sozialund kulturwissenschaftlichen Gesamtlage ⫺ mögliche, sogar gewünschte Entwicklungslinien („Trends“) zu prognostizieren verhilft (s. u. 4.).

2.

Das Ende des 20. Jahrhunderts aus disziplingeschichtlicher Retrospektive

Die Zeiten, in denen für den geltenden Wissensstand „Erfinder“ oder die „Ursprünge“ geradezu toposartig gesucht wurden ⫺ „eine Fragestellung, die den Griechen [scil. der Antike] sehr am Herzen lag und als ein Wesensmerkmal ihres Denkens bezeichnet werden darf“ (Curtius 1993, 531) ⫺, haben nichts von der ihnen innewohnenden Attraktivität eingebüßt und werden auch heutzutage wieder aktuell, wenn man Bilanz ziehen will. Allerdings ist die Geschichte der Fachsprachenforschung weniger an einzelne Namen gebunden (hier wären z. B. Eduard Benesˇ, Lubomir Drozd, Max Gorosch, Eugen Wüster u. a., also vorzugsweise europäische Wissenschaftler für die Grundlegungen hervorzuheben); vielmehr läßt sie sich mit lokalen Forschungszentren identifizieren (Handelshochschulen bzw. Wirtschaftsuniversitäten, so in Wien, in Prag und Budapest, in Kopen˚ rhus; oder Fachsprachenzentren hagen und A wie in Leipzig; dies gepaart mit ÜbersetzerAusbildung wie in Mainz-Germersheim, Heidelberg, Hildesheim, Saarbrücken, Leipzig, Berlin [Humboldt-Universität] u. a.) und läßt sich außerdem an repräsentative inhaltliche Forschungsschwerpunkte disziplingeschichtlich binden. Und diese rechtfertigten sich aus spezifischen Interessen- und Bedarfslagen innerhalb übergeordneter linguistischer Rahmenvorgaben und sozialer Forschungsansprüche: (1) Die Entstehung und die frühe Entwicklung der Fachsprachenforschung waren überwiegend von PRAKTISCHEN BEDÜRF-

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NISSEN bestimmt. Im Vordergrund standen die Sichtung und Sammlung insbesondere lexikalischen Materials unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten und für ganz unterschiedliche Verwendungszwecke: Sprachwissenschaftler suchten in den Fachsprachen zunächst Beispiele für Sonderwortschätze und spezifische stilistische Mittel; Sprachdidaktiker erhofften sich attraktiven und lebenspraktischen Stoff für den muttersprachlichen wie auch den Fremdsprachen-Unterricht; Lexikographen verfaßten als Antwort auf den steigenden Bedarf Fachwörterbücher und andere Nachschlagewerke für Ausbildung und Übersetzung; die Fachleute ihrerseits, die in der Praxis des fachlichen, sachbezogenen Handelns und Kommunizierens standen, schufen sich Benennungen für die Begriffe und Gegenstände ihrer Arbeit und entwickelten Grundsätze für deren Gültigkeit (Terminologien). All diese Tätigkeiten vollzogen sich weitgehend unabhängig voneinander, in subjektiver Willkür oder je nach den Denkgewohnheiten der Interessenten. In allen Bereichen dominierte die EMPIRIE. (2) Ein gewisses PROBLEMBEWUSSTSEIN erwachte, als es notwendig wurde, die wachsende Fülle des Materials zu ordnen bzw. zu systematisieren. Wer mit Fachsprachen zu tun hatte, griff erst einmal auf die in seinem Fach geläufigen Ordnungsschemata zurück: Für den Linguisten waren dies z. B. Modelle der stilistischen und sozialen Sprachendifferenzierung, die Sachgruppierungen, die Wortfelder usw.; die Didaktiker übertrugen die selektive Kategorie des thematischen, lexikalischen und grammatischen Minimums auf die Fachsprachen; die Lexikographen wendeten erprobte Prinzipien der allgemeinen Wörterbuchgestaltung sinngemäß auf Fachwörterbücher an; die überwiegend von Fachleuten begründete Terminologiearbeit orientierte sich an der technisch-wissenschaftlichen Begriffsklassifikation einerseits und an der Wortbildungslehre andererseits. Die Angleichung oder gar Synthese dieser divergierenden Betrachtungsweisen von Fachsprachen ließ auf sich warten. Ihre Notwendigkeit wurde erst deutlich durch die mangelnde Kompatibilität der einzelnen Komponenten in komplexeren Untersuchungen und durch Widersprüche in den Aussagen über das Wesen der Fachsprachen. (3) Zur späteren Herausbildung einer relativ eigenständig konturierten FACHSPRACHEN-LINGUISTIK, die im wesentlichen zur Mitte der siebziger Jahre einsetzte (und

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

dazu bereits orientierende Standardwerke bot: Fluck 1996 mit der 1. Aufl. 1976; Hoffmann 1985 mit der 1. Aufl. 1976), leisteten einige linguistische Disziplinen ihren besonderen Beitrag. Das waren in erster Linie die Sprachstatistik mit ihrer Stichprobenplanung und ihren Prüfverfahren (vgl. Art. 20); die kommunikativ-funktionale Sprachbetrachtung (Pötschke 1993) mit ihren Kommunikationsverfahren und funktional-semantischen Kategorien (vgl. Art. 21); die Semantik mit der Analyse der (unmittelbaren) Konstituenten von Fachtermini, die sich allmählich den kognitionspsychologischen Untersuchungen der innerbegrifflichen und zwischenbegrifflichen Relationen annäherte (vgl. Art. 42); die Lehre von der funktionalen Satzperspektive bzw. aktuellen Satzgliederung, mit der versucht wurde, Besonderheiten in der Satzgliedfolge der wissenschaftlichen Prosa zu erklären; sowie die Valenztheorie, deren Aufmerksamkeit sich auf syntaktische und semantische Abhängigkeitsbeziehungen im Satz richtete und die bis zu einem gewissen Grade mit der Kasustheorie verschmolz (vgl. Art. 21 und 41); die Textwissenschaft (Überblick bei Kalverkämper 1981a; 1981b), durch deren Einfluß die Fachsprachenforschung in den achtziger Jahren zur Fachtextlinguistik (Kalverkämper 1982; 1983b; Hoffmann 1985, Kap. 2.6.; Fluck 1996, 207⫺214) geworden ist (vgl. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (e) (2)(f); Art. 21 und Art. 40) und sich, mit Berücksichtigung pragmatischer Aspekte (wie Sprechakte, Kommunikationssituation, soziokultureller Kontext), zur Fachtextpragmatik oder ,Pragmatik der Fachtexte‘ weiterentwickelt hat (vgl. Kalverkämper 1983c; Schröder 1993a). Dieser Stand der aktuellen Fachsprachenforschung umgreift inzwischen eine Komplexität von den textinternen sprachlichen bis zu den textexternen pragmatischen Komponenten, was inzwischen das Forschungsinteresse von den Systemeigenschaften der Fachsprachen als Subsprachen, die in ihrer Mehrheit erkannt sind, zunehmend verlagert hat zu den Verwendungseigenschaften. Dies läßt immer mehr angeraten erscheinen, statt von ,Fachsprachen‘ als dem Medium und von ,Fachtexten‘ als den Manifestationen doch eher von ,Fachkommunikation‘ zu sprechen, wenn das Mittel fachlicher Interaktion wie auch der Forschungsgegenstand selbst gemeint sind. Man kann auch die Formel ,Fachsprachen in der Fachkommunikation‘ wählen. Dazu böte sich als eine mögliche Definition an:

„Fachkommunikation ist die von außen oder von innen motivierte bzw. stimulierte, auf fachliche Ereignisse oder Ereignisfolgen gerichtete Exteriorisierung und Interiorisierung von Kenntnissystemen und kognitiven Prozessen, die zur Veränderung der Kenntnissysteme beim einzelnen Fachmann und in ganzen Gemeinschaften von Fachleuten führen“ (Hoffmann 1993, 614).

(4) Die Fachsprachenforschung, nunmehr verstanden als ERFORSCHUNG DER FACHKOMMUNIKATION, hat somit in ihrer etwa fünfundzwanzigjährigen Entwicklung eine Art gestauchter Disziplingeschichte der bald zweihundertjährigen Philologie und deren sprachwissenschaftlicher Komponente ⫺ seit den sechziger Jahren: ,Linguistik‘ ⫺ durchlaufen: von den lexikalischen Einheiten ⫺ den Termini ⫺ und den morphologischen Elementen zum Satz und über die Satzgrenze hinaus zum Text und den Textsorten bis zu den komplexen soziokulturellen Manifestationen reicht nun die Spannbreite. Diese Schritte hin zu einer Komplexität des Beschreibungs-Instrumentariums und der Methodik, die der faktischen Komplexität des Untersuchungsbereichs ,Fachkommunikation‘ immer angemessener zu werden versucht, sind natürlich ihrerseits auch nur Entwicklungen, wie sie aus den jeweiligen kritischen Selbstreflexionen und Defiziterfahrungen abgeleitet wurden. Die Evolution in den Wissenschaften hin zu einem angemesseneren (bzw. als angemessener eingeschätzten) Erkenntnis- und Analysestand hängt immer auch zusammen mit einer Kette kontinuierlicher Auseinandersetzung mit dem jeweils geltenden Forschungsstand und den daraus abgeleiteten Forschungsdesideraten.

3.

Forschungsstand mit Lücken ⫺ Disziplinsystematische Herausforderungen und forschungsstrategische Erwartungen

(1) Von Zeit zu Zeit sind auf dem Weg der Disziplin-Entwicklung Bilanzen vorgelegt worden, die aus dem Rückblick heraus natürlich den Status von jeweiligen Zwischenbilanzen innehaben; dabei finden sich stets Hinweise auf die gesehenen Lücken, und die als wichtig empfundenen zukünftigen Aufgaben sind jeweils benannt (z. B. Hoffmann [11976] 1985; Fluck [11976] 1996; Möhn 1977; Beier 1978; Beling/Schewe/Spiegel/Wersig 1979; Kalverkämper 1980; 1983; 1987; Braunöhler

33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen

1987; Hoffmann 1988a, 2⫺34; 1989; Felber/ Budin 1989; Hoffmann 1991a; Kalverkämper 1996a; 1996b; Baumann/Kalverkämper 1996; Ickler 1996). Auch der hier vorliegende HSKBand kann als Summa der aktuellen Forschungslage ⫺ zum ausgehenden 20. Jh. ⫺ zwar eine ganze Reihe der früher geäußerten Wünsche an die Fachsprachenforschung einlösen und somit viele ehemals angemahnte Defizite verringern helfen, doch werfen die gesellschaftliche und mit ihr die wissenschaftliche Entwicklung ⫺ wie in anderen Fächern und Disziplinen ebenso ⫺ immer wieder neue Probleme auf oder lassen die alten Fragestellungen unter neuen Erkenntnissen in einem veränderten Licht erscheinen, ganz abgesehen davon, daß sich die Fächer selbst und ihre Fachsprachen natürlich weiterentwickeln und zu den vorhandenen neue hinzukommen wie auch, was die Geschichte des Handwerks und der Technik augenfällig belegt, vorhandene Tätigkeiten und deren fachliche Arbeitssprachen untergehen und zu Bausteinen der Kulturgeschichte fossilieren. Es ist deshalb durchaus gerechtfertigt, die erkannten Lücken als Herausforderungen zu interpretieren, die sich aus dem systematischen Selbstverständnis einer Disziplin oder eines Faches ergeben, indem deren Vertreter selbstverständlich danach streben, ihr Fach in seinen wissenschaftlichen Fragen und Antworten und deren Anwendung und Bewährung in der Praxis „flächendeckend“ zu komplettieren. (2) Die Fachsprachenforschung hat hierbei einen äußerst komplexen Bereich (vgl. Art. 1 bis 3) zu berücksichtigen: (1) die Fächer und deren Wissensbestände (sowie die Strategien, diese Bestände kreativ und forschungsinnovativ zu halten); (2) die Fachsprachen bzw. die Fachkommunikation und deren (spezifische) Mittel; (3) die Fachsprachen- bzw. Fachkommunikationsforschung und deren Instrumente und Methoden. Diese Trias ⫺ (1), (2), (3) ⫺ hat bislang einen starken Druck aus der gesellschaftlichen und fachkommunikativen Praxis heraus ausgeübt; deshalb sind unter diesen Vorzeichen speziell die angewandten Disziplinen von der Fachsprachenforschung bedient worden, und insbesondere dort hat sie sich auch bestens bewährt: Plakativ seien hier genannt (a) die Lexikographie, speziell die Fachlexikographie (vgl. Hoffmann 1970a; 1970b; 1973; 1976a; 1976b; 1978; 1980; 1988b; Hoffmann/Kaufmann 1976; Kalverkämper 1988; 1989a; Schaeder/ Bergenholtz 1994; Wiegand 1988; 1995); (b)

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die Terminologiearbeit (vgl. Felber/Budin 1989; s. auch Kap. XXIV); (c) die fachliche Übersetzung (s. Art. 81 u. 82); (d) der Wissenstransfer (vgl. Budin 1996; Danneberg/ Niederhauser 1997; Göpferich 1997; Kalverkämper 1989b; s. auch Art. 4); (e) die Fachmann-Laie- (oder sogen. fachexterne) Kommunikation (s. Art. 12, 93 u. 106a) und (f) die Didaktik/Methodik (vgl. Buhlmann/ Fearns 1987; Gnutzmann 1988; Fluck 1992; Jahr 1996; s. Kap. XIII). (3) Diesem breiten Spektrum der Praxis und Angewandtheit steht ein immer noch schmerzliches Defizit gegenüber: nämlich die fehlende Ausarbeitung einer FACHSPRACHENTHEORIE. Hierzu liegen bislang keine zusammenhängende, geschweige ausgereifte Konzepte vor. Analog zur ,Sprachtheorie‘, zu der die Sprachphilosophen (z. B. R. Carnap, L. Wittgenstein), Logiker (z. B. Aristoteles, E. Husserl), Sprachpsychologen (z. B. K. Bühler, Fr. Kainz), Wissenschaftstheoretiker (z. B. K. R. Popper, Th. S. Kuhn, I. Lakatos, W. Stegmüller), Handlungstheoretiker (z. B. K.-O. Apel, G. Grewendorf) oder Semiotiker (z. B. F. de Saussure, Ch. S. Peirce) aus ihren jeweiligen Blickwinkeln Vorschläge unterbreitet haben, müßte auch eine Fachsprachentheorie pluralistisch angelegt sein: linguistische, kommunikationswissenschaftliche und informationstheoretische, soziologische, psychologische, kognitionswissenschaftliche sowie arbeits-, fach- und disziplinsystematische Komponenten müssen hier vertreten sein und ein integratives Konzept repräsentieren. Und in der Tat verfügt die Fachsprachenforschung zur Zeit nicht über eigenständige Methoden oder gar über eigene Darstellungsmittel ⫺ beides konstitutive Bestandteile einer Sprachtheorie. Was bislang ihr Spezifikum ausmacht, ist ihr Untersuchungsbereich: zum einen die Fachsprachen, und über sie und mit ihnen dann natürlich auch ⫺ zum andern ⫺ die Fächer, Berufe, Disziplinen, Forschungszweige, Wissenschaften, fachlichen Handlungszusammenhänge (vgl. Art. 1). (4) Von dort fließen zwangsläufig zentrale Aspekte der verschiedenen Wissenschaften und Disziplinen in die Theorie der Fachsprachen ein und formen damit den Boden für Ansprüche an eine THEORIE DER FACHSPRACHENFORSCHUNG. (a) Für sie wäre zunächst die Dynamik als Prinzip des Analysierens, des Analyse-Instrumentariums und seines Analysewertes zu berücksichtigen:

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

Sie zeigt sich in der Entwicklung von (i) Rahmenvorgaben und von (ii) Programmen als deren inhaltliche Füllung mit Hintergrundwissen, mit Hypothesen und Argumentationshaushalten, mit beispielhaften Problemlösungen bzw. deren Strategien, mit Kanones bestimmter Fragestellungen, mit Leitideen als akzeptierter Richtschnur des Denkens und Handelns, kurzum: mit einer flexiblen Forschungstradition. Die mit der Forschungsentwicklung einhergehenden Anstöße für Veränderung(en) im geltenden Wissensstand können bestimmt sein ⫺ wie die Wissenschaftstheoretiker insbesondere der sechziger und siebziger Jahre herausgearbeitet haben ⫺ (i) durch Falsifikationen des Bestehenden und NichtBewährung des Erkannten (Karl R. Popper), (ii) durch wissenschaftssoziologische und -psychologische, also eher ,externe‘ Einwirkungen auf das „Paradigma“ und seine Tradition, mit seiner dann einsetzenden Krise und der wissenschaftlichen Revolution (Thomas S. Kuhn), oder (iii) durch eher ,interne‘ Faktoren wie ergebniskritisch regulierende Methodologien (Imre Lakatos). (b) Gerade methodologische Überlegungen wären hierbei zu verlangen; sie hätten die metawissenschaftlichen Rationalitätskriterien zu stellen, unter denen Fachsprachenforschung ablaufen sollte, wenn sie einem ganzheitlichen, konsistenten und vergleichfähigen Anspruch nach innen (innerhalb der fachsprachenanalytischen Resultate) wie nach außen (z. B. zwischen fachsprachen- und anderen [z. B. alltagssprachen-] analytischen Resultaten) genügen will. Hier hat die Methode des interlingualen und intralingualen Vergleichens bis hin zum interkulturellen Vergleichen (Baumann 1992b; Kalverkämper 1992a; Hoffmann 1992; 1995; Bolten u. a. 1996) zu einer methodologischen Sensibilisierung geführt, die sich als ,Kontrastive Fachsprachenforschung‘ auch disziplin-etikettierend ausgewirkt hat (Baumann/Kalverkämper 1992). Hier geht es allerdings nicht mehr (allein) um die Gegenüberstellung einzelner Fachwortschätze, sondern um die Ermittlung der funktionalen und strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede ganzer Fachtexte mit dem Ziel der Zusammenfassung zu Fachtextsorten einerseits und der Abgrenzung dieser Fachtextsorten gegeneinander andererseits. Am Anfang steht dabei gewöhnlich der intralinguale Vergleich, an den sich dann der interlinguale anschließen kann. Interlinguale Vergleiche versprechen großen Gewinn für die auf kommunikative Kompetenz in Fremdsprachen gerichtete Fachsprachenausbildung, für die Übersetzungswissenschaft, für die adäquate Übersetzung von Fachtexten und für die Fachübersetzerausbildung. (c) Die Grundlagenforschung zum Analysebereich ,Fachkommunikation‘ ⫺ s. o. (3) ⫺ muß auch für die zugehörige Wissenschaft, die Fachsprachenforschung ⫺ hiesiger Punkt (4) ⫺, eine grundlegende Klärung im Selbstverständnis als eigenständige Disziplin und eine (relationale) Ortung im System der Wissenschaften mit sich bringen. Bislang ist unter dem Etikett ,Fachsprachenforschung‘ eher

eine Anwendungsforschung betrieben worden; das hatte zur Folge, daß speziell dieses Wissenschaftsumfeld mit den beteiligten Nachbardisziplinen im Blick stand und diskutiert wurde (Hoffmann 1988 [1977]; 1985; Wiegand 1988; 1994). Ein ganzheitlicher Zugriff verlangt aber auch nach Grundlagenforschung: Für sie gilt (c.1) die Diskussion und bewußte Problematisierung der für den Gegenstandsbereich ,Fach‘ und ,Fachsprache(n)‘ bzw. ,Fachkommunikation‘ maßgeblich zutreffenden Qualitäten; sowie (c.2) die Sicherung der Geltung oder Wahrheit der wissenschaftlichen Aussagen bzw. Erkenntnisse durch anerkannte und als grundlegend betrachtete (c.2i) Analyse-Instrumentarien sowie (c.2ii) der Methoden (Reflexion der Analysewege, Einsatzweisen der Analyse-Instrumente, Gang der Erkenntnisfindung, Formen der Beweisführung, Ergebnispräsentation, Resultate-[Ein-]Ordnung, wissenschaftliche Bedingungen und mitbestimmende Forschungskonstellationen). Zu beidem ⫺ (c.1) und (c.2i/ii) ⫺ gibt es bislang nur sporadische Interessen und wenige Beiträge: (c.1⬘) Der basislegende und für die Fachsprachenforschung Ausweis-Charakter innehabende ,Fach‘-Begriff verlangt nach weiterer Klärung, gerade auch in interdisziplinärer Zusammenarbeit (s. Art. 1; vgl. Kalverkämper 1979; 1980; 1992b; 1996b; Baumann 1992b; 1993). Immerhin läßt sich nicht leugnen, daß die heutige Zeit im Rahmen der vorwärtsschreitenden beruflichen und wissenschaftlich-forschenden Spezialisierung eine Diversifikation fachlicher Aktivitäten mit sich bringt; diese ihrerseits wirkt natürlich wieder durch Forschungsdruck und innovativen Erkenntnisfortschritt auf die Spezialisierung als eine fachlichpunktuelle Isolierung zurück, so daß hier sich gegenseitig bedingende Prozesse geschehen, deren prognostizierbares Zukunftsbild kaum hoffnungsfroh stimmt; denn diese Entwicklung droht letztlich auf Kosten der sozial breiten und konsentiellen Kommunikationsfähigkeit zwischen den Fachleuten (,intrafachlich‘ und ,interfachlich‘) und zwischen den Fachleuten und den Laien (,ExpertenLaien-Kommunikation‘; sowie ,Kommunikation in Institutionen‘) abzulaufen (s. Art. 1, Abschn. 1.4.2.; s. Art. 2, Abschn. 3.2.2. u. 3.2.3.2.(b)). Deshalb müssen hier überbrückende Maßnahmen konzeptionell in der Disziplinen-Entwicklung und im Selbstverständnis der ,Fächer‘ einen festen Platz erhalten: der fachliche Dialog muß (i) mit geeigneten bildungspolitischen Angeboten (Ausbildungswege) (vgl. Buhlmann/Fearns 1987; Fluck 1996, 261⫺267; Kalverkämper 1989⫺1993; 1996d; vgl. auch Art. 3, Abschn. 1.3. Punkt (5)) und (ii) über philosophischen und soziologischen Meinungsaustausch und in gegenseitiger Partizipation (Wissenschaftsethik; s. Art. 1, Abschn. 1.4.2.2.) sowie (iii) mit sprachkritischer Begleitung (Wissenschaftssprachstilistik [s. Art. 3, Abschn. 1.3.], Verständlichkeitsforschung, Texte-Optimierung, Technical Writing [s. Art. 93 u. 106a]) und auch (iv) mit (fach-)sprachenpflegerischen Maßnahmen (Nor-

33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen mung, Stilistik der Fach- und Wissenschaftssprachen, mutter- und fremdsprachliche Ausbildung in fachbezogener Kommunikation mit verschiedenartigen Unterrichtskonstellationen [„bedarfsorientierte Fachsprachenvermittlung“; Fluck 1992, insbes. 21⫺27, spez. 26], Anglophonie-Problem [s. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2.(f) Punkt (3); sowie s. u. Abschn. 4.1., Punkt (3)]) vital bleiben; (v) es muß das Interesse an der fachlichen Fremdheit und der Akzeptanz der fachkommunikativen Besonderheiten gepflegt werden (s. Art. 3, Abschn. 2. Punkt (4)), (vi) eine Integration divergierender oder schon weit entfernter Wissenschaften, Disziplinen, Fächer oder Berufe (vgl. Art. 1, Abschn. 1.) ist als gegensteuernde Maßnahme anzuzielen: ,Interdisziplinarität‘ (s. Art. 1, Abschn. 1.5.), ,Kooperativität‘, ,interaktiver Verbund‘, ,globale Vernetzung‘, ,Wissens- und Wissenschaftstransfer‘ dienen hierzu als Begriffe, die schon Versuche einer praktischen Umsetzung markieren. Für die Forschung hat dies insbesondere methodologische Konsequenzen: Integrativität bedeutet Komplexitätszuwachs im Objekt wie im Analyseansatz und Beschreibungsverfahren, und auf diese Herausforderung kann man nur mit einer intensiven theoriebezogenen Diskussion reagieren: (c.2⬘) Und eine theorieorientierte Diskussion insbesondere zu den wissenschaftlichen Instrumentarien und Methoden, die für die Analyse von Fachsprachen-Spezifika erforderlich sind, hat vor dem Hintergrund der ⫺ auch disziplinhistorisch begründeten (s. o. Abschn. 2., Punkt (1)) ⫺ starken Anwendungs-Interessen (Hoffmann 1988a; Oksaar 1988; Oldenburg 1992; Schröder 1993a; Krings 1996) immer noch nicht in wünschenswerter Breite ⫺ und mit den dann entsprechenden Konsequenzen für das fachsprachenanalytische Forschen! (vgl. Kalverkämper 1992a) ⫺ stattgefunden (die Lücken berücksichtigenden und im Rahmen des Möglichen die Desiderate einlösenden [relativ wenigen] Arbeiten sind Hoffmann 1979; 1982; 1988 [1977]; 1988 [1982]; 1991a; 1993; Kalverkämper 1978; 1980; 1983b; 1990; 1992a; 1996b; Baumann 1992a; 1993). Es ist also immer noch ein gewisses Mißverhältnis zwischen Theorie und Praxis für die Masse fachsprachlicher Einzeluntersuchungen und Veröffentlichungen kennzeichnend.

(5) Die Ausführungen oben zur noch fehlenden Theorie der Fachsprachen sowie zu einer noch ausstehenden Theorie der Fachkommunikation ⫺ s. o. (3) ⫺ haben schon zwangsläufig Komponenten aktueller Forschung angesprochen, die aber, weil erst in der ersten Hälfte der neunziger Jahre erkannt ⫺ und dies wiederum: weil auf vorhergegangenen Systemebenen aufbauend (s. o. Abschn. 2, Punkt (4)) ⫺ noch lückenhaft vorhanden sind und folglich gezielt ausgebaut werden sollten: Die MÜNDLICHKEIT von Fachkommunikation muß der bisher prädestinierten

361

Schriftlichkeit deutlich und gleichwertig an die Seite gestellt werden. Sie ist im fachlichen Handeln (Beruf) und in der täglichen Lebensbewältigung (Kommunikation in Institutionen) wie im (Fremdsprachen-)Unterricht beherrschend vorhanden und zeigt dabei eine außerordentlich hohe vertikale Varietätenspanne (Brünner 1993; Lenz 1993; Munsberg 1994). Auswahlweise seien hierzu einige Konstellationen (A, C, E) aus dem Fünf-Ebenen-Modell (vertikale Schichtung) von Hoffmann (1985, 64⫺70) vorgestellt (vgl. auch Art. 2, Abschn. 3.2.3.2.; Art. 3, Abschn. 1.2.): Von der höchsten Abstraktionsstufe [A1] der Fachmann-Fachmann-Kommunikation [A2] in den theoretischen Grundlagenwissenschaften [A3] mit künstlichen Symbolen für Elemente und Relationen als äußere Sprachform [A4], über eine hohe Abstraktionsstufe [C1] der Kommunikation zwischen Wissenschaftler oder Techniker mit den wissenschaftlichen und technischen Führungskräften der materiellen Produktion [C2] in den angewandten Wissenschaften und der Technik [C3] mit Hilfe von natürlicher Sprache „mit einem sehr hohen Anteil an Fachterminologie und einer streng determinierten Syntax“ [C4] bis hin zu einer sehr niedrigen Abstraktionsstufe [E1] zwischen den Vertretern der materiellen Produktion, denen des Handels und den Konsumenten, bei diesen auch untereinander [E2] im Handlungsumfeld der Konsumtion [E3] mit Gebrauch der natürlichen Sprache und einigen Fachtermini bei „ungebundener Syntax“ [E 4].

Da sich insbesondere die gesprächs- oder diskursanalytischen Ausrichtungen für die Mündlichkeit interessieren, wird hier auch statt dem eher systembezogenen Ansatz inzwischen vielmehr eine handlungstheoretisch orientierte Konzeption vertreten; in solchen Modellen sind fachbezogenes Sprechen und fachliches Handeln im Beruf und in den Institutionen so verwoben, wie es als ein komplexes Bedingungsgefüge auch in der Lebenswirklichkeit vorkommt (vgl. Brünner 1993; Munsberg 1994; Fluck 1996, 234⫺236). Der ,(Fach-)Text-in-Funktion‘ (Kalverkämper 1983b), ,sprechendes Handeln und handelndes Sprechen‘, die ,Kommunikation im Fach‘ rücken also als pragmatisch bestimmte Leitvorgaben in den Blick und besetzen die zukünftigen Forschungsinteressen; dies ist als vielversprechender Zugewinn zu werten, zum einen indem der Analysebereich adäquater, weil in seiner Komplexität, zur Kenntnis genommen wird, zum anderen indem die Instrumentarien und Methoden sich darauf einstellen müssen (und dies wohl am ehesten unter dem Etikett der ,Integration‘ vollziehen).

362

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

(6) Mit der Mündlichkeit in fachlichen Kommunikationssituationen ist auch die Leiblichkeit und der fachspezifische kommunikative Einsatz des Körpers gegeben. Hierzu liegt noch ein weites Forschungsfeld brach, das allerdings bearbeitet werden sollte, da es die semiotischen Aspekte der Fachkommunikation aufnimmt. Und diese bestimmen die Abläufe zwischen den Kommunikanten und den fachspezifischen Mitteilungswert der Information entscheidend. Fachliche (oder fachbezogene) Körpersprache als Baustein der Mündlichkeit zu einer noch zu entwickelnden FACHSPRACHEN-SEMIOTIK (s. Hinweise in Baumann/Kalverkämper 1995, 273) würde den Schriftlichkeits-Baustein als Pendant dazu ergänzen: nämlich das fachliche Bild (Kalverkämper 1992c; 1993a). Eine komplexe Fachsprachen-Semiotik (oder ,fachkommunikative Semiotik‘ oder ,Semiotik der Fachkommunikation‘) (s. Kalverkämper 1996b, 152⫺153) würde sich aus den methodologischen Positionen der Integrativität und Interdisziplinarität (s. o. (4) Punkt (c.1⬘)) zwingend rechtfertigen und aus bereits jetziger Sicht heraus attraktive Erkenntnisse erbringen, die ihrerseits auch auf andere Disziplinen oder fachliche Aktivitäten (z. B. Körpersprachenforschung/Nonverbale Kommunikation; Dolmetschwissenschaft; literarische Übersetzung[swissenschaft], Interkulturelles Technical Writing) zurückwirken können und dort als Bereicherung aufgenommen werden könnten. (7) Die interdisziplinäre Annäherung sollte sich auch weiter auf die KOGNITIONSPSYCHOLOGIE hin bewegen; die Kognitive Psychologie (so genannt seit Neisser 1967) „beschäftigt sich mit allen Prozessen der Aufnahme, Speicherung und Anwendung von Informationen“ (Schwarz 1992, 12). Die Affinität zu den mentalen Aspekten der Linguistik und Kommunikationswissenschaft ist deutlich, und so hat sich im Laufe einer allgemein die Wissenschaften ergreifenden „Kognitiven Wende“ seit den achtziger Jahren auch verstärkt eine ,Kognitive Linguistik‘ herausgeschält (vgl. Schwarz 1992). Eine Kooperation mit der Fachsprachenforschung im Sinne einer „kognitiven Erweiterung“ des Forschungsformats (Baumann 1993; 1996) scheint sich zwangsläufig anzubieten, ist doch bereits im Rahmen der Terminologiewissenschaft das Verhältnis von ,Fachwissen‘ und lexikalischen und komplexeren sprachlichen Strukturen erkannt und die Repräsentanz von Kenntnis- und fachlichen Wissenssystemen

im (fach-)sprachlichen Text diskutiert (vgl. Budin 1996; Jahr 1996; s. auch Art. 1, Abschn. 2.): „Betrachtet man […] Systemaspekt [scil. Langue] und Tätigkeitsaspekt [scil. Parole] als dialektische Einheit, den Text als Realisierung des Sprachsystems und Fachtexte zudem als Realisierungen von Kenntnissystemen unter maßgeblicher Beteiligung terminologischer Systeme, dann ergibt sich […] [der] Zusammenhang zwischen semantischen Relationen im System und semantischen Relationen im Text ganz natürlich und im Hinblick auf die Verarbeitung von Fachtexten durch die angewandte Linguistik sogar notwendig.“ (Hoffmann 1990, 56)

Die Kognition ermöglicht es als eine geistige Tätigkeit (Denken, Sprechen, Perzeption), im Gedächtnis das Wissen, die Wissensnutzung und die Wissensveränderung systematisch zu organisieren: die Kognitive Psychologie unterscheidet dazu drei Begriffsklassen, die hier übernommen werden können: (1) Begriffe, „die Klassen von Objekten repräsentieren“ („einseitige Bindung an das Wort“); (2) Begriffe, „die Ereignisse klassifizieren“ (Einbeziehung des Begriffs in den Satz); (3) Begriffe, „die Ereignisabfolgen zusammenfassen“ (Beziehung des Begriffs „zum Text oder mindestens zum Teiltext“). Mit den beiden letzten der drei Punkte „kommen zur Struktur die Funktion, zur Paradigmatik die Syntagmatik, zur Ordnung des Wissens der Umgang mit Wissen hinzu.“ (Hoffmann 1993, 597).

Die Begriffstrukturen, die mit Wissensstrukturen gleichzusetzen sind und in ,Kenntnissystemen‘ repräsentiert sind, finden sich so in enger Verbindung mit der syntagmatischen Linearität der Fachkommunikation. Das Verhältnis von Fachwissen und Fachkommunikation erweist sich somit als dynamisch und als dialektisch und verlangt folglich auch einen entsprechenden methodologischen Zugriff für die Analyse: So wurde eine wichtige Erneuerung in der Sichtweise der jüngeren Fachsprachenforschung mehrfach unter die Überschrift „Vom Fachwort/Terminus zum (Fach-)Text“ gestellt (Kalverkämper 1983b; 1987; Hoffmann 1987; 1988a). Gemeint ist damit nicht die Abkehr von der Untersuchung der Fachlexik bzw. Terminologie, sondern die Erweiterung der Forschungsperspektive auf Satz und Text, wie sie schon in der Wirtschaftslinguistik der dreißiger Jahre (s. Art. 30) angelegt war. Zu Beginn erfolgte die Erweiterung noch im Rahmen der Vorstellungen vom Sprachsystem aszendent („bottom up“). Sehr bald jedoch wurde klar, daß sowohl in ein kommunikatives und funktionales als auch in ein

33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen

kognitives Konzept besser eine deszendente („top down“) Strategie paßt, die man anschaulich unter das Motto ,Vom Ganzen zu seinen Teilen‘ stellen kann, was letztlich zu einer integrativen Sicht (vgl. Baumann 1992) hinführt. (Vgl. ,Exteriorisierung‘ und ,Interiorisierung‘: Kalverkämper 1987; Hoffmann 1990; 1993; Baumann 1996; s. auch Art. 1, Abschn. 2.4.). Diese Entwicklung bringt es in zunehmendem Maße mit sich, daß der System-Aspekt zugunsten des Tätigkeits-Aspekts zurückgedrängt wird bzw. daß beide Aspekte ⫺ System und Verwendung ⫺ zu einer Synthese finden. Sprachliches Handeln läßt sich aus fachlichem Handeln und Denken herleiten und erklären. Damit wäre ein bedeutender Schritt von der Deskription zur Explikation, also zur Verwissenschaftlichung der Aussagen über Fachsprachen getan. Die Folge wäre auch eine Dynamisierung, die sich nicht mit der Erfassung von Beständen an Sprachmitteln zufrieden gibt, sondern nach Gesetzmäßigkeiten in der Sprachproduktion und -rezeption fragt. (8) Es liegt auf der Hand, daß unter den Aspekten der Sprachverwendung und der Kognition ⫺ s. o. (7) ⫺ auch die WISSENSCHAFTSSPRACHE weiterhin eine attraktive Herausforderung darstellt, der man sich gezielt widmen muß, zumal die wissenschaftssprachliche Kommunikation immer beherrschender auch in die breite gesellschaftliche Kommunikation, gerade auch über die Medien wie Fernsehen, eindringt und inzwischen in durchaus gar nicht mehr subtiler Weise einen Bildungsanspruch, eine verbale Intellektualität, ein geschultes Allgemeinwissen, kurzum eine gewisse „elaboriertere Schichtenzugehörigkeit“ signalisiert. Insbesondere ihr Verhältnis zu ,Fachsprache(n)‘ ist noch unscharf und ebenso ihr statusbegründendes Spezifikum als eine fachsprachliche Varietät (vgl. Art. 3, Abschn. 1.3.; s. auch Art. 9). Der doch intensiv empfundene gesellschaftliche Bezug schlägt sich nieder in aufblühenden, stark expandierenden Buchmarkt-Segmenten wie ,Sachbuch‘ und in den mit allgemein zustimmendem Rezeptionsverhalten angenommenen Wissenschaftssendungen im Fernsehen (vgl. Kalverkämper 1996b, 145). (9) Während bis in die beginnenden achtziger Jahre hinein die Frage nach den kommunikativen Ganzheiten ,(Fach-) Text‘ eher marginal erschien und sich dann eine textuell gerichtete Fachtextlinguistik etablieren konnte (Kalverkämper 1983b) (vgl. Art. 3,

363

Abschn. 1.1.), ist die Frage nach typologisierenden Bündelungen der Einzeltextvorkommen erst langsam aufgetaucht. Während die Textfunktionen und Textverwendungssituationen recht früh in den Blick kamen (vgl. Möhn/Pelka 1984, 45⫺46, 71⫺72), galt noch in den auslaufenden achtziger Jahren die Analyse von TEXTSORTEN und ihrer Typologie ⫺ die erst Anfang der siebziger Jahre deutlich ins linguistische Bewußtsein, allerdings nicht für fachsprachliche Analysen, traten (vgl. Gülich/Raible 1972) ⫺ „im Bereich der Fach- und Wissenschaftssprachforschung“ als „ein großer blinder Fleck“ (Weinrich 1989, 142). Inzwischen sind mit Gläser (1990), Schröder (1993a, Kap. II [6 Aufs.]), Göpferich (1995) und Kalverkämper/Baumann (1996) wichtige einschlägige Textsorten-Arbeiten vorgelegt worden, die die erste Hälfte der neunziger Jahre als ForschungsZugewinn zur Problematik der Fachtextsorten geprägt haben. Da es mit Hoffmann (1988 [1982], 26) „zur Klärung der Textsortenproblematik kein günstigeres Terrain als das der Fachsprachen“ gibt, dürfte der für die Linguistik, die Textlinguistik bzw. Textpragmatik und die Fachsprachenforschung gegenseitige Gewinn auf der Hand liegen, wenn hier weiterhin in die Zukunft Forschungsarbeit investiert wird.

4.

Methodologische Positionen ⫺ Perspektiven für die Zukunft

Prognosen der wissenschaftlichen Entwicklung oder der Trends einer Disziplin geben zu wollen, kann nur mit jener Einstellung gelten, die Harald Weinrichs (1985, 333) Ausführungen zur „Zukunft der deutschen Sprache“ einleiten: „Die Spielregeln der Wissenschaft schließen bekanntlich den prophetischen Gestus aus. Sie verbieten indes nicht schlechthin jeden Ausgriff auf die Zukunft, vorausgesetzt dieser läßt sich als Prognose rational rechtfertigen und in seiner Handlungsrelevanz begründen.“

In diesem Sinn sollen hier nun nicht ,Lücken‘ im Forschungs(be)stand (s. o. 3.) gekennzeichnet, sondern Chancen aus den methodologischen (und die haben ja schon etymologisch mit ,Weg‘ zu tun) Positionen abgeleitet werden. Dazu läßt sich auf die Darstellungen in den Artikeln 1, 2 und 3 verweisen, die hier einbezogen werden müssen. In grob orientierender Trennung sei hier unterschieden zwischen den Positionen in den Prozeduren (4.1.) und denen im Forschungsformat (4.2.):

364

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

4.1. Prozedurale Aspekte (1) Ein bislang methodologisch problematischer Ablauf ist die wenig entwickelte Fühlungnahme zwischen FACHSPRACHENFORSCHUNG UND TERMINOLOGIEWISSENSCHAFT. Eigentlich haben beide eine feste Verbindung durch einen gemeinsamen Gegenstand: nämlich die Fachwortschätze und Terminologien, auch wenn sie sich ihm von verschiedenen Seiten aus nähern: Die Fachsprachenforschung geht vorwiegend den semasiologischen Weg von den lexikalischen Einheiten als Benennungen zu den Begriffen als ihren Bedeutungen. Die Terminologiewissenschaft folgt mehr der onomasiologischen Linie von den Begriffssystemen zu den Benennungssystemen. Dabei beobachtet die Terminologiewissenschaft stärker die paradigmatischen Beziehungen in den Systemen; die Fachsprachenforschung schreitet relativ schnell zu den syntagmatischen Beziehungen in Sätzen, Teiltexten und Texten fort und weitet damit den Blick über die terminologische Lexik hinaus. Diese Unterschiede erklären sich daraus, daß für den (terminologisch interessierten) Fachmann die Gegenstandsbereiche und Kenntnissysteme den eigentlichen Bezugsrahmen abgeben, während für den (fachsprachlich interessierten) Linguisten die sprachliche Kommunikationstätigkeit und der Text im Vordergrund stehen. Hinzu kommt, daß dem Sprachwissenschaftler meist das fachbezogene Wissen, die Kompetenz im jeweiligen Fach, fehlt, und daß der Terminologe seinerseits meint, vom allgemeinen Sprachgebrauch her über genügend sprachliche Kompetenz zu verfügen, um mit den fachsprachlich-terminologischen Anforderungen schon zurecht kommen zu können. Daß eine gründlichere Beschäftigung mit der jeweils anderen Seite weiterführt, deutet sich in der übersetzungsbezogenen Terminologiearbeit an (vgl. Arntz/Picht 1989, 1⫺36; s. auch Felber/Budin 1989). Eigentlich aber ist hier die Perspektive auf eine interdisziplinäre Zusammenarbeit angelegt. (2) Sehr lose ist trotz aller Bemühungen die Verbindung von FACHDIDAKTIK UND (FACH-) SPRACH[EN]DIDAKTIK geblieben. Das bedeutet auch, daß die Ergebnisse der Fachsprachenforschung selbst bei nutzerfreundlicher Aufbereitung nur langsam in die Fachsprachen-Ausbildung und so gut wie nicht in die Fach-Ausbildung aufgenommen werden (vgl. Fluck 1992, 8⫺16; Hoffmann 1989; 456⫺459).

Die Fachdidaktik bleibt zumeist gegenstands-, d. h. system-, problem-, prozeß- und/ oder verfahrensbezogen, ohne ausdrückliches Nachdenken über Sprache; und die Fachsprachendidaktik ihrerseits bewegt sich noch überwiegend in den Bahnen der allgemeinen Mutter- und Fremdsprachendidaktik. Am weitesten ist der Integrationsprozeß bisher beim Deutschunterricht für Ausländer (,Deutsch als Fremdsprache‘) fortgeschritten (vgl. Buhlmann/Fearns 1987, 81⫺85, 126⫺ 145; Schröder 1988; Kalverkämper 1996d). Die Berufsausbildung ⫺ von der handwerklichen bis zur akademischen ⫺ kann von dort die Erkenntnis übernehmen, daß der Fachsprachenunterricht eine Brücke zwischen allgemeinem Sprachunterricht und Fachunterricht sein kann, wenn er auf die Rezeption und Produktion von Fachtexten sowie auf die Entwicklung von Arbeitsstrategien orientiert ist, dadurch den gegenstandsorientierten Fachunterricht tragen hilft und am Ende zu einem bewußten und wirkungsvollen Umgang mit der Muttersprache und/oder den Fremdsprachen bei der Lösung fachlicher Aufgaben beiträgt (vgl. auch das Kurs-Konzept Kalverkämper 1989⫺1993; 1996d). Einen großen Teil der wissenschaftlichen Grundlagen dafür hat die Fachsprachendidaktik als besonderer Zweig der Sprachlehrund -lernforschung noch zu liefern. (3) Die ANGLOPHONIE in der mündlichen und schriftlichen wissenschaftlichen Diskussion hat einen Stand erreicht, der methodologische Konsequenzen und damit Auswirkungen für die Zukunft der einzelsprachlichen Wissenschaftssprachen, insbesondere auch der sogen. „kleineren“ Sprachen, mit sich bringt. Neben Bestandsaufnahmen zur Konkurrenzsituation von Englisch als internationaler Wissenschaftssprache mit den nationalen Wissenschaftssprachen, zu den Geltungsbereichen und Einsatzfunktionen des Englischen im Forschungsdialog (von der Lehre bis zur sogen. „Spitzenforschung“) regen sich Stimmen aus der Sprachpolitik, der Sprachkritik und der Sprachpflege, die vor einer allzu bejubelten monolingualen Ökonomie der Wissenschafts-lingua franca warnen und eine monokulturelle Monotonie im zukünftigen Wissenschaftsdiskurs befürchten (vgl. die Sichtung der Lage mit Literaturhinweisen in Kalverkämper 1996b, 146⫺148). Die Sprachkultur wird zur Zeit wieder eher in der einzelsprachlichen Vielfalt und gegenseitigen Achtung der Varietäten gesehen

33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen

und gegenüber einer argumentativ zu stark strapazierten (angeblichen) kommunikativen Ökonomie einer gemeinsamen internationalen Wissenschaftssprache aufgewogen. Um eine kritische Kooperativität und, wo nötig, ein verständnisvolles Gegensteuern zu ermöglichen, bedarf es in den Bereichen der Sprachkritik, der Sprachpolitik, der Sprachplanung und der Sprachausbildung für die muttersprachlichen wie auch fremdsprachlichen Fachsprachen und Wissenschaftssprachen weiterer seriöser Analysen (vgl. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2., Punkt (f) 3) mit einschlägiger Literatur). 4.2. Aspekte des Forschungsformats (1) Die Brücke von den prozeduralen Aspekten, die insbesondere methodologisch ausgerichtet sind (s. o. 4.1.), hin zu den Aspekten des Forschungsformats läßt sich mit der Kombination beider schlagen, indem nämlich das Forschungsobjekt entsprechend bestimmt wird. Daß dies komplex ausfallen muß, ist ein Ergebnis der Disziplingeschichte der Fachsprachenforschung, wie sie die Komplexitätszuwächse der Linguistik allgemein nachvollzogen hat (s. o. Abschn. 2., Punkt (4)). Der Zusammenhalt der komplexen Ausweitung geschieht durch eine immer mehr in die Argumentation eingebrachte Integrativität des Ansatzes (vgl. Abschn. 3., Punkte (3)/ (4)(c.1⬘)/(5)/(6)/(7)). Das Forschungsformat lautet demnach heute, ganzheitlich-funktional begriffen und auch graphisch als ein Begriff zusammengebunden, ,Fachsprachen-inTexten-und-Kommunikationssituationen-undKultur(-einbettung)‘ (Kalverkämper 1996b, 156; vgl. Art. 3, Abschn. 1.1., Punkt (7)). Dieses Format drängt geradezu danach, es unter einen sehr attraktiven Begriff der gepflegten kommunikativen und handelnden Gemeinschaftlichkeit der Menschheit zu stellen: die Sprachkultur. Harald Weinrich (1985) hat ihn aus dem Prager Strukturalismus wiederbelebt und ihm als anspruchsvolles Programm die inzwischen notwendige integrative Geltung verschafft (vgl. Art. 3, Abschn. 1.3., Punkt (3)). Von ihr profitiert insbesondere die aktuelle und zukünftige Fach- und Wissenschaftssprachenforschung. Dazu sind noch Komponenten in den Blick zu nehmen und in der Zukunft spezieller zu berücksichtigen [(2) bis (6)]. (2) Als methodologisch bedeutsam darf der Sprung von den sprachlichen Darstellungsformen in den Fachtexten hin zu den nichtsprachlichen angesehen werden, wie er

365

als ,fachliches Bild‘ oder ,Fachtext und Bild‘ seit den beginnenden neunziger Jahren das Format der Fachsprachenforschung erweitert hat (s. o. Abschn. 3., Punkt (6); s. auch Art. 4, Abschn. 4.3.) und die Fachsprachen-Semiotik begründen half. Deren Hauptmerkmal ist, was die Fachkommunikation betrifft, die Medialität: (a) Schriftlichkeit (hier: [a.1] der Text und ⫺ nunmehr hinzugewonnen ⫺ [a.2] das Bild, die Zeichnung, Graphik, Skizze, das Diagramm usw.) und (b) Mündlichkeit (auch diese [b.1] für die Fachsprachenforschung, wie schon betont [s. o. Abschn. 3., Punkt (5)], noch nicht allzu lange analysiert; und ⫺ nunmehr hinzugewonnen ⫺ [b.2] die fachliche Körpersprache [s. o. Abschn. 3., Punkt (6)]). Inzwischen läßt sich allerdings für die Fachkommunikation darüber hinaus eine MULTIMEDIALITÄT erkennen (vgl. Schröder 1993b). Deren semiotisches Zusammenwirken in fachlichen Handlungs- und Sprachkontexten wird auch ⫺ in dynamischerer (eben nicht deskriptiver) Perspektive ⫺ als INTERMEDIALITÄT gesehen, was noch genug an Herausforderungen und Analysemöglichkeiten bietet. (3) Mit ihrem spezifischen Ausweis, nämlich dem direkten Bezug zum ,Fach‘, greift die Fachsprachenforschung notwendig in die Welt des Handelns, in die „Wirkwelt“ (Jost Trier), aus. Die Komplexität der Welt spiegelt sich in der Kommunikation, die Kenntnissysteme werden in ihrer Vernetzung in den Fachtexten repräsentiert, die Zuordnungen bzw. Zugehörigkeiten zu Handlungsbereichen und fachlichen Zusammenhängen sind in den (mündlichen wie schriftlichen) Kommunikationssituationen oft genug nicht zu entscheiden. Für die Fachsprachenforschung gilt deshalb eine prinzipielle Offenheit für die außersprachliche Welt und ihre Einteilungen, Kommunikationsbereiche und Handlungszuschnitte. Die INTERDISZIPLINARITÄT gehört somit auch methodologisch zum bestehenden Selbstverständnis der Fachsprachenforschung. Hierzu allerdings müssen noch, soll der Begriff nicht zur bloßen Hülse austrocknen, für die Zukunft die Formen der Grenzöffnungen und die Ziele und Wege der Grenzüberschreitungen sowie die Resultate der Kooperationen kritisch reflektiert werden (vgl. zur ,Interdisziplinarität‘ Art. 1, Abschn. 1.5.). Auch ihre Stellung zu benachbarten linguistischen Disziplinen (s. Hoffmann 1988 [1985]) hat die Fachsprachenforschung, was die Disziplinensystematik und die Methodo-

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IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

logie sowie die Analyse-Instrumentarien betrifft, bislang erst andeutungsweise bestimmt. Das betrifft z. B. ihr Verhältnis zur Psycholinguistik, soweit es um die Interiorisierung und Exteriorisierung von Fachwissen, um die Korrelation von Fachwissen und Sprachwissen, von fachlichen und sprachlichen Handlungen, um „sprachliche Handlungsfähigkeit im Fach“ (Buhlmann/Fearns 1987, 87⫺88) u. ä. geht. Wichtig ist ferner das Verhältnis zur Soziolinguistik, mit der die Zusammenhänge von sozialer, fachlicher und fachsprachlicher Differenzierung (ihre „Kovarianz“) abzuklären sowie fachlich bedingte Sprachbarrieren als Verständigungsbarrieren abzubauen sind. Auch fachsprachlich drapiertes Sozialprestige bleibt hier ein Thema. Berührungspunkte gibt es ferner mit der Computerlinguistik. Dabei geht es vor allem um die Vervollkommnung der automatischen Analyse und Synthese von Fachtexten im Sinne der Optimierung der Fachkommunikation, um die Gestaltung von bzw. die Arbeit mit elektronischen Wissensspeichern und Sprachdatenbanken. Nicht zuletzt können sich allgemeine Lexikographie und Fachlexikographie bei der Entscheidung für bestimmte Makro-, Mikro- und Zugriffsstrukturen (vgl. Wiegand 1989, 371⫺501) gegenseitig annähern und so sowohl die Wörterbuchtheorie als auch die Wörterbuchpraxis voranbringen (s. Schaeder/Bergenholtz 1994).

Neben der synchronen verlangt auch die diachrone Sprachbetrachtung ⫺ s. u. (5) ⫺ nach einem stärkeren Zusammengehen der Fachsprachenforschung mit anderen linguistischen Disziplinen und der allgemeinen Sprachwissenschaft. (4) Mit der Gefahr, zu einem Inflationsbegriff zu verwässern, hat sich aus der Untersuchung textueller und kommunikativer Spezifika von fachlicher Interaktion ein offenkundig attraktiver Aspekt ergeben: die INTERKULTURALITÄT. Dies ist eine Beobachtung und ein Begriff, die (i) von der Fachsprachenforschung Mitte der achtziger Jahre ausgingen (besonders bekannt geworden sind z. B. Galtung 1985 sowie Clyne 1987; 1993; vgl. auch Schröder 1995), (ii) dort speziell für die Wirtschaftskommunikation an Bedeutung gewannen (vgl. Müller 1993; Bolten 1996) und (iii) als konzeptuelles und methodologisches Angebot in der Linguistik allgemein konstruktiv aufgenommen wurden (vgl. Kalverkämper 1996b, 154⫺155; Bibliographie: Hinnenkamp 1994; s. auch Art. 88). Zu dieser Komplexität auf Kultur-Ebene bedarf es allerdings noch wesentlich mehr an kontrastiver Forschungsarbeit mit empirischen Daten und methodisch seriösen Korpusana-

lysen, um unzulässige Generalisierungen und Spekulationen zu unterbinden und allzu griffigen Vorurteilen wissenschaftlich begegnen zu können. (5) Die Interkulturalität und der in ihr beherbergte Begriff der Sprachkultur (vgl. Weinrich 1985) setzen Tradition und Kontinuität voraus. Es ist deshalb unverzichtbar, auch die DIACHRONIE der Fachsprachen und der wissenschaftlichen Kommunikation zu beachten (Kalverkämper 1993b, 24⫺26). Die Texte der historischen Sprachstufen und Literaturen müssen dafür allerdings noch entdeckt werden, wenngleich eine diachrone Fachsprachenforschung ihre Wichtigkeit für die Sprachgeschichte schon längst erwiesen hat (vgl. Hinweise bei Fluck 1996, Kap. 2) und sich auch für die Literaturgeschichte bewährt hat (Artes-Forschung/Mittelalterliche Fachprosa-Forschung: s. Art. 4, Abschn. 3.2.6.; Art. 32) (s. Kalverkämper 1993b; Fluck 1996, Kap. 11.2. [241⫺244]). Die Ergänzung synchron-aktueller Problemstellungen durch diachrone Analysen historischfachlicher Kulturstufen und der FachtexteTradition (z. B. im Sinne einer ,Gattungsgeschichte des wissenschaftlichen Schrifttums‘) würde interdisziplinär ausstrahlen: die Sach-, Berufs- und Wissenschaftsgeschichte wäre genauso gefordert wie die Kultur- und Bildungsgeschichte, sowie natürlich die Sprachund Literatur- (hier insbesondere die Gattungs- und Motiv-)geschichte. Wünschenswert wäre in der Tat vor diesem Hintergrund eine ,Literaturgeschichte der Fach- und Wissenschaftssprachen‘ (s. Art. 4, Abschn. 3.2.10.). Interessant könnte dazu noch sein, daß die sich deutlich synchron und zeitaktuell definierende Angewandte Linguistik (der ja auch historisch arbeitende Disziplinen bislang nicht angehören) ihrerseits eine profitable Anwendungsgeschichte zur Seite bekäme (dazu Kalverkämper 1993b, 23, 28, 36⫺39). (6) Die Angewandtheit der Fachsprachenforschung rechtfertigt sich neben dem engen Bezug zum außersprachlichen ,Fach‘ auch in der hohen GESELLSCHAFTLICHEN RELEVANZ ihrer Resultate. (a) Deshalb ist sie auch so fest mit der Didaktik, überhaupt mit Ausbildung und Unterricht verbunden (s. Kap. XIII). (b) Die Sprachkritik, insbesondere die der Wissenschaftssprachen (s. Art. 3, Abschn. 1.3.; Kap. XI), hat diese Komponente noch verstärkt und dabei gezeigt, wie stark die Re-

33. Forschungsdesiderate und aktuelle Entwicklungstendenzen

zeption in der Gesellschaft ausschlaggebendes Kriterium der Beurteilung sein kann. (c) Immerhin ist die dafür geltende Leitlinie die ,Verständlichkeit‘ ⫺ eine der wichtigsten, wenn nicht die herausragendste Qualität von Kommunikation, eben weil sie das Gelingen für Interaktion gewährleistet, somit soziale Kontaktnahme fördert und aufrechterhält und Kommunikationskonflikte zu vermeiden hilft. (d) Ihr ist, gleichsam als Derivat einer kritischen Fachsprachenstilistik, das Technical Writing (,Schreiben in der Technik‘, ,Technische Dokumentation‘ u. a.) verpflichtet (Krings 1996; Kalverkämper 1996b, 41⫺42, 151⫺152, 163; Göpferich 1997; vgl. Art. 106a); kritisches fremd(fach)sprachliches Übersetzen, kriteriengeleitete Texte-Optimierung sowie (inter)kulturell sensible Beobachtung des Ausgangstextes und entsprechende Anpassung des Zieltextes sind hier gefragte Tugenden bewußten Vertextens. Das muß wissenschaftlich erarbeitet, dann in einschlägigen Studiengängen gelehrt werden; insgesamt stehen wir hier mit Lehrprogrammen, Ausbildungsprofilen, Studienformen und Berufskonturen noch am Anfang, wenngleich sich unwiderlegbar abzeichnet, welche Chancen sich hier neu eröffnen (bis hin zu neuartigen Berufsbildern, die sich aus Nischen bedarfsorientiert entwickelt haben) (Krings 1996; Göpferich 1997; vgl. Art. 107). (e) Mit ihrer auffälligen Einbindung in die gesellschaftliche Kommunikation sind die Fach- und Wissenschaftssprachen nicht nur als ausgrenzende Konfliktträger gefürchtet, sondern auch als sensibilisierende Vermittler erwünscht. Da Fachsprachen unabdingbar zum öffentlichen Leben gehören, werden sie weniger ⫺ wenngleich unleugbar auch ⫺ als Störfaktor, vielmehr aber doch als Ausweis einer arbeitsdifferenzierten Gesellschaftsorganisation und Aufgabenverteilung angesehen. Und diese Einsicht verpflichtet geradezu dazu, sich der Herausforderung mit kooperativer Haltung zu stellen. Die Wissenschaftsethik (s. Art. 1, Abschn. 1.4.2.2.) hat schon mit philosophischen Fragen seit den beginnenden achtziger Jahren Aspekte wie ,gesellschaftliche Verantwortung im Handeln und Kommunizieren‘ angesprochen und sich bemüht, ein globales Bewußtsein für eine im fachlichen Dialog konstituierte Handlungs-, Wirtschafts-, Prosperitäts-, Kommunikations- und Solidargemeinschaft zu schaffen. (f) Die „zentralen Bereiche Wissenserwerb, Wissensorganisation und Wissenstransfer,

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auf die sich gerade in unseren hochmodernen und global ausgerichteten Industriegesellschaften schriftliche wie mündliche Fachkommunikation beziehen“ (Fluck 1996, 269), verlangen ein hohes Maß an sozialer Beachtung: nicht ohne Grund ist die FachmannLaie-Kommunikation zu einer der wichtigsten Konstellationen im gesellschaftlichen Informationsaustausch avanciert (vgl. Art. 2, Abschn. 3.2.3.2.). Insbesondere hier wird sich die Akzeptanz fach- und wissenschaftssprachlicher Kommunikation in der Öffentlichkeit entscheiden. Fachsprachlich begründete Kommunikationskonflikte werden jedenfalls auf Dauer keinesfalls ein Vertrauen ins Fach (z. B. in seine Leistungsangebote [Medizin, Rechtswesen, Verwaltung, Technologie, u. a.]) auf- und ausbauen. Hier sind wiederum wissenschaftliche (Fachkommunikations-) Forschung, Optimierungspraxis der verschiedenen Kommunikationsformen (Beratung, Training, Ausbildung) und Effektivierung des Wissenstransfers gefordert. (g) Theorie und Praxis, wissenschaftliche Forschung und Umsetzung in angewandte Lehrformen, Ausbildung und praktische Ausführung sind im fachbezogenen Kommunizieren und Handeln untrennbar verwoben. Genau dies ermöglicht es dann aber auch, Prognosen zu Entwicklungen wie hier mit dem gebotenen (s. Anfang dieses Abschn. 4.) Geltungsanspruch zu formulieren.

5.

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372

IV. Vorgeschichte und Geschichte der Fachsprachenforschung

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Wörterbuch: alphabetische Anordnungsformen und ihre Probleme [Art. 38]. Der Begriff der Mikrostruktur: Geschichte, Probleme, Perspektiven [Art. 38a]. Arten von Mikrostrukturen im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch [Art. 39]. In: Wörterbücher/Dictionaries/Dictionnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie/An International Encyclopedia of Lexicography/Encyclope´die internationale de lexicographie. 1. Band. Hrsg. v. Franz Josef Hausmann, Oskar Reichmann, Herbert Ernst Wiegand und Ladislav Zgusta. Berlin. New York 1989 (HSK ⫺ Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 5, 1), 371⫺501. Wiegand 1994 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Zur Unterscheidung von semantischen und enzyklopädischen Daten in Fachwörterbüchern. In: Schaeder/ Bergenholtz 1994, 103⫺132. Wiegand 1995 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Fachlexikographie/Lexicography for Special Purposes. Zur Einführung und bibliographischen Orientierung. In: Lexicographica. International Annual for Lexicography/Revue Internationale de Lexicographie/ Internationales Jahrbuch für Lexikographie 11. 1995, 1⫺14.

Lothar Hoffmann, Großdeuben / Hartwig Kalverkämper, Berlin

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen 34. Das Postulat der Exaktheit für den Fachsprachengebrauch 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

1.

Exaktheit als Kennzeichen der Fachkommunikation Exaktheit auf lexikalisch-semantischer und stilistischer Ebene Exaktheit auf textueller Ebene Exaktheit auf funktionaler Ebene Exaktheit auf inhaltlich-gegenständlicher Ebene Exaktheit auf kognitiver Ebene Exaktheit auf sozialer Ebene Exaktheit auf kultureller Ebene Literatur (in Auswahl)

Exaktheit als Kennzeichen der Fachkommunikation

Die Fachsprachenforschung ist seit ihren Anfängen darum bemüht, die Voraussetzungen für eine präzise Verständigung der in den fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereichen tätigen Menschen systematisch zu beschreiben. Die Auswahl sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel, die für die effiziente Umsetzung entsprechender Inhalte der Fachkommunikation geeignet sind, wird entscheidend von dem Kriterium der wissenschaftlichen Exaktheit bestimmt. Die Forderung nach Exaktheit in der fachlichen Kommunikation setzt voraus, daß sich in konkreten Fachgebieten kommunikative Strategien herausbilden, die eine eindeutige und für den Rezipienten unmißverständliche Bindung des sprachlichen und nichtsprachlichen Ausdrucks an den jeweiligen fachwissenschaftlichen Sachverhalt, Gegenstand oder Prozeß ermöglichen (z. B. Verwendung von künstlichen Sprachen, Formeln, Symbolen, Graphika). Dabei stellen die kommunikativen Strategien komplexe Entscheidungsregeln dar, nach denen die für eine erfolgreich verlaufende Fachkommunikation strukturell bzw. funktional adäquaten Elemente und Relationen ausgewählt werden (z. B. Einbeziehung von Zitaten zur Dokumentation wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse bzw. -resultate).

Nach der kommunikativ-pragmatischen Wende der Sprachwissenschaft zu Beginn der 70er Jahre haben sich aus fachsprachlicher Sicht die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen erweitert, um die Exaktheit des fachlichen Kommunikationsprozesses umfassend zu untersuchen. So spielt in der gegenwärtig immer deutlicher zur interdisziplinären Betrachtungsweise übergehenden Fachsprachenforschung das Postulat der Exaktheit deshalb eine besondere Rolle, weil es mit der kognitiven Objektwahrnehmung eng verbunden ist. Im weiteren wollen wir unter dem Phänomen der Exaktheit die historisch-konkrete erkenntnistheoretische Qualität des subjektiven Widerspiegelungsbezuges zur objektiven Realität verstehen. Der Prozeß der Vergesellschaftung hat es mit sich gebracht, daß die Individuen entsprechend ihrer verschiedenen Erfahrungen, ihres spezifischen Wissensstandes und ihrer jeweiligen Interessen am widerzuspiegelnden Objekt die Wirklichkeit als Erkenntnisobjekt mehr oder weniger adäquat abbilden. Daraus ergibt sich ein konkreter Grad der Exaktheit bei der Darstellung der Realität. Dieser befindet sich im Schnittpunkt eines komplexen Beziehungsgefüges, in dem sowohl der Mensch als erkennendes und kommunizierendes Subjekt als auch die Wirklichkeit als Erkenntnisobjekt wichtige Bezugspunkte darstellen. Der erkenntnistheoretische Aspekt der Exaktheit ist somit ein Ergebnis des gesellschaftlichen Erkenntnisprozesses und wird im Kommunikationsprozeß von den Individuen über die verschiedenen Ebenen des Sprachsystems erschlossen. Die sprachliche Existenzform der Exaktheit hingegen wird in der Fachkommunikation vor allem von drei Merkmalen bestimmt. Zu diesen gehören (1) die Gebundenheit an die Ausdrücke einer (Fach-)Sprache, (2) die Determination der lexikalischen Bedeutungen, die mit den (fachsprachlichen) Ausdrükken konventionell verbunden sind und (3) die Verwendung sprachlicher Ausdrücke in bestimmten (fachlichen) Kommunikationssituationen.

374

2.

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

Exaktheit auf lexikalischsemantischer und stilistischer Ebene

Aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht ist es durchaus verständlich, daß sich insbesondere die lexikalische Semantik und die Linguostilistik ausführlich mit der Analyse des Postulats der Exaktheit im Bereich der Fachkommunikation beschäftigt haben. Die Betrachtung der lexikalisch-semantischen Dimension der Fachkommunikation hat deutlich gemacht, daß ein großer Teil der Lexik ⫺ die Fachterminologie ⫺ per definitionem festgelegt ist. Die Aufgabe der wissenschaftlichen Terminologie besteht darin, die im Fach exakt definierten bzw. durch Konventionen festgelegten Begriffe oder Gegenstände eindeutig zu bezeichnen (Roelcke 1991, 194 ff). Folglich ist durch den Fachsprachengebrauch ein hohes Maß an (semantischer) Präzision bei gleichzeitiger Sprachökonomie möglich (Wüster 1970, 86). Allerdings haben zahlreiche lexikalisch-semantische Untersuchungen von Fachtexten ergeben, daß Termini sowohl im System als auch im Text semantisch mehrdeutig sein können. So werden z. B. lexikalische Einheiten innerhalb eines bestimmten Fachtextes häufig nicht als Termini eines einzigen terminologischen Systems verwendet, sondern sie treten in Fachtexten auch als Termini verschiedener Einzelwissenschaften sowie in allgemeinsprachlicher Bedeutung auf (Fluck 1991, 47 ff). Es zeigt sich, daß aufgrund der Polyfunktionalität sprachlicher Mittel auch in der Fachkommunikation ein bestimmter Grad der (semantischen) Vagheit nicht ausgeschlossen werden kann (von Hahn 1983, 98 ff). Die lexikalisch-semantische Ebene der Fachkommunikation weist bereits auf die Relativität des Postulats der Exaktheit hin. Die Analyse der stilistischen Dimension der Fachkommunikation hat deutlich gemacht, daß stilistisch relevante Mittel das inhaltliche Erfassen und gedankliche Verarbeiten fachspezifischer Sachverhalte entscheidend unterstützen. Aus der Sicht der Linguostilistik wird die Klarheit und Folgerichtigkeit in der Sprachverwendung als ein objektives Erfordernis verstanden, das unter den Bedingungen der fortschreitenden Differenzierung von wirtschaftlichen, politischen, sozialen, wissenschaftlichen und kulturellen Prozessen in der menschlichen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt. Umfangreiche Untersuchungen haben ergeben, daß die stilistische

Ausprägung des Textes innerhalb der SubjektObjekt-Dialektik v. a. durch die den Kommunikationsbedingungen adäquate Wahl von Ausdrucksvarianten determiniert wird (Baumann 1992, 47 ff). Durch die Systematisierung und Klassifizierung stilistisch relevanter Erscheinungen konnte nachgewiesen werden, daß das spezifische Verhältnis zwischen den Stilelementen und deren Funktion im Fachtext durch stilnormende Wesensmerkmale (Stilzüge) vermittelt wird. Die stilnormenden Merkmale stellen gesellschaftlich determinierte Erwartungswerte gegenüber der Funktion bzw. Verwendungsweise von stilistischen Elementen in bestimmten Kommunikationsbereichen oder -situationen dar. Dabei trifft der Textproduzent eine Auswahl aus den ihm zur Verfügung stehenden (nicht-)sprachlichen Mitteln, welche die kommunikative Adäquatheit der Fachkommunikation sichern helfen. Stilnormende Merkmale der Fachkommunikation betreffen z. B. die Verwendung von Zitaten, die Entfaltung eines Themas auf der Grundlage einer bestimmten Kompositionsprinzipien folgenden Gedankenführung, den Grad der sprachlich expliziten Wiedergabe sachlogischer Zusammenhänge, die Informationsdichte, die Einbeziehung visueller Mittel der Aufgliederung bzw. die Variation verschiedener lexikalischer Elemente.

Eine strukturell-funktionale Betrachtung charakteristischer Stilmerkmale der Fachkommunikation ist geeignet, übergreifende Tendenzen im Gebrauch stilistischer Elemente aufzuzeigen (Baumann 1990, 70 ff). Zu diesen gehören v. a. die Wahrung der Exaktheit, Objektivität, Ökonomie, Folgerichtigkeit, Faßbarkeit und Kürze in der fachlichen Darstellung. Integrative Fachtextanalysen haben allerdings darauf hingewiesen, daß die Realisierung des Postulats der Exaktheit nicht auf lexikalisch-semantische und stilistische Aspekte beschränkt bleiben kann, sondern die komplexe Berücksichtigung aller die Fachkommunikation bestimmenden strukturellen und funktionalen Faktoren erforderlich macht.

3.

Exaktheit auf textueller Ebene

So wurde deutlich, daß das Phänomen der Exaktheit über eine textuelle Dimension verfügt, die in enger Beziehung mit den architektonisch-formalen Merkmalen des jeweiligen Textes (Art, Abfolge, Verknüpfung der Textstrukturen) zu sehen ist (Moskalskaja 1984, 78 ff). Eine umfassende Analyse des Phäno-

34. Das Postulat der Exaktheit für den Fachsprachengebrauch

mens der Exaktheit setzt somit voraus, daß auf der Ebene des Textes die Struktureinheiten aufgefunden werden, die zur Kongruenz der fachlichen Aussagen beitragen. Die Vertreter des textlinguistischen Ansatzes der Washington School (Trimble/Trimble/Drobnic 1978) haben darauf hingewiesen, daß der Teiltext als inhaltlich determinierte Einheit des Fachtextes und der Absatz als formal markierte Größe des Textes die spezifische Textgliederung bewirken. Das Streben des Fachtextautors nach Exaktheit, Verständlichkeit und gedanklicher Klarheit spiegelt sich wider in der Einheit von gedanklich-thematischer Gliederung des Fachtextes (Teiltext) und formalem Textaufbau (Absatz). Im Bereich der Fachkommunikation haben sich somit strukturell und funktional relativ stark genormte Textsorten herausgebildet (Baumann 1992, 152 ff). Die Normierung betrifft z. B. die Art der Verknüpfung der Aussagen im Text bzw. die Spezifik des Beziehungsgefüges von außer- und innersprachlichen Faktoren im Text (Makrostruktur). Zudem kann nicht übersehen werden, daß sich in bestimmten Fachtexten bereits Textmodelle der Gliederung eines Sachproblems (Textbauplan) herausgebildet haben. Interdisziplinäre Untersuchungen haben gezeigt, daß diese Fachtexte in einzelne inhaltliche Segmente zerfallen, denen bestimmte lexikalische, syntaktische, stilistische u. a. Elemente zugeordnet werden können (vgl. z. B. Fachtextsorten Beipackzettel, Patentschrift, Gebrauchsanweisung). Die Lehre von den Subsprachen stellt zudem einen weiteren Versuch dar, die Exaktheit des Fachsprachengebrauchs auf der Ebene des Textes systematisch zu beschreiben (Hoffmann 1984, 64 ff). Ein besonderer Schwerpunkt der Fachtextanalysen besteht dabei darin, die komplexen Zusammenhänge bei der kommunikativen Umsetzung inhaltlicher Faktoren darzustellen, die Auswahl sprachlicher Mittel zur Nomination dieser Inhalte zu begründen und das Zusammenwirken der sprachlichen Elemente mit den situativen Kommunikationsbedingungen zu erfassen. Während sich die horizontale Gliederung aus den Fachbereichen mit ihren unterschiedlichen Fachsprachen ergibt, ist innerhalb der einzelnen Fachsprachen dann noch eine vertikale Schichtung zu erkennen (Hoffmann 1984, 66 ff). Mit der vertikalen Schichtung von Fachsprachen versucht L. Hoffmann,

375

„die zunehmende Präzisierung zu verfolgen, die die Sprache in der fachlichen Kommunikation erfährt, je weiter diese im Zusammenhang mit ihrer ständigen Vervollkommnung als Erkenntnis- und Kommunikationsinstrument vom Konkreten zum Abstrakten, vom Besonderen zum Allgemeinen, von der Erscheinung zum Wesen vordringt“ (Hoffmann 1984, 64). Die Lehre von den Subsprachen ⫺ insbesondere das Schichtungsmodell ⫺ bietet einen methodologisch und methodisch weitreichenden Ansatzpunkt für die Klassifizierung von Fachtexten nach Exaktheitsgraden, da dieses System fachbezogene und kommunikative Aspekte zusammenführt.

4.

Exaktheit auf funktionaler Ebene

Aus funktionaler Sicht stellt das Phänomen der Exaktheit des Fachsprachengebrauchs eine dynamische Zweck-Mittel-Relation dar. Auf der Ebene des Textes hängt die funktionale Dimension der Exaktheit eng mit dem konkreten Zusammenwirken der verschiedenen Konstituenten sprachlich-kommunikativer Handlungen zusammen. Vertreter der Kommunikationslinguistik heben in ihren Ausführungen den relationalen Aspekt der Exaktheit hervor. So geht z. B. G. W. Kolschanski davon aus, daß bei der Organisation der (Fach-)Kommunikation das Gesetz wirkt, „daß sich die rein formalen (grammatischen) und die inhaltlichen Eigenschaften des Textes zueinander umgekehrt proportional verhalten. Der Text wird durch die logischsemantische Entfaltung der Kommunikation und je nach seinem Umfang gestaltet, der Grad seiner formalen Organisation sinkt mit zunehmender Informationsfülle“ (Kolschanski 1985, 76). Aus diesen Überlegungen kann geschlußfolgert werden, daß die adressatenbezogene Informativität von Texten bzw. die Art der kommunikativen Realisierung von Sachinformationen wichtige Kriterien für die Bestimmung des Exaktheitsgrades von Texten darstellen. Untersuchungen an verschiedenen Fachtexten bestätigen außerdem, daß die Verwendung bestimmter grammatischer Kategorien und syntaktischer Konstruktionen als ein Hinweis auf die Exaktheit von Texten gelten kann (Hoffmann 1984, 96 ff). So führt das Streben nach Ökonomie der Fachkommunikation dazu, daß in bestimmten Textsorten Tendenzen der syntaktischen Komprimierung (Hypotaxe), der bevorzugte Gebrauch be-

376

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

stimmter Satztypen bzw. die Dominanz des Passivs zu beobachten sind (Baumann 1981, 158 ff).

5.

Exaktheit auf inhaltlichgegenständlicher Ebene

Untersuchungen haben gezeigt, daß die Exaktheit des Fachsprachengebrauchs eine inhaltlich-gegenständliche Dimension aufweist, die entscheidend durch die Fachkompetenz der Kommunikationspartner determiniert wird. Sie äußert sich insbesondere durch folgende Faktoren: (1) die Anwendung bestimmter, mit dem einzelwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand in Zusammenhang stehender Techniken des praktisch-gegenständlichen bzw. geistigen Arbeitens; (2) die Auswahl des Inhalts der Darlegung im Fachtext; (3) die Art, fachwissenschaftliche Zusammenhänge für kommunikative Zwecke zu sichern (hoher Anteil von im Fachtext implizit enthaltenen Informationen, Sprachökonomie, Bildtext); (4) die fachwissenschaftliche Systematik der Darstellung, die in Verbindung mit den individuellen Leistungsdispositionen der Kommunizierenden im konkreten Fach gesehen werden muß und (5) die Spezifik des einzelwissenschaftlichen Gegenstandsbereiches. S. Skudlik verweist auf die Beziehung zwischen der Sprache der Natur- bzw. Geisteswissenschaften und dem Kriterium der Exaktheit: „Das undifferenzierte Vorverständnis sieht deutliche Unterschiede zwischen der Sprache der Naturwissenschaften und der Sprache der Geisteswissenschaften. Letztere scheint der Alltagssprache näher zu liegen, scheint sich eher durch eine terminologisch stärker festgelegte Verwendung der gemeinsprachlichen Begriffe und besonders auch durch andere stilistische Gebräuche als Wissenschaftssprache auszuweisen. Bei ersterer dagegen denkt man sofort an einen umfangreichen terminologischen Apparat mit Ausdrücken, die der Laie nie gehört hat, an eine Unzahl von Formeln beziehungsweise die formelhafte Verwendung bestimmter sprachlicher Mittel“ (Skudlik 1990, 221).

6.

Exaktheit auf kognitiver Ebene

Die Verständigung der Individuen über bestimmte Probleme und Fakten des Erkenntnisprozesses führt in den Bereichen der fachlichen Kommunikation zur Materialisierung

fachbezogener Bewußtseinsinhalte. Im Kommunikationsprozeß werden dabei von den Menschen (fach-)sprachliche Mittel und Strukturen verwendet, die kognitive Zusammenhänge präzise zum Ausdruck bringen. Die Exaktheit des Fachsprachengebrauchs verfügt somit über eine kognitive Dimension, die auf die subjektive Widerspiegelung der Umwelt hinweist und im wesentlichen durch drei Faktoren bestimmt wird: (1) die historisch-konkreten, gesellschaftlichen Erfahrungen der gesamten (fachlichen) Kommunikationsgemeinschaft. Dieses Wissen wird den Individuen in sprachlicher Form ⫺ d. h. durch ein System von Wortzeichen ⫺ übermittelt; (2) die unmittelbare Erfahrung anderer Kommunikationspartner. Hierbei tritt die Sprache als Mittel der Kommunikation bzw. Steuerung des menschlichen Verhaltens in Erscheinung; (3) die persönlichen Erfahrungen jedes einzelnen an der Kommunikation Beteiligten. Die Erfahrungen des Menschen verfügen in Form der Wortbedeutungen über viele Verbindungen zur Sprache. Dadurch wird die Sprache zum Instrument des geistigen Handelns. Ferner wird die kognitive Dimension der Exaktheit von folgenden Aspekten beeinflußt: (1) dem Kompliziertheitsgrad des psychophysiologischen Mechanismus des Kommunizierens; (2) der Rolle der Planung bei der Kommunikation; (3) der strukturellen Organisation des aktiven Kommunizierens; (4) dem Grad der Vorbereitetheit der Kommunikation und (5) der Exteriorisiertheit bzw. Interiorisiertheit der Kommunikation.

7.

Exaktheit auf sozialer Ebene

Bestehende Unterschiede in der Exaktheit des Fachsprachengebrauchs stehen auch mit sozialen Gegebenheiten im Zusammenhang. So bestimmen der Charakter der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und die Spezifik der Sozialstruktur innerhalb einer Gesellschaftsform die Herausbildung von mehr oder weniger deutlich begrenzbaren fachlichen Kommunikationsbereichen und entscheiden über den Zugang des einzelnen zu diesen Bereichen. Die differenzierten Tätigkeiten be-

377

34. Das Postulat der Exaktheit für den Fachsprachengebrauch

schleunigen die Herausbildung sprachlicher Besonderheiten, da eine exakte Verständigung in den verschiedenen Tätigkeits- oder Handlungsbereichen für eine effizient funktionierende Gesellschaft entscheidend ist. Die soziale Dimension der Exaktheit des Fachsprachengebrauchs bezieht sich folglich auf die Gesamtheit der situativen Bedingungen, die im Bewußtsein der Kommunikationspartner widergespiegelt werden. Sie äußert sich im Rahmen der Subjekt-ObjektDialektik des Erkennens als soziolektale Variabilität der Fachkommunikation und wird z. B. bei der Betrachtung von fachinternen, interfachlichen bzw. fachexternen Textsorten deutlich (Möhn/Pelka 1984, 115 ff). Den Hauptanteil der Fachkommunikation bilden fachinterne Fachtextsorten, die der Übermittlung von Fachinformationen zwischen Fachleuten dienen und einen hohen Grad der Exaktheit des Fachsprachengebrauches voraussetzen. Zu den wichtigsten fachinternen Fachtextsorten zählen z. B. die Monographie, der wissenschaftliche Zeitschriftenartikel bzw. der Lexikonartikel. Die Fachtextsorten Schulbuch, populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel oder das Sachbuch gehören hingegen zur fachexternen Kommunikation.

8. Exaktheit auf kultureller Ebene Ferner kann festgestellt werden, daß der Grad der Exaktheit des Fachsprachengebrauchs, d. h. die Art der Widerspiegelung fachspezifischer Zusammenhänge, auch vom kulturellen Entwicklungsstand der jeweiligen Kommunikationspartner abhängt. In wissenschaftlichen Untersuchungen weist L. Fleck überzeugend nach, daß sich z. B. bestimmte wissenschaftliche Theorien zu einem bestimmten Zeitpunkt nur in bestimmten Kulturgemeinschaften entwickeln konnten. „Es ist typisch, daß die neue Variabilitätslehre in einem anderen Land ihre Heimat fand als die klassische Bakteriologie, sie fühlt sich am besten im traditionsarmen Amerika und wird am meisten bekämpft im Vaterlande Kochs … (Fleck 1980, 123). In diesem Zusammenhang weist Fleck zudem auf folgende interkulturelle Unterschiede der Exaktheit des Fachsprachengebrauchs hin: „Sie (die Differenz der ,Exaktheit‘) ist viel größer, wenn es sich um Physiker und Philologen handelt, noch viel größer zwischen dem Denkstil des modernen europäischen Physikers und eines chinesischen Arztes oder eines

Kabbala-Mystikers …“ (Fleck 1980, 142). Somit wird deutlich, daß das Phänomen der Exaktheit in seiner Vielschichtigkeit nur durch eine interdisziplinäre Betrachtung der Fachkommunikation erfaßt werden kann.

9.

Literatur (in Auswahl)

Baumann 1981 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Linguostilistische Untersuchungen zu englischen Fachtexten der Historiographie. Diss. Leipzig 1981. Baumann 1990 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Ein komplexes Herangehen an die Untersuchung von Normen in der Fachkommunikation. In: Empfehlung, Standard, Norm. Hrsg. v. Lothar Hoffmann. Leipzig 1990 (Linguistische Studien), 70⫺84. Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 18). Fleck 1980 ⫽ Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache: Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Frankfurt/M. 1980. Fluck 1991 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 4. Aufl. Tübingen 1991 (Uni-Taschenbücher 483). von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung, linguistische Konzepte, betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Hoffmann 1984 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2., überarb. Auflage. Berlin 1984 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Kolschanski 1985 ⫽ G. W. Kolschanski: Kommunikative Funktion und Struktur der Sprache. Leipzig 1985. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Moskalskaja 1984 ⫽ Olga Iwanowna Moskalskaja: Textgrammatik. Leipzig 1984. Roelcke 1991 ⫽ Thorsten Roelcke: Das Eindeutigkeitspostulat der lexikalischen Fachsprachensemantik. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 19.2, 1991, 194⫺208. Skudlik 1990 ⫽ Sabine Skudlik: Sprachen in den Wissenschaften. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 10). Trimble/Trimble/Drobnic 1978 ⫽ Mary Todd Trimble/Louis Trimble/Karl Drobnic (Hrsg.): English for Specific Purposes: Science and Technology. Oregon 1978. Wüster 1970 ⫽ Eugen Wüster: Internationale Sprachnormung in der Technik, besonders in der Elektrotechnik. 3., erg. Auflage. Bonn 1970.

Klaus-Dieter Baumann, Leipzig

378

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

35. Vagheit bei der Verwendung von Fachsprachen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Vorwissenschaftliche Einstellung Übersicht Definition Abgrenzungen Pinkals Taxonomie von Vagheit Praxis und Konsequenzen Literatur (in Auswahl)

1.

Vorwissenschaftliche Einstellung

In der Fachsprachenpraxis, ja selbst innerhalb der Fachsprachenforschung wird noch gelegentlich die These vertreten, der kommunikative Unterschied zwischen Fachsprache und Gemeinsprache bestehe in der Hauptsache in ihren gegensätzlichen Eigenschaften Exaktheit und Vagheit: Die Fachsprache sei exakt, während die Gemeinsprache noch mit viel Vagheit und Inexaktheit auskomme. Dieses weitverbreitete Fehlurteil (basierend teils auf der analytischen Philosophie des Jahrhundertbeginns) hat hauptsächlich drei Gründe: Es beruht einerseits darauf, daß die Vagheit, von Ausdrücken „fachlicher Umgangssprache“ abgesehen, in fachsprachlichen Texten nicht gesehen wird, wie Schmitt (1986) gezeigt hat. Dem stimmen auch z. B. Fachübersetzer noch weitgehend zu. Andererseits beruht das Fehlurteil wohl darauf, daß Exaktheits- und Explizitheitsabsicht mit linguistischer, logischer oder kommunikativer Exaktheit gleichgesetzt wird. Des weiteren spielt sicher eine Rolle, daß etwa in der Terminologiearbeit (Arntz/Picht 1989) sehr großer Wert auf eine zielgerichtete und methodische Vorgehensweise beim Aufbau einer Terminologie oder Nomenklatur gelegt wird, um Vagheit zu vermeiden. Dabei wird übersehen, daß der Gebrauch solcher Terminologie aber meist ganz anderen Gesetzen folgt. Nach Fraas (1989) begünstigt man durch einen übertriebenen Systemund Exaktheitsanspruch „einseitig eine ganz bestimmte Lehrmeinung und benachteiligt und unterdrückt sogar alle anderen hiervon abweichenden Denkansätze“. So kann man sicher nicht sagen, daß in Fachgebieten, die über eine gut organisierte und stabile Terminologie verfügen, die Fachsprache dieses Feldes damit in allen Gebrauchsweisen exakt sei. Es bestehen darüber hinaus auch begründete Zweifel daran, ob es überhaupt Äußerungen gibt, die per se exakt sind, wie die „Philosophie der normalen Sprache“ deutlich gezeigt hat.

Der hier umgangssprachlich benutzte Begriff der Vagheit wird im folgenden als Unbestimmtheit geführt, um die weitgehend akzeptierte Terminologie von Pinkal nicht erneut umzudefinieren. Obwohl die verschiedenen Typen von Unbestimmtheit sich in bezug auf ihre situative Präzisierbarkeit unterschiedlich verhalten, spielt das bei der fachsprachlichen Verwendung oft nicht die zentrale Rolle; sie seien daher hier zusammen aufgeführt.

2.

Übersicht

Der folgende Artikel behandelt die Phänomene der Unbestimmtheit in Fachsprachen, und zwar von einem eher angewandten Standpunkt aus. Dabei werden vor allem die Kontextabhängigkeit von Äußerungen ebenso wie alle Phänomene der semantischen Unbestimmtheit behandelt. Die Darstellung folgt von der Sache und der Gliederung des Problemkreises her sehr eng der hervorragenden Zusammenfassung in Pinkal (1985a), die auch für weitere Verweise zur Lektüre empfohlen wird. (Vgl. auch Art. 36.)

3.

Definition

Unbestimmt ist ein Ausdruck dann, wenn ihm nur unter bestimmten Bedingungen ein Wahrheitswert „wahr“ oder „falsch“ zugewiesen werden kann. Solche Bedingungen können semantischer oder pragmatischer Natur sein.

4.

Abgrenzungen

Die folgenden Phänomene werden in der Literatur nicht unter Vagheit oder Unbestimmtheit verhandelt, sollen aber der Abgrenzung halber wenigstens genannt werden. 4.1. Vagheit und Unsinnigkeit Unsinnig im umgangssprachlichen Gebrauch einer „unsinnigen Frage“ sind solche Äußerungen, die Präsuppositionsverletzungen enthalten Hat Abteilung 2b aufgehört, für dieses Produkt zu werben? (Mit der Situation: Abt. 2b hat nie für irgendetwas geworben, denn es ist der Einkauf) oder Sortenverstöße darstellen: Ist das Lösungsmittel groß oder klein?

379

35. Vagheit bei der Verwendung von Fachsprachen

Derartige Äußerungen oder Fragen sind nicht vernünftig direkt zu beantworten. Man würde in beiden Fällen, in der Annahme, daß eine kommunikativ wirksame Äußerung beabsichtigt ist, mit einer Rückfrage oder Richtigstellung reagieren: Wie meinen Sie das? X hat doch gar kein Z. 4.2. Vagheit und Ungewißheit Viele Aussagen entziehen sich einer klaren Bewertung, da sie z. B. erst in der Zukunft liegen (Unsere Firma erzielt im nächsten Jahr 5% mehr Umsatz) oder aus Gründen ungeklärter oder nicht klärbarer Fakten, wie etwa bei wissenschaftlich ungeklärten Sachverhalten. Hier liegt das kommunikative Problem darin, daß man über das Eintreffen des Faktums unsicher sein muß oder verschiedener Meinung über dessen Wahrscheinlichkeit sein kann. Die Aufforderung, weniger vage zu sein, erscheint fruchtlos. 4.3. Vagheit und Allgemeinheit Spezifischer im Gegensatz zu präziser ist ein Ausdruck, in dem niedrigere Klassen verwendet werden: Hund⫺Dackel, Schiff⫺Segelschiff. Dasselbe gilt von dem Gegensatzpaar „vage/allgemein“. Vage ist: nicht präzise und allgemein ist: nicht spezifisch (Pinkal 1985a, 48). 4.4. Vagheit und Verständlichkeit Ein Mißverständnis ist weit verbreitet: Vagheit behindere die Kommunikation. Das ist nicht einmal als Tendenzaussage zutreffend, denn der Vorteil oder Nachteil von Vagheit bestimmt sich aus den kommunikativen Randbedingungen, nicht aus den Eigenschaften isolierter linguistischer Einheiten. So besteht oft sogar ein positiver Zusammenhang zwischen Verständlichkeit und Vagheit: In einer Fachdiskussion kann es ausgesprochen nützlich sein, zur Herstellung eines einheitlichen Kenntnisstandes zunächst sehr unbestimmt zu bleiben und dann im weitern Verlauf der Diskussion zu immer präziseren Formulierungen überzugehen. Gerade Arbeitsgespräche in Gruppen gehen typischerweise so vor, daß ausgehend von sehr allgemeinen Aussagen die Redeweise immer enger und durch Vereinbarungen (Ich nenne das jetzt einmal die Schmidtsche Lösung 2.) immer exakter wird. Dieses trichterartige Vorgehen innerhalb derselben Sprache wird gerade dadurch ermöglicht, daß auch die Fachsprache unscharfe, vage

oder unexakte Ausdrücke zuläßt und zwischen verschiedenen Exaktheitsebenen virtuos gewechselt werden kann. Man könnte die Vermutung äußern, daß innovatives problemlösendes Sprachverhalten genau mit dieser Fähigkeit verbunden ist. Oft macht auch der Fachmann die Erfahrung, daß, befindet er sich auf einer zu tiefen Ebene der Exaktheit, die Sicht auf Innovationen geradezu verstellt ist. Dasselbe gilt für die Randbereichsunschärfe. Interessant ist das folgende durchaus realistische Beispiel: (a) Der Umbau der Anlage kostet mehr als 7.000,⫺ DM. gegenüber: (b) Der Umbau der Anlage kostet etwas mehr als 7.000,⫺ DM. (b) ist linguistisch und logisch gesehen unschärfer („etwas mehr“), kommunikativ aber klarer, denn (b) schränkt den nach oben offenen Wahrheitsbereich von (a) („mehr“) zwar unscharf, aber dennoch deutlich ein. In einem Transfertext zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit kann ein wissenschaftlich exakter Ausdruck sogar zur Behinderung der Kommunikation werden.

5.

Pinkals Taxonomie von Vagheit

Die graphische Zusammenstellung 35.1 enthält im unteren Teil die Taxonomie der semantischen Unbestimmtheit von Pinkal, daher ist der Begriff der Vagheit dort für ein bestimmtes Phänomen reserviert. 5.1. Illokutive Unbestimmtheit Hier ist der Sprechakttyp nicht festgelegt. Wir werden im nächsten Jahr unsere Einnahmen um 5% steigern! Es ist nicht klar, ob das ein Versprechen, eine Warnung, eine Vermutung oder ein Scherz ist. 5.2. Uninformativität Die Aussage ist so allgemein, daß sie keine sinnvolle Reaktion erlaubt: Patienten haben Krankheiten ist im wörtlichen Sinne uninformativ; meistens würde man einen solchen Satz in einem übertragenen Sinne verstehen (etwa Das Krankenhaus hat seine Pflichten am Patienten). Uninformative Aussagen verstoßen gegen die Grice’sche Maxime, nur so viel und so wenig Information zu geben, wie zur Zeit benötigt wird.

380

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

Abb. 35.1: Taxonomie der Vagheit

5.3. Homonymie Wörter wie Schloß oder Bank haben mehrere, normalerweise nicht als zusammengehörend verstandene Bedeutungen. Es ist freilich die Frage, ob Ambiguitäten durch Homonymie in demselben Kontext überhaupt vorkommen, es also Situationen gibt, in denen man Bank als Geldinstitut und Sitzgelegenheit mißverstehen kann.

5.4. Polysemie Gericht ist ein polysemer Ausdruck in dem Sinne, daß er den Vorgang zu Gericht sitzen, aber auch das Gerichtsgebäude, die Institution oder ein Gremium meinen kann. 5.5. Syntaktische Ambiguität Verschrauben Sie den Schwenkarm mit der Führung am Gehäuse kann entweder bedeu-

381

35. Vagheit bei der Verwendung von Fachsprachen

ten, daß der Schwenkarm eine Führung hat oder aber das Gehäuse. Das Problem ist in der Literatur bekannt als „PP-attachment“. In eher semantische Richtung geht das Beispiel: Alle Ärzte haben einen Feind. Dort ist der Skopus von alle und ein unklar (jeweils einen oder alle zusammen einen einzigen). Des weiteren ist hier über Pinkals Taxonomie hinaus anzumerken, daß vergleichbare Ambiguitäten natürlich auch auf der Textebene auftreten. Kohärenzmerkmale sind bekanntermaßen nicht eindeutig und der Zusammenhang zwischen zwei Sätzen kann somit unbestimmt sein. 5.6. Referenzielle Vieldeutigkeit Hier sind besonders deiktische Ausdrücke als potentiell mißverständlich zu nennen. Außerhalb der originären Situation können indexikalische Ausdrücke wie ich, hier, auf der vorigen Seite oft nicht eindeutig zugeordnet werden. 5.7. Elliptische Vieldeutigkeit Die Firma hat geliefert ist ohne den Kontext einer konkreten Bestellung nicht eindeutig. Mehr noch tritt die Schwierigkeit auf, wenn elliptische Nachfragen aus dem Kontext gerissen werden: Zum Verständnis von den auch? muß außer der Pronomenauflösung die Aktion des Vorgängersatzes verfügbar sein. Eine Ankündigung: Tropenhölzer demnächst erheblich teurer läßt offen, ob gegenüber einheimischen Hölzern oder gegenüber dem bisherigen Preis verteuert wird. Diese Mehrdeutigkeit ist typisch für den normalen Gebrauch von Steigerungsformen. Im Zweifelsfalle muß also immer die Bezugsgröße hinzugenommen werden. 5.8. Metaphorische Doppeldeutigkeit Blatt kann in bestimmten Kontexten sowohl für eine Zeitung als auch nur eine Seite davon benutzt werden. 5.9. Porosität Ist eine Substanz, die in allen chemischen und physikalischen Eigenschaften mit Gold übereinstimmt, dazu aber eine unbekannte Strahlung emittiert, Gold? (Pinkal 1980, 14). In Forschung und Entwicklung kommen solche Fälle häufig vor. Die Begrifflichkeit und damit die Terminologie eines Gebiets wird bei zunehmender Erkenntnis zwangsläufig porös. Der Begriff deckt also nicht mehr alle Erkenntnisse ab. Das macht sich darin bemerkbar, daß wichtige Forschungsfortschritte in der Regel nicht nur zu einer reinen Auffäche-

rung des Gebiets führen, sondern zu einer Reorganisation der Terminologie auch auf höheren Ebenen. Mit anderen Worten: Durch Forschung werden Fachbegriffe porös und entsprechend muß die Terminologie auch für die Oberbegriffe rekursiv aufsteigend neu festgelegt werden. 5.10. Relativität Groß ist für eine Nadel etwas anderes als für ein Sonnensystem. An absoluten Meßdaten läßt sich der Ausdruck groß sicher nicht vereinheitlichen, sondern eher an Typen oder Handlungssituationen. 5.11. Inexaktheit Adjektive wie rund oder rechteckig sind nur in Alltagszusammenhängen exakt. Unter dem Mikroskop mag ein runder Gegenstand alles andere als rund sein. Dasselbe gilt für die meisten Zahlangaben: Der Sperrbügel ist 1,20 m breit gilt sicher nicht, wenn man zehnstellige Maße angeben muß. Die Aussage: Die Firma hat uns ein neues Angebot geschrieben ist nur dann exakt, wenn über dem Schreiben genau steht: Neues Angebot. Für den fachsprachlichen Umgang wird aus diesen Beispielen klar, daß es keine Exaktheit per se gibt, sondern nur in durch Usus oder Vereinbarung gegebenen Grenzen der Exaktheit. Die Granularität des Ausdrucks, der Grad der nötigen und möglichen Exaktheit, kann in einem fachlichen Gespräch dynamisch redefiniert werden. 5.12. Randbereichsunschärfe Komplexe Sachverhalte, speziell Prozeßabläufe, lassen sich durch einfache Graphen nicht mehr ohne weiteres darstellen, hier bieten z. B. Petri-Netze eine geeignete Methode. Eine solche Aussage ist in bezug auf komplexe Sachverhalte, einfache Graphen und ohne weiteres randbereichsunscharf: Was genau noch darunter gefaßt werden kann, ist nicht festlegbar. Auch im folgenden Beispiel ist späteres Stadium und am Hals unscharf: Im späteren Stadium der Krankheit kommt es zu einer auffälligen Rötung am Hals.

6.

Praxis und Konsequenzen

Es ist klar, daß Vagheit für Sprache überhaupt, somit auch für Fachsprache konstitutiv und nötig ist. Die präzise sprachliche Kommunikation in konkreten Situationen wird durch eine vereinbarte Terminologie si-

382

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

cher erleichtert und durch die Beachtung von Explizitheitsregeln eindeutiger gemacht. Dadurch lassen sich eine große Zahl der Schwierigkeiten mit unbestimmten Ausdrücken umgehen, wenn sich auch die Vagheit nicht grundsätzlich eliminieren läßt. Besondere Bedeutung erhält die Sorgfalt bei der Wahl der sprachlichen Mittel durch zwei Faktoren der modernen Industriegesellschaften: Einerseits ist die Vagheitsdiskussion heute nicht mehr auf nur eine Sprache beschränkt, sondern muß, zumal bei solchen technischen Schriften, für die Übersetzungen absehbar sind, auch für die Zielsprachen oder wenigstens für die potentielle Mehrsprachigkeit geführt werden. Einen interessanten, wenn auch rigiden Versuch hat die AECMA (Association Europe´enne des Constructeurs de Mate´riel Ae´rospatial) mit ihrem Simplified English unternommen, indem sie die Textproduktion durch terminologische, syntaktische, textuelle und stilistische Regeln stark einschränkt. Dieser Vorschlag führt zu einem zweiten Faktor der modernen Entwicklung: Besonders im technischen Bereich wird der Anteil der maschinell übersetzten Texte in Zukunft stark ansteigen (bereits 1994 in der EU 140.000 Seiten). Bei der Wahl der sprachlichen Mittel ist unter diesem Aspekt besonders auf Explizitheit, Umgehung von Vagheit (wo möglich) und Unabhängigkeit von spezifischen Kontexten zu achten. Es wäre denkbar, daß durch die Verbesserung und den verstärkten Einsatz von Multimedia-Techniken in der Zukunft die Vagheit und die Unbestimmtheit von indirekter Kommunikation zufriedenstellend eingeschränkt werden kann, da dann mehr einschränkende Kontexte aus parallelen Medien zum korrekten Verstehen vorliegen.

7.

Literatur (in Auswahl)

AECMA/AIA 1989 ⫽ Association Europe´enne des Constructeurs de Mate´riel Ae´rospatial and Aerospace Industries Association: Simplified English. A Guide for the Preparation of Aircraft Maintenance Documentation in the International Aerospace Maintenance Language, Chance 5. Paris 1989. Arntz/Picht 1989 ⫽ Reiner Arntz/Heribert Picht: Einführung in die Terminologiearbeit. Hildesheim. Zürich. New York 1989 (Studien zu Sprache und Technik 2). Arntz 1986 ⫽ Reiner Arntz: Terminologievergleich und internationale Terminologieangleichung. In: Snell-Hornby 1986, 283⫺310.

Ballmer/Pinkal 1983 ⫽ Thomas T. Ballmer/Manfred Pinkal: Approaching Vagueness. Amsterdam. New York. Oxford 1983 (North Holland Linguistic Series 50). Berman/Hestvik 1992 ⫽ Steve Berman/Arild Hestvik: Proceedings of the Stuttgart Ellipses Workshop 1992, Stuttgart 1992 (Sprachtheoretische Grundlagen für die Computerlinguistik ⫺ Papiere des SFB 340 ⫺ Bericht 29). Drozd 1979 ⫽ Lubomir Drozd: Zum Eineindeutigkeitsprinzip. In: Fachsprachen I. 1979 (Sonderheft), 30⫺32. Hüllen 1984 ⫽ Werner Hüllen: Bischof John Wilkins und die Fachsprachen unserer Zeit. In: Fachsprachen 6. 1984, 115⫺122. Ickler 1987 ⫽ Theodor Ickler: Objektivierung der Sprache im Fach ⫺ Möglichkeiten und Grenzen. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 29⫺38. Pinkal 1980/81 ⫽ Manfred Pinkal: Semantische Vagheit: Phänomene und Theorien. Teil I/II. In: Linguistische Berichte 70/72, 1⫺26. Pinkal 1985a ⫽ Manfred Pinkal: Logik und Lexikon ⫺ Die Semantik des Unbestimmten. Berlin. New York 1985. Pinkal 1985b ⫽ Manfred Pinkal: Kontextabhängigkeit, Vagheit, Mehrdeutigkeit. In: Handbuch der Lexikologie. Hrsg. v. Christoph Schwarze und Dieter Wunderlich. Königstein/Ts. 1985, 27⫺63. Pinkal 1989 ⫽ Manfred Pinkal: Imprecise Concepts and Quantification. Hamburg 1989. Rieger 1989 ⫽ Burkhard B. Rieger: Unscharfe Semantik: Die empirische Analyse, quantitative Beschreibung, formale Repräsentation und prozedurale Modellierung vager Wortbedeutungen in Texten. Frankfurt/M. 1989. Roelcke 1991 ⫽ Thorsten Roelcke: Das Eineindeutigkeitspostulat der lexikalischen Fachsprachensemantik. In: Germanistische Linguistik 19. 1991, 194⫺208. Schmitt 1986 ⫽ Peter A. Schmitt: Die „Eindeutigkeit“ von Fachtexten: Bemerkungen zu einer Fiktion. In: Snell-Hornby 1986, 252⫺282. Snell-Hornby 1986 ⫽ Mary Snell-Hornby (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft ⫺ eine Neuorientierung: zur Integrierung von Theorie und Praxis. Tübingen 1986 (UTB 1415). Wichter 1988 ⫽ Sigurd Wichter: Signifikantgleiche Zeichen. Untersuchungen zu den Problembereichen Polysemie, Homonymie und Vagheit auf der Basis eines kommunikativen Zeichenbegriffs am Beispiel deutscher Substantive, Adjektive und Verben. Tübingen 1988 (Tübinger Beiträge zur Linguistik 160). Wolski 1980 ⫽ Werner Wolski: Schlechtbestimmtheit und Vagheit ⫺ Tendenzen und Perspektiven: Methodologische Untersuchungen zur Semantik. Tübingen 1980 (Reihe Germanistische Linguistik 28).

Walther von Hahn, Hamburg

36. Das Postulat der Explizitheit für den Fachsprachengebrauch

383

36. Das Postulat der Explizitheit für den Fachsprachengebrauch 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einleitung Definition Typologie der Explizierung Explizierungsregeln Praxis Nichtsprachliche Daten Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung

Explizitheit ist eine Folge des Bedürfnisses nach Genauigkeit in den Fachsprachen. Beispiel: Er ist fertig. Diese Äußerung ist stark implizit, denn sie läßt (in der hier aufgeschriebenen Umgebung) kein definites Verstehen eines Lesers (genau dieser Zeile) darüber zu, wer den Satz gesprochen hat und mit was der Sprecher fertig ist oder zu welchem Zweck der Satz geäußert wurde. Explizit ist der Satz dann, wenn wir diese Information hinzusetzen: Chemiker A sagt während eines gemeinsam durchgeführten Versuchs zu dem wartenden Chemiker B, daß er fertig sei, wodurch er anzeigt, daß der Tiegel die von B für dessen Versuch gewünschte Temperatur erreicht hat. Ist man dagegen Teilnehmer oder Zeuge der in dem expliziten Text geschilderten Szene, so ist der erste, implizite Text vollständig und angemessen, dagegen der zweite kommunikativ stark abweichend, da er fast nur Dinge nennt, die allen Beteiligten bereits bekannt sind. Nun kann man fragen, ob nicht auch die genaue Äußerungszeit und der Ort in den expliziten Satz gehören, da beides im impliziten Satz auch nicht genannt wird. Eine absolute Antwort läßt sich hier nicht geben, denn offensichtlich kann man beliebig viel weiteres Wissen aus der gegebenen Situation in den Satz aufnehmen, ohne an ein Ende zu kommen. Explizitheit ist offenbar wie Implizitheit eine graduelle Eigenschaft, die wiederum von anderen Größen der Kommunikation abhängt. Explizitheit kann damit keine isolierte und absolute Forderung an Fachkommunikation bei jeder der Vorkommensweisen von Fachsprache sein, sondern eine kontextuell gebundene Forderung, die besonders bei abstrakter Kommunikation, d. h. solcher mit großer räumlicher oder zeitlicher Dilation (von Hahn 1983, 78 f) eine Rolle spielt.

2.

Definition

Explizitheit ist eine abgestufte Eigenschaft von Texten. Explizite Texte projizieren den Kontext (möglichst) vollständig in den Text. Sie explizieren damit alle Kontextbindungen im Text selbst. Als Kontext soll dabei gelten, „was irgendeinen Einfluß auf den möglichen Sinn der Äußerung besitzt: die Kommunikationsteilnehmer in ihren spezifischen Rollen, Sprechzeit und Ort der Äußerung, der sprachliche Vorkontext, die gestische Begleitung der Äußerung, die unmittelbare Umgebung der Kommunikationsteilnehmer, ihre augenblickliche Verfassung, ihre Vorgeschichte, dazu beliebige und beliebig weit entfernte physische, soziale und historische Fakten ⫺ kurz gesagt, die ganze Welt relativ zum Äußerungsereignis“ (weite Teile des Abschnitts basieren auf Pinkal 1985, 56 ff). Explizitheit setzt also voraus, daß 1. etwas Genaues gemeint ist (situativ oder kontextuell gebunden ist) und 2. man etwas explizit machen kann. Der Effekt expliziter Texte ist ihre isolierte Verständlichkeit auch außerhalb des Kontextes ihrer Produktion. Explizite Texte sollen also zum gleichen Resultat führen wie die impliziten Texte mitsamt ihren „natürlichen“ Kontexten. Explizitheit als gelegentlich erstrebte Eigenschaft von Fachtexten wird auf der anderen Seite bezahlt mit Länge, Umständlichkeit und Redundanz des Textes. In bezug auf die natürlichen Kontexte sollten in der Regel die Grice’schen Maximen (Grice 1975, 41 ff) berücksichtigt sein und Texte daher genau den Informativitätsgrad haben, der in einer bestimmten Kommunikationssituation zum Erfolg nötig ist. Damit erhalten wir eine Bindung der Explizitheit an die Informativität. Explizitheit muß unterschieden werden von der Ausdrücklichkeit, der Vollständigkeit, der Präzision und der Spezifiziertheit eines Textes. Unter Ausdrücklichkeit verstehen wir die redundante Nennung des gleichwohl vorhandenen Kontexts, um dessen Bindung gegenüber Mißverständnis, Mißinterpretation oder Übersehen zu sichern („Es sei ausdrücklich betont, daß Ausdrücklichkeit nicht synonym mit Explizitheit ist“).

384

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

Als Vollständigkeit bezeichnen wir neben der (syntaktischen oder semantischen) Lükkenlosigkeit die angemessene Explizitheit eines Textes. Ein vollständiger Text ist also ein in einer speziellen Kommunikationssituation ausreichend expliziter (oder: nicht zu impliziter) Text. Präzise ist ein Text, wenn er nicht vage ist. Vage kann ein Text dadurch werden, daß er in seinem Wahrheitswert trotz genauer Kenntnis der Umstände nicht festlegbar ist. Das Ideal der Präzision von Fachtexten wird also erreicht durch Entfernung vager Ausdrücke, nicht durch Explizierung (Pinkal 1985, 48). Allerdings ist aus der Definition auch ersichtlich, daß vage Texte oft unvermeidlich sind. Ein Text höherer Spezifität (geringerer Allgemeinheit) entsteht, wenn seine Aussage an eine niedrigere Klasse von Entitäten gebunden wird, z. B. Hund → Dackel, Schiff → Segelschiff → Segelschulschiff. Explizit machen kann man vor allem den Kontext einer bivalenten (wahren oder falschen) Aussage. Dennoch kann man auch vage Aussagen explizieren. Man kann z. B. den Charakter der polyvalenten Semantik klären („Unter dieser Bedingung ist das so, unter einer anderen nicht so, das kommt drauf an, das ist nicht entscheidbar“, etc). Keiner weiteren Kontrastierung bedürfen nur entfernt verwandte Termini wie: Korrektheit oder Konkretheit.

3.

Typologie der Explizierung

Einleuchtend ist, daß die Explizitheit, wo die Forderung danach besteht, zunächst die Proposition betrifft. Dabei gibt es Explizitheitsforderungen auf fast allen sprachlichen Ebenen. Die folgenden Beispiele sollen das verdeutlichen: 3.1. Morphologie Abkürzungen müssen in bestimmten Situationen expliziert werden, da sie nicht kontextinvariant aufgelöst werden können. ASL ist allein im Wissenschaftsbereich sowohl ein deutsches Technologieprojekt (Architekturen für Speech- und Language-Systeme) als auch die amerikanische Gebärdensprache (American Sign Language). Die in der Arbeitssprache oft vorgenommene, in zahllosen Veröffentlichungen seit Ischreyt (1965) besprochene, Kürzung

von Zusammensetzungen muß unter einigen Kommunikationsbedingungen vermieden werden. 3.2. Lexikon Die Benutzung der korrekten Terminologie (mit ihren Abstufungen) kann ein Explizitheitsgebot sein ebenso wie die Berücksichtigung von Normen (etwa der technischen oder sprachlichen Gestaltung). So wird eine eingebürgerte „Inhouse-Terminologie“ bei Dokumenten, die für Außenkontakte vorgesehen sind, vermieden. Sicherlich kann es auch zu den Geboten der Explizitheit gehören, die Terminologie eines Textes eindeutig einem bestimmten Fachgebiet zuzuordnen, da dieses den Kontext für eine eindeutige Interpretation darstellen kann. So ist vielfach darauf hingewiesen worden, daß der Terminus Frosch nur bei Fachgebietsbindung eindeutig ist (vgl. VDI 1980). In der Terminologie spielt außerdem die Frage der Synonyme eine große Rolle. Die Frage sei hier nur soweit aufgegriffen, als unter bestimmten situativen Bedingungen entweder die Elimination von Synonymen notwendig sein kann, oder deren ParaphraseCharakter ausdrücklich festgestellt werden muß. Andernfalls bleibt die Synonymiebeziehung eine (implizite und vielleicht fälschliche) Vermutung des Hörers/Lesers. Es wird bei alledem klar, daß die Explizitheit keine isolierte lexikalische Eigenschaft ist und daher bei der Schaffung der Terminologie eines Fachs keine unmittelbare Rolle spielt, da diese nicht durch Äußerungskontexte gebunden sein kann. Auf dem Übergang zur semantischen Ebene stehen die Proformen. Sie können durch Ersetzen mit dem Referenten expliziert werden. Beispiel: Gegenüber:

Das muß von dieser Abteilung jetzt umgesetzt werden. Die Erkundung möglicher Marktsegmente muß von der Marketing-Abteilung bereits ab 1. 5. untersucht werden.

Ein ähnlicher Fall kann bei einem Pro-Verb entstehen: Es ist durchaus nicht sicher, daß die gesamte Semantik und Pragmatik durch die Proform referiert wird. Können Sie das für den Versand vorbereiten? Ja, tu ich! gegenüber: .... . Ja, ich werde die Papiere fertigmachen und die Teile packen lassen.

36. Das Postulat der Explizitheit für den Fachsprachengebrauch

Einen günstigen Effekt auf die isolierte Verständlichkeit auch relativ expliziter Texte hat darüber hinaus ihr Spezifitätsgrad (s. o.). 3.3. Syntax Syntaktische Explizitheit besteht vor allem in der Vermeidung von Ellipsen. Ellipsen wie auch im Labor? oder die Fußnote: * gilt auch für gebundene Variablen sind nur aus der unmittelbaren Kenntnis des verbalen (und nonverbalen) Kontexts heraus verständlich (Berman/Hestvik 1992). Ähnliches gilt für satzwertige Antworten (Ja!, nein! Ja, geht in Ordnung). Solche Einwort-Antworten sind eigentlich ohne den Kontext elliptisch, außerdem ist gelegentlich unklar, auf welche Ebene des Fragesatzes sich die Bestätigung bezieht (Sprechakt, Proposition, incl. Präsuppositionen oder Implikaturen oder nur Teile davon), besonders dann, wenn diese Sätze bereits eine Negation enthalten. 3.4. Semantik Die explizite Nennung von Referenten anstelle der Pronominalisierung ist weiter oben genannt worden. Es sei hier nachgetragen, daß es Referenzierungsfälle gibt, die sich syntaktisch gar nicht (nicht einmal ambig) lösen lassen: Eine Referenz auf eine Implikatur (s. u.) muß, wenn situativ angezeigt, unbedingt expliziert werden: Der Vorstand veräußerte zwei firmeneigene Grundstücke. Davon wurden notwendige Investitionen getätigt. Oder: Viele mittelständische Betriebe haben nur kleine Mengen Abwässer zu reinigen. Wir sind spezialisiert auf solche Geräte. Zum Beispiel in einem Rechtsstreit können implizite Formulierungen dieser Art unangebracht oder gar riskant sein. Das Beispiel kann man verallgemeinern auf eine in einer Situation gegebene „Inferenzumgebung“: Werden in einem Text bestimmte übliche (z. B. personen-, fach-, regiongebundene) Schlußfolgerungsmethoden angewendet, so sind diese in anderen Situationen zu explizieren. Über Implikaturen hinaus ist also auch mit bestimmten Methoden der Erschließung von neuen Aussagen aus gegebenen in bestimmten Situationen zu rechnen, die unter veränderten Bedingungen nicht mehr eindeutig nachvollziehbar bleiben, daher expliziert werden müssen (z. B.

385

Benutzung eines Textes aus dem Rechnungswesen in der Produktplanung ohne Übernahme der „Logik“ des Ursprungsfachs). In der Adjektivsemantik kann ein Konflikt besonders bei Komparativen entstehen: Die kleinere Lösung wurde nach einiger Diskussion für die bessere gehalten. Eine Explizierung ist durch Angabe von Bezugsgrößen oder Typen (Prototypen) möglich (Pinkal 1985, 54 ff): Das obige Beispiel muß expliziert werden durch Ausdrücke wie: in bezug auf, verglichen mit, gemessen an, für, gegen, … Der wichtigste explizierbare Bereich in der Semantik sind die Präsuppositionen und Implikaturen eines Textes. Neben den existentiellen Präsuppositionen sind es Sortenpräsuppositionen und solche bestimmter Verben. Beispiel: Schieben Sie zunächst den Netzschalter in „Aus-Stellung“. Gegenüber: Das Gerät hat auf der linken Seite einen roten Netzschalter. Falls Sie das Gerät eingeschaltet hatten, schieben Sie zunächst den Netzschalter in „Aus-Stellung“. Implikaturen sind solche Teile der Äußerung, die unter normalen Konversationsbedingungen von Hörern unabhängig vom Wahrheitswert der Proposition mitverstanden werden. Will man solche (oft unkontrollierten) Annahmen unterbinden, muß man sie explizit außer Geltung setzen. Nach Gebrauch muß das Gerät stets ausgeschaltet werden. Es besitzt keinen Netzschalter, sondern es wird durch den eingegebenen Befehl „Stop“ ausgeschaltet. Hier wird die Implikatur [Ausschalten setzt einen Ausschalter voraus] außer Geltung gesetzt. In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag von Fraas (1989), terminologische Lexika als Netze zu organisieren und damit die Vererbung von Eigenschaften höherer Konzepte/Termini auszunutzen. Daß das als adäquat empfunden wird, zeigt, daß es offenbar auch bei Sprechern und Hörern eine Vererbungsstruktur gibt, die impliziert, aber nie expliziert wird. An dieser Stelle sei auf den Begriff der Selbstdeutigkeit von Komposita (Zhu 1987, 131) oder Mehrwortlexemen eingegangen. Man versteht darunter die wünschbare Erschließbarkeit der Bedeutung eines Terminus

386

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

und einer Stelle in einem Begriffssystem aus seiner Oberflächenform. Es ist allerdings eine Fiktion, daß in einem absoluten Sinne Selbstdeutigkeit erreichbar sei, da man 1. den Benennungsaspekt (die Dimension in Pinkals Sinne) nicht festlegen kann und 2. die Relationen einer Begriffshierarchie (außer Sub/ Superkonzept) in einem Kompositum oder Mehrwort-Terminus nicht expliziert werden können. Zudem sind bei einer ausgearbeiteten Begriffshierarchie die Pfade für eine Explizierung viel zu lang (Man braucht im Idealfall so viele Kompositionsglieder/Wörter wie Kanten in der Hierarchietiefe). Davon unberührt bleibt freilich die sinnvolle Forderung, durch Aufnahme der Bezeichner der wichtigsten Begriffs-„Stationen“ in den komplexen Terminus mnemotechnisch günstige Benennungen zu bilden. 3.5. Text-Ebene Zu den wichtigsten Explizitheitsmerkmalen in fachlichen Texten gehört die formale, d. h. äußere Darstellung eines Textes entsprechend der inhaltlichen und logischen Gliederung. Kapitelgliederungen, Absätze, satztechnische Auszeichnungen und sog. Einbettungs- und Deklarationstechniken (von Hahn 1985, 122 f) können als eine Explizierung von natürlichen Kontexten aufgefaßt werden: Ein vorangestelltes Dokumentbeschreibungsblatt bei einem firmeninternen Papier situiert z. B. den folgenden Text und gibt ihm pragmatische Instruktionen mit. Die fortlaufende Kennzeichnung der Seiten mit dem Firmenlogo expliziert die fortdauernde Gültigkeit solcher Deklarationen. Die Gliederung macht durch die Dezimalklassifikation der Überschriften den Skopus der jeweiligen Aussagen deutlich, denn die Aussagen der wenigerstelligen Kapitel gelten für die höherstelligen eingebetteten Abschnitte. Ein Gebot der Explizitheit kann ebenso die Markierung der textuellen Kohärenz sein. Hier muß allerdings differenziert werden zwischen der Markierung von logischen Konnektionen zwischen Sätzen einerseits und dem Gebrauch von kohärenzkonstituierenden Anaphora und Kataphora andererseits. Während erstere eine beabsichtigte Relation zwischen Sätzen expliziert, können anaphorische Ausdrücke zwar die Sätze verbinden, aber gerade durch implizit weiter geltende Referenzen. Hier ist im Sinne der Explizitheit eher die rekurrente Wortform nötig, um die Dereferenzierung zu erleichtern (s. o. das Bei-

spiel zur Pronominalisierung in Gesetzestexten). Explizitheit kann man auf dieser Ebene auch erreichen durch textuelle „Modularisierungstechniken“: Teiltexte stehen zueinander in einer Explizierungsrelation (siehe DRSs in Kamp/Reyle 1991) dadurch, daß der erste Teil eine Explizierung vornimmt und diese dann an eine implizite Kurzform bindet. So wird häufig bei Definitionen und deren Benutzung durch Kurzformen im späteren Text vorgegangen (z. B. im folgenden kurz ,Kerntheorie‘ genannt). Allerdings ist dann die Isolierbarkeit von Einzelzitaten nicht gesichert. Explizitheit kann situationsabhängig durch Formulare erreicht werden, da durch sie das Universum der Äußerungen auf solche, die das Formular zuläßt eingeschränkt wird. Außerdem wird mit einem Formular bereits ein bestimmter Äußerungskontext gesetzt. Bedenkenswert ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Neubert (1986), daß bei einem übersetzten Text die lokale Übersetzungsäquivalenz (auf der Satzebene oder Wortebene) durchaus anders beurteilt werden kann als die Textäquivalenz. Wenn dem so ist, dann kann ein Text explizit und exakt sein, seine Teile aber u. U. nicht. 3.6. Pragmatik Hier sind als pragmatische Explizitheit zunächst folgende Textteile zu nennen: Empfängerangaben und damit zusammenhängende Lese- und Verarbeitungsvorschriften. Man kann dabei linguistisch an performative Wendungen denken, die den Sprechakt explizieren oder daraus sich ergebende Folgerungen verdeutlichen: … Dies ist ein dienstlicher Befehl! Ähnlich sind Angaben über die Vertraulichkeit von Inhalten und daraus sich ergebende Handlungen zu werten. Anweisung zur Verbreitung: Das vorliegende Dokument ist firmenintern. Es darf an keine Personen außerhalb weitergegeben werden. Umgekehrt sind auch Wichtigkeitsbewertungen von Texten oft mit Handlungsanweisungen verbunden (Die Anleitung enthält auf S. 5 wichtige Angaben zur Installation. Bitte lesen Sie diese zuerst. Oder: Wichtig, bitte sofort vorlegen).

4.

Explizierungsregeln

Unter welchen Bedingungen ist eine Explikation nötig? Explizit muß fachliche Kommunikation sein, wenn

36. Das Postulat der Explizitheit für den Fachsprachengebrauch

387

(1) Rezeptions-Situationen vorhanden sind, sicher auftreten oder auftreten können, die die ursprünglich gegebene Eindeutigkeit des Produktions-Kontexts durch Trennung von ihrer situativen (räumlich-zeitlich-personell) oder inferentiellen Umgebung auflösen, oder (2) der Text nur in Teilen rezipiert wird oder werden kann, oder (3) besonders hohe Sicherheits- und damit Redundanzforderungen bestehen. Das kann zum Beispiel bei hohem Risiko der Mißkommunikation (Gefahr oder Kosten) der Fall sein. Diese Bedingungen sind bei schriftlicher Fachsprache besonders oft gegeben. Die amerikanische Tradition des Technical Writing hat daher oft bei solchen Fehlern angesetzt. Bei gesprochener Sprache ist Implizitheit weniger gefährlich als bei geschriebener, weil die Sprache mit der Äußerungssituation transient ist, also beide gemeinsam zeit- und raumgebunden auftreten, außerdem meist unmittelbar die Möglichkeit der Klärung (auch über paralinguistische Kanäle) gegeben ist. Hierzu ist anzumerken, daß eine Explizierung nur möglich ist, wenn der Ausdruck vorher nicht vage war, m. a. W., wenn ein Ausdruck vage ist, dann kann man ihn in verschiedener Weise explizieren, nicht nur in eine „richtige“ Richtung (Pinkal 1985, 54 ff). Explizierungen sind nicht als einzige Alternative zu impliziten Äußerungen zu sehen. Je nach dem Stand der ausgetauschten Information können Implizitheiten eines Textes erst im Laufe einer Kommunikation festgestellt werden und damit als hinderlich bewertet und ggf. ausgeräumt werden. Oft bestehen Explizierungen aber auch aus Sequenzen, in denen Kontexte ausgeschieden werden: Ist dies der neue Prototyp? Welchen meinst Du? Der graue Wagen da in der Ecke! Da stehen mehr von der Sorte. Wenn Du den mit dem Nummernschild meinst, nein! Nein, ich meine den mit den blauen Bezügen. Ach, den. Ja, das ist der neue B5. (Angepaßtes Beispiel nach Pinkal 1985, 59)

Abb. 36.1: Kommunikationsdistanz und ihre Parameter

erlebt. Alle Formen der räumlichen, personellen, zeitlichen und textuellen Deixis sind zulässig und bestimmen den Text ausreichend: Können Sie das mal eben ⫺ wie besprochen ⫺ auf das Unterteil dort legen? Eine solche Äußerung ist vollständig und wird von keinem Kommunikationspartner als unterbestimmt angesehen. Eine Arbeitsnotiz (etwa ein Hinweis an einen Kollegen der nächsten Schicht) z. B. ist zeitlich dilatiert, nicht aber räumlich (vgl. von Hahn 1981, 79). Daher sind zeitliche deiktische Ausdrücke unterspezifiziert. Hier waren heute (24. 6.) alle Sicherungen ’raus. Jens weiß Bescheid.

Die Notwendigkeit der Explizitheit soll an einigen praktischen Situationen kontrastiv erläutert werden:

In einem Geschäftsbrief dagegen liegt eine zeitlich wie räumlich dilatierte Situation vor. Allerdings sind die Kommunikationspartner meist bekannt, wenigstens in ihrer Funktion und damit sind wesentliche Parameter der Kommunikation ebenfalls gebunden. Entsprechend werden die Texte zwar personale Deixis in einem gewissen Grad benutzen können, müssen aber auf räumliche und zeitliche Deixis verzichten.

Das Gespräch im Labor findet für alle Beteiligten gleichzeitig statt und wird visuell wie akustisch mit-

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5.

Praxis

388

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

geboten. Diese Konditionen waren seinerzeit an eine Bestellfrist gebunden, … Eine Geschäftsmitteilung hat einen eindeutigen und durch den Kopf des Schreibens (und ein Logo) ausgewiesenen Absender, die Adressaten dagegen sind weitgehend unbekannt und heterogen. Das Text-„Design“ wird in bezug auf die Adressaten nur festgelegt durch die Kenntnis des Verteilers oder der (Merkmale der) Adressenlisten. Entsprechend müssen deiktische Ausdrücke vermieden werden.

hen keine direkten Übersetzungsäquivalente zwischen zwei Sprachen (lexical gaps oder Eins/mehr : Mehr/eins-Beziehungen). Dann muß der Übersetzer entweder einen neuen Terminus erfinden oder eine Umschreibung benutzen (lexical gap) oder eine Konkretisierung vornehmen (Eins : mehr-Beziehung) oder eine Generalisierung in Kauf nehmen (Mehr : eins-Beziehung). Hier erleichtern explizite Texte die Arbeit ganz erheblich. Dies gilt besonders, da beim interkulturellen Übersetzen neben der Inhaltskonstanz auch die Wirkungskonstanz erreicht werden muß (Schröder 1988, 33).

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6.

Ein Lehrbuch muß dagegen darauf abgestellt sein, daß man weder die Situation, noch die Zeit der Rezeption kennt, daß außerdem weder die Rezipienten noch der Zweck der Rezeption genau bekannt sind. Dies muß zu Beginn expliziert werden. Das Übungsbuch ,Bulgarisch für Anfänger‘ ist sowohl für den Universitätsunterricht als auch für das Selbststudium gedacht. Als Voraussetzung wird lediglich die Kenntnis der kyrillischen Schrift erwartet. Der Typ der Formelsammlung wiederum setzt die Kenntnis der Materie voraus, so daß z. B. die Formel für die Lösungen quadratischer Gleichungen gerade nicht explizieren muß, was mit x1,2 gemeint ist. Der Rezipient muß auch nicht angesprochen oder in die Lektüre eingewiesen werden, da der Titel „Formelsammlung zur Mathematik für die gymnasiale Oberstufe“ alle nötigen situativen Variablen bindet. Ein Gesetzestext hat, was seine Explizitheit angeht, in der Textgestaltung vor allem die Bedingung, daß abgeschlossene Textpartien (Paragraphen) isoliert zitierbar sind, ohne daß der Sinn entstellt wird. Das hat zur Folge, daß solche Texte hochgradig rekurrent sind und auf Pronomen weitgehend verzichten. Ihre Kohärenz ist aus demselben Grunde wenig oder gar nicht markiert. (1) Die Hochschulen, Einrichtungen der Freien und Hansestadt Hamburg, sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts … (2) Die Hochschulen regeln ihre Selbstverwaltungsangelegenheiten … In der fachsprachlichen Praxis besteht bei der Explizitheit immer der Konflikt zwischen Effizienz und Explizitheit. Zur Effizienz muß man die Kürze eines Textes ebenso zählen wie die nötige Zeit zur Äußerung oder Übertragung über bestimmte Medien. Dies spielt nicht nur bei hohen Kosten der Ver- und Bearbeitung eine Rolle, sondern auch, wenn Texte unter didaktischen Aspekten produziert werden. Der Lernprozeß kann in bestimmten Stadien des Lernens durch (zwar explizitere aber) zu viel Information enthaltende Texte behindert werden. Besondere Bedeutung erhält die Explizitheit neuerdings in der Mehrsprachigkeit. Häufig beste-

Nichtsprachliche Daten

Texte enthalten besonders in technischen Verwendungssituationen oft nonverbale Anteile, wie Bilder und Graphiken, in der Multimedia-Kommunikation via Computer auch Filme und akustische Anteile. Hier ist die Frage der Explizitheit bei weitem schwerer zu beantworten, da Objekte oder deren Bilder keine explizite Interpretation in sich (im selben Medium) tragen können. Das Bild eines Apparats kann ein positives oder negatives Beispiel sein, es kann in nur einigen Aspekten informativ sein etc. Zumeist stehen allerdings Bild und umgebender Text zueinander in einer Explizierungsrelation. Diese kann aber durchaus unterschiedlich sein: Das Bild wird durch den Text expliziert, oder der Text durch das Bild. Dennoch lassen sich auch hier einige (zugegeben relativ praktische) Explizierungsregeln nennen: Bilder können durch informative Bildunterschriften (Bild 45: Das menschliche Gehirn) oder textuelle Referenzen (siehe Bild 45) klarer bestimmten Textpartien zugeordnet werden. Graphiken müssen immer beschriftet sein, besonders die in wissenschaftlichen Texten beliebten Kasten-Pfeil-Graphiken sind häufig durch mangelnde Etikettierung zu implizit. In der folgenden Graphik z. B. ist die Relation zwischen Sprecher und Hörer nicht ausreichend expliziert. Sprecher



Hörer

Abb. 36.2: Beispiel für schlecht etikettierte Graphik

Bei Graphiken wird außerdem (besonders seit der Ausbreitung von Grafikprogrammen auf Computern) häufig die Kastengröße, die

36. Das Postulat der Explizitheit für den Fachsprachengebrauch

Strichstärke, der Schrifttyp und dessen Auszeichnung oder die Musterung variiert, ohne daß diese Unterschiede überhaupt eine Semantik haben bzw. ohne daß eine solche ihnen explizit durch eine Legende zugeordnet wird (vgl. Korn 1982).

7.

Literatur (in Auswahl)

Arntz 1986 ⫽ Reiner Arntz: Terminologievergleich und internationale Terminologieangleichung. In: Snell-Hornby 1986, 283⫺310. Becker 1990 ⫽ Thomas Becker/Ludwig Jäger/Walter Michaeli/Heinrich Schmalen: Sprache und Technik. Gestalten verständlicher technischer Texte ⫺ Konzepte, Probleme, Erfahrungen. Aachen 1990. Berman/Hestvik 1992 ⫽ Steve Berman/Arild Hestvik: Proceedings of the Stuttgart Ellipses Workshop 1992. Stuttgart 1992 (Sprachtheoretische Grundlagen für die Computerlinguistik. Papiere des SFB 340, Bericht 29). Biere 1989 ⫽ Bernd Ulrich Biere: Verständlich-Machen. Hermeneutische Tradition ⫺ Historische Praxis ⫺ Sprachtheoretische Begründung. Tübingen 1989. Fraas 1989 ⫽ Claudia Fraas: Terminologiebetrachtung ⫺ Sache der Fachleute oder der Linguisten? In: Fachsprache 11. 1989, 106⫺113. Grice 1975 ⫽ H. Paul Grice: Logic and Conversation. In: Syntax and Semantics 3. Hrsg. v. P. Cole and J. J. Morgan. New York 1975, 41⫺58. von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation ⫺ Entwicklung · Linguistische Konzepte · Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Hüllen 1984 ⫽ Werner Hüllen: Bischof John Wilkins und die Fachsprachen unserer Zeit. In: Fachsprache 6. 1984, 115⫺122. Ischreyt 1965 ⫽ Heinz Ischreyt: Studien zum Verhältnis von Sprache und Technik. Düsseldorf 1965. Kamp/Reyle 1991 ⫽ Hans Kamp/Uwe Reyle: A Calculus for First Order Representation Structures. Stuttgart 1991. Korn 1982 ⫽ Monika Korn: Untersuchungen zur graphischen Darstellung wissenschaftlicher Theorie. Dargestellt am Beispiel von Kommunikationsmodellen. Hamburg 1982. Neubert 1986 ⫽ Albrecht Neubert: Translatorische Relativität. In: Snell-Hornby 1986, 85⫺105.

389

Pinkal 1980 ⫽ Manfred Pinkal: Semantische Vagheit: Phänomene und Theorien. In: Linguistische Berichte 70. 1980, 1⫺26 und 72. 1981, 1⫺26. Pinkal 1985 ⫽ Manfred Pinkal: Logik und Lexikon ⫺ Die Semantik des Unbestimmten. Berlin. New York 1985. Pinkal 1991 ⫽ Manfred Pinkal: Vagheit und Ambiguität. In: Semantik. Hrsg. v. Arnim von Stechow und Dieter Wunderlich. Berlin. New York 1991 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 6), 250⫺269. Roelcke 1991 ⫽ Thorsten Roelcke: Das Eineindeutigkeitspostulat der lexikalischen Fachsprachensemantik. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 19. 1991, 194⫺208. Ru˚zˇicˇka 1975 ⫽ Rudolf Ru˚zˇicˇka: Sprachwissenschaft und Wissenschaftssprache. In: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Hrsg. v. Albrecht Neubert und Rudolf Ru˚zˇicˇka. Berlin 1975, 18⫺30. Schmitt 1986 ⫽ Peter A. Schmitt: Die „Eindeutigkeit“ von Fachtexten: Bemerkungen zu einer Fiktion. In: Snell-Hornby 1986, 252⫺282. Schröder 1988 ⫽ Hartmut Schröder: Fachtext und interkulturelle Autor-Leser-Kommunikation: Überlegungen zum Übersetzen wissenschaftlicher Fachtexte aus dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften. In: From Office to School: Special Language and Internationalisation. Ed. by C. Laure´n and M. Nordman. Clevedon. Philadelphia 1988, 21⫺38. Schuldt 1992 ⫽ Janina Schuldt: Den Patienten informieren. Beipackzettel von Medikamenten. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 15), 160⫺207. Snell-Hornby 1986 ⫽ Mary Snell-Hornby (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft ⫺ eine Neuorientierung: Zur Integrierung von Theorie und Praxis. Tübingen 1986 (UTB 1415). VDI 1980 ⫽ VDI-Richtlinie 3772: Leistung und Funktion des Fachwortes in den technischen Fachsprachen. Düsseldorf 1980. Wolski 1980 ⫽ Werner Wolski: Schlechtbestimmtheit und Vagheit ⫺ Tendenzen und Perspektiven: Methodologische Untersuchungen zur Semantik. Tübingen 1980 (Reihe Germanistische Linguistik 28). Zhu 1987 ⫽ Jianhua Zhu: Morphologie, Semantik und Funktion fachsprachlicher Komposita. Analyse von Fachtexten der Silikattechnik. Heidelberg 1987.

Walther von Hahn, Hamburg

390

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

37. Das Postulat der Ökonomie für den Fachsprachengebrauch 1. 2. 3. 4.

6. 7.

Einleitende Bemerkungen Lexikalische Ebene Syntaktische Ebene Ökonomie und Explizitheit ⫺ ein Widerspruch? Tendenzen zur Ökonomie in der schriftlichen und mündlichen Fachkommunikation Schlußbemerkungen Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitende Bemerkungen

5.

„Ökonomie“ wird zu einem der entscheidenden Schlüsselwörter der modernen Gesellschaft, wobei damit nicht mehr nur Einsparung schlechthin gemeint ist, sondern der im weiteren Sinne von der Fachdisziplin Economics and Business Administration verwendete Begriff als avoidance of waste of money, time, resources bzw. careful control and management. So beobachten wir eine generell zunehmende Ökonomisierung unseres Lebens ⫺ die Heranziehung von Wirtschaftlichkeitsund Produktivitätskriterien in fast allen Lebensbereichen. 1.1. Bereits G. K. Zipf (1965, 19) wies mit seinem „Principle of least effort“ darauf hin, daß alle Redeelemente oder Sprachmuster durch das Grundgesetz der Ökonomie angetrieben und in ihrem Verhalten bestimmt werden: “… all speech-elements or language patterns are impelled and directed in their behavior by a fundamental law of economy in which is the desire to maintain an equilibrium between form and behavior.” Nach Zipf (1965, 30) sind Kürzungen primär bei häufig vorkommenden langen Wörtern zu beobachten, „for the purpose of saving time and effort“. Wenn ein Objekt, ein Vorgang, eine Eigenschaft so häufig von einer Sprachgemeinschaft gebraucht wird, daß das bezeichnende Wort eine hohe Vorkommenshäufigkeit erlangt, dann wird es möglicherweise verkürzt. Kürzungen, wie movies für moving pictures, gas für gasoline, talkies für talking pictures, resultierten aus dem häufigen Gebrauch infolge der schnellen Verbreitung von movies, gas und talkies in der täglichen Lebenserfahrung. 1.2. Für die Funktionalstilistik war Ökonomie weitgehend identisch mit Kürze, der wis-

senschaftliche Stil eine Art besondere Steigerung der Sprachökonomie. Die freie Suche nach sprachlichen Mitteln wurde immer mehr eingeschränkt und ein individueller Autorenstil auf der Linie Publizistik ⫺ wissenschaftlich-technische Literatur ⫺ offizielle Dokumentationen war in absteigender Richtung zu beobachten. Fragen der Ökonomie verdienen sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht besondere Aufmerksamkeit. So sind Kenntnisse der Textverdichtung und -kürzung unter Beibehaltung des Inhalts bedeutsam für die Bereiche Referieren/Annotieren, die Translation, die Informationstheorie unter dem Blickwinkel der Redundanzminderung, die selbständige Anfertigung von Kurzreferaten zu Fachartikeln, dies zunehmend in der Fremdsprache. Oft sind es äußere Zwänge, wie z. B. Verlagsvorschriften für Publikationen, die den Fachmann zwingen, intensiv über das „Mini-Max-Prinzip“ beim Verfassen seiner Fachartikel nachzudenken. 1.3. Kommunikationsvorgänge unterliegen, wie viele andere Vorgänge unserer schnellebigen Zeit, ökonomischen Zwängen. Das gilt insbesondere für die Verständigung unter Fachleuten, die fachbezogene oder spezifische Sachverhalte möglichst klar, präzise und in ökonomisch vertretbarer Form darstellen müssen. Die zu beobachtenden veränderten Nutzungsgewohnheiten durch den Modernisierungsdruck im Bereich der elektronischen Medien wirken sich auf die Printmedien aus. Noch weniger Lesezeit hat eine verstärkte Selektion der Lektüre zur Folge, worauf die Printmedien mit einem neuen Konzept der Informationsrepräsentation reagieren müssen. Informationskomplexe werden segmentiert; statt langer Texte werden Cluster von Darstellungsformen geboten, die sich zusammensetzen können aus Berichten, Interviews, Orientierungstexten, Informationsgraphiken, Bildern u. a. m. (Bucher 1994, 16). Zukünftig wird ein „Textdesign“ mit entsprechender textlicher und optischer Gestaltung dem Verbraucherbedürfnis nach Zeiteinsparung gerecht werden müssen. Gefragt ist eine „rezipientenfreundlichere“, d. h. auch den Faktor Zeiteinsparung genügend berücksichtigende Mediengestaltung, dies insbesondere im Bereich der Fachkommunikation.

37. Das Postulat der Ökonomie für den Fachsprachengebrauch

Eine wesentliche Rolle für die Anwendbarkeit sprachökonomischer Mittel in der Informationsweitergabe spielt die Einbettung von Informationsaufnahme und -verarbeitung in das beim Rezipienten vorhandene Weltwissen. 1.4. Das Prinzip der Ökonomie begegnet uns ebenso bei der Einführung von Neuem, z. B. einer technischen Neuerung, die nach dem „Schloß-Schlüssel-Prinzip“ geschieht; Sprache als Schlüssel, der die Türen vom Alten zum Neuen unter minimalem Kraftaufwand öffnet, weil Sprache die Erfahrungen mit dem Alten auf das Neue überträgt. Die Sprache ist in allen Fällen ein „Vehikel der Akzeptanz“ (Landsch 1993, 89) und kann dabei im Sinne des Sparsamkeitsprinzips wirken. 1.5. Einige Fragen sollen die Vielschichtigkeit des Problems der Ökonomie für den Fachsprachengebrauch aus heutiger Sicht aufzeigen, wobei der Leser nur auf einen kleinen Teil von ihnen und nur auf Teilaspekte eine Antwort, zugleich aber Anregungen für weiterführende zukünftige Untersuchungen erhält. (1) Können „Einsparungsmöglichkeiten“, die es fast überall in der Hierarchie des Sprachsystems gibt, zu einer Differenzierung von Fachtextsorten beitragen? (2) In welchen Fachtextsorten ist ein besonders hoher Verdichtungsgrad zu beobachten und warum? (3) Zeigen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Verwendung sprachökonomischer Mittel zwischen den Textsorten auch bei einem Textsortenvergleich in mehreren Sprachen? Welche Rolle spielen dabei landesspezifische Konventionen (z. B. Gesetzestexte)? (4) Wann wird die Grenze der Verständlichkeit überschritten bzw. wann gilt der Text noch als „rezipientenfreundlich“? (5) Gibt es Unterschiede im ökonomischen Rigorismus zwischen den Fachsprachen? Wenn ja, sind diese begründet durch den Gegenstandsbereich der jeweiligen Wissenschaft (z. B. Mathematik ⫺ Technik)? (6) Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Fachlichkeitsgrad einer Textsorte und der Sprachökonomie? (7) Welche Rolle spielt die Verdichtung durch nonverbale Mittel der Darstellung?

391

(8) Welche Rolle spielt die Ökonomie bei der Dekodierung und Enkodierung im Translationsprozeß? (9) Welches fachliche und fachsprachliche Wissen, einschließlich Kenntnisse sprachlicher Ökonomie, benötigt der Fachmann, will er einen Primärtext (z. B. Zeitschriftenartikel) in einen Sekundärtext (z. B. Abstract) überführen? (10) Wie kann die Fähigkeit vermittelt werden, Texte auf das Wesentliche zu verdichten? (11) Wie kann der Widerspruch zwischen der wachsenden Informationsflut und der relativen Langsamkeit der Verarbeitung durch den Rezipienten überwunden werden; wie kann der Prozeß der Informationsaufnahme und -verarbeitung rationeller gestaltet werden? Es gibt fast überall in der Hierarchie des Sprachsystems „Einsparungsmöglichkeiten“, von denen die Fachsprachen ausgiebig Gebrauch machen. Betrachtet werden sollen hier auf der lexikalischen Ebene die Univerbierung und Abbreviatur sowie auf der syntaktischen Ebene die syntaktische Kompression bei Teilsätzen und Sätzen.

2.

Lexikalische Ebene

Auf die Bedeutung der Termini, die „die sprachlich dichtesten und ökonomischsten Formen der kognitiven Bewältigung von Inhalten eines bestimmten Fachgebietes“ (vgl. Steiger 1993, 90) sind, soll an dieser Stelle nur verwiesen werden. Die nominale Darstellung von Sachverhalten trägt zur kompakten, redundanzvermindernden, (bei nicht übertriebenem Gebrauch) gleichzeitig zur überschaubaren Wiedergabe und Rezeption von Verhältnissen der objektiven Realität bei, wirkt also sprachökonomisch (Spranger 1985, 184). Bei den Nomina sind es vor allem Verbalsubstantive, die in Substantivgruppen und präpositionalen Wortgruppen ganze Einzelsätze ersetzen können. Die Vorkommenshäufigkeit von Verbalsubstantiven reflektiert besonders die Abhängigkeit vom Darstellungsgegenstand des Textes (Prozeß-, Anlagen-, Eigenschaftsdarstellung) wie auch von Textsorten (Primär-, Sekundärtextsorten) (Fijas 1986, 138 f). Textkürzend und damit sprachökonomisch wirken sogen. Prosubstantive (Spranger 1985, 95), wie fact, situation, problem,

392

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

item. Sie nehmen spezifischere Topikpartner verschiedener Strukturen referenzidentisch wieder auf und wirken dabei oft zusammenfassend und ordnend. Attributiv gebrauchte Demonstrativa unterstützen die Referenzidentität. 2.1. Die Univerbierung als Resultat der Entwicklung einer Wortgruppe zu einem Wort als Bezeichnung für einen Begriff ist als konzentrierte Kürzung ein entscheidendes Mittel, das Streben nach Sprachökonomie zu unterstützen (Conrad 1985, 260). Besonders effektiv ist sie für die Fachkommunikation, wo durch Univerbierung der Mehrwortterminus zum Einwortterminus wird. Oft ist die verdichtete Variante auch die rezipientenfreundlichere, da mit einer Verdichtung der Informationen eine erhebliche Reduktion des gedanklichen Aufwands zur Speicherung von Informationen für den Fachmann verbunden ist. Betrachten wir dazu folgende Varianten sprachlicher Verdichtung in absteigender Richtung, also von extremer Verdichtung bis hin zur aufgelösten Form: a) Diese Formulierung ist syntaktisch einwandfrei. b) Diese Formulierung ist in syntaktischer Hinsicht/unter dem Aspekt der Syntax betrachtet/syntaktisch gesehen einwandfrei. c) Diese Formulierung ist, wenn man sie unter dem Aspekt der Syntax betrachtet, einwandfrei (Weber 1993, 19). Zwischen den beiden Polen „extreme Verdichtung“ und „totale Auflösung“ existieren Übergänge, die jeweils die Tendenz zur Verdichtung oder zur Auflösung zeigen. Am häufigsten wird die Univerbierung in der deutschen Fach- und Wissenschaftssprache beobachtet, oft im Russischen, kaum im Englischen und Französischen. So treten Wortbildungskonstruktionen auf, wie: Korrosionsverhalten, korrosionsbeständig oder russisch: uточив  ротив корро ии ⫺ корро иuточив . In besonders für deutsche Texte produktiven Partizipialkomposita zeigt sich das Streben nach Sprachökonomie, nach Komprimierung und Univerbierung ganzer syntaktischer Strukturen (Grusˇevaja 1992, 29⫺32), z. B.: wassersaugend, prägepoliert, verfahrens-, konstruktions- und werkstoffbedingte Einflußfaktoren. Es läßt sich die These von Benesˇ (1973, 45) bestätigen, wonach ein sprachlicher Ausdruck um so kondensierter erscheint, je mehr er die selbständige Prädika-

tion unterdrückt, d. h., je weniger grammatische Elemente er enthält. Beziehungsbedeutungen sind in der verdichteten Form gleichsam versteckt. Ein Vergleich von Komposita im Deutschen mit ihren Äquivalenten in anderen Sprachen, die als nominale Wortgruppen erscheinen, zeigt ein häufigeres, durch das Sprachsystem bedingtes Vorkommen von kondensierten Formen im Deutschen, z. B.: Deutsch Arbeitsschutz (A bei B) Brandschutz (A gegen B) Umweltschutz (A für B)

Englisch industrial safety

environmental protection

Russisch тика б о аоти; ожароб о аот ораа окрuжающ рд

Französisch se´curite´ du travail protection contre l’oncendie protection de l’environnement

fire prevention

Die sprachökonomische Leistung der Verbalsubstantive äußert sich in der Komprimierung des Inhalts ganzer Sätze oder Wortgruppen in einem Wort, z. B.: Schweißen mit Hilfe eines elektrischen Lichtbogens ⫺ Lichtbogenschweißen. Ohne Schwierigkeit können Verbalsubstantiven mehrere Attribute untergeordnet werden, die in anderer Darstellung als Satzglieder oder Teilsätze wiedergegeben werden müßten. Die Ausführungen zur Univerbierung zeigen deutlich, daß wir uns bei der Erklärung verdichteter Strukturen ständig an der Schwelle zwischen Lexik und Syntax bewegen und daß ohne eine Betrachtung der Einbettung in den Text und ohne Reflexion auf den zugrundeliegenden Wirklichkeitsausschnitt eine Erklärung der „Sprachökonomie“ kaum möglich ist. 2.2. Von der Bedeutung der Abbreviaturen zeugt die Tatsache, daß die Fachleute diese als Bestandteil ihrer Terminologie ansehen (vgl. Drozd/Seibicke 1973, 164). Sie sind für die heutigen Fachsprachen unentbehrlich. Der Praktiker schafft sich ständig neue derartige Wortkürzungen. Dennoch ist die Verwendung von Abbreviaturen als „letzte Stufe der Straffung von Termini“ (Hoffmann 1984, 175) nicht ganz unproblematisch. So hat die zunehmende Verwendung von Initialabbreviaturen dazu geführt, daß sie oft nicht eindeutig sind, vor allem wenn der Kontext keine Hilfe bietet.

37. Das Postulat der Ökonomie für den Fachsprachengebrauch

Eindeutigen Abbreviaturen, wie laser ⫽ light amplification by stimulated emission of radiation stehen polyseme Abbreviaturen gegenüber, die ohne Kontext- bzw. Hintergrundwissen mißverständlich sein können, wie CEI ⫽ Centre d’ e´tudes industrielles, Commission e´lectrotechnique internationale, communications-electronics instructions, costeffectiveness-index, Council of Engineering Institutions (The Oxford Dictionary of Abbreviations 1993). Bei der Betrachtung von Abbreviaturen in technischen Primär- und Sekundärtextsorten ist ein auffällig höherer Gebrauch in Sekundärtexten, insbesondere im Russischen zu beobachten. In russischen Kurzreferaten werden zahlreiche standardisierte Abkürzungen verwendet, die in anderen Textsorten nicht üblich sind, z. B.: ч. д. а. ⫽ чит  для аали а, М⫽талл , рои -во⫽ рои водтво (s. Fijas 1986, 136). Die für das Russische sprichwörtliche „Abkürzungswut“ bereitet dem ungeübten Leser oftmals Schwierigkeiten. Auch im Französischen spricht man heute von diesem Phänomen als der „Siglomanie“ (von sigle ⫺ Abbreviatur). Für die Bezeichnung internationaler Organisationen werden immer häufiger die englischen Abkürzungen übernommen, wie z. B. GATT ⫺ General Agreement on Tariffs and Trade, Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, L’Accord ge´ne´ral sur les tarifs douaniers et le commerce. Am extremsten Gebrauch von Abbreviaturen macht wahrscheinlich die Algebra, wo ein einziger Buchstabe genügen kann, um einen ganzen Abschnitt einer verbalen Beschreibung zu substituieren, wodurch „communication in less time“ möglich wird. 2.3. Das Telex als „abkürzungsintensive“ Textsorte und besondere Form der Kombination von mündlicher und schriftlicher Geschäftskommunikation macht ausgiebig Gebrauch von Abbreviaturen, die Übertragungskosten sparen helfen. Per Telex werden Auftragsbestätigungen, Angebote u. ä. übermittelt. Auf Redundanz jeglicher Art wird verzichtet. Typische Telexabkürzungen sind in Verzeichnissen aufgeführt. Oft ist ein Telex nur für in der Bürokommunikation tätige Fachleute verständlich, was an folgendem Beispiel sichtbar wird: date/datum 10:24 698373 bilk d 182635 ls rc 10:26 cfm yr ltr cf oct 14. 19.. . you wl rcv our catalg

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Noch ist das Telex eine wichtige Textsorte der internationalen Geschäftskommunikation. Es ist jedoch anzunehmen, daß diese Textsorte künftig zurückgedrängt wird, da Telefax und andere Möglichkeiten der Informationsübertragung eine zunehmende Rolle spielen; ein Beweis dafür, daß kommunikationstechnologische Entwicklungen bereits die Mittel und Methoden des Kommunizierens verändert haben.

3.

Syntaktische Ebene

Die syntaktische Kompression auf der Satzebene äußert sich z. B.: ⫺ in der vorrangig nominalen Darstellung der Prozesse und Handlungen ⫺ in einfachen erweiterten Sätzen ⫺ im häufigen Vorkommen von Partizipial-, Adverbialpartizipial-, Gerundial- und Infinitivkonstruktionen ⫺ in der Verwendung von Ellipsen: durch die vermittelnde Rolle des Kontextes werden die Tilgungen implizit mitverstanden ⫺ in der relativen Konjunktionslosigkeit (Asyndese): Konjunktionen tragen zur Satzverknüpfung viel weniger bei als die semantischen Beziehungen zwischen den Sätzen selbst (Dressler 1972, 71). Die Textverdichtung kann durch Impandierung erfolgen, d. h., eine oder mehrere prädikative Linien gehen als impandierte Propositionen in den Satz ein, so daß die syntaktische Struktur des Satzes komplexer wird und es über die Satzverdichtung zur Textverdichtung kommt. Sekundärtextsorten (abgeleitete Texte) zeichnen sich durch einen höheren Grad an Komplexität der Nominalphrasen und längere Sätze aus. Baumann (1992, 44) weist darauf hin, daß ein Text aus funktionaler Sicht um so „fachlicher“ ist, „je niedriger sein Explizitätsgrad bzw. je höher sein syntaktischer Komplexitätsgrad ist“. Das bestätigt ein Vergleich von Primär- und Sekundär-

394

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

texten (s. Fijas 1986, 123 f). So weisen Sekundärtextsorten (Abstracts, Fortschrittsberichte) verglichen mit den Primärtexten (z. B. Zeitschriftenartikel) eine höhere syntaktische Komplexität auf. Sie haben durch Impandierung sehr komplexe Strukturen mit komplexem Informationsgehalt, sind schwerer rezipierbar, weil fachliche Assoziationen, also der Rückgriff auf gespeichertes kontextuelles Wissen, zum Verstehensprozeß hinzukommen. Die Ökonomie der Darstellung sollte keinesfalls so weit führen, daß es, wie im folgenden Beispiel, zu einem Informationsverlust durch einen wesentlich höheren Rezeptionsaufwand kommen kann: Auch erfolgt im Arbeitsprozeß die Abtragung durch den Einbettungseffekt beim Abriebverschleiß und durch die Kristallbildung beim Kontaktverschleiß nicht ohne Ausnahme von dem weichen Werkstoff bzw. dem Gleitstück oder ohne Unterschied von beiden Teilen (Reinhardt 1975, 225).

Um den rechtlichen Schutz einer Erfindung zu gewährleisten, wird der Patentanspruch in formelhafter Darstellung oft in einem einzigen, sehr langen, überaus komplexen Satz mit vielen Bei- und Unterordnungen und extrem komplexen Nominalphrasen verfaßt. Das Maß einer vorteilhaften Konzentration der Aussagen wird in diesem Teil der Patentschrift bewußt überschritten. Interessant wäre es, der Frage nachzugehen, ob generell eine Proportionalität zwischen Satzlänge und Informationsgehalt, zwischen Textlänge und Texttiefe (Anzahl und hierarchische Gliederung von Teiltexten) bei unterschiedlichen Fachtextsorten (vor allem bei der Differenzierung in Primärtextsorten und abgeleitete Textsorten) besteht, und ob sich darüberhinaus Unterschiede, die durch den Darstellungsgegenstand bedingt sind (z. B. Prozeßbeschreibung, Eigenschaftsdarstellung, Anlagenaufbau usw.), ebenso proportional zeigen.

4.

Ökonomie und Explizitheit ⫺ ein Widerspruch?

4.1. Ein wesentliches Merkmal wissenschaftlichen Denkens und Handelns ist der Ansatz zur Exaktheit und Explizitheit. Zum einen erleichtert dieses Phänomen in gewisser Weise den Aneignungsprozeß fach(sprach)licher Sachverhalte, verkompliziert ihn aber gleichzeitig durch die Komplexität und den mehr oder weniger hohen Grad an Informationsverdichtung.

Diesem Widerspruch unterliegen z. B. technische Dokumentationen, wie Gebrauchsanleitungen, Handbücher usw., denn für den Hersteller eines Produktes geht es auch um die Preiswürdigkeit des Informationsmaterials, in dem das Produkt und seine Funktionsweise beschrieben werden. Jede zusätzliche Druckseite verursacht Kosten, die das Produkt verteuern. 1989 trat im Vorfeld des EU-Binnenmarktes ein verschärftes Produkthaftungsgesetz in Kraft. Danach werden Firmen hinsichtlich der Gerätesicherheit stärker in die Pflicht genommen ⫺ und diese hat nicht zuletzt etwas mit einer präzisen und verständlichen Gebrauchsanweisung zu tun. Diese so knapp und übersichtlich wie möglich zu gestalten ist Aufgabe eines Spezialisten, zunehmend die eines technischen Redakteurs. „Technisches Schreiben“ hat sich inzwischen zu einem Berufsbild entwickelt und stellt ungleich höhere Anforderungen an die entsprechenden Fachleute (tecom 1989). Der technische Redakteur trägt in besonderer Weise Verantwortung für die Überwindung des Widerspruchs zwischen Ökonomie und Explizitheit, zwischen dem, was ihm an ökonomischen Zwängen auferlegt ist, und der Forderung nach Sicherheit des zu verkaufenden Produktes. Die von ihm verfaßten Dokumente tragen ihren Teil zum Ansehen des Unternehmens bei (Baumert 1992, 26). Die Frage nach der Ökonomie stellt sich hier also in zweifacher Hinsicht. Zum einen geht es um „sprachliche“ Einsparungen, zum anderen um „finanzielle“ Einsparung. Immerhin gelten für die Erarbeitung druckreifer Dokumentationen allein zwischen 10 und 20% der Herstellungskosten als branchenübliche Kosten. 4.2. Der scheinbare Widerspruch zwischen Ökonomie und Explizitheit kann sich auch bei der Übertragung von soziokulturell determinierten Informationen von der Ausgangsin die Zielsprache zeigen, von Informationen, die aufgrund unterschiedlicher außersprachlicher Gegebenheiten in den einzelnen Sprach- und Kulturkreisen andere Inhalte haben. (Soziokulturell unabhängige Informationen sind, im Unterschied dazu, Naturgesetze, mathematische Formeln etc., die für alle Sprach- und Kulturgemeinschaften gleichermaßen gelten ⫺ vgl. Göpferich 1993, 51). So enthalten britische Bedienungsanleitungen für Elektrogeräte in der Regel einen Abschnitt zum

37. Das Postulat der Ökonomie für den Fachsprachengebrauch Anbringen eines Netzsteckers. Der Grund besteht darin, daß in Großbritannien elektrische Geräte aufgrund unterschiedlicher Steckersysteme in der Regel ohne Netzstecker ausgeliefert werden. Bei der Übertragung derartiger Bedienungsanleitungen ins Deutsche wird der entsprechende Abschnitt nicht mit übersetzt, da die Geräte im deutschen Sprachraum mit Netzstecker ausgeliefert werden (was sinnvoll ist, da in Deutschland ein einheitliches Netzsteckersystem verwendet wird) (Schmitt 1989, 79).

Umgekehrt kann der Zielsprache-Leser Informationen benötigen, die über das Informationsangebot des Ausgangssprachetextes hinausgehen (z. B. Abschnitt zum Anbringen eines Netzsteckers bei der Übersetzung deutscher Bedienungsanleitungen ins Englische. In diesem Fall sind die entsprechenden Informationen in den Zielsprachetext einzufügen (Göpferich 1993, 51). 4.3. Die Verstehensleistung kann wesentlich durch vorhandene Redundanz unterstützt werden. Deshalb bereiten Patentschriften, die auf Redundanzelemente weitestgehend verzichten, für den Außenstehenden enorme Schwierigkeiten bei der Rezeption. In knapper, stark standardisierter Form, legt der Autor die Beschreibung einer Erfindung vor, die als Grundlage für eine juristische Entscheidung und die spätere Nutzung dienen soll. Die Vermeidung von Redundanz ist möglich, da Fachleute mit spezialisierter Kompetenz angesprochen sind. Das Prinzip der Explizitheit, der Verständlichkeit konkurriert mit dem Prinzip der Ökonomie. Eine Konkurrenz, die nur im Kompromiß überwunden werden kann.

5.

Tendenzen zur Ökonomie in der schriftlichen und mündlichen Fachkommunikation

Tendenzen zur Ökonomie sind in der schriftlichen und mündlichen Fachkommunikation ganz unterschiedlich ausgeprägt. Hingewiesen sei vor allem auf die multiple Verwendung von Gerundial- und Partizipialkonstruktionen, von Adjektiv- oder Infinitivkonstruktionen im Sinne sprachökonomischer Darstellung in der schriftlichen Fachkommunikation. Diese unterschiedlichen Mittel der „clause reduction“ sind sehr produktiv und effektiv, werden aber in der mündlichen Kommunikation häufiger durch die ausführlichere Variante ersetzt. Stark verkürzend wirkt der Fachjargon in der mündlichen

395

Kommunikation, wobei bei der Betrachtung die vertikale Schichtung der Fachsprachen Beachtung finden sollte. So wird in der Elektrowerkstatt nach wie vor von „Saft“ gesprochen, wenn es um die anliegende Spannung geht. In einer Mechanikerwerkstatt ist mit „Stahl“ nicht der Werkstoff Stahl gemeint, sondern ein Drehmeißel. Im Gießereiwesen sprechen Fachleute sowohl in der Produktion als auch an der Universität vom sogenannten „10er, 15er, 20er, 25er, 30er Eisen“ und meinen damit im Falle des 20er Eisens Gußeisen mit Lamellengraphit mit einer Zugfestigkeit von 200 N/mm2. Die Normung 20er, 30er usw. entstand vor 1985, als die Zugfestigkeit noch in kp/mm2 angegeben wurde. Von „Schnellstahl“ spricht der Fachmann, wenn er Werkzeugstahl für die Bearbeitung von Werkzeugen für hohe Schnittgeschwindigkeiten meint (Fräser, Bohrer, Drehmeißel). Um die Bezeichnung von Stahlmarken zu erkennen, benötigt man ebenfalls entsprechendes fachliches Hintergrundwissen. Welchem Laien ist schon klar, daß sich hinter der Stahlmarke „V2A“ die exakte Bezeichnung XCrNi 18.8 bzw. die vollständige Beschreibung eines hochlegierten Chrom-Nickel-Stahls mit einem Gehalt von 18% Chrom und 8% Nikkel verbirgt? Geowissenschaftler sprechen von der sogenannten „Moho“, während sie im schriftlichen Sprachgebrauch ausschließlich den Terminus „Mohorovicˇic´-Diskontinuität“ verwenden, womit die Grenze zwischen Erdkruste und Erdmantel gemeint ist, die sich an verschiedenen Stellen der Erdkruste in unterschiedlichen Tiefen befindet. Obige Beispiele zeigen deutlich, daß die Nutzung von Fachjargonismen sehr an bestimmte Tätigkeitsbzw. Kommunikationsbereiche gebunden und oft nur für Rezipienten dieser Bereiche auch verständlich ist. Den Nutzern sind die Bedeutungen derartiger Jargonismen vertraut und die Kürze bleibt oft unbewußt. In der mündlichen Fachkommunikation kann die thematische Struktur eines Textes durch explizite Textmarker, wie „Let us move on to another point“ hervorgehoben werden. In der schriftlichen Kommunikation wird die sprachlich „reichere“ Variante ersetzt durch eine „sparsamere“ ⫺ Teilüberschriften, Fettdruck, 1., 2. usw. Verbale Äußerung kann im mündlichen Sprachgebrauch von paraverbalen Phänomenen begleitet sein, wodurch gleichsam simultan mehr Informationen in kürzerer Zeit vermittelt werden können. Diese umfassen In-

396

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

tonation, Betonung, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Gestik, Mimik, Körperbewegungen, die wesentlich der Sprachökonomie dienen können. Eine Reflexion im schriftlichen Text wäre mit einem erheblichen Mehraufwand an sprachlicher Realisierung verbunden. Die schriftliche Darstellung wiederum bietet den Vorteil, durch die Nutzung ganz anderer non- bzw. semiverbaler Mittel, wie Tabellen, Abbildungen, Graphika, Diagramme, Schemata u. ä. ganze Sachverhaltskomplexe und damit eine Fülle von Informationen auf kleinsten Raum zu projizieren. Diese Formen ermöglichen eine knappe und übersichtliche Komprimierung des Inhalts, wobei sie die Informationen kreuzweise kombinieren und gleichsam simultan vermitteln können und damit den verbalen Textanteil entscheidend reduzieren.

6.

Schlußbemerkungen

Von zunehmender Bedeutung für die Praxis ist eine Texterstellung in der Zielsprache auf der Grundlage von Informationen, die ganz oder nur teilweise in der Ausgangssprache vorliegen. Zukünftig wird also nicht mehr nur Translation, sondern interkulturelles Technisches Schreiben betrieben werden. Der im Übersetzungs- und Dokumentationswesen tätige Fachmann wird Textsortenkonventionen der Ausgangs- und Zieltexte kennen müssen, wozu nicht zuletzt Verfahren und Mittel ökonomischer Sprachverwendung auf verschiedenen Ebenen mit dem Ziel einer situationsadäquaten und effektiven Informationsdarbietung gehören. Sprachökonomie ⫺ ein Ziel der Textkompression bei der Überführung eines Primärtextes in einen Sekundär- bzw. abgeleiteten Text ⫺ kann von einem gewissen Punkt an für eine rationelle Informationsübermittlung nicht mehr effektiv sein, „nämlich dann, wenn die Rezeption eines extrem ökonomisch gestalteten Textes unverhältnismäßig erschwert wird“ (Kretzenbacher 1990, 134). Heute, im Zeitalter der Informationskrise, kommt es mehr denn je darauf an, die Informationsflut zu beherrschen, wozu die Kenntnis und Anwendung ökonomischer Mittel auf den einzelnen Sprachebenen beitragen kann. Dabei sollte stets beachtet werden, daß sowohl den Entscheidungen zur Wiedergabe von Inhalten als auch zur Wahl sprachlicher Mittel, insbesondere unter dem Blickwinkel des Postulats der Ökonomie, Entscheidungen auf der pragmatischen Ebene übergeordnet sind.

7.

Literatur (in Auswahl)

Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Ein interdisziplinärer Ansatz zur Untersuchung des Phänomens der Fachlichkeit von Texten. In: Aktuelle Probleme der englischen Fachtextanalyse. Hrsg. v. Rosemarie Gläser (Leipziger Fachsprachenstudien 5). Frankfurt/M. Berlin. Bern. New York. Paris. Wien 1992, 36⫺47. Baumert 1992 ⫽ A. Baumert: Internationale Trends in der technischen Dokumentation 4. 1992, 26. Benesˇ 1973 ⫽ Eduard Benesˇ: Die sprachliche Kondensation im heutigen deutschen Fachstil. In: Linguistische Studien III. (Sprache der Gegenwart 23), 40⫺50. Conrad 1985 ⫽ Rudi Conrad: Lexikon sprachwissenschaftlicher Termini. Leipzig 1985. Dressler 1972 ⫽ Wolfgang Dressler: Einführung in die Textlinguistik. Tübingen 1972 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 13). Drozd/Seibicke 1973 ⫽ Lubomir Drozd/Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Wiesbaden 1973. Fijas 1986 ⫽ Liane Fijas: Zur syntaktisch-semantischen Analyse russischsprachiger Fachtextsorten aus dem Kommunikationsbereich der Metallurgie auf der Satz- und Teiltextebene. Diss. A. Leipzig 1986. Göpferich 1993 ⫽ Susanne Göpferich: Die translatorische Behandlung von Textsortenkonventionen in technischen Texten. In: Lebende Sprachen 2. 1993, 49⫺53. Grusˇevaja 1992 ⫽ Irina Grusˇevaja: Zur kommunikativen Leistung zusammengesetzter Partizipien. In: Deutsch als Fremdsprache 29. 1992, 29⫺32. Hoffmann 1984 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. 2. Aufl. Berlin 1984 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Kretzenbacher 1990 ⫽ Heinz L. Kretzenbacher: Rekapitulation. Textstrategien der Zusammenfassung von wissenschaftlichen Fachtexten. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 11). Landsch 1993 ⫽ Marlene Landsch: Sprache und Technik. Technik als kulturelles Erbe. In: Kultur und Technik. Zu ihrer Theorie und Praxis in der modernen Lebenswelt. Hrsg. v. Wolfgang König und Marlene Landsch. Frankfurt/M. 1993, 71⫺99. Reinhardt 1975 ⫽ Werner Reinhardt et al.: Deutsche Fachsprache der Technik. Leipzig 1975. Schmitt 1989 ⫽ Peter A. Schmitt: Kulturspezifik von Technik-Texten: Ein translatorisches und terminographisches Problem. In: Kulturspezifik des translatorischen Handelns. Vorträge anläßlich einer GAL-Tagung 1989. Heidelberg 1989, 51⫺89. Spranger 1985 ⫽ Ursula Spranger: Untersuchungen zur Kohärenz, Rekurrenz und Konnexion in medizinischen Fachtexten. Diss. B. Leipzig 1985.

397

38. Das Postulat der Anonymität für den Fachsprachengebrauch Steiger 1993 ⫽ Jochen Steiger: Fachsprache Deutsch und fachsprachliche Kommunikation. In: Deutsch als Fremdsprache 30. 1993, 88⫺91. tekom 1989 ⫽ Gesellschaft für technische Dokumentation e. V.: Berufsbild des technischen Redakteurs. April 1989. Weber 1993 ⫽ Siegfried Weber: Verdichten und Auflösen als Formulierungsmöglichkeiten ⫺ linguistisch und didaktisch betrachtet. Vortrag auf

dem 1. Regionaltreffen der Lehrgebiete, Studienkollegs und Studiengänge Deutsch als Fremdsprache der Länder Sachsen und Thüringen. Chemnitz 1993. Zipf 1965 ⫽ George Kingsley Zipf: The Psychobiology of Language. An Introduction to Dynamic Philology. Cambridge (Massachusetts) 1965 (1st ed. 1935).

Liane Fijas, Freiberg (Sachsen)

38. Das Postulat der Anonymität für den Fachsprachengebrauch 1. 2. 3. 4. 5.

Gegenstandsbestimmung Lexikalische Ebene Morphosyntaktische Ebene Textuelle Ebene Literatur (in Auswahl)

1.

Gegenstandsbestimmung

Anonymität geht auf anonym „nicht bekannt“ (gr. anonymos „namenlos, unbekannt“) zurück. Anonymität gilt als eine der bevorzugten Ausdrucksweisen vieler Fachsprachen, sie gehört auch zu den kennzeichnenden Zügen des wissenschaftlichen Stils. Anonymisierung der Darstellung einer fachsprachlichen Information dient der Darstellung von allem, was bei der Aussage nicht im Fokus zu stehen hat. Gewöhnlich gilt dies vom Textproduzenten und Textrezipienten, da der Fokus in Fachtexten üblicherweise auf Objekten, auf wissenschaftlichen oder technischen Sachverhalten oder Handlungen liegt. Wenn auch die Sache, das Ziel, das Ergebnis einer Handlung im Vordergrund stehen, sind der anonyme Sender und Empfänger, je nach Ausdruckskonstruktion und Textsorte aber immer mehr oder weniger im Hintergrund impliziert. Anonymität hat, besonders in der Wissenschaftssprache, die Funktion, die an einen Autor gebundene Subjektivität zu eliminieren und den Wahrheitsgrad sowie die Objektivität und mögliche Allgemeingültigkeit der fachbezogenen Aussagen zu verstärken. Je nach Textsorten gibt es von diesem Postulat im Fachsprachenbereich sowohl Abweichungen als auch Varietäten, sei es bei wissenschaftlichen Publikationen, in der Rechtssprache, bei Beipackzetteln (vgl. 4.2.1.). Es gibt auch Unterschiede bei der mündlichen und schriftlichen Darstellung (vgl. Gläser 1990), ebenso wie bei der Tatsa-

che, daß die Adressatengruppe nicht homogen ist und die Thematik der Information die Mittel bestimmt. In der Regel sind die Adressaten der Fachsprachen „als Funktionsträger in fachlichen Handlungsabläufen bzw. typische Klassen der Abstraktion von der Konsumption“ zu verstehen (von Hahn 1983, 77). Bei der Analyse des Postulats der Anonymität für den Fachsprachengebrauch darf nicht vergessen werden, was schon Havers (1931, 171) hervorgehoben hat: Da Sprache als soziale Erscheinung in erster Linie Verständigungsmittel sei, muß daran gedacht werden, daß „leichte und schnelle Verständlichkeit … Klarheit, Bestimmtheit und Unzweideutigkeit des Ausdrucks zur Voraussetzung hat“. Von Interesse ist auch die Frage, wie sich das Postulat der Anonymität zu den anderen Postulaten wie Exaktheit, Vagheit, Explizitheit und Ökonomie verhält (s. zu diesen u. a. von Hahn 1983, 98 ff). Anonymisierung hängt häufig mit Abstrahierung zusammen, wobei auch bei dieser verschiedene Niveaus festgestellt werden können. Durch welche Mittel wird die Anonymität ausgedrückt? Die Mittel können auf der lexikalischen, morphosyntaktischen und textuellen Ebene analysiert werden. Sie wirken nicht in gleicher Weise und schaffen dadurch variable Distanzen zum Aktor, wie aus folgenden Sätzen hervorgeht: (1) Wir thematisieren den Modularitätsgedanken wie folgt. (2) Der Modularitätsgedanke wird wie folgt thematisiert. Das Wir in Satz (1) bewirkt noch keine Anonymität, schafft aber eine, wenn auch geringe Entfernung vom Aktor ich (s. 2.2.). Das in Satz (2) verwendete Passiv bewirkt dage-

398

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

gen die Zentrierung des Kernbegriffs und durch Nichterwähnung die totale Distanzierung vom Aktor.

2.

Lexikalische Ebene

Es (8) Im ersten Kapitel handelt es sich um die Überprüfung dieser Hypothese. (9) Es sei auf die Jasmonatinduktion hingewiesen.

Auf der lexikalischen Ebene gehört zu den Mitteln der Anonymisierung die Substitution des Aktor/Autoren-Ich durch Ausdrücke der dritten Person, der ersten Person Plural oder unpersönliche Pronomina, sowie durch Verzicht auf Angabe des Handlungsträgers, wie im Satz (2). Die Vermeidung des Pronomens Ich, das Ich-Tabu, das schon in der antiken Rhetorik als genereller Topos galt, hat ihre Wurzeln in der höflichen Rücksichtnahme auf den Adressaten in Form von Ausschluß der Hervorhebung der eigenen Person.

2.4. Ausnahmen Generell kann festgestellt werden, daß in den geisteswissenschaftlichen Texten das Ich-Tabu sich nicht ganz durchgesetzt zu haben scheint, besonders bei jüngeren Autoren. Kontextbedingt kann ich aber auch obligatorisch sein, in Sätzen, in denen der Autor auf seine eigenen Beiträge hinweisen will:

2.1. Dritte Person Verwendet werden z. B. der Autor, der Rezensent, die Arbeitsgruppe, auch in Form von Abkürzungen: (der, die) Verf., Vf., die AG.

Würde hier der Verfasser/Autor stehen, könnte das mehrdeutig sein, wenn im Text auch von anderen Autoren die Rede ist. Wir würde aber in diesem Kontext gegen das Wahrheitspostulat sprechen.

(3) Mit Zuwachs und Gewinn meint der Autor … (4) Die AG legt im Band II die Untersuchungsresultate dar.

3.

In (4) ersetzt die AG das Pronomen Wir und schafft dadurch eine gewisse Distanz. Laut verschiedenen Untersuchungen geistes- und naturwissenschaftlicher Texte waren über 90% aller finiten Verben in der dritten Person, über 60% davon in der dritten Person Singular (Kretzenbacher 1991, 121). 2.2. Wir Wir als pluralis majestatis, pluralis modestiae, auch Inklusiv-Plural genannt, distanziert den Einzelaktor insofern als es den Adressaten mit einbezieht. (5) Verlassen wir hier die Technik und wenden wir uns der Sozialwissenschaft zu. 2.3. Unpersönliche Pronomina Man (6) Für die Untersuchung chemischer Reaktionen in Hohlräumen benötigt man Erfahrungen aus verschiedenen Spezialgebieten. (7) Unter Ökowatts versteht man die Verringerung des Aufwands an Primärenergie von Emissionen durch Einsparung von Brennstoffen mit Hilfe des Mehreinsatzes von Strom.

(10) In einem anderen Zusammenhang habe ich die Funktionen des Passivs auch aus psycholinguistischen Aspekten analysiert.

Morphosyntaktische Ebene

Zu den syntaktischen Mitteln der Gegenwartssprache für die Markierung der Anonymität gehören Passiv und verschiedene Passivumschreibungen, Adjektivbildungen mit -bar, -sam und -lich sowie Nominalisierungen und verbfreie Sätze. 3.1. Passiv Durch das Vorgangs- und Zustandspassiv wird die Aufmerksamkeit auf die Handlung, den Vorgang, die Sache oder das Ereignis gerichtet und nicht auf die handelnden Personen. Passiv bewirkt Agensabgewandtheit, Deagentivierung. Es wird auch bevorzugt, um das Generelle, das Allgemeingültige darzustellen (Oksaar 1973, 169). 3.1.1. Vorgangspassiv (11) In diesen Bildern wird immer noch ein intuitives Verständnis für so etwas wie Raum vorausgesetzt. (12) Duroplaste werden deshalb größtenteils deponiert oder verbrannt. Die Konstruktion werden ⫹ Part. II findet sich häufig in Definitionen: (13) Unter Statistik wird ein wissenschaftliches Werkzeug zur Erkenntnis der objektiven Realität verstanden.

38. Das Postulat der Anonymität für den Fachsprachengebrauch

3.1.2. Zustandspassiv (14) Gegeben ist die Korrelationstabelle des schematischen Aufbaus von Abbildung XY. (15) „EX“ sei in dem Sinne gebraucht, daß … Der Passivsatz wird wegen seiner hohen Frequenz in fachsprachlichen Texten als eines ihrer syntaktischen Merkmale angesehen (Literatur bei Beier 1979, 283). 3.1.3. Ausnahmen Wenn Verben mit übertragener Bedeutung verwendet werden, ist beim Passiv die genaue Angabe des Aktors obligatorisch und er kann nicht als Mittel der Anonymität eingesetzt werden. (16) (a) Der Patient wurde durch diese Worte verletzt. (b) Der Patient wurde verletzt. (c) Der Patient wurde vom Arzt verletzt. 3.2. Passivsynonyme Zur Darstellung der Anonymität werden auch verschiedene Passivsynonyme verwendet. Synonyme grammatische Formen sind in der Fachsprache keine Seltenheit (vgl. Admoni 1979, 220). Da die Lexeme der Fachsprache möglichst eindeutig sein müssen, sorgt die grammatische Synonymie für Varianz, jedoch stets mit unterschiedlichen Konnotationen (s. Beier 1979, 285; Mentrup 1988, 658 f; Schuldt 1992, 69 f). Zu den Passivsynonymen oder Passivumschreibungen gehören: 3.2.1. Modalpassiv, Bildungen mit Modalverben (17) Bis zu 25% Recyclat kann dem Neumaterial beigefügt werden. (18) Sowohl die Energie-Intensität als auch die Kohlenstoff-Intensität der Stromversorgung müssen weiter verringert werden. (19) Mittelfristig sollen folgende Arbeitsfelder etabliert werden. (20) Die Retarddrage´es dürfen weder geteilt noch zerkaut werden. 3.2.2. Verschiedene Konstruktionen Sich lassen ⫹ Infinitiv (21) Aus diesen Axiomen lassen sich folgende Theoreme herleiten. Sein ⫹ zu ⫹ Infinitiv

399

(22) Ein Aussetzen der Medizin ist in diesem Fall zu empfehlen. Sein ⫹ Adjektiv mit den Suffixen -bar, -sam, -lich Diese Suffixe bilden Adjektive mit einer passivischen Inhaltssphäre, die häufig auch mit der Modalnuance „kann“ verbunden ist. (23) Die Würde des Menschen ist unantastbar. (Art. 1, Abs. 1, Satz 1, Grundgesetz) (24) Vier der fünf Teile sind biegsam. (25) Dieser Stoff ist unlöslich. Der Ausdruck ist unantastbar (Satz 23) schafft eine komprimierte Interpretationsstruktur und ermöglicht eine unpersönliche Ausdrucksweise. In der Rechtssprache realisiert sie auch einen häufig verwendeten Stilzug, direktive Funktionen durch sprachliche Mittel der deskriptiven Funktionen auszudrücken (Schreckenberger 1978, 51), vgl. Satz 29. Statt Direktiven wie darf nicht oder es ist verboten wird eine deskriptive Ausdrucksform gewählt. Diese eröffnet aber auch eine weitere modalpassivische Ebene mit der Interpretationsstruktur „kann nicht angetastet werden“. 3.2.3. Nominale Formen Verbalabstrakta auf -ung: Vollziehung, Auskopplung, Durchblutung, CO2-Reduzierung sind vor allem in der Rechts- und Verwaltungssprache beliebt. Sie erfüllen, verbunden mit Genitivattributen, auch generell die Funktion der Aktoranonymität und Kondensierung (s. auch 4). (26) Die zur Begründung des Pfandrechts erforderliche Einräumung und Ergreifung der Innehabung wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß […] (BGB § 1147). Wie aus folgenden Sätzen hervorgeht, ist der Nominalstil (Satz 27 a) im Vergleich zum Verbalstil (Satz 27 b) ⫺ bei gleicher Passivkonstruktion ⫺ handlungszielzentrierter: (27) (a) Der Verein wird aufgelöst durch die Eröffnung des Konkurses. (b) Der Verein wird dadurch, daß der Konkurs eröffnet wird, aufgelöst/ dadurch aufgelöst, daß der Konkurs eröffnet wird. Der Fokusunterschied wird auch durch den Vergleich folgender Sätze deutlich: (28) (a) Die Teilung des Überschusses erfolgt nach den Vorschriften über die Gemeinschaft.

400

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

(b) Der Überschuß wird nach den Vorschriften über die Gemeinschaft geteilt. Im Satz (28 a) erfährt man durch das an erster Stelle stehende Verbalabstraktum und folgendes Genitivattribut schon gleich, worum es geht; im Satz (28 b) erfährt man es erst am Satzende, durch die Verbalkonstruktion (s. hierzu Oksaar 1988, 98 f). Dieselbe Funktion wie in (28 a) erfüllen auch Funktionsverbfügungen: (29) Auf Angestellte findet diese Vorschrift entsprechende Anwendung. 3.2.4. Verbfreie Kurzsätze Bestimmte Kurzsatzklischees gelten laut Riesel (1959, 284) als anerkannte Normen des wissenschaftlichen Stils: „Sie verleihen der Darstellung nüchterne Sachlichkeit und Unpersönlichkeit“: (30) Hier ein Beispiel für […] (31) Und nun zur Besprechung einer wichtigen Frage. (32) Dosierungs- und Anwendungsweise: Nur nach Anweisung des Arztes.

4.

Textuelle Ebene

Verschiedene Typen des Nominalstils kennzeichnen fachsprachliche Textsorten, die Kondensation und unpersönliche Darstellungsweise bevorzugen. In Abstracts finden sich z. B. häufig „verblose nominativische Elementarsätze“ (Admoni 1973, 223). Die zentrale Information wird durch eine -ungBildung im Nominativ und dazugehörende Ergänzungen gegeben: (33) Ableitungen von Gleichungen zur vereinfachten Berechnung der Formänderung elektromagnetisch umgeformter dünnwandiger metallischer Hohlzylinder aus den Parametern der Umformanlage, des Werkstückes und der Werkzeuge bei Vernachlässigung der exakten Ermittlung des Einflusses der Entladefrequenz (Admoni 1979, 224). In derartigen Texten finden sich auch kopulafreie zweigliedrige Konstruktionen, wo laut Admoni (1979, 225) ähnliche Gebilde als Prädikative auftreten: (34) Vorteile des Kernformverfahrens: Unabhängigkeit vom Formstoff (feuchte und trockene Mischungen), hohe Verdich-

tung der geschlossenen Kernformen […]“. Die Kette der Prädikation läßt sich beliebig erweitern (vgl. Satz 7). 4.1. Mehrfunktionalität Die Mittel des Anonymitätsstrebens können auf der Textebene mehrfache Funktionen haben. Sie verbinden auch funktionale und strukturbezogene Aspekte. So kann der Ersatz des Aktivs durch das Passiv auch Thema-Rhema-Verschiebungen bewirken; es kann „die Handlungszielbezeichnung als Thema, ggf. gleichzeitig als Basis präsentiert werden“ (Beier 1979, 283). Dadurch erhält sie in bezug auf Vorhergesagtes eine kohärenzschaffende Funktion (vgl. Satz 14). Die vom Aktivsatz abweichende Interpretationsstruktur ermöglicht somit nicht nur eine unpersönliche sachliche Darstellung. Dabei werden nicht selten verschiedene Anonymitätsmarköre kombiniert. (35) In der theoretischen Physik […] verschärfen wir daher die natürliche Sprache, indem wir den für den betreffenden Erfahrungsbereich grundlegenden Begriffen mathematische Symbole zuordnen, die zu den Tatsachen […] in Beziehung gesetzt werden können […]. Man kann dieses Schema als eine mathematische Kunstsprache bezeichnen. Die Grundbegriffe […] werden durch ein System von Definitionen und Axiomen in ihrer Bedeutung festgelegt (Heisenberg 1967, 25). 4.2. Anonymitätsvermeidung Wir haben die Gründe, Mittel und Folgen des Anonymitätsstrebens bei der Fachsprachenverwendung erörtert, u. a. Deagentivierung, Nominalisierung, Satzkomprimierung, und auch auf die Faktoren hingewiesen, die auch bei den hier analysierten Mitteln die Anonymität des Aktors nicht zulassen (s. 2.4.; 3.1.3.). Es sei ferner auf folgende Anonymitätsvermeidungstendenzen hingewiesen: 4.2.1. Adressatenzugewandtheit kommt aus Höflichkeitsgründen z. B. bei der Textsorte Beipackzettel zunehmend vor: (36) Sollten Beschwerden auftreten, so unterrichten Sie Ihren Arzt. Zu sprachlichen Realisierungsformen der persönlichen und unpersönlichen AdressatenBezugnahme bei Beipackzetteln s. Schuldt (1992, 218 ff).

38. Das Postulat der Anonymität für den Fachsprachengebrauch

4.2.2. Anonymität des Aktors wird nicht selten vermindert für didaktische Zwecke; Lit. s. Beer (1980, 85). (37) (a) Womit experimentiert der Chemiker? Er experimentiert mit […]. (b) Womit experimentiert man in der Chemie? Man experimentiert mit […]. (c) Womit wird in der Chemie experimentiert? In der Chemie wird mit […] experimentiert.

5.

Literatur (in Auswahl)

Admoni 1979 ⫽ Vladimir Admoni: Die Verwendung der grammatischen Formen in den Fachsprachen. In: Mentrup 1979, 218⫺228. Beier 1979 ⫽ Rudolf Beier: Zur Syntax in Fachtexten. In: Mentrup 1979, 276⫺301. Beier 1980 ⫽ Rudolf Beier: Englische Fachsprache. Stuttgart. Berlin 1980. Benesˇ 1971 ⫽ Eduard Benesˇ: Fachtext, Fachstil und Fachsprache. In: Sprache und Gesellschaft. Beiträge zur soziolinguistischen Beschreibung der deutschen Gegenwartssprache. Düsseldorf 1971 (Sprache der Gegenwart 13), 118⫺132. Benesˇ 1981 ⫽ Eduard Benesˇ: Die formale Struktur der wissenschaftlichen Fachsprachen in syntaktischer Hinsicht. In: Bungarten 1981, 185⫺212. Bungarten 1981 ⫽ Theo Bungarten (Hrsg.): Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. München 1981. Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung. Linguistische Konzepte. Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Havers 1931 ⫽ Wilhelm Havers: Handbuch der erklärenden Syntax. Heidelberg 1931.

401

Heisenberg 1967 ⫽ Werner Heisenberg: Sprache und Wirklichkeit in der modernen Physik. In: Sprache und Wirklichkeit. Essays. DTV. München 1967, 20⫺43. Kretzenbacher 1991 ⫽ Heinz L. Kretzenbacher: Syntax des wissenschaftlichen Fachtextes. In: Fachsprache 13. 1991, 118⫺137. Mentrup 1979 ⫽ Wolfgang Mentrup (Hrsg.): Fachsprachen und Gemeinsprache. Jahrbuch 1978 des Instituts für deutsche Sprache. Düsseldorf 1979 (Sprache der Gegenwart 46). Mentrup 1988 ⫽ Wolfgang Mentrup: Zur Pragmatik einer Lexikographie. Teil 1. Tübingen 1988 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 66.1). Möhn 1977 ⫽ Dieter Möhn: Ziele und Ergebnisse der Fachsprachenforschung und der Terminologiearbeit. In: Muttersprache 87. 1977, 67⫺76. Oksaar 1973 ⫽ Els Oksaar: Betrachtungen im Bereich des Passivs. In: Linguistische Studien IV. Festgabe für Paul Grebe zum 65. Geburtstag. Teil 2. Düsseldorf 1973 (Sprache der Gegenwart 24), 165⫺172. Oksaar 1988 ⫽ Els Oksaar: Fachsprachliche Dimensionen. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 4). Riesel 1959 ⫽ Elise Riesel: Stilistik der deutschen Sprache. Moskau 1959. Schreckenberger 1978 ⫽ Waldemar Schreckenberger: Rhetorische Semiotik. Analyse von Texten des Grundgesetzes und von rhetorischen Grundstrukturen der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts. München 1978. Schuldt 1992 ⫽ Janina Schuldt: Den Patienten informieren. Beipackzettel von Medikamenten. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachenforschung 15). Schwanzer 1981 ⫽ Viliam Schwanzer: Syntaktischstilistische Universalia in den wissenschaftlichen Fachtexten. In: Bungarten 1981, 213⫺230. Weinrich 1993 ⫽ Harald Weinrich: Textgrammatik der deutschen Sprache. Unter Mitarbeit von Maria Thurmair, Eva Breindl und Eva-Maria Willkop. Mannheim 1993.

Els Oksaar, Hamburg

402

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

39. Verständlichkeit beim Gebrauch von Fachsprachen 1. 2. 3. 4. 5. 6.

1.

Problemstellung und Forschungsstand Verständlichkeit, Verstehen und Wissen Fachsprachliche Schichtung, Fachtextsorten und Verständlichkeit Adressatenorientierung und Sachangemessenheit Didaktische Möglichkeiten zur Verbesserung der Verständlichkeit bei der Gestaltung von Fachtexten Literatur (in Auswahl)

Problemstellung und Forschungsstand

Wenn Verständlichkeit als eine Verwendungseigenschaft von Fachsprachen neben die „klassischen“ funktionalen Anforderungen an Fachsprachen (Exaktheit, Explizitheit, Ökonomie) tritt, so zeigt sich hierin nicht zuletzt eine Erweiterung des traditionellen Problemverständnisses der Fachsprachenforschung. Während sich bei der Beschreibung von Systemeigenschaften eine stärkere Hinwendung zum Fachtext abzeichnet (Fachtextlinguistik), finden neben der (eher kognitiven) Funktion von Fachsprachen als Erkenntnisinstrument auch ihre (eher kommunikativen) Funktionen bei der Vermittlung von Fachwissen in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen ⫺ von der fachinternen zur interfachlichen und fachexternen Kommunikation ⫺ Beachtung (vgl. Hoffmann 1985, 15 ff). Verständlichkeit wird dabei in der Regel allerdings erst dann thematisch, wenn sich das Verstehen von Fachtexten als problematisch erweist, wenn ein Fachtext z. B. das Verdikt der Unverständlichkeit auf sich zieht (vgl. Biere 1980, 228; Kalverkämper 1988, 312). In dieser Hinsicht problematisch erscheint insbesondere die (unreflektierte) Verwendung von Fachsprache in fachexterner Kommunikation. Das „Kommunikationsmittel Fachsprache“ (Hoffmann 1985, 15 ff) wird hier zur Kommunikationsbarriere. Inzwischen werden aber auch in fachinterner Kommunikation die Konsequenzen einer zunehmenden Binnendifferenzierung innerhalb von Fächern deutlich, deren disziplinäre Identität kaum mehr an der Einheitlichkeit ihrer Fachsprachen ablesbar ist. Auch in interfachlicher Kommunikation erweist sich die zunehmende fachliche bzw. fachsprachliche Differenzierung und Spezialisierung demnach immer mehr als „Informationsbarriere“ (Fluck 1991, 37 ff).

Während Exaktheits-, Explizitäts- und Ökonomiepostulat Garanten dafür sind, daß mit der Verwendung von Fachsprachen ein der Komplexität des jeweiligen Wirklichkeitsausschnitts und den Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit (bzw. Fachlichkeit) genügendes, hinreichend differenziertes Reden über Gegenstände, Methoden und Probleme eines Faches (innerhalb der scientific community bzw. unter Fachleuten) ermöglicht wird, gewinnt das Verständlichkeitspostulat seine Bedeutung aus der prinzipiellen Spannung zwischen dem aufgrund innerfachlicher Standards sachlich-fachlich für angemessen gehaltenen Grad an (sprachlicher) Präzision auf der einen und dem damit einhergehenden „Verlust an Allgemeinheit“ (Fluck 1991, 35) auf der anderen Seite. Dies wird gerade bei der Vermittlung solchen (fachlichen) Wissens zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem, dessen allgemeine Verfügbarkeit als Voraussetzung für die Partizipation an demokratischen Meinungs-, Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen anzusehen ist. Parallel zu dem in der Fachsprachenforschung sich entwickelnden Problembewußtsein erhält auch die Verständlichkeitsforschung in den 70er Jahren neue Impulse. Einerseits wird ein über Rating-Verfahren empirisch-induktiv gewonnenes Modell der „Verständlichkeitsdimensionen“ (Langer/ Schulz van Thun/Tausch 1974, 13 ff) vorgeschlagen, das die Vielfalt von Texteigenschaften in vier „Dimensionen der Verständlichkeit“ zusammenfaßt: Einfachheit, Kürze ⫺ Prägnanz, Ordnung ⫺ Gliederung, stimulierende Zusätze. In jeder der Dimensionen soll ein gegebener Text hinsichtlich des jeweils optimalen Ausprägungsgrades der in einer Dimension relevanten Textmerkmale verbessert werden können. Dem empirisch-induktiven Ansatz steht ein theoretisch-deduktiver gegenüber, der zwar zu vergleichbaren „Dimensionen“ gelangt, diese jedoch aus lern- und instruktionspsychologischen Theorieansätzen ableitet und dementsprechend anders gewichtet. Durch Bezug auch auf verstehenstheoretische Ansätze wird ein ausschließlich an Textmerkmalen orientierter Verständlichkeitsbegriff in einem auf der Idee einer „Leser-Text-Interaktion“ (Groeben 1982, 8 f) basierenden „Verständlichkeitskonstrukt“ aufgehoben. Zur Theoretisierung der zunächst eher praktisch

403

39. Verständlichkeit beim Gebrauch von Fachsprachen

orientierten Verständlichkeitsforschung trägt nicht zuletzt die Entwicklung kognitionsorientierter Verstehensmodelle bei, die Verstehen als kognitiven Prozeß begreifen und damit das behavioristische Paradigma durch ein kognitives abzulösen versuchen (vgl. Hoppe-Graff 1989, 15). Auch die Linguistik „entdeckt“ in den 70er Jahren das Thema „Verständlichkeit“ als „genuinen Forschungsbereich“ (Heringer 1979, 225 ff). Sie versucht einerseits, eine theoretisch fundierte linguistische Beschreibung jener Texteigenschaften zu liefern, die (oft unhinterfragt) als verständlichkeitsrelevant gelten, und andererseits, die sprach- bzw. verstehenstheoretische Dimension der Verständlichkeitsproblematik historisch-systematisch zu entfalten (vgl. Biere 1989, 2 f). Für die Fachsprachenforschung eröffnet sich das Problemfeld der Verständlichkeit mit der Frage „nach dem Verhältnis von fachgebundener und nicht-fachgebundener Kommunikation“ (Möhn 1979 a, 10) bzw. nach spezifischen vermittelnden Textsorten (vgl. Möhn 1979 b, 77 f) sowie nach dem Erwerb fachlicher bzw. fachsprachlicher Kompetenz in Lehr- und Lernprozessen (vgl. Wimmer 1979, 246 ff). Obwohl die Verständlichkeitsforschung nicht zuletzt mit fachsprachlich geprägten Texten befaßt ist (Lehrtexte, Instruktionen, allgemeine Informationstexte mit z. B. rechts- und verwaltungssprachlichen Charakteristika), wird erst auf dem Hintergrund der Fachsprachenforschung jenes „Dilemma der Verständlichkeit“ (Heringer 1979, 258) virulent, das auf die gerade für die Problematik fachexterner Kommunikation charakteristische Spannung von sachangemessenem und adressatenangepaßtem Reden und Schreiben verweist.

2.

Verständlichkeit, Verstehen und Wissen

Ob ein Fachtext leicht oder schwer verständlich ist, hängt nicht allein von seinen sprachlichen Gestaltungsmerkmalen ab, sondern auch von Merkmalen der betreffenden Leser (vgl. Groeben 1982, 8 f). Die Annahme, daß Leser- und Textmerkmale miteinander in Wechselwirkung stehen (interagieren), besagt, daß verständlichkeitsfördernde Effekte, die auf bestimmte Merkmale der Textgestaltung zurückgeführt werden, nicht generell erwartet werden können, sondern nur in Wechselwirkung mit bestimmten Lesermerkmalen auftreten.

Aufgrund ihrer spezifischen Funktion in der Fachkommunikation und ihrer in der Fachlichkeit der Gegenstände begründeten fachsprachlichen Charakteristika sind Fachtexte hochgradig adressatenspezifische Texte, so daß der Bezug auf Leservoraussetzungen gerade hier von besonderem Interesse ist. Die Begriffe des Verstehens und der Verständlichkeit lassen sich nun einerseits auf die sprachliche Gestaltung des Textes beziehen, andererseits aber auch auf die fachlichen Gegenstände selbst und entsprechende sachlogische Zusammenhänge, die „verstanden“ sein wollen, wiewohl sich diese uns größtenteils sprachlich erschließen. Beim Verstehen von Texten rekonstruieren wir den Sinn eines Textes aufgrund unseres Sprachwissens, unserer Kenntnis der Gebrauchsweisen oder Bedeutungen der verwendeten Wörter und Sätze, ihrer syntagmatischen und paradigmatischen Bezüge, sowie aufgrund von Textmusterwissen. Andererseits verweist das Verstehen insbes. der referentiellen Ausdrücke auf Gegenstände und Sachverhalte in der „Welt“, über die mit Hilfe der sprachlichen Formen des Textes etwas ausgesagt wird. So verweist ein in einem Fachtext verwendeter Fachausdruck (Terminus) in der Regel eindeutig auf einen bestimmten fachlichen Gegenstand (bzw. eine fachspezifische Konzeption des Gegenstandes), als dessen Bezeichnung der Terminus eingeführt ist, und damit sowohl auf den Zusammenhang eines (ggf. fachsprachlich normierten) Bezeichnungssystems (Terminologie) wie eines fachlichen Kenntnissystems (vgl. Wildegans 1993, 22).

3.

Fachsprachliche Schichtung, Fachtextsorten und Verständlichkeit

Die Frage, welche Wissensvoraussetzungen für das Verständnis eines konkreten (Fach-)textes jeweils relevant sind, muß nun allerdings notwendigerweise zu einer Differenzierung des Begriffs des Fachtextes führen. Aufgrund des Kommunikationsbereichs, aus dem ein Fachtext stammt, aufgrund der fachsprachlichen Schicht und der Textsorte, der er zuzurechnen ist, ist dieser tendenziell immer schon auf die Bedürfnisse, Interessen und Voraussetzungen bestimmter Gruppen von Adressaten hin konzipiert. In der Fachsprachenforschung sind entsprechende Differenzierungen zunächst primär im Sinne einer Annäherung an das „Wesen“ von Fachsprache diskutiert worden (vgl. Hoffmann 1985,

404

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

21⫺75). Versucht man, die Vorstellung einer vertikalen Schichtung innerhalb von Fachsprachen auf das Verständlichkeitsproblem zu beziehen, so zeigt sich, daß die Problematik fachexterner Kommunikation („Fachsprache als Barriere“) u. U. nur bestimmte Schichten des Faches betrifft. Fachexterne Kommunikation (horizontale Gliederung) kann zwar von jeder beliebigen Schicht aus erfolgen, je nach dem Fachlichkeitsgrad der betreffenden Schicht und den damit zusammenhängenden sprachlichen Merkmalen können die Probleme fachexterner Kommunikation jedoch in der Tat unterschiedlich groß sein. Allerdings stellt sich die Frage nach der Verständlichkeit beim Gebrauch von Fachsprachen auch innerhalb der vertikalen Schichtung eines Faches. Charakteristisch für das Bewußtwerden solcher vertikalen Vermittlungsprobleme ist u. a. die Diskussion um die „Transferoptimierung technisch-wissenschaftlicher Ergebnisse in die betriebliche Praxis“ (vgl. Becker/Schmalen 1990, 91 ff). Im Hinblick auf die verstehensrelevanten leserseitigen (fachlichen) Wissensvoraussetzungen ist auch die Konstellation der Kommunikationspartner in den verschiedenen Kommunikationsbereichen (Schichten) von Interesse. Während in einer Schicht A (vgl. Hoffmann 1985, 66) Wissenschaftler mit annähernd gleichen Wissensvoraussetzungen, Denk- und Argumentationsmustern mit Hilfe entsprechender Fachtexte auf höchster Abstraktionsstufe Informationen innerhalb der scientific community austauschen, handelt es sich in allen anderen Schichten (B bis E) um eher asymetrische Partnerkonstellationen. Diese sind in der Regel durch fachliche Wissensdifferenzen, zumindest jedoch unterschiedliche Problemverständnisse oder Perspektiven auf den fachlichen Gegenstand (z. B. begründet in einem spezifischen Anwendungsinteresse) charakterisiert. Fachtexte erfüllen hier nur dann ihre kommunikative Funktion, wenn es dem Fachtextautor gelingt, ein weitgehend zutreffendes Bild seiner Adressatengruppe zu entwerfen, das den spezifischen anwendungsorientierten Interessen sowie den kognitiven und sprachlichen Voraussetzungen solcher innerfachlicher Gruppen Rechnung trägt. Wenn sich die Schichten „im konkreten Kommunikationsakt bzw. im sprachlichen Text“ (Hoffmann 1985, 67) zumindest hinsichtlich der verwendeten sprachlichen Formen und der Abstraktionsstufen vermischen, so nähert sich die Art der verti-

kal auftretenden Verständigungsprobleme insofern kontinuierlich denen der fachexternen Kommunikation an, als sich fachsprachliche Charakteristika immer stärker mit gemeinsprachlichen vermischen. Diese Vermischung tritt im übrigen auch dann auf, wenn zur Einführung fachsprachlicher Ausdrücke auf die Gemeinsprache rekurriert werden muß. Wie im konkreten Fall Verständlichkeit von seiten der Kommunikationsträger jeweils herzustellen ist, kann letztlich immer nur aufgrund einer Antizipation relevanter Adressatenmerkmale entschieden werden. Zweifellos gibt es jedoch aufgrund unterschiedlicher Fachlichkeitsgrade auch generellere (stilistisch relevante) „Einstellungen zum Empfänger“: Forscherstil, Stil der Lehrbücher, Nachschlagbücher und Wegweiser (Übergang zum praktischen Sachstil), populärwissenschaftlicher Stil und Stil der Publizistik (Hoffmann 1985, 33).

4.

Adressatenorientierung und Sachangemessenheit

Der tendenzielle Konflikt zwischen der sachbezogenen Maxime „Sage, was zu sagen ist“ und der partnerbezogenen Maxime „Rede so, daß dein Partner dich versteht“, das „Dilemma der Verständlichkeit“ (Heringer 1979, 258; vgl. Biere 1989, 197 ff) tritt in besonderem Maße dort zutage, wo fachsprachliche Elemente eines Textes zugunsten von gemeinsprachlichen zurückgedrängt werden, um so auch für solche Adressaten verständlich zu sein, die mit dem betreffenden Fach und seiner Fachsprache nicht hinreichend vertraut sind. Inwieweit entsprechen aber die so vermittelten Inhalte noch den fachlichen Inhalten, die es zu übermitteln galt, zumal deren sachangemessene Vermittlung wesentlich an die Verwendung von Fachsprache gebunden zu sein scheint? Das bedeutet: die funktionalkommunikative Angemessenheit von Texten in fachinterner wie in fachexterner Kommunikation ist stets an zwei Kriterien zu messen, die sich aus den beiden tendenziell widerstreitenden Maximen ableiten: (i) am Kriterium der sachlich-fachlichen Angemessenheit oder Korrektheit und (ii) am Kriterium der adressatengerechten Textgestaltung. Auch wenn man nicht so weit gehen will zu behaupten, es gebe jeweils nur eine einzige dem jeweiligen fachlichen Sachverhalt angemessene sprachliche Form, eben die fachsprachlich korrekte, so muß man doch zweifellos konzedieren,

405

39. Verständlichkeit beim Gebrauch von Fachsprachen

daß es nicht beliebig viele gleichwertige Formulierungsalternativen gibt, mit denen ein Sachverhalt einmal mehr, einmal weniger fachsprachlich, einmal mehr, einmal weniger verständlich ausgedrückt werden könnte. Die fachsprachliche Problemfixierung erfüllt in der Tat zahlreiche grundlegende Funktionen, wie sie u. a. in den Artikeln 34, 36 bis 38 dargelegt sind. Das Zusammenwirken dieser Faktoren garantiert beispielsweise in der wissenschaftlichen Schicht eines Faches genau das, was wir „Wissenschaftlichkeit“ nennen und was i. a. als generellstes Kriterium für die Qualität eines Fachtextes in dieser Schicht angesetzt wird. Wissenschaftlichkeit (wie auch Exaktheit, Explizitheit, Ökonomie) scheint beim Verzicht auf fachsprachliche Formulierungsweisen nicht mehr gewährleistet zu sein. Dementsprechend werden Wissenschaftler oder andere Fachleute, wenn sie populärwissenschaftliche oder publizistische Darstellungen der Problemstellungen in ihrem Fach beurteilen, des öfteren einwenden, die Darstellung sei zwar verständlich, aber sie vermittele kaum den Stand der aktuellen Diskussion innerhalb des Faches. Demgegenüber wird der Wissenschaftsjournalist einwenden, er habe seine Darstellungsform ja nicht im Hinblick auf eine fachinterne Problemdiskussion gewählt, sondern im Hinblick auf ein, wenn auch fachlich interessiertes, Laienpublikum, für welches das Kriterium adressatenorientierter Textverständlichkeit ausschlaggebend gewesen sei. In der Tat muß dieses Dilemma bestehen bleiben, wenn wir an der Identität der Inhalte in einem strengen Sinn festhalten. Es löst sich jedoch tendenziell auf, wenn wir von den unterschiedlichen Funktionen etwa eines Fachzeitschriftenbeitrags und einer entsprechenden fachjournalistischen oder populärwissenschaftlichen Darstellung (z. B. in Form eines Features oder einer Reportage) ausgehen. Im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Funktionen wird inhaltliche Identität gar nicht mehr das zentrale Kriterium für die Beurteilung der Qualität des betreffenden Textes sein. Auf genau dies verweist auch die Skala der Fachlichkeitsgrade, die davon ausgeht, daß sich Fachlichkeit in verschiedenen Schichten des Faches, wie auch in fachexterner Kommunikation in einer sprachlichen Form präsentiert, die als sachlich angemessen gelten kann, wenn sie den praktischen Erfordernissen der (Fach-)kommunikation in dieser Schicht gerecht zu werden vermag. Während Fachleute „unter sich“ durch die Verwendung von Fachspra-

che auch größtmögliche Verständlichkeit gewährleistet sehen, werden die in diesem Verwendungszusammenhang funktionalen Formen in einem anderen Zusammenhang u. U. dysfunktional. Wird in nicht i. e. S. fachlichen Verwendungszusammenhängen am Gebrauch von Fachsprache ⫺ bewußt oder unbewußt ⫺ festgehalten, so wird der Rezipient dies kaum als adäquates Informationsangebot auffassen, sondern eher als einen Fall „exklusiver Kommunikation“ bzw. von Informationsverweigerung. Andererseits kann eine von falschen Adressatenvoraussetzungen ausgehende Textgestaltung natürlich den gleichen Effekt haben.

5.

Didaktische Möglichkeiten zur Verbesserung der Verständlichkeit bei der Gestaltung von Fachtexten

Wie unsere Diskussion zu sprachlichen und sachlich-fachlichen Verstehensvoraussetzungen des Lesers (vgl. 2.) sowie zur Gliederung und Schichtung von Fachsprachen, auf die sich auch die Unterscheidung verschiedener Fachlichkeitsgrade bzw. Stilschichten (Einstellungen zum Leser) abbilden ließ (vgl. 3.), gezeigt hat, kann die Verständlichkeit eines gegebenen Fachtextes nur unter Bezug auf die jeweils intendierten Adressaten beurteilt werden. Schwerverständlichkeit kann demnach nicht als Merkmal von Fachtexten schlechthin betrachtet werden. Trotzdem ist es sinnvoll zu fragen, wie es gerade einem Fachtextautor gelingen kann, einen für eine bestimmte fachsprachliche Schicht bzw. für die fachexterne Kommunikation konzipierten Text so zu gestalten bzw. verständlich zu machen, daß der jeweilige Leser die dargebotenen Informationen in seine Wissensstrukturen zu integrieren vermag. Hierzu bedarf es allerdings auch seitens des Lesers eines der Komplexität des Gegenstandes angemessenen interpretierenden Umgangs mit dem Text. Der Leser muß seinerseits versuchen, sich den Text und damit den dargestellten Sachverhalt verständlich zu machen. Damit bezieht sich der Begriff des Verständlichmachens einerseits auf die Formulierungsstrategien des primären Autors des Fachtextes, andererseits auf die selbstgesteuerten Verstehens- bzw. Textverarbeitungsstrategien des Lesers. Schließlich kann ein „sekundärer“ Autor in der Rolle des professionellen „Verständlichmachers“ intervenieren, der einen gegebenen Text für unterschiedliche Adressa-

406

V. Ergebnisse der Fachsprachenforschung I: Verwendungseigenschaften von Fachsprachen

tengruppen aufzubereiten versucht (Textbearbeitung). In allen drei Fällen bezieht sich der Begriff des Verständlichmachens sowohl auf die Ebene des Sprachlichen, wie auch auf die Ebene der fachlichen Zusammenhänge selbst. Begreift man die Aufgabe des Verständlichmachens im Sinne der diskutierten Adressatenorientierung, so kann man sich bei der Textproduktion etwa von folgenden Fragen leiten lassen: ⫺ Wie nah oder wie fern stehen die Adressaten dem betreffenden Fach? ⫺ Über welche fachlichen Kenntnisse verfügen die Adressaten bereits? ⫺ Kennen sie grundlegende Begriffe und Methoden des betreffenden Faches sowie gewisse grundlegende fachsprachliche Elemente? ⫺ Konkurrieren fachspezifische Bedeutungen eines Ausdrucks mit gemeinsprachlichen oder mit ausdrucksseitig identischen Termini anderer Fächer? Welche Ausdrücke sind in diesem Sinn „brisante Wörter“ (Strauß/Haß/ Harras 1989, 9)? ⫺ Welches (theoretische oder praktische) Interesse haben die Adressaten an bestimmten fachlichen Informationen? Welches Problemverständnis haben sie? Für welche lebenspraktischen Fragen erwarten sie Orientierungs-, Argumentations- oder Entscheidungshilfen? ⫺ Wie vertraut sind die Adressaten mit bestimmten methodischen und argumentativen Standards des betreffenden Fachs? Welchen Grad an argumentativer (und dementsprechend sprachlicher) Differenziertheit erwarten sie, welchen kann oder muß ich als Autor ihnen „zumuten“? ⫺ Verfügen die Adressaten über die Möglichkeit, Verstehensschwierigkeiten selbständig zu bewältigen (z. B. durch Benutzung von Lexika, Handbüchern, Wörterbüchern, weiterer Fachliteratur)? ⫺ Können sie ggf. mit dem Autor oder einem anderen Experten (schriftlich oder mündlich) Rücksprache nehmen, in einen verständigungsorientierten Dialog eintreten? Findet der Text möglicherweise eingebettet in mündliche Kommunikations- bzw. Instruktionssituationen Verwendung? In der Regel kann und muß allerdings auch auf allgemeine Prinzipien verständnisfördernder Textgestaltung zurückgegriffen werden, wie sie bereits aus der Tradition der Rhetorik und Stilistik, insbesondere aber aus der neueren Verständlichkeitsforschung abge-

leitet werden können. Letztere hat eine Reihe von Gestaltungstechniken vorgeschlagen, die größtenteils auch bei der Gestaltung von Fachtexten Anwendung finden können. Während die auf „Einfachheit“ abzielenden Empfehlungen (geläufige Wörter, konkrete, anschauliche Wörter, keine Fachwörter; grammatikalisch einfache Sätze und Satzgefüge) in der Regel den Ansprüchen an abstrakte Begrifflichkeit und argumentativ differenzierte Darstellung komplexer Probleme bzw. Sachverhalte zuwiderlaufen, also in Fachtexten i. a. nicht realisiert werden können, dürften die auf „kognitive Gliederung/ sequentielle Ordnung“ abzielenden verständlichkeitsfördernden Maßnahmen durchaus den Anforderungen an fachsprachliche Darstellungen entsprechen (argumentative Textkohärenz, sog. sequentielles Arrangieren, div. Gliederungssignale, Hervorhebungen usw.). Allerdings zielen zahlreiche Gestaltungsempfehlungen auf eine Art Didaktisierung der Texte ab, die nicht in jedem Fall angemessen erscheint. Dies wird etwa an den von Ballstaedt/Mandl/Schnotz/Tergan (1981, 107 ff) diskutierten Techniken der Textoptimierung deutlich: Angabe von Lernzielen, Zusammenfassungen, Vorstrukturierungen, Sequenzierung, Überschriften, Textfragen, Marginalien, drucktechnische Gestaltung, Abbildungen und Graphiken. Während Zusammenfassungen oder Abstracts in Fachtexten ebenso gebräuchlich sind wie Überschriften, Abbildungen und Graphiken oder eine sachlogische Sequenzierung, können Lernzielangaben, Textfragen, Marginalien usw. nicht ohne weiteres für alle nur möglichen Fachtextsorten empfohlen werden. Lehrtexte sind jedoch in unserem Zusammenhang insofern eine relevante Textsorte, als sie eine Zwischenstellung einnehmen zwischen der Experten- und der Laienkommunikation. Sie haben die ausdrückliche Funktion, in fachliche Zusammenhänge und damit, wenn auch nicht immer explizit, in die betreffende Fachsprache einzuführen. Dazu bedienen sie sich zunächst gemeinschaftlicher Mittel, auf die bei der Konstruktion von Fachsprachen generell Bezug genommen werden muß. Ziel des Lehrtextes ist es, Lernprozesse zu stimulieren, die den Lerner letzlich befähigen sollen, an fachlich-fachsprachlicher Kommunikation passiv wie aktiv teilnehmen zu können, also auch entsprechende Fachtexte verstehen zu können. Ein derart weitreichendes Ziel wissenschaftlicher oder fachlich-fachsprachlicher „Sozialisation“ ver-

39. Verständlichkeit beim Gebrauch von Fachsprachen

folgen Sachbücher oder populärwissenschaftliche Darstellungen dagegen in der Regel nicht. Sie begnügen sich mit einer partiellen Wissensvermittlung, bei der sie auf eher punktuelle Strategien des Verständlichmachens bzw. auf gemeinsprachliche wie textsortenspezifische narrative Verfahren zurückgreifen. Für jede Ebene des Gebrauchs von Fachsprachen, innerhalb der vertikalen Schichtung eines Faches, fächerübergreifend-interdisziplinär oder fachextern, gilt es, unter Berücksichtigung fachtextsortenspezifischer Gestaltungsnormen Verständigung zwischen den am Prozeß der Gewinnung und der Vermittlung von Wissen beteiligten Partnern zu erzielen. Verständlichkeit, begriffen als interaktive Kategorie, erscheint in einem solchen Prozeß als Voraussetzung und Ziel der fachlichen Kommunikation durch und über Texte.

6.

Literatur (in Auswahl)

Ballstaedt/Mandl/Schnotz/Tergan 1981 ⫽ Steffen P. Ballstaedt/Heinz Mandl/Wolfgang Schnotz/Sigmar-Olaf Tergan: Texte verstehen ⫺ Texte gestalten. München. Wien. Baltimore 1981. Becker/Schmalen 1990 ⫽ Thomas Becker/Heinrich Schmalen: Das Kooperationsprojekt „Transferoptimierung technisch-wissenschaftlicher Ergebnisse in die betriebliche Praxis“. In: Sprache und Technik. Gestalten verständlicher technischer Texte. Hrsg. v. Thomas Becker, Ludwig Jäger, Walter Michaeli und Heinrich Schmalen. Aachen 1990, 91⫺ 124. Biere 1980 ⫽ Bernd Ulrich Biere: „Unverständlichkeit“ als kommunikativer Konflikt. In: Linguistik und Didaktik 43/44. 1980, 228⫺232. Biere 1989 ⫽ Bernd Ulrich Biere: Verständlich-Machen. Hermeneutische Tradition ⫺ Historische Praxis ⫺ Sprachtheoretische Begründung. Tübingen 1989 (Reihe Germanistische Linguistik 92). Fluck 1991 ⫽ Hans-R. Fluck: Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 4. Aufl. Tübingen 1991 (1. Aufl. 1976). Groeben 1982 ⫽ Norbert Groeben: Leserpsychologie. Textverständnis ⫺ Textverständlichkeit. Münster 1982.

407 von Hahn 1981 ⫽ Walter von Hahn (Hrsg.): Fachsprachen. Darmstadt 1981 (Wege der Forschung 498). Heringer 1979 ⫽ Hans Jürgen Heringer: Verständlichkeit. Ein genuiner Forschungsbereich der Linguistik? In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 7. 1979, 225⫺278. Hoffmann 1985 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2., völlig neu bearb. Auflage. Tübingen 1985 (Forum für Fachsprachen-Forschung 1). Hoppe-Graff 1984 ⫽ Siegfried Hoppe-Graff: Verstehen als kognitiver Prozeß. Psychologische Ansätze und Beiträge zum Textverstehen. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 55. 1984, 10⫺37. Kalverkämper 1988 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Verständlichkeit, Verständnis und Verständigung im Fadenkreuz: Der Wissenschaftstransfer. In: Kodikas/Code 11. 1988, 311⫺325. Langer/Schulz van Thun/Tausch 1974 ⫽ Inghard Langer/Friedemann Schulz van Thun/Reinhard Tausch: Verständlichkeit in Schule, Verwaltung, Politik und Wissenschaft. Basel 1974. Möhn 1979 a ⫽ Dieter Möhn: Zur Aktualität der Fachsprachenforschung. In: Fachsprachen und Gemeinsprache. Jahrbuch 1978 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. Wolfgang Mentrup. Düsseldorf 1979, 10⫺24. Möhn 1979 b ⫽ Dieter Möhn: Formen der fachexternen Kommunikation. Linguistische Analyse und fachdidaktische Vermittlung. In: Der Deutschunterricht 31. 1979, 71⫺87. Strauß/Haß/Harras 1989 ⫽ Gerhard Strauß/Ulrike Haß/Gisela Harras: Brisante Wörter. Von Agitation bis Zeitgeist. Berlin. New York 1989 (Schriften des Instituts für deutsche Sprache 2). Wildegans 1993 ⫽ Gotthard Wildegans: Verstehensmodelle für Fachtexte? Problemdiskussion mit Beispielen. In: Zielsprache Deutsch 24.1. 1993, 21⫺26. Wimmer 1979 ⫽ Rainer Wimmer: Das Verhältnis von Fachsprache und Gemeinsprache in Lehrtexten. In: Fachsprachen und Gemeinsprache. Jahrbuch 1978 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. Wolfgang Mentrup. Düsseldorf 1979, 246⫺275.

Bernd Ulrich Biere, Koblenz

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen 40. Textuelle Eigenschaften von Fachsprachen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

1.

Der Fachtext als Manifestation von Fachsprache Der Fachtext als transphrastische Ganzheit Der Fachtext als semantische Ganzheit Der Fachtext als syntaktische Ganzheit Der Fachtext als funktionale Ganzheit Das Konzept der Gliederungssignale als Grundlage für die Analyse von Fachtextmakrostrukturen Die inhaltlich-gegenständliche Dimension des Fachtextes Der Fachtext als Ausdruck von Fachkompetenz Literatur (in Auswahl)

Der Fachtext als Manifestation von Fachsprache

Fachsprachen manifestieren sich im Prozeß der Fachkommunikation als Fachtexte (Hoffmann 1984, 230 ff). Die Hinwendung der Fachsprachenforschung zum Fachtext als Manifestation fachlicher Kommunikationsprozesse hat die Textlinguistik zu Beginn der 80er Jahre um einen neuen Aufgabenbereich erweitert. Die Fachtextlinguistik versucht, auf der Grundlage induktiv-empirischer Untersuchungen von repräsentativen Fachtextkorpora aus verschiedenen Einzelsprachen und Kommunikationsbereichen das funktionale Zusammenwirken von Fachtextinterna und Fachtextexterna zu analysieren, um fachübergreifende Fachtextsorten (komplexe Bildungsmuster der Fachkommunikation) charakterisieren zu können. Im Mittelpunkt fachsprachlicher Untersuchungen stehen (schriftliche/mündliche) Texte, deren Funktion es ist, als Ensembles verschiedener phonologischer, morphologischer, semantischer und syntaktischer Konstituenten bzw. textorganisierender Prinzipien die Fachkommunikation umfassend zu gewährleisten (Baumann 1992 a, 3). Die Hinwendung der Fachsprachenforschung zum Fachtext setzt dabei voraus, daß die in zahlreichen induktiv-empirischen Un-

tersuchungen gewonnenen Erkenntnisse über die Spezifik der (fach-)sprachlichen Grundeinheiten (Phoneme, Morpheme, Lexeme, Syntagmen, Phrasen, Sätze) in die komplexen strukturellen und funktionalen Zusammenhänge der Textualität einbezogen werden.

2.

Der Fachtext als transphrastische Ganzheit

Die linguistische Untersuchung von Fachtexten nimmt ihren Anfang in einzelnen Versuchen, den bei der Textkonstitution bestehenden Zusammenhalt der Einzelsätze zu erfassen. Es bilden sich transphrastische Beschreibungsansätze heraus, die ihre Hauptaufmerksamkeit auf den Nachweis der an der Oberflächenstruktur beobachtbaren kohäsionsstiftenden Vertextungsmittel konzentrieren. Zu diesen gehören folgende Faktoren: (i) die Einheitlichkeit der nominalen Referenz, d. h. der Bezug auf den gleichen Gegenstand des Fachtextes (Pronominalisierung, Artikelwahl, Quantifikatoren bzw. Anaphorika und Kataphorika als Koreferenzträger); (ii) die Einheitlichkeit der lokalen Referenz, d. h. das Aufeinanderbezogensein der räumlichen Einordnung der einem Fachtext zugrundeliegenden Sachverhalte (Lokalbestimmung, Lokalsatz, Lokalangabe, Lokalergänzung) und (iii) die Einheitlichkeit der temporalen Referenz, d. h. der Bezug auf die zeitliche Dimension der einem Fachtext zugrunde liegenden Sachverhalte (Temporalbestimmung, Temporalsatz, Temporalangabe, Temporalergänzung).

3.

Der Fachtext als semantische Ganzheit

Die Konzeption der semantischen Kohäsion faßt die textuellen Eigenschaften von Fachsprachen inhaltlich weiter als der transphra-

409

40. Textuelle Eigenschaften von Fachsprachen

stische Beschreibungsansatz. In ihrem Grundansatz läßt sich diese Richtung auf das von A. J. Greimas (1966) eingeführte Konzept der Isotopie zurückführen. Darunter wird die offenkundigste Form des Bedeutungszusammenhangs zwischen den Lexemen auf der Ebene des Textes verstanden. Diese Bedeutungsbeziehungen beruhen auf verschiedenen Arten der semantischen Äquivalenz. Dazu gehören folgende Formen: (a) (b) (c) (d) (e) (f) (g)

die Wiederholung, die kontextuelle Synonymie, die Antonymie, die Paraphrasierung, die Hyper- und Hyponymie, die Kohyponymie und die Pro-Formen (z. B. nominale ProFormen: Akronyme, Symbole usw.; ProVerben, Pro-Adjektive, Pro-Adverbiale).

Die nachfolgenden Vertextungsmittel realisieren dabei Abfolgen von semantischen Äquivalenzen: (a) Lexeme, die in regulären semantischen Beziehungen zueinander stehen (Topiks): als Topikpartner kommen alle semantischen Einheiten in Frage, die durch eine der o. g. Formen von semantischen Äquivalenzbeziehungen miteinander in Beziehung treten; (b) Bezeichnungsketten, deren Elemente sich im jeweiligen Text auf das gleiche Objekt beziehen (Isotopieketten) und (g) implizite semantische Äquivalenzbeziehungen durch quasilogische Verknüpfungen von Satzinhalten (Konnexe) (Agricola 1975, 43). Die Fachtextbedeutung beruht zu einem großen Teil auf der Integration des logisch-semantischen Gehalts der Texteme (Satz als Struktureinheit auf der Textebene) unter einem einheitlichen fachthematischen Gesichtspunkt. Auf diese Weise kommt es zu einer Annäherung an die Strukturen des Abbildes des Sachverhaltskomplexes, der dem Fachtext zugrunde liegt. In Fachtexten fixieren v. a. Termini als häufigstes lexikalisches Phänomen Abbilder einer Klasse fachlicher Sachverhalte und Prozesse. Termini sind in ihrer Bedeutung definiert, um spezifische Elemente einer bestimmten Theorie (Fachbegriffe) zu benennen bzw. ihren Inhalt exakt festzulegen. Die Repetition der Termini und ihre Substitution durch semantisch äquivalente sprachliche Einheiten bzw. Proformen im Text sichern die Rekurrenz (regelmäßige Wie-

derkehr) der wichtigsten, mit dem Thema des Fachtextes zusammenhängenden Inhaltselemente. In Fachtexten stellen Termini das typische Mittel der Nomination (Benennung eines Denotats/Designats) dar. Umfangreiche lexikalisch-semantische Fachtextanalysen bestätigen, daß Termini die zentralen Elemente der Isotopieketten von Fachtexten bilden.

4.

Der Fachtext als syntaktische Ganzheit

Die Syntax ist die Ebene der grammatischen Organisation des Textes und stellt daher die logisch-grammatische Basis dar, auf der die vollständige Koordination zwischen dem logischen Denken und der semantischen Kohäsion des Textes beruht. Die textsyntaktisch orientierten Beschreibungsmodelle beleuchten die Arten von Beziehungen, die zwischen den Topiks (Isotopiepaaren) bestehen. Ihre Hauptaufmerksamkeit richten sie v. a. auf den Nachweis der an der Oberflächenstruktur beobachtbaren Faktoren der ,Grammatikalität‘ bzw. der ,sequentiellen Wohlgeformtheit‘ von Fachtexten (Isenberg 1976, 47⫺49, 97 ff). Im Ergebnis dieser Untersuchungen kann der Anteil der Syntax bei der Konstituierung semantischer Zusammenhänge im Text bestimmt werden. Folgende grammatisch-syntaktische Vertextungsmittel tragen entscheidend zur Konstituierung von Fachtexten bei: (i) Substitution lexikalischer Einheiten des Fachtextes (z. B. Termini durch nominale Pro-Formen); (ii) Referenzidentität der Textkonstituenten durch Anaphorik als rückwärtsweisende Verflechtung oder Wiederaufnahme bzw. Kataphorik als vorwärtsweisende Verflechtung sprachlicher Einheiten; (iii) der Wechsel in der Darstellungsperspektive des Fachtextes, signalisiert durch eine Vielzahl grammatischer Kategorien, wie z. B. (a) Hinweise auf die Autorenschaft des Textes: ⫺ Verwendung der 1. Person Singular oder Plural usw.; ⫺ Einsatz des pluralis modestiae, pluralis communis, welcher korreliert mit (b) Ausdruck des Partnerbezuges im Text (z. B. Anredeformen); (c) Besonderheiten der Rededarstellung in Fachtexten: ⫺ Dominanz bestimmter Arten der Rededarstellung (direkte Rede im Fachgespräch, im

410

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Fachtext als Zitat; indirekte Rede, Redebericht u. a.); ⫺ Bildung von Ellipsen; ⫺ Substitution der Textebene des Autors, d. h. Referieren von Texten2-n im Text1; ⫺ Intonation, Satzakzentuierung in Fachgesprächen; (d) Ausdruck der Aussageweise im Text (z. B. Modus, Modusbedeutung und Modalität); (e) Hinweis auf die temporale und/oder lokale Gebundenheit der Aussagen (z. B. Tempus, Tempusbedeutung und Temporalität, Lokalbestimmung, Verwendung situationsdeiktischer Mittel); (f) Variierung der Satzgliedfolge (z. B. Thema-Rhema-Abfolge im Text als ein wichtiges syntaktisches Strukturierungsprinzip von Fachtexten). Dabei stellen Termini zentrale thematische bzw. rhematische Bestandteile dar, die in ihrer konkreten Aufeinanderfolge den Informationszuwachs ⫺ die thematische Progression ⫺ im Fachtext verdeutlichen (Danesˇ 1976, 29 ff); (g) Verwendung von Textkonnektoren (Konjunktionen, Satzadverbien); (iv) die Verwendung gedanklicher Figuren, die nicht an feste sprachliche Formen gebunden sein müssen (z. B. Isolog, Antithese, Vergleich, Einschub, Nachtrag u. a.); (v) die Frage-Antwort-Kombination als kompositorisches Prinzip; (vi) die Expansion und Kondensation der Fachtextbedeutung durch Paraphrasierung, Denomination bzw. Abkürzung und Tilgung lexikalischer Einheiten; (vii) die Verwendung der Genera des Verbs im Fachtext und (viii) der spezifische Einsatz von Numerus, Kasus, Person der Substantive im Fachtext. Die genannten syntaktischen Vertextungsmittel signalisieren an der Textoberfläche grammatische Abhängigkeiten, die ihrerseits die Stabilität des Textes als System gewährleisten. Die auf syntaktischen Elementen beruhende Textkontinuität wird als syntaktische Kohäsion bezeichnet (vgl. Beaugrande/Dressler 1981, 50 ff).

5.

Der Fachtext als funktionale Ganzheit

Die funktionale Näherungsweise versucht, das Zusammenwirken der sprachlichen Mittel der verschiedenen Ebenen des Sprachsystems in konkreten kommunikativen Zusammenhängen bzw. deren gegenseitige Bedingtheit unter dem Aspekt der intendierten kommunikati-

ven Leistung in Fachtexten zu erfassen. Die Korrelation der beiden Faktoren wird dabei als das entscheidende Kriterium für die Textgliederung angesehen. Das funktional-kommunikative Konzept der Sprachbetrachtung (Schmidt 1981, 28 ff) läßt sich dieser Untersuchungsrichtung zuordnen, da es versucht, durch die organische Verbindung des Systemund Tätigkeitsaspektes die Prozesse der Textkonstitution in ihrer Komplexität zu charakterisieren. Unter der Bezeichnung Kommunikationsverfahren nimmt die Kategorie des sprachlich-kommunikativen Handlungstyps einen zentralen Platz in diesem Beschreibungsansatz ein. Mit Hilfe dieser elementaren Einheiten der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit sollen die Wechselbeziehungen zwischen Kommunikationsgegenstand, -thema und Makrostruktur umfassend geklärt werden. Der Fachtextaufbau wird aus funktional-kommunikativer Sicht vor allem durch die Verknüpfung und Verflechtung der Kommunikationsverfahren bestimmt. Die Vertreter der funktional-kommunikativen Sprachbetrachtung bemühen sich, in ihren Textanalysen nachzuweisen, daß bei der Fachtextkonstitution stets ein Komplex von Kommunikationsverfahren dominiert (Weise 1984, 1⫺57). Zudem versuchen verschiedene Vertreter der Sprechakttheorie, die Funktion eines Textes in einem direkten Zusammenhang mit der illokutiven Rolle (die Absicht der Äußerung betreffend) einzelner Sätze zu sehen (Linke/Nussbaumer/Portmann 1991, 245). Der sprechakttheoretisch orientierte Beschreibungsansatz hat zu der Erkenntnis geführt, daß der Text auf einer hierarchischen Struktur umfangreicher Illokutionskomplexe beruht. Daraus ergibt sich, daß das Gesamtziel eines Textes über Teilziele realisiert wird, die ihrerseits Voraussetzungen zur Erreichung des Gesamtziels darstellen (Motsch/ Viehweger 1981, 137). Durch die Hinwendung zum Text als zentrale Untersuchungseinheit vermochten Vertreter der Sprechakttheorie v. a. in den 80er Jahren einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines handlungstheoretischen Textbeschreibungsmodells zu leisten (Heinemann/Viehweger 1991, 54 ff). In Anbetracht dieser umfassenden Ansätze wird die Makrostruktur von Fachtexten als ein linear-sequentiell geordnetes und hierarchisch organisiertes funktionales System von Beziehungen zwischen Teilen und Elementen dieses Textes bestimmt. Dieses komplexe Beziehungsgefüge stellt das spezifische Ergebnis

40. Textuelle Eigenschaften von Fachsprachen

eines funktionalen Zusammenwirkens der jeweiligen außer- und innersprachlichen Faktoren im Text dar. Teiltexte sind grundlegende Einheiten der Textgliederung. Sie werden als strukturell und funktional determinierte Komponenten verstanden, die mit der Struktur und Funktion des gesamten Fachtextes in enger Verbindung stehen. Dabei manifestieren sich in der Abfolge der Teiltexte Bezüge zu den jeweiligen Interaktionsbeziehungen und Intentionen der Kommunikationspartner, den kognitiven Prozessen der an der Kommunikation Beteiligten, der Entfaltung des Themas bzw. der Auswahl und Verwendungsweise sprachlicher Mittel.

6.

Das Konzept der Gliederungssignale als Grundlage für die Analyse von Fachtextmakrostrukturen

Das textlinguistische Konzept der Gliederungssignale (Gülich/Raible 1977, 53 ff) erlaubt Rückschlüsse auf die Differenzierung bestimmter Fachtextsorten. Es geht davon aus, daß die Art, die Abfolge sowie die Verknüpfung der Teiltexte gemeinsam die Makrostruktur eines Textes konstituieren. Analog zur Hierarchie der Teiltexte wird eine Hierarchie von Gliederungssignalen angenommen. So konnte in umfangreichen Fachtextanalysen (Baumann 1992 a, 85 ff) folgende Hierarchie von Gliederungssignalen festgestellt werden: (i) Soziale Gliederung durch: ⫺ soziale Einordnung der Kommunikationspartner, ⫺ deren Wissens- und Könnensniveau bzw. ⫺ die Art ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen. (ii) Eine sachlogische Gliederung von Texten ergibt sich aus dem gedanklichen Überblick des Autors über die thematischen Bezüge des Kommunikationsgegenstandes. Häufig werden dabei in den Fachtexten bestimmte Kompositionsprinzipien (Ursache ⫺ Wirkung, Theoretisches ⫺ Empirisches, Induktion ⫺ Deduktion u. a.) bevorzugt eingesetzt. Oft wirken mehrere dieser Prinzipien zusammen und verleihen dem Text eine spezifische logisch-gedankliche Qualität (vgl. auch Verwendung veranschaulichender nichtsprachlicher Elemente: Abbildungen, Schemata, Diagramme, Symbole u. a.).

411 Der visuelle Code ist dabei eine wichtige Konstituente zahlreicher Fachtextsorten (z. B. Hochschullehrbuch, populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel, illustriertes historisches Heft). Im weiteren soll unter diesem Begriff die Gesamtheit aller in einen Fachtext einbezogenen illustrativen Elemente verstanden werden, die zur Veranschaulichung der Textaussagen beitragen. Im Bereich der Fachkommunikation können v. a. folgende Typen des visuellen Codes beobachtet werden: (A) Abbildungen von im Text genannten Objekten (Fotos, Schaubilder etc.), (B) bildorientierte Umsetzungen von Textdaten (Histogramm, Kurve etc.) und (C) graphische Modelle begrifflicher Zusammenhänge (Grafika, Schemata etc.). Der visuelle Code sichert die inhaltlich-logische Zuordnung der bildlichen Mittel zu den verbalen Darlegungen und erfüllt somit eine beschreibbare kommunikative und kognitive Funktion. In verschiedenen Fachtextsorten gehören die mit dem jeweiligen Textthema in Verbindung stehenden Fotografien, Reproduktionen, Zeichnungen, Skizzen, Holzschnitte, Stiche, Karikaturen, Diagramme, Schemata, Zeitleisten, Tabellen und deren Legenden, Landkarten sowie typographische Darstellungsmöglichkeiten (verschiedene Druckarten, -größen, -farben), die Verwendung von Vignetten, die Gegliedertheit der Teiltexte, die Zeilenordnung u. ä. zu wesentlichen äußeren Kennzeichen des betreffenden Textes. Die einzelnen Elemente des visuellen Codes erleichtern dem Rezipienten des Textes das Erkennen inhaltlicher Zusammenhänge. Sie besitzen eine komprimierende und ästhetische Wirkung, vermitteln Anstöße zur gedanklichen Auseinandersetzung mit dem dargestellten Sachverhalt, tragen zur Authentizität der jeweiligen Betrachtung bei und erhöhen beim Lesen den Behaltenseffekt des Dargestellten. Die Auswahl und die Verwendung illustrativer Elemente stehen in engem Zusammenhang mit dem jeweiligen Fachtextinhalt. Eine inhaltlich inadäquate Zuordnung von konkreten Graphika zu einzelnen Teiltexten würde den Aussagewert der Äußerung erheblich mindern. In der Fachtextsorte Hochschullehrbuch ist z. B. vor allem der emphatische Kursivdruck ein häufig verwendetes drucktechnisches Mittel zur Hervorhebung kommunika-

412

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

tiv relevanter Sachverhalte. Der Student soll die von den Lehrbuchautoren unter methodischen Gesichtspunkten solcherart gekennzeichneten Aussagen gezielt aufnehmen und im Gedächtnis speichern. Somit können die Elemente des visuellen Codes unter bestimmten kontextuellen Bedingungen zur Optimierung des Rezeptions- bzw. Lernprozesses beitragen. Die illustrativen Mittel haben vor allem in didaktisch aufbereiteten Fachtextsorten die Aufgabe, die vollständige Erschließung inhaltlicher Aspekte bzw. die Bewertung dargebotener Sachverhalte im Fachtext zu erleichtern. In den analysierten Textquellen sind die Bildunterschriften in kleiner Kursivschrift gedruckt, welche je nach Aufteilung der Buchseite mit verweisenden Ausdrükken ⫺ wie „Oben“, „Unten“, „Links“, „Mitte“, „Oberstes Bild“ ⫺ eingeleitet werden können. Solche verweisenden Ausdrücke dienen dem Rezipienten als Orientierungshilfe zwischen Text und visuellem Code. Der visuelle Code steht äußerlich in einem bestimmten Verhältnis zum Textverlauf und ist inhaltlich durch Gestaltung und Erläuterung eng mit ihm verbunden. Er bietet unter Einbeziehung der optischen Komponente zusätzliche oder ergänzende Informationen, beleuchtet im Text Gesagtes unter neuem Aspekt und erreicht dadurch eine Veranschaulichung bestimmter Sachverhalte. Ein Eliminierungstest der bildlichen Mittel verdeutlicht den fakultativen Charakter des visuellen Codes für das Fachtextverständnis. Illustrative Mittel tragen nicht unmittelbar zur Fachtextkonstituierung bei. Der Text wäre auch ohne sie eine inhaltlich geschlossene, sinnvolle Ganzheit. Auf der Grundlage dieser Feststellungen zählen wir den visuellen Code zu den exophorischen, d. h. situativ geprägten Mitteln der Textreferenz (Halliday/ Hasan 1976, 37). (iii) Die Kommunikationsverfahren weisen auf die funktionale Gliederung des Fachtextes hin (Schmidt 1981, 63 ff). Der Wechsel der Kommunikationsverfahren läßt auf Veränderungen in der Einstellung des Textproduzenten zum Kommunikationsgegenstand schließen. Diese Veränderung vollzieht sich bevorzugt auf der Ebene des Teiltextes, da dieser als Integrationszentrum intentionaler und sprachlicher Mittel fungiert. (iv) Die kommunikativ-pragmatischen Gliederungssignale erfüllen die Aufgabe, die jeweiligen Verbindungen zwischen Text-

(a)

(b)

(c)

(d)

(e)

produzent(en) bzw. -rezipient(en) und der Makrostruktur anzuzeigen. Dabei werden folgende ⫺ an der Textoberfläche erkennbaren ⫺ Mittel verwendet: Metakommunikative Sätze und Satzteile: Metakommunikative Mittel dienen zum großen Teil der Präzisierung des Themas im Bewußtsein des/der Textrezipienten und erfüllen eine spezifische Aufgabe bei der Speicherung der Makrostruktur in seinem Gedächtnis. Die Aufgabe der metakommunikativen Sätze besteht darin, in expliziter ⫺ und damit der Beobachtung zugänglicher Weise ⫺ die Adäquatheit der Teilschritte im Kommunikationsprozeß, die der Textproduzent vollzieht, zu sichern. Insofern ist Metakommunikation stets Kommunikation über Kommunikation (Techtmeier 1984, 122 ff). Detaillierte Fachtextanalysen machen deutlich, daß bestimmte metakommunikative Signale in bestimmten Situationen (z. B. der Wissensvermittlung) mit großer Regelmäßigkeit auftreten. Stilistisch relevante Elemente als Ausdruck der Makrostruktur: Es bestehen erwartbare Zusammenhänge zwischen der Art und Abfolge stilistisch relevanter Elemente (Anapher ⫹ Parallelismus; Inversion; rhetorische Frage) und der Gliederung in Teiltexte. Die Satzadverbien: Darunter sind jene Wörter zu verstehen, die ⫺ im Gegensatz zu den temporalen, lokalen oder modalen Adverbien ⫺ nicht die Umstände des im Prädikat ausgedrückten Geschehens modifizieren, sondern einen Bezug zwischen Textproduzenten und Kommunikationsgegenstand herstellen. Die Initiatoren (satzeröffnende Gliederungssignale): Darunter werden Einzellexeme, Phrasen, kurze Sätze verstanden, die kataphorisch gerichtet den Beginn eines Teiltextes explizit anzeigen. Die Sequenzsignale: Darunter sind Lexeme zu verstehen, die die funktionale Reihenfolge in der Textprogression zum Ausdruck bringen. Eine wichtige Untergruppe sind die Signale der Enumeration. Hierbei werden arabische und römische Ordinal- und Kardinalzahlen, laufende Buchstaben des Alphabets zur Kennzeichnung der inhaltlich-logischen Struktur des Textes sowie Kommandostriche systematisch verwendet. Sequenzsignale wirken anaphorisch.

40. Textuelle Eigenschaften von Fachsprachen

(f) Die „eigentlichen“ Gliederungssignale: Diese heben die wechselseitige (alternative, adversative, additive …) Bedingtheit jener Aspekte hervor, die für seine inhaltlich-logische Durchdringung relevant sind. Dabei können sie sowohl den Beginn als auch das Ende des Teiltextes anzeigen. (g) Die Terminatoren (satzschließende Gliederungssignale): Das sind jene Lexeme oder Phrasen, die anaphorisch wirken und das Ende eines Teiltextes explizit anzeigen. (h) Die Kennzeichnung von Teiltexten durch (Teil-)Überschriften bzw. stereotype (institutionalisierte) Formeln des Textbeginns, -abschlusses (z. B. Anrede und Grußformel bei der Textsorte „Geschäftsbrief“), durch typographische Mittel (Alinea, Fett-, Petit-, Sperr-, Kursiv-, Farbdruck) und ikonische Mittel (Bildtext). (i) Diejenigen Begrenzungen der den Text durchziehenden Isotopieketten, die sich als Einschnitte oder Wechsel in den Kohärenzbeziehungen manifestieren, werden als Signale der Kohärenzbeziehungen bezeichnet. Sie beziehen sich auf die semantische Verträglichkeit von Lexemen (Baumann 1992 a, 96 ff). Das Konzept der Gliederungssignale trägt dazu bei, die textsortenspezifische Makrostruktur zu verdeutlichen, in der die wesentlichen invarianten Konstituenten des Fachtextes und deren Anordnungsmuster repräsentiert sind (Rolf 1993).

7.

Die inhaltlich-gegenständliche Dimension des Fachtextes

Eine adäquate Beschreibung der Fachsprache ist jedoch nur dann möglich, wenn auch der Inhalt der sprachlichen Einheiten berücksichtigt wird. Die Einheiten der Fachsprache müssen danach analysiert werden, wie sie die Einheiten des Denkens objektivieren. Der Fachtext stellt dabei das Ergebnis der konkreten Erkenntnistätigkeit eines/mehrerer Menschen dar. Er beruht auf Aussagen über entsprechende Sachverhalte und Erscheinungen der objektiven Realität, die den jeweiligen Stand der Erkenntnis widerspiegeln. Wenn die Wechselbeziehungen zwischen den Makrostrukturen des Textes, der Dynamik des Denkens bzw. seiner sprachlichen Form näher analysiert werden, so kann festgestellt

413 werden, daß zwischen dem Denken und seiner sprachlichen Realisierung eine strukturelle Beziehung besteht. Die unterschiedlichen Untersuchungsrichtungen innerhalb der Fachtextlinguistik gehen im allgemeinen von der Tatsache aus, daß in jedem Fachtext die zu vermittelnden Informationen nach logisch-gedanklichen Gesichtspunkten gegliedert auftreten (Agricola 1979; Moskalskaja 1984). Die sich dabei herauskristallisierenden Einheiten der Textkomposition spiegeln entsprechende Beziehungen zwischen Sachverhalten wider und machen Gedankenschritte des Autors deutlich. T. A. van Dijk bestimmt die „cognitive basis of macrostructures“ folgendermaßen: “The cognitive set of a language user is a set of factors that in a particular context of action and discourse processing influences macrostructures” (van Dijk 1980, 201). Dabei konnte in umfangreichen Untersuchungen festgestellt werden, daß die einzelnen Texteme als Baustein der Textmakrostruktur einen unterschiedlichen kommunikativen Stellenwert einnehmen (Baumann 1992 b, 154 ff). Bekanntlich wird jeder polyphrastische Teiltext durch einen Satz eingeleitet, der im weiteren Initialsatz genannt werden soll. Jener Satz, der den Teiltext beendet, ist der sogenannte Finalsatz. Initial- und Finalsatz sind Konstituenten polyphrastischer Teiltexte und bilden zugleich seine Begrenzungseinheiten. Als solche sind sie in besonderem Maße kommunikativ relevant. Der Initialsatz enthält eine Reihe sprachlicher Elemente, die den Blickwinkel anzeigen, von dem der Autor die Fachkommunikation beginnt, und auf den er zugleich die im (Teil-)Text bezeichneten Sachverhalte und Probleme bezieht. Der Initialsatz übernimmt die Funktion der (a) thematischen Einordnung der nachfolgenden Sachverhalte, (b) temporalen und/ oder lokalen Charakterisierung des Kommunikationsgegenstandes, (c) inhaltlichen Zusammenfassung von in vorhergehenden Teiltexten gewonnenen Ergebnissen. Derart fungiert der Initialsatz als thematische Basis für die Explikation weiterer Probleme und Sachverhalte im (Teil-)Text. Der Finalsatz hingegen enthält entweder Ergebnisse und Schlußfolgerungen eines Erkenntnisprozesses, auf die in den vorhergehenden Sätzen vorbereitet wurde, oder er wirft ein neues Problem auf, welches sich aus den bisherigen Darlegungen ergibt und sprachlich im folgenden Teiltext explizit abgehandelt wird.

414

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Insgesamt kann man beobachten, daß bestimmte sprachliche Mittel im Initial- bzw. Finalsatz bevorzugt werden. Initialsätze enthalten zumeist die Präsensform und/oder das einfache Perfekt und realisieren v. a. das Kommunikationsverfahren Feststellen. Die Kommunikationsverfahren Schlußfolgern und Zusammenfassen werden v. a. im Finalsatz sprachlich realisiert. Folglich ist die Wiederholung bestimmter Lexik (z. B. Substantive, Adjektive, Verben, Pronomina) sowie die Verwendung von Konjunktionen und Präpositionen in Finalsätzen vorzufinden. Die bevorzugte Realisierung bestimmter Kommunikationsverfahren, die wiederum den Einsatz verschiedener sprachlicher Mittel nach sich zieht, ist in Abhängigkeit von der Stellung des Satzes im Teiltext tendenziell prädiktabel. Abschließend bleibt festzustellen, daß Initial- und Finalsätze für die Fachtextkonstitution von großer Bedeutung sind, da sie als Grundlage der Teiltextverkettung fungieren und Informationsschwerpunkte des Fachtextes enthalten.

8.

Der Fachtext als Ausdruck von Fachkompetenz

In zahlreichen fachsprachlichen Untersuchungen wird darauf hingewiesen, daß ein differenzierter Gebrauch der Fachsprache v. a. von der jeweiligen Fachkompetenz des Menschen abhängig ist (Oksaar 1988, 185 ff). L. Hoffmann hebt in diesem Zusammenhang hervor: „Echte Fachsprache ist immer an den Fachmann gebunden … Vom Nichtfachmann gebraucht, verliert Fachsprache ihre unmittelbare Bindung an das fachliche Denken; Begriffe und Aussagen büßen einen wesentlichen Teil ihres Inhaltes und ihrer Präzision, v. a. ihre Beziehung zur fachlichen Systematik ein, die der Laie nicht überschaut“ (Hoffmann 1976, 31). Die Sprache-Denken-Dialektik wird im Bereich der Fachkommunikation als Verbindung von fachlichem Denken und fachlicher Systematik realisiert und äußert sich durch die im Fach üblichen Denk- und Mitteilungsstrukturen (Buhlmann 1983, 62⫺89). Dabei heißt es z. B. bei T. Ickler: „Das fachsprachliche Denken und fachsprachliche Verstehen arbeitet mit definierten Begriffen …“ Außerdem unterstreicht er: „Das fachliche Denken und Sprechen beruht auf einem Ausklammern oder Zurückstellen gewisser kognitiver Möglichkeiten zugunsten

anderer, die dafür umso stärker entwickelt werden. Fachliches Denken ist also eine gewisse ,Partialisierung‘ des Denkens überhaupt … In der Wirklichkeit des Fachsprachenbenutzers erfährt das fachliche Denken und Sprechen jedoch eine starke Stützung durch die Praxis“ (Ickler 1983, 148). Die Fachsprachenforschung gewinnt grundlegende Erkenntnisse über eine effektive Verwendung der Fachsprache, wenn sie die parallel mit der Verarbeitung sprachlicher Äußerungen ablaufenden Denkprozesse systematisch in ihren Untersuchungsbereich einbezieht. So wird z. B. die (sprachlich-kommunikative) Tätigkeit des Menschen in bestimmten fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereichen entscheidend durch die Fachkompetenz der Kommunikationspartner gesteuert. Darunter verstehen wir den auf fachspezifische Inhalte bezogenen Sachverstand, das Wissens- und Könnensniveau bzw. die Fähigkeiten der Individuen. Die Fachkompetenz ist der Ausdruck der sozialen Komponente im Verhältnis von Sprache und Denken. Sie bestimmt das kommunikative Verhalten der in den fachlichen Bereichen Tätigen. Andererseits kann die fachliche Kompetenz auch durch die Fachkommunikation überprüft werden. Die Grundmechanismen des menschlichen Denkens beeinflussen die Ausprägung der jeweiligen Fachkompetenz in entscheidendem Maße. Im Bewußtsein des Individuums tritt die Fachkompetenz ⫺ da sie im Rahmen der individuellen Begrenztheit bleibt ⫺ oft in spezifisch begrenzter, mehr oder weniger subjektiver Form auf. Dies ist bedingt durch die Abhängigkeit der Kompetenz vom Objekt und vom erkennenden Subjekt. Die Fachkompetenz, die sich im Bewußtsein des Individuums darstellt, ist die Einheit des Objektiven und Subjektiven und äußert sich durch folgende Faktoren: (i) die Auswahl des Inhalts der Darlegung und der dafür geeigneten Fachtextsorte; (ii) die Art, fachliche Zusammenhänge für kommunikative Zwecke zu sichern (hoher Anteil von im Text implizit enthaltenen Informationen, Sprachökonomie, Bildtext …); (iii) die Systematik der Darstellung, die in Verbindung mit den individuellen Leistungsdispositionen des Denkenden gesehen werden muß (Lötscher 1987, 303⫺307). Das Streben des Fachtextautors nach Exaktheit, Verständlichkeit und gedanklicher Klarheit spiegelt sich wider in der Einheit von gedanklich-thematischer Gliederung des Fachtextes

40. Textuelle Eigenschaften von Fachsprachen

(Teiltext) und formalem Textaufbau (Absatz). So zeigt sich bei einer genaueren Untersuchung, daß der Fachtext in einzelne inhaltliche Segmente zerfällt, denen bestimmte syntaktische und rhetorisch-stilistische Elemente zugeordnet werden können. Dabei kommt es in bestimmten Fachtexten bereits zur Herausbildung von Schemata oder auch Textmodellen der Gliederung von Sachproblemen nach logisch-gedanklichen Gesichtspunkten (Baumann 1992 a, 152⫺153). Allerdings ist hierbei zu beachten, daß mit der Analyse von Textbauplänen lediglich ein Aspekt von mehreren möglichen der Fachtextsortendifferenzierung erfaßt werden kann. Diese Einschränkung erscheint deshalb wichtig, weil Fachtextuntersuchungen darauf hinweisen, daß z. B. nicht jeder geisteswissenschaftliche Fachtext über einen typischen Textbauplan verfügen muß (vgl. z. B. Essay, wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel, wissenschaftlicher Artikel im Sammelband). Zudem gibt es sichere Anhaltspunkte dafür, daß die kompositorischen Regeln für bestimmte Texte einer Fachtextsorte in einigen Positionen voneinander abweichen können (vgl. wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel in der Historiographie, Psychologie, Medizin usw.). Die Betrachtung der textuellen Eigenschaften von Fachsprachen führt zu der Erkenntnis, daß der Fachtext als Komplex invarianter und varianter Elemente und Strukturen zu verstehen ist, der zwischen den Inhalten der Bewußtseinstätigkeit des Menschen und der Wiederholung wesentlicher Merkmale der Fachtextproduktion und -rezeption vermittelt (Monographie, Lexikonartikel, Abstract, Sachbuch u. a.). Dieser an die Elemente des Bewußtseins und der Textproduktion gebundene Komplex von spezifischen Wechselwirkungen weist einen aussichtsreichen Weg, um die Mechanismen der sprachlichen Differenzierung von Fachtextsorten erfassen zu können.

9.

Literatur (in Auswahl)

Agricola 1975 ⫽ Erhard Agricola: Semantische Relationen im Text und im System. 3. überarb. Aufl. Halle 1975. Agricola 1979 ⫽ Erhard Agricola: Textstruktur, Textanalyse, Informationskern. Leipzig 1979 (Linguistische Studien). Baumann 1992 a ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 18).

415 Baumann 1992 b ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextsortenstilistik. Egelsbach. Köln. New York 1992 (Deutsche Hochschulschriften 480). de Beaugrande/Dressler 1981 ⫽ Robert-Alain de Beaugrande/Wolfgang Ulrich Dressler: Einführung in die Textlinguistik. Tübingen 1981 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 28). Buhlmann 1985 ⫽ Rosemarie Buhlmann: Merkmale geschriebener und gesprochener Texte im Bereich naturwissenschaftlich-technischer Fachsprachen. In: Fachsprache 7. 1985, 98⫺125. Danesˇ 1976 ⫽ Frantisˇek Danesˇ: Zur semantischen und thematischen Struktur des Kommunikats. In: Probleme der Textgrammatik II. Hrsg. v. F. Danesˇ und D. Viehweger. Berlin 1976 (studia grammatica XI), 29⫺45. van Dijk 1980 ⫽ Teun Andrianus van Dijk: Macrostructures. Hillsdale. New York 1980. Gülich/Raible 1977 ⫽ Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible: Linguistische Textmodelle. München 1977 (Uni-Taschenbücher 130). Greimas 1966 ⫽ Alexandre I. Greimas: Semantique structurale. Recherche de me´thode. Paris 1966. Halliday/Hasan 1977 ⫽ Michael A. K. Halliday/ Ruqaiya Hasan: Cohesion in English. London 1977. Heinemann/Viehweger 1991 ⫽ Wolfgang Heinemann/Dieter Viehweger: Textlinguistik. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 115 Kollegbuch). Hoffmann 1976 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. 1. Auflage. Berlin 1976 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Hoffmann 1984 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. 2. überarbeitete Auflage. Berlin 1984 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Ickler 1983 ⫽ Theodor Ickler: Zur Semantik der Fachsprachen. In: Sprachanalysen und Vermittlungsmethoden. Hrsg. v. H. Kelz. Bonn 1983, 143⫺153. Isenberg 1976 ⫽ Horst Isenberg: Einige Grundbegriffe für eine linguistische Texttheorie. In: Probleme der Textgrammatik I. Hrsg. v. F. Danesˇ und D. Viehweger. Berlin 1976 (studia grammatica XI), 47⫺145. Lötscher 1987 ⫽ Andreas Lötscher: Text und Thema. Tübingen 1987 (Reihe Germanistische Linguistik 81). Moskalskaja 1984 ⫽ Olga I. Moskalskaja: Textgrammatik. Leipzig 1984. Motsch/Viehweger 1981 ⫽ Wolfgang Motsch/Dieter Viehweger: Sprachhandlung, Satz und Text. In: Sprache und Pragmatik. Hrsg. v. I. Rosengren. Malmö 1990, 125⫺154. Oksaar 1988 ⫽ Els Oksaar: Fachsprachliche Dimensionen. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 4).

416

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Rolf 1993 ⫽ Eckhardt Rolf: Die Funktion der Gebrauchstextsorten. Berlin. New York 1993 (Grundlagen der Kommunikation und Kognition). Schmidt 1981 ⫽ Wilhelm Schmidt: Funktionalkommunikative Sprachbeschreibung. Leipzig 1981.

Weise 1984 ⫽ Günter Weise: Ansätze einer kommunikativen Textlinguistik. Zur kommunikativen Orientierung des fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts. In: Arbeitsberichte und wissenschaftliche Studien 100. Martin-Luther-Universität HalleWittenberg 1984, 1⫺57.

Techtmeier 1984 ⫽ Bärbel Techtmeier: Das Gespräch. Berlin 1984 (Sprache und Gesellschaft 19).

Klaus-Dieter Baumann, Leipzig

41. Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Syntaktisch-morphologische Selektion und Funktionswandel Eigenschaften der Sätze Eigenschaften der Satzkonstituenten Morphologie im Dienste der Syntax Literatur (in Auswahl)

Syntaktisch-morphologische Selektion und Funktionswandel

Die Spezifik der Fachsprachen äußert sich besonders deutlich in ihren Wortschätzen, wo sich jede von ihnen eine mehr oder weniger eigenständige Terminologie geschaffen hat, die zu einem Teilsystem des lexikalischen Gesamtsystems der jeweiligen Sprache geworden ist. In der Grammatik gibt es keine fachsprachlichen Teil- oder Subsysteme und auch keine allgemeine Erweiterung durch die Fachkommunikation. Zu beobachten ist eher eine Einschränkung im Gebrauch der syntaktischen und morphologischen Mittel bei grundsätzlicher Beachtung des normativen Regelwerks. Diese Beobachtung entspricht der Tatsache, daß in der Fachkommunikation mit Hilfe grammatischer Kategorien und Regeln nicht unendlich viele beliebige, sondern eine begrenzte Zahl fachlich determinierter Aussagen bestimmter Art formuliert werden müssen, die in regelmäßiger Wiederkehr die gleiche syntaktisch-morphologische Form annehmen. Die wenigen Spezialuntersuchungen zur Syntax und Morphologie in Fachtexten sowie die entsprechenden Abschnitte in Überblicksdarstellungen operieren in diesem Zusammenhang vor allem mit zwei Begriffen: Selektion bzw. Selektivität und Funktionswandel bzw. Umfunktionierung. Gelegentlich werden beide auch durch die Bezeichnungen Absonderung oder Isolierung zusammengefaßt, in denen allerdings eine soziolinguistische Bedeutungsnuance mitschwingt (vgl. Gruppen-

sprachen, Sprachbarrieren u. ä.). Ist von Selektion die Rede, dann denkt man nicht nur an die Auswahl bestimmter Konstruktionen und Formen aus einer größeren Menge im System angelegter Möglichkeiten bei der Abfassung von Fachtexten generell, sondern zugleich an auffällige Häufigkeit in der Fachkommunikation. Es handelt sich also um ein überwiegend quantitatives Merkmal, das allerdings oft funktional, z. B. als sprachlicher Ausdruck von Gütemerkmalen wie Präzision, Eindeutigkeit, Folgerichtigkeit, Explizität, Ökonomie usw., interpretiert wird. Beim Gebrauch des Terminus Funktionswandel steht die qualitative Änderung der (grammatischen) Bedeutung oder ein Kategorienwechsel im Vordergrund. Schaut man genauer hin, dann hängen beide Erscheinungen eng miteinander zusammen: Die Übernahme einer bestimmten, fachlich determinierten Funktion, z. B. der Anonymisierung oder der Explizität, geht Hand in Hand mit der Häufigkeit bestimmter spachlicher Kategorien, Konstruktionen und Mittel, z. B. der unpersönlichen oder passivischen Verbformen oder der attributiven Ergänzungen. In diesem Sinne erfolgt die weitere Darstellung quantitativer und qualitativer Eigenschaften von Sätzen, Satzkonstituenten, Wortklassen und Wortformen, die in Fachtexten auf besondere Weise zusammenwirken.

2.

Eigenschaften von Sätzen

2.1. Länge der Sätze Untersuchungen zur Satzlänge, gemessen an der Zahl der Wörter im Satz, sind vor allem aus funktionalstilistischer Sicht und im Rahmen des Konzeptes der Subsprachen angestellt worden. Sie laufen gewöhnlich auf Vergleiche zwischen dem wissenschaftlichen Stil einerseits und anderen Stilen, besonders dem

417

41. Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen

Satzlänge (Zahl der Wörter)

Dramatik

Prosa

1⫺3 49,73 8,78 4⫺6 29,07 18,60 7⫺9 12,14 18,65 10⫺12 5,20 16,01 13⫺15 1,86 12,17 16⫺18 1,10 7,83 19⫺21 0,44 5,19 usw. (Hoffmann 1987, 206, nach Perebijnis 1967, 154)

Poesie

Ges.-pol. Lit.

Wiss.-techn. Lit.

11,74 18,78 23,02 18,33 8,79 7,26 5,06

3,26 7,07 11,78 13,95 14,58 13,04 8,51

5,02 9,80 14,70 16,21 14,76 11,01 8,71

Abb. 41.1: Satzlängen

künstlerischen Stil (z. B. Lesskis 1963; Perebijnis 1967; Hoffmann 1987, 204⫺206), oder zwischen einzelnen Subsprachen bzw. Fachsprachen (z. B. Höhne-Leska 1975; Schefe 1975; De Cort/Hessmann 1977) hinaus. Das erste Ergebnis ist gewöhnlich die Feststellung, daß die mittlere Satzlänge in der wissenschaftlich-technischen Prosa die in anderen Genres bei weitem übertrifft, und zwar sowohl beim einfachen (erweiterten) als auch beim komplexen Satz. Man findet absolute Zahlen wie durchschnittlich 15,9 gegenüber 10,2 Wörtern für den einfachen Satz und 33,5 gegenüber 23,9 Wörtern für Satzgefüge und Satzverbindungen (vgl. Hoffmann 1987, 204⫺206). Errechnet wurde auch der Anteil der Sätze mit einer bestimmten Länge am untersuchten Text(korpus), z. B. bis 8 Wörter ⫺ 5,55%, 9 bis 16 Wörter ⫺ 28,55%, 17 bis 24 Wörter ⫺ 27,65%, 25 bis 32 Wörter ⫺ 17,20%, 33 bis 40 Wörter ⫺ 11,10% und über 40 Wörter 9,95% für die wissenschaftliche Fachsprache der Wirtschaft (vgl. De Cort/ Hessmann 1977, 40). Möglich sind auch Gegenüberstellungen in Tabellen (vgl. Abb. 41.1). Wenn bei den durchschnittlichen Satzlängen keine getrennten Angaben für einfache und komplexe Sätze vorliegen, dann ist es gut, deren Verhältnis zueinander in der wissenschaftlichen Literatur (26,20 zu 73,80) und in der schönen Literatur (49,30 zu 50,70) zu kennen; denn die größere Länge der Sätze hängt natürlich direkt mit deren Komplexität zusammen. Wie alle Mittelwerte so sind auch die Angaben zur durchschnittlichen Satzlänge ganzer Stile, Genres oder Subsprachen mit Vorsicht zu gebrauchen. Sie führen eher zur Nivellierung als zur Differenzierung. Echte Vergleiche werden erschwert durch unterschiedli-

che Standpunkte bei der Definition des Satzes, bei der Abgrenzung der „Erscheinungsformen“ der Sprache und bei der Auswahl der Textkorpora. Selbst beim einfachen Zählen der Wörter gibt es beträchtliche Abweichungen, je nachdem, ob vom lexikalischen oder vom grammatischen Wort ausgegangen wird. Bei Vergleichen, die über Einzelsprachen hinausgehen, ist auf Unterschiede in der Flexion, auf das Vorhandensein oder Fehlen von Artikeln u. ä. zu achten. Der Hauptmangel aller bisherigen Satzlängenstatistiken liegt jedoch in der fehlenden Berücksichtigung der Binnendifferenzierung der Fachsprachen nach Schichten und Textsorten. Einer modernen Fachtextlinguistik dürfte es nicht schwerfallen nachzuweisen, daß Satzlängen weniger fächerabhängig als vielmehr textsortenbedingt sind. Im übrigen stammen die Angaben zur Satzlänge im wissenschaftlichen Stil aus mittlerweile älteren Quellen; neuere Beobachtungen deuten auf eine klare Tendenz zur Verkürzung hin, die mit der Optimierung von Informationsprozessen, aber auch mit verlegerischer Ökonomie zu tun haben mögen. 2.2. Komplexität der Sätze Auch die Komplexität der Sätze läßt sich zuerst einmal quantitativ fassen. Über die bereits erwähnte durchschnittliche Häufigkeit komplexer Sätze in Fachtexten hinaus sind deren Komplexitätsgrade, insbesondere das Auftreten von Satzgefügen mit ihren unterschiedlichen Arten von Nebensätzen aufschlußreich. Aber eigentlich beginnt Komplexität schon im einfachen, stark erweiterten Satz bei der Zahl und Art der sogen. sekundären Satzglieder. Sowohl für einfache erweiterte Sätze als auch für Satzgefüge lassen sich Komplexitätsquotienten errechnen, indem die Zahl der sekundären Satzglieder bzw. der

418

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Nebensätze durch die Zahl der Sätze dividiert wird, z. B. 723 : 400 ⫽ 1,8075, aber 516 : 400 ⫽ 1,2900. Diese Werte eignen sich u. a. als Vergleichsgrößen für den Komplexitätsgrad von Fachtextsorten, d. h. als quantitatives Textsortenmerkmal. Hier ergeben sich tatsächlich signifikante Unterschiede, so etwa zwischen wissenschaftlichen Monographien oder Zeitschriftenaufsätzen einerseits und Referaten (abstracts) oder Bedienungsanleitungen andererseits. Weitaus wichtiger sind jedoch Erkenntnisse darüber, welche sekundären Satzglieder und Nebensatzarten in Fachtexten vorrangig verwendet werden und welche Funktionen sie dort zu erfüllen haben. In den klassischen schriftlichen monologischen Fachtextsorten sind das vor allem bestimmte Attribute und Attributsätze im nominalen sowie gewisse adverbielle Bestimmungen und Adverbialsätze im verbalen Bereich. Sie dienen der für fachliche Zielsetzungen so wesentlichen näheren Determination von Gegenständen, Begriffen, Handlungen und Vorgängen bzw. der Präzisierung von fachlichen Aussagen, z. B. (1) Das Blut wird unter Anwendung gerinnungsverhütender Maßnahmen aufgefangen und sofort oder kurze Zeit später dem Empfänger intravenös gegeben. (2) Dadurch läßt sich die gesamte Stelleinrichtung auf einer als vereinfachter Gleisplan ausgebildeten Stelltafel unterbringen, die bei großen Stellwerken auf einem Stellpult oder Stelltisch, bei kleineren in einem Stellkasten eingebaut werden kann. (3) Das wahre Größenverhältnis stellt die Planeten so dar, wie sie uns erscheinen würden, wenn sie sich alle in gleicher Entfernung von uns befänden, und zwar in einer solchen, daß die allen gemeinsame (mehr oder weniger schwach abgeplattete) Kugelgestalt sich unschwer mit hinreichender Deutlichkeit erkennen ließe.

Nicht nur für die unterschiedlichen Fachsprachen des Deutschen, sondern auch für die des Englischen, Französischen und Russischen (vgl. Trillhaase 1966; Gerbert 1970; Mitrofanova 1973, 120⫺140; Lariochina 1979; Beier 1980, 53⫺81; Sager/Dungworth/ McDonald 1980, 182⫺204; Kocourek 1982, 48⫺64; von Hahn 1983, 111⫺119; Möhn/ Pelka 1984, 19⫺22; Fluck 1985, 55⫺56; Hoffmann 1987, 204⫺219; von Polenz 1988, 231⫺289; Kaehlbrandt 1989; u. a.) wie für viele germanische, romanische und slawische Fachsprachen überhaupt gilt, daß die attributive Determination vorwiegend durch voranbzw. nachgestellte Adjektive und Partizipien

sowie durch nachgestellte Substantive im Genitiv oder in einem anderen durch Präposition(en) regierten Kasus und durch Relativsätze bewirkt wird, wobei die Häufung von Substantiven und die Ausdehnung der Relativsätze oft ein Ausmaß erreichen, wie es in anderen Subsprachen nicht üblich ist. Bei den adverbiellen Bestimmungen und Nebensätzen geben Fachsprachenforscher eine weitgehend übereinstimmende Rangfolge an: konditionale, kausale, finale, modale, lokale, temporale. Dabei ist aber mit beträchtlichen Abweichungen von Fach zu Fach und von Textsorte zu Textsorte zu rechnen. 2.3. Satzarten und Satztypen Eine der ständig wiederholten Behauptungen über die fachsprachliche Syntax lautet: In Übereinstimmung mit der ausgeprägten Informationsfunktion von Fachtexten dominieren dort Aussagesätze; Ausrufe-, Aufforderungs- und Fragesätze spielen so gut wie keine Rolle. Lediglich rhetorischen Fragen wird eine gewisse Existenzberechtigung in der Fachliteratur eingeräumt. (Die mündliche Fachkommunikation stand ja lange Zeit außerhalb der Betrachtung!) Die Analyse eines breiten Spektrums von Fachtextsorten zeigt jedoch, daß Fragesätze durchaus auch in der schriftlichen Fachkommunikation eine gewisse Bedeutung haben, z. B. als Kontrollfragen in Arbeitsheften und als Denkanstöße in Aufgabensammlungen; auch als (Zwischen-)Überschriften, am Ende von Teiltexten zur Orientierung auf den nächsten Teiltext oder in bestimmten Arten von Formularen („Fragebögen“) treten sie auf. Aus der mündlichen Fachkommunikation sind sie als Elemente des Dialogs und Polylogs nicht wegzudenken, nicht nur bei Seminar- oder Prüfungsgesprächen, im Kongreßdisput oder auf Messen, sondern in der großen Masse der Begegnungen am Arbeitsplatz. Aufforderungssätze sind charakteristisch für Bedienungsanleitungen und Gebrauchsanweisungen, für Arbeitsschutzbestimmungen und Kochrezepte. Sie haben aber auch ihren Platz im fachlichen Ausbildungsgeschehen. Zuweilen wird vergessen, daß Verbote auch Aufforderungen sind, etwas nicht zu tun. Ganz am Rande bleiben wirklich nur Ausrufesätze. Wenig findet man in der bisherigen Fachsprachenforschung über die Funktion der Satztypen in Fachtexten, wenn man vom bereits erwähnten Anteil der Satzgefüge bzw. der Rolle der Parataxe absieht. Deshalb soll

41. Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen

hier ein interessanter Ansatz wenigstens angedeutet werden (vgl. Robaschik 1977, 76⫺ 84). In medizinischen Fachtexten einer repräsentativen Stichprobenauswahl wurde die folgende Rangfolge ermittelt: einfache erweiterte Sätze (42,7%), Satzgefüge aus zwei Gliedsätzen (19,5%), Satzverbindungen aus zwei Gliedsätzen (9,3%), Satzgefüge mit mehreren einander untergeordneten Nebensätzen (3,7%), Satzgefüge mit mehreren nebengeordneten Nebensätzen (3,5%); bis hierher handelt es sich durchweg um vollständige bejahende Aussagesätze ohne selbständige direkte Rede. Dann folgen die entsprechenden Satzgefüge aus zwei Gliedsätzen verneint (3,3%) und verneinte einfache erweiterte Sätze (3,2%), Satzverbindungen aus mehr als zwei Gliedsätzen bejahend (3,2%), Satzverbindungen mit Satzgefügen bejahend (2,7%) und Satzgefüge mit mehreren nebengeordneten Nebensätzen verneinend (1,8%), auch das ausnahmslos Aussagesätze. Alle anderen Typen (1% und weniger) sind zu vernachlässigen. Bejahung und Verneinung, Vollständigkeit und Unvollständigkeit sowie einfache und mehrfache hypo- und parataktische Beziehungen zwischen den Gliedsätzen ermöglichen also eine weitere Differenzierung in der Beschreibung von Fachtexten, tragen aber wenig zur Textsortendifferenzierung bei. Der Vergleich mit Texten der künstlerischen Prosa zeigt folgendes: Den 15 häufigen Satztypen medizinischer Texte stehen in der gleichen Häufigkeitszone 39 Typen der künstlerischen Literatur gegenüber. Viele der dort ausgewiesenen Strukturen sind den untersuchten wissenschaftlichen Arbeiten völlig fremd. Das gilt vor allem für direkte Fragesätze, aber auch für die Masse der Sätze mit selbständiger direkter Rede, gleich ob vollständig oder unvollständig. Betrachtet man die Zu- und Unterordnungsverhältnisse näher, so fällt auf, daß die Satzgefüge in den Fachtexten weit stärker vertreten sind als in den literarischen Texten. Bei den Satzverbindungen ist es umgekehrt (vgl. Hoffmann 1987, 208).

Zusammenfassend läßt sich also auch bei den Satztypen die Tendenz zur Selektion und zur Unifizierung bekräftigen. 2.4. Thema-Rhema-Gliederung und Satzgliedfolge Außer auf der strukturellen ist die fachsprachliche Syntax auch auf der funktionalen Ebene beschrieben worden, vor allem unter dem Aspekt der Aktuellen Satzgliederung bzw. der Funktionalen Satzperspektive oder der Thema-Rhema-Gliederung, über den Einzelsatz hinaus auch als Thematische Progression (z. B. Roth 1980; Weese 1983; Fijas 1986; Gerzymisch-Arbogast 1987; Hoffmann 1987, 216⫺224; u. a.). Das Interesse konzentrierte sich dabei einerseits auf den Nachweis

419

fachlich bedingter syntaktischer Spezifika, angefangen bei allgemein postulierten Eigenschaften wie Objektivität, logische Folgerichtigkeit u. a. bis hin zu einfachen Regularitäten in der Satzgliedfolge, anderseits auf die Fixierung von Informationsschwerpunkten, wobei an ältere Interpretationen von Thema und Rhema wie Logisches Subjekt und Logisches Prädikat, Gegebenes/Bekanntes und Neues, Ausgangsteil und Kern der Aussage, Topic und Comment sowie an Hypothesen über deren Position im Satz (Anfang/Ende) angeknüpft wurde, um eine festere Orientierung für die Informationsrecherche zu finden. Im Rahmen des fachübersetzungsorientierten Sprachvergleichs richtete sich die Aufmerksamkeit auf Äquivalenzprobleme und deren adäquate Lösung bei Sprachen mit unterschiedlichen Permutationsbedingungen für die Wortfolge, z. B. Englisch und Russisch (vgl. Pumpjanskij 1974). Für Vergleiche zwischen der wissenschaftlichen und der künstlerischen Syntax wurden vorhandene Typologien (z. B. Raspopov 1961; Danesˇ 1974; Kovtunova 1976; Brömser 1982) übernommen, modifiziert und teilweise zu eigenen Analyseverfahren weiterentwikkelt. Wie bei anderen fachsprachlichen Phänomenen auch führte der Weg von Behauptungen über die grundsätzliche Beschaffenheit des wissenschaftlichen Stils hin zu exakten Beobachtungen an einzelnen Fachsprachen und Fachtextsorten. Die Vermutungen der funktionalen Stilistik, in der wissenschaftlichen Sprache sei im Gegensatz zur künstlerischen Sprache eine weitgehende Übereinstimmung von grammatischer und aktueller Satzgliederung zu beobachten, der wissenschaftliche Stil unterliege der Aktualisierung fast nicht oder die Zugehörigkeit zu den Funktionalstilen spiele eine geringe Rolle in bezug auf die Wortfolge, wurden weitgehend entkräftet. Statistische Durchschnittswerte für die Häufigkeit der ⫺ wie auch immer definierten ⫺ Typen der Thema-Rhema-Gliederung sind nur schwer zu interpretieren. Es mag stimmen, daß der Typ mit dem grammatischen Subjekt oder Objekt als Thema und dem ganzen übrigen Satz als Rhema in gedruckten monologischen Fachtexten insgesamt der häufigste ist (35%). Doch sind deshalb die Typen mit einer adverbiellen Bestimmung oder einer adverbiellen Bestimmung und dem grammatischen Subjekt als Thema (11,5% und 13,5%) nicht ohne weiteres zu vernachlässigen. Aussagekräftig sind solche

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VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Werte eher für bestimmte Textsorten und dort für bestimmte Positionen im Text und in den Teiltexten. So beginnen z. B. Buchankündigungen, Abstracts und Rezensionen regelmäßig mit adverbiellen Bestimmungen wie in dem Buch, in dem Sammelband, in der Monographie als Thema, während in Enzyklopädieartikeln und technischen Standards das grammatische Subjekt in der Masse der Sätze das Thema bildet und damit auch zur Thematischen Progression mit konstantem Thema beiträgt, z. B. Die Blüte ist das Fortpflanzungsorgan der Samenpflanzen. Die Blüte leitet sich von Blättern her, die […] Die Blüten werden nach verschiedenen Gesichtspunkten unterschieden, z. B. […]

Die Autoren von Annotationen neigen hingegen dazu, das grammatische Subjekt als wesentlichen Informationsträger ins Rhema zu verlagern, z. B. Beschrieben wird ein neues Verfahren, das […]

Trotz grundsätzlicher Schwierigkeiten bei der ⫺ nicht unumstrittenen ⫺ Zweiteilung des Satzes in Thema und Rhema und bei der klaren Abgrenzung und Positionierung der beiden mehren sich in fachsprachlichen Untersuchungen die Anzeichen für eine sinnvolle Einbeziehung der Funktionalen Satzperspektive und der Thematischen Progression in ein Kriterienraster für die Fachtextsortenklassifizierung. 2.5. Valenz(beziehungen) Fachsprachliche Untersuchungen zur Valenz und Distribution der Verben sind in erster Linie der Frage nachgegangen, inwieweit die Fachkommunikation mit ihren Fügungsrealitäten die Fügungspotenzen der jeweiligen Sprache ausschöpft. Erkenntnisse liegen hier vor allem zum Russischen, Französischen und Englischen vor (vgl. Christmann 1974; Einert 1976; Gerlach 1977; Selle 1977; Schütze 1978; Kuntz 1979; Sprissler 1979; Meyer 1981; Wenzel 1981; Päßler 1983; Kunath 1984; Hoffmann 1989). Sie gehen zumeist von einem für das deutsche Verb entworfenen Drei-Stufen-Modell (Helbig/Schenkel 1969) aus, d. h., sie ermitteln zunächst die Zahl der obligatorischen und fakultativen Mitspieler, halten dann die syntaktische Umgebung fest und spüren schließlich den Bedeutungen der Aktanten nach, z. B. condamner I. condamner 2

(V1 „condamner“ une personne, un acte, les de´clarer coupables, „critiquer“, „blaˆmer“)

II. condamner # N1, N2 III. N1 # 1. Hum (Ind) 2. Hum (Koll) 3. Hum (Koll) *inst pol+ 4. ⫺ Anim (Abstr) 5. ⫺ Anim (Abstr) *act+ N2 # 1. Hum (Ind) 2. Hum (Koll) 3. Hum (Koll) *inst pol+ 4. ⫺ Anim (Abstr) 5. ⫺ Anim (Abstr) *act+ I. condamner 2 ⫹ (1) ⫽ 3 (V2 frapper d’une peine, faire subir une punition) II. condamner # N1, N2, (pN) III. N1 # Hum (Koll) *inst jur+ N2 # Hum (Ind) p ⫽ a` pN # ⫺ Anim (Abstr) usw. (Selle 1977, 101⫺102)

Die größten Divergenzen ergeben sich dabei auf der dritten Stufe, weil es schwierig ist, eine hinreichend große Zahl allgemeingültiger Bedeutungsklassen zu benennen. Vereinzelt wurde auch versucht, durch die Analyse der Kasus- und Verbbedeutungen auf einer zusätzlichen vierten Stufe näher an den semantischen Kern der Valenz heranzukommen. Eine gewisse Übereinstimmung besteht in bezug auf die für Fachtexte wesentlichen semantischen Kasus bzw. Rollen der Valenzpartner (Aktanten und freie Angaben), die nicht etwa nur für eine Fachsprache charakteristisch sind: Agens, Patiens, Affektiv, Adressat, Resultat, Instrument, Relationsträger, Aktion, Qualität, Determination, Lokativ, Temporalität, Modalität, Konditionalität. Größer sind die Unterschiede bei der semantischen Klassifizierung der Verben, z. B. Verben der Verwendung/Benutzung, des Produzierens/Verursachens, des Übergebens/Überlieferns/Beförderns, des Veränderns/Umwandelns, der Bewegung/Ortsveränderung/Veranlassung, des Auswählens/Entnehmens, des Festlegens/Befestigens usw. Fragt man nach den syntaktischen Besonderheiten der Fachsprachen im Hinblick auf die Realisierung der Fügungspotenzen der Verben, so lassen die bisherigen Untersuchungen folgende Feststellungen zu: Die Verwendung der Verben in Fachtexten führt häufig zu Einschränkungen in der semantischen Valenz und in der syntaktischen Distribution. Der fachliche Kontext reduziert die Polysemie der Verben bis zu einem gewissen Grade. Unterschiedliche Sememe können unterschiedliche syntaktische Distributionen

41. Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen

421

Hahn 1983, 117⫺119; Möhn/Pelka 1984, 20; Kaehlbrandt 1989).

haben. Zwischen der Polysemie der Verben und ihrer Häufigkeit besteht eine direkte Abhängigkeit. Mit Hilfe von Valenz und Distribution lassen sich die Verben und ihre Aktanten in semantischen Klassen zusammenfassen, die eine Grundlage für wesentliche fachliche Aussagen und deren Modellierung bilden. Unterschiede in der Aktualisierung bzw. Realisierung der Fügungspotenzen weisen eher auf verschiedene Sub- oder Fachsprachen als auf verschiedene (Fach-)Textsorten hin. Im übrigen gibt es auch hier noch eine Fülle offener Fragen (vgl. Hoffmann 1989, 341⫺342). Neue Aufschlüsse verspricht besonders die Verbindung linguistischer Arbeiten zur Valenz- und Kasustheorie mit kognitionspsychologischen Überlegungen zu den zwischenbegrifflichen Relationen. Aber auch die Öffnung der Linguistik gegenüber einer pragmatischen Valenz könnte für die Fachsprachenforschung von Bedeutung sein. Erwähnt werden muß in diesem Zusammenhang auch der Versuch, die Spezifik fachsprachlicher Syntax „nicht in der Häufigkeit oberflächenstruktureller Merkmale, sondern in der Art der Beziehungen, die zwischen Oberflächenstrukturen und ,zugrundeliegenden Strukturen‘ bestehen“, zu suchen, der an Grunderkenntnissen der Dependenz- und der Transformationsgrammatik anknüpft und den Prozeß beschreibt, „durch den logischsemantische Repräsentationen in Oberflächensätze und -texte überführt werden“ (Littmann 1981, 141 und 374).

(a) Des pre´le`vements ont e´te´ re´alise´s dans trois canaux de la mangrove. Les pre´le`vements/Ils ont permis de dresser un inventaire du phytoplancton. (b) Les pre´le`vements qui ont e´te´ re´alise´s dans trois canaux de la mangrove ont permis de dresser un inventaire du phytoplancton. (c) Les pre´le`vements re´alise´s dans trois canaux de la mangrove ont permis de dresser un inventaire du phytoplancton. Oder: (a) Nous noyons les fibres dans une matrice. Nous obtenons une structure tridimensionnelle. (b) Si nous noyons les fibres dans une matrice, nous obtenons une structure tridimensionnelle. (c) En noyent les fibres dans une matrice nous obtenons une structure tridimensionnelle (Kocourek 1982, 60⫺61).

2.6. Syntaktische Kompression (Kondensierung) Ausgehend von der allgemeinen Grundvorstellung, wissenschaftliche Sachverhalte müßten präzise und knapp dargestellt werden, hat sich die Fachsprachenforschung immer wieder bemüht, an Fachtexten Redundanzarmut im allgemeinen und die bewußte Verwendung von Kürzungsmöglichkeiten im besonderen nachzuweisen. In diesem Zusammenhang sind nichtverbale Informationsträger (z. B. Tabellen, Graphiken, Abbildungen), die syntaktische Kompression, die lexikalische Kompression und die Renomination bzw. Substitution in Isotopieketten untersucht worden (vgl. Fijas 1988). Die Hauptaufmerksamkeit hat sich allerdings auf die syntaktische Kompression oder Kondensation konzentriert (z. B. Benesˇ 1973; Mitrofanova 1973, 132⫺140; Kocourek 1982, 59⫺62; von

Neben der Reduzierung von Nebensätzen auf Partizipial- und Gerundialkonstruktionen (im Russischen Adverbialpartizipien) werden Genitiverweiterungen, präpositionale Substantivgruppen, einfache und erweiterte Attribute, Partizipialgruppen, Ellipsen, Aufzählungen und die Asyndese als Kondensationsformen erwähnt, die für Fachtexte typisch sind. Doch ist auch hierbei zu beachten, daß die einzelnen Fachtextsorten von all diesen Mitteln recht unterschiedlichen Gebrauch machen. Dabei haben die Verfasser auch dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die übermäßige Reduzierung der Redundanz das Textverständnis erschwert. So ist in Fachtexten mit didaktischer Funktion die syntaktische Kompression gewöhnlich geringer als in Informationstexten mit hohem Fachlichkeitsgrad. Offenbar entspricht der Drang zur Verkürzung einer allgemeinen Tendenz in der Ent-

„Die Bedingung syntaktischer Synonymie wird vornehmlich von den Mitteln syntaktischer Kondensation erfüllt. Denn wie aus dem Begriff selbst hervorgeht, handelt es sich bei den Strukturen, die er zusammenfassend bezeichnet, um Verdichtungen anderer, die explizit sind. Gemeint ist, daß man einen bestimmten Inhalt wahlweise mit einem Nebensatz oder mit einer nicht-satzartigen Struktur ausdrücken kann; die Kondensation besteht dabei in der Unterdrückung der „selbständigen Prädikation“ (Benesˇ 1981, 45), also in der Ersetzung des finiten Verbs durch verkürzende Formen wie Nominalisierung des Verbs, Apposition, Partizipialkonstruktion, satzwertiger Infinitiv“ (Kaehlbrandt 1989, 34).

Unterschiedliche Kompressionsstufen bei syntaktischer Synonymie zeigen die folgenden Beispiele:

422

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

wicklung der Syntax „Von der expliziten zur komprimierten Spache“, zu „komprimierter/ kompakter/kondensierter Ausdrucksweise“ (von Polenz 1988, 24⫺29), die jedoch in bestimmten Formen der Fachkommunikation besonders stark ausgeprägt ist.

(2) Wenn man die Flüssigkeit abgießt, sieht man einen braunen Bodensatz. (3) Wird die Flüssigkeit abgegossen, zeigt sich ein brauner Bodensatz. (4) Nach Abgießen der Flüssigkeit ist ein brauner Bodensatz sichtbar (zu sehen). (von Hahn 1983, 113)

2.7. Anonymisierung An der fachsprachlichen Syntax fällt ein in vielen Fachtextsorten verbreiteter Zug auf, der als Unpersönlichkeit, Anonymisierung, Subjektschub oder Deagentivierung bezeichnet wird und sich in unterschiedlichen sprachlichen Mitteln manifestiert, die das funktionale Zusammenwirken von Syntax, Morphologie und Lexik besonders deutlich werden lassen (vgl. Mitrofanova 1973, 120⫺ 127; von Polenz 1981, 96⫺109; 1988, 186⫺ 193; Kocourek 1982, 62⫺64; von Hahn 1983, 113⫺115; Hoffmann 1987, 105⫺108). Von diesen sprachlichen Mitteln sind die folgenden sehr häufig: Die Pronomen wir, man und es, das Passiv und das Reflexiv, unpersönliche und allgemeinpersönliche Verbformen (ohne Pronomen), Prädikative, Verbalsubstantive, unvollständige Nebensätze in Gestalt von Partizipial-, Gerundial- (Adverbialpartizip-) und Infinitivkonstruktionen. Im Sprachvergleich zeigen sich bei der Verwendung jedoch Unterschiede, aus denen sich für den Übersetzer Äquivalenzprobleme ergeben können. So sind allgemeinpersönliche Verbformen (3. Person Plural ohne Pronomen) typisch für das Russische und im allgemeinen mit deutsch man wiederzugeben: говорят ⫺ man sagt. Deutsch es, englisch it, französisch il, z. B. il est clair que entspricht russisch die unpersönliche Kurzform des Adjektivs: я о, что […] (es ist klar, daß), aber auch das Reflexiv: ра u тя (es versteht sich). Englisch one ist weit seltener als französisch on und deutsch man; im Russischen fehlt ein entsprechendes unpersönliches Pronomen. Nebensatzwertige Partizipial-, Gerundial- und Adverbialpartizipialkonstruktionen im Französischen, Englischen und Russischen müssen im Deutschen durch Nebensätze mit Relativpronomen oder Konjunktionen wiedergegeben werden usw. Hinzu kommt, daß diese Mittel in ein und derselben Sprache unterschiedliche Grade der Anonymisierung und gleichzeitig der Verallgemeinerung ausdrükken, was wiederum mit den Tempusformen der Verben oder Prädikative gekoppelt ist, z. B.

Frühere, naive Interpretationen, die in der Anonymisierung den Ausdruck „wissenschaftlicher Bescheidenheit“ sahen (le pronom de modestie nous, le pronom de modestie on), sind inzwischen plausibleren Erklärungen gewichen, z. B. „Durch die zeitlich verzögerte und von weitgehend unbekannten Vermittlungsinstanzen an anonyme Adressaten vorgenommene Übertragung der fachlichen Äußerungen rückt der persönliche Autor so weit aus dem pragmatischen Zusammenhang, daß sich die Benutzung solcher syntaktischen Mittel eingebürgert hat, bei denen die Angabe von Personalformen nicht mehr nötig bzw. möglich ist“ (von Hahn 1983, 113). Auch dazu ist einschränkend anzumerken, daß in bestimmten Fachtextsorten der Schleier der Anonymität fallen kann, z. B. in Rezensionen, Gutachten, Streitschriften und Plädoyers, ganz abgesehen davon, daß in neuerer Zeit das Autoren-Ich wieder stärker in Gebrauch kommt, vielleicht unter dem Einfluß der mündlichen Fachkommunikation und des Aufbrechens der fachlichen Abgeschlossenheit.

(1) Als ich die Flüssigkeit abgoß, sah ich einen braunen Bodensatz.

Dabei ist es in unserem Zusammenhang unerheblich, ob es sich um freie Wortverbindun-

3.

Eigenschaften der Satzkonstituenten

3.1. Subjektgruppen Die Komplexität fachsprachlicher Sätze ergibt sich aus der Komplexität ihrer Konstituenten. Das gilt ganz besonders für die Subjektgruppen (und die gleichartigen Nominalgruppen im Bestand der Prädikatgruppen) als Ausdruck der gegenständlich-begrifflichen Grundkomponenten fachlicher Aussagen. “They contain the individual items of information, which make up the detailed description of a machine or process, the logical exposition of an idea or theory, the reasoned explanation of natural phenomena and the objective evaluation of experimental data. They act as the building blocks from which SE (Scientific English, L. H.) sentences are constructed because they possess certain inherent qualities which enable them to perform the task of communicating information effectively and efficiently” (Sager/Dungworth/McDonald 1980, 219).

41. Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen

gen oder lexikalisierte Syntagmen (Mehrworttermini, Wortgruppentermini) handelt. Beide lösen ihre Aufgabe der expliziten Spezifizierung, d. h. der möglichst vollständigen Nennung wesentlicher Merkmale fachlicher Subjekte (und Objekte) durch Prämodifikation und Postmodifikation, d. h. in erster Linie durch die attributive Verwendung kongruierender Adjektive und Partizipien sowie in der Kasusform abhängiger Substantive mit und ohne Präposition(en), z. B. Deutsch: Gerät, das komplizierte Gerät, das kleine tragbare Gerät, das neu entwickelte Gerät; ein Gerät des Betriebes, ein Gerät des landwirtschaftlichen Betriebes, ein Gerät zum Messen der Strahlungen, ein Gerät zur genauen Messung der Schwingungen; ein neu entwickeltes, kleines tragbares Gerät zur möglichst genauen Messung der Erschütterungen usw. Englisch: probability, an equivalent probability, the transition probability; the probability of occurrence, the probability of high values, etc. Französisch: vocabulaire, le vocabulaire fondamental, le vocabulaire de la physique, le vocabulaire fondamental de la langue franc¸aise, un vocabulaire d’une e´tendue supe´rieur, etc. Russisch: аболва и, рдч о аболва и, отро воалитл о аболва и, аболва и ч и, аболва и чито фu кцио ал ого арактра, огократ о аболва и чловка крuо о  в о и, и. т. д. (Krankheit, Herzkrankheit, akute Entzündung, Leberkrankheit, rein funktionelle Erkrankung, mehrfache Erkrankung des Menschen an Pneumonia cruposa usw.).

Vergleicht man die fachsprachlichen Subjekt- bzw. Nominalgruppen mit denen anderer Subsprachen, so herrscht Übereinstimmung in den Modellen und Mitteln. Der Unterschied besteht darin, daß die Strukturen mit einer größeren Anzahl von Konstituenten in den Fachsprachen weit häufiger sind, während in anderen Kommunikationsbereichen mehrgliedrige Gruppen selten sind oder zumindest eine geringere Anzahl von Konstituenten haben. Auch die gleichzeitige Präund Postmodifikation ist anderswo weit seltener anzutreffen. Außerdem ist die durchschnittliche Anzahl nominaler Syntagmen im Satz bei Fachtexten größer. Die adverbiellen Bestimmungen sind enger mit der Nominalgruppe oder mit einem ihrer Teile verbunden, als das bei der Verbgruppe der Fall ist. Überhaupt gehen die Konstituenten der fachsprachlichen Nominalgruppen oft engere Beziehungen ein als in anderen Subsprachen. Das erklärt sich aus ihrer durch die Sachverhalte des Faches determinierten Semantik und ihrer relativen kommunikativen Selb-

423

ständigkeit (vgl. Lariochina 1979, 208⫺209; Sager/Dungworth/McDonald 1980, 219⫺ 224; Kocourek 1982, 53⫺56; Hoffmann 1987, 185⫺187). Die Zahl der möglichen, lexikalisch realisierbaren Kombinationen wird dadurch stark eingeschränkt, selbst bei Substantiven, die man zum allgemeinen Wortschatz zählen könnte, z. B. Veränderung, Einwirkung, Feststellung. 3.2. Prädikatgruppen Trotz aller Nominalisierung spielt das Verb seine angestammte Rolle als Kern der Prädikatgruppe auch in den Fachsprachen, allerdings nicht so häufig wie in anderen Subsprachen. Statistischen Untersuchungen zufolge sind in der wissenschaftlichen Prosa 37,5% der Prädikate nominal, 62,5% verbal; in der künstlerischen Literatur hingegen steht das Verb für 87%, ein nominaler Ausdruck nur für 13% der Prädikate (vgl. Lesskis 1963, 9). Und dennoch überwiegen die nominalen Elemente in den Prädikaten fachsprachlicher Sätze, da es sich überwiegend um komplexe Prädikatgruppen mit zahlreichen Ergänzungen ⫺ Adverbialbestimmungen und Objektergänzungen ⫺ handelt. Sätze mit einem einzelnen Verb als Prädikat kommen so gut wie nicht vor, z. B. Der Student überlegt. Die Maschine läuft. Ebenso selten ist die bloße Ergänzung durch ein Adverb, z. B. Der Student überlegt gründlich. Die Maschine läuft lange. Charakteristisch sind vielmehr Verbal- bzw. Prädikatgruppen mit umfangreichen Objektergänzungen in der Art der in 3.1. beschriebenen Nominalgruppen, z. B. untersucht den Patienten, untersucht das Wasser des Flusses, untersucht ein (sehr) interessantes Problem, untersuchen (gründlich) die Veränderungen im Leben der Menschen usw. An die Stelle einfacher Adverbien treten im Sinne der Präzisierung oft präpositionale Gruppen, z. B. mit erhöhter Geschwindigkeit, zwischen zwei Ebenen, aus einem anderen Grunde, auf die Dauer von drei Stunden, zu diesem Zweck, unter sterilen Bedingungen, durch mehrfache Erhitzung usw. Oft geben die Verben in solchen Prädikatgruppen einen Teil ihrer ursprünglichen Bedeutung an Nomina ab und werden zu syntaktischen Platzhaltern (Desemantisierung). Es entstehen sog. Funktionsverbgefüge (vgl. Köhler 1985), z. B. Spannungsprüfung ausführen (statt Spannung prüfen), Minderung erbringen (statt mindern), Möglichkeit eröffnen (statt ermöglichen), Anwendung finden (statt angewendet werden), Festlegung treffen (statt festlegen), in Erscheinung treten (statt erschei-

424

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

nen), Auswahl vornehmen (statt auswählen) usw. Der „Vorzug“ solcher Funktionsverbgefüge liegt darin, daß sich die nominalen Elemente leichter durch Attribute als die Verben durch adverbielle Bestimmungen präzisieren lassen, was letztlich der syntaktischen Kompression (vgl. 2.6.) dient. Der letzte Schritt auf dem Wege der Deverbalisierung ist die Verwendung des Hilfsverbs sein als Kopula zwischen Nominalkomplexen, wie sie uns u. a. in Definitionen begegnet, z. B. Die Blüte ist das Fortpflanzungsorgan der Samenpflanzen. Oder: Metalle sind Elemente mit eigentümlichem Glanz und meist guter Leitfähigkeit für Wärme und Elektrizität. In bestimmten Textsorten, z. B. Nachschlagewerken, kann selbst die Kopula noch wegfallen, so daß Definiendum und Definiens unverbunden neben- oder nacheinander stehen, z. B. Platte: dünnes, durch parallele Ebenen begrenztes Bauelement. Oder: Nadeldüse: Düse, deren Querschnitt und damit Durchflußmenge durch eine längsverschiebbare Nadel veränderlich ist. Ein Sonderfall sind Sprachen wie das Russische, in denen es ⫺ zumindest im Präsens ⫺ keine Form für das Hilfsverb sein gibt, z. B. Диффu ор ⫺ (eто) ка ал, в которо роиодит u  ш и короти движ ия га а. (Ein Diffusor ⫺ das ist ein Kanal, in dem …). Hier trifft man Sätze ohne Kopula oder Supplementverb natürlich nicht nur in Fachtexten an, sondern überall da, wo Prädikatsnomina in Gestalt von Substantiven, Adjektiven in der Kurzform und Partizipien für das Zustandspassiv verwendet werden. Wie das Beispiel der Definition besonders deutlich zeigt, erfolgt die für die fachsprachliche Syntax so wichtige Merkmalzuweisung nicht nur in den Attributen der Subjektgruppe, sondern auch in der Prädikatgruppe durch die Verwendung nominaler Elemente, und letztlich trägt auch die häufige Verwendung des Passivs mit seinen Partizipien in bestimmten Fachtextsorten dazu bei, daß im Zusammenhang mit der wissenschaftlich-technischen Prosa immer wieder von ihrem „Nominalstil“ die Rede ist. Neben den Subjekt- und Prädikatgruppen als Grundkonstituenten des Satzes haben gelegentlich auch andere syntaktische Phänomene Beachtung gefunden, die die Struktur fachsprachlicher Sätze recht komplex gestalten. Es sind dies Einbettungen, Spannformen, Parenthesen, satzwertige Infinitivkonstruktionen u. ä. Bei ihrer Verwendung gibt es aber so große Unterschiede zwischen den Fach-

textsorten, den Fachsprachen und den Einzelsprachen insgesamt, daß man sich vor voreiligen Verallgemeinerungen hüten sollte.

4.

Morphologie im Dienste der Syntax

Auf der Ebene der Morphologie erschöpft sich die Darstellung fachsprachlicher Besonderheiten bisher in der Aufzählung besonders häufiger grammatischer Kategorien mit ihren formalen Ausprägungen, geordnet nach den herkömmlichen Wortarten, besonders Verb und Substantiv. Die Angaben beziehen sich in erster Linie auf Person, Tempus, Aspekt, Modus und Genus bei den Verben sowie Numerus und Kasus bei den Substantiven (und den mit ihnen kongruierenden Adjektiven bzw. Partizipien). Komplementäre Erwähnung finden auch seltene und fehlende Kategorien und Formen, so daß Fachsprachen beim Vergleich mit anderen Subsprachen nicht nur positiv (⫹), sondern auch negativ (⫺) markiert sein können (vgl. Gerbert 1970, 33⫺97; Mitrofanova 1973, 55⫺81; Beier 1980, 70⫺80; Sager/Dungworth/McDonald 1980, 204⫺229; Kocourek 1982, 49⫺52; Buhlmann/Fearns 1987, 16⫺23; Hoffmann 1987, 96⫺115). Die Beschreibung der fachsprachlichen Morphologie ist oft in die der Syntax eingebettet, und dennoch werden Querverbindungen selten konsequent hergestellt. Dabei kann es keinen Zweifel daran geben, daß morphologische Selektion die unmittelbare Folge syntaktischer Selektion ist, d. h., die in Fachtexten bevorzugt verwendeten Kategorien und Formen tragen dazu bei, fachlich determinierte syntaktische Funktionen zu realisieren. Sichtbar wird das freilich besser bei stark flektierenden Sprachen mit synthetischer Formenbildung, z. B. dem Russischen, als bei Sprachen mit überwiegend analytischer Formenbildung. Deshalb wird im ersten Falle die fachsprachliche Morphologie gelegentlich gesondert behandelt (Mitrofanova 1973, 55⫺81). Gliedert man die Wortbildung aus der Morphologie aus und in die Lexikologie ein, was in der Fachsprachenforschung und besonders in der Terminologiearbeit üblich ist, dann bleibt in unserem Zusammenhang nur einiges wenige zu den Wortarten und zu den Wortformen im Dienste der Syntax zu sagen. Es entspricht der Notwendigkeit einer präzisen und spezifizierten Nennung fachlicher Begriffe, Gegenstände und Vorgänge mit ihren wesentlichen Merkmalen, daß Substan-

41. Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen

tive und Adjektive in Fachtexten 50% bis 60% des Wortschatzes ausmachen; nimmt man die Partizipien als deklinierbare Nomina mit einer starken Tendenz zur Adjektivierung hinzu, dann wird die 60%-Grenze überschritten. Das ist nur deshalb möglich, weil die Substantive syntaktisch ausgesprochen multivalent sind, d. h., während das finite Verb im wesentlichen auf die Funktion des Prädikats beschränkt bleibt, tritt das Substantiv ⫺ gegebenenfalls erweitert um Adjektive und/oder Partizipien ⫺ als Kern von Subjektgruppen und Objektergänzungen, als Postmodifikator (Attribut) oder als Bestandteil adverbieller Bestimmungen auf (vgl. 3.1. und 3.2.). Satzsemantisch heißt das: Substantive können Agens, Experiens, Patiens, Benefaktiv, Contraagens, Comitativ, Substitutiv, Affiziertes Objekt, Effiziertes Objekt, Instrument, Causativ, Partitiv, Possessiv, Additiv, Privativ, Locativ, Origativ, Direktiv, Temporativ (vgl. von Polenz 1988, 170⫺172) u. a. m. sein, wobei in der Fachkommunikation Personen zumeist durch Sachen aus ihrer Kasusrolle verdrängt werden (beachte die Unterscheidung von Agens und Actor!). Diese satzsemantische Betrachtungsweise verspricht übrigens durch ihre im Vergleich mit der traditionellen Satzgliedlehre stärkere Differenzierung Fortschritte bei der Erklärung der Funktion(en) von Wortarten in Fachtexten. In Fachtextsorten mit starker syntaktischer Kompression tragen Aufzählungen zusätzlich zur Dominanz nominaler Elemente bei. Unter diesen Umständen treten die Verben wegen ihrer funktionalen Fixiertheit mit 10% bis 14% Textdeckung stark zurück. (Angaben zu anderen Subsprachen und zur Gemeinsprache nennen zwischen 20% und 30%.) Ihre Bedeutung für die Fachkommunikation wird zusätzlich geschwächt durch die Verwendung von Partizipien als Prädikat in verkürzten Relativ- bzw. Attributsätzen, durch Gerundial- bzw. Adverbialpartizipialkonstruktionen, durch die Substantivierung in Funktionsverbgefügen und durch Prädikativa. Negativ markiert sind die Fachsprachen durch die Seltenheit der Pronomen, wobei die Zahlen je nach Textsorte stark schwanken. Am niedrigsten liegen die Werte für Personalund ihnen entsprechende Possessivpronomen. Anaphorische Pronomen hingegen kommen in bestimmten Fachtextsorten in ihrer sowohl deiktischen als auch kohärenzstiftenden Funktion durchaus zur Wirkung. Zu weiteren Wortarten wie Modalwörter und Konjunktionen gibt es widersprüchliche Aus-

425

sagen. Das liegt an ihrer unterschiedlichen Rolle in den einzelnen Fachsprachen und Fachtextsorten. Hier ist es das Beste, von der Gesamtbetrachtung der Wortarten abzugehen und die Verwendung einzelner Modalwörter, Konjunktionen und Adverbien im Rahmen der Lexik und auf der Textebene weiter zu verfolgen. Nicht nur die Selektion der Wortarten, sondern auch die der Wortformen ist ⫺ vermittelt durch die Funktion(en) der Wortarten ⫺ z. T. syntaktisch determiniert. Bei den Substantiven erklärt sich die große Häufigkeit der Genitivformen (40% bis 45% aller Kasus) aus ihrer postmodifikatorischen Attributrolle. Der Nominativ als zweithäufigster Kasus (20% bis 22%) resultiert aus der Verwendung der Substantive als Subjekt und als Prädikatsnomen. Der Akkusativ (10% bis 15%) und der Dativ (3% bis 6%) in Objektergänzungen und adverbiellen Bestimmungen fallen demgegenüber stark ab. (In der künstlerischen Literatur ist der Akkusativ fast doppelt so häufig!) Bei den Adjektiven führt die überwiegende Verwendung als prämodifikatorisches (im Französischen postmodifikatorisches) Attribut auf Grund der grammatischen Kongruenz zu ähnlichen Ergebnissen. Hinzu kommt ein entsprechendes Verhältnis von attributiven Langformen (85% bis 95%) zu prädikativen Kurzformen (4% bis 9%). Die Untersuchung der Nomina im Rahmen der Thema-Rhema-Gliederung gibt weiteren Aufschluß über ihre Funktion(en) im Satz (vgl. 2.4.). Aber letzten Endes lassen sich alle nominalen Wortformen über die Aktanten eines Valenzmodells aus ihrer syntaktischen Abhängigkeit vom Verb herleiten (vgl. 2.5.). Die Selektion der Verbformen wird unter anderem bestimmt durch Satzart und Satztyp, durch die grammatische Kongruenz mit dem Subjekt des Satzes, durch die Relationen zwischen Subjekt und Objekt u. a. m. Obwohl nun aber feststeht, daß in der Fachkommunikation Aussagesätze, abstrakte oder unbelebte Subjekte, passivische oder reflexivische Relationen eine bedeutende Rolle spielen, läßt sich die bevorzugte Verwendung bestimmter Verbformen nicht allein aus ihrer Funktion im Satz erklären. Die Entscheidung für Modus, Tempus, Aspekt, Person und bis zu einem gewissen Grade auch Genus wird unter pragmatischem und kommunikativem Aspekt getroffen: Der vorherrschende Indikativ entspricht dem Realitätsbezug wissenschaftlich-technischer bzw. fachlich-profes-

426

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

sioneller Aussagen; das dominierende Präsens drückt einen zeitunabhängigen Allgemeingültigkeitsanspruch aus (der imperfektive Aspekt ⫺ sofern an der Form zu erkennen, wie z. B. im Russischen ⫺ ist lediglich strukturelle Basis für die Präsensformen); die mit etwa 90% häufigste Form der 3. Person verkörpert die beobachtende, beschreibende und sachlich-informierende Haltung des Fachmannes; das in vielen Fachtextsorten dominierende Passiv dient der Anonymisierung usw. Übrigens ist auch der Numerus bei den Substantiven sowie bei den mit ihnen kongruierenden Adjektiven bzw. Partizipien in vielen Fällen außersprachlich (tatsächliche Zahl der Phänomene) oder kommunikativ (Zusammenfassung der Einzelobjekte in der Gattungsbezeichnung) bestimmt. Insgesamt gesehen, wirken also im fachsprachlichen Satz syntaktische, semantische, pragmatische und referentielle Faktoren zusammen, auch bei der selektiven Verwendung der Wortformen. (Zu konkreteren morphologischen Details in den Einzelsprachen s. Kap. XIX.)

5.

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41. Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen

427

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428

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

42. Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen 1. 2. 3. 4. 5.

Vorbemerkung Die lexikalische Seite von Fachsprachen Die Inhaltsseite Quellen für Fachwortschätze Literatur (in Auswahl)

1.

Vorbemerkung

Fachsprachlichkeit wurde bis in die siebziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein in erster Linie als Eigenschaft von Fach- und Spezialwortschätzen gesehen und untersucht. Das mag nicht verwundern, denn die Spezifik von Fachsprachen äußert sich am deutlichsten in den Fachwortschätzen und Terminologien, fachliche Inhalte werden über die Lexik transportiert. Auch die systematische Beschäftigung mit Fachsprachen richtete sich zunächst auf die Lexik. Aus den Bedürfnissen der fachkommunikativen Praxis heraus entstand in den 30er Jahren die Terminologiearbeit mit dem Ziel, Terminologien zu bereinigen und zu systematisieren, um sie für die Fachleute besser benutzbar zu machen. Diese systematische Terminologiebetrachtung wurde vor allem von den Fachleuten selbst und nicht von Linguisten betrieben, was Ziele und Methoden dieser Disziplin wesentlich prägte. In diesem Sinne grenzte sich die Terminologielehre von sprachwissenschaftlichen Untersuchungen deutlich ab und hob die Besonderheiten fachlicher gegenüber gemeinsprachlicher Lexik hervor. Diese Besonderheiten wurden vor allem darin gesehen, daß Fachlexik im Gegensatz zum Allgemeinwortschatz in starkem Maße durch sprachlenkende Eingriffe zu beeinflussen sei und daß die mit den Fachwörtern verbundenen Begriffe eindeutig voneinander abgegrenzt werden könnten. Auf dieser Ansicht fußt die strenge Systembezogenheit der Terminologielehre, die Verwendungsaspekte der Sprache ausklammert. Eine zweite Richtung der Terminologieforschung, die sich jedoch stärker an den sprachlichen Formen und nicht in erster Linie an den Begriffen orientierte, ergab sich aus methodologischen Bedürfnissen des Fremdsprachenunterrichts und den fachspezifischen Bedürfnissen der Handelshochschulen. Auch hier richtete sich das Interesse zunächst vor allem auf den fachlichen Wortschatz. Dabei wurde der Terminusbegriff der Terminologielehre übernommen, der Termini

im Gegensatz zu gemeinsprachlichen Lexemen als wohldefiniert, eindeutig, klar und kontextunabhängig ansieht. Im Zentrum des Interesses standen Forschungen zu typischen fachsprachlichen Wortbildungsmustern, zur Systematik von Fachwortschätzen, zur Abgrenzung von fach- und gemeinsprachlicher Lexik und zu Quellen für die Entstehung von Termini. In den siebziger Jahren verlagerte sich das Interesse der Fachsprachenforschung von der Lexik auf textuelle und kommunikativ-pragmatische Aspekte. Erst mit dem Ende der achtziger Jahre werden fachlexikalische Probleme wieder attraktiv, denn die Untersuchung von Fachlexik erhält neue Impulse, indem sie neuere Erkenntnisse der lexikalischen Semantik, der kognitiven Psychologie und Künstlichen-Intelligenz-Forschung aufnimmt.

2.

Die lexikalische Seite von Fachsprachen

Der verwendete Fachwortschatz ist ein wesentliches Element für die Charakterisierung eines Textes als Fachtext oder die Identifizierung einer Äußerung als fachspezifisch. Der fachliche Inhalt des Textes bzw. der Äußerung wird in erster Linie durch den Fachwortschatz ausgedrückt und weitergegeben. Allgemein-wissenschaftliche und gemeinsprachliche Lexeme, die in Fachtexten auch verwendet werden, rechnet man nicht zum Fachwortschatz. Der Fachwortschatz einer Sprache wird gemeinhin als Subsystem des Gemeinwortschatzes gesehen. Zwischen beiden findet ein ständiger Austausch statt, so daß keine scharfe Grenze gezogen werden kann. Ebenso wie der Gemeinwortschatz existiert der Fachwortschatz nicht als ungeordnete Menge, sondern kann nach bestimmten Prinzipien systematisiert werden. Zum einen kann man semantische paradigmatische Beziehungen wie Synonymie, Polysemie, Homonymie und Hyperonymie feststellen (vgl. 3.2.). Zum anderen können die lexikalischen Systeme von Fachgebiet zu Fachgebiet unterschieden werden, die in ihrem Aufbau und Charakter z. T. erheblich voneinander abweichen. So kann man davon ausgehen, daß Fachwortschätze technischer Disziplinen wesentlich

42. Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen

strenger organisiert sind als die Lexik der Geisteswissenschaften. Der Fachwortschatz bildet die begriffliche Ordnung und damit die Systematik des Faches selbst in seiner sprachlichen Gliederung mehr oder weniger genau ab. Bei technischen Fachwortschätzen wird diese Gliederung oft als Hierarchie dargestellt. In der Terminologielehre gilt die möglichst genaue Abbildung der Fachsystematik in der Wortschatzsystematik als besonders erstrebenswert. Hier wird die Ausnutzung der Potenzen der deutschen Wortbildung empfohlen, um möglichst schlüssige Zusammensetzungen zu erhalten, die die Begriffsleiter adäquat wiedergeben. „Im Deutschen stehen dafür Wortzusammensetzungsregeln zur Verfügung, die erlauben, einen Teil der definitorischen ,Leiter‘ durch mehrfach verschachtelte Grund- und Bestimmungswörter darzustellen. Meist entspricht dabei stufenweise das Grundwort dem genus proximum und dem Bestimmungswort die differentia specifica“ (Hahn 1983, 86), z. B.: Regler für die Bremskraft von Anhängern Anhängerbremskraftregler Abb. 42.1: Definitorische Leiter

2.1. Fachwörter und Termini Mitunter werden im Bereich des Fachwortschatzes Fachwörter und Termini unterschieden, wobei ein Fachwort den Status eines Terminus dann erreicht, wenn seine Bedeutung durch eine Definition genau festgelegt ist. Fachwörtern wird auf diese Weise ein vorwissenschaftlicher Status zugewiesen. Diese Unterscheidung konnte sich jedoch in der Fachsprachenforschung nie vollkommen etablieren, wohl weil sie weder besonders praktikabel noch sehr sinnvoll ist. Sogar die DINNorm verwendet beide Benennungen synonym: „Ein Terminus ist als Element einer Terminologie die Einheit aus einem Begriff und seiner Benennung (auch: Fachwort)“ (DIN 2342 1986, 6). Nach dieser Definition ist das einzige, was einen Terminus bzw. ein Fachwort aus dem Wortschatz der Gemeinsprache heraushebt, die Zugehörigkeit zu einer Terminologie (bzw. einem Fachwort-

429

schatz). Die Eigenschaft, eine Einheit aus der Inhaltsseite (hier: Begriff) und der Formseite (hier: Benennung) zu sein, trifft auf jedes sprachliche Zeichen zu. Traditionell werden Termini Gütemerkmale wie Klarheit, Exaktheit, Eindeutigkeit, Genauigkeit, Explizitheit, Wohldefiniertheit und Kontextunabhängigkeit zugeschrieben. Unter dem Einfluß der modernen Linguistik und der Kognitionswissenschaften gerät diese traditionelle Vorstellung jedoch zunehmend in die Kritik (vgl. Fraas 1992). Die Einwände gegen den traditionellen Terminusbegriff resultieren nicht nur aus diesen äußeren Einflüssen, sondern werden auch durch einen grundlegenden Widerspruch der traditionellen Terminologiearbeit hervorgerufen. Dieser Widerspruch besteht darin, daß Termini und Terminologien erklärtermaßen nach Verbesserung der Fachkommunikation streben, dabei aber sowohl einen idealistischen Terminusbegriff als auch unrealistische Vorstellungen von Fachkommunikation zugrunde legen. Synonyme und Uneindeutigkeiten werden als Haupthindernis der Verständigung abgelehnt. Der heuristische Wert sprachlicher Unschärfe wird meist nicht gesehen, Eindeutigkeit und Exaktheit von Termini als absoluter Anspruch vertreten. Auf dieses Problem weisen zunehmend mehr Terminologen selbst hin, indem sie anerkennen, daß ein übertriebener Hang zur Ordnung, Stabilisierung und Normung für den wissenschaftlichen Fortschritt auch ein Hindernis sein kann. Durch eine übertriebene Vereinheitlichung werden unterschiedliche Denkansätze zugunsten einzelner Lehrmeinungen unterdrückt. Darüber hinaus stört Bedeutungsvielfalt die Fachkommunikation weniger, als von realitätsferner Terminologiearbeit angenommen wird. Es sind genügend Beispiele dafür bekannt, daß die Korrektur „falschen“ Sprachgebrauchs in der Praxis nicht wirksam wurde. Z. B. konnte sich die Umbenennung des unkorrekten Fachwortes Schraubenzieher in das korrekte Schraubendreher in der fachsprachlichen Praxis nicht durchsetzen. Oder, um noch eines der unzähligen Beispiele aus den Geisteswissenschaften zu erwähnen: In der modernen Sprachwissenschaft wird der Terminus Diskurs mit ganz verschiedenen Bedeutungen verwendet, z. B. im Sinne von Dialog, im Sinne von Gruppensprache oder im Sinne von thematisch zusammengehöriger Textwelt. Trotz dieser Uneinheitlichkeit setzt sich das Fachwort immer mehr durch. Fachliche Kommunikation wird offensichtlich

430

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

durch einen Mangel an Wohldefiniertheit wesentlich weniger beeinträchtigt, als gemeinhin angenommen wird. Das Problem besteht wohl darin, daß Terminologen einerseits von den Begriffen und Begriffssystemen ausgehen, den Systemaspekt von Termini betonen und deren Kontextunabhängigkeit postulieren. Andererseits streben sie durch Terminologienormung nach Verbesserung der Fachkommunikation. Dabei werden die Beziehungen zwischen dem kognitiven Aspekt einer Terminologie als Begriffssystem und ihrer kommunikativen Funktion weitgehend vernachlässigt. Zwar wird mit der Auffassung von Fachsprache als Mittel der „Übertragung einer gewissen Menge Vorstellungen von Mensch zu Mensch“ (Wüster 1970, 85) ein kommunikativer Gesichtspunkt ins Spiel gebracht, jedoch werden Wesen und Funktionsweise von Kommunikation kaum reflektiert und einbezogen, d. h. genaue Untersuchungen zur Realität fachlicher Kommunikationsprozesse bleiben aus. Auf diese Weise kann es zu idealistischen Vorstellungen über die begriffliche Klarheit von Termini und die klare Systematik von fachlichen Begriffssystemen kommen.

3.

Die Inhaltsseite

3.1. Begriffe und Bedeutungen In der traditionellen Terminologielehre wird die Inhaltsseite des Terminus mit dessen Begriff von einem bestimmten Ausschnitt aus einem Fach- oder Sachgebiet gleichgesetzt. Ein Begriff wird hier als übersprachliche Denkeinheit aufgefaßt, die diejenigen gemeinsamen Merkmale enthält, welche Gegenständen zugeordnet werden. Dabei soll ein Gegenstand „ein beliebiger Ausschnitt aus der wahrnehmbaren oder vorstellbaren Welt“ sein (vgl. DIN 2342 1986, 2). Ein Terminus gilt als treffend, wenn er einen Begriff adäquat auszudrücken vermag. Die Struktur eines Begriffs, sein Umfang und seine Abgrenzung zu Nachbarbegriffen werden mit Hilfe von Merkmalen konstituiert, die Gegenständen, Prozessen und Erscheinungen zuzuordnen sind. Dabei herrscht weitgehend die Vorstellung von einer hierarchischen Anordnung dieser Merkmale vor, wobei durch übergeordnete Merkmale Beziehungen zu anderen Termini im System, z. B. zu Ober- und Unterbegriffen, hergestellt werden (vgl. Dahlberg 1976; Picht 1979; Wüster 1979; DIN 2342 1986; Arntz/Picht 1989). Das

bedeutet, daß in der Terminologielehre Merkmale als „Grundelemente für das Erkennen und Beschreiben von Gegenständen und das Ordnen von Begriffen“ (Felber/Budin 1989, 25) angesehen werden. Im Unterschied zur Terminologielehre befaßt sich die Sprachwissenschaft nicht in erster Linie mit Begriffen, die übersprachlich sind, sondern mit an das sprachliche Zeichen gebundenen Bedeutungen. Die Bedeutung eines Terminus leitet sich aus seiner internen Bedeutungsstruktur, aus seinem Platz im Terminussystem und aus seiner Verwendung in der fachsprachlichen Kommunikation her. Für die interne Bedeutungsstruktur und die Beziehungen zwischen verschiedenen Bedeutungen in einem Terminussystem sind ebenfalls Merkmale von grundsätzlicher Wichtigkeit, hier jedoch semantische Merkmale, die mit den begrifflichen Merkmalen der Terminologielehre nicht unbedingt gleichzusetzen sind. Die wesentlichsten Merkmale können in einer Definition zusammengefaßt werden, die die Kernbedeutung des Terminus und seinen Platz im Terminussystem festlegt. Ob die Definition treffend und angemessen ist, muß sich in der kommunikativen Praxis und am Stand des gemeinschaftlichen Fachwissens immer wieder erweisen. Gegebenenfalls ergibt sich die Notwendigkeit, die Definition neuen kognitiven und kommunikativen Bedingungen anzupassen. 3.2. Semantische paradigmatische Beziehungen Paradigmatische Bedeutungsbeziehungen zwischen Lexemen wie Hyperonymie ⫺ Hyponymie, Synonymie, Polysemie und Homonymie können ebenso wie im Gemeinwortschatz auch in den Subsystemen des Fachwortschatzes zwischen Einheiten festgestellt werden, die im selben Kontext vorkommen und einander ersetzen oder auch gegenseitig ausschließen. Dies ist dadurch möglich, daß sie eine ähnliche Bedeutungsstruktur aufweisen. Die traditionelle Terminologielehre nimmt Hyperonymie ⫺ Hyponymiebeziehungen (Über- und Unterordnung) als das grundlegende Ordnungsprinzip für Fachwortschätze an. Synonymie, Polysemie und Homonymie werden als „Wildwuchs“ der natürlichen Sprache abgelehnt und sind dementsprechend Ziel sprachbereinigender Maßnahmen. Auf diese Weise etablierte sich die Ansicht, Fachwortschätze wiesen weniger Synonym-, Polysem- und Homonymbeziehungen auf als der

42. Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen

Gemeinwortschatz, und ihr Vorkommen sei negativ zu bewerten. Erst in dem Maße, wie der Verwendungsaspekt von Fachsprache in die wissenschaftlichen Untersuchungen einbezogen wurde, konnte diese Auffassung relativiert werden. Inzwischen setzt sich mehr und mehr die Einsicht durch, daß auch Fachwortschätze keine künstlichen, toten Systeme sind, sondern durch den Gebrauch in der fachlichen Kommunikation leben und demzufolge Uneindeutigkeiten aufweisen. 3.2.1. Hyperonymie ⫺ Hyponymie Die Systemhaftigkeit von Fachwortschätzen stand von Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Termini an im Mittelpunkt des Interesses. Fachwörter werden traditionell nicht isoliert untersucht, sondern als Teil eines Systems gesehen, in dem sie einen festen Platz einnehmen. Als grundlegendes Systematisierungsprinzip wird dabei die hierarchische Ordnung angenommen, die auf Hyperonym-Hyponym-Beziehungen, d. h. auf Ober- und Unterbegriffsrelationen beruht. Deshalb sind auch Terminusdefinitionen in der Regel so aufgebaut, daß die im System benachbarten Partner, d. h. Ober- und Unterbegriffe, gleich mit bestimmt werden, z. B.: Rechteck: geometrische Figur bestehend aus einer ebenen geschlossenen Linie mit vier Ecken, mit je zwei parallelen Gegenseiten und mit vier gleichen Winkeln. Der Terminus Rechteck wird in dieser Definition in Beziehung gesetzt zum Oberbegriff geometrische Figur und zu den Unterbegriffen Linie, Ecke, Gegenseite und Winkel. Die semantische Über- bzw. Unterordnung der Fachwörter im System kann durch Baummodelle dargestellt werden, die Hierarchiebeziehungen zwischen den einzelnen Abstraktionsebenen und Nebenordnungsbeziehungen auf der gleichen Ebene zwischen benachbarten Einträgen vorsehen. Quer- oder Diagonalverbindungen über weitere Distanzen im System werden nicht angenommen. Z. B.: Fahrzeug Landfahrzeug

Wasserfahrzeug

Luftfahrzeug

Raumfahrzeug

Segelboot

Motorboot

Segelflugzeug

Motorflugzeug

Abb. 42.2: Baumdiagramm für Fahrzeugarten

431

Die Über- und Unterordnungsrelationen lassen sich auf verschiedene Arten von Beziehungen zwischen Denotaten zurückführen. Häufig wird in diesem Zusammenhang auf die Beziehungen zwischen Allgemeinem und Besonderem, zwischen Menge und Element und zwischen Teil und Ganzem hingewiesen. Der Ausschnitt aus dem Baumdiagramm der verschiedenen Fahrzeugarten beruht sowohl auf der Allgemeines-Besonderes- als auch auf der Menge-Element-Beziehung. Eine TeilGanzes-Beziehung kommt in der oben erwähnten Definition von Rechteck zum Ausdruck. Der übergeordnete Terminus wird über die Angabe der Teile (geometrische Figur, Linie, Ecke, Gegenseite und Winkel) definiert. 3.2.2. Synonymie, Polysemie und Homonymie Wenn formal verschiedene Benennungen zur Bezeichnung des gleichen Objekts oder Sachverhaltes parallel verwendet werden können, liegt Synonymie vor. In den Fachsprachen existieren häufig mehrere Benennungen gleichberechtigt nebeneinander, z. B.: eine entlehnte Benennung und eine muttersprachliche (Computer/Rechner), eine lateinische Benennung und eine muttersprachliche (Substanz/Stoff), eine Kurz- und eine Langform (H2O/Wasser) oder eine gemeinsprachliche, laienhafte Benennung und eine fachsprachliche (Mongolismus/Trisomaler Schwachsinn). Synonymie entsteht dadurch, daß formal verschiedene Lexeme denselben Bedeutungskern aufweisen, sich demzufolge auf das gleiche Referenzobjekt beziehen und somit in der gleichen syntaktisch-kontextuellen Umgebung vorkommen können. Die Peripherie der Bedeutung oder stilistische Eigenschaften der Lexeme können dabei unterschiedlich sein. Von der Terminologielehre werden Synonyme mit der Begründung abgelehnt, sie „belast[et]en das Gedächtnis und führ[t]en dazu, daß oft Zweifel aufkommen, ob mehrere Benennungen denselben Begriff bezeichnen“ (Felber/Budin 1989, 123). Diese Auffassung mag als Begründung für Grundsätze gelten, die bei einem Akt bewußt zu kreierender Neubenennungen zu beachten sind. Die Praxis der fachlichen Kommunikation ist vom Ideal einer synonymarmen Fachsprache weit entfernt. Es ist zu bezweifeln, ob sich dies wirklich so negativ auswirkt, wie es die traditionelle Terminologielehre betont. Ein prominentes Beispiel für historisch gewachsene und mit den Besonderheiten des Faches

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VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

begründbare reichhaltige Synonymie ist die Fachsprache der Medizin. „Die Vielfalt an synonymen Benennungen … ist (hier) in den fachlich-kognitiven Anforderungen und in den kommunikativen Bedingungen des Tätigkeitsbereiches Medizin sowie in den Potenzen des für die Bildung von medizinischen Bezeichnungen zur Verfügung stehenden Sprachmaterials begründet“ (Wiese 1984, 34). Medizinische Thesauri geben je nach Anzahl der Deskriptoren bis zu 500.000 Synonyme an. Die Ursachen für diese Synonymfülle sind vielfältig. Zum einen erfordert die Komplexität medizinischer Sachverhalte unterschiedliche Klassifizierungen, die durch verschiedene Benennungsmotive ermöglicht werden. „Die Gesichtspunkte, nach denen klassifiziert wird, und die Wahl der Benennungsmotive … ist durch den jeweils historischen Stand der Erkenntnis und durch die aus der Tätigkeit der Sprachbenutzer erwachsenden Interessen determiniert. Diese Interessen können entsprechend den Bedürfnissen der einzelnen Spezialgebiete unterschiedlich sein“ (Wiese 1984, 37). Eine weitere Ursache für die Synonymvielfalt in der Medizin ist die Varianz der Kommunikationssituations-Typen in diesem Bereich. Nicht nur die Spezialisten eines Fachgebietes müssen sich verständigen. Auch die Kommunikation zwischen Chirurgen und Neurologen oder zwischen Allgemeinmedizinern und Psychologen muß gewährleistet werden. Und nicht zuletzt ist die Verständigung der Mediziner mit ihren Patienten sicherzustellen. Einerseits muß für den Laien kompliziertes medizinisches Wissen so ausgedrückt werden, daß er über Krankheitsbild und Therapie hinreichend informiert wird. Andererseits werden in bestimmten Kommunikationssituationen Informationen bewußt verschlüsselt und so für den Patienten schwer durchschaubar gemacht. Als solche verhüllende Fachwörter werden oft Benennungen mit Eigennamen benutzt (Laennecsche Krankheit ⫺ Leberzirrhose, Kahlersche Krankheit ⫺ Plasmozytom) (vgl. Wiese 1984, 38). Nicht nur für die Medizin gilt, daß Mehrfachbenennungen unvermeidbar und für den Erkenntnisgewinn innerhalb eines Faches sogar unverzichtbar sind. Die unterschiedlichen Benennungen heben jeweils auf einer bestimmten Stufe des Erkenntnisprozesses verschiedene Gesichtspunkte des zu benennenden Objektes oder Sachverhaltes hervor. Auf diese Weise können Aspekte unterschiedlich

gewichtet und gegebenenfalls gewertet werden. Erscheint eine tradierte Benennung dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht mehr angemessen, sind Fachleute oft bemüht, statt dessen eine neue, durch tradierte Vorstellungen „unbelastete“ Benennung einzuführen. In diesem Falle existieren beide Benennungen eine zeitlang nebeneinander. Eine andere Lösung dieses Problems ist die Neudefinition. Fachlicher Meinungsstreit findet wesentlich auf der Ebene der begrifflichen Klärung, Festlegung oder auch Uminterpretation von Fachwörtern statt. Auf diese Weise entsteht Polysemie, d. h., formal gleiche Fachwörter weisen verschiedene Bedeutungsvarianten auf. Zu solchen Mehrdeutigkeiten kommt es auch, wenn der Inhalt eines Fachwortes unter verschiedenen Gesichtspunkten festgelegt wird. Z. B. kann die Begriffsbestimmung des linguistischen Terminus Wort je nach Beschreibungszusammenhang ganz verschiedene Erklärungskomponenten in den Vordergrund rücken. So entspricht die Auffassung von Wort als kleinster formaler Einheit eines Satzes einem syntaktischen, die Auffassung von Wort im Sinne von bedeutungstragender Lexikoneinheit einem lexikalisch-semantischen Beschreibungsrahmen. Auch die Übernahme besonders bildhafter oder treffender Benennungen aus einem Fachgebiet ins andere ist eine Quelle für Polysemie. So wird z. B. Sonde in der Medizin, der Geologie, der Meteorologie, der Physik und der Raumfahrt jeweils mit modifizierter Bedeutung verwendet. Bezeichnen formal gleiche Lexeme synchron betrachtet völlig unterschiedliche Inhalte, spricht man von Homonymie. Homonyme sind z. B. Kiel (Teil eines Schiffes) und Kiel (Schreibfeder) oder auch Delta (griechischer Buchstabe, der in vielen Fachgebieten zur Benennung von Größen verwendet wird) und Delta (Mündungsbereich eines großen Flusses). Historisch gesehen können solche formal gleichen Fachwörter mit unterschiedlicher Bedeutung durchaus auf einen semantisch motivierten Benennungsakt, etwa auf eine Metapher oder Metonymie, zurückführbar sein. Auf synchroner Ebene jedoch sind in der Bedeutungsstruktur der betreffenden Termini keine Berührungspunkte mehr auszumachen. Auch Polysemie und Homonymie werden von der traditionellen Terminologielehre als verständigungsstörend abgelehnt. Diese Befürchtung ist jedoch ein aus dem Blickwinkel auf die Systematik von Terminologien gebo-

42. Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen

renes theoretisches Konstrukt. Untersuchungen der Fachkommunikation haben ergeben, daß Lexeme nicht nur in der Alltagskommunikation ihre Bedeutung in der kontextuellen Einbettung entfalten. Auch die Bedeutung von Termini wird kontextuell gestützt, wodurch verständigungsbehindernde Mehrdeutigkeiten weitgehend eingeschränkt werden können. 3.3.

Terminologien als wissensbasierte Systeme

3.3.1. Felder und semantische Netze Die Feldtheorie beruht auf dem Grundgedanken, daß zwischen sprachlichen Einheiten komplexe systemhafte Zusammenhänge bestehen, die ihren Ursprung in inhaltlichen bzw. sachlichen Beziehungen haben. Beabsichtigt ist dabei eine Aufgliederung des Wortschatzes nach Sinnbezirken in einzelne mehr oder weniger voneinander abgrenzbare Wort- oder Bedeutungsfelder, deren Einzelglieder sich hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihres Stellenwertes im Feld gegenseitig beeinflussen und begrenzen. In der Terminologiebetrachtung wurde das Feldmodell vor allem unter onomasiologischem Aspekt, d. h. auf der Grundlage außersprachlicher, sachlichfachlicher Zusammenhänge angewandt. Terminologieuntersuchungen gingen traditionell von den Sachgebieten aus, auf die sich die betreffende Terminologie bezieht. Ein solches Vorgehen ermöglicht die sachgruppenbezogene Darstellung von Terminologien und gleichzeitig eine systematische Darstellung des betreffenden Fachgebietes, wie sie etwa für das inhaltliche Gerüst eines Thesaurus erforderlich ist. In diesem Zusammenhang wurde oft versucht, Hauptkategorien zusammenzustellen, nach denen sich Terminologien systematisieren lassen. Solche Hauptkategorien können z. B. sein: Prozesse, Erscheinungen, Bewegungen, Gegenstände, Eigenschaften/Qualitäten, Parameter, Figuren, Maßeinheiten, Quantitäten, Raum, Zeit, Beziehungen. Die davon abzuleitenden Unterkategorien ergeben sich aus den Spezifika der einzelnen Fachgebiete. Der Feldgedanke durchbricht die Vorstellung einer streng hierarchischen Ordnung von Terminologien. Zwar spielen Hyperonymie-Hyponymie-Beziehungen auch beim Aufbau von Feldern eine zentrale Rolle, jedoch werden sie in Zusammenhang gebracht mit inhaltlichen Querverbindungen. Auf diese Weise manifestiert sich die Vorstellung

433

von einer mehrdimensionalen Vernetzung der Einheiten. So ist im Feldmodell bereits die Idee von den kognitiven und semantischen Netzen angelegt, die in den vergangenen Jahren unter dem Einfluß der Kognitiven Psychologie und der Künstlichen-IntelligenzForschung auch die Terminologiebetrachtung stark beeinflußten. Diese Einflüsse führten dazu, daß Terminussysteme als geronnenes Wissen von Fachgebieten aufgefaßt wurden und die Frage nach der Art und Weise der Repräsentation dieses Wissens im menschlichen Gedächtnis in den Fokus des Interesses rückte. In der kognitiven Psychologie konnte nachgewiesen werden, daß das Gedächtnis auf zwei Funktionsprinzipien beruht, die bei komplexen kognitiven Prozessen zusammenwirken. Dies ist zum einen die Aktualisierung explizit gespeicherten Wissens. Aus dem heuristischen Prinzip der Ökonomie der Gedächtnisfunktionen kann abgeleitet werden, daß nicht alle relevanten Wissensstrukturen explizit gespeichert sein können. Deshalb wird ein zweites Funktionsprinzip angenommen, die Ableitung von Wissen durch Vergleichs-, Schlußoder Inferenzprozesse. Hier handelt es sich nicht um gespeicherte, sondern um prozedural herleitbare Wissensstrukturen, die je nach aktueller Aktivierung aus der Situation heraus hergestellt werden und wieder vergeßbar sind. Die stationär gespeicherten Wissensstrukturen spiegeln horizontale Relationen zwischen Begriffen wider, z. B. die Handlungsträgerrelation, die Aktorrelation, die Lokalrelation, die Instrumentrelation, die Objektrelation oder die Finalrelation. Diese Relationen werden direkt zum Begriff hin aktiviert und lassen somit auf gespeicherte Vernetzungen im Langzeitgedächtnis schließen. Reaktionszeittests haben ergeben, daß demgegenüber Relationen wie die Ober-Unterbegriffsrelation, die Kontrastrelation, die Komparativrelation, die Attributrelation oder die Nebenordnungsrelation durch Merkmalvergleich prozedural erzeugt, also indirekt aktiviert werden müssen. Wenn eine Terminologie als Wissen über ein bestimmtes Fachgebiet aufgefaßt werden kann, dann liegt es nahe, deren Modellierung an die Modellierung von Wissensstrukturen anzulehnen. So setzt sich neben dem traditionellen Stammbaum zunehmend eine netzartige Darstellung von Terminussystemen durch, die außer hierarchischen Beziehungen auch Querverbindungen zuläßt und somit den komplexen Verknüpfungen fachlichen

434

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Wissens eher gerecht wird. Z. B. ist nach dem traditionellen Systemmodell ein Ausschnitt (a) aus der Terminologie der Raumfahrt folgendermaßen darstellbar: Raumtransportsystem Trägersystem Trägerrakete

Raumschlepper

Raumtransporter

aerodynamischer Raumtransporter

ballistischer Raumtransporter

Abb. 42.3: Baumdiagramm für einen Ausschnitt (a) aus der Terminologie der Raumfahrt

An einer anderen Stelle des Systems wird ohne Verbindung zum ersteren ein Ausschnitt (b) der Terminushierarchie angenommen: Raumflug Start

Flug

Landung

Abheben

Flugbahn

Abbremsung

Aufstiegsbahn

Antriebsbahn

Synchronbahn

Umlauf- Abbahn stiegsbahn

Abb. 42.4: Baumdiagramm für einen Ausschnitt (b) aus der Terminologie der Raumfahrt

Das Netzwerkmodell nimmt auch zwischen Elementen dieser beiden Systemausschnitte inhaltliche Beziehungen an, die quer durch das System der Terminologie der Raumfahrt intuitiv zusammengehöriges Wissen zusammenführen, z. B.: RaumINSTRUMENT/ZWECK transport- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Raumflug system Trägerrakete

INSTRUMENT - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Start

RaumORT Umlauftransporter - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - bahn Trägersystem

AKTION - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Abheben

Abb. 42.5: Vernetzung der Ausschnitte (a) und (b) durch Querrelationen

3.3.2. Prototypen und Stereotype Das traditionelle Verständnis der Inhaltsseite von Fachwörtern beruht zum einen auf einer strikten Systembezogenheit, zum anderen auf der Voraussetzung eines „idealen Sprechers“, der mit allen anderen Sprechern über einen einheitlichen Bereich gemeinsamen Wissens verfügt. Somit wird Bedeutung als statische, universelle Größe begriffen, die mit Hilfe einer begrenzten Anzahl von semantischen Merkmalen beschrieben werden kann. Auf der Grundlage dieses Bedeutungsbegriffs wurden Vagheit und Dynamik von Bedeutungen und die Rolle von Erfahrungen bei der sprachlichen Aneignung der Welt bisher für Termini weitgehend ausgeklammert. Neuere Forschungen haben ergeben, daß Ansätze, die einen dynamischen Bedeutungsbegriff vertreten und in der allgemeinen Linguistik inzwischen etabliert sind, auch für fachsprachliche Untersuchungen von Interesse sein können. Dies gilt z. B. für die Prototypentheorie (Rosch 1977), die Bedeutungen relativ zu einem typischen Vertreter einer bestimmten Kategorie bestimmt und für Gebrauchsmuster fachlicher Lexik in alltagsweltlichen Kommunikationskontexten wichtige Aufschlüsse bieten kann. Prototypikalität wird in erster Linie für Lexikonbereiche angenommen, die sich auf sinnlich wahrnehmbare Begriffe beziehen, z. B. für Farben, Artefakte und natürliche Arten. Kognitionspsychologische Untersuchungen haben inzwischen Prototypikalität auch im Zusammenhang mit abstrakten und fachlich exakt definierten Begriffen nachgewiesen, jedoch jeweils bei Laien und für den Gebrauch in alltagssprachlichen Kontexten. So zeigten Reaktionszeittests prototypikalische Effekte bei den mathematisch genau definierten Termini gerade Zahl und ungerade Zahl. Die Zahlen 2, 4 und 88 wurden von Probanden (die keine Mathematiker waren) als eher typische und 62, 64 und 94 als eher untypische Vertreter für gerade Zahlen angesehen. „Die Probanden verfügen … über das scharf definierte Merkmal ,gerade bedeutet Teilbarkeit durch 2 ohne Rest‘ und über andere Merkmale von Zahlen (optischer Eindruck, Kardinalität, Eigenschaften bei der Primfaktorzerlegung), die die Teilbarkeit betreffen und die für den Gebrauch von Zahlen bedeutsam sind“ (Bromme 1990, 162). Der alltägliche Umgang mit Zahlen in bezug auf die Uhrzeit, Geldsummen, Glückszahlen usw. spielt bei solchen Prototypikalitätsurteilen offensichtlich eine grundlegende Rolle. Die

42. Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen

Erfahrungen mit Zahlen werden offenbar in der Regel (und vom Nichtmathematiker) in Unkenntnis von Fachbegriffen für Zahleneigenschaften gemacht. „Dies schließt aber nicht aus, daß der tägliche Umgang mit solchen Zahlen eben solche Zahleneigenschaften, wie z. B. Teilbarkeit, Einheit des Dezimalsystems etc. berücksichtigt, ohne daß diese Eigenschaften für die Benutzer scharf definiert sind, ja sogar ohne daß die Benutzer sie überhaupt kennen könnten“ (Bromme 1990, 162). Diese Befunde belegen, daß Begriffe in der menschlichen Informationsverarbeitung vielfältige Funktionen erfüllen, was die Annahme multipler Begriffsstrukturen nahelegt. Für die schnelle Identifikation eines Begriffes im Alltag kann eine unscharfe Repräsentation nach Prototypen, für das wissenschaftlich exakte Verständnis eher die Repräsentation in Merkmalsbündeln angenommen werden (vgl. Bromme 1990, 164). Diese Merkmalsbündel beinhalten sowohl definitorische als auch stereotypische Eigenschaften (Putnam 1979). Stereotypische Eigenschaften charakterisieren Erfahrungswerte, die Sprecher mit den entsprechenden Referenzobjekten verbinden. Sie sind nicht kategoriebildend, d. h. nicht obligatorisch für alle Vertreter einer Kategorie. Für die Bedeutung von Wasser können beispielsweise als definierende semantische Merkmale /natürliche Gattung/ und /flüssig/ angegeben werden. Stereotypische Eigenschaften von Wasser sind z. B. /farblos/, /durchsichtig/, /geschmacklos/ und /durstlöschend/. Die definierenden Merkmale weisen Wasser den Kategorien NATÜRLICHE GATTUNG und FLÜSSIGKEIT zu. Für stereotypische Eigenschaften ist eher die anschauliche Vorstellung des Bezeichneten wesentlich, die sich mit den Erfahrungen der Sprachbenutzer herausbildet (bei Wasser der visuelle Eindruck, der Geschmack und der Nutzen in bezug auf menschliche Bedürfnisse).

4.

Quellen für Fachwortschätze

Das Wissen über ein Fachgebiet bricht sich und kristallisiert im Fachwortschatz. Deshalb besteht mit der Entwicklung eines Faches und dementsprechend mit der Ausweitung des Fachwissens ein ständiger Bedarf nach Erweiterung bzw. Konkretisierung des Fachwortschatzes. Dies ist besonders gut an Terminologien von Fächern zu beobachten, die eine Art Entwicklungsschub durchmachen.

435

Der Laie etwa, der sich durch die Modernisierung der Bürotechnik auf die Arbeit mit Computern einstellen muß, hat eine wahre Fachwortschwemme zu verarbeiten und sich immer wieder auf Neuerungen und entsprechend auf neue Benennungen einzustellen, die im Zuge der rasanten Entwicklung dieser Branche gebildet werden. Der große Benennungsbedarf in den Fachsprachen wird nur in den seltensten Fällen durch Neuschöpfungen gedeckt. Selbst das immer wieder zitierte Beispiel, das von J. B. Helmont (1579⫺1644) kreierte Wort Gas, erweist sich als an Chaos angelehnt. In der Regel wird auf vorhandene sprachliche Bausteine zurückgegriffen, um durch Umdeutung, Wortbildung oder mit Hilfe von Sprachmaterial aus fremden Sprachen die Benennungslücken zu schließen. Fachsprachen verfügen als Subsysteme der Gemeinsprache über alle lexikalischen Mittel, die auch die Gemeinsprache bereithält. In den Fachsprachen werden diese Mittel jedoch mit z. T. anderen Schwerpunkten eingesetzt. Besonders häufige Verfahren zur Benennung fachlicher Inhalte sind Entlehnung, Metaphorisierung und Metonymie, Ableitung, Konversion, Zusammensetzung bzw. Mehrwortbenennung und Kürzung. Die Bevorzugung bestimmter Benennungsverfahren kann von Fachsprache zu Fachsprache variieren und hängt wesentlich von Benennungstraditionen und damit vom Prestige bestimmter lexikalischer Strukturen innerhalb der Fächer ab. Die Computerwissenschaft und Softwareentwicklung bevorzugen Anglizismen, in der Medizin ist die Bildung von Fachwörtern aus lateinischem oder griechischem Sprachmaterial Usus, und „innerhalb der Linguistik (wäre) eine terminologische Differenzierung nach dem Muster Syntex, Syntox, Syntax, die in Medizin und Chemie häufig angewendet wird, nicht üblich und würde den Leser verwirren“ (Hahn 1983, 90). 4.1. Zusammensetzung und Kürzung Zusammensetzung bzw. Mehrwortbenennung und Kürzung sind Ausdruck zweier gegenläufiger Tendenzen bei der Entwicklung von Fachwortschätzen, der Expansion von Ausdrücken einerseits und der lautlichen Schrumpfung andererseits. Expandierte Ausdrücke wie Zusammensetzungen und Mehrwortbenennungen werden dem Bedürfnis gerecht, fachliche Inhalte möglichst genau wiederzugeben. Das kann gut erreicht werden, indem sich die einzelnen Grundelemente der

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VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Wortbildung oder die Bestandteile der entsprechenden terminologischen Wortgruppe auf die wichtigsten Eigenschaften des zu benennenden Fachbegriffs beziehen, z. B.: Grammatik in ihrer historischen Entwicklung ⫺ historische Grammatik; Ventil, dessen Steuerorgan mit Hilfe einer Feder abgehoben wird ⫺ Ventil mit Federabhub; Faser aus Glas ⫺ Glasfaser; Maschine zum Fräsen ⫺ Fräsmaschine; Regler für die Bremskraft von Anhängern ⫺ Anhängerbremskraftregler; Analyse von Gesprächen ⫺ Gesprächsanalyse. Bei derartigen Bildungen ist das Benennungsmotiv gut zu erkennen und die Bedeutung der gesamten Konstruktion aus der Kombination der einzelnen Teilbedeutungen herleitbar, was das Verstehen erleichtert. Eine Wortbildung wird jedoch unverständlich, wenn man die kritische Wortlänge von drei bis vier Bestandteilen deutlich überschreitet. Die Erfahrung zeigt, daß übertrieben lange Zusammensetzungen, z. B. Ultrakurzwellenüberreichweitenfernsehrichtfunkverbindung (Hoffmann 1984, 122), auf Dauer wenig Chancen haben, weil sie für eine effektive Kommunikation zu unhandlich sind. Der angestrebten Genauigkeit, die durch Wortzusammensetzungen erreicht werden kann, steht das Bedürfnis nach Sprachökonomie und effektiver Kommunikation gegenüber. Diesem Ziel entspricht die Tendenz zur Kürzung sprachlicher Strukturen. Bildungen, die besonders häufig verwendet werden und deren Bedeutung man inzwischen als bekannt voraussetzt, werden gekürzt und auf diese Weise „handlicher“ in der Kommunikation. Ihre Bedeutung ist jedoch im Gegensatz zur Langform nach der Kürzung nicht mehr erschließbar, sondern muß „gewußt werden“. Wichtige Kürzungsverfahren sind die Bildung von Initialwörtern (HIV ⫺ Humanes Immunschwäche-Virus, Laser ⫺ light amplification by stimulated emission of radiation) und von Silbenkurzwörtern (Trafo ⫺ Transformator, hi-fi ⫺ high fidelity). 4.2. Terminologisierung und Entterminologisierung Neben der eben gezeigten formalen Erweiterung und Kürzung sprachlicher Strukturen zur Benennung fachlicher Inhalte gibt es zwei weitere gegenläufige Tendenzen bei der Entwicklung von Fachwortschätzen, die Terminologisierung und die Entterminologisierung. Grundsätzlich kann jedes gemeinsprachliche Lexem terminologisiert werden, d. h., im Rahmen eines Fachgebietes wird die gemein-

sprachliche Bedeutung des Lexems entsprechend des Benennungsbedarfs umgedeutet und fachlich festgelegt. Raum und Zeit zum Beispiel haben in der Gemeinsprache viele Bedeutungsvarianten und sind dementsprechend sehr variabel verwendbar. Es gibt eine ganze Reihe von Fachgebieten, die diese beiden Lexeme mit entsprechend fachspezifischen Bedeutungsmodifizierungen verwenden. Die Physik z. B. benutzt Raum und Zeit in genau definierten Kontexten und demzufolge mit einer innerhalb des Fachgebietes gültigen engeren Bedeutung. In der Philosophie und Philosophiegeschichte sind Raum und Zeit zentrale Begriffe, an deren Interpretation sich ganze Denkrichtungen beschreiben lassen. Raum bedeutet für die Architektur partiell etwas anderes als für die Astronomie oder die Raumfahrt, Zeit für die Geschichtswissenschaft etwas anderes als für die Physik. Bei Übernahmen von gemeinsprachlichen Lexemen in Fachsprachen handelt es sich häufig um Metaphorisierungen, d. h., Teile der Bedeutung eines Lexems werden auf Grund von Ähnlichkeitsbeziehungen auf ein anderes Denotat übertragen. Lange wurden Metaphern vor allem im Zusammenhang mit der Rhetorik und als Stilmittel in der Poesie gesehen. Sprachwissenschaftliche und kognitionspsychologische Untersuchungen haben inzwischen nachgewiesen, daß das Denken und Sprechen in Metaphern ein grundlegendes Charakteristikum unserer Auseinandersetzung mit der Welt ist (vgl. Lakoff/Johnson 1980). Es ist typisch für die Verarbeitung neuen Wissens, daß nach bereits vorhandenen, ähnlichen Konzepten gesucht wird, die mit den neu zu benennenden auf irgendeine Weise vergleichbar sind. Um das Neue zu verstehen, wird auf bereits bekannte Konzepte zurückgegriffen. Bei der Verarbeitung von Fachwissen werden Alltagskonzepte zum Vergleich herangezogen, deren Verständnis allgemein vorausgesetzt werden kann. So wurde bei der Benennung elektrischer Phänomene auf das Bild fließenden Wassers zurückgegriffen, um die gerichtete Bewegung der Elektronen deutlich zu machen: Strom (in der Gemeinsprache das Wort für einen breiten Fluß) fließt. Ein anderes Beispiel sind die zahlreichen Körperteil- bzw. Kleidungsmetaphern in der Technik, um bestimmte Formen, Funktionen oder Anordnungen auszudrücken (Kopf ⫺ sitzt oben, Nase ⫺ ragt heraus, Arm ⫺ kann heben, Fuß ⫺ ist Ständer für etwas, Knie ⫺ ist gebeugt, Auge ⫺ kann

437

42. Lexikalisch-semantische Eigenschaften von Fachsprachen

sehen, Mantel ⫺ umhüllt, Kappe ⫺ bedeckt, Schürze ⫺ schützt vor etwas). Oder auf technische Objekte und Prozesse werden menschliche Eigenschaften, Fähigkeiten und Tätigkeiten übertragen (intelligente Maschine, warnendes Meßinstrument, Temperaturfühler, der Computer stürzt ab, die Kamera läuft). Auch in der Wissenschaft werden Metaphern als Verstehenshilfen häufig verwendet. Sie haben als bildhafte Konzepte vor allem heuristischen Wert. Die Übertragung des Virus-Konzepts von der Bio-Medizin über die Gemeinsprache auf die Softwareentwicklung erübrigt umfangreiche Erklärungen. Das Allgemeinwissen über Viren garantiert, daß Virus im Zusammenhang mit Computern richtig als Störfaktor verstanden wird, der ein System vernichten kann. Es gibt Konzepte, die aufgrund ihrer besonderen Bildhaftigkeit in vielen ganz unterschiedlichen Fachgebieten zur Beschreibung schwer faßbarer abstrakter Strukturen und Erscheinungen herangezogen werden. Geradezu eine Inflation erfuhr in den vergangenen Jahren das Netz-Konzept, das häufig zur Erklärung extrem komplexer, dynamischer Beziehungsgefüge verwendet wird. Die Gegentendenz zur Terminologisierung wird dadurch begünstigt, daß wissenschaftliche und technische Inhalte zunehmend auch in nichtfachlichen Kontexten behandelt werden. Die Verwissenschaftlichung der Medien führt dazu, daß in immer größerem Umfang fachliche Lexik in die Gemeinsprache übernommen wird. Fachwörter werden aus dem fachlichen Kontext herausgelöst, ihre Gebrauchsregeln werden erweitert, sie werden entterminologisiert. Vorher nur dem Kreis der Fachleute zugänglich, dringen diese fachlichen Lexeme in gemeinsprachliche Kontexte ein und werden so auch für Laien verständlich. Dabei wird nicht mehr das ganze Fachwissen, das ein Spezialist mit einem Terminus verbindet, in dessen gemeinsprachlicher Verwendung realisiert. Dem Laien genügt eine ungefähre Vorstellung vom entsprechenden fachlichen Phänomen oder Sachverhalt. Z. B. ist es für sein Alltagsinteresse am Ausdruck Virus ausreichend zu wissen, wie Viren in etwa wirken und wie man sich gegen sie schützen kann. Er wird kaum wissen wollen, welche tausend verschiedenen Arten von Viren es gibt, wie diese aufgebaut sind und wie sie in den vergangenen Jahren erforscht wurden. Das Gleiche gilt für den Ausdruck FCKW. Der Nicht-Chemiker und Nicht-Klimaforscher wird sich kaum für die genaue

chemische Zusammensetzung dieses Gases interessieren, sondern eher für die Tatsache, daß es zur Zerstörung der Erdatmosphäre beiträgt, wo es vorkommt und wie man darauf verzichten kann. Das Alltagswissen, das Laien mit Fachwörtern verbinden, knüpft an Alltagserfahrungen an, die sie mit den entsprechenden fachlichen Phänomenen und Sachverhalten machen.

5.

Literatur (in Auswahl)

Albrecht/Baum 1992 ⫽ Jörn Albrecht/Richard Baum (Hrsg.): Fachsprache und Terminologie in Geschichte und Gegenwart. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 14). Arntz/Picht 1989 ⫽ Reiner Arntz/Heribert Picht: Einführung in die Terminologiearbeit. Hildesheim. Zürich. New York 1989 (Studien zu Sprache und Technik 2). Bromme 1990 ⫽ Rainer Bromme: Prototypikalität bei exakt definierten Begriffen: Das Beispiel der geraden und ungeraden Zahlen. In: Sprache & Kognition 9. 1990, 155⫺167. Dahlberg 1976 ⫽ Ingrid Dahlberg: Über Gegenstände, Begriffe, Definitionen und Benennungen. Zur möglichen Neufassung von DIN 2330. In: Muttersprache 2. 1976, 81⫺117. DIN 2342 1986 ⫽ DIN 2342 (Entwurf Oktober 1986): Begriffe der Terminologielehre: Grundbegriffe. Berlin. Köln 1986. Drozd/Seibicke 1973 ⫽ Lubomı´r Drozd/Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Bestandsaufnahme ⫺ Theorie ⫺ Geschichte. Wiesbaden 1973. Felber/Budin 1989 ⫽ Helmut Felber/Gerhard Budin: Terminologie in Theorie und Praxis. Tübingen 1989 (Forum für Fachsprachen-Forschung 9). Fraas 1989 ⫽ Claudia Fraas: Terminologiearbeit ⫺ Sache der Fachleute oder der Linguisten? In: Fachsprache, Internationale Zeitschrift für Fachsprachenforschung, -didaktik und Terminologie 3⫺4/ 1989, 105⫺113. Fraas 1992 ⫽ Claudia Fraas: Terminologiebetrachtung im Kontext der modernen Sprachwissenschaft. In: Theo Bungarten (Hrsg.): Beiträge zur Fachsprachenforschung. Sprache in Wissenschaft und Technik, Wirtschaft und Rechtswesen. Tostedt 1992, 152⫺161. Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung. Linguistische Konzepte. Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Hoffmann 1984 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2., überarb. Aufl. Berlin 1984 (Sammlung AkademieVerlag 44 Sprache).

438

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Jakob 1991 ⫽ Karlheinz Jakob: Maschine, Mentales Modell, Metapher. Studien zur Semantik und Geschichte der Techniksprache. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 123). Lakoff/Johnson 1980 ⫽ George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors we live by. Chicago 1980. Picht 1979 ⫽ Heribert Picht: Arbeitsmethode und Modelle für terminologische Arbeit. In: Fachsprache 1. 1979, 236⫺256. Putnam 1979 ⫽ Hilary Putnam: Die Bedeutung von „Bedeutung“. Hrsg. u. übers. v. W. Spohn. Frankfurt/M. 1979. Rosch 1977 ⫽ Eleanor Rosch: Human Categorization. In: N. Warren (Hrsg.): Studies in Cross Cultural Psychology. London 1977, 1⫺49. Schwarz 1992 ⫽ Monika Schwarz: Kognitive Semantiktheorie und neuropsychologische Realität. Repräsentationale und prozedurale Aspekte der semantischen Kompetenz. Tübingen 1992 (Linguistische Arbeiten 273).

Schwarze/Wunderlich 1985 ⫽ Christoph Schwarze/ Dieter Wunderlich (Hrsg.): Handbuch der Lexikologie. Königstein/Ts. 1985. Terminology 1990 ⫽ TKE ’90: Terminology and Knowledge Engineering. Vol. 1/2. Ed. by Hans Czap and Wolfgang Nedobity. Frankfurt 1990. Wiese 1984 ⫽ Ingrid Wiese: Fachsprache der Medizin. Eine linguistische Analyse. Leipzig 1984 (Linguistische Studien). Wüster 1970 ⫽ Eugen Wüster: Internationale Sprachnormung in der Technik. 3. Aufl. Bonn 1970. Wüster 1979 ⫽ Eugen Wüster: Einführung in die Allgemeine Terminologielehre und Terminologische Lexikographie. 2 Bd. Wien. New York 1979 (Schriftenreihe der Technischen Universität Wien 8).

Claudia Fraas, Mannheim

43. Graphematische und phonologische Eigenschaften von Fachsprachen 1. 2. 3. 4.

Vorbemerkungen Schriftliche Aspekte der Fachsprachen Lautliche Aspekte der Fachsprachen Literatur (in Auswahl)

1.

Vorbemerkungen

Angesichts der vielfältigen Gemeinsamkeiten und Übergänge zwischen Fachsprachen und Gemeinsprache sowie der inter- und (teils) intrasystemischen Inhomogenität der Fachsprachen läßt sich deren Ausdrucksseite nicht einheitlich charakterisieren; darstellen läßt sich nur, inwiefern gewisse, oftmals auch gemeinsprachliche Probleme in verschiedenen Fachsprachen besonders virulent sind und inwieweit dort besondere Ausdrucksformen entwickelt worden sind, die nur z. T. denen der Gemeinsprache entsprechen. In der Linguistik ist man traditionell vom Primat der gesprochenen Sprache gegenüber der geschriebenen ausgegangen; inzwischen legt man normalerweise eine adäquatere Konzeption, nämlich die einer relativen Autonomie zweier gleichberechtigter sprachlicher Repräsentationssysteme zugrunde. Zugleich aber ist festzustellen, daß in fachsprachlicher Kommunikation beide Repräsentationsweisen unterschiedlich genutzt werden, indem

dort für gewöhnlich das Geschriebene gegenüber dem Gesprochenen dominiert und schriftliche Besonderheiten in Fachtexten eher häufig, lautliche hingegen eher selten sind. Graphisch fixierte Sprachprodukte haben von vornherein eine besondere Affinität zum Normativen (s. Kohrt 1987, 370 ff), und entsprechend gibt es gerade in Fachsprachen viele eigenständige Normierungen resp. Normierungsversuche für die Ausdrucksgestalt sprachlicher Einheiten. Zudem spielt der Gesichtspunkt einer Verständigung über einzelsprachliche Grenzen hinweg in den Fachsprachen eine besondere Rolle, und dies wirkt sich auf schriftliche wie lautliche Ausdrucksformen aus.

2.

Schriftliche Aspekte der Fachsprachen

2.1. Graphematische Phänomene Im Zentrum der Graphematik stehen traditionell Buchstaben(grapheme) als kleinste segmentale Einheiten der geschriebenen Sprachform mit distinktiver Kraft. Der Nachweis einer solchen bedeutungsunterscheidenden Funktion hat allein im Bereich des Ge-

43. Graphematische und phonologische Eigenschaften von Fachsprachen

schriebenen zu erfolgen, ohne jeden Rekurs auf Lautliches. Zu den Graphemen sind zudem auch andere graphische Einheiten im Buchstabenformat zu zählen, etwa die (arabischen) Ziffern, Interpunktionszeichen sowie Sonderzeichen wie ⫹, ⫺, §, % u. a. m. Alle diese graphischen Elemente sind jeweils in einen graphotaktischen Zusammenhang eingebunden, und die Kombinatorik der Grapheme, also ihre Zusammenstellung zu größeren Einheiten, gehört ebenfalls in den graphematischen Untersuchungsbereich. Nicht mehr in das Gebiet der Graphematik gehören hingegen die sog. graphischen Symbole (vgl. Funck 1983), obwohl sie fachsprachlich durchaus relevant sind; auf Grund von Ikonizität, Geltung über Einzelsprachen hinweg, weitgehender Isoliertheit vom sprachlichen Kontext u. a. m. sind sie aus der gegenwärtigen Betrachtung auszuschließen. Neben Einzelgraphemen und ihrer Graphotaktik sind auch segmentübergreifende (suprasegmentale) graphische Phänomene zum Untersuchungsbereich der Graphematik zu rechnen, sofern sie wie die minimalen Einheiten, die sie überformen, distinktive Qualität besitzen. Es handelt sich dabei nicht um Grapheme im strengen Sinne dieses Wortes, sondern um Erscheinungen mit graphematischer Qualität. Im engeren Bereich sind diese graphematischen Mittel direkt auf einzelne Zeilen hin orientiert; so gibt es vertikale Abweichungen von der Zeilenachse durch Hochoder Tiefstellung, z. T. mit Variationen der Schriftgröße super- oder subskribierter Einheiten, und es existieren horizontal verschiedene Auszeichnungsformen wie Sperrung, Versalsetzung, Kapitälchen, Kursive usw. Im weiteren Bereich können bisweilen auch flächenorientierte Besonderheiten graphematische Qualität besitzen (wie etwa Rasterung, Umrandung, Einzug u. a. m.). ⫺ Eindeutig nicht mehr in den Bereich der Graphematik sind hingegen Abbildungen, Schaubilder usw. zu rechnen, auch wenn sie gerade in fachsprachlichen Texten häufig erscheinen; allenfalls bilden Tabellen eine Art von Übergangserscheinung. Graphematisch relevant sind Besonderheiten des Geschriebenen niemals auf Grund ihrer bloßen Form, sondern allein auf Grund ihrer Funktion; werden etwa horizontal organisierte graphische Mittel nur zur Hervorhebung benutzt, so hat ihr Einsatz rein stilistische, aber keinerlei graphematische Funktion. Bei den graphematischen Mitteln bildet die Hoch- und Tiefstellung graphischer Zei-

439

chen ein Sondergebiet, das eindeutig als fachsprachlich zu qualifizieren ist; ansonsten gibt es gerade in diesem Bereich eine breite Variation der schriftlichen Gestaltung von dominanten Gebrauchsweisen und gar Normen in einzelnen Fachsprachen bis hin zu partikulären Texteinrichtungsusancen einzelner fachsprachlicher Zeitschriften. 2.2. Buchstabengrapheme, ihre Kombinatorik und die Orthographie In fortlaufenden fachsprachlichen Texten wird dasselbe Inventar von Buchstabengraphemen verwandt wie in gemeinsprachlichen Texten. Sporadische Übernahmen von Buchstabengraphemen anderer Alphabetsysteme wie z. B. a, b usw. bleiben grundsätzlich isoliert; diese Grapheme sind deshalb der Gruppe der Sonderzeichen zuzurechnen. Auch die Kombinatorik der Buchstabengrapheme entspricht weitestgehend dem, was in der Orthographie der Gemeinsprache festgelegt ist. Differenzen können jedoch bestehen (a) hinsichtlich der Häufigkeit der Verwendung von Graphemen und Graphemkombinationen und (b) bezüglich orthographischer Sonderregelungen in einzelnen Fachsprachen. Die bisherigen Untersuchungen zur Frequenz von Graphemen und Graphemkombinationen in fachsprachlichen Texten bieten ein wenig klares Bild und lassen kaum gesicherte Schlüsse zu (für einen Überblick s. Hoffmann 1985, 79⫺96); allenfalls könnte die Frequenz von komplexen Clustern von Konsonantenbuchstaben einen gewissen Aufschluß über Spezifika einzelner Fachsprachen geben. Letztlich aber spiegeln solche Daten nur sekundär primäre Daten der Häufigkeit eines Gebrauchs bestimmter Fachwörter wider und haben kaum eigenständige Aussagekraft. Aufschlußreicher scheint demgegenüber der Aspekt der Ausbildung fachsprachlicher Sonderorthographien, die sich mit der gemeinsprachlichen Rechtschreibung nicht völlig decken. Trotz des Postulats einer übergreifenden Gültigkeit der normalen Rechtschreibung (z. B. der des gegenwärtigen Deutschen) gilt diese Orthographie grundsätzlich nur für allgemeinsprachliche Texte; die Möglichkeit, fachsprachliche Sonderregelungen zu etablieren, bleibt unbenommen. Während es auf der einen Seite die Tendenz gibt, daß fachsprachliche Termini und ihre Schreibformen in die Gemeinsprache eindringen und dabei auch fortschreitend or-

440

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

thographisch assimiliert werden, besteht auf der anderen Seite die Tendenz einer bewußten Abschottung der Fachsprachen dadurch, daß (ortho)graphische Besonderheiten eines fachsprachlichen Gebrauchs eigens betont und auch systematisiert werden. Ein Zentrum bildet dabei die Verschriftung von Wörtern, die aus anderen Sprachen übernommen sind. Zwar ist das Problem der graphischen (und phonologischen) Integration von sog. Fremdwörtern auch gemeinsprachlich relevant, aber es gibt besondere Auffälligkeiten im fachsprachlichen Bereich. Frequenzaspekte sind dabei eher marginal, obwohl in den verschiedensten Fachsprachen der Anteil von Übernahmen fremdsprachlichen Wortguts deutlich über dem der Gemeinsprache liegt. Relevanter ist, daß der Anpassungs- und Integrationsdruck bei der schriftlichen Wiedergabe übernommener Wörter in Fachsprachen deutlich geringer ist als in der Gemeinsprache: Die Variabilität der graphischen Formen ist gemeinhin höher, und es wird vielfach Gebrauch von verschiedenen graphischen Auszeichnungsformen wie Anführungsstrichen, Kursivsetzung usw. gemacht, die desintegrierend wirken (vgl. z. B. Schmitt 1985, 84 ff). In einzelnen Fachsprachen bestehen Regelungen, die mit denen der Gemeinsprache nur z. T. konvergieren. Ein instruktives Beispiel dafür bildet die Schreibung von Termini griechischen und/oder lateinischen Ursprungs mit c resp. k oder z. Verschiedene Fachsprachen haben hier unterschiedliche Usancen und gar mehr oder minder feste Normen ausgebildet, wie etwa die der Chemie, der Botanik und Zoologie (vgl. Arnheim 1965); in anderen wiederum, wie etwa der Fachsprache der Medizin, ist die Frage einer einheitlichen, durchgängig geregelten Schreibung strittig. 2.3. Abkürzungen Unter Abkürzungen sind einzelne Buchstabengrapheme sowie Graphemketten mit mindestens einem Buchstabengraphem zu verstehen, die jeweils für eine umfänglichere Kette von Buchstabengraphemen stehen und die (sekundär) auch lautlich realisiert werden können (wie A für Ampe`re, a. a. O. für am angegebenen Ort, Abk. für Abkürzung usw.). Ist eine Verkürzung nicht auf den Gebrauch von Buchstabengraphemen, sondern auf den von Ziffern und Sonderzeichen zurückzuführen (vgl. etwa 3%ig für dreiprozentig), so ist dies keine Abkürzung in dem hier gemeinten Sinne. Für die formale und/oder funktionale

Klassifizierung von Abkürzungen und anderen Kurzformen gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen (vgl. Hofrichter 1977). Das Inventar von Buchstabengraphemen ist sehr klein, so daß Mehrfachbelegungen bei Abkürzungen geradezu unvermeidlich sind (z. B. A für Ampe`re, Autobahn, Austral usw.). Durch die Inexistenz von graphotaktischen Restriktionen bei der Bildung von komplexen Abkürzungsformen ist die Zahl möglicher Kombinationen von Buchstabengraphemen zwar ungleich höher als in der normalen Orthographie, aber das Bestreben nach Kürze der Graphemfolgen macht diesen Vorteil weitestgehend wieder zunichte. Eindeutig interpretierbar sind Abkürzungen demnach nur in relativ eng definierten Kommunikationsbereichen. Weil Abkürzungen primär graphisch fixiert sind und nur einen engen Wirkungsbereich haben (können), sind sie besonders in Fachsprachen häufig zu finden. Fachsprachencharakteristisch sind sie allerdings nicht, denn in den einzelnen Fachsprachen wird ein unterschiedlicher Gebrauch von Abkürzungen gemacht: In der Technik sind sie sehr viel verbreiteter als in nicht-technischen Fachsprachen (mit geradezu inflationären Tendenzen z. B. in der Computertechnologie); zudem bilden viele ursprünglich fachsprachliche Abkürzungen inzwischen einen Teil der Gemeinsprache. Für gemeinsprachlich gebräuchliche Abkürzungen gibt es orthographische Regelungen bzw. Regelungsversuche ⫺ die fachsprachlich jedoch irrelevant sind. Vielmehr etablieren die einzelnen fachsprachlichen Gemeinschaften selbständig die ihnen tauglich erscheinenden Abkürzungen und sorgen für entsprechende Normierungen (mit begrenztem Geltungsbereich). Auf Grund des Fehlens graphotaktischer Beschränkungen bei der Kombination von Graphemen in Abkürzungen können letztere auch in der fachsprachlichen Kommunikation über einzelsprachliche Grenzen hinweg gebraucht werden. 2.4. Sonderzeichen Eine jede etablierte Graphemgestalt kann für fachsprachliche Zwecke mit einer besonderen Bedeutung belegt werden. Dies gilt schon für die lateinischen Buchstabengrapheme (vgl. etwa A für Flächeninhalt), die in solchen Fällen keine Abkürzungen im Sinne von 2.3. darstellen. Dieses sehr kleine Inventar wird vielfach noch um die Grapheme der griechi-

43. Graphematische und phonologische Eigenschaften von Fachsprachen

schen Schrift erweitert (z. B. a für Winkelbeschleunigung) und/oder durch die Verwendung von kursiven vs. normalschriftlichen Formen. Trotz partieller Normierung und/ oder kontextueller Disambiguierung bleiben aber oftmals selbst innerhalb einzelner Fachsprachen immer noch Interpretationsspielräume (etwa a für Winkel und Winkelbeschleunigung), die oftmals besondere Explikationen des Gebrauchs von Sonderzeichen im fachsprachlichen Text notwendig machen. Vor allem die technischen Fachsprachen haben eine Fülle von Sonderzeichen entwikkelt, die z. T. nur in Formeln, z. T. aber auch in fortlaufenden fachsprachlichen Texten verwandt werden. Die betreffenden Konventionen sind je nach Fachsprache sehr unterschiedlich und entziehen sich einer einheitlichen Charakterisierung. Zifferngrapheme haben grundsätzlich die Funktion von Zahlzeichen. Disziplinübergreifend werden sie fachsprachlich vielfach zur Binnendifferenzierung von Texten verwendet, indem ihre festgelegte Reihenfolge wie die der Buchstabengrapheme des Alphabets genutzt wird (vgl. 1., 1.1. usw. bzw. a), aa), ab) etc.). Fachsprachenspezifisch sind zudem etwa attributiv nachgestellte (Kombinationen von) Zifferngrapheme(n), z. T. als Maßangabe (Fahrenheit 471), z. T. als Ordnungsangabe (Abbildung 3).

3.

Lautliche Aspekte der Fachsprachen

Angesichts der Dominanz der geschriebenen Sprachform in den Fachsprachen sind deren lautliche Besonderheiten eher marginal (und bislang wenig untersucht worden). 3.1. Phonologie und Phonetik der Fachsprachen Hinsichtlich des Phonembestands gibt es keinerlei Unterschiede zwischen den Fachsprachen und den jeweiligen Gemeinsprachen. Allenfalls kann es in einzelnen Fachsprachen zu einem stärkeren Ausbau des peripheren phonematischen Systems kommen, begründet durch die Übernahme zahlreicher Termini aus anderen Sprachen, und dementsprechend auch zu einer Erhöhung der Zahl phonotaktischer Kombinationsmöglichkeiten. Derartige Erscheinungen bleiben jedoch eng begrenzt und sind letztlich qualitativ unerheblich. Der Druck einer lautlichen Anpassung fremdsprachlicher Ausdrücke an das eigen-

441

sprachliche System ist bei Fachsprachen geringer als in der Gemeinsprache. Bisweilen kommt es zur Ausbildung sog. spelling pronunciations, also eng an die graphische Form angelehnter Ausspracheweisen; solche Realisationsformen werden ⫺ ebenso wie besondere Akzentsetzungen ⫺ z. T. auch benutzt, um einen spezifisch fachsprachlichen Gebrauch von Wörtern zu signalisieren (vgl. Sager et al. 1980, 302). Die für die Untersuchung phonetischer Realisationsformen in Fachsprachen relevanten Bereiche sind bislang nur grob umrissen, und zwar bezüglich spezifischer Kommunikationssituationen (vgl. Benesˇ 1982) und Gestalt von Einzeläußerungen (vgl. Kelz 1987). Die betreffenden Rahmen sind dabei allerdings eher allgemein gehalten und bedürfen weiterer Konkretisierung. 3.2. Abkürzungen und Sonderzeichen in lautlicher Gestalt Eine jede Abkürzung läßt sich trivialerweise (a) derart in gesprochene Sprache umsetzen, daß die ihr zugrunde liegende Vollform lautlich realisiert wird. Bei Abkürzungen, die nur aus einem einzigen Buchstabengraphem bestehen, ist dieses Verfahren die Regel. Abkürzungen mit mehreren Buchstabengraphemen können auf zweierlei Art lautlich umgesetzt werden: (b) durch Nennung der Namen der Buchstabengrapheme in der Reihenfolge ihres Auftretens (z. B. AEG mittels [a:], [e:], [ge:]) oder, soweit möglich, (c) durch die Aussprache der Abkürzung als eigenständigem Wort (wie VEBA als [fe:ba·]). In den Fachsprachen dominieren bislang weitgehend Abkürzungen, die die Wahl der Option (c) ausschließen (s. Schmitt 1985, 128 ff); allerdings gibt es auch fachsprachlich bisweilen primär lautlich induzierte Verkürzungen (s. Klasson 1977, 148 ff) sowie in gewissen Bereichen gar eine Tendenz zur Bildung von Abkürzungen, die eine Realisierung als phonologisches Wort nahelegt (wie etwa DESY für Deutsches Elektronen Synchrotron). Welche Art der lautlichen Umsetzung von Abkürzungen gewählt wird, bleibt dabei letztlich den Konventionen einzelner fachsprachlicher Gemeinschaften überlassen. Die lautliche Umsetzung von Sonderzeichen ist außerordentlich vielschichtig; übergreifend sagen läßt sich nur, daß sie (a) auf möglichst große Explizitheit angelegt ist und (b) demnach eher inhaltsseitig denn ausdrucksseitig orientiert ist.

442

4.

VI. Ergebnisse der Fachsprachenforschung II: Systemeigenschaften von Fachsprachen

Literatur (in Auswahl)

Arnheim 1965 ⫽ Karl-Heinz Arnheim: Rechtschreibprobleme im fachsprachlichen Bereich. In: Die wissenschaftliche Redaktion 1. 1965, 14⫺34. Benesˇ 1982 ⫽ Eduard Benesˇ: Zur Didaktisierung der gesprochenen Wissenschaftssprache. In: Fachsprache 4. 1982, 11⫺18. Funck 1983 ⫽ Paul Funck: Graphische Symbole. Berlin. Köln 1983. Hoffmann 1985 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2. Aufl. Tübingen 1985 (Forum für Fachsprachen-Forschung 1). Hofrichter 1977 ⫽ Werner Hofrichter: Zu Problemen der Abkürzung in der deutschen Gegenwartssprache. Berlin 1977 (Linguistische Studien, Reihe A. Arbeitsberichte 44). Kelz 1987 ⫽ Heinrich P. Kelz: Lautsprache in der Wissenschaft: Perspektiven für die Fachsprachen-

forschung und den fachsprachlichen Unterricht. In: Fachsprache 2. Hrsg. v. Heinrich P. Kelz. Bonn 1987 (Dümmlerbuch 6303), 139⫺149. Klasson 1977 ⫽ Kerstin Klasson: Developments in the Terminology of Physics and Technology. Stockholm 1977. Kohrt 1987 ⫽ Manfred Kohrt: Theoretische Aspekte der deutschen Orthographie. Tübingen 1987 (Reihe Germanistische Linguistik 70). Sager et al. 1980 ⫽ Juan C. Sager/David Dungworth/Peter F. McDonald: English Special Languages. Principles and Practice in Science and Technology. Wiesbaden 1980. Schmitt 1985 ⫽ Peter A. Schmitt: Anglizismen in den Fachsprachen. Eine pragmatische Studie am Beispiel der Kerntechnik. Heidelberg 1985 (Anglistische Forschungen 179).

Manfred Kohrt, Bonn

VII. Textlinguistische Ansätze in der neueren Fachsprachenforschung I: Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten 44. Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik, dargestellt mit Bezug auf Fachtexte 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

1.

Textbegriffe: Paradoxien der Definition Was ist ein Fachtext? Verhältnis zum Wissen der Rezipienten Pragmatisch-kommunikative Textauffassung: ein Widerspruch? Über den (zweifelhaften) Nutzen der Textsorten Kohärenz und Kohäsion: Textschemata Textsemantik: Beziehbarkeiten Ausblick: Texte als Problemlösungen Literatur (in Auswahl)

Textbegriffe: Paradoxien der Definition

Zwei heterogene Motive fließen in der Textlinguistik zusammen: Unbehagen über die kommunikative Irrelevanz der selbstidentisch-abstrakten Gebildeeinheiten, mit denen sich die Linguistik beschäftigt, ist das eine Motiv. Volosinov (1975 [1930], 167 ff), um einen frühen und wenig bekannten Protagonisten dieses Unbehagens zu zitieren, formuliert pathetisch so: Die Bedeutung liegt nicht im Wort, nicht in der Seele des Sprechenden und auch nicht in der Seele des Zuhörenden. Die Bedeutung ist die Wirkung der Interaktion zwischen Sprechendem und Hörendem im Material des gegebenen Lautkomplexes. Sie ist der elektrische Funke, der nur bei der Vereinigung zweier verschiedener Pole entsteht. Jene, die das Thema ignorieren, das nur dem aktiv antwortenden Verstehen zugänglich ist, und die versuchen, sich bei der Bestimmung der Wortbedeutung seiner unteren, beständigen, selbstidentischen Grenze zu nähern, wollen faktisch ⫺ indem sie den Strom ausschalten ⫺ eine Glühbirne anmachen. Nur der Strom der sprachlichen Kommunikation gibt dem Wort Licht und Bedeutung.

In dieser Hinsicht ist Textlinguistik „Linguistik des Sinnes“ (Coseriu 1981), sie ist der Versuch, aus den extrakommunikativen Ab-

straktionen der Linguistik einen entschlossenen Schritt zurück zur prallen Realität der Kommunikationsereignisse zu machen. Die ,autonomen‘ Gegenstände der Linguistik werden zu fungiblen und flexiblen Mitteln der textuellen Sinnerzeugung promoviert. Texte sind aus dieser Sicht alle ,Spracheinheiten in Funktion‘. Am radikalsten hat diese Position unter den „frühen“ Textlinguisten der 70er Jahre S. J. Schmidt (1973) vertreten. Weit weniger grundsätzlich (und ganz ohne pathetisches Potential) ist das zweite Motiv: Eine Reihe von grammatischen Erscheinungen kann überhaupt nur gewürdigt werden, wenn jenseits der Satzgrenze kein linguistisches Niemandsland beginnt (Kohärenz/Kohäsion, Phorik, reference tracking, thematische Progression, Konjunktionen etc.). Coseriu (1981) spricht in diesem Zusammenhang von der „transphrastischen Grammatik“ als einer zweiten Lesart der Textlinguistik. Bei dieser handelt es sich um eine bloße Ausdehnung der Grammatik der Einzelsprachen, um den Text als eine (höhere) Ebene der einzelsprachlichen grammatischen Strukturierung. In der „Linguistik des Sinnes“ geht es hingegen um die Gesamtheit der sinnkonstitutiven Zeichen-Feld-Relationen unabhängig von der Ebene der einzelsprachlichen Strukturierung. Kann aus der Kombination derart heterogener Motive ein homogener Forschungszweig, eben die Textlinguistik, entstehen? Die Lage selbst ist freilich nicht neu. Die Philologie des 19. Jahrhunderts hatte zwar nicht den masterterm „Text“, aber auch sie führte den Kampf gegen die blutleeren Abstraktionen der logisch-allgemeinen Schulgrammatik, und das hermeneutische Pathos des Verstehens hat seine (behutsam modernisierte) Entsprechung im Pochen auf die „kommunikative“ Realität der Texte. Zur Textlinguistik avant la lettre fehlt also nicht viel, und implizit

444

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

trägt jede semiotische Sprachbeschreibung ohnehin dem Umstand Rechnung, daß Sprache „in Texten“ funktioniert. In der alltäglichen wie in der linguistischen Sprachreflexion werden auch Sätze gewöhnlich als Quasi-Texte interpretiert. Wie die Philologie für den rezeptiven, so steht in der Tradition die Rhetorik für den praktisch-produktiven Teil dessen, was sich heute Textlinguistik nennt.

Gleichwohl steckt in allen textlinguistischen Ansätzen eine Ausgangsparadoxie, die sich ⫺ so meine These ⫺ in der Fachsprachenlinguistik bis zur Sichtbarkeit zuspitzt. Der pathetische Verweis auf das kommunikative Plus der Texte gegenüber den Worten, Sätzen und Schemata der traditionellen Sprachforschung verdeckt diese Paradoxie. Zwar hat sich der Gebrauch des Textbegriffs auf soziale Zeichengebilde überhaupt ausgedehnt, unabhängig von ihrer medialen Fixierung durch Schrift o. ä. (vgl. zur Geschichte des Textbegriffs Knobloch 1990), jedoch haftet der Begriff prototypisch an der Schriftform, an einer Form also, die sich gerade dadurch auszeichnet, daß sie sich von der unwiederbringlichen Dynamik des einzelnen Kommunikationsereignisses maximal absetzt. Textualisierung löst die Kommunikation aus den Fesseln der Kopräsenz, gibt ihr eine zeitüberdauernde Form, ermöglicht und steuert eine prinzipiell offene Zukunft für reaktualisierende Rezeptionen. Ehlich (1984) spricht von einer in ihre Faktoren auseinandergelegten, „zerdehnten“ Kommunikationssituation als einem wesentlichen Merkmal der Textualität. Text1 ist also auf der einen Seite das mediale Substrat einer „zerdehnten“ Kommunikation, auf der anderen Seite steht Text2 aber für diese Kommunikation selbst. Wir sind, nach unseren spontanen Vor-Urteilen, immer versucht, alles das dem Zeichengebilde zuzurechnen, was unsere reaktualisierende Lektüre ergibt. Was sich unweigerlich zuspitzt, ganz besonders bei der Untersuchung fachsprachlicher Texte, ist das Problem der Zurechnung kommunikativer Effekte. Die Textlinguistik will in der Ebene von Text1 aufsuchen und zurechnen, was nur in der aktuellen Beziehung von Text2 und Rezipient Wirklichkeit hat. Eine Reihe von Möglichkeiten hat die philologische Theorie und Praxis des 19. Jahrhunderts durchgespielt. Man kann Sinneffekte der (textuell unvollkommen und in Andeutungen vergegenständlichten) Persönlichkeit des Autors zurechnen, dem Verhältnis des Autors zu seiner historischen Situation, oder aber, wo personale Autoren nicht verfügbar sind, das Sprechen und Schreiben der

Zeitgenossen als Mittel der Autorenkonturierung verwenden (wie in der hermeneutischen Theorie Schleiermachers). Man kann im Gegenzug die Grammatik der (Schrift-)Sprache auf Eigenschaften untersuchen, welche die Sinneffekte der Sprachwerke gegen die Zufälle der praktisch situierten Alltagskommunikationen immunisieren (wie es etwa Bühler 1934 getan hat). Jüngere Kontroversen kann man auf die Opposition „Alles ist im Text“ vs. „Alles ist im Rezipienten“ zuspitzen. Konstruktivistische Texttheorien betonen die Autonomie der subjektiven (bzw. sozial überformten) Sinngebungsmechanismen, die durch Texte lediglich in Bewegung gesetzt werden. Traditionelle Textlinguisten verweisen demgegenüber auf die Vergegenständlichung konventioneller Deutungsmuster und Steuerzeichen „im“ makroskopischen und mikroskopischen Textaufbau. Das ist möglicherweise ein Scheinproblem, aber eines mit weitreichenden praktischen Folgen. Im Alltag werden Kommunikationen dem Urheber als Handlungen zugerechnet. Es zählt, ob der einen sachlich, sozial, situativ und traditionell angemessenen Gebrauch von sprachlichen Mitteln gemacht hat. Textualisierung verschiebt das Gefüge der Zurechnungszwänge ganz erheblich. Die pragmatischen Mechanismen der Verständigungskontrolle (Rückkopplungszeichen, Handlungsfortgang, Paraphrasenangebote etc.) setzen aus. Im Gegenzug kann die Rezeption beliebig wiederholt und sozial verallgemeinert werden. Ihre Ausgiebigkeit liegt im Belieben (und im Können) des Rezipienten. Depragmatisierung und Reaktualisierbarkeit textueller Kommunikationen sind komplementär. Im Faktorengefüge der Steuergrößen des Sprechens und Verstehens stärkt die Textualisierung den Werkaspekt gegenüber dem Handeln (vgl. Bühler 1934, 48 ff). Beziehbarkeiten, die das Sprechen erzeugt, vorfindet und voraussetzt, bleiben zwar auch bei textueller Vergegenständlichung erhalten, sie können aber nicht mehr bündig werden im Feld der gemeinsamen Handlung und Wahrnehmung. Das Bezugsfeld der Kommunikation muß zwischen Sprachwerk und Rezipientenwissen neu geordnet werden. Insofern ist die Zurechnung der Sinneffekte zur einen oder anderen Seite wirklich ein Scheinproblem. Es handelt sich, in der bildhaften Sprache Volosinovs, um überspringende Funken, die man auch nicht dem einen oder dem anderen Pol der Spannung zurechnen kann. Die praktischen Konsequenzen dieses „Scheinproblems“ sind gravierend.

Bereits die gängigen Definitionskriterien für Textualität sind durchtränkt von dieser Paradoxie. Makrostrukturelle Definitionsmerkmale bemühen entweder die thematische Einheit des Textes, die propositional (van Dijk 1980), isotopisch (Greimas 1971) oder paraphrastisch (Agricola 1979) entfaltet wird, oder sie zentrieren den Komplex der (meist auf manifest technische Mittel der Sprach-

44. Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik

struktur begrenzten) Kohäsion (Halliday/Hasan 1976; de Beaugrande/Dressler 1981) und der eher sachlich-thematisch verstandenen Textkohärenz. Wenn man, wie in der Anfangszeit der Textlinguistik, eher ,von unten‘ beginnt und Textualität von der pronominalen Verkettung her aufbaut, dann kommt der Einwand, daß pronominal verkettete Sätze ohne Textqualität sich mühelos konstruieren lassen, ebenso wie es auch untadelige Texte ohne koreferente Ausdrucksfolgen geben kann (zum Unterschied zwischen der lokalen Kontinuität referentieller Foci und der globalen thematischen Kohärenz vgl. Duszak 1994). Koreferenz schützt nicht vor der Gefahr, aus dem Raum sinnvoller Beziehbarkeiten auszutreten, und die Möglichkeit sinnhafter Bezüge existiert auch ohne explizite Koreferenz. Sowohl die eher technischen, sprachstrukturell expliziten Vertextungsmittel als auch die impliziten, thematischen, über aktivierte Wissensbestände gegebenen führen die allgemeine sachliche Voraussetzung der sinnvollen Beziehbarkeit mit. Sprachkenntnis allein (wenn das überhaupt eine verständige Abstraktion ist; vgl. Feilke 1994) hilft in keinem Falle. Selbst in den Satzgrenzen ist die Pronominalisierung nur an den Rändern grammatikalisiert. Möglicherweise wäre es der paradoxen Ausgangslage der Textlinguistik angemessener, die Zweiteilung in „externe“ und „interne“, in funktionale und strukturelle Textualitätskriterien aufzugeben und Definitionen von vornherein auf Chiffren und Kürzel für den Zusammenhang beider Seiten zu stellen.

2.

Was ist ein Fachtext?

Daß auch die Fachsprachenforschung textlinguistisch werden will, ist nicht verwunderlich. Es handelt sich um einen wissenschaftssoziologisch vorhersagbaren trickle-down-Effekt. Die Trends und Moden der reinen Linguistik kommen mit zeitlicher Verzögerung in der angewandten zum Zuge. Fachlichkeit kann man am Redeuniversum festmachen, auf das der Text (bei adäquater Rezeption!) verweist. Eine ganz ähnliche Option besteht darin, Fachtexte an „fachliche Kommunikationssituationen“ zu binden. Beide Kriterien sind textextern und nicht frei von Paradoxie. Bleibt eine gewiß fachsprachliche Verwaltungsvorschrift auch dann ein Fachtext, wenn sie ein verständnisloser Laie

445

fragmentarisch oder wenn sie ein begabter Literat als unfreiwillige Satire rezipiert? Mit der zerdehnten Kommunikationssituation und der medialen Fixierung entsteht die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit, Kommunikationen in Bezugssysteme zu versetzen, für die sie nicht berechnet waren, die es vielleicht bei ihrer Fixierung noch gar nicht gab. Die Fachsprachenlinguistik verdankt ja ihre schiere Existenz einer solchen (organisierten) Versetzung: Sie liest Texte aller Grade und Arten von Fachlichkeit unter ihrem eigenen Gesichtspunkt, dem der sprachlichen Produktion, Aufbewahrung und Distribution von Fachwissen. Für Linguisten verweisen medizinische, philologische oder juristische Texte gleichermaßen auf das Redeuniversum der sprachlichen Darstellungstechniken. Die sog. textinternen oder strukturellen Kriterien der Fachlichkeit (Stil, Terminologie, Gliederung, Progression etc.) stehen für die andere Hälfte der Paradoxie. Oder ist ein gekonnter Essay, der ohne Gliederungen a` la 5.3.4.1., ohne terminologischen Ballast und ohne didaktische Krücken auskommt, kein Fachtext, wenn er ein komplexes wissenschaftliches Problem einem breiteren Bildungspublikum nahebringt? In praxi wird freilich meistens kein Konflikt darüber entstehen, welche empirischen Texte „fachlich“ sind und welche nicht. Praktische Indikatoren sind z. B.: der mediale Ort (Fachzeitschrift), explizite Zuordnungen (Lehr-, Handbücher, Lexika), der Autor, wissenschaftstypische Stile und Terminologien etc. Bisweilen muß man noch robustere Kriterien veranschlagen, etwa den Schwierigkeitsgrad, den der Text für einen Rezipienten hat. Kurzum: die Fachlichkeit zeigt alle problematischen Merkmale eines gebietskonstitutiven Grundbegriffs. Sie ist intensional synkretisch, grenzunscharf und nicht präzise zu bestimmen, aber extensional für alle praktischen Zwecke hinreichend eindeutig. Entsprechend problematisch sind die gängigen Definitions- und gar Gradierungsversuche für Fachlichkeit (z. B. Kalverkämper 1990; Baumann 1992 a). Auch zu den alltäglichen „Inhalten“ (Essen, Reisen, Wohnen) gibt es Fachtexte, und die sprachliche Form kann bestenfalls Symptome für Fachlichkeit enthalten, nicht aber Fachlichkeit konstituieren. Als Verhältniskategorie resümiert Fachlichkeit im Hinblick auf Text1 die Anschlußfähigkeit von Text2 für Weiterungen beim kundigen Rezipienten.

446

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Da die Fachsprachenlinguistik an handfeste praktische Probleme angebunden ist (Text- und Lernoptimierung, Distribution von Fachwissen), verfällt sie leicht in den Glauben, auf die Klärung theoretischer Grundsatzfragen verzichten zu können. Es gibt eine Neigung, die paradoxe Ausgangslage unter vollmundigen Leerformeln zu verstecken. Daß die Fachtexte eines gesellschaftlichen Tätigkeitsbereiches „eine strukturellfunktionale Einheit“ bilden (Hoffmann 1984, 234 ff; Baumann 1992, 75), ist eine solche Leerformel. Fachliche Terminologien können gebraucht, aber auch zitiert werden, ihre Wortkörper können aus der Gemeinsprache stammen und in sie zurückkehren (häufig, aber nicht immer unter Zurücklassung systematischer Bezüge und fachlicher Wissensbestände). Texte beziehen sich (vornehmlich!) auf andere Texte, und das im doppelten Sinne: sie stellen sich selbst in eine Texttradition und schließen an andere Kommunikationen an. Nehmen wir an, im Wissenschaftsteil einer Zeitung wird über einen Onkologenkongreß berichtet. Der Zeitungstext selbst wird in Aufbau und Gestalt wissenschaftsjournalistischen Traditionen (mehr oder weniger gut, mehr oder weniger gemeinverständlich etc.) folgen. Anschließen wird er aber auch an die höchst fachlichen Kommunikationen der Krebsspezialisten. Deren Terminologie wird vielleicht zitiert, vielleicht partiell erläutert werden, und bei den Ergebnissen wird der Journalist gewiß den Schwerpunkt auf Dinge legen, die auch für Nichtmediziner anschlußfähig oder interessant sind. Intuitiv würde man wohl wissenschaftsjournalistische Texte auf der Fachlichkeitsskala (Kalverkämper 1990) niedriger einordnen als medizinische, aber damit wäre nichts gewonnen. Eine minimale Differenzierung, die aber bereits weiterhilft, trennt Textduktus und Texttradition auf der einen vom Textgegenstand auf der anderen Seite. Eingestellt sind wir zwar auf konventionelle Paßformen zwischen Duktus und Gegenstand (wie jeder Parodist weiß), aber im Prinzip variieren sie unabhängig voneinander. So kann man mit unspezifischen Fachwörtern (Struktur, Funktion, System und Verwandtes) und gewichtigen Nominalkonstruktionen Wissenschaftlichkeit simulieren, auch wenn man von den Ferien erzählt, und mancher Roman (Fachtext oder nicht?) wimmelt von expliziten und impliziten Bezugnahmen auf fachliche Ge-

genstände. Es ist also jenseits der schlichten subsumtiven Intuition nicht leicht, Fachlichkeit von Texten begrifflich zu definieren.

3.

Verhältnis zum Wissen des Rezipienten

Was sich durch die Textualisierung von Kommunikationen nachhaltig verändert, ist die gesellschaftliche Form der Aufbewahrung und Weitergabe von Wissen. Natürlich garantiert die beliebige Reaktualisierbarkeit des Sprachwerks (qua Zeichenkörper) noch nicht die Kontinuität des Wissens, das ja auf kundige Resonanz beim Rezipienten angewiesen ist. Die anhaltende Verfügbarkeit des Wortlautes speist jedoch das philologische Motiv herauszubekommen, was auch ein zeitlich, sachlich und sozial distanter Autor wohl gemeint und gewußt haben könnte. Textlinguistische Ansätze, die sich dem Verhältnis von Text und Wissen widmen, gibt es eine ganze Reihe (vgl. Hartung 1991). Ihre Theorietradition beziehen sie teils aus den kognitivistischen Lehren des Symbolverarbeitungsparadigmas, teils aber auch aus den alltags- und wissenssoziologischen Denkmodellen der Kommunikationsforschung (Alfred Schütz, Thomas Luckmann). Da die Darstellung und Distribution sozial spezifischer, an Expertenkommunikation gebundener Wissensbestände den Hauptgegenstand der Fachtextlinguistik bildet, ist die Anziehungskraft wissensorientierter Textlinguistik auf die Fachsprachenforschung naheliegend und groß. Daß den Fachtexten das Fachwissen und das Fachdenken der jew. Autoren entspricht, ist freilich nicht mehr als eine Tautologie. Zu prüfen wäre aber die Frage, ob Fachtexte ein grundsätzlich anderes Verhältnis zum nichtsprachlichen Wissen ihrer Verwender haben als „normale“ Texte ⫺ oder ob es vielleicht nach ihrem Verhältnis zum Wissen des Benutzers nur Fachtexte gibt. (a) Soziale Verteilung des Wissens: Häufig wird betont, daß fachtextuell kommuniziertes Wissen sozial auf Fachleute begrenztes Wissen sei, dessen intra-, inter- und transdisziplinäre Vermittlung Thema der Fachsprachenlinguistik sei. Anders gesagt: Fachkommunikation ist an institutionell ausgegliederte, sich selbst in dieser Kommunikation reproduzierende Teilsysteme gebunden, und das Fachwissen bildet die Voraussetzung für die Teilnahme an solchen Kommunikationen. „Prak-

44. Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik

tische“ Probleme im Hintergrund kann es aus dieser Sicht eigentlich nur zwei geben: die Rekrutierung und Initiierung von Expertennachwuchs für das jew. Teilsystem oder die Distribution fachlicher Wissensbestände jenseits der Systemgrenzen (für Anwender, für Aufklärung, für politische Entscheidungen etc.). Lehrbücher und Popularisierungen von Fachwissen kämen hier in Betracht. Spezifische, an Kommunikationsformen gebundene Wissensbestände hat nun aber jede Subkultur, jede Kommunikationsgemeinschaft. Spezifische Kommunikationspraxen reproduzieren eine Gruppe ja, indem sie Grenzen zu anderen definieren. Der Tribalismus schwarzer US-amerikanischer Großstadtgangs ist vermutlich kommunikativ nicht weniger exklusiv als die Fachsprache der Generativen Grammatik. Es gibt freilich einen ins Auge fallenden Unterschied, der gerade mit der Textualisierung zu tun hat: Die Kommunikationspraxen der Gang existieren nur als Können, als Vollzugswissen, in keiner vom fallweisen Vollzug abgesetzten (und ergo theoretisch lernbaren, vergegenständlichten) Form. Es gerinnt zu Formeln, Ritualen, geschlossenen Optionensätzen und Erkennungszeichen, die man beherrschen muß, um in der Kommunikation zu bestehen. Natürlich ist auch die fachliche Praxis wissenschaftlicher Kommunikation nicht frei von Ritualisierungen und Duftmarken, die der Novize lernen muß, ohne daß sie irgendwo niedergelegt wären. Aber darüber hinaus gibt es textualisiertes, vergegenständlichtes, kanonisiertes Wissen, für dessen Kommunikation Fachtexte sorgen (sollen). Das hieße freilich, wenn man einen an Reaktualisierbarkeit gebundenen Textbegriff voraussetzt, daß Fachlichkeit und Textualität Quasi-Synonyme würden. Denn zum Gegenstand systematischer Bemühung und Entwicklung kann nur Wissen werden, das vergegenständlicht vorliegt. Limitierte soziale Distribution und Bindung an variable, entwickelbare Expertise zeichnet alle Kommunikationen aus. Auch für small talk muß man mehr kennen und können als die Regeln der Sprache oder der Grammatik, und die Alltagskommunikation hat ihr Gegenstück im Alltagswissen, das sie indexikalisch präsentiert und produziert. Textualisiert ist dieses letztere jedoch nur in dem Sinne, daß die Formeln und Formulierungen der alltäglichen Rede es situativ produzieren. Ohne Zweifel ist es auch homogener verteilt als etwa das Berufswissen der Sprecher.

(b) Textuelle Prozeduren der Darstellung und Aufbereitung von Wissen: Während das un-

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organisierte Wissen nur in der Kommunikationspraxis existiert, gilt Fachwissen als mehr oder weniger gut expliziert bzw. explizierbar in Fachtexten. Die Frage ist hier vor allem, in welchem Verhältnis das Wissen zu den Formeln seiner textuellen Darstellung steht. Es ist kein Zufall, daß man in der Literatur sowohl die Ansicht findet, Fachtexte seien expliziter, logischer, systematischer als Alltagstexte, wie auch die gegenteilige: Fachtexte seien impliziter und setzten mehr an deduktiv-inferentieller Eigenaktivität beim Rezipienten voraus. Wenn man von vornherein auf die textuell kommandierbaren Zeichenrelationen in ihrer Gesamtheit (vgl. Halliday 1977; 1978; Coseriu 1981), auf Texte als Chiffren für Kontexte, setzt, dann können beide Ansichten richtig sein (ebenso wie die konträren Aussagen: ,Alles Wissen ist im Text‘ und ,Alles Wissen ist nicht im Text, sondern im Rezipienten‘). Eine beliebte Einführung zwischen Wissensorganisation und Textorganisation bietet die propositionale Auffassung von Texten. Nach dieser (klassisch bei van Dijk 1977; Kintsch 1982) ist die Proposition gleichzeitig Molekül des Wissens und elementare Form seiner sprachlichen Darstellung. Texte sind hochintegrierte und hierarchisierte Netze von Propositionen. Propositional ist die „Tiefenstruktur“ von Texten, deren sukzessive Entfaltung an der Textoberfläche durch Reduktionen, Ellipsen, Implikationen gekennzeichnet ist, dergestalt daß oberflächlich nicht explizierte Kohärenz gleichwohl immer tiefenstrukturell unterstellt werden kann. Das ist theoretisch bequem, aber unbefriedigend. Der fragmentarische, die gemeinten Zusammenhänge bloß andeutende Charakter aller Kommunikationen wird „geheilt“ durch die Annahme einer rundum perfekt expliziten Tiefenstruktur. Die Frage, wie (Fach-)Sprachen bzw. fachsprachliche Texte mit den fragmentarischen, notorisch ungenauen und bloß andeutenden Kommunikationsverfahren so umgehen, daß (wenigstens für den Kundigen) präzise Darstellungen von Wissen entstehen, wird dadurch eher zugedeckt als beantwortet. Zudem ist der Begriff der Proposition mit einigen Unschärfen behaftet. Er meint einmal die assertorische Satzbedeutung (prototypisch im daß-Satz ausgedrückt), der gegenüber man eine propositionale Einstellung einnehmen (oder eine Modalisierung vornehmen) kann; dann aber auch die prädikative Streckung grammatisch attribuierter Charakterisierungen, die gerade keine manifesten Propositionen, sondern komplexe Nominationen sind. Wei-

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

terhin schwankt der Begriff (das ist gerade für fachliche Applikationen fatal!) zwischen einer (assertorischen) Beziehung zweier Symbole, des von ihnen Symbolisierten oder aber einer Beziehung, in der das „Subjekt“ referentiell und das „Prädikat“ symbolisch-charakterisierend genommen wird. Gerade wenn man auf die Beziehung zwischen Wissen und textueller Darstellung abhebt, wäre hier Eindeutigkeit geboten. Denn wirklich klar und unbezweifelbar ist allein, daß zum prototypischen Satzschema der Menschensprachen ein relationaler und charakterisierender Prädikatsausdruck und ein oder mehrere dominant referentielle, nichtrelationale Nominationsausdrücke gehören. Das ist jedoch die Ebene der Darstellungstechnik, und deren Implikationen für die dargestellten Inhalte sind unklar (vgl. für eine gründliche Diskussion Sandmann 1979).

4.

Pragmatisch-kommunikative Textauffassung: ein Widerspruch?

Neben dem referentiell-syntagmatischen, dem thematischen, dem propositionalen und anderen eher semantischen Textbegriffen gibt es auch einen pragmatisch-kommunikativen Textbegriff in der Literatur, der Texte als typisierte Abfolgen oder Konstellationen von „Sprechhandlungen“ versteht (vgl. Motsch 1987). Daß die Abhandlungen auf meinem Schreibtisch in Wirklichkeit „Handlungen“ sein sollen, entbehrt für mich der Anfangsplausibilität, aber das ist natürlich kein Argument. Baumann (1992, 195) definiert, lakonisch und zirkulär: „Da die Kommunikation ein gesellschaftlich bestimmtes Handeln darstellt, ist der (Fach-)Text jene Einheit, mit der sich die sprachliche Tätigkeit als gesellschaftlich-kommunikative Tätigkeit realisiert.“ Gewiß, eine Kommunikation ist eine Kommunikation, und ein Gutteil der Kommunikationen ist „fachlich“ und textvermittelt. Dennoch bleibt der Begriff der sinnhaften und bestimmten Handlung an den einmaligen, aktuellen, intentionalen und unwiderruflichen Vollzug einer Kommunikation gebunden. Insofern ist jeder Text das Produkt einer Handlung und der Anlaß oder Auslöser zahlreicher weiterer (Rezipienten-)Handlungen. Aber ohne diese Vorsichtsmaßnahme gerät die pragmatische Textlinguistik allzu leicht in den theoretisch und praktisch völlig unfruchtbaren Zirkel, daß der Textlinguist einfach seine sprechakttheoretisch gebrochene Rezeption des Textes diesem selbst als pragmatische Struktur unterlegt. Damit ist nichts gewonnen. Handlung ist ein Zurechnungsbegriff. Man kann ihn nur sinnvoll gebrauchen,

wenn Formen vorliegen, deren konventioneller Handlungssinn dem Benutzer intentional zugerechnet werden kann. Was sich zuerst verliert durch die „zerdehnte“ textuelle Kommunikation, das sind aber eben diese Bedingungen der aktionalen Zurechnung. Ein vorliegender Text kann zum Gegenstand nahezu beliebiger Aufmerksamkeit, Ausgiebigkeit, Zurechnungspraxis werden. Dadurch potenzieren sich die Probleme und Paradoxien, mit denen die Sprechakttheorie schon in ihrer ureigenen Domäne, der des institutionell vorgeordneten Sprechens, rechnen muß. Einige Stichworte der kommunikationswissenschaftlichen Kritik an den Axiomen der Sprechakttheorie, die für textlinguistische Anwendungen noch zu verschärfen wäre (vgl. Knobloch 1988): Oft sind die „turns“ in Alltagsgesprächen dem Sprecher gar nicht sinnvoll als Handlungen zuzurechnen, sondern dem Kommunikationszusammenhang als mehr oder minder obligatorische „Züge“. Bei Texten dürfte es sinnvoller sein, obligatorische und fakultative Elemente von Textschemata zu segmentieren als „Handlungen“. Der Handlungssinn, der (etwa in der Sprechakttheorie) intentional dem Sprecher und konventionell den Ausdrücken der Sprache zugeordnet wird, ist in der Regel weit eher außersprachlichen Verhältnissen, institutioneller Macht, geschuldet (Bourdieu 1990). So entstammt der autoritative Charakter, den wissenschaftliche Texte für viele Rezipienten annehmen, gewiß nicht der Illokutionsstruktur dieser Texte (was immer das sei), er verdankt sich dem symbolischen Kapital, dem Ansehen, das Wissenschaft (trotz allem, immer noch) genießt. Insofern steckt auch in der sprechakttheoretischen Analyse einer Rechtsverordnung als „Anweisungstext“ (Viehweger/Spies 1987) eine beinahe satirische Entgleisung: Der Handlungssinn der Verordnung ist durch die verwandten sprachlichen Mittel in keiner Weise determiniert, sondern durch Recht, Macht und die Institutionen ihrer Umsetzung. Die Tatsache, daß nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse sprachlich umgesetzt und aktualisiert werden, macht sie noch nicht zu sprachlichen Verhältnissen. Und was ist gewonnen, wenn ich die „Illokution“ einer Montage- oder Gebrauchsanweisung als „Aufforderung“ analysiere, die einer Abhandlung als „Behaupten“, „Begründen“, „Argumentieren“? Nichts m. E., weil der Handlungswert, wenn es denn einen gibt, nicht fest mit den Sprachformen,

44. Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik

sondern bestenfalls mit der Texttradition verbunden ist. In diesem Zusammenhang wäre die unterschiedliche Codierung von Illokutionen und Propositionen ein interessantes Thema. Beginnen könnte man mit der Annahme, daß die Schrift- und Textform vor allem die Codierung der Propositionen auf Dauer stellt (weshalb die Schrift wohl das Wissen, nicht aber die Handlung revolutioniert hat). Illokutionen werden dagegen offenbar weit stärker situativ, durch den Zusammenhang der Rede mit den Feldern und Räumen der gesellschaftlichen Tätigkeit codiert. In der Schriftform gehen sie leicht verloren, werden uneindeutig, wo nicht der textuelle Zusammenhang den aktionalen vollständig substituiert.

5.

Über den (zweifelhaften) Nutzen der Textsorten

Von Sprachwerken mit normierter Listenstruktur, die einfach Punkt für Punkt abgearbeitet werden muß (Wörterbucheintrag, Beipackzettel u. ä.), bis hin zur thematisch kohärenten, argumentativ stringenten, paraphrastisch entfalteten und womöglich selbst in der Bildsphäre schlüssigen Thesenabhandlung gibt es unter Fachtexten (ganz ebenso wie anderswo) kaum etwas, was es nicht gibt. Einen praktischen Sinn haben Textsortenklassifikationen (vgl. Gülich/Raible 1975; Kallmeyer 1986; Vater 1992, 159 ff) vor allem dann, wenn große Textmengen für Datenbank- und sonstige Retrieval-Zwecke aufgearbeitet werden müssen, oder bei der Standardisierung, Normierung und Optimierung von Fachtexten. Darüber hinaus gilt die einfache Erkenntnis der Abweichungsstilistik, daß jeder neue Text durch Übereinstimmung mit und durch Abweichung von „alten“ Texttraditionen entsteht. Eine schlüssige Textsortenlehre ist also theoretisch unmöglich und praktisch auch uninteressant. Zur Aporetik einer Textsortenlehre vergleiche man Heinemann (1990) und Ehlich (1990). Im allgemeinen versteht man Textsorten als normierte Konstellationen von Teiltexten (die dann entweder auf der Handlungs-, Funktions- oder Wissensebene modelliert werden), die durch bestimmte Oberflächensignale gegliedert werden (vgl. Baumann 1992, 85 ff). So gibt es zum Beispiel in der empirisch-experimentellen Psychologie der USA ein Schema für Aufsätze in Fachzeitschriften, an das die Autoren sich, Minimalvariationen natürlich eingeschlossen, mehrheitlich halten. Es besteht (grob gesagt) aus den Teilen:

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(a) Hypothese und Fragestellung (b) andere Untersuchungen zum gleichen Thema (c) Versuchsaufbau (d) Versuchsergebnisse (e) Diskussion Es versteht sich, daß jede dieser Positionen detaillierbar und expandierbar ist, daß intern umgestellt, daß die Abfolge iteriert werden kann, wenn von mehreren Versuchen berichtet wird etc. Wenn man dieses Schema einmal kennt, dann kann man sich mühelos in den Texten orientieren, die ihm folgen, etwa nur den Versuchsaufbau oder nur die Diskussion der Ergebnisse nachlesen. Dafür braucht man aber durchaus keinen Textwissenschaftler, sondern nur ein wenig Leseerfahrung. Originelle Beiträge lassen sich häufig nicht in eine solche ritualisierte Form pressen. Die hat zudem eine Neigung, zum Maßstab und Standard für Wissenschaftlichkeit zu werden. Die Form selbst suggeriert den normaliter mit ihr gekoppelten Inhalt, und Beiträge, die dem Schema nicht folgen, bekommen den Charakter heillos subjektiver Meinungsäußerungen. Im Grunde können homogene Textsorten nur oktroyiert werden. Es mag praktische fachliche Kontexte geben, in denen das sinnvoll ist (der Beipackzettel, das Abstract mit Kern- und Thesaurusbegriffen etc.). Schon bei Gebrauchs- und Installationsanweisungen dürfte es wichtiger sein, dem Vorwissen und den Erwartungen der Benutzer Rechnung zu tragen als einem festen Textschema. Komplexere Texte vollends, wie etwa die an der Quelle pragmatischer Textsorten stehenden Zeitungstexte (Nachricht, Bericht, Kommentar, Glosse etc.), lassen sich kaum sinnvoll schematisieren. Tradierte Textsortenbegriffe dieses Typs orientieren sich eher an vorbildlichen Exemplaren und an programmatischen Gehalten: so und so soll ein guter Kommentar, eine gute Nachricht aussehen. Ihr analytischer Gehalt ist gering. Sie sind nachträgliche Rationalisierungen einer etablierten Praxis. Man kann Kommentare nur aus Nachrichten komponieren und Nachrichten so verfassen, daß sich jeder weitere Kommentar erübrigt. Im fachsprachlichen Bereich hat man es, wo von Textsorten die Rede ist, in erster Linie mit etablierten und benannten (z. T. auch explizit normierten) Texttraditionen zu tun, wie Rezension, Abstract, Forschungsbericht, Handbuchartikel, Lehrbuch etc. Die tradier-

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

ten Bezeichnungen dieser Textsorten orientieren sich am prototypischen Exemplar. Das Dilemma der linguistischen Textsorten besteht häufig darin, daß man herausbekommen möchte, was einen Essay, einen Wörterbucheintrag oder einen Beipackzettel ausmacht oder ausmachen sollte. Es handelt sich aber eigentlich nur um essentiell vage, synkretische Namen für mäßig geordnete, aber eingelebte Praxen. Im günstigsten Falle kann die Analyse einer solchen Texttradition zum Vorschlag „besserer“, angemessenerer Schemata führen, an die man sich aber ebensowenig zu halten braucht wie an die tradierten. Wundert es da, daß am Ende von Textsortenanalysen fast immer Gemeinplätze stehen: daß Prämissen offengelegt, Theorien benannt und Argumente expliziert werden sollen und ähnliche Dinge. Die präzise praktische Normierung einer Textsorte kann versuchen, wer sich vor den Folgen nicht fürchtet. Wer je einen Sammelband ediert hat, weiß freilich, daß Vorgaben für Schreiber wenig fruchten. Am Ende macht es doch jeder so, wie er es kann. Und selbst da, wo ein formal geordnetes, mit Rubriken und Überschriften versehenes Schema vorgegeben ist (bei Forschungsanträgen, Unfallmeldungen oder Steuererklärungen) fällt die Interpretation und Ausführung der „definierten“ Rubriken oft derart ad hoc aus, daß der Ordnungsanspruch zwar oberflächlich erfüllt, im Grunde aber doch unterlaufen wird. Was man ohne weiteres normieren kann, das ist die Formseite von (kurzen) Texten. Coseriu (1988, 163) nennt als Beispiel den Syllogismus und das Sonett. Damit sind freilich implizit auch (logische, lyrische) Inhaltstraditionen verknüpft, die aber ebenfalls zitiert, parodiert, unterlaufen werden können.

6.

Kohärenz und Kohäsion: Textschemata

Für gewöhnlich wird mit Kohäsion der auf grammatischen Abhängigkeiten (im weiten Sinne) beruhende Oberflächenzusammenhang eines Textes bezeichnet (und in praxi verwiesen auf Erscheinungen wie ⫺ morphologische, semantische ⫺ Rekurrenz, Koreferenz, Ellipsierung). Kohärenz meint hingegen den sachlich-thematischen Zusammenhang eines Textes, der vom Welt-, besser vom Textwissen des Rezipienten her eingebracht werden muß und in der Oberflächenerscheinung der verketteten Sätze nicht dingfest gemacht

werden kann. Wir haben es also einmal mit einer Kategorie der transphrastischen Grammatik, das andere Mal mit einer Kategorie der Linguistik des Sinnes (Coseriu 1981) zu tun. In der klassischen Definition von Halliday/Hasan (1976) sind freilich die Bezugssysteme beider Begriffe zusammengezogen: “Cohesion occurs where the interpretation of some element in the discourse is dependent on that of another. The one presupposes the other, in the sense that it cannot be effectively decoded except by recourse to it.” (Halliday/Hasan 1976, 4)

Dagegen mag man einwenden, daß streng genommen auch innerhalb eines Satzes die Decodierung der Elemente jew. mit Rücksicht auf die der anderen Elemente erfolgt, Kohäsion also ubiquitär ist. Offenbar funktionieren auch die (vermeintlich) präzisen und expliziten Mittel der textuellen Verflechtung (Phorik, Rekurrenz, Konnektoren, ThemaRhema-Folgen etc.) nur vor dem Hintergrund einer allgemeinen Sinn- und Zusammenhangserwartung und werden präzise nur zusammen mit sachlich-stofflichen Beziehbarkeiten (Hörmann 1976). Insofern scheint es kein Fehlgriff, wenn Halliday/Hasan (1976) insistieren, daß Kohäsion in ihrem Sinne keine strukturelle Relation sei, sondern eine semantische (im umfassenden Sinne des Wortes). Texte, so die Autoren, sind insgesamt keine strukturellen Einheiten. Noch weniger als bei den Sätzen sind es kontextfrei formulierbare Regularitäten, nach denen Texte beschrieben werden können. Die sind vielmehr immer Chiffren für Kontexte, die in der Tradition von Wegener (1885 [1991]) und Firth (1957) letztlich in terms von sozial-kulturellen Selbstverständlichkeiten, Selbstdeutungen, Problemen beschrieben werden müssen. Von den konzentrischen Kreisen kontextueller Bündigkeit sind die kulturell fraglosen Annahmen- und Wissenssysteme immer die „letzten“. Das freilich entwertet nicht die gängige Unterscheidung zwischen Kohäsion und Kohärenz, gibt ihr aber einen anderen, programmatisch-reduktiven Charakter. Die Frage lautet nun: Welche Teilprobleme aus dem Feld der textuellen Beziehbarkeiten sind (partiell) grammatikalisierbar? Nach den neueren Forschungen (vgl. Foley/Van Valin 1984) reicht z. B. das diskursive reference tracking technisch allenthalben in die Satz- und transphrastische Grammatik der Einzelsprachen hinein. Es gibt eine Reihe von grammatischen Lösungen für das Problem der referentiellen

44. Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik

Focuserhaltung und Focusumschaltung, und in den Satz- und Textgrammatiken der Einzelsprachen findet man einen Ausschnitt aus diesen möglichen Lösungen. Weiterhin wird m. E. in der Kohärenz- und Kohäsionsforschung zu wenig berücksichtigt, daß die Texttradition selbst den Typus der erwarteten Verflechtung determiniert. Etwas vergröbert: die Kohärenzanforderungen an einen Tagebucheintrag sind andere als die an einen Essay oder ein Lehrbuch oder eine Aphorismensammlung. Von einer fachlichen Abhandlung wird erwartet, daß sie Seitenthemen als solche markiert (und auch ihren Abbruch). Von einer klassischen Novelle wird erwartet, daß sie keine Seitenthemen hat, während ein moderner Roman, vielleicht nach der stream-of-consciousness-Technik geschrieben, geradezu thematisch inkohärent sein muß. Was für eine stur schematische (und im Kern normative) Textlinguistik die schiere Inkohärenz sein müßte, das fungiert hier geradezu als Aufbauprinzip für Texte. Bilden die Rundfunknachrichten einen kohärenten Text, wiewohl die bloße Reihung unverbundener Episoden Strukturprinzip (und bloß der Aufbau der einzelnen Episoden relativ stark typisiert) ist? Der Sach-, Fach- und Weltbezug der Texte erstickt in der textlinguistischen Forschung den vielfach dominanten Selbstbezug (inter-)textueller Traditionen. „Legitime“ Formen des Selbstbezugs sind für Fachtexte freilich recht streng definiert: Zitat und Referat werden akzeptiert; auch Schemakongruenz. Ansonsten gehört „Sachlichkeit“ zu den Tugenden, die man von einem Fachtext erwartet. Ein Forschungsbericht, der Hypothesen, Argumente und Theorien zu einem gegebenen Fachgebiet listet, definiert seine Kohärenz allein durch den Bezug aller Abschnitte auf dieses Fachgebiet. Darüber hinaus kann er natürlich (nach zeitlicher Abfolge, Schulzugehörigkeit etc.) zusätzliche Ordnungsmerkmale definieren, aber das ist nicht essentiell. Wenn man davon ausgeht, daß Fachtexte überwiegend thematisch homogen sind, dann richtet sich die Kohärenz- und Kohäsionsfrage auf die Gesamtheit der Mittel und Techniken, mit denen die thematisch-sachliche Einheit des Textes für den Rezipienten erzeugt wird. Anders herum: der Rezipient erwartet z. B. von einer linguistischen Abhandlung, daß ihre Teile als ,zum Thema gehörig‘ und ihre Argumente als ,die These stützend‘ identifizierbar sind. Das klingt trivial, indiziert aber den Umkreis praktischer Kohä-

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renzprobleme (auf der Makroebene). Sowohl bei sehr schlechten als auch bei sehr anspruchsvollen Texten kann es mit beidem Probleme geben. Versteht man mit Agricola (1979) den Zusammenhang eines Textes als explikativ-paraphrastisch (in einem losen Sinne, nicht in dem der kommunikativen Äquivalenz aller Textäußerungen), dann hieße das: der Beitrag aller Argumente, Teilthemen, Digressionen zum paraphrastischen Aufbau des Textes muß für den Rezipienten kenntlich gemacht werden. Unzusammenhängend, widersprüchlich, unverständlich, unschlüssig ⫺ das sind Rezipienteneinwände in der Ebene der Kohärenz. Offen bleibt freilich, ob sie rechtens dem Text oder dem Rezipienten zugeordnet werden müssen, denn wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, dann muß das bekanntlich nicht das Buch sein. Was in der textuellen Mikroebene als Kohäsion behandelt wird, das hat meist den semiotischen Status von Indikatoren, die auf der Sinnebene des Textverstehens (als Beziehbarkeiten) validiert werden müssen. Morphemrekurrenz kann, muß aber nicht Koreferenz (oder auch nur Isotopie) signalisieren, ebensowenig die Rekurrenz semantischer Merkmale. Auch in der Mikroebene dominieren Beziehbarkeiten, die nicht grammatisch, lexikalisch oder morphologisch expliziert werden müssen (und schon gar nicht regelhaft-systematisch beschrieben werden können). Nimmt man einen Mikrotext wie: „Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennst dich aus; du kommst von einer andern zur selben Stelle, und kennst dich nicht mehr aus.“ (Wittgenstein 1971, Nr. 203),

so liegt die Versuchung nahe, Kohärenz und Kohäsion elliptisch, durch Weglassungen, zu begründen. Wir müssen ,wissen‘, daß wir in die unbesetzte Argumentstelle von kommen im zweiten Satz einen ,Ort‘ im Labyrinth von Wegen einsetzen müssen, das wiederum die Sprache ist; daß Stelle nach dem Semikolon die nämliche Größe wiederaufnimmt etc. Weg, Seite, Stelle, sich auskennen werden erst zu einer isotopen Kette verknüpft durch die (sinnerzeugende) metaphorische Gleichsetzung Sprache ⫽ Labyrinth. Alles, was auf den ersten Satz folgt, setzt diesen als Faktor für die Sinnhaftigkeit der folgenden Beziehbarkeiten voraus. Bei einer nicht metaphorisch formulierten These wäre das ganz ähnlich. Kurz: Ellipsen, Weglassungen sind darum ein

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Faß ohne Boden, weil textuelle Sinnerzeugung im Kern immer auf bloßen Andeutungen beruht, auf den Beziehungen und Beziehbarkeiten, die der Text für den Rezipienten herstellt.

7.

Textsemantik: Beziehbarkeiten

Daß es nicht die lexikalischen Bedeutungen der Wörter sind, die in der Kommunikation ausgetauscht werden, hat sich herumgesprochen. Textuell, in der Kommunikation, haben wir es mit Prozessen zu tun, in denen sich thematisch-sachliche Beziehbarkeiten und lexikalisch-semantische Potentiale der Ausdrücke gegenseitig auslesen, spezifizieren und präzisieren. In fachsprachlichen Texten spitzt sich diese Lage weiter zu. Nunmehr braucht es auf der „nichtlexikalischen“ Seite mehr als bloß die gängigen Kopplungen von Alltagswissen und Situationsdeutung, es braucht Fachwissen. Die lexikalischen Bedeutungen der Ausdrücke haben zu diesem Fachwissen bisweilen ein arbiträres, oft genug aber auch ein ikonisches Verhältnis, d. h. die Alltagsoder Wortbildungsbedeutung des Ausdrucks fungiert als Eselsbrücke zum fachlichen Terminus. Arbiträr sind, wenn man die Etymologie nicht kennt, etwa die lateinischen Kategorien- und Kasusnamen der Linguistik. Da aber motivierte (oder wenigstens teilmotivierte) Terminologien einprägsamer, prägnanter, auch nach außen wirksamer sind, werden sie bevorzugt. Dabei gibt es verschiedene Typen der Motiviertheit. Wir nennen hier nur zwei: interne Motiviertheit dergestalt, daß einmal etablierte Terminologien nach ihrem Bildungsprinzip ausgebaut und erweitert werden können (wie man etwa einen chemischen Stoff benennen kann, wenn man seine Zusammensetzung kennt); externe Motiviertheit gegenüber der Alltagssprache, bei der die bekannte gemeinsprachliche Bedeutung ein prägnantes Bedeutungsmerkmal des benannten Terminus wiedergibt. Ein gutes Beispiel bietet hier die Terminologie der Psychoanalyse (Ich, Es, Überich, Verdrängung, Verschiebung, Verleugnung etc.). Der terminologische Wert der Ausdrücke entspringt einer fachlichen Präzisierung, Relationierung, Hierarchisierung der alltagssprachlichen Bedeutungen. Die taugen einerseits als Wegweiser zum Terminus, anderenteils kann der Rezipient auch bei ihnen stehenbleiben. Isotopien, Verkettungen rekurrenter semantischer Merkmale (Greimas 1971), erge-

ben sich in Fachtexten naturgemäß nicht allein auf der Grundlage dessen, was die Ausdrücke gemeinsprachlich, sondern auf der Grundlage dessen, was sie fachlich und thematisch „bedeuten“ bzw. bezeichnen. Je terminologischer ein Ausdruck ist, desto mehr tritt (bei adäquater Rezeption!) sein sprachlicher Bedeutungswert zurück. Ganz wie in den Texten des Alltags entspringen Äquivalenzen und Rekurrenzen eben nicht dem (einzelsprachlichen) Inhalt der Zeichen, sondern dessen Beziehbarkeit auf die thematisch aktivierte Sach- und Wissenssphäre. „Es handelt sich also um Äquivalenz in einem partiell denotativen oder gemischt denotativ-referentiellen Sinn“, schreibt Agricola (1979, 13) in diesem Zusammenhang. Isotopieketten gehören nicht exklusiv zur Ebene von Bedeutung, Bezeichnung oder Sinn, sie bilden sich vielmehr gerade dadurch, daß sie diese drei Ebenen zueinander in Beziehung setzen. Der Rezipient eines Fachtextes muß die Isotopie(n) des Textes entdecken und durchhalten (Greimas 1971, 89). Das macht möglicherweise Schwierigkeiten, auch wenn die Wortbedeutungen, die bezeichneten „Sachen“ und die These des Textes bekannt sind. Auch Spezialisten kennen in ihren Fachgebieten schwierige Texte. Die Isotopie unterliegt ganz und gar der textuellen Definitionsparadoxie: sie ist „im Text“ und als solche unabhängig vom Rezipienten, und sie ist Aufgabe des Rezipienten (und als solche nicht „im Text“). Der Rezipient sucht sie aus den Anhaltspunkten zu konstruieren, die der Text ihm gibt. Für textlinguistische Arbeiten erhebt sich hier die Frage nach der Reichweite und Korngröße dessen, was als „Semantik“, als Bedeutung der Zeichen und Ausdrücke veranschlagt wird. In der Terminologie von Coseriu (1981): Wie verschiebt sich in fachsprachlichen Texten das Verhältnis von Bezeichnung (als einer universellen Funktion des Sprechens), Bedeutung (als einzelsprachlichem Zeicheninhalt) und Sinn (als der Gesamtheit der textuell konstruierbaren Feldund Kontextbeziehungen)? Terminologisierung, so kann man vermuten, rückt Bedeutung und Bezeichnung enger zusammen und reduziert Feldabhängigkeit. Fachlichkeit insgesamt begrenzt die Gesamtheit der potentiell sinnrelevanten Umfelder eben auf die des jew. fachlichen Kommunikationssystems. So oder ähnlich kann man die (prinzipiell offenen) Sinnhorizonte aller Kommunikationen beschneiden, aber dabei verliert man aus den

44. Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik

Augen, daß die Durchsetzung fachlicher Inhalte, Denkstile, Weltsichten in einer Gesellschaft möglicherweise viel mehr mit den allgemeinen Evokationspotentialen der Themen und Wörter zu tun hat, die man als fachlich irrelevant gerade abtreiben möchte. Beispiele aus Gentechnik, Atomtechnologie und Ökologie ließen sich beliebig anführen, aber natürlich auch aus modeanfälligen Fächern wie den geistes- und sozialwissenschaftlichen (vgl. Knobloch 1987). Grundsätzlich kann es für Rezipienten drei Arten praktischer textsemantischer Probleme geben: (a) Ausdrücke, die der Rezipient nicht kennt; (b) Ausdrücke, deren fachlichen/terminologischen Wert der Rezipient nicht kennt; (c) Ausdrücke, deren operationalen Beitrag zur fachlichen Wissensproduktion der Rezipient nicht vollziehen kann. M. E. sind die letzteren die textlinguistisch interessanten Fälle. Sie können mit konventionellen Fachlexika nicht behoben werden und stellen neue Ansprüche an eine stärker operative (Textvariation von vornherein einbeziehende) Darstellung des allgemein-wissenschaftlichen Wortschatzes (Knobloch/ Schaeder 1994). Empfehlenswert wäre m. E. für die textlinguistische Arbeit eine „mehrstufige Semantik“, wie sie Lang (1983) skizziert und seither verschiedentlich präzisiert hat. Sie würde es (ähnlich wie Coserius Theorie der textuell kommandierten Feld- und Kontextbezüge) erlauben, zwischen verschiedenen, textuell verschachtelten Bezugssystemen der Sinnproduktion zu unterscheiden (Ebene der Referenz, der Proposition bzw. des potentiellen Wahrheitswertes, der Inferenz, des Handlungssinnes etc.). „Die Gegenstandsbestimmung einer Semantiktheorie legt fest, was und wieviel von der komplexen Verweisfunktion sprachlicher Ausdrücke analytisch in den Blick kommt bzw. was und wieviel vom intuitiven Bedeutungsbegriff durch theoretische Bedeutungsbegriffe abgehoben und expliziert werden soll“ (Lang 1983, 78).

Ein Komplex fachlicher, disziplinärer (oder auch nur schul- oder richtungsbezogener) Beziehbarkeiten ließe sich so vom Umkreis der gesamten Beziehbarkeiten eines Textes abheben, ohne daß man die fachliche Bündigkeit der Bezüge zum einzig wirksamen Sinnfaktor stilisiert. Es bleibt dann eine Frage der Theoriekonvention, ob man die Bedeutungs- bzw.

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Bezeichnungswerte der jew. Termini zur Semantik der Fachsprache oder zum textuell prozessierten Fachwissen rechnet. Genuine Terminologien zeichnen sich dadurch aus, daß diese Unterscheidung ohnehin problematisch wird. Aber natürlich bildet auch in hochterminologisierten Fächern die genuine Terminologie nur einen Bruchteil der textuellen Semantik. Ob man Fachtexte „von oben“ (als thematische Ganzheiten) oder „von unten“ (als Isotopieketten) analysiert, das Problem der Sinn- und Bedeutungseinheit stellt sich unausweichlich (Greimas 1971, 60). Teiltexte, Ausdrücke, Lexeme sind immer zu interpretieren als Vermittlungen zwischen textueller Mikro- und Makroebene. Beginnt man mit dem Text als einer Sinnganzheit, dann kann man den Aufbau des Textes als geordnete paraphrastische Entfaltung dieser Sinnganzheit interpretieren. Umgekehrt ergeben sich auch bei einer Analyse „von unten“ die Isotopieketten erst durch den Bezug der verknüpften Ausdrücke auf die (unterstellte) Sinnganzheit. Wer auch nur ein wenig klassische Hermeneutik betrieben hat, der erkennt in dieser Konstellation unschwer den konstitutiven Zirkel der Textinterpretation. Im schematischen Normalfall arbeitet der Textproduzent eine ihm „vorschwebende“ Sinnganzheit bis in die Beziehbarkeiten der Ausdrücke und Sätze herunter, während sich der Rezipient (ungeachtet seines Vorwissens) von den Einzelheiten zur Sinnganzheit hocharbeiten muß. Viele praktische Probleme der Fachtextlinguistik ergeben sich unmittelbar aus dieser Konstellation. Zur Textoptimierung gehört eine Stärkung und Überprüfung des (notwendigen) Vorwissens und eine durchdachte Progression, die das bedenkt, was man „schon wissen muß“, um den nächsten Schritt zu vollziehen. Für die Textsemantik folgt daraus, daß sie Lexeme, Terme, Ausdrücke weniger als Beschreibungseinheiten feststehender Inhalte und mehr als Modelle für das Funktionieren textueller Mikro-Makro-Beziehungen verstehen müßte. Die extrakommunikativen Einheiten des Sprachsystems (Lexeme und Propositionen) sind möglicherweise relativ stabil und selbstidentisch in der Ebene ihrer nominativen Bedeutung oder Bezeichnung (die ja darum auch für die Semantik im Vordergrund steht), sie sind hochvariabel in dem Beitrag, den sie zum Komplex Text ⫺ Thema ⫺ Vorverständnis leisten können. Das wiederum wäre der angemessene Gegenstand für eine Textsemantik.

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8.

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Ausblick: Texte als Problemlösungen

Es dürfte kaum „Experten“ irgend einer Materie geben, bei deren fachlicher Sozialisation nicht neben den praktischen Fertigkeiten auch Texte (in Produktion und Rezeption) eine Rolle spielen. Das zur angemessenen Produktion und Rezeption fachlicher Texte erforderliche Wissen/Können kann man weder exklusiv als „sprachlich“ noch exklusiv als „fachlich“ bezeichnen. Einerseits involviert jedes alltägliche Sprechen commonsense-Expertise (Feilke 1994), andererseits involviert jeder Fachtext die Gesamtheit der allgemein sprachgebundenen Sinnerzeugungsmechanismen. Coseriu (1988, 158 ff) definiert Textkompetenz als „expressives Wissen“, das jeweils die allgemeinen Determinanten des Sprechens (Sprecher, Adressat, Gegenstand, Situation) und hochvariable Normen der textuellen Verklammerung dieser Determinanten umfaßt. Obwohl jeder empirische Text im mikrostrukturellen Aufbau an die grammatischen Normen einer Einzelsprache gebunden bleibt, ist Textkompetenz übereinzelsprachlich. Jeder Wissenschaftler weiß, daß man Fachtexte der eigenen Disziplin auch in ungeläufigen Sprachen leicht decodiert, wenn sie nicht essayistisch-metaphorisch, sondern strikt terminologisch prozedieren. Die Bündigkeit solcher Texte liegt für den Rezipienten in der Hauptsache im Fachwissen. Die Frage, ob ein solcher Text „gut“ oder „schlecht geschrieben“ ist, kann man möglicherweise nicht beantworten, obwohl man ihn „verstanden“ hat. Andere, gewöhnlich mitprozessierte Ebenen der Bündigkeit fallen aus. Bei (modernen) literarischen Texten ist z. B. die gesteuerte Diffusion von Beziehbarkeiten in mehreren Ebenen ein Aufbauprinzip. Die Qualität der Rezeption eines solchen Textes ist abhängig von der Rekonstruktion dieser Bezüge, von ihrer Tiefenschärfe. Demgegenüber dürften (wenigstens pragmatische) Fachtexte (Gebrauchstexte, Abhandlungen, Lehrbücher etc.) in ihrem Problembezug eher plan- und eindimensional bleiben. Die Konzentration der Beziehbarkeiten in der Sachund Fachsphäre und das Abschneiden von assoziativen, konnotativen, evaluativen Bedeutungskomponenten gehören gewiß zur typischen Rezeption von Fachtexten. Man muß jedoch hinzufügen, daß solche Feststellungen immer ambivalent bleiben: zum einen fehlen auch in der Fachkommunikation rhetorisch-

propagandistische Motive keineswegs, zum anderen sollte die fachliche Konzentration nicht als Lizenz für nachlässigen Stil mißverstanden werden. Ausgenutzt werden können in Fachtexten alle Systeme von Beziehbarkeiten, die auch bei gewöhnlichen Texten eine Rolle spielen können (vgl. Coseriu 1981), nur wird die Bündigkeit dieser Bezüge ins Fachliche hinein verdoppelt: (a) Beziehungen der (Text-)Zeichen auf andere Zeichen des Sprachsystems (die mit Bezug auf fachlich/terminologische Werte motiviert sein können); (b) Beziehungen der (Text-)Zeichen auf andere Textzeichen (Intertextualität, Zitat, fachliche Verwendungstradition); (c) Beziehungen der Textzeichen auf (fachgebundene) Sachen, Gegenstände, Sachverhalte; nominative Traditionen (hier kommt in Betracht, daß Fachausdrücke häufig paraphrastisch für verdichtete, aber nicht explizierte Definitionen stehen, aber auch für ad-hoc-Nominationen genommen werden können); (d) Umfeldbezüge (zur Systematisierung dieser Beziehbarkeiten vgl. Coseriu 1981, 68 ff); sympraktische, symphysische und synsemantische in der Terminologie Bühlers (1934), wobei natürlich gilt, daß in niedergelegten Texten diese Bezugssysteme nur soweit zu haben sind, wie sie von den Textzeichen her kommandiert und rekonstruiert werden können; die (keineswegs gleichverteilte) Fähigkeit der Sprachzeichen, ihre Beziehbarkeiten im Feld systematisch zu verdichten und zu bewahren, wäre ein genuin textlinguistisches Thema; (e) das jew. Redeuniversum, das man, institutionalisierte Subsysteme der fachlichen Kommunikation vorausgesetzt, wohl am ehesten für eine pragmatische Definition der Fachlichkeit verwenden kann, für eine Definition freilich, die so paradox bleibt wie die Ausgangslage der Textlinguistik. Paradoxie ist freilich, einmal erkannt, nicht nur eine Kalamität, sondern auch eine Chance, gegenstandsspezifische Fragestellungen zu entwickeln. Für textuelle Operationen und Prozeduren der kommunikativen Problemlösung gilt, daß sie nur funktionieren, wenn der Rezipient in der Lage ist, Wissensbestände von den Textzeichen her zu aktualisieren oder zu konstruieren. Gleichwohl handelt es sich, weil Texte doppelt selbstbezüg-

44. Grundlegende Begriffe und zentrale Fragestellungen der Textlinguistik

lich sind (qua Tradition und qua Exemplar), um strikt lokale Operationen. Es ist also äußerst schwierig, zu haltbaren Generalisierungen zu kommen, die gleichzeitig nichttrivial sind. Man kann zwar Problemfelder nennen, die in jedem (Fach-)Text bearbeitet werden müssen: textuelle Nomination, Prädikation, Modalisierung, Situierung, Verknüpfung, Themenexposition, Paraphrasierung, Progression, Redundanzsteuerung etc., es ist aber beinahe unmöglich, diesen Problemen „strukturell“ feste Mittel- oder Zeichenformate zuzuordnen. Jeder Text löst die Selbstidentität der lexikalisch-grammatischen Strukturkonstanten auf. Ihr Beitrag zum „Sinn“, zur Gesamtheit der Zeichenrelationen, in denen der Text steht (bzw. in die er gestellt werden kann), ist variabel. Vielversprechend wären m. E. Studien zu solchen überschaubaren Problemfeldern (wie etwa „Nomination im Fachtext“), die sich zunächst von der Ausdrucksseite und ihren Optionen ein Stück weit entfernen. Erst im zweiten Schritt wären dann den Techniken (deskriptiv, etikettierend etc.) und den lokalen Varianten der Nomination (introduktiv, referentiell, repetitiv, prädikativ etc.) ausdrucksseitig typische Optionen zuzuordnen.

9.

Literatur (in Auswahl)

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

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Clemens Knobloch, Siegen

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45. Fachtextsorten und andere Textklassen

45. Fachtextsorten und andere Textklassen: Probleme ihrer Bestimmung, Abgrenzung und Einteilung 1. 2. 3. 4. 5.

Einleitung Textlinguistische und klassifikatorische Bezugspunkte Fachtexte im Textsortenspektrum Schlußbemerkungen Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung

In der neueren Fachsprachenforschung bzw. Fachtextlinguistik sind verschiedene weiterführende Vorschläge zur Binnendifferenzierung des Bereichs der fachlichen Kommunikation gemacht worden. Als nützlich hat sich dabei erwiesen, Typologisierungsversuche im Sinne einer Ausschnittstypologie auf Textspektren überschaubaren Umfangs zu beziehen. So hat S. Göpferich (1995, 85) eine „Kategorienbildung nach dem Fachgebiet“ mit der Begründung vorgeschlagen, daß ein „Textdifferenzierungsraster mit zunehmendem Geltungsbereich der Typologie, d. h. mit zunehmender Größe des abgedeckten Ausschnitts aus der Menge aller Texte, größer wird und die Typologie damit an Aussagekraft verliert“. ⫺ R. Gläser (1990, 4) hat demgegenüber (und teilweise unter anderen theoretischen Voraussetzungen) „35 Fachtextsorten der englischen Gegenwartssprache“ untersucht, „die im Zentrum wie an der Peripherie der Fachkommunikation relevant sind“; berücksichtigt sind exemplarisch auch einige Texte der gesprochenen Fachsprache.

Was Probleme der Außendifferenzierung (Fachtextsorten „und andere Textklassen“) angeht, werden Differenzqualitäten, welche Fachtexte zu benachbarten Texten und solchen gänzlich anderer Textsortenzugehörigkeit aufweisen, in den einschlägigen Arbeiten meist nur knapp (z. B. im Rahmen jeweiliger Charakterisierungen von Fachtext und Fachtextsorte) erfaßt. ⫺ Als konsensuell kann insbesondere die Abgrenzung der ⫺ nach verschiedenen Kriterien eruierten ⫺ Fachtexte sowie gleichermaßen der Gebrauchstexte (welche als expositorische Texte der Alltagssprache zugerechnet werden) von literarischen Texten angesehen werden; vgl. dazu 3.1. ⫺ Soweit Gebrauchstexte nicht ihrerseits von Fachtexten (und ihnen zurechenbaren Textsorten) abgegrenzt werden, handelt es sich bei den im Rahmen einer Typologie

zu bearbeitenden Problemen nicht um Probleme der Außendifferenzierung, sondern um solche der Binnendifferenzierung (unterschiedliche Fachlichkeitsgrade in/ von Gebrauchstexten). Schwierigkeiten der Zuordnung werden vor allem für mündliche Texte erkannt, die an der „Peripherie der Fachkommunikation“ (vgl. z. B. Gläser 1990, 282 zu fachbezogenen Weiterbildungsvorträgen) liegen; vgl. dazu 3.2. ⫺ Unter Klassifikations- bzw. Typologisierungsgesichtspunkten sowie auf der Basis des jeweils angesetzten Textbegriffs und des bevorzugten Erkenntnisinteresses wird das Verhältnis von Fachtexten zu mündlichen (insbesondere dialogischen) sowie sekundär verschriftlichten Texten unterschiedlich gefaßt und beurteilt; vgl. dazu 3.3. ⫺ Ein Problemfeld besonderen Typs stellt das Verhältnis von Fachtextsorten zu den von S. J. Schmidt (1994) so bezeichneten Mediengattungen dar. Auf Berührungspunkte medienspezifischer Gesprächsformen mit dem Bereich der fachexternen Kommunikation wird z. B. in Gläser (1990, 261 ff) eingegangen; vgl. dazu 3.4. Wie das Verhältnis zwischen Fachtextsorten und „anderen“ Textklassen eingeschätzt wird, ist (neben der Berücksichtigung kommunikationstheoretischer Überlegungen sowie wissenschaftstheoretischer Aspekte um Klassifikations- und Typologisierungsgegebenheiten) abhängig von jeweiligen, im engeren Sinne sprachwissenschaftlichen (hier: textlinguistischen) Orientierungen. Nachfolgend werden einige Bezugspunkte des Einordnungsrahmens, von dem hier ausgegangen wird, kurz erläutert.

2.

Textlinguistische und klassifikatorische Bezugspunkte

Als Grundbegriffe berücksichtigt werden hier nur Text, Textsorte, Textklasse sowie Fachtextsorte und für wichtig befundene Weiterungen mit Blick auf Binnen- und (insbesondere) Außendifferenzierung des Bereichs fachlicher Kommunikation. Auf Klassifikations- und Typologisierungsgegebenheiten

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

und auf entsprechende Ergebnisdarstellungen aus der Fachsprachenforschung kann nachfolgend nicht ausführlich eingegangen werden. In der neueren Fachsprachenforschung (aufgefaßt hier als Teilgebiet der Textlinguistik und der angewandten Sprachwissenschaft gleichermaßen) werden die gewählten Grundbegriffe durchaus unterschiedlich gefaßt. Dies gilt vor allem für den zum Ausgangspunkt gewählten Textbegriff. Weniger gravierend unterscheiden sich die jeweiligen Charakterisierungen zu dem, was als Textsorte gefaßt wird. Im Rahmen höherstufiger Klassifikationsbzw. Typologisierungsbemühungen treten Unterschiede zwischen den konkurrierenden Konzeptionen allerdings deutlich hervor.

2.1. Ausgegangen wird hier von einem Textbegriff, wie er bereits in Schmidt (1991) im Rahmen eines handlungstheoretischen Zugriffs entfaltet und in späteren Arbeiten (z. B. Schmidt 1994) modifiziert worden ist. Die Ausführungen aus Schmidt (1991) dienen der Grundlegung einer „empirischen Literaturwissenschaft“; sie sind somit auf Gegebenheiten literarischer Kommunikation zugeschnitten. Der reichhaltige Theorierahmen bietet allerdings zahlreiche Gesichtspunkte, welche auf Fragen der Binnen- und Außendifferenzierung fachlichen kommunikativen Handelns gleichermaßen bezogen werden können.

Kommunikationsmittel, die vor anderen Wahrnehmungsangeboten als „ausgezeichnete“ Wahrnehmungs- resp. Medienangebote (Zusammensetzung aus distinktiven Einheiten, Erfüllung von Funktionen qua Zuordnung kognitiver Operationen) gelten können, werden als Kommunikatbasen (KB) bezeichnet. Dem Hergang nach wird die KB-Realisierung als nach Selektion und Kombination (auf dem Hintergrund jeweiliger „Voraussetzungssysteme“) zustande kommend bestimmt (vgl. Schmidt 1991, 61 ff; 96). Eine sprachliche Kommunikatbasis (traditionell „Text“) genügt den Bedingungen der „Phonetizität/Graphematizität, Lexikalität und Syntaktizität in bezug auf eine natürliche Sprache“. Das von der sprachlichen KB stimulierte interne Korrelat bezeichnet S. J. Schmidt als sprachliches Kommunikat; Kommunikationsteilnehmer investieren dazu ihre „Voraussetzungssysteme“, d. h. ihre im einzelnen unterschiedlichen Sprach- und Wirklichkeitskenntnisse. Im Unterschied zu einem ontologischen Kommunikatverständnis, nach dem „Sinn“, „Bedeutung“, „Form“, „Ordnung“ etc. der KB selbst zugeschrieben werden, wird von KB-Eigenschaften „nur als

von Resultaten konstitutiver Rezeptionshandlungen gesprochen“ (vgl. Schmidt 1991, 127). In Schmidt (1994) werden Texte erfaßt „als ⫺ syntaktisch und semantisch ⫺ hochgradig konventionalisierte strukturreiche Anstöße zur Durchführung kognitiver Operationen […], deren Resultate (Kommunikate) nicht allein vom Text, sondern vom jeweiligen Gesamtzustand des kognitiven Systems in konkreten Situationen abhängen […]“ (Schmidt 1994, 139). Zu einigen Modifikationen der früheren Konzeption sei ebenfalls auf Schmidt (hier 1994, 136 ff) verwiesen.

Mit dem gewählten Ausgangspunkt werden im wesentlichen Abbildungs- bzw. Widerspiegelungs-Auffassungen sowie Informationsübertragungs-Vorstellungen zurückgewiesen (vgl. Schmidt 1994, 54⫺55). Die Konzeption erlaubt die Berücksichtigung „außersprachlicher bzw. spracharmer Informationsträger wie Formeln, Zahlenbeispiele, Skizzen, Diagramme und Tabellen“ (Buhlmann/Fearns 1991, 58) in der Rolle als Wahrnehmungsangebote (Kommunikatbasen). Dem fundamentum in re (sprachlichen und nichtsprachlichen Wahrnehmungsangeboten als KB-Eigenschaften) fällt dabei eine sekundäre Rolle zu, wenn es um die Bestimmung von Literarizität bzw. Ästhetizität von Texten geht. (Gleiches läßt sich sinngemäß auf Fragen der Fachlichkeit von Texten beziehen). Das Prädikat „ist ästhetisch“ kann aufgrund der texttheoretischen Voraussetzungen einzig als Zuschreibungsprädikat erfaßt werden; nicht die KB sind ästhetisch, sondern „nur den Kommunikaten, die Kommunikationsteilnehmer über ihnen bzw. mit ihrer Hilfe konstruieren“ (Schmidt 1991, 108), kann dieses Prädikat zugesprochen werden. Zentrales Abgrenzungskriterium des „Systems ästhetischer kommunikativer Handlungen“ (SyÄKH) von allen anderen Kommunikationssystemen sind die dort geltenden unterschiedlichen Konventionen (vgl. dazu 3.1.).

Die insbesondere in Schmidt (1994) an Varianten des erkenntnistheoretischen Konstruktivismus orientierten Auffassungen sind im wesentlichen kompatibel mit Textualitätskriterien kognitiver Ansätze, welche auch in neueren Arbeiten zur Fachsprachenforschung und Textlinguistik bevorzugt werden. Neben Heinemann/Viehweger (1991) und verschiedenen Beiträgen aus Mackeldey (1990) sei auf Göpferich (1992, 204) hingewiesen. Dort wird festgestellt: „Die wichtigste Frage, die in diesem Zusammenhang zu klären ist, ist die der Definition des Begriffes Text, insbesondere die der Textdelimination“. Auch in Göpferich (1995) wird von einem „umfassenden“ Textbegriff ausgegangen; der dort ge-

45. Fachtextsorten und andere Textklassen wählte Ansatz (in dessen Rahmen allerdings ganz heterogene Konzeptionen miteinander harmonisiert werden) kommt am ehesten der hier vertretenen Position nahe, welche an neueren Arbeiten von S. J. Schmidt orientiert ist. ⫺ In Gläser (1991, 17⫺ 18) tritt demgegenüber eine allzu starke Orientierung an abbildtheoretischen Auffassungen hervor. ⫺ Die Ausführungen aus Klauser (1992, 5⫺7) zeichnen sich gar dadurch aus, daß das „Wesen“ von Fachtextsorten „aus fachtextlinguistischer Sicht“ unter Rückgriff auf die marxistisch-leninistische Widerspieglungstheorie gefaßt wird. ⫺ E. Rolf (1993, 1⫺43) geht ausführlich auf unterschiedliche Textbegriffe ein. Erreicht wird allerdings weder ein plausibler Textbegriff, noch scheinen Probleme der Binnen- und (insbesondere solche der) Außendifferenzierung (hier von „Gebrauchstextsorten“) in dem gewählten Theorierahmen geeignet erfaßt werden zu können.

2.2. Mit dem in der Textlinguistik eingespielten Ausdruck Textsorte wird auf alltagssprachlich weitgehend verfügbare Klassifikationsleistungen einer mittleren Ebene der Abstraktion Bezug genommen. In dem Sinne kann von Textsortenwissen als „Reservoir an Kenntnissen“ die Rede sein sowie von der Erweiterung des Textsortenspektrums im Rahmen einer „Spezifizierung von Kommunikationsbereichen“ (Heinemann/Viehweger 1991, 144). Vgl. auch Heinemann (1990, 8⫺9) zur so bezeichneten „ersten“ und „zweiten Verunsicherung“ bei der Erforschung von Textsorten und andere Beiträge aus Mackeldey (1990). ⫺ Hingewiesen sei daneben auf Brinker (1985, 124), auf Dimter (1981), Sachtleber (1993, 10⫺12) sowie auf den Abschnitt „Der Begriff ,Textsorte‘ bevorzugt“ aus Rolf (1993, 43⫺ 50).

Unter kognitivem Aspekt lassen sich Textsorten als Text-Schemata (Muster; Operationspläne) auffassen, welche in der Sozialisation anhand guter Exemplare (Prototypen) angeeignet werden. Ermöglicht wird dadurch, im Umgang mit Text-Angeboten (resp. KB-Basen) „Invarianzbildungen mit intersubjektiver Geltung produzierend und rezipierend vorzunehmen“ (Schmidt 1994, 193). Dem kognitiven Status nach (mittlere Ebene der Abstraktion) scheinen Textsortenbezeichnungen zudem mit den in Arbeiten zur kognitiven Psychologie so bezeichneten Basiskategorien („basic level terms“) im Sinne von Rosch/Mervis/Gray [u. a.] (1976) übereinzukommen.

Unter kommunikativem Aspekt werden jeweilige Textsortenbezeichnungen „durch Sozialisation grundgelegt und durch Konsens und Dissens in der Kommunikation über Medienangebote bestätigt“ (vgl. Schmidt 1994, 194; vgl. dazu auch die weiteren Ausführungen 1994, 198 zu den „Medienschemata“).

459 In Abhängigkeit von jeweiligen Kriterien, die zu Zwecken der Erstellung einer wissenschaftlich fundierten Texttypologie bzw. Textklassifikation angesetzt werden, findet sich eine Vielzahl von Bezeichnungen sowohl in Konkurrenz zu Textsorte, als auch für hierarchisch über- und untergeordnete Einheiten. Verwiesen sei dazu (im Umkreis neuerer Arbeiten) auf die ausführliche Übersicht in Gläser (1990, 33, tabellarisch erfaßt) sowie auf Rolf (1993) und Göpferich (1995).

Klassifikationstheoretische Erwägungen lassen es plausibel erscheinen, in Anlehnung an Heinemann/Viehweger (1991, 144) den Ausdruck Textklasse als (teil)synonymen Ausdruck für Textsorte zu verwenden. Auf weitere Bezeichnungen, die in einem Konkurrenzverhältnis zu Textsorte stehen (Textgattung und Genre), geht R. Gläser (1990, 31) auch unter interlingualem Aspekt ein. Sie stellt unter anderem fest, daß in „britischen und amerikanischen Arbeiten zur Fachtextlinguistik“ (aber überwiegend auch in Arbeiten skandinavischer und lateinamerikanischer Forscher) „ausschließlich der Terminus ,genre‘ für die (Fach)textsorte verwendet“ wird.

Ein ähnlich „weitgehender Konsens“, wie er von Heinemann/Viehweger (1991) bezüglich Textsorte resp. Textklasse festgestellt wird, dürfte zumindest auch mit Blick auf die Bezeichnung von Textindividuen bzw. einzelner Kommunikatbasen als Textexemplar(e) gelten, sowie für die Bezeichnung Textsortenvariante(n) für ein Variationsfeld unterhalb der Hierarchiestufe, auf der Textsorten angesetzt werden. Für die nächsthöhere Klassifikationsstufe erscheint der Ausdruck Texttyp am ehesten geeignet (z. B. im Sinne von Franke 1987, wo Texttypen als Korrelate von Sprechakttypen bzw. von Dialogtypen aufgefaßt sind). Als problematisch erscheinen muß von hierher der gelegentlich verwendete Ausdruck Textsortenklasse. In ebenso problematischer Weise wird oft nicht zwischen Textklasse und Texttyp unterschieden (wie auch nicht zwischen einer Typologie und einer Klassifikation). Deshalb sei klargestellt, daß hier unter einer Textklasse eine Klasse konkreter Gegenstände verstanden wird (mit Textexemplaren als deren Repräsentanten). Ein Texttyp hingegen ist eine Klasse, deren Elemente Textprädikate sind, welche auf Texte einer Textklasse zutreffen. Eine Klasseneinteilung bzw. Klassifikation ist Spezialfall einer Typologie (disjunkte Typen heißen Klassen); vgl. grundsätzlich dazu Hempel/Oppenheim (1936), von Kutschera (1975), Tugendhat/Wolf (1983), und im Zusammenhang mit Erörterungen zu Mediengattungen auch Schmidt (1994, 176).

460

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Auf die Anforderungen von H. Isenberg (1983) an eine Texttypologie kann hier nicht eingegangen werden; hingewiesen sei auf die Ausführungen in Göpferich (1995, 78⫺83) sowie auf Gläser (1990, 42 f).

2.3. Charakterisierungen zu dem mit Fachtextsorte Gemeinten sind von (gänzlich umstrittenen) Auffassungen zum Fach-Begriff, zur Fachlichkeit und zu Fachlichkeitsgraden abhängig (vgl. dazu Gläser 1990, 14 ff). Zur Charakterisierung (um Definitionen in einem strikten Sinne handelt es sich in keiner der berücksichtigten Arbeiten) von Fachtext und Fachtextsorte sei neben Gläser (1990, 18, 29), Baumann (1992, 13) sowie Beiträge aus Spillner (1994), vor allem auf Minogue/Weber (1992, 52) hingewiesen.

In Übereinstimmung mit dem unter 2.2. zu Textsorte Dargelegten wird von A. Minogue und S. Weber festgestellt, daß „Fachtextsorten nicht [jedenfalls zunächst nicht ⫺ W. W.] das Ergebnis der Klassifikations- oder Typologisierungsbestrebungen von Linguisten sind, sondern daß sie aus kommunikativen Bedürfnissen hervorgegangen sind und dabei Bezeichnungen erhalten haben, die das ausdrücken, was von den an der Fachkommunikation Beteiligten als Spezifikum, als besonders relevant angesehen wurde und wird“ (Minogue/Weber 1992, 49). Ein „Beobachter zweiter Ordnung“ (i. S. von Schmidt 1994, 27) wird allerdings die historische und soziale Kontingenz derartiger Wirklichkeitskonstruktionen (die für Aktanten zum Zeitpunkt des Handelns invariant sind) erkennen und somit in entsprechende Vorgaben klassifizierend eingreifen. Nach S. Göpferich (1995, 58, 65) ist eine „strenge Grenzziehung zwischen Fachsprache(n) und ,Gemeinsprache‘ aus sprachlichen und außersprachlichen (sachbedingten) Gründen zwangsläufig zum Scheitern verurteilt“. Entsprechend wird auf „die beiden Kategorien gemeinsprachliche Texte und Fachtexte“ verzichtet und „statt dessen von einem Spektrum von Texten unterschiedlichen Fachlichkeitsgrads“ ausgegangen; analog werden auch die „Kategorien Fachtextsorte und gemeinsprachliche Textsorte“ aufgegeben.

Die „Fachtextsorten-Analyse“ beschäftigt sich nach E. M. Stahlheber (1992, 164 f) „(1) mit dem Nachweis von Fachtextsorten, (2) mit Bestimmung der Diskursgemeinschaft der jeweiligen Testsorten und (3) mit den die Textsorte und ihre Texte konstituierenden ,moves‘“ (dafür stehen im Deutschen Sprachhandlungen, Texttypen, Texthandlungen, Kommunikationsverfahren u. a. m.). Des wei-

teren gehört dazu, „sich (4) der Merkmalhaftigkeit weiterer Ebenen eines Textes, d. h. der Syntax, Lexik und Phonetik, zu widmen“; vgl. insbes. zu letzterem Aspekt auch Hoffmann (1990, 11). Auf zweierlei hat H. Kalverkämper deutlich hingewiesen: Zum einen (a) mangelt es an einer verbindlichen Klassifikation von Fächern, Sparten, Branchen etc.; zum anderen (b) kann Fachlichkeit (hinzugefügt sei: ebensowenig wie die unter 2.1. bereits angesprochene Literarizität bzw. Ästhetizität) nicht als eine Texten bzw. Kommunikatbasen anhaftende Eigenschaft erfaßt werden. Zu (a): Während die sprachbezogene Seite „recht gut in den Griff zu bekommen ist“, bleibt die „sach- oder fachbezogene“ noch eine „Herausforderung an interdisziplinäre Zugriffe“: „Eine mehr oder weniger verbindliche Hierarchie oder Taxonomie oder Systematik der Fächer, Fachgebiete, Disziplinen, Wissenschaftszweige, Sparten, Branchen, Domänen […] läßt sich nach jetzigem Erkenntnisstand sowieso nicht von der Linguistik allein erstellen, […]“ (Kalverkämper 1992, 68). Einer gewissen Orientierung können Fächerkataloge dienen, die für das Bibliothekswesen, im hochschulpolitischen Bereich und für statistische Vorhaben erstellt sind; vgl. dazu Schaeder (1994, 75). Zu (b): Fachlichkeit ist „keine natürliche, gleichsam ,angeborene‘, einem Gegenstand oder Sachverhalt ,von selbst‘ anhaftende Eigenschaft, vielmehr wird sie verliehen […]“. Die Bilder (um die es in seinem Beitrag geht) bedürfen, „um fachlich zu wirken oder zu sein, entsprechende sprachliche und fachlich handelnde Kontexte […].“ (Kalverkämper 1993, 220). Damit wird in wesentlichen Bezugspunkten eine Auffassung vertreten, die mit derjenigen übereinkommt, welche hier (vgl. 2.1.) in Orientierung an Schmidt (1991; 1994) den theoretischen Bezugsrahmen abgibt. Nur gibt es nicht „fachlich handelnde Kontexte“, wohl aber Produzenten, Rezipienten, Vermittler und Verarbeiter von Texten bzw. von Kommunikatbasen, deren Aktivitäten (unter einem Handlungsbegriff und aus Beobachterperspektive) als Handlungen diesen oder jenen Typs ausgewiesen werden können; vgl. dazu Schmidt (1991).

3.

Fachtextsorten im Textsortenspektrum

Ausgegangen sei hier von einigen Überlegungen aus dem Umkreis des (radikalen) Konstruktivismus. Danach werden „Wissenschaftswelten“ als „Teile der Handlungswelt“ von Mitgliedern der jeweiligen scientific community „durch ihr kooperatives Handeln und

45. Fachtextsorten und andere Textklassen

ihr konsensuelles Beschreiben hervorgebracht, konstruiert“ (Schwegler 1992, 262). Da Wissenschaftswelten in den scientific communities „in einer gewissen gegenseitigen Separation entwickelt werden“, sind „auch eigene Sprachen mit je eigenem Handlungsbezug entstanden […]“, die H. Schwegler mit L. Wittgenstein als „verschiedene Lebensformen“ erfaßt; das Individuum kann allerdings idealiter „in pluraler Weise an mehreren Wissenschaftswelten teilhaben“ (vgl. Schwegler 1992, 271f). Zur Heterogenität von Erfahrungsbereichen stellt er fest: „Bei zu ,theoretischen‘ Theorien, wo Diskurse fast ohne nichtsprachliches Handlungsrepertoire geführt werden, kann der Bedeutungskonsens zwischen den am Diskurs Beteiligten zusammenbrechen, ohne daß sie es merken. Manche gewaltigen ,philosophischen‘ Wortgebilde sind deshalb nicht mehr als Wissenschaft in dem hier verwendeten Sinne anzusehen. Sie mögen eher als Kunstwerke aufgefaßt werden. Das soll keine Abwertung bedeuten. Es ist in jedem Falle davon auszugehen, daß neben den Wissenschaftswelten große Bereiche bleiben, über die man wissenschaftlich nichts sagen kann (die Hoffnung ist unsinnig, irgendwann in ferner Zukunft würde sich das alles in intersubjektiver Wissenschaft auflösen): das Leben ist viel reicher und entzieht sich in vielen Facetten dem wissenschaftlichen Zugriff.“ (Schwegler 1992, 261).

Diese Ausführungen treffen sich mit Überlegungen aus Schmidt (1994) zum kulturellen Wandel. S. J. Schmidt skizziert Grundzüge einer Dynamik, in deren Zuge sich eine „deutliche Differenzierung“ herausbildet „zwischen kulturellen Konzepten, Normen, Werten usw., die systemspezifisch relevant und zum Teil so hochgradig spezialisiert kommuniziert werden, daß nur noch trainierte Teilnehmer an diesem System dieser Kommunikation folgen können (etwa wissenschaftliche Methodologen) […].“ (249): „Die Ausdifferenzierung systemspezifischer Kultur-Programme, die über die Spezialisierung von Ausbildungsprogrammen und Publikationsorganen sozial kontrolliert wird, erhöht also sowohl die Schwierigkeit intersystemischer Interaktion (Wissenschaft und Religion verstehen sich immer schlechter) als auch die Schwierigkeiten der Aktanten, kompetent an mehreren Sozialsystemen zu partizipieren. Sie vertieft auch die Kluft zwischen Handeln, Interagieren und Kommunizieren in Sozialsystemen und im Alltag (der ,Lebenswelt‘), die über Sondermaßnahmen wie etwa populärwissenschaftliche Medienangebote zu entschärfen versucht wird.“ (Schmidt 1994, 251).

In der neueren Fachsprachenforschung ist in ähnlicher Weise (wenngleich anders begrün-

461 det) auf Divergenzen zwischen unterschiedlichen Erfahrungs- sowie Kommunikationsbereichen und dem Versuch ihrer Harmonisierung (qua populärwissenschaftlicher Texte) hingewiesen worden. Als kriteriell erfaßt wird im Zusammenhang mit Fachlichkeit bzw. Fachsprachlichkeit vor allem der Grad der Popularisierung fachlicher Texte. In Anschluß insbesondere an Vorschläge zur vertikalen Schichtung der Fachsprache nach L. Hoffmann (z. B. 1985) werden primäre und sekundäre Fachtexte unterschieden (vgl. dazu Stahlheber 1992, 165). ⫺ R. Gläser (1990, 46⫺51) ordnet popularisierende und didaktisierende Textsorten der fachexternen Kommunikation zu. ⫺ In Göpferich (1995, 124) werden populärwissenschaftliche Texte im Rahmen einer mehrstufigen Typologie erst auf der vierten Stufe (Primärtextsorten) identifiziert. ⫺ Im „Handbuch des Fachsprachenunterrichts“ werden Unterschiede zwischen Fachtexten und populärwissenschaftlichen Texten (Vermeidung der Fachlexik, unvorhersehbare Textstrukturierung, „Präzisions- und Ökonomieverlust“ u. a. m.) zu didaktischen Zwecken ausführlich herausgearbeitet (vgl. Buhlmann/Fearns 1991, 68 ff).

Zur Außendifferenzierung des Fachtextsorten-Spektrums werden theorieabhängig unterschiedliche Positionen bezogen. Zum theoretischen Ausgangspunkt sind hier die in Schmidt (1991) dargelegten Ausführungen zur Binnen- und Außendifferenzierung des „Systems ästhetischen kommunikativen Handelns“ (SyÄKH) gewählt worden. In allen anderen Kommunikationssystemen als in SyÄKH gilt nach S. J. Schmidt (1991, 112 ff) die „tatsachenbezügliche Konvention“ (T-Konvention); sie besteht darin, „daß referenzfähige Kommunikatbasen bzw. deren Bestandteile auf das in einer sozialen Gruppe als gültig unterstellte Wirklichkeitsmodell bezogen werden können, weil die in diesen Kommunikationssystemen thematischen Kommunikatbasen einen praktischen Nutzen für die Handlungen der Aktanten in der Kommunikationssituation haben sollen.“ Der Untersuchungsbereich literarischen Handelns wird in Schmidt (1991) nach vier Handlungsrollen strukturiert: Produzenten, Rezipienten, Vermittler und Verarbeiter literarischer Kommunikatbasen. Zur Vermittlung im Rahmen von Massenkommunikationsprozessen zählt die Weiterleitung von Texten an Rezipienten bzw. Verarbeiter (vgl. die Definition in Schmidt 1991, 284). Ausgangsdaten für Verarbeitungshandlungen hingegen sind Kommunikate (als Rezeptionsresultate, die einem Text zugeordnet werden); unter Verarbeitungshandlungen fallen (in Unterscheidung von Rezeption und „Ver“arbeitung) Handlungen, die umgangssprachlich als Kritisieren, Interpretieren, Kommentieren,

462

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Zusammenfassen, Umschreiben, Übersetzen, Verfilmen bezeichnet werden; zur Definition vgl. Schmidt (1991, 342 ff). Im Bereich der fachlichen Kommunikation fallen hierunter insbesondere populärwissenschaftliche Darstellungen fachlicher Sachverhalte.

3.1. In Fachsprachenforschung und Textlinguistik wird literarischen Texten durchweg eine Sonderrolle zuerkannt. Die zur Abgrenzung von Fach- und sonstigen Gebrauchstexten ins Spiel gebrachten Aspekte können allerdings (relativ zu der hier vertretenen Orientierung) nicht als einschlägig beurteilt werden: Spezifika von Textoberflächeneinheiten (Besonderheiten von Lexik und Stilqualitäten) im Rahmen textimmanenter Zugriffe auf Fragen der Literarizität bzw. Ästhetizität von Texten, Ansetzen einer poetischen Funktion neben anderen Sprachfunktionen u. a. m. Ausgegangen wird davon, daß die als fachlich rezipierten Texte ebenso wenig als „das Andere“ der Sprache aufgefaßt werden können wie literarische Texte (vgl. dazu Wolski 1995). Als sprachliche Gebilde unterliegen sie keinen Sondergegebenheiten, die in geeigneter Weise an Eigentümlichkeiten des jeweiligen fundamentum in re (KommunikatbasisEigenschaften) festgemacht werden können (selbst diese müssen erst erarbeitet werden). Auch umfaßt das „Voraussetzungssystem“ von Kommunikationsteilnehmern „als Steuerungsinstanz jeder Rezeption“ für Texte unterschiedlicher Provinienz durchweg die gleichen Sprach- und Weltkenntnisse (vgl. dazu Schmidt 1991, 180). Was fachliche Texte angeht, ist damit das Verhältnis von Fachtexten zu sonstigen Gebrauchstexten (bzw. Texten der Alltagskommunikation) berührt. Mit Blick auf literarische (dichterische) Texte sind die Argumentationszusammenhänge wesentlich brisanter. Im Rahmen der zuständigen Fachkommunikation über literarische Texte ist es durchaus üblich, von der Möglichkeit auszugehen, aus den in der Alltagssprache geltenden Sprachkonventionen aussteigen und sich in ein sprachliches Jenseits versetzen zu können. Dies wird vor allem für extrem ausgeformte dichterische Texte (Lyrik) konstatiert. Flankiert werden derartige Auffassungen durch nicht minder unglaubwürdige Sonderfunktionen sprachlicher Zeichen („hermetische Zeichenhaftigkeit“) oder durch Auffassungen zu einem gesondert anzusetzenden „poetischen Verstehen“; vgl. dazu die Ausführungen in Wolski (1996).

Noch dort, wo ⫺ in durchaus begrüßenswerter Weise ⫺ Gemeinsamkeiten zwischen Texten unterschiedlicher Textsortenzugehörigkeit betont werden, sind die Ausführungen dazu meist wenig überzeugend, wenn von un-

zulänglichen theoretischen Annahmen ausgegangen wird. So stellt z. B. R. Gläser (1990, 20 ff) in Orientierung an ein Funktionenkonzept („referentielle“, „emotionale“, „poetische“ und weitere Funktionen) für Fachtexte die „referentielle Funktion“ heraus, weist aber darauf hin, „daß auch im Fachtext andere Grundfunktionen der Sprache zumindest latent vorhanden sind, selbst wenn die referentielle Funktion im Vordergrund steht“. In einem „literaturwissenschaftlichen oder naturwissenschaftlichphilosophischen Essay“ ist die „emotionale und die poetische Funktion häufig anzutreffen und in einem Lehrbuch oder auch einem Sachbuch eines beliebigen Fachgebiets sogar erwartbar“. Der Orientierung dienen R. Gläser u. a. die Ausführungen aus Fix (1986), wonach durchweg „das Ästhetische als Eigenschaft nichtpoetischer Texte“ gelten könne.

Gemäß der hier vertretenen Auffassung werden Gegebenheiten der Außendifferenzierung (des Bereichs fachlicher Kommunikation) nicht dadurch geeignet erfaßt, daß diverse Sprachfunktionen angenommen werden oder auf traditionelle Annahmen zur Fiktionalität bzw. Ästhetizität von Texten zurückgegriffen wird. Bereits mit der T-Konvention werden die auch in anderen Theorierahmen vermerkten Unterschiede zwischen Gebrauchs- und Fachtexten einerseits, literarischen (dichterischen) Texten andererseits fixiert. Falls die an der Kommunikation Beteiligten ihre Texte (KB) nicht primär in Hinblick auf erfahrungsweltliche Referentialisierbarkeit produzieren und rezipieren, handeln sie einer Konvention gemäß, die S. J. Schmidt (1991, 117) als Ästhetik-Konvention (komplementär zur T-Konvention) gefaßt hat. Der T-Konvention korrespondiert des weiteren die „Monovalenz-Konvention“, der Ä-Konvention die „Polyvalenz-Konvention“. Der Ästhetik-Konvention entsprechend gehört es zum „gegenseitig unterstellten Wissen“, daß Kommunikationsteilnehmer „bereit und in der Lage sein müssen, unter Vernachlässigung der T-Konvention primär gemäß solchen Werten, Normen und Bedeutungsregeln zu handeln, die nach den von ihnen in der Kommunikationssituation unterstellten Normen als Ästhetisch gelten“. Ausgenommen davon sind nicht Beobachtungen aus diachronischer Perspektive, wonach sich „Vorformen heutiger Fachtexte“ unter den „überlieferten literarischen Zeugnissen aus verschiedenen Perioden der englischen Sprachgeschichte“ (Gläser 1990, 34) finden. Die Gültigkeit von Ä-Konvention und T-Konvention ist unabhängig von jeweiligen Konstellationswandlungen im Textsortenspektrum. Vgl. auch die Ausführungen zur „Textsorte Essay“,

45. Fachtextsorten und andere Textklassen die „keineswegs eindeutigen Bezug zur Fach-Kommunikation“ habe, „zumal die Wurzeln des Essays in die Kunstprosa wie auch in die Publizistik zurückreichen“; unterschieden werden allerdings drei Textsortenvarianten des Essays (Gläser 1990, 73). Außer in der ästhetischen Kommunikation werden Behauptungen, die im Widerspruch zu dem Wirklichkeitsmodell jeweiliger sozialer Gruppen stehen, sanktioniert (vgl. Schmidt 1991, 114 ff). Zugelassen sind alle Formen der „Kontrafaktizität“, was sich in zunehmender „Erklärungs- und Deutungsbedürftigkeit“ von Kunstwerken auswirkt. Die Ä-Konvention besagt nicht die gesellschaftliche Funktionslosigkeit ästhetischer KB. Sie besagt nur, „daß beim Akzeptieren dieser Konvention die Rezipienteneinstellung zur Kommunikation mit Ästhetischen Kommunikatbasen eine spezifisch andere ist als die mit juristischen, wissenschaftlichen, theologischen usw. Texten, Dokumentarphotos und -filmen usw.“ Handlungsbeteiligte im SyÄKH unterliegen nicht den sonst üblichen „wissenschaftlichen oder alltagswissenbezüglichen Standards der Wahrheits- bzw. Nützlichkeitserwartung“ (Schmidt 1991, 176). Sicherlich kann ein Kommunikat X einmal im SyÄKH, ein andermal auch in einem anderen System (z. B. dem der „politischen Kommunikation“) erfaßt werden; „aber man kann X nicht zugleich und gleichermaßen in beiden Teilsystemen der Gesellschaft sehen ⫺ das eben verhindert die Ä-Konvention“ (Schmidt 1991, 123). Den beiden Konventionen korrespondieren: die so bezeichnete Monovalenz-Konvention (M-Konvention) und die Polyvalenz-Konvention (P-Konvention). Nach der M-Konvention erwarten Kommunikationsteilnehmer, daß den von Produzenten erzeugten KB „auch zu verschiedenen Zeitpunkten möglichst eindeutige intersubjektiv festlegbare Rezeptionsresultate zugeordnet werden können“; entsprechend versuchen die Rezipienten, „solchen Kommunikatbasen möglichst eindeutige Rezeptionsresultate zuzuordnen“ (Schmidt 1991, 133). In „Rigorosität der Unterstellung und (versuchten) Befolgung der M-Konvention“ dominiert die wissenschaftliche Kommunikation. ⫺ Für den Bereich der ästhetischen Kommunikation entfällt der „Druck der in einer Kommunikationssituation anstehenden Handlungs- und Wertentscheidungen“ (Schmidt 1991, 152). Die P-Konvention besagt, daß Rezipienten die Freiheit haben, „zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Kommunikationssituationen an derselben Kommunikatbasis voneinander abweichende Rezeptionsresultate zu erzeugen und dies auch bei anderen Kommunikationsteilnehmern erwarten (⫽ Erwartung nicht-festlegbarer Kommunikatrealisierung)“ (Schmidt 1991, 134).

3.2. Auf Probleme der Abgrenzung zwischen Gemeinsprache und Fachsprache(n) wird in Göpferich (1995, 29) ausführlich eingegangen. In Modifikation des Modells der „gleitenden Skala“ aus Kalverkämper (1990) ent-

463 wickelt sie eines der „komplementären Spektren“. Verdeutlicht werden soll, daß „alle Texte sowohl fachsprachliche Merkmale aufweisen als auch Merkmale, die nicht fachsprachenspezifisch sind“. Im Anschluß an die „Scheidung von Gebrauchstexten und literarischen“ Texten ist „innerhalb der Kategorie der Gebrauchstexte in bezug auf ihre kommunikativ-pragmatische Funktion immer noch eine erhebliche Inhomogenität festzustellen“. S. Göpferich führt dazu aus: „Man denke hierbei nur an die unterschiedlichen Ziele, die z. B. a) mit juristischen, b) mit technischen und c) mit religiösen Texten verfolgt werden. Um diesen groben pragmatischen Unterschieden gerecht zu werden, sind m. E. die Gebrauchstexte nochmals in unterschiedliche Kategorien einzuteilen, bevor für jede dieser Kategorien eine eigene Typologie erstellt wird.“ (Göpferich 1995, 85).

Als Kriterium für die Einteilung der Gebrauchstexte wird aus mehreren Gründen die „Kategorie des Fachgebiets“ gewählt, dem die Texte entstammen. Anknüpfungspunkte für Textsorten anderer Fachgebiete (als Naturwissenschaft und Technik) werden neben Göpferich (1995) auch in Göpferich (1992, 206 f) diskutiert. Auf die außerordentliche Vielfalt von „Gebrauchstextsorten“ (z. B. im medizinischen Bereich, hier Diagnose und Therapie) wird in Rolf (1993, 56) hingewiesen. Gebrauchstexte auch (außer von literarischen) „gegen wissenschaftliche Texte abzugrenzen“, hält E. Rolf (1993, 126) für „fraglich“; der Ausdruck Gebrauchstextsorte wird „nicht als auf den Alltag bzw. die Alltagssprache eingeschränkt verwendet, sondern in einem weiteren, z. B. auch Fachtextsorten umfassenden Sinn“. Die Begründungen zum Einbezug von Fachtexten sowie den Ausschluß von literarischen Texten (vgl. Rolf 1993, 125⫺128) zeigen einmal mehr, wie wichtig ein geeigneter Theorierahmen zu Fragen der Außendifferenzierung (so die Konventionen aus Schmidt 1991) und solchen der Binnendifferenzierung (vgl. stellvertretend für andere Beiträge: Göpferich 1995) ist. Unterschieden werden in Rolf (1993, 164 ff) „assertive“, „direktive“, „kommissive“, „expressive“ und „deklarative“ Gebrauchstextsorten, die jeweils nach vielfältigen Gruppen unterteilt werden.

Einen wesentlichen Stellenwert haben in der Fachsprachenforschung traditionell Fragen der Abgrenzung von Gemein- und Fachsprache mit Blick auf Wörterbuchaspekte. Unter metalexikographischem Gesichtspunkt wiederholen sich die Kontroversen um das Ver-

464

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

hältnis von Fach- und Gemeinsprache hinsichtlich der Lexik, welche in Fachwörterbüchern die Wörterbuchbasis bildet bzw. bilden soll (Auswahl des Lemmabestands). So werden z. B. in Bergenholtz (1994, 296) anhand ausgewählter skandinavischer Beiträge unterschiedliche Zuordnungen von Gemeinsprache und Fachsprache diskutiert. Als „wenig überzeugend“ und „kontraintuitiv“ wird aus dieser Perspektive angesehen, „die Bezeichnung Gemeinsprache mit der Bemerkung aufzugeben, jeder Text habe einen speziellen Zweck und könne höchstens als mehr oder weniger fachsprachlich beschrieben werden“.

3.3. Für den Bereich der mündlichen Kommunikation hält R. Gläser (1990, 5) „ein beträchtliches Forschungsdefizit“ fest. K. Munsberg (1993, 6 f), der ein „Bewußtsein“ schaffen will „für die ganz eigenen Strukturen und Gesetze mündlicher Fachsprache, die sich fundamental vom schriftlichen Sprachgebrauch unterscheiden“, konstatiert eine „Ignorierung gesprochener Fachsprache durch die Fachsprachenlinguistik“: „Die Gesprächsanalyse hat wegen anders gelagerter Erkenntnisinteressen das Phänomen der Fachkommunikation bislang kaum berücksichtigt. Ebenso hat die Fachsprachenlinguistik die Arbeiten der Gesprächsanalyse konsequent ignoriert, so daß es erforderlich ist, diese Stränge wissenschaftlicher Forschung weiter konsequent untereinander zu verbinden […]“ (Munsberg 1993, 44 f).

Im wesentlichen führt allerdings nicht die „Ignorierung“ mündlicher Fachtexte, sondern die Beschränkung auf handhabbare Gegenstände (Übersichtlichkeit des Gegenstandsbereich einer Typologie) sowie die Orientierung an dem einen oder anderen Textbegriff dazu, daß in Arbeiten zu Fachtextsorten bzw. auch zu Gebrauchstextsorten mündliche (und insbesondere dialogische) Texte ausgespart oder nur exemplarisch in die jeweilige Untersuchung einbezogen werden. S. Göpferich (1995, 121) z. B. klammert aufgrund „erhebliche[r] prinzipielle[r] Unterschiede“ zwischen den so bezeichneten Textarten „mündliche und verschriftlichte mündliche Kommunikation“ aus ihrer Untersuchung aus; sie plädiert für eine „getrennte Typologisierung von mündlicher und schriftlicher Kommunikation“. ⫺ R. Gläser (1990, 19) bezieht ihre „Definition des Fachtextes und des ihm zugrundeliegenden Bildungsmusters in erster Linie auf die schriftliche Kommunikation“, sieht sie aber „unter Berücksichtigung des Sprecherrollenwechsels auch auf längere monologische Darstellungen der mündlichen Fachkommunikation anwendbar“. Entsprechend werden einige mündliche Texte der fachinternen und fachexternen Kommunikation berücksichtigt (Gläser 1990, 257 ff).

E. Rolf (1993, 133 f) weist darauf hin, daß der von ihm gewählte Textsortenbegriff „weit genug“ ist, „auch solche Textsorten wie z. B. (Begrüßungs-)Ansprachen und Reden mitzuerfassen, die primär in mündlicher […] Realisationsform vorkommen.“ Er stellt dazu fest: „Gesprächsarten allerdings, d. h. konstitutiv dialogische Verwendungsformen von Sprache […] sind unberücksichtigt geblieben“. Auf die Frage „Sind Gespräche als Textsorten aufzufassen?“ geht er ausführlich ein (vgl. Rolf 1993, 27 ff). Auf der Basis des von ihm zugrundegelegten engen Textbegriffs werden „Gespräche“ und „Dialoge“ schließlich nicht als Texte aufgefaßt: „Gespräche etc. weisen zwar textuelle Eigenschaften auf, sie sind jedoch keine (als solche) intendierten Texte; zumindest sind sie keine Handlungsmittel. Gespräche könnten stattdessen als Kommunikationsarten […] oder als Kommunikationsformen […] bezeichnet werden.“ (Rolf 1993, 31).

Unter Bezugnahme auf die Ausführungen unter 3.1., nach der referentialisierbare Medienangebote ganz unterschiedlichen Typs als Kommunikatbasen (Texte) gelten können, läßt sich die Ausgrenzung von mündlichen Medienangeboten nur unter Praktikabilitätsgesichtspunkten (Erstellung einer homogenen Typologie für Fachtexte) legitimieren. Für eine getrennte Typologisierung (vgl. Göpferich 1995; vgl. auch Franke 1987) spricht, daß die Forschungslage zu Fragen der Klassifikation bzw. Typologisierung von Gesprächsgattungen (resp. Gesprächssorten) gänzlich unübersichtlich ist. Wie für die (in den einschlägigen Arbeiten bevorzugt an schriftlichen Kommunikatbasen orientierten) Untersuchungen zu Fachtext- und Gebrauchstextsorten, werden mit Blick auf die Erstellung einer Dialog-Typologie Effekte von generellen Kommunikationstypologien einerseits und Ausschnittstypologien andererseits kontrovers diskutiert. Zum Ansatz einer umfassenden Kommunikationstypologie, in deren Rahmen eine Redekonstellationstypologie entwickelt wurde, sei auf das „Freiburger Modell“ (Steger 1971) verwiesen. Für sich daran anschließende Darstellungen zur einheitlichen Erfassung gebrauchssprachlicher Textsorten (monologischer Textsorten und dialogischer Gesprächsformen) seien stellvertretend genannt: Sandig (1972), sowie die Ausführungen aus Henne/ Rehbock (1982) zu „Gesprächsbereichen“ und „Gesprächsgattungen“, die im „Handbuch der Dialoganalyse“ (Fritz/Hundsnurscher 1994) den zentralen Argumentationsstand ausmachen.

Zu Detailfragen einer Dialog-Typologie sei auf den Forschungsbericht von F. Hundsnurscher (1994) hingewiesen, in dem maximalisti-

45. Fachtextsorten und andere Textklassen

sche und minimalistische Typologisierungsvorschläge aus Phänomenologie sowie Sprach- und Literaturwissenschaft ausführlich vorgestellt werden. Hingewiesen sei ebenfalls auf die bereits erwähnten Typologisierungsvorschläge aus Franke (1987) sowie die Diskurstypologisierung aus Munsberg (1993, insbes. 282⫺302).

3.4. Eine besondere Brisanz gewinnt das Verhältnis von Fachtextsorten und anderen Textklassen (vor allem) angesichts neuerer Medienangebote. Bei der Einordnung von Gegebenheiten massenmedialer Kommunikation ergeben sich Überschneidungen mit sämtlichen vorstehend (3.1. bis 3.3.) angesprochenen Aspekten. Der alltägliche wie jeder professionelle Umgang mit Medienangeboten „ist geprägt vom vielfältigen Gebrauch von Gattungsbezeichnungen“ (Krimi, Talkshow, Spielfilm, Magazin etc.): „Verlage offerieren ihre Produkte unter Gattungsbezeichnungen wie Roman, Sachbuch, Reiseführer usw.“, „Literaturwissenschaftler haben seit langem ein ganzes Arsenal von Gattungsbezeichnungen entwickelt“ (vgl. Schmidt 1994, 164 f). S. J. Schmidt hat mit der Thematisierung von Massenmedien und deren Gattungen im Vergleich zu früheren Arbeiten den Untersuchungsgegenstand erheblich ausgeweitet. Die vorgestellten Hypothesen zu einer konstruktivistisch orientierten Mediengattungstheorie können hier nur knapp erfaßt werden. Den Ausdruck Gattung verwendet S. J. Schmidt (1994, 130) wie Textsorte. Gattungswissen (resp. Textsortenwissen) gehört „zum kollektiven kulturellen Wissen einer gesellschaftlichen Gruppe“; dies Wissen ist im Falle literarischer Gattungen (Roman, Tragödie, Satire u. a. m.) „assoziiert mit exemplarischen Werken und Autoren“ (182). Die „Subjektivität und Flexibilität von Bezeichnungen für Medienangebote stört auf der kommunikativen Ebene“ nicht; „ja, die Kommunikation über Medienangebote klappt wohl gerade deshalb, weil keiner der Betroffenen sein Schemawissen und seine Gattungsbezeichnungen definiert (noch definieren kann?)“ (188). Gattungskonzepte werden „als teilweise offene, lockere Konzepte“ bestimmt, „deren intersubjektiver Kern durch prototypische und intertextuelle Familienähnlichkeiten und ,common ancestry‘ pragmatisch hinreichend bestimmt ist“ (Schmidt 1994, 182 ff).

Es geht angesichts fiktionaler Medienangebote, aber auch „(pseudo-)live übertragener Game Shows“ u. a. m. nach S. J. Schmidt (1994, 297) im wesentlichen „nicht um die Ausweitung von referentiellen Kommunika-

465 tionsräumen, sondern um neu strukturierte Erfahrungsmöglichkeiten (was technische Entwicklungen wie Cyberspace, Videospiele oder HDTV medientheoretisch interessant macht), aber auch um gattungsbezogene Grenzverschiebungen und Paradoxierungen, wie sie in interessanten Werbespots oder sogenannten Dokumentarfiktionen vorliegen […]“. Die im Rahmen des empirischen Projekts zur „Mediengattungstheorie“ im Sonderforschungsbereich 240 an der Universität Siegen für den Bereich Fernsehen durchgeführten Untersuchungen haben verschiedene Ergebnisse zum Zusammenhang von Gattungsbezeichnungen und Gattungskonzepten erbracht. Im Erhebungszeitraum (1986 bis 1990) kommen in der öffentlichen Kommunikation über Fernsehen (speziell in der Programm-Presse) „ca. 2500 verschiedene Bezeichnungen für Sendetypen und Sendeformen des Fernsehens vor“; verwendet und genannt werden dagegen von Fernseh-Zuschauern „in der privaten Kommunikation nur insgesamt etwa 500 verschiedene Bezeichnungen, von denen wiederum nur ungefähr die Hälfte auch in der Programmpresse Verwendung findet“. Die andere Hälfte „setzt sich aus subjektiven Neologismen bzw. Kennzeichnungen zusammen“. Die am häufigsten genannten Gattungsbezeichnungen sind: Nachrichten, Spielfilm, Sportsendung, Unterhaltungssendung, Musiksendung (vor Serien, Krimis, Talkshows, Reportagen, Tiersendungen usw.)“. Kernbezeichnungen wie Bericht, Dokument(ation), Magazin, Reportage, Nachricht, Gespräch, Show, Quiz, Spiel, Film, Konzert, Thriller“ werden „meist spezifiziert“: Seniorenmagazin, Eurovisionssendung u. a. m. (vgl. Schmidt 1994, 186f).

Die Analyse von „Gattungs- und Klassifikationssystemen erwachsener Fernsehzuschauer“ hat ergeben, daß „gegenwärtig“ verschiedene „Cluster voneinander trennscharf unterschieden werden können“. Genannt seien hier lediglich: „Diskussions- und Gesprächsformen (die überraschenderweise nicht primär der Unterhaltungs-, sondern der Informationsseite zugeordnet werden), Nachrichten (ohne Erwartung an Unterhaltung)“ u. a. m. (Schmidt 1994, 188). Nach S. J. Schmidt regeln Gattungsbezeichnungen und Medien-Schemata „Erwartungen und Ansprüche an den Wirklichkeitsbezug referentialisierbarer Medienangebote bzw. an den Grad der Zuverlässigkeit oder Glaubwürdigkeit von Kommentatoren in bezug auf die Verwendung des jeweiligen Medien-Schemas“. Die für jede Gesellschaft „entscheidende Frage, und zwar in Politik,

466

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung usw.“ ist die ontologische Frage „nach der Wirklichkeit“ (Schmidt 1994, 180). Im Rahmen der vorausgesetzten Erkenntnistheorie wird Wirklichkeit verstanden „als das in einer Gesellschaft verbindlich gewordene Modell für Wirklichkeit, auf das alle Mitglieder einer Gesellschaft verpflichtet sind“: „Denn jedes soziale System muß aus Gründen der Bestandserhaltung daran interessiert sein, daß seine Wirklichkeitskonstruktion(en) und die Bezüge von Aussagen und Handlungen auf diese Konstruktion(en) überschaubar, von den Mitgliedern des Systems nachvollziehbar und vom System einklagbar sind und bleiben.“ (Schmidt 1994, 180).

4.

Schlußbemerkungen

Fachtextsorten und andere Textklassen werden hier als Invarianzbildungen mit intersubjektiver Geltung erfaßt. Als Wirklichkeitskonstruktionen finden sie ihren Ausdruck in Bezeichnungen, durch die das jeweilige Nutzungsverhalten bereits in eine bestimmte Richtung gelenkt wird (Aufbau einschlägiger Erwartungserwartungen im Sinne der Konventionen nach Schmidt 1991). Kognitiv gesehen kommt (traditionell so gefaßten) Textsorten wie auch Medien-„Gattungen“ ein Status als Schemata zur Bewältigung unterschiedlicher kommunikationsbedingter Bedürfnislagen zu. Für jeweilige Kommunikationsbereiche braucht dabei nicht von strikt-klassifikatorischen Vorstellungen ausgegangen zu werden. Im Rahmen wissenschaftlicher Bemühungen ist es aber unabdingbar, klare Abgrenzungen des Geltungsbereichs der jeweiligen Typologie zumindest anzustreben; die Rede von Übergängen und Überschneidungen in den Erscheinungen ist nichtssagend, belanglos und unfruchtbar, wenn ihr nicht die „Anstrengung des Begriffs“ vorausgegangen ist: Auf Individuenebene (Textexemplare) vermerkbare, z. B. qua Innovationen zustandekommende, Abweichungen von kanonisierten Textsorten-Besonderheiten werden erst auf der Folie der in anderen Texten (hier: Arbeiten zu Textsortenproblemen) exteriorisierten Erkenntnisse faßbar und benennbar, indem aus jeweiliger theoretischer Perspektive klassifiziert bzw. typologisiert wird. Bereits angesichts der Vielfalt von Texten resp. Kommunikatbasen, welche insbesondere von nichtprofessionellen Verarbeitern produziert werden, fällt es schwer, selbst ei-

nen detaillierten Bereich fachlichen kommunikativen Handelns überschaubar zu halten. Zudem gibt es gravierende Unterschiede im Fachlichkeitsniveau zwischen den einerseits als geistes- und/oder sozialwissenschaftlich sowie andererseits als naturwissenschaftlich (technisch sowie auch formalwissenschaftlich) ausgewiesenen Wissenschaftssystemen ⫺ auch was deren Möglichkeit angeht, an alltagsweltliche Erfahrungen (Alltagswissen) rückgebunden werden zu können. Im Sinne der Reduktion von Komplexität ist es daher durchaus legitim, wenn ⫺ in Orientierung an eine einzelne Fachtextsorte bzw. an ein größeres Spektrum aus dem Bereich fachlicher Kommunikation ⫺ Gegebenheiten der Außendifferenzierung (Grenzbildungen zu benachbarten Texten) nicht exhaustiv mitbedacht werden. Angesichts der Textsortenvielfalt und immer neuer Bedürfnislagen, die Fluktuationen im Textsortenspektrum (auch der fachlichen Kommunikation) schaffen, scheinen zum gegenwärtigen Stand der Fachsprachenforschung weder zu große Einseitigkeiten (bei der Untersuchung jeweiliger Gegenstände), noch vorschnelle Verallgemeinerungen (die ihren Geltungsbereich nicht abschätzen können) angebracht zu sein. Eine Konvergenz theoretischer Auffassungen in diesem Forschungsfeld zu erwarten, ist derzeit und auch für einen überblickbaren Zeitraum aussichtslos ⫺ und nicht einmal besonders wünschenswert. Für notwendig befunden werden muß allerdings, daß im Rahmen kommunizierfähiger Theorieangebote (a) zumindest die jeweiligen Prämissen klargelegt werden und dabei (b) wenigstens in Umrissen ein Einordnungsrahmen vorgestellt wird, der es (aufgrund geeigneter sprachtheoretischer Grundlegung) ermöglicht, Nachbarschaftsbeziehungen zu Texten (auch) ganz anderer Textsortenzugehörigkeit in den Blick geraten zu lassen und übergreifende kommunikations- sowie wissenschaftstheoretische Gesichtspunkte miteinander zu vernetzen. Erst dies ermöglicht fachübergreifende Anschlußkommunikationen auch unter interkulturellem Aspekt.

5.

Literatur (in Auswahl)

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468

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

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Werner Wolski, Marburg

46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung 1. 2. 3. 4.

Vom Fachwort zum Fachtext Fachtexte Fachtextsorten Literatur (in Auswahl)

1.

Vom Fachwort zum Fachtext

Bis zum Beginn der 80er Jahre wurde das Fachwort, der Terminus „in der Fachsprachen-Forschung als ein eigenständiges und beherrschendes Phänomen angesehen; ihm hat sich die Disziplin ,Terminologielehre‘ im besonderen gewidmet. In den letzten Jahren allerdings ist dem Terminus ein Gegengewicht erwachsen: Der ,Text‘-Begriff hat dessen Aktualität und durchaus vorhandener Erstrangstellung die Attraktivität abgerungen. Diese Entwicklung ist natürlich nur zu verstehen vor dem wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund, daß die Textlinguistik und Textpragmatik seit Mitte der sechziger

Jahre enorm an Festigkeit und Methodik, Zielvorgaben und analytischer Angemessenheit gewonnen haben und inzwischen viele Bereiche der Sprachforschung beherrschen sowie neue Themenstellungen erschlossen haben“ (Kalverkämper 1987, 64). Das textlinguistische Defizit wurde sehr schnell erkannt: „Über wenig Gebiete in der Fachsprachenforschung ist so viel formal Aufmunterndes (L. Hoffmann 1976, 339, auffälliger noch Kalverkämper 1980, L. Hoffmann 1982, Andrä 1982) und gleichzeitig so wenig substantiell Inhaltliches geschrieben worden, wie über die fachliche Textstruktur. Andererseits ist die auffällige Strukturiertheit von Fachtexten auf mehreren Ebenen eine schon vorwissenschaftliche Einsicht“ (von Hahn 1983, 119 f).

Programmatische Forderungen lauteten z. B.: „1. Eine fachsprachliche Textlinguistik, für die es derzeit lediglich erste Ansätze gibt, müßte zum einen die Besonderheiten der Fachsprachen im Vergleich zu anderen Sprachverwendungsbereichen er-

46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung fassen und erklären. Ihr obläge zum anderen die Analyse der Unterschiede zwischen verschiedenen Fachtexten, also die Erstellung einer Typologie fachlicher Textsorten“ (Beier 1982, 15). „3. Sie (die Fachsprachenforschung) muß die isolierte Betrachtung der Elemente einzelner Ebenen der sprachlichen Hierarchie überwinden; die Wortform ist auch in den Fachsprachen Konstituente der Wortverbindung, die Wortverbindung Konstituente des Satzes, der Satz Konstituente des Textes. […] 5. Sie muß ihren Gegenstand, den Fachtext, nicht nur als Summe seiner elementaren Bestandteile bis hin zum Satz, sondern als selbständige gegliederte und strukturierte Ganzheit sehen lernen; es gibt z. B. zur Klärung der Textsortenproblematik kein günstigeres Terrain als das der Fachsprachen. 6. Sie muß den Fachtext weniger als Produkt der Wirkung innersprachlicher Gesetzmäßigkeiten, sondern zunächst einmal als Mitteilung in einer außersprachlichen, gesellschaftlich bedingten Arbeitssituation betrachten; nur so lassen sich sein Inhalt und seine Funktion, der Zusammenhang zwischen fachlicher und sprachlicher Tätigkeit erfassen“ (Hoffmann 1988, 26).

Diese Anregungen wurden von der Fachsprachenlinguistik schnell aufgegriffen, und bis zu den Anfängen der 90er Jahre entstand eine Fülle von Arbeiten mit dem Schwergewicht auf Fachtexten und Fachtextsorten. Dabei wird oft übersehen, daß es für ihre Autoren neben dem Einfluß der Textlinguistik als Kind der „kommunikativ-pragmatischen Wende“ noch eine ganz andere, sehr starke Motivation gab: die Bedürfnisse der fachbezogenen Fremdsprachenausbildung, deren erklärtes Ziel die „sprachliche Handlungsfähigkeit im Fach“ (Buhlmann/Fearns 1987, 87⫺ 97) bzw. die hochentwickelte kommunikative Kompetenz in einer oder mehreren Fachsprachen ist. Wie schon so oft bei der Rezeption linguistischer Theorien und Erkenntnisse durch die Fremdsprachendidaktik hatten auch in diesem Falle allgemeine, hochabstrakte Kommunikations- und Textmodelle, insbesondere die vom Satz auf den Text ausgedehnten generativen Regelsysteme, keine Chance in der Praxis der Fachsprachenausbildung. Es kam vielmehr zu einer Auswahl, Umprägung und Anpassung der Hypothesen, Prinzipien und Methoden der Textlinguistik und zur Entwicklung eigenständiger Beschreibungsformen, die nicht nur an wenigen Beispielen, sondern an umfangreichen Text(sorten)korpora erprobt wurden. Anfangs überwogen bei den einen die textinternen (strukturellen) (Hoffmann 1988, 122⫺130), bei den anderen die textexternen (funktionellen) Merkmale (Gläser 1979; Möhn/Pelka 1984) fachlicher Textualität bzw. textueller

469

Fachlichkeit. Allmählich aber kam es zu einer Annäherung und wechselseitigen Ergänzung, die allerdings vorläufig den Namen Synthese noch nicht verdient (Weise 1983; Satzger 1988; Peters 1990; Rust 1990). Nahe daran liegt das Konzept einer „integrativen Fachtextlinguistik“ (Baumann 1992) bzw. eines „integrativen Analysemodus“ (Gläser 1990). Im folgenden wird eine Konzeption vorgestellt, an der die Ausgangspositionen und die Beschreibungsergebnisse fachtextlinguistischer Untersuchungen deutlich werden und die mit dem Namen der Leipziger Schule verbunden ist. Sie will keine Fachtexttheorie sein und erhebt keinen Anspruch auf allgemeine Akzeptanz, sondern fordert zu weiterer Erprobung und Bearbeitung heraus (Hoffmann 1987; 1990 a).

2.

Fachtexte

2.1. Textlinguistik und Fachtextlinguistik Die Fachsprachenforschung hat ganz unterschiedliche texttheoretische Ansätze (Kalverkämper 1981) mehr oder weniger kritisch verarbeitet und praktisch erprobt. In ihren Publikationen begegnen Namen wie E. Agricola, J. L. Austin, R. de Beaugrande, V. A. Buchbinder, K. Brinker, E. Coseriu, F. Danesˇ, T. A. van Dijk, W. Dressler, J. R. Firth, I. R. Gal’perin, G. Graustein, E. U. Große, E. Gülich, M. A. K. Halliday, P. Hartmann, R. Harweg, H. Henne, H. Isenberg, F. Lux, M. Metzeltin, O. I. Moskal’skaja, Chr. Nord, J. S. Petöfi, K. L. Pike, W. Raible, H. Rehbock, I. Rosengren, B. Sandig, S. J. Schmidt, J. R. Searle, I. P. Sevbo, W. D. Stempel, B. Techtmeier, D. Viehweger, Z. Wawrzyniak, H. Weinrich, E. Werlich, D. Wunderlich, G. A. Zolotova u. a. Keine der Theorien, die von der einfachen Transphrastik bis zum anspruchsvolleren Generativismus reichen, ist in toto übernommen worden. Die gegenwärtige Fachtextlinguistik besteht eher aus einer Reihe vom Versatzstücken, die je nach konkreter Aufgabenstellung ausgetauscht oder auch weggelassen werden können. Schon die Definitionen für Grundkategorien lassen einen durch Anwendungsaspekte erzwungenen Eklektizismus erkennen, in dem sich strukturelle und funktionelle, textinterne und textexterne, systemorientierte und handlungsbezogene Aspekte verbinden, z. B. „Der Text ist eine thematisch relativ geschlossene, gegliederte, strukturierte und in sich kohärente komplexe sprachliche Einheit, die im Rahmen so-

470

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

zialer Handlungszusammenhänge eine oder mehrere kommunikative Funktionen zu erfüllen hat“ (Hoffmann 1990 a, 6).

In dieser Definition werden bewußt Vereinfachungen hingenommen. Im Vordergrund stehen Merkmale, die sich durch lehr- und lernbare sprachliche Mittel belegen und in Lehrmaterialien gut präsentieren lassen: „Thematisch relativ geschlossen“ heißt: Im Text wird ein Hauptthema mehr oder weniger ausführlich abgehandelt. Im Begriff des Themas sind hier Referenz- bzw. Denotatsbezug, Themenentfaltung und lexikalisch-semantisches Teilsystem (Wortfelder/Sachgruppen) integriert. „Gegliedert“ heißt: Der Text besteht aus Teiltexten, zwischen denen hierarchische und/oder assoziative Beziehungen bestehen. Im Begriff der Gliederung ist die Unterscheidung von Makro-, Mikround Superstrukturen aufgehoben; zur Dominante werden dabei die letzteren wegen ihrer Textsortengebundenheit. „Strukturiert“ heißt: Die Elemente der sprachlichen Ebenen (Syntax, Lexik, Morphologie) gehen als Konstituenten des Textes geordnete Beziehungen ein. Der Begriff der Struktur hilft in diesem Zusammenhang die systembezogene Ebenentrennung überwinden, betont die Interdependenz von Satz, Wort(form) und Formativ im Text. „In sich kohärent“ heißt: Zwischen den Textthemen (Äußerungen; Sätzen) des Textes bestehen pragmatisch begründete, semantisch abgebildete und syntaktisch organisierte Abhängigkeitsbeziehungen, die seinen inneren Zusammenhalt und bis zu einem gewissen Grade auch seinen Sinn gewährleisten. Der Begriff der Kohärenz wird bei der Didaktisierung gewöhnlich sehr schnell durch den der Kohäsion ersetzt, weil deren Realisierung sich an der Textoberfläche direkt beobachten läßt. „Komplex“ heißt: Der Text zeichnet sich durch einen höheren Grad struktureller Organisiertheit aus als der Satz, die Wortverbindung bzw. das Syntagma oder das Wort, und er vermittelt auch entsprechend komplexe Sachverhalte und Bewußtseinsinhalte. Der Begriff der Komplexität soll in diesem Kontext weniger Kompliziertheit als Vollkommenheit suggerieren: Der Text ist die höchste Form der sprachlichen Äußerung. Mit den „sozialen Handlungszusammenhängen“ wird die Grenze zwischen Textinterna und Textexterna überschritten und auf die gegenstandsbezogene Interaktion zwischen den Kommunikationspartnern in konkreten Kommunikationssituationen hingewiesen. Hier liegt der größere Teil der außersprachlichen Ursachen für die Verwendung sprachlicher Mittel im Text. Vervollständigt werden sie durch dessen kommunikative Funktion, die allgemeiner als (deskriptive, instruktive oder direktive) Textfunktion(en) im ganzen (Möhn/Pelka 1984, 45⫺70) oder spezieller als Komplex von Kommunikationsintentionen und Kommunikationsverfahren, z. B. Informieren, Aktivieren, Klären; Beschreiben, Begründen, Be-

weisen, Argumentieren, Erörtern usw. (Schmidt 1981, 28⫺37), gefaßt werden kann.

Aus den Erläuterungen zur Definition ist unschwer zu erkennen, daß sie für ihren Anwendungsbereich eine ganze Reihe recht unterschiedlicher und z. T. einseitig-enger texttheoretischer Konzeptionen miteinander zu verbinden sucht: die Transphrastik mit ihrer Satzverknüpfungshypothese, ihren Pronominalisierungsketten, ihrer Textpartitur und ihrer Thematischen Progression; die Textsemantik mit ihren Isotopieketten und Propositionskomplexen, insbesondere Makrostrukturen und Text-Thema-Hierarchien; die Textpragmatik mit ihren kommunikativen Textmodellen (vgl. Heinemann/Viehweger 1991, 19⫺ 54). Vernachlässigt wurden zunächst handlungstheoretische, tätigkeitsbezogene und kognitive Aspekte, so daß die zitierte Definition den Text in erster Linie als Produkt, als Ergebnis sprachlicher Tätigkeit(en) erscheinen läßt. Das entspricht weitgehend den Bedürfnissen des Fremdsprachenunterrichts, nicht nur für die Textrezeption, sondern auch für die Textproduktion, die sich an Textmustern als funktional organisierten Sprachmittelkomplexen orientieren will, während die Mechanismen der Textproduktion dem Lernenden nur schwer einsichtig zu machen sind. Unterschiedliche Textmuster lassen sich im Fremdsprachenunterricht leicht von Textsorten herleiten, die der Lernende aus der täglichen Erfahrung der muttersprachlichen Kommunikation kennt, z. B. Wetterbericht, Sportreportage, Beipackzettel, Gebrauchsanweisung, Kochrezept, Filmkritik, Todesanzeige, Märchen, Witz, Geschäftsbrief, Bewerbungsschreiben. Deshalb hat die Fachsprachenforschung sich auch um die feinere Unterscheidung von Textarten, Textklassen und Texttypen nicht weiter gekümmert, sondern sich sofort der Beschreibung von typischen Fachtextsorten zugewandt (vgl. 3.). Einige Vorstellungen der Texttheorie hat die Fachtextlinguistik fast unverändert übernommen. Das sind zunächst einmal die sieben Kriterien der Textualität nach Beaugrande/Dressler (1981, 3⫺11): Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität, Intertextualität; dann das (erweiterte) Modell sprachlicher Kommunikation von Gülich/Raible (1977, 25) mitsamt ihrer Interpretation der ,Makrostruktur‘ als zweite Dimension des Textes, die seine „Textsortenhaftigkeit“ ausmacht. „Nach dieser Konzeption würde ein Text bzw. ein Textganzes aus Teilganzen (im Sinne der Gestalt-

46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung Theorie) bestehen, die als Sinneinheiten eine Funktion im Textganzen haben. Jedes Teilganze würde wieder in hierarchisch niedrigere Teilganze zerfallen können, […] Die Verfasser nennen solche Teilganze ,Teiltexte‘ (Gülich/Raible 1974; 1975). Textsorten wären dadurch zu charakterisieren, daß man die Art, die Abfolge und die Verknüpfung ihrer Teiltexte beschreibt“ (Gülich/Raible 1977, 53).

Und dann wäre da noch Brinkers (1985, 124) Charakterisierung der Textsorte: „Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar eine normierende Wirkung, erleichtern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und Rezeption von Texten geben“,

die zudem eine handlungstheoretische Perspektive in die Fachsprachenforschung hineingetragen hat. Das waren die wichtigsten textlinguistischen Grundpositionen, von denen dann speziellere Untersuchungen an Fachtexten ausgingen, die leider bisher von der Texttheorie kaum zur Kenntnis genommen wurden, obwohl sie zumindest die Möglichkeit böten, dort aufgestellte Hypothesen zu verifizieren und die oft gekünstelten Beispiele durch authentisches Material zu ersetzen. Die Fachtextlinguistik hat ihre Orientierung allerdings nicht allein von der Texttheorie bezogen. Zwar treffen auf den Fachtext alle wesentlichen Merkmale der allgemeinen Textdefinition zu; eine weitere Spezifizierung des Unterbegriffes Fachtext ergibt sich aber erst aus der Definition von Fachsprache(n) und Fachkommunikation. Hier haben vor allem die folgenden Begriffsbestimmungen in der Fachtextlinguistik nachgewirkt: „Fachsprache ist eine funktional-kommunikative Schicht der Sprache oder die Gesamtheit aller Erscheinungen auf den verschiedenen Ebenen der Sprache, die fachlich bedingt sind“ (Schmidt 1969, 18). „Fachsprache ⫺ das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten“ (Hoffmann 1976, 170). „Fächer sind Arbeitskontexte, in denen Gruppen von fachlichen zweckrationalen Handlungen vollzogen werden. Fachsprachen sind demnach sprachliche Handlungen dieses Typs so-

471

wie sprachliche Äußerungen, die konstitutiv oder z. B. kommentierend mit solchen Handlungen in Verbindung stehen“ (von Hahn 1983, 65). „Wir verstehen unter Fachsprachen heute die Variante der Gesamtsprache, die der Erkenntnis und begrifflichen Bestimmung fachspezifischer Gegenstände sowie der Verständigung über sie dient und damit den spezifischen kommunikativen Bedürfnissen im Fach allgemein Rechnung trägt. Fachsprache ist primär an Fachleute gebunden, doch können an ihr auch fachlich Interessierte teilhaben. Entsprechend der Vielzahl der Fächer, die man mehr oder weniger exakt unterscheiden kann, ist die Variante ,Fachsprache‘ in zahlreichen mehr oder weniger exakt abgrenzbaren Erscheinungsformen realisiert, die als Fachsprachen bezeichnet sind. Je nach fachlich bestimmter Situation werden sie schriftlich oder mündlich gebraucht, sowohl innerhalb der Fächer (fachintern) als auch zwischen den Fächern (interfachlich)“ (Möhn/Pelka 1984, 26). „Fachkommunikation ist die von außen oder von innen motivierte bzw. stimulierte, auf fachliche Ereignisse oder Ereignisfolgen gerichtete Exteriorisierung und Interiorisierung von Kenntnissystemen und kognitiven Prozessen, die zur Veränderung der Kenntnissysteme beim einzelnen Fachmann und in ganzen Gemeinschaften von Fachleuten führen“ (Hoffmann 1993, 614).

Die für das Wesen einer Fachsprache und eines Fachtextes relevanten Schlüsselwörter in diesen nur teilweise übereinstimmenden Definitionen sind: Gesamtheit aller sprachlichen Erscheinungen bzw. Mittel; funktional-kommunikative Schicht bzw. Variante der Gesamtsprache; fachlich begrenzbarer Kommunikationsbereich bzw. Arbeitskontext bzw. fachlich bestimmte Situation; fachliche und sprachliche Handlungen; Erkenntnis und begriffliche Bestimmung fachspezifischer Gegenstände sowie Verständigung über sie bzw. Exteriorisierung und Interiorisierung von Kenntnissystemen und kognitiven Prozessen; Fachleute und fachlich Interessierte; Vielzahl der Fächer und Erscheinungsformen von Fachsprache(n). Sie haben, wenn auch nicht immer explizit, Eingang in die folgenden mehrfach modifizierten Fachtextdefinitionen gefunden: „Als Ergebnis einer kommunikativen Handlung ist der Fachtext eine zusammenhängende, sachlogisch gegliederte und abgeschlossene komplexe sprachliche Äußerung, die einen tätigkeitsspezifischen Sachverhalt widerspiegelt, situativ adäquate sprachliche Mittel verwendet und durch visuelle Mittel, wie Symbole, Formeln, Gleichungen, Graphika und Abbildungen ergänzt sein kann“ (Gläser 1990, 18). „Der Fachtext ist Instrument bzw. Resultat der im Zusammenhang mit einer spezialisierten gesellschaftlich-produktiven Tätigkeit ausgeübten sprachlich-kommunikativen Tätigkeit. Er bildet

472

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

eine strukturell-funktionale Einheit (Ganzheit) und besteht aus einer endlichen, geordneten Menge pragmatisch, semantisch und syntaktisch kohärenter (Sprachhandlungen, Äußerungen oder) Sätze (Texteme) oder satzwertiger Einheiten, die als komplexe sprachliche Zeichen komplexen Aussagen im Bewußtsein des Menschen und komplexen Sachverhalten in der objektiven Realität entsprechen“ (Hoffmann 1987, 93; 1990 a, 6).

Die erste Definition stellt den Text als Ergebnis, also den statischen Aspekt, in den Vordergrund und ist durch ihre funktionalstilistische bzw. kommunikativ-funktionale Herkunft markiert (vgl. Art. 16). Die zweite versucht, Systemaspekt und Tätigkeitsaspekt miteinander zu verbinden, strukturelle und funktionelle Merkmale zueinander in Beziehung zu setzen und den Fachtext-Begriff zu dynamisieren; sie ist der Lehre von den Subsprachen verpflichtet (vgl. Art. 15). Beide Richtungen haben die Arbeit der Leipziger Schule auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Maße geprägt. In neuester Zeit ist die in der Definition von Fachkommunikation zu erkennende kognitive Sicht hinzugekommen. Will man den Fachtext in ein Kommunikationsmodell einbetten, das stärker auf den Fremdsprachenunterricht zugeschnitten ist, so eignet sich dafür ein für Deutsch als Fremdsprache bestimmtes Schema (Schröder 1988, 47). Dieses Schema ist für seinen Autor die Grundlage zur Beschreibung der Bedeutung und Funktionsweise eines Textes auf vier Analyseebenen: I. Ebene der extralinguistischen und pragmatischen Faktoren (hauptsächlich Autor, Leser und Kommunikationsgefüge) II. Ebene der Textgroßstruktur (hauptsächlich Gliederung, Informationskern, Intention, Präsuppositionen) III. Ebene der Makrostruktur: Abschnitt (Darstellungsart, sonst wie II., aber auch semantische und rhetorische Aspekte) IV. Ebene der Mikrostruktur: Absatz (wie II. und III., aber auch Textablaufschemata und sprachliche Mittel) (Schröder 1988, 46). Ein Verfahren zur detaillierten Analyse, Beschreibung und Klassifizierung von Fachtext(sort)en wird in den folgenden Abschnitten vorgestellt (Hoffmann 1987; 1988, 122⫺175; 1990 a). Es wurde 1983 unter der Bezeichnung kumulative Textanalyse eingeführt und später zur integrativen Textlinguistik weiterentwickelt (Baumann 1992).

2.2. Strukturelle Beschreibung von Fachtexten (textinterne Merkmale) „Unter kumulativer Textanalyse verstehen wir die Integration aller wichtigen distinktiven Merkmale auf den einzelnen Ebenen der sprachlichen Hierarchie in absteigender Richtung von den Makrostrukturen und Vertextungsmitteln über die Syntax und Lexik bis zu den grammatischen Kategorien und den sie repräsentierenden Morphemen. So entsteht für jeden Fachtext eine strukturelle (linguistische) und daneben eine funktionelle (kommunikative) Matrix. Beide Matrizen bilden die synoptische Basis für Textvergleiche, aus denen die Textklassifizierung hervorgeht“ (Hoffmann 1987, 96). Die wichtigsten strukturellen (textinternen) Merkmale sind in Abb. 46.1 enthalten. Die Makrostruktur erscheint zunächst als lineare Folge von Teiltexten. Die in Abb. 46.1 angeführte Symbolreihe steht für das Beispiel Lexikonartikel, wo gewöhnlich der Definition (D) wesentliche Merkmale (M1 … 3) und weitere Angaben folgen. Die Makrostruktur läßt sich auch als Baumgraph darstellen, um die hierarchischen Beziehungen zwischen den Teiltexten zu zeigen (Abb. 46.2). Bisher fehlt allerdings noch ein endliches Inventar von Teiltext(art)en mit einheitlichen Benennungen, aus dem sich jede Art von Fachtext aufbauen läßt. Die bekannten Ansätze sind immer an bestimmte Fachtextsorten gebunden. Vergleiche beziehen sich also vor allem auf das Vorhandensein bestimmter Teiltexte und ihre Reihenfolge im Gesamttext. In Fachtexten basiert die Kohärenz auf fachlichen, also außersprachlichen Zusammenhängen zwischen Gegenständen oder Begriffen und in natürlichen, technischen oder wissenschaftlichen Vorgängen (pragmatische Kohärenz). Diese Zusammenhänge werden im Text zunächst als lexikalisch-semantische Kohärenz, d. h. in sogenannten Isotopie- oder Nominationsketten bzw. -strängen sichtbar. Nach der meist terminologischen Erstnennung (Primärnomination) können Wiederaufnahmen (Sekundärnominationen) in unterschiedlicher Gestalt erfolgen. Für Fachtexte gilt die von der Schulstilistik verpönte direkte oder gekürzte Wiederholung als besonders typisch. Sie hilft variationsbedingte Unsicherheiten im Denotatsbezug vermeiden, die auch beim Gebrauch von Pronomen entstehen können. Die syntaktische Kohärenz sorgt durch die Herstellung syntagmatischer Relationen zwischen den Textemen (Sätzen) für einen zusätzlichen inneren Zusammenhalt

473

46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung

1. Makrostruktur

TT 1 ⫹ D⫹

TT 2 ⫹ M1 ⫹

2. Kohärenz 2.1. semantische (Isotopie) Wiederholung ⫹ 2.2. syntaktische Typ I (Thematische Progression) ⫺ 2.3. Konnektoren additive (Konjunktionen) ⫺ … 3. Syntax 3.1. Funktionale Satzperspektive 3.2. Satztyp

TT 4 ⫹ M3 ⫹

Synonymie ⫺ Typ II

Metapher ⫺ Typ III

⫹ kausale ⫺

⫺ konditionale ⫺

3.4. Subjektgruppe

⫺ Aussagesatz ⫹ Substantiv

3.5. Prädikatgruppe

⫹ Verb

Typ II Typ III ⫺ ⫹ Einfacher erweiterter Satz ⫹ Aufforderungssatz ⫺ Substantiv ⫹ Adjektiv ⫹ Nomen





3.3. Satzart

4. Lexik 4.1. Herkunft 4.2. Struktur

Typ I ⫺ Einfacher Satz

TT 3 ⫹ M2 ⫹

Originalwort ⫹ Simplex ⫺

5. Grammatische Kategorien 5.1. Verb 5.1.1. Modus Indikativ ⫹ 5.1.2. Genus Aktiv ⫹ 5.1.3. Tempus Präsens ⫹ 5.1.4. Person 1. Person ⫺ 5.2. Substantiv … usw.

TT 5 ⫹ E⫹

TT 6 ⫹ F⫹

TT 7 ⫹ L⫹

Paraphrase ⫺

Proformen ⫺

konzessive ⫺

finale ⫺

Typ IV ⫺ Gefüge

Typ V Typ VI ⫺ ⫺ Verbindung

⫺ ⫺ FrageAusrufesatz satz ⫺ ⫺ Substantiv ⫹ usw. Substantiv ⫺ ⫺ Verb ⫹ Verb ⫹ Objekt Adverb ⫹ ⫺

Lehnwort ⫹ Derivat ⫺

Lehnübersetzung ⫺ Kompositum ⫹

Konjunktiv ⫺ Passiv ⫺ Präteritum ⫺ 2. Person ⫺

Imperativ ⫺ Reflexiv ⫺ Futur ⫺ 3. Person ⫹

Hybride ⫺ Wortgruppe ⫹

TT ⫽ Teiltext; D ⫽ Definition; M1…3 ⫽ Merkmale 1 bis 3; E ⫽ Entstehungsgeschichte; F ⫽ Funktion; L ⫽ Literatur; ⫹ ⫽ häufig; ⫺ ⫽ selten bis ungebräuchlich Abb. 46.1: Strukturelle Matrix (Textsorte: Lexikonartikel)

im Text und läßt sich in den Kategorien der Thematischen Progression beschreiben. Auf dieser Ebene wurde in einigen Untersuchungen, je nach der Position von Thema und Rhema, mit drei Haupttypen (Danesˇ 1974, 106⫺128) und ihren Kombinationen gearbei-

tet. Konnektoren wie die Konjunktionen denn, wenn … dann usw., aber auch Satzadverbien wie hier, im folgenden usw. sind weitere wichtige Bindemittel. Auf der Ebene der Syntax können die Funktionale Satzperspektive bzw. Aktuelle

474

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten 0. Stichwort (Produkt)

1. Definition

1.1. Merkmal 1 (z.B. Form)

2. Entstehungsgeschichte

1.2. Merkmal 2 (z.B. Farbe)

3. Funktion

1.3. Merkmal 3 (z.B. Größe)

3.1. Ursprüngliche Funktion

4. Literatur

3.2. Jetzige Funktion

Abb. 46.2: Makrostruktur eines Lexikonartikels

Satzgliederung mit ihren Typen (6 nach Raspopov 1961; Kovtunova 1976) und den sich daraus ergebenden Permutationen der Satzgliedfolge, die Satztypen, die Satzarten, die Konstituentenstrukturen der Subjekt- und Prädikatgruppen und weitere syntaktische Phänomene, z. B. Valenz und Distribution der Verben, zu Fachtext(sorten)merkmalen werden (vgl. Art. 41). Herkunft der Lexik und Arten der Wortbzw. Terminusbildung tragen ebenfalls zur Gesamtcharakteristik von Fachtexten bei; man denke nur an die Wortbildungselemente griechischer und lateinischer Herkunft im Rahmen der Konfigierung. Von textlinguistischer Relevanz sind schließlich auch bestimmte grammatische Kategorien, insbesondere die des Verbs und des Substantivs (vgl. Art. 41). Ingesamt gesehen enthält die Matrix, die nach unten und nach der rechten Seite offen bleibt, ein systematisiertes Inventar an möglichen Merkmalen für die Beschreibung von Fachtexten, das nicht bei jedem Textexemplar voll zur Geltung kommen und zur Einordnung in eine ganz bestimmte Textsorte führen muß. Zu betonen ist ferner, daß sich die kumulative Textanalyse nicht damit begnügt, das Auftreten der genannten Merkmale überhaupt zu registrieren, sondern Wert darauf legt, sie zu lokalisieren und so ihre Vertextungs- bzw. Gliederungsfunktion deutlich zu machen. Erst dann läßt sich z. B. die Verwendung einer lexikalischen Einheit aus ihrer Rolle in Thema oder Rhema, die Funktionale Satzperspektive aus der Thematischen Progression und die Thematische Progression aus der Makrostruktur ableiten und die bisherige isolierte Betrachtung sprachlicher Phänomene in der Fachsprachenforschung überwinden.

2.3. Funktionelle Beschreibung von Fachtexten (textexterne Merkmale) Während die strukturellen (textinternen) Merkmale vor allem der Beschreibung von Fachtext(sort)en dienen und wegen ihrer unmittelbaren Bindung an sprachliche Kategorien und Formative in der Fremdsprachenausbildung, insbesondere bei der Entwicklung der sogenannten textuellen Kompetenz und der Abfassung authentischer Texte eine große Rolle spielen, liefern die funktionellen (textexternen) Merkmale ein Erklärungspotential für ihre bewußte Auswahl und Verwendung. Ein Problem dabei bleibt die (ein)eindeutige Zuordnung von sprachlichen Mitteln und außersprachlichen Faktoren. In der funktionellen Matrix geht es erst einmal darum, die wichtigsten außersprachlichen (textexternen) Faktoren in einer einfachen Systematik zu erfassen, um auch sie zur Analyse, Beschreibung und Klassifizierung von Fachtext(sort)en heranziehen zu können. Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, daß am Ende zur Unterscheidung von Textsorten einige wesentliche textinterne und textexterne Merkmale ausreichen. Der breitere Ansatz sollte nur verhindern, daß Wesentliches übersehen wird. Einige wichtige funktionelle Merkmale sind in Abb. 46.3 enthalten. Bei den Kommunikationspartnern werden vor allem die Beziehungen zwischen Produzent(en) und Rezipient(en) der unterschiedlichen Fachtextsorten und ihr Verhältnis zum Fach charakterisiert. Hier ergeben sich größere oder auch kleinere Unterschiede zwischen den Kompetenzgraden, den Generationen, Autorengruppen und Einzelautoren. Die Kommunikationsintention ist für die Verfasser von Fachtexten eine wichtige Größe, weil sie sich dieser gewöhnlich stärker bewußt sind als die Verfasser anderer Texte und daraus ihre Kommunikationsstrategie

475

46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung

1. Kommunikationspartner 1.1. Stellung zum Fach Fachmann/Fachmann (fachintern) ⫹ 1.2. Stellung im Fach Gleicher Stand ⫺ 1.3. Generation Ältere/Ältere ⫺ … 1.7. Zahl Einer/Mehrere ⫺ 1.8. Individuelle Sachlich-neutral Besonderheiten ⫹

Fachmann/Fachmann (interfachlich) ⫹ Unterschiedlicher Stand ⫹ Jüngere/Jüngere ⫺

Fachmann/Nichtfachmann (fachextern) ⫹ Ältere/Jüngere ⫹

Mehrere/Mehrere ⫹ Polemisch ⫺

Mehrere/Einer ⫺ Ironisch ⫺

2. Kommunikationsintention

Informieren ⫹

Aktivieren ⫺

Klären ⫺

3. Kommunikationsverfahren

Mitteilen ⫺

Feststellen ⫹

Vergleichen usw. ⫺

Lehre ⫺ Mündlich ⫺ Empfehlungen ⫹

Popularisierung usw. ⫹

4. Kommunikationssituation 4.1. Übergeordnete Forschung Tätigkeit ⫺ 4.2. Medium Schriftlich … ⫹ 4.5. Einschränkungen Normen ⫺

Ungebundenheit ⫺

5. Kommunikationsgegenstand 5.1. Fachgebiet Naturwissenschaft Sozialwissenschaft Technikwissenschaft ⫺ ⫺ ⫺ 5.2. Spezialgebiet Biologie … Soziologie … Maschinenbau … ⫺ ⫺ ⫹ 5.3. Objektklasse Lebewesen … Begriff … Stoff … Maschine … ⫺ ⫺ ⫺ ⫹ …

Produktion ⫹

Abb. 46.3: Funktionelle Matrix (Textsorte: Lexikonartikel)

bis hin zur Wahl der sprachlichen Mittel ableiten. Die Analyse unterschiedlicher Textsorten (vgl. Art. 47⫺62a) zeigt, daß die immer noch verbreitete Ansicht, Fachtexte dienten nur der Informationsübermittlung, irrig ist. Kommunikationsintentionen objektivieren sich in den Textfunktionen, z. B. Beschreibung, Instruktion, Direktive. Die Kommunikationsverfahren dienen einzeln oder kombiniert der Verwirklichung der Kommunikationsintention(en). In Fachtexten besonders häufig sind: Mitteilen, Feststellen (Definieren), Behaupten; Berichten, Beschreiben, Beurteilen, Referieren; Explizieren, Vergleichen (Klassifizieren); Argumentieren, Zusammenfassen, Verallgemeinern, Schlußfolgern; Begründen, Beweisen, Widerlegen; Kommentieren, Empfehlen. Ihnen lassen sich Sprachmittelkomplexe zuordnen.

Die Kommunikationssituation ist für Fachtexte weiter zu fassen, als das in den meisten Kommunikationsmodellen geschieht. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Verhältnis von übergeordneter fachlicher Tätigkeit und sprachlicher Tätigkeit. Bei Fachtexten ergeben sich signifikante Unterschiede je nachdem, ob sie für die Forschung, für die Lehre oder für gewisse Arten der Praxis bestimmt sind. Eine große Rolle spielt hier aber auch die Einhaltung nationaler und internationaler Normen, Standards, Empfehlungen, Verlagsvorgaben u. ä. Der Kommunikationsgegenstand schließlich, angefangen beim engeren Fachgebiet bis hin zur behandelten Klasse von Objekten, prägt dem Fachtext seinen Stempel sehr nachdrücklich auf. Das gilt keinesfalls nur für die Terminologie, sondern für die ganze

476

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Art der Abhandlung von Themen wie „Der Darmverschluß“ oder „Der deutsche Aktienmarkt 1991“ einerseits und „Pilzesammeln will gelernt sein“ oder „Hinweise zur Ersten Hilfe“ andererseits. Eine interessante Frage ist in diesem Zusammenhang, welcher der fünf außersprachlichen Faktorenkomplexe der entscheidende ist. Sie spitzt sich besonders auf die Wechselwirkungen von Kommunikationsintention bzw. Textfunktion und Kommunikationsgegenstand zu. Aus einigen Untersuchungen entsteht der Eindruck, als hätte die Kommunikationsabsicht den größeren Einfluß auf die sprachliche Gestaltung von Textsorten und die einzelnen Kommunikationsgegenstände wären nur Veranlassung zu einer weiteren internen Differenzierung. Andere betonen, daß in bestimmten Kommunikationsbereichen und ihren Textsorten der Kommunikationsgegenstand die entscheidende Rolle spiele. In beiden Fällen kämen die anderen drei nur ergänzend oder modifizierend hinzu. (Weitere Beispiele zu den beiden Matrizen s. Hoffmann 1990 a; ferner Art. 50, 55, 60, 61).

3.

Fachtextsorten

3.1. Unterscheidung nach Konvention und Erfahrung Die Textsortendefinition von Brinker (vgl. 2.1.) läßt sich im wesentlichen auch auf Fachtextsorten anwenden. Notwendig ist allerdings der Zusatz: Fachtextsorten sind eine spezielle Klasse von Textsorten, für deren Produktion und Rezeption zusätzlich zum Alltagswissen noch Fachwissen nötig ist (Hoffmann 1990 a, 11). Nur vereinzelt finden sich Definitionen mit Formulierungen, die einer abgerundeten Konzeption ⫺ so etwa der funktional-kommunikativen ⫺ angepaßt sind, z. B. „Die Fachtextsorte ist ein Bildungsmuster für die geistig-sprachliche Verarbeitung eines tätigkeitsspezifischen Sachverhalts, das in Abhängigkeit vom Spezialisierungsgrad von kommunikativen Normen bestimmt ist, die einzelsprachlich unterschiedlich ausgeprägt sein können. Die für das Textbildungsmuster (Textbauplan, Textablaufschema, Makrostruktur) heutiger Textsorten geltenden Konventionen und Normen sind häufig das Resultat einer historischen Entwicklung“ (Gläser 1990, 29).

Noch seltener werden einzelne Fachtextsorten präzise definiert und damit klar gegenüber anderen abgegrenzt. Weit verbreitet sind

hingegen mehr oder weniger umfangreiche Aufzählungen von Benennungen, die in Wörterbüchern belegt sind und hinter denen sich in der Fachkommunikation verwendete Arten von Texten verbergen (können) (Dimter 1981, 33 f). Die Anordnung und Beschreibung solcher „Textsorten“ ist sehr uneinheitlich, z. B. address, agenda, aide-me´moire, announcement, article, bibliography, blurb, book review, brochure, bulletin, calender, catalogue, certificate, checklist, circular, code of […], colloquium, conference, consultation, contract, conversation, debate, dictionary, directive, directory, discussion, dissertation, encyclopaedia, essay, experimental report, form, forum, gazette, glossary, guidebook, handbook, index, industrial property title, informative report, inquiry, instruction, interview, inventory, invoice, laboratory notebook, leader, leaflet, lecture, letter, letters patent, licence, list, manual, market survey, memorandum, minute, monograph, nomenclature, note, notice, order, pamphlet, paper, patent application, periodical, plan, prescription, procedure narrative, proceedings, production memorandum, pro forma, programme, questionnaire, readings, reference, reference book, register, regulation, rule, schedule, seminar, speech, standard, style sheet, symposium, talk, taxonomy, technical review, tender, testimonial, textbook, thesaurus, thesis, timetable, treatise, viva voce, white paper, yearbook (Sager/Dungworth/McDonald 1980, 147⫺181). Als klassifikatorische Kriterien wechseln hier miteinander ab: Zweck, Inhalt, Form, Umfang, Adressatenkreis, Verwendungssituation u. a. Die Anordnung erfolgt nach dem Alphabet. Eine klarere Abgrenzung mit Hilfe eines einheitlichen Kriterienrasters und der Zuordnung zu drei Arten von Fachkommunikation bringt der folgende Ansatz, dem aber ⫺ trotz Dezimalklassifikation ⫺ eine strenge interne Systematik immer noch abgeht: 5. 5.1. 5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. 5.1.4. 5.1.5. 5.1.6. 5.1.7.

Fachtexte der schriftlichen Kommunikation Fachtextsorten der fachinternen Kommunikation Monographie Wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel Fachbezogener Essay Lexikonartikel Wissenschaftliche Rezension Buchankündigung Abstract

46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung

5.1.7.1. 5.1.7.2.

Konferenzabstract Abstracts wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel 5.1.7.3. Abstract in einem Referateorgan 5.1.8. Lebensläufe von Wissenschaftlern 5.1.9. Wissenschaftlernachruf 5.1.10. Leserbrief in einer Fachzeitschrift 5.2. Fachtextsorten der fachexternen Kommunikation 5.2.1. Didaktisierende Fachtextsorten 5.2.1.1. Lehrbuchtext 5.2.1.1.1. Schullehrbuch 5.2.1.1.2. Hochschullehrbuch 5.2.1.2. Lehrbrief der Open University 5.2.2. Fachtextsorten der Popularisierung 5.2.2.1. Populärwissenschaftliche Zeitschriftenartikel 5.2.2.2. Populärwissenschaftliche Buchbesprechung 5.2.2.3. Sachbuch 5.2.2.4. Aufklärungstext 5.2.2.5. Ratgebertext 5.2.2.6. Schulprospekt 5.3. Fachtextsorten der Konsumtion 5.3.1. Produktbegleitende Texte 5.3.2. Technischer Werbetext 6. Fachtexte der mündlichen Kommunikation 6.2. Fachvorträge 6.2.1. Plenarvorträge auf Konferenzen 6.2.2. Reden von Nobelpreisträgern 6.2.3. Fachbezogene Weiterbildungsvorträge (Gläser 1990, VII⫺VIII) Ein Fortschritt ist auch die beginnende Einbeziehung der mündlichen Fachkommunikation; Lücken sind durch den Forschungsstand bedingt. Bei einigen Textsorten nähert sich deren Charakterisierung einem Definitionsversuch, z. B. „Das Abstract in internationalen Referateorganen ist ein von einer wissenschaftlichen Originalarbeit abgeleiteter Kurztext, der sich durch Inhaltsverdichtung und einen hohen Informationsgrad auszeichnet. Er muß nationalen und internationalen Standards entsprechen“ (Gläser 1990, 126). Gerade an Abstracts ist schon gezeigt worden, welche Wege hier linguistisch und didaktisch weiterführen können (vgl. Fluck 1988). Ganz auf die fachbezogene Fremdsprachenausbildung zugeschnitten ist die Anordnung einer Auswahl relevanter Fachtextsorten im Sinne der textuellen Progression, d. h. der zunehmenden Komplexität: Buchankündigung, Annotation, Referat (Abstract), Rezension, Lexikonartikel, Enzyklopädieartikel, Standard, Fortschrittsbericht, Erfindungsbe-

477

schreibung, Laudatio, Konferenzprogramm, Zeitschriftenaufsatz (Hoffmann 1990 a, 2). Wegen der Stoffbegrenzung in der Fachsprachenausbildung ist hier Vollständigkeit ausgeschlossen, und auch das Prinzip der textuellen Progression läßt sich nicht voll durchhalten. 3.2. Klassifizierung durch Vergleich Die Matrizen in Abb. 46.1 und 46.3 dienen zunächst der Beschreibung einzelner Text(sorten)exemplare, dann aber vor allem dem Vergleich der strukturell und funktionell beschriebenen Texte mit dem Ziel einer Klassifikation, die über intuitives Textsortenwissen hinausgeht. Um zu gesicherten Aussagen über eine hinreichende Menge von Fachtexten zu gelangen, ist es zweckmäßig, sie in Versuchsserien anzuordnen. Die Anordnung geht von der Hypothese aus, daß sich Fachtexte dann zu einer Textsorte zusammenfassen lassen, wenn ihre wesentlichen textinternen und textexternen Merkmale übereinstimmen und sie sich dadurch zugleich deutlich von anderen Textsorten unterscheiden. Diese Hypothese läßt sich durch eine exakte, einheitliche Beschreibung jedes Textexemplars und den Vergleich der Beschreibungen untereinander verifizieren bzw. falsifizieren, wobei Gegenstand des Vergleichs nicht unbedingt alle, sondern die in jedem Text dominierenden Merkmale (⫹) sind. (Die Dominanz wird mit statistischen Methoden bestimmt; vgl. Hoffmann 1988, 153 f). Für einen ersten Vergleich genügt es, wenn jede der Versuchsserien aus 10 Textexemplaren besteht; gewöhnlich ist eine solche Textserie sogar ausreichend, zumindest für Aussagen über Phänomene großer Häufigkeit, die natürlich auch vom Umfang der Texte abhängig ist. Ein komplementärer Vergleich umfaßt die seltenen und fehlenden Merkmale (⫺). Untersuchungen auf dieser Grundlage haben bei Konzentration auf ausgewählte Merkmalkomplexe zu guten Ergebnissen geführt (Böhme 1985; Hafner 1985; Lösche 1985; Wiegand 1985; Fijas 1986; Wehde 1986; Hoffmann 1987; 1988, 131⫺175; 1990a; 1995; Karich 1987; Steinacker 1987; Satzger 1988; Schilling 1988; Lampe 1989; Röder 1989; Peters 1990; Rust 1990; Lee 1992), z. B. für das Russische in den Fachsprachen der Metallurgie, der Elektronik, der Chemie, der Landwirtschaft, der Stomatologie, der Philosophie, der Pädagogik, der Kunstwissenschaften, der Geschichtswissenschaft und der Ökonomie bei den Textsorten Monographie, Wissenschaftli-

478

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

cher Zeitschriftenaufsatz, Lexikonartikel, Referat (Abstract), Rezension, Standard, Bedienungsanleitung, Fortschrittsbericht, Betriebszeitung, aber auch Vorlesung, Seminar und Fernsehdiskussion, wobei einmal die funktionellen, ein andermal die strukturellen Merkmale mehr im Vordergrund standen; weitgehende Übereinstimmung herrscht bei der Analyse und Beschreibung der Makrostrukturen, die für die Textsortenklassifizierung von ganz entscheidender Bedeutung sind, der Isotopiebeziehungen und der Thema-RhemaGliederung; die größten Divergenzen treten bei der Beurteilung der Kommunikationsverfahren auf. Orientiert an einer funktional-kommunikativen Grundkonzeption (Gläser 1990), ohne Matrizen mit statistisch ermittelten dominanten Merkmalen, wohl aber mit einem annähernd einheitlichen Merkmalraster sind auch Fachtextsorten im Englischen beschrieben und miteinander verglichen worden, vor allem für Geistes- und Sozialwissenschaften. Hauptkriterien waren dabei: die situative Einordnung des Fachtextes, die Makrostruktur des Fachtextes, die Darstellungshaltung des Textautors und die Stilqualitäten des Fachtextes. An spezifischen Merkmalen kamen hinzu: Textdeklarationen, Kommunikationsverfahren, Metakommunikation, Nichtverbale Informationsträger/Visueller Kode, Fachwortschatz, Stilmerkmale und Stilfiguren, finite Verbformen, Aktiv- und Passivkonstruktionen, Pronominalformen u. a. Gründlicher untersucht wurden bisher die unter 3.1. an zweiter Stelle genannten Textsorten (Nestmann 1985; Langer 1986; Lauer 1986; Fiedler 1986; Timm 1987; Zerm 1987; Klauser 1987; Gläser 1990; Baumann 1992). Bei einer ganzen Reihe von Untersuchungen zum Russischen und Englischen hat die Einordnung der Textsorten in die vertikale Schichtung der Fachsprachen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Übereinstimmungen bestehen auch bei der Berücksichtigung textexterner Faktoren, bei der Beschreibung der Makrostrukturen, der Lexik und der grammatischen Kategorien. Die Syntax, insbesondere die funktionale Satzperspektive, bot mehr für das Russische. Beim Englischen wurden Metakommunikation, Stilmerkmale und nichtverbale Informationsträger einer genaueren Betrachtung unterzogen. Durch die Definitionen für Fachsprache, Fachkommunikation, Fachtext und Fachtextsorte haben sich beide Forschungsrichtungen gegenseitig bereichert.

Zur bisherigen vergleichenden Analyse von Fachtextsorten sind folgende kritische Anmerkungen zu machen: (1) Nicht alle Textsorten unterscheiden sich gleichermaßen deutlich voneinander. Einige der differentiellen Merkmale, besonders die funktionellen, lassen subjektive Entscheidungen zu. (2) Die Makrostruktur bleibt ein ganz entscheidendes Textsortenmerkmal. Sie wird sowohl durch den Gegenstand des Textes als auch durch seine Funktion geprägt. Dabei ergibt sich aus der Funktion eine erste grobe Klassifizierung (z. B. Prospekt, Verordnung, Bedienungsanleitung), aus dem Gegenstand deren Verfeinerung (z. B. Arzneimittelprospekt, Buchprospekt, Reiseprospekt usw.). Aus der Vielfalt der Gegenstände ergibt sich jedoch nicht nur eine Vielfalt von Makrostrukturen mit signifikanten Unterschieden. Bestimmte Teiltexte kehren in unterschiedlichen Textsorten wieder. Deshalb müssen bisherige Ansätze weiter verfeinert werden. Dabei sind vor allem zwei Probleme zu klären: das der Definition der Teiltexte (einschließlich ihrer Benennungen) und das ihrer Hierarchisierung. (3) Die Kohärenz in Fachtexten ergibt sich in erster Linie aus dem Denotatsbezug. Die pragmatische Kohärenz ist also in allen Fachtextsorten stark. Deutliche Unterschiede zeigen sich jedoch in der semantischen Kohärenz, also vor allem bei der Länge der Isotopieketten und bei der Breite bzw. Dichte der Isotopiestränge. Dabei verhalten sich Termini als Isotopieelemente zuweilen anders als gewöhnliche Substantive, z. B. in ihrem Widerstand gegen Substitutionen. Ungenügend untersucht sind noch lexikalische Feldbildungen innerhalb der Teiltexte. Auch die syntaktische Kohärenz in Gestalt der Thematischen Progression sollte weniger am Textganzen als vielmehr an den Teiltexten und zwischen ihnen beobachtet werden. Da sich die ThemaRhema-Gliederung der Thematischen Progression in der Funktionalen Perspektive der Einzelsätze fortsetzt, sollte auch diese nicht nur in bezug auf die Häufigkeit ihrer Typen, sondern mehr im Hinblick auf deren Position(en) im Text und in seinen Teiltexten analysiert werden. (4) Satztyp und Satzkonstruktion können als Kriterien zur Textsortendifferenzierung dienen, aber nicht isoliert, sondern besser zusammen mit den syntaktischen Konstituenten (Subjekt- und Prädikatgruppen). Die Untersuchung einer größeren Zahl von Textsorten

46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung

wird hier das Bild von der wissenschaftlichen Prosa wesentlich modifizieren. (5) Die Lexik der Fachtexte ist primär determiniert durch den Kommunikationsgegenstand. Dennoch kann auch die Textfunktion ihre Auswahl beeinflussen. So wird die Entscheidung für einen Internationalismus oder für einen bestimmten Komplexitätsgrad der Wortbildung zum Textsortenmerkmal. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, daß in der Übergangszone zwischen Wissenschaft und Praxis oder in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen Fachtermini fremder Herkunft oder hohen Explizitätsgrades grundsätzlich gemieden würden. (6) Einige grammatische Kategorien sind von großem Interesse für die Klassifizierung von Fachtexten. Besondere Beachtung verdienen die Verben. Dabei könnte der Partitur-Gedanke wieder aufgegriffen werden. Wichtiger als die strukturellen Merkmale des Verbs ist jedoch seine funktionelle Potenz: Im Grunde genommen lassen sich Textfunktionen und auch Textsortenfunktionen bis hin zu den Funktionen der Teiltexte weitgehend aus der Semantik und aus der Morphologie der Verben erschließen (z. B. ist X mit Y anzuschließen; ist darauf zu achten, daß […] usw. ⫺ Bedienungsanleitung, d. h. instruktive Funktion). Von hier ist es lediglich ein kleiner Schritt zu dem Vorschlag, das Verb im Sinne der Valenztheorie nicht nur zum dynamischen Kern des Satzes, sondern auch zum wichtigsten konstituierenden Element des Textes zu erklären, weil sich in ihm die Funktion der mehr oder weniger komplexen Aussage sichtbar mit den für sie typischen sprachlichen Mitteln vereint. (7) Während die Stellung der Kommunikationspartner zum Fach und im Fach relativ eindeutig zu fixieren ist, fällt das bei der Identifizierung ihrer Kommunikationsabsichten schwer. Drei Grundintentionen und drei Textfunktionen reichen nicht dazu aus, Fachtexte deutlich voneinander zu unterscheiden, zumal gewöhnlich keine von ihnen allein auftritt. (8) Schwierigkeiten bereitet auch die Charakterisierung von Textsorten durch einzelne Kommunikationsverfahren oder ihre Kombinationen. Neben der scharfen Abgrenzung gegeneinander bleibt die eindeutige Korrelation mit bestimmten sprachlichen Mitteln ein Problem. Außerdem treten in verschiedenen Textsorten ein und dieselben Kommunikationsverfahren auf, ohne daß eine feste Reihenfolge festzustellen wäre.

479

(9) Kommunikations- bzw. Textverwendungssituationen lassen sich zwar mit Kriterien wie Forschung, Lehre, Praxis usw. gut beschreiben, doch ist der Differenzierungsgrad dabei zu gering. (10) Recht deutlich werden die Unterschiede zwischen einzelnen Textexemplaren bei der mehrstufigen Bestimmung des Kommunikationsgegenstandes nach Fachgebiet, Spezialgebiet und Objektklasse. Es ist aber die Frage, ob das etwas mit der Textsorte zu tun hat, weil ja ein und derselbe Gegenstand zum Inhalt unterschiedlicher Textsorten werden kann. (11) Der bisherige Hauptmangel des vorgestellten Verfahrens ist die unzureichende Konsequenz bei der Korrelierung textinterner und textexterner Merkmale, durch die aus einem guten Beschreibungs- auch ein guter Erklärungsansatz werden könnte. In neuerer Zeit werden vor allem zwei Wege beschritten, um das Zusammenwirken der strukturellen und funktionellen Faktoren im Fachtext zu erklären. Der eine führt vom Fachthesaurus zum Fachtext. Hauptuntersuchungsgegenstand wird dabei die Exteriorisierung von Kenntnis- bzw. Begriffssystemen durch die sprachliche Realisierung inner- und vor allem zwischenbegrifflicher Relationen, die über bestimmte primäre und subsidiäre Sprachhandlungstypen und ihre Kombinationen zu bestimmten Fachtextsorten gelangt (Satzger 1988; Hoffmann 1990 b; 1993; Kleine 1992; Wendt 1993). Auf dem anderen werden Komponenten benachbarter linguistischer Disziplinen zu einem integrativen, homogenisierten, strukturell-funktionalen Textbeschreibungsmodell vereint: lexikalische Semantik, Stilistik, Textlinguistik, funktionalkommunikative Sprachbetrachtung, Psycholinguistik und Soziolinguistik (Baumann 1992; 1994). Trotz erster Ergebnisse ist es noch zu früh, die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen zu beurteilen. Eines aber ist schon jetzt klar: Sie gehen mit ihren starken theoretischen Ambitionen weit über die ursprüngliche Orientierung auf die fachbezogene Fremdsprachenausbildung hinaus. Das gilt besonders für neuere Arbeiten zu den Fachtextsorten (z. B. Göpferich 1995; Kalverkämper/Baumann 1996).

4.

Literatur (in Auswahl)

Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 18).

480

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Baumann 1994 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Fachlichkeit von Texten. Egelsbach. Frankfurt/M. Washington 1994 (Deutsche Hochschulschriften 1023).

Göpferich 1995 ⫽ Susanne Göpferich: Textsorten in Naturwissenschaften und Technik. Pragmatische Typologie ⫺ Kontrastierung ⫺ Translation. Tübingen 1995 (Forum für Fachsprachen-Forschung 27).

Beaugrande/Dressler 1981 ⫽ Robert de Beaugrande/Wolfgang Dressler: Introduction to Text Linguistics. London. New York 1981.

Gülich/Raible 1977 ⫽ Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible: Linguistische Textmodelle. Grundlagen und Möglichkeiten. München 1977 (Uni-Taschenbücher 130).

Beier 1982 ⫽ Rudolf Beier: Zur Untersuchung der Fachsprache aus text- und pragmalinguistischer Sicht. In: Fachsprachenforschung und -lehre. Schwerpunkt Spanisch. Hrsg. v. Jose´ R. Richart, Gisela Thome und Wolfram Wilss. Tübingen 1982 (Tübinger Beiträge zur Linguistik 177), 15⫺27. Böhme 1985 ⫽ Petra Böhme: Untersuchungen zu Struktur und sprachlichen Mitteln der Textsorten Lexikonartikel, Monographie und Fachzeitschriftenartikel (dargestellt an russischen Texten aus dem Fachgebiet Ökonomie). Diss. Zwickau 1985. Brinker 1985 ⫽ Klaus Brinker: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin 1985 (Grundlagen der Germanistik 29). Buhlmann/Fearns 1987 ⫽ Rosemarie Buhlmann/ Anneliese Fearns: Handbuch des Fachsprachenunterrichts. Unter besonderer Berücksichtigung naturwissenschaftlich-technischer Fachsprachen. Berlin. München. Wien. Zürich. New York 1987. Danesˇ 1974 ⫽ Frantisˇek Danesˇ: Functional Sentence Perspective and the Organization of the text. In: Papers on Functional Sentence Perspective. Ed. by Frantisˇek Danesˇ. Prague 1974, 106⫺128. Dimter 1981 ⫽ Matthias Dimter: Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Kommunikationssituation, Textfunktion und Textinhalt als Kategorien alltagssprachlicher Textklassifikation. Tübingen 1981. Fiedler 1986 ⫽ Sabine Fiedler: Fachtextlinguistische Untersuchungen zum Kommunikationsbereich der Pädagogik (dargestellt an relevanten Fachtextsorten im Englischen). Diss. Leipzig 1986. Fijas 1986 ⫽ Liane Fijas: Zur syntaktisch-semantischen Analyse russischsprachiger Fachtexte aus dem Kommunikationsbereich der Metallurgie auf der Satz- und Teiltextebene. Diss. Leipzig 1986. Fluck 1988 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Analyse und Vermittlung der Textsorte ,Abstract‘. In: Fachbezogener Fremdsprachenunterricht. Hrsg. v. Claus Gnutzmann. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 6), 67⫺90. Gläser 1979 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachstile des Englischen. Leipzig 1979 (Linguistische Studien). Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). Gläser 1992 ⫽ Rosemarie Gläser (Hrsg.): Aktuelle Probleme der anglistischen Fachtextanalyse. Frankfurt/M. Berlin. Bern. New York. Paris. Wien 1992 (Leipziger Fachsprachen-Studien 5).

Hafner 1985 ⫽ Dieter Hafner: Der Text in der vertikalen Schichtung der Fachsprachen (am Beispiel von Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft). Habil. Leipzig 1985. von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung ⫺ Linguistische Konzepte ⫺ Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Heinemann/Viehweger 1991 ⫽ Wolfgang Heinemann/Dieter Viehweger: Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 115 Kollegbuch). Hoffmann 1976 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Berlin 1976. 3. Aufl. 1987 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Hoffmann 1987 ⫽ Lothar Hoffmann: Ein textlinguistischer Ansatz in der Fachsprachenforschung. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 91⫺105. Hoffmann 1988 ⫽ Lothar Hoffmann: Vom Fachwort zum Fachtext. Beiträge zur Angewandten Linguistik. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 5). Hoffmann 1989 ⫽ Lothar Hoffmann: Fachsprachenlinguistik und Fachbezogene Fremdsprachenausbildung. Positionsbestimmungen aus der Sicht der Leipziger Schule. In: Die Neueren Sprachen 88. 1988/5, 448⫺462. Hoffmann 1990 a ⫽ Lothar Hoffmann: Fachtexte und Fachtextsorten. Leipzig 1990 (BSF Berichte der Sektion Fremdsprachen 5). Hoffmann 1990 b ⫽ Lothar Hoffmann: Thesaurus und Fachtext. In: Empfehlung⫺Standard⫺Norm. Hrsg. v. Lothar Hoffmann. Leipzig 1990 (Linguistische Studien), 56⫺69. Hoffmann 1993 ⫽ Lothar Hoffmann: Fachwissen und Fachkommunikation. Zur Dialektik von Systematik und Linearität in den Fachsprachen. In: Fachsprachentheorie 2. Konzeptionen und theoretische Richtungen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 595⫺617. Hoffmann 1995 ⫽ Lothar Hoffmann: Intraserielle und interserielle Vergleiche von Fachtexten. Ein Beitrag zur Unterscheidung von Textsorten. In: Deutsch als Fremdsprache. An den Quellen eines Faches. Festschrift für Gerhard Helbig zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Heidrun Popp. München 1995, 563⫺574.

46. Fachtextsorten: eine Konzeption für die fachbezogene Fremdsprachenausbildung Kalverkämper 1981 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Orientierung zur Textlinguistik. Tübingen 1981 (Linguistische Arbeiten 100). Kalverkämper 1982 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Fachsprachen und Textsorten. In: Proceedings of the 3rd European Symposium on LSP. Copenhagen, August 1981. ‘Pragmatics and LSP’. Ed. by Jørgen Høedt, Lita Lundquist, Heribert Picht and Jacques Qvistgaard. Copenhagen 1982, 105⫺168. Kalverkämper 1983 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Textuelle Fachsprachen-Linguistik als Aufgabe. In: LiLi Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 13 (1983) 51/52, 124⫺166. Kalverkämper 1987 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Vom Terminus zum Text. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 39⫺78. Kalverkämper/Baumann 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper/Klaus-Dieter Baumann (Hrsg.): Fachliche Textsorten. Komponenten ⫺ Relationen ⫺ Strategien. Tübingen 1996 (Forum für FachsprachenForschung 25). Karich 1987 ⫽ Anja Karich: Untersuchungen zu Retrospektion und Prospektion in den Textsorten Referat, Wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel, Rezension und Enzyklopädieartikel (dargestellt an russischsprachigen Fachtexten der Stomatologie). Diss. Leipzig 1987. Klauser 1987 ⫽ Rita Klauser: Fachtextlinguistische Untersuchungen zu den englischen Textsorten ,literaturkritischer Essay‘ und ,literaturkritische Rezension‘. Ein Beitrag zur Erforschung der englischen Fachsprache der Literaturkritik. Diss. Leipzig 1987. Kleine 1992 ⫽ Gerlinde Kleine: Untersuchungen zu Termini und ihren lexikalisch-semantischen Beziehungen in russischsprachigen wissenschaftlichen Fachtexten der Farbenchemie und in einem Thesaurus der Informationsverarbeitung. Ein Ansatz zur Erfassung von Strukturen des Fachkenntnissystems. Diss. Leipzig 1992. Kovtunova 1976 ⫽ Irina I. Kovtunova: Sovremennyj russkij jazyk. Porjadok slov i aktual’noe cˇlenenie predlozˇenija. Moskva 1976. Lampe 1989 ⫽ Marianne Lampe: Die sprachliche Unifizierung von RGW-Standards ⫺ ein Weg zur Optimierung der internationalen Fachkommunikation. Diss. Leipzig 1989. Langer 1986 ⫽ Marion Langer: Fachtextlinguistische Untersuchungen zum Kommunikationsbereich der Physischen Geographie (dargestellt an ausgewählten Fachtextsorten des Englischen). Diss. Leipzig 1986. Lauer 1986 ⫽ Ines-Andrea Lauer: Fachtextlinguistische Untersuchungen zum Kommunikationsbereich der Pädagogischen Psychologie ⫺ dargestellt an ausgewählten Fachtextsorten des Englischen. Diss. Leipzig 1986.

481

Lee 1992 ⫽ Waltraud Lee: Untersuchungen zur mündlichen russischen Fachkommunikation: Gespräche über kunstwissenschaftliche Fragen in Sendungen des sowjetischen Fernsehens. Diss. Leipzig 1992. Lösche 1985 ⫽ Christiane Lösche: Untersuchungen zur Makrostruktur von russischen Fachtexten ⫺ Theoretische Standpunkte und Auffassungen in der Textlinguistik sowie Möglichkeiten ihrer Nutzung zur Ermittlung von wiederkehrenden Fachtextstrukturen (dargestellt an russischsprachigen Referaten zu Texten der Gesellschaftswissenschaft). Diss. Zwickau 1985. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Nestmann 1985 ⫽ Ralf Nestmann: Textkonstituierende grammatische Kategorien in englischen Fachtexten der Humanmedizin. Diss. Leipzig 1985. Peters 1990 ⫽ Heidrun Peters: Analyse und Beschreibung von Textsorten aus pädagogischen Fachzeitschriften der Sowjetunion. Habil. Greifswald 1990. Raspopov 1961 ⫽ Igor P. Raspopov: Aktual’noe cˇlenenie predlozˇenija. Ufa 1961. Röder 1989 ⫽ Ilsetraud Röder: Textlinguistische Untersuchungen zu russischsprachigen Vorlesungen und Seminaren. Diss. Zwickau 1989. Rust 1990 ⫽ Angelika Rust: Zu Kohäsionsbeziehungen in pädagogischen Fachtexten des Russischen und Deutschen. Habil. Zwickau 1990. Sager/Dungworth/McDonald 1980 ⫽ Juan C. Sager/David Dungworth/Peter F. McDonald: English Special Languages. Principles and practice in science and technology. Wiesbaden 1980. Satzger 1988 ⫽ Axel Satzger: Methodologische Überlegungen zur Untersuchung der pragmatischen, semantischen und syntaktischen Kohärenz in russischsprachigen Fachtexten. Habil. Dresden 1988. Schilling 1988 ⫽ Karin Schilling: Fachtextlinguistische Untersuchungen an russisch- und deutschsprachigen Bedienungsanleitungen für elektronische Meßgeräte als Textsorte der Technik und ihr Einsatz im fachsprachlichen Fremdsprachenunterricht. Diss. Leipzig 1988. Schmidt 1969 ⫽ Wilhelm Schmidt: Charakter und gesellschaftliche Bedeutung der Fachsprachen. In: Sprachpflege 1/1969, 10⫺21. Schmidt 1981 ⫽ Wilhelm Schmidt (Hrsg.): Funktional-kommunikative Sprachbeschreibung. Theoretisch-methodische Grundlegung. Leipzig 1981. Schröder 1988 ⫽ Hartmut Schröder: Aspekte einer Didaktik/Methodik des fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts (Deutsch als Fremdsprache). Frankfurt/M. Bonn. New York. Paris (Werkstattreihe Deutsch als Fremdsprache 20). Steinacker 1987 ⫽ Ludmila Steinacker: Untersuchungen zur Fachsprache der Philosophie am Bei-

482

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

spiel der russischsprachigen und deutschsprachigen Texte philosophischer Nachschlagewerke. Diss. Leipzig 1987. Timm 1987 ⫽ Christian Timm: Fachtextlinguistische Untersuchungen an englischen Texten der Literaturgeschichtsschreibung. Ein Beitrag zur Erforschung der Fachsprache der Literaturwissenschaft im Englischen. Diss. Leipzig 1987. Wehde 1986 ⫽ Sophia Wehde: Untersuchungen zur Sprache der materiellen Produktion in einer sowjetischen Betriebszeitung. Diss. Leipzig 1986. Weise 1983 ⫽ Günter Weise: Systemaspekt und Tätigkeitsaspekt in der Wissenschaftssprache. Untersuchungen an englischen Fachtexten der Chemie. Habil. Halle 1983.

Wendt 1993 ⫽ Susanne Wendt: Thesaurus und Text ⫺ theoretische Voraussetzungen und praktische Ansätze zur Beschreibung der Struktur eines Fachkenntnissystems (Fachbegriffssystems) und seiner Exteriorisierung in russischen Fachtexten der Wärmetechnik/Feuerungstechnik. Diss. Leipzig 1993. Wiegand 1985 ⫽ Ines Wiegand: Untersuchungen zur Rolle der Terminologie bei der Herstellung von Textkohärenz in russischsprachigen wissenschaftlichen Fachtexten der Stomatologie. Diss. Leipzig 1985. Zerm 1987 ⫽ Gudrun Zerm: Textbezogene Untersuchungen zur englischen Fachsprache der Metallurgie (Schwarzmetallurgie). Diss. Leipzig 1987.

Lothar Hoffmann, Großdeuben

47. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen I: der wissenschaftliche Zeitschriftenaufsatz 1. 2.

3. 4. 5.

6.

1.

Einleitung: terminologische Klärung Die kommunikative Funktion akademischwissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze gegenüber populärwissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln Linguistische Merkmale des akademischwissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatzes Die Verwendung nichtverbaler Informationsträger Der wissenschaftliche Zeitschriftenaufsatz als Gegenstand diachroner und interkultureller Untersuchungen Literatur (in Auswahl)

Einleitung: terminologische Klärung

Die Bezeichnung wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz steht für einen im Alltagsverständnis verwendeten Sammelbegriff, der eine Verallgemeinerung von Textsorten mit ganz unterschiedlichen funktionalen und strukturellen Merkmalen darstellt und in textlinguistischer Hinsicht zu differenzieren ist nach a) der Kommunikationssphäre bzw. dem Adressatenkreis und b) nach den Textsortenvarianten innerhalb einer bestimmten Kommunikationssphäre. Nach der Kommunikationssphäre und dem Adressatenkreis ist zu unterscheiden zwischen

⫺ dem akademisch-wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatz der fachinternen Kommunikation, d. h., der Kommunikation unter Fachleuten des gleichen Fachgebietes oder mit denen verwandter Gebiete, wobei der Sprachgebrauch dieser Artikel als akademisch-wissenschaftlicher Forscherstil bezeichnet wird, und ⫺ dem populärwissenschaftlichen Zeitschriftenartikel der fachexternen Kommunikation, d. h., der Kommunikation zwischen Fachleuten und Nichtspezialisten, in der Regel der interessierten Öffentlichkeit, wobei die Verfasser solcher Artikel häufig Wissenschaftsjournalisten, seltener Fachwissenschaftler sind und ihr Sprachgebrauch als populärwissenschaftlicher Stil bezeichnet wird. Die Textdeklarationen für den akademischwissenschaftlichen Aufsatz lauten im Deutschen „Originalaufsatz“, „Zeitschriftenartikel“, „Fachartikel“, „wissenschaftlicher Beitrag“; im Englischen “primary article”, “learned article”, “research article”, “specialist article”, “scientific article”, “article in a learned/scientific journal”. Für den populärwissenschaftlichen Zeitschriftenartikel sind dagegen im Deutschen keine weiteren Textdeklarationen üblich; im Englischen spricht man von “popular-scientific article”, “popular article” oder pauschal von “popular writing”. Die Bezeichnungen akademisch-wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher

483

47. Der wissenschaftliche Aufsatz als Fachtextsorte

Zeitschriftenartikel stehen ihrerseits für Textsorten, die den Status eines Oberbegriffs haben und durch mehrere Textsortenvarianten repräsentiert sind. So gehören zu der übergeordneten Textsorte akademisch-wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz die Textsortenvarianten Experimentalstudie, Problemartikel, Fallbericht, Überblick über den Forschungsstand (state-of-the-art article), Rezensionsartikel über eine Auswahl von Neuerscheinungen (review article, Sekundärartikel) und andere. Die Textsorte populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel umfaßt u. a. den populärwissenschaftlichen Nachrichtenartikel, den populärwissenschaftlichen Problemartikel und den allgemeininformierenden Beitrag in der Wochenendbeilage einer Tageszeitung (vgl. Gläser 1990).

2.

Die kommunikative Funktion akademisch-wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze gegenüber populärwissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln

Zeitschriftenaufsätze sind in der fachinternen Kommunikation die typische Form des (inter)nationalen Informationsaustausches unter Fachleuten, Spiegel des wissenschaftlichen Fortschritts in der Theoriebildung und im Methodeninventar und nicht zuletzt Ausdruck eines bestimmten Wissenschaftsparadigmas. Fachzeitschriften sichern in der Regel einen rascheren Informationsfluß als die Drucklegung von Monographien, Sammelbänden oder Kongreßmaterialien. Sie gewährleisten Aktualität, fachliches Niveau und in gewissem Umfang auch wissenschaftlichen Meinungsstreit durch Polemik in Aufsätzen, Diskussion in Leserbriefen, Kritik in Rezensionen und Repliken in unterschiedlicher Form. Über die Publikationsreife eines Aufsatzmanuskripts als Originalbeitrag entscheidet ein von dem Redaktionskollegium einer Zeitschrift bestelltes Expertengutachten (eng. peer review, vgl. Kretzenbacher/Thurmair 1992). Der populärwissenschaftliche Zeitschriftenartikel dagegen ist das Ergebnis eines Umformungsprozesses fachinterner Primärinformation für einen nichteingeweihten, aber fachlich interessierten Adressatenkreis. Diese Textsorte der fachexternen Kommunikation verwendet als Rezeptionsanreiz journalistische und essayistische Stilmittel, darunter effektvolle Überschriften und „Aufhänger“ im

Einleitungsteil; die Fachlichkeit wird durch Hintergrundsinformationen aufgelockert; Fachwörter werden durch Beispiele aus der Alltagserfahrung des Lesers erläutert (Gläser 1990). Die kommunikative Funktion populärwissenschaftlicher Artikel ist die Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse in einer allgemeinverständlichen und unterhaltsamen Form und in gewissem Sinne auch die niveauvolle Befriedigung von Freizeitinteressen.

3.

Linguistische Merkmale des akademisch-wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatzes

Die heute in natur- und weitgehend auch in technikwissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen gültige und bereits international eingeführte Textgestaltung hat sich erst seit der Mitte des 20. Jh. ⫺ mit deutlichen Unterschieden in einzelnen Fachgebieten ⫺ herausgebildet (vgl. Ylönen 1993). Für Zeitschriftenaufsätze der Sozial- und Geisteswissenschaften gelten hingegen noch keine vergleichbaren Konventionen, obwohl sich bereits einzelne Autoren an dem Textaufbau naturwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel orientieren. Die Textgestaltung der Originalaufsätze wird auch durch das Profil einer Fachzeitschrift, durch redaktionelle Vorgaben und durch Standards bestimmt (z. B. ANSI, ISO, DIN). 3.1. Makrostruktur In der Textsorte naturwissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz hat sich für die Textsortenvariante Experimentalstudie/Fallbericht die folgende Makrostruktur, die als prototypisch gelten kann, eingebürgert: ⫺ Aufsatzüberschrift und Angaben zum Verfasser (Name, akademischer Grad, Arbeitsstelle) ⫺ Abstract/Zusammenfassung (meist in Englisch, seltener nur in der Sprache des Aufsatzes) Fakultativ: Schlüsselwörter/Keywords ⫺ Textkörper • Einleitung/Introduction (mit den thematischen Einzelschritten/ “moves” Darstellung der Forschungssituation ⫺ Formulierung des Neuansatzes • Material und Methoden/Material and Methods (Darstellung des Gegenstandes und des methodischen Ansatzes) • Untersuchungsverlauf/Procedure/Study Design • Ergebnisse/Results • Diskussion/Discussion • Zusammenfassung/Summary • Schlußfolgerungen/Conclusions

484

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

⫺ Danksagung/Acknowledgements (fakultativ) ⫺ Literaturverzeichnis/References

sächlichen Ergebnisse; Vororientierung auf die Struktur des wissenschaftlichen Aufsatzes).

Die Makrostruktur englischer Zeitschriftenaufsätze der Technikwissenschaften (Fachgebiet Schwarzmetallurgie, vgl. Zerm 1987, zit. in Gläser 1990, 69) weist folgende Textsegmente auf:

Abstracts als Textsegment bzw. als isolierten und mit bibliographischen Angaben in einem Referateorgan veröffentlichten komprimierten Text haben H.-R. Fluck (1988; 1989); H. L. Kretzenbacher (1990); R. Gläser (1990; 1991) und Th. Ickler (1993) untersucht. Einleitungen deutscher und englischer Zeitschriftenartikel der Linguistik sind der Analysegegenstand von C. Gnutzmann/H. Oldenburg (1991); Zusammenfassungen/Conclusions deutscher und englischer Zeitschriftenartikel der Fächer Maschinenbau, Wirtschaftswissenschaften und Linguistik werden von H. Oldenburg (1992) kontrastiv beschrieben.

⫺ ⫺ ⫺ ⫺

Artikelüberschrift und Angaben zum Verfasser Autorreferat (Abstract) Einleitung (ohne Zwischenüberschrift) Hauptteil (mit Zwischenüberschriften) • Voraussetzungen • Entwicklung und Durchführung • Ergebnisse ⫺ Zusammenfassung (summary) und Schlußfolgerungen (conclusions) (fakultativ) ⫺ Danksagung (acknowledgements) (fakultativ) ⫺ Literaturhinweise (references, bibliography) (fakultativ)

In Zeitschriftenaufsätzen der Geisteswissenschaften sind Abstracts möglich, aber nicht bindend. Eine Binnengliederung des Aufsatzes ergibt sich hier aus thematischen Gesichtspunkten, wobei die Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand zur Folge hat, daß der Autor ausgiebig Zitate (d. h. Fremdtexte) zur Bestätigung der eigenen Position oder als Argumentationsbasis für Polemik verwendet (vgl. Jacoby 1987 für literaturwissenschaftliche, Dubois 1988 für biomedizinische Artikel). Auch der fachbezogene Essay, eine Textsortenvariante des wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatzes, die eine stark individuelle Darstellung eines Fachproblems in einem geistes- oder wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang gestattet, macht namentlich in Exkursen von Zitaten Gebrauch. Einzelne Textsegmente des wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatzes sind bereits durch intraund interlinguale Untersuchungen zu verschiedenen Fachgebieten detailliert beschrieben worden: Artikelüberschriften im Verhältnis zum abgehandelten Gegenstand (Rang 1979; Gnutzmann 1988); die einzelnen thematischen Schritte des Einleitungsteiles (Swales 1990, 141). J. Swales differenziert die für amerikanische Zeitschriftenaufsätze charakteristischen Schritte bzw. moves des Einleitungsteiles in 1. “Establishing the territory” (Nachweis der Relevanz und Verallgemeinerung des Themas; Einschätzung der bisherigen Forschung); 2. “Establishing a niche” (mögliche Gegenargumente; Hinweis auf eine Forschungslücke; Formulierung einer Frage oder Fortsetzung einer Forschungstradition); 3. “Occupying a niche” (Formulierung einer Absicht; Ankündigung des Untersuchungsgegenstandes, der haupt-

3.2. Der Fachwortschatz Zeitschriftenaufsätze als typische Textsorte der theoretischen Grundlagenwissenschaften, der experimentellen und der angewandten Wissenschaften haben einen hohen Grad der fachlichen Abstraktheit, der Formalisierung und häufig auch der Mathematisierung. Die Folge davon sind eine stark konzentrierte Darstellungsweise und eine Häufung von Fachwörtern, die als Terminusdichte bekannt ist, aber nicht für Artikel der Geisteswissenschaften zutrifft. Da Zeitschriftenaufsätze der fachinternen Kommunikation stets an die Experten gerichtet sind, kann der Autor die Kenntnis des Begriffs- und Bezeichnungssystems auf seiten des Adressaten voraussetzen und Definitionen sowie Explikationen auf neueingeführte Begriffe und Termini beschränken. Die Lexik eines Artikels entspricht dem Bestand an Fachwörtern und -wendungen derjenigen Fachdisziplin, aus der sein Kommunikationsgegenstand (bzw. sein Thema) stammt. Terminologische Neubildungen haben ihren Ursprung in Artikeln wissenschaftlicher Zeitschriften wie auch in anderen Texten, ehe sie als Neologismen in Fachwörterbüchern Eingang finden. Neben den im Fachwortschatz üblichen Wortbildungsmöglichkeiten mit eigensprachlichem Material oder mit griechisch-lateinischen Terminuselementen nutzen die Autoren von Zeitschriftenaufsätzen allgemeinsprachliche Metaphern zur Benennung eines fachspezifischen Phänomens, wobei die Metapher aufgrund ihrer bildhaften Analogiewirkung auch eine heuristische Funktion übernehmen kann. Terminologische Neubildungen stehen mitunter in Anführungszeichen. Ausdruck der Komprimierung und Ausdrucksökonomie

47. Der wissenschaftliche Aufsatz als Fachtextsorte

der Fachwortbildung sind ebenfalls Mehrwortkomposita sowie Nominalphrasen mit Rechts- und Linkserweiterungen (Dubois 1982), die teils lexikalische Einheiten (in Benennungsfunktion), teils Syntagmen (als Teil einer Sachverhaltsaussage) sind. 3.3. Syntaktische Merkmale Als typische Textsorte der Wissenschaftssprache sind Zeitschriftenaufsätze durch eine streng determinierte Syntax gekennzeichnet. Diese äußert sich in komplexen Sätzen, Relativsatzverkürzungen (im Englischen und Russischen) und in der Verteilungshäufigkeit verbaler Kategorien (Tempus, Genus, Person). Die Verwendung finiter Verbformen im Passiv variiert in Zeitschriftenaufsätzen einzelner Fachgebiete und Sprachen erheblich; sie ist aber nicht textsorten-, sondern fachgebietsspezifisch. In englischen Artikeln der Schwarzmetallurgie als Technikwissenschaft beträgt der Passivanteil 40,1% (Zerm 1987 in Gläser 1990, 72), in englischen Experimentalstudien der pädagogischen Psychologie 36,5% und in erörternden Artikeln des gleichen Fachgebiets 28,0% (Busch-Lauer 1991, 108 f), in englischen Zeitschriftenartikeln der Pädagogik dagegen 22,0% (Fiedler 1991, 105) und in Artikeln der Phytopathologie 31,6% (gegenüber 68,4% der Aktivformen) (Heslot 1982, 87). Aufschlußreich ist die Verteilung der Tempora im wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatz. J. Heslot (1982, 87) stellt fest, daß in amerikanischen Aufsätzen der Phytopathologie insgesamt die einfache Vergangenheit (simple past) mit 69,5% gegenüber der einfachen Gegenwart (simple present) mit 24,2% deutlich überwiegt, während der Anteil des Perfekts (present perfect) nur 3,2% der Verbformen beträgt. Die Verteilung variiert jedoch in den einzelnen Textsegmenten des Zeitschriftenaufsatzes. Syntaktische Erscheinungen werden auch im Zusammenhang mit Kommunikationsverfahren und Handlungsstrukturen, die aus der Funktion und thematischen Gestaltung eines wissenschaftlichen Textes resultieren, untersucht. P. Böhme (1985) beschreibt Kommunikationsverfahren und ihre sprachlichen Mittel in den Textsegmenten russischer Zeitschriftenaufsätze der Ökonomie und registriert die Dominanz des Kommunikationsverfahrens Feststellen, gefolgt von dem Charakterisieren. H. Winter (1985) analysiert Fachaufsätze der interdisziplinären und populärwissenschaftlichen englischen Zeitschrift Nature im Hinblick auf

485 das Kommunikationsverfahren Referieren. A. Satzger (1989) versucht, die Handlungsstruktur in russischsprachigen Zeitschriftenaufsätzen der Verfahrenstechnik mit Hilfe von Propositionen (Behauptung, Mitteilung, Hinweis, Assertion, Verweis, Einstellungsbekundung) anhand relevanter Sprachmittel aufzuhellen. Zu englischen Zeitschriftenaufsätzen des gleichen Fachgebiets entwickelt M. Sohst (1989) einen Analysemodus für Teiltextstrukturen, wobei Typen komplexer Sätze bestimmten Stufen in der Darstellung eines wissenschaftlichen oder technischen Problems zugeordnet werden. Syntaktische Kategorien in ihrem Bezug zur Aussageintention sind auch Gegenstand der Untersuchungen von C. Gnutzmann/H. Oldenburg (1991) und H. Oldenburg (1992). 3.4. Stilistische Merkmale Als Textsorte der Wissenschaftssprache verwendet der Zeitschriftenaufsatz differenzierte Stilmittel, die sich aus der Darstellungshaltung des Autors gegenüber dem Adressaten ergeben. Die streng sachbezogene und unpersönliche („agensabgewandte“) Behandlung eines Fachproblems äußert sich in der Bevorzugung finiter Verbformen im Passiv und der Vermeidung der Ich-Form und der WirForm. In geisteswissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen, ebenso wie in Dissertationen und Monographien, ist jedoch in jüngster Zeit eine Zunahme der Ich-Form zu beobachten. Dennoch bevorzugen Autoren naturwissenschaftlicher Artikel bestimmte sprachliche Mittel, um ihre persönliche Meinung zu akzentuieren oder eine Aussage weniger apodiktisch oder absolut zu formulieren. Solche als Heckenausdrücke (hedges) bekannte Sprachmittel sind vor allem Modalverben (I can only discuss …, muß mich beschränken auf …; differences may be found at a lower level; die Ergebnisse scheinen darauf hinzudeuten, daß …) und Modaladverbien (more likely; möglicherweise) (vgl. Markkanen/Schröder 1989). Hedges begegnen vorzugsweise in Hypothesen geisteswissenschaftlicher Aufsätze und in Zusammenfassungen naturwissenschaftlicher Artikel. Die Darstellungshaltung des Autors gegenüber dem Adressaten äußert sich in metakommunikativen Strategien, mit denen die Informationsaufnahme erleichtert werden soll (z. B. Vor- und Rückverweise, Begründung für die Einschränkung des Themas), und in Elementen des impliziten Dialogs mit

486

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

dem Adressaten durch Verwendung des Imperativs (imagine, let’s suppose) und der Pronomen Ich und Wir (I und inclusive we, vgl. Gläser 1990). Als Stilmerkmale des wissenschaftlichen Zeitschriftenartikels sind schließlich solche Stilfiguren zu nennen, die im Dienst der logischen Gliederung einer Aussage stehen: Parallelismen, Antithesen, rhetorische Fragen, Hervorhebungen durch stilistische Inversion und Satzspaltung (it’s that), Explikation oder Kommentar durch Parenthese oder Nachtrag. Trotz der pauschal angenommenen „Unpersönlichkeit des wissenschaftlichen Stils“ sind dem Textautor selbst in akademisch-wissenschaftlichen Aufsätzen ⫺ je nach Fachgebiet ⫺ individualstilistische Ausdrucksmöglichkeiten gegeben (vgl. Gläser 1979; 1990; Busch-Lauer 1991; Fiedler 1991).

4.

Die Verwendung nichtverbaler Informationsträger

Ein wesentlicher Bestandteil natur- und technikwissenschaftlicher und medizinischer Zeitschriftenaufsätze sind Symbole, Formeln, graphische Darstellungen (Tabellen, Kurven, Baumdiagramme) und fotografische Abbildungen. Nichtverbale Textelemente dieser Art vermitteln fachliche Information unabhängig von einer konkreten Einzelsprache. Symbole, Formeln und Gleichungen bilden ein semiotisches Subsystem einer Fachsprache und werden im Text in ihrer linearen Folge erschlossen. Das „fachliche Bild“ ist dagegen eine simultane, nicht mehr lineare Darbietung von Fachinformation, die den verbalen Text ergänzen oder sogar ersetzen kann. Die Wechselwirkung zwischen verbalen und visuellen Textkomponenten des wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatzes ist jedoch noch kaum untersucht (Kalverkämper 1993).

5.

Der wissenschaftliche Zeitschriftenaufsatz als Gegenstand diachroner und interkultureller Untersuchungen

Wie andere Fachtextsorten ist auch der wissenschaftliche Zeitschriftenaufsatz Ergebnis einer historischen Entwicklung der Fachgebiete und ihrer Kommunikationsformen. Insofern ist diese Textsorte auch Gegenstand diachroner und kulturvergleichender Arbeiten. Ausgehend von der an J. Galtung (1983)

angelehnten Hypothese, daß „der wissenschaftliche Diskurs nicht universell, sondern kulturspezifisch“ sei, untersuchen S. Ylönen, D. Neuendorff und E. Effe (1989) finnische und deutsche Zeitschriftenaufsätze der Medizin des Zeitraums 1885⫺1986 im Vergleich mit englischen und amerikanischen Paralleltexten. Ihre Analysekriterien sind die Artikelgliederung durch Überschriften, die Einhaltung redaktioneller Vorschriften in der tatsächlichen Gestaltung der Artikel und das Zitieren und Referieren von Sekundärliteratur. In einer Nachfolgeuntersuchung vertieft S. Ylönen (1993) diese Thematik unter dem Aspekt des Stilwandels. J. Galtungs Konzept der kulturgebundenen „intellectual styles“ ist der Bezugspunkt für M. Clynes (1991) Analyse deutscher und englischer geisteswissenschaftlicher Aufsätze nach den Kriterien Linearität/Digressivität, Symmetrie/Asymmetrie und Hierarchie der Teiltexte, Definitionen, hinweisende Sätze als Gliederungssignale (advance organisers) und Einbeziehung von Tabellen und Graphika in den verbalen Text. M. Clyne stellt fest, daß deutsche Wissenschaftler ihre muttersprachlichen Formulierungsgewohnheiten auf die Abfassung englischsprachiger Texte übertragen und dadurch von Textsortennormen englischer Zeitschriftenaufsätze abweichen. Zusammenfassend kann man feststellen, daß der akademisch-wissenschaftliche Zeitschriftenaufsatz in den Geistes- und Sozialwissenschaften bisher in weitaus geringerem Maße als in der Medizin, in den Natur- und Technikwissenschaften untersucht worden ist. In diesem Zusammenhang ist die in den Geisteswissenschaften verbreitete Textsorte fachbezogener Essay (Gläser 1990) noch genauer zu beschreiben.

6.

Literatur (in Auswahl)

Böhme 1985 ⫽ Petra Böhme: Kommunikationsverfahren (KV) und sprachliche Mittel in der Textsorte Fachzeitschriftenartikel. In: Fachsprachliche Textanalyse. Hrsg. v. Rosemarie Gläser. Linguistische Studien 133, Reihe A. Arbeitsberichte, Berlin 1985, 104⫺111. Busch-Lauer 1991 ⫽ Ines-Andrea Busch-Lauer: Wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz/Populärwissenschaftliche Zeitschriftenartikel. In: Fachtexte in der Pädagogischen Psychologie. Eine linguistische Analyse. Frankfurt/M. Bern. New York. Paris 1991 (Leipziger Fachsprachen-Studien 2), 93⫺114; 176⫺187. Clyne 1991 ⫽ Michael Clyne: The Sociocultural Dimension: The Dilemma of the German-Speaking

47. Der wissenschaftliche Aufsatz als Fachtextsorte Scholar. In: Subject-oriented Texts. Languages for Special Purposes and Text Theory. Ed. by Hartmut Schröder. Berlin 1991, 49⫺67. Dubois 1982 ⫽ Betty Lou Dubois: The Construction of Noun Phrases in Biomedical Journal Articles. In: Proceedings of the 3rd European Symposium on LSP. Copenhagen, August 1981, ‘Pragmatics and LSP’. Ed. by Jørgen Høedt, Lita Lundquist, Heribert Picht and Jacques Qvistgaard. The Copenhagen School of Economics, Copenhagen 1992, 49⫺67. Dubois 1988 ⫽ Betty Lou Dubois: Citation in Biomedical Journal Articles. In: English for Specific Purposes 7. 1988, 181⫺193. Fiedler 1991 ⫽ Sabine Fiedler: Die Textsorte wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel. In: Fachtextlinguistische Untersuchungen zum Kommunikationsbereich der Pädagogik ⫺ dargestellt an relevanten Fachtextsorten im Englischen. Frankfurt/ M. Bern. New York. Paris 1991 (Leipziger Fachsprachen-Studien 1), 94⫺107. Fluck 1988 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Zur Analyse und Vermittlung der Textsorte ,Abstract‘. In: Fachbezogener Fremdsprachenunterricht. Hrsg. v. Claus Gnutzmann. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 6), 67⫺90. Fluck 1989 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Vergleichende Analyse deutschsprachiger Abstracts in wissenschaftlichen Zeitschriften. In: Special Language. From Humans Thinking to Thinking Machines. Ed. by Christer Laure´n and Marianne Nordman. Clevedon. Philadelphia 1989, 291⫺307. Galtung 1983 ⫽ Johan Galtung: Struktur, Kultur und intellektueller Stil. In: Leviathan 3. 1983, 303⫺398. Gläser 1979 ⫽ Rosemarie Gläser: Der wissenschaftliche Zeitschriftenartikel/ Der populärwissenschaftliche Zeitschriftenartikel. In: Fachstile des Englischen. Leipzig 1979 (Linguistische Studien), 85⫺97; 97⫺111. Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Der wissenschaftliche Zeitschriftenartikel/ Der fachbezogene Essay/ Der populärwissenschaftliche Zeitschriftenartikel. In: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13), 66⫺73; 73⫺91; 183⫺195. Gläser 1991 ⫽ Rosemarie Gläser: The LSP genre abstract ⫺ revisited. In: Unesco ALSED LSP Newsletter 13, No. 4 (32), June 1991, 3⫺10. Gnutzmann 1988 ⫽ Claus Gnutzmann: Aufsatztitel in englischsprachigen Fachzeitschriften. Linguistische Strukturen und kommunikative Funktionen. In: Fachbezogener Fremdsprachenunterricht. Hrsg. v. Claus Gnutzmann Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 6), 23⫺38. Gnutzmann/Oldenburg 1991 ⫽ Claus Gnutzmann/ Hermann Oldenburg: Contrastive Text Linguistics in LSP-Research: Theoretical Considerations and some Preliminary Findings. In: Subject-oriented Texts. Languages for Special Purposes and Text

487 Theory. Ed. by Hartmut Schröder. Berlin 1991, 103⫺136. Gunnarsson 1989 ⫽ Britt-Louise Gunnarsson: LSP Texts in a Diachronic Perspective. In: Special Language. From Humans Thinking to Thinking Machines. Ed. by Christer Laure´n and Marianne Nordman. Clevedon. Philadelphia 1989, 243⫺252. Heslot 1982 ⫽ Jeanne Heslot: Tense and Other Indexical Markers in the Typology of Scientific Texts in English. In: Proceedings of the 3rd European Symposium on LSP. Copenhagen, August 1981, ‘Pragmatics and LSP’. Ed. by Jørgen Høedt, Lita Lundquist, Heribert Picht and Jacques Qvistgaard. The Copenhagen School of Economics, Copenhagen 1982, 83⫺104. Ickler 1993 ⫽ Theodor Ickler: Zur Textgattung ‘Abstract’. In: Fachsprache 15, 1993, 44⫺53. Jacoby 1987 ⫽ Sally Jacoby: References to other researchers in literary research articles. In: Genre Analysis and E. S. P. Ed. by Tony Dudley-Evans. Birmingham 1987, 33⫺78. Jingfu 1987 ⫽ Peng Jingfu: Organisational features in chemical engineering research articles. In: Genre Analysis and E. S. P. Ed. by Tony Dudley-Evans. Birmingham 1987, 79⫺116. Kalverkämper 1993 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Das fachliche Bild. Zeichenprozesse in der Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 215⫺ 238. Kretzenbacher 1990 ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher: Rekapitulation. Textstrategien der Zusammenfassung von wissenschaftlichen Fachtexten. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 11). Kretzenbacher/Thurmair 1992 ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher/Maria Thurmair: Textvergleich als Grundlage zur Beschreibung einer wissenschaftlichen Textsorte: Das Peer Review. In: Kontrastive Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Klaus-Dieter Baumann und Hartwig Kalverkämper. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20), 135⫺146. Markkanen/Schröder 1989 ⫽ Raija Markkanen and Hartmut Schröder: Hedging as a Translation Problem in Scientific Texts. In: Special Language. From Humans Thinking to Thinking Machines. Ed. by Christer Laure´n and Marianne Nordman. Clevedon. Philadelphia 1989, 171⫺179. Myers 1991 ⫽ Greg Myers: Stories and Styles in Two Molecular Biology Review Articles. In: Textual Dynamics of the Professions. Historical and Contemporary Studies of Writing in Professional Communities. Ed. by Charles Bazerman and James Paradis. Wisconsin 1991, 41⫺75. Oldenburg 1992 ⫽ Hermann Oldenburg: Angewandte Fachtextlinguistik: ‘Conclusions’ und Zusammenfassungen. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 17).

488

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Polzer 1992 ⫽ Kerstin Polzer: Versuch einer Differenzierung des Fachzeitschriftenartikels in Zeitschriften der Sportwissenschaft (Englisch⫺ Deutsch). In: Aktuelle Probleme der anglistischen Fachtextanalyse. Hrsg. v. Rosemarie Gläser. Frankfurt/M. Berlin. Bern. New York. Paris. Wien 1992 (Leipziger Fachsprachen-Studien 5), 86⫺94. Rang 1979 ⫽ Hans-Joachim Rang: Zum Vokabular der Überschriften von Zeitschriftentexten der französischen Bevölkerungsgeographie. In: Fachsprache. Sonderheft 1, 1979, 116⫺127. Sager/Dungworth/McDonald 1980 ⫽ Juan C. Sager/David Dungworth/Peter F. McDonald: The Essay. In: English Special Languages. Principles and practice in science and technology. Wiesbaden 1980, 120⫺123. Satzger 1989 ⫽ Axel Satzger: Zur Analyse der Handlungsstruktur in russischsprachigen Fachzeitschriftenartikeln der Verfahrenstechnik. In: VII. Internationale Konferenz ,Angewandte Sprachwissenschaft und fachsprachliche Ausbildung‘. Teil 4. (Fachsprache ⫺ Fremdsprache ⫺ Muttersprache). Technische Universität Dresden. Heft 15/16, 1989, 108⫺115. Sohst 1989 ⫽ Margarete Sohst: Versuch einer Analyse von Teiltextstrukturen wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel. In: VII. Internationale Konferenz ,Angewandte Sprachwissenschaft und fachsprachliche Ausbildung‘. Teil 4. (Fachsprache⫺Fremdsprache⫺Muttersprache). Technische Universität Dresden. Heft 15/16, 1989, 144⫺147.

Swales 1990 ⫽ John Swales: Research articles in English. In: Genre Analysis. English in academic and research settings. Cambridge. New York. Port Chester. Melbourne. Sydney 1990, 110⫺201. Winter 1985 ⫽ Horst Winter: Das Kommunikationsverfahren ,Referieren‘ in englischsprachigen Artikeln der Zeitschrift Nature. In: Fachsprachliche Textlinguistik. Hrsg. v. Rosemarie Gläser. Linguistische Studien 133. Reihe A. Arbeitsberichte. Berlin 1985, 135⫺141. Ylönen 1993 ⫽ Sabine Ylönen: Stilwandel in wissenschaftlichen Artikeln der Medizin. Zur Entwicklung der Textsorte Originalarbeiten in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ von 1884⫺ 1989. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 81⫺98. Ylönen/Neuendorff/Effe 1989 ⫽ Sabine Ylönen/ Dagmar Neuendorff/Gottfried Effe: Zur kontrastiven Analyse von medizinischen Fachtexten. Eine diachrone Studie. In: Special Language. From Humans Thinking to Thinking Machines. Ed. by Christer Laure´n and Marianne Nordman. Clevedon. Philadelphia 1989, 203⫺224. Zerm 1987 ⫽ Gudrun Zerm: Textbezogene Untersuchungen zur englischen Fachsprache der Metallurgie (Schwarzmetallurgie). Diss. Leipzig 1987.

Rosemarie Gläser, Leipzig

48. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen II: die wissenschaftliche Rezension 1. 2. 3. 4.

Vorbemerkungen Beschreibung der Textsorte wissenschaftliche Rezension Anspruch und Wirklichkeit Literatur (in Auswahl)

1.

Vorbemerkungen

Jedes Fach entwickelt seine „zweckbedingte Fachsprache“ und Fächer können, „wenn es ihre Spezifik erfordert, eine Wissenschaftssprache herausbilden, ohne daß aber jede Fachsprache automatisch eine Wissenschaftssprache zur Folge zu haben braucht“ (Gläser 1990, 14 f). Es gibt demnach Fachtextsorten außerhalb des Wissenschaftsbereiches, die wissenschaftliche Rezension ist aber eine Fachtextsorte, die ausschließlich in Fächern entstanden ist, die als Wissenschaft betrieben werden, bzw. sich als Kommunikationsform

eines solchen Wissenschaftsbetriebes entwikkelt hat. Historisch kann man den Beginn der Herausbildung dieser Textsorte im deutschsprachigen Gebiet mit Carlsson auf 1688 datieren. In diesem Jahr gründete Thomasius die erste Zeitschrift deutscher Sprache, in der Buchrezensionen publiziert wurden (vgl. Carlsson 1969, 20). 1766 gründete Nicolai ein Fachblatt, „das ausschließlich Rezensionen von Neuerscheinungen auf den Gebieten der Theologie, Geschichte und schönen Literatur, Philosophie, Medizin, Jurisprudenz brachte“ (Carlsson 1969, 51 f). Einen ersten Höhepunkt sollte die deutsche Kritik mit der 1785 erstmals erscheinenden „Allgemeinen Literaturzeitung“ erreichen, in der Kant, Goethe, Schiller, die Gebrüder Schlegel und andere bedeutende Köpfe Rezensionen veröffentlichten, zu einer Zeit also, in der Kritik anders als heute einen enormen Stellenwert hatte, ja

489

48. Die wissenschaftliche Rezension als Fachtextsorte

als Erkenntnisinstrument und wissenschaftliche Methode galt. Es wird daher noch die Frage zu stellen sein, ob wissenschaftliche Rezensionen den ihnen in ihren Anfängen zugeschriebenen Aufgaben heute auch gerecht werden. Zunächst ist aber zu klären, welche Textvorkommen der Textsorte sinnvollerweise zuzuordnen sind. Betrachtet man vertikale Schichtungen von Fachsprachen und versucht, ihnen Fachtextsorten zuzuordnen, so läßt sich feststellen, daß wissenschaftliche Rezensionen „auf verschiedenen Schichten auftreten können“ (vgl. Gläser 1990, 9 ff) und damit Fachlichkeitsgrad und Abstraktionsniveau kein geeignetes Kriterium zur Abgrenzung von anderen Textsorten sind. Als Abgrenzungskriterium bietet sich das Publikationsorgan an. Mit dem Publikationsorgan, wissenschaftliche Zeitschrift oder Zeitung/Journal, ist auch der Adressatenkreis bestimmt und damit eine Komponente der Kommunikationssituation, die die Textgestaltung stärker beeinflußt als z. B. die Fachzugehörigkeit des Verfassers (vgl. Ripfel 1989, 25). Wissenschaftliche Rezensionen sind außerdem abzugrenzen von Rezensionsartikeln, die zwar auch in Fachzeitschriften, aber gewöhnlich nicht im Rezensionsteil erscheinen. Auch dort werden Rezensionsvorlagen bewertet, allerdings sehr viel gründlicher und facettenreicher, mit Gegenargumenten, anderen Vorschlägen und Ideen diskutiert. Eine weitere verwandte Textsorte sind Buchankündigungen, in denen Neuerscheinungen aber nur vorgestellt und nicht bewertet werden.

2.

Beschreibung der Textsorte wissenschaftliche Rezension

2.1. Textlinguistische Vorklärungen Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß nicht objektiv bestimmbare Textualitätsmerkmale ein sprachliches Gebilde zu einem Text machen, sondern daß der Leser/Hörer durch eine Interpretation gewisser sprachlicher Merkmale im Rahmen einer bestimmten Kommunikationssituation ein sprachliches Gebilde als Text versteht. Außerdem wird hier die Annahme vertreten, daß sprachliche Gebilde eine Kombination mehrerer Merkmale aufweisen müssen, um als Texte verstanden werden zu können. Den Ausführungen unten liegt folgende Textdefinition zugrunde: Ein Text ist eine relativ komplexe sprachliche Einheit, die sich durch syntakti-

sche, semantische und pragmatische Kohärenz auszeichnet und einen konventionell und/oder individuell bestimmten Stil aufweist. Es wird hier davon ausgegangen, daß ein sprachliches Gebilde, das als Text interpretiert wird, zugleich als Textexemplar einer bestimmten Textsorte angesehen wird, d. h. daß alle oder einige Textualitätsmerkmale in charakteristischer Weise ausgeprägt sind und dadurch eine Textsortenzuweisung erfolgen kann. Textsorten werden als Beschreibungsmuster verstanden, die die für ihre Bestimmung notwendigen und besonders charakteristischen gemeinsamen Merkmale einer Vielzahl konkreter Textvorkommen erfassen. Innerhalb einer hierarchischen Texttypologie sind Textsorten auf der untersten Stufe anzusiedeln. So könnte man z. B. die Textsorten wissenschaftliche und journalistische Rezension und Rezensionsartikel einem übergeordneten Texttyp Kritik zuweisen. Es ist inzwischen deutlich geworden, daß eine Texttypologie, die eine befriedigende Zuordnung zahlreicher Textsorten erlaubt, mit einem Ensemble von Kriterien arbeiten muß (vgl. Gläser 1990, 41 ff). 2.2.

Konstitutive und typische Merkmale

2.2.1. Textfunktionen Damit ist klar, daß texttypologische Ansätze auf Basis der dominierenden Textfunktion nicht aus dem „typologischen Dilemma“ führen. Dennoch ist die dominierende Textfunktion ein wesentliches Kriterium für die Textsortenbestimmung. Textfunktionen werden verstanden als die für den Rezipienten aus dem Text und allgemein zugänglichen Bedingungen der Kommunikationssituation erschließbaren Haupt- oder Primärintentionen des Sprechers/Schreibers, die aus dem Textganzen erschlossen werden. Bisher sind die Mechanismen des Zusammenwirkens von Teilhandlungen mit Haupt- oder Primärhandlungen nicht hinreichend geklärt. Teilhandlungen müssen interpretiert und gewichtet werden. Das Erschließen von Primärintentionen ist daher in mehrfacher Hinsicht schwieriger als das Erschließen von Sprechakten. Mit mehreren gleichartigen Sprechakten kann eine Textfunktion realisiert werden, es spielt aber andererseits bei Rezensionen keine Rolle, wie viele Handlungen des Typs BEWERTEN realisiert werden, wichtig für die Bestimmung der Textfunktion, die hier textsortenkonstituierend wirkt, ist nur, daß wenigstens einmal eine Bewertungshandlung

490

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

realisiert wird. Nicht alle Primärintentionen eines Textes müssen textsortenkonstitutiv sein. Nach Jokubeit, der eine systematische Analyse von Rezensionen ⫺ allerdings nur journalistischen ⫺ auf der Basis der funktional-kommunikativen Sprachbeschreibung der Potsdamer Schule durchgeführt hat, haben Rezensionen vier Leistungen zu erbringen: sie müssen INFORMIEREN, WERTEN, AKTIVIEREN und ERÖRTERN (vgl. Jokubeit 1980, 90 ff). Das Kommunikationsverfahren ERÖRTERN wird als dominierend für Rezensionen bestimmt: „Rezensionen sind also Texte, in denen die sprachliche Objektivation eines Problemlösungsprozesses in seinen drei Phasen (Problemstellung, Problembearbeitung und Problemlösung) nachgewiesen werden kann“ (Jokubeit 1980, 117). In einer eigenen empirischen Untersuchung von Rezensionen konnte ich einen solchen Problemlösungsprozeß selbst in wissenschaftlichen Rezensionen kaum nachweisen, noch viel seltener in journalistischen. Er ist allenfalls charakteristisch für umfangreiche Rezensionsartikel (vgl. auch Gläser 1990, 111). Auch Pätzold kritisiert Jokubeits These und kommt nach einer eigenen Analyse wissenschaftlicher Rezensionen zu dem Ergebnis, daß die dominierende Textfunktion das BEWERTEN ist (vgl. Pätzold 1986, 101 f). Im Unterschied zu journalistischen Rezensionen zeigt sich, daß auch das BESCHREIBEN eine obligatorische Textfunktion ist, zumindest dürfen die bibliographischen Angaben zur Rezensionsvorlage nie fehlen. Es ist aber zu betonen, daß die BEWERTUNG deutlich wichtiger ist, denn in zahlreichen Kurzrezensionen beschränkt sich das BESCHREIBEN auf die bibliographischen Angaben. Die Dominanz der Wertung zeigt sich bereits bei der Auswahl der Rezensionsvorlage. Ein Fachmann mit Rang wird ein für seine Begriffe nicht rezensionswürdiges Werk gar nicht besprechen. Darüber hinaus liegt eine Wertung in der Auswahl der als relevant erachteten Aspekte der Rezensionsvorlage (vgl. Jokubeit 1980, 93). Hier ist allerdings oft ein „Raster“ vorgegeben. Überprüft werden dann die „wissenschaftlichen Kardinaltugenden“ Erkenntnisfortschritt, methodische Sauberkeit, Verständlichkeit, Klarheit und Logik der Darstellung und Argumentation (vgl. Zillig 1982, 202 ff). Zu betonen ist außerdem, daß mit der Wertung der Rezensionsvorlage immer auch eine Wertung des/ der Verfasser(s) verbunden ist, oft auch einer wissenschaftlichen Richtung oder eines me-

thodischen Ansatzes. Ein textsortenkonstitutives Handlungsmuster, d. h. eine in allen wissenschaftlichen Rezensionen auffindbare Struktur der Teilhandlungen, gibt es zwar nicht, wohl aber zwei charakteristische Strukturen: 1. BESCHREIBUNG der Teilaspekte 1 … n BEWERTUNG der Teilaspekte 1 … n BEGRÜNDUNG der BEWERTUNGEN EMPFEHLEN/ABRATEN 2. BESCHREIBUNG des Teilaspektes 1 BEWERTUNG des Teilaspektes 1 BEGRÜNDUNG der BEWERTUNG von Teilaspekt 1 BESCHREIBUNG des Teilaspektes 2 BEWERTUNG des Teilaspektes 2 BEGRÜNDUNG der BEWERTUNG von Teilaspekt 2 bis BESCHREIBUNG des Teilaspektes n BEWERTUNG des Teilaspektes n BEGRÜNDUNG der BEWERTUNG von Teilaspekt n EMPFEHLEN/ABRATEN

Beide Strukturmuster werden in der Regel in Abwandlungen realisiert (vgl. zum Handlungsmuster Pätzold 1986, zur Verteilung der Bewertungen Dallmann 1979, 69 und Jokubeit 1980, 120). 2.2.2. Aspekte der Kommunikationssituation Die situativen Bedingungen haben entscheidenden Einfluß auf die Textgestaltung und -rezeption. Bei wissenschaftlichen Rezensionen als monologischen öffentlichen Texten wirken sich vor allem die sogenannten „sozialen Variablen“ aus: Statusbeziehungen und Bekanntheitsgrad der Kommunikationspartner, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, einer theoretischen Richtung, Schule (vgl. Gläser 1990, 53). Der Rezensent ist üblicherweise ein Spezialist auf dem Gebiet, über das in der Rezensionsvorlage geschrieben wird. Er ist gleichzeitig ein „besonderer Leser“, dessen Aufgabe es ist, andere Leser der Rezensionsvorlage über diese zu informieren (vgl. Zillig 1982, 199). Daneben gibt es unter den Adressaten, an die sich der Rezensent wendet, wieder einen besonderen Leser und zwar den/die Verfasser oder Herausgeber des rezensierten Werkes. Diese sind dem Rezensenten oft persönlich bekannt, zumindest ist er aber über seine/ihre Forschungstätigkeit oder -richtung informiert. Rezensent und Adressaten sind meist in demselben Fachgebiet tätig und gehören einer gehobenen Bildungsschicht an. In fast allen wissenschaftli-

491

48. Die wissenschaftliche Rezension als Fachtextsorte

chen Rezensionen ist der volle Name des Rezensenten angegeben, oft auch seine Dienstadresse. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß es sich beim Publikationsorgan immer um eine fachwissenschaftliche Zeitschrift (in seltenen Fällen eine Wissenschaftssendung im Rundfunk) handelt. Wichtig ist, daß Rezensionen auch innerhalb der Fachzeitschriften einen bestimmten Platz haben; sie werden unter den Überschriften Reviews, Buchbesprechungen, Rezensionen publiziert. 2.2.3. Thema oder Inhalt Unter Textinhalt oder -thema wird hier sowohl das verstanden, worüber ein Text handelt bzw. worüber in einem Text etwas gesagt wird, als auch das, was darüber gesagt wird (vgl. hierzu Hellwig 1984). Für wissenschaftliche Rezensionen gilt, daß sie fast nie eine Überschrift haben, das Hauptthema, zumindest das, worüber gesprochen wird, ist aber explizit angegeben durch die Nennung des rezensierten Werkes. Alle weiteren zentralen Aussagen müssen interpretiert werden (vgl. Brinker 1985, 51). Wie für das Erschließen der Textfunktion gilt auch für die Interpretation des Themas, daß nicht alles, worüber gesprochen wurde, dazugehört, d. h., für den Rezipienten unwesentliche Äußerungen bleiben beim Erschließen des Themas außer acht (vgl. zur Erschließung der Makroproposition van Dijk 1980). Die folgende Beschreibung der Makrostruktur nach Gläser kann wie das oben dargestellte Handlungsmuster nicht als textsortenkonstitutiv gelten, sondern nur als charakteristisch: Auf die bibliographischen Angaben folgen häufig Anlaß, Gegenstand und Ziel der Veröffentlichung, Kommentar zur Forschungslage, Darstellung des Inhalts, Diskussion und Wertung des Inhalts, des Forschungsansatzes, der Methode und Logik, Wertung der Typographie und des Layouts, Anwendungsmöglichkeiten/Nutzen, Kauf-/Leseempfehlung, Angaben zur Person des Rezensenten (Gläser 1990, 109 f). Textsortenkonstitutiv ist dabei eine thematische Komponente, nämlich das BESCHREIBEN und BEWERTEN eines Rezensionsgegenstandes. Der propositionale Gehalt dieser BESCHREIBUNGEN und BEWERTUNGEN richtet sich nach der jeweiligen Rezensionsvorlage und danach, was der Rezensent mit Blick auf seinen Adressatenkreis für beschreibungs- und bewertungswürdig hält (vgl. auch Zillig 1982).

2.2.4. Stilistische und sprachliche Merkmale Stil wird hier im textlinguistischen Sinn verstanden (vgl. Stolt 1984; Sandig 1986). Zum Textsortenstil gehören nicht nur sprachliche Merkmale im engeren Sinn, sondern auch die typische thematische Entfaltung und das typische Handlungsmuster innerhalb der typischen Kommunikationssituation. Er ergibt sich aus dem Zusammenwirken aller typischen Merkmale. Wesentliche Elemente des Textsortenstils wurden also bereits beschrieben, so daß im folgenden nur noch die typischen sprachlichen Merkmale im engeren Sinn darzustellen sind. Wie in anderen wissenschaftlichen Texten findet sich ein ausgeprägter Nominalstil, der auch Ergebnis der Raumbeschränkungen sein kann (vgl. Dallmann 1979, 86 f), außerdem Fachlexik und eine Häufung textverknüpfender Pronomina. Während Dallmann (1979, 73 f) noch konstatiert, daß Subjektivitätsformeln wie m. E., meiner Ansicht nach deutlich häufiger zu finden sind als Personalpronomen, stellt Gläser (1990, 57) fest: „In deutschen wie in englischen Fachtexten artikulieren sich immer mehr Autoren in der Ich-Form. Die vieldeutige Wir-Form (als pluralis maiestatis, pluralis modestiae oder pluralis communis/“inclusive we” bzw. als Autoren-Plural) bezeichnet in zunehmendem Maße nur noch eine kollektive Verfasserschaft“. Entsprechend der Hauptfunktion ist eine Häufung wertender lexikalischer Mittel typisch. Dazu zählen auch die Stilfiguren Metapher und Anapher (vgl. Gläser 1990, 112 f). Einen deutlichen Einfluß auf die Stilschicht hat die Rezensionsvorlage; das zeigt sich bei Rezensionen zu belletristischer Literatur ebenso wie bei Rezensionen zu Werken mit umgangssprachlichem Wortschatz (vgl. Jokubeit 1980, 138; Ripfel 1989, 34; dagegen Dallmann 1979, 80 f). 2.3. Definition Abschließend kann als Zusammenfassung der textsortenkonstituierenden Merkmale die folgende Definition gegeben werden: Wissenschaftliche Rezensionen sind öffentliche, monologische Texte, in denen ein wissenschaftlich relevanter Rezensionsgegenstand beschrieben und bewertet wird. Weitere oben genannte charakteristische, aber nicht notwendige Merkmale oder Merkmalkombinationen können hinzutreten.

3.

Anspruch und Wirklichkeit

In Gottscheds „Bemühungen“ (1743) wird die Kritik als eine Wissenschaft verstanden, deren Urteile und Aussprüche ihren zurei-

492

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

chenden Grund haben müssen (vgl. Carlsson 1969, 27 f). Auch heute wird von der Kritik gefordert, daß ein kompetenter Rezensent zu Werke geht: „Der Rezensent darf sich nicht dilettantisch und nur oberflächlich mit dem Werk vertraut machen, er muß sich in all seinen Einzelheiten auskennen“ (Gorochov 1974, 53; vgl. auch Pätzold 1986, 89; Wiegand 1994). Zwar ist es im heutigen Wissenschaftsbetrieb kaum möglich, sich in allen Einzelheiten des Werks auszukennen, man sollte aber doch verlangen können, daß Rezensenten nicht alles rezensieren, was ihnen ins Haus geschickt wird, sondern sich auf ihr Fachgebiet beschränken und mehr als den Klappentext und das Inhaltsverzeichnis des Buches zur Kenntnis nehmen. Geschmäht und gefürchtet ist seit jeher die negative Kritik: „Neben dem kritischen Verneiner entstand dem Dichter im achtzehnten Jahrhundert noch ein zweiter rationalistischer Gegner, der hohle Prinzipienreiter und Schulmeister. Er amtiert heute noch“ (Carlsson 1969, 9). Man kann den gegensätzlichen Typus hier noch anfügen, den Lobhudler. Die überwiegende Zahl der Rezensionen ist positiv, nur regen die negativen Wertungen die Verfasser der rezensierten Werke viel mehr auf. Positive Bewertungen sind ebenso wie negative völlig unangebracht, wenn der Rezensent die Rezensionsvorlage nicht im Hinblick darauf liest und würdigt, inwieweit sie relativ zu den eigenen Vorgaben, Zielen und Intentionen gut oder schlecht gearbeitet ist (vgl. dazu Gründe für das Rezensieren in Wiegand 1983). Rezensionen, die nicht mehr als ein bis zwei Sätze zur Rezensionsvorlage bieten, kann man sich ganz sparen; dann haben andere mehr Platz. Es ist viel von den Aufgaben der Kritik die Rede, aber wenig von den tatsächlichen Gegebenheiten. Das Rezensionswesen fristet ein Aschenputteldasein im Wissenschaftsbetrieb. Auch daß Kritik konstruktiv und produktiv sein kann, sollte wieder mehr in den Vordergrund kommen, wenn auch der aufklärerische Stellenwert nicht mehr einzuholen ist.

4.

Literatur (in Auswahl)

Brinker 1985 ⫽ Klaus Brinker: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin 1985 (Grundlagen der Germanistik 29). Carlsson 1969 ⫽ Anni Carlsson: Die deutsche Buchkritik von der Reformation bis zur Gegenwart. Bern. München 1969.

Dallmann 1979 ⫽ Sabine Dallmann: Die Rezension. Zur Charakterisierung von Texttyp, Darstellungsart und Stil. In: Sprachnormen, Stil und Sprachkultur. Linguistische Studien, Reihe A, Arbeitsberichte 51. Hrsg. v. Wolfgang Fleischer. Berlin 1979, 58⫺97. Van Dijk 1980 ⫽ Teun A. van Dijk: Textwissenschaft. Eine interdisziplinäre Einführung. Tübingen 1980. Dimter 1981 ⫽ Matthias Dimter: Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Kommunikationssituation, Textfunktion und Textinhalt als Kategorien alltagssprachlicher Textklassifikation. Tübingen 1981 (Reihe Germanistische Linguistik 32). Gläser 1979 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachstile des Englischen. Leipzig 1979 (Linguistische Studien). Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). Glotz 1968 ⫽ Peter Glotz: Buchkritik in deutschen Zeitungen. Hamburg 1968. Gorochov 1974 ⫽ V. M. Gorochov: Die Rezension. In: Theorie und Praxis des sozialistischen Journalismus. Wissenschaftliche Hefte der Sektion Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig 1. 1974, 49⫺54. Hellwig 1984 ⫽ Peter Hellwig: Titulus oder über den Zusammenhang von Titeln und Texten. Titel sind ein Schlüssel zur Textkonstitution. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 12. 1984, 1⫺20. Jehle 1980 ⫽ Günter Jehle: Das englische und französische Lernerwörterbuch in der Rezension. Theorie und Praxis der Wörterbuchkritik. Tübingen 1990. Jokubeit 1979 ⫽ Werner Jokubeit: Zu Funktion und Gestaltung der Rezension als einer Textart des Erörterns. In: Textlinguistik 7. Beiträge zur Theorie und Praxis der Textgestaltung. Hrsg. v. Max Pfütze. Dresden 1979, 61⫺83. Jokubeit 1980 ⫽ Werner Jokubeit: Das Erörtern in der Rezension. Diss. Dresden 1980. Jokubeit 1981 ⫽ Werner Jokubeit: Zur Darstellung des Problemlösungsprozesses in der Textsorte Rezension. In: Textlinguistik 8. Beiträge zur Theorie und Praxis der Textgestaltung. Hrsg. v. Max Pfütze. Dresden 1981, 115⫺129. Pätzold 1986 ⫽ Jörg Pätzold: Beschreibung und Erwerb von Handlungsmustern. Beispiel: Rezension wissenschaftlicher Publikationen. In: Linguistische Studien, Reihe A, Arbeitsberichte 138. Berlin 1986, 1⫺147. Ripfel 1989 ⫽ Martha Ripfel: Wörterbuchkritik. Eine empirische Analyse von Wörterbuchrezensionen. Tübingen 1989 (Lexicographica. Series Maior 29). Rust 1992 ⫽ Angelika Rust: Zur Fachtextstruktur dargestellt am Beispiel russisch- und deutschsprachiger Fachbuchrezensionen. In: Beiträge zur

493

49. Abstract und Protokoll als Fachtextsorten Fachsprachenforschung. Sprache in Wissenschaft und Technik, Wirtschaft und Rechtswesen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1992, 119⫺124. Sandig 1986 ⫽ Barbara Sandig: Stilistik der deutschen Sprache. Berlin. New York 1986. Schweickard 1992 ⫽ Wolfgang Schweickard: Die sprachwissenschaftliche Rezension als Forschungsgegenstand (am Beispiel rumänistischer Rezensionen des 19. Jahrhunderts). In: Beiträge zur rumänischen Sprache im 19. Jahrhundert. Akten des Kolloquiums „Die rumänische Sprache im 19. Jahrhundert“. Regensburg 26.⫺28. April 1990. Hrsg. v. Gerhard Ernst, Peter Stein und Barbara Weber. Tübingen 1992. Steger 1983 ⫽ Hugo Steger: Über Textsorten und andere Textklassen. In: Textsorten und literarische Gattungen. Dokumentation des Germanistentages

in Hamburg vom 1. bis 4. April 1979. Hrsg. v. Vorstand der Vereinigung der deutschen Hochschulgermanisten. Berlin 1983, 25⫺67. Stolt 1984 ⫽ Birgit Stolt: Pragmatische Stilanalyse. In: Methoden der Stilanalyse. Hrsg. v. Bernd Spillner. Tübingen 1984, 163⫺173. Wiegand 1983 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Nachdenken über wissenschaftliche Rezensionen. Anregungen zur linguistischen Erforschung einer wenig erforschten Textsorte. In: Deutsche Sprache 2. 1983, 122⫺137. Wiegand 1994 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Zur Einführung [in den thematischen Teil: Wörterbuchkritik. Dictionary Criticism]. In: Lexicographica 9. 1993 [94], 1⫺7.

Martha Ripfel, Innsbruck

49. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen III: Abstract und Protokoll 1. 2. 3. 4.

1.

Abstract und Protokoll: texttypologische Besonderheiten Das Abstract als rekapitulierende Textsorte Das Protokoll als rekonstruierende Textsorte Literatur (in Auswahl)

Abstract und Protokoll: texttypologische Besonderheiten

Als auxiliare Textsorten der innerfachlichen wissenschaftlichen Kommunikation dienen Abstract und Protokoll der Dokumentation wissenschaftlicher Forschung. Der unterschiedliche Zweck der Dokumentation bestimmt wesentlich die Struktur von Abstracts und Protokollen. Die Aufgabe des Abstracts ist die Rekapitulation, also die zusammenfassende Wiedergabe eines meist auch im vollen Wortlaut zugänglichen Wissenschaftstextes, üblicherweise zur Vorinformation über einen Primärtext. Als Informationsfilter im wissenschaftlichen Austausch beeinflußt es die Rezeption von Primärtexten. Auch das Protokoll ist meist eine selektiv verkürzende Darstellung. Seine Aufgabe ist jedoch überwiegend die Rekonstruktion, also die Aufzeichnung eines Vorganges, der nach seinem Abschluß außer im Protokoll gewöhnlich nicht dokumentiert ist. Für die Adressaten des Protokolls dient dieses nicht der selegierenden Vorinformation, sondern ist selbst die maßgebliche Information über einen abgeschlos-

senen Vorgang. In texttypologischer Hinsicht ist unter der Bezeichnung Abstract aufgrund der großen kommunikativen und strukturellen Variabilität weniger eine homogene Textsorte als eine „Textsortenfamilie“ (EndresNiggemeyer 1985, 49) bzw. eine „Verallgemeinerung“ mehrerer Textsortenvarianten (Gläser 1990, 117) zu verstehen. Auch das Protokoll zeigt eine große Variationsbreite.

2.

Das Abstract als rekapitulierende Textsorte

2.1. Vorbemerkung zur Forschungslage und zur terminologischen Situation Rekapitulierende Hilfstexte sind bei Sachtexten seit der Antike bekannt und haben mit dem zunehmenden Informationsaustausch unter Wissenschaftlern in der Neuzeit stark an Bedeutung gewonnen (Kretzenbacher 1990, 29 ff). Im unübersichtlichen Informationsangebot der modernen Wissenschaften kommt ihnen eine wichtige Orientierungsfunktion zu. Die Informations- und Dokumentationswissenschaft beschäftigt sich vor allem unter dem Aspekt der Effektivierung mit dem Abstract (vgl. Wellisch 1980 und 1984). Die große Variabilität des Abstracts hat zu vielen Standardisierungsversuchen und damit zu einer Fülle von normativen Vorgaben geführt, die von style sheets einzel-

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

ner Publikationsorgane (vgl. z. B. Kuhlen 1984, 92 ff) bis hin zu nationalen und internationalen Normen wie DIN 1426 (DIN 1984) oder ISO 214-1976 (ISO 1976) gehen. Wie Lothar Hoffmann (1988, 162) generell zur sprachlichen Standardisierung von Fachtexten feststellt, fehlt auch bei der Standardisierung von Abstracts „eine einheitliche, theoretisch begründete Bezugsbasis, ein objektives System definierter Begriffe und anerkannter Werte“. In den letzten Jahren ist das Abstract als hochfrequente und leicht zugängliche Textsorte der Wissenschaftssprache auch mehrfach Objekt der Fach- und Wissenschaftsforschung geworden. Die Untersuchungsansätze sind heterogen, man kann aber vier Schwerpunkte der Fragestellung erkennen: Das Verhältnis zwischen Primärtext und Abstract, texttypologische Fragen, kontrastive Ansätze und didaktische Überlegungen. Die konzeptionelle Uneinheitlichkeit bei der Standardisierung des Abstracts führt zu einer terminologischen Situation, in der viele verschiedene Bezeichnungen mit teilweise ganz unterschiedlichen Definitionen mehr oder weniger synonym verwendet werden. Ein Überblick über Bezeichnungen und Definitionen von Abstracts und verwandten rekapitulierenden Textsorten der wissenschaftlichen Kommunikation findet sich bei Kretzenbacher (1990, 17 ff). 2.2. Abgrenzung des Abstracts von anderen rekapitulierenden Texten Nach DIN 1426 ist das Kurzreferat, das dort im wesentlichen dem Abstract entspricht, eine von neun Hauptformen der Inhaltsangabe. Diese, verstanden als „jede verkürzte Darstellung des Inhalts eines Dokuments“ (DIN 1984, 35), ist damit ein Hyperonym von Abstract. Allerdings umfaßt der Überbegriff auch Inhaltswiedergaben, die nicht in Form kohärenter Texte auftreten (müssen). Deshalb erscheint in texttypologischen Arbeiten als Überbegriff für Inhaltsangaben mit Textcharakter oft die Bezeichnung Zusammenfassung. Da aber Zusammenfassung auch als Kohyponym von Abstract (vgl. DIN 1984, 34; Gnutzmann 1991, 365; Oldenburg 1992, 77 ff), manchmal auch als Synonym gebraucht wird (vgl. Fluck 1988, 69; Lippert 1989 a, 213 ff; Ebel/Bliefert 1994, 48, 87 und 103), ist die Verwendung als Hyperonym eher verwirrend, besonders wenn Zusammenfassung im gleichen Aufsatz einmal als Hyperonym und ein anderes Mal als Kohyponym

von Abstract erscheint (Ickler 1993, 44 und 45 f). Auch die Norm DIN 1426 verwendet in der Übersetzung des Titels „Inhaltsangaben in Information und Dokumentation/Abstracts for Information and Documentation“ abstract in der Funktion eines Hyperonyms und damit annähernd synonym mit englischen Bezeichnungen wie summary oder synopsis, wie es nur selten vorkommt (vgl. Kretzenbacher 1990, 25 und 27 f). Die im Englischen zumeist mit abstract bezeichnete Sonderform rekapitulativer Texte entspricht weitgehend der in DIN 1426 als Kurzreferat (sonst auch als Referat, vgl. Hoffmann 1988, 164 f; 1990, 46 ff) bezeichneten Art von Inhaltswiedergaben. Zur Vermeidung terminologischer Schwierigkeiten, besonders solcher mit texttypologischen Bezeichnungen, die auch alltagssprachlich in Gebrauch sind, hat Kretzenbacher (1990, 8 ff) das Hyperonym Rekapitulation für alle verkürzend reproduzierenden Texte vorgeschlagen. Die Textsortenfamilie Abstract unterscheidet sich in folgenden Punkten von den anderen in DIN 1426 aufgeführten Inhaltswiedergaben: (a) Das Abstract ist ein kohärenter Text (Textreferat), keine stichpunktartige oder nicht obligatorisch textuelle Inhaltswiedergabe wie das Inhaltsverzeichnis, die Annotation, das Schlagwortreferat (Deskriptorenreferat) oder das Strukturreferat (Positionsreferat). (b) Das Abstract faßt einen einzigen Primärtext zusammen, anders als das Sammelreferat, die Sammelrezension oder der Literaturbericht. (c) Das Abstract ist eine stark kondensierte Wiedergabe des Primärtextes. Wenn auch der Grad der Kondensation unterschiedlich ist, bewegt sich der Umfang des Abstracts gegenüber dem Primärtext doch meist im einstelligen Prozentbereich (vgl. Kretzenbacher 1990, 48 ff). Das unterscheidet das Abstract vom ersetzenden Referat (Kurzfassung) (DIN 1984, 38), von der neuen Publikationsform des extended abstract (Adolphi 1996) und ähnlichen Formen des gekürzten Dokuments (Wersig/Neveling 1976, 88). Die Kondensation wird beim Abstract überwiegend nicht durch zitierende Auswahl aus dem Primärtext erreicht wie beim Auszug (DIN 1984, 35) oder den diesem gleichzusetzenden Formen des Exzerpts (Wersig/Neveling 1976, 144), sondern durch Paraphrasierung. (d) Das Abstract gibt den Primärtext üblicherweise nicht wertend wieder, was es von

49. Abstract und Protokoll als Fachtextsorten

der Rezension bzw. Sammelrezension unterscheidet. Allerdings sind die Anforderungen an die deskriptive Neutralität des Abstracts unterschiedlich streng, und es gibt die Sonderform des kritischen Referats (DIN 1984, 38). (e) Das Abstract enthält keine Schlußfolgerungen, die im Primärtext nicht vorhanden sind. Das unterscheidet es von der Zusammenfassung im Sinn von DIN 1426 (DIN 1984, 35) bzw. von den Schlußfolgerungen (Lippert 1989 a, 215; Ebel/Bliefert 1994, 64 und 104) als Äquivalent der englischen conclusion (vgl. Borko/Bernier 1975, 227; Oldenburg 1992, 77 ff). Die Schlußfolgerung hat neben der rekapitulativen Funktion auch eine evaluative (vgl. Oldenburg 1992, 106 ff). (f) Anders als die Schlußfolgerung ist das Abstract nicht Teiltext des Primärtextes, sondern als abgeleitete Textsorte (Gläser 1990, 48 und 50) bzw. „Textsorte-in-Relation“ (Gläser 1990, 117) ein Paratext (vgl. Genette 1989, 12 f). (g) Während die Schlußfolgerung die Lektüre der vorausgehenden Teiltexte voraussetzt, ist das Abstract zur vorgeschalteten oder auch ersetzenden Information über den Inhalt des Primärtextes bestimmt (Lippert 1989 a, 213 f). Die inhaltlichen, formalen und funktionalen Spezifika schlagen sich in Einzelheiten der sprachlichen Realisierung des Abstracts nieder: Verglichen mit den Schlußfolgerungen liegt der Passivanteil in Abstracts signifikant höher. Diese Tendenz ist besonders in englischsprachigen Abstracts zu bemerken (Preiß 1983 a, 76 und 1983 b, 87), gilt aber auch für deutschsprachige Abstracts (Gnutzmann 1991, 375; Oldenburg 1992, 113). Auch die Wiedergabe verbaler Information durch Verbalsubstantive kommt in Abstracts häufiger vor als in Schlußfolgerungen (Oldenburg 1992, 113). 2.3. Varianten des Abstracts Die erwähnte große Variationsbreite der „Textsortenfamilie“ Abstract beruht auf einer inhaltlichen, formalen und funktionalen Differenzierung nach Kriterien, wie sie im folgenden aufgeführt sind: (a) Verfasser bzw. Herstellung: Beim Autorenabstract sind Verfasser von Primärtext und Abstract identisch. Fremdabstracts werden von Herausgebern von Sammelbänden oder Zeitschriften oder von Redakteuren in Referatediensten verfaßt. Maschinell erstellte

495 Abstracts haben, anders als maschinell hergestellte Textauszüge, bisher offenbar kaum befriedigende Ergebnisse gebracht (vgl. Kretzenbacher 1990, 3 f und 20). (b) Plazierung: Als typographisch eigenständiger Paratext tritt das Abstract entweder in Form eines Peritextes in unmittelbarer Umgebung des Primärtextes ⫺ gewöhnlich zwischen Titel und Primärtext ⫺ oder in seiner mittelbaren Umgebung auf (als Teil einer alle Abstracts eines Bandes umfassenden Inhaltsfahne, vgl. DIN 1984, 38). Innerhalb eines gedruckten oder elektronischen Referateorgans oder als vorveröffentlichtes Konferenzabstract in Konferenzmaterialien repräsentiert das Abstract die andere Form des Paratextes, den Epitext. (c) Zeitlicher Bezug zur Produktion des Primärtextes: Gegenüber der normalen Produktionsabfolge Primärtext ⫺ Abstract wird die Sonderform des Konferenzabstracts als „PräText“ (Gläser 1990, 48 f) meist vor dem Primärtext formuliert. (d) Inhaltlicher Bezug zum Primärtext: Das indikative Abstract soll die Lektüre des Primärtextes nicht ersetzen, sondern dem Leser lediglich Anhaltspunkte für eine mögliche Relevanz des Primärtextes geben, ihn auf die dort „behandelten Sachverhalte hinweisen und die Art der Behandlung andeuten, aber nicht konkrete Resultate […] wiedergeben“ (DIN 1984, 37). Funktional stellt es sich als eine explizierende Erweiterung des Titels dar. Das informative Abstract, „mit dem die wichtigen inhaltlichen Bestandteile des Originaldokuments verkürzt so wiedergegeben werden, daß die im Originaldokument enthaltene Information dem Referat selbst entnommen werden kann“ (DIN 1984, 37), kann u. U. die Lektüre des Primärtextes ersetzen. Häufig findet sich in informativen Abstracts ein einleitender Satz, der wie ein indikatives Abstract einen allgemeinen Überblick über den Inhalt des Primärtextes gibt und zugleich als Hyperthema Kohärenz zwischen den untereinander nur mit geringer Kohäsion gestalteten Textsegmenten des Abstracts stiftet (vgl. Preiß 1983 a, 54 f und 73; Radzievskaya 1986, 60; Hoffmann 1988, 170; Fluck 1988, 81 f). Eine Mischform stellt das indikativ-informative Abstract dar, das solche Informationen eines Primärtextes mitteilt, die als zentral betrachtet werden, von anderen lediglich in der Art des indikativen Abstracts Kenntnis gibt. (e) Publikationssprache: Wissenschaftliche Texte, die in einer „kleineren“ Wissenschafts-

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

sprache verfaßt sind, haben eine erheblich größere Chance, international rezipiert zu werden, wenn sie fremdsprachige Abstracts als Paratexte haben. Im wissenschaftsspezifischen Fremdsprachenunterricht sollte daher der Technik des Abstracts große Aufmerksamkeit gelten (vgl. McNab 1990, 9; Kretzenbacher 1991, 65; Fægri 1995). (f) Disziplin: Wie für andere wissenschaftliche Textsorten gelten auch für das Abstract je nach Disziplin unterschiedliche und unterschiedlich streng gehandhabte Textmuster. Generell kann man sagen, daß in den experimentell arbeitenden Disziplinen einer stärker konventionalisierten Teiltextkonfiguration von Primärtexten ein vergleichbarer Textaufbau der Abstracts entspricht, obwohl die Teiltexte des Primärtextes weder sämtlich noch in der vorgegebenen Reihenfolge im Abstract repräsentiert sein müssen (Preiß 1983 a, 56 ff; Fluck 1988, 78 ff). Der in Abstracts der experimentellen Wissenschaften hohe Passivanteil wie auch der Anteil erzählender Tempora wie des Präteritums, der in Abstracts anderer Fachbereiche sehr gering ist, geht auf die insbesondere in informativen Abstracts mit hoher Frequenz repräsentierten Teiltexte „Materialien und Methoden“ sowie „Experimentbeschreibung“ der Primärtexte zurück (vgl. Kretzenbacher 1990, 78 und 80; 1991, 59).

3.

Das Protokoll als rekonstruierende Textsorte

3.1. Überblick zur Forschungslage Auch das protokollierende Berichten ist eine alte Kulturtechnik. Das Protokoll ist wie die Rekapitulation auch außerhalb der wissenschaftlichen Kommunikation verbreitet und kommt selbst als Stilmuster der fiktionalen Literatur vor (vgl. Kretzenbacher 1990, 30 f und Drach 1989). Anders als das Abstract ist aber das Protokoll m. W. bisher sowohl in der Informations- und Dokumentationswissenschaft als auch in der Wissenschaftssprachforschung kaum systematisch untersucht worden. Weitgehend theoriefrei wird in der Ratgeberliteratur zum Schreiben von Sachtexten (z. B. Lennartz 1991; Ueding 1991, 85 ff), zum muttersprachlichen Deutschunterricht (z. B. Eggerer 1985, 351 ff) und zu wissenschaftlichen Arbeitstechniken (z. B. Hülshoff/Kaldewey 1993, 147 ff; Poenicke/WodkeRepplinger 1988, 91 ff; Kruse 1993, 74) vor allem das Kommunikationsprotokoll darge-

stellt, seltener das Ereignisprotokoll in Form des Versuchsprotokolls (z. B. Hülshoff/Kaldewey 1993, 153; Ebel/Bliefert 1994, 15 ff). Kurze allgemeine Hinweise zum medizinischen Versuchsprotokoll geben Lippert (1989 b, 6) und Gärtner (1989, 57). In der Rechtswissenschaft beschäftigten sich in den siebziger Jahren einige Aufsätze mit den gesetzlichen Neuregelungen zur Vereinfachung des Sitzungsprotokolls (z. B. Franzki 1975) sowie mit dem Vernehmungsprotokoll als Beweismittel im Strafprozeß (Schroth 1975). Einige wissenschaftssoziologische Studien (z. B. Knorr-Cetina 1984; Lynch 1985) befassen sich mit der Rolle des Versuchsprotokolls zwischen handlungsbegleitender Kommunikation in der Laborsituation und wissenschaftlicher Publikation. In der Fach- und Wissenschaftssprachforschung ist der Forschungsstand zum Protokoll unbefriedigend: Rosemarie Gläser erwähnt das Protokoll lediglich in ihrer Typologie schriftlicher Fachtextsorten als abgeleitete Textsorte der internen Fachkommunikation (1990, 50), ohne es näher zu charakterisieren, und auch ohne daß das Ereignisprotokoll (Versuchsprotokoll, Operationsbericht) in seiner potentiellen Eigenschaft als „PräText“ für eine wissenschaftliche Publikation dargestellt wäre. Hervorzuheben sind die Arbeiten von Pettinari zur medizinischen Protokollvariante des Operationsberichts: Sie analysiert die Funktion des Wechsels zwischen indefinitem Subjekt und dem Subjektpronomen there für die thematische Progression in solchen Texten und schließt, daß jenes thematische, dieses nicht-thematische Information transportiert (Pettinari 1983, 62 ff). In einer ausführlicheren Studie untersucht sie drei Aspekte des Operationsberichts: (a) Seine Einbettung in die Handlungsstruktur der Operation und das Verhältnis von handlungsbegleitender Kommunikation während der Operation und im Operationsbericht niedergelegter Information, (b) die narrativ-episodische Struktur des Operationsberichts und (c) die unterschiedliche sprachliche Form von Operationsberichten in der Anfangs- und der Endphase der chirurgischen Facharztausbildung (vgl. Pettinari 1988, 129 ff). Claudia Brass (1995) analysiert die Tempusverwendung in bebilderten Operationsberichten. 3.2. Arten des Protokolls Nach der Art der protokollierten Fakten kann man grundsätzlich zwischen Kommunikations- und Ereignisprotokollen unterschei-

49. Abstract und Protokoll als Fachtextsorten

den. Kommunikationsprotokolle rekonstruieren in den Wissenschaften überwiegend mündliche Kommunikationseinheiten der Forschung (wissenschaftliche Fachkolloquien), Lehre (Seminarprotokoll, Vorlesungsmitschrift, Protokoll mündlicher Prüfungen), Verwaltung (Konferenzprotokoll) oder der Fachleute-Laien-Kommunikation (Gerichtsprotokoll, ärztliches Anamneseprotokoll). Während das Verlaufsprotokoll in ausführlicherer Form als Gerichtsprotokoll und (seltener) in knapperer Form als Konferenzprotokoll eine geringere Rolle spielt, treten Kommunikationsprotokolle in den Wissenschaften überwiegend als Ergebnisprotokolle auf. Gedächtnisprotokolle, etwa in Form von Aktennotizen, kommen als Sonderform vor allem in der Wissenschaftsverwaltung vor. Abgesehen von solchen Aktennotizen und von Vorlesungs- und Seminarmitschriften, die nur zum persönlichen Gebrauch der protokollierenden Person bestimmt sind, werden Protokolle mit Hilfe einer Vorstufe („PräText“) von Mitschriften bzw. Notizen inklusive situativer Angaben (Ort, Zeit und Anlaß der Kommunikation) erstellt, wobei besonders beim Ergebnisprotokoll der tatsächliche Ablauf der Kommunikation inhaltlich gegliedert und ggf. die Abfolge von Teiltexten umgestellt wird. Außerdem werden dem Protokoll oft zusätzliche Informationen (bibliographische Angaben, Klärung von aufgetretenen Sachproblemen oder Fragen) hinzugefügt; andererseits werden Details, die die protokollierende Person als trivial oder irrelevant betrachtet, in der Textfassung weggelassen. Bei Protokollen mit rechtlicher Relevanz muß diese Zweitfassung oft förmlich durch die Beteiligten akzeptiert und ggf. unter Rückgriff auf die ursprünglichen Notizen modifiziert werden. Das Kommunikationsprotokoll ist eine abgeleitete Textsorte, ein Sekundärtext wie das Abstract. Gelegentlich kann es auch als „Prä-Text“ fungieren, etwa ein Vernehmungsprotokoll als Beweismittel in einer Gerichtsverhandlung, ein gerichtliches Verhandlungsprotokoll als Grundlage einer Revision, oder wenn in Konferenzberichten neben dem Wortlaut der Referate auch Protokolle der Diskussionen publiziert werden. Das Ereignisprotokoll ist in der wissenschaftlichen Arbeit insbesondere ein „PräText“ als Grundlage wissenschaftlicher Äußerungen in den empirisch arbeitenden Disziplinen. Das gilt auch für empirisch arbeitende Kulturwissenschaften, z. B. für die ethnologische Feldforschung und für die linguistische

497 Diskursanalyse ⫺ soweit hier sprachliche Handlungen bearbeitet werden, sind solche Protokolle zugleich abgeleitete Texte. Vor allem die empirischen Naturwissenschaften und die Medizin verwenden häufig Laborprotokolle, Operations- oder Sektionsberichte u. ä. als „Prä-Texte“ für die fachliche Kommunikation. An Beispielen aus der Medizin und der Chemie ist zu ersehen, daß auch derartige Ereignisprotokolle häufig mit Hilfe einer Vorstufe von Operationsnotizen (Pettinari 1988, 19 und 136 ff) bzw. von Einträgen im Laborbuch (Ebel/Bliefert 1994, 7 und 9 ff) erstellt werden. Oft geben Experiment- und Operationsberichte den tatsächlichen zeitlichen Ablauf des Experiments bzw. der Operation nicht sukzessive, sondern nach inhaltlichen Gesichtspunkten gegliedert wieder und enthalten zusätzliche Informationen bibliographischer, schlußfolgernder oder situativ einrahmender Art über die bereits in den Notizen mitgeteilten (Ort, Zeit, Beteiligte) hinaus. Ähnlich wie beim Kommunikationsprotokoll repräsentiert das Laborbuch bzw. die Operationsnotiz die Umsetzung unmittelbarer Beobachtung, der Operationsoder Experimentbericht als Protokolltext eine Modifikation dieser Beobachtungen, die u. U. durch Rückgriff auf die Notizen korrigiert werden kann (vgl. Ebel/Bliefert 1994, 10 ff und 16). 3.3. Das Protokoll in der Geschichte und Theorie der empirischen Wissenschaften Abgesehen von rechtlichen Konsequenzen, die auch für medizinische Protokolle von Bedeutung sind, gehört die potentielle Rückführbarkeit auf unmittelbare und authentische Notizen und damit die Wiederholbarkeit von Experimenten zu den Basiskriterien für die Wissenschaftlichkeit einer Aussage in den experimentell arbeitenden Disziplinen. Diese bereits beim Schritt von den Notizen zum Protokoll durch Rekodierung mittelbar gewordene Authentizität geht in einer weiteren Rekodierungsstufe in die Teiltexte „Material und Methoden“ sowie „Ergebnisse und Diskussion“ der endgültigen Publikationen ein. Am Beginn der modernen Naturwissenschaften steht der besonders von Boyle propagierte, durch Protokolle gestützte Authentizitäts- und dadurch begründete Autoritätsanspruch experimenteller „Fakten“ (Shapin/ Schaffer 1985, 22 ff). Trotz seiner schon durch Boyles zeitgenössische Gegner veranlaßten (vgl. Shapin/Schaffer 1985, 110 ff und 225 ff) und später im Verlauf des 18. Jahrhunderts weiterhin vorgenommenen Modifikationen (vgl. Holmes 1991, 167 ff) gilt er im Kern noch heute. Greg Myers (1990, 121 ff) beschreibt, wie im Verlauf einer biologischen Kontroverse der Rückgriff auf protokol-

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

lierte Daten als Seriositätsbeweis den Teiltext „Material und Methoden“ in den publizierten Texten immer stärker anschwellen läßt. Die dem Protokoll zugeschriebene Authentizität und Unmittelbarkeit hat im Logischen Positivismus des Wiener Kreises zum Postulat von „Protokollsätzen“ als Basisaussagen geführt, die auf Beobachtung beruhen und aus denen induktiv wissenschaftliche Aussagen abgeleitet werden sollten (vgl. Ayer 1978, 229 ff). Die mehrfache Rekodierung sprachlicher Information vom handlungsbegleitenden Sprechen im Labor über die Notizen im Laborbuch und die Experimentberichte bis hin zu den Entwürfen und schließlich zur Endfassung einer Publikation ist in der ethnomethodologisch vorgehenden Wissenschaftssoziologie untersucht und als soziale Konstruktion wissenschaftlicher Fakten beschrieben worden. Die Rolle der Laborprotokolle wird dabei teilweise als eher peripher (Lynch 1985, 68 f), teilweise auch als zentral betrachtet (Knorr-Cetina 1984, 212 und 216 ff). Eine detaillierte linguistische Beschäftigung mit dem Postulat von Protokollsätzen und der Einbettung von Protokolltexten in das Geflecht sprachlicher Äußerungen im Prozeß wissenschaftlicher Forschung und Publikation steht m. W. noch aus.

4.

Literatur (in Auswahl)

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Heinz L. Kretzenbacher, Melbourne

Ickler 1993 ⫽ Theodor Ickler: Zur Textgattung „Abstract“. In: Fachsprache 15. 1993. 1⫺2, 44⫺53. ISO 1976 ⫽ ISO 214 ⫺ 1976 (E.). Documentation ⫺ Abstracts for Publication and Documentation / Documentation ⫺ Analyse pour les publications et la documentation. Hrsg. v. ISO, International Organization for Standardization. O. O. 1976 [11 Seiten Loseblattausgabe]. Knorr-Cetina 1984 ⫽ Karin Knorr-Cetina: Die Fabrikation von Erkenntnis: Zur Anthropologie der Naturwissenschaft. Frankfurt/M. 1984 (Theorie). Kretzenbacher 1990 ⫽ Heinz L. Kretzenbacher: Rekapitulation. Textstrategien der Zusammenfassung von wissenschaftlichen Fachtexten. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 11). Kretzenbacher 1991 ⫽ Heinz L. Kretzenbacher: Rekapitulation. Analyse einer Textsorte der wissenschaftlichen Kommunikation. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 19. 1991, 49⫺70. Kruse 1993 ⫽ Otto Kruse: Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium. Frankfurt/M. New York 1993 (Campus: Studium 1074). Kuhlen 1984 ⫽ Rainer Kuhlen: Some Similarities and Differences Between Intellectual and Machine Text Understanding for the Purpose of Abstracting. In: Representation and Exchange of Knowledge as a Basis of Information Processes. Proceedings of the Fifth International Research Forum in Information Science (IRFIS 5) Heidelberg F. R. G., September 5⫺7, 1983. Hrsg. v. Hans J. Dietschmann. Amsterdam. New York. Oxford 1984, 87⫺109. Lennartz 1991 ⫽ Annemarie Lennartz: Praxis der Protokollführung. 2. Aufl. Landsberg a. Lech 1991. Lippert 1989 a ⫽ Herbert Lippert: Das Manuskript der medizinischen Dissertation. In: Die medizinische Dissertation. Eine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten für Medizinstudenten und Ärzte. Hrsg. v. Herbert Lippert. 3., aktual. u. erw. Aufl. München. Wien. Baltimore 1989, 185⫺251. Lippert 1989 b ⫽ Herbert Lippert: Reihenfolge der Schritte auf dem Weg zur medizinischen Dissertation. In: Die medizinische Dissertation. Eine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten für Medizinstudenten und Ärzte. Hrsg. v. Herbert Lippert. 3., aktual. u. erw. Aufl. München. Wien. Baltimore 1989, 1⫺14.

500

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

50. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen IV: das fachinterne Gutachten zu wissenschaftlichen Arbeiten 1. 2. 3. 4.

Gutachten: Begriff und Funktion Fachinterne Gutachten als Textsorte Linguistische und kommunikative Beschreibung fachinterner Gutachten Literatur (in Auswahl)

1.

Gutachten: Begriff und Funktion

Im Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (Klappenbach/Steinitz 1970, 1673 f) findet sich für das Stichwort Gutachten die folgende Umschreibung: „meist schriftlich gegebenes, fachmännisches Urteil“; der Gutachter ist definiert als „Fachmann, Sachverständiger, der ein Gutachten abgeben muß“; als Beispiele sind angeführt: „ein detailliertes, juristisches, psychiatrisches, medizinisches, technisches G.“ Im Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (Kempcke 1984, 514) steht zu lesen: „meist schriftlich fixierte Beurteilung eines Sachverhalts, Projekts, einer Person durch einen Sachverständigen“; die Beispiele sind im wesentlichen dieselben. Weitere Merkmale nennt eine ältere Formulierung (Sanders/Wülfing 1909, 285 f): „Urteil darüber, was man in einer Sache für gut, zweckmäßig erachtet, nam. das eingeforderte Urteil Sachverständiger“. Aus der Sicht des Etymologen (Pfeifer u. a. 1989, 620) ergibt sich: „ausführlich begründete Stellungnahme eines Sachverständigen (Anfang 16. Jh.), substantivierte Zusammenrückung aus etw. für gut achten“. Die folgenden Betrachtungen werden zeigen, inwieweit die genannten Merkmale (schriftlich, fachmännisch, detailliert, ausführlich, eingefordert, begründet) für eine (Textsorten-)Definition ausreichen und ob die Orientierung an positiven Eigenschaften (gut, zweckmäßig) der zu beurteilenden Objekte nicht zu stark etymologisch geprägt ist. Zu fragen ist auch nach den Synonymiebeziehungen zwischen Gutachten, Urteil und Beurteilung. Sucht man nach einer Klassifizierungsmöglichkeit für Gutachten, so bieten die Beispiele (juristisch, psychiatrisch, medizinisch, technisch) bei aller Zufälligkeit und Unvollständigkeit eine erste Handhabe: Obwohl es sich bei den zitierten Werken um allgemeinsprachliche Wörterbücher handelt, wird sofort nach Kommunikationsbereichen bzw. nach Fä-

chern eingeteilt, ohne daß man genauer weiß, worin sich z. B. ein juristisches Gutachten von einem technischen unterscheidet. Unberücksichtigt bleibt allerdings, daß ein medizinisches, meist psychiatrisches Gutachten für ein Gericht, also eine juristische Instanz, oder für eine Krankenkasse, also eine staatliche oder soziale Institution verfaßt werden kann und zumeist auch wird. Technische Gutachten dienen den verschiedensten Zwecken. Offenbar muß man, um zu einer klaren Vorstellung von der Fachtextsorte Gutachten zu gelangen, zunächst einmal die Hauptfunktion aller Gutachten bestimmen, die sie von anderen (Fach-)Textsorten abhebt. Das ist m. E. die Vorbereitung einer wohlbegründeten Entscheidung: Das technische Gutachten kann zum Bau einer Brücke oder zur Stillegung eines Fahrzeuges führen; das psychiatrische Gutachten kann zur Nichtverurteilung oder zur Verurteilung eines Gewalttäters oder zur Festlegung des Strafmaßes beitragen; das medizinische Gutachten kann über Arbeitsfähigkeit oder Invalidisierung entscheiden helfen. Das ist übrigens ein Umstand, der es nicht gerechtfertigt erscheinen läßt, Gutachten als sogenannte abgeleitete Texte in eine Reihe mit Abstracts, Rezensionen und Dissertationsthesen (Gläser 1990, 48 und 50) zu stellen: Gutachten, zumindest interfachliche, sind nicht in erster Linie auf bereits vorliegende Texte zu beziehen, sondern auf künftige, erst noch abzufassende gerichtet. Besonders deutlich wird die Rolle des Gutachtens für die Entscheidungsfindung bei der Beurteilung wissenschaftlicher Arbeiten, sei es vor der Annahme als Magisterarbeit, Dissertation oder Habilitationsschrift, sei es vor der Veröffentlichung in einer Zeitschrift oder durch einen Verlag. Aus dem Vergleich mit den erstgenannten Beispielen ergibt sich übrigens eine prinzipielle Unterscheidung, die nach der allgemeinen Funktionsbestimmung und vor der weiteren Klassifizierung von Gutachten getroffen werden muß: die Unterscheidung von interfachlichen und fachinternen Gutachten. Gutachten zu wissenschaftlichen Arbeiten sind erst einmal fachinterne Gutachten, obwohl das nicht immer der Fall sein muß, z. B. bei interdisziplinären Untersuchungen, und schon wenn Graduierungsarbeiten in einem Verlag veröffentlicht werden sollen, können im Gutachten andere Gesichtspunkte hinzukommen.

50. Das fachinterne Gutachten als Fachtextsorte

501

2. Fachinterne Gutachten als Textsorte

entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar eine normierende Wirkung, erleichtern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und Rezeption von Texten geben“ (Brinker 1985, 124). Fachtextsorten sind eine spezielle Klasse von Textsorten, für deren Produktion und Rezeption zusätzlich zum Alltagswissen noch Fachwissen nötig ist (Hoffmann 1990 a, 11).

Eine wesentliche Voraussetzung für fachinterne Gutachten zu wissenschaftlichen Arbeiten ist die Orientierung an gewissen Erwartungen und Normen, die für die zu begutachtenden Arbeiten selbst gelten. Wissenschaftstheoretische und -propädeutische Schriften (z. B. Schnegelsberg 1973; Eco 1989), Normen (z. B. DIN 1422; DIN 1503), Arbeitsanleitungen (z. B. Völkel 1987), Promotionsordnungen und Verlagsempfehlungen setzen hier Maßstäbe, zu deren Einhaltung sich der Gutachter äußern muß. Als Beispiel eignen sich vier bekannte Anforderungen an Wissenschaftlichkeit: „(1) Die Untersuchung behandelt einen erkennbaren Gegenstand, der so genau umrissen ist, daß er auch für Dritte erkennbar ist. […] (2) Die Untersuchung muß über diesen Gegenstand Dinge sagen, die noch nicht gesagt worden sind, oder sie muß Dinge, die schon gesagt worden sind, aus einem neuen Blickwinkel sehen. […] (3) Die Untersuchung muß für andere von Nutzen sein […] (4) Die Untersuchung muß jene Angaben enthalten, die es ermöglichen nachzuprüfen, ob ihre Hypothesen falsch oder richtig sind, sie muß also die Angaben enthalten, die es ermöglichen, die Auseinandersetzung in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit fortzusetzen. […]“ (Eco 1989, 40⫺44).

Die Unifizierung der wissenschaftlichen Arbeiten bewirkt auch eine mehr oder weniger starke Unifizierung der Gutachten. Bestimmte Teiltexte zu bestimmten Aspekten der Arbeit sind obligatorisch, und auch in ihrer Reihenfolge haben sich gewisse Regularitäten durchgesetzt. Die Vereinheitlichung reicht bis zur Stereotypie bei der Wahl von Wörtern und Wendungen. Die Zahl der Gutachter mit individuellem sprachlichem Gestaltungswillen nimmt auch wegen der akademischen Routine und des Massenbetriebes im Bildungswesen notgedrungen ab. Formulargutachten, wie z. B. im Gesundheitswesen, sind in Sichtweite gerückt. (Aber: Die seltenen originellen Abweichungen werden beim Verlesen der Gutachten durch Beifall ⫺ oder durch Heiterkeit ⫺ belohnt!)

Auf alle Fälle trifft die Textsortendefinition auf Gutachten zu: „Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch

2.2. In Promotionsordnungen und Anlagen dazu werden gewöhnlich die folgenden allgemeinen Anforderungen an Gutachten bzw. Gutachter zum Ausdruck gebracht: „(3) Die Gutachter geben schriftlich ein begründetes Urteil ab und beantragen, die Arbeit anzunehmen oder abzulehnen. Im ersten Fall schlagen sie zugleich das Prädikat der Arbeit vor; […]“ (Promotionsordnung der Universität Heidelberg 1961, Paragraph 4). „(1) Die Gutachten dienen der Entscheidungsfindung in der Fakultät bzw. Promotionskommission […] (2) Mit dem Gutachten ist festzustellen, ob die Dissertation einschließlich der Thesen den Anforderungen an die Verleihung des Doktorgrades genügt. Im Gutachten ist die Annahme oder Nichtannahme der Arbeit zu empfehlen. Die Leistung ist mit einer Note gemäß Paragraph 16, Absatz 1 zu bewerten (Promotionsordnung der Universität Leipzig 1992, Paragraph 11). In diesen Festlegungen deuten sich bereits sprachliche Konsequenzen an. Im folgenden werden die Ergebnisse einer Korpusanalyse vorgestellt, die auf 100 Gutachten zu Dissertationen und Habilitationsschriften von 10 Autoren basiert (z. B. Hoffmann 1990 b). Die strukturellen (textinternen) und funktionalen (textexternen) Merkmale wurden mit Hilfe zweier Matrizen erfaßt (Hoffmann 1987, 97 und 99; 1990 a, 9 f; vgl. auch Art. 46). Hier können nur die auffälligsten wiedergegeben werden.

3.

Linguistische und kommunikative Beschreibung fachinterner Gutachten

3.1. Textinterna Bei der Makrostruktur, d. h. der Gliederung des Gesamttextes in Teiltexte, dominieren zwei Grundtypen: Typ A folgt im Hauptteil (Teiltext 2) der Gliederung der zu begutach-

502

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten 0. Gutachten

1. Einordnung in das Forschungsprofil 2.1. Überblick

2. Beschreibung und Wertung

2.2. Positiva

2.3. Negativa

3. Gesamtbeurteilung

3.1. Annahme

3.1.1. Note

3.2. Ablehnung

3.1.2. Empfehlung

Abb. 50.1: Makrostruktur des fachinternen Gutachtens

tenden wissenschaftlichen Arbeit (z. B. Vorwort ⫺ Einleitung ⫺ Forschungsstand ⫺ Zielstellung ⫺ Materialkorpus ⫺ Methoden ⫺ Ergebnisse ⫺ Anwendung ⫺ Zusammenfassung ⫺ Literaturverzeichnis ⫺ Anlagen), beschreibt dabei den Inhalt der einzelnen Kapitel bzw. Abschnitte mehr oder weniger ausführlich und wertet deren Stärken und Schwächen sofort. Typ B gibt nur einen kurzen Überblick über die Bestandteile der Arbeit und faßt die Stärken einerseits wie die Schwächen andererseits in gesonderten Teiltexten zusammen. Typ B ist seltener als Typ A, wahrscheinlich weil er eine stärkere Bearbeitung der Vorlage verlangt. In den übrigen Teiltexten stimmen beide Typen weitgehend überein, so daß sich der folgende Textbauplan ergibt: Teiltext 1 Einordnung der Arbeit in das Forschungsprofil des Faches; Teiltext 2 Beschreibung und Wertung; Teiltext 3 Gesamtbeurteilung mit Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung (bei Dissertationen mit Note). Gemäß der Funktion des Gutachtens liegt der Informationskern im Teiltext 3, auch wenn Teiltext 2 dem fachlich Interessierten wesentlich mehr bietet, etwa in der Art einer Rezension. Eine hierarchische Darstellung hätte bei den Teiltexten 1. Grades weitere Teiltexte 2. und 3. Grades zu bestimmen (Abb. 50.1). Obwohl sich aus dieser Hierarchie der Teiltexte Gliederungssignale im Sinne der UDK (Universelle Dezimal-Klassifikation) ergäben, werden solche in Gutachten zu Graduierungsarbeiten selten verwendet. Auch Zwischenüberschriften, schreibtechnische Hervorhebungen oder andere Mittel kommen so gut wie nicht vor. Oft ist selbst das Verhältnis von Teiltexten und Absätzen unklar. Die Kohärenz in bzw. zwischen den Teiltexten wird in erster Linie durch den einheitlichen Denotatsbezug auf die zu beurteilende Arbeit

(pragmatische Kohärenz) sowie durch Isotopieketten und -stränge (semantische Kohärenz) gewährleistet, deren Elemente sich leicht zu semantischen (Teil-)Feldern gruppieren lassen, z. B. Substantive wie Arbeit, Beitrag, Dissertation, Habilitationsschrift, Text, Untersuchung; Autor(in), Verfasser(in); Abbildung, Abschnitt, Anhang, Anmerkungen, Gliederung, Kapitel, Literatur, Proportion, Quellennachweis, Tabelle, Teil, Übersicht, Verzeichnis, Zusammenfassung; Anliegen, Ansatz, Darstellung, Definition, Gegenstand, Inhalt, Material, Methode, Problem(atik), Thema, Verallgemeinerung, Vergleich, Ziel; Akribie, Bedeutung, Einsicht, Ergebnis, Erkenntnis(gewinn), Fähigkeit, Forschung, Fortschritt, Fundierung, Gültigkeit, Interesse, Nachweis, Nutzen, Praxis, Schlußfolgerung, Verdienst, Vertiefung, Vorzug, Weiterentwicklung, Wert usw. Verben wie analysieren, anmerken, arbeiten, ausgehen (von), charakterisieren, darstellen, definieren, durchführen, erfassen, erörtern, erzielen, geben, gelangen, gewinnen, nachgehen, nennen, (sich) stützen (auf), überprüfen, untersuchen, vergleichen, verifizieren, vorlegen, (sich) zuwenden, zeigen; bestätigen, bestehen (aus), dienen, erbringen, ergeben, führen (zu), helfen, übertreffen, umfassen, vermitteln; anerkennen, berücksichtigen, bewerten, einschätzen, empfehlen, hervorheben, verdienen, vermissen, vorschlagen, würdigen, zustimmen usw. Adjektive und Adverbien sind für Gutachten besonders wichtig, weil sie deutlicher als Substantive und Verben die entscheidungsvorbereitende Wertung zum Ausdruck bringen, positiv wie: akribisch, aktuell, allgemeingültig, aussagekräftig, bedeutend, echt, entscheidend, erfolgreich, ergiebig, (zum) erstenmal, exakt, folgerichtig, gewissenhaft, gründlich, interessant, komplex, konsequent, konzentriert, kritisch, mutig, neu, nützlich, nutzerfreundlich, originell, positiv, präzise, reichhaltig, relevant, repräsentativ, richtig, sachlich, selbständig, sorgfältig, stark, systematisch, überzeugend, verdienstvoll, vielgestaltig, vollständig, weiterführend, wesentlich, wertvoll, wichtig, wirksam, wissenschaftlich, wohl-

50. Das fachinterne Gutachten als Fachtextsorte begründet, wohldurchdacht, zuverlässig, zweckmäßig usw., aber auch negativ wie: abstrakt, abwegig, bedauerlich, bedenklich, bekannt, dunkel, einseitig, falsch, fehlend, fraglich, gefährlich, irrelevant, isoliert, künstlich, langatmig, negativ, nutzlos, problematisch, schwach, subjektiv, traditionell, unbedeutend, unberücksichtigt, ungenau, unnütz, unselbständig, unverständlich, unvollständig, unzweckmäßig, vorläufig, zweifelhaft usw.

Syntaktische Kohärenz entsteht durch die Thema-Rhema-Gliederung, bei der allerdings keine Textsortenspezifik festzustellen war. Konnektoren sind relativ häufig, und zwar zur Herstellung zeitlicher (dann, danach, im folgenden, schließlich, zuerst), lokaler (im 1. Teil, im 3. Kapitel) und kausaler (aus diesem Grunde, deshalb, denn) Bezüge. Auf der Satzebene fällt eine starke Tendenz zur Kondensation auf. Die dem wissenschaftlichen Stil nachgesagte Anonymisierung fehlt fast ganz, d. h., Verfasser(in) und Gutachter(in) treten explizit in Erscheinung. In der Lexik, die schon bei der Kohärenz mit Beispielen belegt wurde, gibt es große Unterschiede, die einerseits vom Gegenstand abhängen, andererseits aber auch auf persönliche Neigungen der Gutachter schließen lassen. Das betrifft sowohl die Vorliebe für die „mots savants“ (Faktum/Tatsache, Hypothese/Annahme; analysieren/untersuchen, verifizieren/ überprüfen; artifiziell/künstlich, präzise/genau usw.) bei Dubletten als auch die Verwendung von Derivaten und Komposita (Beobachtung, Vertiefung; Erkenntnisgewinn, Stichprobenplanung). Im untersuchten Textkorpus gab es aber fast keine „terminologische Verdunkelung“ zur Wahrung des wissenschaftlichen Prestiges, wohl auch, weil ähnliches an den begutachteten wissenschaftlichen Arbeiten bemängelt werden müßte. Invariante, aber nicht immer textsortenspezifische grammatische Merkmale lassen sich vor allem an den Formen der Verben feststellen. Dabei müssen allerdings die Teiltexte gesondert betrachtet werden. In den überwiegend deskriptiven Teiltexten (Teiltexte 1 und 2.1) dominieren die auf den Verfasser oder die Arbeit und ihre Teile bezogene 3. Person, das Präsens (gelegentlich das Perfekt) als Akzentuierung des resultativen Charakters der Arbeit und der Indikativ; das Aktiv betont die Leistung und Verantwortung des Autors und weicht nur selten dem (Zustands-)Passiv. In den wertenden und empfehlenden Teiltexten (2.2, 2.3 und 3) erscheinen überwiegend die 1. Person Sg. im Präsens, der Indikativ und das Aktiv zum Ausdruck der Gutachtermei-

503 nung. Bei den Negativa (Teiltext 2.3) können unpersönliches man und Konjunktiv bessere Alternativen andeuten. Viele Gutachter verkürzen ihre Texte durch Seitenhinweise, um Vorzüge und Mängel zu lokalisieren und ihre Beurteilung der Arbeit durch Details zu stützen. Zitate hingegen als Ausdruck der Intertextualität sind selten und weitgehend auf die Kritik an Formulierungen beschränkt. 3.2. Textexterna Gutachten zu wissenschaftlichen Arbeiten weisen die folgenden funktionalen Grundzüge auf: (a) Kommunikationspartner sind Fachleute der gleichen oder einer verwandten Disziplin mit annähernd gleichem Bildungsstand. (b) Primäre Kommunikationsabsicht ist die Wertung als Vorbereitung einer Entscheidung, sekundäre das sachbetont-kritische Informieren über den Inhalt der Arbeit. (c) Hauptkommunikationsverfahren sind: Beschreiben, Beurteilen und Empfehlen. (d) Es gibt zwei Kommunikationssituationen: die schriftliche Übermittlung an das Entscheidungsgremium (Fakultät) und den mündlichen Vortrag als Anstoß für die Disputation. (e) Beim Kommunikationsgegenstand handelt es sich um eine wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung eines akademischen Grades, die nach ergänzender Beurteilung für einen Verlag zur Veröffentlichung gelangen kann. 3.3. Schlußfolgerungen Die linguistische und kommunikative Beschreibung der Textsorte Fachinternes Gutachten zu wissenschaftlichen Arbeiten hat ergeben, daß die in erklärenden Wörterbüchern unter dem Stichwort Gutachten gegebene allgemeine Definition in zweierlei Hinsicht der Spezifizierung bedarf: Zunächst sind im Rahmen einer exakten und möglichst vollständigen Klassifizierung alle wesentlichen Arten von Gutachten zu erfassen; danach können den grundsätzlich zutreffenden Merkmalen weitere aus den beiden Matrizen hinzugefügt werden. Zu berücksichtigen ist auch, daß Gutachten sprachliche Mittel sowohl für die positive als auch für die negative Bewertung von Personen, Gegenständen und Prozessen brauchen. Gutachten, Urteil und Beurteilung sind keine Synonyme und lassen sich nicht einmal in der vorliegenden Fachtextsorte beliebig substituieren, aber sie haben mindestens ein gemeinsames Sem, nämlich BEWERTUNG *eval+, bezogen auf SACHE *obj+ oder PERSON

504

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

*hum+ oder HANDLUNG *act+ oder PROZESS *proc+ (vgl. Lorenz/Wotjak 1977, 310⫺335).

4.

Literatur (in Auswahl)

Brinker 1985 ⫽ Klaus Brinker: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin 1985 (Grundlagen der Germanistik 29). Eco 1989 ⫽ Umberto Eco: Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt: Doktor-, Diplom- und Magisterarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften, 2. Aufl. Heidelberg 1989 (Uni-Taschenbücher 1512). Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). Hoffmann 1987 ⫽ Lothar Hoffmann: Ein textlinguistischer Ansatz in der Fachsprachenforschung. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 91⫺105. Hoffmann 1990 a ⫽ Lothar Hoffmann: Fachtexte und Fachtextsorten. Leipzig 1990 (BSF Berichte der Sektion Fremdsprachen 5).

Hoffmann 1990 b ⫽ Lothar Hoffmann: Fachsprachenlinguistik in Gutachten. Dresden 1990 (Fachsprache⫺Fremdsprache⫺Muttersprache 20). Kempcke u. a. 1984 ⫽ Günter Kempcke u. a.: Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. In zwei Bänden, A⫺K. Berlin 1984. Klappenbach/Steinitz 1970 ⫽ Ruth Klappenbach/ Wolfgang Steinitz (Hrsg.): Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 3. Band. Berlin 1970. Lorenz/Wotjak 1977 ⫽ Wolfgang Lorenz/Gerd Wotjak: Zum Verhältnis von Abbild und Bedeutung. Berlin 1977 (Sammlung Akademie-Verlag 39 Sprache). Pfeifer u. a. 1989 ⫽ Wolfgang Pfeifer u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, A⫺G. Berlin 1989. Sanders/Wülfing 1909 ⫽ Daniel Sanders/Ernst Wülfing: Handwörterbuch der deutschen Sprache. Achte, neubearb. u. verm. Aufl. Leipzig. Wien 1909. Schnegelsberg 1973 ⫽ Günter Schnegelsberg: Wissenschaftspropädeutik. Methodische und methodologische Hinweise. Stuttgart 1973. Völkel 1987 ⫽ Brigitte Völkel: Standardgerechte Gestaltung von Diplomarbeiten, Dissertationen und anderen wissenschaftlichen Arbeiten. Arbeitsanleitung. Berlin 1987.

Lothar Hoffmann, Großdeuben

51. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen V: der Kongreßvortrag 1. 2. 3. 4.

1.

Allgemeine Charakteristik der Textsorte Kongreßvortrag Strukturelle Eigenschaften der Textsorte Kongreßvortrag Differenzierungen innerhalb der Textsorte Kongreßvortrag Literatur (in Auswahl)

Allgemeine Charakteristik der Textsorte Kongreßvortrag

Kongreßvorträge sind durch zwei Kriterien von anderen Textsorten abgegrenzt: das Kriterium ,mündlich-monologisch realisierter Text‘ (Vortrag) und ,Ort/Ereignis, an/bei dem dieser Text vorgetragen wird‘ (Kongreß-). Die Textsorte ist also nicht primär funktional und auch nicht thematisch definiert (wie etwa der durch seinen Aufforderungscharakter bestimmte ,Antrag‘ oder dessen thematische Spezifizierung ,Rentenantrag‘; vgl. zu den möglichen Unterscheidungskriterien für Text-

sorten u. a. Brinker 1985, 118 ff). Das schließt jedoch eine Charakterisierung unter funktional-thematischem Aspekt nicht aus. Kongreßvorträge sind mündliche Texte der fachinternen Wissenschaftskommunikation (vgl. dazu u. a. Gläser 1982 und 1990; Hoffmann 1988); mit ihnen verfolgt der Textproduzent das Ziel, die Ergebnisse seiner (theoretischen und/oder empirischen) Forschungen in der jeweiligen ,Scientific Community‘ bekannt zu machen. Dieses Bekanntmachen bedeutet im Grunde zweierlei: Die Hörer/Leser des Vortrags sollen diese Ergebnisse verstehen (nachvollziehen können) und akzeptieren. Darüber hinaus hat der Fachvortrag natürlich auch eine Funktion innerhalb der jeweiligen Wissenschaftlergruppe; er dient der Festigung der wissenschaftlichen Position und des Ansehens des Vortragenden: „Daher sind auch Tagungen nicht nur Stätten der wissenschaftlichen Kooperation, des sachlichen Informationsaustausches, der Erkenntnisver-

505

51. Der Kongreßvortrag als Fachtextsorte

mittlung und -gewinnung und der kooperativen Wahrheitsfindung, sondern Tagungen sind stets auch Jahrmärkte der wissenschaftlichen Eitelkeit […]“ (Wiegand 1979, 52). Die Partnerkonstellation ist in der gegebenen Situation eher symmetrisch: Auf einer Tagung kommunizieren Vertreter einer oder mehrerer Wissenschaftsdisziplinen miteinander, es ist über weite Strecken hinweg eine ,InsiderKommunikation‘, die sich in wesentlichen Aspekten von einer fachexternen (z. B. didaktisierenden) unterscheidet, u. a. durch die den Diskurs beherrschende ,Theorie- oder Wissenschaftssprache‘. Schließlich handelt es sich bei Kongreßvorträgen um face-to-faceInteraktionen, d. h. um Kommunikationsvorgänge zwischen Partnern, die in direktem visuellen und auditiven Kontakt zueinander stehen, was Konsequenzen für die dabei entstehenden Texte hat, z. B. für die spezifische Verzahnung von verbalen und nonverbalen Elementen im Text. Die Merkmale von Kongreßvorträgen sind nicht beschreib- und erklärbar, wenn man nicht zugleich deren intertextuelle Einbettung berücksichtigt: Diese mündlich vorgetragenen Texte haben eine ,schriftliche Vorgeschichte‘, sie werden von schriftlichen Texten begleitet und sind schließlich in den meisten Fällen für eine nachfolgende schriftliche Publikation bestimmt. Die den Vorträgen vorausgehenden abstracts (vgl. zur Textsorte ,abstract‘ u. a. Preiß 1983, 82 ff; Fluck 1988, 67 ff; vgl. auch Artikel 49) sollen die potentiellen Zuhörer oftmals lange vor dem eigentlichen Kongreß über Ziele und Gegenstände des Vortrags informieren und ihr Interesse am Zuhören wecken. Konferenzabstracts sind zwar wie alle anderen Arten von ,abstracts‘ auch ,Textsorten-in-Relation‘ (vgl. Gläser 1990, 117) oder ,Reformulierungstexte‘, allerdings von einer spezifischen Art: Sie reformulieren und resümieren einen oftmals nur mental existierenden Vortragstext, sozusagen einen Text ,in statu nascendi‘, der bei seiner Ausformulierung häufig noch tiefgreifende Veränderungen erfährt. Das führt nicht selten dazu, daß im eigentlichen Vortrag metakommunikative Korrekturen des ,abstracts‘ angeführt werden müssen: Als ich das ,abstract‘ schrieb, wußte ich noch nicht, daß … wollte ich das Problem umfassender darstellen … etc. Begleitende schriftliche Texte sind die sogenannten „handouts“, die unterschiedliche Funktionen haben können: Exemplifizierung der im Vortrag vertretenen Thesen, Zusammenfassung der Hauptthesen des Vortrags

etc. Sie werden durch entsprechende Hinweise des Vortragenden (Das habe ich im handout ausgeführt … Betrachten Sie das Beispiel x im handout …) direkt in den Vortrag einbezogen. Das Nachfeld des eigentlichen Vortrags ist auf andere Weise im Ereignis selbst präsent: Der Vortragende weiß, daß in der Regel eine Publikation (in Form von Kongreßakten, Zeitschriftenartikeln etc.) folgt. Deshalb konzipiert er seinen Vortrag nicht nur mit Blick auf die aktuelle Kongreßsituation mit der entsprechenden Zuhörerschaft, sondern auch unter Berücksichtigung eines breiteren Leserkreises. Die Konsequenzen daraus sind unterschiedlich: Sie reichen von der Formulierung des Vortrags in einer Form, die der schriftlichen Veröffentlichung entspricht (vom Aufwand her ökonomisch, der Wirkung des Vortrags in der face-to-face-Situation aber nicht unbedingt zuträglich), über eine ,Mischform‘ aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit, die eine spätere Bearbeitung des Textes für die Publikation erforderlich macht, bis hin zu relativ getrennten Textversionen, bei denen der Vortragende frei, auf der Grundlage bestimmter Abbildungen etc. (vgl. 2.) das Problem darlegt. Das hat dann natürlich die Ausarbeitung eines eigenständigen schriftlichen Publikationstextes zur Folge, den nur noch das Thema, die wichtigsten Hypothesen und Ergebnisse mit dem mündlichen Vortrag verbinden.

2.

Strukturelle Eigenschaften der Textsorte Kongreßvortrag

Es ist leicht nachzuweisen, daß die den Kongreßvortrag auf den einzelnen Ebenen charakterisierenden Merkmale sich weitgehend aus den unter 1. genannten allgemeinen Charakteristika ableiten lassen; hinzu kommen als Ursachen allenfalls noch bestimmte Normen, Traditionen etc. Die Makro- und Superstrukturen des Kongreßvortrags entsprechen im Prinzip denen wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die für die fachinterne Kommunikation bestimmt sind. Sie lassen sich grosso modo ⫺ das heißt alle disziplinären Unterschiede insbesondere zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zunächst unberücksichtigt lassend (vgl. 3.) ⫺ auf die folgenden Einheiten zurückführen: Einleitung, Problempräsentation/-diskussion, Schlußfolgerungen. Die Einleitung hat auch hier die für andere Interaktionssituationen herausgearbeiteten Funktionen: Herstellung

506

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

der Kooperationsbereitschaft (vor allem: Interesse am abzuhandelnden Problem wekken), Schaffung von Voraussetzungen für das Gelingen der Interaktion (vor allem: das Problem in den jeweiligen wissenschaftlichen Kontext einordnen, den Hintergrund skizzieren etc.). Die Problempräsentation/-diskussion erfolgt in einer Art und Weise, die es dem Rezipienten ermöglicht, das Problem nachzuvollziehen, d. h. verstehen und die vorgeschlagene Problemlösung akzeptieren zu können. Van Dijk (1980, 150 ff) spricht von einer ,besonderen Variante der argumentativen Superstruktur‘, die die wissenschaftliche Abhandlung schlechthin charakterisiert. Merkmale, die für argumentative Texte ermittelt worden sind, lassen sich demnach auch in Kongreßvorträgen wiederfinden, z. B. logisch schlüssige Beweisführungen, die als komplexe Begründungen für aufgestellte Hypothesen dienen, Sequenzierungen vom Typ WENN a, DANN b UND c UND d ↔ a→ b UND c UND d ↔ a ALSO b UND c UND d (vgl. Heinemann/Viehweger 1991, 250). Was dabei im einzelnen als Begründung für eine aufgestellte Hypothese angegeben wird, ist von mehreren Faktoren abhängig, in erster Linie natürlich von den Beziehungen, die zwischen den Gliedern einer Argumentation auf der Ebene der erörterten Sachverhalte existieren. Die Auswahl der Argumente erfolgt darüber hinaus aber auch mit Blick auf die Rezipienten des Vortrags: Die Akzeptanz der vorgetragenen Hypothesen hängt in nicht geringem Maße davon ab, ob Argumente zu ihrer Stützung herangezogen werden, die innerhalb des jeweiligen Wissenschaftsparadigmas auch als solche akzeptiert sind. Dies gilt nicht nur für geisteswissenschaftliche, sondern auch für naturwissenschaftliche Publikationen bzw. Vorträge: “In the real world of mathematics, a mathematical paper does two things. It testifies that the author has convinced herself and a circle of friends that certain “results” are true. And it presents a part of the evidence on which this conviction is based.” (Davis/Hersh 1987, 61). Nach Clyne (1987, 211 ff und 1993, 3 ff) kann man in wissenschaftlichen Texten zwei Grundtypen von Globalstrukturen erkennen: eine lineare und eine digressive. Lineare Textstrukturen entstehen, wenn die von einer Makroproposition abhängigen Propositionen logisch aneinandergereiht und ,Abschweifungen‘ vermieden

werden. Als ,digressiv‘ wird ein Text bezeichnet, wenn „(a) manche Propositionen nicht von der übergreifenden Proposition (Makroproposition) in ihrem Textsegment abhängen, (b) manche Propositionen der Makroproposition, von der sie abhängen, nicht folgen, oder (c) manche Textsegmente in einem anderen Textsegment zu einem anderen Thema eingefügt werden …“ (Clyne 1993, 12). Globale Strukturierungen werden im Vortrag häufiger verbal (oftmals metakommunikativ) expliziert als in schriftlichen Abhandlungen, ebenso die Beziehungen, die innerhalb der Sequenzen zwischen den einzelnen Propositionen bestehen (z. B. Meine Hypothese lautet … Folgende Argumente sprechen für diese Annahme … Lassen Sie mich nun zum nächsten Punkt meiner Argumentation kommen … Und dieses Argument ist noch gewichtiger als die bisher behandelten … The point I’m making here is … I’m going to make seven points … I must conclude by saying that; vgl. zu den englischen Beispielen Gläser 1982, 214). Angezeigt werden auch ,digressive‘ Vortragsphasen (z. B. Ich schweife jetzt mal kurz vom Thema ab. Ich muß das tun, weil …). Während auf der Ebene der Makro- und Superstrukturen wenig Unterschiede zwischen dem schriftlichen Fachtext und dem mündlichen Kongreßvortrag zu konstatieren waren (abgesehen von der oben erwähnten stärkeren Nutzung der Möglichkeit zur metakommunikativen Explizierung der globalen Zusammenhänge), muß der Kongreßvortrag auf der sprachlich-stilistischen ,Mikroebene‘ differenzierter betrachtet werden. Die typischerweise in einem solchen Vortrag verwendenten sprachlichen Formulierungsvarianten sind durch zwei Zuordnungen geprägt: Einerseits natürlich durch die Zuordnung zum Bereich der Wissenschaftssprache (vgl. dazu die einschlägigen Spezialartikel im Handbuch und die dort angegebene Literatur), andererseits aber auch durch die mit der Vortragsform verbundene Mündlichkeit, die auch bei einem schriftlich vorformulierten Vortragstext nicht völlig verlorengeht. Hinzu kommt, daß durch die face-to-face-Situation, in der der Text ,vorgetragen‘ wird, eine ⫺ wenn auch reduzierte, dennoch aber spürbare ⫺ Interaktion mit den Zuhörern entsteht, was dem Vortragstext auch gewisse dialogische Züge verleiht. Als typisch für die Wissenschaftssprache/ Theoriesprache (vgl. Hahn 1980, 391) gelten

507

51. Der Kongreßvortrag als Fachtextsorte

u. a. die folgenden Merkmale: ein hoher Anteil von Einwort- und Mehrworttermini, die sich von Lexemen der Allgemeinsprache dadurch unterscheiden, daß sie relativ zu nominalen Festsetzungsdefinitionen verwendet werden (vgl. Wiegand 1979, 29); ein hoher Anteil an Fremd- und Lehnwörtern; eine ausgeprägte Fachmetaphorik; eine Häufung von Nominalphrasen mit komplexen Attribuierungen, von Passivkonstruktionen ohne Benennung des Handlungsträgers sowie von anderen unpersönlichen Konstruktionen; eine relativ strenge Thema-Rhema-Gliederung des Textes und eine deutliche Markierung der Textkohärenz durch kohäsive Mittel. Auf pragmatischer Ebene dominieren Repräsentativa; als Untertypen kommen sowohl Behaupten als auch Feststellen und Mitteilen in Betracht. Von besonderem Interesse sind relationale sprachliche Handlungen wie Vergleichen, Verallgemeinern, Schlußfolgern, Begründen, Beweisen etc., die zur Entstehung komplexer Argumentationen notwendig sind (vgl. u. a. Hoffmann 1988, 150) oder relationale Handlungen vom Typ Kommentieren, Zitieren und Verweisen, die den wissenschaftlichen Text in seinen intertextuellen Zusammenhang stellen. Typische Merkmale des Mündlichen wie Anakoluthe, deiktische Elemente und Abtönungspartikeln, Ausklammerungen und Nachträge, phonetische Reduktionen der Wortendungen etc. treten in der gegebenen relativ offiziellen institutionalisierten Kommunikation in dem Maße auf, wie vom schriftlich vorformulierten Text abgewichen wird, bzw. wenn dem Vortrag eine solche Schriftfassung von vornherein nicht zugrunde gelegen hat, die Äußerungsproduktion also relativ spontan, auf der Basis nicht ausformulierter Stichpunkte erfolgt. Zum Sprechhandlungstyp des Repräsentativs treten im Vortrag Direktiva hinzu (in Form von Aufforderungen an das Auditorium: Versuchen Sie einfach mal, meiner Argumentation zu folgen) sowie Fragen (als rhetorische Fragen wie in schriftlichen Texten und als echte Fragen an das Auditorium, durch die allerdings der monologische Charakter des Vortrags unterbrochen wird, weshalb die Vortragenden von dieser Möglichkeit in der Regel nicht allzu häufig Gebrauch machen). Die in den einschlägigen Arbeiten immer wieder erwähnte Symbiose zwischen verbalem Ausdruck einerseits und veranschaulichenden nichtsprachlichen Elementen (Abbildungen, Schemata, Diagrammen, Symbolen

etc.; vgl. u. a. Baumann 1992, 89; Kalverkämper 1993, 215 ff) andererseits gilt verstärkt auch für die mündliche Wissenschaftskommunikation: Kongreßvorträge werden in der Mehrzahl der Fälle durch visuelle Hilfsmittel unterstützt, insbesondere durch Overheadfolien, auf denen Schemata, Diagramme, Übersichten etc. dargeboten werden. Diese visuellen Hilfsmittel dienen vor allem dazu, die mit der einmaligen akustischen Rezeption des Textes verbundenen Verstehensrisiken zu vermindern, und natürlich auch dazu, die Wirkung des Vortrags im Sinne einer hohen ,Wissenschaftlichkeit‘ zu befördern. Verbale und nonverbale Zeichen ergänzen sich, wobei jedes Zeichensystem an der Konstitution der Textbedeutung beteiligt ist (vgl. auch Spillner 1982, 97). Hier kann davon ausgegangen werden, daß eine Korrelation zwischen dem Charakter des verbalen Textes und den eingesetzten visuellen Hilfsmitteln besteht: Je intensiver letztere im Vortrag genutzt werden, um so ausgeprägter ist auch der mündliche Charakter der jeweiligen Verbalisierung: Wer Folien erläutert, löst sich in der Regel vom Blatt und spricht frei zu seinem Auditorium, zum Nutzen der Gesamtwirkung. Schließlich wird die Wirkung eines Kongreßvortrages nicht unwesentlich durch Sprechtechnik sowie Mimik und Gestik des Vortragenden bestimmt. Nicht selten verfehlt ein an sich guter und überzeugender wissenschaftlicher Text durch mangelndes rhetorisches Vermögen seines Autors beim mündlichen Vortrag seine Wirkung. Es gibt allerdings auch den entgegengesetzten Fall: Gute Redner sind in der Lage, bis zu einem gewissen Grade mangelnde wissenschaftliche Substanz bzw. Argumentationsfähigkeit zu ,übertönen‘. Die Enttäuschung der Rezipienten stellt sich in solchen Fällen spätestens bei der Lektüre der Kongreßakten ein.

3.

Differenzierungen innerhalb der Textsorte Kongreßvortrag

Kongreßvorträge weisen über die bereits erwähnten Unterschiede hinaus weitere Differenzierungen auf. Diese resultieren erstens aus unterschiedlichen interaktiven Konstellationen. Hervorzuheben ist dabei nach dem Grad der Bedeutsamkeit für die gesamte Interaktion ,Kongreß‘ der Plenarvortrag, der eine Orientierungsfunktion hat und grundlegende, für die Forschung auf dem jeweiligen Gebiet beson-

508

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

ders wichtige Ideen enthalten soll. Alle Teilnehmer eines Kongresses sind potentielle Rezipienten. Demgegenüber richtet sich der Sektionsvortrag an einen kleineren Teilnehmerkreis; da Sektionen oftmals thematisch und disziplinär organisiert sind, handelt es sich bei den Zuhörern in der Regel um Spezialisten des gleichen Teilgebiets. Zwischen dem Plenarvortrag und dem Sektionsvortrag steht manchmal noch das Sektionsleitreferat, das gleichfalls eine orientierende Funktion, diesmal aber für die Arbeit der jeweiligen Sektion, erfüllen soll. Strukturell differenzierende Konsequenzen ergeben sich vor allem daraus, daß Plenarvorträge monologische Kommunikationsereignisse in relativ reiner Form sind; abgesehen von zumeist verständnissichernden Anfragen ist eine nachfolgende Diskussion in der Regel nicht vorgesehen und bei dem großen Rezipientenkreis auch nur schwer möglich. Sektionsleitreferate bzw. Sektionsvorträge münden demgegenüber oft in dialogische Kommunikationen ein, was Rückwirkungen auf den Vortragstext selbst hat: Der Vortragende verweist häufig auf die nachfolgende Möglichkeit der Diskussion, nimmt von ihm erwartete Einwände vorweg etc. Diskussionen zu einzelnen Vorträgen können auch Konsequenzen für spätere Vorträge der gleichen Sektion haben: Häufig wird von kommunikationsbewußten Rednern auf vorausgegangene Diskussionen in der jeweiligen Sektion angespielt; es entsteht ein zeitweiliges gemeinsames ,Interaktionswissen‘, das es Außenstehenden schwer machen kann, den Argumentationen im einzelnen zu folgen. Differenzierungen sind aber auch festzustellen, wenn man die kommunikativen Normen einzelner Wissenschaftsdisziplinen miteinander vergleicht. Hier ist besonders auf einige Unterschiede zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu verweisen. Diese betreffen zum einen die Standardisierung der Makrostruktur von Vorträgen. Offensichtlich ist der Handlungsspielraum im naturwissenschaftlichen Bereich hier geringer als in manchen Geisteswissenschaften. Was Ylönen (1993, 81 ff) zu medizinischen Fachtexten feststellt, gilt wohl auch für Vorträge in diesem Bereich, ebenso aber auch in der Physik und in anderen Naturwissenschaften, wie die Proceedings in diesen Disziplinen ausweisen: Unter dem Einfluß angloamerikanischer Konventionen hat sich eine weitgehend standardisierte Gliederung durchgesetzt, die bei experimentellen Arbeiten die folgende Struk-

tur hat: Einleitung⫺Experiment⫺Ergebnisse⫺Diskussion der Ergebnisse. Auch Bazerman (1987, 125 ff) verweist auf derartige Standardisierungen in englischsprachigen psychologischen Texten (title, abstract, introduction, method, results, and discussion) und bringt dies mit dem jeweils vorherrschenden Paradigma in Verbindung. Ähnlich strenge Normen lassen sich beispielsweise in der Literaturwissenschaft nicht nachweisen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied scheint auch im Gebrauch des Englischen als Konferenzsprache zu liegen. Während sich das Englische auf naturwissenschaftlichen Kongressen im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus weitgehend als globales Verständigungsmittel durchgesetzt hat, gilt dies nur sehr eingeschränkt für die Sozial- und Geisteswissenschaften. Schließlich machen neuere interkulturelle Forschungen deutlich, daß auch zwischen Kulturen Differenzierungen existieren (vgl. u. a. Schröder 1993, IX ff). So hat Clyne (1987, 211 ff und 1993, 3 ff) festgestellt, daß digressive Texte (vgl. 2.) vorrangig von deutschsprachigen Wissenschaftlern produziert werden, während englischsprachige Forscher lineare Texte bevorzugen und digressive sogar negativ bewerten. Sachtleber (1993, 61 ff) kommt nach einem Vergleich zwischen Kongreßakten des Deutschen und Französischen zu dem Schluß, daß verweisende und kommentierende Texthandlungen in deutschen Kongreßakten häufiger anzutreffen sind als in französischen. Hier eröffnet sich ein fruchtbares Forschungsfeld, denn es kann davon ausgegangen werden, daß die ,grenzenlose‘ mündliche Wissenschaftskommunikation in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird.

4.

Literatur (in Auswahl)

Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 18). Bazerman 1987 ⫽ Charles Bazerman: Codifying the Social Scientific Style: The APA Publication Manuel as a Behaviorist Rhetoric. In: The Rhetoric of the Human Sciences. Language and Argument in Scholarship. Ed. by John F. Nelson, Allan Megill and Donald N. Mc Closkey. Wisconsin 1987, 125⫺144. Brinker 1985 ⫽ Klaus Brinker: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin 1985 (Grundlagen der Germanistik 29).

509

51a. Diskussion(en) unter Wissenschaftlern als Fachtextsorte Clyne 1987 ⫽ Michael Clyne: Cultural Differences in the Organization of Academic Texts. English and German. In: Journal of Pragmatics 11. 1987, 211⫺247. Clyne 1993 ⫽ Michael Clyne: Pragmatik, Textstruktur und kulturelle Werte. Eine interkulturelle Perspektive. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 3⫺18. Davis/Hersh 1987 ⫽ Philip J. Davis and Reuben Hersh: Rhetoric and Mathematics. In: The Rhetorik of the Human Sciences. Language and Argument in Scholarship and Public Affairs. Ed. by John F. Nelson, Allan Megill and Donald N. Mc Closkey. Wisconsin 1987, 53⫺68. van Dijk 1980 ⫽ Teun A. van Dijk: Textwissenschaft. Eine interdisziplinäre Einführung. München 1980. Fluck 1988 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Zur Analyse und Vermittlung der Textsorte ,Abstract‘. In: Fachbezogener Fremdsprachenunterricht. Hrsg. v. Claus Gnutzmann. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 6), 67⫺90. Gläser 1982 ⫽ Rosemarie Gläser: Linguistische Merkmale des fachbezogenen Vortrags im Englischen. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 35. 1982, 205⫺217. Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). Hahn 1980 ⫽ Walther von Hahn: Fachsprachen. In: Lexikon der germanistischen Linguistik. Hrsg. v. Hans Peter Althaus, Helmut Henne und Herbert Ernst Wiegand. 2. vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Tübingen 1980, 390⫺395. Heinemann/Viehweger 1991 ⫽ Wolfgang Heinemann/Dieter Viehweger: Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 115: Kollegbuch).

Hoffmann 1988 ⫽ Lothar Hoffmann: Vom Fachwort zum Fachtext. Beiträge zur Angewandten Linguistik. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 5). Kalverkämper 1993 ⫽ Hartmut Kalverkämper: Das fachliche Bild. Zeichenprozesse in der Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 215⫺238. Preiß 1983 ⫽ Sabine Preiß: Textlinguistische Aspekte des Abstracts. In: Linguistische Arbeitsberichte 41. Leipzig 1983, 82⫺93. Sachtleber 1993 ⫽ Susanne Sachtleber: Textstile in der Wissenschaftssprache. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993, 61⫺79. Schröder 1993 ⫽ Hartmut Schröder: Thematische Einleitung. Von der Fachtextlinguistik zur Fachtextpragmatik. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), IX⫺XIII. Spillner 1982 ⫽ Bernd Spillner: Stilanalyse semiotisch komplexer Texte. Zum Verhältnis von sprachlicher und bildlicher Information in Werbeanzeigen. In: Kodikas/Code. Ars Semeiotica 4/5. 1982, 91⫺106. Wiegand 1979 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Kommunikationskonflikte und Fachsprachengebrauch. In: Fachsprachen und Gemeinsprache. Jahrbuch 1978 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. Wolfgang Mentrup. Düsseldorf 1979 (Sprache der Gegenwart. Schriften des Instituts für deutsche Sprache XLVI), 25⫺58. Ylönen 1993 ⫽ Sabine Ylönen: Stilwandel in wissenschaftlichen Artikeln der Medizin. Zur Entwicklung der Textsorte „Originalarbeiten“ in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift von 1884 bis 1989. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 81⫺98.

Bärbel Techtmeier, Berlin

51a. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen VI: Diskussion(en) unter Wissenschaftlern 1. 2. 3. 4.

Allgemeine Charakteristika von Diskussionen unter Wissenschaftlern Strukturelle Eigenschaften von Diskussionen unter Wissenschaftlern Interaktive Konstellationen und Diskussionen unter Wissenschaftlern Literatur (in Auswahl)

1.

Allgemeine Charakteristika von Diskussionen unter Wissenschaftlern

Diskussionen unter Wissenschaftlern sind durch die gegebene Partnerkonstellation und durch ihren dialogischen Charakter definiert.

510

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Wie beim Kongreßvortrag handelt es sich um fachinterne mündliche Kommunikation, woraus eine ganze Reihe von Spezifika resultiert (vgl. Art. 51.). Weitere ergeben sich jedoch aus dem Sprecherwechsel, der per definitionem Interaktionsvorgänge in diesem Bereich überhaupt erst zu Diskussionen macht. Als Ziel wissenschaftlicher Diskussionen kann man ganz allgemein den Erkenntnisgewinn in einer scientific community nennen, der nicht ⫺ wie im Falle des Kongreßvortrags ⫺ vorrangig durch einseitige Information, sondern vor allem durch eine (oftmals kontroverse) kollektive Debatte über wissenschaftliche Ergebnisse erreicht werden soll. Man kann davon ausgehen, daß ⫺ trotz zahlreicher ,Nebenstrategien‘ der Interaktanten ⫺ dieses Hauptziel im Sinne einer shared intentionality zu interpretieren ist. Es geht dabei um einen Grundkonsens, umschreibbar etwa wie folgt: WIR WOLLEN, DASS DIE DISKUSSION EINEN ZUWACHS AN WISSEN, EINSICHTEN etc. BRINGT. Dieser Zuwachs kann u. a. darin bestehen, daß ⫺ eine gemeinsame Auffassung zu einem Problem erreicht wird; ⫺ ein bislang noch nicht ins wissenschaftliche Bewußtsein getretenes Problem erkannt wird; ⫺ eine wissenschaftliche Position über eine andere ,siegt‘ (die Diskussion unter Wissenschaftlern ist ja nicht selten auch ein ,Kampf um das bessere Argument‘); ⫺ einfach nur das ,Problembewußtsein‘ bei unterschiedlichen Positionen geschärft wird etc.

Eigentlich ist die dialogische Form der Erkenntnisgewinnung gegenüber der monologischen primär, was nicht wenige Wissenschaftstheoretiker veranlaßt hat, sich den gesamten Wissenschaftsprozeß als einen seinem Wesen nach dialogischen vorzustellen und den Erkenntnisgewinn als das Resultat von Frage-Antwort-Handlungen zwischen dem Forscher und der Natur. So unterstreicht Hintikka (1985, 8) unter Bezugnahme auf Kant die Notwendigkeit der Entwicklung eines “… questioning model of scientific inquiry …”. Daß ein solches Modell in wissenschaftstheoretischen Konzepten bislang ungenügend zum Tragen kam, sei darauf zurückzuführen, daß die “… crucial questionanswer relation has remained almost completely unanalyzed.” Es geht ⫺ diesem Konzept zufolge ⫺ auch dann um ein information-seeking by questioning, wenn nicht mehrere Personen als Interaktanten den Sprecherwechsel real vollziehen. Wie man das

,dialogische Prinzip‘ generell für jegliche Kommunikation postulieren kann, so kann man auch den Erkenntnisprozeß allgemein als einen Dialog mit der Natur auffassen. Wenn wir von Diskussionen unter Wissenschaftlern sprechen, dann meinen wir jedoch den Dialog in dem eingangs charakterisierten engeren Sinne: Die Anwesenheit und aktive Beteiligung mehrerer Individuen durch die Übernahme der Sprecherrolle in einer faceto-face-Situation ist das Grundcharakteristikum, das solche Diskussionen von anderen mündlichen und schriftlichen Kommunikationsformen im Wissenschaftsbereich unterscheidet. Wenn Dialogizität und Mündlichkeit als wesentliche Charakteristika genannt werden, so bedeutet dies nicht, daß in Diskussionen nicht auch längere monologische Passagen (z. B. zur Einleitung und zum Abschluß einer Diskussion) auftreten und schriftliche Texte genutzt werden. Im Gegenteil: Den meisten Diskussionen geht ein Vortrag oder die Lektüre einer schriftlichen Vorlage voraus, auf die dann auch explizit Bezug genommen wird: Sie sagten in Ihren Ausführungen, daß […] Sie schreiben in Ihrer Vorlage, daß […] Was ich beim Lesen nicht verstanden habe, war […] etc.

2.

Strukturelle Eigenschaften von Diskussionen unter Wissenschaftlern

Solche strukturellen Eigenschaften ergeben sich einerseits aus der Zuordnung dieses Diskussionstyps zum Wissenschaftsbereich und den darin herrschenden Normen, Traditionen etc., zum anderen aber eben auch aus dem dialogischen Charakter. Die Makrostruktur der wissenschaftlichen Diskussion richtet sich nach der gegebenen interaktiven Konstellation (vgl. 3.). In der gelenkten Gruppendiskussion ist häufig die folgende Strukturierung anzutreffen: Der eigentlichen Diskussion geht eine Einleitungsphase voraus, in der der Diskussionsleiter den Diskussionsmodus festlegt oder diesen mit den Diskussionsteilnehmern aushandelt. Gelegentlich müssen auch erst die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Diskussion geschaffen werden ⫺ indem beispielsweise die Frage geklärt wird, ob die Teilnehmer ausreichend vorbereitet sind (durch die Kenntnis eines zur Lektüre vorgegebenen wissenschaftlichen Textes usw. ⫺ vgl. dazu Techtmeier 1984). In

511

51a. Diskussion(en) unter Wissenschaftlern als Fachtextsorte

der Kernphase der wissenschaftlichen Diskussion dominieren die argumentativen Strukturen. Abschlußphasen haben in diesem Bereich sehr häufig resümierenden Charakter. 2.1. Argumentative Strukturen Argumentationen spielen generell in der Wissenschaft eine zentrale Rolle, da das ,Strittigsein‘ und das hieraus folgende ,Problematisieren‘ zu den Kernbereichen wissenschaftlicher Kommunikation gehören. Im Gegensatz zur Alltagskommunikation, wo dieses ,Strittigsein‘ dann Argumentationen auslöst, wenn „[…] ein Dissens durch Alltagsroutinen nicht mehr aufgefangen werden kann und gleichwohl nicht durch den unvermittelten oder den strategischen Einsatz von Gewalt entschieden werden soll“ (Habermas 1988, 38) und demzufolge Argumentationen Problemlagen kennzeichnen, die das jeweilige kommunikative Handeln unterbrechen (weil sie ,Krisenpunkte‘ dieses Handelns markieren; vgl. u. a. Kopperschmidt 1989, 60), sind solche strittigen Problemlagen konstitutiv für den wissenschaftlichen Diskurs, d. h., sie bilden den Hauptgegenstand der entsprechenden Interaktion. Wie dies in einer symmetrisch strukturierten Dreiergruppe von Wissenschaftlern ablaufen kann, beschreibt Van Benegem (1985, 252 f) folgendermaßen: “Suppose 1 claims 씲 p, and 2 claims 씲 (p 傻 q), but 3 denies 씲 q, hence he assumes ⬃ 씲 q. The following dialogue […] will take place […] 1: Since I have solved p, I must inform my colleagues that they must add p to their list. I will do the same. 2: I accept p. 3: I accept p too. 2: But I have solved p 傻 q. Hence you should add p 傻 q to your list. I will do the same. 1: I accept p 傻 q. 3: I accept p 傻 q. However I have shown that ⬃ q is solvable. Hence one of you has to accept ⬃ q. ⬃ 1: I will do that. But that is impossible! I have already accepted p and p 傻 q, hence I must accept q, but now you ask me to accept ⬃ q. Sorry, I cannot do that.”

Argumentationen, durch die Strittiges geklärt werden soll, sind in der Regel in dem hier behandelten Bereich komplex, d. h., Thesen werden meistens durch ganze Ketten von Argumenten gestützt. Hieraus erklärt sich auch, daß sich in der Diskussion unter Wissenschaftlern die einzelnen Gesprächsschritte (Redebeiträge) häufig aus mehreren Gesprächsakten zusammensetzen. Dies gilt sowohl für initiative als auch für reaktive Ge-

sprächsschritte. Dabei werden ⫺ im Unterschied zum schriftlichen Wissenschaftstext ⫺ Pro- und Kontraargumente, die die Eckpunkte für komplexe Argumentationen markieren, meistens durch anwesende Personen in der Wechselrede vorgetragen, wobei natürlich Proargumente (P) vorrangig zur Stützung der eigenen These (T) und Kontraargumente (C) zur Widerlegung ,gegnerischer‘ Thesen genutzt werden. Die von Kopperschmidt (1985, 163) durch das folgende Schema verdeutlichten argumentativen Globalstrukturen lassen sich auch auf die Wissenschaftsdiskussion anwenden: O

Pr T ∑ ∂

C1 C1C1 C1C1C1

P1 C1P1 …

Dabei werden natürlich auch wechselseitig Pro- und Kontraargumente aufgegriffen und bearbeitet, werden Argumente 1., 2. … n. Ordnung genutzt, wie das Schema deutlich macht. Die argumentativen Rollen proponent role (Pr) und opponent role (O) sind ⫺ im Unterschied zur monologischen schriftlichen oder mündlichen Wissenschaftskommunikation ⫺ zumeist jedoch an verschiedene Gesprächspartner gebunden, wobei je nach spezifischer Situation die Rollenverteilung konstant bleiben kann (z. B. in einer wissenschaftlichen Diskussion, wo ein Gesprächsteilnehmer eine bestimmte Position gegen die ,Angriffe‘ der anderen verteidigen muß) oder aber wechselt (z. B. in einer eher informellen Diskussion in einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe; vgl. 3.). Argumentative Strukturen, wie sie Kopperschmidt (ebenda) unter Berufung auf Naess für praktische Argumentationen herausfindet, spielen in der ,theoretischen‘ Diskussion unter Wissenschaftlern eine fundamentale Rolle: Kopperschmidt gibt folgendes Beispiel: “T: C1: C1C1: C1C1C1:

Atomic power plants should be built! Atomic power plants are much too dangerous. There are adequate safety regulations. Nevertheless, Harrisburg was possible.”

Es läßt sich mühelos ein Parallelfall für die Wissenschaftskommunikation konstruieren: T:

Die Gesprächsanalyse ist eigentlich keine Wissenschaft, weil ihre Methoden fragwürdig sind.

512 C1: C1C1: C1C1C1:

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten Sie hat mehr für die Erklärung kommunikativer Vorgänge geleistet als manch andere Teildisziplin. Sie kann diese Erklärungen aber nicht systematisieren, eben weil ihre Methoden fragwürdig sind. Methoden differieren von einer Disziplin zur anderen.

Im Unterschied zu dem von Kopperschmidt gegebenen Beispiel einer praktischen Argumentation wird die These hier begründet, was aber den Normalfall für wissenschaftliche Kommunikation darstellt. Demzufolge beziehen sich die Kontraargumente C1, C1C1 und C1C1C1 auch auf unterschiedliche Teile der durch T repräsentierten komplexen Handlung: C1 auf die eigentliche These (dominierende sprachliche Handlung der Behauptung), C1C1 und C1C1C1 auf die Stützung der These (subsidiäre sprachliche Handlung der Begründung). 2.2. Initiative und reaktive Gesprächsschritte und Gesprächsakte Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß sich ⫺ im Unterschied zu vielen Alltagsgesprächen ⫺ institutionalisierte Diskussionen unter Wissenschaftlern durch eine größere Komplexität der einzelnen Gesprächsschritte (GS) auszeichnen. Diese Komplexität resultiert zum einen aus den eher objektiven ,argumentativen Zwängen‘, die sich aus der Spezifik wissenschaftlicher Tätigkeit ergeben; sie entsteht andererseits aber auch dadurch, daß hier außerordentlich kommunikationsbewußte Partner interagieren, für die die Herausstellung der eigenen wissenschaftlichen Kompetenz ein wichtiges Nebenziel solcher Debatten ist. Beide Aspekte führen u. a. dazu, daß auch an sich eindeutige und klare Verständnisfragen in den seltensten Fällen isoliert auftreten; sie werden in der Regel durch eine komplexere eigene Argumentation vorbereitet und dann erst gestellt bzw. zuerst gestellt und danach komplex begründet. Ein kürzeres ⫺ aber sicher nicht ganz untypisches ⫺ Beispiel für den erstgenannten Fall findet sich in der folgenden Frage-Antwort-Sequenz, die Teil einer Diskussion unter Sprachwissenschaftlern ist: „G[…]: Herr K[…] definiert eine Argumentation als eine zielgerichtete Kette von Sprechakten [S. 50]. Nun hat doch wohl jede Handlung, und damit auch jeder Sprechakt, ein Ziel. Soll die Definition besagen, daß die Argumentation eine besondere Art von Intentionalität aufweist?

K[…]: Ja. Ich würde behaupten, daß […]“ Es folgt eine längere stützende Argumentation zu der aufgestellten Behauptung (vgl. Gülich/Raible 1972, 52). Eine Frage-Antwort-Sequenz wie die folgende ist demgegenüber eher die Ausnahme: „G[…]: Was sind die Abgrenzungskriterien für Sprechakte? K[…]: Im Moment habe ich nur die Satzgrenze.“ (Gülich/Raible 1972, 51). Oftmals weisen die GS in einer solchen Situation die folgenden Teilschritte auf: ⫺ Gesprächsakt(e), durch den der eigene GS in den laufenden Diskussionstext eingeordnet wird (Herr X hat vorhin das Problem Y berührt, dazu hätte ich folgendes zu sagen […]; ich komme nochmals auf das Problem Z zurück […]; ich finde die Idee von A sehr interessant […]; ⫺ Darlegung der Positionen, die zu dem benannten Problem vertreten werden; Formulierung entsprechender Fragen (als reale oder rhetorische Fragen); ⫺ argumentative Akzeptanzstützung der vertretenen These(n), nicht selten unterbrochen von verstehensstützenden Erläuterungen, Exemplifizierungen etc. Dabei liegt die Abfolge (Linearisierung) der einzelnen Teilschritte weitgehend im Ermessen des Sprechers. Abgesehen von den den GS einleitenden Einordnungsschritten können die anderen relativ beliebig aneinandergereiht werden. Es ist z. B. möglich, zuerst die eigene These (oder den Widerspruch gegenüber einer anderen These) zu formulieren und danach verstehens- bzw. akzeptanzstützende Schritte zu vollziehen, oder den umgekehrten Weg zu beschreiten, also die Argumentation voranzuschicken und die These ⫺ quasi als logische Schlußfolgerung aus bereits Gesagtem ⫺ nachzustellen. Die einzelnen Gesprächsakte (GA), die in der Diskussion unter Wissenschaftlern vollzogen werden, weisen alle die Merkmale auf, die sprachlichen Handlungen generell zugesprochen werden, was konkret heißt, daß man sie zuerst als Sprechakttypen charakterisieren kann. Natürlich spielen Repräsentative, mit denen ,Aussagen über die Welt‘ gemacht werden sollen (wie behaupten, mitteilen, feststellen, eine Vermutung äußern), für die Darlegung wissenschaftlicher Positionen eine besondere Rolle. Daneben sind Fragen zur Verständigung, aber auch ,Kritikfragen‘ von Bedeutung wie im folgenden Fall: „Ich bin ja bei den Linguisten hier nur Gast und kann daher sachlich nichts beitragen. Als Literaturwissen-

51a. Diskussion(en) unter Wissenschaftlern als Fachtextsorte

schaftler kann ich mir aber die Bemerkung nicht verkneifen […] oder vielleicht ist es besser, wenn ich es als Frage formuliere: Verstehen Sie denn Ihr Fachchinesisch?“ (Wiegand 1979, 33). Solche Fragen beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte: ⫺ auf den propositionalen Gehalt der vorgetragenen Behauptung (Ist p wahr?); ⫺ auf die Sicherheit, die mit p verbunden ist (Wie sicher ist p? Ist das einfach eine Annahme von Ihnen oder haben Sie Beweise für Ihre These?); ⫺ auf die argumentative Stützung von p: (Was spricht für p? Welche Beweise haben Sie für p?); ⫺ häufig wird aber auch der Widerspruch in die Frageform gekleidet (Gilt nicht eher ⬃ p? Meinen Sie nicht, man sollte eher q annehmen?). Echte Direktive, die in der gegebenen Situation nicht selten auftreten, sind in der Regel Aufforderungen zu verbalem Handeln (Erläutern Sie doch bitte noch mal Ihren Standpunkt zum Problem p). Oftmals werden Frage- und Aufforderungshandlungen in der gegebenen Situation indirekt vollzogen (Ich hätte gern gewußt, ob […]; Ich möchte hier die Frage stellen, ob […]) usw. Weitere Sprechakttypen wie Expressive oder Deklarative sind für die gegebene Situation nicht typisch, auch wenn sie natürlich auftreten können. Von besonderer Bedeutung sind hingegen (nicht primär emotional geprägte) Bewertungen, die sich in dieser interaktiven Konstellation häufen (vgl. dazu u. a. Schwarz 1978, 217 ff). Sie beziehen sich vor allem auf die argumentative Ebene, wobei einerseits der Wahrheitsgehalt bewertet wird (Das stimmt, was Sie da sagen […]) und andererseits die Adäquatheit bzw. Relevanz der einzelnen Argumente (Das ist zwar richtig, kann aber doch nicht als Argument für die These p gelten usw.). Bewertungen werden besonders in kontroversen Diskussionsphasen jedoch auch personenbezogen ausgesprochen (Ihre Ausführungen zeugen davon, daß Sie die Entwicklung der Linguistik in den letzten zehn Jahren nicht zur Kenntnis genommen haben), was in kooperativen Situationen eher als ,unfair‘ zurückgewiesen wird. Typisch für Diskussionen unter Wissenschaftlern sind aber auch relationale sprachliche Handlungen, durch die die eigene Meinungsbekundung in den Gesamtkontext der Diskussion ,eingebaut‘ wird. Es sind dies zumeist Reformulierungen (vgl. Gülich/Kotschi 1987) der Positionen anderer Diskussionsteil-

513

nehmer; sie werden einerseits dazu benutzt, um die eigene Position zu erhärten, wodurch sie dann zustimmenden Charakter erhalten (Herr X hat hier die Hypothese aufgestellt, daß p. Das trifft sich exakt mit meinen Überlegungen zu q); andererseits werden sie aber auch reformuliert, um eine andere Position zu verdeutlichen (Herr X hat hier die Hypothese aufgestellt, daß p. Ich möchte aber die Gegenthese aufstellen, daß q); in strittigen Diskussionsphasen kommt es auch gelegentlich zu einer Reinterpretation der Autorintention (Wenn ich Herrn X richtig verstanden habe, dann geht es ihm eher um das Problem x.). Eine solche Reinterpretation hat oftmals vermittelnde Funktion. Aus den bisher gegebenen Beispielen ist schon deutlich geworden, welch große Bedeutung metakommunikativen Gesprächsakten, mit denen die Teilnehmer die laufende Interaktion thematisieren, für das Gespräch unter Wissenschaftlern zukommt (vgl. u. a. Techtmeier 1983 sowie die zahlreichen Beispiele in Slavgorodskaja 1986). Viel stärker als in anderen kommunikativen Situationen werden hier Intentionen (Das ist eine Behauptung von mir), propositionale Gehalte (Ich meine damit, daß […]), Verbalisierungen (Ich gebrauche den Terminus x im Sinne von […]), interaktive Beziehungen (Ich befinde mich hier in voller Übereinstimmung mit […]) etc. expliziert. Dies ist zum einen den hochgradig komplexen Argumentationsweisen in diesem Bereich geschuldet, zum anderen aber auch dem entwickelten Kommunikationsbewußtsein der Beteiligten. Eine bessere Basis für die Analyse solcher Äußerungen als die Diskussion unter Wissenschaftlern gibt es nicht. Metakommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil mündlicher Interaktionen in diesem Bereich. 2.3. Weitere Spezifika sprachlicher Äußerungen Sprachliche Formulierungen in der Diskussion unter Wissenschaftlern sind geprägt durch ihre Fachsprachlichkeit, ihre Mündlichkeit und ihre Dialogizität. Die Fachsprachlichkeit verleiht den Dialogen ähnliche Charakteristika wie dem schriftlichen wissenschaftlichen Text (z. B. die relative terminologische Präzision, den fachspezifischen wissenschaftlichen Wortschatz, die Kompaktheit und Kondensation des Ausdrucks, die sich in bestimmten syntaktischen Strukturen niederschlägt etc.; vgl. auch Art. 51.). Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die

514

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Verständigung über die Bedeutung von Fachausdrücken, die Terminologiediskussion, die in mündlicher dialogischer Interaktion in doppelter Hinsicht eine besondere Rolle spielt. Sehr häufig werden terminologische Klärungen als Hilfssequenzen realisiert wie in dem folgendem Beispiel (vgl. Wiegand 1979, 45): „A: (1) ,Die Frage der lediglich heuristischen Geschlossenheit eines Paradigmas stellt sich natürlich im Falle der Grammeme (F) nicht, denn […]‘ B: (2) ,Kurze Zwischenfrage: Sind Grammeme grammatische Morpheme?‘ A (3) ,Ja ungefähr! Es sind die kleinsten Signeme, d. h. diejenigen Moneme, die ⫺ bezogen auf ein Sprachstudium ⫺ in einem geschlossenen Paradigma stehen‘ “. Wiegand behandelt diese Interaktion als Ausdruck eines ,fachsemantisch bedingten Sprachverstehenskonfliktes‘, wobei er (1) als auslösenden Gesprächsschritt (Verwendung eines definierten Fachausdrucks) betrachtet, (2) als kontrakonfliktäre Frage mit hypothetischer Vermutung zu möglicher Semantisierung und (3) schließlich als konfliktlösende Feststellung, als Definition. Die kurze Interaktion ist im Sinne einer Zwischensequenz mit Hilfsfunktion zu verstehen: Wenn B dem Terminus Grammem keine Bedeutung zuordnen kann, vermag er auch der Argumentation von A nicht zu folgen. Dies ist der klassische Fall einer metakommunikativen Verständnissicherung. Terminologiediskussionen sind aber nicht nur als ,Hilfshandlungen‘ interessant. In der Diskussion unter Wissenschaftlern werden Termini selbst nicht selten zum eigentlichen Kommunikationsgegenstand; der Streit um Auffassungen und wissenschaftliche Positionen wird sehr häufig als ein Streit um den ,adäquaten Terminus‘ ausgetragen wie in dem folgenden Beispiel: „Mir ist nicht klar, wieweit man mit dem Begriff „Fiktionalität“ tatsächlich das trifft, was man beschreiben will.“ (Gülich/Raible 1972, 73). Es handelt sich dann nicht mehr um einfache verstehenssichernde Zwischenaktivitäten, sondern um die ,Sachdiskussion‘ des wissenschaftlichen Problems selbst. Sehr häufig erfolgt diese auch durch ein Inbeziehungsetzen zu einzelnen Theorien, Wissenschaftsparadigmen etc., die sich durch ihre terminologischen Systeme unterscheiden. In einer sprachwissenschaftlichen Diskussion entzündete sich eine solche Debatte um die Termini Bedeutungspostulate und Semantik: „Die Bedeutungspostulate sind zunächst nichts anderes

als der Versuch einer Explikation dessen, was in der Linguistik ,Semantik‘ heißt.“ (Gülich/ Raible 1972, 56) und wenig später: „Ein Unterschied zwischen meinem Ansatz und der Generativen Grammatik besteht darin, daß bei mir keine Lexeme generiert, sondern durch Bedeutungspostulate in Teilbedeutungen aufgelöst werden […] Was von der Generativen Semantik ,semantisch‘ genannt wird, befindet sich bei mir in der Syntax.“ (Gülich/Raible 1972, 58). Das Beispiel zeigt deutlich, daß die Diskussion terminologischer Fragen eigentlich eine zutiefst objektbezogene ist, daß man hier nicht von ,Hilfshandlungen‘ sprechen kann wie in dem zuvor aufgeführten Beispiel. Mündlichkeit und Dialogizität verleihen den Diskussionen unter Wissenschaftlern sprachliche Besonderheiten, die sie von der schriftlichen monologischen Wissenschaftsdiskussion unterscheiden. Auf einige von ihnen wurde schon im Zusammenhang mit den sprachlichen Handlungen hingewiesen. Auch wenn es sich hier um den typischen Fall einer institutionellen Kommunikation handelt, bei der die Nähe zur Schriftlichkeit größer ist als beispielsweise in nicht institutionellen Alltagsgesprächen, sind doch auch diese durch eine gewisse Spontaneität und Flexibilität gekennzeichnet. Sprachliche Konsequenzen daraus sind u. a.: ein höherer Anteil an umgangssprachlichen Elementen im Wortschatz, nicht immer den orthoepischen Normen entsprechende (also z. B. dialektale) Ausdrucksweisen, für das Mündliche und Dialogische typische syntaktische Strukturen (bis hin zu Antwortellipsen) etc. Allerdings ist wohl generell festzustellen, daß trotz dieser Besonderheiten der institutionelle Aspekt insofern ,durchschlägt‘, als beispielsweise komplexe Satzgefüge eine wesentlich größere Rolle spielen als in anderen Gesprächen ⫺ was dem argumentativen Charakter solcher Gespräche geschuldet ist ⫺ oder fachsprachliche Ausdrucksweisen trotz aller ,Lockerheit‘ den Wortschatz dieser Gespräche prägen.

3.

Interaktive Konstellationen und Diskussionen unter Wissenschaftlern

Die sprachliche Gestalt solcher Diskussionen hängt nicht unwesentlich auch von den interaktionalen Beziehungen ab, die zwischen den Beteiligten bestehen. Damit ist ein Problem berührt, das in den bisherigen Darlegungen bewußt vernachlässigt wurde. Wie bei aller

51a. Diskussion(en) unter Wissenschaftlern als Fachtextsorte

Kommunikation kann man die zur Debatte stehende Gesprächssorte unter dem Blickwinkel mehr oder minder allgemeingültiger Merkmale betrachten oder als das in sich differenzierte Gebilde, das es in Wahrheit auch darstellt. Abgesehen von individuellen Unterschieden, die sich natürlich ⫺ je nach Temperament und psychischer Verfassung ⫺ ohnehin immer feststellen lassen, interessieren hier vor allem die Varianten, die sich aus dem Öffentlichkeitsgrad einer wissenschaftlichen Diskussion ergeben, weil aus ihnen die wichtigsten Spezifizierungen resultieren. Vergleicht man die Diskussion im Anschluß an einen Kongreßvortrag (vgl. Art. 51) mit der gruppeninternen Diskussion oder gar mit dem lockeren informellen Gespräch zwischen zwei Wissenschaftlerkollegen, so lassen sich zwar Gemeinsamkeiten feststellen, die aus identischen oder ähnlichen Zielstellungen und identischen oder ähnlichen institutionellen Bedingungen resultieren, zugleich wird aber auch jeder ,Insider‘ auf die Unterschiede verweisen, die hier gegeben sind. 3.1. Die öffentliche Diskussion auf wissenschaftlichen Veranstaltungen Die öffentliche Diskussion auf wissenschaftlichen Veranstaltungen ist immer eine gelenkte Gruppendiskussion, in der das Rederecht durch einen Gesprächsleiter ⫺ in der Regel ein ausgewiesener Vertreter seines Faches ⫺ zugewiesen wird. Die einzelnen Redebeiträge beziehen sich dabei auf unterschiedliche Aspekte vorausgegangener Redebeiträge, wobei komplizierte Strukturen dadurch entstehen, daß einerseits immer wieder auf die Ausführungen desjenigen Bezug genommen wird, der die Grundlage für die Diskussion gegeben hat (der Vortragende auf einer Tagung etc.), andererseits aber auch Stellung bezogen wird zu Ausführungen anderer Diskussionsteilnehmer. Nicht selten ergibt sich daraus noch eine dritte Ebene, auf der einzelne Teilnehmer durch einen ,Metakommentar‘ die Beiträge anderer Diskussionsteilnehmer zueinander in Beziehung setzen wie in dem folgenden Fall: „Herr W[…] und Herr S[…] sprechen von ganz verschiedenen Dingen: Die Probleme, für die sich Herr W[…] interessiert, gehören zur Soziologie und zur Phänomenologie der Rezeption der Texte, die sich als literarisch präsentieren. Herrn S[…] ging es aber um eine Abgrenzung der literarischen Kommunikation.“ (Gülich/Raible 1972, 74 f). Solche ordnenden Aktivitäten können so weit getrieben werden, daß auch ein ,Scheinkon-

515

sens‘ aufgelöst wird: „Ich bin erstaunt, daß Herr S[…] so schnell „ja“ sagt zu den Ausführungen von Herrn W[…], zumal es ihm doch um eine völlig andere Imperativität geht.“ (Gülich/Raible 1972, 78). Die Struktur solcher Diskussionen entspricht den ,normalen‘ inneren Strukturen von Mehrpersonengesprächen (vgl. Hundsnurscher 1991, 149 ff, der Wechselgespräche, Rundgespräche, Reihengespräche, Zangengespräche, Parteiengespräche und Rollengespräche unterscheidet), wobei der reaktive Charakter solcher Diskussionen in Rechnung zu stellen ist: Sprecher (Sp1) ist in der Regel derjenige, der eine wissenschaftliche Meinung vorgetragen hat und diese nun verteidigt. Dabei entstehen häufig ,Reihengespräche‘ bzw. ,Zangengespräche‘ (Sp2 wendet sich an Sp1 mit einer Anfrage/Bitte um Stellungnahme etc., Sp1 antwortet Sp2 in einer Sp2 mehr oder weniger befriedigenden Weise. Danach wendet sich Sp3 an Sp1 gleichfalls mit einer Anfrage/Bitte um Stellungnahme, worauf Sp1 erneut antwortet etc.; Sp2, Sp3 … Spn können Sp1 aber auch ,in die Zange nehmen‘ und eine gemeinsame Gegenmeinung vertreten usw.). Nicht selten kommt es aber auch zu ,Parteiengesprächen‘, letzteres besonders dann, wenn Vertreter unterschiedlicher wissenschaftlicher Richtungen oder Schulen einen Grundsatzstreit austragen. Mit der jeweiligen Wissenschaftslandschaft Vertraute können dann häufig vorhersagen, wer in einer solchen Situation wessen Position unterstützen wird. Eine Sonderform der öffentlichen Diskussion ist das sehr modern gewordene Rundtischgespräch, das ⫺ sofern es wirklich diesen Charakter trägt und nicht nur eine Fortsetzung von Sektionsaktivitäten darstellt ⫺ eine etwas kompliziertere Struktur aufweist: Speziell eingeladene Spezialisten auf einem Gebiet tragen in kurzen statements ihre Position zu einem spezifischen wissenschaftlichen Problem vor und diskutieren danach gleichberechtigt untereinander. Das Auditorium hat dabei zunächst eine rein rezeptive Rolle: Durch monologische komplexere Darlegungen und durch die (möglichst kontroverse) Debatte über diese Positionen soll ein Bild vermittelt werden von der jeweiligen Problematik und dem neuesten Forschungsstand. Danach bekommt jedoch auch das Auditorium Gelegenheit, zu dem Gehörten Stellung zu beziehen, wobei sich solche Stellungnahmen sowohl auf das Problem an sich als auch auf die Positionen einzelner Teilnehmer auf dem Podium beziehen können.

516

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

3.2. Die gruppeninterne Diskussion Von besonderer Bedeutung sind im Wissenschaftsbereich aber auch Interaktionen, die als gruppeninterne Diskussionen bezeichnet werden sollen. Es handelt sich dabei um Gespräche zwischen Wissenschaftlern, die häufig über längere Zeiträume hinweg an einem Projekt arbeiten und demzufolge auch in einem engeren Interaktionszusammenhang stehen. Hieraus resultieren einige Spezifika, die diese Gespräche von offizielleren Gruppendiskussionen unterscheiden: Das Ziel solcher Diskussionen besteht oftmals darin, durch gemeinsames kollektives Argumentieren ein bestimmtes Problem zu lösen oder zumindest einer Lösung näherzubringen. Der offiziellere wissenschaftliche Diskussionen oftmals dominierende kompetitive Charakter tritt gegenüber dem koordinativen in den Hintergrund (vgl. zu den entsprechenden minimalen Dialogtypen Franke 1990), auch wenn er nicht völlig verschwindet. Die Kontinuität der Kommunikationsvorgänge führt in der gegebenen Situation darüber hinaus zu einer gemeinsamen Interaktionsgeschichte, die ihre Spuren auch im aktuellen Diskurs hinterläßt: dies äußert sich z. B. darin, daß viele Sachverhalte nicht mehr ausdrücklich expliziert werden müssen, weil alle Beteiligten aus vorausgegangenen Diskussionen wissen, worum es geht, daß mitunter Anspielungen auf früher ausgetragene Streitgespräche ausreichen, um die aktuelle Diskussion in eine bestimmte Richtung zu lenken, daß zentrale Diskussionspunkte, die nicht befriedigend geklärt werden konnten, immer wieder aufleben, etc. Da es sich hier um Interaktionspartner handelt, die durch den längeren kommunikativen Kontakt auch bestimmte soziale Beziehungen eingehen, sich also besser kennen, weisen solche Gespräche auch Merkmale auf, wie sie für informelle Gruppen typisch sind, z. B. einen größeren Anteil umgangssprachlicher Ausdrucksweisen etc. Mit welcher Intensität solche Merkmale auftreten, ist allerdings stark von der Zusammensetzung der jeweiligen Gruppe (von der Altersstruktur, den hierarchischen Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern etc.) abhängig. 3.3. Das Zwiegespräch Will man der Bedeutung dialogischer Kommunikation für den Wissenschaftsprozeß gerecht werden, darf man sich nicht auf das zweifellos dominierende Gruppengespräch beschränken, sondern muß auch den als Zwiegespräch charakterisierbaren Dialog

zwischen einzelnen Wissenschaftlern zumindest erwähnen. Aus der Wissenschaftsgeschichte ist bekannt, daß führende Vertreter einzelner Disziplinen ihre wissenschaftlichen Positionen häufig durch kontroverse Diskussionen (die nicht selten auch schriftlich in Form eines Briefwechsels ausgetragen wurden) mit anderen kreativen Wissenschaftlern verteidigt, präzisiert oder verändert haben. In einer solchen Situation werden durchaus auch scharfe, im Unterschied zu manchen offiziellen Diskussionen jedoch primär sachbezogene Kontroversen ausgetragen. Ein solcher Disput zwischen zwei Naturwissenschaftlern, zwischen Nils Bohr und Schrödinger, wird in Heisenbergs „Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik“ (1985, 105 f) geschildert: „Die Diskussionen zwischen Bohr und Schrödinger begannen schon auf dem Bahnhof in Kopenhagen und wurden jeden Tag vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein fortgesetzt. Schrödinger wohnte bei Bohrs im Hause, so daß es schon aus äußeren Gründen kaum eine Unterbrechung der Gespräche geben konnte. Und obwohl Bohr sonst im Umgang mit Menschen besonders rücksichtsvoll und liebenswürdig war, kam er mir hier beinahe wie ein unerbittlicher Fanatiker vor, der nicht bereit war, seinem Gesprächspartner auch nur einen Schritt entgegenzukommen oder auch nur die geringste Unklarheit zuzulassen. Es wird kaum möglich sein wiederzugeben, wie leidenschaftlich die Diskussionen von beiden Seiten geführt wurden, wie tief verwurzelt die Überzeugungen waren, die man gleichermaßen bei Bohr und Schrödinger hinter den ausgesprochenen Sätzen spüren konnte.“

Das Zitat macht deutlich, daß in einem solchen Fall der wissenschaftliche Dialog nicht mehr allein dazu dient, bereits Erkanntes anderen Fachvertretern einfach mitzuteilen, sondern daß er hier ein wichtiger Teil des Erkenntnisprozesses selbst ist.

4.

Literatur (in Auswahl)

Van Bendegem 1985 ⫽ Jean Paul Van Bendegem: A Connection between Modal Logic and the Logic of Dialogues in a Problem-solving Community. In: Logic of Discovery and Logic of Discourse. Ed. by Jaakko Hintikka and Fernand Vandamme. New York. London. Ghent 1985, 249⫺262. Franke 1990 ⫽ Wilhelm Franke: Elementare Dialogstrukturen. Darstellung, Analyse, Diskussion. Tübingen 1990 (Reihe Germanistische Linguistik 101). Gülich/Kotschi 1987 ⫽ Elisabeth Gülich/Thomas Kotschi: Reformulierungshandlungen als Mittel

517

52. Das Prüfungsgespräch als Fachtextsorte der Textkonstitution. Untersuchungen zu französischen Texten aus mündlicher Kommunikation. In: Satz, Text, sprachliche Handlung. Hrsg. v. Wolfgang Motsch. Berlin 1987 (studia grammatica XXV), 199⫺261. Gülich/Raible 1972 ⫽ Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible: Textsorten als linguistisches Problem. Vorwort und Einleitung. In: Textsorten. Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht. Hrsg. v. Elisabeth Gülich und Wolfgang Raible. Frankfurt/M. 1972, 1⫺5. Habermas 1988 ⫽ Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Frankfurt/M. 1988 (edition suhrkamp 1502, Neue Folge 502). Heisenberg 1985 ⫽ Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. In: Gesammelte Werke. Collected Works. Hrsg. v. Walter Blum, Hans-Peter Dürr und Helmut Rechenberg. Abt. C, Bd. III. München, Zürich 1985, 3⫺334. Hintikka 1985 ⫽ Jaakko Hintikka: True and False Logics of Scientific Discovery. In: Logic of Discovery and Logic of Discourse. Ed. by Jaakko Hintikka and Fernand Vandamme. New York. London. Ghent 1985, 3⫺14. Hundsnurscher 1991 ⫽ Franz Hundsnurscher: Zur dialogischen Grundstruktur von Mehr-PersonenGesprächen. In: Dialoganalyse III. Referate der 3. Arbeitstagung, Bologna 1990. Hrsg. v. Soran Stati, Edda Weigand and Franz Hundsnurscher. Teil 1. Tübingen 1991 (Beiträge zur Dialogforschung 1), 149⫺161. Kopperschmidt 1985 ⫽ Josef Kopperschmidt: An Analysis of Argumentation. In: Handbook of Dis-

course Analysis. Vol. 2: Dimensions of Discourse. Ed. by Teun A. van Dijk. London. San Diego. New York. Berkeley. Boston. Sydney. Tokyo. Toronto 1985, 159⫺168. Kopperschmidt 1989 ⫽ Josef Kopperschmidt: Methodik der Argumentationsanalyse. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989 (Reihe „problemata“ 119). Schwarz 1978 ⫽ Ingrid Schwarz: Zu inhaltlichen und strukturellen Merkmalen wissenschaftlicher Diskussionsgespräche im studienbegleitenden Deutschunterricht für Ausländer. In: Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer, 4/1978, 217⫺224. Slavgorodskaja 1986 ⫽ Ljudmila V. Slavgorodskaja: Naucˇnyi dialog (lingvisticˇeskie problemy). Leningrad 1986. Techtmeier 1983 ⫽ Bärbel Techtmeier: Metakommunikation im Wissenschaftlergespräch. In: Sprache und Pragmatik. Lunder Symposium 1982. Hrsg. v. Inger Rosengren. Stockholm 1983 (Lunder germanistische Forschungen 52), 285⫺298. Techtmeier 1984 ⫽ Bärbel Techtmeier: Das Gepräch. Funktionen, Normen und Strukturen. Berlin 1984 (Sprache und Gesellschaft 19). Wiegand 1979 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Kommunikationskonflikte und Fachsprachengebrauch. In: Fachsprachen und Gemeinsprache. Jahrbuch 1978 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. Wolfgang Mentrup. Düsseldorf 1979 (Sprache der Gegenwart. Schriften des Instituts für deutsche Sprache XLVI), 25⫺58.

Bärbel Techtmeier, Berlin

52. Fachtextsorten der Wissenschaftssprachen VII: das Prüfungsgespräch 1. 2. 3. 4.

1.

Allgemeine Charakteristik der Textsorte Prüfungsgespräch Strukturelle Eigenschaften der Textsorte Prüfungsgespräch Varianten des Prüfungsgesprächs Literatur (in Auswahl)

Allgemeine Charakteristik der Textsorte Prüfungsgespräch

Die Textsorte Prüfungsgespräch ist funktional (,Prüfung‘) und dialogisch (,Gespräch‘) definiert. Prüfungsgespräche dienen wie andere Formen der Prüfung (schriftliche Prüfungen, Tests etc.) „[…] der Feststellung von

Wissen, Begabung, Können, Leistungsfähigkeit auf den verschiedensten Gebieten […]“ (Hehlmann 1971, 438). Die Prüfung ist eine „[…] Leistungsprovokation zum Zweck der Leistungsbemessung […]“ (Wallerius 1971, 359), die in Bildungseinrichtungen, im Bereich der Wirtschaft etc. von Bedeutung ist. Ihrer besonderen Relevanz für den universitären Bereich entsprechend, soll die Prüfung an der Hochschule als prototypischer Fall den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt werden. Als übergeordnete institutionelle Ziele, die mit Prüfungen an Hochschulen verbunden sind, werden Initiation und Selbstrekrutie-

518

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

rung, Selektion und Statuszuweisung genannt (vgl. Prahl 1983, 438). Für Prüfungen gelten bestimmte institutionelle Rahmenbedingungen und Regelungen, die von den Interaktanten zu beachten sind (Hochschulrahmengesetz, Hochschulgesetze, Empfehlungen, Musterordnungen etc.). Aus diesen Rahmenbedingungen und aus universitären Traditionen erklären sich auch bestimmte Ritualisierungen, die diese Textsorte charakterisieren. Prüfungsgespräche sind vor allem Informationstexte. Dabei geht es nicht um die Gewinnung neuer Kenntnisse oder Erkenntnisse (wie z. B. bei Arzt-Patient-Gesprächen oder Wissenschaftlerdiskussionen), sondern um die Kontrolle von Wissensständen des Partners (vgl. Heinemann/Viehweger 1991, 151). Die Partnerkonstellation ist asymmetrisch: Dem Prüfer (P) sitzt der zu prüfende Kandidat (K) gegenüber. Die Asymmetrie beruht dabei auf mehreren miteinander verbundenen Faktoren: der institutionellen Rolle der Interaktanten (P dominiert die Situation dank der durch die Institution ,Hochschule‘ gegebenen Stellung); den unterschiedlichen Wissensständen bezüglich des abzuhandelnden Problems (P weiß in der Regel mehr über das Problem als K); der unterschiedlichen Verteilung der Gesprächsrollen (P initiiert in der Regel, K reagiert), es handelt sich also im Sinne von Franke (1990, 80) um S1-initiierte komplementäre Dialoge (Befragungen), allerdings mit kompetitiven Elementen. An dem Kommunikationsereignis nehmen oftmals weitere Personen teil (mehrere Prüfer, Beisitzer, Protokollanten; eine Sonderform ist die Gruppenprüfung, bei der gleichzeitig mehrere Studenten geprüft werden; vgl. Pkt. 4). Mündliche Prüfungen sind schließlich face-to-face-Interaktionen mit Rollenwechsel, was sie von schriftlichen Prüfungen (als indirekter und einseitig gerichteter Kommunikationsform) unterscheidet. Man wird einer solchen Textsorte wie dem Prüfungsgespräch jedoch nicht gerecht, wenn man sie nur als bereits entstandenes Produkt sprachlicher Kommunikation beschreibt. Man hat zu berücksichtigen, daß es sich hier wie auch bei anderen Gesprächen um Prozesse handelt, in denen subjektive Momente und dynamische Entwicklungen eine wichtige Rolle spielen. So wird in der einschlägigen (insbesondere psychologischen und populärwissenschaftlich-beratenden) Literatur immer wieder darauf verwiesen, daß die wechselseitige Wahrnehmung der Interaktanten ⫺ die Definition der Prüferpersönlichkeit durch

den zu Prüfenden einerseits, der Eindruck, den der Prüfer von der Persönlichkeit des zu Prüfenden gewinnt, andererseits ⫺ einen nicht unwesentlichen Einfluß auf den Prüfungsverlauf nimmt. Nicht wenig hängt von der Beantwortung der ersten Frage durch K ab: Es entsteht ein Gesamteindruck, der ⫺ im negativen Fall ⫺ durch den späteren Prüfungsverlauf nur schwer zu korrigieren ist. Demzufolge werden in der Literatur den Studenten zahlreiche Ratschläge erteilt, deren Nutzen allerdings nicht immer nachweisbar ist ⫺ zur Selbstdarstellung, zur Überwindung der Prüfungsangst, zur Beeinflussung des Prüfers (vgl. u. a. Siewert 1988 und Gourmelon/Mayer 1992).

2.

Strukturelle Eigenschaften der Textsorte Prüfungsgespräch

Diese ergeben sich vor allem aus den weiter oben benannten allgemeinen Charakteristika: Die Makrostruktur von Prüfungsgesprächen entspricht der normalen Gesprächsstruktur in institutioneller Kommunikation: Auf eine Einleitungsphase folgt die Kernphase (Zielrealisierungsphase; vgl. zur inneren Gesprächsstruktur u. a. Techtmeier 1984); das Gespräch mündet nach vollzogener Zielrealisierung in die Abschlußphase ein. In der Einleitungsphase geht es vor allem darum, die Voraussetzungen für die Kernphase zu schaffen, in diesem Fall durch die Begrüßung, die Vorstellung der Prüfungskommission, die Feststellung der Identität des Studenten, die Frage nach dem Gesundheitszustand etc. Auch verbale und nonverbale Handlungen des Prüfers, die der ,Entkrampfung‘ der Situation dienen (z. B. durch bestimmte smalltalk-Aktivitäten) gehören dazu. Die Zielrealisierungsphase wird durch das Hauptziel des gesamten Gesprächs bestimmt, den Wissensstand des zu Prüfenden innerhalb eines bestimmten Fachgebiets zu erkunden. Die Binnenstrukturierung der Kernphase ist folglich vor allem thematisch determiniert: P gibt bestimmte Themen aus dem jeweiligen Wissenschaftsbereich vor, die durch K mehr oder weniger umfassend zu behandeln sind. Schließlich wird in der Abschlußphase das Ergebnis der Befragung fixiert (oftmals nach einer Erörterung durch die Prüfungskommission) und in den meisten Fällen dem nunmehr Geprüften mitgeteilt. Je nach Ergebnis kann diese verbale Aktivität durch sprachliche Handlungen vom Typ Beglückwünschen oder Trösten begleitet sein.

52. Das Prüfungsgespräch als Fachtextsorte

Die Phasen- und Sequenzstruktur des Prüfungsgesprächs wird oft metakommunikativ expliziert: Ich muß Sie fragen, ob Sie sich in der Lage fühlen, die Prüfung abzulegen (metakommunikative Explizierung einer Voraussetzung für die Zielrealisierung in der Kernphase); Kommen wir nun zur Sache (Übergang zur Kernphase); Nun zu etwas ganz anderem (Übergang zu einer neuen thematischen Sequenz innerhalb der Kernphase); Die Prüfungskommission ist zu folgendem Ergebnis gekommen (Übergang zur Abschlußphase), etc. Von besonderer Bedeutung sind im Prüfungsgespräch die Frage-Antwort-Sequenzen. Sie strukturieren diese Textsorte fundamental: Die Prüferfragen (in mündlichen Prüfungen zumeist nicht-standardisierte offene Fragen, im Gegensatz zu den häufig standardisierten multiple-choice-Fragen in schriftlichen Prüfungen) setzen ⫺ wie andere Fragen auch ⫺ einen Wissensanspruch (im Gegensatz zu Repräsentativa beispielsweise, mit denen ein Wahrheitsanspruch erhoben wird) und zielen auf eine Antwort, mit der der Wissensanspruch erfüllt wird (vgl. Weigand 1989, 87 ff; Kranz 1991, 344); im Gegensatz zu ,echten‘ Informationsfragen bezieht sich dieser Wissensanspruch jedoch nicht auf den propositionalen Gehalt der Antwort (ICH WEISS p NICHT; DU WEISST p UND SOLLST MIR p SAGEN), sondern auf eine Information über den Wissensstand des Interaktionspartners (ICH WEISS p; DU SOLLST MIR ZEIGEN, DASS DU p GLEICHFALLS WEISST). Diesen fundamentalen Unterschied zwischen ,normalen‘ Fragen und denen zur Erkundung von Wissen hat schon Searle (1992, 103) erkannt, wenn er in seiner Typologie illokutionärer Akte in einem Kommentar feststellt: „Es gibt zwei Arten von Fragen, nämlich (a) wirkliche Fragen und (b) Prüfungsfragen. Bei wirklichen Fragen geht es S um die Antwort, bei Prüfungsfragen will S wissen, ob H die Antwort weiß“. Konkret soll erkundet werden, ob K in der Lage ist, Sachverhalte komplex darzustellen (durch Informationsfragen ⫺ eingeleitet z. B. mit Können Sie mir darlegen, wie …), Zusammenhänge zwischen Sachverhalten zu erkennen (durch Begründungsfragen ⫺ z. B.: Warum ist denn das so) etc. Prüfungsfragen sind im Grunde Aufforderungen zu verbalem Handeln. Deshalb nimmt es auch nicht wunder, wenn der Prüfer den Aufforderungscharakter seiner Initiativen häufig direkt durch Imperativsätze (die prototypi-

519 sche Realisierungsform von Aufforderungen) verbalisiert: Sagen Sie mir … Erzählen Sie mir etwas über … neben: Was wissen Sie über … Die institutionelle Konstellation ist auch der Grund dafür, warum akzeptanzstützende Begründungen für Aufforderungen, Fragen oder Bitten vom Typ: Ich frage das, weil … Ich möchte das wissen, weil … (vgl. zum Problem der akzeptanzstützenden Handlungen Techtmeier 1994) in der Prüfungssituation eher selten, wenn auch nicht ausgeschlossen sind. Auch wenn Fragen und Aufforderungen den Kernbereich initiierender sprachlicher Handlungen bilden, lassen sich weitere Typen derartiger durch P zu realisierender Initiativen finden. Dedering/Naumann (1986, 132) nennen die folgenden: explizite gesprächsschrittübergebende Zeichen, z. B. ⫹ bitte ⫹ (häufig verbunden mit einem entsprechenden Handzeichen), bewußt gesetzte Pausen (vor allem im Zusammenhang mit unvollendeten Sätzen), spezifische Intonation, die z. B. die negative Bewertung einer Antwort von K durch P zum Ausdruck bringt und damit zu einer Korrektur auffordert, spezielle Sequenzen als Hilfestellung für K. Die Antworten von K bestehen in der Regel aus Repräsentativa, die Teil einer komplexeren Argumentation sind. Der Grad der Komplexität der jeweiligen Antwort hängt jedoch von mehreren Faktoren ab: von der Art der Prüferfrage (Erzählen Sie mir etwas über … führt zu einer relativ komplexen Antwort; bei Fragen vom Typ Wie nennt man … kann die Antworthandlung hingegen aus der einfachen Nennung eines Fachterminus bestehen), vom Wissensstand des zu Prüfenden (oberflächliches Wissen führt schnell zum ,Erlöschen der Kommunikation‘) bzw. von dessen argumentativen Fähigkeiten, nicht zuletzt auch vom allgemeinen Prüfungsklima. P und in geringerem Maße auch K nutzen sequentiell-reaktive Fragen in der gegebenen Situation. P fragt nach, bittet um Ergänzung (eine Initiative des ,zweiten Zugs‘), er insistiert nach einer erneut unbefriedigenden Antwort von K (eine Initiative des ,dritten Zugs‘, vgl. Franke 1990, 21 und 32) etc. Häufig reformuliert P selbst eine bereits gestellte Frage, um eine Antwort zu ermöglichen (eingeleitet beispielsweise durch Äußerungen vom Typ Ich kann auch anders fragen …), und ergänzt diese Fragereformulierung durch eine verstehenssichernde Erläuterung (Ich will auf folgendes hinaus … Ich meine damit folgendes …). K fragt zurück, wenn er den Sinn

520

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

der Prüferfrage nicht vollständig verstanden hat, bzw. auch, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Während Fragen und Antworten von allen beteiligten Interaktanten ⫺ wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung ⫺ gestellt bzw. gegeben werden können, sind Bewertungen bei normalem Prüfungsverlauf dem Prüfer vorbehalten. Solche Bewertungshandlungen charakterisieren nicht nur die Abschlußphase, sie begleiten das gesamte Prüfungsgespräch. Besonders häufig treten sie an den Nahtstellen zwischen einzelnen thematisch charakterisierten Sequenzen innerhalb der Zielrealisierungsphase auf (Na, das war ja schon ganz gut. Nun zu etwas anderem …). In Sequenzen mit einem ausgeprägt dialogischen Charakter (bei denen die einzelnen Gesprächsschritte relativ kurz und parallel strukturiert sind), kommt es zu häufigen Bewertungen einzelner Gesprächsakte und -schritte des Kandidaten durch den Prüfer (Da sind Sie auf dem richtigen Weg … Wir kommen der Sache schon ein Stück näher … etc.). Bestätigungen und Zurückweisungen sind im Normalfall gleichfalls sequentielle Handlungen, die weitgehend P vorbehalten sind ⫺ ein Ausdruck der asymmetrischen interaktiven Konstellation im Prüfungsgespräch. Weitere Spezifika sprachlicher Äußerungen ergeben sich in der charakterisierten Situation durch den Gebrauch der jeweiligen disziplinenspezifischen Fachsprache und durch den mündlichen/dialogischen Charakter der Interaktion. Obgleich es natürlich Unterschiede zwischen einer ,rein‘ fachsprachlichen Diskussion unter Wissenschaftlern und dem Prüfungsgespräch gibt, kann dennoch die Kommunikation in der universitären Prüfung als fachsprachlich bezeichnet werden, und das in einem doppelten Sinne: Zum einen erfordert die Behandlung fachbezogen-wissenschaftlicher Fragestellungen in jedem Fall eine adäquate sprachliche Gestaltung, die auch Gegenstand der Bewertung von Prüfungsleistungen ist, andererseits ist die fachbezogene Terminologie selbst Gegenstand der Prüfung. Fachliches Wissen ist über weite Strecken hinweg ein Wissen über die Bedeutung von Termini in der jeweiligen Disziplin; deshalb werden auch entsprechende Prüfungsfragen gestellt (z. B. Was versteht man denn unter Synonymie?). Dazu kann auch das Wissen um die Herkunft bestimmter Termini gehören. Ein Beispiel dafür findet sich in dem fol-

genden Ausschnitt aus einem authentischen Prüfungsgespräch (vgl. Krope 1984, 104 ff): „K[andidatin]: Diese Nephrone sind einmal zusammengesetzt aus den Nierenkörperchen, auch Malpighische Körperchen genannt, […]/ P[rüfer]: Warum heißen sie denn Malpighische Körperchen? K.: Ja / P.: Ein ganz komisches Wort. / K.: Malpighi ist ein … ich glaub’, es ist ein ⫺/ P.: Ein Eigenname. Ein italienischer Anatom, der es zunächst präpariert und gezeigt hat, ja gut, lassen Sie sich nicht stören. Erzählen Sie mal weiter von der Niere“.

Der mündliche Charakter äußert sich zum einen darin, daß trotz der gegebenen institutionellen Situation neben standardsprachlichen Elementen durchaus auch umgangssprachliche auftreten können: [es geht wieder um die Niere] „K.: Und da ist Fettgewebe herumgelagert ⫺/ P.: Warum ist denn da Fettgewebe herumgepackt?“ In diesem Beispiel nutzt der Prüfer die umgangssprachliche synonymische Variation herumgepackt für herumgelagert zur Auflockerung der Situation. Dem gleichen Ziel dienen zum anderen häufige Bezugnahmen auf alltagsweltliche Sachverhalte und Situationen. So macht der Prüfer in dem zitierten Dialog als Erläuterung zum Problem des unterschiedlichen Fassungsvermögens der menschlichen Harnblase die folgende Feststellung: „P.: Jaah. Kräftige Biertrinker haben viel und kleine Mädchen haben wenig. Das wissen Sie ja aus meiner Vorlesung, ja?! […]“. Der dialogische Charakter hat Konsequenzen vor allem auf syntaktischem Gebiet: Häufige elliptische Konstruktionen verweisen darauf: „K.: … und führt dann … so ungefähr … und führt dann direkt in ein (…) hinein./ P.: In ein Sammelrohr, ja. Gut“. Beschränkt sich die Interaktion nicht auf verbale Äußerungen, d. h. sind auch nonverbale Elemente im Spiel (wenn z. B. wie in dem zitierten Fall etwas an eine Tafel gezeichnet wird), dann kommt es zu einer Häufung deiktischer Elemente.

3.

Varianten des Prüfungsgesprächs

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß es mehrere Prüfungsvarianten zu dem o. g. charakterisierten Fall gibt. Diese kann man ⫺ wie folgt ⫺ systematisieren: ⫺ Nach der Anzahl der zu Prüfenden unterscheidet man Einzel- und Gruppenprüfungen. Bei einer Gruppenprüfung wird die Beziehung zwischen den zu Prüfenden zu einem zusätzlichen Problem. Einerseits muß jeder Kandidat versuchen, sein Wissen zu doku-

52. Das Prüfungsgespräch als Fachtextsorte

mentieren, was ihn in eine Wettbewerbssituation mit den anderen bringt, andererseits gibt es Argumente für ein kooperatives Zusammenwirken der Gruppe: „Statt Punkte zu zählen, bildet sich der Prüfer seinen Eindruck eher aus dem abgegebenen Gesamtbild, neigt also dazu, die Gruppe als Ganzes zu bewerten“ (Gourmelon/Mayer/Mayer 1992, 76). Je nach gewählter Strategie kommt es zu eher komplementären oder eher kompetitiven Gesprächsstrukturen. ⫺ Nach dem Zeitpunkt einer Prüfung sind Zulassungs-/Eignungsprüfungen, Zwischenprüfungen und Abschlußprüfungen zu unterscheiden. Alle können mündlich und/oder schriftlich erfolgen, d. h., das Gespräch ist für alle diese Formen von Bedeutung. Zulassungsprüfungen haben eine ausgesprochen selektive Funktion: Wissen wird erfragt mit dem erklärten Ziel herauszufinden, ob oder ⫺ bei einer zu hohen Bewerberzahl ⫺ in welchem Maße ein Kandidat die erforderlichen Voraussetzungen für eine entsprechende weiterführende Bildungsmaßnahme erfüllt. Abschlußprüfungen dienen vor allem dazu, in der jeweiligen Bildungseinrichtung erworbenes Wissen zu dokumentieren, was die Voraussetzung dafür ist, daß entsprechende Zertifikate ausgestellt werden können.

4.

Literatur (in Auswahl)

Dedering/Naumann 1986 ⫽ Hans-Martin Dedering/ Bernd Naumann: Gesprächsinitiierende Steuerungsmittel in Prüfungsgesprächen. In: Dialoganalyse. Referate der 1. Arbeitstagung Münster 1986. Hrsg. v. Franz Hundsnurscher und Edda Weigand. Tübingen (Linguistische Arbeiten 176), 129⫺141. Franke 1990 ⫽ Wilhelm Franke: Elementare Dialogstrukturen. Darstellung, Analyse, Diskussion. Tübingen 1990 (Reihe Germanistische Linguistik 101). Gourmelon/Mayer/Mayer 1992 ⫽ Andreas Gourmelon/Michael Mayer/Thomas Mayer: Prüfungsgespräche erfolgreich führen. Ein Programm. Stuttgart 1992. Hehlmann 1971 ⫽ Wilhelm Hehlmann: Wörterbuch der Pädagogik. 11. Aufl. Stuttgart 1991 (Kröners Taschenbuchausgabe 94).

521 Heinemann/Viehweger 1991 ⫽ Wolfgang Heinemann/Dieter Viehweger: Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 115: Kollegbuch). Kranz 1991 ⫽ Bettina Kranz: Das Vorstellungsgespräch als Gegenstand der Dialoganalyse. In: Dialoganalyse III. 1. Referate der 3. Arbeitstagung Bologna 1990. Hrsg. v. Sorin Stati, Edda Weigand und Franz Hundsnurscher. Tübingen 1991 (Beiträge zur Dialogforschung 1), 341⫺352. Krope 1984 ⫽ Peter Krope: Dialogische Prüfungsforschung. Frankfurt/M. Bern. New York. Nancy 1984 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 11: Pädagogik 222). Kvale 1972 ⫽ Steinar Kvale: Prüfung und Herrschaft. Hochschulprüfungen zwischen Ritual und Rationalisierung. Weinheim. Basel 1972. Prahl 1983 ⫽ Hans-Werner Prahl: Prüfungen. In: Ausbildung und Sozialisation in der Hochschule. Hrsg. v. Ludwig Huber. Stuttgart 1983 (Enzyklopädie Erziehungswissenschaft 10), 438⫺450. Schwengler 1973 ⫽ G. Schwengler: Gesprächsformen⫺Prüfungsgespräch/Prüfungskolloquium. In: Deutsch. Verstehen, Sprechen, Schreiben. Hrsg. v. H. Stadler, Frankfurt/M. 1973. Searle 1992 ⫽ John R. Searle: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. 5. Auflage. Frankfurt/M. 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 458). Siewert 1988 ⫽ Horst Siewert: Examen erfolgreich bestehen. Ein psychologischer Ratgeber für Prüfungen und Examen. 2. überarb. u. aktualis. Aufl. Köln 1988. Techtmeier 1984 ⫽ Bärbel Techtmeier: Das Gespräch. Funktionen, Normen und Strukturen. Berlin 1984 (Sprache und Gesellschaft 19). Techtmeier 1996 ⫽ Bärbel Techtmeier: Akzeptanzstützung als textstrukturierendes Prinzip. In: Ebenen der Textstruktur. Hrsg. v. Wolfgang Motsch. Tübingen 1996 (Reihe Germanistische Linguistik 164) 121⫺164. Wallerius 1971 ⫽ R. Wallerius: Prüfungs- und Berechtigungswesen. In: Lexikon der Pädagogik. Neue Ausgabe. 3. Band. Freiburg. Basel. Wien 1971, 359⫺361. Weigand 1989 ⫽ Edda Weigand: Sprache als Dialog. Sprechakttaxonomie und kommunikative Grammatik. Tübingen 1989 (Linguistische Arbeiten 204).

Bärbel Techtmeier, Berlin

522

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

53. Fachtextsorten der Institutionensprachen I: das Gesetz 1. 2. 3. 4.

Gesetz: allgemeine Bestimmung Recht und Gesetz Formen und Funktionen von Gesetzen Literatur (in Auswahl)

1.

Gesetz: allgemeine Bestimmung

Gesetze sind Kodifikationen von Normen, die der Etablierung und Stabilisierung gesellschaftlicher Ordnung und der Sicherung individueller Ansprüche dienen, sie sollten die Herstellung von Gerechtigkeit und die Kontrolle von Herrschaft ermöglichen. Ihre verläßliche Geltung beruht auf der Autorität ihrer Quelle (Legitimität), sprachlicher Fixierung (Wortlaut), diachronischer wie diatopischer Zugänglichkeit (Tradierung als Text) und verbindlicher Anwendung (durch Richter, im ordentlichen Verfahren, in kollektiver Auslegungspraxis).

2.

Recht und Gesetz

Das menschliche Zusammenleben unterliegt einer Vielzahl von Regeln mit unterschiedlichen Zweckbestimmungen. Ansprüche auf Leben, Unversehrtheit, Besitz oder Macht sollen gesichert und Verletzungen geahndet, Konflikte um Güter vermieden oder in geordneten Bahnen ausgetragen werden, wirtschaftlicher Austausch soll funktionsfähig und die Herrschaft unter Kontrolle gehalten werden. Die Regeln stellen für repetitive Situationskonstellationen klar, was zu tun ist (Handlungsvorschriften), was gilt (Verteilung von Ansprüchen und Pflichten) und wie Abweichungen und Verstöße zu kompensieren sind (Restitution des früheren Zustands, Entschädigung, Strafe etc.). Man kann die Gesamtheit der diesen Regeln zugrundeliegenden Prinzipien als Recht1 bezeichnen (vgl. die Redeweise Recht und Gesetz). Recht in diesem Sinne wurde und wird oft als außersprachlich (Natur, Schöpfungsordnung) verankert vorgestellt; so kann ein auf menschliche Würde zielendes Naturrecht in ungerechten Satzungen wie dezisionistischen Instrumentalisierungen kritisch entgegengesetzt werden (vgl. Bloch 1961). Ferner wird im Rechtsgefühl des Einzelnen ein unmittelbarer Zugang gesehen, der für konkrete Situationen festlegt, was recht oder gerecht ist. Es versteht sich, daß von solchen Bezugsmöglichkeiten ein flexibler, interessengeleiteter

Gebrauch gemacht werden kann. Ein anderer Gebrauch faßt die in einer Gesellschaft faktisch geltenden Normen als Recht2 oder Rechtsordnung zusammen. Ihm wird kritisch die Vorstellung von „richtigem Recht“ (Stammler) gegenübergestellt. Diesem Konzept schließt sich die Aufgliederung nach einem Sach-, Fach- oder Geltungsbereich (Arbeitsrecht, Handelsrecht, Völkerrecht, Kriegsrecht) an. Schließlich gilt Recht3 als Anspruch einer Person (konkret: mein gutes Recht oder abstrakt/universell: Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit). Zur rechtstheoretischen und rechtsphilosophischen Diskussion um die Problematik von Recht und Gesetz vgl. Kaufmann/Hassemer (1981), Larenz (1991), Wesel (1991; 1992). Abstrakte Rechtsprinzipien bedürfen zu ihrer Anwendung einer bestimmten Form präziser Festlegung, die Fehlberufungen verhindert und Willkür ausschließt, die den Betroffenen verständlich und über Räume und Zeiten hinweg unverändert tradiert werden kann. Sonst ist der Streit um das, was gilt, kaum entscheidbar und niemand muß sich gebunden fühlen, auch nicht der Richter, dessen Handeln je nach dem klassischen Rechtsprinzip von der Bindung an das Gesetz bestimmt ist. Diese Form ist der sprachliche Text und das ⫺ wohl etwa seit es das gibt ⫺ im dauerhaften Medium der Schrift. Moderne Gesellschaften tendieren zu wachsender Regelungsdichte, der Komplexität ihrer Strukturen entsprechend. Zugleich wird die sprachliche Form variabler. Eine Ableitung aus wenigen Grundprinzipien ist nicht möglich. Das Formulieren von Gesetzen gewinnt ein Eigenleben und gerät in Distanz zu Entstehungssituation und ursprünglicher Anwendung. Ein Großteil der Gesetze wird ,extrakommunikativ‘ und spezialistisch. Rechtsordnungen legen nicht länger fest, was unter Gesetzen zu verstehen ist. Es entstehen Ausdifferenzierungen wie etwa (seit der Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts) die zwischen einem Gesetz im materiellen Sinne und einem Gesetz im formellen Sinne. Ersteres ist eine Rechtsnorm mit konkreten gesellschaftlichen Adressaten, die ihr unterliegen, letzteres ist schon jeder legitime Beschluß der Legislative, auch wenn er nicht in eine materielle Norm einmündet (so etwa der Etat). Darin zeigt sich die fortschreitende Dissoziie-

53. Das Gesetz als Fachtextsorte

rung der Legislative von den alltäglichen Handlungszusammenhängen. Auch die Praxis der Rechtsanwendung schafft sich eigene Anwendungs- und Durchführungsregeln und organisiert sich nach internen Vorgaben. Die Vorstellung wird obsolet, aus der kodifizierten Norm und der Gesetzesbindung folge automatisch die Entscheidung qua Subsumtion. Vielmehr ist der Richter eingebunden in eine institutionelle Interpretationspraxis, als deren Ergebnis ⫺ im Zusammenspiel der Instanzen ⫺ erst sich eine Einheitlichkeit herstellt. Das macht eine differenzierte Institutionsanalyse erforderlich, die sich mit der Oberfläche und den allgemein zugänglichen Kodifizierungen und Programmen nicht zufriedengibt. Die Eingebundenheit in institutionelle Zusammenhänge hat auch zu der Auffassung geführt, Gesetze seien selbst „Institutionen“ (Busse 1992, 118), neben den „personalen“ und dem Recht insgesamt, also etwa im Sinne von fait social (Mauss, Durkheim) oder analog zu Auffassungen, die formelhafte Äußerungen als Institutionen betrachten. Analytisch scheint ein derartiger Institutionsbegriff nicht vorteilhaft, verglichen mit dem pragmatischen Konzept, in dem das zweckhafte Ensemble aus Personen und Handlungsformen in seiner gesellschaftlichen Funktionalität im Zentrum steht.

3.

Formen und Funktionen von Gesetzen

3.1. Gegenstandsbereich Jedes repetitive Ereignis kann normativer und damit auch gesetzlich ,gesetzter‘ Regelung unterworfen werden. Grenzen können nur willkürlich gezogen werden, etwa durch fundamentale Rechtsbestimmungen (Menschenrechte, Grundrechte etc.). Werden Alltagsnormen unverändert gesetzlich festgeschrieben, geschieht dies so, daß eine Integration ins Rechtssystem stattfindet, d. h. es wird ein Bezug zu anderen Normen hergestellt, es werden rechtlich definierte Begriffe verwendet etc.: „§ 158. (1) Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung vorgenommen, so tritt die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung mit dem Eintritte der Bedingung ein.“ (BGB)

Der alltägliche Sprachgebrauch kann explizit in die Gesetzesnorm eingehen; dies gilt etwa, wo Gesetze auf die Regelung kommunikati-

523 ver Verhältnisse zielen (Äußerungsdelikte; rechtssystematische Relevanz von Handlungen wie ,Schweigen‘, ,verspätete Antwort‘, ,Widerruf‘ etc.; Institutionsspezifik von Mustern wie ,Belehren‘, ,Plädieren‘, ,Vorhalten‘; Formaspekte wie Mündlichkeit/Schriftlichkeit, Gebundenheit an Textarten usw.): „§ 185 Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (StGB)

Offen bleibt, wie der aus dem Alltag übernommene Begriff der Beleidigung zu klären ist; die juristische Praxis bietet Konzepte an wie den ,verständigen Durchschnittsleser‘, eine allerdings nicht empirisch verankerte Figur. In vielen Fällen liegt zunächst ein ,Transfer‘ vor, in der institutionellen Praxis (höchstrichterliche Entscheidungen, herrschende Meinung, Kommentare) bilden sich aber gegenüber dem Alltag präzisere oder erweiterte Bestimmungen heraus. Im Fall der ,Statuierung‘ hat die gesetzliche Regelung im Alltag kein Gegenstück: „§ 2265. Ein gemeinschaftliches Testament kann nur von Ehegatten errichtet werden.“ (BGB)

Im Fall der ,Expansion‘ wird der Anwendungsbereich der Alltagsnorm ausgedehnt: „§ 657. Wer durch öffentliche Bekanntmachung eine Belohnung für die Vornahme einer Handlung, insbesondere für die Herbeiführung eines Erfolges, aussetzt, ist verpflichtet, die Belohnung demjenigen zu entrichten, welcher die Handlung vorgenommen hat, auch wenn dieser nicht mit Rücksicht auf die Auslobung gehandelt hat.“ (BGB)

Basis der Norm ist das einseitige Versprechen des Alltags, kommunikatives Handeln soll aber seinen Zweck gerade dadurch erreichen, daß der Partner es als solches erkennt. Von einer ,Spezifizierung‘ sprechen wir, wenn die Gesetzesformulierung den Gegenstands- oder Anwendungsbereich einer Alltagsnorm einschränkt: „§ 662. Durch die Annahme eines Auftrags verpflichtet sich der Beauftragte, ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft für diesen unentgeltlich zu besorgen.“ (BGB)

Gesetze können auch ,Präzisierungen‘ beinhalten: was im Alltag gilt, gilt auch im Gesetz; das Gesetz geht aber mit seiner Formulierung über die Alltagsnorm und ihre Interpretation hinaus: „§ 4 (14). Herstellen ist das Gewinnen, das Anfertigen, das Zubereiten, das Be- oder Verarbeiten, das

524

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Umfüllen einschließlich Abfüllen, das Abpacken und das Kennzeichnen.“ (AMG)

ßende) Umstände MU1 … MUn als gegeben anzunehmen sind.

Im Fall der ,Substituierung‘ bleibt der im Alltag geltende Norminhalt nicht erhalten, der Sachverhalt wird anders geregelt:

Zusatzbedingungen des Typs A2 und B2 können fehlen, oft ergeben sie sich aus dem Allgemeinen Teil des Gesetzeswerks, der so zu reformulieren ist, daß Ausgangskonstellation und das Geschehen mit den individuellen Anteilen (Handlungen, Absichten, Erwartungen etc.) deutlich werden. Ein Fall wird erst konstituiert, wenn klar ist, wo Ansprüche nicht abgegolten, Verpflichtungen nicht eingelöst, Integritäten verletzt sind usw. ⫺ wenn also anders gehandelt wurde, als nach dem Maßstab von Vergleichsfällen oder daraus gewonnenen (Gesetzes-)Regeln zu erwarten war. Der Kern des Normsystems besteht aus kondensierten Fällen, und im Rechtsverfahren werden mithilfe normativer Schemata die dargestellten Sachverhalte nach Plausibilitätsmaßstäben rechtsförmig und damit entscheidbar gemacht.

„§ 1. (1) Abfälle im Sinne dieses Gesetzes sind bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will, oder deren geordnete Beseitigung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist.“ (AbfG)

Das Gesetz erfaßt beispielsweise nicht Produktreste, die der Besitzer wiederverwertet, lagert oder vernichtet ⫺ es sei denn, das öffentliche Wohl erfordere staatliche Beseitigung. Das moderne Recht ist nicht ohne Spezialisierung durch allgemeine Rechtsbegriffe, fachliche Eingebundenheit und abstrahierende Fall-Typisierungen denkbar. Auch wenn ein Rechtssystem ⫺ wie das angelsächsische ⫺ fallbezogen aufgebaut ist, entfernt es sich durch eine spezifische Interpretationspraxis vom Alltag. Vom Entscheidungsfall ausgehend muß auf der Basis von Ähnlichkeitsbeziehungen ein historischer Musterfall oder ein abstrakter Musterfall, der im Rechtssystem vorgegeben ist, aufgefunden werden, der dann das Urteil präformiert. Kein Ereignis liefert ,aus sich heraus‘ schon die Kriterien für eine Rechtsanwendung: wir haben zunächst nichts als Sachverhaltsdarstellungen der Teilnehmer, durch die (a) ein Normsachverhalt konstituiert wird; (b) Rechtsfolgen für den Fall angegeben werden, daß ein Ereignis der Wirklichkeit als Instanz des Normsachverhalts betrachtet wird. Eine solche konditionale Assertion einer Regel zeigt besonders deutlich, daß mit Normen mögliche Welten formuliert werden: Wann immer wir eine Konstellation der wirklichen Welt so charakterisieren können, daß sie dem entspricht, was der wenn-Satz ausdrückt, ergeben sich die Rechtsfolgen des Matrixsatzes. Prototypisch sind Strafnormen: A1: Wenn jemand X tut (zu tun versucht) oder unterläßt bzw. es zum Ereignis E kommen läßt und A2: Ausnahmeumstände U1 … Un nicht als gegeben anzunehmen sind, B1: so treten die Rechtsfolgen F1 … Fn (Ansprüche, Verhängen von Sanktionen) ein, B2: wenn nicht diese Folgen modifizierende (z. B. strafmildernde oder strafausschlie-

3.2. Handlungsstruktur und sprachliche Form Hinter Gesetzen verbergen sich ganz unterschiedliche Handlungsstrukturen. Mit ihnen verbindet sich ein spezifischer Zweck und eine der typischen Mittelkonstellationen: im Falle einer ,Aufforderung‘ eine Charakterisierung des umzusetzenden Handlungskonzepts oder der pflichtgemäß zu verändernden Situationskonstellation usw. (1) Grundtyp: Regelformulierung Von einem Gesetz ist zu erwarten, daß es sich auf Handlungs-, Wissens- und Schuldvoraussetzungen bezieht: A1: „§ 127 Wer A2: unbefugterweise A1: einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt (…) B1: wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (StGB)

Sprachlich bleibt die Konditionalstruktur oft implizit. Das Antezedens tritt nicht nur als wenn-Satz oder asyndetischer Konditionalsatz (stockt der Verkehr …) auf, sondern auch als Verbalsubstantiv oder substantiviertes Prädikat (der Mörder wird … bestraft, das Betreten von … wird … bestraft), als Termsatz (wer es unternimmt … wird … bestraft), als Nominalphrase mit restriktivem Relativsatz (Gefangene, die sich zusammenrotten …) oder als Präpositionalphrase (im Falle der Tötung … wird …)

53. Das Gesetz als Fachtextsorte

525

(2) Definitionen: Es handelt sich um Sprachregelungen, die Gesetzen oder Gesetzeswerken zugrundegelegt werden sollen. Klärungsbedarf besteht vor allem, wo vom alltäglichen Sprachgebrauch abgewichen werden soll bzw. eine rein rechtliche Setzung vorzunehmen ist. Die Form ist die einer Assertion (Aussagesatz) mit Formen wie x (im Sinne dieses Gesetzes) gilt als/ist zu verstehen als/ist … z. Die Definitionen können in nicht-zirkulärer Weise aufeinander folgen und einen theoretischen Zusammenhang bilden:

(5) Permissive: ,Permissive‘ haben den Zweck, als nicht erlaubt betrachtetes oder unter bestimmten Bedingungen nicht erwartbares Handeln zu ermöglichen; man muß wissen, was durch sie aufgehoben werden soll. Die Formulierungen sind durch Modalverbstrukturen mit können oder dürfen (⫹ Agens) oder nominale Prädikate wie Berechtigung, Erlaubnis, Befugnis, gekennzeichnet:

„§ 99 (1) Früchte einer Sache sind die Erzeugnisse der Sache und die sonstige Ausbeute, welche aus der Sache ihrer Bestimmung gemäß gewonnen wird.“ „§ 100. Nutzungen sind die Früchte einer Sache oder eines Rechtes sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechtes gewährt.“ (BGB)

(6) Rechte: Mit ,Rechten‘ werden Ansprüche für Individuen eröffnet, die sie vor Zugriffen schützen oder besondere Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Ihr Operationsbereich ist oft nicht genau bestimmt, was zur Folge hat, daß Richterrecht dominiert und Fehlberufungen vorkommen. Sprachlich dominieren Markierungen durch nominale Prädikate wie Recht, Anspruch oder Prädikativkonstruktionen (gleich(berechtigt)/unantastbar/unverletzlich … ⫹ sein). Indirekte, modale Formulierungen bringen zum Ausdruck, welche Art von äußerem Eingriff nicht statthaft ist (niemand darf … gezwungen werden):

(3) Verbote: Verbote sind auf Handeln oder Unterlassen bezogene Normformulierungen, die nicht schon strafbewehrt sein müssen, aber gleichwohl im Fall ihrer Verletzung Rechtsfolgen (etwa ,Nichtigkeit‘) nach sich ziehen und Grundlage für Rechtsansprüche werden können. Die Wirkung ist nicht als Folge in einer Konditionalstruktur formuliert, sie bleibt implizit. Sprachlich werden vielfach Verben mit direktem Bezug auf Handlungsmodalitäten (nicht dürfen, nicht gestattet/erlaubt/verboten/ untersagt sein. …) verwendet, wobei Normierungsinstanz und Agens in der Regel unausgedrückt bleiben: „§ 5 (1) Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen.“ (AMG)

(4) Gebote: Es handelt sich um Formulierungen von Handlungsobligationen, die nicht strafbewehrt sind, aber (wie Verbote) bei Verstößen spezifische Rechtsfolgen zeitigen. Auch hier liegt die Problematik in der Implizitheit der Rechtsfolgen. Die sprachlichen Formen markieren die Striktheit des Eingriffs in die Handlungsplanung (Modalverb müssen, Konstruktionen wie haben/sein … zu), können aber auch indirekt sein und den Handelnden aussparen: „§ 2. (1) Der Gesellschaftsvertrag bedarf notarieller Form. Er ist von sämtlichen Gesellschaftern zu unterzeichnen.“ (GmbH-Gesetz)

„§ 28 (1) Die zuständige Bundesbehörde kann die Zulassung mit Auflagen verbinden. Auflagen können auch nachträglich angeordnet werden“ (AMG)

„§ 103 (1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.“ (GG)

Dieser zentrale Grundsatz des Verfahrens garantiert u. a. die Möglichkeit, als Angeklagter zu den verhandelten Sachverhalten und Beweisen Stellung zu nehmen und dient dem rechtlichen Schutz der Person. (7) Anwendungsregeln: ,Anwendungsregeln‘ geben zusätzliche Einschränkungen für den Geltungsbereich bestimmter Gesetze. Sie haben assertiven Charakter und sind meist durch Verben wie anwenden, ausschließen, gelten, haben/sein … zu gekennzeichnet: „§ 80 Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf 1. Arzneimittel, die unter Verwendung von Krankheitserregern hergestellt werden und zur Verhütung, Erkennung oder Heilung von Tierseuchen bestimmt sind.“ (AMG)

3.3. Präzision und Vagheit Gesetzestexte bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen geforderter Eindeutigkeit und notwendiger Vagheit. Sie sollen keine zu großen Interpretationsspielräume eröffnen,

526

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

denn sie können in den Alltag nur eingreifen, wenn ihre Anwendungsfälle hinreichend klar umrissen sind (,nulla poena sine lege‘). Sie nutzen daher extensiv sprachliche Mittel zu genauer Gegenstandsbestimmung (Attributhäufung, Relativsätze etc.) und verzichten weitestgehend auf phorische Ausdrücke. Die thematische Progression ist durch große Redundanz gekennzeichnet. Zwischen Gesetzen in unmittelbarer Folge bestehen nur wenige Kohäsionsbeziehungen (Wiederaufnahmen, explizite Konnektionen etc.). Sprachlich scheinen Gesetze weitgehend unabhängig voneinander formuliert und verstehbar zu sein; Gesetzeswerke erscheinen als Listen. Tatsächlich sind sie aber auf komplexe Weise miteinander (und mit entlegenen Gesetzeswerken) vernetzt, so daß man von einer Intertextualität sprechen kann. Bestimmte Fach- und Sachbereiche (wie das Arzneimittelwesen, die Erbfolge oder die Parteienfinanzierung) sollen möglichst lückenlos ⫺ ohne größere deontische Defizienzen ⫺ erfaßt werden. Allgemeine Rechtsbegriffe gelten als Voraussetzungen für ganze Gesetzeswerke, Einzelnormen eines Gesetzes können durch andere Normen (desselben oder eines anderen Gesetzeswerks) ,überspielt‘ werden: „§ 37. Verweisungen. Wenn außerhalb dieses Gesetzes auf Vorschriften verwiesen wird oder Bezeichnungen verwendet werden, die durch dieses Gesetz gegenstandslos geworden sind, treten an ihre Stelle die entsprechenden Vorschriften und Bezeichnungen dieses Gesetzes.“ (WoGG)

Gesetze partizipieren nicht nur an der Vagheit alltäglichen Sprachgebrauchs, die vielfach nur Bedeutungsbeschreibungen mit ,unscharfen‘ Rändern zuläßt; sie arbeiten gerade mit Vagheit. Eine lückenlose Erfassung des normativ Mitgedachten ist nicht zu leisten. Was nicht geregelt ist, kann keine Rechtsfolgen zeitigen, und Analogie gilt als Willkür. Gesetze sind daher so formuliert, daß sie auch Interpretationsspielräume eröffnen. Der Rechtsanwender (vor allem der Richter höherer Instanz) betreibt qua Entscheidung interpretative ,Rechtsfortbildung‘, ,schafft‘ praktisch neues Recht auf der Basis und im Rahmen des vorhandenen. Damit kann der sich verändernden Lebenswelt (Technik, Wissenschaft, soziale Wertungen etc.) schneller Rechnung getragen werden als durch ständige ⫺ meist verspätete ⫺ Gesetzesrevision. Problematisch bleibt, inwieweit der Wortlaut der Gesetze (ihre wörtliche Bedeutung) dann noch maßgeblich und das Kodifizierte verläßlich ist (Prinzip der ,Rechtssicherheit‘):

„§ 323. (…) (2) Ebenso wird bestraft, wer in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Vorhabens, technische Einrichtungen in ein Bauwerk einzubauen oder eingebaute Einrichtungen dieser Art zu ändern, gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen gefährdet.“ (StGB)

Die Gerichte lassen reine Lehrbuch-Regeln nicht als „anerkannt“ gelten, sondern nur die Regeln, die in der fachlichen Praxis bekannt und akzeptiert sind, selbst der Eingang in baupolizeiliche Vorschriften reicht nicht ohne weiteres (BayOLGSt. 7; 30,40). Problematisch bleibt im Einzelfall, wer festlegt, was Stand der Technik ist. 3.4. Das Problem der Verfasserschaft Gesetze werden von einer legitimierten Instanz formuliert. In modernen Gesellschaften mit Gewaltenteilung, spezialisierter Bürokratie und beweglichen Interessengruppen entstehen sie in einem kollektiven Prozeß der Bearbeitung, hinter dem individuelle Autorschaft verschwindet und der Wille des Gesetzgebers (maßgeblich für die subjektiv-teleologische Auslegungslehre) unklar werden kann. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sagt nichts darüber, woher die Gesetzesvorlagen kommen. Die Initiativen der Regierung wie auch der Parlamente kommen überwiegend aus der Ministerialbürokratie als ⫺ schon mit Interessenten vorabgestimmte ⫺ Referentenentwürfe; manchmal kommen sie direkt aus Verbänden oder Interessengruppen. Festgelegt ist nur das Gesetzgebungsverfahren, etwa zwischen Bundestag und Bundesrat mit drei Lesungen, Vermittlungsausschuß usw. bis hin zur Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten. Empirische Untersuchungen zur faktischen Verfasserschaft und Textherstellung bleiben ein Desiderat. 3.5. Adressaten und Verständlichkeit Moderne Gesetzestexte sind umfangreich und komplex (mit zunehmender Tendenz in Gesellschaften, die durch Legalismus und Verrechtlichung zu kennzeichnen sind). Prinzipiell gelten die Gesetze für alle, alle sind damit Adressaten, auch wenn sie nur von Teilkomplexen ⫺ Verfassungsrecht, Umweltrecht, Strafrecht, Bürgerliches Recht, Verkehrsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht, Wirtschaftsrecht, Verwaltungsrecht ⫺ betroffen sein mögen. Daher findet sich selten eine explizite Adressierung. Immer sind die Institutionen

53. Das Gesetz als Fachtextsorte

der Rechtsverwirklichung mitadressiert ⫺ ihr Handeln und Entscheiden ist zu legitimieren. Manchen Gesetzen kann man implizite Adressierungen an Experten entnehmen. Eine Norm, die in der Alltagspraxis fest verwurzelt ist, mag als Gesetz unzureichend formuliert sein; sie wird gleichwohl ihre Wirkung entfalten. Die Vielzahl rechtsspezifischer Normen verlangt Textverständnis für jeden Anwendungsfall: hier ist die Norm ⫺ umgekehrt ⫺ unmittelbar an das Gesetz gebunden, das rechtskonstitutiv wirkt. In allen Zweifelsfällen und für jede Entscheidungsbegründung kommt es auf die Formulierung im Gesetz an. Und je schwieriger die Formulierung und je größer der Abstand zur Alltagspraxis, desto stärker muß Normwissen ⫺ und das heißt: Fach- und Expertenwissen, Wissen von Vermittlern (Anwälte, Rechtsbeistände) ⫺ herangezogen werden und desto geringer sind die Partizipationsmöglichkeiten für Betroffene und Öffentlichkeit. Große Teile des Rechts verändern sich über Generationen hinweg nicht. Es ist also aussichtslos, die Adressaten zum Zeitpunkt der Entstehung eines neuen Gesetzes genau zu erfassen. Somit müssen Adressaten fingiert werden, denn im Prinzip sollten die Gesetze von allen verstanden werden können, die betroffen sein können oder sich informieren wollen. Nur dann kann man die Befolgung von Gesetzen erwarten, die sich heute nur noch in winzigen Teilbereichen auf allgemeine Moral- oder Naturrechtsprinzipien zurückführen lassen. Wenn der Zweck einer Gesetzesnorm darin besteht, daß sie kommunikativ wirksam wird, d. h. daß sie von den Adressaten verstanden und in die Handlungsplanung einbezogen wird, muß das Verständlichkeitspostulat gelten. Gestützt wird es dadurch, daß fast jedes Strafrecht die Figur des „Verbotsirrtums“ (vgl. etwa § 17 StGB) enthält: die Schuldfähigkeit bemißt sich daran, ob der Täter vom Verbot gewußt hat oder hat wissen können. Es fragt sich, ob eine reale Chance zur Information bestanden hat: Dies muß meist aus praktischen Gründen unterstellt werden. Wenn aber der Zweck der Gesetze primär darin besteht, für die Begründung von Rechtsentscheidungen brauchbar zu sein, genügt Zugänglichkeit für die Experten. Gesetzeswerke für Spezialisten umgeben längst den staatsbürgerlichen Kernbereich. Das Verständlichkeitspostulat kann dann nur als Fiktion aufrechterhalten werden, die das entsprechende Sachwissen einschließt; Sanktionen wären sonst nicht möglich.

527 Die Klage, die Gesetze seien unverständlich, ist nicht neu. Seit der Aufklärung ⫺ und zumal im Rechtsstaat ⫺ hat die Verständlichkeitsmaxime für Gesetze besonderes Gewicht. Das alte deutsche Recht, das immer wieder gegen die moderne Tendenz zur Abstraktion angeführt wird, war gewiß anschaulicher und poetischer. J. Grimm erscheint die Rechtssprache seiner Zeit als „ungesund und saftlos, mit römischer terminologie hart überladen“ (Dt. WBVorrede, XXXI). Konkret erstreckt sich die geläufige Kritik an der ,Rechtssprache‘ auf ⫺ die Verwendung von Rechtstermini mit gegenüber dem Alltag spezifischer Bedeutung (z. B. sind Besitz, Mensch, Sache, Dunkelheit rechtlich terminologisiert); ⫺ den Gebrauch unbestimmter Ausdrücke (Ermessensbegriffe wie Interesse des öffentlichen Verkehrs, Generalklauseln wie die guten Sitten oder niedrige Beweggründe); ⫺ Archaismen (Kraftdroschke); ⫺ einen kompakten Stil (komplexe Nominalgruppen; Nominalisierungen; Passiv und Agensschwund; schwer überschaubare Satzgefüge und Satzfolgen). Fremdwörter stellen in der deutschen Rechtssprache seit dem Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. das nach Protesten stark eingedeutschte Bürgerliche Gesetzbuch) ein geringeres Problem dar. Anders als in anderen auf dem Römischen Recht basierten Rechtsordnungen wurde der Einfluß des Lateinischen zurückgedrängt. Nur wenige Ausdrücke sind geblieben: persona non grata, Skontration etc. Allerdings ist das BGB seither durch starke Abstraktionen gekennzeichnet, anders das einfacher strukturierte Zivilrecht der ehemaligen DDR. Die Kritik an der Rechtssprache (vgl. u. a. Wassermann/Petersen 1983; Pfeiffer/Wodak/Strouhal 1985) hat im Kernbereich der Gesetzgebung kaum Fortschritte gezeitigt, denn das Verständlichkeitsproblem ist weniger in den sprachlichen Strukturen begründet als in Abstraktion, Vernetzung, Spezialisierung und institutioneller Interpretationspraxis, die allenfalls die Forderung nach einer Verständlichkeit ihrer wörtlichen Bedeutung realistisch erscheinen lassen (vgl. Hoffmann 1992). Gesetze gehen als Argumentationshintergrund in mündliche Verhandlungen ein, die dadurch partiell den eigentümlichen Charakter „mündlicher Schriftlichkeit“ (Rehbein 1989) erhalten können.

528

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Hoffmann 1991 ⫽ Ludger Hoffmann: Vom Ereignis zum Fall. Sprachliche Muster zur Darstellung und Überprüfung von Sachverhalten vor Gericht. In: Erzählte Kriminalität. Zur Typologie und Funktion von narrativen Darstellungen in Strafrechtspflege, Publizistik und Literatur. Hrsg. v. Jörg Schönert. Tübingen 1991, 87⫺113.

Sprachkultur. Hrsg. v. Günther Grewendorf. Frankfurt/M. 1992, 122⫺157. Kaufmann/Hassemer 1991 ⫽ Arthur Kaufmann/ Winfried Hassemer (Hrsg.): Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart. 5. Aufl. Heidelberg. Karlsruhe 1991. Larenz 1991 ⫽ Karl Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 6. Aufl. Berlin. Heidelberg. New York 1991. Luhmann 1993 ⫽ Niklas Luhmann: Das Recht der Gesellschaft. Frankfurt/M. 1993. Mellinkoff 1963 ⫽ David Mellinkoff: The Language of the Law. Boston 1963. Müller 1989 ⫽ Friedrich Müller (Hrsg.): Untersuchungen zur Rechtslinguistik. Berlin 1989. O’Barr 1981 ⫽ William M. O’Barr: Language and the Law. In: Language in the USA. Hrsg. v. Charles A. Ferguson and Shirley Brice Heath. Cambridge 1981, 386⫺406. Öhlinger 1986 ⫽ Theodor Öhlinger: Recht und Sprache. Wien 1986. Oksaar 1967 ⫽ Els Oksaar: Sprache als Werkzeug und Problem des Juristen. In: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 54. 1967, 91⫺132. Pfeiffer/Strouhal/Wodak 1987 ⫽ Oskar Pfeiffer/ Ernst Strouhal/Ruth Wodak: Recht auf Sprache. Wien 1987. Radtke 1981 ⫽ Ingulf Radtke (Hrsg.): Die Sprache des Rechts und der Verwaltung. Stuttgart 1981. Rehbein 1989 ⫽ Jochen Rehbein: Mündliche Schriftlichkeit. In: Rechtsdiskurse. Hrsg. v. Ludger Hoffmann. Tübingen 1989, 251⫺326. Seibert 1981 ⫽ Thomas-Michael Seibert: Aktenanalysen. Tübingen 1981. Seibert 1996 ⫽ Thomas-Michael Seibert: Zeichen, Prozesse. Grenzgänge zur Semiotik des Rechts. Berlin 1996. Stickel 1984 ⫽ Gerhard Stickel: Zur Kultur der Rechtssprache. In: Mitteilungen des Instituts für deutsche Sprache 10. 1984, 29⫺61. Viehweg 1974 ⫽ Theodor Viehweg: Topik und Jurisprudenz. 5. Aufl. München 1974. Viehweg/Rotter 1977 ⫽ Theodor Viehweg/Frank Rotter (Hrsg.): Recht und Sprache. Wiesbaden 1977. Wassermann/Petersen 1983 ⫽ Rudolf Wassermann/ Jürgen Petersen (Hrsg.): Recht und Sprache. Heidelberg. Karlsruhe 1983. Wesel 1991 ⫽ Uwe Wesel: Fast alles was recht ist. Frankfurt/M. 1992. Wesel 1992 ⫽ Uwe Wesel: Juristische Weltkunde. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1992.

Hoffmann 1992 ⫽ Ludger Hoffmann: Wie verständlich können Gesetze sein. In: Rechtskultur als

Ludger Hoffmann, Dortmund

Der Aufklärung sind allgemeine Verfahrensgrundsätze zu verdanken, die in Prinzipien wie ,Mündlichkeit‘ und ,Anspruch auf rechtliches Gehör‘ ihren Niederschlag gefunden haben. Nach dem für diese Rechtsbereiche geltenden Prinzip der Mündlichkeit muß alles im Diskurs geäußert werden, was in das Urteil eingehen soll. Die Umsetzung gesetzlicher Schemata in den Verhandlungsdiskurs mit Zeitdruck, gegenläufigen Strategien und Entscheidungsorientiertheit ist für Angeklagten und Zeugen oft wenig transparent (vgl. Hoffmann 1983; 1989; 1991).

4.

Literatur (in Auswahl)

Bloch 1961 ⫽ Ernst Bloch: Naturrecht und menschliche Würde. Frankfurt/M. 1961. Brandt 1991 ⫽ Wolfgang Brandt: Gesetzessprache. Ergebnisse einer Reihenuntersuchung. In: Das 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Rainer Wimmer. Berlin. New York 1991, 400⫺427. Busse 1992 a ⫽ Dietrich Busse: Recht als Text. Tübingen 1992. Busse 1992 b ⫽ Dietrich Busse: Juristische Semantik. Berlin 1992. Danet 1984 ⫽ Brenda Danet (Hrsg.): Studies of Legal Discourse. Text 4, 1⫺3, 1984. Dobnig-Jülch 1982 ⫽ Edeltraut Dobnig-Jülch: Fachsprachenbarrieren. Überlegungen zur Kluft zwischen Fachsprache und Gemeinsprache am Beispiel juristischer Texte. In: Gebrauchsliteratur, Interferenz, Kontrastivität. Hrsg. v. Bernhard Gajek und E. Wedel. Bern 1982, 313⫺360. Grimm 1816 ⫽ Jacob Grimm: Von der Poesie im Recht. In: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 2, 1816, 25⫺99. Günther 1898 ⫽ L. Günther: Recht und Sprache. Ein Beitrag zum Thema vom Juristendeutsch. Berlin 1898. Hoffmann 1983 ⫽ Ludger Hoffmann: Kommunikation vor Gericht. Tübingen 1983. Hoffmann 1989 ⫽ Ludger Hoffmann (Hrsg.): Rechtsdiskurse. Tübingen 1989.

529

54. Erlaß, Verordnung und Dekret als Fachtextsorte

54. Fachtextsorten der Institutionensprachen II: Erlaß, Verordnung und Dekret 1. 2. 3.

Vorbemerkungen zur Fachsprache des Rechts Erlaß, Verordnung und Dekret im Sprachenvergleich deutsch⫺französisch Literatur (in Auswahl)

administrative Sprache, aber auch verschiedene Hilfsdiskurse hinzugefügt (Cornu 1990, 17, 222).

2. 1.

Vorbemerkungen zur Fachsprache des Rechts

Linguistische Untersuchungen zur Sprache der Normen bzw. Verwaltungsvorschriften können bei der Beschreibung ihres Gegenstandes von einem Sonderfall fachspezifischer, institutionell bestimmter Gebrauchsform von Sprache ausgehen. In keiner anderen Fachsprache ist die Verbindung zwischen Fachgebiet, fachlich und beruflich determinierten Tätigkeiten und ihren sprachlichen Realisierungen so eng wie im Recht. Normen sowie Vorschriften, ihre Interpretation und Auslegung sind an Sprache gebunden (vgl. Cornu 1990, 14, 44). Aus dieser Feststellung lassen sich der in legislativen Texten vorhandene hohe Fachlichkeitsgrad sprachlicher Äußerungen sowie die beiden der Sprache des Rechts zugeschriebenen Funktionen ableiten. Die Schaffung und die Verwirklichung von Recht sind nach Cornu (1990, 21, 39, 214) das Ziel jeglichen juristischen Diskurses. Den sehr komplexen und komplizierten Interaktionen zwischen Recht und Sprache, die einen interdisziplinären Forschungsansatz verlangen, hat sich die Sprachwissenschaft bisher nur zögerlich geöffnet. Standen zu Beginn sprachwissenschaftlicher Überlegungen vor allem Aspekte der Heterogenität der Rechtssprache und ihrer Textsorten sowie die stilistische Ausprägung von Rechts- und Verwaltungssprache im Vordergrund (Lindon 1968; Mimin 1978; Sourioux/ Lerat 1980; Catherine 1988), so sind seit Mitte der 80er Jahre einige Arbeiten entstanden, die einer interdisziplinären Sicht auf die Sprache des Rechts verstärkt Rechnung tragen (Krefeld 1985; Cornu 1990; Busse 1992). Der Differenziertheit sprachlichen Handelns im Fach entsprechen die in linguistischen Publikationen vorgeschlagenen Gebrauchsformen der Rechtssprache: die Sprache des Gesetzgebers, die Sprache der gerichtlichen Entscheidungen sowie der Vertragsgestaltung. Ihnen werden die

Erlaß, Verordnung und Dekret im Sprachenvergleich deutsch-französisch

2.1. Die drei Textsorten können dem normativen bzw. direktiven Sprachgebrauch zugeordnet werden. Verordnung und Dekret gehören zu den Rechtsvorschriften mit allgemeinen, verbindlichen Regelungen (Anordnungen) für eine unbestimmte Vielzahl von Personen. Diese Regeln sind von den Organen der vollziehenden Gewalt ausdrücklich gesetzt. Für das französische Dekret gilt, daß es seinen Normencharakter bei der Regelung individueller juristischer Sachverhalte verlieren kann (vgl. Cornu 1992). Der Erlaß gehört zu den Verwaltungsvorschriften, deren Verbindlichkeiten sich nur auf den Dienstbetrieb nachgeordneter Behörden erstrecken. Erlasse gelten aufgrund der Weisungsbefugnis der übergeordneten Behörden als zulässig (Creifelds 1992). Die Inhalte der drei Textsorten sind im wesentlichen Handlungsvorschriften, die sich auf den Bereich des Sollens und nicht des Seins beziehen (vgl. Chevallier/Loschak 1974, 23). Ihre schriftliche Fixierung sowie die Veröffentlichungspflicht in der vorgeschriebenen Form sind gesetzt, die Verkündung ist Voraussetzung ihrer Wirksamkeit. 2.2. Die Frage nach den Sendern und Empfängern von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften kann nur aus dem Beziehungsgefüge von institutionellem, den hierarchischen Normbeziehungen Rechnung tragendem Sprachgebrauch beantwortet werden. Verordnung, Erlaß und Dekret werden wie alle direktiven Texte im allgemeinen in einem komplexen, viele Handlungsträger einbeziehenden Prozeß erarbeitet. Emittenten von Verordnungen und Erlassen sind oberste Verwaltungsbehörden sowie einzelne Personen durch Subdelegation. Auf sie wird im Titel von Verordnungen und Erlassen explizit verwiesen. Für die Verordnung gilt, daß Emittenten zu Beginn des ersten Teiltextes, eingeleitet durch das unpersönliche Passiv

530

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

des performativen Verbs verordnen, wiederaufgenommen werden. (a) „Es wird verordnet 1. durch die Sächsische Staatsregierung aufgrund von § 40 […] des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) […]“

Wie empirische Untersuchungen an Verordnungstexten erkennen lassen, wird auf die Wiederaufnahme der Emittenten im ersten Teiltext dann verzichtet, wenn dieser, eingeleitet mit dem Hinweis auf die der Verordnung zugrundeliegenden vorgängigen Rechtsvorschriften, mit dem Passiv des performativen Verbs abgeschlossen wird: (b) „Aufgrund von […] § 100 Nr. 2 des Beamtengesetzes […] wird verordnet: […]“

Emittenten französischer Dekrete sind Organe der zentralen Administration. Sie stehen als mit dem Gegenstand der Regelung befaßte Ministerien typographisch hervorgehoben über dem Titel des Dekrets. Sie werden in den Titeln der Dekrete nicht wiederaufgenommen. Ein expliziter Hinweis auf die Mitwirkung einer staatlichen Institution an der Erarbeitung dieser Rechtsnormen, eingeleitet durch die formelhafte Wendung «sur le rapport de» kann im ersten Teiltext erfolgen. In deutschen Verordnungen ist ein Indiz dieser Mitwirkung die Wendung „im Einvernehmen mit“. Von den Emittenten ist der Schreiber zu unterscheiden, der über Rechtssetzungsbefugnis bzw. Festlegungs- oder Weisungskompetenz verfügt und der in allen drei Textsorten immer explizit aufgeführt ist. In Erlassen, Verordnungen und Dekreten steht er am Ende des Gesamttextes mit Funktionsangabe und namentlicher Identifikation. Nach französischem Recht ist dieser Schreiber entweder der Staatspräsident oder der Premierminister. Als Handlungsträger stehen sie auch jeweils zu Beginn des ersten Teiltextes, der mit einer performativen Verbform abgeschlossen wird: (c) «Le Premier ministre, […] Vu la loi n 84-16 […] De´cre`te: […]»

Adressaten sind die in Erlassen, Verordnungen und Dekreten explizit angeführten, aber auch implizit zu erschließenden Institutionen, staatlichen Organe bzw. Klassen von Individuen, für die sich aus den Regelungen und Anordnungen die Obligation zum Handeln ergibt. Obwohl für die drei Textsorten die Pflicht zur Veröffentlichung besteht, richten sie sich nicht in erster Linie an die breite Öffentlichkeit, sondern an die in Bezug zum Agens in einem hierarchisch oder sozial un-

tergeordneten Verhältnis stehenden Fachleute, die Festlegungen und Verbindlichkeiten als Handlungsvorschriften zu interpretieren haben. Busse (1992, 88) hat die Diskussion um die Bestimmung der Normadressaten mit einer Fokussierung auf die Rezeption von Normvorschriften durch die Überlegung, daß „Gesetze nicht einfach Interaktionsregeln für Bürger ausdrücken, sondern häufig Regelungen über Rechtsfolgen von Handlungen darstellen“ sehr belebt. Hinweise auf den Primäradressaten Justiz (Rechtsprechung) scheinen aber an der Textoberfläche von Erlassen, Verordnungen und Dekreten äußerst selten zu sein. Folgendes Beispiel aus einem Erlaß verweist auf die Möglichkeit seiner sprachlichen Realisierung: (d) „Dem Steuerpflichtigen steht der Rechtsweg offen: […] gegen Maßnahmen des Finanzamtes […] der Finanzrechtsweg […] In Finanzstreitsachen entscheidet das Finanzgericht in Leipzig“.

Sehr zahlreich sind allerdings weitere Normadressaten in den Texten genannt. Sie sind z. B. als Verwaltungsbehörden (Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung, Zolldienste, services exte´rieurs des administrations civiles de l’Etat), Gebietskörperschaften (Gemeinde), öffentliche und private Unternehmen (Bundespost, socie´te´ minie`re et me´tallurgique), sowie Klassen von Individuen (Leiter der Behörde, Steuerschuldner, le directeur) repräsentiert. Hinweise auf die allgemeine Öffentlichkeit sind, wenn auch vereinzelt, in Verordnungen und Dekreten nachzuweisen wie das folgende Beispiel belegt: (e) „Ungeachtet der Vorschriften […] hat sich […] jeder so zu verhalten […]“

Im letzten Artikel (Paragraph des Dekrets) werden die mit der Ausführung des Gesetzes Beauftragten ausdrücklich genannt: (f) «Le ministre d’Etat, […] le ministre de la coope´ration […], sont charge´s, […] de l’exe´cution du pre´sent de´cret, […]»

Sie werden nach der Ausfertigungsformel mit der Funktionsangabe namentlich wiederaufgenommen. Auf sie kann in einem gesonderten Paragraphen der Verordnung bzw. in Anlagen des Erlasses gleichfalls hingewiesen werden. 2.3. Für die Bestimmung der Makrostruktur, d. h. die Strukturierung eines Textes in kohärente Teiltexte, bietet die Textlinguistik eine Reihe von Konzepten an. Sie sind im wesentlichen um die Grundtermini Kohärenz,

54. Erlaß, Verordnung und Dekret als Fachtextsorte

Funktion und Sprachhandlung fokussiert. Es kann davon ausgegangen werden, daß der Entstehung von sinntragenden, zusammenhängenden Teiltexten syntaktische, semantische und kommunikativ-pragmatische Faktoren zugrundeliegen, wobei der Herstellung von Bezügen auf der pragmatischen Ebene eine entscheidende Rolle zugestanden wird. Die handlungstheoretische und funktional orientierte Sprachbeschreibung hat in diesem Zusammenhang den Blick verstärkt auf die Kommunikationsintentionen der Textproduzenten gelenkt. Intentionen, die in enge Verbindung zu den Sprachhandlungen gebracht werden, wirken textkonstituierend. Die Frage nach der Textfunktion wird aus dem handlungstheoretischen Kontext abgeleitet und beantwortet. Wie neuere Untersuchungen zur Sprache des Rechts gezeigt haben, muß bei der Bestimmung von Kohärenz und Funktion die durch eine institutionell vorgeprägte Handlungssituation normativer Texte gekennzeichnete Haltung des Rezipienten besonders berücksichtigt werden (vgl. Busse 1992, 41 ff). Dieser Rezeptionsvorgang wird in starkem Maß durch die Konstituierung alltagsweltlicher, juristischer und außerrechtlicher fachlicher Wissensrahmen charakterisiert und, gestützt auf intra- und intertextuelle Bezüge und Verweise, in aktiver, dynamischer Tätigkeit hergestellt. Der normative Diskurs ist kein kompakter Text. Seine Gliederung erfolgt in Paragraphen, Absätze (Verordnung), in Artikel, Absätze (Dekrete) und in Abschnitt- bzw. Absatzfolgen (Erlaß), die Denkstrukturen der Emittenten widerspiegeln. In der Gliederung der Normvorschriften sind konstante und variable Teiltexte erkennbar. Invarianten sind z. B. Teiltexte, die metakommunikative Aussagen über die Regelung enthalten. In Verordnungen und Dekreten handelt es sich um den einleitenden ersten Teiltext (Paragraph oder Artikel), der auf vorgängige Rechtsgrundlagen und Dokumente verweist und damit die Einbindung des Textes in ein hierarchisches System von Normvorschriften belegt. Im Erlaß kann ein solcher Teiltext unter der Zwischenüberschrift Rechtsgrundlagen ausgeführt sein. Andere metakommunikative obligatorische Teiltexte sind der Paragraph zum Inkrafttreten der Regelung (Verordnung) sowie die Schlußbestimmung des Dekrets mit den für die Ausführung beauftragten institutionell befugten Personen und dem Veröffentlichungshinweis. Als metakommunikative Strukturformeln der drei Textsorten erscheinen regelmäßig Ort

531 und Datum der Ausfertigung sowie Funktion und namentliche Nennung des Schreibers. Die unter 2.2. aufgeführten Beispiele (a), (b), (c) und (f) zeigen die für diese Paragraphen und Artikel typische sprachliche Realisierung, bei der nur Emittenten, Rechtsgrundlagen bzw. Normadressaten austauschbar sind. Variable metakommunikative Teiltexte betreffen das Außerkrafttreten vorgängiger Rechts- und Verwaltungsvorschriften, territoriale und zeitliche Geltungs- sowie Anwendungsbereiche der Regelungen. Die zu regelnden Gegenstände und Sachverhalte werden in Überschrift und weiteren Paragraphen und Absätzen thematisiert. Die sprachliche Form der Überschriften ist normiert. In deutschen Rechtstexten werden neben der Bezeichnung der Rechts- und Verwaltungsvorschrift der Emittent, das Thema, eine durch Univerbierung entstandene Kurzbezeichnung der Regel (Zitierform [gilt nur für Verordnungen]) sowie das Datum der Ausfertigung genannt. Im Dekret fehlt in der Überschrift der Emittent, die Kurzbezeichnung ist durch eine Zahlenregistrierung ersetzt. Wie jeder legislative Text haben Rechtsnormen die Lösung eines Problems, die Antwort auf eine Frage (vgl. Cornu 1990, 283 ff) zum Gegenstand. Das Problem, in der Überschrift als Thema genannt, und seine Lösung werden in den folgenden Paragraphen und Artikeln thematisch durch Unterthemen entfaltet und in eine juristische Sehweise gebracht. Dabei spielen die Definition abstrakter und konkreter Begriffe, Rechte und Pflichten sowie intra- und intertextuelle Verweise auf Rechtsvorschriften eine besondere Rolle. Während das Dekret eine erkennbare, relative Abgeschlossenheit der Artikel aufweist, sind die Paragraphen und Abschnitte von Verordnungen und Erlassen in der Regel thematisch stärker intratextuell verbunden. Konzision und Sprachökonomie in Verordnungen und Dekreten können im Erlaß eine größere Ausführlichkeit der Hinweise und Grundsätze mit teilweise berichtendem bzw. erörterndem Charakter gegenüberstehen. Sprachliches Indiz sind der Aufbau von Isotopieketten zu Randthemen und die Tempora der Vergangenheit. Die starke Gliederung in Teiltexte wird durch paralinguistische Mittel (Fett-, Kursiv- und Petitdruck), durch Großund Kleinbuchstaben, typographisch gestaltete Druckanordnung, aber auch durch Buchstaben- und Dezimalklassifikation und Zwischenüberschriften noch unterstrichen. Zusammen mit den linguistischen Mitteln der

532

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Gliederung haben sie eine unterstützende Wirkung für die Textrezeption. Ein weiterer auf die Textorganisation Einfluß nehmender Kohärenzfaktor wird über die Rekurrenz realisiert. Ein von Spranger (1984, 73) entwickeltes quantitatives Verfahren ermöglicht die Feststellung des prozentualen Anteils der an Isotopieketten beteiligten Autosemantika und damit Aussagen über ihren Beitrag zur Entstehung von Texthaftigkeit. Von den in Dekreten vertretenen Autosemantika sind 67% an der Bildung von Isotopieketten beteiligt. In Erlassen und Verordnungen liegt der Prozentsatz bei etwa 70%. Rekurrente Funktion haben im Dekret rund 50% der Autosemantika ⫺ in Erlassen und Verordnungen liegt ihr Anteil etwas höher ⫺ so daß etwa jedes zweite Autosemantikum an einer Themenfortführung beteiligt ist, Zeichen der Tendenz einer auf wenige thematische Schwerpunkte konzentrierten Information in legislativen Texten. Unter den Realisierungsformen der Äquivalenzpartner stellen Wortwiederholungen fast die Hälfte aller Rekurrenzerscheinungen dar. Mit ihnen bestätigt sich das für die Rechtssprache postulierte Merkmal der Präzision und Effizienz. Als Ausdruck der Vermeidung von Ambiguitäten kann gleichfalls der sparsame Gebrauch anaphorischer und kataphorischer Pronomina gewertet werden, deren Substitutionsanteil für Verordnungen und Dekrete nur 6%, für den Erlaß 8% beträgt. 2.4. Ein an der Textoberfläche beobachtbarer Marker des legislativen Texten zugeschriebenen Merkmals der Souveränität ist das Verb. Mit den performativen Verben verordnen (Verordnung) und de´cre´ter (Dekret) wird die Fähigkeit deutlich, Recht zu generieren. Schaffung und Verwirklichung von Recht werden darüber hinaus durch Verben des Verbietens, Erlaubens, Außerkrafttretens u. a. versprachlicht. Da in Normen und Vorschriften Anordnungen nicht über Imperative sprachlich realisiert sind ⫺ der Imperativ ist zu persönlich und zu absolut ⫺ andererseits Festlegungen und nichtjuristische Hilfsprädikationen in Form von Mitteilungen u. ä. mit demselben Modus und denselben Tempora sprachlich zum Ausdruck gebracht werden, ist eine Bestimmung der dominierenden Handlungsanweisungen, der wesentlichen Textfunktion, für den Nichtjuristen äußerst schwierig (Busse 1992, 73 ff). Linguistische Untersuchungen können sich bei der Ermittlung von Anordnungen auf den sprachlichen

Kontext, die explizite Nennung des Normadressaten, den Hinweis auf noch nicht realisierte Sachverhalte verbunden mit der Obligation zum Handeln (sprachliches Indiz kann im Französischen das Futur sein) und die Verbsemantik stützen. Eine Analyse zeigt für das Verb und seine grammatischen Kategorien eine Reihe textsortenspezifischer Verwendungsweisen auf. So ist bei der Betrachtung aller Verbvorkommnisse zunächst festzustellen, daß in Verordnungen, Erlassen und Dekreten die Aktivstrukturen mit 64% überwiegen, im Unterschied zu der im allgemeinen vertretenen Ansicht des Überwiegens von Passivstrukturen in Fachtexten. Für die ermittelten Handlungsanweisungen ist jedoch zu präzisieren, daß ihre Verwendung bevorzugt im Passiv erfolgt. Dabei erweisen sich Präsens Passiv und Präsens Aktiv als entscheidende Realisierungsformen der Anordnung mit imperativem Charakter. Ihre Wirkung ist auf die angestrebte Verallgemeinerung der Rechtsgrundsätze gerichtet, das Präsens Indikativ markiert die Obligation, die Nutzung des Passivs lenkt den Blick auf den wesentlichen Teil der Aussage. Dem im Französischen anzutreffenden Futur als Substitut des Imperativs scheint in neueren Texten der Indikativ Präsens vorgezogen zu werden (Cornu 1990, 271). Für das Deutsche wird die Direktive des Müssens in Verordnungen und Erlassen häufig durch die mit den Hilfsverben haben oder sein verbundenen Infinitive (Bedeutung der Notwendigkeit) zum Ausdruck gebracht. Nach Busse (1992, 112) sind „ist-zu-Formulierungen aber seltener gegenüber den rechtsunterworfenen Bürgern gebräuchlich als vielmehr häufiger, um Richtern oder anderen Rechtsanwendern (Verordnungsgeber, Verwaltungsbehörden) Anweisungen zur Anwendung gesetzlicher Bestimmungen zu geben“: (g) „Hat der Beamte den ihm zustehenden Urlaub […] nicht vollständig erhalten, so ist der Resturlaub […] im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren.“

Zusätzlich zu den genannten Formen verweisen die Modalverben müssen, können, sollen, auffälliger im Erlaß als in Verordnungen und Dekreten verwendet, sowie vereinzelt dürfen und im Dekret devoir und pouvoir darauf, daß rechtliche Regelungen neben ihrem potentiell imperativen Charakter Handlungsoptionen eröffnen. Die Dominanz des Singulars gegenüber dem Plural gilt in Fachtexten als ein unumstrittenes Merkmal. Die drei Text-

533

55. Verträge als Fachtextsorte

sorten bevorzugen ebenfalls die 3. Person Singular. In dieser Form manifestieren sich Unpersönlichkeit ebenso wie eine allgemeine generierende Kraft und die Möglichkeit einer angestrebten Verallgemeinerung.

3.

Literatur (in Auswahl)

Busse 1992 ⫽ Dietrich Busse: Recht als Text. Tübingen 1992 (Reihe Germanistische Linguistik 131). Catherine 1988 ⫽ Robert Catherine: Le style administratif. 16. Aufl. Paris 1988. Chevallier/Loschak 1974 ⫽ Jacques Chevallier/Danie`le Loschak: Introduction a` la science administrative. Paris 1974. Cornu 1990 ⫽ Ge´rard Cornu: Linguistique juridique. Paris 1990. Cornu 1992 ⫽ Ge´rard Cornu: Vocabulaire juridique. 3. Aufl. Paris 1992. Creifelds 1992 ⫽ Carl Creifelds: Rechtswörterbuch. München 1992. Krefeld 1985 ⫽ Thomas Krefeld: Das französische Gerichtsurteil in linguistischer Sicht: Zwischen Fach- und Standessprache. Frankfurt/M. Bern. New York. Nancy 1985. Lindon 1968 ⫽ R. Lindon: Le style et l’e´loquence judiciaires. Paris 1968. Mimin 1978 ⫽ Pierre Mimin: Le style des jugements. Paris 1978.

Sourioux/Lerat 1980 ⫽ Jean-Louis Sourioux/Pierre Lerat: L’analyse de texte. Me´thode ge´ne´rale et application au droit. Paris 1980. Spranger 1984 ⫽ Ursula Spranger: Untersuchungen zur Kohärenz, Rekurrenz und Konnexion in medizinischen Fachtexten. Diss. (B) Leipzig 1984. Die Beispiele sind folgenden Texten entnommen: (a) (e) Verordnung der Sächsischen Staatsregierung und des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landesentwicklung zur Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen bei austauscharmen Wetterlagen (Smog-Verordnung ⫺ SmogVO) vom 26. Januar 1993. In: Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, No 4. Dresden 5. Februar 1993, 58⫺61. (b) (g) Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über den Erziehungsurlaub der Beamten und Richter im Freistaat Sachsen (Erziehungsurlaubsverordnung ⫺ ErzUrlVO) vom 16. März 1993. In: Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, No 15. Dresden 26. März 1993, 241⫺242. (c) (f) Ministe`re de l’Education Nationale. De´cret no 87⫺325 du 12 mai 1987 e´rigeant le Centre international d’e´tudes pe´dagogiques (C. I. E. P.) en e´tablissement public national a` caracte`re administratif. In: Journal Officiel de la Re´publique Franc¸aise, 14 mai 1987, 5305⫺5307. (d) Gemeinsamer Erlaß des Sächsischen Staatsministeriums des Innern und des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen über Hinweise zur Erhebung der Gewerbesteuer vom 18. Juni 1993. In: Sächsisches Amtsblatt, No 31. Dresden 15. Juli 1993, 896⫺899.

Sigrid Selle, Leipzig

55. Fachtextsorten der Institutionensprachen III: Verträge 1. 2. 3. 4.

Vertrag: Begriff und Funktion Verträge als Textsorte Linguistische und kommunikative Beschreibung von Verträgen am Beispiel von Kaufverträgen über Wohnungseigentum Literatur (in Auswahl)

1.

Vertrag: Begriff und Funktion

Der Vertrag gehört nicht zu den (Fach-)Textsorten, die von der (Fach-)Textlinguistik gründlich analysiert und ausführlich beschrieben worden sind. Er findet sich vor allem in Aufzählungen und Klassifizierungsansätzen als nicht näher definierter Platzhalter und erfährt gelegentlich eine eher exemplarische Darstellung, insbesondere in Ge-

stalt zwischenstaatlicher Abkommen (vgl. Gläser 1979, 149⫺151, für das Englische; Dimter 1981, 24, 30, 33, 35, 89, 125, für das Deutsche; Birkenmaier/Mohl 1991, 212⫺224, für das Russische). Daß es ⫺ je nach dem Gegenstand ⫺ sehr unterschiedliche Verträge gibt, z. B. „Anleihe-, Anstellungs-, Arbeits-, Aufhebungs-, Ausbildungs-, Auslieferungs-, Bau-, Bauspar-, Darlehens-, Dienst-, Ehe-, Einzel-, Erb-, Fracht-, Freundschafts-, Friedens-, Geheim-, Global-, Handels-, Haupt-, Heuer-, Import-, Kauf-, Kollektiv-, Kommissions-, Konsular-, Kooperations-, Lehr-, Leih-, Liefer-, Mast-, Miet(s)-, Nutzungs-, Pacht-, Patenschafts-, Prämienspar-, Qualifizierungs-, Rahmenkollektiv-, Rahmentarif-, Reu-, Rückversicherungs-, Schand-, Schen-

534

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

kungs-, Staats-, Tarif-, Teststop-, Verlags-, Versicherungs-, Vor-, Werk-, Wirtschaftsvertrag“ (Klappenbach/Steinitz 1977, 4131 f) usw. und daß diese sich weiter subklassifizieren lassen, wobei auch in der sprachlichen Form Gemeinsamkeiten und Unterschiede auftreten, ist von der Sprachwissenschaft nur summarisch erwähnt worden (z. B. Dimter 1981, 33; Klappenbach/Steinitz 1977, 4132). Eine gewisse Ausnahme bilden hier Arbeiten an einem dänischen, englischen und französischen Textkorpus zum Vertragsrecht (vgl. Dyrberg/Faber/Hansen/Tournay 1988; Engberg 1993). Schon bei der kommunikativen bzw. funktionalen Zuordnung zu bestimmten Textklassen führt die Orientierung an wenig einheitlichen Kriterien(katalogen) zu widersprüchlichen Ergebnissen, zuweilen sogar bei ein und demselben Autor. So erscheint der Vertrag in einem Fall sowohl bei den Texten mit Obligationsfunktion, gemeinsam mit Vereinbarung, Garantieschein, Gelübde, Gelöbnis, Angebot, als auch bei den normativen Texten, zusammen mit Gesetz, Vereinbarung und Testament (Brinker 1985, 109 und 64). In einer Typologie schriftlicher Fachtextsorten rangiert er als direktive Textsorte sowohl in der fachinternen als auch in der fachexternen Kommunikation (Gläser 1990, 50 f). Definitionsversuche aus fachsprachenlinguistischer Sicht enthalten zwar einige wesentliche Merkmale, lassen aber die nötige Strenge bei deren Wertung vermissen, z. B. “A contract is an agreement between two or more parties: the agreement is usually recorded, and the resulting text is often colloquially referred to as a contract. The text is a record of the agreement between two or more legal persons and its production often requires the assistance of experts who can adequately formulate and interpret the legal aspect of the topic: it must meet the requirements of all parties, the contractual partners and the law because it must be accepted by them all as a record of their agreement. As many agreements are sanctioned or required by law the recording of them is a specialised profession” (Sager/Dungworth/McDonald 1980, 156).

Insofern unterscheiden sie sich wenig von den Bedeutungsangaben in großen einsprachigen Wörterbüchern, z. B. „(schriftliche) rechtsgültige Vereinbarung, Abmachung zwischen zwei oder mehreren Partnern […]“ (Klappenbach/Steinitz 1977, 4131 f). Näher bei juristischen Texten liegt schon die folgende Formulierung: „auf Angebot und Annahme beru-

hende rechtsgültige Vereinbarung zweier oder mehrerer Partner zur Regelung gegenseitiger Rechte und Pflichten; […]“ (Brockhaus Wahrig 1984, 553). Greift man die in diesen Zitaten enthaltenen Hinweise auf die juristische (und ökonomische) Seite von Verträgen auf, dann findet man in den entsprechenden Handbüchern und Nachschlagewerken Genaueres, z. B. „Vertrag. 1. Die Begründung eines → Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft geschieht regelmäßig durch V. (§ 305 BGB). Ein V. ist ein i. d. R. zweiseitiges → Rechtsgeschäft, bei dem durch mindestens zwei übereinstimmende → Willenserklärungen ein rechtlicher Erfolg erzielt werden soll (Vertragswille). Der V. kommt demnach grundsätzlich durch den Antrag (Angebot) der einen Seite ⫺ Vertragsantrag, Offerte ⫺ und durch die (vorbehaltlose, s. u.) Annahme dieses Antrags durch den anderen Beteiligten ⫺ Vertragsannahme, Akzept ⫺ zustande …“ (Creifelds 1990, 1259; vgl. auch Recktenwald 1987, 618). Im Einklang mit diesen und ähnlichen Begriffsbestimmungen stehen die folgenden Angaben zur Funktion von Verträgen: Der Vertrag ist ein „Mittel zur friedlichen Koordinierung unterschiedlicher Interessenlagen“ (Methfessel 1977, 144). „Verträge dienen der rechtlichen Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen durch Selbstbestimmung der Beteiligten im herrschaftsfreien Raum“ (L. Raiser zitiert bei Methfessel 1977, 144). Der Vertrag „füllt den gesamten Freiraum, der vom Gesetz nicht oder nur subsidiär reglementiert ist und in dem die unmittelbare Konfrontation der einzelnen Personen mit dem Recht stattfindet. Hier stoßen die unterschiedlichsten Interessenlagen aufeinander. Sie miteinander auf der Basis wechselseitigen Vertrauens zu koordinieren, ist Zweck des Vertrages“ (Methfessel 1977, 144 f). Ein wichtiges Merkmal vertraglicher Rechtsgeschäfte ist die sogenannte Gestaltungsfreiheit. „Vertragsfreiheit besteht auch darin, daß es den Partnern grundsätzlich anheimgestellt ist, den Inhalt von Verträgen selbst zu bestimmen (Gestaltungsfreiheit). a. Beim Vertragsabschluß können die Partner durch ihre inhaltlich entsprechenden Erklärungen (Antrag und Annahme: § 145 ff BGB) die eintretenden Rechtswirkungen festlegen. Sie haben es in der Hand, den Inhalt des zwischen ihnen entstehenden oder schon vorhandenen Rechtsverhältnisses entsprechend ihren Zielen zu gestalten. Die Partner können die

55. Verträge als Fachtextsorte

zu erbringenden Leistungen nach Art und Umfang im einzelnen bestimmen. Als Leistung kommt grundsätzlich jedes Tun oder Unterlassen in Betracht (§ 241 BGB). Es können der Leistungsort und die Leistungszeit (z. B. ratenweise Zahlung des Entgelts) vereinbart werden. Die Beteiligten sind auch in der Lage, die Vertragswirkung an eine Bedingung zu knüpfen (z. B. beim Verkauf unter Eigentumsvorbehalt an die Zahlung der letzten Kaufpreisrate). Sie können bei einem auf bestimmte Zeit eingegangenen Dauerrechtsverhältnis (z. B. Miete, Arbeitsverhältnis, Gesellschaft) eine Kündigungsfrist festsetzen“ (HdWW 1988, 343). Bei aller Betonung von Freiräumen, Selbstbestimmung und Vertrauen entwickeln sich Vertragsangebot, -annahme und -erfüllung in einem durch das Vertragsrecht mehr oder weniger fest bestimmten Rahmen. „Das Vertragsrecht bildet das Fundament der privatrechtlichen Beziehungen zwischen Personen. In diesem Bereich stellt es zugleich die häufigste Erscheinungsform des Rechts dar. Ihm begegnet man überall dort, wo zwischen Personen Vereinbarungen und Absprachen unterschiedlichster Art auf zivilrechtlicher Ebene zur Gestaltung und Ordnung ihrer Rechtsverhältnisse zueinander oder/und ihrer Beziehungen zu bestimmten Gegenständen getroffen werden“ (Methfessel 1977, 11). Trotz Gestaltungsfreiheit, die sich vor allem auf den Vertragsinhalt bezieht, und Formfreiheit, die die äußere Anlage der Verträge betrifft, haben sich im Laufe der Zeit für eine Reihe von Vertragstypen relativ stabile Muster und Formulierungen, ergänzt durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) mit vorgefertigten Vertragsinhalten bis hin zu Formularen (z. B. Fingerhut/Nath 1980; Vertrags-Vordrucke 1983) herausgebildet (vgl. Rehbinder 1982). Sie befestigen den Eindruck, daß es sich beim Vertrag um eine leicht zu identifizierende Textsorte handelt.

2.

Verträge als Textsorte

Verträge spielen im Bewußtsein der Menschen seit langer Zeit eine wichtige Rolle, weil sie ihr Zusammenleben in größeren Zusammenhängen wie in Teilbereichen regeln. Sie waren und sind als übereinstimmende Willenserklärungen oder vereinbarte gegenseitige Verpflichtungen in mündlicher und später in schriftlicher Form Bestandteil des Völkerrechts, des Zivilrechts, des Arbeitsrechts, des

535 Strafrechts usw. Je weiter die Institutionalisierung unserer „verwalteten Welt“ fortschreitet, desto häufiger kommt der Bürger mit Verträgen aller Art in Berührung, als Subjekt oder als Objekt. Er hat also keine Probleme, den Vertrag schon als Textsorte in der Alltagssprache (Brinker 1985, 120⫺123) zu akzeptieren, besonders auch wegen seiner starken Normierung (Brinker 1985, 124). Aber auch dem linguistischen (Fach-)Textsortenbegriff genügt der Vertrag in hohem Maße: „Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar eine normierende Wirkung, erleichtern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und Rezeption von Texten geben“ (Brinker 1985, 124). „Fachtextsorten sind eine spezielle Klasse von Textsorten, bei deren Produktion und Rezeption zusätzlich zum Alltagswissen noch Fachwissen nötig ist“ (Hoffmann 1990, 11). Mit anderen Worten: „Sprecher haben in ihrer sprachlichen Tätigkeit ein Textsorten- bzw. Typisierungswissen erworben, das sie in die Lage versetzt, in unterschiedlichen Kommunikationsbereichen einer menschlichen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, indem sie Texte produzieren und verstehen, die sie stets mit Situationen, Kontexten und Institutionen in einen systematischen Zusammenhang stellen können, […]“ (Heinemann/Viehweger 1991, 129). Beim Vertrag haben wir es vom Inhalt, von der globalen Textstruktur und von den einzelnen sprachlichen Mitteln her mit einer eigenartigen Mischung aus Alltagswissen und Fachwissen zu tun, wobei das Fachwissen sich weniger auf den Vertragsgegenstand selbst als auf juristische Festlegungen dazu bezieht. Daraus ergibt sich in vielen Fällen eine Veränderung des einfachen (Fach-)Kommunikationsmodells, indem zwischen die Vertragspartner ⫺ seien es Fachleute oder Laien ⫺ als Vermittler und Textproduzent der Rechtsanwalt bzw. Notar tritt und beide zu Rezipienten des Vertragstextes macht.

536

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Die folgende Beschreibung basiert (mit einigen Vereinfachungen) auf dem in Art. 46 dargestellten Analysemodus (vgl. auch Hoffmann 1987; 1990) und berücksichtigt in erster Linie Kaufverträge über Wohnungseigentum, für die es Musterlösungen gibt (z. B. Rehbinder 1982, 84⫺90).

3.

Linguistische und kommunikative Beschreibung von Verträgen am Beispiel von Kaufverträgen über Wohnungseigentum

3.1. Textinterna Die Makrostruktur gewöhnlicher Kaufverträge über Wohnungseigentum erscheint an der Textoberfläche mit großer Regelmäßigkeit als Paragraphenfolge nach einer Präambel und vor einer Schlußformel. Die Präambel, die einzelnen Paragraphen und die Schlußformel können als relativ selbständige Teiltexte gelten, da sie ⫺ die Paragraphen durch Überschriften deklariert ⫺ jeweils fest umrissene Vertragsinhalte formulieren und Funktionen erfüllen, gleichzeitig aber durch den ständigen Bezug auf den Kaufgegenstand, den/die Verkäufer und den/die Käufer untereinander in fester Abfolge verknüpft sind. Die Präambel enthält die Nummer der Urkundenrolle, Ort und Datum der Verhandlung, Namen und Amtssitz des Notars, Namen (Beruf), Geburtsdatum und Wohnsitz von Verkäufer(n) bzw. „Veräußerer“ und Käufer(n) bzw. „Erwerber“ mit ihrem Identitätsnachweis („dem Notar von Person bekannt“ oder Personalausweis). Den Hauptteil des Kaufvertrages bilden die Paragraphen: 1 Grundbuchstand, 2 Verkauf, 3 Belastungen, 4 Kaufpreis, 5 Zahlung des Kaufpreises, 6 Löschungsbewilligungen, 7 Grundschuldbestellung, 8 Darlehenszahlung, 9 Grundbucheintragung, 10 Auszahlung des Kaufpreises, 11 Verzug, 12 Andere Schriftstücke, 13 Gemeinschaftsordnung, 14 Gefahrübergang, Lasten, Nutzungen, 15 Sachmängelhaftung, 16 Rechtsmängelhaftung, 17 Auflassungsvormerkung, 18 Auflassung, 19 Sofortige Zwangsvollstreckung, 20 Vertragsänderung, Teilunwirksamkeit, 21 Genehmigungen, 22 Kosten und Steuern, 23 Grundbucheinsicht, 24 Auftrag an den Notar, 25 Hinweise des Notars. Die Schlußformel lautet etwa: „Vorstehende Verhandlung wurde den Erschienenen vorgelesen, von ihnen genehmigt und eigenhändig von ihnen und dem Notar wie folgt

unterschrieben: […]“. Es folgen die Unterschriften der Genannten. Varianten mit geringfügigen Abweichungen sind möglich, z. B. wenn das Wohnungseigentum erst errichtet, d. h. eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim gebaut werden soll. Eine Wertung der einzelnen Teiltexte im Hinblick auf ihre Bedeutung gegenüber den anderen Teiltexten ist nur schwer möglich; deshalb unterbleibt hier der bei anderen Textsorten (vgl. Art. 46, 50, 61) unternommene Versuch einer Hierarchisierung in einem Baumgraphen. Die Kohärenz in bzw. zwischen den Teiltexten wird in erster Linie durch den einheitlichen Denotatsbezug auf Vertrag, Vertragsgegenstand, Vertragspartner, Vertragsbedingungen und Vertragserfüllung (pragmatische Kohärenz) sowie durch lange Isotopieketten und schmale Isotopiestränge (semantische Kohärenz) hergestellt, deren Elemente sich leicht zu wenigen semantischen (Teil-)Feldern, Bestandsfeldern oder Sachgruppen zusammenfassen lassen, z. B. Substantive wie Notar, Verkäufer bzw. Veräußerer, Käufer bzw. Erwerber, Beteiligte, Erschienene, Eheleute; Kauf, Erwerb, Verkauf, Veräußerung, Vertrag, Kaufvertrag, Vereinbarung; Eigentum, Eigentumswohnung, Eigenheim, Eigentümer, Wohnungseigentümer, Wohnungseigentum, Sondereigentum, Miteigentumsanteil, Eigentumsumschreibung, Grundbuch, Grundbucheintragung; Kaufpreis, Grundschuld, Grundpfandrecht, Kaufpreisrestbetrag, Erwerbsgeschäft, Kosten, Zinsen, Grunderwerbssteuer; Kaufgegenstand, Kaufobjekt, Wohnung. Verben wie kaufen, verkaufen, bezahlen, entrichten, berechnen, zurückzahlen, zahlen, auszahlen, verzinsen, belasten; beauftragen, beantragen, anweisen, versichern, bewilligen, erklären, genehmigen, ermächtigen, erteilen, verzichten; einhalten, haften. Adjektive und Adverbien spielen in diesem Zusammenhang so gut wie keine Rolle. In den Nominationsketten dominiert eindeutig die Wortwiederholung. Lediglich der Verkäufer und der Käufer erscheinen situationsbedingt als Erschienene, Beteiligte oder Eheleute. Pronominale Substitute (Personalpronomen) sind überaus selten. Die Verwendung von Anaphorika ist eher die Ausnahme, z. B. dieser Grundschuld, des vorerwähnten Grundpfandrechtes, diese Urkunde, diese Auflassungsvormerkung, aus diesem Vertrag. Syntaktische Kohärenz im Sinne der Thematischen Progression spielt so gut wie keine

55. Verträge als Fachtextsorte

Rolle; das ist die Folge einer ausgeprägten Autosemantie der Sätze und der Stereotypie in der Aktuellen Satzgliederung. Konnektoren fehlen. Gestärkt wird die Textverflechtung andererseits durch eine hochentwickelte Verweistechnik, einmal innerhalb des Vertrages, z. B. das Recht in Abt. II Nr. 1 hat die erste Rangstelle; wie unter §§ 4, 5 vorgesehen; dann aber auch mit dem Blick auf andere Texte (Intertextualität), z. B. §§ 325, 326 BGB; Urkunde des Notars […] vom […] UR Nr. […]. Auf der Satzebene fällt die große Häufigkeit einfacher erweiterter Sätze auf, z. B. Die Erwerber haben den Vertragsgegenstand besichtigt. ⫺ Die Kosten des Vertrages und seiner Ausführung sowie eine etwa anfallende Grunderwerbssteuer tragen die Erwerber. Typisch sind auch Infinitivkonstruktionen mit modaler Bedeutung oder in valenzbedingter Objektfunktion, z. B. Für den Anteil der Veräußerer am gemeinschaftlichen Vermögen ist eine besondere Vergütung zu entrichten. ⫺ Der Notar wird angewiesen, die […] geleisteten Zahlungen an den Veräußerer auszuzahlen. ⫺ Der Notar wird beauftragt, den Antrag […] vorzulegen. Hinzu kommen Funktionsverbgefüge, z. B. die Zahlung/Abrechnung erfolgt, besteht die Verpflichtung, nehmen Bezug auf, gehen zu Lasten von, kommt in Verzug. In Aufzählungen begegnet man satzwertigen Nominalgruppen, z. B. Eintragung der nachbewilligten Auflassungsvormerkung im Grundbuch, Vorlage der Genehmigung bzw. Negativbescheinigung der Stadt F. Der syntaktischen Kompression dienen Partizipialkonstruktionen zur Verkürzung von Attribut- bzw. Relativsätzen, z. B. nachfolgend „Erwerber“ genannt; die Veräußerer sind Eigentümer von […], verbunden mit dem Sondereigentum an Wohnung im I. Stock rechts, bestehend aus 2 Zimmern, Küche und Bad, eingetragen im Wohnungsgrundbuch […]. Bedingt durch die Semantik und die Valenz der häufigsten Verben, treten des öfteren Objektsätze mit daß auf, z. B. Die Beteiligten erklären, daß ihnen der Inhalt dieser Urkunde bekannt ist. ⫺ Die Veräußerer versichern, daß ihnen keine wesentlichen Mängel bekannt sind. ⫺ Die Veräußerer haften dafür, daß der Kaufgegenstand frei von Rechten jeglicher Art ist. Satzgefüge mit Attribut- und Adverbialsätzen sind sehr selten. Nominal- und Verbalgruppen liegen ⫺ verglichen mit anderen Fachtextsorten ⫺ in ihrer Komplexität, d. h. in bezug auf die Zahl ihrer Konstituenten, weit unter dem Durchschnitt; das gilt beson-

537 ders für die Subjektposition. Als Adverbialbestimmungen treten wiederholt präpositionale Fügungen auf, z. B. durch Übernahme, mit der Eintragung, bei/nach der Beurkundung, bei einer Weiterveräußerung, in Ansehung aller Zahlungsverpflichtungen. Bei der Aktuellen Satzgliederung überwiegt der Typ III (Thema ist das grammatische Subjekt, Rhema der Rest des Satzes), z. B. Der Kaufpreis / beträgt 260.000 DM. ⫺ Die Beteiligten / nehmen Bezug auf die Baubeschreibung. ⫺ Mündliche Nebenabreden / sind ungültig. ⫺ Die Eheleute / genehmigen wechselseitig ihre Erklärungen zum Erwerbsgeschäft. ⫺ Die Löschung dieser Auflassungsvormerkung / wird bereits jetzt durch die Erwerber gebilligt. Die Lexik von Kaufverträgen, die schon bei der Betrachtung der Kohärenz mit Beispielen belegt wurde, ist naturgemäß alles andere als vielfältig, vor allem durch die Regelung juristischer und wirtschaftlicher (finanzieller) Fragen determiniert. Fremdwörter wie Notar, Konto oder Objekt sind Ausnahmeerscheinungen in einem Text, der ansonsten aus dem Wortschatz der Muttersprache der „Beteiligten“ schöpft. Von der Wortbildung her dominieren Derivate, z. B. Bewilligung, Grundschuldbestellung, Löschung, Zahlung; Erwerber, Käufer, Veräußerer, Verkäufer, und Komposita, z. B. Kaufpreis, Kaufvertrag, Wohnungseigentum, Grundschuldbestellung, Sachmängelhaftung, Kaufpreisrestbetrag, Notar-Anderkonto (!). So allgemeinverständlich diese Beispiele scheinen mögen, es handelt sich bei vielen um terminologische Bildungen, die in fachliche Bezugs- bzw. Begriffssysteme eingegangen sind. Invariante, aber nicht immer textsortenspezifische grammatische Merkmale lassen sich an den Formen der Substantive, besonders aber der Verben feststellen: Bei den Substantiven ist der Plural wesentlich häufiger als in anderen Textsorten, bedingt wohl durch den Bezug auf die an der Vertragsschließung beteiligten Personen. Bei den Verben dominiert das Aktiv als Ausdruck ihrer vertraglich festgelegten Handlungen; das Passiv ist auf Formulierungen zur Finanzierung und auf die Schlußformel beschränkt. Ansonsten herrschen Indikativ, Präsens und 3. Person vor, obwohl man wegen der Obligationsfunktion von Verträgen und der am Schluß zu leistenden Unterschriften Formen der 1. Person Plural, z. B. wir verpflichten uns, wir beauftragen, erwarten könnte. Bereits erwähnt wurde der Infinitiv (⫹ zu). Eine be-

538

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

sondere Funktion hat das Präteritum in der Präambel. Graphische Darstellungen und andere nichtsprachliche Begleitinformationen werden gewöhnlich aus dem Vertragstext in die Anlagen, z. B. die Baubeschreibung, verwiesen. 3.2. Textexterna Kaufverträge über Wohnungseigentum weisen die folgenden funktionalen Grundzüge auf: (a) Kommunikationspartner sind vordergründig der Verkäufer und der Käufer; zwischen sie tritt aber bei dieser speziellen Textsorte der Notar, d. h. der Fachjurist, als eigentlicher Textproduzent. Die Rezipienten sind im Regelfall Laien, sowohl in bezug auf das Bau- und Wohnungswesen als auch im Hinblick auf die mit dem Kaufgeschäft verbundenen Rechtsfragen. (Deshalb auch das Vorlesen des Vertragstextes vor den Beteiligten mit der Möglichkeit von Erläuterungen durch den Notar.) Anders liegen die Dinge, wenn der Verkäufer ein Bauträger oder eine Immobilienfirma und an der Vorbereitung des Vertragstextes beteiligt ist. (b) Primäre Kommunikationsabsicht bzw. Textfunktion ist die Herstellung rechtskräftiger Beziehungen zwischen den Beteiligten (auch dem Notar, der über die Erfüllung des Vertrages wacht und Grundeigentumsfragen regelt). (c) Hauptkommunikationsverfahren sind das Erklären und das Verpflichten. (d) Die Kommunikationssituation steht im Zeichen des gegenseitig zu vereinbarenden und privatrechtlich zu fixierenden Eigentumsübergangs, wobei der Vertragstext in der Vorbereitungsphase schriftlich und in der Verhandlungsphase mündlich produziert und rezipiert wird. (e) Beim Kommunikationsgegenstand handelt es sich nur zum Teil um die Eigentumswohnung oder das Eigenheim; stärker angesprochen sind die Bedingungen und Modalitäten des Eigentumsüberganges auf der Grundlage des geltenden Rechts. 3.3. Vergleichsdaten Fachsprachlichen Untersuchungen zu anderen Vertragstypen, insbesondere zu internationalen Verträgen, sind folgende Angaben zu entnehmen: Konstitutiv für die Makrostruktur bzw. den Textbauplan sind die Teiltexte Einleitung/ Präambel, Artikel des Vertrags und Schlußfor-

mel. In der Einleitung werden die Vertragspartner genannt und Rechtsbegriffe definiert bzw. präzisiert; außerdem bekunden die Vertragspartner ihre Absichten und Einstellungen zum Vertragswerk und zum Vertragspartner. In den Artikeln des Vertrags sind die Rechte und Pflichten der Vertragspartner beschrieben. Die Schlußformel stellt die Rechtsverbindlichkeit der einzelsprachigen Fassungen fest. Verwiesen wird auch auf die logische Abfolge der Artikel-Teiltexte (Gläser 1979, 151; Birkenmaier/Mohl 1991, 213 f). Kohärenz entsteht nicht durch Pronominalisierung, sondern durch Repetition (Birkenmaier/Mohl 1991, 216) und durch Verweise zwischen den Artikeln (Gläser 1979, 151). Für die Syntax charakteristisch sind einfache Sätze, häufiger mit Nebenordnungen als mit Unterordnungen, reale Konditionalsätze in Satzgefügen, Agenslosigkeit und Aufzählungen (Birkenmaier/Mohl 1991, 215), Parallelismen (Gläser 1979, 151); explizit performative Formeln mit Verben wie versprechen, sich verpflichten, schwören, übernehmen, sich bereiterklären, garantieren, sich verbürgen, wollen, anbieten sowie thematische Einstellungen voluntativer und intentionaler Art wie ich beabsichtige, habe vor, plane, werde, bin entschlossen (Brinker 1985, 110). In der Lexik sind juristische und ökonomische Termini vertreten, daneben Verbalabstrakta und komplexe Nominalgruppen (Birkenmaier/Mohl 1991, 216), Latinismen und Archaismen (Gläser 1979, 151). Grammatische Merkmale treten an den Verben der Willens- und Meinungsäußerung hervor, insbesondere in Form von Partizipien und Adverbialpartizipien sowie bei Aspekt und Tempus (Gläser 1979, 150; Birkenmaier/ Mohl 1991, 214 f). Als textexterner Faktor werden vor allem die Kommunikationspartner ins Blickfeld gerückt, wobei der Schwerpunkt auf dem Textproduzenten liegt: „Der Emittent gibt dem Rezipienten zu verstehen, daß er sich ihm gegenüber dazu verpflichtet, eine bestimmte Handlung zu vollziehen“ (Brinker 1985, 109; Birkenmaier/Mohl 1991, 212). Schon diese lückenhafte Aufzählung und ein Rückblick auf die vorangegangene Analyse von Kaufverträgen macht einiges deutlich: (a) Verträge bilden eine „Textsortenfamilie“, denn sie weisen zwar von den Funktionen und den Sprachhandlungen her wesentliche Übereinstimmungen auf, variieren aber auf Grund unterschiedlicher Partnerkonstellationen und Vertragsgegenstände. (b) Die Wahl der sprachlichen Mittel ist sowohl

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56. Die Personenstandsurkunde als Fachtextsorte

durch wechselnde Vertragsgegenstände als auch durch einzelsprachliche Traditionen und Gewohnheiten beeinflußt. So sind Archaismen besonders für das Englische, Adverbialpartizipgruppen für das Russische kennzeichnend. (c) Vertragstexte sind in hohem Maße standardisiert bzw. unifiziert.

4.

Literatur (in Auswahl)

Birkenmaier/Mohl 1991 ⫽ Willy Birkenmaier/Irene Mohl: Russisch als Fachsprache. Tübingen 1991 (Uni-Taschenbücher 1606). Brinker 1985 ⫽ Klaus Brinker: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin 1985, 2. Aufl. 1988 (Grundlagen der Germanistik 29). Brockhaus Wahrig 1984 ⫽ Brockhaus Wahrig. Deutsches Wörterbuch. Hrsg. v. Gerhard Wahrig, Hildegard Krämer und Harald Zimmermann. Bd. 6. Stuttgart 1984. Creifelds 1990 ⫽ Rechtswörterbuch. Begründet v. Carl Creifelds. Hrsg. v. Lutz Meyer-Grossner. 10. Aufl. München 1990. Dimter 1981 ⫽ Matthias Dimter: Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Tübingen 1981 (Reihe Germanistische Linguistik 32). Dyrberg/Faber/Hansen/Tournay 1988 ⫽ G. Dyrberg/D. Faber/S. L. Hansen/J. Tournay: Etablering af et juridisk tekstkorpus. In: Hermes 1. 1988, 209⫺227. Engberg 1993 ⫽ Jan Engberg: Prinzipien einer Typologisierung juristischer Texte. In: Fachsprache 1⫺2/1993, 31⫺38. Fingerhut/Nath 1980 ⫽ Formularbuch für Rechtsgeschäfte. Verträge und Willenserklärungen, insbesondere im kaufmännischen Bereich. 6. völlig neu bearb. Aufl. v. Michael Fingerhut und Herbert Nath. Köln. Berlin. Bonn. München 1980. Gläser 1979 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachstile des Englischen. Leipzig 1979 (Linguistische Studien). Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13).

Glatzel 1979 ⫽ Ludwig Glatzel: Der Bauvertrag. Ein Leitfaden. Köln-Braunsfeld 1979. HdWW 1988 ⫽ Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW). Zugleich Neuauflage des Handwörterbuchs der Sozialwissenschaften. Ungekürzte Studienausgabe. Hrsg. v. Willi Albers, Karl E. Born, Ernst Dürr u. a. Bd. 8. Stuttgart. New York. Tübingen. Göttingen. Zürich 1988. Heinemann/Viehweger 1991 ⫽ Wolfgang Heinemann/Dieter Viehweger: Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 115 Kollegbuch). Hoffmann 1987 ⫽ Lothar Hoffmann: Ein textlinguistischer Ansatz in der Fachsprachenforschung. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 91⫺105. Hoffmann 1990 ⫽ Lothar Hoffmann: Fachtexte und Fachtextsorten. Leipzig 1990 (BSF Berichte der Sektion Fremdsprachen 5). Klappenbach/Steinitz 1977 ⫽ Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. v. Ruth Klappenbach und Wolfgang Steinitz. Bd. 6. Berlin 1977. Methfessel 1977 ⫽ Wolfgang Methfessel: Vertragsrecht. Band 1: Die allgemeinen Grundlagen des Vertragsrechts. Stuttgart. Berlin. Köln. Mainz 1977 (Kohlhammer Studienbücher Rechtswissenschaft). Recktenwald 1987 ⫽ Horst C. Recktenwald: Wörterbuch der Wirtschaft. 10. Aufl. Stuttgart 1987. Rehbinder 1982 ⫽ Eckard Rehbinder: Vertragsgestaltung. Frankfurt/M. 1982 (Juristische Lernbücher 20). Sager/Dungworth/McDonald 1980 ⫽ Juan C. Sager/David Dungworth/Peter F. McDonald: English Special Languages. Principles and practice in science and technology. Wiesbaden 1980. Vertrags-Vordrucke 1983 ⫽ Vertragsvordrucke für Bauleistungen im konventionellen Bau und bei der Gebäude-Modernisierung zur Absicherung für den privaten Bauherrn im Umgang mit Architekten und Handwerkern. Fellbach 1983.

Lothar Hoffmann, Großdeuben

56. Fachtextsorten der Institutionensprachen IV: die Personenstandsurkunde am Beispiel der Geburtsurkunde 1. 2. 3. 4. 5.

Begrifflichkeit Geschichte Die Geburtsurkunde als Textsorte Die Geburtsurkunde als Gegenstand der Übersetzung Literatur (in Auswahl)

1.

Begrifflichkeit

Urkunde meint im allgemeinen jeden Gegenstand, der einen menschlichen Gedanken verkörpert, z. B. ein Grenzzeichen wie einen Stein oder einen Pfahl zur Markierung und

540

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Kenntlichmachung einer Grenze, ein Kerbholz oder einen Kerbstecken zum Nachweis und zur Abrechnung erbrachter Leistungen vom Mittelalter bis in die Neuzeit; im besonderen meint Urkunde das einen Gedanken durch Schriftzeichen (auch Zahlen- oder Symbolzeichen) verkörpernde Schriftstück ⫺ das Dokument (Brockhaus Enzyklopädie 1989, 105; 1990, 608; 1993, 703), z. B. ein Testament oder eine Ernennungsurkunde. Öffentliche Urkunden werden nach § 415 Zivilprozeßordnung (ZPO) „von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person“, z. B. einem Notar, aufgenommen. Beispiele sind gerichtliche Entscheidungen wie Urteile, Entscheidungen von Verwaltungsbehörden wie Einbürgerungsurkunden, Verträge über den Kauf von Grund und Boden usw., wobei öffentlich Beurkunden das „Herstellen eines Schriftstücks, das Wahrnehmungen von Tatsachen bezeugt“ (Beurkundungsgesetz § 1, 2) zum Inhalt hat. Öffentliche Urkunden werden von den übrigen Urkunden, den privaten Urkunden wie Mietverträgen oder Quittungen, unterschieden. Personenstandsurkunden als öffentliche Urkunden sagen Wesentliches über die Identität eines Menschen aus ⫺ über seinen Status als Person, worunter das familienrechtliche, auf Abstammung oder auf Rechtsakt beruhende Verhältnis einer lebenden oder verstorbenen Person zu anderen Personen zu verstehen ist (vgl. Schütz 1977, 9). Der Personenstand wird durch die natürlichen Grenzen des Lebens, Geburt und Tod, sowie durch die Eheschließung gekennzeichnet. Diese Tatbestände und die durch sie verursachten Veränderungen des Personenstandes werden in die Personenstandsbücher (Personenstandsregister) eingetragen. Zu ihnen gehören das Geburten-, das Heirats- und das Sterbebuch, von denen es jeweils zwei Exemplare ⫺ das Erst- und das Zweitbuch ⫺ gibt, sowie das Familienbuch. Die Personenstandsbücher werden nach dem Personenstandsgesetz (PStG) vom 8. 8. 1957 und der Ausführungsverordnung vom 25. 2. 1977 von dem Standesbeamten in dem Standesamt des jeweiligen Standesamtsbezirks geführt. Nur dieser Standesbeamte darf nach der Dienstanweisung (DA 92 § 87, Schleicher/Quester/ Bornhofen 1992) auf der Grundlage der von ihm geführten Personenstandsbücher beglaubigte Abschriften, Geburtsscheine, Geburts-, Abstammungs-, Heirats- und Sterbeurkun-

den und Auszüge aus dem Familienbuch ausstellen. Diese Urkunden geben den wesentlichen Inhalt des im Personenstandsbuch enthaltenen Eintrags wieder und sind gleichermaßen beweiskräftig (PStG § 66). Personenstandsurkunden begründen vollen Beweis (Beurkundungsgesetz § 1, 11; ZPO § 415), was ihre besondere Stellung unter allen Urkunden deutlich macht.

2.

Geschichte

Die Personenstandsurkunden gehen auf das „Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. 2. 1875“ zurück, das am 1. 1. 1876 in Kraft trat. Es löste die bis dahin von den Geistlichen geführten Standesbücher, die Kirchenbücher, ab und schuf die Einheit der Eheschließungsform und der Beurkundung des Personenstandes für das Deutsche Reich. Der lange Streit zwischen Staat und Kirche war zugunsten der Zivilehe und der zivilen Standesbücherverwaltung entschieden.

3.

Die Geburtsurkunde als Textsorte

3.1. Aufbau Das Personenstandsgesetz, seine Ausführungsverordnung und die Dienstanweisungen schreiben für die Gestaltung von Geburtsurkunden inhaltliche und formale Elemente vor. So sind nach DA 92 § 91 a in die Geburtsurkunde aufzunehmen: (a) „die Vornamen und der Familienname des Kindes und sein Geschlecht; für die Angabe des Geschlechts sind nach dem Familiennamen des Kindes ein Komma und die Worte ,männlichen Geschlechts‘ oder ,weiblichen Geschlechts‘ einzutragen. (b) Ort und Tag der Geburt sowie Standesamt und Nummer des Geburtseintrags, (c) die Vor- und Familiennamen sowie gegebenenfalls akademische Grade der Eltern des Kindes, ihr Wohnort sowie ihre rechtliche Zugehörigkeit oder ihre Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft, wenn sie im Geburtseintrag angegeben ist; dem Familiennamen des Elternteils, dessen Geburtsname nicht Ehename ist, ist der Geburtsname mit dem Zusatz ,geb.‘ beizufügen.“ Der Standesbeamte setzt die Daten grundsätzlich so ein, „wie sie sich am Tag der Ausstellung der Geburtsurkunde aus dem Geburtseintrag einschließlich etwaiger Randver-

56. Die Personenstandsurkunde als Fachtextsorte

Abb. 56.1: Geburtsurkunde vom 18. 5. 76 (Die Angabe des Geschlechts fehlt.)

merke ergeben“ (DA 92 § 91 a). Randvermerke (s. Abb. 56.2, rechts oben) sind Eintragungen in Personenstandsbücher, die aufgrund von nachträglichen Veränderungen des Personenstandes am Rand des Haupteintrags angebracht werden und § 67 DA 92 in Form und Inhalt (Unterlagen zur Begründung der Veränderung; gedrängtes, am oberen Rand beginnendes Schreiben usw.) entsprechen müssen. Infolge dieses Randvermerks unterscheidet sich die am 14. 3. 1994 ausgestellte Geburtsurkunde (Abb. 56.3), die der Namensänderung (Maxi > Maximiliane) vom 21. 5. 1986 Rechnung trägt, von der am 18. 5. 1976 ausgestellten Urkunde (Abb. 56.1). Analog ist es Vorschrift, die Geburtsurkunde „für ein durch die Eheschließung seiner Eltern ehelich gewordenes Kind […] so auszustellen, als wären die Eltern bereits bei der Geburt des Kindes verheiratet gewesen; der Randvermerk über die Legitimation ist nicht zu erwähnen“ (DA 92 § 92).

541 Zu den formalen Elementen gehören die Benutzung des Vordrucks E1 (Abb. 56.1. verwendet wegen der Kombination mit der Abstammungsurkunde den Vordruck E2), die Ortsangabe des Standesamtsbezirks, das Dienstsiegel, die Unterschrift des Standesbeamten unter Voranstellung der Wörter Der Standesbeamte und in der Regel den Gebührenbeweis. Ebenso sind Formalia zu beachten, die für alle Personenstandsurkunden Geltung haben, z. B. DA 92 § 49: Sprache und Schrift, § 61: Zeit- und Zahlenangaben, § 62: Bezeichnung des Berufs, § 63: Akademische Grade, § 66: Abkürzungen, § 50: Zwischenzeilen und Zwischenräume. Diese Paragraphen finden in den Abb. 56.1. und 56.3. ihren Niederschlag: ⫺ Deutsche Geburtsurkunden werden in deutscher Sprache mit deutscher oder lateinischer Schrift ausgestellt (zur Transliteration fremder Schrift s. 4.). ⫺ Die Angabe des Datums erfolgt durch arabische Ziffern für Tag und Jahr, der Monat wird mit dem amtlichen Monatsnamen bezeichnet (Januar, nicht Jänner). ⫺ Akademische Grade, ihre und sonstige Abkürzungen müssen den üblichen Vorschriften entsprechen. ⫺ Nach dem letzten Wort der Eintragung wird das Schlußzeichen ⫺/⫺ gesetzt, statt dessen können die verbleibenden Zwischenräume auch ausliniiert werden. Schließlich ist als konstitutives Element von Geburtsurkunden ihre Überschrift Geburtsurkunde zu erwähnen. 3.2. Textfunktion und Textthema Nach Brinker (1988, 86) soll unter Textfunktion „die im Text mit bestimmten, konventionell geltenden, d. h. in der Kommunikationsgemeinschaft verbindlich festgelegten Mitteln ausgedrückte Kommunikationsabsicht des Emittenten“ verstanden werden, „die Absicht des Emittenten, die der Rezipient erkennen soll“. Unter den auf dem sprechakttheoretischen Konzept beruhenden textuellen Grundfunktionen, der Informations-, Appell-, Obligations-, Kontakt- und Deklarationsfunktion (Brinker 1988, 97 f), lassen sich Urkunden aufgrund textinterner und textexterner Indikatoren der Deklarationsfunktion zuordnen. Die Deklarationsfunktion entspricht allgemein der Paraphrase: Ich, der Emittent, bewirke hiermit, daß X als Y gilt. (Brinker 1988, 112).

542

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Abb. 56.2: Auszug aus dem Geburtenbuch vom 17. 3. 94

56. Die Personenstandsurkunde als Fachtextsorte

543

Abb. 56.3: Geburtsurkunde vom 14. 3. 94

Textsorten mit deklarativer Grundfunktion sind Vollmachten, Bescheinigungen, Testamente, Gerichtsbeschlüsse, Personenstandsurkunden u. ä. Die Paraphrase für eine Geburtsurkunde könnte deshalb lauten: Ich, der Standesbeamte, bewirke hiermit kraft meines Amtes (durch die Handlung des Bezeugens), daß als wahr (⫽ Y) gilt, daß X (⫽ die Proposition ,Die Person AB, Tochter/Sohn der Eltern […], ist am […] in […] geboren‘). In der Proposition spiegelt sich das Textthema wider. Textintern wird die Deklarationsfunktion durch die Überschrift Geburtsurkunde direkt indiziert, die als „Präsignal“ (Große 1976, 21) fungiert und dem Rezipienten die Orientierung für das erwartete Textverstehen von et-

was Bezeugtem, Bestätigtem und Bescheinigtem gibt. Textextern sind Geburtsurkunden in einen durch Gesetz geregelten institutionellen Rahmen eingebettet, was sich auf die Parameter der Kommunikationssituation wie Partner, Handlungsbereich und Kommunikationsform auswirkt. Der Emittent, Fachmann und Vertreter der staatlichen Behörde, beurkundet die Geburt einer Person gegenüber den Rezipienten. Das sind normalerweise die Eltern, die Großeltern oder die in der Urkunde benannte Person selbst. Als Rezipienten kommen auch Dritte, z. B. Angestellte von Behörden wie Versorgungsämtern sowie Kirchen, hinzu, bei denen Geburtsurkunden aus unterschiedlich-

544

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

sten Anlässen vorgelegt werden müssen. Die Situation der Kommunikationspartner ist somit durch das Verhältnis eins : viele und Rechtskundiger : Laie bzw. Rechtsunkundiger zu beschreiben. Der Handlungsbereich ist öffentlich und mit dem höchsten Grad an Verbindlichkeit ausgestattet. Die Kommunikationsformen sind durch das Medium Schrift, monologische Kommunikationsrichtung sowie in der Regel zeitliche und räumliche Trennung des Kommunikationskontakts zwischen Emittent und Rezipient gekennzeichnet. Die externen Textmerkmale zeigen allgemein eine hohe Asymmetrie, die in der Textstruktur ihre Bestätigung findet. 3.3. Textstruktur Die situativen Faktoren von Urkunden als Textexemplaren der Verwaltungs- und Rechtssprache lassen wegen ihrer hohen Gebrauchsfrequenz die Benutzung von Formularen oder Vordrucken als zweckmäßig erscheinen. Vordrucke, die durch optische Gliederung und Schematisierung sowie durch formelhafte und knappe Ausdrucksweise gekennzeichnet sind, haben, was Inhalt und Sprache betrifft, Sachlichkeit und Eindeutigkeit, Vereinheitlichung und Vereinfachung zum Ziel. Bei optimaler Erfüllung dieser Anforderungen tragen sie zu Effizienz und Wirtschaftlichkeit bei, außerdem zur Gleichbehandlung der Menschen, denn individuelle Gestaltungsmöglichkeiten in Lexik, Morphologie, Syntax u. a. sind kaum gegeben. Die Charakterisierung von Vordrucken wird in den Abb. 56.1 und 56.3 bestätigt. Die schlagworthafte Plazierung der Substantive (Standesamt, Eltern, Änderungen des Geburtseintrags, Vermerke) mit linker Textausrichtung und die zeilenweise Aufgliederung des einzigen Satzes entsprechen dem Wunsch nach Kürze, Übersichtlichkeit und Standardisierung. In sprachlich-grammatischer Hinsicht ist zunächst die lexikalisch-semantische Kohärenz zu erwähnen, die durch Geburtsurkunde, Abstammungsurkunde, Kind, Standesamt, geboren, Eltern, Geburtseintrag, Standesbeamter zum Ausdruck kommt und von hoher Dichte der Isotopieelemente (Hoffmann 1990, 22) geprägt ist. Der einzige vollständige Satz der Geburtsurkunde ist ein einfacher erweiterter Satz, in den das Subjekt, die Temporalbestimmung und die Lokalbestimmung für den individuel-

len Personenstandsfall einzusetzen sind. Sein Prädikat trägt dem Textthema, der vor dem Sprechzeitpunkt der Kommunikationssituation erfolgten Geburt, insofern Rechnung, als es im Zustandspassiv formuliert ist und das anhaltende Resultat markiert. Die Lexik ist infolge des engen Themas und seiner normierten Ausdrucksweise begrenzt. Als Termini sind nur Geburtsurkunde, Abstammungsurkunde, Standesamt und Standesbeamter zu nennen.

4.

Die Geburtsurkunde als Gegenstand der Übersetzung

Das Übersetzen von Geburtsurkunden sowie anderen Personenstandsurkunden ergibt sich u. a. aus § 70 PStG, der das Führen von Personenstandsbüchern „in deutscher Sprache mit deutscher oder lateinischer Schrift“ (DA 1992 § 49,1) vorschreibt. Der Übersetzer solcher und anderer öffentlicher Urkunden soll (in der Regel) öffentlich bestellt und allgemein vereidigt sowie ermächtigt sein, die Richtigkeit und Vollständigkeit einer Übersetzung zu bescheinigen. Die öffentliche Ernennung, allgemeine Vereidigung und Ermächtigung von Übersetzern und Dolmetschern fällt in die rechtliche Zuständigkeit der Länder, die in Gesetzen, Verordnungen und Erlassen z. T. überaus unterschiedliche Regelungen getroffen haben (Jessnitzer 1982, 21 ff) und im einzelnen vorschreiben, wie eine Urkundenübersetzung zu erfolgen hat (Textanordnung, sprachliche Gestaltung, Verbinden von Urkundenseiten u. a.). „Werden für eine fremde Sprache andere als lateinische Schriftzeichen verwendet, so sind Namen und andere Wörter soweit wie möglich durch Transliteration wiederzugeben, […]. Hierbei sind […] die Normen der Internationalen Normenorganisation (ISO) anzuwenden“ (DA 92 § 49,2). Diese Vorschrift hat z. B. für das Übersetzen kyrillischer Personenstandsurkunden zunächst sprachliche Folgen (geschlechtsspezifische Markierung des Familiennamens, Ehename, Vatersname als Bestandteil des Namens), darüber hinaus aber auch soziale Folgen für die Inhaber solcher Urkunden. Um die Integration von Aussiedlern zu erleichtern, ist deren Namensführung im Bundesvertriebenengesetz, mehreren Aussiedlererlassen und zuletzt im Kriegsfolgenbereinigungsgesetz, das am 1. 1. 1993 in Kraft getreten ist, neu geregelt worden (Stuber 1992).

545

57. Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik: ein Überblick

Übersetzungen von Personenstandsurkunden können entfallen, wenn internationale Abkommen und Vereinbarungen darüber bestehen, Personenstandsurkunden gegenseitig anzuerkennen (Bundesrepublik Deutschland L Schweiz, Luxemburg u. a., DA 92 § 113 ff) und Daten in Personenstandsangelegenheiten gegenseitig mitzuteilen (Bundesrepublik Deutschland L Frankreich, Italien u. a., DA 92 § 119). Diese Vereinbarungen sehen mehrsprachige Personenstandsurkunden vor, deren Verwendung in den Vertragsstaaten einfacher und effizienter ist, womit ein wichtiges Ziel der Institutionensprache erreicht und ein weiterer Schritt nach Europa getan ist.

5.

Literatur (in Auswahl)

Brinker 1988 ⫽ Klaus Brinker: Linguistische Textanalyse. Berlin 19882 (Grundlagen der Germanistik 29). Brockhaus Enzyklopädie 1986⫺1994 ⫽ Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, Mannheim 1986⫺ 1994 (23. Band). Fuchs-Khakhar 1987 ⫽ Christine Fuchs-Khakhar: Die Verwaltungssprache zwischen dem Anspruch auf Fachsprachlichkeit und Verständlichkeit. Tübingen 1987. Große 1976 ⫽ Ernst Ulrich Große: Text und Kommunikation. Eine linguistische Einführung in die

Funktionen der Texte. Stuttgart. Berlin. Köln. Mainz 1976. Hoffmann 1990 ⫽ Lothar Hoffmann: Fachtexte und Fachtextsorten. Leipzig 1990 (Berichte der Sektion Fremdsprachen 5). Jessnitzer 1982 Ein Handbuch Übersetzer und tungsverfahren. 1982.

⫽ Kurt Jessnitzer : Dolmetscher. für die Praxis der Dolmetscher, ihrer Beurkundungs- und VerwalKöln. Berlin. Bonn. München

Keidel/Kuntze/Winkler 1978 ⫽ Theodor Keidel/ Joachim Kuntze/Karl Winkler: Freiwillige Gerichtsbarkeit, Teil B, Beurkundungsgesetz. München 197811. Schleicher/Quester/Bornhofen 1992 ⫽ Helmut Schleichter/Erich Quester/Heinrich Bornhofen: Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden DA 1992 (unter Berücksichtigung späterer Änderungen. Stand: Juli 1993). Frankfurt/M. 1993. Schütz 1977 ⫽ Wolfgang Schütz: 100 Jahre Standesämter in Deutschland. Frankfurt/M. 1977. Stuber 1992 ⫽ Gerhard Stuber: Die Namensführung von Aussiedlern (Fachverband Baden-Württemberg, Reg.-Präs. Karlsruhe und Freiburg, Fachverband des Freistaates Sachsen, Chemnitz) 1992. „Zeitschrift für Standesamtswesen“ (StAZ, ab 1921) < „Das Standesamt“ (ab 1902) < „Der Standesbeamte“ (1875).

Irene Mohl, Heidelberg

57. Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik: ein Überblick 1. 2. 3. 4.

1.

Zur Relation von Fächern, Fachsprachen und Fachtextsorten Das Textsortenspektrum der Naturwissenschaften und der Technik Charakteristika von Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik Literatur (in Auswahl)

Zur Relation von Fächern, Fachsprachen und Fachtextsorten

Da Fachsprachen und ihre Textsorten nur vor dem Hintergrund der Fächer zu verstehen sind, in denen sie sich entwickeln (IhleSchmidt 1983, 52), muß die Behandlung der Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik zwangsläufig mit einem Blick auf die entsprechenden Fächer und ihre Unterteilung

verknüpft werden. Die Technik umfaßt wie die Naturwissenschaften, auch wenn der Ausdruck Technik in der hier aktualisierten Bedeutung üblicherweise im Singular gebraucht wird, eine Vielzahl von Disziplinen. Die Abb. 57.1 und 57.2 vermitteln einen Überblick über eine mögliche Aufgliederung der Naturwissenschaften bzw. der Technik in spezifischere Fächer, wobei betont werden muß, daß zur Fächeruntergliederung und -hierarchie keineswegs einheitliche Auffassungen bestehen (vgl. Göpferich 1995, 12, insbes. Fußn. 13; Kalverkämper 1992, 68). Die Technik wird wie in Abb. 57.2 herkömmlicherweise nach „ingenieurwissenschaftl[ichen] Fachgebieten oder Industriebranchen“ (Brockhaus Enzyklopädie „Technik“) eingeteilt. Eine weitere Klassifika-

546

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Abb. 57.1: Subklassifizierung der Naturwissenschaften

Abb. 57.2: Subklassifizierung der Technik

57. Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik: ein Überblick

tionsmöglichkeit ist die nach der Funktion (Wandlungstechnik, Transporttechnik, Speicherungstechnik) und nach der Kategorie der Objekte (Stoff- bzw. Materialtechnik, Energietechnik, Informationstechnik), so daß sich bei einer Verknüpfung der beiden Einteilungen neun Technikfelder ergeben (z. B. Informationsspeicherungstechnik), die ihrerseits noch weiter untergliedert werden können (vgl. Brockhaus Enzyklopädie „Technik“). Diese Klassifizierung ist im Gegensatz zu der zuvor genannten für fachsprachliche Ziele jedoch unbrauchbar, weil sie keine „gewachsenen“ Fächer abgrenzt, eine Fachsprache und damit auch ihre Textsorten aber immer an ein solches „gewachsenes“ Fach gebunden sind, mit dem sie entstehen und sich entwickeln. Bei der Vielzahl von Einzel- und Subdisziplinen, in die sich Naturwissenschaften und Technik unterteilen lassen, stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, von einem Textsortenspektrum der Naturwissenschaften und der Technik zu sprechen, oder ob es nicht vielmehr sinnvoller wäre, für jeden der beiden Bereiche oder gar für die Einzel- und Subdisziplinen je ein eigenes Textsortenspektrum anzusetzen. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu beachten, daß Naturwissenschaften und Technik zwar bis ins Mittelalter hinein völlig unabhängig voneinander in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten betrieben wurden, daß es aber seit Francis Bacon (1561⫺1626) und dann massiv im 19. Jh. ⫺ u. a. mit Justus von Liebig (1803⫺1873) ⫺ zu einer immer stärkeren Verwebung der beiden Gebiete kam (s. Göpferich 1995, 14 ff). Interdependenzen bestehen jedoch nicht nur zwischen Naturwissenschaften und Technik, sondern auch zwischen verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen untereinander sowie zwischen verschiedenen technischen Fächern untereinander, wobei wiederum berücksichtigt werden muß, daß die Naturwissenschaften und die Technik zusammen, als Komplex betrachtet, auch von den übrigen Fachgebieten nicht völlig isoliert werden können (s. Göpferich 1995, 17). Diese Verwebungen machen es praktisch unmöglich, ein Fachgebiet und damit seine Fachsprache genau einzugrenzen. Unter textlinguistischen Gesichtspunkten ist die Aufgliederung der Fächer dabei nur insofern interessant, als sie auch mit einer Aufgliederung in Fachsprachen und Subfachsprachen (horizontale Gliederung der Fachsprache; vgl. Hoffmann 1985, 58 ff) mit unterschiedlichen Textsortenspektren einhergeht. Jedes Fach bzw. Unter-

547

fach kann zwar seine ganz spezifische Terminologie mitbringen (wobei die Auffächerung in Subdisziplinen, Subsubdisziplinen etc. nahezu grenzenlos fortsetzbar ist); die Lexik allein macht aber noch keine Sprache aus. Auf den Ebenen komplexerer sprachlicher Einheiten wie etwa der der Syntagmatik, der Syntax, der Stilistik und der Textsorten teilen sich verschiedene Disziplinen und Subdisziplinen in zunehmendem Maße ähnliche Regeln und Konventionen (vgl. Ihle-Schmidt 1983, 55, insbes. Fußn. 1), so daß die Aufgliederung der Sprache in Fachsprachen, Subfachsprachen etc. auf diesen Ebenen nicht mehr in Analogie zur Aufgliederung der Naturwissenschaften und der Technik in Einzelund Subdisziplinen erfolgt. Der Grund hierfür besteht vor allem darin, daß in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern aufgrund ihrer starken Interdependenzen im Fachlichen ⫺ in der Forschung wie in der Industrie ⫺ auch ähnliche Handlungszusammenhänge vorkommen, also ähnliche kommunikative Ziele verfolgt werden, die sich wiederum in einem (annähernd) gleichen Textsortenspektrum niederschlagen. (Vgl. hierzu auch Laure´ns [1993, 504 ff] Erwägungen, auf einer sehr hohen Fach[sprachen]-Abstraktionsebene wissenschaftstheoretische Klassifikationen wie W. Windelbands Einteilung der empirischen Wissenschaften in nomothetische [Naturwissenschaften] und idiographische [Geschichtswissenschaften] als „Quelle für Hypothesen“ zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Fachsprachen heranzuziehen.)

Dabei kann zwar der Fall auftreten, daß einzelne Textsorten oder Textsortenvarianten für eine Teildisziplin irrelevant sind, z. B. Patentschriften für die reinen Naturwissenschaften. Dies schmälert jedoch den Nutzen einer Text(sorten)typologie für den umfassenden Bereich der Naturwissenschaften und der Technik insofern nicht, als in ihr auch texttypologische Lücken in den verschiedenen Teildisziplinen lokalisiert und aus dem typologischen Gesamtsystem heraus erklärt werden können und sich die in den Teildisziplinen tatsächlich vorkommenden Textsorten zueinander in Beziehung setzen lassen (Näheres zur Relation von Fächern und Fachtextsorten in Göpferich 1995, 11 ff). Zu beachten ist jedoch, daß zwischen zwei Fachsprachen innerhalb der gleichen Textsorte in gewissen Grenzen Unterschiede in der sprachlichen Realisierung bestehen können. Die Textsortenkonventionen in Texten traditionsreicher technischer Disziplinen, wie z. B. dem Ma-

548

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

schinenbau, fallen beispielsweise konservativer aus als etwa die in Texten relativ junger Disziplinen, wie der elektronischen Datenverarbeitung (s. Göpferich 1995, 31 f). Um sicherzustellen, daß unterschiedliche Konventionen in zwei Texten ausschließlich textsorten- und nicht (auch) disziplinbedingt sind, muß bei kontrastiven Textsortenanalysen der Faktor der Fachgebietszugehörigkeit konstant gehalten werden (vgl. Göpferich 1995, 32).

2.

Das Textsortenspektrum der Naturwissenschaften und der Technik

Die Aufgliederung einer Fachsprache in Textsorten ist in Zusammenhang mit der vertikalen Schichtung der Fachsprachen (Hoffmann 1985, 64 ff) ⫺ im Gegensatz zu der in Abschnitt 1 behandelten horizontalen Gliederung ⫺ zu sehen. Die Versuche zur vertikalen Schichtung der Fachsprachen lassen sich im wesentlichen in zwei Kategorien einteilen. Entweder es wurde von sprachlich-stilistischen Kriterien ausgegangen oder aber von kommunikativ-pragmatischen. Diese Ansätze führten zur Konstituierung von eindimensionalen Modellen mit zwei bis fünf Schichten (Schichtenmodelle) oder aber einem dreidimensionalen Modell wie dem von Hahns (1983, 76 ff). Bis auf das Modell von Hahns und das Fünfschichtenmodell Hoffmanns gehen diese Modelle primär vom Wortschatz aus (vgl. die Übersicht bei Fluck 1991, 17 ff). Während von Hahn (1983, 76) die Kriterien Adressaten (Wissenschaft, Technologie, Vermittlung, Nutzung), Kommunikationsdistanz (eng, mittel, weit) und Handlungen (Organisation, Information, Instruktion) zur Differenzierung heranzieht, unterscheidet Hoffmann (1985, 65 f) anhand des Kriterienkomplexes Abstraktionsstufe, äußere Sprachform, Milieu und Teilnehmer an der Kommunikation zwischen den folgenden fünf Schichten: (A) „Sprache der theoretischen Grundlagenwissenschaften“, (B) „Sprache der experimentellen Wissenschaften“, (C) „Sprache der angewandten Wissenschaften und der Technik“, (D) „Sprache der materiellen Produktion“ und (E) „Sprache der Konsumtion“.

Diese beiden Modelle erlauben zwar im Vergleich zu ihren noch stark an der Lexik orientierten Vorgängern eine umfassendere Charakterisierung fachsprachlicher Textvorkommen, doch ist es schwierig und häufig auch unmöglich, eine Textsorte oder einen konkreten Text einer der Kategorien bzw. Schich-

ten eindeutig zuzuordnen (vgl. hierzu auch Hoffmann 1985, 67, 70). Ferner gehören in ihrer kommunikativen Funktion und sprachlichen Gestaltung sehr ähnliche Textsorten, wie z. B. Betriebsanleitungen und Werkstatthandbücher für Pkw, etwa in Hoffmanns Modell unterschiedlichen Schichten an, nämlich die Werkstatthandbücher der Schicht D und die Betriebsanleitungen der Schicht E (Göpferich 1995, 34 f). Die fachsprachliche Textlinguistik erfordert für ihre Zwecke einen textsortenorientierten Ansatz, in dem die einzelnen Schichten durch Textsorten ersetzt werden (vgl. Hoffmann 1982, 4; Kalverkämper 1983, 124 ff; Göpferich 1995, 37). Einen solchen textsortenorientierten Ansatz verfolgt Göpferich mit einer pragmatisch-dynamischen, hierarchisch aufgebauten Fachtexttypologie für die konventionalisierten schriftlichen Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik (s. Abb. 57.3), in die Isenbergs (1983) und Gvenzadses (1983) theoretische Erörterungen zur Strukturierung von Typologien einflossen (s. Göpferich 1995, 77 ff). Die konventionalisierten schriftlichen Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik werden hier nach ihrer kommunikativen Funktion auf vier Fachtexttypen zurückgeführt (s. Typologiestufe I). Diese Fachtexttypen sind: juristisch-normative Texte mit der kommunikativen Funktion, „Informationen zur Schaffung einer Rechtsgrundlage bzw. einer eindeutigen Bezugsgrundlage zu vermitteln“, fortschrittsorientiert-aktualisierende Texte, deren kommunikative Funktion „in der Informationsvermittlung zum Zwecke der Vorantreibung von Wissenschaft und Technik“ besteht, didaktischinstruktive Texte, die „den aktuellen Wissensstand zur intellektuellen Bereicherung oder zum Zwecke der praktischen Anwendung“ verbreiten, und wissenszusammenstellende Texte, deren kommunikative Funktion „in der Vermittlung eines Überblikkes über das in den Texten der drei anderen Fachtexttypen vermittelte Wissen und in der Schaffung von Zugängen zu ihm“ besteht (Göpferich 1995, 125).

Die Kategorien sind im Typologieschema so angeordnet, daß von links nach rechts tendenziell eine Abnahme des Fach(sprach)lichkeits- und Abstraktionsgrads und ⫺ als logische Konsequenz daraus ⫺ zugleich eine Vergrößerung des Adressatenkreises zu konstatieren ist (breiter Doppelpfeil am unteren Rand von Abb. 57.3). Von links nach rechts ist also tendenziell ein Übergang von den Textsorten der Wissenschaftssprache hin zu

549

Abb. 57.3: Fachtexttypologie (Göpferich 1995, 124)

57. Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik: ein Überblick

550

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

fachbezogenen Vermittlungstexten oder ⫺ in Möhns (1979) Terminologie ⫺ von solchen der fachinternen über solche der interfachlichen hin zu solchen der fachexternen Kommunikation festzustellen, wobei allerdings den juristisch-normativen und den wissenszusammenstellenden Texten ein gewisser Sonderstatus zukommt (vgl. zu diesem Sonderstatus Göpferich 1995, 125 f). Auf jeder der drei folgenden Typologiestufen kommt ein weiteres Differenzierungskriterium zur Anwendung, daß jeweils in der ersten Spalte des Schemas (Abb. 57.3) angegeben ist. Die Subklassifizierungen führen schließlich zu den Textsortenkategorien auf der vierten Typologiestufe. Die Doppelpfeile über den dortigen Kategorienkästen deuten an, daß es innerhalb dieser Kategorien nochmals Varianten unterschiedlichen Fach(sprach)lichkeitsgrads geben kann, wobei die fachlicheren in den Kästen strenggenommen weiter links, die weniger fachlichen weiter rechts zu plazieren wären. Ferner deuten die Doppelpfeile an, daß die Kästen in ihrer Breite variieren können, so daß es in bezug auf den Fach(sprach)lichkeits- und Abstraktionsgrad (nicht jedoch in bezug auf die Textsortenzugehörigkeit) der Texte zu Überschneidungen zwischen benachbarten Kästen kommen kann, die der Übersichtlichkeit halber nebeneinander angeordnet wurden. Tendenzen, die für die Gesamttypologie (als Makrosystem) gelten, bestehen also auch innerhalb jeder einzelnen Kategorie (als Mikrosystem) (Göpferich 1995, 123 ff; vgl. zu diesen Tendenzen auch die weitgehend korrelierenden Ergebnisse von Arntz/Eydam 1993).

Auf der untersten Typologiestufe sind die von den Primärtextsorten durch Selektion, Komprimierung, Kommentierung und/oder Evaluation der Informationen abgeleiteten Sekundärtextsorten plaziert. Sie sind jeweils unter den Primärtextsorten angeordnet, von denen sie abgeleitet sind, mit diesen aber nicht durch eine senkrechte Linie verbunden, weil ein Sekundärtext nicht demselben Fachgebiet und Fachtexttyp angehören muß wie der Primärtext, von dem er abgeleitet ist (Näheres zu den Sekundärtextsorten in Göpferich 1995, 132 f).

Die Struktur der Typologie überprüft Göpferich (1995, 189 ff) in empirischen Analysen von Textsorten aus allen Typologiekategorien anhand eines einheitlichen Kriterienkomplexes; bei diesen Analysen zeichnen sich zahlreiche Korrelationen zwischen den Analyseergebnissen und der jeweiligen Position der Textsorten in der Typologie ab, die die Aussagekraft der Typologie untermauern. Die von den Tendenzen in der Gesamttypologie abweichenden Analyseergebnisse zu

den Mensch/Technik-interaktionsorientierten Texten legen es jedoch nahe, für diese eine separate Typologieebene anzusetzen (s. das Zwei-Ebenen-Typologisierungsmodell von Göpferich 1995, 472 ff). Ein weiteres pragmatisch begründetes Stufenmodell für schriftliche Fachtextsorten, allerdings nicht auf das Fachgebiet der Naturwissenschaften und der Technik beschränkt, sondern die Fachtextsorten aller Fachgebiete abdeckend, entwickelt Gläser (1990, 46 ff). Sie differenziert auf der obersten Typologiestufe zunächst zwischen Textsorten der fachinternen und solchen der fachexternen Kommunikation, subklassifiziert diese dann nach ihrer kommunikativen Funktion, um abschließend noch eine Subdifferenzierung nach Kriterien der Textualität vorzunehmen (Gläser 1990, 46). Einheitliche Tendenzen in bezug auf den Fach(sprach)lichkeits- und Abstraktionsgrad der Textsorten bestehen in der Typologie Gläsers nicht. Ferner verstößt sie gegen Isenbergs (1983) Homogenitäts- und Monotypieforderung und büßt aufgrund ihrer teilweise nicht logisch konsequenten Struktur auch an der von Isenberg geforderten „erklärenden Kraft“ ein (Isenberg 1983, 312; Näheres zur Evaluation der Gläserschen Typologie in Göpferich 1995, 140 ff).

Die Textsorten der mündlichen Kommunikation in den Naturwissenschaften und der Technik wurden bisher ⫺ wie die mündliche Kommunikation überhaupt ⫺ in der Fachsprachenforschung stark vernachlässigt, so daß für sie noch keine Typologie vorliegt. Dies ist schon darauf zurückzuführen, daß die Gewinnung, Aufbereitung (Transkription) und Auswertung eines Datenkorpus mündlicher (und fernmündlicher) Kommunikation mit einem erheblich größeren (technischen) Aufwand verbunden ist, als dies bei schriftlichen Textsorten der Fall ist (vgl. Gläser 1990, 257 f; Lenz 1993, 342 ff; Göpferich 1995, 121 f). Wie bei der Differenzierung von schriftlichen Textsorten ist auch bei derjenigen von mündlichen das Kriterium des Fach(sprach)lichkeits- und Abstraktionsgrades von Bedeutung. Im Gegensatz zu den beiden mittleren Fachtexttypen in der Typologie Göpferichs (Abb. 57.3) sind die Kategorien juristischnormative Texte und wissenszusammenstellende Texte für die mündliche Kommunikation ohne Relevanz, da die entsprechenden kommunikativen Funktionen (beliebig wiederholbare Konsultierbarkeit, feste Bezugsgrundlage) das schriftliche Medium zwingend erfordern. Über die von Göpferich (1995) eingebrachten Kriterien zur Differenzierung der schriftlichen Textsorten hinaus sind zur

57. Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik: ein Überblick

Kategorisierung der mündlichen Kommunikation u. a. auch die Faktoren der sozialen Relation und des Vertrautheitsgrads zwischen den Kommunikationspartnern zu berücksichtigen, die einen Einfluß auf das Register haben, z. B. darauf, ob Fachslang verwendet oder aber auf eine gehobenere Stilebene zurückgegriffen wird. In der Typologie der konventionalisierten schriftlichen Textsorten konnten diese Faktoren (weitgehend) ausgeklammert werden, da die Sender dort grundsätzlich von einem ihnen nicht persönlich bekannten Adressaten ausgehen. Des weiteren ist zur Differenzierung der Textsorten der mündlichen Kommunikation auch von Bedeutung, ob es sich um fernmündliche Kommunikation (z. B. am Telefon oder per Funk) oder um direkte Face-to-face-Kommunikation handelt, und schließlich sind in mündlicher Kommunikation u. a. auch die Faktoren Ort, an dem die Kommunikation stattfindet, geographische Herkunft und soziale Schicht der Sprecher sowie der Bereich des Nonverbalen mit dem einem Zeigen zugänglichen Umfeld von Bedeutung. Auf einen Gegenstand, auf den etwa in einem Werkzeugkatalog nur durch die Benennung Wasserpumpenzange mit Rillengleitgelenk eindeutig referiert werden kann, kann in mündlicher direkter Face-to-face-Kommunikation allein durch die Zange da mit entsprechender Zeigegeste Bezug genommen werden. Eine nähere Präzisierung, wie sie für die schriftliche Fachkommunikation oftmals typisch ist, wäre hier redundant.

„Ansätze zur Analyse mündlicher Fachkommunikation“ liefern Lenz (1993) und Brünner (1993); einen ersten systematischen Zugriff auf ein breiteres Spektrum von Textsorten der mündlichen Fachkommunikation bietet Munsberg (1994) am Beispiel von unterschiedlichen Diskurstypen (mündlichen Textsorten) im institutionellen Rahmen einer Fakultät für Chemie. Im einzelnen sind dies: Vorlesung, Laborgespräch, Abtestat, Kolloquium, administratives Gespräch, Blockpraktikumsgespräch und Seminar. Zu ihrer Analyse und Typologisierung wählt Munsberg einen empirisch-induktiven Ansatz mit den Kriterien Situationsprofil, Sequenzierung (d. h. Gliederungsstruktur), Funktion und Interaktionsprofil. Das Situationsprofil erfaßt die Textexterna des jeweiligen Fachtextes-inFunktion, umfaßt die Variablen Sprecher/Hörer, Zeit (außerhalb/innerhalb der offiziellen Amtszeit), Ort (Büro, Hörsaal, Labor, Seminarraum) und Diskurstyp (administratives Gespräch, Laborgespräch, Prüfung, Seminar,

551

Vorlesung) und erlaubt die Abgrenzung einzelner Diskurse innerhalb der Fachkommunikation (Munsberg 1994, 50). Das Interaktionsprofil hingegen hat die Textinterna zum Gegenstand und umfaßt Kriterien wie das Anredeverhalten der Kommunikationspartner (Duzen, Siezen, Formeln der Anrede), TurnOrganisation, Korrekturverhalten, Themenwahl/-wechsel, metadiskursive Äußerungen, Fragen, praktische Tätigkeiten und Schweigen/Pausen (1994, 54 f). Darüber hinaus hält Munsberg (1994, 283) die folgenden Kriterien zur Diskurstypologisierung für erwägenswert: „singulärer Diskurs“ vs. „serieller Diskurs“ mit den Sonderfällen „erster“ und „letzter serieller Diskurs“ sowie „Zugänglichkeit der Kommunikationssituation“ (allgemein zugängliche vs. institutionell zugängliche vs. institutionell abgeschlossene Kommunikationssituation. Brünner (1993) klassifiziert mündliche Textsorten („Diskurstypen bzw. [komplexe] Handlungsmuster“) nach den vier Konstellationstypen, in denen sie auftreten und die auch aus der Subklassifizierung der schriftlichen Fachkommunikation bekannt sind. Es handelt sich um: (1) die Kommunikation unter Fachleuten desselben Fachs (Vorträge, Referate, Diskussionen etc.), (2) die Kommunikation zwischen Fachleuten und Lernenden (Vorlesungen, Seminare, Übungen etc.), (3) die Kommunikation unter Professionellen verschiedener Fächer (Podiumsdiskussionen, Anhörung von Sachverständigen, interdisziplinäre Arbeitsgespräche etc.) und (4) die Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien (Produktvorstellungen, Gespräche zwischen Behördenvertretern, Anwälten und Klienten etc.), wobei innerhalb jedes Typs eine weitere Diskurstypologisierung nach dem Grad der Dialogizität, der Spontaneität der Interaktion und dem Formalitätsgrad vorgenommen werden kann (Brünner 1993, 741 f). Als Verfahren zur Herausarbeitung der spezifischen Leistungen der mündlichen Diskurstypen in Relation zu ihren schriftlichen Pendants schlägt sie vor: (1) den strukturellen Vergleich, (2) das Feststellen, welche der korrespondierenden mündlichen und schriftlichen Textsorten „in Fach und Beruf präferiert […] werden, unter welchen Bedingungen und aus welchen Gründen“, und (3) das Bestimmen des quantitativen und qualitativen Verhältnisses von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Fach und Beruf (1993, 750 ff).

552

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse aus Untersuchungen einzelner Fachtextsorten der mündlichen und schriftlichen Kommunikation sicherzustellen und diese Einzelergebnisse zu einer konsistenten Gesamtbeschreibung von Fachkommunikation zusammenfügen zu können, fordert Kalverkämper (1992, 68 ff) für Textsortenanalysen einen Ortungsteil, aus dem hervorgeht, wie sich die jeweilige Einzeluntersuchung in das Gesamtspektrum der Erforschung fachsprachlicher Kommunikation einordnen läßt, und entwirft hierfür ein hierarchisch ordnendes Bezugsraster. Es umfaßt in aszendenter Richtung die Kriterien Sprachsystem, Varietäten, vertikale Schichtung, Medium (mündlich vs. schriftlich), Interlingualität/Interkulturalität und Zeit (synchron vs. diachron) und wurde sowohl in den Analysen Göpferichs (1995, 10) als auch Munsbergs (1994, 10) angewandt.

3.

Charakteristika von Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik

Um Textsorten in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit möglichst präzise zu erfassen, bedarf es neben einer Beschreibung ihrer Textexterna (wie Textfunktion, Sender/Empfänger-Beziehung, Vorkommensbereich etc.; vgl. Göpferich 1995, 189 ff) einer Analyse ihrer Textinterna auf möglichst vielen Sprachbeschreibungsebenen. Hoffmann prägte hier den Begriff der kumulativen Textanalyse. Hierunter versteht er „die Integration aller wichtigen distinktiven Merkmale auf den einzelnen Ebenen der sprachlichen Hierarchie in absteigender Richtung von den Makrostrukturen und Vertextungsmitteln über die Syntax und Lexik bis hin zu den grammatischen Kategorien und den sie repräsentierenden Morphemen“ (Hoffmann 1983, 63; vgl. auch Sager/Dungworth/McDonald 1980, 9).

Eine umfassende Bestimmung von Fachtext(sort)en ist dabei von keiner linguistischen Forschungsrichtung allein zu leisten, sondern nur durch einen die Methodologie verschiedener Forschungsrichtungen (wie Sprachsoziologie, Psychologie, Sprechakttheorie, Terminologielehre u. a.) integrierenden Ansatz zu bewerkstelligen (integrative Fachtextlinguistik; Baumann 1992). Als allgemeine Charakteristika naturwissenschaftlich-technischer Fachtextsorten gelten die auch für die Wissenschaftssprachen generell postulierten Eigenschaften: Präzision, Differenziertheit, Sprachökonomie, All-

gemeingültigkeit, expressive Neutralität, Erwartbarkeit und Folgerichtigkeit (vgl. Buhlmann 1985, 98; Hoffmann 1985, 231) sowie auch die von Weinrich (1989, 132 ff) für die Wissenschaftssprachen zusammengestellten „Maximen“ des Ich-Verbots, Erzählverbots und Metaphernverbots (s. zur Wissenschaftssprache die Studienbibliographie von Kretzenbacher 1992). Im folgenden wird auf einige charakteristische Textinterna von Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik exemplarisch hingewiesen, wobei die Interdependenzen zwischen den kommunikativen Funktionen und dem Fach(sprach)lichkeitsgrad der Textsorten berücksichtigt werden müssen. Von großer Bedeutung für die Textinterna der verschiedenen Textsorten ist dabei u. a. das Informationsgefälle zwischen Sender und Adressaten (Fachmann ⫺ Fachmann auf demselben Gebiet, Fachmann ⫺ Laie mit zahlreichen Zwischenstufen). In der Fachmann-Laie-Kommunikation muß nochmals unterschieden werden, ob der Laie lediglich zur Ausweitung seines allgemeinen Wissenshorizontes informiert werden soll, wie dies z. B. in populärwissenschaftlichen Texten der Fall ist, oder ob er (z. B. in einem Lehrbuch) in ein Fachgebiet so eingeführt werden soll, daß er auf diesem Gebiet selbst fachlich tätig werden und fachlich adäquat kommunizieren kann. In letzterem Fall muß die Einführung in das Fachgebiet mit einer Einführung in seine Begriffe und deren Benennungen verknüpft werden. Einen Überblick über die Textexterna und -interna eines breiten Spektrums von schriftlichen Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik (speziell der Kraftfahrzeugtechnik), auch in Form von Tabellen und Textsortenprofilen, bietet Göpferich (1995, 201 ff, 467 ff); Buhlmann (1985) trägt Merkmale geschriebener und gesprochener Texte der deutschen naturwissenschaftlich-technischen Fachsprachen zusammen; Munsberg (1994) behandelt speziell Textsorten der mündlichen Fachkommunikation im Bereich Chemie; zu Textsorten der Wissenschaftssprache s. Kretzenbacher (1992). 3.1. (Morpho)syntaktische Besonderheiten Als wesentliches Charakteristikum von Fachtexten, insbesondere solchen der Naturwissenschaften und der Technik, wird in der einschlägigen Literatur oftmals pauschal ein hoher Passivgehalt genannt (s. den Überblick in Göpferich 1995, 409). Das Passiv weist zahlreiche Vorzüge auf, die den Anforderun-

57. Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik: ein Überblick

gen der Kommunikation in Naturwissenschaften und Technik entgegenkommen (s. hierzu Köhler 1980; 1981). Wie stark von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, hängt jedoch stark von der jeweiligen Textsorte ab (s. Göpferich 1995, 418 ff). Als Numerus herrscht in den naturwissenschaftlich-technischen Textsorten die 3. Person Singular vor, das bevorzugte Tempus ist das Präsens, der bevorzugte Modus der Indikativ (Buhlmann 1985, 98 f). Im Dienste der für Naturwissenschaften und Technik charakteristischen Sprachökonomie steht außerdem eine starke Deverbalisierung zugunsten einer nominalen Ausdrucksweise (Nominalstil), deren Ausprägung jedoch wie die des Passivgehalts ebenfalls vom Fach(sprach)lichkeitsgrad der Textsorten abhängt (vgl. Göpferich 1995, 420 mit weiteren Literaturangaben) sowie davon, ob es sich um mündliche oder schriftliche Fachkommunikation handelt (vgl. Schröder 1992, 93 ff). Eine Charakterisierung der Syntax der englischen Fachsprache der Technik (speziell in Fachzeitschriftenartikeln) liefert Gerbert (1970), zur Syntax der deutschen naturwissenschaftlich-technischen Fachsprachen s. Buhlmann (1985, 101 f), zur syntaktischen Komplexität und der Nebensatzverteilung in Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik s. auch Göpferich (1995, 431 ff), zur thematischen Progression Klauke (1994, 93 f).

3.2. Personen-Einbezug Mit dem hohen Passivgehalt und dem Nominalstil in Zusammenhang stehen das Zurücktreten des Senders hinter den dargestellten Sachverhalt (vgl. z. B. von Hahn 1983), das sog. Ich-Verbot (vgl. Weinrich 1989, 132 ff), die Vermeidung der direkten Ansprache des Empfängers und die Eliminierung des Urhebers (Köhler 1980, 18), die sog. Agensabgewandtheit oder Deagentivierung (vgl. Gläser 1990, 57, 300; vgl. auch Ickler 1987, 23 f). Diese Charakteristika können unter dem Oberbegriff des schwachen Personen-Einbezugs zusammengefaßt werden. Auch dieses Charakteristikum ist nicht in allen naturwissenschaftlich-technischen Textsorten gleichermaßen ausgeprägt, außerdem zeichnen sich auch hier interlinguale Unterschiede sowie Unterschiede zwischen schriftlichen und mündlichen Textsorten ab (s. Göpferich 1995, 371 ff; Schröder 1992, 95 f). 3.3. Sprechakte und ihre sprachliche Realisierung Zur Verteilung und sprachlichen Realisierung von Sprechakten in Fachtexten wurde eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt

553

(z. B. Kußmaul 1990; Göpferich 1995; 1996), insbesondere auch im Rahmen der funktional-kommunikativen Sprachbeschreibung der ehemaligen DDR (z. B. Gläser 1982; Zerm 1987; Weise 1981), in der nicht von Sprechakten, sondern von Kommunikationsverfahren (KV) die Rede ist, die jedoch im wesentlichen den auf Austin und Searle zurückgehenden Sprechakten entsprechen. In den schriftlichen Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik ist eine eindeutige Dominanz repräsentativer Sprechakte (was für nahezu alle Texte gilt) und direktiver Sprechakte festzustellen. (Zur Spreckaktklassifikation s. Searle 1976, 10 ff; zur Sprechaktdelimitation und der Zuordnung von sprachlichen Mitteln zu bestimmten Sprechaktklassen s. Göpferich 1995, 318 ff bzw. 322 ff; zur Verteilung von Sprechakten und ihrer sprachlichen Realisierung in unterschiedlichen deutschen und englischen Texten der Naturwissenschaften und der Technik s. Göpferich 1995, 308 ff, sowie Göpferich 1996; zu direktiven Sprechakten in englischen Anleitungen s. auch Klauke 1994, 90 ff; zu Kommunikationsverfahren in naturwissenschaftlich-technischen Texten allgemein Buhlmann 1985, 105 f).

3.4. Nonverbale Informationsträger Einen hohen Stellenwert nehmen in naturwissenschaftlichen und technischen Textsorten auch nonverbale Informationsträger ein. Sie zeichnen sich gegenüber verbalen Informationen oftmals durch eine größere Rezeptionsökonomie aus, d. h., sie transportieren bestimmte Arten von Informationen schneller und anschaulicher als verbale Beschreibungen. Nach Ballstaedt/Molitor/Mandl (1987, 3) kann zwischen Abbildungen und Visualisierungen unterschieden werden. Ikonische Abbildungen kommen vor allem dort zum Einsatz, wo es darum geht, räumliche Beziehungen, z. B. die Anordnung von Bauteilen in Explosionszeichnungen, oder das Aussehen von Komponenten zu veranschaulichen. Ihr Vorteil gegenüber verbalen Beschreibungen besteht hier darin, daß sie die entsprechenden Informationen nicht nur rezeptionsökonomischer als verbale Beschreibungen vermitteln, sondern durch ihre Anschaulichkeit auch dem Aufbau mentaler Modelle beim Rezipienten förderlich sind. Solche ikonischen Abbildungen sind typisch für didaktisch-instruktive Texte (s. 2.), insbesondere für Wartungs-, Reparatur- und Montageanleitungen, aber auch für Patentschriften, Werkzeug- und Ersatzteilkataloge, in denen die Abbildungen zur eindeutigen Identifi-

554

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

kation der Werkzeuge und Teile beitragen, für die unter ausschließlicher Verwendung des verbalen Codes sehr lange Beschreibungen nötig wären. Die ikonischen Abbildungen stellen hier kein schmückendes Beiwerk zu den verbalen Textinformationen dar, wie dies in Werbeanzeigen oder auf der Titelseite von Anleitungen oftmals der Fall ist, sondern gehen mit den verbalen Informationen ein Komplementaritätsverhältnis ein (vgl. Ballstaedt/Molitor/Mandl 1987, 30). Je nach Textsorte und speziellem Textgegenstand kann entweder der nonverbale Code als Informationsträger dominieren, wie in manchen Montageanleitungen, oder aber der verbale Code. Abbildungen als reines schmükkendes Beiwerk sind ausschließlich in Texten niedrigen Fach(sprach)lichkeitsgrads zu finden (vgl. Kalverkämper 1993, 228; s. zu den Funktionen von Bildern in Texten auch die Klassifikation von Levin 1981 und Ballstaedt/ Molitor/Mandl 1987, 28 f). Zu den Visualisierungen zählen z. B. Stemmata (z. B. zur Veranschaulichung von Begriffshierarchien etwa in Lehrbüchern), Flußdiagramme (z. B. zur Visualisierung von hierarchischen Menüstrukturen in Software-Manuals, aber auch von Bedienschritt-Abfolgen mit Fallunterscheidungen in Anleitungen aller Art sowie zur Verdeutlichung der Gliederungsstruktur von Texten als metakommunikative advance oder post organizers [Organisationsfunktion von Bildern nach Levin 1981]), Balken-, Säulen-, Torten- und ähnliche Diagramme (vor allem zur Veranschaulichung von Relationen zwischen quantitativen Größen in nahezu allen Texten, in denen statistische Erhebungen und Meßergebnisse vorgestellt werden) sowie Tabellen (vor allem dort, wo eine Übersicht über nicht-quantitative Fakten geboten werden soll). Speziell in der mündlichen Kommunikation, in der ebenfalls auf ikonische Abbildungen und Visualisierungen verwiesen sowie zusätzlich das gesamte einem Zeigen zugängliche Umfeld in die Kommunikation einbezogen werden kann, spielt auch die Körpersprache eine Rolle (vgl. hierzu Kalverkämper 1993, 219 f; und Munsberg 1994). Sie kann in mündlicher Kommunikation oftmals die Funktion übernehmen, die in schriftlicher Kommunikation Abbildungen und Visualisierungen zukommt. In Anbetracht des oftmaligen Komplementaritätsverhältnisses von verbalen und nonverbalen Informationen in fachlichen und fachbezogenen Texten erscheint es sinnvoll, den Textbegriff nicht als rein linguistischen Be-

griff, reduziert auf die verbalen Informationen, zu definieren, sondern ihn in einen semiotischen, unterschiedliche Zeichensysteme umfassenden Begriff zu überführen (vgl. Kalverkämper 1993, 222, 230).

4.

Literatur (in Auswahl)

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555

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556

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

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Susanne Göpferich, Karlsruhe

58. Fachtextsorten der Techniksprachen: die Patentschrift 1.

2. 3. 4. 5.

Einleitung: die Funktion der Patentschrift in der wissenschaftlich-technischen Entwicklung Linguistische Merkmale der Fachtextsorte Patentschrift Historische und interkulturelle Aspekte der Patentschrift Ausblick Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung: die Funktion der Patentschrift in der wissenschaftlich-technischen Entwicklung

Patentschriften sind eine stark verbreitete Textsorte des technischen Schrifttums. Die Patentergiebigkeit in der industriellen Pro-

58. Die Patentschrift als Fachtextsorte

duktion ist auch ein Gradmesser des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Nach den Ermittlungen von Schamlu (1985, 63) befanden sich 1985 beim Deutschen Patentamt bereits 20 Millionen Patente, zu denen jährlich ca. 50 000 neue Anmeldungen hinzukommen. Geisler (1988, 136) vermerkt einen jährlichen Zugang von über 150 000 Erfindungsbeschreibungen in russischer, über 90 000 in englischer, 12 000 in französischer und 200 000 in japanischer Sprache. Alle diese Dokumente werden nach einer internationalen Patentklassifikation registriert. Als Kriterien für die Patentfähigkeit einer technischen Erfindung gelten, daß sie tatsächlich neu ist, auf erfinderischer Tätigkeit beruht und gewerblich (letztlich industriell) anwendbar ist (Schamlu 1985, 75). Patentschriften sind sowohl technische Erfindungsbeschreibungen (Spezifikationen) als auch juristische Dokumente, da sie einerseits eine Fachtextsorte des Kommunikationsbereiches Technik bzw. eines seiner Teilgebiete darstellen und andererseits den Rechtsumfang festlegen, auf den der Antragsteller Anspruch erhebt (vgl. Rudenko 1973). Das Patentrecht ist eine Disziplin der Rechtswissenschaften und gehört zum Zivilrecht. Die Patentschrift ist eine konventionalisierte bzw. normierte fachübergreifende Textsorte der Kommunikationsbereiche Technik (wissenschaften) und Rechtswesen, mit deren Hilfe ein Patentverfahren einer von einer Einzelperson oder einer Personengruppe eingereichten Erfindung und das alleinige Herstellungs- und Nutzungsrecht des Erfinders erreicht werden sollen. Das Patent ist das an einen Erfinder oder seinen Rechtsnachfolger vom Staat erteilte, zeitlich begrenzte alleinige Recht der wirtschaftlichen Verwertung einer Erfindung. Die Patenturkunde ist das dokumentierte Ergebnis eines komplizierten Kommunikationsvorganges der Beantragung, Prüfung und Entscheidungsfindung über einen Patentantrag.

2.

Linguistische Merkmale der Fachtextsorte Patentschrift

Die Patentschrift kann als Musterbeispiel für standardisierte Textsorten der fachinternen Kommunikation und für eine weitgehende „Stereotypie in der Textkomposition“ (Geisler 1988, 137) angesehen werden. Sie ist auch ein Beweis für Fachsprache als restringierter Code und für den Ausschluß von Variations-

557 möglichkeiten des Sprachgebrauchs. Da Patentschriften einen hohen Spezialisierungsgrad haben und nur an Fachleute gerichtet sind, hat die standardisierte Fachtextsorte Patentschrift keine Textsortenvarianten auf einer niederen Abstraktionsebene, so daß sie auch keine populärwissenschaftliche Darstellung zuläßt (vgl. Göpferich 1992, 198). Die sprachliche Normierung der Patentschrift äußert sich im Textaufbau, der Verwendung lexikalischer und syntaktischer Mittel und in bestimmten stilistischen Gepflogenheiten. Als linguistische Besonderheiten englischsprachiger Erfindungsbeschreibungen nennt Rudenko (1973, 57) die Verwendung bestimmter Satzmuster; das Vorkommen von synonymen und polysemen Wörtern; den Gebrauch von „Kanzleiwörtern und Archaismen“ und von grammatischen Konstruktionen der ersten Person (z. B. bei Formulierung des Patentanspruchs). Geisler (1988) erachtet als relevante Merkmale die Eindeutigkeit, Objektivität und Zweckmäßigkeit der Formulierungen, die Komprimierung der Information und Normierung der Textstruktur. Er registriert aber auch die Mehrdeutigkeit von Termini und die Vermeidung von Autorneologismen, Metaphern und Abkürzungen. Da Patentschriften hinsichtlich der Urheberschaft einer Erfindung auf einen Rechtsanspruch abzielen, haben sie einen stark argumentativen Charakter. Das Spannungsfeld zwischen Proponent (dem Anbieter) und Opponent (dem Experten des Patentamtes) untersucht Schamlu (1985) in einem größeren argumentationstheoretischen Zusammenhang. Liu (1992) lenkt die Aufmerksamkeit auf die Deixis in Patentschriften als „fachsprachliche Zeige- und Verweisstrukturen“. Die stereotype, aber einzelsprachlich auch differenzierte Abfassung von Patentschriften ist nicht zuletzt ein relevantes Problem für den Ingenieur, der die neueste Fachliteratur im Patentwesen auszuwerten hat (Gräf/ Schramm 1975), und für den Fachübersetzer (Rudenko 1973; Klimzo 1976; Geisler 1988), der lexikalische und phraseologische Entsprechungsbeziehungen erkennen und Äquivalenzbeziehungen im Sinne der pragmatischen Adäquatheit des zielsprachlichen Textes herstellen muß. 2.1. Makrostruktur Die stereotype Abfassung von Patentschriften, die besonders in der Makrostruktur und in bestimmten Wendungen ihren Ausdruck

558

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

findet, resultiert aus den Anforderungen der Rechtssprache an diese Fachtextsorte. In Großbritannien und den USA gelten jeweils spezifische staatliche Verfügungen und Ausführungsbestimmungen für Patentschriften (patent applications), woraus sich deutliche kulturelle Unterschiede ergeben. 2.1.1. Amerikanische Patentschriften Amerikanische Patentschriftem richten sich in allen wichtigen Punkten nach den Anmeldebestimmungen, die unter der Bezeichnung Rules of Practice in Patent Cases bekannt und mit einer Änderungsverordnung seit 1967 in Kraft sind. Der Anmelder kann sich darüber hinaus an einem Leitfaden für die Abfassung einer Patentschrift orientieren. Die Makrostruktur einer amerikanischen Patentschrift besteht aus einer fixierten Abfolge inhaltlich und funktional begründeter Textsegmente. Ein wesentlicher Unterschied gegenüber britischen (und deutschen) Patentschriften ist das Patentreferat bzw. Abstract. Es ist ein abgeleiteter Text und stellt für den Zweck der Information und Dokumentation die hauptsächlichen Merkmale der Erfindung oder Neuentwicklung und ihrer Funktion dar. Sein Umfang beträgt 50 bis 250 Wörter. Die Makrostruktur einer amerikanischen Patentschrift ist folgendes Textablaufschema: ⫺ Titel der Erfindung / Name des Erfinders; weitere verwaltungstechnische Daten ⫺ Patentreferat (abstract of disclosure) nebst Nennung der Zahl der Patentansprüche und der graphischen Darstellungen (claims; drawing figures) ⫺ Verwandte Patentanmeldungen (Cross-references to Related Applications) (fakultatives Textsegment) ⫺ Ausgangssituation der Erfindung (Background of the Invention) 1. Gebiet der Erfindung (Field of the Invention) 2. Darlegung des Standes der Technik (Description of the Prior Art) ⫺ Zusammenfassende Beschreibung der Erfindung (Summary of the Invention) ⫺ Kurze Beschreibung der Zeichnung/en (Brief Description of the Drawing/s) ⫺ Beschreibung der bevorzugten Ausführungsform/en (Description of the Preferred Embodiment/s) ⫺ Punkte des Patentanspruches (Claims) ⫺ Zeichnungen (Drawings) (vgl. Gräf/Schramm 1975, 181).

Die einzelnen Textsegmente werden durch Zwischenüberschriften hervorgehoben.

2.1.2. Britische Patentschriften Die Makrostruktur einer britischen Patentschrift ist folgendermaßen gegliedert: ⫺ Titel der Erfindung und verwaltungstechnische Daten (Introduction to the Specification; Inventor; Date of Application and Filing Complete Specification; Complete Specification Published; Crown Copyright; Index at Acceptance; International Classification) ⫺ Antragsformel mit einem stereotypen Wortlaut: „We (Name der Firma oder des Antragstellers als Einzelperson), a corporation organized under the laws of (Nennung der Adresse des Unternehmens), do hereby declare the invention, for which we pray that a patent may be granted to us, and the method by which it is to be performed, to be particularly described by the following statement: […]“ ⫺ Ziel der Erfindung ⫺ Bisheriger Stand der Forschung (oder der Technik) ⫺ Eingehende Beschreibung des Neuheitswertes der Erfindung ⫺ Illustration der Erfindung durch Beispiele (Vorgangsbeschreibungen) ⫺ Patentansprüche (claims) ⫺ Graphische Darstellung als Anhang. (vgl. auch Gläser 1979, 111 f).

2.1.3. Russische Patentschriften Das in der ehemaligen Sowjetunion eingebürgerte Textablaufschema russischsprachiger Patentschriften für ausländische Anmelder (opisanie k patentu) stimmt in wesentlichen Textsegmenten mit der Makrostruktur amerikanischer und britischer Patentschriften überein. Es unterscheidet sich aber von den lange Zeit im Russischen üblichen Urheberscheinen (opisanie izobretenija k avtorskomu svidetel’stvu). Die Makrostruktur der russischen Patentschrift ist nach den Untersuchungen von Geisler (1988, 138) folgende: „0. Titel der Erfindung; 1. Gebiet der Technik, auf das sich die Erfindung bezieht, sowie das vorzugsweise Anwendungsgebiet der Erfindung; 2. Abhandlung des Standes der Technik und Charakteristik analoger Erfindungen; 3. Charakteristik des gewählten Prototyps im Vergleich mit den Resultaten der Vervollkommnung, die in der gegebenen Erfindung enthalten sind; 4. Kritik des gewählten Prototyps; 5. Zweck und Ziel der Erfindung; 6. Wesen der Erfindung und ihre Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem Prototyp; 7. Verzeichnis der Abbildungen der graphischen Darstellungen; 8. Beispiel der konkreten Ausführungen im statischen Zustand und in ihrer Funktionsweise;

58. Die Patentschrift als Fachtextsorte 9. technisch-ökonomische und anderweitige Effektivität der Erfindung; 10. Erfindungsanspruch; 11. Literaturangaben.“

2.1.4. Deutsche Patentschriften Aufschluß über die Struktur und die sprachlichen Mittel deutscher Patentschriften gibt die Untersuchung von Schamlu (1985). Sie gründet sich auf das „Merkblatt für den Patentanmelder“, Ausgabe 1981, das auf das „Patentgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980“ und die „Verordnung über die Anmeldung von Patenten vom 29. Mai 1981“ Bezug nimmt. Das Materialkorpus Schamlus sind 61 Dokumente deutscher Antragsteller zu Neuentwicklungen von Lehrmaterialien. Auffällig an der Makrostruktur der untersuchten Patentschriften ist das Fehlen des Patentreferates, obwohl das „Merkblatt“ die Möglichkeit, eine „Zusammenfassung“ nachzureichen, einräumt. Die einzelnen Textsegmente, die der Patentanmelder berücksichtigen muß, bilden die inhaltlichen „Blöcke“ der Patentschrift: Patentanspruch ⫺ Gattung (Einordnung der Erfindung) ⫺ Anspruch (Formulierung spezifischer Merkmale der Erfindung) ⫺ Beschreibung ⫺ Gattung (Beschreibung des Erfindungsgegenstandes) ⫺ fakultative Einleitung (implizite Kritik des Standes der Technik) ⫺ Stand der Technik ⫺ Kritik des Standes der Technik (Argumentation) ⫺ Aufgabe der Erfindung (Nachweis des Neuen) ⫺ Lösung der Aufgabe der Erfindung (Nachweis, wie der Erfindungsgegenstand funktioniert) ⫺ Vorteile der Erfindung (Darstellung der Ausgestaltung der Erfindung) ⫺ Beschreibung der Zeichnung/en als Ausführungsbeispiel ⫺ Ausführungsbeispiel (Verweis auf Zeichnung/en) ⫺ Beschreibung der Zeichnung im Detail (vgl. Schamlu 1985, 116).

Die Reihenfolge dieser „Blöcke“, die auch die typographische Gliederung der Druckseite bestimmt, ist genau festgelegt. 2.2. Syntaktische und stilistische Merkmale Überaus charakteristisch für die Textsorte Patentschrift sind stereotype Formulierungen in Gestalt syntaktischer Fertigstücke, stereotyper Wendungen und Schablonen. Diese sprachlichen Mittel stehen in engem Zusammenhang mit einem Inhaltselement der

559 Makrostruktur. Das Textsegment „Gegenstand der Erfindung“ weist folgende Wendungen auf: This invention relates to the production of […]; This invention provides an apparatus for […]; The present invention deals with […]; The present invention is directed to […]; This invention comprises […]; Die Erfindung betrifft […]; Die Erfindung bezieht sich auf […]; izobretenie otnositsja k oblasti […] i mozˇet byt’ ispol’zovano dlja […] pri […] v kacˇestve […];

Im Textsegment „Ziel der Erfindung“ sind folgende stereotype Ausdrücke erwartbar: The object of the invention is […]; The invention aims at […]; The invention seeks to improve devices […] oder unpersönliche Einleitungssätze wie: It is the object of the invention to provide […]; It is another object of the invention to provide a novel method […]; It is a further object of the invention […]; Die Aufgabe der Erfindung liegt darin, daß […]; Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde […]; cel’ izobretenija ⫺ povysˇenie nadezˇnosti raboty ustrojstva […]; Cel’ju izobretenija javljaetsja […]

Im Textsegment „Wesen der Erfindung“ und „Beschreibung der bevorzugten Ausführungsformen“ sind argumentierende sprachliche Mittel vertreten. Bei der Beweisführung verwenden die Antragsteller häufig Konditional- und Temporalsätze, wie sie im wissenschaftlichen oder technischen Zeitschriftenartikel üblich sind, und variable Sprachmittel für den Ausdruck einer Ursache-Folge-Beziehung. Im Englischen sind deiktische Elemente wie whence, since, therefore, thus typisch; Partizipialkonstruktionen und Adverbialbestimmungen geben Begleit- und Folgeerscheinungen eines physikalischen oder chemischen Vorganges wieder: by baking […]; by utilizing […]; upon settling […]; under certain circumstances, according to a certain feature […] Mit Bezug auf den „Stand der Technik“ sind im Deutschen vor allem Gradadverbien (nur, lediglich, ausschließlich) und Negationen (nicht, kaum) üblich; außerdem werden wertnegative und wertpositive Adjektive (begrenzt, prinzipiell ungeeignet, umständlich, nachteilig; einfach, dynamisch, lebendig, interessant) sowie konnotierte Verben (fehlen, beeinträchtigen) und Nominalgruppen (höchstmögliche Effizienz, einfache Bedienung, begrenzte Anzahl) verwendet. Im Textsegment „Beschreibung der Zeichnungen“ ist der Anmelder eines Patents bemüht, die Illustrationen voll in den verbalen Text zu integrieren und übersichtlich zu beschreiben, was seinen

560

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Ausdruck in Parallelkonstruktionen von Aussagesätzen, die mitunter sogar eine definitorische Funktion haben können, findet: Figure 1 is a perspective view partially in section of an apparatus for forming films in accordance with our invention; Figure 2 is an enlarged side elevational view partially in section of a portion of the apparatus shown in Figure 1; Figure 3 is a sectional view of a substrate with a thin film thereon formed in accordance with our invention; […]; Fig. 3 eine perspektivische Ansicht […]; Fig. 4 einen Querschnitt eines Teils […]; Fig. 5 einen Querschnitt durch einen Teil […]; Na fig. 1 predstavlena (pokazana, privedena, izobrazˇena) strukturnaja (funkcional’naja) schema. Na cˇertezˇe izobrazˇena schema.

Britische Patentschriften ⫺ im Unterschied zu amerikanischen ⫺ verwenden in starkem Maße Archaismen in der Funktion von Demonstrativ- und Relativadverbien, die heute nur noch in der Rechtssprache und im Civil Service English üblich sind: therein, therefore, wherein. Gegenüber Umschreibungen (in this, by now/up to the present time; in which) haben sie jedoch den Vorteil der Sprachökonomie, der leichteren Handhabbarkeit und des eindeutigen Referenzbezugs: here- :

superconductive device as used herein means […]; hereinbefore described; hereinafter referred to; it has heretofore been the usual practice […] there- : was dissolved therein; a nonfading image has formed thereof; has thereover formed a film; vapor depositing thereon; […] may have apertures therethrough; therewith by reaction; a […] polymer isolating film thereinbetween; where- : wherein a cross-linking reaction is initiated; whereupon the mixture was poured at once in icewater; whereby it was fed into the interior of quartz tube 14.

Aus der Rechtssprache stammen außerdem die in der Erfindungsbeschreibung üblichen Ausdrücke aforementioned (the aforementioned article) and said (the said apparatus). Der Patentanspruch bildet in britischen, amerikanischen und russischen Patentschriften das abschließende Textsegment. In deutschen Patentschriften steht er am Anfang. In britischen Patenten wird er durch die typographisch hervorgehobene Formel „WHAT WE CLAIM IS:“ eingeleitet. In amerikanischen Patenten erscheint dagegen im fortlaufenden Text die Formel I claim […]/ We claim […]/ What we claim is: […]/ What is claimed as new and desired to be secured by Letters Patent of the United States is: […] Insgesamt gilt für die Syntax von Patent-

schriften, daß die Primärnomination stark ausgeprägt ist und Pronominalisierungen nach Möglichkeit vermieden werden. Der Aussagesatz mit rechts- und linkserweiterten nominalen Wortgruppen (Dederding 1982) ist der bestimmende Satztyp. 2.3. Lexikalische Merkmale Das Vokabular einer Erfindungsbeschreibung als Textsegment der Patentschrift besteht je nach Fachgebiet zu einem großen Teil aus Termini, chemischen und sonstigen Nomenklaturzeichen. Physikalische und chemische Vorgänge werden durch genaue Mengen-, Maß- und Temperaturangaben und in einer präzisen Reihenfolge der Arbeitsschritte, die zu einer verbesserten Darstellungsmethode führen sollen, beschrieben. Eine wichtige Rolle bei der Verwendung von Fachbegriffen spielen Definitionen. Sie gewährleisten eine zweifelsfreie Auslegung des Patentantrags und bilden die Grundlage für dessen Beurteilung und Genehmigung: The value of the magnetic field which causes a superconductive metal alloy held below its critical temperature to change back to resistive state is called the critical field. Additionally it is to be understood that the term “super-conductive device” as used herein means any combination of a gate member carrying electric current (vgl. Gläser 1979, 113).

Sofern in Patentschriften polyseme Bezeichnungen auftreten, beziehen sie sich auf solche Fachbegriffe, deren Grenzen ohnehin unscharf sind und erst in dem fachlichen Kontext monosemiert werden, sowie auf Begriffe und Benennungen des sogenannten allgemeinwissenschaftlichen Wortschatzes, z. B. apparatus, device, equipment, method, procedure; Gerät, Verfahren. Synonyme Bezeichnungen werden vorzugsweise bei der Angabe des Ziels der Erfindung (aim, object in der Bedeutung von “objective”) und der Bezeichnung von Mängeln vorgängiger Erfindungen verwendet (default, defect, deficiency, detriment, disability, disadvantage, drawback, fault, failing, failure, inadequacy, nuisance, objection, shortcoming, weakness; Fehler, Mangel, Unzulänglichkeit). Als Synonyme für das Wesen (“spirit”) einer Erfindung sind im Englischen üblich: character, contemplation, genus, heart, intent, meaning, principle, purpose, subject, tenor; für den Einzugsbereich (“scope”) oder das Ausgangsgebiet der Erfindung können solche Bezeichnungen verwendet werden wie extent, range, realm, sphere, terms (vgl. Rudenko 1973, 58). Die für briti-

561

58. Die Patentschrift als Fachtextsorte

sche Patentschriften charakteristischen Archaismen (therein, whereupon) stellen zugleich eine syntaktische Erscheinung dar (vgl. Abschnitt 2.2.). Hinsichtlich der Verteilung der Wortarten in russischen Patentschriften hat Geisler (1988, 143) festgestellt, daß hier das Substantiv aufgrund seiner Bezeichnungsfunktion mit 51% eindeutig dominiert. Als weitere Durchschnittswerte für die „relative Häufigkeit der Wortarten“ werden genannt: „Adjektive (17%), Präpositionen (10,5%), finite Verben (1,5% ⫺ sic!), attributiv und prädikativ verwendete Partizipien (7%) und übrige Wortarten (Konjunktionen, Adverbien, Pronomen, Numeralien ⫺ 13%).“

3.

Historische und interkulturelle Aspekte der Patentschrift

Die Patentschrift hat ihren historischen Ursprung in den Schutzbriefen (“litterae patentes”) des Mittelalters, mit denen der Landesherr bestimmte Privilegien, darunter auch für Erfindungen, vergab. Diese Schutzbriefe wurden öffentlich verlesen. Sie waren mit einem besonderen Siegel versehen. Nach der Darstellung von Schamlu (1985) leitet sich die Bezeichnung Patent von dem lateinischen Adjektiv patens („offen, frei, unversperrt, offenbar“) ab, das auf das Verb patere („offenstehen, zugänglich sein, vor Augen liegen“) zurückgeht. Der Schutzbrief war im späten Mittelalter, in der Zeit der Renaissance und der Aufklärung in England und Italien, in den Niederlanden und Frankreich eine wichtige Grundlage für die Nutzung technischer Erfindungen. In Preußen wurden erst um 1800 vergleichbare Privilegien für Erfindungen verliehen. Bis in das 19. Jahrhundert (genauer: bis 1879) war es nach den Feststellungen von Bazerman (1992) in den USA noch üblich, daß ein Erfinder seine Neuentwicklung dem United States Patent Office in Briefform mit der unspezifizierten Überschrift “To all whom it may concern” mitteilte. Ein konventionalisiertes Textschema für eine Patentanmeldung existierte noch nicht, aber der Brief enthielt die Textsegmente “statement of the prior art”, “detailed description of the invention” und “precise individual claims of novelty to be secured”. Der Antragsteller bevorzugte eine persönliche Ausdrucksweise, wie sie die Briefform zuläßt, z. B. Formulierungen wie “At some time I had this idea”. Die Formel

des Patentanspruchs lautete aber bereits: “I claim as my invention.” Dabei war es Brauch, daß der Antragsteller Zeugen für seine Erfindung anführte. Bazerman untersucht die amerikanische Patentschrift in ihren historischen und modernen Beziehungen zum Diskurs der Technik(wissenschaften), des Rechtswesens und des Finanzwesens.

4.

Ausblick

Patentschriften sind eine Fachtextsorte, deren interfachliche Bezüge sinnvollerweise interdisziplinär untersucht werden sollten. Obwohl diese Fachtextsorte in ihrer Makrostruktur in der Art und Abfolge der Textsegmente weitgehend international standardisiert ist, gibt es doch nationale Unterschiede, was sich besonders in der Verwendung des Patentreferats (Abstract) zeigt, das in britischen Patenten nicht vorkommt und in deutschen Patenten erst in der jüngsten Vergangenheit eingeführt worden ist. Andererseits gibt es kulturspezifische Traditionen in der Verwendung von Archaismen und stereotyper Formeln für den Patentanspruch. Nicht zuletzt gibt die Patentschrift durch ihre historischen Vorläufer, die landesherrlichen Schutzbriefe und die privaten Anmeldungsbriefe in diachronischer Sicht Aufschluß über den Werdegang einer weitestgehend standardisierten Fachtextsorte.

5.

Literatur (in Auswahl)

Bazerman 1992 ⫽ Charles Bazerman: Performatives Constituting Value: The Case of Patent. In: Discourse and the Professions. International Conference 26⫺29 August 1992, Uppsala, Sweden. Abstract. Dederding 1982 ⫽ Hans-Martin Dederding: Wortbildung, Syntax, Text. Nominalkomposita und entsprechende syntaktische Strukturen in den deutschen Patent- und Auslegeschriften. Erlangen 1982. Geisler 1988 ⫽ Werner Geisler: Zur Spezifik russischsprachiger Patentliteratur. In: Fachsprache 10. 1988, 136⫺144. Gläser 1979 ⫽ Rosemarie Gläser: Die Patentschrift. In: Fachstile des Englischen. Leipzig 1979 (Linguistische Studien), 111⫺116. Göpferich 1992 ⫽ Susanne Göpferich: Eine pragmatische Typologie von Fachtextsorten der Naturwissenschaften und der Technik. In: Kontrastive Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Klaus-Dieter Baumann und Hartwig Kalverkämper. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20), 190⫺210, bes. 198.

562

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Gräf/Schramm 1975 ⫽ Karl Gräf / R. Schramm: Hinweise für die Inhaltserschließung von USAPatentschriften. In: der neuerer 12, B 75, 181⫺182; 187⫺188.

Rudenko 1973 ⫽ S. D. Rudenko: Besonderheiten der Übersetzung von Patentschriften der USA und Großbritanniens. In: der neuerer 22. 1973, 4, Beilage, 57⫺59.

Klimzo 1976 ⫽ B. N. Klimzo: Perevod patentov (Osobennosti struktury, jazyka i perevoda opisanij izobretenij, prilagaemych k patentam SSˇA i Velikobritannii: Kurs lekcij. Moskva 1976.

Schamlu 1985 ⫽ Mariam Schamlu: Patentschriften⫺Patentwesen. Eine argumentationstheoretische Analyse der Textsorte Patentschrift am Beispiel der Patentschrift zu Lehrmitteln. München 1985.

Liu 1992 ⫽ Yongdong Liu: Fachsprachliche Zeigeund Verweisungsstrukturen in Patentschriften. München 1992 (Studien Deutsch 14).

Rosemarie Gläser, Leipzig

59. Types of subject-specific informational texts I: The weather report in daily newspapers 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Weather reports ⫺ a minilect Studies of weather reports Macrostructure Text and picture Syntax Vocabulary and choice of words Conclusion References

1.

Weather reports ⫺ a minilect

The weather reports in daily newspapers are, in spite of their broad public, to be regarded as an LSP type of text, for one thing because of the many phrases used as meteorological terms even though the individual words that make up the phrases are conceived of as part of general language. Weather reports can also be classified as LSP text because of the well worked out and nowadays fairly clear and unambiguous symbols and icons and because of the special charts illustrating each weather report in a daily paper. All this also demands a certain amount of expert knowledge in the recipient. Apart from its technicality, the language of weather reports is a good example of a minilect (cf. Nordman 1993). The weather reports in daily papers are a result of unconscious language regulation, the aim of which is to enable rational communication and to ensure comprehension. This type of language regulation, which has demanded a long-range perspective, manifests itself in certain principles and in a broad outline. The texts display a certain flexibility, as they are the result of a natural development, but have nevertheless in time become more and more stereotyped on different planes. A certain standardization is obvious in the

structure of the texts and in the restricted choice of content components, but also on the syntactic and lexical planes. Such unconscious language regulation is produced by those who actively use the language, by the specialists themselves, and the way in which language is used directs the development. The parties involved in the communication can fall back on an extensive stock of shared background knowledge and therefore there is no need to outline any comprehensive context for the text. Linguists need not be involved in the unconscious language regulation process.

2.

Studies of weather reports

Weather reports belong to the group of minilects which researchers have shown great interest in, not least with regard to translation. One of the reasons for this is that when it is a question of weather reports there is a need for a quick and reliable translation from one language into another. Weather reporting takes place daily, in some cases several times a day, and must provide quick and effective information about weather conditions, also taking into account forecasts for areas outside the country concerned. In weather reporting international cooperation is of the greatest importance. Just because of their international scope, weather reports have provided material for experiments in computeraided translation. One of the difficulties with computer-aided translation is that the structure of the weather reports is to some extent culturally tinged. A Scandinavian or German weather

59. The weather report in daily newspapers

report is strictly matter-of-fact and rough in character, while, for instance, a French report approaches literary style and contains emotive elements and some stylistic variation (Spillner 1983 b, 110 ff; Spillner 1983 a, 22 ff). In some minilects there is a tendency to abandon the norm of the native language in favour of some kind of cross-cultural norm (cf. Kittredge 1982, 108, 129). If this tendency prevails, as seems likely with regard to weather reports, computer-aided translation will at the same time become much easier to carry out. Bla˚berg (1991, 22 ff) discusses weather reports as the material for computer translation and gives an account of the translation between Finnish and Swedish which is taking place at the Finnish Meteorological Institute. He points out that it is relatively easy to translate from Finnish into Swedish, as there is no pronounced semantic asymmetry or ambiguity in the weather reports. In Sweden, as part of the Swedish Computer Translation Research project, an automatic translation program between Swedish and English has been worked out for weather reports (Weathra); different problems and arguments in relation to this are dealt with in Sigurd/Eeg-Olofsson/Willners et al. (1992). Weather reports as a text type have been studied, for instance by Sandig (1970) and Spillner (1983 b). Spillner (1983 b) presents a detailed contrastive study of German and French weather reports and notes considerable differences in the textual convention, even in different grammatical practices. German pays more attention to processes and favours a strict and terse structure, while French is characterized by centralism, stylistic susceptibility and versatility. Sandig (1971; 1978) often refers to her familiarity with studies of weather reports and Spillner (1983 a) illustrates his reflections on LSP research with examples from weather reports. Both Kittredge/Lehrberger (1982) and Grishman/Kittredge (1986) time and again come back to weather reports and discussions of them, and their arguments are in both cases related to computer linguistics and computer-aided translation. Weather reports, primarily from a descriptive linguistic point of view, have been focused on in Nordman (1994 b) and Nordman (1996), in which Swedish weather reports are the centre of interest, but contrastive aspects are also taken into account. Weather reports as a form of unconscious LSP regulation are discussed in Nordman (1994 a). Many other researchers besides those mentioned above also touch on weather reports, albeit more sporadically, often as examples of text genres as in Sanders (1977, 112 f) and Brinker (1985, 133 ff).

3.

Macrostructure

The weather reports are provided with different types of headings. For instance the

563 German Frankfurter Allgemeine consistently uses Das Wetter as the main heading. The English Guardian simply writes Weather while The Sunday Times has a longer variant Weather and travel outlook. This brief and compressed type of heading is also used in several of the Scandinavian dailies, but the Swedish papers especially tend to include in the heading the special features characterizing the present weather (Nordman 1994 b, 132 f). This freer type of heading breaks the strict stereotypic pattern, but nevertheless conforms to a clearly informative trend. In the daily papers subheadings occur at different levels, usually in boldface. In these subheadings, the same newspaper always and in the same way either focuses on the region which the report concerns or specifies whether it is a question of the general weather conditions, the present weather or the outlook for the next day. Most researchers who have studied weather reports have noticed a typical division into two of the text function in the texts. This division can be realized both explicitly and implicitly. Brinker has noted that in his material the first part of the weather report consists of the actual report part in which the immediate weather situation is described, after which follows the forecast (cf. Brinker 1985, 135). Sandig and Spillner as well as Nordman also note this division into report and forecast (Sandig 1970, 179 ff; Spillner 1983 b, 114 f; Nordman 1994 b, 136). The structure of a weather report is affected by the fact that the writer wants to fulfil the reader’s expectations. A weather report must give the reader quick information. Readers’ requirements are dictated by their regional attachment, which makes them primarily interested in facts and events in their own region. They are used to finding these data in a certain place and in a certain form in the forecast. Therefore structural differences can even be found in reports in different newspapers in the same country (Nordman 1994 b, 136 ff). This also explains for instance why Italian and French weather reports have a different structure. The German weather reports have a chronologicalpresenting structure, while the French have a dialectic-reasoning one (Spillner 1995, 67). As regards the Scandinavian reports, the similarity with the German ones is greater than that with the French ones. The chronological manner of presentation is marked. Weather reports are thus characterized by a stereotyped structure which can be seen at

564

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

all levels, from the sequence of facts within the texts to the utmost macrostructure, but this stereotyped structure often depends on language and culture.

4.

Text and picture

Kalverkämper (1993, 218) notes that it is no longer possible to conceive of for instance weather reports without illustrations. That this assertion is well justified can be seen in every weather report in the daily papers. The number of charts in each report varies. Material comprising Scandinavian and German weather reports shows a variation of 1⫺8 charts per report (Nordman 1996, 198). A weather chart is expected to represent graphically the linguistic information provided by the verbal report. The weather charts are usually conventionally two-dimensional, but Tufte (1991, 9, 28 f) discusses other ways of presenting multidimensional material on a flat sheet of paper. Examples are Japanese weather charts based on the profile of the country seen from the ocean and weather reports consisting of highly informative graphics giving an impression of quantitative depth and statistical integrity. Every conventional chart is accompanied by a set of symbols and icons. The selection and definitions of icons vary with different newspapers, as does the graphical form of symbols and icons. Symbols and colours give the informative content to the charts, which enables text and pictures in the weather reports to interact and supplement each other. The chart stands for the idea that all localities are equally important. Even if text and chart appear simultaneously, the person who writes the text must decide on the point of departure for the description. The text/picture relation which thus arises provides as a result of the interrelationship interesting insights into culturally based geographical strategies. The German Frankfurter Allgemeine, for instance, tends to focus on the weather in river valleys and in mountainous regions, while Berliner Zeitung consistently emphasizes the Berlin-Brandenburg area. Norwegian, Swedish and usually also Icelandic newspapers present the weather report starting in the north-west, and then proceed from left to right and from top to bottom, that is, observing the normal direction of reading (cf. Nordman 1996). Finnish and English weather reports in the dailies begin from the

south-west and proceed eastwards and northwards. Weather charts provide in a concrete and concentrated form a rapid and clear picture of the weather conditions and their probable evolution for any reader irrespective of language, as long as the system of symbols is fairly well standardized. On the other hand, it is not equally possible to present nuances and precise details by a chart as by a text. There is no one-to-one relation between text and picture. In the text it is possible to include dynamic elements by linguistic means, while a chart is definitely more static in character. Arrows representing air currents and the notations referring to cold and warm fronts nevertheless give a picture hinting at major dynamic changes in the evolution of weather conditions. Parallel charts with information on the weather at two different points of time also indicate a certain degree of dynamic motion thanks to the parallelism in the presentation (cf. Nordman 1996). The textual parts of the weather reports on the other hand have a clear dynamic character, which at the same time contributes to the narrative character of the text. In different investigations (Brinker 1985, 134; Eeg-Olofsson 1992, 62 ff; Nordman 1996), the following narrative and dynamic elements have been observed: specifications of time (kommende Nacht; tonight), specification of place (in Flußtälern; for the higher hills), markings of uncertainty (vor allem im Rheinland, kaum über 15 Grad; some sunshine, mostly cloudy), markings of intensity (beste Fernsicht; frequent heavy showers). In the reports, there are, furthermore, expressions denoting evolutions which for their part emphasize the dynamic nature of the report, for instance dynamic verbal nouns or participles in attributive position (Nebelverstärkung; scattered showers), dynamic verbs (klart es auf; turning colder), expressions for sequence (zunächst⫺ später; later), and prepositions creating a dynamic relation (oberhalb 700 bis 1000 Metern Höhe; a gusty west to southwest wind). With regard to content, the markings referring to the connection between text and picture are in most weather reports limited to three primary factors: the wind direction, the degree of cloudiness/precipitation and temperature. The Scandinavian weather reports nowadays follow this order. The same selection of informational items, albeit in a different order, has been previously noted by Willners (1992, 53). In English weather re-

565

59. The weather report in daily newspapers

ports the first item is the degree of cloudiness/precipitation, then follows information on the wind, and lastly temperature is mentioned. The German reports, on the other hand, usually start with the degree of cloudiness/precipitation and then indicate temperature and finally wind direction. In some weather reports text and chart are also graphically linked. This is the case for instance in Swedish dailies, which present a division into 12 numbered and clearly delimited zones with 12 corresponding weather reports. In this way, a close connection is created between text and chart. Usually a permanent district division is used in the weather reports, as for instance in some German and English papers, but in others the division varies depending on the weather conditions, as for instance in Finnish weather reports. In these cases the chart-reader is expected to be familiar with the division into districts. Without regional knowledge it is impossible for the reader of the chart to make use of the combination of text and picture. Icelandic reports operate with the cardinal points and thus enable even a locally uninitiated person to cope with the interrelation between text and picture.

Every weather report in a daily paper can thus be seen as an object where the chart is in many respects static while the narrative text adds a variety of dynamic elements to the report. The weather reports are, from the standpoint of the recipient, based on a concurrence of text and picture. Syntactically, the weather chart is nevertheless subordinated to the more dynamic and informative text, in which the words are functional and therefore cannot be dispensed with in the narrative whole. Morphologically, weather reports represent a separation between text and chart, but between these two prevails a strong interrelation where wind direction, degree of cloudiness/precipitation and temperature mark the connection and where the overall structure of the text still in some way conforms to the terms established by the chart.

5.

Syntax

The syntax in the report and forecast parts of the weather reports can be expected to differ. Material culled from Swedish dailies shows that the sentences in the report part are usually complete, having a subject and a predicate (Nordman 1994 b, 141). This has also been found to be the case in the French and German material collected by Spillner

(1983 b, 114 f), even if the practice may vary in different dailies. The tense forms in the sentences almost without exception refer to present or future time (cf. Nordman 1994 b, 141; Sandig 1971, 55). In the forecast part the sentences are noticeably shorter than in the report part. The forecasts are almost invariably made up of sentence fragments where a subject and/or predicate can be supplied. The sentence fragments usually consist of a complement of the verb in the corresponding complete clause, but adverbials also occur in the fragments. The core of a fragment can be a noun (Wind; wind; vind) modified by one or more preceding attributive phrases (schwacher, im norddeutschen Tiefland mässig auflebender südlicher Wind; a strong and blustery westerly wind; tidvis frisk sydvästlig vind). Cloudiness and clearness are indicated in Scandinavian reports by phrases rich in adjectives (klart till halvmulet och mest uppeha˚ll), while German and English mostly give precedence to nouns (beständiger Nebel oder Hochnebel; some sunshine but frequent heavy showers). In connection with references to precipitation, expressions of time also occur (am Wochenende zeitweise wolkig und einzelne Schauer; perhaps some rain later). Sandig (1970, 181) notes similar patterns in German and states that some patterns contain at least one adjective connected with the weather. Spillner (1983 b, 117) also observes that compressed expressions, usually consisting of adverb plus adjective/noun are used. Similar things are also easily noticeable in Scandinavian material (pa˚ dagen västerifra˚n molnigare) (cf. Nordman 1994 b). Unconscious language regulation, where function determines the linguistic form, has thus taken place even across language borders. The clauses in weather reports are made up exclusively of statements. Exhortations, exclamations and questions do not occur at all. The weather reports with their stereotyped sentence fragments thus display the syntactic stereotype characteristic of minilects.

6.

Vocabulary and choice of words

The minilect which has the smallest vocabulary of all is, according to Kittredge (1982, 124), the minilect of weather reports. Even if such a pronouncement of course depends on which minilects are used for comparison, it

566

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

may nevertheless be generally endorsed. An investigation carried out by Sandig clearly shows that nouns and adjectives play an important role in German weather reports. Semantic fields like ‘weather’, ‘change’, ‘place’ and ‘time’ are central. Sandig (1970, 181 ff) notes the restricted vocabulary and is of the opinion that this is a result of the texts being thematically restricted and that they are compiled on a narrow spectrum of stereotyped short sentences especially in the forecast part. To anyone reading weather reports in Scandinavian languages, Kittredge’s comments on reports in English and Sandig’s observations of German texts seem valid enough. Exactly as in Sandig’s material, the dominance of nouns and adjectives in Swedish reports is noticeable (Nordman 1994 b, 145). The verbs play an unusually modest part due to the fact that most of the sentences in the forecast part are fragments, but the verbs, whenever they occur, as a rule indicate place, movement, cause and beginning (Kittredge 1982, 116; Nordman 1994 b, 147). The frequency of adjectives is noticeably high in comparison with other texts. This is due to the fact that every forecast gives precise information, for instance on the wind, both as regards its strength and direction (schwacher bis mäßiger Wind; wind E moderate locally fresh). On the other hand, a closer analysis of the nouns in the weather reports shows that place names are especially prominent in the Swedish material (Nordman 1994 b, 148). Kittredge (1982, 127) has also shown that proper names are overrepresented in weather reports in English. Even the selection of modifying words becomes fairly stereotyped in weather reports. They refer to strength or force (weak⫺medium⫺strong), to weather conditions (cold⫺warm⫺hot, cloudy⫺sunny⫺ clear) and to height (low⫺high, lowest⫺highest) as such items of information are important in the reports (Nordman 1994 a, 230). Spillner (1983 b, 116) notes a marked occurrence of relativizing ways of expression. He states that such expressions should not normally occur in factual text but points out that they are actually a must in a domain like meteorology, where only limited forecasts can be drawn up. In the Scandinavian material the relativizing expressions are likewise conspicuous (Nordman 1994 b, 149; Eeg-Olofsson 1992, 63 f). From a terminological point of view the weather reports seem to be rather insignificant. A weather report is normally meant to

be comprehensible to any reader, and the terms that appear in the text are readily understood. From the standpoint of other criteria, such as phraseology, climatological data and meteorological symbols, Spillner (1983 b, 114) classifies weather reports as LSP text. It is also quite natural to classify for instance Swedish frisk vind, German schwacher Wind and English gusty wind as terms standing for clear concepts within the domain of wind force. Also växlande molnighet, zäher Nebel and heavy showers, which every reader understands, are terms in the sense that each one stands for a definite concept in weather reporting. The vocabulary, however restricted in the weather reports in newspapers, thus has a clear-cut profile, giving primacy to nouns and adjectives and allowing most space to semantic components referring to ‘place’, ‘time’ and ‘weather’. There is often a scarcity of verbs, and whenever they occur they are fairly insignificant. Individual words but often also phrases are the labels of meteorological concepts. In spite of this, the text remains easily accessible even to a layman only moderately interested in the weather.

7.

Conclusion

Ethno-centred minilects which change as a result of spontaneous development to some extent display national differences. A Scandinavian weather report, just like a German one, is strictly factual, while a corresponding French report with its emotive elements and its stylistic variation comes close to a more literary style. A Swedish and a Norwegian weather report is even more laconic in form than a Finnish one. Generally it can be said that the development that takes place nevertheless makes weather reports in different countries resemble each other more and more. In Finnish material one can, from a diachronic standpoint, note that the report part within a period of nearly 10 years has been reduced to a minimum while the forecast part remains unchanged. The relatively reduced form has in this case been felt to be optimal (Nordman 1994 b, 152). But there are still differences in the weather reports of newspapers on an international as well as on a national and regional level. Unconscious LSP language planning results in stereotyped texts where regulation is nevertheless not carried out in detail and where the ethnocentred orientation still allows certain interlingual variations. However, the development is towards greater uniformity, internationally speaking as well. This means that another step is unconsciously taken in the direction of greater homogeneity. At the same time it can be noted that unity and stereo-

59. The weather report in daily newspapers typed language have made the ethno-centred minilects, for instance weather reports, an interesting object of study for those who work in the area of developing computer-aided translation. But cultural distinctiveness that still in spite of everything persists when one considers internationally diversified material, to some extent complicates automaticized computer-aided work and sometimes requires an ordering human hand. Acknowledgement: Translated into English by Rolf Lindholm, University of Vaasa.

8.

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Marianne Nordman, Vaasa

568

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

60. Sorten fachbezogener Vermittlungstexte II: die Bedienungsanleitung für fachexterne Adressaten 1. 2. 3. 4.

1.

Bedienungsanleitung: Begriff und Funktion Bedienungsanleitungen als Textsorte Linguistische und kommunikative Beschreibung von Bedienungsanleitungen für Elektrogeräte Literatur (in Auswahl)

Bedienungsanleitung: Begriff und Funktion

Bedienungsanleitungen gehören zu einem ganzen Komplex technischer Dokumentation wie Benutzerinformation, Betriebsanleitung, Gebrauchsanweisung für verbraucherrelevante Produkte usw. (Riemer o. J., 46⫺61). In der einschlägigen Literatur finden sich unter anderem folgende Definitionen für die Textsortenbezeichnung Bedienungsanleitung: „Bedienungs- und Instandhaltungsanleitungen sind schriftliche Unterlagen, die den Anwender der Erzeugnisse befähigen sollen, alle diesbezüglichen Handlungen und Aktivitäten in ausreichender Qualität zu planen, vorzubereiten, durchzuführen und auszuwerten“ (Werner/Heyne 1987, 9). „Die Bedienungsanleitung gehört zu den technischen Unterlagen, die die Eigenschaften eines Erzeugnisses dokumentieren und seinen technisch richtigen Einsatz und die Wartung gewährleisten, damit die Qualität des Erzeugnisses erhalten bleibt, Ausfälle vermieden und festgestellte Mängel und Fehler fachgerecht beseitigt werden“ (Neubert 1980, 122). „Text, der produktbegleitend die Handhabung technischer Geräte und Maschinen anleitet und/ oder anweist“ (Pelka 1982, 79⫺80).

Aus linguistischer Sicht ist besonders das Merkmal produktbegleitend und damit die Nähe zur Gebrauchsanleitung bzw. Gebrauchsanweisung einerseits und zu Montageanleitung, Pflegehinweis, Arbeitshinweis, ja sogar zu Dosierungshinweisen auf Beipackzetteln für Medikamente und Zubereitungshinweisen auf Lebensmittelverpackungen andererseits (Gläser 1990, 241⫺249) betont worden, was von der Hauptfunktion der Bedienungsanleitung wegführt und ein Nebenmerkmal zum übergeordneten Merkmal erhebt. Auch sollte man Anleitung und Anweisung wegen ihrer unterschiedlichen Textfunktion ⫺ instruktiv und direktiv (Möhn/Pelka 1984, 58⫺68) ⫺ konsequenter unterscheiden. Wichtiger aber ⫺ gerade im Hinblick auf den Einsatz sprachlicher Mittel bei der Realisierung der instruktiven Text-

funktion ⫺ ist eine andere Unterscheidung, nämlich die zwischen fachinterner und interfachlicher Bedienungsanleitung einerseits und fachexterner Bedienungsanleitung andererseits (Birkenmaier/Mohl 1991, 153); denn bei den Adressaten der ersten kann sowohl fachliche als auch fachsprachliche Kompetenz vorausgesetzt werden, bei denen der zweiten nicht oder nur in geringem Maße. Die folgenden Betrachtungen, die sich auf Bedienungsanleitungen für fachexterne Adressaten konzentrieren müssen, werden zeigen, inwieweit diese durch spezifische textinterne und textexterne Merkmale geprägt sind, und dadurch spätere Vergleiche ermöglichen (z. B. mit Neubert 1980; Pelka 1982; Möhn/Pelka 1984; Werner/Heyne 1987; Serra Borneto/Cortelazzo 1988; Schilling 1988).

2.

Bedienungsanleitungen als Textsorte

Bei der exemplarischen Aufzählung von (Fach-)Textsorten fehlt die Bedienungsanleitung nur selten. Fachleute wie Laien haben eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was eine Bedienungsanleitung ist, wozu sie dient und welche Angaben sie enthält. Das sind Indizien dafür, daß sie durch ihre Unentbehrlichkeit in einer hochtechnisierten Welt als wichtige Unterlage für sachgemäßes Handeln mit der dazugehörigen Benennung im Bewußtsein vieler Menschen und damit selbst als Textsorte in der Alltagssprache (Brinker 1985, 120⫺123) lebendig ist. Aber auch der (Fach-)Textsortendefinition der Linguisten genügt sie in höchstem Maße: „Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar eine normierende Wirkung, erleichtern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und Rezeption von Texten geben“ (Brinker 1985, 124). „Fachtextsorten sind eine spezielle Klasse von Textsorten, bei deren Produktion und Rezeption

60. Die Bedienungsanleitung als fachbezogener Vermittlungstext zusätzlich zum Alltagswissen noch Fachwissen nötig ist“ (Hoffmann 1990, 11).

Die Gültigkeit dieser Definitionen wird in 3. nachgewiesen. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß der Zusatz für die Fachtextsorte nur bei fachinternen Bedienungsanleitungen gilt, deren Adressaten kompetente Fachleute sind. Fachexterne Bedienungsanleitungen, die sich an fachlich weniger kompetente oder inkompetente Adressaten wenden und in die Schicht E der vertikalen Stratifikation der Fachsprachen fallen, sind besser als eine Sorte fachbezogener Vermittlungstexte zu verstehen, da ihnen in der sprachlichen Kommunikation eine Mittlerrolle zwischen Fachleuten und Laien zukommt (Pelka 1982, 85, unterscheidet sogar vier Zielgruppen). Bedienungsanleitungen gibt es mittlerweile für alle möglichen Produkte: Kraftfahrzeuge, Haushaltsgeräte, Werkzeuge, Sportartikel, Spielzeug, Computer, Kopiergeräte, in reduzierter Form auch für Fahrkartenautomaten, Fahrstühle, Fernsprecher usw. Wenige von ihnen sind bisher systematisch untersucht und beschrieben worden (z. B. Pelka 1982; Schilling 1988). Der weiteren Darstellung liegt eine eigene Korpusanalyse mit Hilfe zweier Merkmalmatrizen (Hoffmann 1987, 96⫺100) zugrunde. Untersucht wurden Bedienungsanleitungen für Elektrogeräte, die vorwiegend im Haushalt Verwendung finden, weil sie einen charakteristischen Eindruck von fachbezogenen Vermittlungstexten im allgemeinen und von Bedienungsanleitungen im besonderen vermitteln.

3.

Linguistische und kommunikative Beschreibung von Bedienungsanleitungen für Elektrogeräte

3.1. Textinterna Die Textbaupläne der Bedienungsanleitungen sind ⫺ je nach Gerät ⫺ von unterschiedlicher Komplexität. Mit großer Regelmäßigkeit kehren die folgenden Teiltexte wieder: Teiltext 1 Beschreibung des Gerätes und seiner wesentlichen Teile (oft mit Abbildung und technischen Daten; s. Abb. 60.1 und 60.2) ⫺ Teiltext 2 Aufstellung, Netzanschluß und Inbetriebnahme (bei größeren Geräten) ⫺ Teiltext 3 Anweisungen zu einzelnen Arbeitsgängen ⫺ Teiltext 4 Wartung ⫺ Teiltext 5 Hinweise zur Beseitigung von Störungen ⫺ Teiltext 6 Zusätzliche Hinweise (Aufbewahrung

569

nach der Nutzung, Zubehör, Vertragswerkstätten u. a.) (vgl. auch DIN 8418). Die Teiltexte sind nur bei komplizierteren Geräten durch Zwischenüberschriften markiert, die Inhalt und Funktion ankündigen, z. B. Das Ein- und Ausschalten des Nähwerkes. Herausnehmen der Spulenkapsel. Das Aufspulen des Unterfadens.

Gelegentlich haben Überschriften nur Signalfunktion, z. B. Achtung! Nutzen Sie den Vorteil der Tischbügelmaschine und bügeln Sie im Sitzen!

Zuweilen fehlen sie ganz. Gemäß der Funktion der Bedienungsanleitung liegt der Informationsschwerpunkt in Teiltext 3. Eine hierarchische Darstellung hätte bei den Teiltexten 1. Grades weitere Teiltexte 2. Grades zu bestimmen (Abb. 60.3). Diese Hierarchisierung ist aber schwächer als bei anderen Fachtextsorten, weil bei Bedienungsanleitungen das zeitliche Nacheinander der Handlungen zur Inbetriebnahme, Nutzung und Außerbetriebsetzung alle anderen funktionalen und inhaltlichen Aspekte überlagert. Die Spezifik der Bedienungsanleitungen kommt am deutlichsten im Teiltext 3: Anweisungen zu einzelnen Arbeitsgängen mit seinen Teiltexten 2. Grades zum Ausdruck. Deshalb konzentriert sich die folgende Beschreibung auf ihn. Die Kohärenz wird in diesem Teiltext vor allem durch die geordnete Folge von Bedienhandlungen, d. h. als pragmatische Kohärenz, hergestellt. Hinzu kommt eine ausgeprägte semantische Kohärenz durch kürzere und längere Isotopieketten sowie durch die Zugehörigkeit der Substantive zu bestimmten Bestandsfeldern wie Bügelwalze, Mahlbecher usw., z. B. Band mit Abstand von 140 mm der Walzenenden einlegen und andrücken. Bügelwalze um 180 Grad drehen, dann Sackleinen auflegen, 180 Grad einrollen. Schaumstoff unter dem Sackleinen auflegen und 90 Grad einrollen. Molton auf den Schaumstoff auflegen, dann Sackleinen nach unten schlagen und Molton einrollen. Bänder bis auf den Rest von ca. 50 mm einrollen, dann Bandenden unter das aufgewickelte Band schieben. Schonbezug auflegen.

Die Zahl der Konnektoren ist gering (dann im vorstehenden Beispiel). Syntaktische Kohärenz durch Thematische Progression kommt wegen des rhematischen Charakters der Infinitivsätze nur in geringem Maße zu-

570

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Abb. 60.1: Abbildung aus einer Bedienungsanleitung für elektrische Nähmaschinen

stande. Werden die Infinitivsätze jedoch durch Passivsätze ersetzt, wie das in ausführlicheren Bedienungsanleitungen der Fall ist, dann ergibt sich eine engere Kohärenz, z. B.

der Nadel wird nach hinten gedreht und die Nadel nach oben bis zum Anschlag in den Nadelstangeneinschnitt eingeführt. Dann wird die Nadelbefestigungsschraube wieder angezogen.

Durch Drehen am Handrad wird die Nadel in ihre höchste Stellung gebracht. Dann wird die Nadelbefestigungsschraube gelöst und die Nadel oder der Nadelrest herausgezogen. Das Einsetzen der Nadel geschieht mit der linken Hand. Die flache Kolbenseite

Auf der syntaktischen Ebene fällt die große Häufigkeit rhematischer Infinitivsätze (Infinitiv ohne zu) auf, die wesentlich zur knappen Formulierung der Anweisungen beitragen, z. B.

60. Die Bedienungsanleitung als fachbezogener Vermittlungstext

571

Abb. 60.2: Abbildung aus einer Bedienungsanleitung für Heizungsanlagen

Umschalthebel auf Symbol a stellen. Fadenspannung etwas lockern.

Passivsätzen. Seltener sind Aufforderungssätze mit Imperativ, z. B.

Daneben begegnen wir aber, wie bei der Kohärenz schon festgestellt, fast gleichberechtigt

Schrauben Sie den Knopflochfuß Nr. 771 an. Wählen Sie die Stichlänge ganz klein (Stich an Stich), stel-

572

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten 0. Bedienungsanleitung

1. Beschreibung des Gerätes

2. Aufstellung usw.

3.1. AG 1

3. Arbeitsgänge (AG)

3.2. AG 2 ...

3.n. AG n

4. Wartung

5. Störungen

6.1. Auf6.2. Zubehör bewahrung

6. Hinweise

6.3. Werkstätten

Abb. 60.3: Textbauplan einer Bedienungsanleitung

len Sie die Fadenspannung ein und nähen Sie zur Kontrolle der Stichlänge und Fadenspannung eine Probenaht.

Auch der modale Infinitiv (ist zu ⫹ Infinitiv) tritt gegenüber den vorerwähnten Strukturen zurück, z. B. Bei der Verwendung des Stopffußes ist dieser von hinten an die Presserstange anzuschrauben. Es ist darauf zu achten, daß der Lüfterhebel sich in seiner höchsten Stellung befindet.

Nur sporadisch erscheint noch die Aufforderungsparaphrase mit man, z. B. Man nähe entsprechend dem aufgezeichneten Muster eine Steppstichlinie, mache über diese von links nach rechts und umgekehrt nicht zu lange Stiche, die fast bis zur Hälfte der vorhergehenden Stiche zurückgehen.

Weder Nominal- noch Verbalphrasen sind übermäßig erweitert. In der nominativen Lexik treten neben Termini verstärkt Nomenklaturzeichen auf. Internationalismen und andere Elemente fremder Herkunft sind selten. Von der Wortbildung her fallen substantivierte Infinitive und Komposita auf, z. B. das Auswechseln, das Ein- und Ausschalten, das Aufspulen, das Herausnehmen; Stichsteller-Handgriff, Garnrollenschalter, Nadelbefestigungsschraube, Handrad, Fadenspannung, Nähvorgang.

Invariante grammatische Merkmale sind in erster Linie am Verb zu beobachten. Es sind dies die infiniten Formen (Infinitiv und Partizip II), das zeitlose Präsens, die 3. Person und das Passiv. Präpositionale Gruppen dienen häufig als adverbielle Bestimmungen, da einfache Adverbien die auszuführenden Handlungen nicht ausreichend zu präzisieren vermögen, z. B. durch Drehen am Handrad, nach Auslösen des Nähwerks, gegen die Bügelwalze, bei der Benutzung elektrischer Geräte, nach mehrmaligem Benutzen.

3.2. Textexterna Bedienungsanleitungen für Elektrogeräte weisen die folgenden funktionalen Grundzüge auf: (a) Sie sind von Fachleuten an Laien gerichtet. (b) Primäre Kommunikationsabsicht ist das sachbetonte Informieren, sekundäre das Aktivieren im Sinne einer sachgerechten Benutzung. (c) Die Kommunikationssituation ist charakterisiert durch den Praxis- bzw. Anwendungsbezug des Textes, das Medium Druck, die räumliche Entfernung zwischen Verfasser(n) und Rezipient(en), die Überprüfbarkeit am dazugehörigen Gerät und gewisse normierende Einschränkungen. (d) Beim Kommunikationsgegenstand handelt es sich um mono- oder polyfunktionale technische Erzeugnisse, die mit Elektroenergie betrieben werden und dem Nutzer als Werkzeuge im weitesten Sinne dienen, also um Objekte der materiellen Produktion. In der Literatur finden sich bei unterschiedlicher Systematisierung weitere sprachliche und funktionale Merkmale (z. B. Sager/ Dungworth/McDonald 1980, 164; Pelka 1982, 84⫺99; Möhn/Pelka 1984, 58⫺60; Schilling 1988; Gläser 1990, 246⫺248; Birkenmaier/Mohl 1991, 153⫺172; DIN 8418). 3.3. Schlußfolgerungen Die linguistische und kommunikative Beschreibung der Textsorte Bedienungsanleitung (für Elektrogeräte) hat ergeben, daß bei den Text(sorten)exemplaren trotz der Vielfalt und der unterschiedlichen Kompliziertheit der zu bedienenden Geräte wesentliche textinterne und textexterne Übereinstimmungen vorhanden sind, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, hier von einer (Fach-)Textsorte im Sinne der zitierten Definitionen (Brinker 1985, 124; Hoffmann 1990, 11) zu sprechen. Gerade wegen ihrer unterschiedlichen Komplexität und

60. Die Bedienungsanleitung als fachbezogener Vermittlungstext

Länge zeigen Bedienungsanleitungen aber auch, daß es notwendig ist, bei der Beschreibung und Abgrenzung von Textsorten ein obligatorisches Minimum an Merkmalen festzulegen, zu denen bei einzelnen Text(sorten)exemplaren fakultative hinzukommen können, ohne daß sich dadurch das Wesen der Textsorte verändert. Das beginnt bei der Anzahl und der Art der Teiltexte, also bei der Tiefe der Textgliederung, und endet bei der Häufigkeit bestimmter grammatischer Kategorien. Genauer fixiert werden muß noch, wann ein Merkmal als dominant (im statistischen Sinne) zu gelten hat bzw. wann sein Auftreten in dieser Textsorte sich von dem in anderen Textsorten signifikant unterscheidet. Je mehr Bedienungsanleitungen man analysiert, desto deutlicher wird auch, daß sie ihrer Funktion in sehr unterschiedlichem Maße gerecht werden. Das läßt sich übrigens zusätzlich durch eine höhere oder geringere Erfolgsquote bei Erstbedienungstests belegen. Da eine Hauptursache für Mißerfolge die Sprachbarriere zwischen den Fachleuten als Textproduzenten und den Laien als Textrezipienten ist, sind Empfehlungen zur verständlichen sprachlichen Gestaltung von Bedienungsanleitungen ein dringendes Desideratum. Solche „Anleitungen zur Erarbeitung einer Anleitung“ bzw. „Handhabungsvorschrift“ richten sich gegen „die Unkenntnis des methodischen Vorgehens und die Leichtfertigkeit (um nicht zu sagen Arroganz) vieler für die Erarbeitung verantwortlicher Mitarbeiter gegenüber den möglichen und tatsächlichen Wirkungen bei Leser und Nutzer“ und streben nach einer besseren Abstimmung der Darstellung von Arbeitsmittel, Arbeitsgegenstand und Arbeitsverfahren (Werner/Heyne 1987, 3⫺6). Zur leichteren Verständlichkeit von Bedienungsanleitungen werden empfohlen: (1) ein hohes Maß an Einfachheit; (2) ein hohes Maß an Gliederungsordnung; (3) ein mittleres bis mäßiges Maß an kurzer Prägnanz und (4) ein mittleres bis hohes Maß an zusätzlicher Stimulanz (Werner/Heyne 1987, 32). Hinzu kommen: das richtige Verhältnis von Text und Bild (vgl. Art. 61), die Reduzierung der Beschreibung zugunsten von Handlungsaufforderungen sowie die richtige Positionierung und Formulierung von Leitinformationen, z. B. Zwischenüberschriften (Zieten 1988; 1990). Was das für die Textgestaltung im einzelnen bedeutet, bedarf der weiteren Klärung (vgl. Hoffmann/Schlummer 1990, 73⫺111). Der in diesem Artikel vorgestellte Analyse- und Beschreibungsmodus kann dazu beitragen.

4.

573

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574

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

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ständlichkeit der Gebrauchsanweisungen für elektrische Haushaltsgeräte. In: Sprache und Information in Wirtschaft und Gesellschaft. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1988, 206⫺218. Werner/Heyne 1987 ⫽ Georg-Wilhelm Werner/ Wolfgang Heyne: Bedienungs- und Instandhaltungsanleitungen. Inhalt⫺Form⫺Gestaltung. Berlin 1987. Zieten 1988 ⫽ Werner Zieten: Betriebsanleitungen wie der Kunde sie wünscht. In: Sprache und Information in Wirtschaft und Gesellschaft. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1988, 253⫺261. Zieten 1990 ⫽ Werner Zieten: Gebrauchs- und Betriebsanleitungen direkt, wirksam, einfach und einleuchtend. Landsberg am Lech 1990.

Lothar Hoffmann, Großdeuben

61. Sorten fachbezogener Vermittlungstexte III: bebilderte Werkzeugkataloge 1. 2.

5.

Bild und Wort, Wort und Bild Bebilderte Werkzeugkataloge: Begriff und Funktion Strukturelle und sprachliche Merkmale bebilderter Werkzeugkataloge Abgrenzung gegen andere bebilderte (Fach-)Textsorten Literatur (in Auswahl)

1.

Bild und Wort, Wort und Bild

3. 4.

Wort-Bild- bzw. Text-Bild-Relationen oder die Koexistenz bzw. Komplementarität von Sprache und Bild oder die Anteile von verbalen und ikonischen Äußerungen in bestimmten Kontexten und Textsorten sind bisher von recht unterschiedlichen Standpunkten her betrachtet worden. Die Kultur- und Kunstwissenschaft hat vor allem „[…] Fragen nach der Parallelität, der Transformation und der Funktionalität der Medienverbindung“ (Meier/Ruberg 1980, 10) aufgeworfen und Strukturvergleiche angestellt, wobei die Untersuchungen in der Antike ansetzen, sich dann aber besonders auf das Mittelalter konzentrieren (z. B. Stammler 1962; Schefold 1975; Brunner/Kannicht/ Schwager 1979; Meier/Ruberg 1980; Harms 1990). „Der Zeugnisbestand der mittelalterlichen Überlieferung weist Kombinationen von Text und Bild in relativ hoher Zahl auf. Die Verbindung beider Me-

dien geht durch fast alle Gattungen der Literatur wie der bildenden Kunst dieser Epoche. Dabei überwiegt hier das Wort, dort das Bild in der Sinndetermination des Einzelzeugnisses, oder beide wirken gleichgewichtig zusammen ⫺ jedes Medium in seiner eigenen Sprache, mit seinen spezifischen Mitteln. Schon dieser Überlieferungsbefund weist auf eine engere Verbindung, ein intensiveres Aufeinanderangewiesensein von Text und Bild, als es die zur Anatomie drängende Entwicklung beider Künste in der Neuzeit, die bis zur abstrakten, ,ungegenständlichen‘ Kunst der Moderne führt, erkennen läßt. […] Neben den freieren Verbindungen der Medien, in denen einmal das eine, einmal das andere dominiert, hat das Mittelalter auch Gattungen hervorgebracht, besonders entwickelt oder angeregt, die auf der festen Kombination von Text und Bild basieren wie die typologische Armenbibel, das Figurengedicht, die Emblematik mit formal und funktional festgelegten Text- und Bildanteilen. Für weite Bereiche der Buchmalerei ist die Zusammenschau von Wort und Bild zum Verständnis beider unerläßlich, da sie auf diese Symbiose hin konzipiert, durch sie geprägt und beeinflußt sind“ (Meier/Ruberg 1980, 9⫺10).

Der Bogen spannt sich hier von Bibel und Dichtung über Ikonographie und Geschichtsschreibung bis zu Enzyklopädien, wissenschaftlichen Werken und didaktischen Schriften. Frühe Beispiele für fachbezogene Vermittlungs- und Lehrtexte dieser Art sind die Bilderhandschriften des Sachsenspiegels (vgl. Schmidt-Wiegand 1980) und Ortolfs chirurgischer Traktat (vgl. Keil 1990). Aus der Fülle

61. Bebilderte Werkzeugkataloge als fachbezogene Vermittlungstexte

der späteren sei Jan Amos Komensky´s (Comenius’) „Orbis pictus“ (1658) erwähnt, das von den Didaktikern zum Prototyp des bebilderten Sprachlehrbuches erhoben wurde. Andere Entwicklungslinien führen über die „Encyclope´die“ des Denis Diderot (vgl. Manegold 1983) zum Bilderduden (z. B. Duden 1953), über die „russischen Bilderbögen“ (vgl. Burkhart 1990) zu den Comic Strips (vgl. Kloepfer 1977; Oomen 1980), über die Bildinformation in der Zeitung zu den Fernsehnachrichten (vgl. Muckenhaupt 1986). So unterschiedlich die Kombinationen von Bild und Sprache ausfallen mögen, sie lassen sich ihrem Wesen nach auf zwei Grundtypen zurückführen: (a) Einzelbilder mit mehr oder weniger ausführlichen Angaben zum abgebildeten Objekt, angefangen bei der einfachen Benennung bis zur Aufzählung der für wesentlich gehaltenen Merkmale (Bildbeschreibungen als Äquivalente für Gegenstandsbeschreibungen); (b) Bildfolgen mit Unterschriften und/oder Sprechblasen (Bildgeschichten als Sequenzen von Handlungen und Situationen). Die Texte in bebilderten Werkzeugkatalogen gehören zum ersten Typ. Aus der Sicht der Semiotik sind Bilder und Sprachmittel Elemente unterschiedlicher Zeichensysteme bzw. Kodes: ikonische und verbale Zeichen geringerer oder größerer Komplexität (vgl. Peirce 1967; Reznikov 1968; Walther 1974; Eschbach/Rader 1976; Eco 1977 a; 1985; 1987; Posner/Reinecke 1977; Morris 1979; Bouissac/Herfeld/Posner 1986). Texte, die beide enthalten, d. h. auch die unserer Werkzeugkataloge, werden als bi- bzw. multikodal oder als bi- bzw. multimedial bezeichnet (vgl. Kloepfer 1977, 129; Spillner 1980, 627; Schröder 1992). Bei einer überwiegend systemorientierten statisch-klassifizierenden Betrachtung führt die Analyse und Beschreibung komplexer Einheiten aus ikonischen und verbalen Elementen zur Annahme von Superzeichen (vgl. Dörner 1977; Maser 1977; Moles 1977). Fruchtbarer für die Fachtextlinguistik sind jedoch handlungs- und kommunikationsorientierte Ansätze, die über die Struktur der Elementar- und Superzeichen hinaus nach deren Verwendung(smodalitäten) fragen und so den dynamisch-kommunikativen Aspekt betonen: „Die Semiotik ist eine Disziplin, die die Zusammenhänge zwischen Kode und Botschaft und zwischen Zeichen und Diskurs untersucht“ (Eco 1977 a, 23). „Man verwendet Zeichen, um eine Information zu übermitteln, um jemandem etwas zu sagen oder zu zeigen, das jemand anderer weiß und

575

von dem er möchte, daß auch andere es wissen“ (Eco 1977 a, 25). „Grundsätzlich betrifft eine Semiotik der Signifikation die Theorie der Kodes, während eine Semiotik der Kommunikation zu einer Theorie der Zeichenerzeugung führt“ (Eco 1987, 23).

In diesem Zusammenhang geht es auch um die spezifischen Funktionen und um die Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Zeichentypen, insbesondere der verbalen und ikonischen. Maßstab für die Leistungsfähigkeit jedes Zeichens ist, legt man die auf Charles S. Peirce zurückgehende und weithin akzeptierte Definition des Zeichens als „Repräsentamen“ zu Grunde, in welchem Maße es für etwas anderes stehen, etwas anderes repräsentieren kann und von jemandem verstanden bzw. interpretiert wird oder für ihn Bedeutung hat (Walther 1974, 47 und 55; vgl. auch Eco 1977 a, 26; 1987, 26 und 38). Für eine fachsprachenlinguistische Darstellung muß man die Zeichendefinition allerdings nicht so weit fassen wie in dem folgenden Zitat: „Wenn ein Zeichen, […], etwas ist, das jemanden in bestimmter Hinsicht und Eigenschaft auf etwas anderes verweist, so ist jedes materielle Werkzeug und jedes architektonische Bauwerk als Zeichen zu betrachten: es läßt sich nämlich nur dann praktisch verwenden, wenn es seine Benutzer auf seine mögliche Funktion verweist“ (Eco 1977 b, 58).

Die darin apostrophierte Verweisfunktion (Deixis) ist allerdings auch bei der Abbildung und bei der sprachlichen Beschreibung von Werkzeugen zu berücksichtigen. Zu Aussagen über die Leistungen verschiedener Zeichentypen führen Vergleiche zwischen ihnen: „Eine allgemeine Semiotik verbessert höchstens einige der traditionellen Ansätze der Sprachphilosophie. Sie nimmt an, daß es unmöglich ist, über die verbale Sprache zu sprechen, ohne sie mit anderen Formen der Signifikation und/oder Kommunikation zu vergleichen. In diesem Sinne ist eine allgemeine Semiotik in ihrem Ansatz fundamental vergleichend“ (Eco 1985, 20). Oder: „Nehmen wir nun an, daß ich, anstatt Worte zu äußern, ein einem Gegenstand korrespondierendes Bild zeichne ⫺ daß ich etwa einen Hund zeichne, um vor dem Hund in meinem Garten zu warnen. Diese Art der Erzeugung von Signifikanten scheint recht verschieden von der Verwendung des Wortes /Hund/ zu sein […] Schließlich muß ich, wenn ich Wörter oder Bilder ›äußere‹, Arbeit aufwenden, um sie zu ›akzeptablen‹ Ketten von Zeichen-Funktionen zu kombinieren; ich muß also an ihrer semantischen Akzeptierbarkeit und Verstehbarkeit arbeiten“ (Eco 1987, 203⫺204).

576

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Beim semiotischen Vergleich von sprachlichen und ikonischen Äußerungen werden vor allem die folgenden Merkmale betont: Sprache ⫺ explizit ausgesprochene Bedeutung; hohe Kodiertheit der primären Signifikanten (Lexeme); Kotext- und Äußerungsunabhängigkeit; geringe Materialität des Zeichenträgers; Gleichrangigkeit der Signifikanten; lineare Sukzession der Elemente; indirekte oder direkte Zuordnung der Propositionen; generalisierende Aussagen; Metapropositionen; synchrone Zustandshaftigkeit oder diachrone Zustandsfolge(n); Abstraktheit und Unvollständigkeit des Dargestellten. Bild ⫺ implizit angelegte Bedeutung; geringe Kodiertheit der primären Signifikanten (Linien, Formen, Farben); Kotext- und Äußerungsabhängigkeit; hohe Materialität des Zeichenträgers; Ungleichrangigkeit der Signifikanten; simultane Gegebenheit der Elemente; indirekte Zuordnung der Propositionen; singuläre Aussagen; keine Metapropositionen; synchrone Zustandshaftigkeit; Konkretheit und Vollständigkeit des Dargestellten (Titzmann 1990, 375⫺380; vgl. auch Reichert 1991, 109⫺110). Für unser Anliegen sind nicht so sehr die getrennten und unterschiedlichen, sondern vielmehr die supplementären oder komplementären Leistungen der beiden Zeichentypen von Bedeutung, wenn sie sich in ein und derselben Äußerung, in ein und demselben Text begegnen: „Wie die Bilder einer Kultur(epoche) durch die Zuordnung von Texten eine Semantisierung erfahren, erfahren die Texte durch die Zuordnung von Bildern eine Referentialisierung“ (Titzmann 1990, 380). (Das Zitat gibt Anlaß, darauf hinzuweisen, daß für den Zitierten ,Text‘ ⫽ ,sprachliche Äußerung‘ ist; bei der Analyse von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten empfiehlt es sich jedoch, den Text als komplexe, höhere Einheit sprachlicher und ikonischer Äußerungen zu behandeln, um gerade die wechselseitige Bedingtheit, die Ergänzung in den Funktionen und die Gesamtwirkung richtig beurteilen zu können.)

Werden in einem Text bewußt ikonische und sprachliche Zeichen eingesetzt, dann können sie auf dreierlei Weise in Beziehung zueinander treten: (a) die verbale Äußerung ist in die ikonische eingebettet (z. B. Rede dargestellter Figuren in Sprechblasen, Untertitel u. ä.); (b) die ikonische Äußerung ist in die verbale eingebettet (z. B. Illustrationen in technischen und wissenschaftlichen Werken, Lehrbüchern u. ä.); (c) beide Zeichentypen bzw. Äußerungsweisen sind gleichberechtigt (z. B. Be-

dienungsanleitungen, Werbetexte u. ä.) (vgl. Walther 1974, 61; Osolsobeˇ 1986, 95⫺105; Pelc 1986, 11⫺14; Titzmann 1990, 382). Die nähere Beschreibung bebilderter Werkzeugkataloge wird zeigen, daß ihre multikodalen Texte zur dritten Gruppe gehören. Auch Erkenntnistheorie, Kognitionspsychologie, Lernpsychologie und Didaktik haben ihren jeweils spezifischen Beitrag zur Erklärung der Funktionen von Bild und Sprache geleistet. In einem semiotisch-linguistischen Kontext müssen dazu wenige Andeutungen genügen. So erstreckt sich die (neuere) Themenpalette von „Denken, Wort und Bild“ (Hartmann 1979) und „Die Symbol- und Wahrheitsfunktion von Wort und Bild“ (Wiehl 1979) bis zu „Der Einfluß von Bildern auf das Behalten von Sätzen“ (Bock/Hörmann 1973), „Bildgeleitete Sprachspiele“ (Scheckel 1981) oder „Visualisieren mit ,Anschaulichmachern‘ “ (Reichert 1991, 102⫺176). In den Handbüchern und Standardwerken der genannten Disziplinen erscheint das Bild als mehr oder weniger abstrakte, verallgemeinernde „Widerspiegelung“ („Abbild“) konkreter, individueller Gegenstände zwischen „Ebenbild“ („anschauliches Denken“) und „Begriff“ („abstraktes Denken“) im menschlichen Bewußtsein, als ebensolches „Speicherelement“ im Gedächtnis, das mit unterschiedlichen sprachlichen Ausdrucksmitteln assoziiert und bei kommunikativem Bedarf zusammen mit ihnen abgerufen werden kann, als „Mittel der Semantisierung“ („Verständlichkeit“) sprachlicher Ausdrücke, als „Stimulus“ für Sprachhandlungen usw. usf. Unter Berufung auf Karl Bühler (1934) und andere Sprachpsychologen oder Sprachphilosophen knüpfen hier auch linguistische Untersuchungen zur Deixis (Heger 1984; Sennholz 1985; Korn 1986; Liu 1992; u. a.) und zur Verarbeitung räumlicher Beziehungen mittels Sprache (z. B. Schweizer 1985) an, wobei eine einfache Formel zwar verführerisch, aber sicher nicht ausreichend ist: „… so erscheinen Wörter als konventionelle Zeichen für Sachen, die uns durch Bilder gegeben sind“ (Hartmann 1979, 13). Die Fachsprachenforschung hat die große Bedeutung „nichtverbaler Informationsträger“ (Gläser 1990, 148) oder „visueller Parallelinformationen“ (von Hahn 1983, 126) in Gestalt von Abbildungen, Tabellen und graphischen Darstellungen zwar seit langem immer wieder betont, genauere Untersuchungen zur Struktur multimedialer Texte und zur Funktion von Abbildungen in ihnen aber lie-

61. Bebilderte Werkzeugkataloge als fachbezogene Vermittlungstexte

577

Abb. 61.1: Hochleistungs Profi Winkelschleifer

gen erst seit jüngerer Zeit und noch in geringer Zahl vor (vgl. Kalverkämper 1982; 1993; Korn 1986; Stegu 1989; Zieten 1990; Liu 1992; Glas 1993; Schröder 1993). Das Interesse hat sich bisher vor allem auf folgende Textsorten gerichtet: Werbetext, Bedienungsanleitung, Wartungs- und Instandsetzungshinweise, Standard, Patentschrift, Handbuch, Lehrbuch. Die wichtigsten Ergebnisse werden am Schluß (vgl. 4) mit denen der Untersuchung bebilderter Werkzeugkataloge verglichen (Zu Abbildungen im Fachwörterbuch s. Art. 197).

2.

Bebilderte Werkzeugkataloge: Begriff und Funktion

Ein Katalog ist zunächst nichts anderes als eine Aufzählung, ein Verzeichnis von Gegenständen, z. B. Büchern, Ausstellungsstücken, Bildern, Waren, Instrumenten, Ersatzteilen, zuweilen mit Illustrationen. Die Gegenstände sind so angeordnet, daß sie aus der Gesamtheit leicht herauszufinden sind, d. h. nach Sachgebieten, nach Sachgruppen, nach der Dezimalklassifikation, nach Räumen usw. Sie werden beschrieben, erklärt, wenn möglich bzw. erforderlich auch abgebildet. Der bebilderte Werkzeugkatalog, wie wir ihn kennen, ist also ein Verzeichnis von Werkzeugen (einzeln oder im Satz, ohne oder mit Zubehör), angefangen beim einfachen Ring- oder Gabelschlüssel über die Zweigang-Schlagbohrmaschine bis zur automatischen Wasserversorgungsanlage oder größeren Aggregaten (Werkzeug- oder Bearbeitungsmaschinen). Bebilderte Werkzeugkataloge stehen einerseits dem Nachschlagewerk (Handbuch) und

dem Wegweiser, andererseits dem Versandhauskatalog ⫺ in dem sie enthalten sein können ⫺ und dem Werbeprospekt nahe. Sie dienen der Information über neue Erzeugnisse der Werkzeugindustrie ebenso wie der „Verführung“ zu Kauf oder Leasing. Gleichzeitig bewirken oder suggerieren sie Erhöhung der Fachkompetenz, versprechen zunehmende Präzision und Effektivität bei abnehmender Anstrengung. Ihre Adressaten sind Fachleute, aber in noch größerem Umfang Laien, die bei Verwendung der vorgestellten und empfohlenen Werkzeuge mit ihren Arbeitsergebnissen dem Fachmann („Profi“, „Macher“) nahekommen.

3.

Strukturelle und sprachliche Merkmale bebilderter Werkzeugkataloge

Die Makrostruktur bzw. Textgliederung weist eine obligatorische Zweiteilung in Abbildung und verbale Angaben auf. Die Angaben können rechts, links oder unter der Abbildung stehen. Bei der Abbildung sind die reine Vorderansicht, Draufsicht, Seitenansicht, Untersicht, Rückansicht oder Teilansicht, wie sie in technischen Zeichnungen auftreten, selten. (Die Draufsicht ist gelegentlich bei liegenden Trennscheiben, Sägeblättern, Schraubendreher- und Schlüsselsets anzutreffen). Typisch für die (fotografischen) Werkzeugabbildungen ist eine geneigte Schrägstellung mit gleichzeitiger Draufsicht sowie Seiten- und Vorderansicht, die eine plastische Wirkung der Schlagbohrmaschinen, Winkelschleifer, Ketten- oder Gehrungssägen, Fliesenschnei-

578

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

Abb. 61.2: Steckschlüssel-Garnitur

Abb. 61.3: 1000 Watt Elektronik Schlagbohrmaschine

61. Bebilderte Werkzeugkataloge als fachbezogene Vermittlungstexte

demaschinen, Rasenmäher und Werkzeugkoffer hervorruft. Unterstützt wird diese durch eine rechteckige, klar begrenzte, farbige Kontrastfläche im Hintergrund, für die ein helles Blau, Gelb, Grau bzw. Weiß oder eine mehrfache Tönung eingesetzt werden. Auf der gleichen Fläche sind nur wenige sprachliche Elemente angeordnet: Name, Preis, Garantie, Abmessungen, Leistung. Sie erscheinen in schwarzem, rotem, gelbem oder weißem Druck bei unterschiedlicher Buchstabengröße. Die Texte bilden klare Blöcke und schließen auf einer Seite ab. Bei näherer Betrachtung der ikonischen und der sprachlichen Äußerung mit ihren gegenseitigen Bezügen gelangt man zu dem Eindruck, daß es sich bei beiden um gleichwertige Teiltexte mit speziellen Funktionen handelt. Die Kohärenz des Gesamttextes ist fast ausschließlich pragmatisch bedingt: Alle sprachlichen Angaben beziehen sich auf das abgebildete Werkzeug (Denotat; Signifikat). Die Abbildung dient als Blickfang, ist der Einstieg bei der Textrezeption und bestimmt die Leserichtung („vom Bild zum Wort“). Die sprachlichen Angaben zählen Eigenschaften bzw. Merkmale des Werkzeuges auf: Verwendungszweck, Funktion, Leistung, Maße (und Gewicht), Ausführung, Material, Garantie, Preis in wechselnder Reihenfolge. Die lexikalische Kohärenz äußert sich in Bestandsfeldern, z. B. Schutzhaube, Flansch, Seitenhandgriff, Spannmutter; Klammerheber, Nagelzieher, Zange, Drahtschneider, Hammer, Nußknacker, Flaschenöffner. Von Isotopie im landläufigen Sinne kann hier nicht die Rede sein. Sieht man von der Thematischen Progression mit konstantem Thema ab, so gibt es kaum syntaktische Kohärenz. Die innere, sachbedingte Kohärenz tritt so gut wie nicht als Kohäsion an die Textoberfläche. Die Syntax ist vor allem durch die Häufung kurzer, z. T. satzwertiger, Nominalgruppen unterschiedlicher Struktur (Substantiv, erweitert durch Adjektiv, Partizip und/oder präpositionale Gruppe) gekennzeichnet, z. B. Zwei vollwertige Maschinen in einer: Pneumatischer Bohrhammer und Elektronik-ZweigangBohrmaschine. Leistung: 710 Watt, Zweigang-Getriebe, Drehzahl 0⫺1000/⫺2300 U/min. Vollwellenelektronik, Dreh- und Schlagstop, Rechts-/ Linkslauf, S-automatic Sicherungskupplung, elektronische Überwachung der Wicklungstemperatur, fünf optische Überwachungssignale. Oder: Robuster Benzinmäher mit leistungsstarkem 2,15 kW Tecna-Motor, Leichtstarter mit elektronischer Zündung, 48 cm Schnittbreite, 6 Stufen Einzelrad-

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Schnellverstellung, ergonomisch geformter Holm, großdimensionierte Räder 175 mm, Gehäuse: Stahlblech kunststoffpulverbeschichtet, große 601 Fangbox, TÜV-/GS-geprüft. Oder: Professionell in Qualität und Auswahl der Werkzeuge./Unentbehrlich für Installateur, Schlosser, Ofensetzer usw./ Handlich und ergonomisch günstig ausgelegt./Zum Lokalisieren von Metallrohren, Elektroleitungen usw./Für alle Bohrmaschinen geeignet./Ideal zum Trennen, Schleifen und Entrosten./2 Jahre Garantie./Jetzt zum Sonderpreis!

Relativ häufig sind auch subjektlose Sätze (in denen das jeweilige Werkzeug mitgedacht bzw. die Abbildung das Subjekt ist, z. B. Schützt vor elektrischen Schlägen, Gasexplosionen oder Wassereinbruch./ Ermöglicht präzises Trennen von Rohren, Profilen usw./Schneidet Bleche bis ca. 1,2 mm./Ersetzt 12 herkömmliche Montagezangen.

Selten, zufällig eingestreut und in ihrer Existenzberechtigung zweifelhaft sind einfache erweiterte Aussagesätze, die ohne weiteres zu Nominalgruppen zu transformieren und als solche rationeller wären, z. B. Die neue Blindnietzange mit dem 2-Wege-Kopf ermöglicht problemloses Arbeiten auch an sonst unzugänglichen Stellen./Das Gerät vereinigt erstmalig die Funktionen: Winkelbieger, Bandroller und Rohrbiegeapparat./Die hohe Härte der Titan-Nitrid-Schicht gibt dem TiN Star seine unübertroffene Verschleißfestigkeit./Der Ständer wird mit Winkelschleiferhalterung mitgeliefert./Durch den Einsatz des Handhebels ist kein großer Kraftaufwand erforderlich./Bei allen Zangen sind Kopf und Gelenk ganz gehärtet, die Griffe isoliert.

Sie sind am ehesten noch als zusammenfassender oder verallgemeinernder Schlußsatz akzeptabel. Die (noch seltenere) Verwendung des Anredepronomens als Subjekt ist vermutlich aus der Werbung eingedrungen, z. B. Sie können damit schleifen, trennen, polieren, formen, entgraten, schneiden, sägen, glätten, Farbe entfernen usw./Sie bearbeiten damit Holz, Eisen, Stahl, Stein, Fliesen, Kunststoff und viele andere Materialien.

Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zum singulären Aufforderungssatz, z. B. Machen Sie aus Ihrem Schraubendreher einen „Festhalte“-Schraubendreher!

Aufzählungen sind ein weiteres syntaktisches Merkmal der Kataloge. Der begrenzte syntaktische Rahmen läßt nur für wenige, häufige Verben Platz, unter denen Funktions-, Modal- und Hilfsverben stark vertreten sind, z. B. machen, erfolgen, ermöglichen, enthalten, liefern, versehen, be-

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

stehen (aus), (sich) eignen; können; sein. Die Masse der autosemantischen Verben, wie z. B. schleifen, trennen, polieren, (be-/ver-)arbeiten usw., werden im Rahmen der allgemeinen Nominalisierungstendenz substantiviert. Die Analyse der Thema-Rhema-Gliederung bzw. der Satzgliedfolge führt bei bebilderten Werkzeugkatalogen nicht zu Einblicken in die Textsortenspezifik. Bei der Lexik fallen einige Besonderheiten auf, die z. T. für die Wortbildung in der Technik allgemein charakteristisch sind: Die Masse der Substantive sind Verbalsubstantive (nomina actionis). An erster Stelle stehen substantivierte Infinitive, z. B. Arbeiten, Ausfräsen, Einsetzen, Entfernen, Entrosten, Lokalisieren, Lösen, Polieren, Schärfen, Schleifen, Spannen, Trennen, Verstellen. An zweiter Stelle stehen Ableitungen mit dem Suffix -ung, z. B. Anwendung, Ausführung, Drehzahlregulierung, Druckerhöhung, Einrastung, Einstellung, Hitzeregelung, Kettenschmierung, Leistung, Lieferung, Metallbearbeitung, Rohrdurchführung. Das ebenfalls häufige Suffix -er signalisiert Anthropomorphismen als Handlungsträger (nomina agentis), z. B. Bandroller, Bohrschrauber, Gasgebeschalter, Knabber, Rangierheber, Senker, Spannungsprüfer, Schraubendreher. Ausgiebiger Gebrauch wird von merkmalverdichtenden und hierarchiebildenden Komposita unterschiedlicher Komplexität gemacht, wobei die Willkür in der Verwendung von Bindestrichen ins Auge fällt, z. B. Bohrersatz, Mehrzweckhebel, Seitenhandgriff, Anlaufstrom-Begrenzer, 2000-Watt-Leistung, Einhand-Winkelschleifer, Chrom-VanadiumElektrostahl, Zweigang-Schlagbohrmaschine, Chrom-Vanadium 6-Kant-Nuß, Saug- und Druck-Anschlußgewinde. Bei den Adjektiven fallen einerseits Ableitungen mit dem Suffix -bar auf, wie sie in den Fachsprachen der Technik weit verbreitet sind, z. B. abnehmbar, auswechselbar, codierbar, einsetzbar, einstellbar, herausnehmbar, klappbar, schwenkbar, umschaltbar. Andererseits führt auch hier die Komposition zu techniktypischen Bildungen, z. B. beidseitig, betriebssicher, doppelwandig, drucklos, hochwirksam, pannensicher, 6-teilig, tropf-frei, rückdrehmomentfrei. Trotz der erwähnten geringen Zahl von Verben wirken die Texte dynamisch; denn die Substantiv- und Adjektivderivate sind fast ausschließlich von Verben abgeleitet. Der

„Macher“ kann etwas tun mit diesen Werkzeugen oder sie tun es für ihn. Von ihrer Semantik her läßt sich diese Lexik leicht zu Sachgruppen oder Feldern zusammenfassen. Es handelt sich um Benennungen (Signifikanten) für Werkzeuge, ihre Teile und für Werkstoffe; (positive) Eigenschaften; Arbeitsgänge bzw. Bearbeitungsprozesse; Maßeinheiten, Leistungsparameter und ökonomische Kennwerte. Bei aller Sachlichkeit ist sie auch geeignet, eine gewisse Euphorie auszulösen. Der Herkunft nach stammen die meisten Lexeme aus dem Deutschen. Entlehnungen bzw. Internationalismen sind rar, z. B. Adapter, Akku, Alu, Automatik, Chrom, Funktion, Halogen, Kombi, Kompressor, Korrosion, Präzision, Profil, Qualität, Serie, Set, Sortiment, System, Vanadium, Vibration, Zylinder; elektr(on)isch, exakt, ideal, komplett, optimal, perfekt, spezial, universal. Die grammatischen Kategorien und ihre morphologischen Ausprägungen unterliegen einer ausgeprägten Beschränkung. Substantive treten überwiegend im Singular, im Nominativ und präpositional regiert als Adverbialbestimmungen auf (vor allem mit den Präpositionen an, auf, aus, bei, bis, durch, für, in, mit, ohne, per, pro, unter, von, vor). Die Masse der Adjektive steht im Positiv; Komparativ bzw. Elativ sind selten, z. B. höher, länger, weniger; besonders robust, extrem hoch. Die Formen der Verben stehen für Indikativ, Präsens, 3. Person und Passiv. Adverbien spielen keine wesentliche Rolle. Interessant sind eigentlich nur die Partizipien, die als weitgehend adjektiviert gelten können, vor allem wenn sie als Komposita auftreten, z. B. doppelisoliert, glanzvernickelt, glasfaserverstärkt, ölgehärtet, präzisionsgeschliffen, tauchisoliert, vibrationsgedämpft; hartmetallbestückt, hochleistungsdiamantbestückt, spezialoberflächenbehandelt; bestehend (aus), nicht rostend, passend, schneidend, selbstansaugend, -fühlend, -öffnend, -regulierend, steigend usw.

4.

Abgrenzung gegen andere bebilderte (Fach-)Textsorten

Vergleicht man bebilderte Werkzeugkataloge mit anderen multimedialen Text(sort)en, so besteht die einzige Gemeinsamkeit in der formal-äußerlichen Koexistenz ikonischer und verbaler Zeichen. Schon bei den abgebildeten und beschriebenen Gegenständen gibt es Un-

61. Bebilderte Werkzeugkataloge als fachbezogene Vermittlungstexte

terschiede, z. B. zwischen den künstlerisch geprägten Gemälden und Graphiken eines Bildbandes oder den Plastiken eines Ausstellungskatalogs und den zweckbestimmten Abbildungen von Werkzeugen. Unterschiedlich ist auch die Art der Abbildung, Farbgebung und der Rasterunterlegung in mehr oder weniger getreuer Reproduktion einerseits und funktional determinierter Fotografie oder Zeichnung andererseits. Fragt man nach den Relationen zwischen Bild und Wort, so zeigt sich: In einigen kunstwissenschaftlichen Textsorten fällt der Sprache nur eine sekundäre, beschreibend-erklärende Aufgabe zu (abgesehen von Beispielen in historischen Werken und Einzelbiographien), in Lehrbüchern der Technik dienen Abbildungen oft lediglich der Illustration des sprachlich vermittelten Wissens, und in Werkzeugkatalogen übernehmen beide Zeichenarten gleichberechtigt spezifische Teile der Information, d. h. es besteht kein Einbettungsverhältnis. (Technische) Zeichnungen sind charakteristisch für ganz bestimmte Fachtextsorten im engeren Sinne, wie Bedienungsanleitungen, Patentschriften, Normen, Dokumentationen, Handbücher usw., und zwar in allen möglichen Varianten (vgl. Korn 1986; Hoischen 1990; Reichert 1991, 101⫺176; u. a.). In Werkzeugkatalogen kommen sie normalerweise nicht vor. Betrachtet man die sprachliche Gestaltung und ihre Mittel, dann unterscheiden sich Werkzeugkataloge von anderen multimedialen (Fach-)Textsorten vor allem durch das Fehlen der Kohäsion, durch das Übergewicht der (satzwertigen) Nominalgruppe über den Satz, durch die starke Einschränkung der lexikalischen Semantik und durch die hohe Selektivität der Wort- und Formenbildung. Abschließend sei festgestellt, daß der Werkzeugkatalog nahezu ideale Voraussetzungen für den kombinierten Einsatz von Bild und Wort bietet und diese auch weitgehend ausschöpft: „Die Möglichkeit, mit Bildern Gegenstände und ihre Beziehungen zu zeigen, eröffnet eine neue Dimension kommunikativen Handelns, die auf sprachlichem Wege nicht realisierbar ist. Sowenig wie man mit Bildern Gegenstände bezeichnet und etwas über Gegenstände sagt, stellt man mit sprachlichen Ausdrücken Gegenstände und ihre Beziehungen dar“ (Muckenhaupt 1986, 241⫺242).

Mit Bildern wird eine höhere kommunikative Effizienz, „ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit, Anschaulichkeit und meinungsbildender Wirkung“ (Muckenhaupt 1986, 243) der In-

581

formation erzielt. Das Betrachten der Abbildung eines Gegenstandes, in unserem Fall eines Werkzeuges, kommt dem ganzheitlichen Betrachten des Gegenstandes selbst sehr nahe. Die Stärke der Sprache liegt in ihrer Fähigkeit, etwas über den Gegenstand auszusagen, in ihrer prädikativen Kraft, die sich bei Werkzeugen auf deren Eigenschaften und Funktionen konzentriert. Der lerntheoretisch und werbepsychologisch beschlagene technische Redakteur würde hinzufügen: „Die zwei sich ergänzenden Parallelspuren BILD und TEXT eröffnen den Adressaten unterschiedliche Zugänge zu neuen Erkenntnissen. […] Das ,Einsteigen‘ kann wahlweise erfolgen, über die eine oder andere Spur […] Aussagestarke Abbildungen gestatten das Reduzieren längerer Texte auf ein Minimum“ (Reichert 1991, 148).

Für Werkzeugkataloge der untersuchten Art gilt allerdings, daß der Einstieg über das Bild erfolgt und daß dieses auch die Nachhaltigkeit der Wirkung verstärkt.

5.

Literatur (in Auswahl)

Bock/Hörmann 1973 ⫽ Michael Bock/Hans Hörmann: Der Einfluß von Bildern auf das Behalten von Sätzen. Eine Untersuchung zu Olsons „Kognitiver Semantiktheorie“. In: Psychologische Forschung 4/1973, 343⫺357. Bouissac/Herzfeld/Posner 1986 ⫽ Iconicity. Essays on the Nature of Culture. Festschrift für Thomas A. Sebeok on his 65th birthday. Ed. by Paul Bouissac, Michael Herzfeld and Roland Posner. Tübingen 1986 (Probleme der Semiotik 4). Brunner/Kannicht/Schwager 1979 ⫽ Wort und Bild. Symposium des Fachbereichs Altertums- und Kulturwissenschaften zum 500jährigen Jubiläum der Eberhard-Karls-Universität Tübingen 1977. Hrsg. v. Hellmut Brunner, Richard Kannicht und Klaus Schwager. München 1979. Bühler 1934 ⫽ Karl Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena 1934. Burkhart 1990 ⫽ Dagmar Burkhart: Text-Bild-Relationen und ihre kulturanthropologische Dimension in russischen Bilderbögen. In: Harms 1990, 296⫺308. Dörner 1977 ⫽ Dietrich Dörner: Superzeichen und kognitive Prozesse. In: Posner/Reinecke 1977, 73⫺82. Duden 1953 ⫽ Duden Bildwörterbuch. Deutsch und Russisch. Leipzig 1953. Eberleh 1990 ⫽ Edmund Eberleh: Komplementarität von Text und Bild. In: Sprache und Technik. Gestalten verständlicher technischer Texte. Hrsg. v. Thomas Becker, Ludwig Jäger, Walter Michaeli und Heinrich Schmalen. Aachen 1990, 67⫺90.

582

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

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583

62. Beipackzettel als fachbezogene Vermittlungstexte baden 1977 (Schwerpunkte Linguistik und Kommunikationswissenschaft 14). Reichert 1991 ⫽ Günther W. Reichert: Kompendium für Technische Dokumentationen anwendungssicher mit Didaktisch-Typografischem Visualisieren (DTV). Leinfelden-Echterdingen 1991. Reznikov 1968 ⫽ Lazar O. Reznikov: Erkenntnistheoretische Fragen der Semiotik. Berlin 1968. Sauerbier 1985 ⫽ Samson D. Sauerbier: Wörter, Bilder, Sachen. Grundlagen einer Bildersprachenlehre. Heidelberg 1985. Scheckel 1981 ⫽ Rainer Scheckel: Bildgeleitete Sprachspiele. Theorie und Praxis produktiver Bildverwendungen im Sprachunterricht der Grundschule. Tübingen 1981. Schefold 1975 ⫽ Karl Schefold: Wort und Bild. Studien zur Gegenwart der Antike. Basel. Mainz 1975. Schmidt 1992 ⫽ Karl-Heinrich Schmidt: Texte und Bilder in maschinellen Modellbildungen. Tübingen 1992 (Probleme der Semiotik 11). Schmidt-Wiegand 1980 ⫽ Ruth Schmidt-Wiegand: Rechtssprichwörter und ihre Wiedergabe in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. In: Meier/ Ruberg 1980, 593⫺625. Schröder 1993 ⫽ Hartmut Schröder: Semiotische Aspekte multimedialer Texte. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 189⫺ 214. Schweizer 1985 ⫽ Sprache und Raum. Psychologische und linguistische Aspekte der Aneignung und Verarbeitung von Räumlichkeit. Ein Arbeitsbuch für das Lehren von Forschung. Hrsg. v. Harro Schweizer. Stuttgart 1985.

Sennholz 1985 ⫽ Klaus Sennholz: Grundzüge der Deixis. Bochum 1985 (Bochumer Beiträge zur Semiotik 9). Sonesson 1993 ⫽ Göran Sonesson: Die Semiotik des Bildes: Zum Forschungsstand am Anfang der 90er Jahre. In: Zeitschrift für Semiotik 15. 1993. 1⫺2, 127⫺160. Spillner 1980 ⫽ Bernd Spillner: Über die Schwierigkeit semiotischer Textanalyse. Ein kritischer Literaturbericht. In: Die Neueren Sprachen 6/1980, 619⫺630. Stammler 1962 ⫽ Wolfgang Stammler: Wort und Bild. Studien zu den Wechselbeziehungen zwischen Schrifttum und Bildkunst im Mittelalter. Berlin 1962. Stegu 1989 ⫽ Martin Stegu: Text und Bild in der Fachkommunikation. In: Fachsprache und Kommunikation. Experten im sprachlichen Umgang mit Laien. Hrsg. v. Wolfgang U. Dressler und Ruth Wodak. Wien 1989, 30⫺46. Titzmann 1990 ⫽ Michael Titzmann: Theoretischmethodologische Probleme einer Semiotik der Text-Bild-Relationen. In: Harms 1990, 368⫺384. Walther 1974 ⫽ Elisabeth Walther: Allgemeine Zeichenlehre ⫺ Einführung in die Grundlagen der Semiotik. Stuttgart 1974. Wiehl 1979 ⫽ Reiner Wiehl: Die Symbol- und Wahrheitsfunktion von Wort und Bild. In: Brunner/Kannicht/Schwager 1979, 29⫺46. Zieten 1990 ⫽ Werner Zieten: Gebrauchs- und Betriebsanleitungen direkt, wirksam, einfach und einleuchtend. Landsberg am Lech 1990.

Lothar Hoffmann, Großdeuben

62. Sorten fachbezogener Vermittlungstexte IV: Beipackzettel 1. 2. 3. 4. 5.

Einführung Kommunikative Merkmale der Fachtextsorte Beipackzettel Strukturelle Spezifika Ausblick Literatur (in Auswahl)

1.

Einführung

Fachbezogene Vermittlungstexte wie Beipackzettel von Medikamenten sind Bestandteil des täglichen Sprachgebrauchs unserer Gesellschaft und prägen oft entscheidend das Alltagsleben mit. So erregen seit nunmehr über zwei Dezennien die Verständnisschwie-

rigkeiten aufgrund der sprachlichen und inhaltlichen Gestaltung vieler Beipackzettel die Aufmerksamkeit in engagierten und oft kontrovers verlaufenen Diskussionen einer Vielzahl von Interessenvertretern in der Öffentlichkeit. Die Auseinandersetzungen um eine adressatenorientierte, d. h. auch allgemein verständliche Arzneimittelinformation und -aufklärung orientieren sich an globalen Kriterien wie patientennahe Sprache, eindeutige und einfache, undramatische Formulierungen, patientengefällige Ausdrucksweise u. ä. Diesen Forderungen stehen jedoch oft schwer zu vereinbarende Gegebenheiten gegenüber, die an die Informationsquantität und -quali-

584

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

tät herangetragen worden sind, wie juristisch ausgefeilte und vom Haftungsrecht her beeinflußte Formulierungen oder die generelle juristische Absicherung des Pharmaherstellers. Letztere Aspekte lassen bereits anklingen, daß eine Beschreibung und Analyse der Fachtextsorte Beipackzettel nur unter Berücksichtigung juristischer Rahmenkriterien möglich ist, da die rechtliche Sachlage (z. B. das Arzneimittelgesetz [AMG] und das Heilmittelwerbegesetz [HWG]) zum einen den inhaltlichen Rahmen wie auch z. T. die sprachliche Gestaltung der Beipackzettel bestimmen und zum anderen die Rechtsverhältnisse zugleich in nicht unerheblichem Ausmaß die Kommunikation zwischen der pharmazeutischen Industrie und den potentiellen Rezipientenkreisen der Beipackzettel beeinflussen. Ein pharmazeutischer Unternehmer sieht sich bei der Formulierung von Arzneimittelinformationen einem Netzwerk von Gesetzen, Auflagen, Verbandsrichtlinien und Verordnungen von gesetzgeberischer und behördlicher Seite gegenüber, die ihm eine Vollständigkeit der Angaben unter höchsten Ansprüchen an ihren Wahrheitsgehalt auch bei für ihn u. U. nachteiligen Aussagen abverlangen.

2.

Kommunikative Merkmale der Fachtextsorte Beipackzettel

2.1. Die Kommunikationssituation Die Kommunikationssituation im Handlungsausschnitt „produktspezifische Information über die ,Ware‘ Arzneimittel durch eine Pakkungsbeilage“ ist dadurch gekennzeichnet, daß (1) die Textproduzenten und der Rezipient bzw. die Zielgruppenangehörigen einander anonym bleiben, da lediglich Name und Anschrift der Firma, neuerdings auch des Herstellers, also desjenigen, der das Arzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat und somit auch verantwortlich und greifbar ist, als Sender fungieren, (2) es sich nicht um eine direkte face-to-face-Interaktion handelt, sondern um eine textuelle Ein-WegKommunikation, eine monologische Kommunikationsrichtung, die dem Rezipienten nicht die Möglichkeit bietet, bei eventuellen Unsicherheiten und interpretationsbedürftigen Angaben direkte Rücksprache mit den Textproduzenten zu halten. Es besteht also eine räumliche Trennung und zeitliche Verschiebung im Hinblick auf die Produktion und Rezeption des Textes, und der Rezipient befindet

sich in einer starren Rolle sowie indominanten Position aufgrund des bestehenden Gefälles im Wissensstand zwischen den Kommunikationspartnern innerhalb der vorherrschenden asymmetrischen Kommunikationssituation; s. auch Kalverkämper (1983, 147 ff) sowie Hoffmann (1983, 139). Die Adressaten der Beipackzettel sollen nach der EG-Richtlinie 92/27 über die Etikettierung und die Pakkungsbeilage von Humanarzneimitteln vom 31. 3. 92 nicht mehr die Fachkreise, also Apotheker und Ärzte, sondern in erster Linie die Verbraucher/Patienten sein ⫺ eine heterogene Gruppe potentieller Rezipienten mit unterschiedlichen Interessen, Erwartungshaltungen, Wissensstrukturen und Rezeptionsanlässen; zur Mehrfachadressierung vgl. Schuldt (1992, 45 ff). Ein wichtiger, das komplexe Kommunikationsgeschehen prägender Faktor ist die Textrezeptionssituation des Arzneimittelverbrauchers, der sich im Spannungsfeld zwischen Informationsanspruch/ -bedürfnis und gesetzlich verankerter Risikoaufklärung über Arzneimittel befindet. Sie muß in unmittelbarem Zusammenhang mit den Textproduktionsbedingungen betrachtet werden. Der Beipackzettel entsteht aus der Zusammenarbeit der Rechtsabteilung mit den medizinischen Abteilungen und dem Marketingressort eines pharmazeutischen Unternehmens. Er durchläuft mehrere Produktionsphasen vom ersten Textentwurf über verschiedene Basistextversionen bis hin zum endgültigen Basistext. Verantwortlich für die Konzeption der Basistexte sowie für die Revision der späteren Beipackzettel ist letztlich der Fachbereich Klinische Forschung. Der zuständige Bearbeiter, d. h. der für den Inhalt verantwortliche Vertriebsleiter bzw. Herstellungsleiter laut § 19, Abs. 1 AMG, ist auch der Initiator für die Neuformulierung von Beipackzetteln; vgl. Kap. 1.3 in Schuldt (1992). Die Erstellung von Packungsbeilagen ist also kein einmaliger Vorgang, der mit der behördlichen Zulassung durch das Bundesgesundheitsamt (BGA) abgeschlossen wäre, sondern ein dynamischer Prozeß, der so lange währt, wie ein Arzneimittel auf dem Markt ist. Die Komplexität bei der Textproduktion trifft ebenso auf die kommunikative Zweckgebundenheit der Beipackzettel zu. Im einzelnen handelt es sich um juristische, herstellerorientierte, fachkreis- und patientenbezogene sowie werbepsychologische Interessen; s. Kap. 2.4 und 3.1 in Schuldt (1992).

62. Beipackzettel als fachbezogene Vermittlungstexte

2.2. Kommunikative Funktionen Entsprechend der von Möhn/Pelka (1984, 45) vertretenen Dualität des Funktionsbegriffs im Sinne (1) eines kommunikativ bestimmten Darstellungsverfahrens, das sich in der sprachlichen Gestaltung niederschlägt und (2) eines kommunikativen Zwecks lassen sich allgemein kommunikativ bestimmten sprachlichen Grundfunktionen spezifischere Textfunktionen gegenüberstellen: (a) deskriptive Grundfunktion ⫺ Textfunktion: mitteilen, informieren, in Kenntnis setzen, erläutern, aufklären Referenz: Eigenschaften, wirksame Bestandteile, Präparatebezeichnung, Neben-/Wechselwirkungen, Gegenanzeigen, Hintergrundinformationen zu der Krankheit u. a. (b) instruktive/appellative Grundfunktion ⫺ Textfunktion: anweisen, anleiten, vorschreiben, verordnen, auffordern, ratgeben, empfehlen Referenz: Dosierung, Art und Dauer der Anwendung, Gegenanzeigen, Wechsel-/ Nebenwirkungen, Aufbewahrungshinweis, Anwendungsverbot (s. Verfalldatum), Warnhinweise (z. B. für Autofahrer). Eine klare Ausgrenzung der Textfunktionen innerhalb einzelner Textabschnitte ist nicht immer gegeben, insbesondere die Abschnitte über Neben-/Wechselwirkungen und Gegenanzeigen weisen eine Verschränkung informierender, aufklärender, anweisender und empfehlender Textteile auf; s. in diesem Zusammenhang die von Möhn (1991, 188, 193) postulierte „bi-intentionale“ Funktion (instruieren ⫽ appellieren ⫹ informieren). Es erhebt sich nun die Frage, „wie kommunikative Absichten systematisch mit sprachlichen Strukturen verbunden sind und wie solche Struktur-Funktions-Beziehungen im konkreten Vollzug von Sprechhandlungen zur Verwirklichung der Ziele des Senders eingesetzt werden können“ (Hopfer 1985, 58).

3.

Strukturelle Spezifika

3.1. Textaufbau Als unverbindliche Orientierung für die thematische Gliederung von Beipackzetteln diente bisher die Reihenfolge der in § 11 Abs. 1 Nr. 1⫺11, Abs. 2 und 5 des AMG festgelegten Pflichtangaben: Name/Anschrift der Firma oder des pharmazeutischen Unternehmens, Bezeichnung des Arzneimittels, wirk-

585 same Bestandteile nach Art und Menge, Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Dosierungsanleitung mit Einzel- und Tagesangaben und dem Hinweis „soweit nicht anders verordnet“, die Art der Anwendung, Anwendungsverbot nach Ablauf des Verfalldatums, der Hinweis, daß Arzneimittel unzugänglich für Kinder aufbewahrt werden sollen sowie ggf. Warn- und bestimmte Aufbewahrungshinweise. Laut Artikel 7 der EGRichtlinie 92/27 wird die Reihenfolge erstmals verbindlich vorgeschrieben; sie weicht von der deutschen Systematik ab. Über diese Pflichtangaben hinausgehende weitere Angaben für die gesundheitliche Aufklärung des Patienten, der sog. „Lyrikteil“, wie z. B. Eigenschaften des Arzneimittels, müssen „deutlich abgesetzt und abgegrenzt sein“, mit der Fachinformation (Gebrauchsinformation für Fachkreise) übereinstimmen und dürfen keinen Werbecharakter haben. Nebenwirkungen werden innerhalb des Gesamtabschnitts teilweise untergliedert entsprechend ihrer Lokalisation. Darüber hinaus finden sich zum Teil erläuternde standardisierte Vorspanntexte zu Beginn der Abschnitte über die Pflichtangaben Neben-/Wechselwirkungen und Gegenanzeigen, wie z. B.: Arzneimittel können neben den erwünschten Hauptwirkungen auch unerwünschte Wirkungen, sogenannte Nebenwirkungen, haben. Nebenwirkungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Anwendung von X beobachtet wurden, jedoch nicht bei jedem Patienten auftreten müssen, werden im folgenden genannt. 3.2. Sprachliche Besonderheiten 3.2.1. Syntaktisch-stilistische Charakteristika Auf syntaktischer Ebene ist vor allem die Repräsentation von Handlungsanweisungen in den Bereichen Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Neben- und Wechselwirkungen sowie Dosierung des Arzneimittels zu betrachten. Die syntaktischen Realisierungsmuster weisen eine beträchtliche Variation mit unterschiedlichen Verbindlichkeitsgraden auf. Das Spektrum umfaßt Vorschriften, Verbote, restriktive Erlaubnis, Aufforderungen, Ratschläge/Empfehlungen und unspezifische Warnungen. An sprachlichen Ausdrucksformen sind zu belegen: imperativische Konstruktionen, Reflexiv- und modale Infinitivkonstruktionen, Modal-, Passiv- und Aussagesätze, Konjunktiv I ⫹ unpersönliches Sub-

586

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

jekt man, Modalverben in Verbindung mit Passivformen sowie Adjektive in prädikativer Verwendung. Sie werden teilweise unterstützt durch den Einsatz nichtsprachlicher Kommunikationsmittel wie z. B. Abbildungen bezüglich der Anwendungs- und Dosierungsweise als zusätzliche Verständniserleichterung. Zu den syntaktischen Strukturmustern bei der Darstellung von Nebenwirkungen und Gegenanzeigen s. die Schemata 8 und 9 in Schuldt (1992, 203, 217). Präpositionalgefüge, substantivierte Verben, ,ung-Ableitungen‘ sowie Funktionsverbgefüge und nominalisierte Adjektive prägen den Nominalstil: vor Beginn der Einnahme, Nachlassen der Sehkraft, Entzündung, ärztlichen Rat in Anspruch nehmen, Überempfindlichkeit. Weitere syntaktische Komprimierungsformen zeigen sich in der Verwendung von Adjektiv-, Partizipial-, Präpositionalund anderen Attributen als stilistische Varianten zu Attributsätzen. Des weiteren ist festzustellen, daß Anweisungen/Anleitungen durch den Gebrauch elliptischer Satzkonstruktionen vollzogen werden: Vor Licht schützen! Neben anweisenden/anleitenden Textpassagen enthalten Beipackzettel sachund vorgangsbezogene Darstellungen und Beschreibungen, z. B. der Eigenschaften und Wirkungsweise eines Arzneimittels oder Wirkstoffes. Auffällig ist auch die breite Skala von Modaladverbien zur Kennzeichnung des Schweregrades und zur Klassifizierung von Nebenwirkungen wie (sehr/äußerst) selten, gelegentlich, vereinzelt, häufig u. ä. Passivkonstruktionen treten in drei Funktionen auf: (1) Mit der Form des Vorgangspassivs werden Eigenschaften des Medikamentes oder die Wirkungsweise der Inhaltssubstanz(en) beschrieben. (2) Die zweite Funktion besteht in der sprachlichen Repräsentation von Anweisungen und Anleitungen unter Umgehung des persönlichen Subjekts. (3) Ferner treten Passivkonstruktionen in Form von Empfehlungen und Ratschlägen auf. Darüber hinaus ist der Gebrauch konditionaler, temporaler, finaler und kausaler Konstruktionen zu verzeichnen. Im stilistischen Bereich sind die sprachlichen Realisierungsformen der persönlichen und unpersönlichen Adressaten-Bezugnahme zu nennen sowie die patientengerichteten Zusatzinformationen, die entweder als offener Brief konzipiert sind, als Zusatzangaben unter einem Trennungsstrich mit persönlicher Ansprache des Adressaten oder als reine Kontaktformeln wie Gute Besserung wünscht BAYER; vgl. Möhns Ausführungen zu kon-

taktiven Textelementen (1991, 200). Schließlich weisen Beipackzettel auch eine Reihe sprachlicher Werbestrategien bei der Produktpräsentation auf; s. hierzu Schuldt (1992, 237 ff). 3.2.2. Lexik Die Fachtextsorte Beipackzettel von Medikamenten ist gekennzeichnet durch die Verwendung des medizinisch-pharmakologischen Fachwortschatzes, der aufgrund zahlreicher Fachgebiete wiederum in einzelne Teilfachsprachen zerfällt, und dessen Verflechtung mit Bezeichnungen und Strukturen der Gemeinsprache in fachlichen Handlungszusammenhängen: Parkinson-Syndrom (Tremor, Rigor, Akinese), antipruriginöse und vasokonstriktorische Wirkung, idiopathische Gelbsucht, Hautausschläge; Näheres in Schuldt (1992, 167 ff). Das Verhältnis dieser Fachlexik zum gemeinsprachlichen Wortschatz ist bei der Terminologie mit verschiedenen Aspekten in bezug auf die Sicherung des Textverständnisses beim Rezipienten verbunden. Diese hängen mit der Antinomie zwischen Exaktheit und Verständlichkeit zusammen, d. h. mit der (Un-)Vereinbarkeit zwischen der Gewährleistung der erforderlichen Genauigkeit bei der Sachdarstellung medizinischer Vorgänge und der Umgehung von Schwer- oder gar Unverständlichkeit durch Verwendung unpräziser Ausdrücke aus der Gemeinsprache, verbunden mit einem geringeren Grad an terminologischer Exaktheit. Ein verständnissicherndes Verfahren ist die Eindeutschung oder umschreibende Ersetzung medizinischer Fachwörter, z. B. krankhafte Erweiterung der Bronchien (Bronchiektasie), Verminderung der Blutplättchen (Thrombozytopenie). Die formale Darstellung erfolgt zumeist in runden Klammern und umfaßt sehr differenzierte Funktionen innerhalb der Textkonstitution. Bei den Verfahren handelt es sich vornehmlich um die Prinzipien der fachsprachlichen Übersetzung, Spezifizierung, Explikation, Klassifizierung und Konkretisierung als „Strategien des Produzenten zur Sicherung der Verständlichkeit“ (Mentrup 1988, 589); s. auch Schuldt (1992, 180 ff).

4.

Ausblick

Die seit vielen Jahren beklagte Schwer-/Unverständlichkeit der Arzneimittelinformationen und -aufklärung hat vielfach Anlaß dazu gegeben, innovative Wege im Hinblick auf ihre inhaltliche und sprachlich-formale Optimierung aufzuzeigen, u. a. eine klarere Text-

62. Beipackzettel als fachbezogene Vermittlungstexte

gliederung, Vermeidung oder Umschreibung von Fach- und Fremdwörtern, eine größere Schrift, keine komplizierten Satzstrukturen, eindeutigere Handlungsanweisungen; vgl. in diesem Zusammenhang Kepplinger (1991), Sickmüller/Kleist/Walluf-Blume (1993) sowie Holz-Slomczyk/Hoy/Koch u. a. (1993) und Gloning (1995). Sie lassen sich durch verschiedene Studien, Symposien, Umfrageergebnisse, Gutachten, verbandsinterne Projektgruppen und nicht zuletzt durch EGRichtlinien belegen. Die im Zuge der Harmonisierungsbestrebungen seitens der Europäischen Gemeinschaft vorgeschlagenen Neuregelungen für eine EG-einheitliche Packungsbeilage in allen Mitgliedsländern, abzufassen in der/den jeweiligen Amtssprache(n), s. EGRichtlinie 92/27, Artikel 7 und 8, sehen eine Reihe zusätzlicher, über die bisherigen Pflichtangaben hinausgehende Angaben vor, u. a. Erläuterungen von Gegenmaßnahmen bei unerwünschten Nebenwirkungen, Hinweise für Fälle falscher Dosierung, unterlassener Einnahme sowie auf unerwünschte Folgen des Absetzens, Angaben zur Stoff- oder Indikationsgruppe, Name und Anschrift des Herstellers, das Datum der Erstellung des Beipackzettels sowie den Einsatz EG-einheitlicher Piktogramme; s. Walluf-Blume (1992) und Holz-Slomczyk/Hoy/Koch u. a. (1993). Diese Regelungen sind mit dem Ziel verbunden, den Patienten- und Verbraucherschutz zu verbessern und in Zukunft allgemein verständlichere Beipackzettel erstellen zu können. Es bleibt zu hoffen, daß sich die Zielvorstellungen durch die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht nunmehr verwirklichen lassen.

5.

Literatur (in Auswahl)

Arzneimittelgesetz 1986 ⫽ Arzneimittelgesetz: Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976, geändert durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 24. Februar 1983 und durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 16. August 1986. Stuttgart 1986. Gloning 1995 ⫽ Thomas Gloning: Zur Verständlichkeit von Packungsbeilagen. In: Sprache: Verstehen und Verständlichkeit. Kongreßbeiträge zur 25. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e. V. Hrsg. von Bernd Spillner. Frankfurt am Main u. a. 1995 (forum Angewandte Linguistik 28), 44⫺55. Hoffmann 1983 ⫽ Ludger Hoffmann: Arzneimittelgebrauchsinformationen: Struktur, kommunikative Funktionen und Verständlichkeit. In: Deutsche Sprache 11. 1983, 138⫺159.

587 Holz-Slomczyk/Hoy/Koch u. a. 1993 ⫽ Maria Holz-Slomczyk/Frank Hoy/Helmut Koch/Rosemarie Paczinski-Henkelmann: Anleitung zur patientenfreundlichen Gestaltung von Packungsbeilagen unter Berücksichtigung der Richtlinie 92/27/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln. In: Pharmazeutische Industrie 55. 1993, 6⫺13. Hopfer 1985 ⫽ Reinhard Hopfer: Text und Rezeption. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 38. 1985, 58⫺72. Kalverkämper 1983 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Textuelle Fachsprachen-Linguistik als Aufgabe. In: Fachsprache und Fachliteratur. Hrsg. v. Brigitte Schlieben-Lange und Helmut Kreuzer. Göttingen 1983 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 51/52), 124⫺166. Kepplinger 1991 ⫽ Hans Mathias Kepplinger: Gutachten zur Verständlichkeit der Mustergebrauchsinformationen (Packungsbeilagen) des Bundesgesundheitsamtes (BGA) im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie e. V. (Juli 1991). In: Pharmazeutische Industrie 53. 1991, 886⫺895. Mentrup 1983 ⫽ Wolfgang Mentrup: Zur Pragmatik einer Lexikographie. Handlungsausschnitt⫺ Sprachausschnitt⫺Wörterbuchausschnitt. Auch zur Beschreibung schwerer Wörter in medizinischer Kommunikation. Am Beispiel fachexterner Anweisungstexte. 2 Teilbände. Tübingen 1988 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache, 66.1 und 66.2). Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Möhn 1991 ⫽ Dieter Möhn: Instruktionstexte. Ein Problemfall bei der Textidentifikation. In: Aspekte der Textlinguistik. Hrsg. v. Klaus Brinker. Hildesheim. Zürich. New York 1991, 183⫺212. Richtlinie 92/27 1992 ⫽ Etikettierung und Pakkungsbeilage von Humanarzneimitteln. Richtlinie 92/27/EWG des Rates vom 31. März 1992 (Amtsblatt der EG vom 30. April 1992, S. 8). In: Deutsche Apotheker-Zeitung 132. 1992, 1111⫺1113. Schuldt 1992 ⫽ Janina Schuldt: Den Patienten informieren: Beipackzettel von Medikamenten. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 15). Sickmüller/Kleist/Walluf-Blume 1993 ⫽ Barbara Sickmüller/Holde Kleist/Dagmar Walluf-Blume: Gestaltung von patientengerechten Packungsbeilagen. In: Pharmazeutische Industrie 55. 1993, I/ 9⫺10. Walluf-Blume 1992 ⫽ Dagmar Walluf-Blume: Einheitliche Packungsbeilage in der EG. Diskussionsstand aus deutscher Sicht. In: Deutsche ApothekerZeitung 132. 1992, 142⫺144.

Janina Schuldt, Hamburg

588

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

62 a. Fachsprachliche Phänomene in Gebrauchstexten 1. 2. 3.

Begriffsklärungen Eine Systematik der Kommunikationsbereiche, in denen Gebrauchstexte mit fachsprachlichen Elementen vorkommen Literatur (in Auswahl)

1.

Begriffsklärungen

1.1. Zur Bestimmung des Begriffs Gebrauchstext Der Begriff Gebrauchstext wird häufig in einem eher weiten Sinn verstanden und vor allem in Abgrenzung zu literarischen Texten benutzt (vgl. z. B. Belke 1973; 1974; Rolf 1993). Fachtexte und insbesondere wissenschaftliche Texte bilden dann eine Untergruppe der Gebrauchstexte. Anderen Auffassungen zufolge werden wissenschaftliche Texte aus der Menge der Gebrauchstexte ausgegrenzt: die letzteren werden dann mit Alltagstexten gleichgesetzt (vgl. Schwitalla 1976). Der Anlage des vorliegenden Handbuchs entsprechend wollen wir hier unter Gebrauchstexten solche (nichtliterarischen) Texte der Alltagskommunikation verstehen, die im allgemeinen nicht als Fachtexte, d. h. die weder als wissenschaftliche noch als institutionsinterne noch als fachdidaktische Texte angesehen werden und, was ihre Produktion und Rezeption anbelangt, dadurch gekennzeichnet sind, daß Adressat und/oder Verfasser keine eigentlichen (Berufs-)Experten sind. Bei Texten, die von Experten für Laien verfaßt sind, ist der fachsprachliche Anteil in der Regel überraschend hoch; Texte, die hingegen von Laien geschrieben sind und sich an Berufsexperten richten, enthalten fachsprachliche Phänomene vornehmlich in dem Ausmaß, in dem der Gebrauch der Fachsprache auf seiten der Laien nachgeahmt wird, was z. B. bei Briefen an Behörden oder Handwerker der Fall ist. Für Heizkostenabrechnungen, Fahrpläne, Orthographieregeln, Investmentzertifikate, Rätsel, Gesundheitsatteste, Spielanleitungen, Testamente, Zeugnisse, Lexikonartikel, Horoskope, Speisekarten, Beförderungsbestimmungen, Parkvorschriften, Hallenordnungen, Steuerbescheide, Bußgeldbescheide, Börsennachrichten, Telefonbücher, Melde- oder Wohngeldantragsformulare, kurz, für Gebrauchstexte der hier fokussierten Art, ist folgendes charakteristisch: Von einem Experten, von jemandem, der aufgrund einer bestimmten beruflichen Ausbildung ein bestimmtes

Sachwissen erworben hat (vgl. Wichter 1994) und professionell in einem bestimmten Sachgebiet tätig ist, verfaßt, werden sie im Standardfall von Personen rezipiert, die keinerlei Ausbildung in dem fraglichen Sachgebiet haben und mit diesem (und seinen Experten) nicht-beruflich in Kontakt kommen. Als Rezipienten der entsprechenden Texte der Alltagskommunikation werden Laien dieser Art dennoch mit Fachsprachen konfrontiert. Inwiefern das der Fall ist und in welchen Bereichen es geschieht, das aufzuzeigen ist das Hauptanliegen der folgenden Ausführungen. 1.2. Zur Ausprägung der Differenz Experte/Laie Was die Differenz Experte/Laie anbelangt, so gibt es diverse Zwischenformen: Experten mit begrenzter professioneller Ausbildung und starkem Laienkontakt (Halbexperten wie Verwaltungs- oder Bahnangestellte z. B.) sowie informierte Laien, d. h. Personen mit autodidaktischer bzw. nicht-professioneller Ausbildung, „Hobby-Experten“; deren Wissen kann dem der professionellen Experten entsprechen, es kann sogar ausgeprägter sein (Beispiel: „Hacker“). Nichtprofessionelle Experten in Bereichen, für die es keine (gesellschaftlich anerkannte) Berufsausbildung gibt, Experten in subkulturellen Milieus sind z. B. Graffiti-Künstler; Pop-, Rock-, Techno-Musiker; Bungee- oder Gleitschirm-Springer; Hobby-Astrologen; Esoteriker etc. In dem Ausmaß, in dem die hier fokussierten Gebrauchstexte von informierten Laien oder nichtprofessionellen Experten rezipiert werden, erweist sich das Problem der Konfrontiertheit mit Fachsprachen als unerheblich. 1.3. Zur Bestimmung des Begriffs Fachsprachliche Phänomene (zugleich zur Frage nach der Funktion fachsprachlicher Phänomene in Gebrauchstexten) Fachgeprägte Gebrauchstexte weisen fachsprachliche Erscheinungen auf, wie sie von reinen Fachtexten her bekannt sind (vgl. dazu zusammenfassend z. B. Fluck 1991; Hoffmann 1985; Möhn/Pelka 1984). Am auffälligsten ist der Fachwortschatz. Dieser wird, wie in reinen Fachtexten, vornehmlich aufgrund referentieller Notwendigkeit, d. h. sachgesteuert, verwendet. Ein Grund dafür, daß auch Texte der Alltagskommunikation einen nicht unbeträchtlichen

589

62a. Fachsprachliche Phänomene in Gebrauchstexten

Anteil von Fachwortschatzelementen enthalten, besteht darin, daß die verschiedenen Lebensbereiche in wachsendem Maße fachlich erfaßt bzw. verwaltet werden (vgl. z. B. Mentrup 1979; Fluck 1991). Es gibt nahezu für alles Experten, so daß die „Gefahr“ fachsprachlicher Elemente stets gegeben ist. Auch in Texten der Alltagskommunikation kommen, erstens, Termini vor, d. h. als fachsprachlich erkennbare Ausdrücke (fachsprachliche signifiants), und zweitens terminologisierte Wörter, d. h. Ausdrücke, die „sich mit der Formseite gemeinsprachlicher Wörter“ (Fluck 1991, 47) decken, bei denen aber eine fachsprachliche Bedeutungsspezialisierung stattgefunden hat. Zudem sind die für Fachsprachen typischen Wortbildungsprodukte, Abkürzungen und von diesen Gebrauch machende Wortneubildungen in den hier fokussierten Texten der Alltagssprache enthalten. Beispiele für Fachwörter bzw. Termini und Wortbildungsprodukte sind: Notierungen, Gewinnmitnahmen, Aktienkurse, F. A. Z.-Aktienindex; Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Rentenversicherung; ATP-Turnier, Tie-break, Vier-Schanzen-Tournee; Frage-Antwort-Karten, Pasch, Joker, Karottenkarten; Dekade, Geburtssonne, Mondeinfluß; Kurswagen, InterCityExpress, EuroNight, ICE-MitfahrerSuper-Sparpreis; Beispiele für Terminologisierungen sind: Genüsse, Vorzüge, Stämme, Kulisse; nichtselbständige Arbeit; Satz, Ecke, Tor; Karotten, Zone, Point, Let, Briefmarke, Controller, Collector, Kreisel, erkreiseln; Löwe, Jungfrau, Waage; BordRestaurant, Bistro Cafe´. (Diese Beispiele stammen, der Reihe nach, aus Börsennachrichten; Steuertips für Schüler und Studenten; Sportnachrichten; Spielregeln und Spielanleitungen; Horoskopen; Zeichenerklärungen von Fahrplänen der Deutschen Bundesbahn).

Selbst dort, wo der Abstraktionsgrad im Sinne von Hoffmann (1985) niedrig oder sehr niedrig ist, lauern Verständnisprobleme dennoch sozusagen an allen Ecken und Kanten: Was bedeutet z. B. die auf Parkuhren zu lesende Bezeichnung wochentags? Gehört samstags dazu? Was bedeutete der im Postverkehr übliche Ausdruck Bundesgebiet vor der Wiedervereinigung? Gehörte Berlin West dazu? Was bedeutet die z. B. auf Packungsaufschriften für Käse vorkommende Bezeichnung Fettgehalt i. Tr.? Was bedeutet die im öffentlichen Verkehr gebrauchte Bezeichnung im Stadtgebiet, was der Ausdruck Handgepäck, der einem auf Flughäfen begegnet? Beispiele dieser Art lassen sich ohne Mühe vermehren. In Texten der Alltagskommunikation kommen auch solche für Fachsprachen typische

syntaktisch-stilistische Merkmale vor wie der Nominalstil mit Abstrakta, Partizipialkonstruktionen, Genitivketten, Häufung von Verbalsubstantiven, Funktionsverbgefügen, Passivkonstruktionen (mit und ohne Agensausblendung). Die Funktion solcher Phänomene ist vielfach weniger sachbestimmt als prestigebestimmt, sie dienen wenn nicht der Einschüchterung, dann dem Selbstschutz und/oder der Verschleierung. Das folgende, einer Speisekarte entnommene Beispiel mag hier für viele stehen: „Dieses Schlemmermenü kann aus küchentechnischen Gründen an Sonntagen nicht serviert werden.“ In textueller Hinsicht enthalten fachgeprägte Gebrauchstexte solche aus reinen Fachtexten bekannten Erscheinungen wie Deklarationsformen (explizite Textbezeichnungen), Textuntergliederungen (Listen und Tabellen eingeschlossen), typographische Mittel wie Fettdruck und außersprachliche Mittel wie beispielsweise Skizzen und Zeichnungen. Das Verständnis fachgepräger Gebrauchstexte und der Umgang mit ihnen setzen ein spezifisches praktisches Handlungswissen voraus: Wie Rechnungen bzw. Abrechnungen zu lesen sind; wie Abkürzungen zu verstehen sind, wo man nachsehen kann, wie sie zu verstehen sind; wie Formulare und Anträge auszufüllen sind, wo sie unterschrieben werden müssen; nach welchen Prinzipien bestimmte Listen, Register, Verzeichnisse, Tafeln und Tabellen, also Auflistungen wie die von Namen im Telefonbuch zum Beispiel, angeordnet sind (Umlaute, Namenszusätze (von, van, de etc.)); was mit den Textträgern zu geschehen hat (Entwertung von Fahrscheinen z. B.) ⫺ all das erfordert ein bestimmtes Know-how, ein Know-how, das nur in seltenen Fällen durch einen Experten direkt übermittelt werden kann, ansonsten jedoch durch Zusatztexte vermittelt werden muß. Fachgeprägte Gebrauchstexte stehen deswegen oftmals in intertextuellen Zusammenhängen. Sie sind von anderen Texten umgeben: von Erläuterungen, Zeichenerklärungen, Legenden; Rechtsbehelfsbelehrungen. Texte der letzteren Art dienen dazu, das ⫺ fachsprachlich erschwerte ⫺ Verständnis der Gebrauchstexte oder den Umgang mit ihnen zu erleichtern.

2.

Eine Systematik der Kommunikationsbereiche, in denen Gebrauchstexte mit fachsprachlichen Elementen vorkommen

Im folgenden soll ein Überblick gegeben werden über die Bereiche, in denen fachgeprägte Gebrauchstexte vorkommen bzw. vergleichs-

590

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

weise häufig sind, zudem sollen Beispiele für die dort anzutreffenden Textsorten angeführt werden. Gliederungsgesichtspunkt ist neben der Domänenspezifik die Frage, inwieweit Laien den entsprechenden Textsortenexemplaren mitsamt den darin enthaltenen fachsprachlichen Phänomenen „ausgesetzt“ sind, d. h. inwieweit es sich um (fast) unausweichliche Rezeptionsakte handelt (Extremausprägung: Alltagsleben, Verwaltung), inwieweit um solche, denen man problemlos entgehen kann (Extremausprägung: Freizeitbeschäftigung, Hobbys). Für die Frage, wie problematisch Fachsprache in Gebrauchstexten ist, wie sehr sich in ihr die wachsende „Verwissenschaftlichung“ bzw. Verwaltung der modernen Welt manifestiert, ist das Kriterium der mehr oder weniger gegebenen Unausweichlichkeit des Konfrontiertseins von großer Relevanz. 2.1. Der Bereich der alltäglichen Lebensbewältigung Dem Zwang zur Fachsprachrezeption ist man vor allem dort ausgesetzt, wo die konkrete Textgestaltung ausgeht oder kontrolliert ist von staatlichen Organen (wo es also keine Wahl gibt: z. B. bei der Verwaltung, im Einflußbereich von Verkehrsbetrieben, bei der Post etc.). Eher „freiwillig“ bzw. umgehbar hingegen ist die Fachsprachrezeption, wenn die Wahl der Mittel vom einzelnen abhängt. 2.1.1. Befriedigung der Grundbedürfnisse: Ernährung; Wohnen / Schlafen; Körperpflege / Hygiene / Gesundheit; Partnerschaft / Familie Eine vergleichsweise starke „Einbruchstelle“ für fachsprachliche Elemente ist der Öko-/ Bio-/Gesundheitsdiskurs (vgl. Jung 1995 und die dort nachgewiesene Literatur): Da inzwischen fast sämtliche Lebensbereiche und -äußerungen, vom Sonnenbaden übers Fernsehen und Gemüse-Anpflanzen bis hin zum vor Erdstrahlen ungeschützten Aufstellen eines Bettes, als potentiell gesundheitsgefährdend entlarvt sind, läuft man tagtäglich Gefahr, mit Elementen aus dem entsprechenden Diskurs konfrontiert zu werden ⫺ sei es über die Umweltbewegung, sei es über den Bereich der Werbung, in dem den neuen Erwartungen entsprechende Produkte angepriesen werden. Textsorten, die in dieser Hinsicht zu nennen wären, sind: von seiten der Verbraucherverbände herausgegebene Verbraucherinformationen; Zeitschriften (sehr ergiebig, spezi-

elle Ressorts, Ecken); Sachbücher („Gesund leben“ etc.); Aufklärungszettel, die von Parteien oder Vereinen, von Firmen (Chemieunternehmen) oder aus der Verwaltung stammen (Bürgerinformationen zur Abfallbeseitigung, zum Energiesparen); Anleitungstexte (Kochbücher, Koch- und Backrezepte; Gebrauchsinformationen; Schriften zur Gesundheitsvorsorge u. ä.); Packungsaufschriften auf Lebens-, Körperpflege- und Reinigungsmitteln; Produktinformationen und -werbung; Beratungs- bzw. Verkaufsgespräche in Drogerien, Apotheken, Reformhäusern bzw. beim Arzt. An dieser Stelle sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß, insbesondere was die Herstellung von Speisen und die Kenntnis von Hausmitteln zur Bekämpfung von Krankheiten oder Ungeziefer u. ä. anbelangt, ein Teil des dafür konstitutiven Allgemeinwortschatzes (Allgemeinwissens) verloren gegangen ist bzw. zu einem Spezialwortschatz (Spezialwissen) geworden ist.

Ein weiterer Bereich, aus dem Fachsprache in Alltagstexte eindringt, ist der Psycho-Diskurs; er kann relevant sein im Hinblick auf Fragen der individuellen Lebensbewältigung, bei Problemen mit Partnern, in Familien, bei der Kindererziehung etc. Textsorten sind z. B.: Zeitungen und Zeitschriften, speziell in der Beratungs-/Lebenshilfeecke (Horoskope eingeschlossen); Spezialzeitschriften für Eltern; Jugendzeitschriften; Ratgeber; esoterische Schriften zur Lebenshilfe; psychologische Beratungsgespräche. 2.1.2. Alltagshandeln in einer hochtechnisierten Gesellschaft Für grundlegende und vor allem für weniger grundlegende Bedürfnisse des alltäglichen Lebens gibt es eine Vielzahl von mehr oder weniger komplizierten Geräten bzw. Apparaten (Haushaltsgeräte, Telekommunikationsgeräte, Gartengeräte, Unterhaltungselektronik, Sportgeräte etc.). Der Umgang mit solchen Geräten setzt die Rezeption von Gebrauchsanweisungen bzw. Bedienungsanleitungen und/oder Bedienungshandbüchern voraus. Der fachsprachliche Anteil der jeweiligen Texte ist relativ hoch. Fachgeprägt sind außerdem solche produktbegleitenden Textsorten wie Garantieerklärungen und -bedingungen, Reparaturscheine und Rechnungen sowie (bei Computern) Software-Lizenzverträge. Fachgeprägt sind vor allem auch die Beratungsgespräche, die, zumeist am Telefon

62a. Fachsprachliche Phänomene in Gebrauchstexten

geführt (z. B. Hotline-Beratung), Verständnisschwierigkeiten schon deshalb mit sich bringen, weil ein gemeinsamer Zugriff auf die Geräte, um die es dabei geht, nicht möglich bzw. bestenfalls durch den Umstand unterstützt ist, daß identische Bedienungsanleitungen auf beiden Seiten der Leitung zuhanden sind. Erwähnenswert ist insbesondere im Zusammenhang mit dem Computerbereich auch, daß der zumeist als Käufer in Erscheinung tretende Laie einem Verkäufertyp gegenübertritt, der selbst kein eigentlicher Berufsexperte ist, einem Verkäufertyp, der den Umgang mit den angebotenen Produkten selbst auch nur oberflächlich, soweit für das Verkaufsgespräch erforderlich, beherrscht. Der Anteil fremdsprachlicher Elemente, insbesondere solcher des amerikanischen Englisch, im Diskurs des Verkäufers ist dabei in der Regel vergleichsweise hoch. Dadurch wird Kompetenz angezeigt bzw. vorgetäuscht; das zu verkaufende Produkt aber wird aufgewertet. Je weniger der Käufer versteht, desto erfolgreicher kann der Verkauf sein. (Zu den fachsprachlichen Besonderheiten im Umgang mit Computern vgl. vor allem Wichter 1991.)

Viele Bereiche des Alltagslebens sind öffentlich. Die Teilnahme des einzelnen an den für die Bereiche Transport/öffentlicher Verkehr, Geldverkehr, Telekommunikation/Post, Versicherungswesen etc. typischen Kommunikationen ist weitgehend unausweichlich. In diesen Bereichen agieren in der Regel Personen, die ihre Arbeit routiniert verrichten, d. h. professionelle „Halbexperten“, Personen, die genau wissen, was zu tun ist, die sich aber über die Gründe dafür bzw. für im Laufe der Zeit veranlaßte Änderungen nicht kümmern müssen. Fachsprachliche Elemente im Diskurs solcher Halbexperten haben oftmals Prestigefunktion. Zu den Textsorten, die in diesen Bereichen eine Rolle spielen, gehören: Fahrpläne, Zeichenerklärungen; Visumsanträge; Ausfuhr-, Devisen-, Zoll-, Beförderungs-, Sicherheitsbestimmungen; Antragsformulare (z. B. für Kreditkarten, Bahn-Card), Aufschriften auf Fahrkarten, Schecks, Automaten, Bedienungsknöpfen, Verbots-, Gebots- und Informationsschildern, TÜV-Plaketten; Telefonbücher; Energie- und Telefonrechnungen; Mahnschreiben, Mahnzettel, Zahlungserinnerungen; Kontoauszüge, Überweisungsaufträge; Darlehens- und Sparverträge; Zolldeklarationen etc. sowie alle im Zusammenhang mit diesen Textsorten geführten Beratungs- und Verkaufsgespräche.

591 2.1.3. Bürger-Verwaltungs-Kommunikation In der verwalteten Welt ist der einzelne Bürger verschiedenen Arten von Zwangskommunikationen ausgesetzt. Es handelt sich einerseits um Kommunikationen, denen sich der einzelne Bürger prinzipiell unterwerfen muß bzw. denen er ausgesetzt werden kann (Kommunikationen aufgrund der Melde-, Schul-, Militär-, Steuerpflicht; in Gestalt von Vernehmungen bei der Polizei oder vor Gericht), andererseits um Kommunikationen, die der einzelne Bürger beispielsweise dann auf sich nehmen muß, wenn er bestimmte Erstattungsleistungen zu erhalten sucht (Wohngeld, Sozialhilfe, Versicherungszahlungen) oder wenn er bestimmte Handlungen durchführen will wie Telefonieren oder Fernsehen (Telefon-, Kabelfernsehanschluß). Als fachgeprägte Gebrauchstexte (oder Gebrauchstextvordrucke) spielen eine Rolle: Formulare aller Art (vgl. Grosse/Mentrup 1980), also z. B. Antrags- und Steuererklärungsformulare; Empfangs-, Spenden-, Eingangs-, Zulassungs-, Untauglichkeitsbescheinigungen; Personal- oder Impfausweise; Geburts-, Heirats-, Abstammungs-, Einbürgerungsurkunden; Schul-, Prüfungs-, Leistungszeugnisse; Fragebögen, Meldezettel; Bauoder Abbruchgenehmigungen; Einwanderungs-, Ausreise-, Aufenthalts- und Fahrerlaubnisse; Druck- oder Einfuhrlizenzen; Steuer-, Musterungs- und Einberufungsbescheide; Straf-, Haft- und Stellungsbefehle; Pfändungsverfügungen; Vernehmungsprotokolle, Vorladungen, Rechtsbehelfsbelehrungen, Rechtsmittelbelehrungen, Eidesbelehrungen, Zeugengebühren-Verzichtserklärungen, um nur einige zu nennen. Selbst dort, wo Textsorten dieser Art Fachvokabular nicht in ausgeprägtem Umfang enthalten, sind sie trotzdem vergleichsweise unverständlich, und zwar aufgrund der syntaktisch-stilistischen und handlungspraktischen Schwierigkeiten. Viele Menschen fühlen sich damit überfordert, so daß sie fremde Hilfe in Anspruch nehmen müssen (z. B. Steuerberater, Rechtsanwälte). Auch die Interaktion mit Institutionen (Kliniken, Schulen, Universitäten, Kirchen, Ämtern, Behörden, Gerichten etc.) konfrontiert den einzelnen Bürger in der Regel in mehr oder weniger großem Umfang mit Manifestationen einzelner Fachsprachen, der Rechtssprache, der Sprache der Theologie, Wissenschaftssprachen etc. (vgl. zu diesem Bereich z. B. Fuchs-Khakhar 1987).

592

VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

2.2. Der Bereich der Arbeitswelt Neben den Manifestationen der berufsspezifischen Fachsprachen (um die es im vorliegenden Artikel nicht geht) gibt es fachgeprägte Gebrauchstexte, die die allgemeine Organisation der Arbeitswelt betreffen. Teilweise ist diese rechtlich geregelt, zum Teil auch gewerkschaftlich bzw. innerbetrieblich organisiert. Zu den fachgeprägten, sich auf den Bereich der Arbeit beziehenden Textsorten gehören zunächst einmal diejenigen Texte, die den Beginn, die Regelung und die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses betreffen, also zum Beispiel Ausschreibungstexte, Bewerbungen, Einstellungs- oder Ablehnungsbescheide, Fragebögen; Arbeits- oder Dienstverträge; Tarifverträge, Urlaubsanträge, Krankmeldungen, Streikaufrufe, Bescheinigungen, Rentenversicherungsformulare bzw. -anträge; Kündigungsschreiben etc. Auf die Welt der Arbeit beziehen sich zudem: Gewerkschafts- und Betriebszeitungen, Informationen des Betriebsrats etc. Mit dem Gewerkschaftler betritt ein spezieller Expertentyp die Bühne, speziell insofern, als er nur ein Nebenbei-Funktionär, kein Berufsfunktionär ist.

2.3. Der Bereich des politischen Lebens In Demokratien müssen die einzelnen Bürger, um in den jeweiligen Systemen handeln zu können, sowohl über politische Institutionen (Institutionensprache) Bescheid wissen als auch über eine große Anzahl von Sachbereichen, die politisch geregelt werden und über die die Bürger theoretisch mitentscheiden. Über die Konfrontation mit der Fachsprache der Politik (s. Art. 82) hinaus, sind die meisten Leute in bezug auf Sach- und Institutionswissen auch sprachlich überfordert. Das zeigt sich im Hinblick auf jedes der folgenden Problemfelder. Es ist davon auszugehen, daß sich ein bedeutender Teil der Bevölkerung über die aktuelle politische Lage in In- und Ausland regelmäßig informiert. Insoweit es sich dabei um Informationen über die die verschiedenen Subsysteme der Gesellschaft betreffenden politischen Ereignisse und Entscheidungen handelt (Umwelt-, Wirtschafts-, Militär-, Gesundheitspolitik etc.), kommt aus referentiellen Notwendigkeiten Sachwissen und damit Fachsprachliches ins Spiel. Unspezifische allgemeine Informationen werden über Massenmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen) verbreitet. Der Journalist fungiert

dabei als Mittler, er ist selbst in der Regel kein Experte in dem von ihm besprochenen Sachgebiet. Inwieweit sich Fachsprachliches nicht nur in solchen Textsorten wie Nachricht und Bericht, wo sowohl lexikalische als auch syntaktisch-stilistische Elemente in deutlicher Ausprägung enthalten sind, findet, sondern zum Beispiel auch in Aufklärungstexten, muß noch untersucht werden. Spezifische, für die politische Meinungsbildung des einzelnen wichtige Informationen werden von Parteien, Interessenverbänden, Bürgerinitiativen, Vereinen wie Greenpeace und Amnesty International usw. verbreitet, sie finden sich aber auch in Sachbüchern und politischen Magazinen, ausführlichen Berichten und Erläuterungen in den Printmedien: Es handelt sich dabei zumeist um Informations- und Propagandamaterial, größtenteils mit aufklärerischem Anspruch. Hier relevante Texte können auf Fachlexik aus sachlichen Gründen nicht ganz verzichten, syntaktisch-stilistische Fachspezifika sind jedoch weniger zu beobachten, weil meinungsbildend und vorwiegend „bürgerfreundlich“ geschrieben bzw. gesprochen wird. Auch die zur Durchführung von Wahlen und Abstimmungen erforderlichen administrativen Texte: Wahlscheinanträge, Anträge auf Eintragung ins Wählerverzeichnis, Wahllisten etc. weisen einen nicht unerheblichen Anteil fachsprachlicher Phänomene auf. Das gilt selbst für Wahlscheine, wie man an den begleitenden Erläuterungen zum Ausfüllen derselben sehen kann. Für die Art des Vorgehens des einzelnen bei einer Wahl, hinsichtlich des Problems ungültiger Stimmen, ist auch und gerade die Fachgeprägtheit dieser Texte von entscheidender Wichtigkeit.

Vor allem als Mitglied einer Partei ist der einzelne Bürger mit verschiedenen fachgeprägten Textsorten konfrontiert. Zu diesen Textsorten gehören z. B. Parteiprogramme, Parteitagsreden, Parteitagsbeschlüsse, Wahlprogramme, Regierungsprogramme, Regierungserklärungen, Oppositionserklärungen, Kanzlerreden, Ministerreden, Abgeordnetenreden (vgl. z. B. Simmler 1978; Tillmann 1989); Geschäftsordnungen, Sitzungsprotokolle, ebenso verschiedenartige Informations-, Werbeund Propagandabroschüren. Mandatsträger, insofern sie nicht schon Berufspolitiker, sondern, wie in der repräsentativen Demokratie eigentlich gedacht, Volksund mithin Laienvertreter sind, stellen oftmals eine Art hochinformierter Laien dar, eine Art von Halbexperten, die einerseits mit Institutionensprache konfrontiert sind, ande-

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62a. Fachsprachliche Phänomene in Gebrauchstexten

rerseits mit Fachsprachen für die verschiedenen Sachbereiche, in denen Entscheidungen anstehen (vgl. dazu auch Fluck 1991). 2.4. Der Freizeitbereich Insofern als Gebrauchstext-Rezipienten Personen sind, die sich nichtberuflich mit bestimmten Sachgebieten beschäftigen (müssen), erweist sich der Freizeitbereich in fachsprachlicher Hinsicht als sehr ergiebig. Der expandierende Freizeitbereich ⫺ dies ist im übrigen eine Neuerung gegenüber Fachsprachen früherer Epochen, wo Fachsprachen nahezu dasselbe sind wie Berufssprachen ⫺ bringt „Hobby-Experten“ hervor. Neben dem Alltagsleben und der Verwaltung stellt der Freizeitbereich die wichtigste Einbruchsstelle für Fachsprachen in Alltagstexte dar. Der Unterschied zum Alltagsleben liegt zum einen darin, daß es sich bei der Kommunikation im Freizeitbereich keineswegs um Zwangskommunikation handelt, zum anderen, daß Hobby-Experten-Wissen beispielsweise in Philatelie, Graffiti, Horlogerie, Modelleisenbahnbau oder Fallschirmspringen für normale Laien genauso exotisch ist wie professionelles Expertentum. Im Unterschied zum Berufs-Expertentum, für das insbesondere Lehrbücher und wissenschaftliche Artikel eine große Rolle spielen, sind für das Hobby-Expertentum publikumsorientierte Spezialzeitschriften und Sachbücher charakteristisch. Zu den weniger exotischen Freizeitfächern sind speziell die Bereiche der Technik und der Wissenschaft, des Sports und der Kunst zu rechnen. Die Beschäftigung beispielsweise mit Politik, Geschichte, Musik und Philosophie kann auch eine reine Freizeitbeschäftigung sein. Für all diese Bereiche gilt, daß sie ausführlich in Texten behandelt werden, die sich an ein breites Publikum wenden, nämlich in den Massenmedien. Neben Berichten, Reportagen und Kritiken in den entsprechenden Ressorts der Printmedien, des Funks und des Fernsehens gibt es sehr spezifische Textsorten und Kommunikationsformen: Konzert- und Museumsführer; Konzert-, Kino-, Theaterprogramme; Programm- und Veranstaltungshinweise und Direktkommentare (bei SportLiveübertragungen) zum Beispiel. Die wichtigsten fachgeprägten Gebrauchstexte in den Bereichen Technik und Wissenschaft sind die von Hobby-Experten (der erwähnten Art) rezipierten Fachzeitschriften und Sachbücher.

Im Bereich des Sports sind Gebrauchstexte als fachgeprägt vor allem insofern anzusehen, als die jeweilige Sportart „exotisch“ ist. Fachgeprägt sind aber nicht nur die entsprechenden Spielregeln und Spielanleitungen, die Lehr- und Sachbücher sowie die Texte in Spezialzeitschriften, leicht fachgeprägt sind auch journalistische Texte, die sich auf populäre Sportarten (wie z. B. Fußball und Tennis) beziehen. Im Bereich der Kunst sind nahezu alle Texte fachgeprägt. Das gilt für Texte über Malerei, Skulptur, Architektur, Literatur, Musik, Film, Video, Tanz etc. ebenso wie für Rezensionen und Besprechungen von Filmen, Theateraufführungen, Musikaufführungen sowie für Konzertankündigungen, Kunst- oder Museumsführer, Ausstellungskataloge, Aufdrucke auf Schallplattenhüllen bzw. CDs, Klappentexte in Büchern, Kunstkalender, Moderationen von Musiksendungen usw. Es sind in den Bereichen Technik und Wissenschaft, Sport und Kunst nicht nur einzelne Fachwörter und die für Fachsprachen konstitutiven syntaktisch-stilistischen Besonderheiten zu registrieren, als Spezifika dieser Bereiche stellen auch Personen-, Autoren- und Künstlernamen sowie Buch- und Werktitel wichtige fachsprachliche Elemente dar. Überhaupt sehr wichtig ist, daß in diesen Bereichen Englisch als/statt (einer) Fachsprache fungiert. Im Gegensatz zu Fachtexten im engeren Sinn ist ein Großteil der hier behandelten Textsorten in der Forschung bisher kaum berücksichtigt worden. Der vorliegende Artikel ist daher eher als Strukturierung des Forschungsfeldes denn als Ergebnisüberblick zu verstehen.

3.

Literatur (in Auswahl)

Belke 1973 ⫽ Horst Belke: Literarische Gebrauchsformen. Düsseldorf 1973 (Grundstudium Literaturwissenschaft. Hochschuldidaktische Arbeitsmaterialien 9). Belke 1974 ⫽ Horst Belke: Gebrauchstexte. In: Heinz Ludwig Arnold/Volker Sinemus (Hrsg.): Grundzüge der Literatur- und Sprachwissenschaft 1: Literaturwissenschaft. München 1974, 320⫺341. Fluck 1991 ⫽ Hans-R. Fluck: Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 4. Aufl. Tübingen 1991 (Uni-Taschenbücher 483). Fuchs-Khakhar 1987 ⫽ Christine Fuchs-Khakhar: Die Verwaltungssprache zwischen dem Anspruch auf Fachsprachlichkeit und Verständlichkeit. Ein Vergleich der Darstellungen dieses Konflikts in der deutschen Verwaltungssprache und der Vorschläge

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VII. Klassifizierungen von Fachtexten und fachbezogenen Vermittlungstexten

zu einer Bewältigung seit 1958. Ergänzt durch einen Blick auf die neueren Ansätze zur Verbesserung der Verwaltungssprache in Großbritannien. Tübingen 1987. Grosse/Mentrup 1980 ⫽ Siegfried Grosse/Wolfgang Mentrup (Hrsg.): Bürger⫺Formulare⫺Behörde. Wissenschaftliche Arbeitstagung zum Kommunikationsmittel ,Formular‘, Mannheim, Oktober 1979. Mit einer ausführlichen Bibliographie. Tübingen 1980. Hoffmann 1985 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2. völlig neu bearb. Auflage. Tübingen 1985 (Forum für Fachsprachen-Forschung 1). Jung 1995 ⫽ Matthias Jung: Umweltstörfälle. Fachsprache und Expertentum in der öffentlichen Diskussion. In: Georg Stötzel/Martin Wengeler (Hrsg.): Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1995, 619⫺678. Mentrup 1979 ⫽ Wolfgang Mentrup (Hrsg.): Fachsprachen und Gemeinsprache. Jahrbuch des Instituts für deutsche Sprache 1978. Düsseldorf 1979. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30).

Rolf 1993 ⫽ Eckard Rolf: Die Funktionen der Gebrauchstextsorten. Berlin 1993 (Grundlagen der Kommunikation und Kognition). Schwitalla 1976 ⫽ Johannes Schwitalla: Was sind ,Gebrauchstexte‘? In: Deutsche Sprache 4. 1976, 20⫺40. Simmler 1978 ⫽ Franz Simmler: Die politische Rede im Deutschen Bundestag. Bestimmung ihrer Textsorten und Redesorten. Göppingen 1978 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 245). Tillmann 1989 ⫽ Alexander Tillmann: Ausgewählte Textsorten politischer Sprache. Eine linguistische Analyse parteilichen Sprechens. Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 513). Wichter 1991 ⫽ Sigurd Wichter: Zur Computerwortschatz-Ausbreitung in der Gemeinsprache. Elemente der vertikalen Sprachgeschichte einer Sache. Frankfurt/M. 1991 (Germanistische Arbeiten zur Sprache und Kulturgeschichte 17). Wichter 1994 ⫽ Sigurd Wichter: Experten- und Laienwortschätze. Umriß einer Lexikologie der Vertikalität. Tübingen 1994 (Reihe Germanistische Linguistik 144).

Kirsten Adamzik, Genf / Eckard Rolf, Münster

VIII. Textlinguistische Ansätze in der neueren Fachsprachenforschung II: spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung 63. Isotopien in Wirtschaftsfachtexten: ein Analysebeispiel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einleitung Zum Isotopie-Begriff in der Sprachwissenschaft Analysebeispiel Isotopien und Fachsprachenforschung Schlußbemerkung Anhang I und Anhang II Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung

Der folgende Artikel will anhand des strukturellen Isotopie-Begriffs, der sog. leksemantischen Isotopie (Mudersbach/Gerzymisch-Arbogast 1989), die Relevanz der Isotopie-Analyse für die Fachsprachenforschung an einem englischen Fachtextbeispiel entfalten. Dabei soll zunächst der leksemantische Isotopie-Begriff theoretisch vom Isotopie-Begriff Greimas’ abgegrenzt werden (vgl. 2). Auf dieser Basis wird anhand eines englischen Wirtschaftstextes (Anhang I) exemplarisch dargestellt, wie Isotopie-Linien unterschiedlicher Relevanz bzw. unterschiedlichen Grades in einem Text ermittelt werden (vgl. 3 und Anhang II). Aus dieser Darstellung wird der Nutzen von Isotopie-Analysen für die Fachsprachenforschung deutlich (vgl. 4).

2.

Zum Isotopie-Begriff in der Sprachwissenschaft

Der Isotopie-Begriff als »l’lite´rativite´, le long d’une chaıˆne syntagmatique, de classe`mes qui assurent au discours-e´nonce´ son homoge´ne´ite´« (Greimas/Courte´s 1979) wurde 1966 von Greimas in die Sprachwissenschaft eingeführt und hat sich schnell in der Semiotik und Poetik etabliert (vgl. u. a. van Dijk 1970, 1972; Rastier 1972, 1984 und Arrive´/Coquet 1987). Dabei gehen die intensivsten Bemühungen zunächst von der Schule um Greimas selbst aus. 1975 organisiert das „Centre de re-

cherches linguistiques et se´miologiques“ der Universität Lyon das erste Kolloquium zum Thema Isotopien, wobei zum einen versucht wird, den Begriff der Isotopie zu präzisieren und zum anderen Isotopie-Analysen in Anwendung auf poetische Texte anzufertigen (u. a. Kerbrat-Orecchioni 1976 und Berrendonner 1975⫺1976). Diese Bemühungen zeigen, daß der Greimas’sche Begriff der Isotopie nur schwer zu fassen und kaum zu operationalisieren ist. Aus semiotischer Sicht kommentiert Eco (1984): „My hypothesis is that the term, variously defined by Greimas and by his school, is an umbrella term, a rather general notion that can allow for various more specific ones defining different textual phenomena“ (Eco 1984, 189).

Eco plädiert für einen spezifischeren Isotopie-Begriff, weil das Greimas-Konzept „… comes to cover too many phenomena, as for instance, cases of rhetorical metaplasms […] such as alliteration, which do not request ⫺ in order to be explained ⫺ the complex paraphernalia of a theory of isotopies“ (Eco 1984, 192).

Bislang ist eine Spezifizierung des IsotopieBegriffs allerdings nicht gelungen. Dennoch erfreut sich das Konzept primär in der Textlinguistik (exemplarisch Kallmeyer 1974/ 1980, Weinrich 1976, Kalverkämper 1981, Scherner 1984, Keller/Hafner 1986) und auf dieser Basis auch in der Übersetzungswissenschaft (z. B. Stolze 1982, Gerzymisch-Arbogast 1994) zunehmender Akzeptanz und Beliebtheit, allerdings vornehmlich in der Anwendung auf Texte mit hoher sprachlicher Komplexität zur Sicherung des Textverständnisses (vgl. die Analyse von Shakespeares Macbeth (Ostheeren 1982)). Nur vereinzelt werden Isotopie-Analysen von fachsprachlichen Texten angefertigt (vgl. Wiegand 1987, Thiel/Thome 1988, Selle 1990). Bevor im folgenden ein strukturelles Isotopie-Konzept

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VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

vorgestellt und exemplarisch gezeigt wird, was ein einzelsprachenunabhängiger Isotopie-Begriff für fachsprachliche Texte leisten kann, soll zunächst kurz auf den Isotopie-Begriff Greimas’ eingegangen werden. 2.1. Der Isotopie-Begriff bei Greimas Dabei kann in diesem Rahmen nur auf solche Aspekte des Greimas’schen Isotopie-Begriffs eingegangen werden, in denen er sich vom hier diskutierten Isotopie-Begriff wesentlich unterscheidet (zur Kritik vgl. auch Mudersbach/Gerzymisch-Arbogast 1989). Dies ergibt sich primär im unterschiedlichen sprachtheoretischen Zugang (Sem-Begriff versus leksemantischer Bedeutungsbegriff) und in der Verfahrensweise bei der Etablierung der Isotopien (lexikalische Standardisierung und Reduktion des Textes versus relationale Netzdarstellung). Zunächst zum Begriff der Isotopie: Von Greimas und seinen Nachfolgern (Rastier 1972, Arrive´ 1973) werden verschiedene Begriffe vorgeschlagen. Einmal wird Isotopie verstanden als die Wiederholung des gleichen Sems bzw. Klassems in einem zugrundegelegten Text («ite´rativite´ » Greimas/Courte´s 1979, 197). Dabei wird bei Greimas ursprünglich davon ausgegangen, daß sich Isotopien über Sememe etablieren lassen und Sememe als Kombination aus Semen und Klassemen aufgefaßt werden, die wiederum vor dem Hintergrund eines „kulturellen Gitters“ gebildet werden (Greimas 21986, 90). Später wird der Begriff ausgedehnt auf die Wiederholung einer beliebigen sprachlichen Einheit im zugrundeliegenden Text. Schließlich gilt mit der Wiederholung eines beliebigen Aspektes der Ausdrucks- oder Inhaltsseite einer sprachlichen Einheit eine Isotopie als etabliert (Rastier 1972, 157 und Arrive´ 1973, 54). Die Kritik an dieser Begrifflichkeit muß zunächst bei der evidenten Unklarheit des Begriffs ansetzen. Hinzu kommt die grundsätzlich mit der Sem-Semantik verbundene Problematik, u. a. die Frage nach der Universalität der Seme (vgl. dazu Wiegand/Wolski 1980, 206 f). Ein weiterer Kritikpunkt geht dahin, daß Seme nicht text-, sondern langue-bezogen ansetzen und daher nicht notwendigerweise die textspezifische Bedeutung eines Ausdrucks oder gar des Textganzen reflektieren. Zudem ist der Kontextbegriff bei Greimas reduziert auf (lexikalisierte) idiomatische Wendungen, wobei ähnliche Kontextmengen zu einem Korpus zusammengefaßt sind. Das heißt, der Kontext impliziert bei Greimas kein eindeuti-

ges Ganzes, auf das die Klasseme als „em“Einheiten bezogen werden können. Neben dem Sem-Begriff ist daher insbesondere der Klassem-Begriff als Grundlage des Greimas’schen Isotopieverständnisses problematisch. Schließlich ist die Kritik Ecos (1984) zu bekräftigen, denn in der Tat bietet vor allem der sehr breite Isotopie-Begriff Rastiers (1972) und Arrive´s (1973) über die Wiederholung eines beliebigen Aspekts der Ausdrucks- wie Inhaltsseite kaum einen neuen Gesichtspunkt, da diese Art der Wiederholung bereits z. B. als Alliteration in die Sprachwissenschaft eingeführt ist. Aber auch das Verfahren zur Etablierung von Isotopien in Texten ist nicht unproblematisch: Nach Greimas werden Isotopien in einem Corpus durch die totale Reduktion der Corpustexte gewonnen (Greimas 21986, 141 ff, zur Kritik vgl. Mudersbach/Gerzymisch-Arbogast 1989, 151 f). Diese Methode ist aus zweierlei Gründen in Frage zu stellen: ⫺ zum einen ist sie zirkulär, weil sie die Kenntnis der Isotopien, die durch dieses Verfahren etabliert werden sollen, schon voraussetzt, ⫺ zum anderen scheint das Verfahren, einen Text zunächst um seine individuellen Eigenheiten zu „reduzieren“, um dadurch zu seiner semantischen Eigenheit zu gelangen, fragwürdig.

Es bleibt unklar, wie auf der Basis einer solchen Reduktion die semantische Ein- und Eigenheit eines Textes bestimmbar sein soll. Im folgenden wird auf der Basis des leksemantischen Bedeutungsbegriffs (Mudersbach 1983) ein struktureller Isotopie-Begriff vorgestellt, der sich zwar am Isotopie-Begriff Greimas’ orientiert, aber sowohl zu einem präziseren Begriff als auch zu einem geeigneteren Verfahren zur Analyse von Isotopien in Texten gelangt. 2.2. Der leksemantische Isotopie-Begriff Der hier verwendete Isotopie-Begriff geht vom leksemantischen Bedeutungsverständnis (Mudersbach 1983) aus, das die textspezifische Bedeutung eines Ausdrucks als gestuftes Netz von Bedeutungsrelationen im Text betrachtet. Voraussetzung dafür ist die Annahme, daß sich jeder Text als Netz in Form von Relationen darstellen läßt. Eine Relation besteht aus einem oder mehreren Begriffen als Argumenten (in der nachfolgenden Graphik als Quadrat gekennzeichnet) und einem verbindenden Element, dem Relator (graphisch als Kreis gekennzeichnet). Die Gesamtheit der Relationen zu einem Begriff in

63. Isotopien in Wirtschaftsfachtexten: Ein Analysebeispiel

Abb. 63.1: Beispiel eines Bedeutungsnetzes (Mudersbach 1983, 144)

einem gegebenen Text macht die textspezifische Bedeutung dieses Begriffs aus. Dieses Netz repräsentiert die Bedeutungsbeziehungen zwischen den Zeichen a, b, … j. Die Bedeutung wird gestuft angesetzt, je nachdem, wie groß die Relationen-Umgebung (P, Q …) um das zu betrachtende Zeichen gefaßt wird. Die nullte Bedeutungsstufe von (a) ist die Ausdrucksseite (a) selbst. Die erste Bedeutungsstufe von (a) ist die Menge aller Relationen, in denen (a) vorkommt, also {a, R (a, b), P (c, a), R (d, a), Q (a, e, f)} (vgl. Mudersbach 1983, 144 f). Gegeben ist der Textausschnitt in Anhang I. Aus diesem linearen Text kann mit dem Computerprogramm RELATAN (Schönherr 1990) das relationale Netz in Anhang II extrahiert werden. Auf die Einzelheiten der RELATAN-Methode kann hier aus Platzgrün-

597

den nicht eingegangen werden. Sie ist ausführlich dargestellt im RELATAN-Handbuch (Schönherr 1990, vgl. auch GerzymischArbogast 1996). Der textspezifische Begriff von „panic“ ergibt sich als relationale Umgebung von „panic“ (Abb. 63.2). Wir sehen, daß sich der „panic“-Begriff hier konstituiert über die Relationen „panic(s) ⫺ ⬍ ⬎ ⫺ during the last century and until 1907“, „panic(s) ⫺ were called ⫺ panics“, „panic ⫺ is still on“; „the United States ⫺ had ⫺ panic(s)“, „To minimize the shock to confidence, businessmen and bankers had started to explain that any current economic setback ⫺ was not ⫺ a panic, (but) only a crisis“; „Mr. Herbert Stein … ⫺ would have referred to ⫺ the panic of 1893 … as a growth correction“. Im Text geht der Ausdruck „panic“ keine Relationen ein, die z. B. „panic“ im gemeinsprachlichen Sinn also im Sinne der Bedeutungsangaben als „(1) contagious emotion …, (2) a sudden overpowering fright …“, bezeichnen, wie dies der Systembegriff um „panic“ u. a. im Wörterbuch vorsieht (Abb. 63.3). Vielmehr werden diese Aspekte im relationalen Umfeld des vorliegenden Textes nicht thematisiert, sondern bleiben im Kontext ausgeblendet. Textspezifisch ist daher nur der Begriffsaspekt (3) von „panic“ als „a sudden widespread fright concerning financial affairs …“ (Webster’s Third New International Dictionary of the

Abb. 63.2: Textspezifischer Begriff von „panic“ im Text aus Anhang I

598

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

3.

Analysebeispiel

Im folgenden wird das Vorgehen zur Etablierung von Isotopien anhand eines Wirtschaftsfachtextes exemplarisch vorgestellt. Abb. 63.3: Wörterbucheintrag „panic“

English Language, s. v. „panic“) angesprochen. Wir sehen, daß mit dem leksemantischen Bedeutungsbegriff: ⫺ eine Zerlegung eines Ausdrucks in Seme bzw. Klasseme nicht mehr notwendig ist, und ⫺ die textspezifische Bedeutung eines Ausdrucks im Kontext beschreibbar wird, nämlich über die Relationen, die dieser Ausdruck im Text eingeht.

Dies ist für die Analyse fachlicher Texte von herausragender Bedeutung, da es bislang keine systematischen Verfahren zur Identifizierung der textspezifischen Bedeutung einer terminologischen Variante (wie hier das nicht-fachliche „panic“ für den Fachausdruck „depression“) gibt. Dabei ist für die Netzdarstellung von Bedeutung, daß diese keine metasprachlichen Interpretationen enthält, sondern lediglich die Relationen darstellt, die im aktuellen Text tatsächlich verbalisiert sind. Diese können um die eigenen Hypothesen des Textinterpreten ergänzt werden, die die individuelle Lesart eines Textes abbilden bzw. transparent machen (im vorliegenden Textbeispiel durch eine unterbrochene Linienführung gekennzeichnet, vgl. Anhang II). Wie der leksemantische Bedeutungsbegriff, so ist auch der leksemantische Isotopie-Begriff gestuft zu verstehen: ⫺ die leksemantische Isotopie-Linie nullter Stufe (Basis-Isotopie) ergibt sich über die Menge der Wiederholungen eines Ausdrucks A in einem gegebenen Text; ⫺ die leksemantische Isotopie-Linie erster Stufe zum Begriff A besteht in der Menge aller Relationen, die den Begriff A enthalten; ⫺ die leksemantische Isotopie-Linie zweiter Stufe zum Begriff A besteht in der Isotopie-Linie erster Stufe, ergänzt um alle Relationen, die zu den Argumenten gehören, die in der ersten Stufe vorkommen.

Weitere Stufen werden analog gebildet ⫺ solange, bis alle Isotopie-Linien eines Textes erfaßt sind.

3.1. Der Text: Auszug aus J. Kenneth Galbraith Money ⫺ Whence it came, where it went Bei dem zugrundeliegenden Text handelt es sich um einen Auszug aus J. Kenneth Galbraiths Money ⫺ Whence it came, where it went, der in Anhang I abgebildet ist. Dabei motiviert der Autor die Vielfalt der terminologischen Varianten, die sich im Laufe der Geschichte als (euphemistische) Variationen um den Sachverhalt der wirtschaftlichen Krise gebildet haben. Im weiteren Verlauf des Kapitels hält sich der Autor zwar weitgehend, aber nicht durchgehend an seine hier getroffenen Differenzierungen, so daß ⫺ bezogen auf das Textganze, hier das Kapitel „The Price“ ⫺ zum Textverständnis (und im übrigen natürlich besonders aus übersetzerischer Perspektive) eine differenzierte Textanalyse notwendig wird. Mit Hilfe des RELATAN-Computerprogramms wurde aus diesem Text das relationale Netz in Anhang II extrahiert. Dabei ergibt sich für „(economic) misfortune“, das als Thema dieses Textauszugs interpretiert wurde, die nullte Isotopie-Linie über die Rekurrenz von „misfortune“. Im Anhang ist dies durch die doppelte Linienführung gekennzeichnet. Die Isotopie-Linie der ersten Stufe (gekennzeichnet als durch Punkte unterbrochene doppelte Linienführung in Anhang II) etabliert sich über alle Konzepte, die mit „(economic) misfortune“ über eine Relation verbunden sind, wobei im folgenden aus Platzgründen nur die neuen Konzepte explizit genannt (und durch Kursivdruck gekennzeichnet) werden, die im Sinne der Fragestellung relevant sind: „He explains this misfortune by saying that the panic is still on“. (Z. 5, Text Anhang I). „Then the Great Depression associated the most frightful of economic misfortunes with that term (⫽ depression)“. (Z. 18/19, Text Anhang I). Erst auf der zweiten Isotopie-Stufe (bezogen auf „economic misfortune“) etablieren sich „crisis“ und „growth correction“, wobei die zweite Isotopie-Linie die Basisisotopie und die Isotopie der ersten Stufe inkludiert. Dies geschieht über die Verbindung der End-

63. Isotopien in Wirtschaftsfachtexten: Ein Analysebeispiel

punkte (⫽ Konzepte), die mit den Konzepten der ersten Isotopie-Stufe über eine Relation verbunden sind, hier u. a. „… any current economic setback was not really a panic, but a crisis“. (Z. 12, Anhang I). „Mr Herbert Stein … would have referred to the panic of 1893 as a growth correction“. (Z. 26, Anhang I). Die Isotopie der dritten Stufe (bezogen auf „economic misfortune“) ergibt sich analog über die Basis-Isotopie und die Isotopie der ersten und zweiten Stufe, zusätzlich u. a. über: „economic semanticists now explained that no depression was in prospect, at most only a recession“. (Z. 20/21, Anhang I). Analog wird die Isotopie der vierten Stufe etabliert, auf der u. a. die terminologische Variation von „sidewise movement“ und „rolling adjustment“ ansuziedeln ist: „… economists and public officials were united in denying that it was a recession ⫺ only a sidewide movement or a rolling readjustment“. Die Etablierung dieser Isotopien ist über die Darstellung des aktuellen Kontextes als relationales Netz möglich, ohne daß auf den problematischen Sem- bzw. Klassem-Begriff rekurriert werden muß. Die Bedeutungserschließung erfolgt über die relationale Umgebung der Konzepte (vgl. 2.2 und GerzymischArbogast 1996).

4.

Isotopien und Fachsprachenforschung

Gefragt wird nun, was der Isotopie-Begriff und die Analysen von Isotopien für die Fachsprachenforschung leisten können. 4.1. Vorteile des leksemantischen IsotopieBegriffs Das ausgewählte Textbeispiel zeigt deutlich, daß bei Zugrundelegen des Greimas’schen Isotopie-Begriffs das, was durch Sem-Analyse bewiesen werden soll, bereits als bekannt vorausgesetzt wird: Die semantische Verwandtschaft der Ausdrücke „(economic) misfortune“, „panic“, „crisis“, „depression“, „recession“, „sidewise movement“ bzw. „rolling readjustment“ auf Systemebene und deren syntagmatisches Vorkommen, das im vorgelegten Textbeispiel zu einer semantischen Verdichtung beiträgt, ist dem Textinterpreten bereits vor der Sem-Analyse ⫺ nämlich über sein Systemwissen ⫺ bekannt. Das Problem

599

der Abgrenzung bzw. Überlagerung und der kontextspezifischen Modellierung verschiedener Seme wird offensichtlich, wenn man z. B. auf Systemebene versuchen wollte, zwischen „rolling readjustment“ und „recession“ oder „panic“ ein gemeinsames Sem zu eruieren. Dies wird erst bei Berücksichtigung des Kontextes möglich. Es wird weiter klar, daß die textspezifische aktuelle Bedeutung nicht unbedingt alle Begriffsaspekte der potentiellen Bedeutung repräsentieren muß, wie dies z. B. im Falle des Ausdrucks „panic“ hier deutlich wird (vgl. 2.2.). Der leksemantische Isotopie-Begriff eignet sich daher insbesondere zur Anwendung auf begriffsintensive Texte, in denen es darum geht, die im Kontext realisierten Begriffsaspekte zu erkennen, was gerade beim Verstehen fachlicher Texte durch Nicht-Fachleute (z. B. im Rahmen von Übersetzungen) besonders relevant ist. 4.2. Perspektiven für die Fachsprachenforschung Ausgehend vom leksemantischen IsotopieBegriff ergeben sich für die Fachsprachenforschung auf einer Vielzahl von Ebenen Perspektiven: ⫺ Ermittlung der textspezifischen Bedeutung von fachlichen Ausdrücken. Dies ist zur Sicherung des Textverständnisses von besonderer Bedeutung, wenn es darum geht, autorenspezifische oder z. B. historisch bedingte Ausdrucksweisen als terminologische Varianten zu erkennen und einzuordnen. ⫺ Nachweis der Kohärenz von fachlichen Texten. Leksemantische Isotopie-Linien dienen der Kenntlichmachung des individuellen Textverständnisses, das auch in fachlichen Texten z. B. durch die Variation von Termini durch den Autor unterschiedlich ausfallen kann. So kann ein fachlicher Text auch Kohärenzlücken aufweisen, die durch individuelle Hypothesen geschlossen werden müssen, wenn der Text als einheitliches Ganzes verstanden werden soll. Die Art und Weise, wie diese Kohärenzlücken geschlossen werden bzw. an welche Relationen eine fragliche Relation in einem solchen Fall angeschlossen wird, kann individuell variieren, so daß auch hier ⫺ über die leksemantische Isotopie-Analyse ⫺ darstellbar wird, über welche Annahmen bzw. Hypothesen ein

600

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

individueller Leser einen Text als kohärent rezipiert. ⫺ Unterscheidung von Textebenen unterschiedlicher Bedeutung durch gestufte Isotopien. Die Differenzierung gestufter Isotopien ermöglicht die Relevanzsetzung bestimmter Textebenen und -ausschnitte bei der Funktionsänderung von Texten (z. B. beim „Abstracting“), sowie beim Übersetzen und Dolmetschen fachlicher Texte. Der textspezifische Bedeutungsaspekt ist besonders für die Übersetzung fachlicher Texte interessant. Hier ist es zum Beispiel im vorliegenden Kontext problematisch, „depression“ ins Deutsche zu übersetzen, was zunächst ein relativ simples Problem scheint, denn dieser Ausdruck wird häufig im Deutschen mit „Wirtschaftskrise“ wiedergegeben. Dies ist im gegebenen Kontext allerdings nicht möglich, weil der Ausdruck „Krise“ bereits belegt ist. Zusätzliche Erschwernis ergibt sich dadurch, daß „Great Depression“ im Deutschen standardmäßig mit „Weltwirtschaftskrise“ wiedergegeben wird. Der Übersetzer muß sich daher die kontextuellen Bedingungen dieses Textabschnittes sehr deutlich vor Augen halten, wenn er die terminologische Vielfalt, die Galbraith uns im Original offeriert, beibehalten möchte. Aber auch der weitere Textverlauf ist nicht unproblematisch. So hält sich zwar Galbraith im fraglichen Kapitel weitgehend (90%) an seine hier eingeführte Terminologie, aber doch nicht durchgängig. Es ist z. B. bei einer Übersetzung zu entscheiden, ob die Ungenauigkeiten des Originals nachgebildet oder der Text um diese Ungenauigkeiten bereinigt bzw. „geglättet“ werden soll. Der Relevanzaspekt spielt beim Dolmetschen eine Rolle, wenn danach gefragt wird, welche Textsegmente bei der Verdolmetschung im Wege der notwendigen Reduktion u. U. entfallen können. ⫺ Differenzierung von fachlichen Textsorten nach der Quantität und Qualität von Isotopien. Hier ist denkbar, daß die Anzahl der Isotopie-Stufen und ihre Verdichtung mit dem Fachlichkeitsgrad von Texten variiert, was ⫺ auf der Basis der hier vorgelegten Methodologie ⫺ über breitangelegte empirische Untersuchungen nachzuweisen wäre.

5.

Schlußbemerkung

Für das gegebene Beispiel kann zusammenfassend festgestellt werden, daß der zugrun-

deliegende Analysetext als Isotopie-Linie nullten Grades die Wiederholungen des Ausdrucks „(economic) misfortune“ etabliert. Eine Isotopie-Linie ersten Grades bilden terminologische Varianten um diesen Ausdruck, nämlich „panic“ und „depression“. „Recession“, „crisis“, „a sidewise movement“ bzw. „rolling readjustment“ und „growth correction“ bilden Isotopie-Linien auf der zweiten und dritten bzw. vierten Stufe. Die Etablierung dieser Isotopien ist möglich, ohne daß auf den problematischen Sembzw. Klassem-Begriff rekurriert wird. Leksemantische Isotopien werden auf der Basis des aktuellen Kontextes gewonnen, indem ein Text als relationales Netz aus den im Text verbalisierten Relationen dargestellt wird. Damit sind die wesentlichen Probleme des Greimas’schen Isotopie-Begriffs hinsichtlich der Begrifflichkeit und Methodologie überwunden. Der Nutzen von Isotopie-Analysen für die Fachsprachenforschung wird über das Analysebeispiel deutlich, nämlich: (1) Mit dem strukturellen Isotopie-Begriff ist ein ganzheitliches Kriterium zur Erfassung der textspezifischen Bedeutung von Termini in ihrem syntagmatischen Vorkommen gewonnen; (2) Die strukturelle Isotopie-Analyse eines Textes macht die individuelle Lesart bzw. das individuelle Textverständnis transparent und so für einen Dritten nachvollziehbar; (3) Mit Hilfe von Isotopie-Analysen können Kohärenzlükken erkannt und ⫺ für einen Dritten nachvollziehbar ⫺ überbrückt werden. Die explizite Beschreibung potentieller struktureller (In)Varianzen von IsotopieLinien zur Darstellung unterschiedlicher Lesarten eines Textes im Falle von terminologischer Vielfalt, Vagheit und/oder autorenspezifischer Begrifflichkeit und die Nutzung des Isotopie-Begriffs zur Differenzierung fachlicher Textsorten bleibt ein Forschungsdesiderat der Fachsprachenforschung.

6.

Anhang I und Anhang II

(Anhang I siehe nächste Seite, Anhang II siehe Falttafel)

7.

Literatur (in Auswahl)

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63. Isotopien in Wirtschaftsfachtexten: Ein Analysebeispiel Anhang I

601

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602

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

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Heidrun Gerzymisch-Arbogast, Saarbrücken

64. Intertextualität von linguistischen Fachtexten: ein Analysebeispiel 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Intertextualität und Wissenschaftskommunikation Textbegriffe und Relationen zwischen Texten Arten intertextueller Bezugnahmen Intertextualität von Wissenschaftskommunikation: Textbeispiele Literatur (in Auswahl)

Intertextualität und Wissenschaftskommunikation

In diesem Beitrag soll ein Textbeispiel für Wissenschaftskommunikation unter dem Gesichtspunkt der Intertextualität näher untersucht werden. Es handelt sich dabei um eine linguistische Kontroverse zwischen Ludwig Jäger und Manfred Bierwisch, die in der Zeitschrift für Sprachwissenschaft (ZS 12, 1993) erschienen ist und große Beachtung fand. Das Konzept der Intertextualität, so wie es wesentlich im Bereich der Literaturwissenschaft entwickelt wurde, greift für Wissenschaftskommunikation nur sehr bedingt. Nach diesem Konzept wird Intertextualität entweder als Mittel der Rezeptionslenkung durch einen absichtsvoll agierenden Autor begriffen (vgl. Helbig, 1995) oder aus der Sicht der auf Julia Kristeva zurückgehenden dekonstrukturalistischen Konzeption als eine universalistische Eigenschaft von Texten, die u. U. auch gegen die Intentionalität eines jeweiligen Autors behauptet werden kann (vgl. Kristeva 1969; 1986). In Weiterentwicklungen dieser Konzeption ist davon die Rede, daß „das Gedächtnis des Textes […] seine Intertextualität“ ist (vgl. Lachmann, 1990, 36): „Das Schreiben ist Gedächtnishandlung und Neuinterpretation der (Buch-)Kultur ineins. Jeder Text als entworfener Gedächtnisraum konnotiert den

Makro-Gedächtnisraum, der die Kultur repräsentiert oder als der die Kultur in Erscheinung tritt.“ (Lachmann, 1990, 56)

In diesem Verständnis erscheint jeder Text als Teil eines ⫺ wie auch immer beschaffenen ⫺ Intertextes, durch den er nicht notwendigerweise intentionalistisch bedingt ist. Es liegt auf der Hand, daß man mit einer solchen universalistischen Konzeption weder textlinguistisch arbeiten noch handhabbare wissenschaftshistorische Kategorien für die Analyse gewinnen kann. Aus dieser Sicht schafft ⫺ wie es Lachmann treffend formuliert ⫺ jeder Text eine „Intertextdeponie“ und der Begriff der Intertextualität wird nicht „disziplinierbar“ (vgl. Lachmann, 1990, 36). Nimmt man jedoch an, daß Intertextualität sich fassen läßt als die strukturelle Eigenschaft der Implikativität von Texten, so kann man im Rahmen eines so verstandenen Konzepts von Intertextualität die drei folgenden Fragen an einen je konkreten Text stellen (vgl. dazu Haßler, 1996, 244/5): (1) In welcher Weise partizipiert ein Autor durch und in seinem Text an anderen Texten, oder anders formuliert: wie schreibt er einen bereits vorhandenen Text wieder bzw. weiter? (2) Welche Haltung nimmt er beim Wieder- bzw. Weiterschreiben eines Textes ein? Schreibt er den Text pro oder kontra weiter? (3) In welcher Weise wird der zugrundeliegende Text weitergeschrieben? Welchen Veränderungen unterliegt er?

Allerdings muß man auch dann, wenn man Intertextualität als ein strukturelles Merkmal von Texten begreift, mit Unterschieden zwischen literarischen Texten, für die dieses Konzept allererst entwickelt wurde, und wissenschaftlichen Texten rechnen: literarische

64. Intertextualität von linguistischen Fachtexten: ein Analysebeispiel

Texte sind hinsichtlich ihrer Bezüge zu anderen literarischen Texten weit weniger markiert als wissenschaftliche Texte, insofern sie Inhalte früherer Texte in gleichen Formen weiterschreiben. Die Intertextualität wissenschaftlicher Texte ist zu allererst inhaltlicher Natur: es werden argumentative Gehalte übernommen, wobei die Übernahme auch formal durch den Gebrauch von Termini und bestimmte Zitatweisen gekennzeichnet ist. Die argumentativen Gehalte werden häufig bereits in verarbeiteter Form in einem Text präsentiert ⫺ entweder personifiziert oder idealtypisiert ⫺ und lassen damit, wenn der Rezipient den zugrunde liegenden Text nicht kennt, seine Rekonstruktionsmöglichkeit offen (vgl. auch Haßler, 1996). Aus den einleitenden Bemerkungen sollte hervorgegangen sein, daß sich die hier exemplarisch durchgeführte Analyse nicht auf einen globalen Begriff von Intertextualität beziehen kann, sondern nur auf einen textanalytisch eingeengten Begriff, der Kategorien struktureller Bezüge zwischen Texten zur Verfügung stellt. Dabei muß allerdings vorab geklärt werden, wie die Relata der Funktion jeweils aufzufassen sind, d. h. es muß sowohl der Textbegriff selbst definiert als auch die Beziehung, die zwischen einem jeweils aktuellen Text und seinen ihm zugrundeliegenden Text(en) besteht, geklärt werden.

2.

603

Der Bezug zwischen dem aktuellen Text und dem oder den Prätext(en) besteht im wesentlichen darin, daß der Autor des aktuellen Textes Markierungen der Fremdtexte (Prätexte) zur Steuerung der Adressatenrezeption anbringt. Als Arten der Markierung kann man die folgenden unterscheiden (vgl. Pfister, 1985): (1) Referentialität als Nachdruck, mit dem ein Text auf einen Prätext verweist und diesen thematisiert; (2) Kommunikativität als Bewußtheits- bzw. Bewertungsgrad einer Referenz bei Autor und Rezipient, der Grad der Intentionalität sowie die Deutlichkeit der Markierung des intertextuellen Bezugs; (3) Autoreflexivität als Reflexion über die Thematisierung von bewußten und markierten Prätextbezügen; (4) Strukturalität als syntagmatische Integration der Prätexte in den aktuellen Text; (5) Selektivität als Prägnanz der intertextuellen Verweisung; (6) Dialogizität als semantisches und ideologisches Spannungsverhältnis von Prätext und aktuellem Text.

Mit diesen Arten von Markierungen wird jeweils auf ein Segment eines Prätextes, ein Zitatsegment, verwiesen, wodurch der abwesende Text evoziert wird, der dann seinerseits sinnmodifizierend auf den aktuellen Text wirkt (vgl. Helbig, 1995):

Textbegriffe und Relationen zwischen Texten

In dem hier gewählten Rahmen der strukturellen Intertextualität haben wir es zunächst mit konkreten individuellen Texten zu tun, d. h. mit sprachlichen Phänomenen auf der Ebene der parole. Die einfachste Relation zwischen Texten ist nun diejenige, daß ein aktueller individueller Text Bezug nimmt auf andere individuelle Texte, die auch Prätexte genannt werden (vgl. Helbig, 1995):

Abb. 64.1: Bezug zwischen aktuellem Text und Prätext

Abb. 64.2: Beziehung der Sinnmodifikation zwischen aktuellem und Bezugstext

Wenn auch die obige Abb. geeignet sein mag, das Verhältnis zwischen dem aktuellen und dem Prätext als Rekurrenz und Sinnmodifikation zu explizieren, so greift sie doch an einem entscheidenden Punkt zu kurz: das Schema suggeriert die Objektivität sowohl des Zitatsegments als auch des abwesenden Textes. Eine solche Objektivität anzunehmen, ist nun mehr als fragwürdig. Zum einen wird nicht klar, in welchem Verhältnis das Zitatsegment zu dem gesamten Text steht, aus dem es stammt, und zum andern ist die sug-

604

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

gerierte Abgeschlossenheit des abwesenden Textes problematisch. Kann dieser noch in dem Saussureschen Paradigma von langue und parole untergebracht werden? Oder mit Bezug auf Saussure selbst gefragt: wenn ⫺ was häufig geschieht ⫺ in linguistischen Untersuchungen ohne ausdrückliche Zitierung auf die Saussureschen Dichotomien verwiesen wird, welcher Text ist dann gemeint? ⫺ die übliche Vorlesungsnachschrift (französisch oder die deutsche Übersetzung), eine kritische Ausgabe, ein linguistisches Lehrbuch oder aber gar kein eigentlicher Text, sondern eine aus verschiedenen Texten kondensierte Lehrmeinung, die man für allgemein akzeptiert hält? Wahrscheinlich ließen sich für alle genannten Alternativen Beispiele finden, vermutlich ist die zuletzt genannte Alternative sogar die häufigste. Ein besonders gutes Beispiel für diese Art von Bezug sind im übrigen auch die sog. Griceschen Konversationsmaximen. In diesem Fall haben wir es dann aber nicht mehr mit einem Text auf der Ebene der parole zu tun, sondern mit dem Produkt eines wissenschaftlichen Diskurses, das nicht notwendigerweise in einem individuellen Text vorliegen muß. Dies heißt dann auch, daß individuelle Prätexte auch mittelbar die intertextuelle Qualität eines aktuellen Textes bestimmen können, insofern sie Gegenstand eines Diskurses (gewesen) sind, der in einen Prätext mündet, auf den ein aktueller Text Bezug nimmt. Die Schemata in Abb. 1 und 2 wären dann folgendermaßen zu modifizieren:

Abb. 64.3: Verhältnis von Diskurs, Prätext und aktuellem Text

Das, was in der obigen Abb. als Prätext 4 erscheint, wird verschiedentlich auch Intertext genannt und so von den an Diskursen beteiligten Texten unterschieden (vgl. z. B. Haßler, 1996). Da die Unterscheidung des Prätextes, der einem jeweils aktuellen Text als Bezugs-

objekt dient, von den übrigen in einem Diskurs involvierten Prätexten ⫺ wie noch zu zeigen sein wird ⫺ für die Textanalyse von unschätzbarem Wert ist, wird nachfolgend an diese Terminologie angeschlossen, wobei dann zu beachten ist, daß Prätexte sowohl als konkrete individuelle wie auch als „kollektive Texte“ vorliegen können, wobei letztere nicht notwendigerweise versprachlicht sein müssen, sondern kollektive ⫺ häufig gruppenspezifische ⫺ Denk- und Meinungszusammenhänge darstellen können.

3.

Arten intertextueller Bezugnahmen

Wie bei jedem Text stellt sich natürlich auch bei wissenschaftlichen Texten die Frage nach der Möglichkeit der Aufdeckung nicht explizit markierter Bezugnahmen, oder allgemeiner formuliert: die Frage nach dem Verhältnis von Wirkung und Rezeption (vgl. Jauß, 1979; Haßler, 1996). Ist die Behauptung einer bestimmten intertextuellen Qualität eines Textes objektivierbar oder muß sie zwangsläufig dem subjektiven Kenntnisstand eines Rezipienten verhaftet bleiben? Andererseits: inwieweit ist der vom Rezipienten unterstellte intertextuelle Bezug ein vom Autor beabsichtigter? ⫺ eine Frage, die für literarische Texte zwar eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte, aber für wissenschaftliche Texte und den Argumentationszusammenhang, den sie herstellen, in jedem Fall von Bedeutung ist. Jauß hat für die Literaturwissenschaft vorgeschlagen, in der Wirkung das vom Text bedingte und in der Rezeption das vom Rezipienten bedingte Element der Traditionsbildung zu sehen (vgl. Jauß, 1979; Ette, 1992). Für die Bewertung der Intertextualität von Wissenschaftstexten hieße dies, „Wirkung auch auf der Basis eines unvoreingenommenen Verstehens für möglich zu halten, während Rezeption stets Interpretation, d. h. intentionale und in der Wissenschaftsgeschichte immer bereits von einem Erwartungshorizont geprägte Aufnahme voraussetzt. Gerade bei der Prägung dieses Erwartungshorizontes wirken Intertexte mit.“ (Haßler, 1996, 254) Inwieweit sich diese Unterscheidung strikt durchhalten läßt, wird in der Analyse des Textbeispiels zu zeigen sein. Für den Analysanten erweist sie sich jedenfalls zunächst als ein nützlicher ⫺ auch methodischer ⫺ Aspekt. Unter dem ersten wirkungsbezogenen Aspekt lassen sich die folgenden Arten

64. Intertextualität von linguistischen Fachtexten: ein Analysebeispiel

intertextueller Bezugnahmen feststellen, wobei davon ausgegangen wird, daß diese sich in dem aktuellen Text so manifestieren, daß sie ⫺ über das individuelle Verständnis eines einzelnen Rezipienten hinaus ⫺ objektivierbar sind (vgl. Schlieben-Lange, 1989; Haßler, 1996): (1) Erwähnung des Intertextes (ohne inhaltliche argumentative Funktion) ⫺ ornamental ⫺ zum Nachweis eines globalen Traditionszusammenhangs als Identifizierungsetikett (2) Erwähnung als Element mit inhaltlicher Funktion ⫺ als Textentlastung ⫺ als zusätzliches Argument in der eigenen Argumentation ⫺ als Autoritätsbeweis (3) Verarbeitung, Einbindung in eine Theorie mit anderer Aussage ⫺ ablehnend (Kontrastparadigma) ⫺ argumentativ verarbeitet und korrigiert ⫺ unkorrigierte Unterordnung unter eine andere Theorie, einen anderen Diskurs.

4.

Intertextualität von Wissenschaftskommunikation: Textbeispiele

4.1 Text 1: Die Eröffnung einer Kontroverse Mit seinem Beitrag „Language what ever that may be“ eröffnet Ludwig Jäger einen kontroversen Diskurs über den Gegenstand der Linguistik bzw. Sprachwissenschaft (vgl. Jäger, 1993). Es versteht sich von selbst, daß in diesem Handbuchartikel keine erschöpfende Textanalyse dieses Beitrags vorgenommen werden kann. Es wird im wesentlichen darum gehen, die intertextuellen Bezüge in diesem Text und die Art und Weise der jeweiligen Bezugnahme darzustellen sowie die Bezüge, die sich in dem Folgetext von Bierwisch finden, herauszuarbeiten und ihre kommunikativen Funktionen deutlich zu machen. Am Anfang seines Beitrags stellt Jäger fest, daß es seit Beginn des 19. Jh.s eine Debatte über das Erkenntnisobjekt der Linguistik gebe, d. h. es wird auf einen Diskurs rekurriert, den Jäger folgendermaßen charakterisiert: Zitat 1: „[…] seit sich das Problem der Sprache als ein autonomes wissenschaftliches Untersuchungsfeld etablierte, ist der Streit darüber, worin die Natur der Sprache bestehe, was das Wesen der Sprache

605

ausmache, inhaltlich zu keinem Ende gekommen.“ (Jäger, 1993, 77)

Als Autoritätsbeweis für diese Behauptung führt Jäger eine Reihe von Autoren an, die diesen Diskurs geführt haben: Herder, Humboldt, Becker, Schleicher, Bopp (die Junggrammatiker), Saussure, Searle, Chomsky, die als Verweis auf entsprechende Prätexte, die diesen Diskurs konstituieren, dienen. Als Ergebnis dieses Diskurses werden zwei „Grundmodelle“ als konkurrierende Theorien konstatiert, die als Charakterisierung von zwei kollektiven Intertexten gelten können: ⫺ strukturorientierte Sprachtheorien ⫺ funktionsorientierte Sprachtheorien Der inhaltliche Gehalt der beiden Intertexte wird wie folgt charakterisiert: Zitat 2: „(1) Strukturorientierte Theorien tendieren dazu, einen systematischen Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion der Sprache zu negieren; insbesondere die intentional-kommunikative Funktion der Sprache wird als ein unwesentlicher Aspekt ihrer Natur betrachtet; dies trifft für die älteren Organismus-Theorien Beckers und Schleichers sowie für die mechanistischen Theorien der Junggrammatiker ebenso zu wie für die Form-Favorisierung und die Substanz-Abwertung des linguistischen Strukturalismus oder für Chomskys Auffassung von der Sprache als einem mentalen Organ. (2) Funktionsorientierte Theorien neigen dazu, nicht nur in phylogenetischer Hinsicht einen systematischen Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion zu postulieren; sie halten die intentionalkommunikative Funktion der Sprache für eine ihrer konstitutiven Eigenschaften; auch hier läßt sich eine Traditionslinie ziehen, die von Humboldts Dualis-Auffassung der Sprache über die Theorien Hegels, K. W. L. Heyses, Steinthals, Saussures und Meads bis zur Searles Sprechhandlungstheorie reicht.“ (Jäger, 1993, 78)

Für die beiden charakterisierten kollektiven Intertexte (bzw. als solche unterstellte) werden die beiden Etiketten „Chomsky-Theorien“ für strukturorientierte Theorien und „Mead-Theorien“ für funktionsorientierte Theorien als Kondensate ihrer Gehalte gewählt und nochmals als kollektiv unterstellte spezifizierte Intertexte (Lehrmeinungen) gekennzeichnet, wobei jeweils Zitate aus Texten der Namensgeber der Theorien als Autoritätsbeweise dienen: Zitat 3: „Chomsky-Theorien gehen von folgender Struktur-Funktionsunterscheidung aus: ,Wir müssen‘ ⫺

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VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

so Chomsky ⫺ ,eine wesentliche konzeptuelle Unterscheidung vornehmen zwischen (1) der Sprache als einem bestimmten kognitiven System, als einem Wissens-System (system of knowledge), das im mind/brain inkorporiert ist (…) und (2) verschiedenen Prozessierungs-Systemen des mind/brain, die in der einen oder anderen Weise auf das WissensSystem zugreifen und es anwenden.‘ (Chomsky 1990, 632) Von primärem linguistischen Interesse ist allein der erste Aspekt, das kognitive System. Der zweite Aspekt, der die Prozessierungs-Systeme betrifft, ist allenfalls von sekundärem Interesse. Fragen wie die folgenden: ,Wie wird das sprachliche Wissen beim Denken oder beim Ausdruck des Denkens, beim Verstehen, bei der Organisation des Verhaltens oder bei so speziellen Sprachanwendungen wie der Kommunikation gebraucht?‘ (Chomsky, 1990, 632) sind ⫺ wie Chomsky annimmt ⫺ nachrangig. Es gibt ⫺ so seine These ⫺ keinen konstitutiven Zusammenhang zwischen der Struktur, dem kognitiven System und seinen funktionalen, z. B. kommunikativen Anwendungen; das heißt auch, es gibt keinen konstitutiven Zusammenhang zwischen der Genese von Subjekt, Geist und Bewußtsein und der Entfaltung zeichenförmiger Entäußerungssysteme wie der Sprache. Das Sprechhandlungssubjekt der Chomsky-Theorien ist ein solitäres, kognitiv autonomes Gattungssubjekt, das ⫺ zu welchem Zwecke auch immer ⫺ über ein kognitives Teilsystem „Sprache“ (und über andere Teilsysteme des Geistes) verfügt. (2) Mead-Theorien behaupten einen konstitutiven Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion. Sie betrachten ⫺ wie Searle formuliert ⫺ ,Sprache als ein wesentlich auf Kommunikation ausgerichtetes System‘ (1974, 436). Und sie betrachten darüber hinaus Subjekt, Geist und Bewußtsein als Entitäten, die sich nur über (vor allem zeichenförmige) Entäußerungshandlungen zu konstituieren vermögen. ,Wir sind‘ ⫺ so formuliert Mead ⫺ ,der Ansicht, daß der Geist niemals hätte Ausdruck finden und zur Existenz kommen könnte, gäbe es keine gesellschaftliche Umwelt; daß ein organisiertes Netz gesellschaftlicher Beziehungen und Wechselwirkungen (insbesondere solcher der Kommunikation mittels Gesten, die als signifikante Symbole dienen) notwendig von ihm vorausgesetzt wird und in seinem Wesen impliziert wird‘ (Mead 1973, 268). Das Sprechhandlungssubjekt der Mead-Theorien ist nicht solitär, sondern interaktiv; seine kognitiven Systeme sind in relevanter Hinsicht zeichenvermittelte Interaktionsprodukte. Für Mead ,setzt der gleiche Vorgang, der für Genesis und Existenz von Geist oder Bewußtsein verantwortlich ist, notwendigerweise die gleichzeitige Genesis und Existenz signifikanter Symbole oder Gesten voraus.‘ (S. 87).“ (Jäger, 1993, 78/9)

Das längere Zitat ist für unseren Zusammenhang insofern nötig, als mit ihm die Festlegung des argumentativen Gehalts der von Jä-

ger als kollektiv unterstellten Intertexte im Sinn von verbindlichen Lehrmeinungen verdeutlicht wird. Insgesamt lassen sich die intertextuellen Bezüge in dem Jäger-Text in der folgenden schematischen Übersicht zusammenfassen:

Abb. 64.4: Intertextuelle Bezüge im Textbeispiel

Die beiden etikettierten Intertexte können ohne Zweifel als gängige Auffassungen zum Gegenstandsbereich der Linguistik angesehen werden. Soweit Jägers Ausführungen zur Kontroverse führen, ist es nicht dieser Feststellung (und nur zum Teil der Charakterisierung der beiden Theorien) zu verdanken, sondern ihrer Verarbeitung in seiner eigenen Argumentation. Dabei spielen folgende Markierungsstrategien eine Rolle (vgl. dazu die oben in Anlehnung an Pfister aufgeführten): ⫺ der Nachdruck, mit dem im aktuellen Text auf einen jeweiligen Intertext und dessen implizite Prätexte verwiesen wird ⫺ der Bewertungsgrad des jeweils referierten Intertextes ⫺ die syntagmatische Integration der Prätexte in den aktuellen Text ⫺ die Selektivität der Verweisung auf Prätexte ⫺ die Dialogizität als semantisches und ideologisches Spannungsverhältnis von Prätext und aktuellem Text.

Der Bewertungsgrad der referierten Intertexte ist eindeutig: Mead-Theorien sind gut, Chomsky-Theorien schlecht. Aus dieser Bewertung ergeben sich zwangsläufig die Strategien des Nachdrucks, der Selektivität und der Dialogizität. Das Verhältnis der beiden Auffassungen zum Gegenstandsbereich der Linguistik sieht

64. Intertextualität von linguistischen Fachtexten: ein Analysebeispiel

Jäger dadurch bestimmt, daß es aus einem Diskurs resultiere, in dessen Verlauf MeadTheorien durch Chomsky-Theorien verdrängt worden seien. Die Wissenschaften ⫺ inklusive der Geisteswissenschaften haben sich seit dem 19. Jh. zunehmend an Modellen der Naturwissenschaft orientiert: Zitat 4 „Bei der Etablierung der jeweils neuen wissenschaftlichen Weltbilder und bei den hiermit verknüpften Re-Definitionen des Erkenntnisgegenstandes ,Sprache‘ bedient sie [die Sprachwissenschaft] sich dabei immer desselben Verfahrens: sie greift nämlich durchgängig auf die Strategie des Imports methodologischer und theoretischer Modelle aus der Theorie- und Methodendiskussion vornehmlich der Naturwissenschaften zurück, wobei sie zugleich die Tradition der Mead-Theorien wie sie etwa durch Namen wie Hamann, Herder, Humboldt, Schleiermacher […], Hegel, K. W. L. Heyse, Steinthal, Saussure und Mead selbst gekennzeichnet werden kann, abwertet und ausgrenzt. Die Mainstream-Sprachwissenschaft orientierte sich im Verlaufe ihrer Geschichte seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in ihre jüngste Entwicklungsphase ausschließlich an naturwissenschaftlichen Wissenschaftsmodellen und Forschungslogiken: so etwa die frühe Indogermanistik an der Organologie Spencers […] und an Darwins Evolutionstheorie, die junggrammatische Schule an Contes Positivismus und Buckles Geschichtstheorie, der nach-saussuresche Strukturalismus an Poppers Wissenschaftslogik und die rezente Linguistik ⫺ insbesondere etwa Chomsky ⫺ am Erkenntnisparadigma der Kognitionswissenschaften.“ (Jäger, 1993, 82⫺84)

Jäger verweist in einer Fußnote auf Humboldts Schrift „Grundzüge des allgemeinen Sprachtypus“, in der dieser am explizitesten seine (mead-theoretische) Zeichentheorie entfaltet habe. In der Rekonstruktion des Diskurses zur Entwicklung der beiden linguistischen Theorien verweist Jäger immer wieder auf das „gewaltige empirisch linguistische Werk Humboldts […], das sowohl in methodischer als auch in theoretischer Hinsicht als der Grundstein der vergleichenden Sprachwissenschaft zu gelten hat […].“ (Jäger, 1993, 87) Mit Nachdruck rekurriert er auf den „denunziatorischen“ Umgang, den Humboldt im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte erfahren hat: Zitat 5: „Die gönnerhafte Makulierung der Humboldtschen Sprachphilosophie durch das einzelwissenschaftliche Paradigma der Indogermanistik ist gleichsam das Urmodell, nach dem der herrschende linguistische Mainstream in seinen verschiedenen Varianten immer aufs neue die Tradi-

607

tion der Mead-Theorien durch die oft oberflächliche […] Adaption von theoretischen und methodologischen Modellen des Szientismus ausgrenzt und verdrängt.“ (Jäger, 1993, 88)

So selektiv und nachdrücklich, wie Jäger mit Humboldt als dem Begründer eines meadtheoretischen Paradigmas umgeht, geht er auch mit Chomsky als dem Begründer der naturwissenschaftlich, kognitivistisch orientierten Chomsky-Theorien um. Auffällig an den Verweisen auf Chomsky ist, daß sie einen höheren Grad an syntagmatischer Integration aufweisen als die Verweise auf Humboldt, vor allem in denjenigen Passagen, in denen von der Einschränkung des Gegenstandsbereichs Sprache die Rede ist: Zitat 6: „Die kognitivistische Gegenstandskonstitution definiert den Begriff Sprache so restriktiv als grammatisches Kenntnissystem in einem wiederum außerordentlich eingeschränkten Sinne (Chomsky, 1981 a, 94) ⫺ ohne dabei etwa den hybriden Anspruch, das menschliche Sprachvermögen insgesamt zum Gegenstand zu haben, aufzugeben ⫺, daß alle Momente der Sprache, die das Mead-Paradigma als wesentliche freigelegt hatte, zur vernachlässigungsfähigen Peripherie werden. […] Was auch immer es ist, was wir nach dieser definitorischen Verschlankung übrig behalten, mit Sprache im Sinne ihrer kulturellen Existenz im realen Leben realer Menschen hat es nur noch wenig zu tun. Chomsky selbst hat sich deshalb auch ⫺ von der linguistischen Öffentlichkeit allerdings weitgehend unbemerkt ⫺ mit seiner kognitivistisch gelifteten Linguistik provokativ und endgültig von der Sprache verabschiedet: es handelt sich bei ihr ⫺ so lesen wir ⫺ lediglich um ein Epiphänomen, um ein nicht nur ,abgeleitetes‘, sondern auch nicht sehr ,interessantes‘, ,relativ unwichtiges‘ (Chomsky 1981 b, 232) Konzept.“ (Jäger, 1993, 94/5)

Mit den beiden letzten Zitaten ist bereits ein Bild des Spannungsverhältnisses zwischen dem Intertext „Chomsky-Theorien“ und dem verfassereigenen Text entworfen, der weitgehend mit dem Intertext „Mead-Theorien“ übereinzustimmen scheint. Das Spannungsverhältnis spiegelt sich auch in der metaphorischen Redeweise des Verfassers wider: So ist von der „Verdrängung“, „Ausgrenzung“, „Auswanderung“ der Mead-Theorien die Rede, von dem „Patienten“ Sprache und seiner „Therapie“. Die Metaphern sind vorwiegend aus den Bereichen der Medizin, der mobilen Beweglichkeit sowie kriegerischer Aktivitäten entnommen wie folgendes abschließendes Zitat belegt: Zitat 7: „Die Umbettung der Linguistik aus dem Krankenzimmer der Geisteswissenschaften in die Luxus-

608

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

suite des Kognitivismus ändert nichts am moribunden Zustand des Patienten. Der strategische Weg, den Chomsky einschlägt, um der Herausforderung der Sciences zu begegnen, die Identifikation mit dem kognitivistischen Agressor, stellt nämlich für die Sprachwissenschaft das dar, was man im Leben der Multis eine feindliche Übernahme nennt; und die ist bekanntlich in der Regel mit der Auflösung des inkorporierten Betriebs verbunden.“ (Jäger, 1993, 94)

Es versteht sich von selbst, daß Jägers Text mit einem Plädoyer für Mead-Theorien endet. Zum Abschluß werden die einzelnen inhaltlichen Bezüge zwischen den beiden Intertexten nochmal schematisch zusammengestellt:

Abb. 64.5: Inhaltliche Bezüge der Intertexte

4.2. Der zweite Text: die Replik Wenn wir uns jetzt mit der Replik auf den gerade untersuchten Text beschäftigen, befinden wir uns in der Domäne des Diskurses 2 der obigen Abb. 5. Die Replik von Manfred Bierwisch mit dem Titel: „Ludwig Jägers Kampf mit den Windmühlen“ setzt bei dem bzw. den Verweis(en) Jägers auf Humboldt an: Zitat 1 a: „Ludwig Jägers Szenario ist leider kein hilfreicher Anlaß, über Gegenstand und Probleme der Linguistik nachzudenken. Man könnte versucht sein, Humboldts Sprachtheorie als Ansatz für eine mögliche Verständigung anzusehen, hätte Jäger nicht auf undeutliche, aber recht rechthaberische Weise dekretiert, daß er allein weiß, wie Humboldt zu lesen ist. Ohne mich um den Vorwurf der ,Klassiker-

Strategie‘ zu kümmern, die Humboldt auf eine pietätvolle Weise für überholt erklärt, will ich immerhin Jägers Alleinvertretungsanspruch widersprechen, indem ich mich an Humboldt selbst halte: ,Dass bei den Kindern nicht ein mechanisches Lernen der Sprache, sondern eine Entwicklung der Sprachkraft vorgeht, beweist auch, dass, da den hauptsächlichsten menschlichen Kräften ein gewisser Zeitpunkt im Lebensalter zu ihrer Entwicklung angewiesen ist, alle Kinder unter den verschiedenartigsten Umständen ungefähr in demselben, nur innerhalb eines kurzen Zeitraums schwankenden Alter sprechen und verstehen. Wie aber könnte sich der Hörende bloss durch das Wachsen seiner eigenen, sich abgeschieden in ihm entwickelnden Kraft des Gesprochenen bemeistern, wenn nicht in dem Sprechenden und Hörenden dasselbe, nur individuell und zu gegenseitiger Angemessenheit getrennte Wesen wäre, so dass ein so feines, aber gerade aus der tiefsten und eigentlichsten Natur desselben geschöpftes Zeichen, wie der articulierte Laut ist, hinreicht, beide auf übereinstimmende Weise vermittelnd anzuregen?“ (Bierwisch, 1993, 107.)

Diese Passage hält Bierwisch für einen Gedankengang, „zu dessen verbindlicher Ausgestaltung und systematischer Umsetzung die generative Grammatik mehr beigetragen hat als Jäger zu begreifen in der Lage scheint.“ (Bierwisch, 1993, 107). Somit stellen für Bierwisch Humboldt bzw. seine Werke und Ideen einen Prätext dar, der für den Diskurs, der in Chomsky-Theorien mündet, eine wesentliche Rolle spielt, aber dennoch nicht als ein Intertext der generativen Linguistik gelten kann (vgl. Bierwisch, 1993, 108), weil man zwischen den Beiträgen zum Diskurs und seinem Ergebnis zu einem bestimmten Zeitpunkt unterscheiden muß, was Jäger aber nicht tut. Die Strategien, die Bierwisch in seiner Replik auf Jäger insgesamt verfolgt, sind die folgenden zwei: ⫺ er läßt sich vorläufig auf die Jägerschen Postulate ein und fragt, welche linguistischen Probleme durch sie lösbar seien, wobei die Art der Probleme aus dem Bereich der Chomsky-Theorien stammt; ⫺ er fragt nach den Konsequenzen, die die Jägerschen Auffassungen für die Linguistik und die Wissenschaft insgesamt haben können.

Zur ersten Strategie: Bierwisch weist zunächst darauf hin, daß es in der Linguistik ⫺ im Rahmen der Chomsky-Theorien betrachtet ⫺ zwei Arten von Problemen gibt: solche, für die wir eine rationale Forschungsstrategie haben und solche, für die wir diese nicht haben, die für uns „mysteries“ sind und bleiben und fährt fort:

64. Intertextualität von linguistischen Fachtexten: ein Analysebeispiel Zitat 2 a: „Ein gewiß nicht sehr aussichtsreicher Vorschlag an Ludwig Jäger könnte besagen, daß hermeneutisches Verstehen die Form ist, in der die ,Rätsel‘ der Subjektivität artikuliert werden, die sich der erklärenden Analyse entziehen. In dieser Kohabitation bestünde kein Anlaß, das eine Verfahren gegen das andere auszuspielen, und gewiß keiner, die Strukturanalyse durch die hermeneutisch-semiologische Tradition fortzusetzen.“ (Bierwisch, 1993, 110)

Im Fall, daß das Problem mit Jägers Meadtheorien gelöst werden könnte, plädiert Bierwisch also für eine Art von linguistischer Arbeitsteilung. Allerdings räumt er dieser Lösung wohl nur geringe Chancen ein, denn wenn, wie er bemerkt, nicht klar ist, was eine hermeneutische Linguistik a` la Jäger mit der Analyse des Kontrasts zwischen er ist bereit zu fotografieren und er ist leicht zu fotografieren anfängt, wie soll sie dann Menschheitsrätsel lösen können? Die zweite Möglichkeit, Jäger in einem substantiellen Sinn zu verstehen, wäre laut Bierwisch darin zu sehen, seine Postulate als ein Plädoyer gegen die Möglichkeit der Privatsprache aufzufassen, fährt aber unmittelbar fort: Zitat 3 a: „Dieses Problem, wenn es denn gemeint sein sollte, hat Chomsky in Erwiderung auf Kripke mit, wie mir scheint, überzeugenden Argumenten geklärt.“ (Bierwisch 1993, 110)

Zu den möglichen Konsequenzen von Jägers „ideologischen Thesen“ nimmt Bierwisch die Haltung eines Mahners ein, der an die wissenschaftliche Verantwortung der Linguisten appelliert: Zitat 4 a: „Die erste [Konsequenz] betrifft die Tatsache, daß Jägers Polemik blind macht gegenüber den Chancen und Risiken, in denen die gegenwärtige Linguistik sich tatsächlich befindet. Die ressentiment-geladene Haltung zur kognitiv orientierten Sprachund Geisteswissenschaft führt beinahe zwangsläufig zur Ignorierung und Abwertung formaler Instrumentarien, und damit zur Inkompetenz im Umgang mit ihnen. Die von Jäger beschworene neue Hermeneutik würde mit ziemlicher Sicherheit die Chancen nicht wahrhaben wollen, die damit verbunden sind: Das Übergewicht der Verwertung über die Erkenntnis, der Machbarkeit über das Verständnis. Die Nutzbarkeit linguistischer Forschung, der gegenüber Jägers Polemik ohnehin ohnmächtig ist, schafft nicht nur neue Berufsfelder, sondern auch Abhängigkeiten bis hin zur Vereinnahmung durch die Industrie. Um dies zu begreifen und sich vernünftig zu verhalten, ist Sachverstand in der von Jäger verschmähten kognitiven Linguistik nötig.“ (Bierwisch, 1993, 111)

609

Die zweite Konsequenz der Jägerschen Haltung sieht Bierwisch in seinem „geisteswissenschaftlichen Hochmut gegenüber der prähumanen Natur“ (Bierwisch, 1993, 111). Er mahnt Respekt an vor der „Vielfalt der Natur, in der der Mensch nur ein Glücksfall ist, der durchaus in Gefahr ist, zum Unglücksfall zu werden.“ (Bierwisch, 1993, 111) Die Analyse der beiden Texte unter dem Gesichtspunkt ihrer Intertextualität hat gezeigt, welche Rolle Verweise auf Intertexte sowohl als konkrete Prätexte wie auch als kollektive Denk- und Meinungsmuster in der Wissenschaftskommunikation spielen können. Und sie hat auch gezeigt, daß Intertexte durchaus gruppenidentifizierend wirken können und dadurch nicht unbedingt verständigungswirksam sein müssen (vgl. dazu DobnigJülch/Roggenhofer/Weiß, 1992), vor allem ⫺ wie es in den untersuchten Texten der Fall ist ⫺ dann, wenn das Spannungsverhältnis zwischen den jeweils eigenen Texten und einem verwiesenen Intertext besonders groß ist.

5.

Literatur (in Auswahl)

Bierwisch 1993 ⫽ Manfred Bierwisch: Ludwig Jägers Kampf mit den Windmühlen. Anmerkungen zu einer merkwürdigen Sprach(wissenschafts)verwirrung. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 12. 1993, 107⫺112. Broich/Pfister (Hrsg.). 1985 ⫽ Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. v. Ulrich Broich, Manfred Pfister. Tübingen 1985 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35). Dobnig-Jülch/Roggenhofer/Weiß 1992 ⫽ Edeltraud Dobnig-Jülch, Johannes Roggenhofer, Helmut Weiß: Ideologie und Rezeption. Zur Möglichkeit einer De-re-Konstruktion dieser Begriffe. In: Schlieben-Lange et al., 63⫺75. Ette 1982 ⫽ Ottmar Ette: Rezeption. Intertextualität, Diskurs. In: Schlieben-Lange et al., 15⫺27. Helbig 1996 ⫽ Jörg Helbig: Intertextualität und Markierung. Untersuchung zur Systematik und Funktion der Signalisierung von Intertextualität. Heidelberg 1996. Jäger 1993 ⫽ Ludwig Jäger: „Language, what ever that may be.“ Die Geschichte der Sprachwissenschaft als Erosionsgeschichte ihres Gegenstands. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 12. 1993, 77⫺106. Jauß 1979 ⫽ Hans Robert Jauß: Racine und Goethes Iphigenie. Mit einem Nachwort über die Partialität der rezeptionsästhetischen Methode. In: Warning, 353⫺400. Kristeva 1986 ⫽ Julia Kristeva: The Kristeva Reader. Oxford 1986.

610

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

Lachmann 1990 ⫽ Renate Lachmann: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne. Frankfurt/M. 1990. Pfister 1985 ⫽ Manfred Pfister: Zur Systemreferenz. In: Broich/Pfister, 52⫺58. Schlieben-Lange 1989 ⫽ Brigitte Schlieben-Lange: Überlegungen zur Sprachwissenschaftsgeschichtsschreibung. In: Schlieben-Lange et al., 11⫺23.

Schlieben-Lange et al. 1989 ⫽ Brigitte SchliebenLange/Hans-Dieter Dräxler/Franz-Josef Knapstein/Elisabeth Volck-Duffy/Isabel Zollna (Hrsg.): Europäische Sprachwissenschaft um 1800. Methodologische und historiographische Beiträge zum Umkreis der „ide´ologie“. Bd. 1. München 1989.

Gisela Harras, Mannheim

65. Kohärenz und Kohäsion in wissenschaftssprachlichen Texten: ein Analysebeispiel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einleitung Hyperthema und thematische Makrostruktur Texttyp Textsorte Thema-Rhema-Organisation im allgemeinen Beispiel einer Thema-Rhema-Analyse Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung

1.1. Text wird hier nach Beaugrande/Dressler (1981) definiert, unter deren Standards der Textualität Kohäsion den oberflächlich manifestierten Zusammenhang des Texts betrifft, Kohärenz den textsemantischen, textpragmatischen und textthematischen Zusammenhang (vgl. auch Art. 44). Die Konstitution der Kohärenz ist nicht textimmanent, sondern erfolgt durch Inferenzen (cf. van de Velde 1992). Zugleich basiert die hier vorgestellte Analyse auf einer semiotisch basierten textlinguistischen Natürlichkeits- oder Präferenztheorie (Dressler 1989 a, 1994). 1.2. In einem typischen Text können wir die folgenden hierarchischen Elemente unterscheiden: Hyperthema, wovon der Titel eine reduzierte Paraphrase darstellt; makrostrukturelle thematische Großeinheiten wie Kapitel, Unterkapitel, Absatz; kleinere Sinneinheiten längerer Absätze; eng zusammengehörige Nachbarsätze bzw. Satzgefüge; Teilsätze, die idealerweise Chafes (1985) idea units entsprechen. Jede dieser Einheiten hat ihren thematischen Kern, d. h. die Thematizität perkoliert vom Hyperthema hierarchisch und vertikal herunter zu den Themen eines Teilsatzes und breitet sich horizontal und sequentiell zwischen den Einheiten desselben Hierarchieniveaus aus. Auf jeder Ebene herrscht eine kommunikative Dynamik, präferentiell vom jeweiligen thematischen Kern ausgehend zum

jeweiligen Informationsgipfel, dem innerhalb der Satzebene das Rhema entspricht. 1.3. Die Analysebeispiele dieses Beitrags kommen aus der sprachtheoretisch wichtigen, aber in der Rezeption zu wenig beachteten linguistischen Monographie von Plank (1981), deren spezifische Form von Kohärenz und Kohäsion m. E. für das zu geringe wissenschaftliche Echo mitverantwortlich sind, was ich im folgenden, im Sinne einer kritischen, funktionalistischen Fachtextlinguistik, ansatzweise aufzeigen möchte.

2.

Hyperthema und thematische Makrostruktur

2.1. Unter Hyperthema verstehe ich mit Lötscher (1987, 84), „ein in irgendeiner Beziehung mangelhaftes Objekt, dessen Mangel in der Behandlung in diesem Text beseitigt werden soll“. Als Folge davon ist das Hyperthema eines wohlkomponierten Texts das hierarchisch höchste Thema, das ein Maximum von untergeordneten Themen hierarchisch dominiert (vgl. Gerzymisch-Arbogast 1987, 103). 2.2. In unserem Analysebeispiel (Plank 1981) kann man den Inhaltskern als universale funktionale und strukturale Konflikte zwischen Prinzipien auf der Ebene der Morphologie (insbesondere Wortbildung) fassen und, daraus sich ergebend, das Hyperthema als die konfliktbedingte Spannung zwischen Regularitäten und Irregularitäten morphologischer Strukturen. Funktion des Textes (Plank 1981) ist also eine theoretische Erfassung des Gegenstands des Hyperthemas (zum Zweck der Vermehrung des einschlägigen Fachwissens) und die explikative und argumentative Darstellung der gefundenen Lösungen für ein

65. Kohärenz und Kohäsion in wissenschaftssprachlichen Texten: Ein Analysebeispiel

Fachpublikum. Es stellt sich daher die grundsätzliche Frage, wie gut die fachsprachlichen Mittel im analysierten Text als Erkenntnismittel (cf. Bungarten 1981; Fluck 1985, 34) und als informatives, argumentatives und persuasives Kommunikationsmittel eingesetzt werden. 2.3. Der Titel „Morphologische (Ir-)Regularitäten. Aspekte der Wortstrukturtheorie“ ist nach Nords (1992) Typologie ein Titelgefüge, dessen genereller Untertitel, wie oft in der Wissenschaft, einem spezifischeren Obertitel untergeordnet ist. Dazu ist er ein Doppeltitel, in dem ganz atypisch ⫺ wie in formalen Regelnotationen ⫺ die Konjunktion oder durch eine Klammer ersetzt ist. Auch Doppeltitel sind eher literarisch. Ein solcher Doppeltitel ist einer typischerweise durch Deutlichkeit, Griffigkeit oder auch provokatorisch-evokativen Charakter unterstützten intertextuellen Wirkungskraft abträglich. Thematisch sind Untertitel und Obertitel eine generalisierende bzw. reduzierende Paraphrase des Hyperthemas. Erst bei Lektüre des Vorworts (p. 1 f) entpuppt sich die Expansion des Klammerausdrucks des Obertitels Irregularitäten als intertextuelle Polemik gegen die weitverbreitete Ansicht, Wortbildung sei grundsätzlich oder typischerweise irregulär. Die semantische Transparenz des kataphorischen Bezugs Titel⫺Text ist also nicht optimal. 2.4. Schon im Vorwort wird das Hyperthema zu 3 Subthemen expandiert, welchen 3 Kapitel entsprechen. Im weiteren ufert die thematische Expansion so sehr aus, daß größere und kleinere morphologische Ergebnisse aller Art Unterschlupf finden, was der thematischen Geschlossenheit und der Konsultation dieses Buchs abträglich ist. 2.5. Im folgenden sei Planks (1981) Text kurz nach den Kriterien Clynes (1987, 1991) und Sachtlebers (1990) zu typischen kontinentalen vs. englischen Strategien der Abfassung linguistischer Wissenschaftstexte untersucht. 2.5.1. Zunächst fällt die große Digressivität der Plankschen Textstruktur auf (cf. 2.4): Der Text wimmelt von „Fallstudien“, die einerseits spezifizieren und im Detail analysieren, was jeweils vorher theoretisch abgehandelt worden ist, oft aber auch nur illustrieren bzw. assoziativ anknüpfen. Im Inhaltsverzeichnis sind sie nicht als Fallstudien oder irgendwie sonst als thematisch untergeordnet ausgewiesen. Im Text findet sich entweder der Titel „Fallstudie 1, 2, 3“ oder ein Inhaltstitel (etwa p. 230), nicht aber ⫺ was wünschenswert wäre ⫺ beides zugleich. Vor den Fallstudien

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gibt es kurze (kataphorische) Orientierungshilfen, nachher aber keine (sc. anaphorische) Zusammenfassung, welche die Rückkehr zur hierarchisch höheren Argumentationsebene, in welche die Fallstudien eingebettet sind, erleichtern würde. Auch die Endnoten haben den typisch digressiven Charakter vieler kontinentaler Wissenschaftstexte (cf. Clyne 1987, 227 ff). Besonders durch Fallstudien und Endnoten ist die Linearität des Plankschen Textes vermindert, was der Klarheit, Faßlichkeit, gedächtnismäßigen Behaltbarkeit und thematischen Auffindbarkeit der vielen Ergebnisse Planks abträglich ist. 2.5.2. Infolge der durchaus unterschiedlichen Länge der einzelnen Abschnitte ist der Text auch wenig symmetrisch, mit ähnlichen Konsequenzen wie mangelnde Linearität. 2.5.3. Wie andere deutsche Wissenschaftstexte hat auch Plank (1981) mehr thematische Diskontinuität als typische englische Texte.

3.

Texttyp

3.1. Der Erfüllung der kognitiven Funktion des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns (cf. Bungarten 1981, 33 ff, 41 ff) und der kommunikativen Funktion der Erkenntnisverbreitung im intendierten Fachpublikum entsprechend hat der Autor einen argumentativen Texttyp gewählt (cf. dazu Beaugrande/ Dressler 1981, ix. 6 f). Dementsprechend finden wir einerseits typische Textstrategien der argumentativen Erörterung, welche zur Darstellung und wissenschaftlichen Absicherung neuer Erkenntnisse führen. So finden sich schon in Kapitel 2 Gegensatzschemata (cf. Kienpointer 1992: 70) zu Flexion vs. Derivation und zu Behauptungen anderer Autoren. Plank (1981) unterscheidet sich von vielen Autoren durch die Vermeidung von Polemik, weswegen Autoren viel öfter zustimmend als ablehnend zitiert werden; längere wörtliche Zitate werden hauptsächlich in positivem Sinn gebracht, d. h. als unterstützendes Zitat einer wissenschaftlichen Autorität oder als Ausgangspunkt einer Argumentation, wobei die zitierte Behauptung dann eine Modifikation erfährt, ohne in ihrem Grundgehalt widerlegt zu werden. Diese Vermeidung von Polemik ist umso bemerkenswerter, als Titel und Vorwort (cf. 2.3) Polemik erwarten lassen. 3.2. Andererseits erwarten wir zum Zweck der optimalen Erkenntnisverbreitung die Durchführung von Plänen zur Überzeugung

612

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

der intendierten Leser. Hier scheint der Text weniger erfolgreich zu sein. Erstens hatte Plank den Nachteil, nicht explizit im Rahmen einer gängigen sprachtheoretischen Schule zu arbeiten. Daher standen große Teile der expliziten und impliziten Glaubenssysteme der intendierten Leser der Durchsetzung von Planks Argumentationen im Weg. 3.3. Zweitens hat die Wahl der Wissenschaftssprache Deutsch das an und für sich erreichbare Fachpublikum wesentlich eingeschränkt, wobei noch, drittens, das in 2.5 besprochene geringere Ausmaß an Linearität, Symmetrie und Kontinuität sowie an metatextuellen Orientierungshilfen eine negative Rolle gespielt haben mag. 3.4. Viertens könnte gerade die in 3.1 genannte Vermeidung von Polemik dazu geführt haben, daß Vertreter gegensätzlicher Anschauungen weniger zu einer Auseinandersetzung mit Plank (1981) angeregt wurden, u. U. nicht einmal zu einem polemischen oder sonstwie negativen Zitat. 3.5. Fünftens mögen auch die in 2.3⫺5 und 3.3⫺4 genannten Aspekte einer verminderten Prägnanz, beginnent mit der Titelwahl bis zu Planks individueller Strategie der Untertreibung, weniger zu Widerspruch und damit zu einem wesentlichen Anstoß wissenschaftlicher Auseinandersetzung herausgefordert haben.

4.

Textsorte

4.1. Plank (1981) ist eine wissenschaftliche Monographie, die nach der traditionellen vertikalen und horizontalen Schichtung von Fachsprachen (cf. Hoffmann 1984) der Fachsprache der wissenschaftlichen Theoriesprache und der Fachsprache der Linguistik angehört (cf. Harweg 1981). 4.2. Da die deskriptive Fachtextsortenspezifizierung der deutschsprachigen Fachtextsortenlinguistik (cf. Hoffmann 1991, 161 ff; Baumann 1992) in vielen Artikeln dieses Handbuchs vertreten ist, wird ein bisher in der deutsch- und englischsprachigen Fachtextensortenlinguistik noch nicht rezipiertes Modell angewendet, und zwar die texttypologische Konzeption Sabatinis (1990 a; b, 632 ff), die das textlinguistische Begriffsinventar von Beaugrande/Dressler (1981) voraussetzt und sich auf Kriterien der Kohäsion und Kohärenz stützt. 4.3. Sabatini geht vom Grad der interpretativen Bindung aus, die der Textproduzent dem

Leser auferlegt oder, anders ausgedrückt, vom Interpretationsspielraum, den der Autor dem Leser offen läßt, vgl. auch Eco (1987) und Hoffmanns (1987 b, 54) Begriff der Ungebundenheit. Klarerweise gehören Textsorten der wissenschaftlichen Theoriesprache, zusammen mit Gesetzestexten, zu denjenigen Textsorten, welche den Leser in seiner Interpretation am stärksten binden und eine intersubjektive Überprüfung erlauben sollen. Dies korreliert mit dem kognitiven Exaktheitsund Explizitheitsanspruch der Wissenschaftssprache (cf. Dressler 1989 b), besonders der Mathematik und Naturwissenschaften (vgl. Art. 34 u. 36). 4.4. Die sich aus dieser Konzeption ergebenden deskriptiven Kriterien Sabatinis seien nun auf Planks (1981) Text angewendet, unter Auslassung der hier irrelevanten Punkte 9, 16, 26 Sabatinis (da die Numerierung Sabatinis beibehalten ist, fehlen deshalb 4.4.9, 4.4.16, 4.4.26): 4.4.1. Rigorose Konstruktionsanordnung kleiner (a), oft numerierter (b) Blöcke mit (c) klaren syntaktischen Verbindungen: Keiner dieser Punkte ist für Plank typisch, denn (a) (cf. 2.5.2. zur Symmetrie) die Blöcke sind von unterschiedlicher Länge, oft nicht klein: Absätze ziehen sich oft über mehr als eine Seite hin, Einzelsätze können sehr lang sein. (b) Durchnumeriert sind nur Kapitel und Unterkapitel (inkl. Fallstudien, s. 2.5.1), Endnoten kapitelweise. (c) Asyndese ist häufig, d. h. Konjunktionen, welche für Eindeutigkeit und Präzision der Semantik der Verbindung von Nachbarsätzen sorgen (cf. Dressler 1989 b, 80) fehlen oft. 4.4.2. Bezug auf präzise Prinzipien und Ausgangsbegriffe (wie Axiome oder Postulate), welche (a) explizit im Text dargelegt sind oder (b) auf welche verwiesen wird oder (c) welche implizit vorhanden sind. Die Abstufung von (a) über (b) zu (c) entspricht einem Abbau der Explizitheit. Bei Plank bleibt einiges implizit (c); auch treten Vermischungen von Typ (b) und (c) auf, etwa im vieles implizit lassenden Verweis „im Rahmen der allgemeinen, für die Grammatikkomponenten gleichermaßen gültigen Prinzipien der grammatischen Variabilität“ (29). 4.4.3. Exakte Definitionen und Kodifizierung der entsprechenden Begriffe. Explizite Definitionen sind in Plank selten, drucktechnisch nie hervorgehoben, anders als bei vielen Generativisten, die sich an der typisch angelsächsischen Dichte der Definitionen (cf. Clyne 1991, 53 f) orientieren. Terminologi-

65. Kohärenz und Kohäsion in wissenschaftssprachlichen Texten: Ein Analysebeispiel

sche Neuprägungen haben mehr diskursiven Charakter und die Form von Komposita bzw. multilexikalischen Einheiten (Nominalphasen), z. B. resultatsorientierte Beschränkungen (148), Verbindlichkeitsgrad der Kategorienspezifizierung; dabei liebt Plank morphologische, anaphorisch aufeinander bezogene Reihenbildungen, so 187 ff regelminimalistisch, Regelminimalist, Regelmaximalist; 43 ff Affix-Generalisierung, Affix-Reanalyse. 4.4.4. Darlegung von Information in Form von (a) Formeln, (b) Tabellen, (c) Graphiken. In Plank gibt es, zum Unterschied von vielen generativen Arbeiten, so gut wie nie Formeln oder Graphiken, während in Tabellenform nur geordnete Datenmengen geboten werden, und zwar in Form von tabellenartigen Einrückungen, ein Aspekt des diskursiven Charakters von Planks Buch. 4.4.5. Häufiger Gebrauch makroendophorischer Verbindungen, sc. von Rück- und Vorverweisen auf Distanz. In Plank treten exakte Querverweise des Typs „(siehe) oben/unten, vgl. Seite/Paragraph/Endnote x“ außerhalb der Endnoten und von Verweisen auf eingerückte, numerierte Beispiele kaum auf, d. h. metatextuelle (anaphorische oder kataphorische) Orientierungshilfen fehlen weitgehend (vgl. 2.5.1.). Zudem finden sich vage anaphorische Indikatoren, z. B. „Wie in früheren Fällen“ (58), „Die schon mehrmals berufene nur beschränkt kompositionelle Natur“ (45), cf. 68. 4.4.6. Semantische Verbindungen in Form von lexikalischer Rekurrenz, d. h. (a) wörtlicher oder (b⫺d) partieller Rekurrenz, sc. durch (b) Hyperonyme, (c) Hyponyme oder (d) Paronyme: Lexikalische Rekurrenz wird in wissenschaftlichen Texten vor pronominaler oder elliptischer Anapher als explizit und eindeutig bevorzugt (vgl. Dressler 1989 b, 80 f, 83). Dies trifft auf Plank zu, doch finden sich auch anaphorische Hyponymie (c), z. B. 27 Flexionsmorphologie ⫺ flexivische Affixe, Hyperonymie (b) besonders in Form von relativ abstrakten Begriffen wie Voraussetzung (39), Prozesse (41), Strategie (47). Hyperonymie und Paronymie (d) verbinden sich 47 „dieser kompositionelle Ansatz“ ⫺ „Ein holistischer Ansatz“. 4.4.7. Eindeutiger interpunktorischer Abschluß von Sätzen durch Punkte, fast nie durch Strichpunkt oder Doppelpunkt (welcher nur vor Aufzählungen, Definitionen oder Formeln auftritt). Plank verwendet jedoch auch sonst Doppelpunkt und Strichpunkt.

613

4.4.8. Häufige Passivsätze (vgl. Weinrich 1989; 134; Clyne 1991; 59, 62). Dies trifft auf Plank zu. 4.4.10. Vermeidung von Paraphrasen (zum Unterschied von populärwissenschaftlicher Literatur). Bei Plank treten sie selten auf, und zwar auf erweiternde Paraphrasen, welche den Bedeutungsinhalt bereichern, z. B. 92 „akzidentelle Lücken ⫺ akzidentelle NichtRealisierung eines Potentials“, vgl. den Beginn des 4. Kap. (186). 4.4.11. Vermeidung typographischer Vielfalt ⫺ natürlich mit Ausnahme der vorgeschriebenen Kursivsetzung für Sprachbeispiele. Eine weitere Ausnahme ist Fettdruck von Überschriften. Plank vermeidet typographische Abwechslung ⫺ mit Ausnahme der gelegentlichen Hervorhebung von Begriffen durch Fettdruck. 4.4.12. Vermeidung parenthetischer Sätze. Dies trifft für Plank nicht zu, ein Symptom von Digressivität (cf. 2.5.1). 4.4.13. Vermeidung von Satzbeginn mit und. Doch Plank leitet oft Sätze nach Punkt oder Strichpunkt mit und bzw. oder ein. 4.4.14⫺15. Vermeidung der Anrede des Lesers oder eines bestimmten Adressaten; Abwesenheit von expandierenden Satzadverbia (Typ übrigens, überhaupt). Trifft beides zu. 4.4.17. Vermeidung von Autorenrede in 1. Person Singular (cf. Weinrich 1989: 133 f). Auch dies trifft für Plank zu, natürlich mit Ausnahme des Vorworts. 4.4.18. Vermeidung kataphorischer Ellipse (etwa des durch Doppelpunkt ausgedrückten Typs: Und dann sagte er: „X“). Plank verwendet derartige kataphorische Doppelpunkte jedoch häufig. 4.4.19. Vermeidung von Synonymen. Dies trifft für Plank meist zu. Doch gibt es Beispiele für eher der stilistischen Variation dienende Synonymie, so 18 f ganzheitliche Speicherung ⫺ ganzheitliche Repräsentation. 4.4.20. Vermeidung von Frage- und Ausrufsätzen. Letzteres trifft für Plank zu, ersteres oft nicht, etwa im Vorwort, im Unterkapitel 2.1 „Symptome“ (8⫺15), welches u. a. die Funktion hat, Probleme aufzuwerfen und daher z. T. viele Fragesätze aufweist, cf. 21 f die Aufstellung eines Fragenkatalogs für eine plausible Theorie. 4.4.21. Vermeidung von (a) Metaphern, (b) Metonymien, (c) Synekdoche, (d) Litotes, (e) Ironie (cf. Weinrich 1989: 138 f). (a⫺c) trifft für Plank (1981) zu; das Fehlen von Ironie (e) hat mit der Vermeidung von Polemik (vgl. 3.1, 3.4) zu tun.

614

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

4.4.22⫺24. Vermeidung direkter Rede; rhetorischer Repetitionen; von Vergleichen. Trifft zu. 4.4.25. Vermeidung von (a) Asyndeta und (b) Polysyndeta. (b) trifft zu, (a) nicht, cf. 4.4.1 c). 4.4.27. Vermeidung von (a) Nominalsätzen und (b) Holophrasen (Einwortsätzen, z. B. von polemischem Genug!). (b) trifft für Plank zu, (a) dann nicht, wenn die Nominalphrase aus dem Zusammenhang (genauer: anaphorisch) leicht ergänzbar ist. Ein Beispiel ist 12 (nach Strichpunkt) „anders Substantive selbst, deren …“ und nach Punkt „Aber aufgrund welcher Kriterien?“. 4.4.28. Vermeidung von (a) Interjektionen und (b) Onomatopoetika. Trifft zu. 4.4.29. Vermeidung von Kohärenz ohne explizite kohäsive Symbolisierung. Dies wird nur bei Asyndesen bei gleichzeitiger Absenz expliziter Koreferenzanzeiger durchbrochen, cf. 4.4.1 c). 4.4.30. Vermeidung von Kohäsion durch Prosodie, d. h. (a) Rhythmus (etwa ciceronianische Klauseln), (b) Assonanz, (c) Alliteration, (d) Reim. Trifft zu. 4.5.1. Wenn wir nun zu einer Bewertung der einzelnen Punkte übergehen, von denen viele für Wissenschaftssprache im allgemeinen, manche aber besonders für kontinental-europäische Wissenschaftssprache gelten, so hebt Sabatini (1990 a, 701 f) selbst hervor, daß die Kriterien 4.4.1 und 4.4.5 die Stringenz der Textorganisation betrifft. Schon hier erweist sich Plank als stark diskursiv. 4.5.2. Für 4.4.2⫺4 und 4.4.6 betont Sabatini (1990 a: 702 f) die Bedeutung für Kohärenz und Verifizierung (bzw. Falsifizierung). Damit ist der Exaktheits- und Explizitheitsanspruch (cf. Dressler 1989 b) eng verbunden. Zumindest in den Punkten 4.4.2⫺4 entzieht sich Plank stärker dem Ideal der exakten Wissenschaft, als dies etwa Publikationen der Generativen Grammatik tun. Dazu paßt, daß sich Plank auch im Inhalt der Argumentation den in weiten Teilen der theoretischen Linguistik verbreiteten Tendenzen zu Physikalismus/Logizismus entzieht. 4.5.3. Zu allen bisherigen Punkten paßt auch Kriterium 4.4.7, welches für Sabatini (1990 a, 703 ff) ein Zeichen der Klarheit ist. Semantische und formale Transparenz fügt sich nahtlos zum Exaktheits- und Explizitheitsanspruch und nimmt bei Diskursivität ab. 4.5.4. Bei Kriterium 4.4.8 betont Sabatini (1990 a, 706 f) die Agensverschleierung. Dies gehört zu den Techniken des „hedging“, wel-

che Objektivität suggerieren und die Verantwortlichkeit des Autors verschleiern. Diese Strategie ist in kontinentalen Wissenschaftstexten viel stärker vertreten als in englischen (cf. Clyne 1991: 57 ff), cf. auch 4.4.15, 4.4.17, 4.4.20 ff. In nahezu allen diesen Punkten entspricht Plank den fachtextspezifischen Normen. 4.5.5. Kataphorische Ellipse (4.4.18) charakterisiert Sabatini (1990 a, 709) richtig als spannungssteigernd, was für formalwissenschaftliche Texte unpassend sei. Auch nach diesem Kriterium ist Plank als diskursiv zu bewerten. 4.6. Aufgrund der hier herangezogenen Sabatinischen Kriterien der Kohäsion und Kohärenz fügt sich der Planksche Text in die Tradition deutscher geisteswissenschaftlicher Textkommunikation.

5.

Thema-Rhema-Organisation im allgemeinen

5.1. Da sich die Untersuchung der ThemaRhema-Organisation, sei es der ThemaRhema-Gliederung oder der thematischen Progression in der Fachtextlinguistik bewährt hat (cf. z. B. Gerzymisch-Arbogast 1985, 1987, 1989; Firbas 1992; Kurzon 1984; Weese ˇ erne 1991) sei sie auch hier 1987; Makovec-C angewandt. Allerdings weiche ich von den genannten Arbeiten in folgenden Voraussetungen ab (mehr in Dressler 1994): 5.2. Beim Thema (T) unterscheide ich zwischen (a) Hyper/Subthema und Thema eines Satzes (s. 2); (b) kontrastierendem Thema (z. B. wir, man, einmal, Experten, Linguisten, so wie bei Gerzymisch-Arbogast 1987, 111 ff; ˇ erne 1991, 214 ff); (c) bekannten Makovec-C Elementen (Bezug auf a oder b), unterschieden nach „aktiv“ vs. „zugänglich“, d. h. leicht inferierbar, aber nicht aktiv im Arbeitsspeicher vs. „verfallenes“, d. h. länger nicht gebrauchtes Wissen, welches daher schwer zugänglich ist (cf. Lambrecht 1988); (d) „gegeben“ ⫽ Thema (T) im eigentlichen Sinn bzw. thematischer Kern (T); (e) „Basis“ ⫽ 1. Satzglied im Satz (wobei Kopula, Konjunktionen, Modalpartikeln und Satzadverˇ erne 1991: bien nicht zählen, cf. Makovec-C 84 ff). ⫺ Im natürlichsten Fall fällt das Thema (T von d), oder sein thematischer Kern, mit der Basis (e) und mit einem aktiven (c) durch vertikale und horizontale Verbindung zum Hyper/Sub/Unterthema bekannten Element zusammen.

65. Kohärenz und Kohäsion in wissenschaftssprachlichen Texten: Ein Analysebeispiel

5.3. Wenn man diese Differenzierung von thematischen Elementen vornimmt und sie außerdem in eine hierarchische Makro- und Mikrostruktur einbettet (vgl. 2), dann kommt man natürlich mit Danesˇs (1970) berühmten 4 bis 5 Typen der thematischen Progression nicht aus, auch nicht mit der vorsichtigen Differenzierung durch Gerzymisch-Arbogast ˇ erne (1991). Statt un(1987) bzw. Makovec-C handlicher Überdifferenzierung oder handlicher aber überholter Einfachheit schlage ich folgenden Ausweg eines mehrteiligen Verfahrens vor: 5.3.1. Es werden nur 2 Grundtypen der thematischen Progression im Sinne von T in 5.2. c vorgeschlagen (beide in Modifikation von Danesˇ): 1) Progression mit gleichbleibendem Thema (T); 2) Lineare Progression, sc. ein Teil des Rhemas von Satz 1 wird Thema von Satz 2. Beide Typen können kombiniert sein, wenn das Thema des Nachfolgesatzes sowohl Thema als auch Rhema des Vorgängersatzes aufgreift. 5.3.2. Die Verbindung vom Thema des Nachfolgesatzes zu Thema bzw. Rhema des Vorgängersatzes kann direkt sein (wie bei den 2 entsprechenden Typen Danesˇs) oder vermittelt, etwa im Sinne von Danesˇs „thematischem Sprung“, der durch Inferenzen verschiedenen Typs (vgl. van de Velde 1992) überbrückt wird. Dazu gehört, daß das Thema stärker mit einem Element eines weit zurückliegenden Satzes oder einer höheren hierarchischen Ebene viel fester verbunden sein kann als mit einem Element des unmittelbaren Vorgängersatzes. 5.3.3. Je nach Ziel und gewünschter Komplexität des Verfahrens werden die Beziehungen des Themas zu hierarchisch höheren Themen (Typ 5.2. a, b), zum Grad der Aktivierung (Typ 5.2. c) und zur Basis (Typ 5.2 e) einbezogen. Zusätzlich können auch die kotextuellen oder kontextuellen Beziehungen des Rhemas oder von Teilen desselben untersucht werden. 5.4. Als erstes werden Hyperthema (HT) und Subthemen (ST) bestimmt, dann ein Textstück in kommunikative Idee-Einheiten (meist Gliedsätze) eingeteilt und durchnumeriert. In jeder Einheit werden nun Thema (T) bzw. thematischer Kern (T) und Rhema (R) bzw. rhematischer Kern (R) nach Kriterium 5.2 d bestimmt, *T+ ⫽ implizites (d. h. an der Oberfläche nicht vorhandenes) Thema, Ta, b, c bzw. Ra, b, c ⫽ Teile a, b, c von Thema bzw. Rhema, paralleles ⫽ kontrastierendes Thema (TP) nach Kriterium 5.2. b, Basis (b)

615

nach Kriterium 5.2 e, bekannt aus einem vorhergehenden Element x (b < x) vs. unbekannt (u) nach Kriterium 5.2. c.

6.

Beispiel einer Thema-Rhema-Analyse

6.1. In diesem Sinne sei nun die thematische Organisation des folgenden Absatzes aus Plank (1981, 90) analysiert. Es ist dies der erste, relativ kurze Sätze beinhaltende Absatz des 3. Kapitels „Derivationelle Beschränkungen: Ausnahmen als Regel“. In diesem Titel bezieht sich derivationell ebenso auf das Hyperthema (HT) wie die zueinander im Gegensatz stehenden Ausdrücke Ausnahme und Regel, alle drei sind also Subthemen (ST1, ST2, ST3), wobei ST2 und ST3 zueinander in eine Beziehung von Thema (T) und Rhema (R) gebracht werden. Schließlich ergibt sich als abgeleitetes Subthema, sozusagen als generelle Lösung des Problems des HT Beschränkungen (ST4). 6.2. Der erste Absatz lautet, in Idee-Einheiten geteilt (weitere, aber wenig zielführende Unterteilungen wären in 6 und 8 möglich, während umgekehrt 4⫺6 zu einer sehr komplexen und unhandlichen Einheit zusammengefaßt werden könnten): 1. Durch verhaltensleitende Regeln sind Möglichkeiten und Beschränkungen definiert; 2. demjenigen, der sich regelkonform verhalten will, sind durch die Regeln des jeweiligen Verhaltenssystems automatisch Beschränkungen auferlegt. 3. Insofern ist jede regelhaft organisierte Grammatikkomponente ein System von Beschränkungen. 4. Nun sind natürlichsprachliche Grammatiken einigermaßen komplexe Systeme, 5. bestehend aus teilweise eigengesetzlichen, auf komplexe Weise interagierenden Teilsystemen, 6. deren funktionale Adäquatheit aber noch nicht heißen muß, daß sie “perfect engines of conceptual expression” wären; 7. vielmehr gilt: “all grammars leak” (Sapir 1921: 38). 8. Ein Ausdruck solcher Unvollkommenheiten ist es, daß die Systemmöglichkeiten gelegentlich beschränkter sind, als es nach den allgemeinen Regeln eigentlich anzunehmen wäre; 9. offenbar alle Grammatikkomponenten weisen ,Lücken‘ auf.

616

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

6.3. Es folgt die Analyse mit den in 5.4. erläuterten Notationen:

linguistik. Tübingen 1981 (Konzepte der Sprachund Literaturwissenschaft 28).

1. B ⫽ T1 (Regeln) ⫽ ST3; Ra (Möglichkeiten), Rb (Beschränkungen). 2. T2 (dem ⫺ will; regelkonform: b < T1 ⫽ ST3); T2 ⫽ B (demjenigen); Ra (Regeln) ⫽ ST3; R (Beschränkungen) ⫽ ST4. 3. B ⫽ T3 (jede ⫺ Grammatikkomponente; regelhaft: b < T2 & R2a); T3 (Grammatikkomponente): indirekt b (Hyperonym) < ST1 (Derivation); Ra (System) ⫽ u; R (Beschränkungen) ⫽ R2 ⫽ ST4. 4. B ⫽ T4 (natürlichsprachliche Grammatiken); T4 (Grammatiken): indirekt b (Hyperonym) < T3; R (komplexe) ⫽ u; Rc (Systeme): b < R3a. 5. *T+ (Systeme) ⫽ R2; B (bestehend aus) ⫽ Transition zwischen T und R; R (Teilsystemen): indirekt b (Hyponym) < R2. 6. B (deren) ⫽ T6a ⫽ R5; T6 (Adäquatheit) ⫽ u; R ⫽ u. 7. B (gilt) ⫽ TP; R (Sapir-Zitat) ⫽ u. 8. B (ein Ausdruck) ⫽ TP; T8 (solcher Unvollkommenheiten): indirekt b (Synonym) < R7; R enthält Systemmöglichkeiten (b < T5 & R1a) & Regeln (b < T1⫺3). 9. B ⫽ T9: b < T3; R (Lücken): b < R7.

Bungarten 1981 ⫽ Theo Bungarten: Wissenschaft, Sprache und Gesellschaft. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981. 14⫺53.

6.4. Aus dieser Analyse erhellt (typisch für den ganzen Text): (1) die Sinnlosigkeit der üblichen Gleichsetzung von Thema mit bekannt, Rhema mit unbekannt; (2) der überall (selbst in Rhemakernen) große Anteil des Bekannten; (3) die Gültigkeit der Natürlichkeitspräferenzen von 5.2 auch für wissenschaftliche Texte: (4) die Konstituierung von Kohärenz durch globale Bezüge auf Hyperthema bzw. Subthemen (cf. Gerzymisch-Arbogast 1987); (5) die Einfachheit indirekter thematischer Bezüge (z. B. Hyperonymie, Hyponymie, Synonymie), was wenig Inferenzziehung erfordert (ein wesentlicher Aspekt wissenschaftlicher Explizitheit; (6) das Vorherrschen der Progression mit gleichbleibendem Thema; (7) die Erfaßbarkeit wesentlicher Aspekte mikrostruktureller Kohärenz und Kohäsion.

7.

Literatur (in Auswahl)

Baumann 1987 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Ein Versuch der ganzheitlichen Betrachtung von Fachtexten. In: Fachsprachen, Instrument und Objekt. Hrsg. v. Lothar Hoffmann. Leipzig 1987 (Linguistische Studien), 10⫺22.

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Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 18).

Gerzymisch-Arbogast 1987 ⫽ Heidrun GerzymischArbogast: Zur Thema-Rhema-Gliederung in amerikanischen Wirtschaftstexten. Tübingen 1987 (Tübinger Beiträge zur Linguistik 306).

Beaugrande/Dressler 1981 ⫽ Robert de Beaugrande/Wolfgang Dressler: Einführung in die Text-

Gerzymisch-Arbogast 1989 ⫽ Heidrun GerzymischArbogast: Fachlexikonartikel und ihre Thema-

66. Titel in wissenschaftlichen Texten Rhema-Strukturen. Am Beispiel des Faches Wirtschaft. In: Lexicographica 5. 1989, 18⫺51. Harweg 1981 ⫽ Roland Harweg: Strukturen und Probleme linguistischer Rede. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981. 111⫺139. Hoffmann 1984 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Berlin 1984. Hoffmann 1987 ⫽ Lothar Hoffmann: Der Fachtext als strukturierte und funktionale Ganzheit. In: Fachsprachen, Instrument und Objekt. Hrsg. v. Lothar Hoffmann. Leipzig 1987 (Linguistische Studien), 49⫺63. Hoffmann 1991 ⫽ Lothar Hoffmann: Texts and Text Types in LSP. In: Subject-Oriented Texts. Ed. by Hartmut Schröder. Berlin. New York 1991. 159⫺166. Kurzon 1984 ⫽ Dennis Kurzon: Themes, hyperthemes and the discourse structure of British legal texts. In: Text 4. 1984, 31⫺55. Lambrecht 1988 ⫽ Knud Lambrecht: Presentational cleft constructions in spoken French. In: Clause Combining in Grammar and Discourse. Hrsg. v. J. Haiman und S. Thompson. Amsterdam 1988. 135⫺179. Lötscher 1987 ⫽ Andreas Lötscher: Text und Thema. Studien zur thematischen Konstituenz von Texten. Tübingen 1987 (Reihe Germanistische Linguistik 81).

617 ˇ erne 1991 ⫽ Jasna Makovec-C ˇ erne: Die Makovec-C Thema-Rhema-Gliederung in deutschen und slowenischen Texten. Frankfurt/M. 1991. Nord 1992 ⫽ Christiane Nord. Titel, Text und Translation. Habil.-Sch., Universität Wien 1992. Plank 1981 ⫽ Frans Plank: Morphologische (Ir-)Regularitäten: Aspekte der Wortstrukturtheorie. Tübingen 1981. Sabatini 1990 a ⫽ Francesco Sabatini: Analisi del linguaggio giuridico: il testo normativo in una tipologia generale dei testi. In: Corsi di Studi Superiori Legislativi 1988⫺1989. Padova 1989. Sabatini 1990 b: Francesco Sabatini: La communicazione e gli usi della lingua2. Torino 1990. Sachtleber 1990 ⫽ Susanne Sachtleber: Linearität vs. Digressivität. Wissenschaftliche Texte im zweisprachigen Vergleich. In: Folia Linguistica 24. 1990, 105⫺122. van de Velde 1992 ⫽ Roger G. van de Velde: Text and Thinking. On some roles of thinking in text interpretation. Berlin. New York 1992. Weese 1987 ⫽ Christine Weese: Die funktionale Perspektive in Satz und Text. In: Fachsprachen, Instrument und Objekt. Hrsg. v. Lothar Hoffmann. Leipzig 1987 (Linguistische Studien), 121⫺131. Weinrich 1989 ⫽ Harald Weinrich: Formen der Wissenschaftssprache. In: Jahrbuch 1988. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1989. Berlin 1989, 119⫺158.

Wolfgang U. Dressler, Wien

66. Titel in wissenschaftlichen Texten 1. 2. 3. 4.

Zum Forschungsinteresse an Fachtiteln Funktionen von Fachtiteln Historische Fachtitelforschung als Desiderat Literatur (in Auswahl)

1.

Zum Forschungsinteresse an Fachtiteln

Titel wissenschaftlicher Texte, im folgenden kurz Fachtitel, haben seit etwa drei Jahrzehnten zunehmendes Interesse in verschiedenen Wissenschaftsgebieten gefunden. Dem Phänomen des Titels als solchem widmete sich eine als Titrologie oder Titelforschung benannte Spezialdisziplin, in deren Mittelpunkt fast ausschließlich literarische Titel (Forschungsüberblicke und -bibliographien in Hoek 1981 und Rothe 1986) und, weit weniger häufig, Presseschlagzeilen (z. B. Sandig 1971) standen. Fachtitel wurden le-

diglich in der übersetzungswissenschaftlichen Arbeit von Nord (1993) als ein Teilkorpus neben anderen Titelsorten mitberücksichtigt. In der Informations- und Dokumentationswissenschaft hat mit dem Einzug der Computertechnologie und vor dem Hintergrund der immer weiter anschwellenden wissenschaftlichen Informationsflut ein intensives Nachdenken darüber eingesetzt, inwieweit sich Titel zur Erstellung von Index-Termini für die computergestützte Datenerfassung eignen (vgl. Luhn 1967 und 2.2.2.). Innerhalb der neueren Fachsprachenforschung sind Fachtitel noch relativ selten untersucht worden. Neben einer syntaktischen Fachtitelanalyse englischsprachiger Aufsatztitel (Gnutzmann 1988) bietet lediglich Dietz 1995 eine umfassendere Analyse: Mithilfe von sprachstatistischen und qualitativ-interpretierenden Methoden und unter Auswertung verschiedener Titelkorpora

618

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

werden dort sowohl fach- und publikationsformabhängige als auch fachübergreifende Titelgebungsverfahren auf der syntaktischen, semantischen und pragmatischen Ebene beschrieben (alle nachfolgenden Titelbeispiele sind Dietz 1995 entnommen).

2.

Funktionen von Fachtiteln

Fachtitel spielen eine herausragende Rolle innerhalb der wissenschaftlichen Kommunikation: Wissenschaftliche Autoren versehen ihre Texte mit einem Titel, der somit als eine Art Eigennamen des Textes fungiert, d. h. ihn eindeutig identifiziert und von anderen Texten unterscheidet (vgl. 2.1.). Die Textbenennung geschieht jedoch nicht willkürlich, sondern so, daß jeder Literatursuchende über den Titel eine erste Information über den zugehörigen Text erhält (vgl. 2.2.). Diese Information ist in der Regel äußerst komprimiert, da der zur Verfügung stehende Raum begrenzt ist (vgl. 2.3.). Weiterhin kommt Fachtiteln die Aufgabe zu, potentielle Leser zur Lektüre des Textes zu bewegen (vgl. 2.4.). Während die bisher genannten Funktionen in erster Linie auf das Vorkommen von Fachtiteln getrennt von ihren Fachtexten abheben, dienen Titel in wissenschaftlichen Texten der Steuerung der konkreten Textlektüre (vgl. 2.5.). 2.1. Benennungsfunktion ⫺ Fachtitel als Eigennamen von Fachtexten Seit den Anfängen der Titelgebung (zur Geschichte des Titels vgl. Wulff 1979) ist es eine der vornehmlichsten Aufgaben von Titeln, einen Text zu benennen und ihn so zu identifizieren (vgl. Hoek 1981, 206 ff; anders Hellwig 1982, 188). Aus diesem Grund steht jeder wissenschaftliche Autor unter dem doppelten Zwang, seinen Text durch geeignete Titelformulierungen sowohl von anderen eigenen Texten/Titeln als auch von anderen fremden Texten/Titeln zu unterscheiden. Systematische und vor allem historische Untersuchungen zu Fachtitelmustern (z. B. in der Philosophie Titel wie Kritik der *ADJ+ Vernunft oder in der Chemie Titel wie Zur Kenntnis ⫹ *STOFFNAMEGen+) sowie zum Problem der Konformität und Singularität von Fachtiteln, wie sie Rothe (1986, 34 ff) für literarische Titel durchgeführt hat, fehlen bislang noch. Ein der Eigennamengebung durch Vorund Nachname vergleichbares Phänomen ist die Verwendung von Serientiteln in naturwissenschaftlichen Disziplinen (vgl. Dietz 1995,

89 ff), bei denen ein Serien-Obertitel das gemeinsame Merkmal aller Titel einer Serie benennt, während eine Numerierungsziffer sowie ein Serien-Untertitel die spezifizierende und identifizierende Funktion übernimmt: (1) Zur Chemie der energiereichen Phosphate, XVII.: Über die Reaktivität von Enolphosphaten.

Für die Titelrezeption wird die Identifikationsfunktion von Fachtiteln besonders relevant in allen Formen von bibliographischen Angaben (Anmerkungen, Literaturverzeichnisse, Bibliographien, Referatenorgane etc.). Hier treten Fachtitel als „Stellvertreter“ der zugehörigen Texte auf und liefern neben den anderen bibliographischen Elementen die entscheidende Information für das Auffinden eines Textes. Während bei gewöhnlichen Eigennamen die semantische Beziehung zwischen Name und Referenzobjekt in der Regel unmotiviert ist, vermischt sich bei Titeln im allgemeinen und bei Fachtiteln im besonderen die Bezeichnungsfunktion stark mit der Referenzfunktion: Fachtitel sollen den Text nicht nur identifizieren, sondern darüber hinaus auch charakterisieren. 2.2.

Referenzfunktion ⫺ Fachtitel als Fachtext-Charakterisierungen

2.2.1. Referenzbereiche von Fachtiteln Die zweifellos wichtigste und einzige obligatorische Referenz von Fachtiteln erfolgt auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand: Die Benennung des Themas, die inhaltliche Charakterisierung des im Text Vorgetragenen, stellt fächerübergreifend die Hauptfunktion von Titeln dar. Allerdings enthalten Fachtitel je nach kommunikativer Absicht weitere Elemente, die den Text anderweitig charakterisieren (vgl. Dietz 1995, 67⫺93). Die wichtigsten sind formale Charakterisierungen des Textes (Textsortenangaben) (2), die Angabe der verwendeten Methodik bzw. des Untersuchungsansatzes (3), die Nennung des Forschungsfelds bzw. der Disziplin (4) sowie Bezugnahmen auf andere wissenschaftliche Texte (5). (2) Demokratie ⫺ eine Einführung. (3) Dünnschichtchromatographie von Carboenzoxyaminosäuren. (4) The Sense of Justice and the Concept of Cultural Justice. Views from Law and Anthropology. (5) Hofers Pädagogische Psychologie: Ein problematisches Selbstverständnis.

66. Titel in wissenschaftlichen Texten

Textsortenangaben treten in der Regel dann auf, wenn es sich nicht um prototypische Leitgattungen ⫺ ,Monographie‘ bei Buchveröffentlichungen und ,Originalarbeit‘ bei unselbständigen Veröffentlichungen ⫺ handelt (Dietz 1995: 69 f). Von echten Textsortenangaben zu unterscheiden sind „verblaßte Textsortenangaben“ (a. a. O. 70) wie Untersuchungen zu, Erwägungen zu, Bemerkungen über sowie Titel, bei denen sogar diese Nomina wegfallen und nur noch eine einleitende Präposition ⫺ über, zu, von im Deutschen: on im Englischen; de und sur im Französischen ⫺ steht (zu Entwicklung und Ursachen solcher Betitelungen vgl. a. a. O. 70 ff). Fachgebietsbenennungen tauchen insbesondere dann im Titel auf, wenn der Autor mit seinem Text auf einen weiteren bzw. anderen Leserkreis als denjenigen seines Spezialgebietes abzielt. Methodenangaben sind vorwiegend in Aufsatztiteln naturwissenschaftlichlicher Fächer sowie in Titeln empirisch ausgerichteter sozialwissenschaftlicher Disziplinen zu finden (a. a. O. 76⫺81) und gehören zu den für Literatursuchende relevanten Titelelementen (vgl. Bazerman 1988, 239). Bei Titelbezugnahmen auf die Fachliteratur können drei Formen unterschieden werden: (a) die explizite Nennung von Texten und Verfassern, wodurch der eigene Beitrag als Replik in einer Kontroverse markiert wird, (b) das Aufgreifen bzw. kritische Infragestellen von Thesen der Forschungsliteratur (vgl. auch 2.3.4.) sowie (c) das explizite Anknüpfen an eigene Arbeiten, insbesondere durch das Adjektiv weitere und durch Numerierung in Serientiteln (vgl. Dietz 1995, 82⫺93). 2.2.2. Die Relevanz von Titeln für die computergestützte Literaturerfassung An der Schnittstelle zwischen Referenz- und Benennungsfunktion von Fachtiteln ist das Problem der Literaturerfassung und -suche mittels Datenbanksystemen anzusiedeln: Insbesondere in den naturwissenschaftlichen Disziplinen, in denen die Masse der relevanten Literatur die Aufnahmefähigkeit des einzelnen Wissenschaftlers überfordert, kommt Titeln neben Abstracts seit den 1960er Jahren eine zentrale Rolle bei der Bewältigung des wissenschaftlichen Informationsbergs zu. Unter der Annahme, daß sie hinreichend präzise über den Inhalt des Textes Auskunft geben, werden Titel von sogenannten information services in Einzelteile zerlegt und in Computern gespeichert. Die bedeutungstragenden Wörter eines Titels dienen zur auto-

619 matischen Erstellung von Keyword-Registern oder können über Online-Datenbanken abgefragt werden (vgl. Dietz 1995, 145 ff). Titelstichwörter eröffnen so den Zugang zum vollständigen Titel beziehungsweise den bibliographischen Angaben eines potentiell relevanten Textes (zu den einschlägigen informationstechnologischen Verfahren vgl. Feinberg 1973). Der Einfluß der Computertechnologie auf das Titulierungsbewußtsein naturwissenschaftlicher Autoren kommt zum einen deutlich in den Titelnormen der Ratgeberliteratur zum Ausdruck (z. B. O’Connor/Woodford 1975, 47; Day 1979, 8; Hawkins/Sorgi 1985, 88; Page/Campbell/Meadows 1987, 150) und wurde zum anderen auch empirisch überprüft (vgl. 2.3.1.). Die Problematik der computergestützten Literatursuche in nicht-naturwissenschaftlichen Fächern wird in Dietz (1995, 177 ff) diskutiert, wobei sich für die im Schritt weniger effiziente Erfaßbarkeit von geistes- und sozialwissenschaftlichen Titeln in Datenbanken folgende Gründe ergaben: (a) der Mangel an Titeln mit aussagekräftigen Titel-Keywords (vgl. 2.4.), (b) mangelnde Terminologiestandardisierung (vgl. Buxton/Meadows 1977, 51 f), (c) die Schwierigkeit, fachspezifische Negativ- oder Stoplisten für die automatische Selektion von Keywords zu erstellen sowie (d) das Problem der Übersetzbarkeit von geisteswissenschaftlichen Titeln zum Zwecke der Aufnahme in die überwiegend anglophonen Datenbanksysteme. Die angesprochenen Probleme sind jedoch im weiteren Kontext der unterschiedlichen strukturellen Kommunikationsbedingungen in geistesund naturwissenschaftlichen Disziplinen zu betrachten (vgl. Dietz 1995, 182 ff). 2.3. Verdichtungsfunktion ⫺ Fachtitel als Komprimierungen von Fachtexten Der Forderung nach Präzision in der Titelformulierung, die vor allem in den Naturwissenschaften mit Blick auf den exponentiell wachsenden Informationsberg immer lauter gestellt wurde ⫺ Titel als „one-sentence abstract“ (Kennedy 1967, 133) ⫺ kann in der Regel nur durch einen relativ hohen sprachlichen Aufwand nachgekommen werden. Angesichts der strukturellen Textraumbeschränkung, denen Titel grundsätzlich unterliegen, müssen verstärkt textkondensierende Verfahren zum Einsatz kommen. Im folgenden wird zunächst die diachronische Entwicklung der Titellänge seit den 1950er Jahren skizziert (vgl. 2.3.1.), sodann werden die wichtigsten

620

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

syntaktischen Strategien der Informationsverteilung (vgl. 2.3.2.) und der Fokussierung bestimmter Titelelemente (vgl. 2.3.3.) vorgestellt und schließlich auf die Rolle von Prädikationen in Titeln eingegangen (vgl. 2.3.4.). 2.3.1. Titellänge Die Länge von Titeln ⫺ nach Wörtern qua graphische Einheiten und nach ,bedeutungshaltigen Wörtern‘ ⫺ ist der am häufigsten verwendete quantitative Analyseparameter innerhalb der informationswissenschaftlich ausgerichteten Fachtitelforschung (Tocatlian 1970; Bird/Knight 1975; Buxton/Meadows 1977; Buxton 1987; vgl. auch Dietz 1995, 14 ff; 52 ff). Dabei wurde für englischsprachige Aufsätze empirisch bestätigt, daß zum einen Titel naturwissenschaftlicher Fächer signifikant mehr Informationseinheiten enthalten als sozial- und geisteswissenschaftliche Titel und daß zum anderen die Länge von natur- und sozialwissenschaftlichen Aufsatztiteln seit den 1950er Jahren signifikant gestiegen ist. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Einführung von Computertechnologie ⫺ insbesondere des Keyword-in-Context-Verfahrens (vgl. Fischer 1966; Feinberg 1973, 27) ⫺ und der Zunahme der Titellänge kann jedoch lediglich für die Chemie ausreichend plausibel gemacht werden (vgl. Dietz 1995, 168). Zur Erklärung der Befunde werden als weitere Faktoren der zunehmende Spezialisierungsgrad eines Faches sowie die Zunahme an relevanten Fachveröffentlichungen herangezogen. 2.3.2. Strategien der Informationsverteilung in Fachtiteln Detailliertere quantitative Befunde über die Verteilung sprachlicher Informationseinheiten in Fachtiteln sind bei Gnutzmann (1988) und Dietz (1995, 20⫺36) zu finden. Als wichtigstes Verfahren tritt dabei der Verzicht auf finit-verbale zugunsten nominaler Strukturen in den Vordergrund. Fachspezifische Unterschiede in der Frequenz syntaktischer Strukturen ermitteln die Verfasser an jeweils unterschiedlichen Korpora. Demnach weisen naturwissenschaftliche Aufsatztitel mit einer starken und komplexen Attribuierung von einzelnen, überwiegend verbalsubstantivischen Nominalgruppen-Kernen eine vergleichsweise kompakte, „integrierte“ (Gnutzmann 1988, 24) Informationsdarbietung auf (6). (6) Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Schädigungsgrad und Meereshöhe im

Rahmen des Schwerpunktprogramms zur Erforschung der Wechselwirkungen von Klima und Waldschäden.

Geisteswissenschaftliche Aufsatztitel verzeichnen demgegenüber tendenziell mehr verbale Strukturen und sind schwächer attribuiert. Sie sind auch deshalb weniger stark kondensiert, weil bei ihnen Attribute auf mehrere Nominalgruppenkerne ⫺ in Form von Koordinationen oder Ober-UntertitelGliederung ⫺ verteilt werden (Gnutzmann 1988, 32; Dietz 1995, 18 f; vgl. auch die Titelgliederungs-Typologie in Dietz 1995, 123 ff). Ein ähnliches Gefälle im Kondensationsniveau hat Gnutzmann (1988, 33) zwischen theoretischen und angewandten Zeitschriften und Dietz (1995, 29 ff) zwischen Aufsatz- und Monographientiteln verschiedener Disziplinen ermittelt. 2.3.3. Fokussierungsverfahren Die Tendenz zur Verwendung möglichst textsparender Konstruktionen wird ergänzt durch Verfahren, die dazu dienen, bestimmte Titelelemente in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Dazu gehören koordinierte Konstruktionen mit Possessiv-Artikel anstelle von Genitivkonstruktionen (7) (Dietz 1995, 63 ff) sowie zweigliedrige Titel, bei denen der Untertitel einen expliziten (8) oder impliziten (9) anaphorischen Verweis auf den Obertitel enthält (a. a. O. 131 f). (7) Die Aufstellung der D-Markeröffnungsbilanzen und ihre Auswirkungen auf die Folgebilanzen. (8) Der Epitaphios des Perikles. Seine Funktion im Geschichtswerk des Thukydides. (9) Sozialbilanzen: Formen und Aussagemöglichkeiten.

Hier wird jeweils die wichtigste thematische Information aus dem syntaktischen Zusammenhang einer Nominalgruppe herausgenommen und dieser vorangestellt. Diese Fokussierungsstrategien tragen wesentlich zu einer effizienteren, da rascheren Titelrezeption bei der Durchsicht von Literaturangaben bei. 2.3.4. Prädikationen in Fachtiteln Im Gegensatz zum Standardfall des nominalstrukturierten Titels handelt es sich bei Prädikationen in Fachtiteln um eine besondere Form der Textverdichtung, nämlich um die Reduktion eines Textes auf eine Aussage. Formal gesehen sind dabei drei Typen zu unterscheiden (vgl. Dietz 1995, 94 ff): (a) verbale Prädikation, (b) verbfreie Prädikation

621

66. Titel in wissenschaftlichen Texten

mittels Interpunktion und (c) Prädikation durch Vergleichs-Junktion mit als. (10) Antibodies to Yeast Phenylalanine Transfer Ribonucleic Acid Are Specific for the Odd Nucleoside Y in the Anticodon Loop. (11) Trade Regulation Transnational ⫺ A Necessity. (12) Der Mensch als Informationsspeicher und Informationsquelle.

Alle drei Formen sind titelspezifisch textsparend, insofern das Verb weitgehend auf seine grammatische Funktion (Kopulaverb) reduziert ist (10) oder ganz fehlt (11, 12). Prädikationen mit finitem Verb dienen vor allem dazu, den Lesern das Ergebnis einer konkreten Untersuchung schon im Titel mitzuteilen. Auch hier liegt eine prägnante Informationsverteilung vor: Zuerst wird der wesentliche thematische Schlüsselbegriff genannt, dann folgt dessen Determination durch ein Prädikats-Nomen bzw. ein Konjunktional-Adjunkt. Während die eben genannten Prädikationstypen die Geltung einer These bekräftigen und zur Diskussion stellen, handelt es sich bei Titeln in Frageform um ausdrückliche Infrage-Stellungen einer Aussage. (13) Gibt es eine ,neutrale Erzählsituation‘? (14) Informatik und Informationstechnik ⫺ Ein Gegensatz? (15) Kartellnovelle: Wettbewerb oder Lenkung?

Solche Titelformulierungen treten insbesondere in geistes- und sozialwissenschaftlichen Texten auf. Sie fungieren in der Regel als explizite, zumeist kritische Anknüpfungen an den jeweiligen Fachdiskurs und besitzen dadurch einen höheren Appellwert als einfache Titel-Prädikationen bzw. Nominalkonstruktionen (zu weiteren Klassifikationen und zum Problem der Rhetorizität von Titelfragen vgl. Dietz 1995, 102 ff). 2.4. Appellfunktion ⫺ Fachtitel als Werber Aufgrund der Tatsache, daß Fachtitel de facto sehr häufig getrennt von ihren Texten rezipiert werden, kommt ihnen die Aufgabe zu, den Leser zur Lektüre des Textes zu bewegen. Dazu genügt es in vielen Fällen, wenn ein Titel das im Text behandelte Thema oder Problem schlicht benennt und es dem literatursuchenden Wissenschaftler überläßt, ob der Text für ihn relevant sein könnte. Dennoch läßt sich vor allem für die Sozial- und Geisteswissenschaften die Tendenz festmachen, das Interesse des Lesers über die einfache Themenbenennung hinaus zu wecken ⫺ mit Hilfe „rhetorischer“ Verfahren, die Ja-

kobson (1978, 356) zur „poetischen Funktion“ der Sprache zählt (vgl. Dietz 1995, 113⫺123). (16) Selbstbewußtsein und Sittlichkeit. (17) Comment controˆler la lecture? (18 World War I in Semi-Autobiographical Fiction and in Semi-Fictional Autobiography ⫺ Robert Graves and Ludwig Renn. (19) From Scientific Computation to Computer Science.

Ein wichtiges Verfahren zur einprägsamen Veranschaulichung eines bestimmten Aspektes des Titels bzw. Themas stellen Wiederholungsstrukturen auf der Ebene von Lauten (16), Lautgruppen (17) oder Lexemen (18, 19) dar. Auch Titel, die einen hohen Grad an Intertextualität aufweisen (Dietz 1995, 119 ff) ⫺ sei es, daß sie als Zitate markierte Elemente enthalten (20), daß sie fremde Titel zitieren („Intertitularität“; vgl. Hoek 1981, 183 ff) (21) oder daß sie auf eine bestimmte nichtfachliche Textsorte anspielen (22) ⫺ besitzen in ihrem jeweiligen Fach einen höheren Appellwert. (20) ,L’amour, elle appelle c¸a‘, ,L’amour tu ne connais pas‘. (21) Auf der Suche nach dem verlorenen Hegel. (22) Andrei und das Untier ⫺ Sechs Lektionen Informatik.

Auf der Ebene der Semantik anzusiedeln ist das Spiel mit Unterdeterminiertheit (23), Mehrdeutigkeit (24), Widersprüchlichkeit (25) und Metaphorik (26). (23) (24) (25) (26)

Selbsterhaltung und Geschichtlichkeit. La De´couverte de Fichte. Festsitzen und doch Freikommen. Dialog der Texte ⫺ Hamburger Kolloquium zur Intertextualität.

Allein schon die Koordination zweier unattribuierter Nomina wie in (23) führt zu einer „bewußt oder unbewußt in Kauf genommenen Vagheit der Titelformulierung“ (Gnutzmann 1988, 32), die in der semantisch offenen Beziehung der beiden Konjunkte besteht und in vielen Fällen nur durch die Lektüre des Textes behoben werden kann. Ein beliebtes, „beinahe zum Ritual gewordenes Verfahren“ (Genette 1989, 86) stellen dabei zweigliedrige Titel dar, die aus einem semantisch oder syntaktisch unterdeterminierten Obertitel und einem informativen Untertitel bestehen, wobei letzterer die Unterbestimmtheit des Obertitels aufheben kann (27), aber durchaus nicht muß (28) (weitere Beispiele in Gnutzmann 1988, 32 ff und Dietz 1995, 135 ff).

622

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

(27) Deep-rooted Skyscrapers and Bricks: Ancient Mesopotamian Architecture and its Imagery. (28) Der Achte Sinn ⫺ Gesellschaftsprobleme der Gegenwart.

Der bislang angeführten Verfahren treten vorwiegend im geistes- und sozialwissenschaftlichen Spektrum auf; sie sind ein wesentlicher Hinderungsgrund für eine effiziente computergestützte Literaturerfassung und -suche über Titel in diesem Bereich (vgl. 2.2.2.). In den Naturwissenschaften dagegen dürften solche metaphorisch-offenen Formulierungen als unwissenschaftlich gelten. Allerdings sind auch naturwissenschaftliche Titel nicht ganz frei von leserwerbenden Elementen: Adjektive wie neu, einfach, effizient, ungewöhnlich oder Verben mit Enthüllungssemantik wie reveal, uncover etc. versprechen dem Fachleser über den sachlichen Gehalt des Titels hinaus eine lohnende Lektüre (vgl. Dietz 1995, 121 ff). (29) Eine neue Methode zur Synthese von Ribonucleotiden: Die Darstellung von Uridyl-(3⬘5⬘)⫺uridin-3⬘-phosphat. (30) Sequencing of the nuclear gene for the yeast cytochrome c1 precursor reveals an unusually complex amino-terminal presequence.

2.5. Rezeptionssteuerungsfunktion ⫺ Fachtitel als Textorganisatoren Eine Studie darüber, welche Art der Titelbzw. Überschriftenformulierung sich unter den jeweils gegebenen Kommunikationsbedingungen (Adressaten, Publikationsform, Textsorte) als besonders günstig für die Rezeption des nachstehenden (Teil-)Textes erweist, wäre nicht nur von theoretischem Nutzen. Leider liegt eine umfassende Analyse von Fachtiteln qua Text-Überschriften, d. h. als Elemente des zugehörigen Textes, bislang nicht vor. Zwar gibt es psycholinguistische Untersuchungen, in denen getestet wurde, unter welchen Bedingungen Titel und Überschriften das Verständnis eines Textes erleichtern (z. B. Schallert 1976) oder die Behaltensleistung steigern (z. B. Schwarz/Flammer 1981; Wilhite 1988), die speziellen Rezeptionsbedigungen wissenschaftlicher Texte wurden dabei jedoch nicht ausdrücklich thematisiert. In der textlinguistisch ausgerichteten Fachsprachenforschung wurden Titel als Elemente der Makrostruktur eines Fachtextes (Hoffmann 1988, 161 ff) bzw. als Gliederungssignale (Baumann 1987, 15) beschrieben. Der Haupttitel markiert dabei den Anfang eines Teiltextes „nullten Grades“ (Gü-

lich/Raible 1975, 169) bzw. grenzt diesen von vorhergehenden Texten ab (vgl. Hellwig 1982, 158). Innerhalb eines Textes fungieren Zwischentitel, d. h. Kapitelüberschriften, als TeiltextBegrenzer auf verschiedenen Hierarchiestufen. Bei einer Typologie von Zwischentiteln wäre eine Skala anzusetzen von (a) dem Fehlen von Zwischentiteln, d. h. der Markierung eines neuen Teiltextes allein durch Leerzeilen oder graphische Symbole (z. B. ***), über (b) rein numerische Gliederungsmarkierungen (z. B. I.; 3.4 etc.), (c) explizite Benennungen der Gliederungsebene (z. B. 5. Unterkapitel; 6. Teil etc.), (d) Angaben von formalen, standardisierten Teiltexten (wie Einleitung, Hauptteil, Schluß, Fazit, Zusammenfassung etc.) bis hin zu (e) aussagekräftigen Zwischentiteln, die als metatextuelles inhaltliches Kondensat des folgenden Teiltextes fungieren. Bei Zwischentiteln sind sowohl fach- als auch textsortenspezifische Divergenzen hinsichtlich des Typus sowie hinsichtlich der logisch-semantischen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Teiltext-Betitelungen gleicher und verschiedener Gliederungsebenen (vgl. die Fallstudie in Hoffmann 1988, 167) zu erwarten. So werden beispielsweise naturwissenschaftliche Monographien oder Lehrbücher in der Regel mit aussagekräftigen Zwischentiteln versehen, während Zwischentitel in Aufsätzen nur Sequenzierungs- und Delimitierungsfunktionen ausüben. Ein Grund hierfür dürfte darin liegen, daß Zwischentitel von Buchpublikationen dem Leser in Form des Inhaltsverzeichnisses eine komprimierte Vorabinformation bieten, während bei Aufsätzen diese Aufgabe von anderen Paratexten, z. B. dem Abstract, übernommen wird. Zudem unterliegen Aufsätze aus experimentell-naturwissenschaftlichen Fächern ⫺ mit der Abfolge ,Forschungsstand‘, ,Methode‘, ,Ergebnisse‘, ,Diskussion‘ ⫺ einer starken makrostrukturellen Standardisierung, für die Zwischentitel als formale Gliederungssignale ausreichen. Demgegenüber ist die TeiltextAbfolge in geisteswissenschaftlichen Aufsätzen weniger stark normiert, aussagekräftige Zwischentitel stellen deshalb wichtige makrostrukturelle Rezeptionshilfen dar.

3.

Historische Fachtitelforschung als Desiderat

Über die schon angesprochenen Forschungslücken (vgl. 2.1. und 2.5.) hinaus, sehe ich

66. Titel in wissenschaftlichen Texten

den dringendsten Forschungsbedarf in historischen bzw. diachronen Studien zum Fachtitel. Nur durch einen solchen Zugang kann die Bedeutung der fachlichen Tradition für die Titelgebung präziser ausgelotet werden (vgl. hierzu einige Hypothesen und Problemformulierungen in Dietz 1995, 73; 76). In diachronischen Längsschnitten müßten Veränderungen der Titelformulierung innerhalb einzelner Disziplinen über größere Zeiträume hinweg beobachtet und zu wissenschafts- oder publikationsgeschichtlichen Prozessen in Beziehung gesetzt werden. Dabei wäre z. B. an die disziplinären Spezialisierungs- und Abgrenzungstendenzen des 19. Jh.s, verbunden mit dem sich entwickelnden Fachzeitschriftenwesen zu denken. Ein weiterer lohnender Zugriff läge in der Untersuchung von textsortenspezifischen Titelcharakteristika, konkret in der Frage, ob und wie sich die auseinanderdriftenden kommunikativen Funktionen von Büchern und Aufsätzen mit dem Aufkommen des wissenschaftlichen Zeitschriftenwesens Ende des 17. Jh.s in den Titeln niederschlagen. Schließlich müßte sich eine wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtete Fachtitelforschung auch den Ursprüngen und der Entwicklung des wissenschaftlichen Dokumentationswesens widmen ⫺ insbesondere der Frage, inwieweit Titel neben Referaten für die Erstellung von Sekundärpublikationen ⫺ Inhaltsverzeichnisse, Titelindizes ⫺ herangezogen wurden (vgl. hierzu die historische Skizze in Feinberg 1973, 3 ff).

4.

Literatur (in Auswahl)

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VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

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Gunther Dietz, Debrecen

67. Textverdichtung und Textauflockerung im standardisierten Fachwörterbuchartikel 1. 2. 3. 4.

Einleitung Theoretische Grundlagen und Operationen Schlußbemerkungen Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung

Aspekte der Textverdichtung sind in verschiedenen Beiträgen (Wolski 1989, Wiegand 1991, Wolski 1991) mit Blick auf Artikeltexte von Sprachwörterbüchern behandelt worden. Für die Bezugnahme auf Fachwörterbücher dienen nachfolgend insbes. die Ausführungen aus Wiegand (1988) und (1994) der Orientierung. Fachwörterbücher sind als Gebrauchsgegenstände mit „genuinem Zweck“ Hilfsmittel bei der Aneignung und Vermittlung fachspezifischen Wissens: „Der genuine Zweck eines Fachwörterbuches besteht darin, daß es benutzt wird, um anhand fachlexikographischer Daten in den Teiltexten mit äußerer Zugriffsstruktur (vor allem solchen im Wörterverzeichnis oder in den Wörterverzeichnissen) solche Informationen zu erschließen, die als Fachwissen gelten.“ (Wiegand 1994, 105).

Nach der Art der Fachbezogenheit lassen sich den voneinander unterschiedenen Nachschlagewerken (Sprachwörterbuch, Sachwörter-

buch, Allbuch) drei Typen von Fachwörterbüchern zuordnen (vgl. Wiegand 1988, 761 und 1994, 117): (a) das fachliche Sprachwörterbuch, in dem die Sprache in einem oder mehreren Fächern präsentiert wird, (b) das fachliche Sachwörterbuch („Sachen in einem Fach“), (c) das fachliche Allbuch („Sprache und Sachen in einem Fach“). Standardisierte Wörterbuchartikel sind handlungstheoretisch gesehen Ergebnis von Handlungen des Typs „EINEN WÖRTERBUCHARTIKEL NACH INSTRUKTIONEN FORMULIEREN“ (Wiegand 1988 a, 35); sie entstehen durch die Anwendung „geschlossener lexikographischer Beschreibungsmethoden“ (Wiegand 1988 a, 38 f). Angeschlossen sei an folgende Charakterisierung: „Ein standardisierter Wörterbuchartikel ist ein lexikographischer Teiltext, der nach lexikographischen Instruktionen formuliert wurde, so daß er in bestimmten Texteigenschaften, und zwar vor allem dem Einsatz der Textverdichtungsmittel, der Anzahl der Angaben gleichen Typs, der Reihenfolge dieser Angaben und der Anzahl und der Reihenfolge der Strukturanzeiger, mit denjenigen Artikeln des gleichen Wörterbuchs gleich ist, die fehlerlos nach den gleichen Instruktionen formuliert wurden.“ (Wiegand 1988 a, 38).

67. Textverdichtung und Textauflockerung im standardisierten Fachwörterbuchartikel

Normalerweise geht mit der Standardisierung die Textverdichtung einher (Textverdichtung aufgrund von Standardisierung). Texte können aber auch verdichtet werden, ohne daß dies nach Standards geschieht (unkontrollierte, nichtstandardisierte Textverdichtung). Werden Standards für die Formulierung von Texten festgelegt, ohne daß die Formulierungsresultate (Texte, Textsegmente) verdichtet sind, kommt lediglich eine Vereinheitlichung der Gestaltung zustande. Gründe für die Standardisierung von Artikeltexten sind: Druckraumersparnis, bessere Auffindbarkeit von Daten und bessere Textverständlichkeit (vgl. Wolski 1989, 958⫺959). In den Wörterbüchern, die einem der drei Typen von Fachwörterbüchern zugerechnet werden können, ist der Grad der textuellen Standardisierung geringer „als in den gängigen Sprachwörterbüchern“ (Wiegand 1994, 121). Schwach standardisierte Wörterbuchartikel finden sich ansonsten im wesentlichen nur in der älteren Sprachlexikographie (vgl. die Beispiele aus Wolski 1989, 959); wo textverdichtende Operationen (vgl. dazu unter 2.4.) nur geringfügig zum Einsatz kommen, lassen sich die Artikeltexte entsprechender Wörterbücher als fortlaufender Text lesen.

2.

Theoretische Grundlagen und Operationen

2.1. Fachwörterbuchartikel und andere Fachtexte Das Fachwissen eines Faches wird in Fachtexten unterschiedlicher Fachtextsortenzugehörigkeit präsentiert. Die Wörterbuchbasis eines Fachwörterbuchs machen in erster Linie andere Fachtexte aus (primäre fachliche Quellen); wie in der Sprachlexikographie bilden aber daneben auch Formulierungsresultate aus lexikographischen Texten einen Teil der Wörterbuchbasis (sekundäre fachliche Quellen). „Die Menge aller verfügbaren fachlichen Quellen bildet die fachlexikographische Ausgangskartei“: „Von dieser geht man durch Textverarbeitung, z. B. durch Exzerpieren, Sortieren usw. zur fachlexikographischen Zwischendatei über […]. Schließlich wird auf der Basis der Zwischendatei die fachlexikographische Ergebnisdatei dadurch erarbeitet, daß Fachwörterbuchartikel geschrieben werden. Der fachlexikographische Prozeß ist daher (wie andere lexikographische Prozesse auch) in wesentlichen Teilen ein Prozeß der Textverarbeitung. Es wird nach den Instruktionen eines Instruktionsbuchs von einer Menge von Fachtexten zu einem

625

fachlexikographischen Text übergegangen.“ (Wiegand 1994, 107).

In Arbeiten zur Fachsprache, in denen lexikographische Texte nicht oder nur am Rande berücksichtigt sind, wird auf Gegebenheiten der Komprimierung bzw. Textverdichtung im wesentlichen mit Blick auf Abstracts (und vergleichbare Textsorten) sowie Termini Bezug genommen, oder wenn das Verhältnis von genuinen Fachtexten zu populärwissenschaftlichen Texten thematisiert wird. Im „Handbuch des Fachsprachenunterrichts“ wird für den populärwissenschaftlichen Text neben Vermeidung der Fachlexik u. a. m. ein „Präzisionsund Ökonomieverlust“ ausgemacht und festgehalten: „Er löst die Informationsdichte eines Fachtextes auf. Damit entfällt die sprachliche Reduktion eines Fachtextes weitgehend. Dies wirkt sich besonders syntaktisch […] und morphologisch aus. Die Ökonomie der Darstellungsweise ist weder sprachlich noch inhaltlich gegeben: Der Leser erhält viel nebensächliche Information, deren Funktion und Gewichtung in bezug auf das Ganze er aber aus mangelnder Sachkenntnis nicht durchschauen kann.“ (Buhlmann/Fearns 1991, 69). Unter den ⫺ berücksichtigten ⫺ Textsorten gilt „der Fachtext aus der Monographie/dem Handbuch“ als am „einfachsten“, weil hier „die sprachliche Reduktion am größten ist“ (Buhlmann/Fearns 1991, 323⫺324). ⫺ Daß in didaktischen Texten „die Informationsdichte gering“ ist, wird auch von S. Göpferich festgestellt. Für Termini „als Wissenskomprimate“ (Göpferich 1995, 401) schließt sie an Kalverkämpers Bestimmung von Termini als „Kondensation von (Klein-)Texten und anderen Handlungssequenzen“ (Kalverkämper 1983, 154) an. ⫺ Zu Abstracts, in denen „die Prinzipien der Selektion und Komprimierung von Informationen zur Anwendung“ kommen, vgl. Göpferich (1995, 147).

S. Göpferich hat in ihrer Klassifikation schriftlicher „Textsorten in Naturwissenschaften u. Technik“ Enzyklopädie und Lexikon (neben Formelsammlungen u. a. m.) als „wissenszusammenstellende Texte“ erfaßt. Zu deren Selektion und Komprimierung stellt sie fest: „Bei der Kompilation eines wissenszusammenstellenden Werkes wird das zuvor in Texten anderer Fachtexttypen präsentierte Wissen einer Selektion und Komprimierung der Informationen unterzogen, die von der Größe des Ausschnitts aus dem abgedeckten Wissensspektrum, dem Umfang des wissenszusammenstellenden Werkes und den intendierten Adressaten abhängig ist.“ (Göpferich 1995, 126).

Was enzyklopädische Texte angeht (lexikographische Texte sind möglicherweise mitge-

626

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

meint; es wird auf diese aber nicht eingegangen), so erbringen die Untersuchungen aus Göpferich (1995) das Ergebnis, daß „die Informationen überwiegend in grammatisch vollständigen Sätzen mit finiten Verben“ dargeboten werden; sie sind „in der Regel kohäsiv“ (131). In so bezeichneten „satzfragmentarischen Texten“ (Formelsammlung, Stückliste, Katalog u. a. m.) hingegen kommen „zahlreiche nicht-kohäsive Passagen“ vor; sie bestehen „überwiegend aus fragmentarischen (elliptischen), grammatisch unvollständigen Sätzen, Stichwörtern und gegebenenfalls Werten, die häufig in Tabellen, Graphiken und anderen Übersichten erscheinen“ (131).

Unvereinbar mit dem von S. Göpferich vertretenen „kommunikativ-pragmatisch orientierten texttheoretischen Ansatz“ aus Göpferich (1995) und der hier vertretenen metalexikographischen Orientierung gleichermaßen ist der von R. Gläser auf „kohäsionslose oder kohäsionsarme“ fachliche „Äußerungsformen“ (Lieferscheine, Stücklisten etc.) bezogene Term Quasi-Texte (vgl. Gläser 1990, 48). S. Göpferich moniert treffend einen „rein sprachlich (sprachintern)“ motivierten texttheoretischen Ansatz. Die Ausformulierung entsprechender stichwortartig gefaßter kohäsionsarmer Textsegmente würde der ihnen zugedachten „kommunikativen Funktion“ nicht gerecht (53). ⫺ Aus metalexikographischer Perspektive lassen sich „Quasi-Texte“ gleichfalls als unglückliche Konstruktion erfassen; höchst standardisierten Artikeltexten, welche durch exhaustive Anwendung von Operationen der Textverdichtung zustande gekommen sind, würde damit eine nur eingeschränkte Texthaftigkeit zugesprochen.

2.2. Textlinguistische Voraussetzungen Zur texttheoretischen Grundlegung der neueren Wörterbuchforschung sei auf Wiegand (1988 a), (1988 b) und (1994 a) verwiesen. Einen damit kompatiblen sprachhandlungstheoretisch fundierten Orientierungsrahmen, von dem hier zusätzlich ausgegangen wird (vgl. auch Art. 43) bietet Schmidt (1991; zuerst 1980). Der Orientierungsrahmen ermöglicht einen einheitlichen Zugriff auf Texte unterschiedlicher Textsortenzugehörigkeit und trägt der Heterogenität dessen Rechnung, was an Medienangeboten (sprachlicher und nicht-sprachlicher Art) eine referenzfähige Ausgangsbasis für Anschlußkommunikationen (Texte über Ausgangstexte) sein kann. Wahrnehmungsangebote, die Kommunikationsteilnehmer zum Aufbau „kognitiver Operationen“ benutzen (darunter: Erarbei-

tung inhalts- und formbezogener Eigenschaften), werden als Kommunikatbasen (KB) bezeichnet (Schmidt 1991, 61). Die KB „stimuliert“ die „kognitive Produktion eines Kommunikats“ (62; vgl. die Definition, 77). Im Falle sprachlicher Kommunikationshandlungen wird für den ansonsten eingespielten Ausdruck Text in Schmidt (1991) der Ausdruck sprachliche Kommunikatbasis verwendet (vgl. 94). Sprachliche Texte (KB) als Anlaßstrukturen zum Aufbau eines Kommunikats genügen den Bedingungen der Phonetizität/Graphematizität, Lexikalität und Syntaktizität (vgl. 95). Entfaltet wird ausschließlich der Gegenstandsbereich einer Theorie ästhetischer kommunikativer Handlungen; der Binnendifferenzierung nach werden sämtliche Kommunikationsprozesse zwischen Produzenten, Rezipienten, Vermittlern und Verarbeitern ästhetischer Kommunikationsbasen erfaßt (vgl. 109 ff). Für die fachliche Kommunikation steht eine ähnliche differenzierte Theorie fachlicher kommunikativer Handlungen aus. ⫺ Zentrales Abgrenzungskriterium i. S. einer Außendifferenzierung des „Systems ästhetischer kommunikativer Handlungen“ (SÄKH) von allen anderen Kommunikationssystemen (alltagssprachlicher und/oder fachbezogener) sind die jeweils geltenden Konventionen. Außer im SÄKH (für die „Ästhetik-Konvention“ und „Polyvalenz-Konvention“ angesetzt werden; zu den Definitionen vgl. 116 u. 133) gelten „tatsachenbezügliche Konvention“ (vgl. die Def., 113) und „Monovalenz-Konvention“ (vgl. die Def., 133); vgl. dazu genauer Art. 43.

Wichtig ist im Zusammenhang auch mit fachlicher Kommunikation, daß zwischen Rezeption und Verarbeitung klar unterschieden wird (vgl. 328 ff). Mit der Kommunikatbasisrezeption sind „alle Sachverhalte und Ereignisse mitabgedeckt, die die konkrete ,Rezeption‘ begleiten“. Wenn ein Kommunikationsteilnehmer B auf die Rezeption einer KB so reagiert, daß der „eine A-Position einnimmt“ und „selbst Kommunikatbasen produziert“, wird die entsprechende Kommunikationshandlung als Kommunikatbasisverarbeitung bezeichnet; in diesem Falle wird eine KB produziert, die sich auf eine Ausgangs-KB bezieht (vgl. 83). Entscheidende Annahme ist dabei, daß „nicht etwa ein Text (qua Kommunikatbasis) direkt verarbeitet wird, sondern das Kommunikat, das ein S-Verarbeiter [Sprach-Verarbeiter] in Rezeptionshandlungen einem Text zugeordnet hat; denn Texte existieren als Kommunikate ja nur für Rezipienten ,in deren Bewußtsein‘ “ (239). Ein Text muß erst rezipiert worden sein, ehe er verarbeitet werden kann (vgl. 328).

67. Textverdichtung und Textauflockerung im standardisierten Fachwörterbuchartikel

2.3. Textverdichtung als Verarbeitungsoperation Der Textverarbeitungsbegriff wird hier wie in Schmidt (1991), wo er auf die literarische Kommunkation bezogen ist, eingeschränkt auf Prozesse, „in denen Texte (qua sprachliche Kommunikatbasen) thematisch primär sind […]“ (329). Von den in Schmidt (1991) angeführten Verarbeitungsoperationen (vgl. 334⫺335) ist hier lediglich das Kondensieren von Interesse, und hier auch nur der zweite Anwendungsfall, in dem das Kondensieren eine Rolle spielt. Zum einen wird die Operation des Kondensierens „in der Rezeption“ angewandt, „um ein Kommunikat zu erzeugen“. In Verarbeitungszusammenhängen hingegen wird diese Operation angewandt, „um explizite Verarbeitungstexte zu erzeugen, die in einer (mit konventionalisierten Termini belegten) ,Verarbeitungsrelation‘ zur Leseart stehen […]“ (329). In Wolski (1989) wird, unter Berücksichtigung zahlreicher Stellungnahmen aus der einschlägigen Literatur, auf eben diese Ausgangsgegebenheiten hingewiesen, nämlich daß ein Text nur in Bezug auf einen anderen Text (bzw. mehrere andere Texte) als verdichtet resp. kondensiert gelten kann. Wörterbuchartikel als Verarbeitungstexte unterliegen den als Textverdichtung ansprechbaren Verarbeitungsoperationen im Sinne von: X wird/wurde von einem Agens verdichtet zu Y; X ist verdichtet zu Y und Y ist dichter als X (X und Y sind Variable für Textteile). Das für die Variable X einsetzbare Textsegment ist ein (möglicher) Volltext; die Variable Y steht für das Kondensat. Der Prozeß der Überführung von X nach Y wird als Textverdichtung bzw. auch Kondensierung bezeichnet. Ein Ausgangstext wird dadurch verdichtet, daß unterschiedliche Operationen der Textverdichtung (vgl. unter 2.4.) angewendet werden. Die Anzahl der Oberflächeneinheiten (verdichtet wird die Kohäsion) ist für das Kondensat geringer als für den Volltext; die propositionalen Gehalte müssen aus weniger Textoberflächeneinheiten erschlossen werden. Das Kondensat zeichnet sich relativ zu einem Volltext (Ausgangstext) durch größere propositionale Dichte aus; für diese läßt sich ein Quotient ermitteln, was für gewisse Zwecke sinnvoll sein kann. Hierzu sei auf Wiegand (1991) und auf die Ausführungen in Wolski (1991) verwiesen.

Ein Wörterbuchartikel kann als ein „zweiteiliges Kondensat […] aus einem zugehörigen

627

zweiteiligen Volltext“ (Wiegand 1988 a, 81) aufgefaßt werden. Der Titel des Volltextes wird bei der Kondensierung zum Lemma, und der Ko-Text zu den artikelinternen Angaben zum Lemmazeichen (vgl. auch Wolski 1989 a, 366). Die Kondensierung ist ein nicht umkehrbarer Prozeß, da einem Formulierungsresultat (Kondensat) qua Kommunikatverbalisierung (i. S. von Schmidt 1991, 332 als „Vertextung von Kommunikaten“) unterschiedliche Volltexte zugeordnet werden können. Nach der KB-Rezeption von /WA1/ /WA1/ Leucoß jum s [v. gr. leukoion ⫽ weißes Veilchen], die  Knotenblume. (Lexikon der Biologie)

kann das Kommunikat, mit Blick auf den Formkommentar, folgendermaßen verbalisiert werden (V1 und V2 stehen für mögliche Volltexte): V1: Leucoß jum wird auf dem Vokal „o“ betont und ist sächlich; V2: Das Wort Leucojum hat die Betonung auf dem langen „o“ und ist dem Genus nach sächlich.

2.4. Operationen der Textverdichtung Ergebnis der Textverdichtung kann jedes funktionale Textsegment eines standardisierten Wörterbuchartikels sein, welches eine Angabe (vgl. Wiegand 1989, 428 ff) ist. Zur Definition von funktionales Textsegment vgl. Wiegand (1989, 425 ff). Zu den funktionalen Textsegmenten zählen neben den Angaben die nichttypographischen Strukturanzeiger (wie z. B. Klammern und Kommata); typographische Strukturanzeiger sind dagegen Eigenschaften der Angabeform (z. B. kursiv, halbfett); vgl. dazu Wiegand 1989, 1988 a u. 1990, 26 ff.

Als Operationen der Textverdichtung können gelten (vgl. Wolski 1989 u. 1991): (i) Auslassung von Formulierungsbestandteilen, (ii) Bildung von Abkürzungen, (iii) Ersetzung (von Teilen) eines Volltextes durch Angabesymbole, (iv) Substitution (von Teilen) des Lemmazeichens, (v) Ineinanderschachtelung von Formulierungsbestandteilen, (vi) Belegschnitt-Verfahren, (vii) Nischen- und Nestbildung, (viii) Auslagerung von Textsegmenten. Zu den Grundverfahren der Textverdichtung zählen (i) bis (ii); speziellere (darauf aufbauende Verfahren) sind (iii) bis (viii). Diese bilden nach Wiegand (1991) die zweite Stufe der lexikographischen Textverdichtung (vgl. dazu Wolski 1991, 2837).

(i) Auslassung von Formulierungsbestandteilen: Dieses Grundverfahren der Textverdichtung besteht entsprechend lexikographischer

628

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

Formulierungskonventionen im wesentlichen darin, Relationsprädikate wie bedeutet, bezeichnet (vgl. zu deren Vielfalt Wolski 1986, 240 ff) auszulassen; vgl.: /WA2 / Dekompositionsprinzip: in der mathematischen Optimierung Zerlegungsprinzip zur Lösung umfangreicher Optimierungsprobleme. […] (Wörterbuch der Kybernetik)

In diesem Wörterbuch, das dem Typ des fachlichen Sachwörterbuchs zugerechnet werden kann, ist das geeignete Relationsprädikat bezeichnet ausgelassen: ausgelassen ist ebenfalls der Artikel vor Zerlegungsprinzip. Variabel wird diesbezüglich in einem ebenfalls schwach standardisierten Wörterbuch verfahren, das dem Typ des fachlichen Allbuchs zuzurechnen ist; einmal werden Relationsprädikate ausgelassen, ein andermal (vgl. /WA3/) finden sie sich: /WA3/ Dynamisch engl.: dynamic ⫺ frz.: dynamique ⫺ ital.: dinamico ⫺ port: dinamico ⫺ span.: dina´mico. Kennzeichnet einen Gesichtspunkt, der die psychischen Phänomene als Resultat des Konflikts und der Kräfteverbindungen betrachtet, die ein bestimmtes Drängen ausüben und letztlich vom Trieb abstammen. Es wurde oft betont, daß die Psychoanalyse eine sog. statische Konzeption des Unbewußten durch eine dynamische ersetzte. Freud selbst schrieb, daß man […]. (Das Vokabular der Psychoanalyse)

Auf die Auslassung von Relationsprädikaten wird auch von S. Göpferich mit Blick auf „Enzyklopädieartikel“ hingewiesen: „Die Definitionskopula, die Definiendum und Definiens verbindet, wird aus Gründen der Sprachökonomie weggelassen. Dies ist möglich, weil der Rezipient aufgrund seiner Textsortenkompetenz problemlos dazu in der Lage ist, die Kopula gedanklich zu ergänzen.“ (Göpferich 1995, 297).

(ii) Bildung von Abkürzungen: Durch dieses Verfahren wird (im Vergleich zu dem unter i) weiterer Druckraum eingespart. Der gängigen Praxis nach werden Abkürzungen in einem der Außentexte des jeweiligen Wörterbuchs erläutert, wenn über eingespielte Lesegewohnheiten hinaus abgekürzt wird. Betroffen sein können Angaben ganz unterschiedlichen Typs (vgl. Genusangabe u. etymologische Angabe in /WA1/, Abkürzung von Sprachnamen in /WA3/.

(iii) Ersetzung (von Teilen) eines Volltextes durch Angabesymbole: Dieses Verfahren läßt sich (sinnvoll) nur auf Angaben anwenden, die wörterbuchintern einem geschlossenen

Inventar zugerechnet werden. Durch den Gebrauch von Angabesymbolen, insbesondere durch ikonische Zeichen, wird eine „qualitativ neue Stufe der Textverdichtung“ erreicht (vgl. Wolski 1989, 963). (a) Angabesymbole in Form von Punkten und Strichen sind positionsgebunden in Lemmaposition. Sie sind als Teile des Schriftsystems sprachnah gefaßt; bei der Kommunikatbasisrezeption kann auf Kenntnisse zurückgegriffen werden, die anhand anderer Texte erworben worden sind. Angabesymbole dieses Typs finden sich in fachlichen Sprachwörterbüchern und fachlichen Allbüchern; vgl. aus /WA1/ Leucoß jum die Betonungsangabe in Form eines Unterstriches unter dem Vokal. (b) Qua Angabesymbole mittels Sonderzeichen ikonischer Art wird über die vorab angeführten Textverdichtungsverfahren (einschließlich sprachnah gefaßter Angabesymbole) hinausgegangen; ihre Erschließung macht es erforderlich, die Wörterbucheinleitung zu konsultieren; vgl.: /WA4/ Luciferißne [Mz.; v. *lucifer-], bei  Biolumineszenz-Reaktionen (왏) umgesetzte chem. Verbindungen aus verschiedenen  Leuchtorganismen, die sich je nach Herkunft in ihrer chem. Struktur unterscheiden (vgl. Abb.) u. verschiedenen Typen v. Biolumineszenz-Systemen angehören. (Lexikon der Biologie) /WA5/ Analeptika *griech.+ n Pl: Pharmaka, die in therapeut. Dosen die Aktivität des ZNS oder bestimmter Abschnitte steigern, in höheren Dosen Wirkung als Krampfgifte. Kreislaufa.: Penetrazol왏 (Cardiazol왌), Amphetamin왏, Methamphetamin왏 (Pervitin쐌), Coffein. Atema.: Bemegrid왏 (Eukraton왌), Nicethamid왏 u. a. In der experimentellen Pharmakologie haben Pikrotoxin, Strychnin u. a. noch eine gewisse Bedeutung. (Zetkin/Schaldach) In dem „Lexikon der Biologie“ wird in der „Gebrauchsanleitung“ festgehalten: „Das Zeichen 씲 verweist auf Abbildungen, 씲 T auf Tabellen und 씲 B auf Bildtafeln, wobei hinter dem Zeichen in der Regel das Stichwort angegeben ist, bei dem das Tabellen- bzw. Bildelement steht.“ Des weiteren wird per Stern „*“ auf solche „Begriffspartikel (z. B. Präfix)“ hingewiesen, die häufiger vorkommen; diese werden „nicht im Artikel erklärt, sondern auf der Marginalienspalte“ (vgl. die Wörterbucheinleitung). ⫺ Es schließt sich unmittelbar eine Abbildung der chemischen Verbindungen von Luciferinen an.

67. Textverdichtung und Textauflockerung im standardisierten Fachwörterbuchartikel Im „Wörterbuch der Medizin“ (Zetkin/Schaldach) werden als „Symbole“ verwendet (vgl. die Wörterbucheinleitung): ein kleines hochgestelltes Quadrat für „internationaler chemischer Kurzname“, ein kleiner heller Kreis für „Arzneimittelspezialität“ und ein kleiner schwarzer Kreis für „Arzneifertigware der DDR“. In /WA5/ finden sich außerdem Belege für das Auslassen von Formulierungsbestandteilen (vgl. das Fehlen von Relationsprädikaten und die elliptische syntaktische Konstruktion „in höheren Dosen Wirkung als Krampfgifte“). Abgekürzt sind: die Angabe zur sprachlichen Herkunft, die Genusangabe und die Angabe, daß es sich um einen im Plural gebräuchlichen Terminus handelt; daneben findet sich die auch in Texten anderer Textsortenzugehörigkeit gebräuchliche Abkürzung „u. a.“ für „unter anderem“.

(iv) Die Substitution (von Teilen) des Lemmazeichens besteht darin, daß Teile des Lemmazeichens oder das ganze Lemmazeichen durch Platzhaltersymbole in Form von Strichen oder durch die Tilde ersetzt werden. Dieses Verfahren der Textverdichtung findet sich in den berücksichtigten (und etlichen weiteren dazu inspizierten) Fachwörterbüchern nicht. Dies bestätigt den bereits mehrmals vermerkten (im Vergleich zu gemeinsprachlichen Wörterbüchern) sparsameren Einsatz von Textverdichtungsoperationen in Fachwörterbüchern. An Stelle der Substitution werden (wie für die Sublemmata aus /WA5/) Abkürzungen zur Repräsentation von Teilen des Lemmazeichens bevorzugt. In gemeinsprachlichen Wörterbüchern hingegen findet sich dies Verfahren der Textverdichtung vielfältig und weithin verwendet: im Rahmen von Strichartikeln, in den Wortformenangaben und in (Kompetenz-)Beispielangaben (vgl. dazu Wolski 1989, 964).

(v) Das Belegschnitt-Verfahren ist ganz und gar auf Gegebenheiten gemeinsprachlicher Wörterbücher zugeschnitten. Es dient der ökonomischen und zweckorientierten Präsentation von Belegbeispielangaben (vgl. Wolski 1989, 965). (vi) Die Nischen- und Nestbildung führt in gemeinsprachlichen Wörterbüchern (da meist im Verein mit dem Verfahren der Substitution) zu sog. „Strichartikeln“. Die Nischenund Nestbildung ist Ergebnis starker lexikographischer Textverdichtung (vgl. Wolski 1989, 965). Unterschieden werden „striktalphabetische Makrostrukturen mit Gruppierung: die nischenalphabetische Anordnungsform“ und „nicht striktalphabetische Makrostrukturen mit Gruppierung: die nestal-

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phabetische Anordnungsform“ (vgl. Wiegand 1989, 386⫺393).

Nischen- und Nestbildung findet sich in Fachwörterbüchern ebenso wie in gemeinsprachlichen Wörterbüchern. In /WA5/ sind die dem Eingangslemma in Nestern nachgeordneten Sublemmata nicht alphabetisch geordnet. Insgesamt scheint diese Operation der Textverdichtung in Fachwörterbüchern erstens weniger häufig und dann auch weniger kontrolliert eingesetzt zu werden als in gemeinsprachlichen Wörterbüchern; darüber ist nur anhand einer ausführlicheren Untersuchung zu befinden. (viii) Die Auslagerung von Textsegmenten besteht darin, daß im Artikelkopf (oder unter Hauptgliederungspunkten) solche Textsegmente vorangestellt werden, die für Textsegmentreihen polysemer Lemmazeichen sonst einzeln aufgenommen werden müßten. In diesem Sinne können zahlreiche Textsegmente (allein oder in Kombination mit anderen) ausgelagert werden (vgl. dazu Wolski 1989 und die dort angegebenen Beispiele).

Aufgrund der teils erheblichen Komplexität sprachbezogener (form- und inhaltsbezogener) Angaben ist dies Verfahren der Textverdichtung wesentlich der ökonomischen Präsentation von Daten im gemeinsprachlichen Wörterbuch dienlich. In Fachwörterbüchern gibt es nur wenig auszulagern, soweit mit einem Terminus unterschiedliche Fachgegenstände bezeichnet werden; vgl.: /WA6/: Meerkatzen [v. ind. markata ⫽ Affe], 1) M. i. e. S. Cercopithecus, vielgestaltige Gatt. der […]. M. i. w. S., Cercopithecidae,  Meerkatzenartige. (Lexikon der Biologie) Ausgelagert werden kann hier lediglich die Angabe zur Wortherkunft. In /WA5/ können die dem Eingangslemma zugeordneten Angaben als ausgelagert angesehen werden. 2.5. Textauflockerung Auf der Basis der in vorausgehenden Abschnitten dargelegten Prämissen kann hier unter Textauflockerung weder (a) Redundanz verstanden werden, noch wird davon ausgegangen, daß (b) Illustrationen verschiedener Art per se Kandidaten für Textauflockerung sind; des weiteren wird (c) die Textauflockerung von der Text-Entdichtung abgehoben. Zu (a): Standardisierte Fachwörterbuchartikel liefern kein Beispiel von „aus Fachtexten ungewohnter Redundanz“, wie sie im

630

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

Handbuch des Fachsprachenunterrichts anhand populärwissenschaftlicher Texte ausgemacht werden. Dort wird darauf hingewiesen, daß der populärwissenschaftliche Text „Redundanz aufweist, und zwar teilweise leere Redundanz, was ein Leser von Fachtexten aufgrund seiner Vorerfahrungen nicht erwartet und auch nicht gleich erkennt.“ (Buhlmann/Fearns 1991, 75⫺76). Auch Redundanz im Sinne von „zusätzlicher Stimulanz“ (nach Langer/Schulz v. Thun/Tausch 1993) ist durchaus in Fachtexten „nicht verständnisfördernd, da der Leser mit den dafür charakteristischen Darstellungsmitteln an diesem Ort nicht rechnet und dadurch blockiert werden kann“ (Buhlmann/Fearns 1991, 184).

Daß ein gewisser Grad an Textverdichtung gegeben ist, scheint für Wörterbücher stets spezifisch zu sein; deshalb lassen sich als Redundanz erfaßte Eigenschaften von Texten kaum auf sie beziehen. Redundanz bestünde hier (wie in anderen Fachtexten) in unnötiger und unzweckmäßiger Vermehrung von Textoberflächeneinheiten. In Wolski (1989) wird darauf hingewiesen, daß von Redundanz im Wörterbuch nur dann die Rede sein kann, wenn Gestaltungsmittel eingesetzt werden, „die bereits mit anderen ⫺ eben: funktionalen ⫺ Textsegmenten abgedeckt sind“ (vgl. Wolski 1989, 966).

Zu (b): Abbildungen, „Zeichnungen, Diagramme, Formeln und Tabellen“ sind „Repräsentanten bestimmter, im Fach relevanter Kommunikationsverfahren“. Aus ihnen können bei der Kommunikatbasisrezeption Kommunikate aufgebaut werden (im „Handbuch“ wird die ungünstige Redeweise des Transports von Inhalten gewählt), „die eindeutig und fachlich relevant sind und von daher die Produktion pragmatisch sinnvoller Texte ermöglichen“ (vgl. Buhlmann/Fearns 1991, 184). Zu (c): Der Ausdruck Textentdichtung wird auf kognitive Operationen bezogen, in deren Folge (bei der sukzessiven Rezeption von Daten) Verdichtungsoperationen zurückgenommen werden, um ein zufriedenstellendes Kommunikat aufbauen zu können. Dies gelingt für stark verdichtete Wörterbuchartikel (aus dem Bereich der gemeinsprachlichen Lexikographie) ohne großen Aufwand. Es gelingt also auch (wenngleich dies oft erheblich aufwendiger ist) für extrem verdichtete literarische Texte (z. B. der modernen Lyrik) bei vorausgehender Akzeptanz, ein entsprechendes sprachliches Gebilde als sinnvollen Text zu erfassen (vgl. Wolski 1995).

Textauflockerung läßt sich von hierher als Prozeß der Textverarbeitung (im erläuterten Sinne) auffassen, welcher dem der Textverdichtung nicht gegenläufig ist, sondern ihn unter dem Gesichtspunkt der gefälligen Präsentation von Daten unterstützt. Textauflokkerung wird somit auf solche Kommunikatbasis-Eigenschaften bezogen, die unter Wahrnehmungsgesichtspunkten den Eindruck der Auflockerung hervorrufen. In Wiegand (1995) wird für eine Art der „partiell-integrierten Mikrostrukturen“ festgestellt, daß diese „durch eine „textauflokkernde Operation der Rechtsauslagerung“ (Wiegand 1995, 11) entsteht. Es handelt sich dabei um ein Verfahren, das in manchen ein- und zweisprachigen gemeinsprachlichen Wörterbüchern vorkommt. Die Rechtsauslagerung besteht darin, daß mindestens eine Angabe hinter den letzten semantischen Subkommentar ausgelagert wird (vgl. 11).

Auch in Wiegand (1995) wird betont, daß Textauflockerung dieses Typs nicht etwa „einen ,Widerspruch‘ “ zur Operation der Textverdichtung darstellt; die Rechtsauslagerung ist „zwar textauflockernd, sie ist aber zugleich mit einer Textverdichtung verbunden“ (Wiegand 1995, 13). In Fachwörterbüchern mag die Rechtsauslagerung gleichfalls vorkommen; in der überprüften Menge von Fachwörterbüchern unterschiedlichen Typs fand sich aber kein Beispiel dafür. Wesentlich scheint zu sein, daß qua Operationen der Textauflockerung Wörterbücher unter Benutzungsaspekt insgesamt zugriffsfreundlicher werden: die „innere Schnellzugriffsstruktur“ (vgl. dazu Wiegand 1995, 16) wird expliziter und differenzierter, die Zugriffszeiten werden kürzer; es gibt mehr Suchbereiche, und die einzelnen Suchbereiche sind kleiner. Die Zugriffsunfreundlichkeit langer Wörterbuchartikel kann z. B. auch dadurch gemildert werden, daß Gliederungsübersichten vorangestellt werden; diese werden in Wiegand (1995, 20) als „Orientierungskommentare“ bezeichnet.

Für Fachwörterbücher kommen (zum jetzigen Erkenntnisstand) im wesentlichen zwei Operationen der Textauflockerung in Betracht, die in Anlehnung an die Ausführungen aus Wiegand (1995) zu „semiintegrierten Mikrostrukturen“ darin bestehen, daß (i) Mikroarchitektur und (ii) Marginalstrukturen vorgesehen werden.

67. Textverdichtung und Textauflockerung im standardisierten Fachwörterbuchartikel

631

(i) Unabhängig davon, ob es sich um Artikel mit integrierter oder nichtintegrierter Mikrostruktur handelt, wird die Zugriffsfreundlichkeit durch eine Mikroarchitektur erhöht.

buchartikeln wiederkehrenden) Formulierungsbestandteilen auffassen. Dadurch entsteht ⫺ zusammen mit Abbildungen ⫺ der Eindruck einer lockeren Textgestaltung, ohne daß entsprechende Textsegmente weniger verdichtet sind als diejenigen von Wörterbuchartikeln, aus denen sie abgezogen sind.

Unter der Mikroarchitektur ist eine „Lagerelation“ zu verstehen, „welche die relative Lage von Textsegmenten im zweidimensionalen Raum festlegt“ (vgl. Wiegand 1995, 37).

3.

Hierzu zählt eine geeignete Textblockbildung (jeder Kommentar bildet einen Textblock). Es entsteht eine „glatte innere Schnellzugriffsstruktur“ (34), da alle Zugriffselemente am Zeilenanfang und damit senkrecht untereinander stehen; der Abstand zwischen den Textblöcken ist um etliche Punkte größer als der Zeilenabstand innerhalb der Textblöcke. Der Artikeltext wird damit durch typographische Mikrostrukturanzeiger für die Wahrnehmung gefälliger und deutlicher gegliedert (vgl. Wiegand 1995, 18 u. 37). Des weiteren können geeignete Schriftartenmischung im Wörterbuchartikel (kursive Schrift, halbfette und fette Schriften, Versalien und Kapitälchen) sowie verschiedene Schriftgrößen innerhalb einer Schriftart dazu beitragen, daß aus Wahrnehmungsperspektive der Eindruck der Textauflockerung entsteht; gerade für Fachwörterbücher bietet sich an, daß unterstützend Umrahmungen von Textsegmenten und anderes mehr (Einsatz farblicher Gestaltungsmittel) hinzutreten. Für Textblockbildung im Verein mit Schriftartenwechsel und dadurch erreichter gefälliger Textauflockerung sei auf /WA3/ Dynamisch (aus: „Das Vokabular der Psychoanalyse“) hingewiesen.

(ii) Marginalstrukturen bestehen darin, daß Kommentare oder Subkommentare auf der Druckseite versetzt arrangiert werden; man findet sie z. B. auch in manchen Lernerwörterbüchern (Aktantenklassenangaben bei Verblemmazeichen u. a. m.). Artikel mit solchen Mikrostrukturen „sind systematisch konzipierte ,Mehrfensterartikel‘ “ (Wiegand 1995, 40). So wird für Luciferißne (vgl. /WA4/ aus dem „Lexikon der Biologie“) der Formulierungsbestandteil lucifer (Teil der Wortherkunftsangabe in einer ⫺ in der Mitte der Seite angeordneten ⫺ Marginalienspalte (oben und unten von breiten, dunkel gehaltenen Balken umrahmt) gesondert kommentiert als „lucifer- [v. lat. lux, Gen. lucis ⫽ Licht, -fer ⫽ -tragend]“. Dies läßt sich als Sonderverfahren der Operation der Auslagerung von (in mehreren Wörter-

Schlußbemerkungen

Von textverdichtenden Operationen wird in Fachwörterbüchern weniger Gebrauch gemacht als in gemeinsprachlichen (ein- und zweisprachigen) Wörterbüchern. Im wesentlichen kommen die Grundverfahren der Textverdichtung zum Einsatz, daneben auch Nischen- und Nestbildung. In (mittleren und großen) gemeinsprachlichen Wörterbüchern werden Verfahren der Textverdichtung exhaustiver genutzt, weil eine Vielfalt an Daten (für oft detailliert angesetzte Einzelbedeutungen und auf ganz unterschiedliche wortartenspezifische Gegebenheiten zugeschnittene Kommentare) zu berücksichtigen ist. Wo die gehäufte Abfolge von Kondensaten ein erträgliches Maß überschreitet, rangiert das Bemühen um Druckraumersparnis und ökonomische Datenpräsentation oft vor Benutzerinteressen (der raschen Auffindbarkeit von Daten bei punktueller Konsultation eines Wörterbuchs). Der Datenpräsentation nach weisen fachlexikographische Texte oft eine recht geringe Distanz zu anderen Fachtexten ihres fachbezogenen Textsortenspektrums auf (die ihnen als recht profilierter Bezugsrahmen dienen). Dies trifft sich mit dem aus metalexikographischer Perspektive mehrfach vermerkten Befund, daß der Grad der textuellen Standardisierung in Fachwörterbüchern geringer ist als in gemeinsprachlichen Wörterbüchern (mittleren bis größeren Umfangs und gängigen Typs aus dem Bereich der sich als wissenschaftlich verstehenden Sprachlexikographie). Einer der Gründe für schwache Standardisierung (bei gemäßigtem Einsatz von Verfahren der Textverdichtung) dürfte darin zu suchen sein, daß bei der Konzeption von Fachwörterbüchern individualistischer verfahren wird, als dies im Bereich der gemeinsprachlichen Lexikographie der Fall ist. Renommierte gemeinsprachliche Wörterbücher sind Unternehmungen mit ausgeprägter Anschlußkommunikation an Vorgänger-Wörterbücher; sie stehen in einem Traditionszusammenhang, der sich bis hin zu Formulierungsbestandteilen von Textsegmenten nachweisen

632

VIII. Spezifische Eigenschaften von Fachtexten in exemplarischer Beschreibung

läßt (vgl. Wolski 1986 zur Rolle der dort so bezeichneten Leitwörterbücher). Wenn Operationen der Textverdichtung (abgesehen von Abkürzungen, die auch sonst in allen Texten vorkommen) in Fachwörterbüchern eingesetzt werden, ist insgesamt die Tendenz erkennbar (geurteilt über die Menge von etwa 100 Wörterbücher unterschiedlichen Typs und Fachzugehörigkeit), daß recht unkontrolliert und wörterbuchintern uneinheitlich verfahren wird. Im wesentlichen scheinen dabei stereotype Vorstellungen vom Wörterbuchcharakter Pate zu stehen, die von gemeinsprachlichen Wörterbüchern abgezogen sind.

4.

Literatur (in Auswahl)

4.1. Wörterbücher Das Vokabular der Psychoanalyse ⫽ Das Vokabular der Psychoanalyse. Von J. Laplanche und J.B. Pontalis. Aus dem Franz. v. E. Moersch. 2 Bde. 2. Aufl. Frankfurt 1975. Lexikon der Biologie ⫽ Lexikon der Biologie. In acht Bänden. Bd. 9: Register; Bd. 10: Biologie im Überblick. Freiburg. Basel. Wien 1983⫺1992. Wörterbuch der Kybernetik ⫽ Wörterbuch der Kybernetik. Hrsg. v. Georg Klaus und Heinz Liebscher. 2 Bde. Überarb. Neuaufl. Frankfurt/M. 1979. Zetkin/Schaldach ⫽ Wörterbuch der Medizin, Zahnheilkunde und Grenzgebiete. Zetkin-Schaldach. 7., völlig neubearb. u. erw. Aufl. Hrsg. v. Heinz David. Stuttgart. New York 1985.

4.2. Sonstige Literatur Buhlmann/Fearns 1991 ⫽ Handbuch des Fachsprachenunterrichts. Von Rosemarie Buhlmann und Anneliese Fearns. 5. Aufl. Berlin. München 1991. [1. Aufl.: 1987]. Glaser 1990 ⫽ Rosemarie Glaser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung Bd. 13). Göpferich 1995 ⫽ Susanne Göpferich: Textsorten in Naturwissenschaften und Technik. Pragmatische Typologie, Kontrastierung, Translation. Tübingen 1995 (Forum für Fachsprachen-Forschung Bd. 27). HSK 5.1 ⫽ Wörterbücher. Dictionaries. Dictionnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. Hrsg. v. Franz Josef Hausmann, Oskar Reichmann, Herbert Ernst Wiegand und Ladislav Zgusta. Erster Teilband. Berlin. New York 1989 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 5.1). HSK 5.3 ⫽ Wörterbücher. […]. Dritter Teilband. Berlin. New York 1991 (Handbücher zur Sprachund Kommunikationswissenschaft 5.3).

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67. Textverdichtung und Textauflockerung im standardisierten Fachwörterbuchartikel Wiegand 1994 a ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Kritische Lanze für FACKEL-REDENSARTENWÖRTERBUCH. Bericht und Diskussion zu einem Workshop in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am 14. 2. 1994. In: Lexicographica 9. 1993. Tübingen 1994, 230⫺271. Wiegand 1995 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Das Konzept der semiintegrierten Mikrostrukturen. Ein Beitrag zur Theorie zweisprachiger Printwörterbücher. In: Wörterbücher in der Diskussion II. Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium. Hrsg. v. Herbert Ernst Wiegand. Tübingen 1996 (Lexicographica. Series Maior 70), 1⫺82. Wiegand 1996 ⫽ Herbert Ernst Wiegand: Textual Condensation in Printed Dictionaries. A Theoretical Draft. In: Lexikos 6. 1996, 133⫺158. Wolski 1986 ⫽ Werner Wolski: Partikellexikographie. Ein Beitrag zur praktischen Lexikologie.

633

With an English Summary. Tübingen 1986 (Lexicographica Series Maior 14). Wolski 1989 ⫽ Werner Wolski: Formen der Textverdichtung im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch. In: HSK 5.1, 956⫺967. Wolski 1989 a ⫽ Werner Wolski: Das Lemma und die verschiedenen Lemmatypen. In: HSK 5.1, 360⫺371. Wolski 1991 ⫽ Werner Wolski: Formen der Textverdichtung im zweisprachigen Wörterbuch. In: HSK 5.3, 2837⫺2854. Wolski 1995 ⫽ Werner Wolski: Ein Wörterbuch zum Werk von Paul Celan. Vorüberlegungen zu einer extremen textlexikographischen Unternehmung. In: Lexicographica 10. 1994. Tübingen 1995, 61⫺89.

Werner Wolski, Marburg

IX. Spezielle Aspekte der Fachkommunikation I: die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt 68. Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt 1. 2. 3. 4.

1.

Fachkommunikation im Betrieb: theoretische Aspekte Der Beispiel-Betrieb: die Stadtwerke einer Großstadt Ausgewählte Aspekte fachlich-beruflicher Kommunikation in der Abteilung Rohrnetzbetrieb Literatur (in Auswahl)

Fachkommunikation im Betrieb: theoretische Aspekte

Wirtschaftsunternehmen und Betriebe sind in quantitativer wie qualitativer Hinsicht zentrale Orte für fachliches Handeln und Kommunizieren. Hier haben in Industriegesellschaften Berufstätige und Fachkräfte zu einem sehr hohen Anteil ihre Beschäftigung. Fachliches Handeln in Wirtschaftsunternehmen ist zugleich berufliches Handeln; es ist für die Reproduktion der Gesellschaft konstitutiv und besitzt paradigmatischen Charakter für fachliches Handeln überhaupt. Dem entspricht jedoch in keiner Weise die Aufmerksamkeit, die Fachsprachenforschung und Linguistik der betrieblichen Kommunikation gewidmet haben. Die Gründe für die Vernachlässigung dieses Forschungsbereichs sind vielfältig: Zwischen (geisteswissenschaftlicher) Forschung und Wirtschaft besteht traditionell ein distantes Verhältnis. Berührungsängste von seiten der Wissenschaft und Abschottung von seiten der Wirtschaft haben dazu geführt, daß größere Korpora empirischer Daten kaum vorhanden sind. Ein Erschwernis für die Analyse selbst ist die Heterogenität der fachlichen und sprachlichen Handlungsformen in den Unternehmen. Sie erlaubt es nicht, von einer einheitlich beschreibbaren Fachsprache der Wirtschaft auszugehen und bringt methodische Schwierigkeiten mit sich.

In diesem Beitrag soll die fachliche Kommunikation im Betrieb zunächst unter theoretischen und methodischen Aspekten charakterisiert werden, um dann einen Ausschnitt betrieblicher Realität exemplarisch und korpusbezogen-empirisch zu untersuchen. Am Fall der Stadtwerke einer Großstadt soll gezeigt werden, welche Zwecke, Formen und Eigenschaften Fachkommunikation im Betrieb aufweist und wie sie zu erklären sind. Dabei erweisen sich funktionale und pragmatische Gesichtspunkte als besonders bedeutsam. Was die Begrifflichkeit betrifft, so finden sich nebeneinander betriebliche Kommunikation (Pogarell 1988), Unternehmenskommunikation (Bungarten 1994) und Wirtschaftskommunikation (Reuter/Schröder/Tiittula 1991). Unternehmen und Betrieb werden häufig synonym verwendet. Betriebe und Unternehmen sind soziale Gebilde, Wirtschaftseinheiten, die erst mit der Industrialisierung entstanden sind. Ihr Zweck besteht darin, durch Erstellen und Verkauf von Sachgütern und Dienstleistungen ein Gewinnmaximum zu erreichen. In der Betriebswirtschaftslehre werden Betrieb und Unternehmen meist dadurch unterschieden, daß das Unternehmen als rechtliche, finanzielle oder Verwaltungseinheit und der Betrieb als technisch-organisatorische Einheit bestimmt wird (Vahlens 1993). Die Unterscheidung zwischen Dienstleistungs- und Produktionsbetrieb (Industriebetrieb) bezieht sich auf die Art der Tätigkeiten, mit denen Gewinn erwirtschaftet wird (Erbringen von Dienstleistungen oder Produktion von Sachgütern). In der linguistischen Forschung hat sich durchgesetzt, Betriebe bzw. Unternehmen als Institutionen zu betrachten und damit ihre Rolle als Teilsysteme im gesellschaftlichen

68. Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt

Funktionszusammenhang zu akzentuieren (Brünner 1987; Ehlich/Rehbein 1994). Industrie- und Dienstleistungsbetriebe modernen Typs sind gegenüber kleinen handwerklichen oder landwirtschaftlichen Familienbetrieben durch Arbeits- und Funktionsteilung geprägt und von größerer Komplexität und Differenziertheit. Das Personal der Institution unterliegt einer Rollendifferenzierung, sein Handeln ist durch spezifische Verbindlichkeiten, Kompetenzen, Rechte sowie Beschränkungen gekennzeichnet. Die charakteristischen Aktivitäten und repetitiven Abläufe sind in ihrer Struktur auf die Zweckerfüllung der Institution bezogen und im Hinblick auf diese organisiert, geregelt und hierarchisch kontrolliert. Betriebe bzw. Unternehmen sind als juristische Personen im Rechtssystem verankert. Im folgenden werden ⫺ im Sinne eines Problemaufrisses ⫺ relevante Dimensionen betrieblicher Kommunikation dargestellt (Brünner 1992). Betriebe sind als arbeitsteilige Handlungssysteme auf Kommunikation angewiesen. Diese kooperationsbezogene Kommunikation, die für die Zusammenarbeit und Zweckerfüllung notwendig ist, steht in einem gewissen Gegensatz zu kooperationsunabhängiger, homileı¨scher oder Sozialkommunikation. Sie besitzt Orientierungsund Regulationsfunktion für das betriebliche Handeln und dient besonders der Distribution und der Prozessierung von Wissen sowie der Planung, Koordination und Regulation von Tätigkeiten. Solche Prozesse sind auch in die Konstruktion von Maschinen und technischen Abläufen eingegangen und haben zu festgelegten Organisationsstrukturen und routinisierten Formen von Arbeitsabläufen im Betrieb geführt. Das Wissen, das in solchen materiellen und strukturellen Formen aufgehoben ist, muß in bestimmten Situationen wieder versprachlicht werden ⫺ insbesondere dann, wenn Personal neu in das Handlungssystem aufgenommen und eingewiesen wird (z. B. betriebliche Ausbildung) oder wenn die technischen Einrichtungen oder organisatorischen Strukturen nicht (mehr) störungsfrei funktionieren und korrigierender Eingriffe bedürfen. Aus diesen allgemeinen Überlegungen erklärt sich, warum es in Unternehmen bestimmte Schwerpunkte sprach- und kommunikationsintensiver Tätigkeiten gibt, wie (planende, koordinierende, kontrollierende) Management-Tätigkeiten (Rosenstiel 1991), Ausund Fortbildung (Brünner 1987; Flieger/ Wist/Fiehler 1992) oder Tätigkeiten der tech-

635

nischen Dokumentation (Speicherung und Weitergabe technischen Wissens) (Ehlich/ Noack/Scheiter 1994), ferner ⫺ als betriebsexterne Kommunikation ⫺ Werbung (Baumgart 1992), Verkauf (Hundsnurscher/Franke 1985), Service (Beneke 1992) und Reklamationsabwicklung (Fiehler/Kindt 1994), die sich vorwiegend auf die Außenbeziehungen des Unternehmens zu den Kunden richten. Die kooperationsbezogene Kommunikation dient, wie das betriebliche Handeln insgesamt, der Produktion und dem Verkauf von Gütern und Dienstleistungen zur Erzielung von Gewinn und ist entsprechend funktionalisiert. Doch auch die kooperationsunabhängige, homileı¨sche Kommunikation kann, obwohl sie nicht unmittelbar betrieblichen Tätigkeiten dient, für diese funktionalisiert werden. Mit der Funktionalisierung der Kommunikation eng verknüpft ist ihre Formalisierung. D. h. erhebliche Anteile des kommunikativen Handelns sind dauerhaft und personenunabhängig geregelt ⫺ z. B. im Hinblick auf Adressaten, Inhalt, Form, Medium, Zeitpunkt oder Umfang. Daneben spielt jedoch auch informelle Kommunikation, die entweder ungeregelt oder nicht regelkonform ist, eine Rolle. Charakteristisch für die betriebliche Kommunikation sind weiterhin die komplexen und spannungsreichen Beziehungen zwischen sachlich-technischen und hierarchisch-ökonomischen Aspekten betrieblichen Handelns. Sachlich-technisch bezogene Kommunikation verdankt sich vor allem der Produktion von Gebrauchswerten und betrifft z. B. die materiellen und technischen Grundlagen betrieblichen Handelns. Hierarchisch-ökonomisch bezogene Kommunikation ergibt sich aus der Kapitalverwertung und der hierarchischen Struktur im Unternehmen. Sie richtet sich auf die ökonomische Seite der Produktion und die damit verbundenen Aspekte von Herrschaft und widerstreitenden Interessen. Ihren Ausdruck findet sie in der Institutionalisierung und Verrechtlichung der Kommunikation sowie darin, daß Kommunikation für Unternehmen ein Kostenfaktor ist und deshalb Ökonomieprinzipien unterworfen wird. Solche Ökonomieprinzipien werden etwa in der Formalisierung der Kommunikation und im Einsatz technischer Medien verfolgt. Diese haben wiederum Folgen für die Struktur der Kommunikation (Schröder 1993). Automatisierung der Produktion, wachsende berufliche Spezialisierung und komplexer werdende Tätigkeiten lassen die Anforde-

636

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

rungen an die Kommunikation steigen. Sie bewirken Verschiebungen von subsidiärer (kommunikative Hilfstätigkeiten wie Notizen oder kurze Anweisungen) zu eigenständiger Kommunikation (z. B. Verhandlungen, technische Beschreibungen), bei der der gesamte Tätigkeitszusammenhang einem kommunikativen Zweck dient und Kommunikation als dominierend und anspruchsvoll wahrgenommen wird. Anders ausgedrückt: Kommunikation bildet einen wachsenden Anteil der Arbeitstätigkeiten im Betrieb. Die Kommunikationsformen in Wirtschaftsunternehmen sind damit insgesamt sehr vielfältig und komplex, sie reichen von small talk (Brünner 1994) über empraktisch eingebettete mündliche Anweisungen bis zu Dienstbesprechungen (Schwandt 1995) und Verkaufsverhandlungen (Rehbein 1992), von kurzen Notizen und Datenbankeinträgen über formularisierte Berichte (Häcki Buhofer 1985) bis zu technischen Anleitungen und Vertragswerken. Sie sind empirisch bisher noch wenig untersucht; größere Korpora, gerade auch audiovisuelle Korpora mündlicher Kommunikation, sind als Analysebasis kaum verfügbar. Nach dieser allgemeineren Charakterisierung soll nun die Fachlichkeit der Kommunikation im Betrieb theoretisch-methodisch betrachtet werden. Es besteht Konsens, daß betriebliche Kommunikation zwar durch Fachsprachen gekennzeichnet ist, jedoch keine einheitliche Fachsprache der Wirtschaft existiert (Scholtes-Schmid 1986). Die Gründe liegen zum einen darin, daß Produkte und Dienstleistungen sowie Produktionsverfahren in den Betrieben sehr unterschiedlich sein können, zum anderen in der arbeitsteiligen Struktur und hohen Komplexität des einzelnen betrieblichen Handlungssystems (von Forschung und Entwicklung über Beschaffung, Fertigung, Vertrieb bis zur Verwaltung). Entsprechend sind die verwendeten Fachsprachen heterogen. Neben fachinterner ist in Unternehmen gerade auch fachexterne Kommunikation charakteristisch und zugleich besonders problemträchtig. Sie kann interfachlich zwischen Fachleuten verschiedener Arbeitsgebiete und Abteilungen auftreten, betriebsextern als Experten-Laien-Kommunikation zwischen Unternehmensangehörigen und Kunden und schließlich auch zwischen Fachleuten und Lernenden in der Ausbildung. Die Handelnden im Betrieb sind Professionelle, in der Regel ausgebildete Fachleute und

Agenten der Institution. Betriebliche Kommunikation ist zugleich institutionelle, fachliche und berufliche Kommunikation. Diese Aspekte, deren Verhältnis zueinander noch kaum systematisch diskutiert worden ist, sind in ihrer Verknüpfung zu analysieren (Brünner 1993). Das (kommunikative) Handeln im Betrieb ist in weiten Teilen fachliches Handeln, d. h., es ist angeleitet und geprägt durch systematisches Wissen über bestimmte Wirklichkeitsausschnitte. Solches Wissen ist ⫺ etwa im Rahmen des (Aus)bildungswesens ⫺ gesellschaftlich in fachliche Bereiche (Fächer, Fachgebiete) segmentiert und kodifiziert (z. B. Lehrwerke, Terminologien). Es wird als systematisches, als Expertenwissen ⫺ verbunden mit bestimmten Normen und Gepflogenheiten des Umgangs mit diesem Wissen, des Denkens und Handelns in bezug auf den Wirklichkeitsausschnitt ⫺ üblicherweise in einer fachlichen Ausbildung vermittelt bzw. erworben. Fachliches Handeln in diesem Sinne ist also wesentlich an Ausbildung und Berufstätigkeit gebunden. Dies stellt nicht den einzigen, wohl aber den charakteristischen, gesellschaftlich konstitutiven Fall dar. Das (kommunikative) Handeln im Betrieb ist jedoch nicht nur fachlich bestimmt, sondern darüber hinaus wesentlich auch durch die jeweilige berufliche Tätigkeit, ihre Inhalte, Bedingungen und ihren sozialen sowie institutionellen Zusammenhang. Ich spreche deswegen auch von fachlich-beruflichem sprachlichen Handeln. Die verschiedenen Aspekte sind eng verknüpft und lassen sich nur analytisch trennen. Die fachlichen Bedingungen sind stark durch die Art der Produktion oder Dienstleistung in einem Betrieb bestimmt. Gehört ein Unternehmen einer bestimmten Branche an (z. B. Arzneimittelherstellung), so sind zahlreiche (kommunikative) Tätigkeiten in ihm durch die Wissensstrukturen der einschlägigen Fachgebiete geprägt (z. B. Pharmazie, Medizin, Chemie). Daraus resultieren Aspekte fachlicher Kommunikation, wie z. B. die Verwendung bestimmter Terminologien, (chemischer) Symbolsysteme und Darstellungsverfahren (Munsberg 1994). Die Tätigkeit in einem Unternehmen ist unabhängig davon durch berufliche und institutionelle Bedingungen, ein bestimmtes Stellen- und Aufgabenprofil geprägt (z. B. Pharmazeut in der Qualitätskontrolle, Vertriebsleiter), das auch die Art der sozialen Einbindung der Arbeit mitbestimmt (z. B. Einzelarbeit, Team-

68. Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt

arbeit, Führungstätigkeit). Daraus resultieren Aspekte beruflicher Kommunikation, wie z. B. Art und Umfang der kommunikativen Anforderungen am Arbeitsplatz, Empraxie der Kommunikation oder erforderliche Textund Diskursarten (z. B. Berichte, Mitarbeitergespräche). Besonders Ökonomisierung, Technisierung und Formalisierung der Kommunikation ergeben sich aus den institutionellen Bedingungen. Ein Beispiel: Angenommen, ein Service-Techniker besucht einen Betrieb wegen einer defekten Anlage und versucht zusammen mit einem Betriebsingenieur des betreffenden Unternehmens, den Fehler zu beheben. Die Kommunikation zwischen beiden wird durch die fachlichen Wissensbestände etwa der Steuerungstechnik und Elektronik und die entsprechende Fachlexik geprägt. Gleichzeitig bestimmt die Art der beruflichen Tätigkeiten über die erforderlichen kommunikativen Handlungen: Fragen und Antworten zum Wissenstransfer, Vorschläge und Problemlösungssequenzen, empraktisch eingebundene Handlungsaufforderungen usw. Die Bedingungen der Institution schließlich können sich auswirken z. B. als Zeitdruck, der im Handeln wirksam wird, in Kommunikationsanteilen, die sich auf die Aushandlung der Fehlerursachen (und damit die Kostenübernahme) beziehen, oder auch in der Verpflichtung zu normierter Berichterstattung als Kontrolle über die ausgeführten Reparaturtätigkeiten.

Zusammenfassend gesagt, ist Fachkommunikation im Betrieb also handlungsbezogen, als Bestandteil fachlich-beruflichen Handelns im institutionellen Zusammenhang zu analysieren. Die Verwendung bestimmter sprachlicher Formen läßt sich dabei nicht einfach als festes Korrelat vorgegebener Bedingungen auffassen. Denn in Unternehmen gibt es ⫺ wie in anderen Institutionen ⫺ Spielräume für die Interpretation von Situationen und das Handeln in ihnen. Die Gesprächspartner können teilweise interaktiv aushandeln, wie sie Situationen und (kommunikative) Handlungen verstehen bzw. verstanden wissen wollen. In dieser Perspektive erscheint Fachlichkeit der Kommunikation auch als etwas im Diskurs Produziertes. In der Fachsprachenforschung wird als sogenannte vertikale Gliederung der Kommunikation häufig zwischen Wissenschafts- oder Theoriesprache, Werkstatt- oder Berufssprache und Verteilersprache oder fachbezogener Umgangssprache unterschieden (von Hahn 1973; Hoffmann 1976). Solche Differenzierungen reflektieren z. T. die verschiedenartigen institutionellen und beruflichen Zusammenhänge, in denen Fachkommunikation

637

stattfindet, sind jedoch durch die Analyse solcher Zusammenhänge genauer zu rekonstruieren. Dies wird im empirischen Teil (3.) deutlich werden.

2.

Der Beispiel-Betrieb: die Stadtwerke einer Großstadt

Die folgenden Analysen beziehen sich auf empirisches Datenmaterial, das in einem Unternehmen der Versorgungsindustrie, den Stadtwerken einer westdeutschen Großstadt, erhoben wurde. Dies war möglich, weil Becker-Mrotzek und ich für das Unternehmen Fortbildungsseminare im Bereich Kommunikation konzipiert und durchgeführt haben (Becker-Mrotzek 1994; Becker-Mrotzek/Brünner demn.). Die Stadtwerke eignen sich ⫺ trotz gewisser Besonderheiten ⫺ für eine Beispielanalyse, weil Unternehmen dieses Typs sehr verbreitet sind, die Produkte und Dienstleistungen, die sie anbieten, relativ klar abgegrenzt sind und das Unternehmen mit 750 Beschäftigten in sich komplex und in seinen Außenbeziehungen differenziert ist.

Die Stadtwerke sind primär ein Dienstleistungsunternehmen. Ihr zentraler Zweck besteht darin, Wasser und Gas im Stadtgebiet bereitzustellen und an Haushalte und Industrie zu verteilen. Das erfordert insbesondere den Bau und die Unterhaltung entsprechender Anlagen und Rohrleitungen. Das Gas wird von den Stadtwerken angekauft, bevorratet und in das Rohrnetz eingespeist. Das Wasser wird als Rohprodukt einem Fluß entnommen, daraus in Wassergewinnungsanlagen ein Reinprodukt (Trinkwasser) hergestellt und dieses ebenfalls in ein Netz eingespeist. Hier ebenso wie bei der Neuverlegung von Rohrleitungen finden sich also auch produzierende Tätigkeiten. Die Leitungsnetze sind mehrere Tausend Kilometer lang und werden kontinuierlich erweitert, erneuert und unterhalten. Dienstleistungen des Unternehmens sind auch Kundenberatung und Wärmeberechnung für Wohnungsbaugesellschaften, ferner bewirtschaften die Stadtwerke einen Hafen. Die Stadtwerke haben für Wasser und Gas innerhalb des Stadtgebietes eine monopolähnliche Stellung. Da Gas jedoch auf dem sehr umkämpften Energiemarkt mit Öl, Kohle, Fernwärme und Strom konkurriert, befinden sich die Stadtwerke hier im Wettbewerb zu anderen energieanbietenden Unternehmen. Als selbständige Aktiengesellschaft, deren fast 100prozentige Anteilseignerin die Stadt ist, unterliegen die Stadtwerke sowohl den Gesetzen des Marktes als auch ⫺ über

638

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt Kaufmännischer Vorstand

Informationsverarbeitung (u. a. Rechenzentrum)

Finanz-, Rechnungsu. Beschaffungswesen (u. a. Buchhaltung u. Einkauf)

Recht und Liegenschaften

Absatzwirtschaft (u. a. Anschluß- und anwendungstechnische Beratung u. Verkauf)

Technischer Vorstand Rohrnetzplanung und -neubau (u. a. Graphische Datenverarbeitung, Planerstellung u. Archivierung

Rohrnetzbetrieb (mit verschiedenen Unterabteilungen)

Wasserbeschaffung (u. a. Labor)

Hilfs- und Nebenbetriebe (u. a. Kfz-Wesen)

Hafen u. Bahn, Betrieb und Instandhaltung (u. a. Umschlag und Lagerung)

Kaufmännischer Vorstand ⫺ Technischer Vorstand Personal, Verwaltung, Allgemeine Organisation (u. a. Aus-, Fort- und Weiterbildung)

Innenrevision, EVV, Organisation

Vorstandsreferat (Kaufmännische Sonderaufgaben und Öffentlichkeitsarbeit, Technische Sonderaufgaben und Arbeitssicherheit)

Abb. 68.1: Organisationsplan der Stadtwerke

den Aufsichtsrat ⫺ der Einflußnahme durch die jeweilige kommunalpolitische Mehrheitsfraktion. Darin liegt eine Besonderheit gegenüber anderen Unternehmen. Die operative Wirtschaftsführung liegt bei einem Kaufmännischen und einem Technischen Vorstand. Diesen sind laut Organisationsplan vier kaufmännische und fünf technische Abteilungen (mit Unterabteilungen) zugeordnet; drei Abteilungen sind beiden Vorständen unterstellt. Die Abteilungen Rohrnetzplanung und -neubau, Rohrnetzbetrieb und Wasserbeschaffung bilden den spezifischen Kern des Unternehmens. Das untersuchte empirische Material stammt aus der Abteilung Rohrnetzbetrieb mit ihren Unterabteilungen Sonder- und Koordinierungsaufgaben, Rohrnetzdienst, Rohrnetzbezirk Nord, Rohrnetzbezirk Süd, Zähler- und Regleranlagen und Zentralwarte. Der Rohrnetzbetrieb ist für den Unterhalt des Gas- und Wasserrohrnetzes einschließlich der Zähler- und Regleranlagen zuständig. Er hat die Aufgabe, Gas und Wasser einzuspeisen, wozu technische Maßnahmen wie Druckminderung und -erhöhung gehören, die Netze zu warten, instandzuhalten und zu erweitern. Er muß für Gefahrenabwehr bei Leckagen sorgen und notwendige Reparaturen planen, abwickeln und in ihrer Durchführung überwachen. Die Abteilung hat 200 Beschäftigte, darunter einen Abteilungsleiter, 10 Betriebsingenieure und ca. 20 (Rohrnetz-)Meister. Bei den technischen Mit-

arbeitern handelt es sich überwiegend um Anlagenmechaniker bzw. Rohrnetzbauer. In der Zentralwarte geschieht die Einspeisung des aus der Wassergewinnungsanlage übernommenen Wassers und die Systembetreuung per Computeranlage. Dort werden auch telefonische Schadensmeldungen, z. B. aus der Bevölkerung, aufgenommen, dokumentiert, zur Bearbeitung an Rohrnetzdienst und Bezirke weitergeleitet und betreut. Pro Jahr fallen mehrere tausend Schadensmeldungen an. Die Rohrnetzbezirke sind für den Nord- und Südteil der Stadt getrennt, um die Anfahrtswege kurz zu halten, und in Meistereien für einzelne Gebiete unterteilt. Für Entstörungsarbeiten, Instandhaltung und Reparaturen stehen 150 Einsatzfahrzeuge zur Verfügung. Baumaßnahmen (z. B. Straßenbauarbeiten) werden zum großen Teil als Auftrag an Fremdfirmen (Bau- und Installationsfirmen) vergeben. Sie müssen von den Meistern des Rohrnetzbetriebes abgewickelt und überwacht werden.

3.

Ausgewählte Aspekte fachlichberuflicher Kommunikation in der Abteilung Rohrnetzbetrieb

Die folgenden Analysen beruhen auf einem Korpus von 13 Stunden Tonaufzeichnungen mündlicher Kommunikation in der Abteilung Rohrnetzbetrieb. Es enthält Aufnahmen von Außenterminen (z. B. auf Baustellen) mit Kunden, Firmen und Behör-

68. Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt den, von ein- und ausgehenden Telefonaten sowie von innerbetrieblichen Dienstgesprächen, die teilweise transkribiert wurden (System HIAT). Ausschnitte aus dem Material werden, wenn nötig, in Partiturschreibweise wiedergegeben und sonst in Anführungszeichen zitiert. Das Korpus wurde durch schriftliche Dokumente und Befragungen ergänzt.

3.1. Allgemeine Charakteristika, Mündlichkeit und Schriftlichkeit Im folgenden stelle ich allgemeine Charakteristika der Kommunikation im Rohrnetzbetrieb im Hinblick auf die in 1. dargestellten Dimensionen dar und betrachte besonders das Verhältnis mündlicher und schriftlicher Formen. Für die Arbeit im Rohrnetzbetrieb sind betriebsinterne und -externe kooperationsbezogene Kommunikation gleichermaßen wichtig und häufig. Die Kommunikation mit Kollegen innerhalb wie außerhalb der Abteilung ist dabei überwiegend fachintern. Kommunikation mit Bau-und Installationsfirmen betrifft die Durchführung von Baumaßnahmen, die als Auftrag vergeben werden, und ist mit gewissen Einschränkungen ebenfalls fachintern, da die Beteiligten meist verwandten Fachgebieten angehören; z. B. gehört zur Ausbildung als Anlagenmechaniker auch Tiefbau. Baumaßnahmen müssen häufig mit Behörden abgestimmt werden, etwa mit Polizei und Straßenverkehrsamt (z. B. Straßensperrungen, Einrichtung von Umleitungen) oder mit Naturschutzbehörden (bei Arbeiten in Landschaftsschutzgebieten); hier liegt meist interfachliche Kommunikation vor. Kontakte mit (Privat)kunden entstehen, wenn das Leitungsnetz im oder zum Haus erweitert (z. B. bei Neubauten) oder repariert werden muß (z. B. bei Rohrbrüchen). Die Kommunikation ist dann in der Regel fachexterne Experten-Laien-Kommunikation. Im Hinblick auf alle diese Adressatengruppen steht die mündliche Kommunikation im Vordergrund. Zentrale Diskurstypen bzw. komplexe sprachliche Handlungsmuster sind insbesondere Planungs- und Problemlösungsdiskurse sowie Verhandeln und Beraten. Verhandlungselemente spielen besonders in Diskursen mit Firmen und Behörden eine Rolle, wenn konfligierende Interessen zugrundeliegen, z. B. hinsichtlich der Ausführungsmodalitäten von Bauarbeiten, des Umfangs von Sicherungsmaßnahmen oder Fragen des Naturschutzes. Beratungselemente finden sich vor allem in Diskursen mit Kun-

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den, wenn etwa bei Neuanschlüssen oder Reparaturen technische Probleme auftreten. Die schriftliche Fachkommunikation in der Abteilung verliert als Folge der Vernetzung durch technische Medien zunehmend an Bedeutung. Die Stadtwerke verfügen beispielsweise über ein Mobilfunknetz, das es in allen Dienststellen, Einsatzfahrzeugen und Baustellen erlaubt, (fern)mündliche Gespräche miteinander zu führen. Ein Computernetz ermöglicht, daß aktuelle Schäden und Baustellen direkt in den Rechner eingegeben und die Daten dann von den verschiedenen Stellen bzw. Terminals aus abgerufen werden können. Der Einsatz technischer Medien macht die Erstellung und Weiterleitung schriftlicher Meldungen, Berichte usw. zunehmend überflüssig. So war die schriftliche Schadensabwicklung und Weiterleitung von Informationen über einzelne Schäden an verschiedene betriebliche und außerbetriebliche Stellen langsam und störanfällig, bis sie auf EDV umgestellt wurde. Die aufwendige Informationsweitergabe in konventionellen schriftlichen Formen (Häcki Buhofer 1985) durch schnellere und effizientere mediale Formen zu ersetzen, entspricht dem genannten Ökonomieprinzip betrieblicher Kommunikation. Daß im gesamten Unternehmen täglich etwa 10 000 Rechnungen erstellt und 20 000 Informationen weitergegeben werden, vermittelt eine Vorstellung von den ökonomischen Effekten. Selbstverständlich werden jedoch auch heute noch schriftliche Texte verwendet, allein schon aufgrund der beschriebenen Institutionalität und Verrechtlichung betrieblichen Handelns, für die die Schriftform ja besondere Bedeutung besitzt, und des Bedarfs an hierarchisch-ökonomischer Kontrolle. Meist unterliegen diese Textarten dann der Formalisierung, sie sind ⫺ wiederum dem Ökonomieprinzip folgend ⫺ formularisiert oder jedenfalls standardisiert und werden zumindest innerbetrieblich medial (per Fax) weitergegeben. Beispiele sind die Erteilung von Aufträgen auf Vordrucken oder der Tagesbericht, in dem die Schadensmeldungen jeden Tages auf einem Formular mit bestimmten fachlich (z. B. Schäden an Druckrohren) und organisatorisch (z. B. Meldung Nr.) bezogenen Rubriken zusammengestellt werden. Wenigstens teilweise formalisiert sind auch Textarten wie Arbeitsaufträge im Rahmen der Arbeitseinteilung, (allgemeinere) Arbeitsanweisungen, Gestattungs- und an-

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IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

dere Verträge oder Korrespondenz mit den Kunden. Schriftlichkeit kann unter hierarchischökonomischen Aspekten notwendig, gleichzeitig jedoch unter sachlich-technischen Aspekten geradezu dysfunkional sein. Solche grundlegenden Widersprüchlichkeiten betrieblichen Handelns finden im Material immer wieder ihren kommunikativen Ausdruck. So bittet ein Mitarbeiter der Stadtwerke einen Vertreter der Unteren Wasserbehörde um eine mündliche Vorab-Genehmigung für eine Baumaßnahme, die von der Sache her eilig ist, aber der schriftlichen Genehmigung bedarf: „Könnte man denn . im Extremfall . auch ohne die schriftliche Genehmigung . wenn Sie uns sagen: ,Okay, dat geht klar‘, daß wir dann gegebenenfalls auch schon Anfang Januar tätig werden können“. Wo Hierarchie- und Kontrollstrukturen zum Hindernis für das sachlich-technische Handeln werden, werden Vorschriften mitunter (partiell) verletzt, jedoch der Schein normgerechter Abläufe erzeugt. Informelle Kommunikation in diesem Sinne (vgl. 1.) kann dabei durchaus im Interesse der Sache liegen. Ein Beispiel (11A.3): Auf einem Ortstermin werden von Mitarbeitern mehrerer betroffener Unternehmen eine größere Leitungserneuerung vorgeplant und die Voraussetzungen für eine Kostenteilung gemeinsam geprüft. Ein Meister der Firma XYZ, die die Kosten mittragen soll, weist darauf hin, daß die Frage nicht von ihm selbst im mündlichen Gespräch entschieden werden darf, sondern schriftlich seinen Vorgesetzten vorgelegt werden muß: „Ja bei dieser Maßnahme isses sowieso erforderlich, dat Sie uns mit Ihrem . äh Maßnahmen anschreiben, was Sie vorhaben, hier vor Ort können wir . dat sicherlich nicht entscheiden und au’ nix zu sagen, sondern da muß dann . auf höherer Ebene geklärt werden, wie verfahren wird, wie die Kostenteilung oder überhaupt die ganze Sache“.

Kurz darauf macht der XYZ-Mitarbeiter dann folgenden Scherz: SW2

Also wir schreiben Sie dann an, ne 1

XYZ

Ja . an XYZ-Firma (

) Nich w ß ßieß mit

2 XYZ

Ihren sehr geehrten Herren N & Co. schon 3

SW1 XYZ

gesprochen sßoß ( 4

((lacht -----------) auf ’er Baustelle

SW1 XYZ ?? SW2

-------------------------)) schon gesprochen. ((lacht, ((lacht mit------)) 5 lachend:)) dat gäb ’n Elfmeter

?? 6

Dieser Scherz thematisiert die Regelverletzung, mit der die Diskrepanz zwischen Vorschrift (keine mündlichen Zusagen zu machen) und sachlichen Erfordernissen gelöst wird. Daß der XYZ-Meister die anstehenden Fragen in sachlich-technischer Hinsicht bereits in mündlichem Fachgespräch informell vorgeklärt hat, darf unter hierarchisch-ökonomischen Aspekten nicht sein und deshalb auch nicht offenkundig werden. Schriftliche Texte dienen über die beschriebenen Funktionen hinaus der Speicherung und Tradierung technischen bzw. fachlichen Wissens. Dies betrifft auch (technische) Dokumentationen jeglicher Art. Spezifisch sind bei den Stadtwerken etwa Rohrnetzpläne und topographische Karten, auf denen die genaue Lage der Gas- und Wasserrohrnetze eingetragen ist. Sie werden (in der Abteilung Rohrnetzplanung und -neubau) kontinuierlich aktualisiert, präzisiert und digital erfaßt, so daß per Computernetz überall auf sie zugegriffen werden kann. Gerade in solchen Texten bzw. Graphiken werden in großem Umfang auch verschiedenartige nichtsprachliche Zeichensysteme (Kalverkämper 1993) verwendet, z. B. kartographische Symbole, Flußdiagramme oder Farbsymbole (gelb für Gas, blau für Wasser). Mündliche Diskurse wie schriftliche Texte sind stark durch die ihnen eigenen Vor- und Nachgeschichten bestimmt. Dies ist Ausdruck der angesprochenen Funktionalisierung kooperationsbezogener Kommunikation im Gesamtzusammenhang betrieblichen Handelns. Z. B. bei Verhandlungen wird von vornherein berücksichtigt und teilweise auch thematisiert (wie in 11A.3), daß Vorgesetzte die Ergebnisse überprüfen und akzeptieren müssen. Die kommunikativen Handlungen sind eingebettet in die arbeitsteilige institutionelle Struktur und stellen oft Zwischenstadien zu unmittelbar vorausgehenden und anschließenden Tätigkeiten dar. Häufig sind sie zwischen planenden mentalen und praktischen Tätigkeiten eingelagert. Kooperationsunabhängige Kommunikation ist weitgehend auf mündliche Formen

68. Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt

beschränkt. Im untersuchten Material finden sich häufiger homileı¨sche Kommunikationssequenzen. Sie dienen ⫺ anders als in Interaktionen der Zirkulationssphäre ⫺ nicht so sehr der Instrumentalisierung menschlicher Beziehungen für ökonomische Interessen (Brünner 1994), sondern primär der Beziehungsgestaltung im Anschluß an interaktive Konflikte. Nachdem vorausgegangene Konflikte in der Sache beigelegt sind, wird häufig durch scherzhafte Bemerkungen und durch kooperative Reaktionen darauf, die umgangssprachlich geprägt und oft von Lachen begleitet sind, die positive Qualität der kollegialen sozialen Beziehung bestätigt oder wiederhergestellt. In 2A.17 geschieht dies nach einem Streit zwischen Kollegen der Stadtwerke über einen nicht in Betrieb genommenen Zähler: SW1 SW2

Lech Dich wieder hin! Alles klar G. Ja mach 1

SW1 SW2

ich (

Ich auch. Ich bin ) (Bett gehen)

2 SW1 SW2

schon ganz müde. Tschüß ne. Jo. Jau, tschüß. 3

3.2. Muster sprachlichen Handelns In der fachlich-beruflichen Kommunikation im Betrieb lassen sich institutionsspezifisch ausgeprägte sprachliche Handlungsmuster (Ehlich/Rehbein 1986) rekonstruieren. Ein komplexes Muster, das besonders in der betriebsexternen Kommunikation mit anderen Unternehmen und Institutionen seinen Stellenwert besitzt, ist das Muster Verhandeln (Becker-Mrotzek/Brünner demn.). Beim Verhandeln verfolgen zwei (oder mehr) Parteien konfligierende Ziele und Interessen, wobei eine gegenseitige Abhängigkeit bei der Zielrealisierung besteht (Fisher/Ury/Patton 1993). Der Zweck besteht darin, kommunikativ eine Übereinkunft für das Handeln herzustellen, die die Ziele beider Parteien berücksichtigt und ihre Interessenkonflikte ausgleicht. In der Regel beinhalten Verhandlungen deshalb neben konfliktären auch problemlösende Aktivitäten. Im Rohrnetzbetrieb stellen Verhandlungen der Meister mit Bau- und Installationsfirmen sowie Behörden eine charakteristische und häufige sprachliche Handlungsform dar. Sie

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unterliegen hinsichtlich der verhandelten Gegenstände, Ziele und Interessen der Spezifik fachlich-beruflichen Handelns im Betrieb. Gegenstände sind oft Umfang und Art der Ausführung von Bau- und Installationsarbeiten sowie die Durchführung von Sicherheitsund Schutzmaßnahmen, wenn mit Behörden verhandelt wird. So wie die Gegenstände resultieren auch die verfolgten Ziele und Interessen aus den Zwecken des betrieblichen Handlungssystems. Aufgabe der Meister als Vertreter der Stadtwerke ist es, nicht nur die fachgerechte Durchführung, sondern auch deren Effizienz und Kosten zu kontrollieren. Die (Bau)unternehmen auf der anderen Seite verfolgen demgegenüber ihre eigenen ökonomischen Interessen. Das Beispiel „Löcher verfüllen“ (4B.9) enthält eine telefonisch geführte Verhandlung des beschriebenen Typs (Becker-Mrotzek/ Brünner demn.). Sie betrifft Art und Abfolge der Arbeiten, die der beauftragte Bauunternehmer durchzuführen hat, um ausgehobene Löcher in einer Straße zu verfüllen. Der Meister der Stadtwerke äußert seine Befürchtung, daß die Löcher mit Wasser vollaufen, was zusätzliche Arbeiten erfordern würde. Der Bauunternehmer weist das zurück. Gegen die Forderung des Meisters: „laßt a doch dieses Loch ers mal ordnungsgemäß wiederherstellen“ argumentiert er: „Da muß ich abrücken“. Der ökonomische Hintergrund seines Arguments ist: „aber eh i/ ich rück ab und muß wiederkommen, dann fehlt wieder ne Anfahrt“ ⫺ d. h., die Anfahrt wird nicht bezahlt. Daß das Muster als Teil der professionellen Aufgaben von Fachleuten abgearbeitet wird, erkennt man außer an Konstellation, Gegenständen, Zielen und Interessen der Verhandlung auch an der fachlichen Argumentation und Selbstdarstellung, mit der sie geführt wird. Der Meister nimmt mit ordnungsgemäß wiederherstellen auf das gemeinsame fachliche Wissen über standardisierte Arbeitsabläufe Bezug, der Bauunternehmer mit der tautologischen Formulierung „Aber verdichtet is verdichtet“ auf die erwartbaren, wohldefinierten Ergebnisse fachlich-beruflicher Tätigkeit. In beiden Fällen werden das konkrete Verfahren (des ordnungsgemäßen Wiederherstellens) und das Ergebnis (des Verdichtens) in der Argumentation nicht verbalisiert, sondern präsupponierend als Elemente des gemeinsamen Fachwissens vorausgesetzt. Auch die Verwendung zahlreicher Fachbegriffe und Jargonausdrücke (des Tiefbaus) im

642

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

Zusammenhang mit den Sachverhaltsklärungen, Handlungsvorschlägen und Einwänden innerhalb des Musters ist in diesem Sinne zu interpretieren. Auf den 9 Transkriptseiten finden sich Ausdrücke wie: ⫺ verfüllen, verdichten, auskoffern, tiefbaumäßig Schotter einbringen, Oberfläche wiederherstellen ⫺ Verdichtungsgerät, Lehmboden, Teerdecke, Schwarzdecke, Heißbinderloch, Pflasterloch, Pflasterfläche, Pflasterer, Tiefbauer ⫺ Anfahrt, abrücken, Kolonne vorhalten, (Sand) anliefern ⫺ Wasser machen, Bagger runterladen.

Diese Ausdrücke werden zwischen den Beteiligten sämtlich unmarkiert, im Sinne selbstverständlicher Redeweisen verwendet. Ein komplexes Handlungsmuster, das ebenfalls für die betriebsexterne Kommunikation charakteristisch ist, und zwar für die „Schnittstellenkommunikation“ (Beneke 1992) mit den Kunden, ist das Beraten (Nothdurft/Reitemeier/Schröder 1992). Es handelt sich um ein Muster der fachexternen Experten-Laien-Kommunikation, das bei den Stadtwerken eine große Rolle spielt. Die anschluß- und anwendungstechnische Beratung obliegt der Abteilung Absatzwirtschaft, muß aber ebenso von den Meistern des Rohrnetzbetriebes geleistet werden. Denn z. B. bei Neueinrichtung oder Reparatur von Installationen sind die Kunden oft unmittelbar von den betrieblichen Tätigkeiten der Stadtwerke betroffen und müssen aufgeklärt und fachlich beraten werden. Im folgenden Beispiel hat bei der Umgestaltung eines privaten Vorgartens die Gartenbaufirma eine Wasserleitung der Stadtwerke beschädigt. Ein Meister des Rohrnetzbetriebs begutachtet den Schaden und stellt fest, daß außerdem 30 cm Erde abgetragen wurden, so daß der Anschluß nicht mehr in der vorgeschriebenen frostsicheren Tiefe liegt. Er läßt sich aber auch nicht ohne weiteres tiefer legen. Der Meister P informiert erst Frau B, dann Herrn B darüber und berät sie telefonisch, wie das Problem zu handhaben sei (3B.10, 3B.11). Die zentralen Elemente und Phasen der Beratung sind fachlich geprägt, werden aber zugleich dem Experten-Laien-Diskurs angepaßt. Z. B. enthält die Problemdarstellung gegenüber Frau B Fachbegriffe, deren Verwendung jedoch partiell an die Verstehensbedingungen der Kundin angepaßt wird: „die tragen ja da ungefähr dreißig Zentimeter ab. Äh, so dat die Deckung für den Anschluß an für sich

nich mehr gewährleistet is, also die frostsichere Deckung“.

Die für Fachleute in diesem Kontext ausreichende Bezeichnung Deckung (z. B.: „Da krieg ich keine Deckung“) wird hier für die Laiin durch frostsichere Deckung reformuliert und ihr der Sachverhalt damit verdeutlicht. An anderer Stelle wird der Fachbegriff durch eine Deixis (diese) als solcher markiert und damit eine Akkomodation an den Laienstatus der Kundin geleistet: „und wenn ich den tieferlegen müßte, dann wär dat kostenpflichtig, weil Sie ja da diese Deckung abtragen“. Bei der Erörterung von Problemlösungsmöglichkeiten im Telefonat mit Herrn B zeigt dieser durch einen Vorschlag und die Verwendung der Ausdrücke verlegen und totlegen, daß er eine gewisse Fachkenntnis besitzt oder zumindest kommunikativ beansprucht. Dies veranlaßt den Meister, seine Antwort deutlich fachlich geprägt, mit einer Selbstdarstellung als Fachmann zu formulieren und die Ausdrücke Trassenänderung, Abtragung, Dekkung, kostenpflichtig dabei unmarkiert zu verwenden: B

Man könnt ja natürlich den aber auch so ver1

B

legen, daß er sofort in dem andern Raum 2

P B

Ja. Ja, reinkommt und das andere Stück totlegen, ne? 3

P

dat wär aber/ dat wär aber/ dat wär aber ne 4

P B

Trassenänderung, die Sie bezahlen müßten. Ah 5

B

so, oh nee, dat will ich natürlich nich. 6

P

Sehn Se, auch die/ auch die Abtragung, äh 7

P

ähm äh dat müßten dat müßten Sie auch be8

P

zahlen, denn Sie haben die Deckung verän9

68. Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt

P dert, also dann wär dat auch kostenpflichtig. B Hm ˇ. 10

In einer anderen Sequenz wird dem Kunden B eine Problemlösungsmöglichkeit durch eine angefügte fachliche Erläuterung zum Begriff frostfreie Tiefe verdeutlicht: „verlegen den Anschluß in einer frostfreien Tiefe. Dat is/ da spricht man hier vom achtzig/achtzig bis ein Meter, ne?“. Der Rat selbst schließlich, die Deckung so zu belassen, wird mit Rekurs auf fachlich-berufliche Erfahrung erteilt: P

Ach, ich hab schon / wir ham schon An1

P

schlüsse, die lagen nur noch auf 2

P B

dreißig Zentimeter. Also, Sie könn mir da abraten, 3

B

da was zu machen. 4

Der Meister plausibilisiert und begründet den Rat ferner durch eine fachliche Einschätzung: „Ich mein auch diese Deckung, dat sehn Se mal nich so eng. Also der friert mit Sicherheit nich kaputt, außer, da kann ich natürlich nich für garantieren, wir kriechten jetzt mal drei Wochen so so so zehn fuffzehn Grad Frost“. Die abschließende Übernahme des Rates begründet der Kunde denn auch explizit mit der Expertise des Meisters: P B

also da würd ich mir nich Gut okay, wenn Sie mir davon 1

P B

Ne? ja nu/ abraten, dann laß ich das auch mal sein. 2

P B

Eben, auf Sind schon genuch Kosten entstanden. Ne? 3

Auch diese Sequenzen aus den Beratungsdiskursen zeigen die Widersprüche zwischen sachlich-technischen und hierarchisch-ökonomischen Aspekten betrieblichen Handelns. Der Meister übernimmt bei seiner Beratung die Perspektive der Kunden und rät zu einer Entscheidung, die unter Kostengesichtspunk-

643

ten zunächst vorteilhaft ist. Da er als Fachmann der Stadtwerke jedoch eine fachlich nicht ganz korrekte Lösung empfiehlt, erzeugt er u. U. einen zukünftigen Konflikt ⫺ nämlich um die Haftung für den Fall, daß doch einmal Frostschäden an der Leitung entstehen. Abschließend soll ein Muster der betriebsinternen Kommunikation angesprochen werden, das in der Arbeitseinteilung auftritt, einem allmorgendlichen Ablauf im Rohrnetzbetrieb. Nachdem die Einsatzfahrzeuge am Vorabend in der Arbeitsvorbereitung ausgerüstet worden sind, erteilt der Meister an seine versammelten Vorarbeiter Arbeitsaufträge für den Tag. Diese sind schriftlich vorbereitet, aber werden oft noch mündlich erläutert und detailliert ⫺ z. B. im Hinblick auf den Stand der Vorarbeiten, notwendige Materialien und Werkzeuge sowie Einzelheiten der Durchführung. Ein Beispiel dafür ist 7A.1 (Erläuterung durch den Meister ohne die Hörersignale): „So, Matthias, . . ((Auslassung)) Der Anschluß, der kommt . der kommt ja ungefähr/ wat is dat da? einmeterdreißig oder einmeterfünfzig, in einmeterfünfzig Höhe kommt der . kommt der rein, und liegt auch mit den Flanschen . preß anner wand. So. Jetz machen wer da vorne an dem hundertfuffziger Anschluß dat Reduzierstück rein, hundertfuffzig mal hundert, en Bogen ((etwas langsamer, betont deutlich:)) und ich hab getz nochmal n zweihunderter Paßstück aufgeschrieben. Dat wer mit dem Anschluß nach unten runterspringen so, wat ham wer jetz? dreißig, vierzig Zentimeter vom Bogen/ vom Boden. Ob Du das Paßstück brauchst, weiß ich getz nich. Dann mußt du ma versuchen, ob Du diesen Anschluß oben in den Schraubenlöchern . vielleicht um eine Schraubenstärke nach vorne hin ziehen kannst.  Weil der sonst/ weil der nämlich da oben . preß an der Wand liegt.“

Man erkennt hier deutlich Fachlichkeit im Sinne fachinterner Kommunikation: Zahlreiche Fach- und Jargonausdrücke aus Rohrnetzbau und Installationstechnik werden unmarkiert verwendet (z. B. Flanschen, Reduzierstück; reinkommen, preß an der Wand liegen), ferner charakteristische Formen der Bemaßung (hundertfuffziger Anschluß) und in der Berufspraxis gebräuchliche Grobmaße (eine Schraubenstärke). Gleichzeitig ist die Ausdrucksweise stark durch Deixis sowie eine gewisse Elliptik gekennzeichnet. Dies verdankt sich teils der Bezugnahme auf eine Skizze, teils dem gemeinsamen fachlich-beruflichen Wissen über die Arbeitstätigkeiten, das eine geringe Explizitheit erst ermöglicht. Im Verhältnis von Planung und praktischer

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IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

Ausführung (Kopf- und Handarbeit) sowie in den Anweisungen, zu denen die sachlich-technischen Erläuterungen gehören, zeigt sich die hierarchische Struktur betrieblichen Handelns. 3.3. Fachlich-berufliche Lexik: Terminologie und Jargon Aufgrund der Komplexität des betrieblichen Handlungssystems sind die in ihm vorfindlichen Qualifikationen und Berufe und damit auch die verwendeten fachlexikalischen Elemente sehr heterogen. Man denke nur an das Spektrum der (Unter-)abteilungen und Tätigkeiten (vgl. 2.), vom Wasserlabor und der Zentralwarte über das Rechenzentrum bis zur Rechtsabteilung. Auch in den vergleichsweise einheitlichen Tätigkeitszusammenhängen im Rohrnetzbetrieb besteht noch Heterogenität. Im Sinne einer horizontalen fachlichen Gliederung steht Fachlexik aus den verwandten Bereichen Gas- und Wasserversorgungstechnik, Installation und Tiefbauwesen im Vordergrund, daneben finden sich auch Ausdrücke aus EDV und Verwaltung. Bezüglich der Gas- und Wasserversorgungs- und Installationstechnik handelt es sich insbesondere um Benennungen. Ich führe einige exemplarisch an, grob nach Sachbereichen geordnet und z. T. mit ihren charakteristischen, zugehörigen Verben bzw. Syntagmen: ⫺ Versorgungs-/Anschlußleitung, Abgang, Anbindung, Leitung abbinden, auf der Leitung ist (keine) Entnahme ⫺ Schutz-/Leerrohr, Rohrpaket, Nennweite ⫺ Anschluß dichten/verlegen, Regelanschluß, einmessen, minieren, (mit Erdverdrängungsraketen) schießen, dükern, (frostsichere) Deckung abtragen ⫺ Gas-/Wasserzähler plombieren, abdrücken, WPZähler mit Umlauf links ⫺ absperren, Hauptabsperreinrichtung, Absperrzeug/-ventil, Schieber, (End)hydrant, Rückflußverhinderer ⫺ Gasspürgerät, Exhauster, entlüften ⫺ Muffe(nrohr), Rohrnippel/-schelle, Flansch, T-/ Reduzier-/Reglereinbaustück, Iso-Stopp

Häufig werden verschiedene Typen von Kurzformen verwendet, z. B. HAE (für Hauptsperreinrichtung), PE (für Polyethylen), FII, Iso-Stück,

sowie charakteristische Maßeinheiten und -angaben, z. B. mit 1 Bar abdrücken, eineinviertelzöllig, DN 200.

Zum Tiefbauwesen gehören lexikalische Elemente wie: ⫺ Trasse(nänderung), TBA, Kolonne vorhalten, abrücken, KWL ⫺ Aufbruch, Ausschachte, 80er Graben, Schalung ⫺ Aushub abfahren, Füll-/Recyclingsand anliefern, RC, Schwarzdecke, Heißbinderloch, Pflasterloch ⫺ (hausseitig) abbohren, auskoffern, Schotter einbringen, verfüllen, verdichten ⫺ Kanalring, Schnur-/Moniereisen

Lexikalische Elemente aus dem Verwaltungsbereich verdanken sich dem Umstand, daß die Mitarbeiter im Rohrnetzbetrieb auch verwaltungsbezogene und kaufmännische Planungs- und Kontrolltätigkeiten selbst durchführen oder aufgrund der institutionellen Einbindung bei ihrer Arbeit berücksichtigen müssen. Beispiele sind: Kostenplanung/-teilung, kostenpflichtig, in Rechnung stellen, (Materialien) zurückschreiben, Gestattung(svertrag), (Befreiungs)antrag.

Im Sinne einer vertikalen Gliederung zeichnet sich die verwendete Fachlexik überwiegend durch relativ geringe Spezialisierung aus. Zahlreich sind allgemeinere, fachübergreifende Ausdrücke, die einer Umgangssprache der Technik schlechthin zugehören bzw. in vielfältigen fachlich-beruflichen Zusammenhängen vorkommen, z. B. Inbetriebnahme, Anlage stillegen, Materialstärke, AV (Arbeitsvorbereitung), Einrichterbetrieb. Sie wären in traditionellen Begriffen wohl als fachbezogene Umgangssprache zu bezeichnen. Dies erklärt sich u. a. daraus, daß der Bedarf nach einer stark ausdifferenzierten und streng genormten Terminologie bei den Stadtwerken, die ja eher lokal arbeiten und Dienstleistungen erbringen, geringer ist als in Unternehmen, die eine große Zahl von Produkten herstellen und transnational vertreiben (wie z. B. Bosch mit einer Produktion von 200 000 verschiedenen Teilen, wo unzureichende Nomenklaturen zu Koordinationsund Übersetzungsproblemen führen; Häfele 1977). Auch daß die fachinterne Kommunikation mit Kollegen stark durch Mündlichkeit gekennzeichnet sowie teilweise empraktisch eingebettet ist, führt zu einer Charakteristik, die als fachbezogene Umgangssprache bezeichnet werden kann. Darüber hinaus sind, wie gesagt, erhebliche Teile der Kommunikation interfachliche und ExpertenLaien-Kommunikation. Im fachinternen Gespräch mit unmittelbaren Kollegen und z. T. auch mit Mitarbeitern

68. Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt

von Fremdfirmen werden auch Ausdrücke verwendet, die sich als Berufsjargon beschreiben lassen, der sich der gemeinsamen beruflich-sozialen Tätigkeit verdankt. Beispiele sind Lexeme und Ausdrucksweisen wie: abspüren (fachlich korrekt: abhorchen), Leitung totlegen (fachlich korrekt: abbinden), gasmäßig, preß an der Wand liegen, die (sc. Leitung) liegt in PE, der Druck steht, da hinten is der A-Schaden drauf.

Auf die explizite Angabe von Maßeinheiten wird dabei häufig verzichtet, z. B. 100 mal 200, 25 unter TBA, 500er Leitung.

Generell sind nicht-explizite Ausdrucksweisen, die durch Verkürzungen, Ellipsen oder Deixis zustandekommen, charakteristisch, z. B.: ⫺ ihr macht Marxallee zu (sc. den Aufbruch in der Marxallee) ⫺ die 350er einbinden (sc. die 350er Leitung) ⫺ der nimmt die 40 cm raus (sc. die 40 cm Erdreich) ⫺ die Schächte sind voll (sc. voll Gas) ⫺ ein Teil ist in PE (⫽ ein Teil der Rohre ist aus PE) ⫺ Wagnerstraße 33. Habt ihr den in Betrieb genommen gestern? (sc. den Anschluß in der Wagnerstraße 33).

Gelegentlich werden Jargonausdrücke verwendet, die ⫺ für Außenstehende nicht ohne weiteres verstehbar ⫺ scherzhaft auf fachliche Tätigkeiten oder Objekte verweisen. Ein Beispiel aus der Arbeitseinteilung ist: „WPZähler mit Umlauf links ((…)) Wasserpolizei, Umlauf links“. Diese Verballhornung der Abkürzung für einen bestimmten Typ von Wasserzähler ist Ausdruck der sozialen Bindungskraft des Jargons. In der betriebsinternen wie auch -externen Kommunikation werden für fachliche Sachverhalte und Tätigkeiten manchmal ausgesprochen umgangssprachliche Ausdrücke und regionalsprachlich gefärbte Redeweisen verwendet. Sie lassen sich gleichfalls als Ausdruck der beziehungsgestaltenden Funktion auch der fachlich-beruflichen Kommunikation interpretieren: ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺

Wagnerstraße da euer/ euer Schlammloch dat gibt da n ewiges Jaucheloch viel Leute da für son Pippiloch das gibt Pampe in der Einfahrt ich hol dat ganze Scheiß da raus das T-Stück muß rausgeschmissen werden die Stahlleitung schrebbelt da so rum jetzt müßt ich mal mein schlaues Buch nachgucken.

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Im folgenden soll gezeigt werden, daß die Fachlexik Anteil an der Orientierungs- und Regulationsfunktion kooperationsbezogener innerbetrieblicher Kommunikation (vgl. 1.) hat. Orientierungsfunktion hat sie in Beispiel 2A.16. Der Meister erläutert hier mit ihrer Hilfe seinem Kollegen den Hintergrund einer Problemsituation: „Ja, et is nämlich folgendes: Der Schneider hat den abgedrückt mit eim Bar. Der stand nich ganz“.

Oben wurde bereits ein längerer Ausschnitt aus einer Arbeitseinteilung (7A.1) vorgestellt, in der die Fachlexik dazu dient, die zugewiesene Aufgabe in der Art ihrer Ausführung näher zu spezifizieren und zu erläutern, und damit tätigkeitsregulierende Funktion besitzt. Im folgenden Beispiel (16A.17) wird die Benennung T-Stück auf Nachfrage durch weitere Fachbegriffe ergänzt und präzisiert. Ihre Funktion besteht darin, eine eindeutige Identifizierung des Teils zu ermöglichen, so daß der Kollege das betreffende Ersatzteil zur Verfügung stellen kann, und ist damit ebenfalls tätigkeitsregulierend: SW1

Auf jeden Fall is das T-Stück gerissen. 1

SW2 SW1

Wat is das fürn T-Stück? ((Auslasung)) 2

SW1

Ja wenigstens drei Zoll. ( ) 3

SW2 SW1

eh Muffenrohr. Verzinktes. 4

SW2

Verzinktes Muffenrohr. Drei Zoll. 5

SW2

Ham wer überhaupt sowat, Max? 6

Aber Fachlexik wird nicht nur, wie in diesen Sequenzen, für sachlich-technische Funktionszusammenhänge und Aufgaben verwendet. Vielmehr werden ⫺ dies zeigen auch Analysen zur betrieblichen Ausbildung (Brünner 1995) ⫺ durch ihren Gebrauch auch hierarchisch-ökonomische Aspekte und institutionell bedingte Konflikte indiziert und abgearbeitet. Das illustriert folgendes Beispiel (17A.2):

646

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

SW2

jetzt hört ich von dem Herrn Meier, daß 1

SW2

die einer Material-Eingangsprüfung 2

SW2 ME

unterzogen werden . sollen. Ja, müssen wer ja. 3

SW2

Wat wolln se denn daran prüfen da? 4

SW2

((Auslassung)) Dann könn wer die wieder 5

SW2

ner Firma einen Fehler beanstandet und dabei mehrfach Reglereinbaustück verwendet (17A.13). Nachdem der Gesprächspartner das beanstandete Vorgehen offenbar nicht ganz versteht, wird der Fachausdruck umschrieben: „aber ausgebaut haben Se den/das Stück für unsern Regler“.

Als anderes Extrem werden ⫺ besonders im Diskurs mit regelmäßig kontaktierten Fremdfirmen ⫺ Fachlexik und auch Berufsjargon ohne verständnissichernde Aktivitäten verwendet, wie im folgenden Beispiel (3B.12). Der Jargonausdruck Bleimann wird vom Firmenmitarbeiter (FA) als Versprecher korrigiert (durch den parallelen Ausdruck Stahlmann) und wurde folglich problemlos verstanden.

ins Lager nehmen, ohne Material-EingangsSW FA

6 SW2 ME

prüfung. Da kann man nix prüfen da. Ja. 7

Der Fachausdruck Material-Eingangsprüfung wird hier zitierend verwendet, um abschätzig-kritisch auf Entscheidungen von Vorgesetzten Bezug zu nehmen. Dies läßt sich in diesem Kontext u. a. an der besonderen Hervorhebung der Hauptakzentsilbe (Fläche 2) und der redundanten Formulierung (Fläche 6) erkennen. Damit wird ein Konflikt um die bezeichnete Maßnahme indiziert, in dem institutionelle und fachliche Erfordernisse auseinandertreten. Zum Schluß sollen kommunikative Verfahren rekonstruiert werden, die den Umgang mit Fachbegriffen (Kalverkämper 1987) in der betriebsexternen, interfachlichen und Experten-Laien-Kommunikation kennzeichnen, und zwar unter dem Aspekt des Verstehens. Zwei extreme Verfahren lassen sich unterscheiden. Das eine, das besonders in der Experten-Laien-Kommunikation auftritt, besteht darin, von vornherein Fachlexik zu vermeiden und statt dessen umgangssprachliche und umschreibende Ausdrucksweisen zu wählen, z. B. in 8A.1: „und dann ham wa en spezielles äh spezielles Prüfgerät, da könn wa genau feststellen, wieviel Liter der verliert“.

Umschreibungen bzw. Paraphrasen werden besonders nach Signalen von Nichtverstehen verwendet. Z. B. hatte der Mitarbeiter der Stadtwerke gegenüber dem Vertreter ei-

Eh das/ Mhm, wie stark is der eigentlich?

1 SW das isn/dat is n anderthalbzölliger Bleimann, 2 SW

also den könn wer in zweindreißig machen, ne.

3 FA Stahlmann meinste. SW ( ) Stahlmann, richtig. 4

Häufig werden in beiden Konstellationen Verfahren verwendet, die zwischen diesen Extremen einzuordnen sind: Fachbegriffe zwar zu verwenden, dem Gesprächspartner aber zugleich auch verständlich zu machen (Brünner 1995). So werden in der Kommunikation mit Kunden, wie an den Beispielen Deckung und frostfreie Tiefe schon gezeigt wurde (vgl. 3.2.), Fachbegriffe verwendet und zugleich präventiv erläutert. Ähnlich wird im folgenden Beispiel (1A.3/1) verfahren. Der Mitarbeiter der Stadtwerke erläutert einem Vertreter der Unteren Wasserbehörde, warum ein Bachufer aufgegraben werden müßte: „Normalerweise äh äh schießen wir ja mit Erdverdrängungsraketen. Aber wir legen hier ne achtziger Leitung rein, und da können wir nich mehr schießen. Da müssen wir schon aufmachen, (da)“.

Der Fachbegriff schießen wird für den Behördenvertreter dadurch in seiner Bedeutung kontextuell erschließbar gemacht, daß der Meister ihn nicht isoliert, sondern mit der instrumentalen Angabe mit Erdverdrängungsra-

68. Fachkommunikation im Betrieb ⫺ am Beispiel der Stadtwerke einer Großstadt

keten verwendet und ihn mit dem umgangssprachlichen Verb aufmachen kontrastiert. Strukturell entsprechende Verfahren werden benutzt, wenn Jargon- und Kurzformen durch normiertere, verbreitetere Fachausdrücke ersetzt werden. So ersetzt ein Meister der Stadtwerke gegenüber einer Installateurfirma Klappe erläuternd durch Hauptabsperreinrichtung: „Von unserer Klappe, also von der Hauptabsperreinrichtung an“ (17A.13). Ein Mitarbeiter einer Baufirma erläutert den Begriff Ring: „dann hätt ich den Ring rausgezogen, wissen Se, wir ham so äh Kanalringe, ne?“ (5A.1). Auch im folgenden Beispiel (17A.13) wird auf diese Weise vom Meister der Stadtwerke zunächst die Kurzform HAE durch die fachterminologische (Voll)form ersetzt (Fläche 1). Da der Begriff Hauptabsperreinrichtung dem Mitarbeiter der Fremdfirma (FA) offenbar immer noch nicht erlaubt, die Einrichtung sicher zu identifizieren, wird eine auf die sinnliche Wahrnehmung bezogene und insofern operationale Bestimmung nachgeschoben (Fläche 3). Dies ist ein Verfahren, das besonders in empraktischer Kommunikation angewendet wird. SW über der HAE, über der Hauptabsperrein1 SW richtung, Is da n Doppel-Nippel FA Ja, 2

647

Formen einzulassen, in denen die alltägliche Realität betrieblichen Handelns in ihrer Vielfalt und auch ihrer Widersprüchlichkeit erscheint, ist Voraussetzung dafür, daß verläßliche empirische Erkenntnisse über diesen zentralen Bereich gesellschaftlicher Wirklichkeit gewonnen werden, und vermag zugleich die theoretischen Vorstellungen von Fachkommunikation und -sprache zu differenzieren und präzisieren.

5.

Literatur (in Auswahl)

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SW zwischen? Is der FA Hauptabsperreinrichtung, 3

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SW FA

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gelbe Hahn unten, ne? Hauptabsperr … ja

4

Das zu den beschriebenen funktional konträre Verfahren, durch Verwendung von Fachlexik ein Nichtverstehen des Gesprächspartners zu bezwecken, etwa als Mittel einer Selbstinszenierung als Experte, ist im verwendeten Korpus nicht repräsentiert ⫺ was sein Vorkommen nicht ausschließt. Die vorgestellten Analysen, die auf einer korpusbezogen-empirischen Methodologie und einer funktionalpragmatischen Theoriebildung beruhen, werfen ein Licht auf die Komplexität, Vieldimensionalität und Vielgestaltigkeit der fachlich-beruflichen Kommunikation im Betrieb. Sich auf die konkreten

Brünner 1993 ⫽ Gisela Brünner: Mündliche Kommunikation in Fach und Beruf. In: Fachsprachentheorie. Bd. 2: Konzeptionen und theoretische Richtungen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 730⫺771. Brünner 1994 ⫽ Gisela Brünner: „Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?“ Interaktive Anforderungen und Selbstdarstellung in Verkaufsgesprächen. In: Texte und Diskurse. Methoden und Forschungsergebnisse der Funktionalen Pragmatik. Hrsg. v. Gisela Brünner und Gabriele Graefen. Opladen 1994, 328⫺350.

648

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

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Gisela Brünner, Dortmund

69. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in der modernen Arbeitswelt

649

69. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in ausgewählten Bereichen der modernen Arbeitswelt 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Computer-Fachsprachen und Büroarbeit Manuals Die Benutzereinweisung Arbeitsorganisierung Ausblick Literatur (in Auswahl)

1.

Computer-Fachsprachen und Büroarbeit

Computer, insbesondere Personalcomputer, haben die Arbeitswelt in den vergangenen zwei Jahrzehnten entscheidend verändert. Büroarbeit ist kaum noch ohne Computernutzung vorstellbar. Im Sinne von Wichters (1991) Dreiphasenmodell der Ausbreitung von Computerfachausdrücken in die Gemeinsprache wird in der folgenden Untersuchung nur die Publikumsphase mit hoher Medienpräsenz und allgemeiner Geräteverbreitung betrachtet, die auch das Erscheinen und Verschwinden von Begriffen (z. B. Winchester Platte für Festplatte) kennt. Dabei richtet sich das Interesse von der technologiebasierten Fachsprachenforschung zur integrativen Betrachtung des Fachsprachengebrauchs in bestimmten Konstellationen (vgl. Möhn/Pelka 1984; Lenz 1993; Kalverkämper 1996). Aus der universellen Verwendbarkeit des Computers als Datenverarbeitungssystem resultiert eine grundlegende Unterteilung in Computerproduzenten und Computernutzer; private (Hobby-)Anwender bleiben unberücksichtigt. Die Produzenten, d. h. die Programmierer, Entwickler usw., prägen die Computer-Fachsprache im engeren Sinn. Die beruflichen Nutzer außerhalb der Computerindustrie teilen sich in unmittelbare Nutzer, die persönlich das Arbeitsgerät Computer verwenden, und mittelbare Nutzer, die ohne persönliche Nutzung den Einsatz bestimmen. Gemeinsam bilden und verwenden sie Fachsprachen, die sich aus der Verwendung des Arbeitsgeräts Computer für ihre jeweiligen fachlichen Anwendungsbedürfnisse ergeben. Deshalb dürften sich auch bei Verwendung gleicher Programme (z. B. Textverarbeitung) neben Übereinstimmungen auch fachspezifische Besonderheiten, sozusagen Dialekte zeigen. Gemeinsamkeiten aufgrund ähnlicher Konstellationen scheinen sich auch für neue

computergestützte Kommunikationsformen wie e-mail, Diskussionsforen, MUD usw. zu ergeben (vgl. Wichter 1991; Schmitz 1995). Gemeinsamer Computer-Fachsprachenkern und anwendungsspezifische Verästelungen sind noch zu bestimmen. Die Bürokommunikation ist pragmatisch bisher wenig untersucht. Arbeiten zu ergonomischen und technischen Parametern (vgl. allgemein Friedrich/Jansen/Kaup 1987; zur akustischen Sprachein- und -ausgabe Blauert/ Schaffert 1985) oder Untersuchungen zur Arbeitsanreicherung (vgl. Kraft 1976) klammern die Kommunikation aus. Rehbeins (1977, 270 ff) Analyse der Einweisung in den Umgang mit Belegen im Kontor betrifft eine sehr spezifische Tätigkeit, liefert gleichwohl grundlegende Erkenntnisse über verbale und nonverbale Verfahren des Einweisens. Munsberg (1994, 162 ff) berücksichtigt die Lehrstuhlsekretärin nur bei einer Terminabsprache, nicht jedoch im Zusammenhang mit der Computernutzung. Beim Einzug der Computer in die Büroarbeit wurden vornehmlich Aspekte der Arbeitsorganisation (Mischarbeit), -qualifikation und -entlohnung diskutiert (vgl. Rode 1984; Für Sie forum 1984). Universitätssekretariate wurden ⫺ auch durch die Frauenforschung ⫺ ausführlicher dargestellt (vgl. Rolvering 1988; Schwarze 1988; Wöstenkötter 1988). Professoren, die mittelbaren Nutzer, und Sekretärinnen, die unmittelbaren Anwenderinnen, versprachen sich von der computergestützten Textverarbeitung eine höhere Arbeitsproduktivität: Korrekturen ohne stumpfsinnige Abschreiberei, bessere Gestaltungsmöglichkeiten und schönere Produkte. Sekretärinnen versprachen sich zudem größere soziale Akzeptanz und mehr Zeit für anspruchsvollere Tätigkeiten; negativ bewerteten sie fehlende Einarbeitung(szeit), Abhängigkeit von zumeist männlichen Kundigen, Lärm durch (Nadel-) Drucker sowie sehr viel häufigere Korrekturen und gestiegene Qualitätsansprüche. Unübersehbar sind die Hinweise auf geschlechtsspezifische Zugänge zur neuen Technik. Frauen scheinen an der praktischen Nutzung zur Arbeitserleichterung und kaum an den letzten Feinheiten interessiert zu sein (vgl. z. B. Grünwald 1984; Rolvering 1988; Fauser 1992; Schiersmann 1992). Sekretärinnen wollen zunächst die fehlerfreie Bedienung erler-

650

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

nen und erst später mehr erfahren (vgl. Wöstenkötter 1988). Betriebssystemkenntnisse zur optimalen Gerätenutzung und Problembewältigung scheinen sich die als spielfreudiger eingeschätzten Männer offensichtlich natürlich anzueignen (vgl. Noller/Paul 1991; männliche Technikbegeisterung strahlt z. B. von Randow 1984 aus). Die sprachliche Verständigung bei der und über die Computernutzung wird in den genannten Arbeiten weder dokumentiert noch untersucht. Computer-fachsprachliche Ausdrücke in den Beiträgen lassen nicht den Schluß zu, daß die Autorinnen, von denen einige als Sekretärin arbeiten, in der Sprache der Sekretärinnen schreiben, über deren Einstellungen und Erfahrungen sie berichten: Rolvering ist Absolventin eines Germanistikstudiums, Schwarze eines Soziologiestudiums und Wöstenkötter Fachhochschulabsolventin. Andererseits ist ihr Werdegang für UniSekretariate auch nicht untypisch, so hat z. B. auch die in Beispiel 69.3 auftretende Sekretärin einen Hochschulabschluß. Schließlich dürften die genannten Autorinnen aufgrund ihres niedrigeren Alters einen leichteren Zugang zur EDV und zur ComputerFachsprache haben. Der für die Fachsprache der Setzer gut dokumentierte Sprachwandel im Gefolge der EDV (s. Kühn 1988; Brand 1995) soll als Ausgangspunkt für die Betrachtung der Bürokommunikation dienen. Kühn (1988) stellt fest, daß Absolventen einer Berufsschule 1986 ein Drittel der alten Fachwörter nicht mehr und ein Drittel der neuen (noch) nicht kannten. Er nennt drei Veränderungsprozesse beim Verschwinden handwerklicher Tätigkeiten: (a) Termini für nicht mehr benutzte Werkzeuge und Materialien verschwinden; (b) Termini für traditionelle Handarbeiten werden für ähnliche Tätigkeiten semantisch neu besetzt und (c) neue Termini für neue Werkzeuge und Geräte werden integriert. Brand (1995) bemerkt, daß mit der EDV auch deren präzise Begriffe von außen in die Setzerei eindringen und die fachsprachlichen Metaphern verdrängen. Kühns Befunde berücksichtigen noch nicht die Desktop-Publishing (DTP)-Revolution der vergangenen Jahre. Seiner Untersuchung lagen kommando-basierte Systeme (CLI ⫽ Command Line Interface) mit umständlicher Textformatierung zugrunde. Die neuen DTP-Systeme boten den Fachkräften dagegen die vertrauten Werkzeuge in elektronischer Form: „Der Layouter am PageMaker hantiert mit Textbe-

reichen wie beim Klebeumbruch mit zugeschnittenen und geleimten Satzfahnen, benutzt genauso analog Hilfs- und Spaltenlinien wie auf der Reinzeichnung.“ (Peinemann 1987, 3). Diese Systeme ermöglichten einen Erfahrungstransfer bei Beibehaltung traditioneller Termini. Mit allen Vorbehalten angesichts des Fehlens einer vergleichbar etablierten Fachsprache sind für die werkzeugbezogene Sprachverwendung im Büro ähnliche Prozesse anzunehmen. Unter dem Aspekt der Werkzeugnutzung ist die Sprachverwendung im Zusammenhang mit den Arbeitsveränderungen durch das neue Gerät Computer (neutral PC) zu bestimmen. PC und Schreibmaschine haben eine Tastatur mit der Übertragbarkeit entsprechender Fertigkeiten. Während die Schreibmaschine nach dem Einschalten ohne spezielle Funktionskenntnisse benutzt werden kann, tut sich bei CLI-PCs ohne Start eines Textverarbeitungsprogramms nicht viel. Die dazu notwendige Kommandoeingabe ist aus der Geräteform nicht erschließbar. Die zur Benutzung vorausgesetzten speziellen Kenntnisse werden im allgemeinen in einer Einweisung vermittelt. Unter Einweisung ist nicht nur eine offizielle Schulung zu verstehen, sondern jede von einem Kundigen ⫺ auch informell ⫺ durchgeführte Hilfe bei der Einarbeitung. Eine wirklich ohne jede fremde Hilfe bewältigte Selbstinstruktion mittels Manual ist wohl recht selten. Die Einweisung erweist sich somit als die typische PC-Interaktionskonstellation. Die zweite typische Konstellation ist die Kontaktierung eines Kundigen bei Problemen. Individuelle Lösungsversuche durch Manualkonsultation erfolgen ohne Interaktion und werden deshalb im folgenden nicht weiter betrachtet. Als weitere PCHandlungskonstellation ergibt sich das arbeitsorganisierende Gespräch mit anderen Benutzern und mit mittelbaren Nutzern. Schließlich ist als vierte Konstellation das Sprechen über die Arbeit und den PC zu berücksichtigen. Damit sind vier typische Konstellationen der computerbezogenen Kommunikation im Büro festzustellen: (a) die Einweisung als die computerbezogene Kommunikation schlechthin, (b) die Konsultation eines Kundigen, (c) das arbeitsorganisierende Gespräch und (d) der homile¨ische Diskurs über die und bei der Arbeit. Die vier Gesprächstypen sind analytisch unterschiedlich leicht zugänglich. Lediglich die Einweisung als explizit vereinbarte Interaktion ist leicht zu dokumentieren. Die übri-

69. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in der modernen Arbeitswelt

gen drei Typen sind jedoch nicht planbar und erfordern deshalb längere systematische Aufnahmen. Da dies mit vielen Hindernissen ⫺ nicht zuletzt datenschutzrechtlichen ⫺ verbunden ist, gibt es kaum dokumentierte Aufnahmen mit den für die Analyse erforderlichen Hintergrundinformationen über die Beteiligten, die verwendeten Systeme, Programme usw. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen wird im folgenden exemplarisch an zwei einweisenden und einem arbeitsorganisierenden Gespräch vorgestellt. Das erste Einweisungsgespräch an einem System mit grafischer Benutzerschnittstelle (GUI) dient der Vermittlung einer elementaren Maushandhabungstechnik. Deshalb wird zunächst die Darstellung dieser Technik in Benutzerhandbüchern und die dort verwendete Fachsprache vorgestellt.

2.

Manuals

2.1. Funktion und Gebrauch Schriften, die dem Benutzer den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Geräts Computer ermöglichen sollen, firmieren unter verschiedenen Bezeichnungen (vgl. Klauke 1993): Arbeitsbuch, Benutzerhandbuch, Handbuch, Manual; Bildungen mit Anleitung finden sich eher für elektronische Geräte, z. B. Faxgerät, Schreibmaschine. Im engeren fachsprachlichen Sinn sind PC-Manuals Mittel der indirekt schriftlich vermittelten, fachexternen Kommunikation zwischen (Computer-)Fachleuten und (Computer-)Laien (vgl. Möhn/ Pelka 1984). Mit Juhl (1994) sind Lernanleitungen, die in den Gebrauch einweisen, und Nachschlageanleitungen zu unterscheiden. Die Lernanleitung soll auf der Basis einer konsistenten Begriffsverwendung Kenntnisse und Vorwissen des Benutzers berücksichtigen, der das Gezeigte handelnd erlernen soll. Typisch für Anleitungstests ist ein Ratingverfahren, bei dem z. B. Beobachter auf einem standardisierten Beobachtungsbogen die erfolgreich absolvierten Handlungsschritte erfassen (vgl. Bock 1994). Für komplexe Systeme wie eine Textverarbeitung gilt eine Erfolgsquote von 70% bis 75% als ausreichend. Die Bedeutung der Anleitung für die Programmnutzung belegt der Vergleich verschiedener Manuals für ein Programm: während mit der Herstellerversion nur 15% der Probanden die Grundfunktionen bewältigten, gelang dies mit einer anderen Version 87% (vgl. auch Schwartz 1992). Unter linguistisch-

651

pragmatischen Gesichtspunkten sind die Testverfahren nur begrenzt aussagekräftig. Den eigens zu Testzwecken rekrutierten Probanden fehlt ein eigenes Interesse an der Durcharbeitung. Eingesetzte Energien und aktualisierte Wissensressourcen verschieben sich gegenüber einer selbstinitiierten, in das normale Handeln integrierten Verwendung. Mit der Manualnutzung beschäftigt sich die empirische Studie von Schwartz (1992). Sie beobachtete drei Personen bei der Handbuch-gestützten Einarbeitung in das unbekannte Programm RagTime 3 an einem GUIPC. Das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation bescheinigt dem Spitzenprogramm für elektronisches Publizieren in einem Test leichte Bedienbarkeit, das aufgrund seiner einheitlichen Oberfläche langes Blättern im Handbuch erspare (vgl. Capital 1990). Erstaunlich ist bei Schwartz’ Beobachtungen zunächst der hohe Zeitaufwand von fünf bis siebeneinhalb Stunden für die Durcharbeitung. Die Probanden hatten Probleme mit den Abbildungsbeschriftungen und konnten z. B. wegen mißlingender Identifizierung der zu betätigenden Taste Operationen nicht ausführen (vgl. auch Fikkermann 1994). Das für Bedienungsanleitungen typische Zeigen am Bild analysiert Ehlich (1994, 126) als „semiotische(s) Zeigen“. Für die am Bildschirm sichtbaren Objekte und Symbole wünschten die Probanden mehr Abbildungen statt verbaler Erklärungen. Als lästig erwies sich der ständige Blickwechsel zwischen Manual und Monitor. Die Probanden wünschten sich groß und deutlich lesbare Leitbegriffe. Die Aktivierung vorhandenen Wissens durch geeignete Metaphern gelang für die zentralen Begriffe Formular und Pipeline nicht problemlos. Eine Probandin schien das Pipeline-Konzept zunächst auf das Programm übertragen zu können, stolperte jedoch bei der Darstellung des Verhaltens von Linealen in Pipelines. Sie fragte, ob denn irgendwo in der Pipeline noch Text sei oder wie der folgende Satz zu verstehen sei: „Alle Lineale bis auf das erste verschwinden, und der gesamte Text in der Pipeline wird nach diesem Lineal ausgerichtet.“ (RagTime 1990, 1.20)

Die Vorstellung konkret fließender Texte behindert ein abstrakteres Konzept von Daten, die wie in einer Pipeline zwischen zwei Behältern fließen. Die Ergebnisse belegen die zentrale Rolle der Metaphern bei der Vermittlung von abstrakten Funktionen der Computer-Handhabung: nicht computerfachsprach-

652

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

liche Begriffe im engeren Sinn erwiesen sich als widerspenstig, sondern die Übertragung gemeinsprachlicher Begriffe auf die Arbeit mit Programmen (vgl. auch Ebert 1993). 2.2. Maustechniken Eine zentrale Arbeitstechnik mit GUI-PCs ist das Aktivieren von Textelementen mit der Maus. Sie ist die Voraussetzung für die Bearbeitung der aktivierten Elemente, d. h. für Korrekturen usw. Überraschenderweise hat die Firma Apple, die mit dem Macintosh für mausgestützte Computernutzung Standards setzte, keinen eigenen Begriff dafür geprägt und damit Raum für Unklarheiten geschaffen. Das Aktivieren liegt der Einweisung in Beispiel 69.1 zugrunde (vgl. 3.3.). (1) Aktivieren und Auswählen (Apple) Neuen Benutzern wird die Maustechnik mit einem vorinstallierten interaktiven Lernprogramm vermittelt, so daß nicht die Vermittlung, sondern das Glossar für die Schnellorientierung bei Unklarheiten betrachtet wird (Apple 1991). „Aktivieren Bestimmen, an welcher Stelle die nächste Funktion durchgeführt werden soll. Klikken Sie zum Aktivieren auf die gewünschten Objekte, oder bewegen Sie den Zeiger bei gedrückter Maustaste darüber.“ (Apple 1991, 281) „Auswahl Die Daten, die durch den nächsten Befehl bearbeitet werden. Die Auswahl wird im Normalfall hervorgehoben (invertiert) dargestellt. Auswahl Ein Schreibtischprogramm zur Auswahl und zur Konfiguration der an den Computer angeschlossenen Geräte […]. Auswählen Aktivieren eines Befehls durch Bewegen des Zeigers durch ein Menü. Häufig werden Befehle ausgewählt, nachdem ein Objekt aktiviert wurde, das mit dem Anwendungsprogramm bearbeitet werden soll. Beispielsweise kann ein Diskettensymbol aktiviert und anschließend der Befehl „Öffnen“ aus dem Menü „Bearbeiten“ gewählt werden.“ (Apple 1991, 283) „Bewegen Den Zeiger auf ein Objekt setzen und die Maus bei gedrückter Maustaste bewegen. Dann die Maustaste wieder loslassen.“ (Apple 1991, 283)

Auswahl steht ⫺ durch getrennte Einträge klar kenntlich ⫺ für verschiedene Sachverhalte. Diese Trennung fehlt bei Aktivieren, obwohl es ebenfalls zwei Sachverhalte bezeichnet: das Klicken auf Objekte gilt für Schreibtischsymbole und grafische Objekte, das Überstreichen mit gedrückter Maustaste ⫺ in Apples Terminologie bewegen ⫺ für Zeichenketten (z. B. Buchstaben). Bewegen betrifft scheinbar nur in gemeinsprachlicher Bedeutung das Bewegen von Objekten mit der

Maus, tatsächlich jedoch wird bei Aktivieren ein anderes Bewegen für eine spezielle Maushandhabungstechnik verwendet. Apple verwendet also Bewegen in einem abstrakten Sinn, das jedes Bewegen der Maus mit gedrückter Maustaste meint, ohne diese fachbezogene Verwendung deutlich zu machen. Möglicherweise liegt eine unreflektierte Übertragung des englischen Wortes move zugrunde, ohne zu berücksichtigen, daß das auf das lateinische movere zurückgehende englische Bewegungskonzept abstrakter ist als das auf das Weg-Konzept zurückgehende deutsche bewegen. (2) Auswahl und Auswählen (ClarisWorks) Im Manual zu ClarisWorks (Claris 1993) werden im Kapitel „Arbeit mit Text“ mehrere Verfahren zum „Auswählen von Text“ beschrieben, von denen das erste Verfahren relevant ist (vgl. auch Abb. 69.1): „Positionieren Sie dazu die Einfügemarke auf dem gewünschten Text und ziehen Sie mit der Maus. Der Text wird dann wie in der Abbildung hervorgehoben.“ (Claris 1993, 3⫺7)

Die Anweisung ist ungenau, bzw. irreführend: (a) die Einfügemarke muß vor dem ersten oder hinter dem letzten auszuwählenden Zeichen positioniert werden und nicht einfach „auf“ dem gewünschten Text; (b) während des Ziehens muß die Maustaste gedrückt werden, da sonst nur der Mauszeiger (nicht die Einfügemarke) bewegt wird; (c) es wird nicht ausdrücklich festgestellt, daß genau der auszuwählende Text mit gedrückter Maustaste zu überstreichen ist. Abweichend von Apples Konventionen wird im Glossar der Begriff Auswahl für das Aktivieren verwendet: „Auswahl: Das Aktivieren von Textstellen, Textabsätzen, Arbeitsblattzellen oder Objekten, um diese zu bearbeiten.“ (Claris 1993, G-3)

(3) ,Auswahl‘ und ,Markieren‘ (WORD) Im Benutzerhandbuch zu WORD v. 4.0 von Microsoft wird der Begriff Auswahl wie von Apple für die Auswahl von Druckern verwendet (WORD 1989 6.3). Abweichend von Apples Konventionen wird für das Aktivieren von Textelementen Markieren verwendet (WORD 1989, 3.9 ff), für das zwei Verfahren beschrieben werden: (a) das programmspezifische Markieren einer ganzen Zeile durch Mausklick links vor die Zeile und (b) das standardisierte Markieren durch Überstreichen einer Stelle mit gedrückter Maustaste (leider sind die beiden Verfahren nicht deutlich voneinander abgesetzt, so daß sie beim

69. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in der modernen Arbeitswelt

653

Abb. 69.1: Auswählen (Claris 1993, 3⫺7) (leicht vergrößert)

flüchtigen Lesen nicht auffallen). Im Interesse einer klaren Unterscheidung wirkt die Begriffsverwendung von Microsoft überzeugender. 2.3. Computerspezifische und allgemeinsprachliche Begriffe Nach dem Konzept der Schreibtischmetapher werden für die mit der Maus auszuführenden Manipulationen von Objekten gemeinsprachliche Begriffe verwendet, die vom Nutzer auf die neue, spezifische Verwendung zu beziehen sind. Der Fachbezug der Begriffe wird exemplarisch an zwei Auflagen des Wahrig und einem Populär-PC-Lexikon untersucht (s. Tab. 69.1).

Aktivieren Auswählen Befehl Bewegen Bildschirm Computer Daten Diskette* Diskettensymbol Doppelklicken Einfügemarke Klicken* Konfiguration Markieren Maus Maustaste Menü Objekt Schreibtischprogramm Symbol Verschieben Zeiger

W 80

W 86/91 PC 82

g g g g g E g

g g g g g E g/E E

g g g g

g g/E g g/E

g

g/E g

g g g

g g g

F⫹ F E

teren Ausgabe (1986/91) aufführt. Die frühere Ausgabe enthält nur ein EDV-spezifisches Wort (Computer), zu dem später fünf hinzukommen. Anfang der achtziger Jahre ist also ein computer-fachsprachlicher Einfluß auf die Gemeinsprache feststellbar. Von den nicht aufgeführten Begriffen (Doppelklicken, Einfügemarke, Schreibtischprogramm, Diskettensymbol, Maustaste) sind nur Diskettensymbol und Maustaste EDV-spezifisch. Die nicht enthaltenen Kombinationsformen dienen der für Fachsprachen typischen Ausdifferenzierung zur präzisen Sachverhaltsbeschreibung. Sie werden in den mündlichen Einweisungen nicht verwendet (vgl. 3.2.). Am Populär-PC-Lexikon (PC-Lexikon 1982) zeigt sich die Dynamik der ComputerFachsprachen. Nur drei mittlerweile zum gemeinsprachlichen Wortschatz zählende Begriffe (vgl. Wahrig 1986/91; Wichter 1991) werden so, wie in den Handbüchern verwendet, erklärt (Bildschirm, Diskette, Menü). Drei fachspezifische Begriffe, in Tab. 69.1 mit „F ⫹“ markiert, werden im PC-Lexikon mit spezifischen Konzepten aus der Programmierung erläutert. Sie repräsentieren die eigentliche Computer-(Programmier-)Fachsprache: „Befehl ⫺ instruction Informationen zur Steuerung von Rechner-Operationen. Der Befehl kann in Maschinencode oder mnemotechnischer Form vorliegen. Im Maschinencode wird der Befehl von der CPU direkt ausgeführt.“ (PC-Lexikon 1982, 14)

F

F⫹ F⫹

W 80: Wahrig 1980; W 86/91: Wahrig 1986/91; PC 82: PC-Lexikon 1982 g gemeinsprachlich; E mit EDV-Bezug; F fachsprachlich; ⫹ speziell *Grundwort nicht in den Belegen, zur Vergleichbarkeit aufgenommen Tab. 69.1: Begriffe in den Manuals

Tab. 69.1 zeigt, daß der Wahrig (1980) bis auf Diskette und Menü alle Einträge der spä-

Die lexikalischen Lücken im PC-Lexikon (Klicken, Konfiguration, Maus/-taste, Symbol) belegen die Dynamik der Computerentwicklung und die damit einhergehenden Computer-Fachsprachen-Veränderungen.

3.

Die Benutzereinweisung

3.1. Interaktionsbedingungen Der PC als universell verwendbares Datenmanipulationswerkzeug benötigt spezielle Anwendungsprogramme (vgl. Nake 1984). Die Einweisung in deren Benutzung ist durch die Geräte sowie das (Vor-)Wissen von Instrukteur und Lernendem determiniert. Bei einer dyadischen Einweisung in die Beleg-

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IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

handhabung im Kontor unterscheidet Rehbein (1977, 273 ff) Kuppler, sprachliche und nonverbale Elemente, mit denen der Sprecher sein Wissen an bestimmten gemeinsamen situativen Elementen für den Hörer festmacht, und Koppler, Elemente, mit denen Sprecher und Hörer einen gemeinsamen Fokus in der unmittelbaren Situation herstellen. Die Ausbildung von Lehrlingen unter den Bedingungen einer Gruppenunterweisung analysiert Brünner (1987). Dyadische Einweisungen in den Gebrauch einer Nähmaschine sind durch die Verbindung von Aktionen (Vormachen⫺ Nachmachen) mit mündlich verbalen Instruktionen interaktional gekennzeichnet, wobei der Anleitungsdiskurs von einem Verständigungsdiskurs über das Gelingen der Verständigung überlagert wird (vgl. Fickermann 1994). Beratungen und Anleitungen für die Nutzung von GUI-PCs verfügen nach Schildhauer (1989) mit der Schreibtischmetapher über ein Koordinatensystem für die räumliche Orientierung bei der Arbeit am PC; dabei bereiten oben und unten keine Verständigungsprobleme. Dagegen erfordern Konfigurationsunterschiede zwischen dem universitären Beratungs-PC und dem heimischen Klienten-PC etliche Orientierungshandlungen, bis der Berater auf seinem PC das Problem nachgebildet hat. In den anschließend vorgestellten und analysierten zwei Beispielen wird in den Gebrauch von Textverarbeitungsprogrammen eingewiesen. Die Lernenden arbeiten an eingeschalteten Geräten mit gebrauchsfertig installierter Betriebssystem- und Anwendungssoftware. Einige Grundfunktionen kennen die Lernenden schon. Die interaktionalen Bedingungen sind so, daß zwar mehrere Personen auf den Monitor schauen können, aber nur eine Person die eigentlichen Eingabegeräte (Tastatur, Maus) benutzen kann. Entweder ist der Instrukteur oder der Lernende aktiv. 3.2. Vormachen mit Erläuterung In Beispiel 69.1 sind zusätzlich zur Hauptinstrukteurin IAi und dem eigentlichen Lerner LCr noch der Instrukteur IBr und die Lernerin LDi anwesend. LCr hat einen aktuellen Anlaß für die Einweisung, er will anschließend einen Text erstellen. Dieses eigenständige, weiterführende Handlungsziel unterscheidet die Einweisung von Benutzertests mit vorgegebenem Handlungsziel (vgl. 2.1.).

Beispiel 69.1: Markieren IAi Instrukteurin, Hochschulassistentin, vertraut mit Wordperfect MS-DOS & MAC IBr Instrukteur, Hochschullehrer, kennt verschiedene MAC-Programme LCr Lernender, Studienrat im Hochschuldienst, einige Computerkenntnisse LDi Lernende, wiss. Mitarbeiterin, vertraut mit MS-DOS & Windows Ort: im Zimmer von LCr und LDi an LCrs Computer Programm: Textverarbeitung von ClarisWorks v. 2.1 Vorausgegangene Themen: Drucken, Serverzugriff, Texteingabe, Zeilenabstand (1) IAi Mit dem Markieren, das haben wir noch nicht besprochen. (2) Ich markiere den Text, oder ich setze einen Block, in WordPerfect oder in (WORD Sprache). (3) Also ich gehe an die Stelle, wo ich ähm meine Markierung beginnen möchte. (4) LCr Ja· (5) IAi Klick dahin, ziehe das dann · · runter oder zur · Seite oder wie auch immer. (6) Und markiere diesen Text. (7) · · Und dabei kann ich jetzt was machen. (8) LCr Wie ist denn … (9) Wie haben Sie denn markiert? (10) IAi Hmhm. (11) ((2 s)) Ich gehe an, dahin zum Beispiel. (12) LCr ((2 s)) Irgendeine Stelle, ja. (13) IAi Wo das anfangen soll, oder wo das enden soll. (14) LCr Ja· (15) IAi Ja· (16) Moment. (17) LCr Wo s anf… (18) IAi ((2 s)) Das hier zum Beispiel. (19) Also ich halte den Finger drauf, wenn ich dann am Ende bin, lasse ich los. (20) LCr Ach so, hmhm· (21) · ·Jaja· (22) Also, man muß dann nicht hier die ganzen Zeilen erst nach/ äh äh nachfahren, sondern äh man geht an den Anfang und dann, äh geht bis zum Ende dann. (23) IAi Nein. (24) Ja. (25) Können Sie selbst mal … (26) LDi Kann ich das mit der Tastatur machen, oder geht das wirklich nur mit der Maus? (27) IBr Geht auch mit Tastatur, meine ich.

Der Einweisung liegt das Muster: Vormachen⫺Erklären⫺Nachmachen zugrunde, wobei die letzte Phase im Ausschnitt von der Instrukteurin nur angeboten wird (S 25). Die Einweisung hat ihr Ziel erreicht, wenn der Lernende das Gerät selbständig nutzen kann,

69. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in der modernen Arbeitswelt

also Textelemente aktivieren bzw. markieren kann. Zwei Fragen von LCr (S 8), (S 9) zeigen, daß er der Demonstration nicht folgen konnte. Erst die zweite Demonstration (S 11) bis (S 21) führt LCr zum Verständnis. Worin unterscheiden sich die zwei Durchgänge? Auf den ersten Blick scheinen sich die Durchgänge wenig zu unterscheiden. Ein detaillierter Vergleich der Äußerungen zeigt jedoch einige Unterschiede (vgl. Tab. 69.2).

(1) (2) (3) (4) (5)

Beginn festlegen Klicken Ziehen bis Ende Taste loslassen Resultat

D1

D2

S3 S4*

S11⫺S18 S19* S19*

S6⫺S7

*umfaßt auch andere Schritte Tab. 69.2: Einweisungsvarianten

Der Vergleich ergibt, daß IAi im ersten Durchgang das Drücken der Maustaste beim Ziehen nicht explizit verbalisiert, und LCr lediglich das Bewegen der Maus und die invertierten Textelemente am Monitor wahrnimmt. Das Gedrückthalten der Maustaste beim Ziehen ist ihm offensichtlich entgangen. Die scheinbar simple Operation erfordert ein explizit weder demonstriertes noch verbalisiertes Detailwissen. Während des ersten Durchgangs sind von LCr keine Hörerreaktionen wahrnehmbar: das Ganze ging zu schnell, ein oft zu beobachtendes Phänomen bei Einweisungen in die Bedienung von Computer(programmen). IAi, die nicht weiß, welche Aspekte der Operation nicht verstanden wurden, beginnt den zweiten Durchgang mit ausführlichen Verständnissicherungsprozeduren bei der Bestimmung des Markierungsbeginns (S 11) bis (S 18), von LCr problemlos mitvollzogen. Der entscheidende Schritt zur Behebung des Nichtverstehens erfolgt erst in (S 19): Also ich halte den Finger drauf. Danach äußert LCr parallel zur weiteren Vorführung Ach so, hmhm· (S 20). Der Lernende kann über die Äußerung des Nichtverstehens hinaus sein Nichtwissen selten näher bestimmen. So wiederholt auch LCr lediglich den die Gesamthandlung bezeichnenden Begriff markieren, ohne genauer mitzuteilen, was er an der Handlung des Markierens nicht verstanden hat. Da der Hörer nicht mehr aktiv verstehend im gemeinsamen Handlungssystem ist, sucht der Instrukteur ein Element, das beim Hörer ein Verste-

655

hen bewirkt (vgl. Ehlich/Rehbein 1986, 88 ff). Dieses Element muß der Instrukteur selbst finden, da der Hörer sein Nichtverstehen nicht näher präzisieren kann. Der Instrukteur geht also ⫺ wie IAi ⫺ noch einmal zu einem als gemeinsam geteilten Ausgangspunkt zurück. Von dort aus geht er dann mit größerer Detaillierung die Operation schrittweise durch und hofft, die unverstandenen Punkte nun für den Hörer rezipierbar vorzutragen. Da jedoch die Gründe des Nichtverstehens unbekannt sind, kann sich der Prozeß des Nichtverstehens und der modifizierten Erklärung schleifenartig wiederholen. Einen Einblick in die sprachliche Modifizierung gibt die unterschiedliche Subjektverwendung in den beiden Durchgängen. In Durchgang 1 schließt IAi die handlungsbegleitenden Äußerungen in (S 5)⫺(S 6) ohne Subjekt an die initiale Äußerung in (S 3) an; beim Hinweis auf mögliche Anschlußhandlungen an die Textaktivierung verwendet sie wieder ein Subjekt (S 7). In Durchgang 2 werden die Äußerungen (S 12), (S 13) und (S 18) zur Wahl des Markierungsbeginns an die initiale Äußerung mit Subjektverwendung in (S 11) angeschlossen, während die Überstreichaktion in (S 19) innerhalb eines einzigen Satzrahmens dreimal ein Subjekt für jede einzelne Teilhandlung enthält. (S 19) ist das Segment, das bei LCr zum Verstehen führt. Der Subjektverwendung im ersten Durchgang liegt ein vorab gebildetes mentales Handlungsmodell zugrunde, dessen einzelne Handlungsschritte als unselbständige Teile der Gesamthandlung verbalisiert werden, ausgedrückt durch das fehlende Subjekt. Hörerseitig erfordert dies die Supplementierung aus bekanntem Wissen (s. Rehbein 1992). Dem zweiten Durchgang liegt eine Zerlegung der Gesamthandlung in eine Folge von Einzelhandlungen zugrunde, ausgedrückt durch ein jeweils eigenes Subjekt. Der von der Supplementierung und Einordnung in das Gesamthandlungsschema entlastete Hörer kann dadurch die einzelnen Schritte der Folge leichter identifizieren. Die verbale Beschreibung des Markierens läßt auch ein umständlicheres Vorgehen zu, wie LCrs Bemerkung in (S 22) zeigt: bei einem mehrzeiligen Textabschnitt könnte das zeilenweise Nachfahren mit der Maus erforderlich sein. Das Markieren auf der Diagonale zwischen Anfangs- bis Endpunkt ist eine nicht selbstverständliche Vereinfachung. Das Verstehen des Prinzips einer Operation schließt auch eine umständliche Realisierung

656

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

mit ein. Derartige habitualisierte Aneignungsprozesse können zwar auch zum gewünschten Ziel führen, verlangen jedoch die sklavische Reproduktion undurchschauter Operationen. Genuines Computerwissen zeigt sich in LDis Frage nach alternativen Markierungsmöglichkeiten (S 26). LDi kennt als versierte Nutzerin eines CLI-Systems vielfältige Tastaturkommandos zur Markierung. Das Wissen um andere Realisierungen ist in eine Alternativfrage mit expliziter Verbalisierung der erweiterten Möglichkeit gepackt (mit der Tastatur machen). Das Markieren wird dagegen unter Bezug auf die eben durchgeführten Handlungen allgemein mit das […] machen verbalisiert. Spezifisches Computerwissen führt nicht notwendig zur Verwendung fachsprachlich präziser Begriffe. Diese Tendenz zeigt sich im gesamten Gespräch. Nur einmal wird mit ich setze einen Block (S 2) ein computerfachsprachlicher Ausdruck verwendet. Tastatur und Maus sind gemeinsprachliche EDVAusdrücke. Markierung und markieren werden als gemeinsprachliche Ausdrücke in ihrer allgemeinen Bedeutung auf ein Markierungsverfahren mit dem PC angewendet. Wie beim Markieren von Textstellen auf Papier wird sprachlich nicht zwischen der Benutzung eines Filzstifts oder eines Trockentextmarkers unterschieden. Die gemeinsprachlichen Ausdrücke sind angesichts der grafischen Repräsentation der manipulierten Objekte ohne weiteres verständlich. Der Trend zu allgemeinen Begriffen für computergestützte Textverarbeitung dürfte deshalb anhalten. Computereinweisungen sind dadurch geprägt, daß der PC im Unterschied zu anderen Geräten, deren Form auch funktionale Eigenschaften ausdrückt (z. B. Bleistift, Schreibmaschine usw.), verschiedenste Funktionen ohne klare Formdifferenzierung besitzt. Bei der Einweisung fertigen die Lernenden typischerweise Listen des schrittweisen Vorgehens an,

die stichwortartig die Operation und/oder das Resultat bezeichnen (s. Abb. 69.2). Bei DOS-Systemen muß der Benutzer eine Vielzahl undurchschaubarer Kommandos in der erforderlichen Reihenfolge eingeben. Die je nach Konfigurationsbedingungen notwendigen Modifikationen erfordern gewisse Detailkenntnisse des Betriebssystems. Dies erklärt vielleicht, warum Informatiker mit systematischen Computerkenntnissen noch bis Ende der achtziger Jahre eine Einweisung in ein Textverarbeitungssystem auf DOS-Systemen mit einer Unterweisung in das Programmieren beginnen wollten (s. Thormälen 1989). 3.3. Rekapitulieren Die im folgenden betrachtete Einweisung eines Informatikers in einen CLI-Texteditor liegt über zehn Jahre zurück. Der Benutzer arbeitet offensichtlich an einem intelligenten Terminal eines Mehrplatzsystems ohne GUI. Im betrachteten Ausschnitt soll der Lerner zuvor vermittelte Kenntnisse selbständig anwenden. Beispiel 69.2: dranschreiben IEr Instrukteur, Informatiker LFr Lerner, Informatiker, dessen praktische Erfahrungen längere Zeit zurückliegen. Programm: Editor EDOR von Siemens 2000 Das Beispiel basiert auf einem Transkript in Herrmann (1986, 255 f) ohne die dort in die Transkription integrierten Kategorisierungen; zur besseren Referenz auf einzelne Stellen wurden die Segmente anders angeordnet und numeriert (1) IEr Ja, was würdest du machen, wenn du hier unten etwas dranschreiben wolltest? (2) LFr Dann würde ich einfügen · · ,E‘, das schreiben wir mal hin · je nachdem, wieviel ich brauche, z. B. 20 Zeilen. (3) So, das könnte man jetzt auch mal hinschreiben. (4) Es ist immer gut, wenn man auch mal selber an die Tasten kann. Tippt

Abb. 69.2: Handschriftliche Notizen einer Wissenschaftlerin bei einer Einzeleinweisung in einen Transkriptionseditor für MAC-OS: Schriftänderung aktivieren / → Bearbeiten → Auswählen.

69. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in der modernen Arbeitswelt (5) (6) (7) IEr (8) LFr (9) (10) IEr (11) LFr (12) (13) (14) IEr (15) LFr (16) (17) (18) (19) (20) (21) IEr

(22) (23) LFr (24)

So. Wenn ich die Zeilen jetzt in die Datei schreiben will, dann muß ich jetzt ein Kommando eingeben. Nein, wenn du kein bestimmtes Kommando jetzt schreiben willst, dann drückst du einfach auf die DÜ-Taste. Ach so. drückt Plopp, was ist denn jetzt passiert? Jetzt haben wir erst mal mit der Antwortzeit zu kämpfen. So. Jetzt sind wir am Ende der Datei, komischerweise. Und da hast du gesagt, könnte man mit Minus wieder zurück. Ja. So. Plopp. Jetzt ist die Datei aber wieder kürzer geworden. Die zwanzig Dinger sind nicht alle da. Das ist ja irgendwie ulkig. Ich glaube nicht, daß das besonders genial ist. Du kannst beim Einfügen statt ,E‘ auch ,EZ‘ schreiben, dann zeigt er dir noch die letzte Zeile, dann hast du den Anschluß. Ist das nicht ein toller Service? Ja. Gibt es da irgendwie eine Art Orthogonalität zwischen den Kommandos, daß ,Z‘ immer ,Zeigen‘ heißt und daß man das beliebig kombinieren kann.

Die Gesamthandlung ist zyklisch gegliedert. Die Zyklen weisen eine typische Binnenstruktur mit schrittweisem Vorgehen auf, die für einfügen in Tabelle 69.3 dargestellt ist. (a) (1) (b) (2) (c) (3)⫺(5) (d) (6)

Bestimmung des Handlungsziels Planbildung Planausführung Resultatbeurteilung/Abschluß

Tab. 69.3: Ausführungszyklus

Die von IEr gestellte Aufgabe bewältigt LFr in drei Schritten: (a) Einfügen von 20 neuen Zeilen mit irgendeiner Texteingabe, (b) Daten in die Datei schreiben (sichern) und (c) in dem am Bildschirm angezeigten Text zurückblättern (der Text wird wohl mit fixierten Seiten angezeigt). Für jede Aktion muß der Benutzer das passende Kommando eingeben bzw. die passende Kommando-Taste drücken. Dies unterscheidet Beispiel 69.1 und 69.2. Der sachliche Zusammenhang zwischen der Kenntnis möglicher Operationen und den dafür erforderlichen Kommandos äußert sich in

657

konditionalen Sprachstrukturen und häufigem Gebrauch der Temporaldeixis jetzt: Wenn ich die Zeilen jetzt in die Datei schreiben will, dann muß ich jetzt ein Kommando eingeben. (S 6). Die Nutzung des PCs wird entscheidend vom aktuellen Systemzustand geprägt, der wiederum durch die Kommandos gesteuert wird. Der auf ein Kommando eintretende Systemzustand ist nicht hundertprozentig vorhersehbar und wird typischerweise mit jetzt zur Kenntnis genommen und eingeschätzt (S 9), (S 10), (S 12). Mit jetzt wird weiter auf die unmittelbar bevorstehende Handlung Bezug genommen, für die ein Handlungsplan entwickelt wurde. Die Arbeit am PC zerfällt in eine Folge von Zuständen und Kommandos zur Zustandsänderung, die jeweils neu fokussiert werden. Ein weiterer CLI-Effekt ist die gegenüber Beispiel 69.1 häufige Verwendung fachsprachlicher Ausdrücke (Einfügen), unter denen die Abkürzungen auffallen: E, EZ, DÜTaste. Gleichzeitig ist eine entgegengesetzte Tendenz zu umgangssprachlich saloppen Ausdrücken zu beobachten: Die zwanzig Dinger, wieder kürzer geworden, mal hinschreiben, Plopp. Das professionelle Wissen des Lernenden zeigt sich in der Frage nach der Orthogonalität der Kommandos (S 24). Orthogonalität ist in dieser Verwendung ein sehr spezifischer Fachterminus für das Verhältnis von Größen untereinander. Der Wahrig (1986/91) z. B. enthält nur das Adjektiv orthogonal mit der mathematischen Bedeutung rechtwinklig. Das populäre PC-Lexikon führt das Lexem gar nicht auf.

4.

Arbeitsorganisierung

Abschließend wird ein zufällig aufgezeichnetes Gespräch über die Organisierung eines Fremdsprachentestprogramms betrachtet. Es wird von der Sekretärin Hub unterbrochen, die eine Diskette mit Prüfungstexten übergibt und die Erledigung ausstehender Arbeiten bespricht. Der Transkriptionsausschnitt beginnt mit der Unterbrechung der Dienstbesprechung durch Hub, die mitteilt, daß zwei noch ausstehende Texte rechtzeitig fertiggestellt werden (S 5)⫺(S 13), (S 22)⫺(S 23), (S 30); dabei übergibt sie fertiggestellte Prüfungstexte auf Diskette (S 20). Die von Gri vorgeschlagene Beschleunigung der Datenübertragung per e-mail (S 34) lehnt Hub ab (S 35). Die Aufnahme gewährt einen Einblick, wie 1996 über die Büroarbeiten gespro-

658

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

chen wird, bei denen Computer eingesetzt werden. Beispiel 69.3: e-mail Hub Sekretärin für Slawistik, Dozentin Elb Hochschulassistentin Sch wiss. Hilfskraft, Testkoordinatorin Gri Hochschullehrer Thema: Arbeitsorganisierung Ort: Gris Zimmer Nebenbeiträge in den fortlaufend numerierten Segmenten, z. B. in Segment (19), wurden gelöscht (1) Hub Darf ich kurz dazwischen? (2) Elb Hmhm (3) Hub Ich muß nur kurz was erklären. (4) Ich (tipp) jetzt erstmal aus, ob [s] klappt. [mit neuem kyrillischem Font] (5) Ich hab Ilona nicht mehr erreicht. (7) Hub Ich hab auch keine Zeit mehr jetzt, noch länger zu warten, daß ich die erreiche. (13) Hub [Die] hätte sie natürlich faxen können, aber … [zwei weitere Texte] (14) Elb Die ist nicht zu dir runter gekommen? (15) Ne (16) Sch Dann fehlt nur noch Russisch. (17) Hub Und ich muß jetzt auch so langsam los. (18) Sch Genau (19) Hub (Also, ich hab [das] jetzt [da] gemacht). [übergibt Diskette mit Texten] (20) Hub Aber … (21) Elb Du sprichst mit Ilona noch, wegen der anderen zwei ( )? (22) Hub Ich ruf sie heute abend an, vielleicht kann sie [es] mir faxen. [Texte] (23) Dann tippe ich [es] Euch morgen. [Ilonas Texte] (24) Hub ((2 s)) Ne (25) Elb Ja, bis morgen [· · muß es sein, sonst ist es zu spät. [Tür geht mehrmals] (26) Hub Jaja, klar. (27) Elb Es wird sehr knapp], aber danke erstmal. (28) Hub Ne (29) Elb (Daß du da) schon … (30) Hub Ehm · · · Ich ruf morgen kurz durch, und frag, ob [das] wirklich funktioniert, ne? [die neuen Fonts] (31) Elb Alles klar. (32) · · Muß, muß, muß, muß. (33) Sch (Aber müßt Ihr ) (34) Gri Sonst würd ich sagen, mal mit e-mail probieren, ja. (35) Hub Aber ich trau den Dingern ja nicht. (36) Gri Doch!

Außer der expliziten Bezugnahme auf e-mail in (S 34) wird an keiner Stelle deutlich, daß

über die Arbeit mit Computern, Dateien und Disketten gesprochen wird. das (S 19) ist eine Diskette mit Prüfungstexten; tippe(n) (S 23) betrifft die Eingabe von zwei Texten; Dinger(n) (S 35) bezieht sich auf computergestützte e-mail im Uni-Netzwerk. Der Ausschnitt belegt, daß die PC-Benutzung bei der Erstellung und Bearbeitung eines Textes im Büroalltag nicht mehr eigens versprachlicht wird. Weder werden spezifische Vokabeln für eine Tätigkeit verwendet, die auch mit anderen Mitteln erledigt werden kann, noch werden allgemeine Vokabeln bei der Versprachlichung einer Tätigkeit am Computer durch einen speziellen Zusatz spezifiziert. Interessanterweise lehnt Hub die Nutzung von e-mail mit dem Emotionen ausdrückenden Verb trauen ab.

5.

Ausblick

Abschließend kann festgehalten werden, daß die Phase der Normalisierung der Computernutzung angebrochen ist. Kühns (1988) dreistufiges Prozeßmodell erweist sich auch für den untersuchten Bereich als nützlich. Das von Wichter (1991) noch als fachspezifisch berücksichtigte füttern für die Dateneingabe ist im untersuchten Bereich nicht belegt. Zusammen mit den Lochkarten, mit denen die Computer gefüttert wurden, dürfte es ebenfalls verschwunden sein. Während z. B. nach dem Verschwinden von Schreibmaschinen einspannen nicht mehr für das Einspannen von Papier benutzt wird, dürfte sich eingeben mit einer computerspezifischen Bedeutung etablieren. Über die im Grimm (1862, 184) aufgeführten vier Bedeutungen hinaus hat es mehr als hundert Jahre später (im Wahrig von 1980 noch nicht) die zusätzliche Bedeutung der Eingabe von Daten in einen Computer. Damit unterscheidet es sich von tippen, das derzeit nicht eindeutig die PC-Benutzung impliziert. Obwohl tippen und eingeben bei der Benutzung eines PCs nicht nur die Betätigung einer Tastatur, sondern auch die sachgerechte Nutzung des Textverarbeitungsgeräts voraussetzen, werden dafür nicht eigene fachsprachliche Begriffe verwendet. Die neue Technologie hat eine dem Kraftfahrzeug vergleichbare Integration in die Gemeinsprache erreicht (vgl. Jakob 1991), die Warnungen vor einer Anthropomorphisierung (vgl. Todesco 1992) scheinen unbegründet zu sein. Zu klären wäre noch die dauerhafte Rolle englischer Computer-Fachsprachausdrücke in der Gemeinsprache, für die in den Beispielen nur e-mail gefunden wurde.

69. Die Verwendung von Computer-Fachsprachen in der modernen Arbeitswelt

6.

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659

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660

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

Randow 1984 ⫽ Thomas v. Randow: Droge Computer. Das Ding, das spielt, nachdenkt, rechnet und die Zeit stiehlt. In: Zeit 5/84. Rehbein 1977 ⫽ Jochen Rehbein: Komplexes Handeln. Elemente zur Handlungstheorie der Sprache. Stuttgart 1977. Rehbein 1992 ⫽ Jochen Rehbein: Zur Wortstellung im komplexen deutschen Satz. In: Deutsche Syntax: Ansichten und Aussichten. Hrsg. v. Ludger Hoffmann. Berlin. New York 1992, 523⫺574. Rode 1984 ⫽ Ulrike Rode: Gefragt ist, wer mehr kann als nur tippen. In: Brigitte 8/84, 128⫺133. Rolvering 1988 ⫽ Pia Rolvering: Der Einstieg in das Abenteuer Computer aus der Sicht einer Sekretärin an der WWU. In: „Schöne Neue Frauenwelt“: Computer in Bildung, Beruf und Beziehungen. Hrsg. v. Sabine Heinig und Ilse Lenz. Münster 1988, 107⫺112. Schiersmann 1992 ⫽ C. Schiersmann: Geschlechtstypische Unterschiede beim Zugang zum Computer. In: Mädchen und Computer. Hrsg. v. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Bad Honnef 1992, 7⫺21. Schildhauer 1989 ⫽ Erich Schildhauer: Kommunikation beim Umgang mit dem Computer. Am Beispiel kooperativer Problemlösungsdialoge. Magisterarbeit. Hamburg (Germanisches Seminar) 1989.

kann der Personalrat tun? In: „Schöne Neue Frauenwelt“: Computer in Bildung, Beruf und Beziehungen. Hrsg. v. Sabine Heinig und Ilse Lenz. Münster 1988, 105⫺106. Thormälen 1989 ⫽ Klaus Thormälen: Bequemlichkeit ist Trumpf. In: RZ MEMO Universität Hamburg 3/89, 23. Todesco 1992 ⫽ Rolf Todesco: Technische Intelligenz oder Wie Ingenieure über Computer sprechen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1992. Wahrig 1980 ⫽ Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch. o. O. 1980. Wahrig 1986/91 ⫽ Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch. Gütersloh. München 1986/91. Wichter 1991 ⫽ Sigurd Wichter: Zur Computerwortschatz-Ausbreitung in die Gemeinsprache: Elemente der vertikalen Sprachgeschichte einer Sache. Frankfurt/M. u a. (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 17). Wöstenkötter 1988 ⫽ Annette Wöstenkötter: Mikroelektronik an der Universität ⫺ Ihre Einführung aus der Sicht einer Personalrätin (Nichtwiss. Personalrat). In: „Schöne Neue Frauenwelt“: Computer in Bildung, Beruf und Beziehungen. Hrsg. v. Sabine Heinig und Ilse Lenz. Münster 1988, 98⫺ 104.

6.3. Transkriptionen

Schwartz 1992 ⫽ Anja Schwartz: Das Softwarehandbuch als Handlungsanweisung. Am Beispiel von RagTime 3. Magisterarbeit. Hamburg (Germanisches Seminar) 1992.

310195/TechTalk/CW2/BiB, Sel. Münster WWU Sprachenzentrum 1996. 020796/TechTalk/email/Hub, Gri. Münster WWU Sprachenzentrum 1996. EDOR/Erklärungsgespräch. In: Thomas Herrmann: Zur Gestaltung der Mensch-Computer-Interaktion: Systemerklärung als kommunikatives Problem. Tübingen 1986, 243⫺259.

Schwarze 1988 ⫽ Barbara Schwarze: Mikroelektronik an der Universität: Wieviel oder wiewenig

Wilhelm Grießhaber, Münster

Schmitz 1995 ⫽ Ulrich Schmitz: Neue Medien und Gegenwartssprache. Lagebericht und Problemskizze. In: OBST 50/95, 7⫺51.

70. Die Verwendung von Institutionensprache in Ämtern und Behörden 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Ämter und Behörden als Institutionen Sprachliches Handeln in deutschen behördlichen Institutionen (Praxeogramm) Institutionensprache als schriftliche Kommunikation Institutionelle Materialität der Sprache Amtsdeutsch Mündliche Kommunikation auf Ämtern und Behörden Amtssprache Ausblick Literatur (in Auswahl)

1.

Ämter und Behörden als Institutionen

Ämter und Behörden ⫺ wohl in politisch-religiösen Institutionen (Ehlich/Rehbein 1979) entstanden ⫺ finden sich bereits im Beamtenstaat Hammurabis, im ägyptischen und im römischen Reich, in der mittelalterlichen katholischen Kirche, als Hofämter des karolingischen Frankenreichs. Politische Institutionen können wechseln, Verwaltungsstrukturen

70. Die Verwendung von Institutionensprache in Ämtern und Behörden

jedoch kontinuieren, wie die Übernahme römischer Verwaltung durch die germanischen Eroberer (Schlosser 1971) ebenso zeigt wie die der byzantinischen Verwaltung durch die Osmanen und deren Vorbildrolle für den Zarismus. Die Wortgeschichte ist unterschiedlich: Während sich ,Behörde‘ im heutigen Verständnis von Zuständigkeit (Kompetenz) aus der seit Mitte des 17. Jh.s in der Kanzleisprache bezeugten Wendung an behörigen Ort herleitet (Pfeifer, 1993, 113), enthält ,Amt‘ (wie die Ableitung ,Beamter‘) mit der auf das keltische Lehnwort ambactus (Caesar) zurückführbaren Bedeutung ,Vasall, Dienstmann‘ immer schon Dienst als Verpflichtung (politisch und kirchlich), heute im Zusammenhang damit auch das Dienstgebäude und den territorialen Dienstbereich (RGG 1957, Sp. 337⫺38; Kroeschell 1971; zur Sachgeschichte von ,Amt‘ s. Willoweit 1986, 81 f).

Ämter und Behörden in der heutigen Form entwickelten sich in den territorial gebundenen europäischen Nationalstaaten unter wechselseitigen Einflüssen. „Bei den fürstlichen Räten stoßen wir beispielsweise in der Mark Brandenburg zum ersten Male im Jahre 1348 auf einen Juristen als Kanzler. Insgesamt kann man … sagen, daß in den Territorien erst seit der Mitte des 15. Jh. die Kanzleien mit gelehrten weltlichen Juristen besetzt waren, die zumeist die Ausbildung noch immer in Italien erhalten hatten. Die Kanzlei wurde der Ort, an dem sich die Umschmelzung des italienisch geborenen Juristenstandes in das deutsche Beamtentum vollzog. … Das … ,Juristenmonopol‘ der deutschen Verwaltung hat eine seiner Wurzeln im akademischen Rechtsunterricht der oberitalienischen Städte.“ (Hattenhauer 19932, 31)

In Deutschland haben sich staatliche Verwaltungen weniger aus der relativ schwachen Zentralgewalt des mittelalterlichen Kaiserreiches, als aus den Kanzleien der feudalen Kleinstaaten und den städtischen Verwaltungen entwickelt; sie haben die deutsche Sprache bis in systematische Züge hinein nachhaltig geprägt (vor allem durch schriftsprachliche Formen; s. Wagner 1972; Grosse 1981). Der Entwurf von französischer Aufklärung und Revolution, nach dem Behörden und Ämter wie andere Institutionen erstmals im Dienst der bürgerlichen Republik mit gesellschaftlich verallgemeinerten Aufgaben stehen (Saint-Just 1795; Ehlich/Rehbein 1994), dürfte im 19. Jahrhundert nicht zuletzt unter napoleonischem Einfluß auf das preußische Verwaltungswesen gewirkt haben, wobei die „Durchsichtigkeit der französischen Verwaltung … in ihrer zentralistischen Rationalität

661

zum Vorbild“ wurde (Hattenhauer 19932, 176), gepaart mit den sprachlich-kommunikativen Idealen „Würde“, „Effizienz“, „Sprachrichtigkeit“, „Deutlichkeit“ und „Kürze“; das der „Sprachverständlichkeit für alle“ wurde „aber z. B. schon von Savigny und der Historischen Rechtsschule in Frage gestellt“ (Steger 1989, 126). Verwaltung hat sich mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung erweitert: „Behörden waren um 1800 kleinste Einheiten, oft nur aus einem Amtsträger und wenigen Hilfskräften bestehend … Außer dem Akten- und dem Rechnungswesen war die Büroorganisation … durch wenige Richtlinien zu steuern. Unmittelbare Anordnung im Einzelfall und das Festhalten des Geschehens in Schriftstücken genügten … Der gewaltige Umschwung durch Industrialisierung, Technisierung und das Anwachsen der Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jh. mit dem Wandel öffentlichen Verwaltens vom ordnenden zum gestaltenden und fürsorgenden Staat brachte auffällige Veränderung in der Organisation … [Die moderne Büroorganisation] liegt als Auswirkung der Totalität des neuzeitlichen Staates in der Phase der Kriegswirtschaft nach 1916.“ (Laux 1987, 1081 f).

Während für Max Weber (1922) Verwaltungen allgemein als „Bürokratien“ vor allem Herrschaftsaufgaben erfüllen und in dieser Konzeption einen bestimmten Typus, den Beamten als Staatsfunktionär, geprägt haben (s. auch Gehlen 1950; Albrow 1972 u. a.), dürfte in der Hegelschen die staatsrechtliche (1830, § 537 ff), in der Marxschen (1843) die gesellschaftliche Funktion der „Bürokratie“ im Vordergrund stehen. Ämter und Behörden als Institutionen der Verwaltung (Ehlich/Rehbein 1979) zu verstehen, bedeutet, sie nicht als Systeme (Luhmann 1971) oder allgemeiner als Organisationen (Merton 1952; Giddens 1986 mit soziologisch-handlungstheoretischem Anspruch) zu betrachten, sondern als funktionale Handlungskomplexe, die mittels eines je spezifischen Ensembles mentaler, aktionaler und interaktionaler Handlungen ihren Zweck realisieren. Der Zweck von Verwaltung, arbeitsteiliges Handeln verschiedener Aktanten innerhalb eines bestimmten Raums zu koordinieren, zu kontrollieren und Wissen zu bewahren (Rehbein 1977), besteht in nahezu allen Institutionen von Konsumtion, Zirkulation und Produktion, keineswegs allein in den politischen. So verfügen beispielsweise auch die medizinische Versorgung, Betriebe (als Kontore; vgl. Rehbein 1977), Schulen und Hochschulen, Kirchen, Banken usw. über das Institut der Verwaltung ⫺ Institut deshalb, weil

662

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

es in Institutionen ubiquitär funktionalisiert wird. In Behörden und Ämtern haben sich die Institute zu Institutionen mit staatlicher Bindung verselbständigt. ⫺ Als Institutionen des Staates sind Ämter und Behörden mit Hoheitsrechten ausgestattet. „Nach innen“ gibt es Bundesbehörden (Ministerien), Landesund Kommunalbehörden, „nach außen“ die Behörden in den diplomatischen Vertretungen, wobei Behörden in Ämter und diese in Dienststellen gegliedert werden (Nordsieck 1949, 22) ⫺ insgesamt Subinstitutionen. Es läßt sich von einer multiplen Differenzierung der Behörden nach Aufgabenbereichen sprechen, in die politische, rechtliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Prozesse eingehen, mit dem Resultat einer zunehmenden fachsprachlichen Spezialisierung der behördlichen Kompetenzbereiche. (So finden sich beispielsweise auf Landesebene unter Baubehörde neben der Zentralverwaltung folgende Ämter: Baurechtsamt, Amt für Bauordnung und Hochbau, Amt für Wohnungswesen, Vermessungsamt, Tiefbauamt, Amt für Verkehr, Amt für Wasserwirtschaft, die meisten mit weiteren Dienststellen, usw.) Als Institutionen verfügen Ämter und Behörden über ein Personal mit komplexem Tätigkeitsprofil, die Agenten der Institution (auch: Sachbearbeiter); ihnen stehen die Klienten, gesellschaftliche Handlungssubjekte (Bürger, aber auch Institutionen) gegenüber (vgl. Ehlich/Rehbein 1977; 1980; 1986; 1994; Redder 1983). Agenten und Klienten werden als Aktanten zusammengefaßt. Während bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jh. die Klienten der Behörden nach obrigkeitsstaatlichem Verständnis als Objekte des Verwaltungshandelns behandelt wurden (im Amtsstil des 19. Jh. (s. Schill 1911)), werden durch die wachsende Erfordernis von Kooperation der Klienten und durch das im Zusammenhang damit wachsende demokratische Bewußtsein (Rupp 1978) diese selbst und ihre sprachliche Kommunikation mit der Behörde zum Thema. Aber auch behördenintern werden die Tätigkeiten zunehmend als sprachlich-kommunikative begriffen. ⫺ Nicht zuletzt kommen die Behörden selbst dem Bedarf nach Kooperation mit der Einrichtung kommunikationsintensiver Beratungsstellen entgegen (s. u. 6.).

2.

Sprachliches Handeln in deutschen behördlichen Institutionen (Praxeogramm)

Die Institutionensprache hat sich im Zusammenhang der Handlungen herausgebildet,

mit denen von den Aktanten der institutionelle Zweck realisiert wird ⫺ so die These. Die Institutionensprache wird hier also handlungsfunktional betrachtet. Für die Beschreibung der Handlungen, deren Ensemble die Institution ausmacht, verwende ich die Darstellungsform des Praxeogramms (vgl. Ehlich/Rehbein 1972; Rehbein 1976; Seibert 1981), in das die einzelnen Handlungen als funktionale Einheiten (Pragmeme) eines Gesamtablaufs sowie die Handlungslinien der Agenten (Sachbearbeiter) und der Klienten (Bürger) sowie die verwaltungsinternen und -externen Bereiche und die gesellschaftliche Realität mit ihren Veränderungen eingetragen werden (vgl. Abb. 70.1). Zu unterscheiden sind historische Vorgeschichte und institutionelle Vorgeschichte. Die historische Vorgeschichte betrifft die sozialgeschichtliche Genese und Entwicklung einer Behörde, die institutionelle Vorgeschichte betrifft die Herausbildung der aktuellen gesellschaftlichen Funktion(en) einer bestimmten Behörde aufgrund der gesetzlichen, verwaltungsrechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt aufgabenbezogenen Wirkungszusammenhänge. In der institutionellen Vorgeschichte einer Behörde wird die gesellschaftliche Realität in normierten Handlungsplänen zum Zweck gesellschaftlicher Kontrolle und Vorsorge erfaßt: Verordnungen und Satzungen unterliegen dabei dem Einfluß der juristischen (Gesetzestexte) und politischen (Richtlinien) Institutionen; Dienstanweisungen, Erlasse, Geschäftsordnungen usw. regeln die Tätigkeiten der Agenten (zur Fachsprache dieser Texte s. Seibert 1977; Fuchs-Khakhar 1987). Die verwendete Fachsprache hat sich historisch entwickelt (zu den Rechtstraditionen s. Stickel 1984; Schmidt-Wiegand 1972; 1977; Hattenhauer 1987). Die durch die Handlungspläne Betroffenen bilden quantitativ offene Adressaten-Gruppen (potentielle Klienten) (Lüdenbach/Herrlitz 1981). Mit der schriftlichen Vertextung tritt eine Verfestigung behördlichen Handelns in der Erfassung der Realität und damit eine Tendenz zur Verselbständigung bis hin zum Widerspruch mit der Realität insofern ein, als einmal bestehende Bestimmungen eher exekutiert, denn neuen gesellschaftlichen Bedürfnissen adaptiert werden. Gleichwohl sind auch Ämter und Behörden als gesellschaftliche Apparate ihrerseits in komplexe gesellschaftliche Handlungszusammenhänge eingebunden, in denen sie einen (für Agenten und Klienten) standardi-

70. Die Verwendung von Institutionensprache in Ämtern und Behörden

Abb. 70.1: Praxeogramm behördlicher Institutionen

663

664

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

sierten Handlungskomplex als Station darstellen. Die Agent-Agent-Kommunikation, gekennzeichnet durch die hoheitliche Barriere mit Amtsgeheimnis, ist in einem Hyperpragmem (Ehlich/Rehbein 1972) zusammenfaßbar, innerhalb dessen sich das institutionelle Handeln in die Sachverhaltsrekonstruktion und den eigentlichen Verwaltungsakt gliedert. Dieses Handeln beginnt, wenn ⫺ Klienten von sich aus Kontrollhandlungen der Behörden nachkommen (sich Ummelden) oder Bedürfnisse in Anträgen etwa auf Wohngeld, (Vor-)Anfragen (Bauantrag) usw. schriftlich (Postweg) geltend machen. ⫺ Verstöße gegen Verordnungen (z. B. Nichtanmelden beim Einwohnermeldeamt, Steuerhinterziehung, nichtvorschriftsmäßige Bebauung, Verwahrlosung von Kindern) bzw. Bedürfnisse (z. B. neue Verkehrswege) von der Behörde wahrgenommen werden (Kenntnisnahme, Anzeige durch Dritte); sie werden in einem Protokoll oder Bericht erfaßt. ⫺ beim mündlichen Vorsprechen der Klienten bei der Behörde (Sprechstunden) schriftliche Angaben in Formulare eingetragen werden (anders bei der Beratung, s. u. 6.).

Resultat dieser Kontakte ist die Adaptation der Bedürfnisse und Verstöße an die Sprache der Institution und ihre Rekonstruktion als behördlicher Sachverhalt (⫽ behördliche Kategorisierung; Konstruktion: Cicourel 1968; Deutungsschema: Gloy 1981; Fallsubsumtion: Stickel 1981; Zuordnung zu einem Verwaltungsprogramm: Lüdenbach 1984), unter Rückbezug auf Satzungen, Verordnungen usw. Mit der Sachverhaltsrekonstruktion sind die weiteren Entscheidungswege vorstrukturiert. Im eigentlichen Verwaltungsakt (Eintritt in das Hyperpragmem), der nicht mehr ohne weiteres für die Klienten zugänglich ist, wird der Sachverhalt als Akte angelegt (Aktenzeichen) und als Vorgang geführt (Kolodziej o. J.; Nordsieck 1949; Kubsch 1970; Seibert 1981). Die Akten werden in einem in jeder größeren Behörde eigenen Institut, der Registratur, deponiert. Dabei erweist sich die Klassifikation (Katalogisierung) als konstitutives Ordnungsmerkmal der Akte (linguistisch-dokumentationswissenschaftlicher Aufgabenbereich; Computerlinguistik, Datenbanken). Akten und Akten-Archive sind als mediale Wissensträger Hauptbasen für das Amtsgeheimnis. Jedoch wird anderen Behörden (Amtshilfe) und auch Klienten Akteneinsicht gewährt. Bei der weiteren Bearbeitung wird der Sachverhalt mit Verordnungen, verwaltungs-

rechtlichen Bestimmungen (vgl. Kopp 19966) und dem Budget (Rechnungswesen) abgeglichen; weitere Erkundigungen werden im Aktenvermerk festgehalten. Der Entscheidungsprozeß als Kern des Verwaltungsakts wird durch einen Instanzendurchlauf, auch in Besprechungen (Agent-Agent-Kommunikation verschiedener Agententypen), abgesichert; Agenten in Leitungsfunktion, z. B. Dezernenten, übernehmen die Verantwortung für die Richtigkeit der Entscheidung, indem sie sie abzeichnen (mit Datum), was wiederum zu bestätigen ist ⫺ alles Akte der institutionellen Beglaubigung einer schriftlichen Textversion. Innerhalb der Verwaltung kann der Vorgang in Ausschüsse (Agent-AgentKommunikation) ausgelagert werden. Als Entscheidungshilfe werden Gutachten (innerund außerbehördlich) eingeholt. Das Ergebnis des Entscheidungsprozesses führt zu einem Beschluß (nicht: Entschluß) über die zu treffende Maßnahme. Ohne Entscheidung entsteht ein Nicht-Handeln. Die Maßnahme wird in der Aktenverfügung als interner Abschluß des Verwaltungsakts „zu den Akten genommen“. In der Maßnahme werden Handlungen zur Regulierung der Bedürfnisse bzw. Verstöße in der Wirklichkeit festgelegt. Die Ausführung der Handlungen kann folgendermaßen modalisiert (Ehlich/Rehbein 1972 a) werden: ⫺ Die Adressaten dürfen (Erlaubnis), dürfen nicht (Verbot), sollen (Gebot/Auftrag) die Handlungen ausführen/unterlassen. ⫺ Die Behörde wird die Handlungen tun/unterlassen (Ankündigung).

Die Maßnahme wird zusammengefaßt, autorisiert und den Klienten als schriftlicher Bescheid zugestellt (s. u. 4.), wodurch die Modalisierung der auszuführenden Handlung in Kraft tritt. ⫺ Die Behörde kann selbst einen Antrag an eine andere Instanz stellen (so etwa das Jugendamt an das Vormundschaftsgericht). ⫺ Da die Ausführung der Maßnahme die Kooperation selbständig handelnder Subjekte (seien es Personen oder Institutionen) erfordert, ist für die klientenseitige Rezeption des Bescheids die Übernahme der Nachgeschichte aufgrund des Verstehens essentiell und zugleich ein Problem fachexterner Kommunikation (vgl. Möhn 1979; ein Teil der Arbeiten in Radtke 1981 thematisiert das Problem des Verstehens amtlicher Texte; die Schriftform vertexteten Fachwissens wirft immer schon Probleme des Verstehens und der Verständlichkeit auf: s. den Sammelbe-

70. Die Verwendung von Institutionensprache in Ämtern und Behörden

richt von Albrecht 1986). In positiven Anschlußhandlungen erfolgt die Ausführung, in negativen wird Widerspruch bei der Behörde selbst oder Widerspruch, Petition, Beschwerde usw. bei anderen Institutionen (Instanzenweg) eingelegt. Bei Nichtakzeptierung reagiert die Behörde mit gestuften Sanktionen bis hin zur Vollstreckung. ⫺ Die Behörde kann, „anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde.“ (§§ 54⫺58 VwVfG). Diese Textart vermittelt dann nicht zwischen Agent und Klient.

3.

Institutionensprache als schriftliche Kommunikation

Der Gesamtablauf der Tätigkeiten, Diskurse und Denkprozesse in der Behörde beruht essentiell auf schriftlichen Texten (Becker-Mrotzek/Ehlich/Fickermann 1992), auch der Verkehr zwischen Agenten und Klienten (Augst 1981). Während nun Texte allgemein auf die Flüchtigkeit der Sprache (Diskurs) antworten, indem sie zur Überbrückung der „zerdehnten Sprechsituation“ (Ehlich 1983; 1984; 1994) zwischen Autor und Leser alle relevanten Elemente der Sprechsituation so versprachlichen, daß ihre Rezeption zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist, findet sich in amtlichen Texten die Sprechsituation nur rudimentär verbalisiert. In der schriftlichen Kommunikation der Behörde werden weniger zerdehnte Sprechsituationen aneinandergereiht (Hanna/Liedtke 1994), als Stationen schriftlicher Kommunikation durchlaufen (vgl. gepunktete Pfeile in Abb. 70.1). Die (hauptsächlich) schriftlichen Textarten von Ämtern und Behörden, deren Benennungen nur scheinbar alltagssprachliche Bedeutungen haben und die unter linguistischen Gesichtspunkten kaum erforscht sind, lassen sich in institutionsinterne und institutionsexterne unterscheiden, letztere wiederum in agentenadressierte und klientenadressierte; im folgenden werden einige exemplarisch genannt: (1) institutionsinterne Textarten Gesetzestexte (dazu s. Busse 1992), Verordnungen, Satzungen, Erlasse u. ä. dienen als Bezugstexte, die politisch und gesetzlich normierte Handlungspläne in schriftlicher Form fixieren, wobei die Äußerungsseite der Formulierung (Bührig 1996) die Größe darstellt, auf die durch wörtliches oder „sinngemäßes

665

Zitat“ sowie mittels Abkürzungen, Paragraphen-, Absatz- und Satzangabe Bezug genommen wird (s. 5.1.). ⫺ In Berichten werden vergangene Vorgänge nach in anderen Texten verbalisierten Kriterien für die Gruppe der Agenten begrifflich und zusammenhängend geordnet (vgl. Hoffmann 1984; Rehbein 1980; 1984; 1988); ähnliche Zwecke haben Protokolle von Sitzungen, Ortsterminen, Enteignungsverfahren u. dgl. Bei beiden Textarten werden für die Rezeption Kenntnisse behördlicher Fachkategorien vorausgesetzt. ⫺ Gutachten, bei Entscheidungsdefiziten angefordert, liefern Stellungnahmen eines „Sachkenners“ (Linhart 1996), also Wissen vom Strukturtyp Einschätzung (Ehlich/Rehbein 1977), das normalerweise im Verwaltungsakt nicht verbalisiert wird, nichtbehördliches Fachwissen und Ratschläge, Berichte. ⫺ (Verwaltungs-)Gliederungspläne ordnen das faktische Agenten-Personal den vorgesehenen Stellen zu und formulieren spezielle Aufgaben der Sachbearbeiter (vgl. Nordsieck 1949, 22). (2) institutionsexterne schriftliche Kommunikation Andere Arten schriftlicher Kommunikation leisten eine Transformation alltagssprachlichen Wissens in professionelles und umgekehrt. (2.1) agentenadressierte klientenseitige schriftliche Kommunikation Ein Formular (Grosse/Mentrup 1979; Lüdenbach 1984) hat als Textart die Struktur einer Liste, auf der sich die Klienten mittels Angaben/Ankreuzen (Helbig 1980) unter die an den Leerstellen fixierten Kategorien (Kodierungen) der Behörde subsumieren (Gülich 1981: „ein standardisierter schriftlicher Dialog“; Becker-Mrotzek 1992: „ein verschriftlichter Diskurs“). Die meisten Formulare versuchen, die Fachsprache durch Erläuterungen (cf. Rehbein 1995 b) an das Vorwissen der Klienten anzupassen. Bisweilen geschieht die Erläuterung diskursiv durch die Sachbearbeiter (vgl. dazu Becker-Mrotzek/Fickermann 1989). ⫺ Stellen Klienten einen Antrag (Linhart 1975) oder richten an die Behörde Anfragen, Eingaben usw., kategorisieren sie ihre Bedürfnisse mit alltagssprachlichen Mitteln, jedoch unter Antizipation der behördlichen Kategorisierung; in Anlagen werden sie erläutert, belegt usw. Schriftliches Mittel ist das Formular oder der formlose (⫽ nichtkategorisierte) Text. ⫺ Mit Erklärungen (Zollinhaltserklärung, Steuererklärung, eidesstattliche Erklärung, usw.) werden Sachverhalte für die

666

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

Behörde verbindlich festgestellt, in Formularen oder formlos. ⫺ Der Widerspruch operiert auf einer Verwaltungsentscheidung (für authentische Beispiele s. Schultz 1992; als Kette von Mustern s. Becker-Mrotzek/Fikkermann 1989). (2.2) klientenadressierte agentenseitige Textarten Die Hauptemissionsstellen klientenadressierter Textarten liegen ⫺ systematisch gesehen ⫺ nach dem eigentlichen Verwaltungsakt. So gibt es Hauswurfsendungen, Amtliche Bekanntmachungen usw., in denen die Bevölkerung bzw. eine Gruppe als ganze adressiert wird; sie sind sprachliche Handlungen vom Typ Ankündigung (vgl. Rehbein 1981); Merkblätter beraten (s. u. 6.) demgegenüber. Weitere Textarten: Bescheinigungen, Kostenrechnungen. ⫺ Bescheide (Linhart 1996; Büter 1981; Büter/Schimke 1993) teilen den Klienten die Maßnahme mit. Sie müssen den Bezug auf die normativen Texte sicherstellen, sind aber so zu formulieren, daß die Klienten als Folgehandlung die Maßnahme ausführen. Man unterscheidet Mahn-, Bewilligungs-, Rentenbescheid, Kostenfestsetzungsbescheid, Baugenehmigung, Planfeststellungsbeschluß usw. Die unterschiedlichen Gehalte erklären auch die Bestimmungswörter in den mit -bescheid zusammengesetzten Titeln (s. 5.). Ein Bescheid enthält als propositionalen Gehalt eine Zusammenfassung des Beschlusses (⫽ „Tenor“), versprachlicht die Illokutionen von Erlaubnis, Verbot, Gebot und/oder Auftrag oder Ankündigung, die „kraft des Amtes“ schriftlich autorisiert werden. Außerdem: Erlaßformel (es ergeht folgender Bescheid), Nebenbestimmungen, Erläuterungen und Rechtsbehelfsbelehrung (Stickel 1981).

4.

Institutionelle Materialität der Sprache

Ein zentrales Charakteristikum der Institutionensprache von Ämtern und Behörden ist ihre Schriftlichkeit (allgemein dazu s. Ehlich 1994) mit vor allem zwei Dimensionen: (1) als Medium behördlicher Texte wirkt sie auf die Sprache dieser Texte (s. 5.); (2) als materieller Wissensträger ist sie hinsichtlich dreier unterschiedlicher Zwecksetzungen ausgebildet (Wassermann 1980; Stickel 1984; Pankoke/ Nokielski 1977): (1) Speicherung des Wissens: Akten sind Sammlungen aller einen Vorgang betref-

fenden Informationen wie Schreiben, Anträge, Aktenvermerke, Beschlüsse, Randnotizen, Formulare, Verwaltungsvorgänge usw. (Kolodziej o. J.). Die Akte „spiegelt den formalen Gang [des Vorgangs] wider; … interessant ist jedoch, welche Teilschritte die Akte belegt und welche in ihr fehlen“ (Seibert 1981, 32/ 33). Somit stellt die Akte das ⫺ wenn auch fragmentarische ⫺ institutionelle Gesamtgedächtnis dar. (2) Reproduktion des Wissens: Für behördliche Schreiben gibt es die Urschrift (die zur Akte kommt), die erste Ausfertigung (für den Klienten) sowie Abschriften/Ablichtungen mit Erst- und Zweitschrift, Entwurf, Reinschrift und Abdruck. ⫺ Angaben, die den Reproduktionsstatus eines Dokuments festlegen, sind Belege und Urkunden. (3) Materielle Autorisierung des Wissens: Sie geschieht semiotisch mittels Briefkopf; Behandlungsvermerken, Unterschrift, Dienstsiegel (Linhart 1996) u. a. und verleiht dem jeweiligen Papier die Qualität eines Trägers institutionell gesicherten Wissens.

5.

Amtsdeutsch

5.1. Applikative Vertextung Grundlegend für den sprachlichen Stil der Behörde, der als Amtsdeutsch (Bloch/Rohr 1922 mit Dokumenten; Esser 1961), Behördensprache (Ickler 1982), Amtssprache (Fuchs-Khakhar 1987 zu verschiedenen Bezeichnungen dieses Stils; zur Ähnlichkeit mit der juristischen Fachsprache s. Seibert 1977), als bürokratisch, papieren usw. qualifiziert wird, ist, daß sich Verfasser amtlicher Texte auf bereits verschriftlichtes Wissen beziehen. Diese Bezugnahme ist nun eingehender zu charakterisieren. Die Herstellung eines amtlichen Textes ist kaum vom Typ Verfertigung der Gedanken beim Reden. Vielmehr wird jeweils Wissen reverbalisiert, das bereits in Verordnungen, Richtlinien, Gesetzestexten, Erlassen usw. in Schriftform vertextet vorliegt (: vorgängige Schriftversion in der institutionellen Vorgeschichte der Verwaltungsakte). So weist Steger (1989, 127) darauf hin, daß „in jeder Verfahrensstufe eines institutionellen Handlungskomplexes [sc. der Verwaltung] … der sprachlich formale Bezug durch wörtliches Zitat, enge Paraphrasierung (vgl. Formular-

70. Die Verwendung von Institutionensprache in Ämtern und Behörden

667

Abb. 70.2: Pragmatisches Wissensmodell der Verwaltungssprache

bücher) oder Querverweise möglichst direkt gehalten“ werde. Genauer betrachtet, wird in den vorgängigen Schriftversionen die Realität typenhaft erfaßt und kanonisch-normativ an Phrasen, Wortgruppen, Ausdrücke, kurz, an die äußere Sprachform gebunden. Beim Abruf für die jeweiligen propositionalen Gehalte der neuen Texthandlungen interessiert nun aber nicht die wörtliche Repetition von Äußerungsakten im direkten Zitat, sondern die Nutzbarkeit der propositionalen Elemente, insbesondere der darin verbalisierten Wissenselemente, unabhängig von subjektiven Formulierungen. Bei ihrem erneuten „Einbau“ werden die Wissenselemente der vorgängigen Schriftversion zu komplexen Bausteinen, die aus unterschiedlichen Texten stammen, deren Textcharakter zugleich eben dadurch fragmentarisiert wird. Bei der Verwaltungssprache spreche ich deshalb von einer applikativen Vertextung, die weniger reformulierende Vertextung (Bührig 1996) ist, die auf verstehender Rezeption beruht und bei der Wissen leserseitig adaptiert wird; ebensowenig ist sie ein zitierendes Handeln (Grießhaber 1987), bei dem ein ⫺ im Unterschied zum authentischen Handeln ⫺ institutionell deformierter Zweck die mentalen Tätigkeiten beeinflußt. In der applikativen Vertextung werden vielmehr die Wissenselemente so organisiert, daß die Sachverhalte der außersprachlichen Wirklichkeit allein durch ein vorgängig fixiertes Wissen vermittelt werden. Die Verwaltungssprache ist also nicht auf Sachverhalte und deren Kenntnis (Augst 1981), sondern auf bausteinmäßig ab-

rufbares, präformuliertes Wissen bezogen. Diese Bindung des Wissens an die Formseite der Sprache drückt sich u. a. in einer reichen Morphologie aus, in der systematische Qualitäten des Deutschen (wie die Aspekte in Vorund Endsilben) sowohl sprachgeschichtlich reaktiviert als auch innovativ geprägt (Wortbildung) und für den jeweiligen Texteinbau funktionalisiert werden. Der Institutionensprache von Ämtern und Behörden liegt damit eine spezifische Relation von Wirklichkeit, Wissen, Schriftform und Text zugrunde, die sich etwa so beschreiben läßt (vgl. Abb. 70.2): Die Sachverhalte der gesellschaftlichen Wirklichkeit sind in ihren typischen Strukturen (Ptyp) vorgängig in einem normativ gesetzten Wissen erfaßt, das in einem schriftlichen Text gebunden wird {p → p∧p} (⬃ assertive Verkettung propositionaler Gehalte). Tritt ein neuer Sachverhalt (Pi) auf ⫺ auch dieser zumeist in Schriftform als Antrag, Formular, Protokoll usw. ⫺, wird das in Schriftform vorliegende normative Wissen auf das aktuelle Wissen (P) appliziert ({p → p} —왘 P), das seinerseits bei der neuen Vertextung als Instanz des normativen Wissens erscheint. Dieses applikative Verfahren erhebt die vorgängig versprachlichten Wissensausdrücke zu einem transtextuellen Bezugssystem (Raible 1981), das als solches den fachsprachlichen Effekt eines amtlichen Textes ausmacht. Obwohl oft Adressaten der Applikation, verfügen Klienten-Leser kaum über einen Zugang zu der applizierten Schriftform des Wissens. Versuche, Behördentexte an das Alltagswissen zu adaptieren,

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IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

ändern an der Herkunft des verwendeten Fachwissens aus einer schriftlich gebundenen Form wenig. Nicht-applikative Analogiebildungen der Alltagssprache werden jedoch sprachkritisch/sprachpflegerisch seit langem getadelt (z. B. schon Schill 1911). Die Schriftform fixiert das Wissen als unverhandelbares Resultat, so daß in der Behördensprache keine emergente Erfahrung, also kein partikuläres Erlebniswissen (das kaum in versprachlichter Form gegeben sein dürfte; vgl. Ehlich/Rehbein 1977), und auch keine Wissensprozesse verbalisiert werden, vielmehr Wissensstrukturtypen mit generalisierten Wissensträgern. Das Wissen in Schriftform verleiht der Behördensprache eine spezifische Kondensierung im propositionalen Bereich und erklärt auch den Eindruck von Formelhaftigkeit und Starrheit amtlicher Schreiben. Die (permanente) Verarbeitung der Konstellation und des Sprecher-Hörer-Zusammenhangs geschieht im mündlichen Diskurs. Die Charakteristika der Behördensprache sind dagegen durch die nahezu komplette Substitution des Diskurses durch den schriftlichen Text gekennzeichnet. Diese schlägt sich in der Eliminierung konstellationsbezogener und personenbezogener Feldcharakteristika sprachlicher Prozeduren, deiktischer und expeditiver, und ihrer Substitution durch konstellationsunabhängige, symbolische, sowie die äußere Sprachform auf Wissen beziehende, operative, nieder. In Anlehnung an Bühler (1934) werden sprachliche Formen als Werkzeuge („Feldgeräte“) sprachlichen Handelns verstanden, die charakteristische „Prozeduren“ ausführen. Das Funktionspotential einzelner Prozeduren wird in der Funktionalen Pragmatik, wiederum in Anlehnung an Bühler, als Feldcharakteristik verstanden. Bühlers ursprüngliche Einteilung der Sprache in die zwei Felder Zeigund Symbolfeld wurde von Ehlich (1986; 1991) um drei Felder erweitert: das „operative Feld“, das „Lenkfeld“ und das „Malfeld“; sprachliche Ausdrücke, die sich von ihrer Funktion her einzelnen Feldern zuordnen lassen, sind Ausdrücke des ,Symbolfelds‘ mit ,nennenden Prozeduren‘, des ,Zeigfelds‘ mit ,deiktischen Prozeduren‘, des ,Operationsfelds‘ mit ,operativen Prozeduren‘, des ,Lenkfelds‘ mit expeditiven Prozeduren und des ,Malfelds‘ mit ,malenden Prozeduren‘.

5.2. Propositionaler Bereich (1) Veränderung des Symbolfeldes (1 a) Nominalisierung: Die Nominalisierungstendenz des Verwaltungsdeutsch wurde ⫺ mit unterschiedlicher Bewer-

tung ⫺ von vielen Autoren beschrieben: Korn (1959); v. Polenz (1963); Wagner (1972); Stickel (1984) u. a. In der Nominalisierung wird die symbolisch benannte Handlung zu einem festen Begriff, der kontextfrei repetierbar ist; dabei greifen operative Prozeduren auf den Symbolfeldkern zu und markieren das typenhafte Wissen an ihm, so die Vorsilben Ver-, Be- bzw. Endsilben -ung, -nahme etwa in Verbeamtung, Bezuschussung, Inangriffnahme. Die operative Prozedur qualifiziert den nominalisierten Symbolfeldausdruck aspektuell. (1 b) Zusammengesetzte Nomina: Die Zusammensetzung von Nomina führt nach Rupp (1978) zur Komprimierung komplexer Sachverhalte. Das klassische Beispiel Verkehrsteilnehmer (Korn 1959; Fuchs-Khakhar 1987) ist „entindividualisiert“, da eine verallgemeinerte Bezeichnung für Gesellschaftsmitglieder gefunden werden muß, an die die Verkehrsvorschriften adressiert sind. Hierher gehört auch die Zusammensetzung mit nominalisierten Infinitiv-Konstruktionen: Leistungsnacherbringungspflicht statt Pflicht, Leistungen nachträglich zu erbringen. (Ein kleines Wörterbuch zusammengesetzter Ausdrücke findet sich in Otto 1978, 103 f). (1 c) Funktionsverbgefüge: Komplexe Ausdrücke wie zu Protokoll nehmen, in Kraft treten, Stellung nehmen, in Kenntnis setzen, Genehmigung erteilen, Antrag stellen usw. nennt von Polenz (1963) „Funktionsverben“. „Widerspruch einlegen ist in der Sprache der Verwaltung eben nicht dasselbe wie widersprechen, denn wenn Widerspruch eingelegt wird, dann muß das formund fristgerecht geschehen, damit die Rechtsfolgen eintreten.“ (Wagner 1972, 24). Die Verben haben keinen ikonischen Bezug (Hopper/Thompson 1985) mehr, sondern wirken paraoperativ auf das Nomen (: Symbolfeldausdruck). Nach Kolb (1964) füllen Funktionsverben durch Kausativierung des fachspezifischen Vorgangs eine Lücke im Verbsystem. ⫺ Mit dem Nomen (das meist auch eine alltagssprachliche Bedeutung hat) wird ein institutioneller Handlungskomplex benannt. ⫺ Funktional betrachtet, werden mittels Funk-

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(1 d)

(1 d)

(1 e)

(2)

(2 a)

(2 b)

tionsverbgefügen propositionale Elemente, besonders rhematische, von der Prädikation, die eine außersprachlich verweisende Temporaldeixis enthält (Redder 1992; Rehbein 1995 c), syntaktisch dissoziiert. Fachsprachlich sind auch Formeln, die institutionelle Illokutionen symbolisch benennen: Es ergeht folgender Bescheid … Skalierung: In „Sie erhalten einen Betrag in Höhe von 100 DM“ wird „100 DM“ nicht mit direktem Bezug auf eine außersprachliche Numerierung, sondern nach einer Normskala klassifiziert, die mit in Höhe von zitiert wird. Substitution operativer (phorischer) Prozeduren durch symbolische: In amtlichen Texten werden statt phorischer Prozeduren auf Redegegenstände diese durch Symbolfeldausdrücke reverbalisiert, insbesondere in präverbaler Themaposition ⫺ ein Charakteristikum schriftlicher Texte (Rehbein 1992) ⫺, möglicherweise, weil für die Fortschreibung des Nominalbezugs vom Leser eine Wissensprozessierung gefordert wird. Substitution deiktischer Prozeduren Deiktische Prozeduren sind in der Behördensprache selten, da sie mittels Origo außersprachliche Verweisräume etablieren (anders jedoch in Formularen, s. Gülich 1981). Deiktika und Paradeiktika werden mittels Endsilben attributiv verwendbar: hiesig, dortig, jeweilig, oberste, derzeitig, baldig, neuerlich usw. Sogar zusammengesetzte Verweiswörter wie dadurch, deshalb usw., die die Refokussierung von Text- bzw. Diskurselementen operativ funktionalisieren (Rehbein 1994), werden (häufig) durch relational-nominale Konnektoren substituiert: unter Einweisung des Geschäftsstellenleiters, zwecks Anbringung/in Ansehung/ unter Aufhebung von/⫹ Gen; unter Bezug auf usw.; textbezogene Präpositionalangaben mit gemäß realisieren ebenso wie attributive Verkettungen die applikative Vertextung (s. o. 5.1.). Ketten von Nomina und Präpositionalphrasen sowie Genitiv-Attribute (vgl. Schmidt 1993), die oft als Kennzeichen der komprimierten Behördensyntax beschrieben werden, ersetzen Nebensatzkonstruktionen, die im Finitum

669

deiktische Prozeduren enthalten; so wird ein komplexer propositionaler Gehalt weniger durch komplexe Prädikationen, als durch Attribution realisiert. (2c) In der amtlichen Höflichkeit verweist die Sprecherdeixis nicht auf Einzelpersonen, sondern auf die Behörde in ihrer amtlichen Funktion (Wagner 1972, 1); auch Symbolausdrücke werden für den Autor verwendet, z. B. der Regierungspräsident. Agenten und/oder Klienten werden teilweise noch in der altertümlichen 3. Person Singular bzw. Plural (phorische Prozeduren) adressiert (Lübbert 1980), in Bescheiden symbolfeldhaft als Betroffener, Antragsteller, Obengenannter usw. bezeichnet (Linhart 1996). (3) andere operative Prozeduren (3 a) Für die Attribuierung werden attributive Partizipialkonstruktionen mit teilweise vielfältiger Rektion und auch Gerundiv-Konstruktionen attributiv verwendet (Wagner 1972): Die zu beantragende Ermäßigung usw. (3 b) Adjektivische Verwendung zeitlicher, örtlicher, relationaler oder sonstiger Bestimmungen, etwa in die seinerzeitige Genehmigung, der innerörtliche Verkehr usw.: Das Benennungsverhältnis mit expliziter Thema-Rhema-Struktur wird in ein Modifikationsverhältnis überführt, indem einem Grundwort als (Fach-)Begriff andere propositionale Elemente attribuiert werden. (3 c) Durch Postfigierung mittels -lich, -seitig, -mäßig werden Nomen zu attributiven Adjektiven, etwa in verkehrliche Anbindung, behördenseitige Auffassung, haushaltsmäßige Auswirkungen (s. Heinrich 1994) bzw. mit -weise postfigierte Adverbien zu adnominalen Attributen (In Anbetracht der zwangsweisen Einziehung von Vermögen). 5.3. Illokutiver Bereich Die Versprachlichung von Aufforderungen bzw. anderer, unmittelbar hörer- bzw. lesergerichteter Illokutionen wird vermieden. (1)

Substitution expeditiver Prozeduren In der Behördensprache fehlt der Imperativ (so bereits Wagner 1972, 21), eine expeditive Prozedur (Ehlich 1992; Redder 1992; allgemein Donhauser 1986).

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IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

(1 a) Expeditive Prozeduren werden durch Symbolfeldprozeduren substituiert, wenn etwa Wörter verwendet werden, die den Handlungsspielraum der angesprochenen Klienten eingrenzen oder aufheben: baldmöglichst, umgehend, unverzüglich, unaufgefordert, ausnahmslos, ausschließlich usw. Hierher gehört auch die Verwendung der Modalverben (Symbolfeld). (1 b) Expeditive Prozeduren werden durch operative Prozeduren substituiert, so durch unpersönliche Reflexiva in Formen wie es empfiehlt sich; durch den Konjunktiv wie in wäre dankbar und sollte berücksichtigt werden; durch Aufforderungen, in denen eine Handlung mit haben ⫹ zu als erst herzustellende dem Aktanten zugeschrieben oder mit ist/sind ⫹ zu als zu verändernde Ganzheit verbalisiert wird: „Juristisch handelt es sich bei dieser Konstruktion um eine zwingende Anordnung.“ (Wagner 1972, 21); Nomen oder Infinitive werden als Aufforderung verwendet: Vorsicht! Langsam fahren! (2)

Keine Syntax mit kommentierender Illokution: Parenthesen, die direkt an den Leser gerichtete Kommentare enthalten, sowie nicht-notwendige Teilsätze, die hörer- bzw. lesergerichtete Erläuterungen mit selbständigen „Gedanken“ realisieren, werden kaum verwendet.

Dadurch, daß die sprachlichen Realisierungsformen (von denen hier nur einige genannt werden können) das institutionsspezifische Wissen gemäß den Zwecken der Institution in Schriftform organisieren, stellt die Institutionensprache von Ämtern und Behörden weitgehend einen Stil eigener Qualität dar, der von anderen gesellschaftlichen Bereichen importiert (Rehbein 1983) werden kann.

6.

Mündliche Kommunikation auf Ämtern und Behörden

Für die mündlich-kommunikative Bearbeitung schriftlicher Kommunikation (BeckerMrotzek/Ehlich/Fickermann 1992) haben sich Diskurse mit spezifischen Handlungsmustern entwickelt; diese basieren im wesentlichen auf dem Entscheidungsdiskurs (Grießhaber 1987; Rehbein 1986; Hartog 1996). Oft werden erst im Hin und Her der mündlichen Kommunikation mit den Klienten Kompati-

bilitätsprobleme behördlicher Normen mit konkreten gesellschaftlichen Bedürfnissen deutlich. Die meisten der empirisch-linguistischen Untersuchungen haben Diskurse auf dem Sozialamt zum Gegenstand (s. den Überblick in Wodak 1988). Bausch (1982) gibt an Sozialamtsgesprächen einige Charakteristika von Bewilligungsverfahren. Schröder (1985) präsentiert die Transkription des Gesprächs eines Sozialberaters mit einem Nichtseßhaften über eine Unterkunft. An etwa 200 Gesprächen untersucht Quasthoff (1980) die interaktionalen Formen von Klientenerzählungen sowie die Funktion der sprachlichen Mittel. Die Eingriffe der Sachbearbeiter zeigen, daß Erzählen keine institutionsadäquate Diskursform ist. ⫺ Erzählungen von Leidensgeschichten werden ⫺ wie Rehbein (1980) an englischen Sozialberatungen zeigt ⫺ von den Beratern auf jurifizierbare Kategorien hin so gefiltert, daß das Erzählen seines homileı¨schen Zwecks beraubt und dadurch zum institutionsadäquaten Berichten umfunktioniert wird. ⫺ Selting (1987) analysiert anhand umfangreicher Materialausschnitte (aus Aufnahmen von Sozial-, Arbeits- und Finanzamt) allgemeine Verständigungsprobleme der verbalen Interaktion, ohne eine institutionsbezogene Fragestellung zu verfolgen. Wichtig sind ihre Einblicke in die prosodischen Kennzeichen der Institutionensprache. Henrici/Herlemann/Kindt/Selting (1985) stellen anhand eines Gesprächs auf einer Rundfunkgebührenermäßigungsstelle fest, daß der Klient nur schwer „behördenrelevante Begriffe“ zu den Themen „Miete“ und „Regelsatz“ findet, aber vom Sachbearbeiter auch keine Aufklärung darüber erhält. Wenzel (1984) ist m. W. die einzige Monographie zu institutionellen Aspekten sprachlichen Handelns in Behörden (auf der Basis von mehr als 22 Gesprächen auf einem Sozialamt). U. a. unterscheidet sie die „rekonstruierende Paraphrase“ der Agenten als verständigungsfördernd von der „rhetorischen Paraphrase“ (nach der neueren Forschung (Bührig 1996) wäre jene ein Rephrasieren, diese ein Umformulieren). Wenn auch diese Konzepte eine essentielle institutionsanalytische Stoßrichtung haben, wird nicht gesehen, daß mit ihnen das Anliegen der Klienten gezielt unter ein vorformuliertes Wissen gestellt wird und somit kein Verständigungshandeln strictu sensu vorliegt. ⫺ Anhand zweier transkribierter Ausschnitte aus zwei Gesprächen

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auf dem Arbeitsamt zeigt Hinnenkamp (1985), wie Sachbearbeiter ausländische Klienten mit Hinweis auf mangelnde Zweitsprachkompetenz in widersprüchliche Verordnungen verstricken. In der institutionellen Kommunikation (vor Gericht; Rehbein 1989) imitieren Klienten (Angeklagte, Zeugen) in der mündlichen Darstellung die schriftlich fixierten Begriffe eines verlesenen Urteils, ohne über das darin erfaßte Wissen zu verfügen. So liefert ihre mündliche Version pseudoprofessionelles Wissen (zu diesem Begriff s. Löning 1994). ⫺ Becker-Mrotzek/Ehlich/Fickermann (1992) berichten von Beratungs-, Widerspruchs- und Datenerhebungsgesprächen, deren typische Merkmale sind: funktionale Einbindung in den institutionellen Handlungszusammenhang, disparate Wissensverteilung zwischen den Aktanten (Fallwissen vs. abstraktes Fachwissen), Aufgabenverteilung zwischen Sachbearbeiter und Klient, sequentielle Ordnung des Diskurses. ⫺ Anhand von 75 Gesprächen im Arbeitsamt, Versicherungsamt, Jugendamt und Stadtplanungsamt untersuchen Becker-Mrotzek/Fickermann (1989) Widerspruchsverfahren von der Anliegensformulierung bis hin zur institutionellen Verschriftlichung als Kombination mündlicher und schriftlicher Kommunikationsmuster. Während Agent-Klient-Diskurse auf einigen Ämtern gut untersucht und auch in der Transkription gut zugänglich sind, fehlen authentische Aufnahmen behördlicher AgentAgent-Kommunikation und deren sprachwissenschaftliche Analyse nahezu vollständig ⫺ ein erhebliches Forschungsdefizit, insbesondere, wenn die schriftlichen und mündlichen kommunikativen Fähigkeiten der Agenten effektiviert werden sollen.

7.

Amtssprache

Die einzige Sprache, in der die Agenten deutscher Ämter und Behörden untereinander und mit den Klienten kommunizieren, ist deutsch; sie ist die im Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 23; vgl. Kopp 1996, 401⫺406) festgelegte Amtssprache (innerstaatlich auch: Staatssprache). Alle nichtdeutschen Formen der Kommunikation sind deshalb in die Amtssprache zu übersetzen und zu dolmetschen. Die Kategorie der Amtssprache ist ein Instrumentarium zur Durchsetzung einer einheitlichen Sprache in der Gesellschaft (s. Coulmas 1985) und hat Aspekte politischer

671

Herrschaft gegenüber sprachlichen Minderheiten bzw. der Kolonisation (Calvet 1974). Sie wurde in Deutschland traditionell auch politisch gegen anderssprachige Bevölkerungsteile eingesetzt (Glück 1979), insbesondere von den Schulbehörden (BAGIV 1985).

8.

Ausblick

Ämter und Behörden als Verwaltungen bearbeiten in der zunehmend spezialisierten und arbeitsteilig differenzierten Gesellschaft einen wachsenden Bereich sprachlicher Tätigkeiten und tragen so zur Akkumulation gesellschaftlichen Wissens bei. Als Institutionen haben sie in den einzelnen europäischen Nationalstaaten ihre spezifische Tradition mit je eigenständigen Fachkommunikationen ausgebildet, die ebensowenig eins zu eins aufeinander abbildbar sind wie die Verwaltungsstrukturen selbst ⫺ auch wenn sich die speziellen Aufgabenbereiche der Fachkommunikation einander annähern. Sollen europäische Ämter und Behörden effektiv miteinander kooperieren, ist in gesamteuropäischer Perspektive eine interkulturelle Fachkommunikation zu entwikkeln, mit dem Ziel einer sprachlich-kommunikativen Vereinheitlichung. Dies ist eine transnationale Aufgabe, die um so größer wird, je mehr Amtssprachen miteinander in Kontakt treten. Da bleibt viel zu tun. Kristin Bührig danke ich herzlich für ihre weiterführende Kritik.

9.

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674

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

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In: Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten. Hrsg. v. Ludger Hoffmann. Berlin. New York 1992, 128⫺154. Rehbein 1976 ⫽ Jochen Rehbein: Planen II: Planbildung in Sprechhandlungssequenzen. Trier 1976. Rehbein 1977 ⫽ Jochen Rehbein: Komplexes Handeln. Elemente zur Handlungstheorie der Sprache. Stuttgart 1977. Rehbein 1980 ⫽ Jochen Rehbein: Sequentielles Erzählen. Erzählstrukturen von Immigranten bei Sozialberatungen in England. In: Erzählen im Alltag. Hrsg. v. Konrad Ehlich. Frankfurt/M. 1980, 64⫺ 108. Rehbein 1981 ⫽ Jochen Rehbein: Announcing ⫺ On Formulating Plans. In: Conversational Routine. Hrsg. v. Florian Coulmas. Den Haag 1981, 215⫺258. Rehbein 1983 ⫽ Jochen Rehbein: Zur pragmatischen Rolle des Stils. In: Probleme der Stilistik. Hrsg. v. Barbara Sandig. Hildesheim 1983, 21⫺48. Rehbein 1984 ⫽ Jochen Rehbein: Beschreiben, Berichten und Erzählen. In: Erzählen in der Schule. Hrsg. v. Konrad Ehlich. Tübingen 1984, 67⫺124. Rehbein 1986 ⫽ Jochen Rehbein: Institutioneller Ablauf und interkulturelle Mißverständnisse in der Allgemeinpraxis. Diskursanalytische Aspekte der Arzt-Patienten-Kommunikation. In: Curare 9. 1986, 297⫺328. Rehbein 1989 ⫽ Jochen Rehbein: Mündliche Schriftlichkeit. Versionen einer Körperverletzung in einer Berufungsverhandlung. In: Rechtsdiskurse. Hrsg. v. Ludger Hoffmann. Tübingen 1989, 251⫺ 326. Rehbein 1992 ⫽ Jochen Rehbein: Zur Wortstellung im komplexen deutschen Satz. In: Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten. Hrsg. v. Ludger Hoffmann. Berlin. New York 1992, 523⫺574. Rehbein 1995 a ⫽ Jochen Rehbein: Über zusammengesetzte Verweiswörter und ihre Rolle in argumentierender Rede. In: Wege der Argumentationsforschung. Hrsg. v. Harald Wohlrapp. Stuttgart. Bad-Cannstatt 1995, 166⫺197. Rehbein 1995 b ⫽ Jochen Rehbein: Rejective Proposals. In: Multilingua ⫺ Journal of Cross-Cultural and Interlanguage Communication (Special Issue on Intercultural Communication in the Professions) 13-1/2. 1995, 83⫺130. Rehbein 1995 c ⫽ Jochen Rehbein: Grammatik kontrastiv ⫺ am Beispiel von Problemen mit der Stellung finiter Elemente. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 21. 1995, 265⫺292. RGG: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. v. Kurt Galling in Gemeinsch. m. a. Band 1. Artikel „Amt“. 3. Aufl. Tübingen (1957), Sp. 334⫺343. Rupp 1978 ⫽ Heinz Rupp: Sprache in der Demokratie. Sprachbarriere zwischen Bürger und Staat? Mannheim 1978.

675

71. Fachsprache und Fachjargon im Theater Saint-Just 1795 ⫽ Saint-Just: Fragments sur les institutions re´publicaines. In: Louis Antoı´ne de Saint-Just: L’esprit de la re´volution. Paris 1963, 129⫺178. Schill 1911 ⫽ Eduard Schill: Hundert Fehler des Amtsstils. Handbuch für Behörden und Beamte. München 1911. Schlosser 1971 ⫽ Hans Schlosser: Ämtertraktat. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann. Band I. Berlin 1971, Sp. 154⫺155. Schmidt 1993 ⫽ Jürgen Schmidt: Die deutsche Substantivgruppe und die Attribuierungskomplikation. Tübingen 1993. Schmidt-Wiegand 1972 ⫽ Ruth Schmidt-Wiegand: Mittelalterliches Recht in der deutschen Sprache der Gegenwart. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 74. 1972, 687⫺692. Schmidt-Wiegand 1977 ⫽ Ruth Schmidt-Wiegand: Fremdeinflüsse auf die deutsche Rechtssprache. In: Sprachliche Interferenz. Festschrift für Werner Betz zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Herbert Kolb und Hartmut Lauffer. Tübingen 1977, 226⫺245. Schröder 1985 ⫽ Peter Schröder: Beratungsgespräche ⫺ ein kommentierter Textband. Darin: „nichtseßhaftenberatung: die wiedereingliederung.“ Tübingen 1985, 178⫺192. Schultz 1992 ⫽ Reinhard Schultz: Behörden ⫺ Institutionen zur Erbringung von Dienstleistungen oder von Verwaltungsakten? Eine Fallstudie. Hamburg 1992. Selting 1987 ⫽ Margret Selting: Verständigungsprobleme. Eine empirische Analyse am Beispiel der Bürger-Verwaltungs-Kommunikation. Tübingen 1987. Seibert 1977 ⫽ Thomas-Michael Seibert: Zur Fachsprache in der Juristenausbildung. Sprachkritische Analysen anhand ausgewählter Textbeispiele aus juristischen Lehr- und Lernbüchern. Diss. 1977.

Seibert 1981 ⫽ Thomas-Michael Seibert: Aktenanalysen. Zur Schriftform juristischer Deutungen. Tübingen 1981. Steger 1989 ⫽ Hugo Steger: Institutionensprachen. In: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Hrsg. v. der Görresgesellschaft. 5. Bd. Freiburg 1989, 125⫺128. Stickel 1981 ⫽ Gerhard Stickel: Bei den kommunikativen Bedingungen und dem Sprachgebrauch der Behördenvordrucke nachgefaßt. In: Die Sprache des Rechts und der Verwaltung. Bearb. v. Ingulf Radtke. Stuttgart 1981, 284⫺304. Stickel 1984 ⫽ Gerhard Stickel: Zur Kultur der Rechtssprache. In: Mitteilungen. Aspekte der Sprachkultur. 10. 1984, 29⫺60. Wagner 19722 ⫽ Hildegard Wagner: Die deutsche Verwaltungssprache der Gegenwart. 2. Aufl. Düsseldorf 1972. Wassermann 1980 ⫽ Rudolf Wassermann: Sprache und Recht als Zentralproblem humanistischer Rechtspolitik und -praxis. In: Sprache und Recht. Hrsg. v. Karl Ermert. Loccumer Protokolle 1. 1980, 1⫺17. Weber 1922 ⫽ Max Weber: Bürokratie. In: Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1922, 650⫺678. Wenzel 1984 ⫽ Angelika Wenzel: Verstehen und Verständigung in Gesprächen am Sozialamt. Eine empirische Untersuchung. Tübingen 1984. Willoweit 1983 ⫽ Dietmar Willoweit: Entwicklung der Landesherrschaft. In: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Hrsg. v. Kurt G. A. Jeserich u. a. Band 1. Stuttgart 1983⫺88, 66⫺143. Wodak 1988 ⫽ Ruth Wodak: Kommunikation in Institutionen. In: Sociolinguistics/Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft. Hrsg. v. Ulrich Ammon, Norbert Dittmar und Klaus Mattheier, Bd. I. Berlin 1988, 799⫺820.

Jochen Rehbein, Hamburg

71. Fachsprachen und Fachjargon im Theater 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Inhomogenität Fachsprache in Aktion Terminologisierung Subsysteme Jargon Soziolekt Literatur (in Auswahl)

1.

Inhomogenität

Die Fachsprache des Theaters ist unökonomisch, uneindeutig, ihre normative Termino-

logisierung vergleichsweise gering entwickelt, jeder scheint sie verstehen zu können (Fluck 1991, 98). Vielleicht auch deshalb fand sie bislang wenig Interesse in der Fachsprachenlinguistik; grundlegend bis heute Rohr (1952), Mehlin (1969), Schneider (1983). Sie ist keine homogene Einheit, sondern vielschichtig, flexibel, horizontal und vertikal in sich gegliedert. Was sie als Fachsprache zu disqualifizieren scheint, macht sie paradoxerweise geeignet zur optimalen Informations-

676

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

übermittlung in einem differenzierten System. Ihre Besonderheit versteht nur, wer ihre historische Entwicklung, die sozialen und psychologischen Bedingungen wie die konstitutiven Elemente des Systems „Theater“ betrachtet.

2.

Fachsprache in Aktion

Theater ist eine arbeitsteilige Kunstform. Organisatorische, technisch-handwerkliche und künstlerische „Subsysteme“ arbeiten begrenzt unabhängig für das gemeinsame Ziel: die Aufführung. Um es zu erreichen, ist intensive Koordinierung der Arbeitsvorgänge nötig, deren Integration erst das immaterielle Endprodukt ermöglicht. Deshalb sind Fachsprache/Fachjargon im Theater weitgehend „Fachsprache in Aktion“, nach situativem Kontext abwechselnd oder auch parallel in unterschiedlichen Fachlichkeitsstufen benutzt, immer rezipientenbezogen (Schneider 1983, 144 f). Fachsprache wie Jargon zeichnen sich aus durch besondere Anschaulichund Bildhaftigkeit, sie sind konkret und speziell im Jargon auch ironisch-distanziert gegenüber dem eigenen Tun (Hüpftheater, Kunstbeamter). Beide sind offen für Übernahmen aus anderen sprachlichen Bereichen, speziell, wenn Affinitäten zu Besonderheiten des Theaters bestehen. Elemente anderer künstlerischer, handwerklicher, technischer und wissenschaftlicher Fachsprachen finden sich ebenso wie Übernahmen aus der Umgangssprache oder Sondersprachen. An fremdsprachlichen Begriffen (Lehnprägungen) lassen sich historische wie aktuelle Beeinflussungen erkennen (Mehlin 1969, 479 ff). Stammen neue Begriffe der Fachsprache vor allem aus dem anglo-amerikanischen Bereich (Film, neue Medien), so ist bis heute insgesamt das Französische dominierend (Kulisse, Loge, Souffleur, Ensemble), dank des überragenden Einflusses, den französische Kultur und Theater vor allem im 17./18. Jh. ausübten. Besonders eklatant in der Terminologie des klassischen Balletts, das international bis heute fast ausschließlich französische Termini benutzt (Giteau 1970, 64 f). Das Italienische war einflußreich vor allem im musikalischen Bereich (vgl. Eggebrecht 1955), während aus dem Deutschen nur einzelne Begriffe (Lied, Gesamtkunstwerk) übernommen wurden.

3.

Terminologisierung

Die Fachsprache kennt wenige theaterimmanente Begriffe (Inspizient) oder solche

(Charge, Regie), die inzwischen ihre gemeinsprachliche Bedeutung verloren haben (Mehlin 1969, 349 f, 408 ff). Selten werden neue Kunstwörter gebildet, eher werden Begriffe übernommen, die nur terminologisiert werden, wenn es sich aus sachlichen Gründen als notwendig erweist. Es sind mehr Anverwandlungen als bewußt normative Setzungen. Bedeutungsverengungen oder -erweiterungen im fachsprachlichen Bereich führen in der Regel nicht zum Bedeutungsverlust in der Allgemeinsprache. Mit Hilfe von Wortzusammensetzungen (Lese-, Stell-, Generalprobe; Versatzbeleuchtung, -bohrer, -kabel, -lampe, -ständer, -stück), Substantivreihungen, attributiven Bildungen, von denen meist nur noch der Grundbegriff übrigbleibt, mit Verbdifferenzierung durch Präfixe (an-, über-, unter-, hoch-, durch-, sich einspielen) werden gemeinsprachliche Lexeme fachsprachlich integriert. Mit der in allen Fachsprachen beobachtbaren Tendenz, daß immer mehr Begriffe immer weniger semantisch abdecken. Auch dem neuen Fachbegriff dynamischen Charakter verleihende „Spontansubstantivierungen“ (Mehlin 1969, 494) sind kennzeichnend für die Fachsprache des Theaters (Hänger I hängen ⫽ Textunsicherheit; Lacher; Durchspieler ⫽ Stück mit einer Dekoration). Charakteristisch ist die durchgängige relative Offenheit der Begriffe, die Konnotationen, Interpretationen, Nuancen zuläßt, ja nahelegt, da sie der eben nicht auf Ökonomie angelegten Kommunikation innerhalb des Systems eher förderlich sind.

4.

Subsysteme

Die Fachsprache des Theaters bildet keine homogene Einheit, sondern beruht analog der Struktur des Gesamtsystems auf „Subsystemen“, die in erster Linie fachlicher Kommunikation in kleinräumigen Segmenten dienen, so im handwerklich-technischen Bereich (u. a. Schneiderei, Tischlerei, Malerwerkstatt, Maskenbildnerei, Beleuchtung). Die jeweiligen beruflichen Fachsprachen der dort beschäftigten Handwerker haben Eingang in die Fachsprache des Theaters gefunden, in „Aktion“ und als Lehr- und Handbücher, gesetzliche Vorschriften und Verordnungen (vgl. Unruh 1969). Je mehr die Erfordernisse des Theaters das Berufsbild verändern, desto mehr theaterfachsprachliche Begriffe finden sich: Nur in geringem Maße in der Tischlerei, umfangreicher in der Theatermalerei, bei der

677

71. Fachsprache und Fachjargon im Theater

Handwerkszeug (z. B. Luft-, Spritz-, Anlege-, Grundierbürsten) und Maltechnik charakteristisch unterschieden sind. ⫺ Technische wie künstlerische Gründe haben sprachliche Veränderungen zur Folge. So ist die aktuelle Fachsprache der Beleuchtung relativ neu, da sie sich erst nach Einführung der elektrischen Bühnenbeleuchtung entwickeln konnte. Solange Bühnenbilder aus immer wieder benutzten gemalten Kulissen bestanden, war es fachsprachlich sinnvoll, sie nur inhaltlich zu bezeichnen. Seit veränderte künstlerische Vorstellungen jeweils neue Bühnenbilder fordern, müssen die Einzelteile der Kulissenherstellung immer differenzierter begrifflich eindeutig bestimmt werden (z. B. Balken-, Abdeck-, Vorhang-, Stoff-, Luftsoffitten). Im künstlerischen Bereich spielt Sprache eine entscheidende Rolle, wobei Besonderheiten des Musiktheaters und Balletts, die zusätzlich über non-verbale Codierungssysteme verfügen (Noten, Tanznotation) unberücksichtigt bleiben. Im Sprechtheater öffentlich vermittelt in einer Kunstsprache ohne Regionalismen, der „Deutschen Bühnenaussprache“, ist sie Werkzeug und Produkt zugleich und hat für alle Beteiligten, besonders die Schauspieler, einen „Eigenwert“ (Mehlin 1969, 11), den sie im Alltag nicht besitzt. Eine Aufführung kommt nur zustande, wenn alle Bereiche optimal koordiniert zusammenarbeiten. Werke in anderen Künsten können überdauern ohne unmittelbare Außenwirkung, Theater ist angewiesen auf aktuelle Öffentlichkeit, braucht Publikum als Rezipienten. Es ist eine „transitorische“ Kunst, die im Augenblick des Entstehens vergeht, ohne Möglichkeit der Korrektur, unwiederholbar, denn keine Aufführung ist der folgenden identisch. Der Schauspieler im Theater ist, im Unterschied zu anderen Künstlern, Subjekt und Objekt seiner Kunst zugleich (Bab 1931, 84), die nur im Augenblick lebt ⫺ durch Sprache und non-verbale Elemente wie Mimik und Gestik. Seine Kunst verbietet das Warten auf den schöpferischen Augenblick, der Aufführungstermin steht fest. Der Weg dorthin führt über Proben (vgl. Schneider 1983), an denen sich Besonderheiten von Fachsprache und Fachjargon des Theaters exemplarisch verdeutlichen lassen, handelt es sich doch um komplexe Wahrnehmungssituationen mit ausgeprägt sozialer Komponente und variabler rezipientenbezogener Sprachbehandlung. Hier zeigt sich die vielfältige Sprachnutzung im Theater, nicht Mittel zum Zweck, sondern selbst Zweck,

und ⫺ weitgehend auf andere sprachliche Vorgänge bezogen ⫺ quasi metasprachlichen Charakters. Die künstlerische Umsetzung fordert nicht nur die fehlerfreie Vermittlung eines vorgegebenen Textes, sondern auch die Kenntnis des der Vorlage inhärenten „Subtextes“ (Dresen 1992, 18). Während der Proben vermittelt der Regisseur seine Interpretation, in einer auf sofortige Rückmeldung angelegten fachsprachlichen Form (vgl. Schneider 1983, 136). Fachliche Kommunikation ist hier nicht in praktisches Handeln eingebettet, sondern selbst Handlung, sprich: Arbeit. Um die in bestimmten Arbeitsphasen hinzugezogene Technik (die denselben Vorgang aus anderer Perspektive betrachtet) integrieren zu können, bedarf es größtmöglicher terminologischer Eindeutigkeit, zugleich der Offenheit für interpretatorische Varianten. Kontinuierlicher Wechsel unterschiedlicher Fachlichkeitsebenen ist notwendig, um das zielorientierte Optimum an Kommunikation zu erreichen. Hinzukommen unvermeidliche psychologische Spannungen, die es in einer jargongeprägten fachlichen Umgangssprache sprachlich aufzufangen gilt.

5.

Jargon

Der Theaterjargon ist nicht als „Denaturierung“ der Fachsprache „zu einem lexikalisch und syntaktisch gleichermaßen obskuren Kauderwelsch“ (Wilss 1979, 181) zu verstehen. Seine lexikalischen und semantischen Besonderheiten lassen erkennen, daß seine Entwicklung eng mit sozioökonomischen Bedingungen und psychologischen Besonderheiten des Schauspielerberufs zusammenhängt. Solange der Beruf von der Gesellschaft trennte, bildeten Theaterberufe eine Form der „Subkultur“ (Weidenfeld 1959, 36) mit einer Art Geheimsprache ⫺ gruppenstabilisierend, identitätsstiftend nach innen, weitgehend abgeschlossen nach außen, von Schauspielern selbst immer wieder als „Theater-Rotwelsch“ (Grube 1908, 100) bezeichnet (vgl. seine frühe Subsumierung unter „Geheim- und Berufssprachen“ oder „Berufsschelten“; Bischoff 1915; Klenz 1910). Es konnte erst als „Kuriosität“ öffentlich gemacht werden, als nicht mehr die Gefahr erneuter gesellschaftlicher Diskriminierung bestand (Rohr 1952, 37 ff). In seiner Bildhaftigkeit (Durchfall ⫽ Mißerfolg; Schmiere ⫽ schlechtes Theater), Emotionalität (Leichenhuhn ⫽ für erkrankte Kollegen einspringen-

678

IX. Die Verwendung von Fachsprachen in organisatorischen Einheiten der modernen Arbeitswelt

der Schauspieler) und Synonymenfülle (Einbläser, Einsager, Zuflöte, Kasten-, Flüstergeist ⫺ für Souffleur) ähnelt der Theaterjargon Sondersprachen, von denen er sich durch die ausschließliche Bezogenheit auf die eigene Lebenswelt unterscheidet. Schauspieler ⫺ sie vor allem haben den Jargon geprägt ⫺ sind wegen ihrer beruflichen Mobilität, der unregelmäßigen Arbeitszeiten („Freizeit“ für das Publikum) immer noch weitgehend isoliert von der Gesamtgesellschaft. Es ist ein Beruf ohne vorgezeichnete Laufbahn, mit extremer physischer (vgl. Weisweiler 1986) und psychischer Anspannung, bei gleichzeitig langen Pausen (in Probe wie Aufführung), in denen die „Präsenz“ des Schauspielers nicht verloren gehen darf. Der Jargon entspricht einer Art „homileı¨schen Diskurs“ (Brünner 1993, 746) mit Entlastungs- und Entspannungsfunktion. In ihm finden sich sonder- wie umgangssprachliche Elemente, Eigenschöpfungen, Zitate (auch als Wortspiele) wie sprachliche Eigenheiten regionaler Kulturzentren (Rohr 1952, 27 ff). Vieles davon ist in die Umgangssprache eingegangen, ohne daß die Herkunft noch bedacht würde.

6.

Soziolekt

Da die „fachliche Lebenswelt“ (Bungarten 1993, 32) diese formalen Besonderheiten nahelegt, mischt sich im Einzelfall ⫺ abhängig von der kommunikativen Situation ⫺ fachund sachorientierte Fachsprache mit gruppenorientiertem Soziolekt als zielorientierte kommunikative Bemühung. Die im Theater immer beinhaltet: Interpretation und ihre gestalterische Umsetzung durch Menschen mit individuellen Assoziationen. Was im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich möglichst vermieden wird, unkontrollierbare Konnotationen in der Begrifflichkeit, ist im Theater vorgesehen und erwünscht. „Reibungsverluste“ sind eingeplant, zu weitgehende Terminologisierung wäre disfunktional für das Funktionieren des Systems. Eines Systems, das sich gerade dadurch auszeichnet, verschiedene Fachsprachen und fachliche Umgangssprachen in einer allen im Theater Tätigen verständlichen offenen Fachsprache zu subsumieren und so ⫺ wesentlichen Forderungen an Fachsprachen widersprechend ⫺ nicht ökonomisch, nicht lexikalisch eindeutig, wenig terminologisch, die optimale Fachkommunikation innerhalb des „Systems“ Theater ermöglicht.

7.

Literatur (in Auswahl)

Bab 1931 ⫽ Julius Bab: Das Theater im Lichte der Soziologie. Leipzig 1931 (Zeitfragen aus dem Gebiete der Soziologie IV/1). Bischoff 1915 ⫽ Erich Bischoff: Wörterbuch der wichtigsten Geheim- und Berufssprachen. Leipzig 1915. Brünner 1993 ⫽ Gisela Brünner: Mündliche Kommunikation in Fach und Beruf. In: Fachsprachentheorie. Bd. 2. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 730⫺771. Bungarten 1993 ⫽ Theo Bungarten: Hinsichten zu einer Theorie der Fachsprache. Zur Einführung. In: Fachsprachentheorie. Bd. 1. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 13⫺35. Dresen 1992 ⫽ Adolf Dresen: Siegfrieds Vergessen. Berlin 1992. Eggebrecht 1955 ⫽ Hans Heinrich Eggebrecht: Studien zur musikalischen Terminologie. Wiesbaden 1955 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und Literatur, Geistes- und sozialwissenschaftl. Klasse 1955/10). Fluck 1991 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Fachsprachen. 4. Aufl. Tübingen 1991. Giteau 1970 ⫽ Ce´cile Giteau: Dictionnaire des arts du spectacle. Paris 1970. Grube 1908 ⫽ Max Grube: Im Theaterland. Berlin 1908. Klenz 1910 ⫽ Heinrich Klenz: Schelten-Wörterbuch. Straßburg 1910. Mehlin 1969 ⫽ Urs H. Mehlin: Die Fachsprache des Theaters. Düsseldorf (1969). Rohr 1952 ⫽ Ursula Rohr: Der Theaterjargon. Berlin 1952 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 56). Schneider 1983 ⫽ Gunda Schneider: Probensprache der Oper. Tübingen 1983 (Germanistische Linguistik 47). Unruh 1969 ⫽ Walter Unruh: Theatertechnik. Bielefeld 1969. Wilss 1979 ⫽ Wolfram Wilss: Fachsprache und Übersetzen. In: Terminologie als angewandte Sprachwissenschaft. Gedenkschrift für Eugen Wüster. Hrsg. v. Helmut Felber, Friedrich Lang und Gernot Wersig. München u. a. 1979, 177⫺191. Weidenfeld 1959 ⫽ Dieter Weidenfeld: Der Schauspieler in der Gesellschaft. Köln. Berlin 1959. Weisweiler 1986 ⫽ Helga Weisweiler: Die Belastung des Schauspielers an seinem Arbeitsplatz. München 1986 (Münchener Beiträge zur Theaterwissenschaft 16).

Wolfgang Beck, Hamburg

X. Spezielle Aspekte von Fachkommunikation II: Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt 72. Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen: theoretische und methodische Probleme 1.

Differenzierung im Sprachgebrauch: Dialekt, Soziolekt, Technolekt; Funktionalstil 2. Kommunikation und Kommunikationsbereich(e) 3. Fachliche und andere Kommunikationsbereiche 4. Austauschprozesse und gegenseitige Einwirkungen 4.1. Geben und Nehmen in der sprachlichen Kommunikation 4.2. Probleme 5. Methoden zur Erfassung, Beschreibung und Erklärung der Austauschprozesse 6. Literatur (in Auswahl)

1.

Differenzierung im Sprachgebrauch: Dialekt, Soziolekt, Technolekt; Funktionalstil

In der Kommunikation ständig gebraucht und historisch gewachsen, haben die Einzelsprachen eine mehr oder weniger starke Differenzierung erfahren. Das Ergebnis sind ihre Existenzformen und Varianten: Neben der Hochsprache (Literatursprache, Standardsprache) und der Umgangssprache gibt es Dialekte (Mundarten), Soziolekte (Gruppensprachen) und Technolekte (Fachsprachen), die gelegentlich auch als Subsprachen bezeichnet werden, sowie Funktionalstile. Sie stehen in einem jeweils besonderen Bezugsrahmen: regionale Verbreitung, soziales Schichtenmodell, Kenntnissystem, Zweckbestimmung u. ä. Zu dieser eher traditionellen und stark paradigmatischen ⫺ auf das System oder andere Komplexe sprachlicher Mittel gerichteten ⫺ Sichtweise hat sich im Rahmen der kommunikations- und handlungsorientierten Betrachtung ein neuer Ansatz gesellt, der eine einheitliche und durchgängige Untergliederung der sprachlichen Kommunikation in

Kommunikationsbereiche anstrebt. Weitgehend akzeptiert ist dieses Verfahren in der Fachsprachenforschung, wo sich die Verwendung sprachlicher Mittel relativ leicht an Fächern und ihren Fachtexten festmachen läßt. Dabei kommt es aber oft zu Vereinfachungen, die der Komplexität der Fragestellung nicht gerecht werden und auch offensichtliche Überlappungen der neuen Kommunikationsbereiche ebenso wie Überschneidungen mit den alten Dialekten, Soziolekten, Technolekten und Funktionalstilen außer acht lassen.

2.

Kommunikation und Kommunikationsbereich(e)

Der Begriff der Kommunikation ist ⫺ je nach dem Verwendungskontext ⫺ unterschiedlich interpretiert worden: alltagssprachlich als ,Zusammenhang, Verbindung; zwischenmenschlicher Verkehr; Verständigung, besonders mit Hilfe von Sprache, Zeichen‘ (Klappenbach/Steinitz 1984, 2159); existenzphilosophisch als ,Miteinander von Mensch zu Mensch‘ (Jaspers 1948, 338); informationstheoretisch oder kybernetisch als ,Austausch von Informationen zwischen dynamischen Systemen bzw. zwischen den Teilsystemen solcher Systeme, die in der Lage sind, Informationen aufzunehmen, zu speichern und zu verarbeiten‘, oder ,Aufnahme und Verarbeitung von physikalisch, chemisch oder biologisch nachweisbaren Signalen durch Lebewesen‘; dokumentationswissenschaftlich als ,Übertragung von Bedeutungen bzw. Zuständen des internen Außenweltmodells zwischen kommunikationsfähigen Systemen bzw. zwischen einem Kommunikator und einem Rezipienten‘; kommunikationstheoretisch als ,Handlungskoordinierung durch symbolische Interaktion von Individuen‘ oder als ,Pro-

680

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

dukt von Glauben, Wollen und Tun‘ (vgl. Badura 1973; Braun 1986; Dressler/Wodak 1989; Habermas 1981; Högy/Weiß 1973; Meggle 1981; Merten 1977; Meyer-Eppler 1969; Wersig 1971; u. a.). In der Literatur finden sich 160 Definitionen (vgl. Merten 1977, 168⫺182). Sie lassen sich zu 9 Definitionstypen zusammenfassen: Kommunikation als (1) Transmission (von Signalen, Mitteilungen, Informationen, Strukturen, Symbolen, Bedeutungen usw.), (2) Reiz-Reaktion, (3) Interpretation, (4) Verständigung, (5) Austausch, (6) Teilhabe, (7) Beziehung, (8) Verhalten, (9) Interaktion (Merten 1977, 42⫺66). Der Begriff der Kommunikation wird in zahlreichen Einzeldisziplinen von der Biologie und Soziologie über Philosophie und Psychologie bis zur Semiotik, Linguistik, Literatur- sowie Kunst- und Kulturwissenschaft, aber auch in interdisziplinären und wissenschaftstheoretischen Ansätzen thematisiert. Kein Zweifel kann daran bestehen, daß Kommunikation im Sinne von Informationsaustausch und Handlungskoordinierung eine unerläßliche Voraussetzung für das Zusammenleben der Menschen in Gemeinschaften der verschiedensten Art und daß dabei die Sprache das wichtigste Kommunikationsinstrument ist. Nach der Erarbeitung allgemeiner, systemunabhängiger, verlaufsbezogener Funktionsschemata der Kommunikation als Informationsübertragung, bei der die Enkodierung, Übermittlung und Dekodierung einer Information (message, Mitteilung) im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand (vgl. Shannon/ Weaver 1976, 16: Nachrichtenquelle # Sender → Kanal → *Signal → empfangenes Signal+ → Empfänger → Nachrichtenziel; Störquelle) und die noch in Modellen der Textlinguistik für Textproduktion und Textrezeption nachwirken (z. B. Gülich/Raible 1977, 25), ist die Untersuchung der Kommunikation im allgemeinen und der sprachlichen Kommunikation im besonderen vor allem durch Konzeptionen vorangebracht worden, in denen Kommunikation als (nicht-sprachliche und/oder sprachliche) „zweckrationale“, d. h. bewußte, zielgerichtete und strukturierte Tätigkeit erscheint, die aus einer Folge (einem System) von (sprachlichen) Handlungen (Sprechakten) besteht (vgl. Austin 1972; Habermas 1981; Leont’ev/Leont’ev/Judin 1984; Searle 1969; Viehweger 1982; Wunderlich 1976; u. a.). Die sprachlichen Handlungen werden dabei meist den nicht-sprachlichen und der gesamten Tätigkeit nach- oder unter-

geordnet. In diesem Sinne sind Kommunikationstheorien „spezielle Handlungstheorien“ (Meggle 1981, 1; 305). In der Fachsprachenforschung liegt die komplementäre Behandlung fachlicher und sprachlicher Tätigkeiten und Handlungen im Umfeld der Produktion und Rezeption von Fachtexten besonders nahe, wobei die Analyse kommunikativer Vorgänge einen starken Bezug zu kognitiven Prozessen erhält. Das deutet sich bereits in einigen (kommunikativ-)funktional orientierten Definitionen von Fachsprache an, z. B. „Wir verstehen unter Fachsprache heute die Variante der Gesamtsprache, die der Erkenntnis und begrifflichen Bestimmung fachspezifischer Gegenstände sowie der Verständigung über sie dient und damit den spezifischen kommunikativen Bedürfnissen im Fach allgemein Rechnung trägt. […] Entsprechend der Vielzahl der Fächer, die man mehr oder weniger exakt unterscheiden kann, ist die Variante ,Fachsprache‘ in zahlreichen mehr oder weniger exakt abgrenzbaren Erscheinungsformen realisiert, die als Fachsprachen bezeichnet sind“ (Möhn/Pelka 1984, 26). „Fächer sind Arbeitskontexte, in denen Gruppen von fachlichen zweckrationalen Handlungen vollzogen werden. Fachsprachen sind demnach sprachliche Handlungen dieses Typs sowie sprachliche Äußerungen, die konstitutiv oder z. B. kommentierend mit solchen Handlungen in Verbindung stehen“ (von Hahn 1983, 65).

Hat man sich einmal für das Tätigkeits- bzw. Handlungskonzept entschieden, dann ist es nur konsequent, wenn man jeden Kommunikationsbereich einem (nicht-sprachlichen und/ oder sprachlichen) Tätigkeitsbereich zuordnet, auch wenn eine erschöpfende und einheitliche Aufteilung der Kommunikation in klar umrissene Kommunikationsbereiche nicht möglich ist. Auf alle Fälle lassen sich die zunächst außersprachlich bestimmten Tätigkeitsbereiche leichter definieren und klassifizieren als ihre sprachlichen Korrelate, und sie sind auch besser als Kommunikationsabsichten, -beziehungen, -verfahren u. ä. geeignet, Unterschiede im Sprachgebrauch der einzelnen Kommunikationsbereiche zu erklären, zumal die Kommunikationsoder Sprachverwendungssituationen und die Kommunikationsgegenstände weitgehend in die Kommunikationsbereiche integrierbar sind. Das zeigt übrigens auch der Vergleich mit früheren Untersuchungen zu den sogen. Kommunikationssphären, die im großen und ganzen mit Stilsphären identisch sind (vgl. Drozd/Seibicke 1973, 87). Am weitesten ist die Einordnung ganzer Sprachmittelkomplexe in bestimmte Kommunikationsbereiche

72. Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen

bisher von der Fachsprachenforschung vorangetrieben worden. Davon zeugt auch die folgende, auf Kommunikationsbereiche zugeschnittene, Fachsprachendefinition: „Fachsprache ⫺ das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten“ (Hoffmann 1987 a, 53).

Dagegen stößt die Suche nach Kriterien für die Bestimmung anderer (nicht-fachlicher) Kommunikationsbereiche auf beträchtliche Schwierigkeiten (vgl. 3.2.); plausible Vorschläge von Kommunikations- und Sprachwissenschaftlern dazu gibt es kaum.

3.

Fachliche und andere Kommunikationsbereiche

Voraussetzung für die Erfassung und Beschreibung fachlicher Kommunikationsbereiche ist eine akzeptable Definition von Fachkommunikation. Aus kognitiv-kommunikativer Sicht ist dazu der folgende Vorschlag unterbreitet worden, der an frühere Definitionen von Fachsprache anknüpft, gleichzeitig aber darüber hinausgeht: „Fachkommunikation ist die von außen oder von innen motivierte bzw. stimulierte, auf fachliche Ereignisse oder Ereignisabfolgen gerichtete Exteriorisierung und Interiorisierung von Kenntnissystemen und kognitiven Prozessen, die zur Veränderung der Kenntnissysteme beim einzelnen Fachmann und in ganzen Gemeinschaften von Fachleuten führen“ (Hoffmann 1993, 614).

Zu kurz kommen dabei möglicherweise die durch die Fachkommunikation mittelbar bewirkten Ergebnisse in Fächern, deren primäre (nicht-sprachliche) Handlungen auf die Veränderung der außersprachlichen Wirklichkeit gerichtet sind, z. B. in der materiellen Produktion. In der Literatur werden auch drei Bedingungen für eine erfolgreiche Fachkommunikation genannt: “(a) The intention condition: The originator A must express his intention in such a way that the recipient B can recover it correctly either from the message or from the situation in which it is transmitted or received. (b) The knowledge condition: A and B must both operate within the same subdivision of the store of knowledge. In order to affect B’s knowledge A must either have prior information about B’s present state of knowledge or he must make correct assumptions about it.

681

(c) The code condition: The originator A must choose a code which he knows or correctly assumes the recipient B to have command of, and which will ensure accurate transmission of the message in the presence of noise. B must be able to recognise the code and to use it analytically“ (Sager/Dungworth/McDonald 1980, 52).

Für die Suche nach einer plausiblen Aufteilung der fachlichen Kommunikationsbereiche ist besonders die zweite Bedingung wichtig, weil sie den jeweiligen Tätigkeitsbereich zu einem entsprechenden Bereich fachlicher Kenntnisse in Beziehung setzt und damit sowohl physische als auch psychische bzw. kognitive Leistungen als Kriterien gelten läßt. So korrespondieren viele fachliche Kommunikationsbereiche sogar in erster Linie mit Wissensgebieten (Kenntnissystemen), deren Inhalte auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Maße aktualisiert werden, sei es als konkrete handwerkliche Tätigkeit, sei es als abstraktes wissenschaftliches Denken. Die Fachsprachenforschung hat bisher vor allem die Subsprachen von Wissenschaft und Technik untersucht. Als Kommunikationsbereiche hat sie dabei Ausschnitte aus dem Leben der Gesellschaft bezeichnet, in denen (voneinander verschiedene) Fachsprachen verwendet werden, ein im Grunde immer noch soziolinguistischer Ansatz in der Nachfolge von Sondersprachen und Gruppensprachen, aber der Tätigkeitsaspekt hat dabei wesentlich an Bedeutung gewonnen: „Primär ist dabei die produktive Tätigkeit des Menschen ⫺ die körperliche wie die geistige ⫺ in diesem Abschnitt der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie bestimmt den Inhalt und bis zu einem gewissen Grade auch die Form der sprachlichen Kommunikation. Dabei ist es für die Sprache nicht unwichtig, ob es sich um eine überwiegend wissenschaftlich-theoretische, angewandt-technische, praktisch-produzierende, administrativ-leitende oder andere Tätigkeit handelt. Auch der Entwicklungsstand all dieser Tätigkeiten spielt eine große Rolle; so ist es nicht gleichgültig, ob die praktisch-produktive Tätigkeit noch weitgehend manuellen Charakter trägt oder bereits einen hohen Automatisierungsgrad erreicht hat, ob die betreffende Wissenschaft sich vorwiegend deduktiv-logischer oder induktiv-empirischer Methoden bedient. Unterschiede treten auch im Sprachgebrauch der Forschung einerseits und der Lehre andererseits auf. So ist das, was wir Kommunikationsbereich nennen, zwar von der Sache her nach außen abzugrenzen, in sich aber ein kompliziertes Gebilde, das seinen Stempel auch der Sprache aufprägt“ (Hoffmann 1987 a, 53⫺54).

Bei der Abgrenzung der Kommunikationsbereiche, der Fächer und ihrer Fachsprachen

682

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

gegeneinander gibt es Probleme, die in der Gliederung der Welt selbst und in der Akkumulation menschlichen Wissens über sie liegen. Diese Welt bildet eine Einheit, die in ihrer Gesamtheit für kein Individuum und auch für kein ⫺ wie auch immer geartetes ⫺ Kollektiv/Team zu erfassen ist. Die Arbeitsteilung in der Auseinandersetzung mit der Welt ist deshalb eine natürliche und notwendige Erscheinung. In ihrem Gefolge entstehen zunächst immer stärker spezialisierte und gut voneinander zu unterscheidende Berufsgruppen, Produktionszweige und Wissenschaftsdisziplinen, z. B. Fischereiwesen, Bergbau, Elektrotechnik, Chemie, Rechtswissenschaft, Ökologie. Je weiter aber die produktiven Fertigkeiten und die tätige Erkenntnis der Menschen fortschreiten, desto deutlicher wird die Dialektik von Spezialisierung und Integration. Es kommt zur engen Verflechtung ganzer Produktionszweige, zur intensiven Kooperation zwischen Einzelwissenschaften und zur Herausbildung interdisziplinärer Bereiche. Die Dialektik dieses Prozesses besteht darin, daß ohne diese Integration eine weitere Spezialisierung, d. h. die Lösung ganz spezieller Aufgaben, nicht mehr möglich ist. Unter diesen komplizierten Bedingungen hat sich die Fachsprachenforschung bei der Einteilung von Tätigkeits- und Kommunikationsbereichen an eine Grobeinteilung auf mehr oder weniger traditioneller Grundlage gehalten, die weiter verfeinert werden kann. Diese Grobeinteilung geht von der Definition des Gegenstandes des jeweiligen Faches und von seinen Kerngebieten aus. Sie gestattet es, jedem Fach einen Komplex von Fachtexten zuzuordnen, aus dem Aussagen über die Spezifik der jeweiligen Fachsprache im Vergleich zu anderen Subsprachen und Fachsprachen zu gewinnen sind. Damit ist die angestrebte Verbindung von fachlichem Kommunikationsbereich und Fachsprache hergestellt und gleichzeitig eine Art horizontale Gliederung der Fachkommunikation erreicht (Hoffmann 1987a, 53⫺62; vgl. auch Fluck 1991, 16⫺17; von Hahn 1983, 72⫺83; Möhn/Pelka 1984, 30⫺39; Schröder 1987, 56⫺61). Andere (nicht-fachliche) Kommunikationsbereiche lassen sich weit schwerer bestimmen, weil die Tätigkeiten dort weniger spezialisiert und die Kenntnissysteme weniger scharf umrissen sind. Hinzu kommt die Tatsache, daß die Fachsprachenlinguistik die Fachsprachen einzelner Kommunikationsbereiche gewöhnlich der vagen, amorphen Totale Gemeinsprache oder der Sprache (dem Stil) der

künstlerischen Literatur gegenübergestellt hat, ohne diese weiter zu differenzieren (vgl. Art. 12). Eine andere, extreme Lösung war die Opposition von FS vs NFS, d. h. Fachsprache(n) vs Nichtfachsprache(n) (Drozd/ Seibicke 1973, 79⫺128). Einige Fachsprachenforscher haben die Existenz anderer Subsprachen angezweifelt oder sie aus der näheren Betrachtung ausgeschlossen (z. B. Hoffmann 1987 a, 47⫺52). Pauschal bleiben auch die Dreiteilung in fachinterne, interfachliche und fachexterne Kommunikation(ssituationen) und die Spezifizierung der letzteren nach (1) direkter ⫺ mündlicher ⫺ Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien, (2) indirekter ⫺ schriftlicher ⫺ Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien und (3) massenmedialer ⫺ mündlicher und schriftlicher ⫺ Kommunikation über fachliche Gegenstände und Sachverhalte (Möhn/Pelka 1984, 150⫺153) oder nach Textsorten (z. B. Gläser 1990, 147⫺255) und die Unterscheidung von sechs Kommunikationstypen (Petöfi 1981, 154) oder ähnliche Versuche. Allerdings wird dabei die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen gut sichtbar. Hält man grundsätzlich am Tätigkeitsprinzip und am Kenntnissystem als Kriterien für die Einteilung von Kommunikationsbereichen fest, dann sind nicht-fachliche Kommunikationsbereiche solche, in denen Menschen neben und weitgehend unabhängig von ihrer sonstigen fachlichen Qualifikation und Arbeit auf der Basis allgemeinen Weltwissens sprachlich handeln. Hierher gehört zweifellos die sogen. Alltagskommunikation (vgl. Art. 74), die nicht nur mit Mitteln der Gemeinsprache auskommen kann. Auch die schöne Literatur (vgl. Art. 75) bildet, zusätzlich oder gar maßgeblich geprägt durch ihre ästhetische Funktion, einen eigenen Kommunikationsbereich, an dem alle ⫺ zumindest passiv ⫺ teilhaben können, die das nur wollen. Populärwissenschaftliche Vermittlungstexte (vgl. Art. 76) haben ebenfalls keinen Platz in der echten Fachkommunikation und unterscheiden sich, ob von Fachleuten oder von Fachjournalisten geschrieben, deutlich in ihren Kommunikationsstrategien und sprachlichen Mitteln, weil sie nicht mit speziellen Fachkenntnissen rechnen können. Werbetexte außerhalb von Fachzeitschriften (vgl. Art. 78) gehen zwar von einem speziellen Gegenstand aus, stellen diesen aber sprachlich in die Verfügung der Allgemeinheit. Öffentliche Texte von Politikern (vgl. Art. 77) richten sich in der

72. Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen

Masse der Fälle an eine breite Leser- oder Zuhörerschaft, ohne daß dabei enge fachliche Kompetenz im Spiele sein muß. Der Sprachgebrauch in Verkauf und Konsum (vgl. Art. 78) liegt gewiß in der Übergangszone von Fachkommunikation und Alltagskommunikation; er kann deshalb sowohl zur untersten Schicht in der vertikalen Stratifikation der Fachsprachen als auch zu einem gesonderten Kommunikationsbereich gezählt werden, zumal er neben der sachbezogenen Terminologie eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten aufweist. Die recht unterschiedlichen Beispiele zeigen, daß es nicht abwegig wäre, die nicht-fachlichen Kommunikationsbereiche nach einer gründlichen linguistischen Analyse in Anlehnung an die horizontale Gliederung der Fachsprachen auf einer Skala zunehmender Enfernung von der Fachkommunikation anzuordnen. Dort könnten wahrscheinlich noch weitere Kommunikationsbereiche Berücksichtigung finden, z. B. Kommunales Leben, Dienstleistungen, (Weiter-)Bildung, Wohnkultur, Körperpflege, Freizeitgestaltung, Sexualverhalten, Kindererziehung, Geselligkeit u. a. Diese rein exemplarische Aufzählung, die ebenso wie die vorhergehende noch weit von einer stringenten Klassifikation entfernt ist, wirft sofort auch eine Reihe von Fragen auf: Wie groß oder wie klein darf ein Kommunikationsbereich sein? Fällt nicht einiges schon in die Alltagskommunikation, so daß diese weiter untergliedert werden müßte? Werden nicht fachliche Kommunikationsbereiche Anspruch auf diesen oder jenen Komplex sprachlicher Mittel erheben? Welche weiteren Kriterien, außer Tätigkeit und Wissen, müssen bei einer strengen Systematisierung der fachlichen und der anderen Kommunikationsbereiche berücksichtigt werden, aber so, daß sie das Bild nicht sofort wieder verwirren? Immerhin bietet der Hinweis auf die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen Veranlassung, die durchaus natürlichen Austauschprozesse zwischen ihnen näher in Augenschein zu nehmen.

4.

Austauschprozesse und gegenseitige Einwirkungen

4.1. Geben und Nehmen in der sprachlichen Kommunikation Ob das commercium linguae auch ein commercium dandi et accipiendi beneficii ist, wie man aus einigen Wörterbüchern herauslesen

683

könnte, soll hier nicht erörtert werden. Sprachliche Kommunikation ist auf alle Fälle ein ständiges Geben und Nehmen. Mit sprachlichen Mitteln werden Informationen, Gedanken und Gefühle ausgetauscht, und mit den Informationen, Gedanken und Gefühlen wechseln auch sprachliche Mittel vom Textproduzenten hinüber zum Textrezipienten. Austausch ist zugleich gegenseitige Beeinflussung im Sinne der Veränderung bestehender Kenntnissysteme und Handlungsgewohnheiten, sowohl sprachlicher als auch nichtsprachlicher. Das gilt nicht nur für einzelne Kommunikationsteilnehmer, sondern für ganze Kommunikationsgemeinschaften und mit ihnen für die Kommunikationsbereiche, in denen sie agieren und in denen die Kommunikation sehr spezifische Züge annehmen kann. Das sprachliche Handeln mit all seinen Austauschbeziehungen bewirkt letztlich auch gewisse Veränderungen im Sprachsystem und in seinen Teilsystemen, in den Subsprachen. In der Sprachwissenschaft haben bisher vor allem folgende Möglichkeiten der einseitigen oder wechselseitigen Einwirkung eine Rolle gespielt: Einzelsprache/Einzelsprache, Hochsprache/Umgangssprache, Hochsprache/ Dialekt, Hochsprache/Soziolekt, Hochsprache/Technolekt, Dialekt/Dialekt, Dialekt/Soziolekt, Dialekt/Technolekt, Soziolekt/Technolekt, Technolekt/Technolekt. Die Fachsprachenforschung hat einige davon akzentuiert und spezifiziert, z. B. Gemeinsprache/Fachsprache, Fachsprache/Fachsprache, Fachsprache/Fachjargon, Fachsprache/Nicht-Fachsprache; Fachstil/Künstlerischer Stil. Das Schwergewicht hat dabei zunächst auf dem Wortschatz gelegen, z. B. Terminologisierung/Entterminologisierung; Mischterminologien; Internationalismen. Hinzugekommen sind später Stilzüge und andere sprachliche Phänomene. Da die meisten fachsprachlichen Untersuchungen der synchron(isch)en Sprachbetrachtung verpflichtet sind, sehen sie Austauschbeziehungen überwiegend vom jeweils gegenwärtigen Sprachzustand aus rückblickend und fragen: Woher stammt diese oder jene sprachliche Erscheinung? Wie die betreffende Erscheinung in den jetzigen Kommunikationsbereich gelangt ist, wird kaum erörtert. Man sollte in diesem Zusammenhang zumindest einigen Beobachtungen weiter nachgehen: Die meisten Menschen bewegen sich sprachlich in mehr als einem Kommunikationsbereich bzw. in ganz verschiedenen

684

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Kommunikationssituationen, z. B. schon als Kinder im Kindergarten oder in der Schule, in der Familie, im Freundeskreis, in der Sportgemeinschaft; als Jugendliche in der Berufsausbildung, an einer Fachhochschule oder Hochschule, in einer Jugendorganisation, Verbindung oder „Gang“; als Erwachsene am Arbeitsplatz, in einem Berufsverband, einer Partei oder einer Religionsgemeinschaft, einem Kleingartenverein, am Stammtisch, bei Kultur, Hobby und Erholung. Dabei kommt es zu Kontakten mit ständigen oder wechselnden Kommunikationspartnern, für die dasselbe gilt, wenn vielleicht auch in anderen Gesamtkonstellationen. In vielen Kommunikationsbereichen bzw. -situationen überwiegt zwischen den Kommunikationspartnern ein Über-/Unterordnungsverhältnis, das zu einseitiger Beeinflussung führen kann (z. B. im Erziehungsund Ausbildungsprozeß), in anderen herrscht Gleichberechtigung mit gegenseitigen Einwirkungen (z. B. in freiwilligen Interessengemeinschaften). Von entscheidender Bedeutung für die Austauschprozesse zwischen Kommunikationsbereichen sind Aussagen und Erörterungen über bestimmte Kommunikationsgegenstände. Das gilt nicht nur für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen fachlichen Kommunikationsbereichen (vgl. Art. 73). Der große Anteil und die vielfach bestimmende Rolle der beruflich-fachlichen Tätigkeit des Menschen führen dazu, daß der Einfluß der fachlichen auf andere Kommunikationsbereiche weit stärker ist als die Einwirkung in der entgegengesetzten Richtung. Dabei werden fachsprachliche Mittel häufig unbewußt verwendet, z. B. wenn von Erosion, Insuffizienz, Kettenreaktion, Kommunikation, Nische, Potenzierung, Redundanz, Schizophrenie, Sublimierung, Traverse, Ventil usw. außerhalb des ursprünglichen Zusammenhanges die Rede ist; sie können aber auch bewußt in ironischer oder humoristischer Absicht eingesetzt werden, z. B. wenn ein Politiker als Senkrechtstarter, ein Chef als Leithammel, ein tüchtiger Kollege als Lokomotive oder Zugpferd, eine tüchtige Haushilfe als Perle, ein Intrigant als Bolzendreher, ein Zögerer als Bremser, ein Konzern als Flaggschiff, eine Anregung als Initialzündung, ein guter Posten als Futterkrippe, ein Arbeitsplatz als Schleudersitz, eine Warnung als Schuß vor den Bug, ein Kopf als Dickschiffpoller, eine durstige Kehle als große Düse, eine Fehlleistung als Makulatur be-

zeichnet werden. (Hier sprudeln die Quellen der Metaphorik bei großer Nähe zur Umgangssprache!) Aus soziolinguistischer Sicht verleiht die Verwendung von Elementen der Fachkommunikation außerhalb ihres eigenen Geltungsbereiches Autorität und Prestige; sie kann aber auch zur Errichtung von Sprachbzw. Verständigungsbarrieren führen. Die Übernahme durch Halbgebildete und Laien bewegt sich zwischen Pseudowissen und Lächerlichkeit. Natürlich befriedigt auch die Fachkommunikation ihren nie zu stillenden Benennungsbedarf aus anderen Kommunikationsbereichen. Beispiele dafür sind: Nonne (Schmetterling), Föhn (Haartrockner), Krone (Zahnersatz), Lager (Maschinenelement), Pfanne (Dachziegel), Familie (Pflanzen-/Tierkategorie), Fuß (Maßeinheit), Scheitel (Anfangspunkt eines Winkels), Körper (geometrisches Grundgebilde), Mantel (Zylinderfläche), Linse (Glaskörper), Pol (Anschlußklemme), Ader (Erzgang), Schiffchen (Nähmaschinenteil) usw. Hier ist allerdings nicht immer klar, wo die Grenzen zur Gemeinsprache verlaufen. Umgangssprachlich wirken Übernahmen in den Fachjargon, z. B. Saft (elektrischer Strom), Macke oder Panne (Störung), Hurenkind oder Schusterjunge (typographischer Fehler), Hexenbesen (Gallbildung), Mauerfraß (Kalziumnitrat), Filetstück (wertvolle Immobilie), Buchdrucker (Borkenkäfer), Bauernopfer (Fallenlassen), Vetternwirtschaft (gegenseitige Begünstigung), Tropf (Hilfsmaßnahme), Blüte (Falschgeld), Hängepartie (Dauer), Volltreffer (Erfolg), Knochen (Schwierigkeit), Klamotte (altes Stück), Strickmuster (Verfahren), Puzzle (Geduldsspiel) u. a. m. Bei aller Selbstverständlichkeit, mit der sich die Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen vollziehen, gibt es eine Reihe von Erscheinungen, die noch ihrer genaueren Beschreibung und Erklärung harren. 4.2. Probleme An den Beispielen in 4.1. ist abzulesen, daß die Lexik bei den Austauschbeziehungen zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen an erster Stelle steht. Während es jedoch zu den Wechselwirkungen von Fachwortschatz und allgemeinem Wortschatz ⫺ im Gesamtrahmen der Dichotomie von Fachsprache und Gemeinsprache (vgl. Art. 12) ⫺ eine Fülle von Untersuchungen gibt, findet man zu diesem speziellen Thema

72. Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen

in der Literatur nur gelegentlich Andeutungen, z. B. über Fachwörter als Verkaufshilfen in der Warendistribution bzw. Werbung (vgl. Brandt 1973; Fluck 1991, 169⫺172; Gläser 1979, 124⫺135; Möhn/Pelka 1984, 152⫺153; Schunke 1978), als literarisches Stilmittel (Faulseit/Kühn 1969, 27⫺37; Fluck 1991, 172⫺174; Riesel 1963, 104⫺113), als Vermittler fachlichen Wissens zu Laien in Sachbüchern und populärwissenschaftlichen Zeitschriften (Fluck 1991, 174⫺175; Gläser 1979, 97⫺105; Hömberg 1989; Möhn/Pelka 1984, 152⫺153; Wiese 1984, 108⫺112), als Statussymbol (Enzensberger 1975; Hayakawa 1976, 375⫺378; Oksaar 1988, 25⫺72; 166⫺168), als Ursachen für Kommunikationskonflikte bzw. „Sprachbarrieren“ (Badura 1973, 91⫺ 175; Bungarten 1981, 45⫺49; Fluck 1991, 39⫺41; 198⫺201; Hoffmann 1986, 87⫺90; Skowronek/Budin 1985; Uhle 1973), als politisches Instrument (Bergsdorf 1978; Hoberg 1989; Klaus 1971; Strauß 1986). Wenn schon nicht-fachliche oder fachexterne Kommunikationsbereiche analysiert wurden, dann entweder in sich selbst oder im synchronen Vergleich zu fachlichen Kommunikationsbereichen, meistens an bestimmten Textsorten wie wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel vs populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel, Rezension wissenschaftlicher Werke vs Rezension künstlerischer Werke, Werbung in Fachzeitschriften vs Werbung in Tageszeitungen und Illustrierten, Bedienungsanleitungen für Fachleute vs Bedienungsanleitungen für Laien (vgl. Kap. VII). Lexikalische Schübe mit ihren semantischen Differenzierungsprozessen wurden dabei nicht sichtbar. Detaillierte Aussagen über Austauschbewegungen, d. h. über Veränderungen im Bestand der Lexik und in bezug auf semantische Unterschiede sind aber eigentlich erst auf Grund eines diachronen Längsschnittes möglich, in den (Spezial-)Wörterbücher und Fachtexte in Zeitintervallen von etwa 50 Jahren einbezogen werden müßten. Da solche nicht vorliegen, können hier nur ein paar Tendenzen erwähnt werden, die nicht etwa einen bestimmten Kommunikationsbereich kennzeichnen. Fachwortschätze ⫺ besonders technische ⫺ übernehmen lexikalische Einheiten aus anderen Wortschätzen oft in unveränderter Form, z. B. Simplizia wie Schürze, Kammer, Ring; in diesen Fällen erfolgt einerseits eine Erweiterung des Begriffsumfanges, andererseits eine Einengung oder zumindest Veränderung des Begriffsinhalts durch den Wechsel wenigstens eines Merkmals. Solche Prozesse sind aus

685

kognitiver Sicht näher zu untersuchen und nicht mehr lediglich durch Ähnlichkeiten in Form und/oder Funktion zu erklären, wie das die Stilistik bei den Metaphern getan hat. Ein Schritt in diese Richtung ist die Ermittlung dominanter Spenderbereiche, die gewöhnlich für Teile von Kommunikationsbereichen oder für Kommunikationsgegenstände stehen, z. B. der Mensch mit seinen Körperteilen und Organen (Gelenk, Kopf, Schenkel; Ader, Auge, Schlund), die Tierwelt (Schnecke, Schlange, Spinne), die Pflanzenwelt (Ast, Blatt, Nuß), die Seefahrt (Kapitän, Segel, Anker), das Küchengerät (Kessel, Pfanne, Teller, Löffel) usw. Bei dieser Art Wortschatz erhebt sich allerdings die Frage, ob er nicht schon zu anderen Fachwortschätzen gehört (vgl. Art. 73). Sollte das der Fall sein, so ist es doch unwahrscheinlich, daß der Austauschprozeß von den Kommunikationsteilnehmern so empfunden wird; eher ist eine Vermittlung durch die Gemeinsprache oder die Umgangssprache anzunehmen, in denen gerade solche Wörter ständig verwendet werden. Anders liegen die Dinge bei den Derivaten von Substantiven, Verben und Adjektiven, z. B. Verkleidung, Summer, Geschwindigkeit, die durch ihre Affixe bereits eine für die Fachkommunikation günstige Spezifizierung erfahren haben. Hier kommt es vor allem darauf an, Suffixe und Präfixe in ihrer fachlich bedingten Bedeutungsspezialisierung zu erfassen. Viele Komposita sind unter dem Aspekt der Austauschbeziehungen Hybriden, die erst in der Zusammensetzung als Fachwort erkennbar werden, z. B. Spieltheorie, Brennermund, Abzweigkasten, Polschuh, Katzengold. Dabei sind Motivationsbeziehungen von Interesse. Ähnliches gilt für die Wortgruppentermini mit adjektivischer Prämodifikation, z. B. alter Mann (Bergbau), schwarzer Kasten (Informationstheorie), falscher Freund (Übersetzungswissenschaft), stiller Teilhaber (Wirtschaft), lange Welle (Radiotechnik), schweres Wasser (Atomphysik). Bei der Abwanderung lexikalischer Einheiten aus der Fachkommunikation in andere Kommunikationsbereiche gibt es ebenfalls die Eingliederung in unveränderter Form und (Prä-)Modifikationen durch Adjektive oder durch determinative Elemente bei der Komposition, durch deren Hinzutreten der Austausch erst möglich wird, z. B. heißer Draht, lange Leitung, feste Bank, roter Faden, neue Masche, großer Wurf, dünnes Brett, alte Kiste, alte Schraube, alte Fregatte, hohler Vogel,

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

faules Ei; Suppenschmiede, Wohnsilo, Besentechniker, Hohlroller, Stimmungskanone, Flaschenbatterie, Dauerbrenner, Lachsalve, Informationslawine, Schnapsidee, Quasselstrippe, Buschfunk, Schongang. Während die unveränderten Eingliederungen zwar nicht als stilistisch neutral, aber doch als hochsprachlich einzustufen sind, kann man die letztgenannten Bildungen entweder dem Fachjargon oder der Umgangssprache zurechnen, und auch Vulgarismen sind nicht auszuschließen. Diese Wirkung der Adjektive und Kompositionselemente verdient eine weitere semantische Untersuchung. Insgesamt gesehen sind die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Fachwortschätzen und anderen Wortschätzen ein getreues Spiegelbild der Abgrenzungsprobleme zwischen fachlichen und nichtfachlichen Kommunikationsbereichen überhaupt. Weniger ergiebig ist die Suche nach Austauschprozessen auf den Ebenen der Morphologie, der Syntax und des Textes. Sie werden in der Literatur so gut wie nicht erwähnt; einige Aussagen gibt es lediglich zum Einfluß der fachsprachlichen Syntax (und Morphologie) auf die Entwicklung der Gemeinsprache (vgl. Art. 12). Aber auch da ist die Auffassung weitverbreitet, „daß die Fachsprachen keine exklusive Syntax besitzen“ (von Hahn 1983, 111), so daß man der Frage eigentlich nicht weiter nachgehen müßte. Wie dem auch sei, man kann ⫺ ausgehend von ersten, indirekten Beobachtungen ⫺ die folgenden Phänomene der näheren Aufmerksamkeit empfehlen: Eindringen von fachsprachentypischen Flexionsendungen in andere Subsprachen, z. B. russisch -a im Nominativ Plural der Maskulina (трактора, лктора, договора); Konkurrenz zwischen „wissenschaftlicher“ und umgangssprachlicher Schreibweise in englischen und deutschen Pluralformen bei Wörtern lateinischer und griechischer Herkunft (curricula vs curriculums, stigmata vs stigmas, appendices vs appendixes; Matrizes vs Matrizen, Strata vs Straten, Schemata vs Schemas); Verwendung der in der Wissenschaftssprache bevorzugten Rektion in anderen Kommunikationsbereichen (einer Untersuchung wert vs eine Untersuchung wert, mir wichtig vs für mich wichtig; etwas diskutieren vs über etwas diskutieren, sich eignen zu vs sich eignen für, sich abheben gegen vs sich abheben von); Ausbreitung der für Fachsprachen typischen Funktionsverbgefüge (eine Spannungsprüfung ausführen, einen Nachweis

erbringen, Verwendung finden, eine Feststellung treffen); Anonymisierung bzw. Deagentivierung auch außerhalb der Fachkommunikation (mittels einer Dreihung nach rechts, bei Aufruf, nach Einwurf der Münze, wegen Umleitung des Verkehrs); Verwendung von Passiv und Reflexiv in ähnlicher Funktion (der Griff wird nach rechts gedreht, der Ablauf ist geregelt, das Rad dreht sich); Gebrauch von Wiederholung, Parenthese, Aufzählung usw. zur Erhöhung der Einprägsamkeit fachexterner Ausführungen; Textgliederung nach der Dezimalklassifikation oder mit Hilfe von Paragraphen; Übernahme ganzer Fachtextsorten in andere Kommunikationsbereiche, z. B. Resümees in öffentlichen Reden, Kataloge in Ausstellungen, Richtlinien für die Ernährung, Handbücher für Heimwerker, nicht zu vergessen Fragebögen und Formulare für alles und jedes. Morphologie, Syntax und Textgestaltung in den Fachsprachen nach Einflüssen aus anderen Kommunikationsbereichen abzuklopfen erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig sinnvoll.

5.

Methoden zur Erfassung, Beschreibung und Erklärung der Austauschprozesse

Bei der systematischen Untersuchung der Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen sollte man wahrscheinlich weder mit einer notgedrungen willkürlichen Fixierung von Kommunikationsbereichen noch mit der empirisch-intuitiven Sammlung von sprachlichen Beispielen beginnen. Auch die Neuordnung gemeinsprachlicher Phänomene nach nicht-fachlichen Verwendungsbereichen und -situationen oder die Suche nach einer endlichen Zahl fachexterner Kommunikationsbereiche ⫺ in der Hoffnung, beide könnten einander irgendwo begegnen ⫺ versprechen keine brauchbaren Resultate. Gemessen an der relativ klaren Einteilung der Fachkommunikation nach Fachgebieten und Fachsprachen, wird eine solche für andere Kommunikationsbereiche immer verschwommen bleiben. Auch die Unterscheidung von Textsorten der fachexternen Kommunikation bleibt zumeist auf Fachtexte beschränkt. Mehr Aufschluß über die Wechselwirkungen der genannten Art ist von den ganz elementaren Fragestellungen zu erwarten: Wie bewegt sich der Physiker, der Jurist, der Mediziner, der Philologe, der Maschinenbauer,

72. Austauschprozesse zwischen fachlichen und anderen Kommunikationsbereichen

der Bergingenieur, kurz: der Vertreter einer ganz bestimmten wissenschaftlichen oder technischen Disziplin und Berufsgruppe sprachlich in Situationen, die außerhalb seiner engeren fachlichen Tätigkeit liegen, z. B. im Betriebsrestaurant, in einer Wahlversammlung, bei einem Elternabend, beim Innenarchitekten, beim Steuerberater, in einer Reparaturwerkstatt, beim Friseur, in der Hotelpension, im Fußballstadion, am Skattisch usw.? Aber auch: Wie schreibt er Eingaben, Lebensläufe, Bewerbungen, Briefe, Tagebuchnotizen, Protokolle u. ä.? Zur Beantwortung dieser und anderer Fragen ist eine kommunikationstheoretische, sozio- und psycholinguistisch fundierte Konzeption vonnöten. Hilfreich sind bei all diesen Beobachtungen, wenn sie überhaupt möglich sind, allgemeine Kommunikationsmodelle (vgl. Gülich/ Raible 1977, 25; Schröder 1987, 127), spezielle Kommunikogramme (vgl. von Hahn 1983, 144⫺150) und Matrizen zur Erfassung der Externa und Interna der in der jeweiligen Kommunikationssituation erzeugten mündlichen und schriftlichen Texte (vgl. Hoffmann 1987 b, 96⫺100). Rahmendarstellungen für einzelne nicht-fachliche Kommunikationsbereiche sollten in die Beschreibung und Erklärung einbezogen werden, z. B. für die Politik (Bergsdorf 1978; Hoberg 1989; Klaus 1971; Strauß 1986), für die Wirtschaftswerbung (Brandt 1973; Schunke 1978), für die Öffentlichkeitsarbeit und Verwaltung (Braun 1986; Fuchs-Khakhar 1987; Oksaar 1988; Wagner 1970), für den Sport (Dankert 1969; Schneider 1974), für den Wissenschaftsjournalismus (Hömberg 1989; Dressler/Wodak 1989; Sandrock 1987), für das Gesundheitswesen (Lalouschek/Menz/Wodak 1990; Lörscher 1983; Spranz-Fogasy 1987).

6.

Literatur (in Auswahl)

Austin 1972 ⫽ John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 1972. Badura 1973 ⫽ Bernhard Badura: Sprachbarrieren. Zur Soziologie der Kommunikation. 2. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973 (problemata). Bergsdorf 1978 ⫽ Wolfgang Bergsdorf: Politik und Sprache. München 1978 (Geschichte und Staat 213). Brandt 1973 ⫽ Wolfgang Brandt: Die Sprache der Wirtschaftswerbung. Ein operationelles Modell zur Analyse und Interpretation von Werbung im Deutschunterricht. In: Germanistische Linguistik 1973, 1⫺290.

687

Braun 1986 ⫽ Sprache als Medium und Verständigungsmittel zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Öffentlichkeit. Hrsg. v. Hans Braun. Bonn 1986 (Schriften der Akademie des Deutschen Beamtenbundes A/2). Bungarten 1981 ⫽ Theo Bungarten: Wissenschaft, Sprache und Gesellschaft. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981, 14⫺53. Dankert 1969 ⫽ Harald Dankert: Sportsprache und Kommunikation. Untersuchungen zur Struktur der Fußballsprache und zum Stil der Sportberichterstattung. Tübingen 1969 (Volksleben 25). Dressler/Wodak 1989 ⫽ Fachsprache und Kommunikation. Experten im sprachlichen Umgang mit Laien. Hrsg. v. Wolfgang U. Dressler und Ruth Wodak. Wien 1989. Drozd/Seibicke 1973 ⫽ Lubomir Drozd/Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Wiesbaden 1973. Enzensberger 1975 ⫽ Hans M. Enzensberger: Muß Wissenschaft Abrakadabra sein? In: Fachsprache und Gemeinsprache. Texte zum Problem der Kommunikation in der arbeitsteiligen Gesellschaft. Hrsg. v. Wilfried Klute. Frankfurt/M. Berlin. München 1975 (Kommunikation/Sprache. Materialien für den Kurs- und Projektunterricht 6254), 85⫺91. Faulseit/Kühn 1969 ⫽ Dieter Faulseit/Gudrun Kühn: Stilistische Mittel und Möglichkeiten der deutschen Sprache. 4. Aufl. Leipzig 1969. Fleischer 1988 ⫽ Wolfgang Fleischer: Terminologisierung als Ausdruck der Wechselbeziehung zwischen Fachwortschätzen und Allgemeinwortschatz. In: Germanistisches Jahrbuch DDR-UVR 1988, 161⫺171. Fluck 1991 ⫽ Hans-Rüdiger Fluck: Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. 4. Aufl. Tübingen 1991 (Uni-Taschenbücher 483). Fuchs-Khakhar 1987 ⫽ Christine Fuchs-Khakhar: Die Verwaltungssprache zwischen dem Anspruch auf Fachsprachlichkeit und Verständlichkeit. Ein Vergleich der Darstellung dieses Konfliktes in der deutschen Verwaltungssprache und der Vorschläge zu seiner Bewältigung seit 1958. Ergänzt durch einen Blick auf die neueren Ansätze zur Verbesserung der Verwaltungssprache in Großbritannien. Tübingen 1987. Gläser 1979 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachstile des Englischen. Leipzig 1979 (Linguistische Studien). Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). Gülich/Raible 1977 ⫽ Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible: Linguistische Textmodelle. Grundlagen und Möglichkeiten. München 1977 (Uni-Taschenbücher 130). Habermas 1981 ⫽ Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns 1 und 2. Frankfurt/M. 1981.

688

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung⫺Linguistische Konzepte⫺ Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Hayakawa 1976 ⫽ S. I. Hayakawa: Sprache im Denken und Handeln. Allgemeine Semantik. 5. Aufl. Darmstadt 1976. Hoberg 1989 ⫽ Rudolf Hoberg: Politischer Wortschatz zwischen Fachsprachen und Gemeinsprache. In: Sprache zwischen Militär und Frieden: Aufrüstung der Begriffe? Hrsg. v. Armin Burkhardt, Franz Hebel und Rudolf Hoberg. Tübingen 1989 (Forum für Fachsprachen-Forschung 7), 9⫺17. Högy/Weiß 1973 ⫽ Kommunikation und Information. Texte zur Kommunikations- und Informationstheorie. Unter besonderer Berücksichtigung des sprachlichen Aspekts. Hrsg. v. Tatjana Högy und Horst Weiß. Frankfurt/M. Berlin. München 1973 (Kommunikation/Sprache. Materialien für den Kurs- und Projektunterricht 6242). Hömberg 1989 ⫽ Walter Hömberg: Das verspätete Ressort. Die Situation des Wissenschaftsjournalismus. Konstanz 1989 (Journalismus, N. F. 29). Hoffmann 1986 ⫽ Lothar Hoffmann: Wissenschaftssprache als gesellschaftliches Phänomen. In: Wissenschaftssprache und Gesellschaft. Aspekte der wissenschaftlichen Kommunikation und des Wissenstransfers in der heutigen Zeit. Hrsg. v. Theo Bungarten. Hamburg 1986, 76⫺93. Hoffmann 1987 a ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 3. Aufl. Berlin 1987 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Hoffmann 1987 b ⫽ Lothar Hoffmann: Ein textlinguistischer Ansatz in der Fachsprachenforschung. In: Standpunkte der Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Manfred Sprissler. Tübingen 1987 (forum Angewandte Linguistik 11), 91⫺105. Hoffmann 1993 ⫽ Lothar Hoffmann: Fachwissen und Fachkommunikation. Zur Dialektik von Systematik und Linearität in den Fachsprachen. In: Fachsprachentheorie 2. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 595⫺617. Jaspers 1948 ⫽ Karl Jaspers: Philosophie. 2. Aufl. Berlin. Göttingen 1948. Klappenbach/Steinitz 1984 ⫽ Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache 3. Hrsg. v. Ruth Klappenbach und Wolfgang Steinitz. 6. Aufl. Berlin 1984. Klaus 1971 ⫽ Georg Klaus: Sprache der Politik. Berlin 1971. Klix 1973 ⫽ Friedhart Klix: Information und Verhalten. Kybernetische Aspekte der Informationsverarbeitung. Berlin 1973. Lalouschek/Menz/Wodak 1990 ⫽ Johanna Lalouschek/Florian Menz/Ruth Wodak: Alltag in der Ambulanz. Gespräche zwischen Ärzten, Schwe-

stern und Patienten. Tübingen 1990 (Kommunikation und Institution 20). Leont’ev/Leont’ev/Judin 1984 ⫽ Aleksej A. Leont’ev/A. N. Leont’ev/E. G. Judin: Grundfragen einer Theorie der Sprachlichen Tätigkeit. Berlin 1984. Lörscher 1983 ⫽ Helgard Lörscher: Gesprächsanalytische Untersuchungen zur Arzt-Patienten-Kommunikation. Tübingen 1983 (Linguistische Arbeiten 136). Maas/Wunderlich 1972 ⫽ Utz Maas/Dieter Wunderlich: Pragmatik und sprachliches Handeln. Mit einer Kritik am Funkkolleg „Sprache“. Frankfurt/ M. 1972 (Athenäum-Skripten Linguistik). Meggle 1981 ⫽ Georg Meggle: Grundbegriffe der Kommunikation. Berlin. New York 1981 (de Gruyter Studienbuch. Grundlagen der Kommunikation). Merten 1977 ⫽ Klaus Merten: Kommunikation. Eine Begriffs- und Prozeßanalyse. Opladen 1977 (Studien zur Sozialwissenschaft 35). Meyer-Eppler 1969 ⫽ Werner Meyer-Eppler: Grundlagen und Anwendungen der Informationstheorie. 2. Aufl. Berlin. Heidelberg. New York 1969 (Kommunikation und Kybernetik in Einzeldarstellungen 1). Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Oksaar 1988 ⫽ Els Oksaar: Kommunikation mit dem Bürger. Sprache als Werkzeug und Problem der Verwaltung. In: Els Oksaar: Fachsprachliche Dimensionen. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 4), 115⫺132. Petöfi 1981 ⫽ Janos S. Petöfi: Einige allgemeine Aspekte der Analyse und Beschreibung wissenschaftssprachlicher Texte. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981, 140⫺168. Riesel 1963 ⫽ Elise Riesel: Stilistik der deutschen Sprache. 2. Aufl. Moskau 1963. Sager/Dungworth/McDonald 1980 ⫽ Juan C. Sager/David Dungworth/Peter F. McDonald: English Special Languages. Principles and practice in science and technology. Wiesbaden 1980. Sandrock 1987 ⫽ Monika Sandrock: Möglichkeiten der Erklärung wissenschaftlicher Fachtermini in populärwissenschaftlichen Texten. In: Fachsprache und Wissenschaftssprache. Hrsg. v. Clemens Knobloch. Essen 1987 (Siegener Studien 42), 71⫺ 90. Schneider 1974 ⫽ Peter Schneider: Die Sprache des Sports. Terminologie und Präsentation in Massenmedien. Eine statistisch vergleichende Analyse. Düsseldorf 1974. Schröder 1987 ⫽ Hartmut Schröder: Aspekte sozialwissenschaftlicher Fachtexte. Ein Beitrag zur

689

73. Austauschprozesse zwischen fachlichen Kommunikationsbereichen Fachtextlinguistik. Hamburg 1987 (Papiere zur Textlinguistik 60). Schunke 1978 ⫽ Michael Schunke: Der Werbetext zwischen Wissenschaft und Praxis. In: Muttersprache 88. 1978, 185⫺191. Searle 1969 ⫽ John R. Searle: Speech Acts. Cambridge 1969. Shannon/Weaver 1976 ⫽ Claude E. Shannon/Warren Weaver: Mathematische Grundlagen der Informationstheorie. München. Wien 1976 (Scientia nova). Skowronek/Budin 1985 ⫽ Barbara Skowronek/Gerhard Budin: Zur Methodologie der Fachsprachenforschung und der fachsprachlichen Barrieren. Poznan´ 1985. Spranz-Fogasy 1987 ⫽ Thomas Spranz-Fogasy: Der Fachwortgebrauch im ärztlichen Gespräch. Heidelberg 1987. Strauß 1986 ⫽ Gerhard Strauß: Der politische Wortschatz. Zur Kommunikations- und Textsortenspezifik. Tübingen 1986 (Forschungsberichte des Instituts für Deutsche Sprache 60). Uhle 1973 ⫽ Sprache und Schicht. Materialien zum „Sprachbarrieren“-Problem. Hrsg. v. Barbara

Uhle. Frankfurt/M. Berlin. München 1973 (Kommunikation/Sprache. Materialien für den Kursund Projektunterricht 6243). Viehweger 1982 ⫽ Dieter Viehweger: Handlungsziele und Handlungsbedingungen komplexer Äußerungsfolgen. Untersuchungen zu einer handlungsorientierten Textanalyse. Habil. Berlin 1982. Wagner 1970 ⫽ Hildegard Wagner: Die deutsche Verwaltungssprache der Gegenwart. Eine Untersuchung der sprachlichen Sonderform und ihrer Leistung. Düsseldorf 1970 (Sprache der Gegenwart 9). Wersig 1971 ⫽ Gernot Wersig: Information⫺Kommunikation⫺Dokumentation. Ein Beitrag zur Orientierung der Informations- und Dokumentationswissenschaft. Berlin 1971. Wiese 1984 ⫽ Ingried Wiese: Fachsprache der Medizin. Eine linguistische Analyse. Leipzig 1984 (Linguistische Studien). Wunderlich 1976 ⫽ Dieter Wunderlich: Studien zur Sprechakttheorie. Frankfurt/M. 1976 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 172).

Lothar Hoffmann, Großdeuben

73. Austauschprozesse zwischen unterschiedlichen fachlichen Kommunikationsbereichen 1. Interdisziplinäre Kommunikation 2. Fachliche Kommunikationsbereiche 3. Interfachliche Kommunikation als kulturelles Handeln 4. Aktantenkonstellationen 5. Sprache und Wissen 6. Ausdrucks- und Wissensstufen 7. Importe 8. Wissensakzeß als kommunikativer Prozeß; interagentialer Transfer 9. Fächerdiskurse 10. Agent-Agent-Kommunikation 11. Literatur (in Auswahl)

1.

Interdisziplinäre Kommunikation

In den gelehrten Korrespondenzen der res publica litteraria fand im Deutschland der Aufklärung eine Kommunikation zwischen verschiedenen fachlichen Bereichen statt (Daston 1991, Neumeister/Wiedemann 1987). In den vertexteten Gesprächen, Diskussionen, Unterredungen, in entretiens der französischen Aufklärung wurden Themen der Naturwissenschaften, der Philosophie, der Psychologie, der aufkommenden Technik usw.

mit solchen des Alltags für ein unterschiedlich gebildetes Publikum in einen Argumentationszusammenhang gebracht: „Die Literaturgeschichte belegt [sc. die Entfaltung von Fachwissen in Unterhaltungen] offenkundig mit dem philosophischen, speziell platonischen … Dialog im Altertum, dem Lehrgespräch im Mittelalter bei den Kirchenvätern, dem themengebundenen Meinungsaustausch im Humanismus …, den Streitgesprächen in den religiösen und konfessionellen Auseinandersetzungen, den dialogischen Erörterungen philosophischer, ästhetischer, literarischer und naturwissenschaftlicher Probleme in der europäischen Aufklärungszeit. Die Wechselrede diente [sc. dazu] als selbständige Gattung …“ (Kalverkämper 1989, 29⫺30). Zu Beginn des 19. Jh.s hat Hegel ⫺ in idealistischer Synthese ⫺ das Wissen der Wissenschaften in ein Verhältnis zueinander gebracht, indem er es in eine gestufte Bewegung der Begriffe überführte und historisch-systematisch relativierte (Phänomenologie des Geistes, Enzyklopädie). Mehr als ein Jahrhundert später wird in dem von Neurath und Carnap begründeten Unified-Science-Pro-

690

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

gramm mit dem Konzept der „Einheitswissenschaft“ eine antihegelianische, im Impuls aber auch enzyklopädische Integration der Wissenschaften angestrebt, die mittels interdisziplinär verbindlicher, wahrheitsfähiger Konstruktsprachen für die einzelnen Wissenschaften herbeigeführt werden sollte (Neurath u. a. 1939; s. für eine Ausführung des Programms Carnap 1954; historisch jetzt Schulte/McGuinness 1992); aus ihnen wurden alle genuin (natürlich)sprachlichen Verwendungen aber als unwissenschaftlich ausgegrenzt. Die Logik-Sprache(n) vermochte(n) den speziellen Erkenntnisprozessen der einzelnen Wissenschaften kaum gerecht zu werden. Der Bruch mit der Alltagssprache stellte zugleich einen Bruch mit dem interdisziplinär gerade zu vermittelnden Erfahrungswissen dar, das der späte Husserl (1936) (mit Blick auf Hume und Kant) bereits mit den Worten eingefordert hatte: „Wie ist die naive Selbstverständlichkeit der Weltgewißheit, in der wir leben, und zwar sowohl die Gewißheit der alltäglichen Welt, als die der gelehrten theoretischen Konstruktionen aufgrund dieser alltäglichen Welt, zu einer Verständlichkeit zu bringen?“ Schnelle (1973, 78 ff) schlägt demgegenüber für die Vermittlung von Alltagssprache (: Gemeinsprache) und Konstruktsprache eine Standardsprache vor. In dem radikalen Subjektivismus des späten Husserl ist Verständlichkeit allerdings noch keineswegs an einen kommunikativen Prozeß zwischen den Wissenschaften gekoppelt. Wenn auch Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften sich prototypisch „in ihrem Kommunikationsverhalten an unterschiedlichen Leitgattungen … orientieren“, ist doch „die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung durch und durch und von Anfang an ein kommunikativer Prozeß …, an dem die sprachliche Fassung einen wesentlichen Anteil hat.“ (Weinrich 1995, 163)

2.

Fachliche Kommunikationsbereiche

Fluck (1976) und Hoffmann (1985) unterscheiden eine horizontale und vertikale Gliederung der Fachsprachen. Hoffmann (1985, 53, 58) definiert den ursprünglich von der Prager Funktionalistik (Benesˇ 1969) geprägten Ausdruck ,Kommunikationsbereich‘ als „Ausschnitt aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit …, in dem die jeweilige Fachsprache verwendet wird.“ Horizontal stehen die Kommunikationsbereiche: „Medizin, Physik,

Chemie, Mathematik und EDV, Bauwesen und Architektur, Tierproduktion und Veterinärmedizin …, Landwirtschaftswissenschaft, Philosophie, Pädagogik, Literaturwissenschaft, Ökonomie der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft, Elektronik, Eisenbahnbau, Naturwissenschaftliche Informationen …“. Vertikal sind sie gegliedert u. a. nach Abstraktionsstufe, Milieu (theoretische Grundlagenwissenschaften, experimentelle Wissenschaften, angewandte Wissenschaften und Technik, materielle Produktion, Konsumtion) sowie Kommunikationsträger. Wenn auch diese Einteilung viele Faktoren nach Art einer Liste berücksichtigt, so entbehrt sie doch weitgehend einer kommunikativen Basierung und vor allem eines geklärten Bezugs von Sprache und Wissen (vgl. 5.). Kommunikationsferne steckt wohl bereits in dem Ausdruck ,Fach‘ selbst, dessen Bedeutung als ,Festgefügtes, Abgeteiltes‘ sich in neuhochdeutscher Zeit aus der Sprache der Fischer, Tischler und Bauleute herleitet und sich als Metapher für ,Spezialgebiet‘ im 18. (Pfeifer 1993), für ,universitäre Disziplin‘ im 19. Jh. (Kluge 1995) entwickelt (zur rhetorischen Tradition, s. Kalverkämper 1979; für das Französische, s. Kalverkämper 1980). In seiner Bedeutungsgeschichte wird ,Fach‘ also durch seine Grenze bestimmt, mit der es sich gegen einen möglichen Austausch mit anderen Fächern abschottet. Aber nicht das Abgeteiltsein ist konstitutiv für das Fach, sondern sein Zweck, der in der Bearbeitung spezifischer Bereiche der Wirklichkeit gemäß den differenzierten Strukturen der arbeitsteiligen Gesellschaft begründet ist. Anders gesagt: Die jeweilige Fachkommunikation wird durch die zweckhafte Bearbeitung eines spezifischen Bereichs der Wirklichkeit qualifiziert. Aus fachsprachlicher Sicht unterscheidet Möhn (1977; 1979) die fachinterne, die fachexterne und die interfachliche Kommunikation; in diese Einteilung ist über die wissenschaftliche hinaus auch die praktisch-technische Kommunikation miteinbezogen. Dabei dürfte gerade die interfachliche Kommunikation aufgrund zunehmender Spezialisierung in traditionelle Bereiche der fachlichen eindringen und überdies auch fachexterne Aspekte aufweisen, da Experten aus anderen Gebieten sich wechselseitig fachextern sind. Die interfachliche Kommunikation setzt zweckhafte Bearbeitungsformen unterschiedlicher Wirklichkeitsbereiche in ein Verhältnis zueinander und bildet damit auch weitere

73. Austauschprozesse zwischen fachlichen Kommunikationsbereichen

zweckhafte Bearbeitungsformen aus. Daher erscheint interfachliche Kommunikation paradoxerweise für das einzelne Fach (im Kanon von mittlerweile mehr als 4000 wissenschaftlichen Disziplinen an deutschen Hochschulen, s. Weinrich 1995) zunehmend konstitutiv.

3.

Interfachliche Kommunikation als kulturelles Handeln

Im Unterschied zu dem reduktiven Interdisziplinaritätskonzept der Unified-Science-Bewegung ist nach Weingart (1995) „Wissenschaft als soziales Gebilde, als eine Institution, zu verstehen, und ebenso die Grenzziehungen als Ergebnisse sozialer Strukturen und Prozesse: kulturelle Prägungen von Wahrnehmung, Erfahrung und Praxis, Herausbildung sprachlicher Konventionen, Abgrenzung von Sinnsystemen, Investitionen in lebenslange Karrieren … [Bei interfachlicher Kommunikation] geht es realistischerweise zumeist nur um zeitlich begrenzte Grenzüberschreitungen, um Flexibilisierung an den Stellen, wo sie der Erkenntnisprozeß nahelegt.“ (Weingart 1995, 12) Der Begriff ,Austauschprozeß‘ setzt ⫺ als gesellschaftlicher Vorgang ⫺ nun einen immer schon spezifizierten Kommunikationszusammenhang voraus, an dem die Handelnden (⫽ Aktanten) partizipieren und der ihnen eine Zugehörigkeit verleiht, die man in Anlehnung an die Gruppensoziologie als „membership“ bezeichnen könnte. Zugehörigkeit hat sowohl einen fachkommunikativen als auch einen institutionellen Aspekt: „Vertreter unterschiedlicher Institutionen [erkennen] einander die Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Gruppe der Agenten [zu], um auf einem gemeinsamen Handlungsfeld die manchmal notwendig einseitige Ausdehnung des Kontrollfelds eines Agenten zu kaschieren bzw. transparent zu machen“ (Bührig 1997). Zugehörigkeiten in der Fachkommunikation sind komplex: So liefern die Fächer und ihre engeren Subdisziplinen jeweils Kommunikationszusammenhänge, in denen die Verwendung von Termini konsensuell, mit abweichender Bedeutung oder immunisiert ist (vgl. Ballmer 1974). Mit Blick auf ein solches VarietätenKonzept spricht Möhn (1978) von ,Verkehrskreisen‘, die sich innerhalb der Fächer als auch über sie hinweg („interfachlich“) bilden. Die Pragmatik nennt solche Kommunikationszusammenhänge ,Handlungssysteme‘

691

(vgl. Ehlich/Rehbein 1972; 1986); sie sind durch ein komplexes Gefüge wechselseitiger Erwartungen (: Handlungspräsuppositionen) gekennzeichnet. Ein fächerübergreifend derartige Kommunikationszusammenhänge stiftendes Konzept ist das der Theorie, genauer, die mit der Theorie verknüpfte Methode: So kapseln sich heute weniger geistes- und naturwissenschaftliche Fächer gegeneinander ab, als vielmehr positivistische und verstehende Wissenschaften (von Wright 1972); so bilden sich auch innerhalb der Fächer Schulen oder ganze Paradigmen, die Begriffe theoretisch kontrovers verwenden, deren Theorien aber oftmals wechselseitig in Überzeugungssystemen erstarren (Rehbein 1994) und so einem interfachlichen Austausch widerstreben. Sogar der formale Aufbau wissenschaftlicher Artikel variiert je nach Schule (vgl. Weinrich 1995). Auch läßt sich die scientific community in mehrere Wissenschaftskulturen zerlegen, etwa in eine Sach- und eine Sprachkultur (vgl. Kreuzer 1987; Weinrich 1989; Gräfrath/Huber/Uhlemann 1991; Bleecken 1992). Da für die Bildung interfachlicher Handlungssysteme wenig Handlungsräume institutionalisiert sind, stehen einer Restrukturierung der Arbeitsteilung nach Zwecken (s. 2.) mittels fachübergreifender Kommunikation die Fachgrenzen entgegen. Die naturwüchsig entstandenen Grenzziehungen werden also durch Handlungssysteme jedweder Art verstärkt und sind deshalb in der interfachlichen Kommunikation kritisch zu reflektieren. Durch diese Komponente kritischer Reflexion wird interfachliche Kommunikation dann zu einem kulturellen Handeln (im Sinn des Kulturbegriffs von Redder/Rehbein 1987).

4.

Aktantenkonstellationen

Die Zwecke der Fachkommunikation sind nun in die institutionelle Differenzierung gesellschaftlicher Apparate (s. Ehlich/Rehbein 1977) und damit in die institutionelle Kommunikation zwar eingebunden, da die fachlichen Kommunikationsbereiche in verschiedenen Hochschuleinrichtungen (wie allgemeinen und technischen Universitäten, Fachhochschulen, Akademien usw. mit ihren Fächern, Fachbereichen, Instituten, Stellendenominationen usw.) institutionalisiert sind; aber institutionelle Kommunikation ist ihrerseits durch fachübergreifende Strukturen gekennzeichnet und insofern nicht ohne weite-

692

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

res der fachsprachlichen Kategorie ,Kommunikationsbereich’ zuzuschlagen (vgl. jedoch Steger 1988). Institutionen haben nämlich in der Prozessierung der gesellschaftlichen Sphären von Produktion, Zirkulation einschließlich Handel und Verkehr, Konsumtion einschließlich der Medien, in der Verwaltung usw. einer Gesellschaft ihre jeweiligen Aufgaben (Ehlich/Rehbein 1979; 1994); jedoch sind diese jeweils fachlich spezifiziert. ,Fach‘ und ,Institution‘ lassen sich miteinander verbinden, wenn die Konstellationen zwischen den Aktanten als Spezifizierung der Handlungssysteme herangezogen werden. Denn die Vertreter einer Institution, die ,Agenten‘, denen die Klienten gegenüberstehen, verfügen über ein institutionsspezifisches Aktantenwissen (Ehlich/Rehbein 1977), können dabei aber unterschiedlichen oder gleichen Fächern zugehören (Brünner 1993 kommt zu einer ähnlichen Einteilung). ,Institution‘ und ,Fach‘ lassen sich demgemäß unter den Begriff ,fachlicher Agent‘ fassen (gegenüber ,extra-fachlichen Agenten‘), so daß interfachliche Austauschprozesse in folgenden Aktantenkonstellationen anzutreffen sind: (1) Kommunikation zwischen fachlichen Agenten unterschiedlicher Institutionen (z. B. Behörde⫺Wirtschaft) (s. 10.3) sowie zwischen fachlichen Agenten und Lernenden (desselben Faches) (s. 8); (2) Kommunikation zwischen fachlichen Agenten unterschiedlicher Subinstitutionen derselben (z. B. Überweisung vom praktischen Arzt an den Facharzt) oder unterschiedlicher Institutionen (Zusammenwirken von Juristen und Technikern bei der Patentanmeldung) (s. 10.2); (3) Kommunikation zwischen fachlichen Agenten gleicher Instanzen derselben Institution, deren Austausch (meist) kontrovers ist (z. B. Anwälte gegnerischer Mandanten, Geschäftsverhandlungen) (s. 10.1); (4) Kommunikation zwischen fachlichen Agenten aus Institutionen und Instituten (Agent A wird Gegenstand oder Subjekt einer Tätigkeit von Agent B, z. B. bei einer Begutachtung oder Beratung) (s. 8).

In allen Fällen kann der interfachliche Austausch informell oder selbst wieder, etwa in Kongressen, Akademien (z. B. Weinrich 1974), Sonderforschungsbereichen, Graduiertenkollegs usw. institutionalisiert sein. In methodologischer Hinsicht kann Fachkommunikation oder sogar interfachliche Kommunikation wiederum interfachlich, also von mehreren Fächern gemeinsam untersucht werden (vgl. Baumann 1996, der in so einem

Fall das Zusammenwirken sozialer, mentaler, fachspezifischer, textueller, stilistischer und semantischer Kenntnissysteme für erforderlich hält).

5.

Sprache und Wissen

Für die Analyse interfachlicher Kommunikation sind neben der Kategorie der ,Institution‘ (s. 4.) die des ,Handlungssystems‘ (,membership‘) (s. 3.), des ,sprachlichen Handlungsmusters‘ (vgl. 8. und 10.), der ,sprachlichen Prozedur‘ (Ehlich 1991) sowie des ,Wissens‘ relevant (vgl. Rehbein/Löning 1995). Dabei wird ,Wissen‘ nicht kognitivistisch-sprachunabhängig, sondern ⫺ im Sinne Wygotskys (1964) ⫺ als spezifisch an Sprache gebunden verstanden (zum Verhältnis der hier vertretenen Wissenskonzeption zur Wissenssoziologie, vgl. jetzt Redder 1995). Die für die Fachkommunikation als zentral anzusehenden sprachlichen Prozeduren sind ⫺ neben den operativen ⫺ die nennenden; nennende Prozeduren werden durch sprachliche Ausdrücke geleistet, die Bühler (1934) dem Symbolfeld zuordnet. Im „Namengeben“, dem Nennen, wird ein Element der Wirklichkeit versprachlicht, dadurch aus seiner situationellen Bindung ablösbar und durch andere Aktanten, die über die Benennung verfügen, identifizierbar. Wenn also ein Sprecher S eine nennende Prozedur verwendet, wird ein Hörer H dadurch instand gesetzt, aufgrund seines Wissens das betreffende Element der Wirklichkeit zu finden. Die Symbolfeldausdrücke stellen also ein sprachliches Potential für Verbalisieren und Rezipieren von Wissenspartikeln bereit; es ist in der Rede, daß die sprachlichen Benennungen der Wirklichkeit durch die Kategorie des Wissens vermittelt werden. Die traditionelle Bestimmung der Benennung als Referenz berücksichtigt die dynamische Rolle der nennenden Prozedur bei Verbalisierung/Rezeption von Wissen über die Wirklichkeit nicht (vgl. demgegenüber Wiegand 1996, der das Benennen analytisch an das Verstehen bindet). Dem Symbolfeld gehören die „lexikalischen“ Teile von Nomen, Verb, Adjektiv und Adverb gleichermaßen zu (s. Grießhaber/Rehbein 1992), während die Spezifikation nach Wortarten (z. B. Hoffmann 1987) von inhärenten operativen Prozeduren geleistet wird. ⫺ Das analytische Explizitmachen der Charakteristik der nennenden Prozedur liefert das (Alltags-)

73. Austauschprozesse zwischen fachlichen Kommunikationsbereichen

Konzept des betreffenden Ausdrucks (vgl. Rehbein 1977, § 2). Nennende Prozeduren charakterisieren das Element der Wirklichkeit in nuce. Im alltäglichen Wissen verfügen S und H (vermöge des Spracherwerbs) über eine Koppelung des charakterisierenden Symbolfeldausdrucks einerseits mit Wissen über die Wirklichkeit andererseits. Im fachlichen Wissen dagegen ist das Wissen über die Wirklichkeit nicht per se mit der sprachlichen Benennung gekoppelt. Anders gesagt: Wenn der fachliche S eine fachsprachlich nennende Prozedur verwendet, kann H nur dann die benannte Wirklichkeit identifizieren, wenn er vorgängig einen Wissensbezug zu dem Element der Wirklichkeit hat oder ihn erschließen kann. (B1) Betrachten wir ein Beispiel: Der Ausdruck ,Körper‘ benennt alltagssprachlich den raumausfüllenden menschlichen Leib, „bes. Rumpf, Hauptmasse, Hauptteil“ (Wahrig 1986), in der Sprache der Physik ein dreidimensionales Objekt mit Masse-Eigenschaften, der Geographie eine deutlich vorspringende Bodenerhebung, der Medizin eine nach Größe, Gewicht usw. zu messende Ganzheit mit inneren Organen usw. Alle Verwendungen unterstellen im Kern gleichermaßen ein kompaktes räumlich-überschaubares Objekt. ⫺ Der Zweck des jeweiligen Faches wirkt nun als ein Rahmen, der beim Hörer/Leser den Aufruf des für die Interpretation des Ausdrucks ,Körper‘ erforderlichen Wissens steuert; ohne physikalisches, geographisches oder medizinisches Wissen kann ihm der sprachliche Ausdruck den Zugang zu der benannten Wirklichkeit nicht vermitteln.

In der interfachlichen Kommunikation wird nun ein von S verwendeter Symbolfeldausdruck abhängig davon feldfähig, inwieweit H über die Spezifikationen des Wissens über das benannte Wirklichkeitselement verfügt bzw. es erschließen kann. Umgekehrt kann das Wissen von S und H hinsichtlich der Fachlichkeit des verwendeten Symbolfeldausdrucks variieren: (B2) ((In einem Lehrbuch der organischen Chemie heißt es über „Xylole“:)) „Xylole (Dimethylbenzole) sind farblose Flüssigkeiten (xylon ⫽ Holz). Das Teerxylol ist ein ........... Gemisch der drei isomeren Dimethylbenzole (Formeln vgl. S. 473) von der Zusammensetzung: ...................... m-Xylol (50⫺60%), o- und p-Xylol (je 20⫺25%). Die Trennung ............ der Xylole war wegen der sehr nahe beieinander liegenden Siedepunkte ............... lange Zeit nur über die Sulfonierung zu erreichen.“ (Beyer/Walter 1991, 479)

693

Während Leser zu den durch die unterstrichenen Wörter benannten Elementen der Wirklichkeit ohne fachliches Vorwissen kaum Zugang haben (zu Latein, Griechisch usw. als allgemeine etymologische Brücke, s. Ehlich 1989), erfordern ................. unterpunktete Wörter ........ wie Zusammensetzung, Siedepunkt, Gemisch usw. zwar kaum weniger fachliches Wissen, können aber auf die den nennenden Prozeduren zugrundeliegenden Alltagskonzepte und damit ein Vorwissen zugreifen. (Zur mündlichen Fachkommunikation in der Chemie, vgl. Munsberg 1993). Die kursiv gesetzten Wörter sind über die Partizipation des Lesers an einem allgemeinen wissenschaftlichen Wissen zugänglich. Da sich die fachlichen Symboldfeldausdrücke auch nicht-fachlicher sprachlicher Teilprozeduren bedienen, wird auch jenem Hörer, der nicht vorgängig über das fachliche Wissen verfügt, ein Teilwissen zugänglich. Andererseits vermag der charakteristische Kern des betreffenden Symbolfeldausdrucks beim Hörer nicht immer das betreffende Fachwissen aufzurufen.

6.

Ausdrucks- und Wissensstufen

Das Wissen von Sprecher und Hörer ist in einem ,Wissensraum‘ (Rehbein 1977; Wiegand 1979; Redder 1990) angeordnet, der in der Fachkommunikation wiederum spezifisch aktiviert wird. Die Spezifizierung nach Stufen des Wissens wird im folgenden aus der Hörer-/Leserperspektive rekonstruiert. Dafür ist zwischen Sachverhalten der Wirklichkeit, Sprache und Wissen systematisch zu unterscheiden. Hinsichtlich der Sprache werden professionelle Fachausdrücke, semiprofessionelle Ausdrücke, alltagssprachliche (gemeinsprachliche) Ausdrücke sowie wissenschaftssprachliche Ausdrücke unterschieden. Die darin enthaltenen Symbolfeldausdrücke werden in den folgenden Beispielen (B3)⫺(B10) gesondert markiert. (Einen zusammenfassenden Überblick gibt Abb. 72.1 unten). (i) Werden in der Fachkommunikation professionelle Fachausdrücke verwendet, wird ein systematisiertes Wissen über die spezifischen Sachbereiche, ein professionelles Wissen, das nicht ad hoc, sondern von Agenten in einem institutionalisierten Ausbildungsprozeß erworben wird, aktiviert. Die professionellen Fachausdrücke sind meist terminologisch. (ii) Für einen interfachlichen Austausch sind semiprofessionelle Ausdrücke (Rehbein

694

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

1989) wichtig, deren Bildung sich aus einem (oft konfliktären) Adaptationszwang fachexterer und fachinterner Kommunikationszwecke herleiten läßt, wodurch sie zum Teil in einem gemeinsamen Wissensraum von Aktanten mit unterschiedlichen Wissensbasen „verortbar“ sind. Wenngleich semiprofessionelle Fachausdrücke auch auf professionelles Wissen bezogen sind, stellen sie (oft) keine einfachen Dubletten professioneller Fachausdrücke dar (vgl. Thurmair 1994): Im Unterschied zu ,Appendizitis‘ etwa ruft ,Blinddarmentzündung‘ über professionelles medizinisches Wissen hinaus Alltagswissen (s. u. Stufe (iii)) auf und vermittelt Lesern/Hörern Erschließungsmöglichkeiten aus dem professionellen Wissen. In diesem Zusammenhang leisten auch zur Fachterminologie verfestigte metaphorische Prozesse (Lakoff/Johnson 1980) interdisziplinären Transfer. Die Unterscheidung professioneller und semiprofessioneller Fachausdrücke sei im folgenden illustriert. (B3) ((Aus einer Beschreibung der Schichtstufenlandschaft der Alb als Beispiel für die Formung der Landoberfläche in dem Bereich der Geomorphologie:)) „Zur Morphologie des Albrandes. Der geschlossene Rand aus Dogger und Malm ist durch Täler und viele Vor..... sprünge reich zerlappt. Wo zwei Erosionsfur.......... .... chen ...... dicht nebeneinanderliegen, wird durch kleinere Wasserrinnen der bastionartige Vor...................... sprung allmählich vom Hauptkörper ........ ................ getrennt. Aus dem Bergsporn ............ entsteht dann ein Zeugen.......... berg. Häufig tragen sie Burgen ..... ......... (Schutzlage).“ ............. (Harms 1996, 234)

Wenngleich ,Zauberberg‘ und ,Burgen‘ beim Nicht-Experten eine alltagssprachliche Interpretation hervorrufen ⫺ ein semiprofessioneller Effekt ⫺, sind die Ausdrücke im vorliegenden Zusammenhang auf professionelles Wissen zu beziehen. Die reiche Metaphernbildung ist erst auf dem Hintergrund professionellen Wissens zu erkennen. In der Arzt-Patienten-Kommunikation z. B. können semiprofessionelle Ausdrücke wie ,Stiche‘ oder ,Luftnot‘ mehreren Symptomen zugeordnet werden. Damit der Bezug auf das jeweilige professionelle Wissen eindeutig wird, sind sie in der fachexternen AnamneseKommunikation mit dem Patienten aber gerade zu verwenden. Das folgende Beispiel zeigt den permanenten Bezug von Agenten auf ihr professionelles Wissen auch in semiprofessioneller Rede: (B4)

(1)

A

Also, fassen wir das gerad noch mal zusammen!

(2) Schmerzen, auch Stiche (3) Pa Jaˇ. (4) A links thor/ äh in der Brust. ((aus Rehbein 1993)) In (4) versucht der Arzt zunächst mit „thor“ (gemeint: ,thorakal‘), die Beschwerden-Region fachsprachlich zu formulieren, repariert jedoch mit „in der Brust“ die Nennung der Symptom-Region patientenadäquat und auch agentenadäquat. Eine professionelle Formulierung mit der Formulierung: „thoracicus (*Thorax): thorakal, zum Brustkorb gehörend. [*⫽ Ursprung, Wurzelgebiet (jeweils vor der entsprechenden anatomischen Struktur)]“ (Pschyrembel 1994, 1528) würde den Zugang zum Krankheitswissen auf der Seite des Patienten versperren.

Im allgemeinen wird das professionelle Wissen im alltäglichen medizinischen Handeln durch Wissensstrukturtypen wie Krankheitsbilder, Sentenzen, Erfahrungswahrheiten usw. abgesichert. Schlüsse zieht der Arzt mental, indem er aus den Antworten des Patienten die passenden Wissenselemente extrahiert, unter Konsultation seines professionellen Wissens bewertet und in eine professionell erworbene Wissensmatrix sukzessive einsetzt. Durch dieses Einsetzen werden die alltagssprachlich gebundenen Wissenselemente in die begriffliche Struktur (Wygotsky 1964) eines professionellen Wissens überführt. (iii) Das Alltagswissen wird mit alltagssprachlichen (gemeinsprachlichen) Ausdrükken verbalisiert und ist unspezifisch auf verschiedene Sachverhalte und insbesondere auf kommunikative Zweckbereiche bezogen (zum Verhältnis von Alltagssprache zu Fachsprache, vgl. Steger 1988). Das mit alltagssprachlichen Ausdrücken verbalisierte Wissen ist vermöge der allgemeinen Sprachkompetenz zugänglich. Das Alltagswissen enthält Formen für die Organisation des Wissens nach Wissenssubjekt, Wissensthema und Gewußtem, die jeweils in bestimmten ,Wissensstrukturtypen‘ synthetisiert sind (vgl. Ehlich/ Rehbein 1977). „ ,Einschätzungen‘, ,Bilder‘, … ,Sentenzen‘ sind Wissensstrukturtypen, die innerhalb der gewöhnlichen Praxis von Aktanten ausgebildet werden und in deren Handeln eingehen.“ (Redder 1995, 319) Hinzu kommen ,Maximen‘ und andere Wissensstrukturtypen für alltägliche Entscheidungsprozesse. Die ,Wissensstrukturtypen‘ konstituieren das Aktantenwissen, das Agenten unterschiedlicher Institutionen formal gemeinsam ist.

73. Austauschprozesse zwischen fachlichen Kommunikationsbereichen

(iv) Das allgemein-wissenschaftliche Wissen ist weder professionell noch alltäglich. Es korreliert vorwiegend mit einer wissenschaftlichen Sprache (Schade 1993; Bibliographie: Kretzenbacher 1992), die die Verbalisierungen verschiedener Sachbereiche traktiert. Als Produkt eines (historischen) Verallgemeinerungsprozesses in den Institutionen der Ausbildung und im Umgang mit Fachwissen enthält es auch Wissen über das Handeln in Institutionen, das Institutionswissen zweiter Stufe (Agentenwissen; Ehlich/Rehbein 1986). Diese allgemein-wissenschaftliche Sprache bearbeitet in Text und Diskurs die in professionellen und semiprofessionellen Fachausdrücken verbalisierten Wissenselemente und regelt aufgrund ihrer generalisierenden Qualität einen großen Teil der Verstehensprozesse sowohl in der Fachkommunikation als auch in der interfachlichen Kommunikation. Die Hauptfunktion der Wissenschaftssprache ist damit die Reflexion auf die zweckhafte Bearbeitung verbalisierten Wissens, und zwar reflektiert sie das in Wissensstrukturtypen organisierte alltägliche Aktantenwissen ebenso wie sie durch Methodenbezug die Elemente professionellen Wissens zu komplexen Wissensformen kritisch ausbaut. Sie erfährt in der technisch-praktischen, der naturwissenschaftlichen und der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachkommunikation eine Differenzierung (aber Mainusch/Toellner 1993). Die in den Beispielen (B2)⫺(B10) kursiv gedruckten Passagen dienen zur Illustration der wissenschaftssprachlichen Textteile. (B5) Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Abs. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Jedoch sind grundrechtsbeschränkende Vorschriften des einfachen Rechts wiederum im Lichte des eingeschränkten Rechts auszulegen. ((Aus der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts über eine Verfassungsbeschwerde über den Aufkleber „Soldaten sind Mörder“)).

In dem Auszug ist neben zahlreichen semiprofessionellen Ausdrücken durch allgemeine wissenschaftliche Sprache eine Tendenz zur Verwaltungssprache (vgl. Gusfield 1989) kennzeichnend. Konnektoren wie allerdings, jedoch, wiederum, sind sprachliche Elemente, die propositionale Gehalte zu einem Text oder Diskurs verknüpfen (Buhlmann/Fearns 1986) und z. B. Argumentationen (vgl. die

695

Arbeiten in Wohlrapp 1995) tragen. Am Fall der Konnektoren wird deutlich, wie wissenschaftssprachliche Elemente für den fachlichen (hier: juristischen) Zweck funktionalisiert werden und auf dem Fachwissen „arbeiten“. Eine wissenschaftssprachliche Erscheinung ist (wie im folgenden Beispiel), daß Symbolfeldausdrücke in Themaposition (wie Fürstenspiegel-Argument, Fürstentragödie) und in Rhemaposition (wie bürgerliches Trauerspiel, Mercier) zu „sprachlichen Entitäten“ mit der Fähigkeit werden, ganze Argumentationsgänge in Kurzform aus dem professionellen Wissen aufzurufen und mittels operativer Prozeduren zu komplexen Prädikaten zu verarbeiten ⫺ offenbar das Werk einer sekundären Agentivierung: (B6) ((Aus einer literaturwissenschaftlichen Vorlesungsniederschrift über das bürgerliche Trauerspiel:)) „Wird solcherart das „Fürstenspiegel“-Argument, mit dem die Ständeklausel gestützt werden sollte, bei Mercier in eines gegen die Fürstentragödie umgewandelt und in den Dienst der Propagierung des bürgerlichen Trauerspiels genommen, so erscheint die Fürstentragödie selber, unter dem Nützlichkeitsgesichtspunkt Merciers, nicht minder verwandelt.“ (Szondi 1973, 184)

In der Wissenschaftssprache greifen operative Prozeduren auf die Symbolfeldprozeduren zu bzw. ist durch morphologische Bildungsprozesse wie Deagentivierungsprozesse, agenslose und infinite Passivkonstruktionen (Panther 1981; von Polenz 1981; Meyer 1991; Weingarten 1994), Reflexivkonstruktionen mit abstrakten, unpersonalen Subjekten (Ehlich 1994; Graefen 1995, 1997) („sich … aus … herleitet“ (B9)) eine Tendenz zur ParaOperativität zu verzeichnen. Symbolfeldausdrücke für geistige Aktivitäten benennen in naturwissenschaftlichen, juristischen und geisteswissenschaftlichen Texten den Wissenschaftsprozeß (nach Meyer 1994 im Englischen Prädikate wie show, consider, find, see, test, measure usw.) und reflektieren ihn. Ausdrücke wie Ausmaß, Befindlichkeit und Funktionsverbgefüge wie in Anspruch nehmen, aufrechterhalten (von Polenz 1964) gehören hierher. In der Bibliographie von Schröder 1991 werden Redewiedergaben, hedgings und rhetorische Formen als Forschungsthemen genannt. Für Clyne gibt es kulturspezifische Ausprägungen der deutschen gegenüber der angelsächsischen Wissenschaftssprache (s. z. B. Clyne 1993; kritisch Graefen 1994).

696

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt eine höchst problematische Angelegenheit ist, die sich zweifellos viel mehr aus dem alten Schema der schicksalsmäßig ablaufenden Kausalität herleitet, als man manchmal wahrhaben will. Dagegen stellt der Sozialforscher fest, daß etwa bei einer signifikanten Korrelation zwischen A und B entweder A die Ursache für B oder auch B die Ursache für A oder auch beide A und B die Wirkung einer bisher unbekannten Ursache C sein können.“ (König 1972, 45⫺46)

Die Verwendung allgemeiner wissenschaftlich-verwaltungssprachlicher Elemente macht in der praktisch-technischen Fachkommunikation einem extrafachlichen Agenten einen Zugang zum Wissen teilweise möglich: (B7) „Wird eine Führung während des Bearbeitungsprozesses bewegt, spricht man von einer Bewegungsführung ....................... (z. B. Werkzeugschlitten einer Drehmaschine). ................. Erfolgt eine Relativbe............ wegung ......... nur ohne äußere Last ..... zwischen den Be.... arbeitungsvorgängen, so liegt eine Verstell......................... führung vor (z. B. Tischführung einer Säulenbohrmaschine)“ (Milberg 1995, 156).

Die wissenschaftssprachlichen Anteile im Bereich Werkzeugmaschinen der Ingenieurstechnik machen aus den Wissenselementen komplexer semiprofessioneller Wörter, deren Teile für sich oftmals verständlich sind (allgemeines abstraktes Wissen, Alltagswissen), technisch-professionelle Entitäten wie Tischführung, Verstellführung, Bewegungsführung usw. (B8) ((Aus einer Monographie über die Psychologie des Denkens:)) Fast in allen Hochkulturen beobachtet man um das 6., 7. Lebensjahr herum eine merkwürdige Umstellung in der Aktivität ........... des Kindes: Konnte es bisher sehr viel spontaner handeln, ......... sein ,operant behavior‘ gewissermaßen frei ausbreiten, so erfährt es nun allmählich ⫺ bei uns sogar sehr abrupt ⫺ starke Einschränkungen. Es werden nämlich ganz bestimmte, dem Kind ungewohnte Tätig...................... keiten und Leistungen ........ ............. abverlangt. (Oerter 1971, 358).

In dem psychologischen Text wird mit dem Fachterminus „operant behavior“ über einen ganzen Absatz (Paragraphen) hin professionelles Wissen alludiert. Ansonsten werden mit wenigen fachwissenschaftlichen Stichwörtern wie ............ Aktivität, handeln ......... aus dem Bereich problem-solving bzw. wie ............... ungewohnte Tätigkeiten, Leistungen .............. ............. aus der Physiologie (Reiz-Reaktion) Wissen importiert. Einschätzungen ⫺ Wissensstrukturtypen des alltäglichen Aktantenwissens ⫺ werden in der Fachkommunikation oftmals funktionalisiert, indem das Wissen hinsichtlich der Angemessenheit, Richtigkeit, Handhabbarkeit, allgemeiner, des Theoriebezuges und der Methode bewertet wird; dies zeigt sich z. B. in Ausdrücken wie völlig subjektiv, in Zweifelsfällen, deutlich andere Einstellung usw.: (B9) ((Aus einer Sammeldarstellung über empirische Sozialforschung:)) „Wir müssen hierbei im Auge behalten, daß das starre Festhalten an dem unilinearen oder einsinnigen Verhältnis Ursache⫺Wirkung an sich

Mittels Einschätzungen werden oft wissenschaftliche Konzeptionen konfrontiert und präferiert (allgemein zu sozialwissenschaftlichen Texten, vgl. Schröder 1987). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der wissenschaftssprachlichen Komponente in der interfachlichen Kommunikation offenbar die zentrale vermittelnde Rolle zukommt, da sie einerseits die Wissensorganisation des Alltagswissens reflektiert, andererseits ihre zumeist paraoperativen sprachlichen Prozeduren, die der Traktierung verbalisierten Wissens dienen, interfachlich interpretierbar sind.

7.

Importe

Viele Erscheinungen einer Fachkommunikation sind eigentlich Resultate erfolgreicher Austauschprozesse in ein Fach hinein. Dabei werden in einer Art ,Hybridisierung‘ Ausdrücke aus anderen Zweckbereichen von der betreffenden Fachkommunikation derart genutzt, daß die Sachstruktur in enger Bindung an Sprache in die spezifische Fachkommunikation überführt wird und dort Wissen aufrufen kann. Diesen Vorgang nenne ich ,Import‘ (zu diesem Begriff am Fall von ,Musterimporten‘, vgl. Rehbein 1983). Fachkommunikation selbst ist ohne erhebliche interdisziplinäre Anteile oftmals undenkbar. Anzutreffen sind Importe wie: (Im-i) In einem Abschnitt aus einem Kapitel der Volkswirtschaftslehre/Finanzwissenschaft über Sozialversicherung (Rosen/Windisch 1992, 427 f; Kostenträchtigkeit, versicherten Risikoarten usw.) sind Importe aus vielen anderen Fachsprachen in die Sprache der Ökonomie festzustellen: (B10) • aus der Mathematik/Statistik: Durchschnitt, Häufigkeit usw. • aus der der Medizin als dem Subsachbereich, um den es im Zusammenhang mit dem Teilgebiet „Gesetzliche Krankenversicherung“ geht: Morbidität, Krankengeschichte usw.

73. Austauschprozesse zwischen fachlichen Kommunikationsbereichen • aus den juristischen Institutionen: hinterbliebene Angehörige, Krankheitsfall usw. • aus der Behörde/dem Versicherungswesen: Anspruch, Eintrittsalter, Versicherungsnehmer usw.

Die Importe werden durch Graphiken ergänzt, die wiederum statistische Zusammenhänge importieren; bei manchen Wörtern lassen sich mehrere Herkünfte erschließen. Derartige Importe aus (hier vier) Gebieten mit jeweils anderen fachwissenschaftlichen Ausdrücken und damit verbundenen professionellen Wissen bewirken eine eigentümlich generalisierende Relation dieser anderen Gebiete zum importierenden Fach. (Im-ii) Wahrnehmungen werden häufig in Versuchsanordnungen, Beispielen oder Experimenten zur Verdeutlichung verwendet. Ihre Verbalisierungen schlagen sich in Ausdrücken nieder, die materielle Sachbereiche benennen. Nichtsdestoweniger wird die konkrete Wahrnehmung häufig aus dem Alltagswissen (Erfahrungswissen) in den professionellen Wissenszusammenhang importiert und dort funktionalisiert: (B11) ((Aus einem Physik-Lehrbuch über eine experimentelle Anordnung zur Ableitung der Wellenfunktion:)) „Korkteilchen, äquidistant auf einem Faden aufgereiht und durchnumeriert, schwimmen auf einer Wasseroberfläche. Beim Hörsaalexperiment wird eine sog. Wellenmaschine eingesetzt: Eine Reihe kleiner Körper sind auf einem Gummiseil angebracht, das beidseitig eingespannt ist. Lenkt man z. B. den Körper mit der Nummer 0 periodisch senkrecht zur Seilrichtung aus, dann spüren das alle benachbarten Körper und folgen dem ersten mit einer gewissen Phasenverschiebung.“ [dann erfolgt die Ableitung der Wellenfunktion] (Paus 1995, 628)

Die konkrete Wahrnehmungen aktualisierenden, fett markierten Ausdrücke benennen einen materiellen Sachbereich, der für den Aufbau des professionellen Wissens genutzt wird. (Zur Sprache von Physik und Mathematik, vgl. Hornung 1983.) (Im-iii) Pseudoprofessionelles Wissen entsteht, wenn Aktanten ohne entsprechendes professionelles Wissen Fachausdrücke verwenden (wie etwa Patienten mit einer längeren Krankheitskarriere häufig medizinische Fachausdrücke gebrauchen, ohne über das mit ihnen systematisch verbundene Wissen zu verfügen; vgl. Löning 1994). Hier werden Fachausdrücke zitierend verwendet, das „Wissen“ ist lediglich Vorstellung. (Im-iv) Bei Visualisierung werden mittels Graphiken, Abbildungen usw. bestimmte Ver-

697

hältnisse im professionellen Wissen außersprachlich veranschaulicht und so nichtsprachliche Zeichensysteme, verknüpft mit Wahrnehmungsfeldern, in abstrakt bearbeiteter Form (vgl. Kalverkämper 1993) in einen fachlichen Zweckbereich importiert. Insgesamt ergibt sich aus der Perspektive des Hörers/Lesers eine Stufung vom Fachwissen über das Alltagswissen zum wissenschaftlichen Wissen; importiert wird ⫺ auf unterschiedliche Weise ⫺ Wissen aus anderen Sachbereichen. Es ist charakteristisch, daß die Ausdrücke und ihre Wissensbezüge die Wissensräume der fachlichen Agenten unterschiedlich reliefieren, so daß bei (interfachlicher) Kommunikation ein Zugang wechselseitig gesteuert werden kann (Wiegand 1979). Die jeweilige sprachliche Form wird den Handlungszwecken der jeweiligen Fachkommunikation angepaßt und dient der interfachlichen Kommunikation als Brücke der Verständigung.

8.

Wissensakzeß als kommunikativer Prozeß; interagentialer Transfer

In einigen speziell ausgearbeiteten Text- und Diskursformen erfolgt ein Transfer von Wissen an Nicht-Experten im Sinne fachlicher Agenten anderer Institutionen sowie Lernende und so sprachlich-kommunikativ eine Professionalisierung des Kommunikationspartners. Die im folgenden genannten kommunikativen Formen sind weitgehend nach sprachlichen Mustern organisiert. 8.1. Lehr-Lern-Prozesse In Lehr-Lern-Diskursen, die gewissermaßen intra-extra-fachlich sind, findet ein Transfer fachlichen Wissens (vgl. Baßler 1996 mit zahlreichen Transkriptionen) statt. Aus den derzeit vorliegenden Untersuchungen können hier nur wenige ⫺ kommunikationsorientierte ⫺ herausgegriffen werden. ⫺ Ein Transfer ist erfolgreich, wenn der Umgang mit Fachwissen die alltagssprachlich gebundenen Wissensstrukturen reflektiert. In dieser Hinsicht wurde das Verhältnis von institutionell-schulischer Fachkommunikation und Reflexionsprozessen am Fall von Problemlösungsmustern im Mathematikunterricht diskursanalytisch behandelt (von Kügelgen 1994 mit Transkriptionen). Brünner (1987) (mit Transkriptionen) analysiert unter der Kategorie des ,Szenarios‘, wie Ausbilder in der Bergbau-Ausbildung die wesentlichen prak-

698

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Wissen

Sprache

Sachverhalt

(i)

professionelles Wissen (Fachwissen)

Fachausdrücke

spezifische Sachbereiche

(ii)

semiprofessionelles Wissen (Wissen mit professioneller Funktion)

verständliche Fachausdrücke (Metaphern)

spezifische Sachbereiche

(iii)

Alltagswissen (Wissensstrukturtypen)

(All-)Gemeinsprache „Grundwortschatz“

alltägliche Wirklichkeit

(iv)

allgemeines wissenschaftliches Wissen, Institutionswissen 2. Stufe

Wissenschaftssprache (Reflexion)

verbalisiertes Wissen verschiedener Sachbereiche

(Im-i)

anderes professionelles Wissen

andere fachwissenschaftliche Ausdrücke

andere Sachbereiche

(Im-ii)

Wahrnehmungen

Experimentalsprache

materielle Bereiche

(Im-iii) pseudoprofessionelles Wissen (aus Medien) von Nicht-Experten

verschiedene Ausdrucksbereiche

Bereiche eigener Erfahrung

(Im-iv)

Graphiken

verschiedene konkrete Sachbereiche

Visualisierung mit professioneller Funktion

Abb. 73.1: Zusammenfassende Tabelle: Stufen von Sprache und Wissen in Austauschprozessen zwischen unterschiedlichen fachlichen Kommunikationsbereichen

tisch-technischen Tätigkeiten „am Phantasma“ antizipieren und so den Transfer praktischen Handlungswissens am Modell leisten. Munsberg (1994) macht in Interaktionsanalysen von Hochschulkommunikation aus dem Fach Chemie (an transkribierten Vorlesungen, Laborgesprächen, Prüfungen, administrativen Gesprächen und Seminaren) deutlich, daß der Lehr-Lern-Diskurs sowohl Wissenschaftssprache als auch Alltagssprache einsetzt, das eigentliche professionelle Wissen in der Kommunikation jedoch en bloc durch Verweise auf das Lehrbuch und durch Kurzzitation abgerufen wird. 8.2. Erklären Erklären ist ein Handlungsmuster, das sui generis Austauschprozesse zwischen unterschiedlichen fachlichen Kommunikationsbereichen vermittelt. Denn Erklärungen liefern dem Hörer Einsichten in den Zweckzusammenhang eines als partikulär wahrgenommenen Elements eines Sachbereichs bzw. eines partikulären Ausdrucks und ermöglichen ihm damit einen Akzeß zu der Funktion dieses Elements/Ausdrucks in einem Ganzen (Rehbein 1977; 1983 a; Ehlich/Rehbein 1986). Bei Bedeutungserklärungen (Quasthoff/Hart-

mann 1982; Lüdi 1985; Sader-Jin 1987) ergibt sich ein Anschluß an die Psycholinguistik (Hörmann 1976; Engelkamp 1985). Bedeutungserklärungen fachsprachlicher Weinbautermini behandeln Blücher/Wagner (1990), in praktisch-technischen Unterweisungen in Lehrwerkstätten für Automobilmechaniker Baßler (1996) (beide mit Transkriptionen). Erklärungen haben Beziehungen zu anderen sprachlichen Handlungen (Lang 1976; Völzing 1979; Bayer 1981; Klein 1987). Übersetzungen von Fachwörtern in alltagssprachliche Ausdrücke (Semantisierungen im Fremdsprachenunterricht) werden zuweilen als Erklärungen verstanden (Thurmair 1994). Nach Hohenstein (1994), die fachexterne Diskurse untersucht, wird einem Hörer dadurch etwas erklärt, daß bestimmte sprachliche Ausdrucksmittel spezifische Sachbereiche auf zugrundeliegendes Wissen beziehen. Daß Erklären von Definieren zu unterscheiden ist, zeigt Wiegand (1989). 8.3. Abstract/Zusammenfassung, Paratext und Einleitung Abstracts sind kleine Textarten, die das professionelle Wissen des Artikels potentiellen Lesern mit einem professionellen und allge-

73. Austauschprozesse zwischen fachlichen Kommunikationsbereichen

meinen wissenschaftlichen Wissen, jedoch auch über die Disziplingrenzen hinweg aufschließen, also Formen eines begrenzten wissenschaftlichen Austausches. Abstracts werden angesichts der geschätzten Gesamtzahl von über 70 000 wissenschaftlichen Zeitschriften (Weingart 1995) ein zunehmendes Medium, aber auch Barriere des Austausches. Hier setzt die linguistische Analyse an. Kretzenbacher (1990) sieht Abstracts ⫺ unter der Kategorie ,Rekapitulation‘ ⫺ reduktionistisch als dichte Formen der Reproduktion wissenschaftlicher Texte an. Gnutzmann (1991) definiert solche aus Ingenieurswissenschaften, Linguistik und Soziologie als „relativ autonome semantisch-pragmatische Einheiten unterhalb der Ebene des Gesamttextes“ (ebd., 364) und korreliert sie ⫺ ähnlich Fluck (1988; 1989) aus den Gebieten Wirtschaft, Linguistik und Metallverarbeitung ⫺ mit lexikalischen und syntaktischen Merkmalen. Gläser (1990) unterscheidet das Konferenzabstract, das Abstract wissenschaftlicher Artikel und Abstracts in Referateorganen verschiedener Disziplinen. Im angelsächsischen Zusammenhang folgen Abstracts bestimmten Textnormen: introduction, method, result, discussion (Day 1988; Ebel/Bliefert 1990; s. auch Jordan 1991). Als ,genre‘ des academic writing verstehen Swales (1990) und Bhatia (1993) Abstracts und andere kleine Textarten. Ein auf umfassenderen ,moves‘ und kleineren ,steps‘ beruhender Vergleich von abstracts mit sehr viel detaillierteren Angaben und den dazugehörigen Artikeln liefert Nwogu (1990). Ventola (1994) weist auf sprachliche Realisierungsformen hin und macht deutlich, daß es eine Grenze der Verständlichkeit gegenüber der Tendenz gäbe, „to condense information“ (ebd., 344). Insgesamt subsumiert das den Abstract/die Zusammenfassung charakterisierende ,Schema‘ den Inhalt eines Artikels oftmals dem gängigen Forschungsdesign der Experimentalwissenschaften ⫺ Verbegrifflichungen, die die Analyse Bührigs (1996) bestätigen, nach der Zusammenfassungen keineswegs einfache Reproduktionen oder Rekapitulationen sind, sondern das in dem Artikel als relevant bewertete Wissen für den (potentiellen) Leser verbalisieren: „In allen präsentierten Beispielen des Zusammenfassens wird das Resultat der spezifischen Bewertungsoperationen als Einschätzung mit Symbolfeldausdrücken verbalisiert, wobei sich die Verben in Zweitstellung befinden. Dem Wissen wird auf diese Weise das „Denkschema der Aktion“ verlie-

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hen, ein Vorgang, den Bühler 1934 … als einen wichtigen Enthebungsschritt aus der Sprechsituation bezeichnet.“ (Bührig 1996, 233; s. auch die ebd. angegebene Literatur).

Indem Paratexte (Genette 1989) wie Titel den Inhalt von Artikeln in kondensierter Form ankündigen (vgl. Benesˇ 1973), bereiten sie einen Austausch auch zwischen unterschiedlichen Disziplinen vor. Sprachlich drückt sich diese kommunikative Rolle im Vorrang von nominaler gegenüber verbaler Prädikation aus (vgl. Ma˚rdh 1980; Hellwig 1984; Gnutzmann 1988). Titel sind kulturspezifisch: So geben russische Titel linguistischer Fachzeitschriften mehr Themen an als deutschsprachige (Martens 1997). Die Relevanz von Titeln für die (oftmals interdisziplinär orientierte) computergestützte Literaturrecherche veterinärmedizinischer, pädagogischer, forstund musikwissenschaftlicher Artikel untersucht Dietz (1995). Mit Blick auf die Traktierung von Wissen sind Einleitungen prinzipiell von Zusammenfassungen zu unterscheiden: Einleitungen suchen an einem gemeinsamen Wissen mit dem Leser anzuknüpfen, setzen eine Hic-et-nuncGemeinsamkeit mit dem Leser (vgl. Rehbein 1981) voraus; dabei wird je nach fachinternem oder fachexternem Adressaten professionelles oder allgemein-wissenschaftliches Wissen gewählt. Lindeberg (1994) untersucht (unter Bezug auf Swales 1990) den Stil von jeweils 20 Einleitungen in wirtschaftswissenschaftlichen Artikeln der Subdisziplinen Finanzwissenschaft, Organisation und Management sowie Marketing und zeigt, daß mit Einleitungen ein „research space“ etabliert werde. Die Autorin weist darauf hin, daß in Einleitungen ein spezifischer „knowledge claim“ (Wissensanspruch) mittels Verben (wie examine, understand, test, investigate, show, to find no evidence usw.) errichtet werde, die ein eigenes bzw. fremdes Wissen assertieren oder berichten können (vgl. auch die Arbeiten von Bazerman 1981; 1983; Myers 1992; Thompson/Yiyun 1991). 8.4. Interdisziplinäres Wörterbuch In den 70er Jahren wurde als Reaktion auf die Departementalisierung der Fachsprachen und ihrer Separierung von der Gemeinsprache das Projekt eines Interdisziplinären Wörterbuchs ventiliert; es war durchaus auf Kommunikation von Experten unterschiedlicher Disziplinen untereinander sowie mit Nicht-Experten angelegt (vgl. z. B. Henne/ Weinrich 1976; Mentrup 1977; Henne/Men-

700

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

trup/Möhn/Weinrich 1978). Ins Auge gefaßt wurde ein 10bändiges Grundwörterbuch mit einem Kranz von 10 Fachwörterbüchern („Satelliten“: Wirtschaft, Politik und Verwaltung, Technik, Medizin, Literatur, Kunst u. a. Fachbereiche). Die Idee war, daß sich ein Wörterbuchbenutzer mittels eines hochentwickelten Verweisungssystems „weiterschicken läßt“, z. B. „bei dem Wort „Prägung“ vom Grundwörterbuch zum Fachwörterbuch der Biologie und Verhaltensforschung …, und umgekehrt … von dem Stichwort „Funktion“ im Fachwörterbuch der Mathematik zu der ganz anderen Bedeutung dieses Wortes im Grundwörterbuch … Denn schon in der großen Enzyklopädie, mit der Diderot und d’Alembert im 18. Jahrhundert ein großes Lexikon zum Instrument der Aufklärung gemacht haben, wird das Verfahren der Verweisung („renvoi“) von einem Lexikon-Artikel zum anderen als ein Verfahren begriffen, durch das man den Benutzer anregen kann, bestimmte Denkverbindungen herzustellen. Es stellt nämlich jenen Sachzusammenhang der Dinge („enkyklios paideia“) wieder her, der durch die alphabetische Ordnung des Lexikons … zunächst einmal zerstört worden ist.“ (Weinrich 1978, 23) Von Bergenholtz (1978) und Bergenholtz/ Schaeder (1978) wird für den Ausdruck ,Angst‘ das Beispiel eines Lexikoneintrags für die Sprache der Psychologie (vgl. jetzt zu der psychoanalytischen Terminologie Kuenkamp 1994) präsentiert; jedoch ist in den Repräsentationen und Explikationen des Eintrags das Problem der Zugehörigkeit des Ausdrucks zu einer psychologischen Fachsprache und der Rekonstruktion der fachlichen Bedeutung umgangen und durch gemeinsprachliche Deskriptionen auf morphologischer, semantischer, syntaktischer und Vorkommensebene ersetzt. Die Problematik liegt gerade in der Erklärung eines fachlichen Eintrags, die sich weder in einer Rückführung auf gemeinsprachliche Ausdrücke noch durch einen Verweisungszusammenhang erledigt. Vielmehr sind in den Erklärungen kommunikative Brücken nicht allein zur Gemeinsprache, sondern zu den mit den sprachlichen Ausdrücken verbundenen Wissensystemen herzustellen. Dabei sind allerdings der Verwendungszusammenhang der Fachwörter (theoretischer, praktischer, fachlich-umgangssprachlicher) und der Stellenwert eines Ausdrucks in der funktionalen Gliederung eines Faches zu berücksichtigen (Möhn 1978, 79), andererseits aber die Struk-

turierung der Kommunikation entsprechend der Stufung von Wissen und Ausdruck (s. o.). Vor allem ist auch bei der fachlichen Terminologie eine „gewisse Varietät“ unvermeidlich. „Der mancherorts als Ballast beklagte Bestand fachlicher Synonyme erweist sich bei näherem Hinsehen oft als sprachliche Spur verschiedener Autoritäten, Gruppen und Schulen und somit auch als Indikator begrifflicher Unterschiede.“ (ebd., 80) Des weiteren wird oft ein und derselbe Sachbereich in verschiedenen kommunikativen Zusammenhängen („Verkehrssystemen“ s. 3.) unterschiedlich benannt, wie etwa die Sache „Benzin“ Sprit (Autofahrer), Saft (Jargon-Ausdruck der Alltagssprache), Benzinium petrolei (Apotheker), ein Markenname (Handel), in der chemischen Fachsprache als Kohlenwasserstoff-Formel, Kraftstoff, Krackbenzin usw. (Technik), Mineralöl (Steuerbehörde) usw. Der Ausdruck ,Benzin‘ würde auf dem Verweisweg der Benutzer kaum zu dieser Sachbereichsdifferenzierung führen. 8.5. Gutachten, externe Beratung Fachgutachten und Beratungen werden in verschiedenen Institutionen für Entscheidungsprozesse herangezogen, für die das eigene Fachwissen nicht ausreicht; genauer wird Fachwissen (Expertenwissen), das von einem Institut (Ehlich/Rehbein 1979) bereitgestellt wird, für Zwecke des Bewertens und Einschätzens in institutionelle Prozesse importiert, etwa bei kontroversen medizinischen Gutachten vor Gericht oder bei der Unternehmensberatung (speziell zum Bewerten in Gutachten, vgl. Thurmair/Kretzenbacher 1995; zur genetischen Beratung, s. Hartog 1996 mit Transkriptionen; vgl. außerdem Hartmann 1990). Ein Transfer sprachwissenschaftlichen und psychologischen Wissens an betriebliche Agenten geschieht in der Kommunikationsberatung; hier gibt es leider lediglich Rollenspiele, kaum authentisches Material (vgl. Brons-Albert 1995 mit Transkriptionen; allgemein die Arbeiten in Fiehler/Sucharowski 1992). Mit Blick auf den intrafachlichen Austausch konstatiert Wiegand (1979, 53): „Untersuchungen zum Gebrauch von wissenschaftlichen Fachsprachen, z. B. in Kolloquien, Projektgruppen, im Rezensionswesen, in Zeitschriftendiskussionen, in öffentlichen wissenschaftlichen Tagungen, im Gutachterwesen, in Projektanträgen usw. liegen kaum vor.“ Obwohl ein Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses national und international auf Evaluation basiert, hat

73. Austauschprozesse zwischen fachlichen Kommunikationsbereichen

sich die Forschungssituation für die interfachliche Kommunikation m. W. nicht grundlegend geändert; diskursanalytische Studien mittels authentischer Sprachaufnahmen sowie authentischer Texte sind weitgehend Desiderat.

9.

Fächerdiskurse

Fächerdiskurse hatten in der Aufklärung als Vorbereitung auf die technologische Umwälzung und/sowie die bürgerliche Revolution eine wichtige gesellschaftliche Funktion (vgl. die Arbeiten in Schlieben-Lange 1989). Heute sind sie durch eine Mischung von Kooperation und Kontroverse gekennzeichnet. Zwecks effektiver Partizipation und gesellschaftlicher Nutzung von Wissen sollten Fächerdiskurse z. B. von interdisziplinären Ausschüssen, Konferenzen, Workshops usw. anhand von Transkriptionen untersucht werden; auch Vorträge, Vorlesungen (Zemb 1981) usw. sind dabei einzubeziehen. M. W. liegt hier ein erhebliches Forschungsdefizit, u. a. wohl deshalb, weil Fächerdiskurse zumeist grundlegend Entscheidungsdiskurse sind, in die mehrere Institutionen involviert sind. Lediglich einige Untersuchungen zu betrieblichen (⫽ intrafachlichen) ,meetings‘ sind zu verzeichnen (vgl. Lenz 1989; Clyne 1993). Anhand diskursanalytischer Untersuchungen wären auch Einsichten darin zu gewinnen, wie unterschiedliche wissenschaftliche Auffassungen hinsichtlich der Wissensstrukturtypen, bezogen auf ein- und denselben Sachbereich, in sprachliches Handeln des Streitens transformiert werden und wie interfachliche Verständigung entsteht.

701

oder internationaler juristischer Institutionen anzuführen. Verhandlungen basieren zumeist auf reziproken Handlungsmustern (Rehbein/ Kameyama/Maleck 1994) und münden in Abmachungen, Vereinbarungen, Verträgen u. ä. Vergleichsweise gut untersucht sind Geschäftsverhandlungen (Agent-Agent-Kommunikation in der Wirtschaft); ich verweise hier auf die Arbeiten in Müller (1991), besonders Wagner/Petersen (1991), sowie in Ehlich/ Wagner (1995) mit Wagner (1995), Francis (1995), Marriott (1995), Charles (1995), Firth (1995), Rehbein (1995). Charakteristisch ist, daß für die interagentiale Kommunikation dieses Typs für beide Aktanten jeweils ein spezifisches Fachwissen erforderlich ist.

Im folgenden wird Kooperation und Kontroverse zwischen fachlichen Agenten handlungstheoretisch als zweckgerichteter Austausch von Wissen in einem gesellschaftlichen Ablauf verstanden (vgl. Rehbein 1977; 1979; zum Kooperationsbegriff allgemein, s. Fiehler 1980; 1993; Brünner 1992).

10.2. Interagentiale, interfachliche Kommunikation innerhalb derselben Institution Komplexere gesellschaftliche Bedürfnisse bilden neue Zwecke aus, die nicht nur eine fortschreitende Fächerdifferenzierung erzwingen, sondern den Agenten die Koordinierung ihrer Erkenntnisse und Praktiken aus verschiedenen Fächern (: Kommunikationsbereichen) abverlangt. So arbeiten bei chirurgischen Operationen Laboranten, Anästhesisten und Chirurgen und anderes medizinisches Personal zusammen ⫺ die dabei erforderlichen Koordinationsdiskurse zwischen den verschiedenen Agenten harren einer Untersuchung (vgl. aber Prince/Frader/Bosk 1982, die aus der Verwendung von Heckenausdrücken in der interagentiellen Kommunikation von Medizinern Unsicherheit ableiten). Pelka (1971) hat am Beispiel eines Betriebs der Metallverarbeitung das funktionale Zusammenwirken von Laborbericht, technischer Zeichnung, Fertigungsplan, Prüfprotokoll, Arbeitszettel sowie Montageanweisung beim Weg von der Planung zum Verkauf festgestellt; aus soziologischer Sicht untersuchen Latour/Woolgar (1979) die Kommunikation im Labor; von Hahn (1983) gibt Stationen im Produktionsbetrieb und im Hochschulbereich; auch hier fehlt konkretes Material, das durch diskursanalytische Untersuchungen weiterführen könnte.

10.1. Verhandeln Zu einem Austausch zwischen Agenten gleicher Institutionen, der meist kontrovers-kooperativ ist, kommt es bei Verhandlungen. Hier sind Verhandlungen der politischen Institutionen der Diplomatie unter Hinzuziehung von Experten oder auch nationaler

10.3. Interagentialer, institutionsübergreifender Zweckverbund Ein interagentiales, institutionsübergreifendes Zusammenwirken erfordert die gesellschaftliche Kooperation bei der Produktion. So ist etwa bei einer Patentanmeldung/Patent-

10. Agent-Agent-Kommunikation

702

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

schrift die Verknüpfung von juristischem und technischem Wissen institutionalisiert, wobei die einzelne Erfindung den Weg vom mentalen Prozeß über Antrag und Genehmigung bis hin zu dessen internationaler Distribution und technisch-ökonomischer Nutzung in Stationen von Fachtexten und -diskursen durchläuft (Schamlu 1985 mit authentischem Material); Vagheit und Verzicht auf Details in der Beschreibung ist bei einem derart interdisziplinären Weg unvermeidlich. Als Negativfolie diene hier die alltägliche Erfahrung, daß die Kooperation auf dem Bau verschiedener handwerklicher Disziplinen wie Maurer, Dachdecker, Glaser, Installateur, Elektriker usw. nur mit erheblichem Aufwand an kontrollierender Verwaltung möglich ist. (B12) Betrachten wir ein weiteres Beispiel: Die Verbesserung der Luftqualität z. B. erfordert die Etablierung eines kooperativen Zweckverbunds, da die Reinigung von den Luftschadstoffen Schwefeldioxyd (SO2) und Stickstoffoxyd (NO2) keineswegs ein allein chemischer Prozeß ist (vgl. hierzu einige ökolinguistische Arbeiten mit jedoch starker Betonung des traditionellen Mensch-UmweltGegensatzes, vgl. Fill 1996; in kritischer Erweiterung um die Komponente Ökonomie, s. Stork 1996; erste Überlegungen zu neuen Ausdrücken aus der Sicht der Deutschlernerin, s. Malachowa 1996). Grundsätzlich müßte dafür der Gesamtweg von der Produktion zur Konsumtion betrachtet werden, da nicht nur eine staatlich gelenkte Verringerung des Schadstoffgehalts, sondern Gewohnheits- und Handlungsänderungen der Bürger erreicht werden sollen. Dabei sind folgende Kooperationsstationen zu berücksichtigen: An der Erzeugung von Schadstoffen sind Betriebe, Behörden, Familien und andere Institutionen z. B. mit Heizungen, Verkehr usw. beteiligt, an der Bearbeitung von Änderungen Umweltbehörde (Verwaltung und Politik) sowie verschiedene Unternehmen, Rechtsinstitutionen, die Telefonberatung, Wissenschaft (Gutachter, Techniker, Ingenieure). Sie alle kommunizieren schriftlich und/oder mittels Debatten/Medien. Naturwissenschaftliche, technische, industrielle u. a. Sachverhalte werden in Texten verbalisiert (in unterschiedlichen Textarten wie Gutachten, Redeniederschriften, Wurfsendungen, Broschüren, Artikeln). Die Wahrnehmung bei den Nutzern/Konsumenten ist kontrovers (vgl. die Debatte über die Schadstoffe im Mineralwasser in Zeitschriften). Normen, z. B. der Sicherheit, betreffen die Gesundheit, die Produktion, Verkehrssicherheit usw. unterschiedlich (vgl. die DINTaschenbücher z. B. über das Betreiben von raumlufttechnischen Anlagen usw. in DIN-

Taschenbuch 255, S. 87 f). Durch kommunikativ-linguistische Analyse ergeben sich Einsichten in Effektivierungsmöglichkeiten des Gesamtprozesses. Wichtig erscheint dafür die Verknüpfung von Wissensstrukturtypen aus unterschiedlichen Wissensräumen im Zuge der Kooperation unterschiedlicher fachlicher Agenten.

Institutionsübergreifende, aber von Institutionen und deren Agenten getragene „Austauschprozesse zwischen verschiedenen Kommunikationsbereichen“ fusionieren hier zu einem Funktionszusammenhang, einem ,Zweckverbund‘, der oftmals zeitlich begrenzt ist. In einem Zweckverbund werden die eingangs erwähnten membership-abhängigen wissenschaftlichen Richtungen, die verschiedenen methodologischen Annahmen überbrückt und mehrere Handlungsmuster miteinander verknüpft. Bei der Entwicklung der Kooperationsketten sind komplexe Handlungspläne erforderlich, wie bei der Konstruktion eines Geräts zur automatischen Übersetzung etwa im Projekt Verbmobil. Als fachliche Agenten sind nicht nur Informatiker, sondern Sprachwissenschaftler, Soziologen, Übersetzungswissenschaftler, Akustiker, Ingenieure usw. durch einen „Netzplan“ (Wahlster/Engelkamp 1992) miteinander verbunden. Dabei erfordern die Diskurse eine wechselseitige Einarbeitung in die Wissensräume der beteiligten Aktanten, um eine Verzahnung zu einer Architektur zu erreichen. Dafür dienen das allgemeine wissenschaftliche Wissen (iv) und das praktische Alltagswissen (iii) als kommunikative Vermittlungsmedien. Diskurse verlaufen z. B. auf Workshops, Tagungen, Kongressen bzw. als e-mail-Austausch usw. mit den erwähnten kleinen Formen des Erklärens und Zusammenfassens. Aufgrund wechselseitigen Kommunikationsdrucks bilden sich neue sprachliche Handlungsmuster in ähnlicher Weise, wie sie von Koole/ten Thije (1994) für die interkulturelle Kommunikation beobachtet wurden. Texte wie Arbeitspapiere, handouts, Graphiken, an eine Vielzahl von Adressaten gerichtet (Ehlich 1983), weisen eine „functional text quality“ auf (vgl. Pander Maat/Steehouder 1992; insbesondere Elling 1992; Jannssen/Schilperood 1992). In diesem Sinn hat Buhofer (1985) den Bedarf von Sprechen und Schreiben in der betrieblichen Produktion erhoben. In der Untersuchung und Effektivierung kooperativer Zweckverbünde sowie der Reflexion der Kommunikationskonflikte liegt für die sprachwissenschaftliche Kommunikationsforschung eine zentrale Aufgabe.

73. Austauschprozesse zwischen fachlichen Kommunikationsbereichen

Die Kooperation verkompliziert sich durch die Mehrsprachigkeit der beteiligten Subjekte. In dem Fall ist eine den Teilzwecken des Verbunds gerechte Verkehrssprache zu verwenden (vgl. Rehbein 1996 am Beispiel der Verwendung des Niederdeutschen in der Kooperationskette der Hanse); die interfachliche Kommunikation ist dann in interkulturelle Kommunikation eingebettet (vgl. Clyne 1994, 196 f; Schröder 1993). ⫺ Kristin Bührig danke ich für ihre kritischen Kommentare.

11. Literatur (in Auswahl) Ahinstein 1983 ⫽ Peter Ahinstein: The Nature of Explanation. Oxford 1983. Antaki 1988 ⫽ Charles Antaki: Analysing everyday explanation. London usw. 1988. Ballmer 1974 ⫽ Thomas T. Ballmer: Inwiefern ist Linguistik empirisch? In: Wissenschaftstheorie der Linguistik. Hrsg. v. Dieter Wunderlich. Kronberg/ Ts. 1974, 6⫺53. Baßler 1996 ⫽ Harald Baßler: Wissenstransfer in intrafachlichen Vermittlungsgesprächen. Eine empirische Untersuchung von Unterweisungen in Lehrwerkstätten für Automobilmechaniker. Tübingen 1996. Baumann 1996 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Fachtextsorten und Kognition ⫺ Erweiterungsangebote an die Fachsprachenforschung. In: Fachliche Textsorten. Komponenten ⫺ Relationen ⫺ Strategien. Hrsg. v. Hartwig Kalverkämper und Klaus-Dieter Baumann. Tübingen 1996, 355⫺388. Bayer 1981 ⫽ Klaus Bayer: Einige Aspekte des Sprachhandlungstyps ,Erklären‘. In: Deutsche Sprache 1981/9, 25⫺43. Bazerman 1981 ⫽ Charles Bazerman: What written knowledge does: Three examples of academic discourse. In: Philosophy of the Social Sciences 11/ 1981, 361⫺382. Bazerman 1988 ⫽ Charles Bazerman: Shaping written knowledge. The genre and activity of the experimental article in science. Madison 1988. Benesˇ 1969 ⫽ Eduard Benesˇ: Zur Typologie der Stilgattungen der wissenschaftlichen Prosa. In: Deutsch als Fremdsprache 6/1969, 225⫺233. Benesˇ 1971 ⫽ Eduard Benesˇ: Fachtext, Fachstil, Fachsprache. In: Sprache und Gesellschaft 13/ 1971, 118⫺132. Benesˇ 1973 ⫽ Eduard Benesˇ: Die sprachliche Kondensierung im heutigen Fachstil. In: Linguistische Studien III. Sprache der Gegenwart 23. Düsseldorf 1973, 40⫺50. Bergenholtz 1978 ⫽ Henning Bergenholtz: Zu der Sprache der Psychologie und ihrer lexikographischen Erfassung. In: Interdisziplinäres deutsches

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Wörterbuch in der Diskussion. Hrsg. v. Helmut Henne, Wolfgang Mentrup, Dieter Möhn und Harald Weinrich. Sprache der Gegenwart 45. Düsseldorf 1978, 102⫺115. Bergenholtz/Schaeder 1978 ⫽ Henning Bergenholtz/Burkhardt Schaeder: Ausblicke auf eine deskriptive Lexikographie. In: Interdisziplinäres deutsches Wörterbuch in der Diskussion. Hrsg. v. Helmut Henne, Wolfgang Mentrup, Dieter Möhn und Harald Weinrich. Sprache der Gegenwart 45. Düsseldorf 1978, 116⫺172. Beyer/Walter 1991 ⫽ Lehrbuch der Organischen Chemie. Hrsg. v. Wolfgang Walter. 22. Aufl. Stuttgart 1991. Bhatia 1993 ⫽ Vijay K. Bhatia: Analysing genre: Language use in professional settings. London. New York 1993. Bleecken 1992 ⫽ Stefan Bleecken: Die Einheit der Wissenschaft ⫺ Abschied von einer Illusion. In: Merkur 46/525, 1096⫺1108. Blücher/Wagner 1990 ⫽ Ulrike von Blücher/Simone Wagner: Mittel des Wissenstransfers: Alltagserklärungen im Französischen. Universität Hamburg, Romanisches Seminar (MA-Arbeit) 1990. Brons-Albert 1995 ⫽ Ruth Brons-Albert: Auswirkungen von Kommunikationstraining auf das Gesprächsverhalten. Tübingen 1995. Brünner 1987 ⫽ Gisela Brünner: Kommunikation in institutionellen Lehr-Lern-Prozessen. Diskursanalytische Untersuchungen zu Instruktionen in der betrieblichen Ausbildung. Tübingen 1987. Brünner 1992 ⫽ Gisela Brünner: „Wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort.“ ⫺ Zum Verhältnis von Kommunikation und Arbeit in Wirtschaftsunternehmen. In: Wirtschaft und Sprache. Hrsg. v. Bernd Spillner. Forum Angewandte Linguistik 23. Frankfurt/M. u. a. 1992, 25⫺42. Brünner 1993 ⫽ Gisela Brünner: Mündliche Kommunikation in Fach und Beruf. In: Fachsprachentheorie. Bd. 2: Konzeptionen und theoretische Richtungen. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 730⫺771. Brun-Cottan 1990/91 ⫽ Francoise Brun-Cottan: Talk in the workplace: Occupational relevance. In: Research on Language and Social Interaction 24/ 1990/1991, 277⫺295. Buhlmann/Fearns 1987 ⫽ Rosemarie Buhlmann/ Anneliese Fearns: Handbuch des Fachsprachenunterrichts. Unter besonderer Berücksichtigung naturwissenschaftlich-technischer Fachsprachen. Berlin u. a. 1987. Bühler 1934 ⫽ Karl Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena 1934. Buhofer 1985 ⫽ Annelies Häcki Buhofer: Schriftlichkeit im Alltag. Theoretische und empirische Aspekte ⫺ am Beispiel eines Schweizer Industriebetriebs. Bern 1985.

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

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Hrsg. v. Gisela Brünner und Gabriele Graefen. Opladen 1994, 136⫺157. Graefen 1995 ⫽ Gabriele Graefen: Reflexive Konstruktionen in wissenschaftlichen Texten. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache Bd. 21. München 1995, 149⫺169. Graefen 1997 ⫽ Gabriele Graefen: Der wissenschaftliche Artikel ⫺ Textart und Textorganisation. Frankfurt/M. 1997. Gräfrath/Huber/Uhlemann 1991 ⫽ Bernd Gräfrath/ Renate Huber/Brigitte Uhlemann: Einheit, Interdisziplinarität, Komplementarität. Orientierungsprobleme der Wissenschaft heute. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Forschungsbericht 3. Berlin. New York 1991. Grießhaber/Rehbein 1992 ⫽ Wilhelm Grießhaber/ Jochen Rehbein: Kontextualisierte Wortschatzanalyse (KWA). Ziele, Probleme und Verfahren. Universität Hamburg, Germanisches Seminar 1992. Gusfield 1989 ⫽ Joseph R. Gusfield: Science as a form of burocratic discourse: Rhetoric and style in formal organisations. In: Wissenschaftssprache und Gesellschaft. Aspekte der wissenschaftlichen Kommunikation und des Wissenstransfers in der heutigen Zeit. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1989, 272⫺291. von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung • Linguistische Konzepte • Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983. Harms 1996 ⫽ Handbuch der Geographie. Physische Geographie und ihre Nachbarwissenschaften. Studienausgabe. 16. Aufl. Hannover 1996. Hartmann 1990 ⫽ Ilse Hartmann: Begutachtung in der Forschungsförderung ⫺ Die Argumente der Gutachter in der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Frankfurt/M. 1990. Hartog 1996 ⫽ Jennifer Hartog: Das genetische Beratungsgespräch. Institutionalisierte Kommunikation zwischen Experten und Nicht-Experten. Tübingen 1996. Hegel 1807 ⫽ Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Die Phänomenologie des Geistes. 6. Aufl. Hamburg 1952. Hegel 1830 ⫽ Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. 6. Aufl. Hamburg 1959. Hellwig 1984 ⫽ Peter Hellwig: Titulus oder Über den Zusammenhang von Titeln und Texten. Titel sind ein Schlüssel zur Textkonstitution. In: ZGL 12/1984, 1⫺20. Henne/Weinrich 1976 ⫽ Helmut Henne/Harald Weinrich: Zwanzig Thesen über ein neues großes Wörterbuch der deutschen Sprache. In: ZGL 4/ 1976, 339⫺349. Henne/Mentrup/Möhn/Weinrich 1978 ⫽ Helmut Henne / Wolfgang Mentrup / Dieter Möhn / Harald Weinrich (Hrsg.): Interdisziplinäres deutsches Wörterbuch in der Diskussion. Düsseldorf 1978 (Sprache der Gegenwart 45).

706

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

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710

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

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Jochen Rehbein, Hamburg

74. Fachsprachliche Phänomene in der Alltagskommunikation 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Problemstellung Methodische Vorannahmen Ursachen des sprachlichen Transfers Transfers aus der Wissenschaftssprache Transfers aus der Techniksprache Literatur (in Auswahl)

1.

Problemstellung

Unter fachsprachlichen Phänomenen in der Alltagskommunikation werden im folgenden Ausdrucksmittel einer Sprache verstanden, die in der Gegenwart für den Sprachbenutzer noch erkennbar aus einer fachsprachlichen Textumgebung stammen, deren genaue Herkunft und ursprüngliche Textumgebung aber nicht unbedingt bekannt sein müssen und die nunmehr auch in alltagssprachlichen Texten häufig zur Verwendung kommen und dabei eine entsprechende Veränderung und Anpassung erfahren. Ergänzt man die skizzierte Sehweise auf solchen Sprachtransfer durch eine historische Perspektive, so sind alle Phänomene des Sprachwandels eingeschlossen, die in der jüngeren Sprachgeschichte durch fachsprachliche Beeinflussung der Alltagssprache entstanden sind. Sie entziehen sich der kompetenten Beurteilung des Sprachteilnehmers, und ihre fachlichen Ursprünge sind als historische Übertragungen nicht unbedingt zu erkennen und zu deuten. Solche Transferprozesse aus den Fachsprachen in die Alltagssprache werden in Gegenwart und Geschichte durch Wissenserweiterungen, Verwissenschaftlichungsprozesse, technische und soziale Modernisierun-

gen hervorgerufen. Die Annahme der Transfers setzt als Grundannahme voraus, daß es eine varietätenlinguistisch bestimmbare Grenzziehung zwischen fachlicher und alltäglicher Kommunikation gibt und daß Alltagssprache die historisch grundlegende Form der menschlichen Kommunikation mit ihren untheoretischen, naiven, ganzheitlichen und „relativ unscharfen“ Begriffs- und Ausdruckssystemen ist (Steger 1991, 109). Gegenstand des Beitrags ist nicht die Darstellung des sprachlichen Transfers, der gezielt und intendiert in entsprechenden Lehr-, Popularisierungsoder sonstigen Vermittlungstexten stattfindet. Ausgegrenzt bleibt demzufolge der Untersuchungskomplex der Fachsprachenlinguistik, der sich mit den eher pragmatisch-kommunikativ orientierten Themenkomplexen beschäftigt, wie z. B. Struktur von Vermittlungstexten, Anforderungen an deren Verständlichkeit, generelle Anforderungen an eine fachexterne Kommunikation zwischen dem Experten auf der einen Seite und dem Laien bzw. Benutzer bzw. Verbraucher auf der anderen Seite. Selbstverständlich sind die konkreten Transferwege der fachsprachlichen Phänomene eben an solche Texte und Vermittlungssituationen gebunden, etwa an Anweisungstexte (Grosse/Mentrup 1982; Schuldt 1992), an Lehrtexte, an Popularisierungs-Texte (Dröge/Wilkens 1991) und an Experte-Laie-Kommunikationssituationen (Ehlich 1994). Doch werden diese Kommunikationsbedingungen im folgenden als Voraussetzung unterstellt.

Während in solchen Untersuchungen vor allem der Prozeß des konkreten Kommunikationsvorgangs mit seinen kommunikativen und sozialen Implikationen zur Sprache kommt, sollen hier gewissermaßen summa-

74. Fachsprachliche Phänomene in der Alltagskommunikation

risch die sprachlichen Ergebnisse in den Varietäten einer Sprache behandelt werden. Im Mittelpunkt steht nicht die Analyse des isolierten Transfer- und Austauschvorganges, sondern das „varietätenlinguistische Ergebnis“, der gesamte Sprachwandel. Dies führt zu folgenden Fragestellungen: Welche fachsprachlichen Phänomene werden besonders häufig in die Alltagssprache transferiert? Welche Teile der Fachwortschätze sind besonders „anfällig“ für die Übernahme in Alltagskommunikation, und wie werden sie dabei verändert? Welche Fächer sind zu bestimmten historischen Zeiten besonders beteiligt? Dabei muß berücksichtigt werden, daß es in der zwangsweise hinzutretenden historischen Dimension auch um die zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich starke Durchdringung der Alltagskommunikation durch Fachwissen und durch fachsprachliche Phänomene, also generell auch um ein zentrales Thema der Sprachwandel-Diskussion geht.

2.

Methodische Vorannahmen

Gemäß den Grundvorannahmen, die hier mit Steger (1988; 1991) für die Alltagskommunikation getroffen wurden, können im folgenden nur diejenigen alltagssprachlichen Texte Berücksichtigung finden, die aus wirklich alltäglichen Kommunikationsanlässen produziert werden (z. B. Gespräche, Unterhaltungen, Diskussionen im Alltag). Eine Vielzahl von Texten, in denen nicht minder interessante fachsprachliche Phänomene aufzuspüren wären, bleiben unberücksichtigt, nämlich alle Lehrtexte, alle Medientexte und auch alle halb-institutionellen Texte (wie z. B. Beratungs- und Verkaufsgespräche). Daraus leitet sich ab und wird legitimiert, daß die Betrachtung sich vor allem auf die Übernahme fachsprachlicher Terminologie und somit auf Wortschatzprobleme konzentrieren kann. In den genannten Medien- und Institutionstexten können auch weitere fachsprachliche Phänomene übernommen werden, aus dem Bereich der Morphosyntax (etwa die Vorliebe für bestimmte syntaktische Muster, wie z. B. Funktionsverbgefüge), aus dem Bereich der kunstsprachlichen Notationssysteme oder aus dem Bereich bestimmter fachsprachlicher Textmuster- und Textgliederungsstrategien. Für die alltägliche Kommunikation ist dies zu vernachlässigen: Die Frage nach den fachsprachlichen Phäno-

711

menen in der Alltagskommunikation kann verengt werden auf die Frage nach möglichem Fachwortschatz in der Alltagskommunikation. Die Studien von Wichter (1991; 1994) zeigen überzeugend, daß die empirische Darstellung der Vertikalität von Expertenund Laiensprache vor allem eine lexikologische Angelegenheit ist. Als weitere methodische Vorannahme wird postuliert, daß das Fachwort auf dem Weg in die Alltagssprache seinen ursprünglichen Status als definierter Fachbegriff verliert und stattdessen die semantische Vagheit eines Alltagsbegriffes annimmt. Das ursprüngliche Fachwort wird in seiner Ausdrucksseite zwar (meistens) unverändert transferiert, doch die Inhaltsseite erfährt einen Bedeutungswandel, erfährt gewissermaßen eine „Veralltäglichung“ oder ⫺ tendenziell wertend ⫺ eine „Trivialisierung“. Beispiele: Aus dem medizinischen Stress wird der alltägliche Stress, aus der psychoanalytischen Verdrängung wird die alltägliche Verdrängung. Insofern ist der unter dem Schlagwort der „Verwissenschaftlichung“ der Umgangssprache bzw. Alltagssprache (Pörksen 1994, 255) beschriebene Vorgang zumindest in semantischer Hinsicht viel eher eine „Trivialisierung der Wissenschaftssprache“. Denn die fachsprachlichen Konzepte und Begriffe, die innerhalb der jeweiligen Begriffshierarchie des Faches auf einer eineindeutigen Definition beruhen, werden in die relativ vagen und naiven Modelle des Alltagswissens und der Alltagssprache eingepaßt (vgl. Steger 1991; Jakob 1991b).

3.

Ursachen des sprachlichen Transfers

3.1. Verwissenschaftlichung der Lebenswelt Daß die zunehmende Wissensexplizierung, Wissensanhäufung, Wissensspezialisierung und die allgemeine Verwissenschaftlichung der Lebenswelt sich in der jüngeren Sprachgeschichte direkt in entsprechenden Sprachveränderungen niederschlagen, ist in seiner allgemeinen Aussage unumstritten und letztendlich trivial (vgl. hierzu sehr allgemein: Drozd 1988). Dabei besteht zunächst grundsätzlich das Dilemma, daß das Schlagwort von der „Verwissenschaftlichung der Lebenswelt“ offensichtlich stets nur als Tendenz-Begriff gebraucht werden kann: Entweder wird damit mit quasi-aufklärerischer Intention begrüßt, daß das Rationalitätsniveau der Gesellschaft angehoben wird, oder es wird mit

712

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

antimodernistischer Intention beklagt, daß dadurch vor allem grundlegende Alltagskompetenzen und „natürliches Wissen“ verloren gingen (vgl. Mahlmann 1991, 7). Differenzierungen könnten erreicht werden, wenn man die Unterscheidung der Sozialwissenschaften zwischen einer „primären und einer sekundären Verwissenschaftlichung“ der Lebenswelt akzeptiert (Mahlmann 1991, 18). Die erste Phase, die der „primären Verwissenschaftlichung“, mag man mit Max Webers „Entzauberung der Welt“ in eins setzen. Auch im 17. und 18. Jh. ist das Alltagswissen schon teilweise „entzaubert“ und nicht frei von Verwissenschaftlichung: etwa in der alltäglichen Rezeption von neueren astronomischen Erkenntnissen oder von neueren Theorien zur Entstehung der Welt und der Schöpfung, aber auch in der alltäglichen Rezeption von medizinischen, psychologischen und pädagogischen Konzepten (vgl. hierzu die Beispiele in 4.1. und 4.2.). Demgegenüber findet die zweite Phase, die der „sekundären Verwissenschaftlichung“ erst im 20. Jh. statt. Unter völlig anderen Kommunikationsbedingungen, die durch die bildungs- und mediengeschichtlichen Umbrüche und Errungenschaften zustande gekommen sind, wird eine neue qualitative Stufe der Verwissenschaftlichung erreicht, in der jeder in großem Umfang an den im Alltag anwendbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen partizipieren kann, ja sogar in vielen Teilbereichen muß. Damit sind im 20. Jh. auch die wechselseitigen Beziehungen von Fachsprachen und Alltagssprache in eine „sekundäre“ Phase der Verwissenschaftlichung getreten. Der ehemalige Fachwortschatz wird offenkundig ubiquitär in der Alltagssprache, weil die revolutionären Veränderungen in der Bildungs-, Medien-, Alphabetisierungs- und Lesestoffgeschichte (vgl. Polenz 1991) als Katalysatoren für die Verwissenschaftlichung der Alltagssprache in der jüngeren Sprachgeschichte wirken. 3.2. Technisierung des Alltags Gleichzeitig mit der alltäglichen Partizipation an wissenschaftlichen Versatzstücken tritt eine weitere, für das 20. Jh. spezifische Veränderung des Alltagswissens ein: der Prozeß der flächendeckenden und weitgreifenden „Technisierung des Alltags“ und der „Veralltäglichung von Technik“ (vgl. Hörning 1988, 51; Hennen 1990; Jakob 1991a, 85 ff). Er erscheint in den Darstellungen meistens noch

weitreichender, noch beeindruckender und noch bedrohlicher. Wiederum dominiert eine ideologie-kritische Ausrichtung, nach der Technisierung zu einer irgendwie gearteten Vergegenständlichung und somit zu einer eben „technisierten“, neuen Herrschaftsform führt. Der Sozialwissenschaftler hat selbst für den Ersatz von Staubtüchern durch Staubsauger das entsprechende Postulat bereit: „Allgemein läßt sich Technisierung des Alltags als zunehmende Vergegenständlichung von überindividuellem Wissen, Können und Wollen in Form von Maschinen kennzeichnen, so daß technischen Sachsystemen gleichsam der Rang von Institutionen zukommt. In Form technischer Vergegenständlichung werden institutionalisierte Normen und Regelsysteme zum Bestandteil individuellen Handelns“ (Eisendle 1993, 3). Ganz ähnlich wie beim Begriff der Verwissenschaftlichung scheint auch der Begriff der Technisierung stets mit den tendenziellen Merkmalen Verlust, Oktroyierung und magisch-technische Macht verbunden (vgl. hierzu kritisch: Rammert 1987, 321; Ropohl 1991, 167 ff). Auch wenn man die kritischen Anmerkungen gegen eine zu starke Überhöhung der Technisierung akzeptiert, so wird doch von niemandem ernsthaft bestritten, daß durch die massenhafte und in immer kürzeren Innovationszyklen ablaufende Technisierung der privaten Haushalte, der Freizeitgestaltung, des Medienkonsums, des Verkehrsverhaltens eine grundlegende Umgestaltung des Alltagslebens im 20. Jh. stattgefunden hat. Die Statistiken zur Technikausstattung privater Haushalte zeigen dies in beeindruckenden Zahlen (Hampel 1991, 58⫺73). Auch in vorindustriellen Zeiten bestand schon die grundsätzliche Nähe von Alltag und Technik. Schon immer war es die Techniksprache, die am stärksten die alltagssprachliche Kommunikation tangierte (siehe Art. 10). Strenggenommen wird demnach diese Beziehung jetzt im 20. Jh. lediglich häufiger und demnach auffälliger. Doch ist auch hier wohl von einem „sekundären“ Technisierungsprozeß auszugehen, der die Veränderungsprozesse auf eine neue qualitative historische Stufe hebt. Insofern ist der oberflächliche Eindruck, daß die technischen Entwicklungen des 20. Jh.s häufiger und wichtiger für die fachsprachlichen Phänomene in der Alltagssprache sind als die Verwissenschaftlichung des Alltagslebens, korrekt. Denn für die zuletzt genannte Beeinflussung muß der Sprecher zumindest in Teilen gewisse Bil-

74. Fachsprachliche Phänomene in der Alltagskommunikation

dungs-Dispositionen mitbringen, der ersteren kann er sich kaum entziehen. Da Alltagskommunikation der elementare und lebensnotwendige Kommunikationsbereich des Menschen ist, dem man sich „nicht entziehen kann“ (vgl. Steger 1991, 75⫺80), wird somit die Technisierung der Alltagssprache zu einem obligatorischen und bedeutenden Versatzstück des Sprachwandels, der alle Sprachteilnehmer weitreichender und gleichmäßiger erfassen muß als die Verwissenschaftlichung. 3.3. Bildungsattitüde und Prestige Im Prinzip kann der Transfer eines einzelnen Wortes von der Fach- zur Alltagssprache als eine binnensprachliche Entlehnung zwischen verschiedenen Erscheinungsformen einer Sprache aufgefaßt werden. Dabei sind die Auslöser, die Motive und die lexikalischen Prozesse und Entwicklungsphasen zu großen Teilen identisch oder zumindest vergleichbar mit denen, die die Entlehnungsvorgänge zwischen zwei Standard-/Nationalsprachen betreffen. Insofern liegt ein Sonderfall einer „normalen“ Entlehnung und auch ein Sonderfall eines „normalen“ Wandlungsvorganges im Wortschatz vor. Die theoretischen Konzepte der Sprachwissenschaft zur Beschreibung der interkulturellen Entlehnungen und zur Beschreibung des Wortschatz- und Bedeutungswandels wären also hier vorauszusetzen (vgl. hierzu Munske 1990). Hier soll im folgenden lediglich ein soziolinguistischer Aspekt herausgegriffen werden, nämlich die Fragen der Prestige-Zuweisung an Sprecher und Sprache. Hartig (1993, 684 f) verweist auf die wichtigen „sozialpsychologischen Effekte der Fachsprache“. Unter anderem leitet er aus dem besonderen „Prestige der Arztsprache“ her, daß gerade die Sprachen der drei Fächer Medizin, Psychologie und Psychoanalyse eine sehr starke Faszination auf die Alltagskommunikation ausstrahlen und dementsprechend die Ausdruckssysteme der Alltagssprache beeinflussen. Ein solcher Zusammenhang zwischen dem generellen kulturellen Prestige eines Faches, dem speziellen sozialen Prestige der ihm Zugehörigen und dem sprachlichen Prestige ihrer Fachsprache ist offenkundig, wenngleich im genannten Beispiel übersehen wird, daß die Bereiche der Medizin und Psychologie auch schon „vorkulturelles“ Prestige daraus ziehen, daß sie Theorien und Erklärungsversuche für elementare Lebensprobleme und grundsätzliche

713

Fragestellungen an das Leben des Menschen geben, etwa auf die Fragen nach dem Wesen und Sinn von Konflikten, Emotionen, Sexualität, Trauer, Krankheit, Verfall und Tod (vgl. auch Steinig 1981, 423; 428). Die Fragen nach dem besonderen Prestige einer Fachsprache, das vorliegen muß, um einen lexikalischen Transfer in die Alltagssprache voranzutreiben, lassen sich varietätenlinguistisch präzisieren, wenn man als ersten Träger einer solchen Neuerung einen Fachjargon oder eine (Fach-)Gruppensprache annimmt. So ist für Sauer die wichtigste Leistung des Fachjargons die „Multiplizierung fachsprachlicher Kommunikationsformen“ (Sauer 1992, Titel). Es erscheint plausibel, daß die Entlehnung des ursprünglichen Fachwortes in die Alltagssprache zunächst die Gruppensprache einer AvantgardeGruppe braucht, die sich als eine spezialisierte Gruppe erstmals den neuen Wissensbeständen oder den technischen Neuerungen stellt. Die zunächst elitäre und jargonhafte Sprache der Gruppe wird zum Transmissionsriemen des Sprachwandels. Sie entdeckt den ursprünglichen Fachwortschatz, verleiht ihm das Prestige der „Innovation“, der „Bildungsattitüde“ und der „elitären Abweichung“. Dadurch wird er für die Alltagssprache „attraktiv“ und allgemein bekannt, bis er schließlich in den normalen Alltagswortschatz integriert ist. Insofern liegt hier lediglich ein fachsprachlicher Sonderfall eines normalen, durch Gruppensprachen initiierten Sprachwandels vor (vgl. Jakob 1994).

4.

Transfers aus der Wissenschaftssprache

Die sogenannte „Verwissenschaftlichung der Umgangssprache“ (Pörksen 1994, 255) ist keine neue Modeerscheinung, sondern ein fortwährender Prozeß der Sprachgeschichte. Zu allen Zeiten haben Begriffe und Wortschätze aus den Theorie-Bereichen eine Übertragung in die Alltagskommunikation erfahren (vgl. die Epochenüberblicke in Deutsche Wortgeschichte 1974). Zunächst sind es vorrangig die theologischen Weltentwürfe und Konzepte. Zentrale Begriffe des christlichen Glaubens werden in althochdeutscher Zeit veralltäglicht, der Wortschatz des Pietismus verändert nachhaltig die Alltagssprache des 18. Jh.s. In der jüngeren Geschichte dominieren die theoretischen Entwürfe der Wissenschaften: Physik, Biologie, Medizin, Pädago-

714

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

gik und Psychologie werden im 18. und 19. Jh. zum Ausgangspunkt von Wortschatzveränderungen. 4.1. Medizin Am Beispiel der Medizin lassen sich Phasen und Wortschatzentwicklungen anschaulich zeigen. Zu Beginn des 20. Jh.s mag ein durchschnittlich gebildeter Mensch im Alltag bereits über einen medizinischen Wortschatz verfügt haben, der Wörter wie (Blut-)Kreislauf, niederer/hoher Blutdruck, Bakterie, Infektion, Abwehrstoffe/-kräfte, Blutvergiftung u. a. umfaßte. Darauf verweisen jedenfalls die Alltagsgespräche der älteren Generation. Auch ohne medizinische (oder andere akademische) Ausbildung ist ein elementarer Medizinwortschatz bekannt, dessen Begrifflichkeit zunächst ⫺ also im 17. bis 19. Jh. ⫺ wissenschaftlich ausgeprägt werden mußte, ehe Konzepte und Wörter zum Bestand des Alltagswissens und der Alltagssprache werden konnten („primäre Verwissenschaftlichung“). Im 20. Jh. („sekundäre Verwissenschaftlichung“) kommen dann weitere Wörter in der Alltagssprache hinzu, die neue und genauere Kenntnisse der Medizin verarbeiten. Wörter, die ursprünglich für diagnostisches Detailwissen reserviert waren, werden alltäglich (z. B. Blutbild, Hormone, Leberwerte, Blutzucker, Kalorien, Schock, Koma). Neben den schon immer alltäglich gewußten und benannten Körperteilen und Organen werden auch anatomische Teilbenennungen gebraucht (z. B. Herzmuskel, Herzklappe). Allen Wörtern ist mehr oder weniger gemeinsam, daß ihre ursprüngliche Fachbedeutung durch eine naive Alltagsvorstellung rigide vereinfacht wird (besonders deutlich bei Wörtern wie Schock), d. h. sie werden zu Alltagswörtern trivialisiert. Die Zeit- und Kulturabhängigkeit solcher Transfers zeigt sich etwa darin anschaulich, daß in den 80er/90er Jahren ⫺ bedingt durch eine modische Hinwendung zu alternativer Medizin, zu bewußter Gesundheitsvorsorge und zu einem allgemeinen „Körper“-Bewußtsein ⫺ die deutsche Gegenwartssprache einer besonders hohen „Medizinisierung“ unterliegt. 4.2. Psychologie Der Prozeß der alltäglich-modischen „Psychologisierung“ ist dagegen schon älter. Schon 1976 hatte Enke diagnostiziert: „Die Psychologisierung der Gesellschaft ist nicht aufzuhalten“ (Thomas Enke 1976; zitiert nach Steinig 1981, 423). Daß seit fast drei

Jahrzehnten die Alltagskommunikation immer mehr von Wörtern geprägt wird, die ursprünglich für wissenschaftliche Konzepte der Psychologie oder speziell der Psychoanalyse standen, ist hinlänglich bekannt und gut erforscht (vgl. z. B. Pörksen 1973; Steinig 1981). Das alte Bedürfnis des Menschen, die Motive, das Verhalten und die Emotionen der Mitmenschen zu verstehen und auch zu analysieren, scheint in dieser „sekundären“ Phase eine neue Dimension erreicht zu haben (Steinig 1981, 423). So werden ehemalige Fachwörter (z. B. Aggression, Frustration, Verdrängung, Fixierung, Rolle) zu alltäglichen Ausdrücken. Wenn Emotionen zuvor häufig mit Herz- oder Organ-Metaphorik ausgedrückt wurden (mir blutet das Herz, eine Wut im Bauch haben), so sind sie nunmehr eher „psychologisiert“ (Trauerarbeit leisten, Aggressionen haben) (vgl. zu weiteren Beispielen Steinig 1981, 426⫺437). Doch sei erinnert, daß auch hier eine „primäre“ Phase der Verwissenschaftlichung vorangegangen ist. Mahlmann (1991) zeigt, wie Texte zur Eheberatung schon seit dem 18. Jh. mit pädagogisch-psychologisierender Manier argumentieren: „Die Ratgeber legitimieren ihren Status und ihre Kompetenz prinzipiell mit ihren Welterfahrungen, die sie bündeln, generalisieren und an den gängigen Normen messen“ (Mahlmann 1991, 324). Ein exemplarischer Beleg aus dem 18. Jh.: „Übrigens aber kann nichts abgeschmackter, von verkehrterer Wirkung sein, als wenn Eheleute durch die priesterliche Einsegnung ein so ausschließliches Recht auf jede Empfindung des Herzens voneinander erzwungen zu haben glauben, daß sie wähnen, nun dürfe in diesem Herzen auch nicht ein Plätzchen mehr für irgendeinen anderen guten Menschen übrig bleiben.“ (Adolf Frhr. von Knigge 1788; zit. nach Mahlmann 1991, 73). Ein Ratgeber der Gegenwart würde den beschriebenen Sachverhalt vermutlich unter Verwendung des folgenden Vokabulars formulieren: soziale Isolierung, Zweierbeziehung, Partnerfixierung, ausschließliche Orientierung, Selbstaufgabe, Identitätsverlust u. a. Erst nachdem im 19. und 20. Jh. die Psychologie zu einer eigenständigen Wissenschaft geworden war, konnte sie in dieser „sekundären“ Phase der Alltagssprache ihren Fachwortschatz in der Form, wie in der Gegenwartssprache geschehen, vermitteln. Keine andere Wissenschaft hat in der Alltagssprache so auffällige Veränderungen hervorgerufen, wohl weil man vielen Wissenschaften

74. Fachsprachliche Phänomene in der Alltagskommunikation

gegenüber Desinteresse zeigen kann, aber offensichtlich nicht gegenüber derjenigen, die sich mit dem eigenen und fremden Verhalten und Erleben im Alltag beschäftigt (vgl. Steinig 1981, 424). 4.3. Rechtswissenschaft Dagegen scheint ein so bedeutendes Fach wie die Rechtswissenschaft wenig Einfluß auf die Alltagssprache zu haben. Aus sozialwissenschaftlichen Arbeiten, die in der Tradition einer Forschungsrichtung “Knowledge and Opinion about Law” stehen (vgl. Smaus 1985, 1), geht hervor, daß die alltäglichen Wissensbestände über Prinzipien und Verfahren der Rechtswissenschaft und der sie anwendenden Institutionen weder besonders umfangreich noch besonders ausdifferenziert sind. Obwohl in einer Untersuchung etwa 25% aller Befragten schon mit juristischen Institutionen (als Zeuge, Angeklagter u. ä.) zu tun hatten, scheinen die Menschen gegen die fachsprachlichen Differenzierungen immun. In der Begründung, warum man Gesetze befolgen muß, werden alltagssprachliche Stereotypen geliefert (z. B. weil sie vernünftig sind, weil sich alle Menschen an etwas halten müssen, weil man sich andernfalls strafbar machen könnte). Ebenso werden die Täter stereotyp als verwahrloste Jugendliche oder primitive Leute benannt (vgl. Smaus 1985, 42; 46; 64). Für die älteren Zeiten belegen Redensarten und Phraseologismen, daß Elemente der Rechtssprache sehr wohl in die Alltagssprache übergehen konnten (z. B. übers Knie brechen, an den Pranger stellen). Doch scheint es derzeit für die Rechtswissenschaft keine „sekundäre“ Beeinflussung der Alltagssprache zu geben.

5.

Transfers aus der Techniksprache

5.1. Kraftmaschinen- und Fahrzeugtechnik Die sprachlichen Transfers aus der Techniksprache in den Alltag spiegeln relativ genau und analog diejenigen technischen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte wieder, die für die Technisierung des Alltags (siehe 3.2.) direkt relevant wurden (z. B. die ComputerTechnik) oder die durch entsprechende Popularisierungen (vgl. Dröge/Wilkens 1991, 14) zum allgemeinen Wissen wurden (z. B. die Eisenbahn-Technik). Nimmt man wiederum die entsprechenden Belege in den Redensarten und Phraseologismen als Indiz für eine Beeinflussung der Alltagskommunikation, so sind

715

z. B. in der Fahrzeugtechnik und in der Kraftmaschinentechnik die technikgeschichtlichen Etappen wie Jahresringe am Zuwachs der Alltagssprache ablesbar: von der Technik der Wasserfahrzeuge und Mühlen (vor Anker gehen, auf Grund laufen, Sand ins Getriebe streuen) über die Technik der Schienenfahrzeuge und Dampfmaschinen (Dampf ablassen, auf den fahrenden Zug aufspringen, den Anschluß verpassen) bis zur Technik der Kraftfahrzeuge und Verbrennungsmotoren (durchstarten, aus der Kurve fliegen, durchdrehen, wie geschmiert laufen). Weitere Beispiele zur Kraftmaschinen- und Fahrzeugtechnik finden sich in den Arbeiten von Jakob (1989; 1991a) und Schräder (1992). Für diese Bereiche der Technik kann auch nachgewiesen werden, daß ein zirkulärer Austauschprozeß zwischen Fachsprache und Alltagssprache besteht. Denn oft werden neue Technikbegriffe zunächst aus Alltagskonzepten oder -wörtern gebildet, um danach dann wieder als Technik-Fachwort in die Alltagssprache zurückzukehren. Das „eigentlich falsche“ Fachwort Vergaser ist ein solches Beispiel, das hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte (vgl. Jakob 1993, 48 ff) und seiner gegenwärtigen Bedeutung in der Alltagssprache (vgl. Schräder 1992, 104⫺110) ausführlich dargestellt wurde. 5.2. Elektro- und Computertechnik Die Elektrotechnik gehört seit ihrer Entfaltung in der 2. Hälfte des 19. Jh.s zu den Technikdisziplinen, die aufgrund ihrer Alltagsrelevanz (Beleuchtung, Dynamo, Elektromotor) und ihrer besonderen, weil zunächst unsichtbaren, aber dann umso effektvoller und beeindruckender auftretenden Energieform eine ganz besondere Faszination ausübten. Die Redewendungen über psychische Zustände und Prozesse sind voller Elektrizitäts-Metaphorik (z. B. unter Strom stehen, KurzschlußReaktion, elektrisiert sein, abschalten). Es scheint, als würde der besonders faszinierende Gegenstand der Alltags-Psychologie (siehe 4.2.) hier durch die Alltagssprache nochmals aufgewertet, da die faszinierendste aller Techniken hier seit dem 19. Jh. viele Spuren des Transfers aus ihrer Fachsprache hinterlassen hat. Damit wären die technischen Metaphern für psychische Größen sprachliche Vorläufer oder auch Platzhalter, bis die endgültige Psychologisierung der Alltagssprache im späten 20. Jh. einsetzen konnte.

716

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

In der gegenwärtigen Situation sind die Computer-Technik und die Technik der verschiedenen elektronischen Medien als derzeit fortgeschrittenste Formen der Elektrotechnik das beherrschende Technik-Faszinosum. Dementsprechend sind in den 90er Jahren die Einflüsse des (stark englisch geprägten) Computer-Fachwortschatzes unübersehbar (vgl. Wichter 1991). Man kann davon ausgehen, daß dessen zentrale Wortschatzbestände ebenso in eine relativ schnelle Veralltäglichung überführt werden wie die Artefakte selbst. Ob aber alle (derzeit noch mit Innovations-Prestige versehenen) Anglizismen längeren Bestand in der Alltagssprache haben werden, ist noch nicht abzusehen. Auch eine ehemals ausschließlich französisch geprägte Gruppen-Fachsprache, nämlich die der Automobilisten um 1900, hat sich der deutschen Alltagssprache wieder angenähert und angepaßt.

6.

Literatur (in Auswahl)

Böge 1985 ⫽ Alfred Böge: Das Techniker Handbuch. 8. Aufl. Braunschweig 1985. Dröge/Wilkens 1991 ⫽ Franz Dröge/Andreas Wilkens: Populärer Fortschritt. 150 Jahre Technikberichterstattung in deutschen illustrierten Zeitschriften. Münster 1991. Drozd 1988 ⫽ Lubomir Drozd: Fachliche Spezialisierung und Verwissenschaftlichung. In: Sociolinguistics. Hrsg. v. Ulrich Ammon u. a. Berlin. New York 1988 (HSK 3.2), 1524⫺1535. Eisendle 1993 ⫽ Reinhard Eisendle u. a.: Maschinen im Alltag. Studien zur Technikintegration als soziokulturellem Prozeß. München. Wien 1993. Ehlich 1994 ⫽ Konrad Ehlich u. a. (Hrsg.): Instruktion durch Text und Diskurs. Zur Linguistik ,Technischer Texte‘. Opladen 1994. Grosse/Mentrup 1982 ⫽ Anweisungstexte. Hrsg. v. Siegfried Grosse und Wolfgang Mentrup. Tübingen 1982 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 54). Hahn 1971 ⫽ Walther von Hahn: Die Fachsprache der Textilindustrie im 17. und 18. Jahrhundert. Düsseldorf 1971. Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung, Linguistische Konzepte, Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Hampel 1991 ⫽ Jürgen Hampel u. a.: Alltagsmaschinen. Die Folgen der Technik in Alltag und Familie. Berlin 1991. Hartig 1993 ⫽ Matthias Hartig: Soziologie der fachlichen Kommunikation. Zur Fachsprache des

Antiquariats. In: Fachsprachentheorie 2. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1993, 677⫺703. Hennen 1990 ⫽ Leonhard Hennen: Technisierung des Alltags. Opladen 1990. Hörning 1988 ⫽ Karl Hörning: Technik im Alltag und die Widersprüche des Alltäglichen. In: Technik im Alltag. Hrsg. v. Bernward Joerges. Frankfurt/ M. 1988, 51⫺94. Jakob 1989 ⫽ Karlheinz Jakob: Technische Innovation und Sprachwandel im 19. Jahrhundert. In: Voraussetzungen und Grundlagen der Gegenwartssprache. Hrsg. v. Dieter Cherubim und Klaus J. Mattheier. Berlin 1989, 109⫺121. Jakob 1991a ⫽ Karlheinz Jakob: Maschine, Mentales Modell, Metapher. Studien zur Semantik und Geschichte der Techniksprache. Tübingen 1991 (Reihe Germanistische Linguistik 123). Jakob 1991b ⫽ Karlheinz Jakob: Naive Techniktheorie und Alltagssprache. In: Erscheinungsformen der deutschen Sprache. Festschrift für Hugo Steger zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Jürgen Dittmann u. a. Berlin 1991, 125⫺136. Jakob 1993 ⫽ Karlheinz Jakob: Verfahrenswege der Wortneubildung im Fachwortschatz der Technik am Ende des 19. Jahrhunderts. In: Finlance. A Finnish Journal of Applied Linguistics Vol. XII. 1993, 48⫺62. Jakob 1994 ⫽ Karlheinz Jakob: Die Bedeutung der transitorischen Gruppensprachen für den Sprachwandel. In: Texttyp, Sprechergruppe, Kommunikationsbereich. Festschrift für Hugo Steger zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Heinrich Löffler u. a. Berlin. New York 1994, 197⫺207. Mahlmann 1991 ⫽ Regina Mahlmann: Psychologisierung des ,Alltagsbewußtseins‘. Die Verwissenschaftlichung des Diskurses über Ehe. Opladen 1991. Deutsche Wortgeschichte 1974 ⫽ Deutsche Wortgeschichte. Hrsg. v. Friedrich Maurer und Heinz Rupp. 3. Aufl. 3 Bände. Berlin. New York 1974. Munske 1990 ⫽ Horst Haider Munske: Über den Wandel des deutschen Wortschatzes. In: Deutsche Sprachgeschichte. Festschrift für Johannes Erben. Hrsg. v. Werner Besch. Frankfurt/M. 1990, 387⫺ 401. Pörksen 1973 ⫽ Uwe Pörksen: Zur Terminologie der Psychoanalyse. In: Deutsche Sprache 1. 1973, 7⫺36. Pörksen 1994 ⫽ Uwe Pörksen: Wissenschaftssprache und Sprachkritik. Untersuchungen zu Geschichte und Gegenwart. Tübingen 1994 (Forum für Fachsprachen-Forschung 22). Polenz 1991 ⫽ Peter von Polenz: Mediengeschichte und deutsche Sprachgeschichte. In: Erscheinungsformen der deutschen Sprache. Festschrift für Hugo Steger. Hrsg. v. Jürgen Dittmann u. a. Berlin 1991, 1⫺18. Rammert 1987 ⫽ Werner Rammert: Der nicht zu vernachlässigende Anteil des Alltagslebens selbst

717

75. Fachsprachliche Phänomene in der Schönen Literatur an seiner Technisierung. In: Technik und sozialer Wandel. Hrsg. v. Burkart Lutz. Frankfurt/M. 1987, 320⫺325. Ropohl 1991 ⫽ Günter Ropohl: Technologische Aufklärung. Frankfurt/M. 1991. Sauer 1992 ⫽ Christoph Sauer: Fachjargon ⫺ Zur Multiplizierung fachsprachlicher Kommunikationsformen. In: Beiträge zur Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Theo Bungarten. Tostedt 1992, 125⫺139. Schräder 1992 ⫽ Alfons Schräder: Fach- und Gemeinsprache in der Kraftfahrzeugtechnik. Studien zum Wortschatz. Frankfurt/M. u. a. 1992 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 21). Schuldt 1992 ⫽ Janina Schuldt: Den Patienten informieren. Beipackzettel von Medikamenten. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachenforschung 15). Smaus 1985 ⫽ Gerlinda Smaus: Das Strafrecht und die Kriminalität in der Alltagssprache der deutschen Bevölkerung. Opladen 1985. Steger 1988 ⫽ Hugo Steger: Erscheinungsformen der deutschen Sprache. In: Deutsche Sprache 16. 1988, 289⫺319.

Steger 1991 ⫽ Hugo Steger: Alltagssprache. Zur Frage nach ihrem besonderen Status in medialer und semantischer Hinsicht. In: Symbolische Formen, Medien, Identität. Jahrbuch 1989/90 des Sonderforschungsbereichs „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“. Hrsg. v. Wolfgang Raible. Tübingen 1991 (ScriptOralia 37), 55⫺112. Steinig 1981 ⫽ Wolfgang Steinig: Psychologische Fachsprache und Alltagskommunikation. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981, 422⫺ 453. Wichter 1991 ⫽ Sigurd Wichter: Zur Computerwortschatz-Ausbreitung in die Gemeinsprache. Frankfurt/M. u. a. 1991 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 17). Wichter 1994 ⫽ Sigurd Wichter: Experten- und Laienwortschätze. Umriß einer Lexikologie der Vertikalität. Tübingen 1994 (Reihe Germanistische Linguistik 144).

Karlheinz Jakob, Dresden

75. Fachsprachliche Phänomene in der Schönen Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

1.

Literarität ⫺ Fiktionalität ⫺ Ästhetik Ästhetik ⫺ Pragmatik Verschränkung von Literatur und Fachlichkeit Gemeinschaft der Künste Schöne Literatur und fachliches Anliegen Methodologische Ansprüche Literatur (in Auswahl)

Literarität ⫺ Fiktionalität ⫺ Ästhetik

Auch in der heutigen Zeit der Informationsgesellschaft und ihrer in weitem Spektrum multimedial zugänglichen Palette schriftlicher (und bildlicher) sowie mündlicher (und tonaler) Texte gilt in verbreiteter Meinung immer noch die prinzipielle Trennung nach ,literarisch‘ und ,nicht-literarisch‘. Auf diese Weise hat die kommunikative Qualität literarisch eine relativ gefestigte Kontur inne, zum einen „nach innen“ als Katalog identifikationsstiftender Eigenschaften, zum andern „nach außen“ als Abgrenzung gegenüber anderen sprachlichen und nichtsprachlichen Darstellungsformen und -weisen von Mitteilung.

Es ist dabei beachtenswert, daß diese Mitteilungsarten summarisch in Negation zum Literarischen, eben als ,nicht-literarisch‘, verstanden werden; am Literarischen nehmen sie also ihr Maß ⫺ nicht umgekehrt! ⫺ und weisen diesem damit eine Exponiertheit zu, die sich aus prinzipiellen Einschätzungen ableitet: (i) aus der gesellschaftlichen Hochschätzung als Kunstausübung, (ii) aus der Außergewöhnlichkeit des Produkts, (iii) aus der Herausgehobenheit des Autors aus der Masse der Produzenten von Texten (was sich schon begrifflich zeigt in Ausdrücken wie ,Poet‘, ,Dichter‘, ,Schriftsteller‘, ,Künstler‘), und (iv) aus einem besonderen (elitären, gehobenen, kenntnisreichen, „insider“) Selbstverständnis des Publikums.

Was davon, per Negation der Literarizität, ausgegrenzt ist, wird als ,Zweck-‘ oder ,Gebrauchsliteratur‘ gefaßt, oft auch als ,nonfiktionale Literatur‘. Noch Mitte der siebziger Jahre wurde deren Beachtung als „Ausweitung des literaturwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs“ (Dietrich Naumann) empfunden (Fischer / Hickethier / Riha 1976), was damals Anlaß gab, über den Stellenwert des bis dahin geltenden (Formen-)Kanons kritisch nachzudenken (vgl. Kreuzer 1975) und einen dem ⫺ auch literaturgeschichtlich ⫺ wirklichen Literaturaufkommen angepaßteren ,Literatur‘-Begriff zu ver-

718

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

treten, bei dem das fachliche Schrifttum, die Fachprosa, neben die Dichtung rückte (vgl. Keil 1974; Belke 1973).

,Literatur‘ erfährt bei einer solchen Spezifizierung auf ,nonfiktional‘ hin dann auf der Gegenseite ebenfalls eine Präzisierung, nämlich als ,fiktional‘, als ,Schöne Literatur‘ („Belletristik“) oder ,Höhenkamm-Literatur‘ (Hans Robert Jauß); in den verschiedenen Epochen auch als ,Dichtung‘ und ,Poesie‘. Fiktion und Ästhetik, und diese wiederum eingebunden in bzw. Ergebnis von rhetorischem Können, dann kodifiziert in den „Handwerkslehren“ ingeniösen künstlerischen Sprachschaffens, nämlich in den Poetiken (vgl. griech. poi¬hsiw poı´esis ,das Machen‘, ,Tätigkeit [die etwas hervorbringt]‘, ,Schaffen‘, ,Schöpfung‘ [s. u. 2.!]; poihtikh¬ poetike´ ,Dichtkunst‘), sind die Hauptzüge schönliterarischer Texte. Dem sollte nach gängiger Meinung die sprachliche Gestaltungsweise (Stil, Kommunikationsebene) entsprechen: mittlerer und, eher noch, hoher Stil ⫺ als ,literarsprachliches Register‘ ⫺ werden erwartet. Die kommunikative Funktion definiert sich als ,narrativ‘, seltener auch als ,deskriptiv‘. Als soziale Funktion gilt das ,delectare‘, also der dominante Aspekt des Erfreuens oder Erfreutwerdens, was den Stoff, die sprachliche Präsentation und die Wirkung umfaßt und seit Horaz in den Adjektiven ,suavis‘, ,dulcis‘ kondensiert ist.

Dem gegenüber stehen die Texte, die formal, inhaltlich und sprachlich bestimmt sind von der Realität (Welterschließung, Lebensbewältigung) und, als dazu passendem dynamischem Prinzip, von der Pragmatik (Handeln, Gestalten der Welt). Das bringt eine sachbezogene, lebenspraktische Sprache in einem den gesellschaftlichen Konventionen folgenden mittleren Stil mit sich. Die kommunikative Funktion ist deutlich als ,deskriptiv‘ und ,argumentativ‘ bestimmt. Die soziale Funktion nähert sich dem ,docere‘, also der Belehrung, und bestimmt sich so letztlich als Einflußnahme auf das Denken, Wissen und Handeln des Rezipienten; für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft steht somit der Aspekt des ,utilis‘, des Nutzbringenden, im Vordergrund.

Derartige idealtypischen Differenzierungen haben in den verschiedenen Epochen unterschiedliche Geltung innegehabt, und diese ihrerseits ist vielfach durch Verfremdung oder Gegenkonzepte (wie L’art-pour-l’art, Naturalismus, Dadaismus, Episches Theater, Absurdes Theater usw.) ganz in Frage gestellt worden. Sie sollen deshalb hier nur als Rahmenorientierung für eine weithin als Antipode verstandene Beziehung ⫺ hier Schöne Literatur, dort die Zweck-, und im besonderen: die Fach-Literatur ⫺ dienen.

2.

Ästhetik ⫺ Pragmatik

Wie bei allen angeblichen Gegenüberstellungen als gedanklichen Hilfskonstruktionen für eine Ordnungsstiftung gibt es auch hier ein geistiges Band, eine Brücke des Gemeinsamen: nämlich das Handeln. Schon die Gattungspoetik des Aristoteles sieht das Drama als Ort des (spezifischen) Handelns (und griech. dra˜ ma drama ,Tat‘, ,Handlung‘; dra˜ n dran ,handeln‘ rechtfertigen dies auch etymologisch). Und die antike Rhetorik (z. B. Cicero [106⫺ 43 v. Chr.], Quintilian [35⫺96 n. Chr.] ) und Poetik (z. B. Horaz [65⫺8 v. Chr.] ) haben neben den Funktionen des delectare (,Erfreuen‘, ,Begeistern‘) und docere (,Belehren‘) bzw. prodesse (,Nutzbringen‘, ,Sinnbelehren‘) auch die des movere ,in Bewegung bringen‘, ,Einfluß ausüben‘, d. h. „Reaktion provozieren“) ⫺ als die pragmatischen Prozesse und Konsequenzen ⫺ erkannt und beschrieben. Und auch die modernen Ausrichtungen der Literaturwissenschaft ⫺ so ist zu denken an die Literatursoziologie, die Leseforschung, die Rezeptionsästhetik und Rezeptionsforschung, die Literarische Hermeneutik, den anthropologischen Ansatz ⫺ anerkennen (in dem ihnen je eigenen unterschiedlichen Maße) den Tätigkeitsaspekt von Literatur, bei dem ,Verhalten‘, ,Handeln‘, ,Beeinflussen‘, ,Verändern‘, ,(Verständnis) Erarbeiten‘, ,Prozeß‘ u. a. grundlegende Autor-, Text- und Rezipientenkategorien sind.

Ästhetik und Pragmatik sind, die Texte betreffend, im Konzept des Handelns verschränkt. Das Handeln als zielgerichtete Form des Verhaltens ist in einer Welt der Sachanliegen, der fachlichen Ordnungen, der beruflichen Einbindungen, der theoretisch-wissenschaftlichen und praktisch-handwerklichen Anforderungen inzwischen ⫺ im Zuge einer arbeitsteilig sich entwickelnden Welt ab der Renaissance, dann spätestens ab der Ersten Industriellen Revolution Ende des 18. Jh. ⫺ das „Markenzeichen“ für Kommunikation in Texten geworden, die speziell diese entstehenden Bedürfnisse ⫺ „for special purposes“ ⫺ erfüllen (vgl. Art. 4): die Fachtexte. Handelnim-Fach verlangt nach Kommunikation-imFach; diese geschieht, im Rahmen fachlicher Textsorten, mit Fachtexten. Die dafür notwendigen Mittel werden als fachsprachliche Kommunikationsmittel vom Sprachsystem bereitgestellt. Ebendieses Sprachsystem stellt aber nicht nur für die Pragmatisierung, sondern natürlich auch für die Ästhetisierung der Kommunikationsanliegen und somit derer Texte die geeigneten Mittel zur Verfügung. Rhetorik

75. Fachsprachliche Phänomene in der Schönen Literatur

und Stilistik halten hier ein außerordentlich reiches Arsenal zur Verfügung. Es dürfte wohl gerade die Rhetorik mit ihren pragmatisch zielenden Absichten (Verhaltensänderung des Gesprächspartners) und ihren dementsprechenden Mitteln und Regeln hier die Möglichkeit bieten, Ästhetik (wie sie sich in und als Literatur niederschlägt) und Pragmatik (als Einflußnahme auf Interaktion) zusammenzubringen.

3.

Verschränkung von Literatur und Fachlichkeit

Schöne Literatur und Fachlichkeit ⫺ letztere repräsentiert durch Fachsprachlichkeit ⫺ zu verschränken, ist demnach (i) konzeptuell (,Handeln‘ als Bindeglied), (ii) inhaltlichthematisch (,die Welt‘ als einerseits Erzählwelt und als andererseits Bewältigungswelt), (iii) textformal (Gattungsrahmen) und (iv) sprachlich-textuell (rhetorisch-stilistisch sensibilisierte Vertextung) prinzipiell nichts Unverträgliches, wenngleich durchaus etwas Auffälliges. Eindrucksvolle Belege bietet dafür ein Blick in die Gattungsgeschichte: Zwar erfreut sich eine synchrone Textsortensystematik der Fachtexte ⫺ allerdings für die moderne Zeit ⫺ mit verschiedenen Vorschlägen seit Beginn der neunziger Jahre eines wachsenden Interesses (vgl. Art. 3, Abschn. 1.1., Punkt (6)), aber eine diachrone Gattungssystematik der (historischen) Fachtexte fehlt noch bislang (und ist ein wirkliches Desiderat; s. Kalverkämper 1993; vgl. Art. 33, Abschn. 4.2., Punkt (5); u. Art. 4, Abschn. 3.2.10.; sowie Art. 27, Abschn. 7.2., Punkt (e)). Man kann aber aus literaturgeschichtlicher Kenntnis bereits darauf hinweisen, daß (mindestens) zwei literarische Gattungen seit ihrem Aufkommen (vgl. Art. 4) zugleich auch fachliche Gattungen waren und genuin sachbezogenen, fachspezifischen Anliegen (insbesondere aus Religionspraxis bzw. Theologie sowie aus den verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen und aus der Philosophie) dienten: (a) die Lehrdichtung und (b) der (literarische) wissenschaftliche Dialog. Zu (a) vgl. Art. 4, Abschn. 3., insbes. 3.2.8.4.; s. auch Fabian 1968; Buck 1984. ⫺ Zu (b) vgl. Art. 4, Abschn. 3., insbes. 3.2.2. u. 3.2.8.3.

Hier verbanden sich fachliche Zusammenhänge und Informationen mit den sprachkünstlerischen Möglichkeiten der Schönen Literatur:

719

(i) Ihre Inhalte (fachliche, [in Theorie oder Praxis] sachspezialisierte Thematik), (ii) die Form (Gattungsprofil), (iii) die dominante Funktion (instruktiv, didaktische Grundhaltung, Autor-Intention ist die Einflußnahme auf das Rezipientenverhalten), (iv) der gewählte Sprachduktus (Fachwörter, den Bildungsinhalten angemessener Stil, argumentative Formen, rhetorische Strukturen der Rezipientenbeeinflussung), (v) der ihnen entgegengebrachte soziale Konsens (Rezipientenerwartungen, Akzeptanz und Verbreitung beim Lesepublikum) ließen so eine künstlerisch verfeinerte Vertextungsweise pragmatischer Anliegen entstehen. Heutzutage, mit einem ⫺ seit der Aufklärungszeit ⫺ strengeren Verständnis von der Präsentation wissenschaftlicher Inhalte, wäre eine solche Verknüpfung nicht (mehr) möglich (in der Tat dienen beide Gattungen seit dem 18. Jh. nicht mehr der wissenschaftlichen Forschung als Mitteilungsformen; vgl. Kalverkämper 1989; 1996a).

Wenngleich die Literaturgeschichten diese Gattungen zur Kenntnis genommen und deren Funktionen in der fachbezogenen Kommunikation beschrieben haben (so ist die Literarisierung von Sachwissen aus den verschiedensten Bereichen im deutschen und französischen 14. Jh. mit sog. Lehrhafter Dichtung bestens bekannt; und die Einheit von Wissenschaft und Literatur galt europäisch noch bis weit in das 18. Jh. hinein), fehlen aus literaturwissenschaftlicher Sicht systematische Textanalysen zu den Aspekten der Fachlichkeit und Fachsprachlichkeit in literarischen Gattungen. Diese könnten von der Fachtextlinguistik (vgl. Kalverkämper 1983a) erbracht und der literaturwissenschaftlichen Gattungsforschung in Kooperation angeboten werden; allerdings muß ⫺ über sporadische Untersuchungen hinaus (vgl. Fuhrmann 1960; 1974; Kalverkämper 1982; 1983b; 1989; 1996; Schlieben-Lange 1989; Mensching/ Röntgen 1995), die die Chancen derartiger Fragestellungen aufdecken ⫺ bei der Fachsprachenforschung ihrerseits erst noch das notwendige Verständnis (a) für diachrone Aspekte (s. Kalverkämper 1993) und (b) erst recht für den erweiternden Blick auf literarische (!) Werke eingeworben werden (Kalverkämper 1983b; 1989; 1996). Auch die Rezeptionsgeschichte belegt den deutlich attraktiveren Stellenwert fachbezogener, d. h. letztlich lebenspraktisch umsetzbarer Texte und ihrer Textsorten in (schön-)literarischer Präsentation gegenüber jenen „reinen“ literarischen Gattungen, die sich aufgrund der Bedingungen ihrer Gattungsrahmen ausschließlich hochnoblen Themen widmeten und demnach dann auch nur ein eingeschränktes, nämlich adeliges Publikum erreichten (vgl. Eis 1967, 55; s. Art. 4, Abschn. 3.2.6.) und einer kreativen Weiterentwicklung nicht fähig waren.

720

4.

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Gemeinschaft der Künste

Die Verschränkung von Literatur und Fachlichkeit müßte eigentlich um so selbstverständlicher sein ⫺ und deshalb ist ihre Vernachlässigung durch Literaturwissenschaft und Fachsprachenforschung um so befremdlicher ⫺, als sie stets in der langen Tradition einer kunsttheoretischen Diskussion um (i) die Vorherrschaft, (ii) die Verschränkungen, (iii) die Wechselwirkungen und (iv) Parallelitäten („sister arts“; Weisstein 1992) der Künste thematisiert ist: mit der Literatur ⫺ der ,Dichtung‘ ⫺ als einer der Beteiligten, die ihren Rang gegenüber der Bildenden Kunst, den Darstellenden Künsten, der Musik zu behaupten hatte. Die Antike hat mit einem der bedeutendsten römischen Lyriker, Quintus Horatius Flaccus (65⫺8 v. Chr.), hier ein folgenreiches Zeichen gesetzt; Horaz bestimmt in seiner fesselnden De arte poetica (v. 361), ihrerseits aus fachlicher Könnerschaft mit lehrender Intention literarisch als Vers-Epistel in Hexametern verfaßt (Poetik in poetischer Form!), das Wesen und die Aufgabe der Dichtung als „ut pictura poesis“ (,wie ein Gemälde ist die Dichtung‘) (bibliographische Hinweise zu dem wichtigen Topos in Weisstein 1992, 332). Die Spätantike hat hier mit De nuptiis Philologiae et Mercurii des Martianus Capella (Ende 4. Jh. n. Chr.) eine bis ins Mittelalter reichende wirkungsmächtige Konkurrenz der Künste entworfen, die in der Renaissance (ca. 1540⫺1600) bis ins 17. Jh. hinein (insbesondere in der französischen Klassik) gerade für die Schönen Künste ⫺ Malerei, Bildhauerei, Architektur, Musik, Dichtung (Poesie und Theater) ⫺ von den Künstlern leidenschaftlich diskutiert und ⫺ meist für die Malerei (Leonardo da Vinci) ⫺ entschieden wird. Auch die heutige Zeit sieht wieder verstärkt die gegenseitig befruchtenden Züge, die Gemeinsamkeiten wie auch die trennenden Spezifika. Nach einer Zeit, die die spezifischen Merkmale der jeweiligen Künste herausstrich, nämlich der Aufklärung, spätestens beginnend mit Gotthold Ephraim Lessings (1729⫺1781) berühmtem Laokoon ⫺ Oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie. Mit beyläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte (1766), sowie in der zunehmend arbeitsteiligen Gesellschaft des 20. Jh., nach den Ausgliederungen und vereinzelnden Identitätssuchen der Disziplinen (ein negatives Beispiel ist die Aufsplitterung der angeblich „alten“ Philologie in ,Literaturwissenschaft‘ einerseits und ,Sprachwissenschaft‘/,Linguistik‘ andererseits in den sechziger Jahren) werden nun die Gemeinsamkeiten und Verbindungsmöglichkeiten, Grenzerweiterungen und Chancen von Grenzüberschreitungen betont und unter Leitbegriffen wie ,Integration‘, ,Kooperation‘, ,Interdisziplinarität‘, ,Intermedialität‘ (Literatur und Illustration, Film, Photographie,

Gemälde, Architektur; vgl. Paech 1994; Thomsen 1989; Weisstein 1992) und ,Einheit der Wissenschaften‘ (vgl. Art. 1, Abschn. 1.5.) beurteilt. Traditionsbeglaubigte Vorkommen wie (i) die Emblematik, die Oper (Dichtung, Musik und Theater; vgl. Ley 1995; Scher 1984; Schnitzler 1979), der Film (in Verbindung mit musikalischer Untermalung [vgl. schon diese kodifizierte Synästhesie!], gerade auch in den Zeiten des Stummfilms); (ii) das Porträt (bildende und darstellende Kunst, literarische Gattung), optische Poesie (Bildgedicht); sowie (iii) die Narration, das Erzählen, als ⫺ speziell von Harald Weinrich (1971; 1973) in den Blick gebrachte ⫺ poetische Kommunikationshaltung auch für fachliche Inhalte (vgl. Art. 3, Abschn. 1.3., Punkt (1)(b); umgesetzt z. B. bei Wenzel 1997); und überhaupt (iv) die literarisch verwertbaren Formen der Synästhesie (vgl. Hadermann 1992) und der wissenschaftssprachlichen Metaphorik (vgl. Störel 1992); und mögliche weitere Phänomene haben hier die Verbindungen prinzipiell gehalten.

5.

Schöne Literatur und fachliche Anliegen

Das Verhältnis von (Schöner) Literatur und fachlichen Anliegen (wie sie sich eben fachsprachlich ⫺ und nur so ⫺ dort deutlich machen), offenbart sich prinzipiell in zwei „Behandlungsweisen“: (1) in der Meta-Verwendung (s. u. 5.1.) und (2) als textgebundenes Phänomen (s. u. 5.2.): 5.1. Meta-Verwendung Bei der META-VERWENDUNG von Literatur als Vehikel und Instrument für außerliterarische fachliche Intentionen ist zu denken an (i) die Literaturdidaktik und an (ii) die didaktischen Anforderungen des Sprachunterrichts, wo Literatur unter dem Gesichtspunkt der Wahrung von Authentizität eingesetzt wird. 5.2. Ganzheitlicher und funktionaler Aspekt Fachliche Anliegen, gepaart mit oder erkennbar an fachsprachlichen Phänomenen, dürften sich in literarischen Texten unter zwei Aspekten erkennen (und untersuchen) lassen: (i) zum einen unter GANZHEITLICHEM (,die Literatur“) und dabei FUNKTIONALEM („die Literatur als“) ASPEKT (s. u. 5.2.1. und 5.2.2.); (ii) zum andern unter dynamischem, genauer: prozessualem Aspekt (s. u. 5.3.). Die hier gebotenen Beispiele können selbstverständlich nur selektiv sein und verstehen sich eher als Verdeutlichung der zugehörigen Kategorie und als Anreiz zu analogem Weiterführen.

75. Fachsprachliche Phänomene in der Schönen Literatur

721

5.2.1. Literatur als Medium für wissenschaftlich interessierte Schriftsteller

zeptionswissenschaftliche Erweiterung ist vor allem an einschlägige Arbeiten von Wolfgang Iser, Hans Robert Jauß und Harald Weinrich geknüpft.)

Hier kann man z. B. (!) auf Johann Wolfgang von Goethe ⫺ man denke an das berühmte RomanBeispiel Die Wahlverwandtschaften (1809), deren zentraler Begriff der Chemie entstammt: Teil I, Kap. 4 (dort erörtert von den Romanfiguren selbst) ⫺ oder auf E´mile Zola (Medizin) oder Paul Vale´ry (Naturwissenschaften) verweisen; die kunsttheoretischen Grundlagen für ihre literarische Produktion werden von (insbesondere natur-)wissenschaftlich oder technisch geschulten Kenntnissen entsprechend geprägt (vgl. Segeberg 1987; Heinimann 1992), und im Falle Zolas entwickelt sich ja sogar das Profil einer recht eigenständigen literarischen Epoche ⫺ Naturalismus und Realismus ⫺ aus dieser Grundhaltung.

5.3. Prozessualer Aspekt: Integrationen „Reine“ Formen ⫺ als ,Poesie‘ einerseits und als ,Fachtext vom Fachmann für sein Fachpublikum‘ andererseits ⫺ sind zwar von „ihren“ Disziplinen, der Literaturwissenschaft einerseits und der Fachsprachenforschung andererseits, stets als Forschungsgegenstand gewählt worden; doch sollten für beide Disziplinen gleichermaßen auch die Vermischungen (oder: Gemeinschaften) poetischer und fachsprachlicher Phänomene in den Texten von Interesse sein. Neben (a) der faktischen Feststellung solcher INTEGRATIONEN sollte unbedingt auch (b) deren Verhältnis ⫺ als INTEGRATIONSPROZESS ⫺ Beachtung finden, da sich ebendieses auf die Gesamteinschätzung des jeweiligen Textes als (b.1) ,literarischer Text mit fach(sprach)lichen Einsprengseln‘ oder als (b.2) ,stärker fachlich geprägte Dichtung‘ oder sogar als (b.3) ,poetisch wirkender Fachtext‘ ⫺ um hier nur drei Stufen anzusprechen ⫺ auswirkt. Trotz dieser Konsequenzen für die Textqualität und der damit verbundenen Spezifika für die Textproduktion und Textrezeption sowie für die Dokumentation und die Lehre (Textdidaktik, Literaturdidaktik) sind die Integrationen bislang weder (i) als textuelle Phänomene, noch (ii) von der Gattungs- oder Textsorten-Qualifizierung her, noch (iii) vom methodischen Analysieren her literaturwissenschaftlich oder fachtextanalytisch näher beachtet worden. Allerdings hat das auffällige Gattungsproblem (s. o. (ii)) offenbar die Gattungspoetik ⫺ also letztlich die Literaturwissenschaft ⫺ insofern herausgefordert, als hier mit dem Aufkommen der Textpragmatik nunmehr vermittelnd von „Literarischen Gebrauchsformen“ (Belke 1973) oder von „Prosakunst ohne Erzählen“ (Weissenberger 1985) die Rede ist.

5.2.2. Literatur als Hort fachlicher Informationen und sachspezifischer Kenntnisse So ist über Umberto Ecos Il nome della rosa (1980) eine intensive Begegnung mit der Welt des Mittelalters angeboten (und auch vom Autor ⫺ insbesondere unter semiotischen Aspekten ⫺ beabsichtigt); oder es wird die Macht der Institutionen und ihre menschenverachtende Gefährlichkeit kritisch gegenwärtig in verschiedenen Werken von Franz Kafka oder in Brave New World (1932) von Aldous Huxley oder in 1984 von George Orwell (1949). Gesellschafts-, Zeit-, Kulturkritik in der Schönen Literatur, damit verbunden auch die Gattung der Utopie, oft sich verengend auf berufliche Bereiche („Arbeiterliteratur“) als „Literatur der Arbeitswelt“ (meist: Industrie), sind mit ihrer aufklärerischen, kritisierenden und Veränderung nahelegenden Haltung offenkundige Vereinigungen fachlicher Anliegen mit literarischen Mitteln. Hier muß dann jeweils Interpretationsaufwand oder (die der Kunst-, Architektur- und Literaturgeschichte gleichermaßen eignende) Hermeneutik betrieben werden, um diese „Fachlichkeit“ im literarischen Text zu verstehen und möglicherweise als Handlungsimpuls dann auch praktisch umzusetzen. Dieses pragmatische Anliegen der Literatur, entstanden aus dem ethischen und sozialen Verantwortungsbewußtsein und somit letztlich politischen Engagement des Schriftstellers, kondensiert Jean-Paul Sartre im funktionalen Begriff der ,litte´rature engage´e‘. Bertolt Brecht spricht vom „Gebrauchswert“ von Literatur, hinter den die ästhetischen Maßstäbe zurückzutreten haben, weil die gesellschaftsverändernde Wirkung die maßgebliche sei. (Wenngleich nicht mit derartigem politischen ⫺ meist marxistisch literaturtheoretischen ⫺ Grundton bei der Beurteilung des Funktionswandels der Literatur hat die Literaturgeschichtsschreibung ihrerseits in den beginnenden siebziger Jahren eine methodologische Wende vollzogen von der bis dahin primär geltenden Beziehung ,Autor⫺Werk‘ hin zu der zwischen ,Werk und Publikum‘; diese rezeptionsästhetische und re-

Darunter sind Gattungen versammelt wie Aphorismus, Autobiographie, Biographie, Brief, Dialog, Essay, Fragment, Predigt, literarischer Reisebericht, Tagebuch (Weissenberger), wobei eine Auftrennung nach ,informierender‘, ,wertender‘, ,appellierender‘ und ,autobiographischer Funktion‘ (Belke) schon deutlich in journalistische, publizistische, massenmediale Fachpraxis ausgreifen läßt (Reportage, Interview, Feuilleton, Glosse, Leitartikel, Kritik, Rede, Flugblatt, Pamphlet, u. a.).

722

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

5.3.1. Integrationen und Integrationsprozesse ,Integration‘ ist, schon etymologisch gesehen, als ,Erstellung einer Ganzheitlichkeit aus differenzierten Teilen‘ ein dynamisch angelegter Begriff; dennoch meint er letztlich das GANZHEITLICHE ERGEBNIS dieser Verbindung. Dies ist hier entweder (I.) der literarische Text oder (II.) der Fachtext. Die Vielheit der TEILE ist hier repräsentiert von (F.) der fach(sprach)lichen Qualität einerseits und (L.) der literarischen andererseits. Ihre BEZIEHUNGEN und die Auswirkung auf die jeweilige Einschätzung des Ganzen (s. o. 5.3., Punkte (b.1) bis (b.3)) machen den Integrationsprozess aus; diese Dynamik im Text läßt sich sprachlich im Sinne einer Skala fassen: von (1) „im Text“: Teile mit eigener ⫺ fachsprachlicher (I.F.1) bzw. poetischer (II.L.1) ⫺ Qualität finden sich im übergeordneten Ganzen, nämlich dem literarischen (I.) bzw. dem fachlichen Text (II.); bis (2) „als“: die Teile mit fachlicher Mitteilungsabsicht (I.F.2) bzw. poetischer Funktion (II.L.2) sind derart bestimmend für die Einschätzung des Gesamttextes, daß sich daraus die Qualität des Ganzen als literarischer Text (I.) oder als fachlicher (II.) geradezu zwingend ergibt. Als MODELL lassen sich diese Zusammenhänge folgendermaßen vorstellen: Fachliches

im (1) (F.) A B Fachlicher Inhalt als (2) ...

literar. Text (I.)

⫺ ⫺⫺ ..⫺ . ⫺ .. ... ⫺⫺ . ⫺⫺

Literarisches (L.) Literatur

im (1) A B als (2)

...

fachl. Text (II.)

Abb. 75.1: Literarische und fachsprachliche Integrationsprozesse

Die Orientierungsleistung des Modells wird unterstützt von den Titeln als den ober-

sten Rahmeninformationen wissenschaftlicher wie auch literarischer Werke. Hier findet sich oft die Richtung (F. oder L.) auf das Ergebnis hin (I. oder II.) schon vorgegeben (die folgenden Beispiel-Titel sind alle belegt): I.F.: (i) Recht in deutscher Dichtung / Darstellung von Kriminalität in der deutschen Literatur / Literatur und Kriminalität; (ii) Medizin in der deutschen Gegenwartsliteratur, (iii) Science fiction; ⫺ versus II.L.: (i’) Erzählte Kriminalität; (ii’) Erzählte Krankheit; (iii’) Unterhaltungen über die Mehrheit der Welten (Bernard de Fontenelle), Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme (Galileo Galilei).

5.3.2. Integrationsprozeß ,Fachliches im literarischen Text‘ bis hin zu: ,Fachlicher Inhalt als literarischer Text‘ Die Richtung I.F. mit der Spanne von „in“ (I.F.1) bis „als“ (I.F.2) gibt den Rahmen vor: der in Frage stehende Text (I.) ist qualitativ ein literarischer Text. Seine fachsprachlichen Teile (F.) sind quantitativ für die Ganzheit nicht beherrschend und qualitativ für die Gesamteinschätzung des Textes als literarischer Text nicht prägend. (1) Was dabei das integrierte „Fachliche“ ist, gehört nach grobem Überblick inhaltlich vorzugsweise in die Großbereiche ,(Natur-) Wissenschaft(en)‘ und ,Technik‘ bzw. ,Handwerk‘. (2) Die hier gemeinte Integration ist zuerst einmal zu sehen als eine Chance für das Literaturschaffen durch Bereicherung der poetischen Sprachmöglichkeiten. Erinnert sei dafür an das französische 16. Jh., als die Dichterschule Ple´iade um den Hofdichter Pierre de Ronsard (1524⫺1585) glaubte, die im Vergleich mit dem Italienischen, aber auch mit griechischen und lateinischen Vorbildern immer noch als arm an poetischer Ausdruckskraft angesehene eigene französische Sprache bereichern zu können, indem die Dichter, wie es Joachim du Bellay (1522⫺1560) in seiner berühmten La Deffence et Illustration de la Langue Franc¸oyse (Paris 1549) empfiehlt, Entlehnungen aus dem Griechischen und Lateinischen, Neubildungen, Archaismen, Dialektalformen und eben auch termini technici aus den Fachsprachen der Berufe aufnehmen und in ihrer Dichtung verwenden. Die Dichtung z. B. eines Franc¸ois Rabelais (1494⫺1553) bietet hierzu eine Fülle an situationsfärbenden lexikalischen und morphologischen Stilelementen, gerade auch aus den Fachsprachen (der Juristen, der Theologen, der Scholastiker, u. a.; oft parodistisch). Die französische Sprachgeschichte belegt, daß das neuerungsfeindliche 17. Jh. ⫺ mit der klassischen Literatur und vorbildgebenden Sprache eines Pierre Cor-

75. Fachsprachliche Phänomene in der Schönen Literatur neille, Molie`re und Jean Baptiste Racine ⫺ hierzu die zuvor bereicherte Literatursprache wieder „reinigen“ wollte, indem jene ehemals als Bereicherungen empfohlenen Sprachmittel der Literatur nunmehr inkriminiert und getilgt wurden (Franc¸ois de Malherbe [1555⫺1628]; Claude Favre Vaugelas [1585⫺1650]: Remarques sur la langue franc¸oise [Paris 1647]; Nicolas Boileau [1636⫺1711]: L’Art poe´tique [Paris 1674] ).

(3) Die Integration fachlicher oder fachbezogener Inhalte und entsprechend fachsprachlicher (lexikalischer, syntaktischer, textueller) Fassungen in einen als literarisch intendierten Ganztext ist ein Vorgehen, das zwar eine Autorleistung darstellt, aber erst in der Rezeption des literarischen Textes als kompositorischer Akt von Anleihen literaturferner oder literaturfremder (eben fachlicher) Inhaltsbereiche auffällt. Hierbei wird dies als verfremdend registriert und als stilistische Qualität gewürdigt. Während Mittelalter und Barock derartige Integrationen in ihre Literatur nicht kannten, findet seit dem 18. und 19. Jh. das Stilmittel des Lokalkolorits ⫺ wie es seit 1811 mit Franc¸ois Rene´ de Chateaubriand (1768⫺1848) heißt ⫺ Eingang in die Dichtung (und auch in Malerei und Theater). Es umfaßt dabei nicht nur fachliche Spezifika, sondern auch soziale, kulturelle, landschaftliche, sprachliche, künstlerische Eigenheiten, die charakterisierend und identifizierend und somit ,natürlich‘ und lebensnah wirken. Der Naturalismus hat dies als poetologisches Prinzip umgesetzt.

(4) In literarischen Werken ⫺ hier ist wohl am ehesten an Romane zu denken ⫺ finden sich längere Passus mit fachlichen Ausführungen zu fachlich interessierenden Phänomenen und beruflichen Aktivitäten, bei denen die berufsspezifischen Termini Verwendung finden und die fachtypischen Darstellungsweisen sowie die disziplineigenen Argumentationsmuster auftauchen und so den Textbereich als erkennbar fachsprachlich innerhalb des literarischen Umfeldes ausweisen: So z. B. zur Webetechnik gehörend (Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, 1821/1829. Buch 3, Kap. 5) oder zur Bergbautechnik gehörend (Emile Zola: Germinal, 1885) oder zur Medizin gehörend (Thomas Mann: Buddenbrooks, Beschreibung des Typhus) oder zum Walfang gehörend (Herman Melville: Moby Dick, 1851) usw. Was die Darstellungstechnik betrifft, so hat insbesondere Emile Zola (1840⫺1902) in seiner Literaturtheorie die notwendige Verbindung von Literatur mit der Wissenschaft gefordert: In Anlehnung an die Introduction a` l’e´tude de la me´decine expe´rimentale (1865) von Claude Bernard sollte der Ro-

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man expe´rimental (1879) dazu verhelfen, „menschliche Dokumente“ (documents humains) zu liefern, mit denen ein heilsamer Einfluß auf die sozialen Umstände und Entwicklungen genommen werden könnte: die Literatur erhält so, begründet in der experimentellen Methode, einen wissenschaftlichen Status (der in erster Linie die Psychologie, d. h. die gesellschaftliche Physiologie betrifft).

(5) Um das Verstehen der fachlichen Ausbreitungen mit fachsprachlichen Mitteln im Roman zu gewährleisten oder zumindest zu stützen, greifen Herausgeber (bei älteren Werken) wie auch die Autoren selber (stark zu beobachtende Entwicklung der letzten 25 Jahre) zu dem Hilfsmittel, erklärende Informationen zu antizipierten Verstehensschwierigkeiten als ein romanspezifisches Glossar an das Roman-Ende auszulagern. Dort bietet es sich als eine unselbständige fachlexikographische Form dem verstehensinteressierten Laienleser zusätzlich zu seinem literarischen Genuß als Fachinformation an, damit er sich zu dem Fachlichen, das an einer Romanstelle (vom Autor) eingebracht ist und ihm, dem Leser, inhaltlich noch neu, somit unverstanden ist, nun sachlich („enzyklopädisch“) und sprachlich („lexikalisch“) kundig machen kann; mit diesem punktuell, textstellenspezifisch geklärten Wissen sollte er dann imstande sein, die literarische Stelle, wieder an sie im Leseprozeß zurückgekehrt, nun zu verstehen (hierzu Kalverkämper 1995).

(6) Der qualitative Übergang von der Integration identifizierbarer Textbereiche ⫺ „in“ (I.F.1) ⫺ hin zur Identifikation ⫺ „als“ (I.F.2) ⫺ ist mit den bisherigen Analyse-Instrumentarien noch nicht genau zu bestimmen. Als Indiz mag aber gelten, daß der Leser nach seinem Rezeptionseindruck dann von z. B. ,Aids-Roman‘ spricht und somit eine literarische Kategorie festlegt, die besagt, daß hier Fachliches als literarisch Geformtes mitgeteilt wird. Hier ist eine deutliche Nähe gegeben zur literarischen Thematologie, einem Teilgebiet der Komparatistik. Sie umfaßt die Stoffgeschichte und deren enger und dabei spezifisch definierte Motivgeschichte und -forschung (eine Fundgrube sind die beiden einschlägigen Lexika [mit erhellenden Vorwörtern] von Frenzel 1992a; 1992b; sowie Daemmrich 1995). (S. dort z. B. Artikel wie ,Ehre‘, ,Halluzination‘, ,Krankheit‘, ,Landschaft‘, ,Melancholie‘, ,Mond‘, ,Tierreich‘, ,Tod‘, ,Wahnsinn‘, u. v. a.).

(7) Eine wohl unbestreitbare Identifikation zwischen integrierter Fachlichkeit und literarischem Gesamttext ⫺ I.F.2 ⫺ ist gegeben bei ⫺ s. u. ⫺ (a) den etablierten literari-

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

schen Gattungen mit fachlicher Thematik, bei (b) dem sogen. Professorenroman und bei (c) der Gattung Science Fiction. (a) Als Beispiel seien die „literarischen Formen der Philosophie“ angeführt: Brief, Dialog, Diskurs, Disputation, Lehrgespräch, Meditation u. a. (vgl. Gabriel / Schildknecht 1990; Weinrich 1971). (b) Der Professorenroman ⫺ eine beliebte Gattung des ausgehenden 19. Jh. ⫺, heutzutage eher bezeichnet als Historischer Roman, entfaltet eine fiktiv erzählte Handlung vor dem Hintergrund wissenschaftlich (im allgemeinen) gesicherter Fakten zu Ereignissen der Vergangenheit oder zu generationenübergreifenden geschichtlichen Entwicklungen in der eigenen oder in fremden Kulturen; berühmt sind Felix Dahn (1834⫺1912) mit Ein Kampf um Rom (1876⫺1878) oder Georg Ebers (1837⫺1898) mit Ägyptische Königstochter (1866). Der Historische Roman (/ Novelle / Erzählung) hat eine eigene wechselvolle Gattungstradition als Form der Geschichtsdichtung (vgl. Hinck 1995), einsetzend mit dem Aufkommen eines neuen Geschichtsbewußtseins in der Romantik, ab Beginn des 19. Jh. Jene literarischen Autoren, im 19. Jh. als „Professoren“ wissenschaftlich tätig, sind für die heutige Zeit eher als „Schriftstellerwissenschaftler“ zu titulieren, mit der Doppelstellung als literarisch publizierender Wissenschaftler und wissenschaftlich ambitionierter Literat (vgl. Gendolla / Riha 1991 mit Spiegelungen dieses Typs). (c) Science Fiction-Texte setzen keine wissenschaftlichen Wahrheiten voraus; sie werden verstanden als naturwissenschaftliche, genauer noch: technologische Utopien. Die fiktionale Dichtung erhält ihren spezifisch technisch wirkenden, dabei fortschrittsantizipierenden und somit zukunftsorientierten Charakter durch fachbezogene, sich wissenschaftlich-fachlich gebende Integrationen; es handelt sich um szientistisch-phantastische Abenteuer- oder Reiseromane. Auch diese Gattung hat eine wirkungsmächtige Tradition ⫺ spätestens einsetzend im 19. Jh., dem Zeitalter der technischen und (ersten) Industriellen Revolution ⫺ mit allseits, bis in die Jugendliteratur, bekannten Namen ⫺ Jules Verne (1828⫺1905), Herbert George Wells (1866⫺1946), George Orwell (1984, 1949), William Golding (Lord of the Flies, 1954) u. a. ⫺ und gilt mit Sicherheit als die prototypische Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Fachlichkeit und Literatur.

5.3.3. Integrationsprozeß ,Literarisches im fachlichen Text‘ bis hin zu: ,Literatur als Fachtext‘ Die Richtung II.L. mit der Spanne von „in“ (II.L.1) bis „als“ (II.L.2) gibt den Rahmen vor: der in Frage stehende Text (II.) ist qualitativ ein fachlicher Text. Seine literarischen (literatursprachlichen, poetischen) Teile (L.) sind quantitativ für die Ganzheit nicht be-

herrschend und qualitativ für die Gesamteinschätzung des Textes als fach(sprach)licher Text nicht prägend. (1) Während die Gegenrichtung (s. o. 5.3.2.) durchaus häufig und variantenreich auftritt, ist die hier anstehende Integrationsrichtung (II.B.) eher sporadisch gegeben. Noch scheint es den Fachtexten nicht zu eignen, sich literarisch zu schmücken (II.B.1), noch ist es recht selten und dann eher spektakulär, Literatur als Rahmen für Fachinformation zu wählen (II.B.2). Dies dürfte, was noch nicht hinreichend untersucht ist, durchaus kulturell gebunden sein. So sind bekanntlich die Franzosen eher geneigt, die Schönheit und Poetizität der darstellenden Sprache in den Vordergrund ihres pflegenden Interesses zu stellen, weniger dagegen die kritische Fachlichkeit der Information; angeblich ist die Gewichtung bei den deutschen Wissenschaftlern genau umgekehrt (vgl. Lepenies 1976). Dementsprechend sind auch die Traditionen der Reflexionen und kritischen Argumente zur Wissenschaftssprachstilistik jeweils unterschiedlich (vgl. orientierend Kretzenbacher 1992 sowie Art. 3, Abschn. 1.3., außerdem Art. 9).

(2) Die Formel (a) „ ,Poetisches‘ (oder ,Poesie‘) im Fachtext“ meint, daß poetische Texte (z. B. Gedichte) oder poetische Textteile (z. B. Sätze oder Abschnitte) als Motto, als Zitat, als Einstimmung oder Ausleitung, als „atmosphärischer“ Orientierungsrahmen in den Fachtext eingebracht werden und dort als literatursprachlich identifizierbare Teiltexte des Fachtextes dienen. Diese Integration läßt sich folglich (i) formal, (ii) inhaltlich und (iii) sprachlich relativ gut identifizieren. Die Teiltexte wirken als Schmuck (lat. ornatus), als verfremdende Auflockerungen des Gesamttextes, somit letztlich als textrhetorische Mittel (Figurenlehre; s. Lausberg 1989, §§ 599⫺1054). In dieser Weise leitet Cramer (1989) in seinem biochemischen Sachbuch jedes Kapitel mit einem fiktiven literarischen Dialog ein und läßt es jeweils mit einem poetischen Text (Gedicht) ausklingen, der inhaltliche Bezüge zum Kapitelthema nahelegt und das dortige naturwissenschaftlich Wesentliche nochmals lyrisch aufgreift.

Die Formel (b) „ ,Literatur‘ im Fachtext“ läßt sich dagegen, was die Integration betrifft, nicht so ganzheitlich isolierbar verstehen. Vielmehr geht es um die der Literatursprache angeglichene und deren sprachliche Mittel bewußt einsetzende Darstellungsweise fachlicher Inhalte. Die Integration ist also wesentlich verwobener und subtiler, deshalb auch schwieriger zu analysieren.

725

75. Fachsprachliche Phänomene in der Schönen Literatur Der Sachbuchmarkt, der zur Zeit außerordentliche Zuwächse verzeichnet, verlangt für seine Produktionen eine dementsprechende sprachliche „Verpackung“ der Fachthemen. Die Verkaufszahlen und das steigende Lese-Interesse belegen, daß hier das grundständige Bedürfnis des breiten Lesepublikums nach fachlicher seriöser Information zu Sachinhalten unter dem Aspekt der Verständlichkeitssicherung durch angemessene und ansprechende Sprachwahl bedient wird. So kleidet z. B. Reinirkens (1985; 1988) seine Bowlen- und Kochrezepte in literarische Abenteuergeschichten mit allen erzählerischen Registern. Oder so versteht es der Medizin-Nobelpreisträger Francis Crick (1990), die Entdeckung der Doppelhelix als spannende Autobiographie zu vermitteln.

(3) ,Literatur als Fachtext‘ verkörpert sich in Texten der dafür bereitstehenden Gattungen: Lehrgedicht (Lehrdichtung) und Literarischer Wissenschafts-Dialog sind wieder einmal vorzugsweise zu nennen (s. o. 3.). Beides sind Gattungen, die nach dem 18. Jh. an Bedeutung verloren haben und heute keine Darstellungsformen für fachliche bzw. wissenschaftliche Kommunikationsanliegen mehr sind (vgl. Art. 4, Abschn. 3.2.2., 3.2.8.3., 3.2.8.4., 3.2.9.).

Ein erweitertes Terrain scheint hier die alte Gattung Reisebericht / Reisebeschreibung / Reiseliteratur (im Altertum, bes. 3. Jh. v. Chr., die Periegese) zu erobern, nämlich als „literarischer Reiseführer“ (z. B. Neumeister 1991) oder „poetischer Stadtführer“ (z. B. Wodsak 1996; Hinterhäuser 1997) mit einem neuen spezifischen Gattungsprofil zwischen vielfältiger Sachinformation und deren literarischer Einkleidung (Gedicht, Novelle, Erlebnisbericht u. a.). Eine vollkommen romaneske Einkleidung, disziplintypische Wissenschaftssprache weitestgehend vermeidend, hat „die Philosophie“ in ihren vielen Schulen, Strömungen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen durch den norwegischen Philosophielehrer Jostein Gaarder erfahren: Sein „Roman über die Geschichte der Philosophie“ ⫺ Sofies Welt (Oslo 1991; dt. 1993) ⫺ hat inzwischen auch fachspezifische Reaktionen mit sich gebracht: zur deutschsprachigen 1,5-MillionenAuflage (1996) liegt ein Sofies Lexikon (Böhmer 1997) vor, als fachphilosophischer Auszug (Eigenetikett: „Handbuch“) aus dem Roman.

6.

Methodologische Ansprüche

Die Erkenntnis, daß es sich bei dem Verhältnis von Fachlichkeit und (Schöner) Literatur um verschiedenartige Integrationsprozesse

handelt, verlangt noch nach methodologischer Fundierung. Dazu gibt es bislang keine systematischen Überlegungen. Sie müßten Linguistik und Literaturwissenschaft überbrücken, wobei an die Diskussionen der sechziger (Jakobson 1960) und der frühen siebziger Jahre (im Umfeld von Strukturalismus und Generativen Theorien und den Bemühungen um eine solchermaßen „exakte Literaturwissenschaft“) angeknüpft werden könnte.

Die LITERATURWISSENSCHAFT könnte für die Textanalysen Komponenten wie ,Erzählen‘ und die stoff- und motivgeschichtlichen Methoden einbringen. Die LINGUISTIK, hier speziell berufen die Fachtextlinguistik, muß sich um Vorkommen, Frequenz und Rekurrenz von Termini sowie um deren inhaltliche Zugehörigkeit kümmern und deren Funktion für die Einschätzung des Textganzen als ,fachlich‘ oder ,literarisch‘ klären. Außerdem ist ihre Domäne der Stil und die Aufdeckung der Stilverschränkungen im Text. Methodisch bieten sich zudem die Teiltextanalysen an, die Erhellungen zur Wirkung von integrierten Teiltexten auf den Gesamttext und seine Textsortenzugehörigkeit versprechen; dazu liegt bereits die Erkenntnis vor, daß die Einbettungstiefe der Teiltexte von entscheidender Bewandtnis für das Textganze ist: Hierarchie-niedrige Teiltexte haben keinen oder nur einen abgeschwächt prägnanten Einfluß auf die Zuweisung des Ganzen zu einer Textsorte und zu einer Einschätzung als ,fachlich‘ oder ,literarisch‘; die Qualitäten von hochhierarchischen Teiltexten dagegen bestimmen gleichsam „ausstrahlend“ den Charakter des Gesamttextes (Kalverkämper 1982, insbes. 141⫺160).

Im Spannungsgefüge von ,poeta doctus ⫺ textum compositum ⫺ lector intellegens‘ sind darüber hinaus auch KOGNITIVE Aspekte der Textproduktion und -rezeption zu beachten und INTERTEXTUELLE Bezüge zu berücksichtigen; dies legt dann nahe, auch KULTURELLE Spezifika einzubeziehen.

7.

Literatur (in Auswahl)

Antor 1996 ⫽ Heinz Antor: Der englische Universitätsroman. Bildungskonzepte und Erziehungsziele. Heidelberg 1996 (Anglistische Forschungen 238). Belke 1973 ⫽ Horst Belke: Literarische Gebrauchsformen. Düsseldorf 1973 (Grundstudium Literaturwissenschaft. Hochschuldidaktische Arbeitsmaterialien 9). Block 1996 ⫽ Friedrich W. Block (Hrsg.): Verstehen wir uns? Zur gegenseitigen Einschätzung von

726

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Literatur und Wissenschaft. Anselm Maler zum 60. Geburtstag. Frankfurt/M. Berlin. Bern. New York. Paris. Wien 1996. Böhmer 1997 ⫽ Otto A. Böhmer: Sofies Lexikon. München. Wien 1997. Buck 1984 ⫽ Günther Buck: Das Lehrgespräch. In: Das Gespräch. Hrsg. v. Karlheinz Stierle und Rainer Warning. München 1984 (Poetik und Hermeneutik XI), 191⫺210. Carmichael / Ratzan 1994 ⫽ Ann G. Carmichael / Richard M. Ratzan (Hrsg.): Medizin in Literatur und Kunst. Köln 1994. Cramer 1989 ⫽ Friedrich Cramer: Chaos und Ordnung. Die komplexe Struktur des Lebendigen. 3. Aufl. Stuttgart 1989. Crick 1990 ⫽ Francis Crick: Ein irres Unternehmen. Die Doppelhelix und das Abenteuer Molekularbiologie. Aus dem Englischen v. Inge Leipold. München. Zürich 1990. ⫺ Amerikan. Original: What Mad Pursuit. New York 1988. Daemmrich 1995 ⫽ Horst S. Daemmrich / Ingrid Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur. Ein Handbuch. 2., erw. Aufl. Tübingen 1995 (UTB für Wissenschaft. Große Reihe). ⫺ (1. Aufl. 1987). Effe 1977 ⫽ Bernd Effe: Dichtung und Lehre. Untersuchungen zur Typologie des antiken Lehrgedichts. München 1977 (Zetemata. Monographien zur Klassischen Altertumswissenschaft 69). Eis 1967 ⫽ Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. 2., durchges. Aufl. Stuttgart 1967. ⫺ (1. Aufl. 1960). Fabian 1968 ⫽ Bernhard Fabian: Das Lehrgedicht als Problem der Poetik. In: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. Hrsg. v. Hans Robert Jauß. München 1968 (Poetik und Hermeneutik III), 67⫺89. Fischer / Hickethier / Riha 1976 ⫽ Ludwig Fischer / Knut Hickethier / Karl Riha (Hrsg.): Gebrauchsliteratur. Methodische Überlegungen und Beispielanalysen. Stuttgart 1976. Frenzel 1992a ⫽ Elisabeth Frenzel: Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 4., überarb. u. ergänzte Aufl. Stuttgart 1992 (Kröners Taschenausgabe 301). Frenzel 1992b ⫽ Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 8., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart 1992 (Kröners Taschenausgabe 300). Fuhrmann / Jauß / Pannenberg 1981 ⫽ Manfred Fuhrmann / Hans Robert Jauß / Wolfhart Pannenberg (Hrsg.): Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch. München 1981 (Poetik und Hermeneutik IX). Fulda / Prüfer 1996 ⫽ Daniel Fulda / Thomas Prüfer (Hrsg.): Faktenglaube und fiktionales Wissen. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Kunst in der Moderne. Frankfurt/M. Berlin. Bern. New York. Paris. Wien 1996 (Kölner Studien zur Literaturwissenschaft 9).

Gabriel / Schildknecht 1990 ⫽ Gottfried Gabriel / Christiane Schildknecht (Hrsg.): Literarische Formen der Philosophie. Stuttgart 1990. Gendolla / Riha 1991 ⫽ Peter Gendolla / Karl Riha (Hrsg.): Schriftstellerwissenschaftler. Erfahrungen und Konzepte. Heidelberg 1991 (Reihe Siegen. Beiträge zur Literatur-, Sprach- und Medienwissenschaft 102). Hadermann 1992 ⫽ Paul Hadermann: Synästhesie: Stand der Forschung und Begriffsbestimmung. In: Weisstein 1992, 54⫺72. Harth / Kleinert / Wagner 1991 ⫽ Helene Harth / Susanne Kleinert / Birgit Wagner (Hrsg.): Konflikt der Diskurse. Zum Verhältnis von Literatur und Wissenschaft im modernen Italien. Tübingen 1991 (Erlanger Romanistische Dokumente und Arbeiten 7). Heinimann 1992 ⫽ Alfred Chr. Heinimann: Technische Innovationen und literarische Aneignungen. Die Eisenbahn in der deutschen und englischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Tübingen 1992 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 63). Hinck 1995 ⫽ Walter Hinck: Geschichtsdichtung. Göttingen 1995 (Sammlung Vandenhoeck). Hinterhäuser 1997 ⫽ Hans Hinterhäuser (Hrsg.): Poetischer Rom-Führer. Italienisch und Deutsch. Zusammengest. u. mit Kommentaren vers. v. Hans Hinterhäuser. Darmstadt 1997. Jakobson 1960 ⫽ Roman Jakobson: Linguistik und Poetik. [1960]. In: Roman Jakobson: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921⫺1971. Hrsg. v. Elmar Holenstein und Tarcisius Schelbert. Frankfurt/M. 1979. ⫺ (Engl. Original: Linguistics and Poetics. In: Style in Language. Ed. by Thomas A. Sebeok. Cambridge, Mass. 1960, 350⫺377). Kalverkämper 1982 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Fachsprachen und Textsorten. In: Proceedings of the Third European Symposium on Language for Special Purposes ,LSP‘, Copenhagen 1981: Pragmatics and LSP. Ed. by Jørgen Høedt, Lita Lundquist, Heribert Picht and Jacques Qvistgaard. Copenhagen 1982, 105⫺168. Kalverkämper 1983a ⫽ Hartwig Kalverkämper: Textuelle Fachsprachen-Linguistik als Aufgabe. In: Fachsprache und Fachliteratur. Hrsg. v. Helmut Kreuzer / Brigitte Schlieben-Lange. Göttingen 1983 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 13. Heft 51/52), 124⫺166. Kalverkämper 1983b ⫽ Hartwig Kalverkämper: Gattungen, Textsorten, Fachsprachen. Textpragmatische Überlegungen zur Klassifikation. In: Textproduktion und Textrezeption. Hrsg. v. Ernest W. B. Hess-Lüttich. Tübingen 1983 (forum Angewandte Linguistik 3), 91⫺103. Kalverkämper 1989 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Kolloquiale Vermittlung von Fachwissen im frühen 18. Jahrhundert ⫺ gezeigt anhand der Entretiens sur la Pluralite´ des Mondes (1686) von Fontenelle. In: Schlieben-Lange 1989, 17⫺80.

75. Fachsprachliche Phänomene in der Schönen Literatur Kalverkämper 1993 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Diachronie in der Fachsprachenforschung ⫺ Überlegungen zu Inhalt, Methoden und Zielen. In: Finlance. A Finnish Journal of Applied Linguistics (University of Jyväskylä, Finland) 12: Diachrone Fachsprachenforschung / Diachronic LSP-Research. 1993, 18⫺47. Kalverkämper 1995 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Fachinformationen für Laien mit lexikographischen Formen in Texten. In: Lexicographica 11: Fachlexikographie. 1995, 74⫺120. Kalverkämper 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Kultur des literarischen wissenschaftlichen Dialogs ⫺ aufgezeigt an einem Beispiel aus der italienischen Renaissance (Galilei) und der französischen Aufklärung (Fontenelle). In: Kalverkämper / Baumann 1996, 683⫺745. Kalverkämper / Baumann 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper / Klaus-Dieter Baumann (Hrsg.): Fachliche Textsorten. Komponenten⫺Relationen⫺Strategien. Tübingen 1996 (Forum für FachsprachenForschung 25). Keil 1974 ⫽ Gundolf Keil: Literaturbegriff und Fachprosaforschung. In: Fachprosaforschung. Acht Vorträge zur mittelalterlichen Artesliteratur. Hrsg. v. Gundolf Keil und Peter Assion. Berlin 1974, 183⫺196. Kretzenbacher 1992 ⫽ Heinz Leonhard Kretzenbacher: Wissenschaftssprache. Heidelberg 1992 (Studienbibliographien Sprachwissenschaft 5). Kreuzer 1975 ⫽ Helmut Kreuzer: Veränderungen des Literaturbegriffs. Fünf Beiträge zu aktuellen Problemen der Literaturwissenschaft. Göttingen 1975 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1398). Lausberg 1960 ⫽ Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. München 1960. ⫺ (2., erw. Aufl. München 1973; 3. Aufl. Stuttgart 1990, mit einem Vorwort von Arnold Arens). Lepenies 1976 ⫽ Wolf Lepenies: Der Wissenschaftler als Autor. Buffons prekärer Nachruhm. In: Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. München. Wien 1976 (Hanser Anthropologie), 133⫺150. Ley 1995 ⫽ Klaus Ley: Die Oper im Roman. Erzählkunst und Musik bei Stendhal, Balzac und Flaubert. Heidelberg 1995. Mensching / Röntgen 1995 ⫽ Guido Mensching / Karl-Heinz Röntgen (Hrsg.): Studien zu romanischen Fachtexten aus Mittelalter und früher Neuzeit. Hildesheim. Zürich. New York 1995 (Romanistische Texte und Studien 6). Neumeister 1991 ⫽ Christoff Neumeister. Das antike Rom. Ein literarischer Stadtführer. München 1991. Paech 1994 ⫽ Joachim Paech (Hrsg.): Film, Fernsehen, Video und die schönen Künste. Strategien der Intermedialität. Stuttgart 1994.

727

Reinirkens 1985 ⫽ Leonhard Reinirkens: Großtante Hortense. Bowlen, Punsche & Amouren. Illustriert v. Tony Munzlinger. Weil der Stadt 1985. Reinirkens 1988 ⫽ Leonhard Reinirkens: Die kulinarischen Abenteuer des Fra Bartolo. 2. Aufl. Weil der Stadt 1988. ⫺ (1. Aufl. 1987). Scher 1984 ⫽ Steven Paul Scher (Hrsg.): Literatur und Musik. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin 1984. Schlieben-Lange 1989 ⫽ Brigitte Schlieben-Lange (Hrsg.): Fachgespräche in Aufklärung und Revolution. Tübingen 1989 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 47). Schnitzler 1979 ⫽ Günter Schnitzler (Hrsg.): Dichtung und Musik. Kaleidoskop ihrer Beziehungen. Stuttgart 1979. Segeberg 1987 ⫽ Harro Segeberg (Hrsg.): Technik in der Literatur. Ein Forschungsüberblick und zwölf Aufsätze. Frankfurt/M. 1987. Störel 1992 ⫽ Thomas Störel: Metaphern für musikalische Eindrücke in Wissenschaft und Dichtung. In: Kontrastive Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Klaus-Dieter Baumann und Hartwig Kalverkämper. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20), 211⫺220. Thomsen 1989 ⫽ Christian W. Thomsen: LiterArchitektur. Wechselwirkungen zwischen Architektur, Literatur und Kunst im 20. Jahrhundert. Köln 1989 (DuMont-Dokumente). Weinrich 1971 ⫽ Harald Weinrich: Erzählte Philosophie oder Geschichte des Geistes. In: Harald Weinrich: Literatur für Leser. Essays und Aufsätze zur Literaturwissenschaft. Stuttgart. Berlin. Köln. Mainz 1971 (Sprache und Literatur 68), 150⫺163. ⫺ Auch in [Taschenbuchausgabe]: München 1986 (dtv-Taschenbuch 4451), 184⫺202. ⫺ Franz. Übers.: Histoire de l’esprit ou la philosophie raconte´e. In: Harald Weinrich: Conscience linguistique et lectures litte´raires. Paris 1989 (Maison des sciences de l’homme), 89⫺97. Weinrich 1973 ⫽ Harald Weinrich: Narrative Theologie. In: Concilium 5. 1973, 329⫺344. ⫺ (Auch in: Theologisches Jahrbuch 1976, Leipzig 1978, 482⫺ 490). Weinrich 1989 ⫽ Harald Weinrich: Formen der Wissenschaftssprache. In: Jahrbuch 1988 der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin. New York 1989, 119⫺158. Weissenberger 1985 ⫽ Klaus Weissenberger (Hrsg.): Prosakunst ohne Erzählen. Die Gattungen der nicht-fiktionalen Kunstprosa. Tübingen 1985. Weisstein 1992 ⫽ Ulrich Weisstein (Hrsg.): Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin 1992. Wenzel 1997 ⫽ Knut Wenzel: Zur Narrativität des Theologischen. Prolegomena zu einer narrativen Texttheorie in soteriologischer Hinsicht. Frank-

728

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

furt/M. Berlin. Bern. New York. Paris. Wien 1997 (Regensburger Studien zur Theologie. 52). Winklehner 1987 ⫽ Brigitte Winklehner (Hrsg.): Literatur und Wissenschaft. Begegnung und Integration. Festschrift für Rudolf Baehr. Tübingen 1987 (Romanica et comparatistica. Sprach- und literaturwissenschaftliche Studien 6).

Wodsak 1996 ⫽ Mona Wodsak (Hrsg.): Poetischer Paris-Führer. Französisch und Deutsch. Zusammengest., eingel. u. mit Kommentaren vers. v. Mona Wodsak. 2., unveränd. Aufl. 1996.

Hartwig Kalverkämper, Berlin

76. Fachsprachliche Phänomene in den verschiedenen Sorten von populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten 1. 2. 3. 4.

1.

Populärwissenschaftliche Vermittlungstexte aus kulturhistorischer Sicht Die invarianten fachsprachlichen Phänomene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte Die varianten fachsprachlichen Phänomene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte Literatur (in Auswahl)

Populärwissenschaftliche Vermittlungstexte aus kulturhistorischer Sicht

Seit dem 18. Jh. kann in den bedeutenden europäischen Nationalsprachen (Französisch, Englisch, Deutsch) eine zunehmende Verbreitung und Differenzierung der populären Sachprosa beobachtet werden. Diese Entwicklung steht in einem engen Zusammenhang mit der aufstrebenden geistigen Emanzipationsbewegung des fortschrittlichen Bürgertums in der Periode des 17./18. Jh.s. So führte die Aufklärung als ideengeschichtlicher Ausdruck der bürgerlichen Umwälzungen in England, Frankreich und Deutschland zu einem umfassenden Aufschwung des wissenschaftsorientierten Denkens bzw. zur Entstehung neuer literarischer Formen der Vermittlung fortschrittlichen Gedankengutes (Im Hof 1993; Tilly 1993). Ein Anliegen des Bildungsbürgertums bestand darin, bestehende Erkenntnisschranken abzubauen und immer breitere Bevölkerungsschichten an den Ergebnissen des gesellschaftlichen Fortschritts teilhaben zu lassen. Dabei zeigte sich, daß die Überführung von Erkenntnissen der sich stürmisch entwikkelnden Einzelwissenschaften in die Praxis zu einer mächtigen Triebkraft des ökonomischen Fortschritts wurde (Eco 1994, 299 ff; Locke 1980). Die immer komplexere Formen annehmende gesellschaftliche Arbeitsteilung setzte

einen effizient funktionierenden Kenntnisaustausch zwischen den verschiedenen an den gesellschaftlichen Prozessen Beteiligten voraus, die jedoch aufgrund ihrer jeweiligen sozialen Stellung über z. T. recht unterschiedliche Wissens- und Kommunikationsvoraussetzungen verfügten (von Humboldt 1903⫺ 1936). Somit wurde es dringend erforderlich, die fachsprachlich fixierten und demzufolge lediglich einer begrenzten Anzahl von Experten verständlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die für breitere Adressatenkreise zugängliche kommunikative Form der populären Sach- oder Fachprosa zu übertragen (Voltaire 1984; de Fontenelle 1989). In diachronen Studien zur Erforschung der Wissenschafts- bzw. Fachsprachen wird die Überführung des von einer Bildungselite in wissenschaftlichen Fachtexten dargestellten Fachwissens in die allgemein verständlichen Formen der populären Sachprosa als „Übersetzungs- bzw. Popularisierungsvorgang“ bezeichnet, der wesentlich zur Konstituierung anwendungsbezogener Textsorten beiträgt (Pörksen 1986, 182). Folgende Textsorten gehören zu den popularisierenden Formen der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte, deren kulturgeschichtlicher Ursprung sich zum großen Teil bereits auf die Epochen der Reformation, des Humanismus der Renaissance sowie der Aufklärung zurückverfolgen läßt: (1) das (Schul-)Lehrbuch, welches einem klar umrissenen Lernerkreis in didaktisch und methodisch aufbereiteter Form gesichertes fachliches Wissen vermittelt. Der kulturgeschichtliche Ursprung dieser Textsorte läßt sich bis auf die griechischen Philosophen der Sophistik (5.⫺4. Jh. v. Chr.) bzw. auf Sokrates (469⫺399 v. Chr.) und Platon (427⫺347 v. Chr.) als Vertreter der idealistischen Philosophie zurückverfolgen. Dabei nahmen die

76. Fachsprachliche Phänomene in „populärwisseenschaftlichen“ Vermittlungstexten

Lehrbücher der antiken Aufklärung v. a. den Charakter von Lehrgesprächen (Sokratische Methode) an. Die Kenntnisvermittlung stützte sich hauptsächlich auf eine erklärende Darstellung durch Frage-und-Antwort-Sequenzen (Maieutik) bzw. auf die schulmäßige Festlegung von Lehrsätzen, die in logischer Strenge und knapper Anschaulichkeit formuliert wurden (vgl. Lehrbücher von Euklid (365⫺300 v. Chr.)) (Bergmann/Kleinert 1972; Kalverkämper 1996 a, 683 ff). (2) der Lehrbrief hat als Textsortenvariante des Lehrbuchs im Bereich der Erwachsenen(weiter-)bildung Verbreitung gefunden. Der Textautor versucht dabei, die kognitiven Aufnahme- und Verarbeitungsbesonderheiten des aus erfahrenen und vorgebildeten Erwachsenen bestehenden Adressatenkreises durch die Auswahl alters- und lerntypgerechter Lehrund Lernmethoden zu berücksichtigen. Die Textsorte des Lehrbriefs nahm auf dem Gebiet der Wissensvermittlung in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen bzw. gegen Ende der 40er Jahre an Verbreitung deutlich zu, da infolge tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen eine inhaltliche Neuorientierung in entsprechenden Berufsgruppen, Beschäftigungsbranchen und Wissenszweigen notwendig wurde (z. B. politische (Weiter-)Bildung in Parteien, Gewerkschaften, gesellschaftlichen Organisationen nach 1917 bzw. 1945 in Deutschland, Neubestimmung von Bildungsinhalten und -formen nach den beiden Weltkriegen; Einführung neuer Techniken in bestimmte Berufszweige, Entwicklung neuer Wissensgebiete: elektronische Datenverarbeitung, Informatik usw.). (3) der enzyklopädische Lexikonartikel, welcher als selbständige Abhandlung in ein zumeist alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk über ein/mehrere Fachgebiet(e) integriert ist. Diese textuelle Form der Wissensspeicherung und -vermittlung läßt sich auf die von den französischen Philosophen der Aufklärung D. Diderot, J. le R. d’Alembert, F.-M. Voltaire, J.-J. Rousseau, P. T. d’Holbach, C.-A. Helve´tius und C.-L. Montesquieu in den Jahren von 1751 bis 1772 herausgegebenen Encyclope´die ou Dictionnaire raisonne´ des sciences des arts et des me´tiers (Enzyklopädie oder erklärendes Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe) zurückführen (Hegel 1971, 442). (4) das Handbuch, in dem größere Problemkreise unter einem bestimmten Oberbegriff abgehandelt werden. Adolf Freiherr Knigge (1752⫺1796), ein konsequenter An-

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hänger der Französischen Revolution, leistete mit seinem bekannten Werk „Über den Umgang mit Menschen“ (1788) einen bedeutsamen politisch-pädagogischen Beitrag zur bürgerlichen Lebensphilosophie. Aus strukturellfunktionaler Sicht stellt diese Abhandlung ein „Handbuch praktischer Lebensweisheit“ dar, in dem für das fortschrittliche Bürgertum Regeln und Grundsätze des gesellschaftlichen Umgangs zusammengestellt wurden (Knigge 1980). (5) die Informations- und Ratgeberschrift, die für verschiedene Lebensbereiche (Gesundheitsvorsorge, Ernährung, individuelle Konsumtion u. a.) praktische Ratschläge, Empfehlungen bzw. situationsspezifische Handlungsmuster vermittelt. Diese für den heterogenen Adressatenkreis der interessierten Laien bestimmte Textsorte hat seit dem Humanismus der Renaissance des 16. Jh.s v. a. auf den Gebieten der Medizin, Arzneimittelkunde, Philosophie und praktischen Lebenshaltung einen großen Verbreitungsgrad erlangt. So bediente sich Theoprast Bombast von Hohenheim (Paracelsus) (1493⫺1541) des Ratgebertextes, um den in der Regel theoretisch unkundigen Badern und Wundärzten therapeutisch begründete Maßnahmen zur wirkungsvolleren medizinischen Versorgung der Patienten zu empfehlen (Thomas 1994, 110 ff). Außerdem bezogen sich zahlreiche Ratgebertexte auf Möglichkeiten einer sparsamen Haushaltsführung, der im vorindustriellen Zeitalter eine überlebenswichtige Bedeutung zukam (Leese 1986). Gegenwärtig gehören Informationsund Ratgebertexte zu einer in nahezu allen wissenschaftlichen und technischen Bereichen verbreiteten Textsorte (Pörksen 1986). (6) der populärwissenschaftliche Zeitschriftenartikel, der einen Wissenstransfer zwischen Fachwelt und Öffentlichkeit und zwischen den Vertretern verschiedener Fachgebiete herstellt. Das seit dem industriellen Zeitalter stetig zunehmende gesellschaftliche Interesse an wissenschaftlichen Entdeckungen und deren Umsetzung in die Praxis, die komplizierten methodologischen, methodischen und kommunikativen Herausforderungen eines Paradigmenwechsels vom einzelwissenschaftlichen zum interdisziplinären Herangehen, die vielfältig bestehenden Kommunikationsbarrieren zwischen Wissenschaftlern, interessierten Laien bzw. den für die Wissenschaft verantwortlichen politischen Entscheidungsträgern, der zunehmende Finanzierungsbedarf für wissenschaftliche Pro-

730

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

zesse und Projekte bzw. die dafür erforderliche Einwerbung von öffentlichen oder privaten Fördermitteln haben bereits seit dem Ende des 19. Jh.s zu einer bemerkenswerten Verbreitung dieser Textsorte geführt. Erste für ein breiteres Lesepublikum bestimmte populärwissenschaftliche Zeitschriftenartikel erschienen in der Zeitschrift „Göttingsche Zeitschriften von gelehrten Sachen“ (1739⫺ 1752), deren Vorbild das die wissenschaftliche Allgemeinbildung fördernde englische „Magazine“ war (Brockhaus 1923). (7) der Aufklärungstext, der einer breiten Öffentlichkeit statistische Daten, Fakten, Argumente, Entwicklungstrends u. a. im Hinblick auf politische, ökonomische, wissenschaftliche, technische oder ethische Fragestellungen vermittelt, um sie auf diesem Wege von der (Un-)Richtigkeit einer getroffenen/zu treffenden kollektiven oder individuellen Entscheidung zu überzeugen bzw. zu jeweiligen Stellungnahmen zu mobilisieren (z. B. Aufklärung der Bevölkerung über Vor- und Nachteile der gesamteuropäischen Währung). Unter bestimmten kommunikativen Bedingungen können Aufklärungstexte Appellcharakter annehmen (z. B. Aufklärungskampagnen gegen das Rauchen). Im Zeitalter der Renaissance und der Aufklärung nahm der Aufklärungstext häufig dialogische Kommunikationsformen an (z. B. Lehrgespräch) (Kalverkämper 1996 a, 694 ff). (8) das Sachbuch, welches in allgemeinbildender, unterhaltsamer, verständlicher und ästhetisch ansprechender Weise in ein Fachgebiet bzw. dessen Problemfelder einführt, gehört zu denjenigen populärwissenschaftlichen Textsorten der Vermittlung, deren Verbreitung seit ca. zwei Jahrzehnten ständig zunimmt. Aus kulturgeschichtlicher Sicht hat sich das Sachbuch aus dem Genre des „historischen Romans“ entwickelt. Dessen Begründer, Sir Walter Scott (1771⫺1832), war es auf künstlerisch beeindruckende Weise gelungen, die Geschichte individueller Romanfiguren nicht als konstruierte Handlung sondern als einen realistischen Prozeß in historisch konkreten Konstellationen erzählerisch darzustellen (Seehase 1986).

2.

Die invarianten fachsprachlichen Phänomene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte

Die seit den 60er Jahren in allen wichtigen Industrieländern stattfindende wissenschaftlich-technische Revolution hat zu einer für

den einzelnen nicht mehr überschaubaren Dynamisierung des Wissenszuwachses geführt. Dieser äußert sich u. a. in einem stetigen Anwachsen der Anzahl wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Publikationen. Unter populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten soll in diesem Zusammenhang eine Gruppe von Textsorten verstanden werden, die darauf gerichtet ist, einem heterogenen nichtfachlichen Adressatenkreis fachliche Informationen auf eine kommunikativ-kognitive Weise zu vermitteln, die Kommunikationskonflikte ausschließt. Aus kommunikationsstrategischer Sicht bedeutet dies, daß der Textautor die strukturell-funktionale Gesamtheit des jeweiligen Textes so zu gestalten hat, daß diese einer optimalen Rezeption, d. h. dem Verstehen des Textes als Einheit von Inhalt und Form, förderlich ist. Populärwissenschaftliche Vermittlungstexte weisen dabei zahlreich invariante außerund innersprachliche Faktoren auf, die sich auf den nachfolgenden Ebenen manifestieren. Ein unter kulturspezifischen Gesichtspunkten durchgeführter interlingualer Vergleich von populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten aus mehreren Einzelsprachen hat deutlich gemacht, daß die qualitativ-funktionalen Merkmale populärwissenschaftlicher Literatur einen hohen Grad an interkultureller Äquivalenz aufweisen (Baumann 1992, 1994). Die soziale Ebene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte äußert sich in asymmetrischen Beziehungen der Kommunikationspartner, die v. a. im Hinblick auf den im Text jeweils versprachlichten fachlichen Gegenstandsbereich zwischen Autor(en) und Rezipient(en) zutage treten. So werden populärwissenschaftliche Vermittlungstexte von Fachwissenschaftlern, Wissenschaftsjournalisten oder Schriftstellern (Geier/Huth/Wittich 1982, 18) verfaßt, die auf einem speziellen Gebiet über ein solides Sachwissen und damit gegenüber dem Adressaten über einen interaktionalen Kompetenzvorsprung verfügen. Demgegenüber besteht der Adressatenkreis populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte aus einer in bezug auf Alter, Interessen und Vorwissen heterogenen Gruppe interessierter Laien, zu der z. B. allgemein interessierte Leser oder in der Ausbildung begriffene Rezipienten ebenso gehören können wie Spezialisten aus anderen Fachgebieten. Aus kognitiver Sicht handelt es sich bei populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten um das Ergebnis eines komplexen Transfor-

76. Fachsprachliche Phänomene in „populärwisseenschaftlichen“ Vermittlungstexten

mationsprozesses fachsprachlich (vor)formulierter Inhalte. Der sachkompetente Verfasser populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte orientiert sich darauf, komplizierte fachliche Zusammenhänge auf das erwartbare Vorwissensniveau eines fachexternen Adressatenkreises abzustimmen. Diese Adaption ist notwendig, da aufgrund der unterschiedlichen Präsenz fachlicher Wissenskontexte sowohl der Fachmann als auch der interessierte Laie die im Text versprachlichten Sachverhalte kognitiv und emotional unterschiedlich verarbeiten. Entsprechende Untersuchungen weisen darauf hin, daß durch das umfassende Spezialwissen des Autors dessen Fähigkeit zur Inferenzbildung deutlich ausgeprägter ist. Sie erlaubt ihm deshalb auch, stärker auf die inhaltlichen Details des Textes zu achten als der fachexterne Rezipient (Rickheit/Strohner 1993; Baumann 1997, 4⫺17). Diese Rezeptionsunterschiede machen andererseits deutlich, wie vielschichtig die kommunikativ-kognitive Umstrukturierungsleistung des Fachautors in Richtung auf eine verständliche, rezeptionsfördernde Vertextung wissenschaftlicher Sachverhalte in Texten ist. In diesem Zusammenhang bemüht sich der Verfasser populärwissenschaftlicher Texte darum, Wissensinhalte zu humanisieren und komplizierte fachliche Zusammenhänge in Beziehung zur antizipierten Rezeptionsperspektive des Adressaten zu gestalten. Dies bedeutet, daß der Fachwissenschaftler als Autor populärwissenschaftlicher Texte unterschiedliche Informationen in den Fokus der Textverarbeitung rückt als z. B. in wissenschaftlichen Fachtexten. Folglich kommt es zu einer umfassenden strukturell-funktionalen Reorganisation der Textproduktion. Der interaktionale Abstimmungsprozeß des in populärwissenschaftlichen Texten aktivierten Wissens auf die beim Rezipienten vermuteten externen Informationsquellen unterscheidet sich im Hinblick auf seine Komplexität wesentlich von dem in Fachtexten. In populärwissenschaftlichen Fachtexten werden Beziehungen zur konkreten Realität häufiger über Wahrnehmungen als über mentale Vorstellungen bzw. durch Aushandlung des relevanten Wissens zwischen Textproduzent und -rezipient hergestellt (Strohner 1990). Dabei bedient sich der Autor folgender Mittel: (1) Berücksichtigung metakommunikativer Elemente als Mittel, um Verstehenskonflikten zwischen Fachmann und Laien vorzubeugen (Poethe 1984, 500⫺504);

731

(2) mnemotechnische Organisation populärwissenschaftlicher Texte durch zahlreiche didaktisierende Visualisierungen (Text-BildVerhältnis) bzw. sachlogische Kompositionsmuster von Informationen (Allgemeines⫺ Besonderes⫺Einzelnes; Ursache⫺Wirkung; Subjekt⫺Objekt u. a.); (3) Abstufung der Kommunikationsdistanz sowie des Abstraktionsniveaus der populärwissenschaftlichen Darstellung durch Einbeziehung anschaulicher Beispiele aus der persönlichen Erfahrungswelt des Rezipienten; (4) Einbeziehung vager Formulierungen als Ausdruck einer Vereinfachungstendenz in der populärwissenschaftlichen Darstellung wissenschaftlicher Sachverhalte (von Hahn 1983); (5) Pädagogisierungstendenzen durch impliziten Dialog zwischen Autor und Rezipient(en) (Pronomen 1. Person Pl.) bzw. phatische Ermutigungspassagen des Verfassers, die das inhaltliche Verstehen erleichtern sollen. Die inhaltlich-gegenständliche Ebene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte äußert sich in einer organischen Verbindung von rationalen (sachbezogenen) und emotionalen (individuell geprägten) Darstellungselementen des Kommunikationsgegenstandes. Dies führt dazu, daß die Informationsdichte eines populärwissenschaftlichen Vermittlungstextes nicht so groß und der Fachlichkeitsgrad nicht so hoch sind wie in Fachtexten. Außerdem folgen in populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten Auswahl und Anordnung des Inhalts allgemeinen didaktischen Prinzipien (Zielorientiertheit des Textes, systematische Abfolge und Abstufung der inhaltlichen Darstellung, Anschaulichkeit durch empirische Beispiele und Anknüpfungen an die Erfahrungswelt des Rezipienten, partnerbezogenes Interessieren für den Gegenstand, Ausdruck der persönlichen Position des Autors, förderliche partnerbezogene Redundanz u. a.). Die Funktion populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte besteht vorwiegend darin, fachexterne Rezipienten über relevantes aktuelles Fachwissen sach- und/oder erlebnisbetont zu informieren sowie ein weiterführendes Interesse für neue wissenschaftliche Entwicklungen zu wecken. Ferner sind die populärwissenschaftlichen Texte darauf gerichtet, Kenntnisse in interessanter, ästhetisch ansprechender, unterhaltsamer Weise zu vermitteln. Dabei regt der Autor populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte durch die

732

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

sprachlich-kommunikativen Handlungen des Anregens, Aufrufens, Appellierens oder Forderns die Adressaten zu eigenen Schlußfolgerungen und Reaktionen an. Durch Vergleiche und Bewertungen wirkt er häufig auf sie ein, verändert durch Erzählungen, Berichte, Schilderungen ihre Gefühlslage und erhöht ihre Aufmerksamkeit für konkrete Informationen aus den Bereichen Wissenschaft und Technik. Zitate bekannter Persönlichkeiten können in populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten die Funktion des Aufhängers übernehmen. Der Autor versucht zudem, seine architektonische und kompositionelle Textanordnungsstrategie den Rezeptionsbesonderheiten der Adressaten anzupassen. Auf der textstrukturellen Ebene von populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten wird diese v. a. durch ein attraktiv gestaltetes Layout (Schriftgrade, Farbgestaltung, Bildmaterial), eine sachlogische Gliederung des Makrotextes durch verschiedene Gliederungssignale in Absätze bzw. Teiltexte (Baumann 1992, 42), die Einbeziehung rezeptionsanregender (Zwischen-)Überschriften, die konzentrierte Einleitung in die Textthematik durch die Textstrukturen des Vorwortes, der Einleitung bzw. der abschließenden Zusammenfassung des wesentlichen Inhaltes realisiert. Ein in qualitativer und quantitativer Hinsicht variierendes Stilpotential kennzeichnet die stilistische Ebene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte. Die Popularisierung wissenschaftlicher Inhalte wird dabei durch folgende Stilmittel erreicht: (1) Einbeziehung individualstilistischer Elemente des Textautors, (2) Ausdrucksvariation durch syntaktische und semantische Stilelemente (Parenthese, Antithese, Parallelismus; Metapher, Epitheton u. a.), (3) Verwendung graphostilistischer Mittel, (4) Verstärkung der fachlichen Aussage duch gefühlsansprechende Stilelemente (Symbol, Analogie, Synästhesie, Metonymie, Vergleich u. a.), (5) Einbau illustrierender Beispiele und Zitate als Verständnishilfe, (6) Einheit von begrifflicher und bildlicher Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse, (7) Abfolge von Frage-Antwort-Sequenzen, (8) Verwendung von (Kontext-)Synonymen und (9) Tendenz zum Verbalstil.

Die syntaktischen Besonderheiten populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte beziehen sich auf folgende Merkmale: (1) Bevorzugung von Sätzen mit einer mittleren Satzlänge (ca. 20⫺22 Wörter im Deutschen; Geier/Huth/Wittich 1982, 56) (2) Gebrauch relativ ungebundener Syntax (3) Dominanz des Aktivs als Subkategorie des Genus verbi (4) Bevorzugung parataktischer Satzverknüpfungen (5) evaluative Verbindung von Sätzen durch Um- und Nachstellung, Einschub und Konstruktionswechsel von Satzgliedern (6) Variierung der Satzgliedfolge (aktuelle Gliederung des Textes) (7) Hinweis auf die Autorenschaft des Textes (Verwendung der 1. Person Sg. oder Pl.). Die Spezifik der lexikalisch-semantischen Ebene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte beruht auf der Kombination von Elementen der Allgemein- und Fachsprache. Charakteristisch für diese Gruppe von Texten sind neben allgemeinsprachlichen Formulierungen ein adressatenspezifisch abgestufter Anteil von Termini (Köhler 1989, 226⫺232). Ferner sind die Ausdrucksvariation von Abstrakta durch Paraphrasen und Synonyme, das Definieren von Fachwörtern, der Verweis auf erläuternde Anmerkungen, die Verwendung von Internationalismen, Lehnwörtern, Okkasionalismen, wertenden Adjektiven und Phraseologismen kennzeichnend für populärwissenschaftliche Vermittlungstexte.

3.

Die varianten fachsprachlichen Phänomene populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte

Die populärwissenschaftlichen Vermittlungstexte weisen neben den invarianten Merkmalen zahlreiche variante fachsprachliche Phänomene auf, die deren Textsortenspezifik wesentlich bestimmen. (1) Die Textsorte (Schul-)Lehrbuch vermittelt einem bestimmten Kreis von Lernern historisch konkretes Wissen, das häufig in einer typographisch und visuell anregenden Weise präsentiert wird. Folgende textsortenspezifische Aspekte sind dafür kennzeichnend: ⫺ Einbau sprachlicher Redundanz bzw. anderer Rezeptionsanreize (pluralis communis, metakommunikative Äußerungen als Orientierungserleichterung u. a.) als Folge

76. Fachsprachliche Phänomene in „populärwisseenschaftlichen“ Vermittlungstexten



⫺ ⫺

⫺ ⫺

einer pädagogisierten Darstellung des Inhalts Einbeziehung methodisch aufbereiteter Aufgabenstellungen als didaktisch-methodisches Prinzip der Rückkopplung und Leistungsüberprüfung architektonisch-kompositorische Gliederung des Lehrstoffes in Abschnitte, Kapitel bzw. Paragraphen spezifische Kombination bestimmter Typen sprachlich-kommunikativen Handelns, um auf diese Weise Erkenntnisvorgänge des Lerners zu unterstützen (Fortschreiten vom Konkreten zum Abstrakten, vom Allgemeinen zum Besonderen) Verwendung von einfach erweiterten Sätzen und Parataxen zum Zwecke einer erhöhten Faßlichkeit funktional determinierter Einsatz von zahlreichen semantischen Stilelementen im Interesse einer verstärkten Expressivität, Anschaulichkeit und Bildlichkeit (Baumann 1992, 176 ff).

(2) Die Textsortenvariante des Lehrbuchs, der Lehrbrief, wendet sich hingegen an berufserfahrene erwachsene Lerner, um ihnen in psychologisch entsprechender Weise berufsbezogenes Fachwissen zu vermitteln (Gläser 1989, 333⫺349). Folgende fachsprachliche Phänomene sind dafür kennzeichnend: ⫺ die kooperative Darstellungshaltung des Autors (impliziter Dialog zwischen Autor und Lerner, Verwendung der Pronomen der 1./2. Person) (Borneto 1989, 350⫺366) ⫺ die bevorzugte Verwendung des sprachlich-kommunikativen Handlungstyps Argumentieren (Vergleichen, Definieren, Schlußfolgern, Zusammenfassen) und Erörtern ⫺ die Kombination von Teiltexten der Einführung, Informationsvermittlung, Aufgabenstellung, Diskussion und Verhaltenssteuerung (z. B. metakommunikative Ermutigungspassagen) ⫺ die Verwendung von Frage-Antwort-Sequenzen als Kompositionsprinzip ⫺ die Bevorzugung relativ ungebundener Syntax (ausgewogene Verwendung von Hypotaxen, Parataxen und einfachen erweiterten Sätzen (Hoffmann 1976, 339 ff; 1984) ⫺ die Dominanz syntaktischer Stilfiguren (Parenthese, Nachtrag, Parallelismus u. a.) ⫺ die systematische Einführung des verwendeten Fachwortschatzes.

733

Die Textsorte enzyklopädischer Lexikonartikel ist die grundlegende strukturelle Konstituente eines Nachschlagewerkes, welches Informationen zu inhaltlich abgegrenzten und zumeist alphabetisch geordneten Stichworten ⫺ die das Thema darstellen ⫺ darbietet. Der Adressatenkreis dieser Texte schließt sowohl Fachleute als auch interessierte (vor-)gebildete Laien ein. Die Textsorte zeichnet sich durch folgende Aspekte aus: ⫺ sachlogischer Aufbau des Textes (z. B. Chronologie der Darstellung, inhaltlich begründete Akzentuierung einzelner thematischer Aspekte) ⫺ ausgeprägte Verwendung von metakommunikativen Hinweisen und Querverweisen auf nach- bzw. vorher Erwähntes ⫺ Einbeziehung eines Anmerkungsapparates bzw. einer Bibliographie ⫺ Bevorzugung hypotaktischer Konstruktionen sowie aktiver Verbalformen ⫺ Vermeiden von Redundanz im Interesse von Sprachökonomie und Informationskondensation ⫺ Zurücktreten individualstilistischer Besonderheiten ⫺ v. a. durch redaktionelle Vorgaben bzw. die Zusammenarbeit mehrerer Autoren. (3) Die Textsorte Handbuch wendet sich an einen heterogenen Adressatenkreis, der von Fachleuten verschiedener Disziplinen bis zu interessierten Nichtfachleuten reicht. Dabei wird gesichertes Fachwissen eines bestimmten Gebietes übersichtlich dargeboten und durch ausgeprägte Verweistechniken in seiner vielschichtigen inhaltlichen Komplexität aufgezeigt. Handbücher stellen einen funktional eigenständigen Typ von Nachschlagewerken dar, deren Inhalt ⫺ je nach Intention des Benutzers ⫺ zumeist selektiv rezipiert wird. Zu den fachsprachlichen Phänomenen des Handbuchs gehören: ⫺ die Dominanz informierender sprachlichkommunikativer Handlungstypen (Feststellen, Berichten u. a.) ⫺ die häufige Bindung der Textstruktur an das jeweilige Fachbegriffssystem ⫺ das Zusammenwirken unterschiedlicher Gruppen von Gliederungssignalen (Satzadverbien, Enumerationssignale, Zwischenüberschriften u. a.) ⫺ die Einbeziehung zahlreicher graphostilistischer und visueller Mittel ⫺ die Bevorzugung syntaktischer Stilfiguren und

734

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

⫺ die ausgeprägte Verwendung von Termini, deren Bedeutung v. a. in Handbüchern zu naturwissenschaftlichen und technischen Themen umfassend erläutert wird (Walter 1997). (4) Die fachsprachlichen Besonderheiten der Textsorte Informations- und Ratgeberschrift, die sich an breite Bevölkerungsschichten wendet, sind folgende: ⫺ die überwiegende Verwendung des sprachlich-kommunikativen Handlungstyps des Empfehlens, Warnens, Fragens und Begründens ⫺ die bevorzugte makrostrukturelle Umsetzung des Inhalts der Darstellung in FrageAntwort-Sequenzen ⫺ die ausgeprägte Verwendung des Anredepronomens und von Imperativsätzen ⫺ das Überwiegen der Aktivformen des Verbs ⫺ die Dominanz syntaktischer Stilfiguren ⫺ die Nähe des Wortschatzes zur Allgemeinsprache. (5) Die Textsorte Populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel zielt darauf ab, wissenschaftliche Informationen für Nichtfachleute aufzubereiten. Infolgedessen weist sie strukturelle und funktionale Besonderheiten der Kommunikationsbereiche der Wissenschaft, Publizistik und Presse sowie Belletristik auf. Zu diesen gehören: ⫺ die Vermittlung von Informationen in aufgelockerter Form, z. T. mit förderlicher Redundanz ⫺ der Verzicht auf fachspezifische Polemik/ Detailerörterungen ⫺ die Gleichordnung von verbalem Text und Bildtext ⫺ dadurch Erhöhung des Behaltenseffektes ⫺ die Bevorzugung der sprachlich-kommunikativen Handlungstypen Argumentieren und Berichten (Baumann 1992, 211⫺231) ⫺ das Überwiegen hypotaktischer Satzkonstruktionen und aktiver Verbalformen ⫺ die Verwendung von Zitaten als Aufhänger der Darstellung sowie zahlreicher semantischer und syntaktischer Stilfiguren. (6) Unter der Textsorte Aufklärungstext wird eine Gruppe von überwiegend illustrierten Texten im Umfang von 6 bis 20 Druckseiten verstanden, die sich v. a. durch folgende fachsprachlichen Phänomene auszeichnet: ⫺ eine ansprechende sprachliche Formulierung der Titel zur Verstärkung des Rezeptionsanreizes

⫺ die Darstellung des Inhaltes in Gesprächsform (Dialoge mit imaginären Partnern) ⫺ die Einbeziehung von tabellarischen Übersichten, Schemata, Graphen usw. ⫺ ein direktes Ansprechen des/der Kommunikationspartner(s) (Anredepronomen) ⫺ die bevorzugte Verwendung syntaktischer Stilfiguren (Kalverkämper 1996 a, 683 ff) ⫺ die Nähe des Fachvokabulars zur Allgemeinsprache. (7) Die publizistische Bedeutung der Textsorte Sachbuch nimmt gegenwärtig ständig zu. Als ein weitverbreiteter Typ populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte erhebt sie einen sprachästhetischen Anspruch, der sich nicht zuletzt auf die Einheit von Wort- und Bildtext sowie das ausgeprägte Zulassen individualistischer Besonderheiten stützt. Wissenschaftlicher Anspruch und schriftstellerische Eleganz gehen im Sachbuch eine einzigartige strukturell-funktionale Verbindung ein. Die grundlegende architektonische Einheit des Sachbuches ist das Kapitel. Sachbücher verfügen ebenso über Anmerkungsapparate, Namen- und Sachindizes sowie Literatur- und Sachverzeichnisse. Die bestimmenden Typen sprachlich-kommunikativen Handelns sind das Beschreiben, Berichten und Schildern. Sachbuchautoren verwenden ein reichhaltiges Repertoire semantischer und syntaktischer Stilfiguren und das für eine exakte inhaltliche Vermittlung notwendige Fachvokabular (Gläser 1990, 207 ff; Kalverkämper 1996 b, 117⫺176).

4.

Literatur (in Auswahl)

Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextsortenstilistik (dargestellt an historiographischen Fachtexten des Englischen). Egelsbach. Köln. New York 1992 (Deutsche Hochschulschriften 480). Baumann 1994 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Fachlichkeit von Texten. Egelsbach. Frankfurt/M. Washington 1994 (Deutsche Hochschulschriften 1023). Baumann 1997 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Textsorten und Kognition. In: B. Kovtyk (Hrsg.): Probleme des kommunikativ-funktionalen Fremdsprachenunterrichts (Konferenzband). MLU HalleWittenberg 1997, 4⫺17. Bergmann/Kleinert 1972 ⫽ Heinrich Bergmann/Jochen Kleinert: Zur Geschichte und Kultur des Alten Griechenlands. Berlin 1972. Borneto 1989 ⫽ Carlo Serra Borneto: Einsteins Relativitätstheorie. Strategien der Popularisierung vom Comics bis zum Sachbuch. In: Theo Bungar-

76. Fachsprachliche Phänomene in „populärwisseenschaftlichen“ Vermittlungstexten ten (Hrsg.): Wissenschaftssprache und Gesellschaft. Tostedt 1989, 350⫺366. Brockhaus 1923 ⫽ Brockhaus. Handbuch des Wissens in vier Bänden. 6. Aufl. Leipzig 1923. Eco 1994 ⫽ Umberto Eco: Die Suche nach der vollkommenen Sprache. München 1994. de Fontenelle 1989 ⫽ Bernard Le Bovier de Fontenelle: Philosophische Neuigkeiten für Leute von Welt und für Gelehrte. Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. Helga Bergmann. Leipzig 1989 (Reclams Universal-Bibliothek 1308). Geier/Huth/Wittich 1982 ⫽ Ruth Geier/Hella Huth/ Ursula Wittich: Verständlich und wirksam schreiben. Leipzig 1982. Gläser 1989 ⫽ Rosemarie Gläser: Wissenschaftssprache in der Erwachsenenbildung ⫺ dargestellt an Lehrbriefen der ,Open University‘ in Großbritannien. In: Theo Bungarten (Hrsg.): Wissenschaftssprache und Gesellschaft. Tostedt 1989, 333⫺349. Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). Hegel 1971 ⫽ Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. 3 Bände. Hrsg. v. Gerd Irrlitz. Leipzig 1971 (Reclams Universal-Bibliothek 491⫺493). Hoffmann 1976 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Berlin 1976 (Sammlung Akademie-Verlag 44 Sprache). Hoffmann 1984 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2., überarb. Aufl. Berlin 1984 (Sammlung AkademieVerlag 44 Sprache). von Humboldt 1903⫺1936 ⫽ Wilhelm von Humboldts gesammelte Schriften. 17 Bände. Hrsg. v. der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1903⫺1936. Im Hof 1993 ⫽ Ulrich im Hof: Das Europa der Aufklärung. München 1993. Kalverkämper 1996 a ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Kultur des literarischen wissenschaftlichen Dialogs ⫺ aufgezeigt an einem Beispiel der italienischen Renaissance (Galilei) und der französischen Aufklärung (Fontenelle). In: Hartwig Kalverkämper/Klaus-Dieter Baumann (Hrsg.): Fachliche Textsorten. Tübingen 1996 (Forum für Fachsprachen-Forschung 25).

735

Kalverkämper 1996 b ⫽ Hartwig Kalverkämper: Im Zentrum der Interessen: Fachkommunikation als Leitgröße. In: Hermes. Journal of Linguistics ˚ rhus 1996, 117⫺176. 16. A Knigge 1980 ⫽ Adolf Freiherr Knigge: Über den Umgang mit Menschen. Hrsg. v. Wolfgang Becker. Leipzig 1980 (Reclams Universal-Bibliothek 421). Köhler 1989 ⫽ Claus Köhler: Zeitungstexte im fachbezogenen Deutschunterricht? Zur fachsprachendidaktischen Bewertung populärwissenschaftlicher Texte. In: Deutsch als Fremdsprache 26. 1989, 226⫺232. Leese 1986 ⫽ John Leese: The Scots Larder. Glasgow 1986. Locke 1989 ⫽ John Locke: Bürgerliche Gesellschaft und Staatsgewalt. Sozialphilosophische Schriften. Hrsg. v. Hermann Klenner. Leipzig 1989 (Reclams Universal-Bibliothek 829). Poethe 1984 ⫽ Hannelore Poethe: Sprachlich-kommunikative Verfahren der Verstehenssicherung bei der Umsetzung naturwissenschaftlich-technischer Inhalte in allgemeinsprachlichen Texten. In: Wiss. Zeitschrift KMU Leipzig, Ges.- u. Sprachwiss. R. 33. 1984, 500⫺504. Pörksen 1986 ⫽ Uwe Pörksen: Deutsche Naturwissenschaftssprachen. Historische und kritische Studien. Tübingen 1986 (Forum für FachsprachenForschung 2). Rickheit/Strohner 1993 ⫽ Gert Rickheit/Hans Strohner: Grundlagen der kognitiven Sprachverarbeitung. Tübingen. Basel 1993 (UTB 1735). Seehase 1986 ⫽ Georg Seehase (Hrsg.): Englische Literatur im Überblick. Leipzig 1986 (Reclams Universal-Bibliothek 1117). Strohner 1990 ⫽ Hans Strohner: Textverstehen. Kognitive und kommunikative Grundlagen der Sprachverarbeitung. Opladen 1990. Thomas 1994 ⫽ Carmen Thomas: Ein ganz besonderer Saft ⫺ Urin. Köln 1994. Tilly 1993 ⫽ Charles Tilly: Die europäischen Revolutionen. München 1993. Voltaire 1984 ⫽ Arouet F.-M. Voltaire: Abbe´, Beichtkind, Cartesianer. Philosophisches Wörterbuch. Hrsg. v. R. Noack. Leipzig 1984 (Reclams Universal-Bibliothek 107). Walter 1997 ⫽ Beate Walter: The Handbook as a Mediator in LSP Communication. A Linguistic Approach to the Analysis of Computer Manuals. In: Dagmar Knorr/Eva-Maria Jakobs (Hrsg.): Textproduktion in elektronischen Umgebungen. Frankfurt/M. 1997.

Klaus-Dieter Baumann, Leipzig

736

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern 1. 2. 3. 4.

Forschungsstand Fachsprachen und ,politische Fachsprache‘ Untersuchungen fachsprachlicher Phänomene in politisch-öffentlichem Sprachgebrauch Literatur (in Auswahl)

1.

Forschungsstand

Der Forschungsstand zu den Objektbereichen Fachsprachen, Sprache der Politik und öffentlicher Sprachgebrauch wird von fünf Faktoren geprägt: (1) von unterschiedlichen Vorstellungen vom Gesamtumfang der unter Fachsprachen zu behandelnden Phänomene, (2) von divergierenden Auffassungen über die Abgrenzungen der Objektbereiche voneinander, (3) von unterschiedlichen Zuordnungen des politischen zum fachlichen Sprachgebrauch, (4) von heterogenen Erkenntniszielen und Methoden bei der Behandlung der Objektbereiche und (5) vom Überwiegen theoretischer Ausführungen gegenüber empirischen Analysen an einigermaßen repräsentativen Materialgrundlagen. Das zeigt, daß der Versuch, „den Standort der fachsprachlichen Forschung, ihre Ziele, ihren Gegenstand und ihre Methoden zu bestimmen“ (Hoffmann 1988 a, 19) ebenso noch nicht abgeschlossen ist wie die Integration des politischen Sprachgebrauchs in die Fachsprachenforschung. Letzteres wird dadurch dokumentiert, daß in Gesamtdarstellungen zur Fachsprachenlinguistik der Schwerpunkt auf einzelne Fachsprachen vor allem aus den Bereichen der Naturwissenschaften und Technik (Drozd/ Seibicke 1973), aber auch aus den Bereichen von Wirtschaft, Handwerk, Verwaltung und Kunst (Hoffmann 1987) gelegt, jedoch auf die Fachsprache der Politik nur gelegentlich eingegangen wird (Fluck 1976/1985, 75⫺79). Entsprechend wird in Gesamtdarstellungen zur ,Sprache der Politik‘ der Aspekt der Fachlichkeit einzelner sprachlicher Phänomene gar nicht behandelt (Klaus 1971) oder als marginal angesehen (Dieckmann 1969/ 1975, 47⫺52), weshalb auch in einer neueren Bibliographie ein Stichwort wie Fachsprache fehlt (Dieckmann/Held 1986). Auch in Lexikonartikeln wird der Bezug zwischen Fachsprache und politischem Sprachgebrauch nicht (von Hahn 1980; Straßner 1980) oder nur gelegentlich und mehr als Forschungsde-

siderat (Ehlich/Rehbein 1980) behandelt. Diesem Forschungsstand trägt die Formulierung der Überschrift des Handbuchartikels Rechnung, in der terminologische Festlegungen zwar bewußt vermieden, aber dennoch erforderlich sind, um der Thematik gerecht zu werden.

2.

Fachsprachen und politische Fachsprache

2.1. Fachsprachendefinitionen und ihre Grundlagen Bei der Definition der Fachsprachen stehen sich zwei mit der Geschichte der wissenschaftlichen Disziplin verbundene Extrempositionen gegenüber, eine enge und eine weite Auffassung vom Gegenstand der Fachsprachenforschung. In der älteren engen Definition wird die Fachsprache mit der Terminologielehre gleichgesetzt und auf die linguistische Ebene des Wortes begrenzt (Ischreyt 1965, 41; Drozd/Seibicke 1973, 36; so noch Hohnhold 1993, 128). Sie ist an die extern festgelegten Grenzen wissenschaftlicher Fachbereiche gebunden, erweist sich als eine Varietät neben anderen Varietäten innerhalb einer Einzelsprache und wird vor allem von der Gemeinsprache abgegrenzt (Seibicke 1959/ 1981; Möhn 1968/1981), die als Summe aller Varietäten im Sinne einer Gesamtsprache oder als statistische Durchschnittsmenge des Sprachbesitzes aller Individuen einer Sprachgemeinschaft aufgefaßt wird (Hoffmann 1984/1987, 48⫺51). Gemeinsame interne Merkmale gestatten es, die Fachsprache aus den Sprachformen in den Fachbereichen auszugrenzen. Zentral bleibt die Wortebene, gelegentlich erweitert um syntaktische Beobachtungen; die Textebene und textsortengebundene Unterschiede in Lexik, Syntax und Makrostrukturen werden als nicht relevant angesehen. Von der engen Fachsprachendefinition hebt sich eine jüngere weite ab, nach der eine Fachsprache „die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten“ bildet (Hoffmann 1976, 170; 1984/ 1987, 53; erneut aufgenommen in Hoffmann

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern

1982, 26 f; 1987, 92; 1988 a, 10; 1988 b, 21; 24; ähnlich bereits Bausch/Schewe/Spiegel (1976, 11 f, 15), jedoch in Verbindung mit dem Postulat, daß die Fachsprache „ein autonomes funktionales Sprachsystem“ sei, was Hoffmann 1982, 27 mit Recht ablehnt.) Die Erweiterungen des Objektbereichs betreffen einmal den Wechsel vom externen Merkmal der Fachbereichsgliederung zu dem der fachlich orientierten Kommunikationsbereiche, die Ausschnitte „aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit […], in dem die jeweilige Fachsprache verwendet wird“ (Hoffmann 1984/1987, 53), bilden. Zum anderen wird die Zahl der zu berücksichtigenden Sprechergruppen, die sich schriftlich und mündlich (Beier 1979, 276) äußern, ausgeweitet. War die Fachsprache zunächst ein „Mittel einer optimalen Verständigung über ein Fachgebiet unter Fachleuten“ (Schmidt 1969, 17), treten zu den Fachleuten „auch fachlich Interessierte“ (Möhn/ Pelka 1984, 26) hinzu, um schließlich Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlern (A), Wissenschaftlern und Technikern und wissenschaftlich-technischen Hilfskräften (B), Wissenschaftlern und wissenschaftlichen und technischen Leitern der materiellen Produktion (C), zwischen wissenschaftlichen und technischen Leitern der materiellen Produktion und Meistern und Facharbeitern/Angestellten (D) und zwischen Vertretern der materiellen Produktion und Vertretern des Handels und Konsumenten (E) zu berücksichtigen (Hoffmann 1984/1987, 66; zu zusätzlichen kommunikativen Konstellationen Kalverkämper 1983 a, 143; Brünner 1993, 740). Die Sprechergruppen (A) bis (D) entsprechen dabei der von Möhn/Pelka (1984, 26) vorgenommenen Unterscheidung von fachinterner und interfachlicher Kommunikation, d. h. der Kommunikation innerhalb der Fächer bzw. zwischen den Fächern. Von der fachinternen und interfachlichen Kommunikation heben Möhn/Pelka die fachexterne ab. Sie entsteht zwischen Fachleuten und Laien und in der massenmedialen Kommunikation in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen (Möhn/Pelka 1984, 150). Die Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien ist teilweise, jedoch nicht völlig in der Sprechergruppe (E) bei Hoffmann erfaßt, so daß sich eine noch weitere Ausdehnung der zu berücksichtigenden Sprechergruppen ergibt, die sich auch in der massenmedialen Kommunikation zeigt. Werden den Sprechergruppen Sprachformen zugeordnet, dann lassen sich nach den

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„ökonomischen Funktionszusammenhängen eines Faches“ (Bausch 1976, 125) seit Mackensen (1959, 295) in verschiedenen Relationen zur „Muttersprache“ Fachsprache (Gruppe A), Werkstättensprache (Gruppen B⫺D) und Verbrauchersprache (Gruppe E) unterscheiden. Bei dieser Zuordnung bleibt die Fachsprache an die Gruppe A gebunden, so daß sich nur einzelne Erweiterungen des engen Fachsprachenbegriffs ergeben. Seit Ischreyt (1965, 42), der nach den Tätigkeiten Entwicklung, Produktion und Distribution die Schichten Wissenschaftliche Fachsprache, Werkstättensprache und Verkäufersprache unterscheidet und den Technikern eine besondere Stellung einräumt, und Möhn (1968/ 1981, 196) werden alle drei Sprachformen „als Wissenschaftssprache, als Produktionssprache und als Verkaufssprache“ der Fachsprache zugeordnet, die somit als „komplexe Größe innerhalb fachlicher Grenzen“ erscheint. Terminologisch werden die drei Fachsprachenschichten von verschiedenen Autoren variiert (Bausch 1976, 125: Wissenschafts- oder Theoriesprache, fachliche Umgangssprache, Verteilersprache). Nach von Hahn (1973, 284; 1980, 392) reicht die fachliche Umgangssprache „vom saloppen Fachjargon bis zum internen Bericht oder der unmittelbaren Anweisung.“ Dabei bleibt die Varietät des Jargons undefiniert und wird auch in anderen Arbeiten wenig präzisiert. Nach von Polenz (1981, 86) bildet der Jargon eine stark gruppenorientierte und weniger gegenstandsorientierte Prestigeform, die Gruppenzugehörigkeit signalisiert (zustimmend Strauß-Zifonun 1985, 66 mit dem Ansatz einer Fach(Sub-)Sprache. Für Ellwein (1989, 63) bildet sich der Jargon „in den Fachpolitiken, den ihnen zugewandten Teilöffentlichkeiten und den auf sie bezogenen Wissenschaften“ aus; er findet ihn aber auch in Fraktionsarbeitskreisen, Parlamentsausschüssen und ähnlichen Gremien. Wodak (1989, 141 f) definiert Jargon “as group languages with specific functions: the function of establishing group identity, of consolidating the group vis-a`-vis the external world, of designating the group to outsiders, and, naturally, of communicating specific contents as well”. In den Zeitungen, in denen die Journalisten die „Position eines professionellen Mittlers“ einnehmen, und in anderen Feldern „des Austausches zwischen Fachwelt und Allgemeinheit“ in der Massenkommunikation unterscheidet Möhn (1979, 74; 77⫺79) die zehn idealtypischen „Vermittlungstextarten“ Werbetext, Gebrauchsanweisung/Bedienungsanleitung, Ratgebertext, Kurznachricht, Bericht/Reportage, Sachbuch, Rezension, Kommentar, Artikel in einem allgemein zugänglichen Lexikon, literarische Integrationstexte (literarische Nutzung fachlicher

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Wirklichkeit) mit jeweils spezifischen Funktionsabsichten. Von Hahn (1980, 392) ordnet die populärwissenschaftlichen Texte einer „Art Verteilersprache“ zu, die „eine Zwischenstellung zwischen Theoriesprache und Umgangssprache“ einnimmt.

Die gestuft verwirklichte Sprechergruppenausweitung wird auch in der jüngeren Fachsprachenforschung nicht allgemein akzeptiert. Während Möhn/Pelka (1984, 150) die fachexterne Kommunikation aus der Fachsprachendefinition ausklammern (so auch Hoberg 1989, 15), wird sie von Hoffmann (1984/1987, 66) und Strauß/Zifonun (1985, 62) ausdrücklich einbezogen. Noch weiter geht Kalverkämper (1990, 112), für den „alles Kommunizieren über die Gegenstände, Sachverhalte und Handlungszusammenhänge […] als fachsprachlich anzusehen“ ist und der bei seiner Orientierung an „Texten-in-Funktion“ in Analogie zu Hoffmanns (1987, 91) „Fachsprachen-in-Funktion“ von einer gleitenden Skala von Merkmalen der Fachsprachlichkeit ausgeht, die von merkmalreich bis merkmalreduziert reicht, jedoch noch zu ermitteln ist (Kalverkämper 1990, 125). Neben den externen Merkmalen, die zu einer vertikalen Gliederung der Fachsprachen führen, werden in der weiten Fachsprachendefinition die internen wesentlich erweitert. Die Fixierung auf die Wortebene wird verlassen, und alle sprachlichen Mittel von der Lexik über die Syntax und die Makrostrukturen bis hin zu den Textsorten werden zum Untersuchungsgegenstand (Möhn 1976, 29). Insgesamt folgt damit die Fachsprachenforschung der Entwicklung der Linguistik, vor allem orientiert sie sich am Objektbereich der Textlinguistik. Dabei übernimmt sie die auch dort noch ungelösten Klassifikationsprobleme (Hoffmann 1983, 1987; Kalverkämper 1983a, b; Gläser 1985). Daß der fachsprachliche Objektbereich zur Problemlösung besonders günstige Voraussetzungen besitze (Hoffmann 1982, 28; zustimmend Kalverkämper 1990, 116), ist nicht zu erkennen. Vielmehr entstehen durch die Textorientierung und die Weiterentwicklung zur auch semiotische Vertextungsmittel berücksichtigenden Fachtextpragmatik (Schröder 1993 a, XI; 1993 b, 195) und das Zurückstellen fach- und gemeinsprachlicher Unterscheidungen generelle Abgrenzungsprobleme zur Textlinguistik und anderen textbezogenen Forschungsrichtungen und methodologische Probleme bei der Entwicklung eines spezifischen fachsprachlichen Methodenkanons (Bungarten 1993, 21; 27; dazu allerdings Kalverkämper 1996).

Die Erweiterung der internen Merkmale führt zu einer expliziteren horizontalen Gliederung der Fachsprachen, ohne jedoch die bereits bei der engen Definition bestehenden Abgrenzungsprobleme zu beseitigen. Zur horizontalen Gliederung gehört das koexistierende Nebeneinander verschiedener Fachsprachen (wie Physik, Mathematik, Philosophie, Medizin, Chemie, Elektrotechnik, Bauwesen) und das Nebeneinander von Fachsprachen und anderen Varietäten wie Standardsprache, Schriftsprache, Umgangssprachen und Dialekte (Steger 1988) oder solchen wie Sprache der künstlerischen Prosa, Sprache der Poesie. Wie bei der engeren Definition bleibt die Relation zur Gemeinsprache, die als gleichrangige oder übergeordnete Varietät aufgefaßt wird (Möhn/Pelka 1984, 26; Hoffmann 1984/ 1987, 47⫺52; Strauß/Zifonun 1985, 56⫺60), problematisch; der Verzicht auf eine Zuordnung (Hoffmann 1988 a, 21; Kalverkämper 1980, 10; 1990, 106) ergibt sich nicht zwingend aus der textuellen und kommunikativen Ausrichtung der Fachsprachenforschung und ist keine Lösung (kritisch auch Ickler 1983, 151 Anm. 3). Zwar ist die Unterscheidung von Fach- und Gemeinsprache durch die Textorientierung „in funktionierenden Texten […] nicht vorherrschend relevant“ (Kalverkämper 1983 a, 145), sie kann aber nicht „völlig in den Hintergrund“ (Hoffmann 1982, 27) treten. Wenn in einzelnen fachlich und nicht-fachlich geprägten Kommunikationsbereichen anhand umfangreicher empirischer Untersuchungen Textsortentypologien aufgestellt werden und in den fachlich orientierten Textsorten auf verschiedenen linguistischen Ebenen Grade der Fachlichkeit ermittelt werden, dann muß dies auf einer höheren textsortenübergreifenden Abstraktionsebene zu einer präzisen Beschreibung von Fach- und Gemeinsprache führen.

2.2. Politischer Sprachgebrauch und Fachsprachen Eine Zuordnung des politischen Sprachgebrauchs zu den eng oder weit definierten Fachsprachen führt zu Identitäts- und Abgrenzungsproblemen. Relativ unproblematisch ist der Ansatz einer Fachsprache der Politik nur bei Kommunikationsformen im Fachbereich Politische Wissenschaften (Fleischer 1969, 475; Strauß 1986 b, 191), in dem von der Sprechergruppe A eine Wissenschafts- oder Theoriesprache verwendet wird. Dieser Sprachgebrauch ist jedoch kein zentraler Gegenstand von Untersuchungen politischer Kommunikationsformen, und eine Konzentration auf ihn ergäbe einseitige Ergebnisse, weil sich der Kommunikationsbereich ,Politik‘ nicht auf ihn einschränken läßt. Die Abgrenzungsprobleme entstehen dadurch, daß die ,Politik‘ viele „Teilgebiete“ umfaßt, die in sich „vielfältig […] geschichtet“ sind (Fluck 1975/1985, 75). Die Politik

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern

hat es nicht mit einem homogenen Sachgebiet, sondern mit verschiedenen „verwalteten Sachgebieten“ wie Wirtschaft, Finanzwesen, Technologie, Forschung, Familienrecht zu tun (Bachem 1979, 13; ähnlich Bergsdorf 1985 b, 186). Daher kann die Schichtung des Politischen auch nicht mit der an der Technik erprobten Einteilung in Entwicklung, Produktion und Distribution/Verteilung erfaßt werden. Es handelt sich nicht ausschließlich um eine vertikale Schichtung (Gruppen A⫺E) innerhalb einer Fachsprache der Politik, sondern im politischen Sprachgebrauch werden die Fachsprachen der verwalteten Sachgebiete in einer spezifischen Auswahl verwendet (vgl. 3.3.) und mit Kommunikationszielen verbunden, die sich nicht in der optimalen Verständigung zwischen in der Politik tätigen Menschen erschöpfen (vgl. 2.3.). Aus der Besonderheit des politischen Sprachgebrauchs werden verschiedene Konsequenzen gezogen. Bereits Dieckmann (1969/1975, 86 f; ebenso Fleischer 1969, 483) lehnt die Annahme einer einheitlichen Fachsprache der Politik ab (zustimmend Fluck 1976/1985, 75; Strauß 1986 b, 191; Gruber 1989, 48; Ellwein 1989, 58). Er geht vielmehr neben lexikalischen Gliederungen (vgl. 3.3.) handlungsorientiert von den „Redesituationen in der politischen Kommunikation“ aus, weist auf „funktionsbedingte Unterschiede“ hin und unterscheidet nach ihnen Institutions-, Verwaltungs-, Verhandlungsund Überredungssprache, wobei er sich auf die vier politischen Sprachstile („hortatory, legal, administrative, and bargaining language styles“) Edelmanns (1964, 133) bezieht. Als Folge dieser Einteilung werden fachsprachliche Phänomene nicht primär untersucht, sondern sekundär in bezug auf politisch behandelte Sachgebiete und ihre Verbindung mit „dem Vokabular der Ideologiesprache“ (Dieckmann 1969/1975, 48; ähnlich Matouschek 1992, 46 f). Unter explizitem Bezug auf Dieckmann und im Zusammenhang einer Untersuchung „schwerer Wörter“ spezifiziert Strauß (1986 b, 166 f) den handlungstheoretischen Ansatz. Der „Handlungsraum der Politik“ ist für ihn der „Gesamtbereich politischen, d. h. sprachlichen oder sprachlich vermittelten, auf Staat, Gesellschaft und Öffentlichkeit bezogenen Handelns“. In ihm unterscheidet er eine politische Außen- und Binnenkommunikation; innerhalb der Außenkommunikation trennt er zwei Teilbereiche, die „öffentlich-politische Kommunikation als dem Raum der politischen Auseinandersetzung, Diskussion und Propaganda“ (Typ I) und die „öffentlichkeitsbezogene, administrativ geregelte Kommunikation zwischen Bürger und Behörde“ (Typ II); die Binnenkommunikation ist für ihn der „Raum der institutionsinternen Kommunikation und der Kommunikation zwischen den Institutionen“ (Typ III) (Strauß 1986 b, 150).

739

Unter fachsprachlichem Aspekt, der bei Strauß (1986 b, 159; 162; 164 f) im Rahmen einer Schwereskala der Wörter berücksichtigt ist, entspricht der Typus III der fachinternen bzw. interfachlichen Kommunikation und der Typus II der fachexternen. Hoberg (1989, 15) möchte beide Typen nicht dem Bereich der politischen Sprache zuordnen, sondern als Verwaltungs- und Verteilersprache innerhalb der Fachsprachenforschung behandeln. Lediglich im Typus I sieht er keine Fachsprache, sondern eine eigenständige politische Sprachform, in der aber ebenfalls fachsprachliche Elemente vorkommen, deren Bedeutung sich aus dem Bezug zu den Fachsprachen ergibt.

2.3. Politischer Sprachgebrauch und Öffentlichkeit Die fachliche oder nicht-fachliche Gliederung des politischen Sprachgebrauchs wird in entscheidender Weise vom Öffentlichkeitsbezug geprägt. Im Hinblick auf Kommunikationsakte können mit Steger/Deutrich/Schank/ Schütz (1974, 74 f; 83 f) öffentliche, halb-öffentliche, nicht-öffentliche und private unterschieden werden. Ein öffentlicher Bereich liegt immer dann vor, wenn keiner der denkbaren Partner von der Teilnahme an der Kommunikation grundsätzlich ausgeschlossen ist. Dies gilt für alle durch Massenmedien (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen) vermittelten Äußerungen, für die Verhandlungen in Parlamenten, wo die Öffentlichkeit prinzipiell zugelassen ist (Simmler 1978, 38) und für Reden und Vorträge vor einem größeren Publikum unter Beteiligung von Massenmedien. Ein halb-öffentlicher Bereich ist vorhanden, wenn eine bestimmte Gruppe angesprochen ist, die Medien aber an der Versammlung teilnehmen dürfen. Dies ist bei Parteiversammlungen unterschiedlicher Größenordnung (Bundespartei bis Ortsverband) der Fall. In der Fachsprachenforschung (vgl. 2.1.) ist der Öffentlichkeitsbezug nur in der fachexternen Kommunikation (Gruppe E) gegeben, doch wird damit die Besonderheit des politischen Sprachgebrauchs nicht vollständig erfaßt. Nach Dieckmann (1981 b, 137⫺140) besteht die Besonderheit des öffentlich-politischen Sprechens und Schreibens in Demokratien nicht nur darin, daß „die Bürger oder Teile der Bürgerschaft in der kommunikativen Beziehung präsent sind“, sondern darin, daß es eine gemeinsame Funktion bei den verschiedenen Kommunikationsformen gibt. Sie zeigt sich in der Persuasion, d. h. darin, in der politischen Außenkommunikation beim Bürger eine „Zustimmung für politische Ziele, Programme, Maßnahmen zu erlangen“, wobei der Terminus Persuasion ⫺ entgegen häufiger Praxis (u. a. Strauß 1986 b, 170) ⫺ weder negativ noch positiv

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

bewertete Verhaltensweisen meint, sondern „wertneutral“ verwendet wird. Persuasion erscheint „als Rede des Politikers auf einer Wahlversammlung, als Flugblatt der Gewerkschaft oder des Arbeitgeberverbandes vor den Toren eines bestreikten Betriebs, als Parlamentsdebatte, als Fernsehinterview eines Parteivorsitzenden, als Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums“. Die persuasive Funktion in Politikerreden, die zum öffentlichen Bereich gehören, wird allgemein gesehen (Bochmann/Erfurt/Hopfer 1986, 9; Volmert 1989, 21; 29; Muhr 1992, 71 f; Matouschek 1992, 45), jedoch in Abgrenzung vom Kommunikationsziel der Verständigung, das in Fachsprachen zentral ist, unterschiedlich bewertet. Während Bergsdorf (1978, 49) die Funktion, „Verhaltensweisen von Menschen zu beeinflussen, praktisches Verhalten zu bestärken oder es durch neue Verhaltensmaßstäbe zu verändern und abzulösen“ positiv würdigt (ebenso Bergsdorf 1985 b, 187) und hervorhebt, daß die „Dämonisierung der politischen Sprache […] die Problematik des politischen Sprechens in ihrem Kern“ verfehlt (Bergsdorf 1991, 19), sieht Holly (1985, 198) negative Aspekte darin, daß „Verschleierung und Manipulation möglich werden“, weil „das Ziel der Verständigung geopfert wird und die Beeinflussung nur [sic] Erfolg hat, weil eben nicht alle alles verstehen“. Von Kopperschmidt (1989, 216; 1990, 271⫺275) wird die persuasive Funktion öffentlicher Rede in Beziehung gesetzt zur demokratischen Gesellschaftsstruktur (ähnlich bereits Grünert 1985, 81 f). Durch diese haben sich im Vergleich zur antiken Gesellschaft und der an ihr entwickelten Rhetoriktheorie die Orte öffentlicher Rede ebenso verändert wie die Rede-Stile, die Rede-Formen, die Verbindlichkeit religiöser Weltbilder und die Möglichkeiten der Problemreflexion und Problemlösung. Dies führt zur Pluralisierung der Redestile, und der politischen Ziele und zur Notwendigkeit von Persuasion. Eine Auswirkung zeigt sich in der Wahlkampfsprache der Parteien, die „deutlicher Ausdruck der politischen (Konflikt-)Kultur in einer Gesellschaft“ ist und sich durch Ideologisierung, Personalisierung, Ritualisierung, Polarisierung und Simplifizierung auszeichnet (Gruner 1990, 165). Weniger deutlich ist die Persuasion in Kommunikationsformen ausgeprägt, die in Massenmedien vermittelt werden. Für jedes Sprechen in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen, „das intern als Zweier- oder Gruppengespräch (Rundgespräche, Pro und Contra, Frühschoppen etc.) organisiert ist“, gilt, daß der „zuschauende oder zuhörende Dritte“ für die Kommunikationsform konstitutiv und das Sprechen „intentional doppelt adressiert“ ist, so daß eine „trialogische Kommunikation“ entsteht (Dieckmann 1981 d, 218). Dieser „Dreiecksstruktur der kommunikativen Beziehungen“ sind sich die „Interaktanten der Binnenkommunikation“ durchaus bewußt und setzen ihre sprachlichen Mittel im Hinblick auf den „gemeinten Adressaten“ persuasiv oder mit anderen Intentionen ein (Dieckmann 1985 b, 54 f).

Eine Dreiecksstruktur sieht Holly (1985, 197) auch bei Parlamentsdebatten gegeben (so auch K. P. Klein 1985, 395; Volmert 1989, 77; Burkhardt 1993, 165). Daher analysiert er die Debattenbeiträge nicht primär unter dem Aspekt ihrer parlamentarischen Funktionalität (so Simmler 1978, 41 f), sondern erkennt in Parlamentsdebatten primär „Selbstdarstellungen rivalisierender Parteien“ und schließt auf einen generellen „Inszenierungscharakter“ politischer Kommunikation (so auch Holly 1990 a, 55⫺59). Erst wenn die Bürger diesen auch vorhandenen Inszenierungscharakter nicht erkennen, was häufig ohne Prüfung vorausgesetzt wird, kann die These formuliert werden, daß in Inszenierungen „positiv bewertete Sprachhandlungsmuster wie INFORMIEREN oder DISKUTIEREN benutzt werden, um die eigentlich angestrebten Muster, WERBEN und LEGITIMIEREN, zu verpacken“ (Holly 1985, 197), und erst dann bestehen Möglichkeiten zur Manipulation. Die Persuasion ist auch im Massenmedium der Zeitung gegeben, explizit in kommentierenden Textsorten (Wiesemann 1986), weniger explizit in informierenden Textsorten (dazu Lüger 1983, 66; 82). Mit Recht weist daher Bucher (1991, 3) darauf hin, daß das „Wissen, daß man mit der Presseberichterstattung nicht nur über Politik informieren, sondern, insbesondere in gesellschaftlichen Konfliktsituationen, auch Politik machen kann […] fast so alt wie die Presse selbst“ ist (ähnlich bei der Behandlung ,sozialistischer‘ journalistischer Texte Hopfer (1986, 34 f). Pressespezifische informationspolitische Möglichkeiten sind u. a. „die Themabehandlung in der Berichterstattung einer Zeitung, bis hin zur Themenkampagne […], das Aufgreifen von Beiträgen aus anderen Bereichen der öffentlichen Kommunikation […], die Konstituierung von Gegenständen für die öffentliche Kommunikation […], die Synchronisation der Presseberichterstattung und anderen öffentlichen Kommunikationsverläufen, z. B. im politisch-parlamentarischen Bereich“ (Bucher 1991, 34 f). Ausgehend von der persuasiven Funktion im politisch-öffentlichen Sprachgebrauch, werden einzelne Äußerungen einer linguistischen Sprachkritik unterzogen und mit Postulaten einer politischen Kultur (Seck 1991, 29⫺52), einer Sprachkultur und einer kommunikativen Ethik (Heringer 1982, 27⫺ 31) konfrontiert. Zur Sprachkultur gehört nach Zifonun (1984, 62), daß „Kommunikation und Verständigung ermöglicht und gefördert werden, Kommunikationskonflikte vermieden werden bzw. ihre Beseitigung oder zumindest die Klärung konträrer Standpunkte ermöglicht wird“. Kuhn (1986, 8) erwartet von einer entfalteten Sprachkritik „eine Kultivierung des politischen Sprechens“. Nach Heringer (1986, 4) gehört es zur kommunikativen Ethik, „aufrichtig, wesentlich, informativ und verständlich“ zu sein. Dabei stützt sich Heringer (1982, 28; 1990 b, 32) explizit auf die Griceschen Maximen, die „für alle kommunikativen Handlungen“ (Heringer 1990 a, 83) gelten sollen (ähnlich Straßner 1991 b, 125). Bei diesen Untersuchungen

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern besteht die Gefahr, daß die Sprachwissenschaft ihre Erkenntnismöglichkeiten von manipulativen Praktiken (Latniak 1986, 33) überschätzt, daß sie mit dem Anspruch von „rigidesten moralischen Forderungen“ (Heringer 1990 a, 187) das eigene Fach überfordert, daß sie mit dem Bedauern von Wertungsverzichten (Dieckmann 1981 a, 23; 32 f; Latniak 1986, 31) und dem Betonen der Notwendigkeit eines eigenen politischen Standpunktes innerhalb einer wissenschaftlichen Analyse (Januschek 1985, 18; Jung/Lange/Walther 1985, 239) den Rahmen des spezifisch Sprachwissenschaftlichen (Kleining 1991, 258 f) verläßt und selbst einem politisch verständlichen „Entrüstungsmechanismus“ (Straßner 1991 a, 116) verfällt. Es kann aber nicht Aufgabe der Sprachwissenschaftler sein, unter dem Anspruch einer fachwissenschaftlichen Analyse als politisch Handelnde aufzutreten.

Insgesamt zeigt sich eine Vielfalt des politisch-öffentlichen Sprachgebrauchs, die potentiell mit fachsprachlichen Phänomenen verbunden sein kann. Um sie erfassen zu können, ist eine Verbindung mit dem weiten Fachsprachenbegriff notwendig. Im folgenden geht die Vorstellung der bisher erzielten Ergebnisse von den größten Einheiten, den Textsorten mit ihren Makrostrukturen, aus und schreitet über Syntax und Lexik bis zur Morphologie fort. Neben generellen Ergebnissen wird der explizite oder fehlende fachsprachliche Bezug aufgezeigt, wodurch sich Forschungslücken und -desiderate leichter darlegen lassen.

3.

Untersuchungen fachsprachlicher Phänomene in politischöffentlichem Sprachgebrauch

3.1. Textbezogene Untersuchungen Bei den textbezogenen Untersuchungen lassen sich drei Gruppen von Arbeiten unterscheiden. Die erste wird von solchen gebildet, die generelle Definitionen mit Aufzählungen von Textklassifikationen verbinden; die zweite besteht aus solchen mit mehr oder weniger umfangreichen Textsortentypologien und die dritte aus Einzeluntersuchungen vor dem Hintergrund einer nicht vorhandenen oder ungesicherten Gesamtsystematik. In den Analysen der ersten Gruppe werden Definitionen des Fachtextes und des politischen Textes angestrebt. Dabei wiederholen sich einmal die Abgrenzungsprobleme zwischen Fachsprachenforschung im Sinne einer Fachtextlinguistik und der Textlinguistik mit ihren verschiedenen Richtungen, zum anderen bleibt der Bezug zwischen politischem Text und Fachtext ungeklärt.

741

Für Hoffmann (1983, 14) ist der Fachtext „Instrument und Resultat der im Zusammenhang mit einer spezialisierten gesellschaftlich-produktiven Tätigkeit ausgeübten sprachlich-kommunikativen Tätigkeit; er besteht aus einer endlichen, geordneten Menge logisch, semantisch und syntaktisch kohärenter Sätze (Texteme) oder satzwertiger Einheiten, die als komplexe sprachliche Zeichen komplexen Propositionen im Bewußtsein des Menschen und komplexen Sachverhalten in der objektiven Realität entsprechen.“ Aus der Definition wird deutlich, daß ein einzelnes Textexemplar beschrieben wird und nicht eine Textsorte, obwohl von Hoffmann anerkannt wird, daß „die eindeutige Klassifizierung wissenschaftlicher und technischer Texte auf Grund dominierender differentieller Merkmale […] eine der entscheidenden Voraussetzungen für die erfolgreiche Lösung spezifischer Kommunikationsaufgaben“ bildet. Eine solche Klassifizierung kann aber nur zu verschiedenen Textsorten führen, nicht aber zu einer einzigen „Textsorte ,fach(sprach)liche Texte‘ “ (Kalverkämper 1983 a, 142). Mit Recht lehnt Hoffmann (1983, 14 f) eine „Fixierung von Textsorten auf der Grundlage einer Typologie der Intentionen, der Textfunktionen, der Kommunikationsverfahren, der Darstellungsarten oder der komplexen Handlungsmuster“ ab, weil sie „der Vielfalt der fachsprachlichen Prosa nicht in vollem Umfang gerecht“ werden und „nur selten scharf voneinander abzugrenzen“ sind. Sein Rückgriff auf „in der Erfahrung gegebene[n] Fachtextsorten“ wie „Hochschullehrbuch, Lehrbrief, Nachschlagewerk, Zeitschriftenaufsatz, Praktikumsanleitung, Aufgabensammlung …, Vorankündigung, Rezension, Resümee, Abstract …, Klappentext …, Patentschrift, Gebrauchsanweisung …, Plan, Prospekt, Direktive …, Bericht, Protokoll …, Programm, Vortrag, Diskussionsbeitrag …, Würdigung, Nachruf …, Arbeitsschutzbestimmung, Norm, Standard, Empfehlung …, Verfassung, Statut, Gesetz, Vertrag, Anweisung, Ausführungsbestimmung, Verfügung, Mitteilung …, Lebenslauf, Beurteilung, Empfehlung …, Antrag, Brief, Bestätigung, Absage, Bestellung, Rundschreiben …, Reparaturanleitung, Krankenbericht usw. usf.“ reicht jedoch nicht aus und ist bestenfalls in der Lage, das Ausmaß des noch zu Leistenden anzudeuten. Jeder Sprecher/ Schreiber hat zwar so etwas wie eine Kompetenz zur Klassifizierung von Textexemplaren, doch beruht diese auf intersubjektiv nicht nachprüfbaren Kriterien, da sie nach nicht reflektierten unterschiedlichen Merkmalen erfolgt, die Merkmale weder einheitlich noch hierarchisch geordnet sind und die Klassifikation jegliche Hierarchisierung nach Gruppen, Typen, Varianten, Subvarianten und eine Unterscheidung von Textexemplaren und deren Teilen vermissen lassen (vgl. Simmler 1993 a, 356⫺ 359; Simmler 1993 b, 194⫺197; Simmler 1996). Ähnliche Probleme wie bei der Definition des Fachtextes treten auf, wenn eine generelle Definition des politischen Textes wie bei Bochmann/Erfurt/Hopfer (1986, 9 f) versucht wird. Nach ihnen

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

ist ein politischer Text „ein Element politischer Aktivität und bezieht aus dieser die Spezifik seiner Kommunikationsbedingungen: er ist ideologisch determiniert und in seinen konkreten Formen und Funktionen historisch-gesellschaftlichen Wandlungen unterworfen. Sein Gegenstand ist die Politik, Sender und Empfänger zeichnen sich durch Kollektivität aus, seine Hauptfunktion besteht in der Einflußnahme auf das kollektive Bewußtsein mit dem Ziel, unmittelbar Handlungsdisponibilität auszulösen oder Handlungen zu erreichen. Das erklärt sowohl den Öffentlichkeitscharakter wie auch die spezifische semantische, pragmatische und sigmatische Relation, bei welcher zwischen Gesagtem, Gemeintem und Realem Spannungsverhältnisse bestehen und genutzt werden können. Seine wissenschaftliche Analyse ist vollständig nur in der Kombination von gesellschaftstheoretischen, kommunikationswissenschaftlichen und linguistischen Methoden und Erkenntnissen möglich.“ Ferner ist der politische Text eine „Klasse von Texten, die sich in sehr unterschiedlichen Textsorten realisiert“. Der Text bezeichnet hier sowohl ein Textexemplar als auch eine generelle, fast universelle Einheit und wird von der Textsorte, deren Analyse ausgespart bleibt, abgehoben. Bei Erfurt (1986, 63⫺66) tauchen die Textsorten nach Funktionstypen gegliedert als „Formen politischer Texte“ auf und werden wie bei Hoffmann intuitiv als Anordnung, Losung, Einsatzbefehl, Wahlbenachrichtigung; Gesetz, Verfügung; öffentliche Rede; Vertrag, Verfassung, Vereinbarung, Kommunique´, Interview, Parlamentsdebatte, diplomatische Note, Korrespondenz; Ansprache, Flugblatt, Petition, Klageschrift, Beschwerdeschrift aufgezählt bzw. als Texte der politischen Publizistik und Wahlpropaganda und der massenmedialen Kommunikation zusammengefaßt, ohne eine nur einigermaßen homogene Systematik erkennen zu lassen.

In der zweiten Gruppe von Untersuchungen finden sich solche zum politisch-öffentlichen Sprachgebrauch. Sie werden unabhängig von der Fachsprachenforschung und ihren Problemen mit verschiedenen Methoden und Erkenntniszielen durchgeführt, wirken jedoch in unterschiedlichem Maße auf die Fachsprachenforschung ein. Simmler (1978, 42⫺44) untersucht den politisch-öffentlichen Sprachgebrauch zum Thema der Deutschlandpolitik in der Organisationseinheit des Deutschen Bundestages mit einem externe und interne Merkmale gleichermaßen berücksichtigenden kommunikationstheoretischen Ansatz mit dem Erkenntnisziel, Textsorten und Redesorten als Einheiten der langue zu ermitteln (zur theoretischen Grundlegung Simmler 1984). Er klammert andere Formen des politisch-öffentlichen Sprachgebrauchs bewußt aus und kommt zu insgesamt 13 Textsorten und 14 Redesorten (dazu Tab. 1⫺4 auf S. 55; 70; 189 f; 503 f; ferner Simmler 1983). Neben der auch fachsprachlich relevanten Textsorten-/Redesorten-

Typologie sind weitergehende fachsprachliche Bezüge nicht intendiert, können jedoch angeschlossen werden, da u. a. die Textsorten der Gesetzentwürfe und Vertragsentwürfe eine juristische Fachsprache enthalten, die in den Debattenbeiträgen in unterschiedlicher Weise aufgenommen wird. Während sich Simmler auf einen Kommunikationsbereich beschränkt, möchte Tillmann (1989, 48⫺64) eine generelle „Taxonomisierung der Textsorten politischer Sprache“ vornehmen. Dabei will er sich auf genuine politische Textsorten beschränken, das sind solche, die „ausschließlich von politisch Handelnden zum Zweck der parteilich-politischen Kommunikation realisiert“ werden. Er hebt sie von den nicht-genuinen politischen Textsorten ab, die er in den Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen, der Jurisprudenz und der Publizistik verweist. Methodisch stützt er sich auf einen sprechakttheoretischen Ansatz, indem er deduktiv „die potentiellen kommunikativen Intentionen politischen Sprechens“ festlegt und mit ihnen die ebenso ermittelten „Zwecke politischer Texte“ korreliert. Insgesamt kommt er zu 20 Textsorten, von denen trotz des anderen Ansatzes sechs direkt und vier indirekt (wegen fehlender weiterer Klassifizierung) mit Simmlers Ergebnissen übereinstimmen. Die übrigen zehn Textsorten (Koalitionspapier, Parteiprogramm, Parteitagsbeschluß, Parteitagsrede, Regierungsprogramm, Wahlaufruf, Wahlkampfmotto, Wahlkampfrede, Wahlkampfslogan, Wahlprogramm) spielen in der Organisationseinheit des Deutschen Bundestages keine Rolle. Warum jedoch die Textsorten mündlicher Ausschußbericht, persönliche Bemerkung, Fragestunde und Aussprache keine genuin politischen Textsorten sein sollen, bleibt unbegründet. Fachsprachliche Aspekte und solche der Skalierung fachlicher Phänomene in verschiedenen Textsorten spielen keine Rolle und können mit dem gewählten sprechakttheoretischen Ansatz auch kaum verbunden werden. Ebenso wie Tillmann verfolgt Strauß (1986) einen handlungstheoretischen, wenn auch nicht ausschließlich sprechakttheoretischen Ansatz, faßt aber den Bereich des politisch-öffentlichen Sprachgebrauchs wesentlich weiter (vgl. 2.2.). Sein Erkenntnisziel ist eine deduktive Klassifizierung von Texten-in-Funktion in Verbindung mit einer Ermittlung von Fachlichkeitsgraden im Rahmen einer Analyse „schwerer Wörter“. In einem ersten Ansatz (Strauß 1986 a, 4 f; 8; 29 f; 35; 49⫺60) unterscheidet er Sprachspiele, kommunikative Verfahren und pragmatischen Textgehalt, wobei Texte „statische Produkte eines bestimmten Sprachspiels […] in Realisierung eines bestimmten kommunikativen Verfahrens, das in diesem Sprachspiel ,mitspielt‘ “ sind. Sprachspiele erscheinen als „der konkrete Ort, in dem bestimmte Interaktionen mit bestimmten Interaktionspartnern, die bestimmte Rollen, ein bestimmtes gemeinsames Wissen, bestimmte Aufgaben und Interessen haben, stattfinden“. Kommunikative Verfahren sind „Aktivitäten/ Handlungsfolgen, die ⫺ von den Beteiligten ⫺ un-

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern ter einer gewissen Zielsetzung begriffen werden, als Antworten auf spezifische Problemsituationen fungieren und der Handlungskoordination zum Zwecke der Problemlösung dienen“; sie bilden eine „makrostrukturelle Charakterisierung von Texten“. Unter pragmatischem Textgehalt ist eine „mikrostrukturelle Differenzierung von Texten“ nach „Sprechhandlungs-/Darstellungs-/Wirkungsarten“ zu verstehen; sie ist ausschließlich satzorientiert und bezieht sich in Anlehnung an von Polenz (1985, 93) „auf Komponenten des Satzinhalts“, die ⫺ anders als bei von Polenz ⫺ einfach auf Texte übertragen werden. Als erstes Ergebnis werden vier Sprachspiele, zehn kommunikative Verfahren und 21 „Texte/Textsorten“ vorgestellt, wobei das Verhältnis von Text zu Textsorte nicht deutlich wird. In einem zweiten Ansatz (1986 b, 195⫺206) werden drei Funktionsbereiche (s. 2.2.), neun Sprachspiele, 16 Textsortenklassen und 79 Textsorten präsentiert. Die Textsortenklassen erweisen sich dabei als Bündel kommunikativer Verfahren; der klassifikatorische Erkenntniswert von Textsortenklassen wie „Öffentliche bzw. öffentlich vermittelte Debatten, Beratungen, Diskussionen zwischen politischen Gruppen/Parteien/politischen Akteuren in staatlichen (parteipolitischen z. T. kontrovers zusammengesetzten) Institutionen/Staatsorganen (auf der politischen ,Bühne‘)“ bleibt gering. Weiter ungeklärt bleibt das Verhältnis von Text zu Textsorte; daher können auf verschiedenen Klassifikationsebenen liegende Äußerungen wie „Wahlrede“ bzw. „Parteioffizielle Broschüren/Parteiblätter, -zeitung“, ferner „Pressemitteilungen der Parteien“ oder „Bundestagsdebatte und Reden im Bundestag“ als jeweils eine einzige Textsorte erscheinen. Trotz des weitergehenden Anspruchs und des größeren terminologischen Aufwandes erhalten die Textsortenangaben bei Strauß keinen höheren, intersubjektiv nachvollziehbareren Stellenwert als die aus Erfahrungswerten gewonnenen Aufzählungen bei Hoffmann. Die ungesicherte Textsortentypologie (dazu auch Holly 1990 a, 38) tangiert auch die Zuordnung von fachlich geprägten politischen Textsorten. Bei ihr verbindet Strauß (1986 b, 185 f) die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie mit derjenigen in drei Funktionsbereiche (s. 2.2.). Das Zentrum besteht aus den das verfassungsmäßige Fundament für die politischen Kommunikationsbereiche bildenden Textsorten Grundgesetz, Verfassung, Satzung und Geschäftsordnung. Um es lagern sich zur Peripherie hin die Binnenkommunikation mit Textsorten wie Verfügung, Erlaß, Dienstanweisung, Bericht, die politische institutionsexterne Außenkommunikation zwischen Behörden und Bürgern mit Textsorten wie Verwarnung, Verfügung, Urkunde, Bescheid und die öffentlich-politische Außenkommunikation zwischen Politikern und Bürgern mit Textsorten wie Kommentar, Leitartikel, Interview, Diskussion, Wahlprogramm, Wahlrede, Parlamentsdebatte. Dies geschieht in der Form konzentrischer Kreise „nach dem Grad der abnehmenden internen Fachsprach-

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lichkeit und des zunehmenden Öffentlichkeitsbezuges“. Dabei existieren zwischen den einzelnen Bereichen sachliche und sprachlich-lexikalische Verbindungen und Übergänge, die im Rahmen einer Skalierung der Fachlichkeit dargestellt werden können und deren Analyse auf allen linguistischen Ebenen weiterhin ein Desiderat bleibt.

Bei den Einzeluntersuchungen in der dritten Gruppe geht es nicht um eine vollständige Beschreibung einer Textsorte und ihres Fachlichkeitsgrades, sondern um einzelne Probleme innerhalb eines handlungstheoretischen Ansatzes. Besonders häufig werden politische Fernsehdiskussionen und Interviews in Rundfunk und Fernsehen behandelt. Bei den Diskussionen stehen der Inszenierungscharakter (s. 2.3.) und die mit ihm verbundenen sprachlichen Mittel im Vordergrund (Dieckmann 1985 b; Ludger Hoffmann 1985; Kindt 1985; Rehbock 1985; Holly/Kühn/Püschel 1986, 22 f; J. Klein 1989 a; Rütten 1989). Bei den Interviews geht es vor allem um die Formen und Funktionen der Selbstdarstellung durch Politiker und darum, die Dominanz der Meinungsdarstellung gegenüber Information und Kritik hervorzuheben (R.-R. Hoffmann 1982, 150 f; Holly 1990 b, 1992). Lediglich Holly erwähnt kurz die Rolle der Fachsprache beim Sprechakt des Renommierens mit Hilfe fachsprachlicher Ausdrücke (Holly 1985, 200 f) bzw. bei der „Mischung bzw. Nivellierung von Textsortenstilen“, was typisch sei für den „Versuch der Vermittlung zwischen den verschiedenen Publikumsschichten“ (Holly 1990 b, 514 f), führt dies aber nicht weiter aus. Neben Diskussion und Interview spielen verschiedene Formen von Reden unter dem Aspekt der Argumentationsstrategien eine größere Rolle. Dabei hebt Kalivoda (1986, 23; 31) die parlamentarischen Reden mit ihrer Parteilichkeit und Herrschaftsbestimmtheit von den Idealisierungen eines herrschaftsfreien und rationalen Diskurses ab. Während bei Kalivoda fachsprachliche Phänomene nicht behandelt werden, geht Gruber (1989, 47; 61) explizit auf sie ein. Anhand einer Rede des österreichischen Bundespräsidenten Kirchschläger und der Berichterstattung darüber (beide im Fernsehen) möchte er zeigen, „wie fachsprachliche textuelle Strukturen ideologisch funktional eingesetzt und im Zuge der Medienberichterstattung vollends verschleiert werden können“. In der Rede ist nach ihm eine Verbindung von Makrostrukturen der klassischen rhetorischen Form der judizialen Parteirede (exordium, Kernteil, peroratio) mit juristischem Fachvokabular (u. a. Kriegsverbrecherkommission, Zeugen, Urteil) und militärischer Terminologie (u. a. Oberleutnant, Abwehroffizier, IC Abteilung des Generalstabs) vorhanden; der Bericht enthält als Makrostrukturen eine Anmoderation, Originalausschnitte aus der Rede und zusammenfassende

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Teile und einzelne Elemente des juridischen Fachvokabulars, während die militärische Terminologie völlig weggelassen ist, d. h. zwischen beiden Textsorten besteht eine abnehmende „Abstraktionsstufe des fachsprachlichen Ausdrucks“. Die Grade der Fachsprachlichkeit beziehen sich hier auf den Gesamtumfang der Fachlexik, müßten aber noch stärker über die Aspekte der Auswahl, der Frequenz und Distribution und der Verbindung mit anderen textuellen Merkmalen wie Makrostrukturen abgesichert werden. Dies gilt auch für die mehr behaupteten als tatsächlich nachgewiesenen Formen der Manipulation.

3.2. Syntaktische Untersuchungen In den syntaxbezogenen Arbeiten können drei Positionen unterschieden werden. Nach der ersten zeichnen sich Fachsprachen nicht durch eine spezifische Syntax aus, sondern lediglich durch eine besondere Auswahl, Frequenz und Distribution einzelner syntaktischer Kategorien aus dem Sprachsystem (De Cort 1983, 51). In einer zweiten wird eine spezifische Syntax angenommen und eine Aufstellung syntaktischer Invarianten angestrebt. Die dritte Position schließlich sieht aufgrund eines handlungstheoretisch begründeten Fachsprachenbegriffs „die Suche nach durchgängigen syntaktischen, gar exklusiven Fügungsmustern“ als „ebenso aussichtslos wie unsinnig“ an (von Hahn 1983, 112). Die besonderen Auswahl- und Verwendungsprinzipien werden bei Satzlängen, Satztypen (vor allem Verbalsatztypen im Rahmen der Valenztheorie, Bevorzugung von Passivsätzen, Umgehungen des persönlichen Subjekts), Aufbauprinzipien der Satzglieder (Nukleusreihungen, Attribuierungsketten, Substantivierungstendenzen, Verwendung von präpositionalen Fügungen statt einfacher Objekte) und Serialisierungsregeln von Satzgliedern (Thema-Rhema-Struktur, Erststellung des Subjekts) gesehen (Hoffmann 1984/ 1987, 183⫺230). Benesˇ (1966, 28⫺32) hebt noch die Bevorzugung des einfachen Satzes bei gleichzeitiger Erweiterung der Satzgliedanzahl und größerer Komplexität der einzelnen Satzglieder, verschiedene Typen der nominalen Ausdrucksweise (Apposition, Nominalsätze), Parenthesen, Infinitiv- und Partizipialfügungen, eine möglichst enge Verbindung der Satzelemente und eine dichte und explizite Verflechtung der Teilsätze hervor. Sie dienen der „Vollständigkeit und Genauigkeit, Ökonomie und Standardisierung des Ausdrucks“ (Benesˇ 1971, 128). Besondere Gesamtsatzstrukturen (Satzreihen, Satzgefüge, Teilsatzreihenfolgen) sollen im Rah-

men einer kumulativen Textanalyse, die alle „wichtigen distinktiven Merkmale auf den einzelnen Ebenen der sprachlichen Hierarchie in absteigender Richtung von den Makrostrukturen und Vertextungsmitteln über die Syntax und Lexik bis zu den grammatischen Kategorien und den sie repräsentierenden Morphemen“ (Hoffmann 1987, 96 f; ähnlich schon Hoffmann 1983, 15) erfassen will, erst noch ermittelt werden. Für den mündlichen Sprachgebrauch, der wesentlich schwieriger zu erfassen und zu analysieren ist (Lenz 1993), stellt Hoffmann (1984/1987, 59) „eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der [sic] Umgangssprache und der angewandt-praktischen Schicht der Fachsprachen und eine starke Angleichung des mündlichen Sprachgebrauchs der theoretischen Wissenschaften an den schriftlichen“ fest. Nach Brünner (1993, 751) sind dagegen die gesprochenen syntaktischen Merkmale gegenüber den in schriftlichen Fachtexten vorkommenden „reduziert“, d. h. die Äußerungen sind „allgemein kürzer, weniger komplex, stärker parataktisch und enthalten weniger Passiv- und unpersönliche Formen“ und zusätzlich „vermehrt Anakoluthe, Ellipsen, Ausklammerungen, Nachträge, Selbstkorrekturen, Verschleifungen, Redundanzen usw.“.

Bei seiner Untersuchung der Sprachformen im Deutschen Bundestag weist Simmler (1978) auf die besonderen distinktiven Funktionen hin, die Leerformeln, Setzungen, Parenthesen, Zwischenrufe und Zwischenfragen und ihre Subkategorisierungen für die Differenzierung gesprochener Textsorten untereinander und in Opposition zu den geschriebenen Textsorten besitzen. Heinze (1979, 44) weist auf syntaktische Unterschiede im Hinblick auf Anzahl und Länge syntaktischer Einheiten, syntaktische Verschiebungen durch Tilgungen, Neubildungen, Reduktionen und Integrationen, Vorkommen und Funktion von Kontakt- und Kommentarparenthesen, Erscheinungsformen syntaktisch nicht anschließbarer Sequenzen (Abbrüche, Verbesserungen, Wiederholungen, Kontaminationen, Drehsätze, Aussparungen von Redeteilen), die Art konjunktionaler Einleitungen in Einfachsätzen und die Häufigkeit und Verwendung abhängiger Gefügeteile zwischen Tonbandprotokollen und Stenographischen Mitschriften von Reden im Deutschen Bundestag hin. Als syntaktische Invarianten werden angesehen Passivformen, Inifitivkonstruktionen (sein ⫹ zu ⫹ Infinitiv, haben ⫹ zu ⫹ Infinitiv, hat man ⫹ zu ⫹ Infinitiv, lassen ⫹ sich ⫹ Infinitiv), partizipiale satzwertige Wortgruppen, erweiterte Partizipialattribute, Thema-Rhema-Gliederung (Schwanzer 1981) bzw. Reihungen nominaler Glieder anstelle von Sätzen, hohe Frequenz adverbialer Nebensätze

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern und adäquater präpositionaler Wortgruppen, reflexiver Gebrauch transitiver Verben, würde ⫹ Infinitiv-Gefüge zur Konjunktivbildung (Köhler 1984/ 85, 194). Für Fachtextsorten im Englischen und Russischen weist Baumann (1992, 73) textsortenübergreifend Parenthesen, Inversionen und Nachträge nach; Gläser (1990, 300) verweist anhand des Englischen auf fachgebundene Verwendungsweisen von Passivformen. Obwohl von Hahn (1983, 113⫺119) die Suche nach Invarianten skeptisch beurteilt, hebt er drei syntaktische „Schlüsseltechniken aus der Sicht der kommunikativen Funktion“ hervor, nämlich Anonymisierung, explizite Spezifizierung, Kondensierung. Zur Anonymisierung gehören Passivkonstruktionen und Umgehungen des persönlichen Subjekts; zur Spezifizierung rechnet er Klassifikatoren (Es muß festgestellt werden, daß), Modalpartikeln, Relativsätze, Attributreihungen, Adverbialbestimmungen; die Kondensierung wird syntaktisch durch Nominalisierungen und Einbettungen nichtsprachlicher Zeichen, lexikalisch durch Funktionsverbgefüge und morphologisch durch Wortbildungstechniken gebildet.

Überprüfungen der als fachsprachlich angesehenen syntaktischen Kategorien aus wissenschaftlich-technischen Kommunikationsbereichen anhand eines umfangreichen empirischen Korpus zum politisch-öffentlichen Sprachgebrauch sind bisher nicht vorgenommen worden. Für die Schreibsprache der Presse hat die Raumknappheit nach Holly (1990 b, 515) „zur Ausbildung einer extrem verdichteten Syntax geführt, voller Nominalisierungen, Partizipialfügungen, erweiterten Adjektivgruppen und Substantivkomposita“, d. h. es treten vergleichbare Kategorien auf. Für die gesprochene Sprache weist er wegen der Zeitknappheit auf andere Möglichkeiten der Verdichtung hin, auf „einfache Formeln, Slogans, Plakatives“ im Rahmen von „1 : 20 min-Statements“. Agricola (1987, 197⫺203) hebt für den öffentlichen Sprachgebrauch von Institutsvertretern in der ehemaligen DDR „Raffung und Abstraktion eines Teilsatzes in eine Präpositionalkonstruktion“ (in Beantwortung ihrer Eingabe), Spitzenstellung solcher Präpositionalgruppen in Hauptsätzen, Appositionen aus „Gattungsund Artbezeichnungen bzw. Benennungen“ (Amtierender Fachdirektor Erfassung) als charakteristisch hervor. Ihre Kombination führt zu Textexpansionen, die den Eindruck der „Breite und Umständlichkeit“ vermitteln und deren Stereotypie Texttypen/Textsorten wie Antwortschreiben auf Eingaben, die in der Presse veröffentlicht werden und als „DDRtypisch“ gelten (Fleischer 1987, 117 f), konstituieren. Straßner (1987, 24) versucht mit

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unspezifizierten syntaktischen Kategorien wie „tautologisch sich selbst bestätigende[n] Sätzen, Verschwinden des Sinnes aus funktioniblen syntaktischen Einheiten“ und „Verwischen logischer Bezüge und Zerfaserung der Syntax“ Kriterien zur Ermittlung des „Ideologischen Jargons“ zu gewinnen (zum Jargon s. 2.1.). Bei Slogans wie Keine Experimente und Weiter so, Deutschland interessiert weniger die syntaktische Struktur, die aus einbzw. dreigliedrigen Nominalsätzen besteht, sondern die inhaltliche Funktion, die in der Thematisierung der Dichotomie Veränderung versus Kontinuität, in der konnotativen Zuordnung einer negativen Vergangenheit an den politischen Gegner und in der Suggestion einer Fortentwicklung als linearer Prozeßverlängerung gesehen wird (Gruner 1991, 27). Vage bleibt auch die Klassifikation, die vom Ansatz eines Textteils (Holly 1990 b, 515) bis zur Annahme einer Textsorte Plakattext, Werbetext, Slogan (Gruner 1991, 23) reicht, was auch für die Statements gilt (Holly 1990 a, 100; Elsner 1981, 108; zur Notwendigkeit solcher Unterscheidungen Oldenburg 1992, 62⫺64; Baumann 1992, 84 f). Bei den syntaktischen Untersuchungen bleiben nach der Zusammenstellung erster Ergebnisse noch folgende Aufgaben: Erstens eine Ermittlung gemeinsamer und unterschiedlicher syntaktischer Kategorien (einschließlich der bisher vernachlässigten Gesamtsatzstrukturen) in den geschriebenen und gesprochenen Textsorten einzelner fachlich geprägter Kommunikationsbereiche auf der Basis eines umfangreichen und explizit vorgestellten Textkorpus (Beier 1979, 286), zweitens die Herstellung von Interrelationen Textsorte für Textsorte zwischen den syntaktischen Kategorien und den Kategorien der übrigen linguistischen Ebenen und drittens eine Skalierung der als fachsprachlich erkannten Kategorien innerhalb einer vertikalen Textsortenanordnung (Kalverkämper 1990, 125). Auf die enge Wechselbeziehung zwischen fachsprachlicher Syntax und fachsprachlicher Lexik und Wortbildung hat bereits Benesˇ (1971, 128) hingewiesen; es existieren jedoch auch Interrelationen zwischen syntaktischen Kategorien und textuellen Makrostrukturen (Simmler 1991, 270; 292), wobei Restriktionsprozesse von den größeren Einheiten zu den jeweils niedrigeren vorkommen. Solche Merkmalhierarchien bestimmen die einzelnen Textsorten in viel größerem Maße als Kategorienzusammenstellungen auf einer einzigen sprachlichen Ebene.

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

3.3. Lexikalische Untersuchungen Sowohl zur Lexik der Fachsprachen (von Hahn 1973/1980; 1983, 83⫺111; Hoffmann 1984/1987, 124⫺182) als auch zu der des politisch-öffentlichen Sprachgebrauchs (Dieckmann 1969/1975, 47⫺80; Bachem 1979, 43⫺ 78) existieren umfangreiche Untersuchungen; selten sind Verbindungen beider lexikalischer Bereiche. Analysen, die die Rolle der Lexik in Relationen zu den übrigen linguistischen Ebenen und bei einer Textsortentypologie behandeln, werden eher gefordert als durchgeführt (Holly 1990 a, 40; 86). Gerade der Bezug auf verschiedene Textsorten erlaubt aber eine neue Sicht der Wortschatzbereiche, die ihr Zusammenwirken bei der Textsortenkonstitution hervortreten läßt. Bei den vorliegenden Analysen können generellere Wortschatzeinteilungen und Untersuchungen spezifischer Wortschatzbereiche unterschieden werden, die einen expliziten oder potentiellen Bezug zu fachsprachlichen Phänomenen besitzen. Eine generelle Gliederung des politischen Wortschatzes nimmt Dieckmann (1969/1975, 50 f) vor. Er teilt ihn in „Ideologiesprache, Institutionssprache und Fachsprache des verwalteten Sachgebietes“ ein. Die Ideologiesprache besteht „aus den Bezeichnungen für die politische Doktrin und die Miranda“. Die Institutionssprache wird in Organisationssprache und Verfahrenssprache unterteilt: „Zur ersteren gehören die Bezeichnungen für die Institutionen selbst (Bundestag, Bundesrat, Partei), ihre Gliederungen (Fraktion, Parteivorstand, Ausschuß), ihre Aufgaben (Verfassungsschutz, Finanzpolitik, Entwicklungshilfe) und Amtsbezeichnungen (Bundeskanzler, Minister, Fraktionsmitglied). Der verfahrenssprachliche Wortschatz benennt die formalen Praktiken, mit denen die Institution arbeitet (Abstimmung, Wahl, Legislaturperiode, Wortmeldung, Tagesordnung). […] Die Fachsprache des verwalteten Sachgebietes gliedert sich in die speziellen Wortschatzeinheiten der Wirtschaftspolitik, der Kulturpolitik, der Landwirtschaftspolitik usw. und ist nicht zu verwechseln mit der Sprache in den entsprechenden Ministerialbürokratien; denn das Wirtschaftsministerium umgreift verschiedenartige Wortbereiche, und andererseits spielt die Sprache der Wirtschaftspolitik auch im Parlament, in Kabinettssitzungen, in den entsprechenden Gesetzen und in den Parteien eine Rolle, ist also weiter verteilt“. Dieckmanns Einteilung, die von J. Klein (1989 b, 3) um ein allgemeines Interaktions-

vokabular (Kraftanstrengung, Kompromiß, Sorge, beteiligen, fordern, erörtern) erweitert wird, bildet einen Ausgangspunkt für spezifischere Gliederungen nach Kommunikationsbereichen, vertikalen Schichtungen und Textsorten. Strauß/Zifonun (1985, 69⫺75) fassen die deutsche Sprache als Diasystem auf, das nach den Merkmalen fachgegenstandsindiziert, fachintern, fachextern, soziologisch indiziert, sozialpragmatisch indiziert in die Varietäten Fach(Sub-)Sprachen, allgemeine Wissenschaftssprache, Bildungssprache, Alltagssprache und Ideologiesprache zerfällt. Den Varietäten, bei denen Abgrenzungsprobleme bestehen bleiben (vgl. 2.1.), werden Teilwortschätze zugeordnet; dabei wird mit Übergängen vom speziell Fachbezogenen (Fach(Sub-)Sprachen) über das gestuft Fachbezogene (allgemeine Wissenschaftssprache) zum weniger Fachbezogenen (Bildungssprache) und zum gestuft weniger Fachbezogenen (Ideologiesprache) bis hin zum Nicht-Fachbezogenen (Alltagssprache) gerechnet. Auch Heller (1970/1981, 236) rechnet, jedoch innerhalb einer Schichtung der Fachlexik nach den Kriterien allgemeinverständlich ⫺ nicht allgemeinverständlich, theoretisch-fachlich (wissenschaftlich) ⫺ praktischfachlich und genormt (terminologisch) ⫺ nicht genormt (nicht-terminologisch), mit Übergängen. Eine noch ausstehende empirische Überprüfung hat zu klären, ob diese Gliederungen und Einteilungen mit einer Differenzierung nach Kommunikationsbereichen und Textsorten vereinbar ist.

Im Zusammenhang mit einer Skalierung des Schwerepotentials von Lexemen in politischer Kommunikation stellt Strauß (1986 b, 259⫺276) vier Lexemklassen auf: (1) die „Klasse der politischen Fachwörter oder Formula-Ausdrücke im engeren Sinne“, (2) die „Klasse der ideologiegebundenen (Fach-) Wörter des politisch-sozialen Wortschatzes“, (3) die „Klasse der metaphorisch im politischen Kontext verwendeten (Fach-)Wörter und Euphemismen“ und (4) die „Klasse der zum fächerübergreifenden allgemeinen Wissenschafts- und Bildungswortschatz gehörigen Lexeme“. Zur 1. Klasse gehören politische Fachtermini (Formula) der Institutions-, Verfahrens-, Organisationssprache, der Fachsprachen der verwalteten Sachgebiete, der Rechts-, Verwaltungs- und Verhandlungssprache (Mandat, Immunität, Hammelsprung, Ressort, Bruttosozialprodukt, Fraktion, Legislaturperiode, Swing). Sie sind semantisch stabil, zeigen eine Tendenz zur Objektivierung, zu begrifflicher Abstraktion, Genauigkeit und Rationalisierung und wirken über die institutsexterne Kommunikation zwischen Behörde und Bürger in die Öffentlichkeit. Ihr

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern

Verständnis hängt ab „von der Vertrautheit des Bürgers mit dem politischen Wortschatz, vom Grad seiner staatsbürgerlichen, politischen Bildung, seinem politischen Interesse sowie von der persönlichen und beruflichen Nähe zu bestimmten Bereichen und Aspekten des Politischen“. Die 2. Klasse enthält gesellschaftspolitische Termini der Ideologiesprache (Schlag-, Schlüssel-, Fahnen-, Stigmawörter, Miranda, Credenda) wie Faschismus, Sozialismus, Aggression, Demokratie, Klassenkampf, Pazifismus, Proletariat, Nation, Solidarität, Kapitalismus. Sie sind semantisch instabil, werden intendiert vage und leerformelhaft gebraucht, besitzen eine unterschiedliche, gruppenspezifische fachliche Geltung und werden wertend mit der ersten Lexemklasse verbunden. Die beiden ersten Klassen bilden den zentralen politischen Wortschatz, der zusammen und im Austausch textsortengebunden mit den beiden übrigen Klassen auftritt, die sich auf den Wortschatz der Bildungssprache beziehen. Die 3. Klasse besteht aus Fachwörtern, die in den politisch-öffentlichen Bereich übernommen und durch Massenmedien wertend vermittelt werden (Nachrüstung, Entsorgung, Friedensgrenze/Schandmauer, Agonie). Der metaphorische Gebrauch kann „der Verhüllung, Verschleierung und Manipulation politischer Realität dienen“. Die bildungssprachlichen Lexeme der 4. Klasse (Methode, Funktion, System, Substanz, Prozeß, Struktur, Theorie) werden nicht-wertend in massenmedialen Texten zur Darstellung abstrakterer Zusammenhänge verwendet und vermitteln ein allgemeines Orientierungswissen. Alle vier Klassen konstituieren den Wortschatz der Öffentlichkeitssprache und bilden ein „fach-, ideologie- und bildungssprachliches Kontinuum“. Eine völlig andere Klassifikation versucht Volmert (1989, 78⫺85). Er geht davon aus, daß sich die Bedingungen der öffentlich-persuasiven Rede „auf den gesamten verwendeten Wortschatz“ auswirken. Die Politik übernimmt das wissenschaftlich-technische Vokabular, den Fachwortschatz aus dem handwerklichen und kommerziellen Bereich, den Wortschatz religiöser, magischer und mythischer Weltdeutung, das Vokabular der Alltagserfahrung und der Kleingruppenkommunikation und „überformt die semantische Struktur der adaptierten Bezeichnungen, indem es ganz bestimmte Merkmale unterdrückt, andere besonders akzentuiert oder auch neue hinzufügt ⫺ je nach der intendierten Zuordnung zu einem neuen Funktionszusammenhang“, so daß neue „Etiketts“ entstehen. Die so bestimmten politischen Etiketts gliedert er in sieben Bezeichnungsfelder für Gruppen und Per-

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sonen, Einstellungen/Auffassungen, Interessen/Intentionen, Aktivitäten/Handlungszusammenhänge, Auseinandersetzungen, aktuelle/relevante Sachverhalte und Systeme/Formen von Herrschaft. Eine empirische Überlieferung steht noch aus und dürfte kaum mit den Wortschatzgliederungen zu verbinden sein, die sich aus Berücksichtigungen von Kommunikationsbereichen und den in ihnen vorhandenen Textsorten mit Skalierungen von Fachsprachlichkeit ergeben könnten. Auf die Einteilung Dieckmanns und die vier Lexemklassen und ihre Subkategorisierungen von Strauß lassen sich die Untersuchungen beziehen, die einen begrenzten Wortschatzgebrauch mit verschiedenen Erkenntniszielen behandeln. Der politische Fachwortschatz (Klasse 1) wird vor allem unter den Aspekten der potentiellen und tatsächlichen Kommunikationskonflikte zwischen Experten (vor allem Juristen) und Laien bzw. zwischen anderen Gruppen und ihren Lösungsmöglichkeiten behandelt. Nach Bungarten (1983, 139 f) liegen die ⫺ negativ zu beurteilenden ⫺ potentiellen Kommunikationskonflikte am Wissens- und Sprachdefizit der Laien, am Verlust der Sprachfähigkeit für Alltagssituationen beim Fachmann, an der mystischen Funktion wissenschaftlich-technischer Begriffe in der Produktwerbung, in den Massenmedien und in der Politik. Er weist ferner auf die ⫺ positiver zu wertende ⫺ bewußte Vagheit und damit Konfliktträchtigkeit von politischen Verträgen wie dem Berliner Viermächteabkommen hin, in denen durch die Interpretationsvielfalt eine Regelung bei gleichzeitiger Wahrung der divergierenden Interessen der Vertragspartner möglich wird. Positiv schätzt er die Kommunikationskonflikte „zwischen Individuen in der persönlichen Auseinandersetzung um subjektive Wertmaßstäbe, Bedürfnisse und Handlungsabsichten“ ein, weil sie für eine persönliche und gesellschaftliche Entwicklung notwendig sind. Problematisch werden sie erst, „wenn es keine objektiven oder subjektiven Möglichkeiten der Konfliktverarbeitung und -bewältigung gibt, sei es durch sprachliche Kommunikation oder/und durch konsensfähiges Handeln.“ Oksaar (1979/1988; 1983/1988) geht auf potentielle Verständnisschwierigkeiten und Kriterien für die Beurteilung der Schwere von Wörtern ein, fordert einen personenzentrierten Ansatz und macht für Journalisten als Vermittlern zwischen Fachtermini und allgemeinem Sprachgebrauch Vorschläge, die Verständigung zu erhöhen (dazu auch van der Staak 1991). Auf tatsächliche Kommunikationskonflikte verweist Busse (1991, 162). Sie entstehen ⫺ wie beim Rechtsbegriff Gewalt ⫺ dort, „wo die Widersprüche zwischen rechtlich-fachlichen Bedeutungsdefinitionen und den Gebrauchsweisen fraglicher Ausdrücke in der Gemeinsprache an öffentlich, z. B. politisch, brisanten Themen aufbrechen“. Holly (1990 a, 25; 203 f; 255) behandelt Kommunikationsformen, in denen zwischen Experten und Laien „Handlungsspielräume durch fachsprachliche Barrieren eingeschränkt werden“, wobei er fachsprachliches Renommieren und das Vermitteln

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

zwischen verschiedenen Rollenerwartungen in einem „Stilmix“ hervorhebt. Auf die Ideologiesprache (Klasse 2) wird bei der Gegenüberstellung der großgruppenbezogenen Invarianz bzw. Varianz in der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik (Strauß-Zifonun 1985, 414 f) bzw. innerhalb der Bundesrepublik beim Kampf um Begriffe und bei der Ermittlung eines Schlüsseloder Schlagwortcharakters einzelner Lexeme eingegangen (vgl. Hellmann 1976). Bei den Auseinandersetzungen um Wörter und ihre Bedeutungen können mit J. Klein (1989, 17; 1991, 51) konzeptuell-konzeptionelle Konkurrenz, Bezeichnungskonkurrenz, deskriptive und deontische Bedeutungskonkurrenz und Konkurrenz um konnotativen Glanz unterschieden werden. Eine konzeptionelle Konkurrenz zeigt sich, wenn über Begriffe neue Sachverhalte wie eine neue Wirtschaftsform geschaffen werden sollen (soziale versus freie Marktwirtschaft versus Kapitalismus). Eine Bezeichnungskonkurrenz liegt vor, wenn vorhandene Sachverhalte oder Themen aus der eigenen Perspektive gekennzeichnet werden (Rote Armee Fraktion versus Baader-Meinhof-Bande versus BaaderMeinhof-Gruppe). Die Bedeutungskonkurrenz spielt im Rahmen der von Politikern ausgelösten Auseinandersetzung um das Besetzen von Begriffen eine besondere Rolle (Biedenkopf 1973; Geißler 1979, 1985; Glotz 1985; dazu Bergsdorf 1983, 13; 1985 a; Dieckmann 1985 a; J. Klein 1991). Unter deskriptiver Bedeutung wird die darstellende, charakterisierende Bedeutung verstanden, unter deontischer Bedeutung die expressive, evaluative Bedeutung (Strauß-Zifonun 1986, 71), teilweise mit und teilweise ohne Einschluß einer appellativen, präskriptiven Bedeutungskomponente (Hermann 1986, 152; 1989, 129). Umkämpft sind einmal die deskriptiven Bedeutungen von „tendenziell parteiübergreifend verwendeten Hochwertwörtern wie Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität“ (J. Klein 1989 b, 21), deren relativ vage, aber normativ positiv beurteilte Bedeutung im parteipolitischen Sinne spezifiziert wird. So wird Solidarität in seinen Gebrauchsbedingungen (Solidarität zwischen Arbeitern) verändert, indem es in neue Kontexte (menschliche Solidarität, Solidarität mit den ärmsten Völkern der Welt) gestellt wird, die eine begriffliche Verschiebung bewirken und sie an einen anderen ideologischen Standpunkt unter Beibehaltung der positiven Bewertung binden (Behrens/ Dieckmann/Kehl 1982, 223). Zum anderen zeigt sich ein semantischer Kampf um deontische Bedeutungen vor allem bei Fahnen- und Stigmawörtern wie Sozialismus (zu ihrer Typik Strauß-Zifonun 1985, 476⫺478; 1986, 100⫺146), die als parteisprachliche Wörter positive oder negative Einstellungen signalisieren und an die Adressaten appellieren, sie so oder modifiziert als demokratischer Sozialismus zu übernehmen. Bei der Konkurrenz um konnotativen Glanz geht es darum, daß sich die auf positive Konnotationen (zu diesem Begriff Dieckmann 1981 c; Maas 1985; Volmert 1989, 71 f) gegründete positive Einstellung zu Begriffen auf die

Partei überträgt, die sich mit ihnen identifiziert (Arbeit, Leistung, Wirtschaftskompetenz). Mit den semantischen Kämpfen und den sich in ihnen zeigenden ideologischen Polysemien sind nach Teubert (1991, 52) Manipulationen möglich, wenn einzelne Lexeme (wie Arbeitsloser) mit einer anderen als der etablierten Bedeutung und mit der Absicht „zu verschleiern und Adressaten zu täuschen“ verwendet werden. Solche Wörter nennt er Vexierwörter und hebt sie von anderen politischen „Kampfwörtern“ ab. Nach Svensson (1984, 2; 31; 58) fallen unter den Manipulationsbegriff auch Veränderungen politischer Ziele einer Partei, wenn sie in der Form von Anspielungen auf frühere Texte über Stereotype, d. h. kleinste gemeinsame semantische Äquivalente, eine historische Kontinuität wahrt und neue Anhänger durch neue Formulierungen mit veränderten Zielen, die durch die Anspielungen vor den eigenen Anhängern verschleiert werden, zu gewinnen sucht (vgl. den Gebrauch von Planwirtschaft, aktive und freiheitliche Wirtschaftspolitik, gelenkte und aufgeklärte Marktwirtschaft zu Marktwirtschaft in der SPD). Linguistisch problematisch ist in solchen Arbeiten nicht das Aufzeigen eines Manipulationspotentials oder das von potentiellen Verständigungsproblemen oder Kommunikationskonflikten, sondern der konkrete Manipulationsnachweis. Ob die semantischen Kämpfe beim Werben um Mehrheiten (Geißler 1985, 224) tatsächlich hilfreich sind, ist zu bezweifeln (Behrens/Dieckmann/Kehl 1982, 264; Gruner 1991, 32). Bei der Ermittlung des Schlüssel- und Schlagwortcharakters von Lexemen (Wülfing 1982, 11⫺ 58) und ihren Inhaltsseiten (Neubert/Schäffner 1986; Schäffner 1986; Schäffner/Fischer/Herting 1989) ist zu beachten, daß kein Lexem von vornherein diese Charakterisierung besitzt, sondern seine jeweilige Funktion erst erhält, wenn es in Textexemplaren in einer bestimmten Weise verwendet wird. Simmler (1983, 189) verwendet einen für alle, nicht nur für politische Textsorten brauchbaren Schlüsselwortbegriff, indem er Schlüsselwörter über die Kriterien der Frequenz, der syntaktischen Distribution und der Interrelation mit anderen textuellen Merkmalen einschließlich von Makrostrukturen ermittelt und in seine Textsortenunterscheidungen einbezieht. Dieckmann (1969/1975, 102 f) begrenzt den Schlagwortgebrauch auf den politischen Kommunikationsgebrauch und definiert die Schlagwörter über ihre Funktion, die öffentliche Meinung durch Erziehung oder Propaganda zu verändern, und hebt hervor, daß in ihnen Programme kondensiert werden, wodurch sie einen „so starken Eigenwert“ erhalten, „daß sie der Determination durch den Kontext kaum mehr bedürfen“. Bergsdorf (1991, 23) nennt die so definierten Schlagwörter Schlüsselwörter, die politische Programme suggerieren, „ohne sie deutlich zu explizieren“, und die sich „als realisierbare Projektionen“ ausgeben. J. Klein (1989 b, 11) fügt der Kondensierungsfunktion die Frequenz hinzu und unterscheidet Beeinflussungen auf Denken, Gefühle und Verhalten. Sittel (1990, 181 f) differenziert Schlüssel-

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern wörter und Schlagwörter innerhalb der Ideologiesprache. Schlüsselwörter sind für sie positiv und/ oder negativ wertende ideologie- und gruppenspezifische Schlagwörter und fallen so mit den Fahnen- und Stigmawörtern der Klasse 2 bei Strauß (1986 b) zusammen. Die Schlagwörter zeichnen sich dagegen durch Komprimierung eines Programms, einer Tendenz, ganzer Ideologien, durch scheinbare Klarheit und Prägnanz, durch inhaltliche Unschärfe, durch emotionale Aufladung, durch Polarisierung und hohe Frequenz aus. Degenkolbe (1965) unterscheidet innerhalb der Schlagwörter die parteiübergreifend positiv konnotierten Leitwörter von den partei-/gruppenspezifisch positiv bzw. negativ konnotierten Fahnenbzw. Stigmawörtern. Auf den allgemeinen Wissenschafts- und Bildungswortschatz (Klasse 4) geht Pörksen (1988, 118⫺121) ein, indem er aus ihm eine kleine Gruppe von Wörtern ausgrenzt, die er als „konnotative Stereotype“ oder „Plastikwörter“ bezeichnet und deren Funktionen er mit 30 Merkmalen beschreibt. U. a. zeichnen sich Wörter wie Arbeit, Energie, Information, System, Wachstum dadurch aus, daß sie den Termini der Wissenschaft gleichen, jedoch nicht deren „präzis definierte, von einem Assoziationshof freie“, sondern eine diffuse Bedeutung besitzen, so daß sie als Allerweltswörter fungieren können.

Insgesamt zeigt sich bei den lexikalischen Untersuchungen zum politisch-öffentlichen Sprachgebrauch ⫺ nicht jedoch bei den Analysen zu technisch-naturwissenschaftlichen Fachsprachen und zur Terminologielehre (dazu Wüster 1991) ⫺ ein Überwiegen theoretischer Aussagen mit immer neuer Begrifflichkeit für häufig schon einmal behandelte Phänomene gegenüber empirischen Analysen. Letztere werden zwar gefordert, aber nicht anhand eines umfangreichen Korpus durchgeführt. So bleibt eine nach Kommunikationsbereichen und Textsorten gestufte Behandlung der Fachlichkeit im politisch-öffentlichen Wortschatz ebenso noch ein Desiderat (Bausch/Schewe/Spiegel 1976, 14; Baumann 1993, 405) wie detaillierte Inhaltsanalysen der jeweiligen Lexeme anhand konkreter Texte im Kontrast zu Wörterbuchangaben und Darstellungen der Relationen zwischen Begriffssystemen und ihrer Verwendung in Texten (Hoffmann 1993, 614).

4.

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

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77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern Ickler 1983 ⫽ Theodor Ickler: Zur Semantik der Fachsprachen. In: Heinrich P. Kelz [Hrsg.]: Fachsprache. 1: Sprachanalyse und Vermittlungsmethoden. Dokumentation einer Tagung der Otto Benecke Stiftung zur Analyse von Fachsprachen und zur Vermittlung von fachsprachlichen Kenntnissen in der Ausbildung von Flüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1983 (Dümmlerbuch 6302), 143⫺153. Ischreyt 1965 ⫽ Heinz Ischreyt: Studien zum Verhältnis von Sprache und Technik. Institutionelle Sprachlenkung in der Terminologie der Technik. Düsseldorf 1965 (Sprache und Gemeinschaft. Studien 4). Januschek 1985 ⫽ Franz Januschek: Zum Selbstverständnis politischer Sprachwissenschaft. In: Politische Sprachwissenschaft. Zur Analyse von Sprache als kultureller Praxis. Hrsg. v. Franz Januschek. Opladen 1985, 1⫺20. Jung/Lange/Walther 1985 ⫽ Ingrid Jung/Barbara Lange/Horst Walther: Zur Sprachpolitik der ,Wende‘. Analyse einer Kohl-Rede. In: Politische Sprachwissenschaft. Zur Analyse von Sprache als kultureller Praxis. Hrsg. v. Franz Januschek. Opladen 1985, 235⫺269. Kalivoda 1986 ⫽ Gregor Kalivoda: Parlamentarische Rhetorik und Argumentation. Untersuchungen zum Sprachgebrauch des 1. Vereinigten Landtags in Berlin 1847. Bern. Frankfurt/M. New York 1986 (Kasseler Arbeiten zur Sprache und Literatur 16). Kalverkämper 1980 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Axiomatik der Fachsprachen-Forschung. In: Fachsprache 2. 1980, 2⫺20. Kalverkämper 1983 a ⫽ Hartwig Kalverkämper: Textuelle Fachsprachen-Linguistik als Aufgabe. In: LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 13. 1983, 124⫺166. Kalverkämper 1983 b ⫽ Hartwig Kalverkämper: Gattungen, Textsorten, Fachsprachen ⫺ Textpragmatische Überlegungen zur Klassifikation. In: Textproduktion und Textrezeption. Hrsg. v. Ernest W. B. Hess-Lüttich. Tübingen 1983 (forum Angewandte Linguistik 3), 91⫺103. Kalverkämper 1990 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Gemeinsprache und Fachsprachen ⫺ Plädoyer für eine integrierte Sichtweise. In: Deutsche Gegenwartssprache. Tendenzen und Perspektiven. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Berlin. New York 1990 (Institut für deutsche Sprache. Jahrbuch 1989), 88⫺133. Kalverkämper 1996 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Vom Weg und Ziel und ihrer Unvereinbarkeit: Fachsprachenforschung und Fachsprachentheorie. In: Fachsprache. International Journal of LSP 18. 1996, 36⫺56. Kindt 1985 ⫽ Walther Kindt: Selbstanknüpfung und Stereotypie in Politikeraussagen. In: Gesprächsforschung im Vergleich. Analysen zur Bonner Runde nach der Hessenwahl 1982. Hrs. v. Wolfgang Sucharowski. Tübingen 1985 (Linguistische Arbeiten 158), 146⫺176.

753

Klaus 1971 ⫽ Georg Klaus: Sprache der Politik. Berlin 1971. J. Klein 1989 a ⫽ Josef Klein: Gesprächsregeln in fernsehtypischen Formen politischer Selbstdarstellung. In: Redeshows. Fernsehdiskussionen in der Diskussion. Hrsg. v. Werner Holly, Peter Kühn und Ulrich Püschel. Tübingen 1989 (Medien in Forschung ⫹ Unterricht 26), 64⫺91. J. Klein 1989 b⫽ Josef Klein: Wortschatz, Wortkampf, Wortfelder in der Politik. In: Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung. Hrsg. v. Josef Klein. Opladen 1989, 3⫺50. J. Klein 1991 ⫽ Josef Klein: Kann man ,Begriffe besetzen‘? Zur linguistischen Differenzierung einer plakativen politischen Metapher. In: Begriffe besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Hrsg. v. Frank Liedtke, Martin Wengeler und Karin Böke. Opladen 1991, 44⫺69. K.-P. Klein 1985 ⫽ Klaus-Peter Klein: Argumentation in politisch-parlamentarischer Debatte. Linguistische Anmerkungen zur politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. In: Germanistik ⫺ Forschungsstand und Perspektive. Vorträge des Deutschen Germanistentages 1984. Hrsg. v. Georg Stötzel. 1. Teil: Germanistische Sprachwissenschaft. Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur. Berlin. New York 1985, 380⫺405. Kleining 1991 ⫽ Gerhard Kleining: Das qualitativheuristische Verfahren der Textanalyse am Beispiel der Neujahrsansprachen des Bundeskanzlers Kohl. In: Sprache statt Politik? Politwissenschaftliche Semantik- und Rhetorikforschung. Hrsg. v. Manfred Opp de Hipt und Erich Latniak. Opladen 1991, 246⫺277. Köhler 1984/85 ⫽ Claus Köhler: Zur Ermittlung lexikalischer und syntaktischer Invarianten deutschsprachiger Fachtexte. In: brücken. Germaˇ SSR. Prag, 1984/85, nistisches Jahrbuch DDR⫺C 190⫺206. Kopperschmidt 1989 ⫽ Josef Kopperschmidt: Öffentliche Rede in Deutschland. Überlegungen zur politischen Rhetorik mit Blick auf zwei Gedenkreden im Deutschen Bundestag. In: Muttersprache 99. 1989, 213⫺230. Kopperschmidt 1990 ⫽ Josef Kopperschmidt: Rhetorik ⫺ gestern und heute. Oder: Öffentliche Rede in Deutschland. In: Deutsche Gegenwartssprache. Tendenzen und Perspektiven. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Berlin. New York 1990 (Institut für deutsche Sprache. Jahrbuch 1989), 255⫺291. Kuhn 1986 ⫽ Fritz Kuhn: Politische Sprachkultur in den Parlamenten. In: SprachReport 1. 1986, 7⫺8. Latniak 1986 ⫽ Erich Latniak: Analyse politischen Sprachgebrauchs ⫺ noch ein Thema der Linguistik. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 58. 1986, 29⫺50. Lenz 1993 ⫽ Friedrich Lenz: Ansätze zur Analyse mündlicher Fachkommunikation. In: Fachspra-

754

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

chentheorie. Betreut und hrsg. v. Theo Bungarten. Bd. I. Fachsprachliche Terminologie. Begriffs- und Sachsysteme. Methodologie. Tostedt 1993, 341⫺ 367. Lüger 1983 ⫽ Heinz-Helmut Lüger: Pressesprache. Tübingen 1983 (Germanistische Arbeitshefte 28). Maas 1985 ⫽ Utz Maas: Konnotation. In: Politische Sprachwissenschaft. Zur Analyse von Sprache als kultureller Praxis. Hrsg. v. Franz Januschek. Opladen 1985, 71⫺95. Mackensen 1959 ⫽ Lutz Mackensen: Muttersprachliche Leistungen der Technik. In: Sprache ⫺ Schlüssel der Welt. Festschrift für Leo Weisgerber. Düsseldorf 1959, 293⫺305. Matouschek 1992 ⫽ Bernd Michael Matouschek: Strategien des politischen Sprachgebrauchs oder politische Strategien mit Sprachgebrauch? Bemerkungen zur offiziellen ,Aufklärungs- und Informationsarbeit‘ über Österreichs geplanten EG-Beitritt. In: ide. Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule 16. 1992, 34⫺55. Möhn 1968/1981 ⫽ Dieter Möhn: Fach- und Gemeinsprache. Zur Emanzipation und Isolation der Sprache. In: Wortgeographie und Gesellschaft. Festgabe für Ludwig Erich Schmitt zum 60. Geburtstag am 10. Februar 1968. Hrsg. v. Walther Mitzka. Berlin 1968, 315⫺348 [erneut abgedruckt in: Fachsprachen. Hrsg. v. Walther von Hahn. Darmstadt 1981 (Wege der Forschung 498), 172⫺ 217.] Möhn 1976 ⫽ Dieter Möhn: Sprache ⫺ Schlüssel zur Technik. In: Karl-Heinz Bausch/Wolfgang H. U. Schewe/Heinz-Rudi Spiegel: Fachsprachen. Terminologie, Struktur, Normung. Hrsg. v. DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin. Berlin. Köln 1976 (Normungskunde 4), 20⫺32. Möhn 1979 ⫽ Dieter Möhn: Formen der fachexternen Kommunikation. Linguistische Analyse und fachdidaktische Vermittlung. In: Der Deutschunterricht 31. 1979, 71⫺87. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Muhr 1992 ⫽ Rudolf Muhr: Von der Ohnmacht der Wörter und der Macht der Wertungen. Theoretische Grundlagen politischer Kommunikation in demokratischen Systemen. In: Grazer Linguistische Studien 37. 1992, 71⫺82. Neubert/Schäffner 1986 ⫽ Albrecht Neubert/Christina Schäffner: Zum Problem des ideologierelevanten Wortschatzes. In: Politischer Wortschatz in textueller Sicht. Hrsg. v. Christina Schäffner und Albrecht Neubert. Berlin 1986 (Linguistische Studien. Reihe A Arbeitsberichte 146), 1⫺6. Oksaar 1979/1988 ⫽ Els Oksaar: Sprachliche Mittel in der Kommunikation zwischen Fachleuten und zwischen Fachleuten und Laien im Bereich des Rechtswesens. In: Els Oksaar: Fachsprachliche Dimensionen. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 4), 185⫺202 [erstmals 1979].

Oksaar 1983 ⫽ Els Oksaar: Verständigungsprobleme im Sprachbereich ,Politik‘: Schwere Wörter in den Nachrichten und Kommentaren. In: Wortschatz und Verständigungsprobleme. Was sind ,schwere Wörter‘ im Deutschen? Jahrbuch 1982 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. Helmut Henne und Wolfgang Mentrup. Düsseldorf 1983 (Sprache der Gegenwart 57), 119⫺133. Oldenburg 1992 ⫽ Hermann Oldenburg: Angewandte Fachtextlinguistik. ‘Conclusions’ und Zusammenfassungen. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 17). Pörksen 1988 ⫽ Uwe Pörksen: Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur. Stuttgart 1988. von Polenz 1981 ⫽ Peter von Polenz: Über die Jargonisierung von Wissenschaftssprache und wider die Deagentivierung. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981, 85⫺110. von Polenz 1985 ⫽ Peter von Polenz: Deutsche Satzsemantik. Grundbegriffe des Zwischen-denZeilen-Lesens. Berlin. New York 1985 (Sammlung Göschen 2226). Rehbock 1985 ⫽ Helmut Rehbock: Herausfordernde Fragen. Zur Dialogrhetorik von Entscheidungsfragen. In: Gesprächsforschung im Vergleich. Analysen zur Bonner Runde nach der Hessenwahl 1982. Hrsg. v. Wolfgang Sucharowski. Tübingen 1985 (Linguistische Arbeiten 158), 177⫺227. Rütten 1989 ⫽ Dirk Rütten: Strukturelle Merkmale politischer Rundgespräche im Fernsehen. Dargestellt am Beispiel der ,Elefantenrunde‘. In: Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung. Hrsg. v. Josef Klein. Opladen 1989, 187⫺ 230. Schäffner 1986 ⫽ Christina Schäffner: Probleme der Bedeutungsbeschreibung des ideologierelevanten Wortschatzes. In: Politischer Wortschatz in textueller Sicht. Hrsg. v. Christina Schäffner und Albrecht Neubert. Berlin 1986 (Linguistische Studien Reihe A Arbeitsberichte 146), 92⫺119. Schäffner/Fischer/Herting 1989 ⫽ Christina Schäffner/Eberhard Fischer/Beate Herting: Aktuelle Probleme der Beschreibung politischer Wortbedeutungen. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 42. 1989, 443⫺451. Schmidt 1969 ⫽ Wilhelm Schmidt: Charakter und gesellschaftliche Bedeutung der Fachsprachen. In: Sprachpflege 18. 1969, 10⫺21. Schröder 1993 a ⫽ Hartmut Schröder: Thematische Einleitung. Von der Fachtextlinguistik zur Fachtextpragmatik. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), IX⫺XIII. Schröder 1993 b ⫽ Hartmut Schröder: Semantische Aspekte multimedialer Texte. In: Fachtextpragma-

77. Fachsprachliche Phänomene in den öffentlichen Texten von Politikern tik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 189⫺ 213. Schwanzer 1981 ⫽ Viliam Schwanzer: Syntaktischstilistische Universalia in den wissenschaftlichen Fachsprachen. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981, 213⫺230. Seck 1991 ⫽ Wolfgang Seck: Politische Kultur und Politische Sprache. Empirische Analysen am Beispiel Deutschlands und Großbritanniens. Bern. Frankfurt/M. New York. Paris 1991 (Empirische und methodologische Beiträge zur Sozialwissenschaft 8). Seibicke 1959/1981 ⫽ Wilfried Seibicke: Fachsprache und Gemeinsprache. In: Muttersprache [69]. 1959, 70⫺84 [erneut abgedruckt in: Fachsprachen. Hrsg. v. Walther von Hahn. Darmstadt 1981 (Wege der Forschung 498), 40⫺66]. Simmler 1978 ⫽ Franz Simmler: Die politische Rede im Deutschen Bundestag. Bestimmung ihrer Textsorten und Redesorten. Göppinen 1978 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 245). Simmler 1983 ⫽ Franz Simmler: Textsorten politischer Rede im Deutschen Bundestag: Die Gruppe der Erklärungen. In: Textsorten und literarische Gattungen. Dokumentation des Germanistentages in Hamburg vom 1. bis 4. April 1979. Hrsg. v. Vorstand der Vereinigung der deutschen Hochschulgermanisten. Berlin 1983, 186⫺204. Simmler 1984 ⫽ Franz Simmler: Zur Fundierung des Text- und Textsorten-Begriffs. In: Studia Linguistica et Philologica. Festschrift für Klaus Matzel zum sechzigsten Geburtstag überreicht von Schülern, Freunden und Kollegen. Hrsg. v. Hans-Werner Eroms, Bernhard Gajek und Herbert Kolb. Heidelberg 1984, 25⫺50. Simmler 1991 ⫽ Franz Simmler: Die Textsorten ,Regelwerk‘ und ,Lehrbuch‘ aus dem Kommunikationsbereich des Sports bei Mannschaftsspielen und ihre Funktionen. In: Sprachwissenschaft 16. 1991, 251⫺301. Simmler 1993 a ⫽ Franz Simmler: Zum Verhältnis von publizistischen Gattungen und linguistischen Textsorten. In: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge 2. 1993, 349⫺363. Simmler 1993 b ⫽ Franz Simmler: Zeitungssprachliche Textsorten und ihre Varianten. Untersuchungen anhand von regionalen und überregionalen Tageszeitungen zum Kommunikationsbereich des Sports. In: Probleme der funktionellen Grammatik. Hrsg. v. Franz Simmler. Bern. Berlin. New York. Paris. Wien 1993 (Berliner Studien zur Germanistik 1), 133⫺282. Simmler 1996 ⫽ Franz Simmler: Teil und Ganzes in Texten. Zum Verhältnis von Textexemplar, Textteilen, Teiltexten, Textauszügen und Makrostrukturen. In: Daphnis 25. 1996, 597⫺625.

755

Sittel 1990 ⫽ Cornelia Sittel: Das Schlagwort in der politischen Sprache. Allgemeine Charakteristika und Versuch einer funktionsbezogenen Typologie. In: Sprache und Politik. Kongreßbeiträge zur 19. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e. V. Hrsg. v. Bernd Spillner. Bern. Frankfurt/M. New York. Paris 1990 (Forum Angewandte Linguistik 18), 181⫺183. van der Staak 1991 ⫽ Jan van der Staak: Zum Erklären von Fachwörtern in wissenschaftlichen Texten. In: Neue Fragen der Linguistik. Akten des 25. Linguistischen Kolloquiums. Paderborn 1990. Bd. II. Innovation und Anwendung. Hrsg. v. Elisabeth Feldbusch, Rainer Pogarell und Cornelia Weiß. Tübingen 1991 (Linguistische Arbeiten 271), 331⫺340. Steger 1988 ⫽ Hugo Steger: Erscheinungsformen der deutschen Sprache. ,Alltagssprache‘⫺,Fachsprache‘⫺,Standardsprache‘⫺,Dialekt‘ und andere Gliederungstermini. Für Günther Drosdowski zum 60. Geburtstag. In: Deutsche Sprache 16. 1988, 289⫺319. Steger/Deutrich/Schank/Schütz 1974 ⫽ Hugo Steger/Helge Deutrich/Gerd Schank/Eva Schütz: Redekonstellation, Redekonstellationstyp, Textexemplar, Textsorte im Rahmen eines Sprachverhaltensmodells. Begründung einer Forschungshypothese. In: Gesprochene Sprache. Jahrbuch 1972. Düsseldorf 1974 (Sprache der Gegenwart 26), 39⫺97. Straßner 1980 ⫽ Erich Straßner: Sprache in Massenmedien. In: Lexikon der Germanistischen Linguistik. Hrsg. v. Hans Peter Althaus, Helmut Henne und Herbert Ernst Wiegand. 2. Aufl. Tübingen 1980, 328⫺337. Straßner 1987 ⫽ Erich Straßner: Ideologie⫺Sprache⫺Politik. Grundfragen ihres Zusammenhangs. Tübingen 1987 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 37). Straßner 1991 a ⫽ Erich Straßner: Mit ,Bild‘ fing es an. Mediensprache im Abwind. In: Hans-Jürgen Bucher/Erich Straßner: Mediensprache, Medienkommunikation, Medienkritik. Tübingen 1991, 111⫺229. Straßner 1991 b ⫽ Erich Straßner: Maximenverstoß als Regel. Zum Grundprinzip politischer Kommunikation. In: Sprache statt Politik? Politikwissenschaftliche Semantik- und Rhetorikforschung. Hrsg. v. Manfred Opp de Hipt und Erich Latniak. Opladen 1991, 124⫺155. Strauß 1986 a ⫽ Gerhard Strauß: Sprachspiele, kommunikative Verfahren und Texte in der Politik. Versuch einer Textsortenspezifik. In: Der politische Wortschatz. Zur Kommunikations- und Textsortenspezifik. Hrsg. v. Gerhard Strauß. Tübingen 1986 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache Mannheim 60), 2⫺66. Strauß 1986 b ⫽ Gerhard Strauß: Schwere Wörter in der Politik. In: Der politische Wortschatz. Zur Kommunikations- und Textsortenspezifik. Hrsg. v. Gerhard Strauß. Tübingen 1986 (Forschungsbe-

756

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

richte des Instituts für deutsche Sprache Mannheim 60), 149⫺280. Strauß/Zifonun 1985 ⫽ Gerhard Strauß/Gisela Zifonun: Die Semantik schwerer Wörter im Deutschen. Teil 1: Lexikologie schwerer Wörter. Teil 2: Typologie und Lexikographie schwerer Wörter. Tübingen 1985 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache Mannheim 58. 1⫺2). Strauß/Zifonun 1986 ⫽ Gerhard Strauß/Gisela Zifonun: Formen der Ideologiegebundenheit: Versuch einer Typologie der gesellschaftspolitischen Lexik. In: Der politische Wortschatz. Zur Kommunikations- und Textsortenspezifik. Hrsg. v. Gerhard Strauß. Tübingen 1986 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache Mannheim 60), 67⫺147. Svensson 1984 ⫽ Arnold Svensson: Anspielung und Stereotyp. Eine linguistische Untersuchung des politischen Sprachgebrauchs am Beispiel der SPD. Opladen 1984. Teubert 1989 ⫽ Wolfgang Teubert: Politische Vexierwörter. In: Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung. Hrsg. v. Josef Klein. Opladen 1989, 51⫺68. Tillmann 1989 ⫽ Alexander Tillmann: Ausgewählte Textsorten politischer Sprache. Eine linguistische Analyse parteilichen Sprechens. Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 513).

Volmert 1989 ⫽ Johannes Volmert: Politikerrede als kommunikatives Handlungsspiel. Ein integriertes Modell zur semantisch-pragmatischen Beschreibung öffentlicher Rede. München 1989. Wiesemann 1986 ⫽ Uwe Wiesemann: Aspekte der formal-inhaltlichen Beschreibung der Textsorte ,Leitartikel‘ (dargestellt an der Zeitschrift ,The Economist‘). In: Politischer Wortschatz in textueller Sicht. Hrsg. v. Christina Schäffner und Albrecht Neubert. Berlin 1986 (Linguistische Studien. Reihe A Arbeitsberichte 146), 144⫺172. Wodak 1989 ⫽ Ruth Wodak: 1968: The power of political jargon ⫺ a ‘Club 2’ discussion. In: Language, Power and Ideology. Studies in Political Discourse. Ed. by Ruth Wodak. Amsterdam. Philadelphia 1989 (Critical Theory 7), 137⫺163. Wülfing 1982 ⫽ Wulf Wülfing: Schlagworte des Jungen Deutschlands. Mit einer Einführung in die Schlagwortforschung. Berlin 1982 (Philologische Studien und Quellen 106). Wüster 1991 ⫽ Eugen Wüster: Einführung in die Allgemeine Terminologielehre und Terminologische Lexikographie. M. e. Vorw. v. Richard Baum. 3. Aufl. Bonn 1991 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur 20). Zifonun 1984 ⫽ Gisela Zifonun: Politische Sprachkultur und Sprachkritik. In: Institut für deutsche Sprache Mannheim. Mitteilungen 10. 1984, 61⫺90.

Franz Simmler, Berlin

78. Fachsprachliche Phänomene in Verkauf und Konsum 1. 2. 3. 4. 5. 6.

1.

Einführung: die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Charakterisierung des Objektbereichs Der Bereich Verkauf und Konsum im Rahmen allgemeiner Fachsprachenkonzeptionen Beispiele für Kommunikationsformen im Bereich Verkauf und Konsum Schlußbetrachtung Literatur (in Auswahl)

Einführung: die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen

Wirtschaftliche Transaktionsprozesse sind durch Güter-, Geld- und Informationsströme gekennzeichnet. Anbieter und Nachfrager treffen auf Märkten zusammen und tauschen Waren und Dienstleistungen aus (Meffert 1991, 24; Scheuch 1993, 407). Aus linguistischer Perspektive stellt sich der ökonomische Begriff Markt als Ort der Kommunikation

dar, an dem die Anbieter/Verkäufer und Nachfrager/Käufer ihre komplementären wirtschaftlichen Interessen mit Hilfe sprachlicher Mittel bearbeiten. Die systematische Beschäftigung mit dem Absatz von Waren setzt in einer Wirtschaft erst dann ein, wenn diese in ausreichendem Maße industrialisiert ist, Überschüsse produziert und intensiven Wettbewerb aufweist. Weder in einer reinen Bedarfsdeckungs- noch einer Mangelwirtschaft, sondern erst unter den Bedingungen eines „Käufermarktes“ (vgl. Bänsch 1991, 1⫺2; Bänsch 1993, 4) ist eine Verkaufsanstrengung im eigentlichen Sinne nötig. Der unvermittelte Kontakt zwischen selbständig, nur lokal agierenden Produzenten und Endverbrauchern ist eher zur Ausnahme geworden. Gleichzeitig sind Produkte und Dienstleistungen, aber auch die Handelsbeziehungen selbst, komplexer, technisierter und somit erklärungsbedürftiger geworden,

78. Fachsprachliche Phänomene in Verkauf und Konsum

so daß in die Gestaltung der Austauschbeziehungen vermehrt eine fachliche Komponente Einzug gehalten hat. Daneben finden auch im Bereich der low-tech Produkte des täglichen Bedarfs, einschließlich der Nahrungsmittel, fachsprachliche Elemente zunehmend Anwendung (vgl. Abschnitt 4.2). Wenngleich zwischen jedem Glied der „Absatzkette“ Geschäfts- und damit auch kommunikative Beziehungen bestehen, konzentriert sich der vorliegende Beitrag schwerpunktmäßig auf kommunikative Kontakte am point of sale, wo der Endverbraucher direkten Kontakt mit der Ware hat und seine Entscheidung unmittelbar (und nicht zeitversetzt, wie etwa bei einer Werbeanzeige) in einen Kauf münden kann. Als Beispiele zur näheren Betrachtung wurden das dyadische Verkaufsgespräch im Einzelhandel sowie Konsumgüterverpackungen gewählt. Die Begriffe Verkauf und Konsum werden als zwei Facetten eines Handlungskomplexes interpretiert. Konsum wird als der umfassendere Gegenstandsbereich aufgefaßt, der eine Fülle von Tatbeständen umfaßt ⫺ vom Kaufimpuls über den Kauf selbst bis zum tatsächlichen Verbrauch. Unter Verkauf (bzw. vollständiger und korrekter Verkauf/ Einkauf) wird lediglich die unmittelbare Situation des Gütertauschs verstanden.

2.

Charakterisierung des Objektbereichs

Entsprechend der Gliederung von Fachsprachen (vgl. Abschnitt 3) konstituieren sich auch im Bereich Verkauf und Konsum fachsprachliche Phänomene zum einen durch ihre Lokalisierung im Rahmen eines bestimmten Fachbereichs (die horizontale Dimension), zum anderen durch ihre Zugehörigkeit zu spezifisch fachlichen Verwendungssituationen (die vertikale Dimension). Ein telephonisches Reklamationsgespräch im Computerfachhandel bezieht seine fachliche Qualität einerseits aus der Orientierung auf Computertechnologie, andererseits aus dem kontextuellen Bedingungsgefüge, das Reklamationen über das Medium Telephon charakterisiert. Zu diesem Kontext gehören die Einbettung des Handlungstyps Reklamation in die Wirtschafts- und Rechtssphäre (Antos 1988, 11), das Rollenverständnis der Beteiligten als beschwerdeführender Kunde und technischer Sachbearbeiter sowie die für Telephongespräche typischen Interaktionsformen (vgl. HessLüttich 1990, 273⫺277; Schmale 1988, 12⫺ 16). Ob die Kategorie der Fachlichkeit auf die vertikale (situationsspezifische) Dimension in gleicher Weise Anwendung finden kann wie auf die horizontale (durch das Fachgebiet be-

757

stimmte), ist letztlich wohl eine Frage der relativen Enge oder Weite des zugrundegelegten Fachsprachen-Begriffs. Manche Facetten des angesprochenen kontextuellen Bedingungsgefüges, wie etwa im genannten Beispiel der Einsatz des Telephons, sind auch für nichtfachliche Kontakte relevant und somit für die Bestimmung von Fachlichkeit nicht distinktiv. In anderen Fällen lassen sich jedoch sehr wohl situationsspezifische sprachliche Merkmale identifizieren, die außerhalb des Verkaufs nicht in dieser Form auftreten; ein Beispiel dafür wären etwa die ritualisierten Eröffnungssequenzen in Verkaufsgesprächen; ein anderes der begleitende Tauschvorgang (einschließlich seiner juristischen Implikationen). Parallel zur wachsenden Technisierung und Erklärungsbedürftigkeit der Warenwelt erfolgt auch die Technisierung der Kommunikationsvorgänge selbst. Kundenkontakte sind zunehmend „medienvermittelt“ (Antos 1992 b, 273): via Telefon, Anrufbeantworter, Fax, Btx und Computer, und zwar per Diskette und e-mail (vgl. Antos 1992 a, 141⫺ 143; Weis 1992, 211⫺220; Schröder 1993, 190; Schröder 1994, 4). Auch die relativ älteste der „neuen“ Kommunikationsformen, das Telephonieren, erhält durch das Einbeziehen der EDV eine neue Dimension: das Computerprogramm, das Sachbearbeiter während telephonischer Kundengespräche bedienen, erweist sich als ein wesentlicher steuernder Faktor in der Gestaltung des Interaktionsablaufes; neue Anforderungen an die kommunikative Kompetenz von Käufern und Verkäufern sind die Folge (vgl. Antos 1988, 10; 15; 17; Antos 1992 a, 149⫺154; Antos 1992 b, 269). Im face-toface Verkaufsgespräch können Computer, insbesondere Laptop-Modelle, auch als Verkaufshilfe dienen (Weis 1992, 134; Weis 1993, 359⫺373). Computer Aided Selling (kurz: CAS) entlastet Außendienstmitarbeiter nicht nur von Routineaufgaben (Diller 1992, 150), sondern suggeriert dem Kunden auch erhöhte Fachkompetenz; das Medium selbst wird zum Prestigeträger und damit Werbemittel.

Eine weitere Entwicklung wurde und wird durch neue Vertriebsformen ausgelöst: bei Selbstbedienung und Versandhandel werden Produktinformationen und Kaufanreize statt im mündlichen, dialogischen Verkaufsgespräch durch schriftliche, monologische Texte (Verpackungen bzw. Kataloge) dargeboten; eine (elektronisch vermittelte) schriftliche und dialogische Kommunikationsform entsteht durch das auf Bildschirmtext gestützte Teleselling (Zentes 1992, 408 f) ⫺ auch als “screenshopping” (Scheuch 1993, 378 f; Weinhold-Stünzi 1984, 282), “electronic shop-

758

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

ping” (Kotler/Armstrong 1993, 362 f) und “interactive (home-)shopping” bezeichnet (The Economist 1994 a, 14; The Economist 1994 b, 49); eine akustisch-dialogische Kommunikationsform mittels Stimmcomputer existiert bereits in standardisierten Bereichen des Telebanking. Auch neueste, high-tech-gestützte Verkaufsautomaten (für Produkte und Dienstleistungen) sind in unterschiedlich komplexer Weise interaktiv (vgl. Bankomaten u. ä.). Das exemplarische Herausgreifen einzelner Kommunikationstypen darf gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Interaktion im Bereich Verkauf/Konsum durch eine Vielzahl mündlicher und schriftlicher Interaktionsmuster bzw. Textsorten realisiert wird. Die Bandbreite reicht von Werbung in Massenmedien und im Wege des Direktmarketing über Gebrauchsanweisungen bis hin zu den für Kontakte zwischen Firmen relevanten Textsorten (z. B. Handelskorrespondenz, Geschäftsverhandlungen, Produktpräsentationen), die je nach der Branchenzugehörigkeit der beteiligten Unternehmen entweder fachinternen oder -externen Charakter haben können. Zwischen den einzelnen Textsorten bestehen reichhaltige intertextuelle Bezüge. Ein Geschäftsbrief kann auf einen Werbeprospekt, auf eine Demo-Diskette oder eine Produktvorstellung am Messestand Bezug nehmen; im persönlichen Verkaufsgespräch kann ein Verkäufer Verkaufshilfen, wie z. B. schriftliche Unterlagen (sales folder), Videoaufzeichnungen oder Verkaufshandbücher (sales manuals) einsetzen (Weis 1992, 126⫺ 134); ein Werbespot im Hörfunk kann auf eine Werbeeinschaltung im Fernsehen und in den Printmedien anspielen, die wiederum auf Verpackungstext referieren, der seinerseits wieder Elemente aus der Werbung aufnimmt, usw. Das Konzept der „Textketten“, ursprünglich beheimatet in der literaturwissenschaftlichen Intertextualitätsdiskussion (vgl. Broich 1985, 51; Zander 1985, 181; 186; Karrer 1985, 115), läßt sich auch hier fruchtbringend einsetzen. Textketten sind durch die „Konstruktion einer ,intertextuellen Textwelt‘ “ (Holthuis 1993, 181), die Schaffung eines Anspielungsraumes, wesentlich an der Sinnkonstitution der durch sie verknüpften Einzeltexte beteiligt (vgl. Lachmann 1990, 88). In Hinblick auf die vertikale Schichtung der Fachsprachen ist zu betonen, daß Ketten intertextueller Relationen auch schichtenübergreifend sein können: so ist etwa eine firmenintern verbreitete Produktspezifikation

aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung mit ihrem hohen Fachlichkeitsgrad Bestandteil der „Theoriesprache“ und/oder „fachlichen Umgangssprache“ (von Hahn 1973, 283 f). Im Zuge der Produktvermarktung jedoch gehen Teile des Inhalts und sprachliche Realisierungsformen der technischen Spezifikation auch in Texte des Bereichs Verkauf und Konsum ein ⫺ wie zum Beispiel in Gebrauchsanweisungen oder Werbetexten.

3.

Der Bereich Verkauf und Konsum im Rahmen allgemeiner Fachsprachenkonzeptionen

Im Rahmen der etablierten Modelle für die Gliederung von Fachsprache(n) (von Hahn 1983, 72⫺83; Möhn/Pelka 1984, 42; Fluck 1991, 16⫺23) wird als vertikale Gliederungsstufe mit dem vergleichsweise geringsten Fachlichkeitsgrad eine Schicht postuliert, die als „Verkäufersprache“ (Ischreyt 1965, 40 ff), „Verteilersprache“ (von Hahn 1973, 284; Möhn 1975, 172) bzw. „Sprache der Konsumtion“ (Hoffmann 1985, 65) bezeichnet wird. Nach Hoffmann (1985, 66) sei die Sprache der Konsumtion ⫺ Schicht „E“ in seinem fünfgliedrigen Modell ⫺ durch eine „sehr niedrige Abstraktionsstufe“ charakterisiert, es handle sich um „natürliche Sprache mit einigen Fachtermini und ungebundener Syntax“, die Kommunikationsträger seien Vertreter der materiellen Produktion, des Handels sowie Konsumenten. Ein Festhalten an der Dichotomie Fachsprache/Gemeinsprache vorausgesetzt, „läge hier der Übergang von der Fachsprache in die Gemeinsprache“ (Hoffmann 1985, 69). Desgleichen wirken Wissenschaft und Technik „in erster Linie über die Konsumtionssphäre auf die Gemeinsprache ein“ (Fluck 1991, 160). In bezug auf die vertikale Gliederung und die angesprochenen Kontaktphänomene gilt es drei Problemkreise zu thematisieren: (1) Für den konkreten Fall ist jeweils zu präzisieren, welche der von Hoffmann für „Schicht E“ genannten Kommunikationsträger beteiligt sind. Zwischen Vertretern der Produktion und jenen des Handels besteht i. d. R. eine beträchtliche gemeinsame Wissensbasis, so daß Fachlichkeit weit weniger interaktiv bearbeitet werden muß als wenn ein Konsument involviert ist, der meist, aber keineswegs zwingend, fachlich nicht versiert ist. (2) Die (heuristisch gewiß wertvolle) Trennung in

78. Fachsprachliche Phänomene in Verkauf und Konsum

fachsprachliche Schichten darf nicht als Aufstellung wechselseitig impermeabler, diskreter Kategorien fehlinterpretiert werden. Die Existenz von fließenden Übergängen und Mischformen ist zu berücksichtigen (Fluck 1991, 21) und mit ihr die prinzipielle Erkenntnis und Akzeptanz der „Relationalität“ der Fachlichkeit (Kalverkämper 1980, 14; Kalverkämper 1983, 134⫺141). (3) Die Vorstellung einer als Zustand beschreibbaren fachsprachlichen Schicht ist zu ergänzen bzw. zu ersetzen durch eine prozeßhafte Darstellung: in der Interaktion zwischen einem Fachmann in der Rolle des Verkäufers und einem Laien in jener des Käufers bedienen sich die Sprecher ja nicht einer restlos vorgefertigten, als System verfestigten „Verkäufersprache“, sondern sie handeln den Grad und die spezifische Ausprägung der Fachlichkeit erst untereinander aus. Der Begriff der „Verkäufersprache“ ist insofern irreführend, als der „gegenseitigen Akkommodation“ (Merlini Barbaresi/Dressler 1989, 110) zwischen Verkäufern und Käufern nicht Rechnung getragen wird.

4.

Beispiele für Kommunikationsformen im Bereich Verkauf und Konsum

4.1. Der persönliche Verkauf Von im engeren Sinne linguistischem Interesse sind in erster Linie jene Fälle, wo die Interaktion über die Minimalform des meist nur nonverbal abgewickelten kundeninitiierten „Abnahmekaufs“ bzw. des verkäuferinitiierten „Aushändigungsverkaufs“ (Hölscher 1985, 116) hinausgeht. Komplexere, weniger ritualisierte Formen von Verkaufsgesprächen entstehen, sobald zwischen Verkäufer und Käufer bestehende Interessenkonflikte manifest werden oder wenn der Käufer Informationsdefizite befriedigt wissen möchte, bevor er bereit ist, eine Kaufentscheidung zu fällen. Je höher der technische Entwicklungsstand eines Produktes oder der Abstraktionsgrad einer Dienstleistung steigen (z. B. im Bankenund Versicherungssektor) und je größer das „Involvement“ des Käufers ist (vgl. KroeberRiel 1992, 374 ff), desto ausgeprägter wird der Bedarf nach Erklärung und Service durch den Verkäufer sein, und desto stärker kommen folglich im Verkaufsgespräch auch fachsprachliche Elemente zum Tragen. Als Grundkonstellation läßt sich annehmen, daß der Verkäufer bzw. Anbieter eines

759

Produktes oder einer Dienstleistung in der Rolle des Experten, der Endverbraucher als Käufer in jener des Laien ist; daß es sich somit um „Schnittstellenkommunikation“ (Beneke 1992, 214) handelt, um die „Verständigung zwischen Angehörigen unterschiedlicher Diskurswelten“ (Beneke 1992, 212). Anhand von Reparaturannahmegesprächen in einer Autowerkstatt zeigt Beneke, wie das Verhältnis der Interaktanten von „gekreuzten Asymmetrien“ bestimmt ist. Einer „Asymmetrie des Wissens“, gekennzeichnet durch die fachliche Überlegenheit des Kundendienstberaters, steht eine gegenläufige, den Kunden bevorzugende „Asymmetrie der sozialen Geltung“ gegenüber (Beneke 1992, 219), die ⫺ anders als im fachsprachlichen Unterricht ⫺ die direkte Verständnisüberprüfung durch den Fachmann ausschließt (Beneke 1992, 221). Die fachsprachliche Akkommodation des Kundenberaters äußert sich u. a. in Paraphrasen, die verfachlichend (Upgrading) oder entfachlichend (Downgrading) sein können. Upgrading macht etwa aus der Beschwerde des Kunden, das Radio knittert und pfeift, die fachliche Diagnose, es bestünden Störfrequenzen (Beneke 1992, 225). Downgrading liegt vor, „wenn der KB [Kundendienstberater] Ausdrücke des Kunden, wie das Ding, das Zeug, das Ruckeln im Fortgang des Gesprächs übernimmt“ (Beneke 1992, 229). Das Aufeinandertreffen der Diskurswelten von Experten und Laien ist nicht nur auf lexikalischer Ebene problembehaftet; so verweist Antos (1992 b, 270) darauf, daß in der telephonischen Kundenberatung der „erzählende Duktus der Problemexplikation“ seitens der Kunden von den Mitarbeitern als „inkompetente Sachverhaltsdarstellung“ empfunden wird und entsprechende Ungeduld hervorruft. Mangelnde Fachlichkeit manifestiert sich also in diesem Fall nicht (nur) als inadäquate Lexis, sondern auch als Wahl des (aus der Sicht des Experten) falschen Diskurstyps. Akkommodationsleistungen in Verkaufsgesprächen können nicht nur die Fachlichkeit, die durch das Produkt bzw. die Dienstleistung vorgegeben ist, sondern auch den Handlungstyp des Verkaufens betreffen: wenn sich ein Autoverkäufer auf das Aufsetzen eines Vertrags mit einem euphemistischen Wir schreiben alles auf bezieht, dann „stuft [diese Formulierung] die zentrale Handlung herunter und verbirgt ihren juristischen, institutionellen Charakter hinter dem Schein der informellen Abmachung“ (Brünner 1994, 336). Der jede Austauschbeziehung inhärente

760

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Interessengegensatz wird durch die Umwertung des Verkäufers zum Berater kaschiert. In der praxisorientierten (aus linguistischer Sicht präskriptiv agierenden) Literatur werden konkrete Hinweise zum fachlichen Downgrading gegeben. Weis (1992, 164) empfiehlt dem Verkäufer die Verwendung „positiv assoziierter“ Wörter, wie zum Beispiel Vereinbarung und Gespräch, statt ihrer „negativ assoziierten“ fachlichen Gegenstücke Vertrag und Verhandlung. Bänsch (1993, 55) rät in bezug auf Geschäftsverhandlungen, der Verkäufer habe „zu vermeiden, daß bei dem Kunden als Ersteindruck entsteht, es solle ihm etwas verkauft werden“; der Verkäufer solle sich vielmehr „als möglicher Problemhelfer oder Problemlöser einführen“. Daß Rollenkonflikte im Verkauf durch eine distributionspolitische Entscheidung auch bewußt geschaffen und für den Verkaufserfolg instrumentalisiert werden können, zeigt das Vertriebssystem „Partyselling“. Die sozialen Verpflichtungen, die zwischen Nachbarn und Freunden bestehen, führen im Rahmen des gezielt hybrid angelegten Diskurstyps Verkaufsparty zu subtilem Kaufzwang (vgl. Taylor 1978, 574; Brünner 1994, 346). 4.2. Verpackungen von Konsumgütern Speziell im Selbstbedienungsladen dient die Verpackung nicht mehr nur dem Schutz der Ware und der Erleichterung des Transports, sondern ist auch ein „Medium der Verkaufsförderung“, welches „die beratende und kaufanregende Funktion des Verkäufers übernehmen“ (Meffert 1991, 408) und „Erklärungswert“ (Hüttel 1992, 182) besitzen soll. Für die Produktdifferenzierung angesichts einer Vielzahl optisch und funktional de facto gleichwertiger Produkte spielt die Verpackungsgestaltung eine entscheidende Rolle. Sie lenkt die Aufmerksamkeit des Kunden auf eine bestimmte Marke, benennt und beschreibt das Produkt, listet die Inhaltsstoffe auf, gibt Hinweise zur Lagerung und, wenn nötig, zur Verwendung, erklärt die Handhabung der Verpackung, beschreibt etwaige verkaufsfördernde Maßnahmen (Preisausschreiben, Gutscheinaktionen), und bewirbt u. U. verwandte Produkte desselben Herstellers. Da die Verpackung häufig auch der weiteren Aufbewahrung der Ware im Haushalt des Konsumenten dient, entfaltet sie auch nach dem Kauf noch Werbewirkung, fungiert somit als „continuous communicator“ (Selame 1986, 93/4).

Die makrostrukturelle Analyse weist den Verpackungstext als in weitgehend freier Abfolge angeordneten Verbund der genannten Sprachhandlungen bzw. Teiltexte aus. Zwischen den textuellen Einheiten ist Kohäsion eher die Ausnahme; als Gliederungssignale fungieren typographische Differenzierung und die räumlichen Begrenzungen, die von der Form des Behälters vorgegeben sind (z. B. Kanten eines Kartons). Aus funktionaler Perspektive lassen sich deskriptive Sprachhandlungen (z. B. die Produktbeschreibung) und direktive Sprachhandlungen (z. B. Lagervorschriften), identifizieren (Hardt-Mautner 1992, 101⫺106). Weiterhin unterscheiden sich die Sprachhandlungen nach ihrem persuasiven Gehalt: den offensichtlich werbenden Elementen stehen augenscheinlich „objektive“ Sachinformationen wie etwa die Liste der Ingredienzien gegenüber. Eine bi-polare Variable [⫹/⫺ persuasiv] wird den Daten jedoch nicht gerecht, wenn man berücksichtigt, daß mittels nonverbaler Bedeutungselemente (z. B. Schriftgröße, Plazierung) auch die Angabe von „Fakten“ (Gewichtsangabe, Inhaltsstoffe, Verfallsdatum) eine persuasive Komponente erhalten kann (Hardt-Mautner 1994, 37). Daß die Texte auf Verpackungen von High-Tech-Produkten einen hohen Grad an Fachlichkeit aufweisen, ist nicht überraschend; weit weniger selbstverständlich sind dagegen fachsprachliche Elemente auf Verpackungen von kurzlebigen Konsumgütern des täglichen Bedarfs, wie Nahrungsmitteln oder Körperpflegeprodukten. Hier bestehen zwei Motive für die Verwendung von Fachsprache: (1) Wie in der Werbung in anderen Medien wird der gesamtgesellschaftliche Trend zu Technisierung und Verwissenschaftlichung werbewirksam eingesetzt (Fluck 1991, 169⫺ 172). Dies äußert sich zum einen in der expliziten Anrufung wissenschaftlicher Autorität, um die Qualität des Produktes zu untermauern: Synergie-Tagescreme wird auf der Pakkung als dermatologisch geprüft ausgewiesen, und den Käufern von Alnatura-Vollkornnudeln versichert man, es handle sich um ein hochwertiges Lebensmittel aus kontrolliertem biologischem Landbau, das durch unabhängige wissenschaftliche Sachverständige (…) regelmäßig geprüft werde. Weiterhin werden fachsprachliche Elemente gezielt für die Produktbeschreibung eingesetzt. So konfrontiert etwa die Auswahl einer Hautcreme aus dem Regal eines Drogeriemarktes den

761

78. Fachsprachliche Phänomene in Verkauf und Konsum Konsumenten mit reichhaltiger chemischer und dermatologischer Fachsprache. Zum Beispiel ist auf den Cremetuben der Firma Laboratoires Garnier (auch der Firmenname suggeriert: das Produkt kommt aus dem Labor, nicht aus der Fabrik!) von Protein-Konzentrat und Vitamin E-Derivaten die Rede, ebenso von Feuchtigkeitsspendern für die oberen Schichten der Epidermis, von Dermolipiden und Sojapeptiden. Der stark begrenzte Platz auf der Packung sowie die unter Zeitdruck erfolgende Textrezeption am point of sale läßt ein Ausschöpfen des gesamten Repertoires fachsprachlicher Textgestaltung i. d. R. nicht zu. Anders als in der Kosmetik-Werbung in Printmedien lassen sich auf einer einzelnen Cremetube kaum detaillierte Beschreibungen von Herstellungs- und Wirkungsprozessen oder Illustrationen vom Typus „fachliches Bild“ (vgl. Kalverkämper 1993, 219 ff) unterbringen.

Die Fachlichkeit im Verpackungstext ist stark lexis-zentriert. Das Fachwort wird zum positiv bewerteten Schlagwort, das vom Konsumenten ohne spezielles Fachwissen vermutlich nicht in seinem vollen Bedeutungsumfang „verstanden“ wird, das aber positive Produkteigenschaften transportiert. Der Laie reagiert wohl vorrangig auf die konnotative, nicht die kognitive Bedeutung; er verarbeitet die Begriffe ⫺ und hier läßt sich durchaus ein auf Verkaufsgespräche angewandtes Konzept entlehnen ⫺ mit geringer „kognitiver Tiefe“ (Beneke 1992, 220). Von der fachsprachlichen Lexis geht werbende Signalwirkung aus, die dadurch evozierte Fachlichkeit wird im Text aber nicht durchgängig beibehalten, sondern von alltagssprachlicher Bezugnahme auf den Erfahrungshorizont des durchschnittlichen Konsumenten abgelöst. Die Wirkung der Sojapeptide in der Hautcreme wird nicht als chemischer Prozeß beschrieben, sondern sie führen der Haut die umfassende Pflege zu; über die in der Creme enthaltenen Liposome erfahren wir nur, daß sie den Lipiden der Haut sehr ähnlich sind und somit von ihr vollständig aufgenommen werden. Auch das Produktversprechen, mit dem die Beschreibung der Creme schließt, orientiert sich an der sinnlich erfahrbaren Lebenswelt des Konsumenten, nicht an einem dermatologischen Befund: Gleich nach dem Auftragen wird die Haut weich und geschmeidig. Sie wird belebter, glatter und strahlend frisch.

Daß die Kombination von fachlichen bzw. fachlich anmutenden Termini mit auf Alltagserfahrung Bezug nehmender Sprache den Eindruck eines stilistischen Bruchs hinterläßt, entspricht dem Wesen von „Schnittstellenkommunikation“ (vgl. Abschnitt 4.1.). Gerade dieser Bruch ⫺ statt einer graduellen, didaktisch motivierten Entfachlichung ⫺ läßt

es zweifelhaft erscheinen, ob Fachsprache hier zur Information des Konsumenten eingesetzt wird. Eine echte Vermittlungsleistung zwischen Expertendiskurs und Laiendiskurs wird durch das punktuelle Einstreuen von Fachtermini kaum geleistet: der Konsument weiß nach der Lektüre des Packungstextes wohl kaum mehr über Sojapeptide als vorher. (2) Die zweite Ursache für die Verwendung von Fachsprache im Verpackungstext besteht in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, in denen die Texte produziert werden (Koppelmann 1971, 159⫺163). Für eine Vielzahl von Produkten, insbesondere Nahrungsmittel, existieren Verpackungsverordnungen, deren Erfüllung bisweilen der Werbewirkung zuwiderläuft und daher den Einsatz entsprechender sprachlicher Strategien auslöst. Einerseits wird obligatorische, aber wenig schmeichelhafte Produktinformation durch reduzierte Schriftgröße und Anbringung an Seitenflächen, Böden etc. der Aufmerksamkeit des Konsumenten entzogen. Gleichzeitig findet sich nicht selten eine inhaltliche Doppelung: das Produkt wird auf derselben Packung zweimal beschrieben, einmal selektiv, in positiv wertender Gemeinsprache (z. B. Werthers Echte. Sahnebonbons mit guter Butter und frischer Sahne), einmal durch die vom Gesetz geforderte vollständige Nennung der Inhaltsstoffe (inklusive Mengenangaben) in der Fachsprache der Lebensmitteltechnik: Zutaten: Zucker, Glukosesyrup, Sahne (7%), Butter (4,5%), Süßmolke, Kochsalz, Emulgator, Lezithin, Aroma Vanillin. Weder Glukosesyrup noch Emulgator sind geeignet, die Lust auf Sahnebonbons zu fördern; folgerichtig ist die Liste der Ingredienzien in kleiner Schrift und an wenig auffälliger Stelle gedruckt. Ähnlich wird bei der Beschreibung von Gutscheinaktionen und Gewinnspielen verfahren: auf der Vorderseite einer Packung Kellogg’s Oat Bran Flakes prangt der Kaufanreiz 25p off next purchase, an der Schmalseite werden dem Konsumenten und dem Wiederverkäufer die nicht ganz so animierenden Details der Rückvergütungsaktion in juristischer Fachsprache dargestellt (This coupon will be redeemed by … For reimbursement in U. K. send to …).

5.

Schlußbetrachtung

Das Zusammentreffen von Produzenten und Konsumenten generiert eine Spielart der fachexternen Kommunikation, deren Fach-

762

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

lichkeit das Ergebnis einer fein abgestimmten Reaktion auf variable situative Faktoren darstellt. In der mündlich-dialogischen Interaktion wird diese Dynamik besonders deutlich: ob und welche fachsprachlichen Akkomodationsleistungen der Experte in seiner Verkäuferrolle zu erbringen hat, wird zwischen den Interaktanten im Gesprächsverlauf „ausgehandelt“. Der wirtschaftliche Interessengegensatz zwischen den Beteiligten läßt fachsprachliche Elemente auch zu einem Objekt der (nicht deklarierten) Manipulation werden. In mündlichen wie schriftlichen Textsorten kann aus verkaufsfördernden Motiven Fachsprache auch allein wegen ihres Prestigewertes und nicht wegen ihres Informationsgehaltes gezielt eingesetzt werden. Die Linguistik hat in diesem Bereich über ihr eigenes akademisches Interesse hinaus auch weite Tätigkeitsfelder als anwendungsorientierte (und kommerziell verwertbare) Wissenschaft. Ihre Analyse- und Beratungstätigkeit kann Verkäufern zu erhöhtem Verkaufserfolg verhelfen (vgl. Fiehler 1992, 337 f) und Käufern zu bewußtem und kritischem Konsumentenverhalten. Von besonderem Reiz wird dabei immer wieder die Beobachtung sein, wie die Linguistik forschungsethisch und methodisch mit den spezifischen Interessenlagen der jeweiligen Auftraggeber umgeht.

6.

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Hoffmann 1985 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2. Aufl. Tübingen 1985 (Forum für Fachsprachen-Forschung 1). Hölscher 1985 ⫽ Bernhard Hölscher: Aspekte einer Taxonomie der Verkaufs-/Einkaufs-Gespräche. In: Das Verkaufs-/Einkaufsgespräch. Eine linguistische Analyse. Hrsg. v. Franz Hundsnurscher und Wilhelm Franke. Stuttgart 1985 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 155), 109⫺140. Holthuis 1993 ⫽ Susanne Holthuis: Intertextualität. Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption. Tübingen 1993. Hüttel 1992 ⫽ Klaus Hüttel: Produktpolitik. 2. Aufl. Ludwigshafen (Rhein) 1992. Ischreyt 1965 ⫽ Heinz Ischreyt: Studien zum Verhältnis von Sprache und Technik. Düsseldorf 1965. Kalverkämper 1980 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Axiomatik der Fachsprachen-Forschung. In: Fachsprache 2. 1980, 2⫺20. Kalverkämper 1983 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Textuelle Fachsprachenlinguistik als Aufgabe. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 13. Heft 51⫺52. 1983, 124⫺166. Kalverkämper 1993 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Das fachliche Bild. Zeichenprozesse in der Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse. In: Fachtextpragmatik. Hrsg. v. Hartmut Schröder. Tübingen 1993 (Forum für Fachsprachen-Forschung 19), 215⫺ 238. Karrer 1985 ⫽ Wolfgang Karrer: Intertextualität als Elementen- und Struktur-Reproduktion. In: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. v. Ulrich Broich und Manfred Pfister. Tübingen 1985 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35), 98⫺116. Kotler/Armstrong 1993 ⫽ Philip Kotler/Gary Armstrong: Marketing. An Introduction. 3. Aufl. Englewood Cliffs 1993. Koppelmann 1971 ⫽ Udo Koppelmann. Grundlagen der Verpackungsgestaltung. Ein Beitrag zur marketingorientierten Produktforschung. Herne. Berlin 1971. Kroeber-Riel 1992 ⫽ Werner Kroeber-Riel: Konsumentenverhalten. 5. Aufl. München 1992. Lachmann 1990 ⫽ Renate Lachmann: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne. Frankfurt/M. 1990.

764

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

79. Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen I: Englisch⫺Deutsch im 20. Jahrhundert 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

1.

Englisch als weltweit dominierende Verkehrs- und Fachsprache Gründe für die Verringerung der Bedeutung des Deutschen in der Welt Hermann Dungers Streitschrift wider die Engländerei in der deutschen Sprache Deutsch als Wissenschaftssprache Die Situation in den Fachsprachen heute Zum Eindringen von Fachwörtern in die Gemeinsprache Lexikographische Behandlung der Fachwörter Literatur (in Auswahl)

Englisch als weltweit dominierende Verkehrs- und Fachsprache

Daß das Englische heute eine Weltsprache ist, unterliegt ebensowenig einem Zweifel wie die Tatsache, daß das Deutsche dies nicht ist. Und daß das Englische in den Fachsprachen vor allem der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Unterhaltungskultur dominiert, hängt eben auch mit seinem Status als Weltsprache zusammen. Dieser wiederum ist insbesondere auf die intensive Teilhabe Englands an der „Europäisierung der Welt“ (Golo Mann) zurückzuführen. Neben diesen primär historisch-politischen Gründen ⫺ basierend auf dem enormen Einfluß des ehemaligen britischen Weltreiches ⫺ gibt es auch linguistische Gründe, die zur Weltgeltung des Englischen beitrugen. Deretwegen nannte Jacob Grimm bereits 1864 das Englische „mit vollem Rechte eine Weltsprache“ (Grimm 1864, 293). Nur vier Jahre später bemerkte W. Brackebusch in seiner in Göttingen verfaßten Dissertation indes “that the greater development [English] has obtained in the simplification of its grammar is the commencement of its dissolution, the beginning of the end” (1868, 47), daß die Gefahren aber noch mehr in der weiten Verbreitung des englischen Sprachgebietes lägen, wodurch zunächst regionale Differenzierungen im Gebrauch des Englischen entstünden, die schließlich ganz neue, vom Englischen unabhängige Sprachen hervorbringen würden. Wenngleich die Entwicklung Brackebusch in letzter Konsequenz nicht recht gegeben hat, so sind natürlich gewisse Diversifizierungstendenzen des Englischen festzustellen. Indes gibt es über alles Trennende und Unterscheidende hinaus ein alle Varianten einendes Band, was den Auf-

stieg des Englischen zur Weltsprache überhaupt erst möglich gemacht hat.

2.

Gründe für die Verringerung der Bedeutung des Deutschen in der Welt

Hier sind zwei Bereiche voneinander zu unterscheiden: der historisch-politische und der psychologische. Am Aufbruch Europas in die Welt, der seit Beginn des 17. Jh.s in größerem Umfang einsetzte, blieb das territorial zersplitterte Deutschland unbeteiligt. Einen Nationalstaat konnte es im Gegensatz zu seinen westlichen Nachbarn nicht verwirklichen. Dies waren die Hauptursachen dafür, daß „Deutschland trotz seiner relativen Größe, seiner zentralen Lage und seiner wissenschaftlich-technischen Potenz außenpolitisch wenig Bedeutung gewann und damit auch seine Sprache in Politik und Diplomatie keine Geltung erlangte“ (Stark 1993, 193). Nach Ostrower (1965 zit. nach Stark 1993, 192) war es das Festhalten am Latein, was dem Deutschen den Aufstieg zu einer Sprache der Politik und Diplomatie verbaute. Anfang des 18. Jh.s war Latein als gemeinsame Vertragssprache nicht mehr durchzusetzen. Da Prinz Eugen im Vertrag von Rastatt 1714, der den Spanischen Erbfolgekrieg beendete, Deutsch anstelle von Latein nicht verwenden mochte, wurde er nur in französischer Sprache abgefaßt, was für die Zukunft folgenschwer war. Der psychologische Grund für die Verringerung der Bedeutung des Deutschen in der Welt ist darin zu sehen, was die Londoner Times 1960 treffend die „linguistic submissiveness“ der Deutschen genannt hat. Sie hat in Deutschland eine lange Geschichte. „Gebildete Deutsche“ nahmen bereitwillig alles Ausländische auf, auch fremde Sprachen. Dies ging Hand in Hand mit der Meinung über die Minderwertigkeit der eigenen Sprache. Diesbezüglich hat sich bis zum heutigen Tag nichts Wesentliches geändert ⫺ trotz nationalistischer Phasen in der deutschen Geschichte. Dem jahrhundertelangen Einfluß der französischen Welt auf die deutsche folgte etwa seit der Jahrhundertwende die recht bereitwillige Unterordnung unter das Englische, die besonders seit 1945 ⫺ zumindest teilweise durch politische Gründe bedingt ⫺ deutlich zugenommen hat.

79. Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen I: Englisch⫺Deutsch im 20. Jh.

3.

Hermann Dungers Streitschrift wider die Engländerei in der deutschen Sprache

Der erste, der sich ausschließlich englischem Einfluß im Deutschen zuwandte und diesen einzudämmen suchte, war Hermann Dunger (1882 und 1909/1989), ein führendes Mitglied des 1885 gegründeten Allgemeinen Deutschen Sprachvereins. Als moderater Sprachpurist sah er den Einfluß des Englischen nicht nur negativ, was besonders hervorzuheben ist, sondern durchaus auch als Bereicherung der deutschen Sprache. Auch erkannte er bereits die Bedeutung der Fachsprachen. So finden sich bei Dunger Abschnitte z. B. über „Engländerei in Gewerbe und Handel, in der Seemannsprache, in Technik und Wissenschaft“ und „Lateinisch-griechische Fachausdrücke aus dem Englischen“. Auch die „Engländerei im Sportwesen“ ist vertreten, einem Bereich, auf dem nach Dungers Meinung „das englische Unkraut am üppigsten wuchert“ (1909/1989, 60). In Beilage I führt Dunger (1909/1989, 86 ff) „Deutsche Tennis-Ausdrücke“ auf und in Beilage II folgen „Deutsche Ausdrücke für das Fußballspiel“ (Dunger 1909/1989, 90 f), für deren Verwendung er plädiert. Heutige Untersuchungen zeigen, daß dem weitestgehend entsprochen wurde. Zahlreiche Verdeutschungen englischer fachsprachlicher Ausdrücke haben sich zumindest im Binnendeutschen voll durchgesetzt, während man in Österreich und in der Schweiz hier noch des öfteren Anglizismen begegnet (zu Österreich vgl. K. Viereck 1980, 227).

765

Abgesehen von der zahlenmäßigen Zunahme der Anglo-Amerikanismen insgesamt, läßt ein Vergleich zwischen Dungers etwa 1.000 Anglizismen und der Situation heute folgende Schlußfolgerungen zu: Eine Reihe von Anglo-Amerikanismen wurde in der Zwischenzeit voll in die deutsche Sprache integriert und assimiliert. Bei diesen Wörtern ist die englische Herkunft nicht mehr zu erkennen. Dazu gehört z. B. Streik, was Dunger noch ausschließlich in der englischen Schreibung strike notierte. In dieser Orthographie hat das Wort heute im Deutschen spezielle Bedeutungen bei Bowling und Baseball. Wenn sich nicht alsbald nach der Übernahme eines englischen Wortes eine Verdeutschung findet, die angenommen wird, bleibt es beim englischen Lehnwort. Ganz wesentlich dürfte schließlich die Tatsache sein, daß viele der von Dunger angeprangerten Entlehnungen aus dem Englischen, auch fachsprachliche, inzwischen wieder aus der deutschen Sprache verschwunden sind (zu Beispielen vgl. W. Viereck 1989, 10* f).

4.

Deutsch als Wissenschaftssprache

4.1. Die ⫺ kurze ⫺ führende Rolle deutschsprachiger Länder in den Wissenschaften und des Deutschen als Wissenschaftssprache Dunger (1909/1989, 38) bemerkt: „In der Wissenschaft ist der Einfluß des Englischen nicht so stark zu verspüren …“. In der bislang einzigen Gesamtübersicht des englischen

Abb. 79.1: Anteil verschiedener Sprachen an naturwissenschaftlichen Publikationen zwischen 1880 und 1980 ⫺ nach Ermittlungen des japanischen Sprachwissenschaftlers Minoru Tsunoda (Ammon 1992, 117).

766

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Abb. 79.2: Anteil der deutschsprachigen Länder an den Nobelpreisen für Chemie, Medizin und Physik verglichen mit dem der englischsprachigen Länder (Ammon 1992, 118; Ergänzung von 1901⫺1910 und von 1981⫺1990 von W. Viereck).

Einflusses auf das Deutsche heißt es hinsichtlich des Zeitraumes von 1885 bis 1914: „Seit der Aufnahme außerordentlich vieler naturwissenschaftlicher Fachwörter aus dem Englischen um die Mitte des 19. Jh.s … ist verhältnismäßig wenig Neues auf diesem Gebiet zu verzeichnen“ (Stiven 1936, 88 f). Diese Aussagen überraschen nicht, denn ab dem Ende des 19. Jh.s bis Ende der 1920er Jahre waren deutschsprachige Länder in den Wissenschaften führend, und Deutsch war für kurze Zeit sogar die international führende Wissenschaftssprache, wie Abb. 79.1 belegt. Ein Indiz für die herausragende Stellung der Naturwissenschaften ist die seit 1901 erfolgende Verleihung der Nobelpreise. Abb. 79.2 zeigt, daß bis Ende der 1920er Jahre wesentlich mehr Nobelpreise an Wissenschaftler deutschsprachiger als an solche englischsprachiger Länder gingen. Ein Vergleich mit Abb. 79.1 macht deutlich, daß Deutsch seine führende Rolle als Wissenschaftssprache schon wenige Jahre früher eingebüßt hatte. „Diese Form weltweiter Anerkennung [durch die Verleihung der Nobelpreise] indiziert also das wissenschaftliche Niveau eines Landes mit Verspätung. Möglicherweise haben demnach die deutschsprachigen Länder ihre führende Rolle in den Naturwissenschaften durchaus schon ungefähr zur gleichen Zeit eingebüßt, wie die deutsche Sprache ihren Vorrang als naturwissenschaftliche Publikationssprache verloren hat“ (Ammon 1992, 118). 4.2. Export deutscher fachsprachlicher Ausdrücke in englischsprachige Länder Komplementär zu der geschilderten Situation zeigt sich die hervorragende Stellung deutschsprachiger Wissenschaft darin, daß

vor allem in der zweiten Hälfte des 19. und im ersten Drittel des 20. Jh.s im Englischen zahlreiche im Deutschen geprägte Entlehnungen zu verzeichnen sind (vgl. Abb. 79.3). Pfeffer (1987, 1 ff) hat die wichtigsten englischen und amerikanischen Wörterbücher diesbezüglich ausgewertet. Nach seinen alphabetisch zumeist mit Erstbeleg aufgelisteten Entlehnungen wurden die folgenden Angaben erstellt: Entlehnungszeitraum

Entlehnungen in absoluten Zahlen

1830⫺1839 1840⫺1849 1850⫺1859 1860⫺1869 1870⫺1879 1880⫺1889 1890⫺1899 1900⫺1909 1910⫺1919 1920⫺1929 1930⫺1939

110 100 158 164 175 249 284 245 178 194 176

Insgesamt

2033

in % 5,4 4,9 7,8 8,1 8,6 12,3 14,0 12,1 8,7 9,5 8,6 100

Abb. 79.3: Übersicht über die deutschen Entlehnungen im Englischen. Vor 1830 und vor allem ab 1940 ist ihre Zahl wesentlich geringer.

In den ausgewerteten Wörterbüchern werden insgesamt fast 100 Bereiche unterschieden ⫺ von Anatomie, Biochemie, Biologie, Chemie, über Medizin, Mineralogie und Psychologie bis hin zur Zoologie. Um den deutschen Ursprung zu ermitteln, sind natürlich Fachkenntnisse erforderlich. Dies verdeutli-

79. Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen I: Englisch⫺Deutsch im 20. Jh.

chen die folgenden ausgewählten Wörter aus der Biochemie, wobei die römischen Ziffern (nach Eichler 1943, 75 f) folgendes bedeuten: I ⫽ wissenschaftliche Ausdrücke, die im Deutschen mit fremden Elementen geprägt wurden, wie z. B. adermin(e) (I), das von G. Kuhn und G. Wendt 1938 von griechischen Elementen gebildet wurde, oder alexin (I), von H. Buchner 1988 ebenfalls aus dem Griechischen. Es handelt sich also um Kunstwörter und nicht um Germanismen im eigentlichen Sinne des Wortes, die jedoch den großen Einfluß deutscher Wissenschaft verdeutlichen. Unter II sind Fachausdrücke zu verstehen, die aus oder mit deutschen Eigennamen gebildet wurden, wie z. B. Dippel’s oil (II), benannt nach dem deutschen Entdecker. Die Vorliebe der Wissenschaftler bei der Bildung von Begriffen für Griechisch und Latein, für Eigennamen und Abkürzungen ist verständlich, da diese Begriffe objektiv und neutral verwendet werden können und frei von Gefühlen und Wertungen sind, die mit Wörtern der Umgangssprache vielfach verbunden werden. Man denke nur an Freuds Begriff der Sexualität (vgl. hierzu Pörksen 1989, 15). Lehnert (1988, 15) wertet das deutsche Lehngut im Englischen so: “The largest bulk of terms coined by Germans and accepted in Anglo-American are represented by the innumerable scientific-technical words, artificially coined with the help of Latin and Greek word-material”. Zwar werden die meisten von ihnen nur in fachsprachlichen Zusammenhängen gebraucht, einige sind jedoch auch in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Dazu gehören u. a. allergic/allergy (1911) nach deutsch allergisch/Allergie (1906), ambivalence, -cy (1912) nach deutsch Ambivalenz (1910⫺11), biotop(e) (1927) nach Deutsch Biotop, chemotherapy (1907) nach deutsch Chemotherapie (Paul Ehrlich 1907), leukemia (1855) nach deutsch Leukämie (Rudolf Virchow 1848) und oecology/ecology (1873) nach deutsch Ökologie (einer Bildung Ernst Haeckels).

5.

Die Situation in den Fachsprachen heute

Bezüglich der Entlehnungen des Deutschen aus dem Englischen wies Carstensen als besonders wichtige Einflußgebiete Luftfahrt, Kerntechnik und Kybernetik aus; auch wurde von ihm die zunehmende Tendenz zur

767

Internationalisierung der Fachwortschätze vermerkt (Carstensen 1965, 262). F. und I. Neske erweitern obigen Katalog noch erheblich. Ihrer Meinung nach liegen die Schwerpunkte der sprachlichen Entlehnungen vor allem auf folgenden Gebieten: Naturwissenschaft, Technik, Wirtschaft, Soziologie, Psychologie, Datenverarbeitung, Militär, Jazz, Markt- und Meinungsforschung sowie Werbung (1972, 10 f). Seither ist Englisch in immer stärkerem Maße die Sprache des internationalen Handels, von Luft- und Seefahrt, von Wirtschaft und Technik, der Wissenschaft überhaupt geworden. Denken wir an die Elektronik, die Computertechnologie, die Erforschung des Weltalls, um nur einige Gebiete zu nennen, bei denen sowohl englische Fach- als auch Gemeinsprache heute unentbehrlich ist. Auch werden hier so wie in anderen Wissenschaften die meisten Forschungsergebnisse auf internationalen Konferenzen in englischer Sprache vorgestellt, diskutiert und dann publiziert. Im Bereich von Wissenschaft und Technik hat das Englische vor allem das Deutsche abgelöst. In der Physik läßt sich zeigen, daß vor dem Zweiten Weltkrieg Beiträge in russischen Zeitschriften insbesondere in deutscher Sprache publiziert wurden, wie z. B. die Physikalische Zeitschrift der Sowjetunion schon im Titel bezeugt. Heute werden die Beiträge dort in russischer oder englischer Sprache veröffentlicht. Das bekannte Archiv für Kreislaufforschung heißt jetzt Basic Research in Cardiology. Aus der Zeitschrift für Kinderheilkunde wurde das European Journal of Pediatrics. In der Zeitschrift für Tierpsychologie, der ältesten Fachzeitschrift auf dem Gebiet der Verhaltensforschung, die man als deutsche Domäne bezeichnen kann, erschienen 1950 alle Beiträge in deutscher Sprache; 1984 waren 95% der Aufsätze in englischer Sprache verfaßt, und 1986 wurde die Zeitschrift in Ethology umbenannt. Das Titelblatt einer traditionsreichen deutschen geisteswissenschaftlichen Zeitschrift sieht heute so aus: Zeitschrift für Vergleichende Sprachforschung ⫽ Historische Sprachforschung (Historical Linguistics). Auch im Bereich der Normung, d. h. der Normen für Wirtschaft und Technik, hat das Englische heute nicht zuletzt aufgrund der Internationalität der Forschung, die für eine Terminologieangleichung, ja sogar einen Terminologieausgleich sorgt, eine Führungsrolle inne. Alle Normen aufstellenden Länder der Welt schlossen sich 1926 in der Federation of the National Standardizing Associations zu-

768

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

sammen, die 1946 eine neue, wiederum englische Bezeichnung (International Standards Organization ⫽ ISO) erhielt. Der österreichische Dipl.-Ingenieur Eugen Wüster begründete die Wissenschaft von der Fachterminologie und prägte sie entscheidend über mehr als 40 Jahre (vgl. Felber/Lang/Wersig 1979). In ihrer Dissertation, deren Aufgabe es ist, „Die Stellung der deutschen Sprache in der internationalen Wissenschaft zu bestimmen“ (Skudlik 1990, 1), kommt die Verfasserin zu dem wohl etwas zu global formulierten Ergebnis: „Die englische Sprache ist die lingua franca der modernen Wissenschaft in allen Disziplinen“ (Skudlik 1990, 213). Skudlik führt aufgrund empirischer Untersuchungen folgende Differenzierungen an: „Am deutlichsten anglophon geprägt sind die Mathematik, die reinen Naturwissenschaften und die Humanmedizin … ,anglophon geneigt‘ [englischsprachiges Publizieren gehört zur ,normalen‘ Tätigkeit eines Wissenschaftlers, aber nicht so ausschließlich wie in der oberen Gruppe] sind Tiermedizin, Geo- und Forstwissenschaften, die Wirtschaftswissenschaften, die Psychologie und Soziologie, die Sportwissenschaft, die Linguistik und die Philosophie … Die Bereiche der Rechtswissenschaft und Pädagogik ebenso wie alle geisteswissenschaftlichen Disziplinen zeichnen sich dadurch aus, daß sie, wenn sie überhaupt fremdsprachig publizieren, nicht nur die englische Sprache verwenden, sondern daß bei ihnen auch weitere Fremdsprachen als Kommunikationsmedien benutzt werden“ (Skudlik 1990, 99).

Bei den Geisteswissenschaften ist zweifellos zu unterscheiden zwischen z. B. Germanisten, deren deutschsprachige Veröffentlichungen auch im Ausland rezipiert werden, und Anglisten, bei denen dies nicht der Fall ist. Sie müssen in englischer Sprache publizieren, wenn sie über das deutschsprachige Gebiet hinaus zur Kenntnis genommen werden wollen. Natürlich sollte es auch im letztgenannten Fachgebiet Publikationen in deutscher Sprache geben ⫺ vornehmlich in populärwissenschaftlichen Arbeiten und in Lehrbüchern, so wie dies in den Philologien in den Niederlanden (dort natürlich in holländischer Sprache) bereits praktiziert wird und hierzulande auch für die reinen Naturwissenschaften gefordert wird (Markl 1986, 24). Besonderer Wert sollte auf gutes Wissenschaftsdeutsch gelegt werden (dazu differenziert Oksaar 1986, 100 ff). Das „weitverbreitete Imponiergehabe eines rücksichtslosen Spezialistenjargons“ seitens der Sprach-

und Literaturwissenschaftler, das Albrecht Schöne als Präsident des VII. Internationalen Germanistenkongresses 1985 in Göttingen beklagte, wäre tunlichst abzulegen. Es hat uns viel Abschreckendes beschert und tut dies noch immer.

6.

Zum Eindringen von Fachwörtern in die Gemeinsprache

Hier sei einleitend ein Rückblick auf die vierzigjährige Teilung Deutschlands gestattet. Zwischen 1969 und 1980 wurde in der DDR ein ernsthafter Versuch unternommen, die Periode der beiden Ländern gemeinsamen deutschen Nationalsprache zu beenden. Die politische Barriere sollte auch zu einer sprachlichen werden. Dies gelang allerdings nur im politischen und ideologischen Wortschatz. Neuere Forschungen haben indes gezeigt, daß weitaus mehr Anglo-Amerikanismen in die DDR Eingang gefunden haben, als dies aufgrund der offiziellen Politik der DDR angenommen werden konnte. In den frühen Jahren der DDR war dieses Thema tabu ⫺ schließlich handelte es sich um den Einfluß des Klassenfeindes ⫺ und man konnte im Westen nur Vermutungen anstellen. Später zeigte sich, daß der Einfluß der englischen Sprache auf die Ex-DDR in der Bundesrepublik deutlich unterschätzt worden war (so von Carstensen 1965, 17). Zu den Anglo-Amerikanismen, die Aufnahme im ehemaligen zweiten deutschen Staat gefunden haben, gehören auch zahlreiche Fachwörter englischer und amerikanischer Provenienz. Wie in der Bundesrepublik so drangen diese auch dort in zunehmendem Maße in die Gemeinsprache ein (vgl. Lehnert 1990, 209 ff). Auf welche Weise dies geschehen kann, mögen einige Beispiele illustrieren: Dynamik/dynamisch war ursprünglich im Englischen ein Fachwort der Physik (dynamics/dynamic, 1788⫺89 laut OED 1989, s. v., erstbelegt) und ist in der Bedeutung ,of or pertaining to force producing motion: often opposed to ,static‘ auch im Deutschen gebucht. „This usage … has largely influenced the popular and transferred applications of the word and its derivatives“ (OED 1989, s. v. ,dynamics‘), nämlich ,active, potent, energetic, effective, forceful‘ (1856 laut OED 1989 erstbelegt). Diese Lehnbedeutungen sind heute in der deutschen Gemeinsprache sehr geläufig. (Die 1883 im Englischen laut OED 1989 erstbelegte Bedeutung von dynamics in

79. Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen I: Englisch⫺Deutsch im 20. Jh.

der Fachsprache der Musik wurde ebenfalls ins Deutsche entlehnt: ,Veränderungen der Tonstärke betreffend‘.) Stress im psychologisch-biologischen Sinn ist im OED 1989, s. v., im Jahre 1942 erstbelegt ⫺ noch neuer ist es im Deutschen. In der Gemeinsprache und in den Massenmedien wird es heute sehr häufig gebraucht, auch mit zahlreichen Ableitungen und Zusammensetzungen. Wie Weber/Laux (1985, 26 ff) zeigen, bietet die Wissenschaft eine Vielzahl unterschiedlicher Streßkonzeptionen, die eine Popularisierung erschweren. In den Massenmedien wird Stress zumeist stark eingeengt gebraucht, auch in wissenschaftlich ungesicherter Weise. Schmitt (1985, 288 ff) berichtet auch über Popularisierungen von Fachausdrücken der Kerntechnik, die aufgrund mangelnder Sachkenntnis oft zur semantischen Verfälschung führen. Korrekte Fachausdrücke werden in falschem Zusammenhang gebraucht, oder es werden Pseudofachwörter gebildet, die es in der Fachsprache nicht gibt. Die überwältigende Mehrheit der Fachwörter der Kerntechnik erlaube indes keine außerfachliche Verwendung. Schließlich ist hier auf eine ganze Reihe überstrapazierter Schlüsselbegriffe aus der englischen Wissenschaftssprache hinzuweisen, die Pörksen (1989, 15) Plastikwörter nennt und zu denen Lehnert (1990, 213) Funktion, Information, Kommunikation, Prozeß, Struktur, Substanz, System zählt.

7.

Lexikographische Behandlung der Fachwörter

Zur Behandlung der im Deutschen geprägten Fachwörter vgl. 4.2. und Pfeffer/Cannon 1994. Bei angloamerikanischen Fachwörtern ist zu unterscheiden zwischen deren Behandlung in allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern des Deutschen und Spezialwörterbüchern. Was die erste Kategorie anlangt, so hat Busse (1993, 2 ff) die Anglizismen des Rechtschreibdudens von 1880⫺1986 untersucht. Der erste gesamtdeutsche Duden gehörte leider nicht mehr dazu. Zwar handelt es sich hierbei primär um ein Orthographiewörterbuch, das sich aber mehr und mehr zu einem allgemeinen einsprachigen Wörterbuch hin entwickelt und in jedem Fall das meistgebrauchte Wörterbuch in Deutschland ist. Als Anglo-Amerikanismen gelten nur die des „äußeren“ Lehnguts, da das „innere“ Lehngut, also Lehnübersetzungen, -bildungen,

769

-bedeutungen etc., im Duden im Regelfalle keine Herkunftsangabe aufweist. Laut Busse (1993, 71) ist die Zahl der in den einzelnen Dudenauflagen aufgenommenen Anglizismen ständig gestiegen, u. zw. von 385 (1880) (⫽ 1,36% des gesamten Stichwortbestandes) bis 3.746 (im Mannheimer Duden von 1986 ⫽ 3,46% des gesamten Stichwortbestandes) bzw. 2.074 (im Leipziger Duden von 1985 ⫽ 2,77% des gesamten Stichwortbestandes). Inhaltlich teilt Busse die Anglo-Amerikanismen in 20 Rubriken ein und resümiert: „Zu den Bereichen des Wortschatzes, aus denen besonders viele Anglizismen aufgenommen wurden, gehören Sport, Naturwissenschaft/ Technik, Wirtschaft und Musik“ (1993, 208). Im ersten in Deutschland erschienenen Anglizismenwörterbuch sind „ca. 3.000 englische und amerikanische Ausdrücke [verzeichnet], die im gegenwärtigen hoch- und fachsprachlichen Deutsch gebraucht werden. Besonders das hier zusammengestellte Wortgut aus den Fachsprachen ist sehr umfangreich …“ (Neske 1972, 5). Dies gilt vor allem für die Wirtschaftswissenschaften, schließlich ist Fritz Neske Diplom-Volkswirt. Anders verfahren die Kompilatoren des zweiten deutschen Anglizismenwörterbuchs, die bei der Behandlung von Fachwörtern (und anderen) gegen ihre eigenen, wenngleich schwammigen Prinzipien verstoßen. So sollen „im gegenwärtigen Deutsch häufiger vorkommende Anglizismen“ erfaßt und „die vielen bisher völlig übersehenen Fälle des ,inneren‘ Lehnguts“ aufgezeigt werden (Carstensen/Busse 1993, 53*) und fachsprachliche Begriffe nur dann, „wenn angenommen werden kann, daß sie nicht nur von den Spezialisten verwendet werden, sondern allgemeiner bekannt sind“ (1993, 35*). Diese Annahme beruht auf der sich aus dem Korpus ergebenden Beleglage. Dieses Korpus setzt sich aus Belegen deutscher Tageszeitungen, Wochenschriften, Illustrierten, Magazinen und anderen Pressepublikationen zusammen. Eine vollständige Liste der Quellen, die zu diesem Zufallskorpus beigetragen haben, erschien erst nach Abschluß dieses Beitrags 1996 im 3. und letzten Band des Wörterbuches. Bestimmte Tageszeitungen und Magazine sind aufgrund herausgehobenen Leserprofils fachsprachengeneigter als andere. Erforderlich wären auch genaue Angaben der Häufigkeiten gewesen. Wie häufig mußte ein Wort mindestens belegt sein und in wievielen verschiedenen Printmedien, um als häufig oder häufiger zu gelten? Von den im Wörterbuch verwendeten Häu-

770

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

figkeitsmarkierungen heißt es überraschenderweise: „Lediglich die Markierung selten kann sich auch auf die Häufigkeit des Vorkommens des Anglizismus beziehen“ (Carstensen/Busse 1993, 15*)! So kommt es denn, daß sich im ersten Band solche Fachwörter finden wie Birdie (Golf) und Betweener (Mode; bei dem Wort handelt es sich selbst nach Einschätzung der Kompilatoren „offensichtlich um eine Einmalbildung eines deutschen Werbetexters“ (s. v.) (!)), Chart hingegen nicht in der nach einer Bamberger Umfrage heute bei Jugendlichen gängigsten Bedeutung ,Liste der Spitzenschlager‘ und dynamisch in den heute geläufigen Lehnbedeutungen überhaupt nicht.

8.

Literatur (in Auswahl)

Ammon 1992 ⫽ Ulrich Ammon: Deutsch als Wissenschaftssprache. In: Spektrum der Wissenschaft. Januar 1992, 117⫺118 und 124. Brackebusch 1868 ⫽ W. Brackebusch: Is English destined to become the Universal Language of the World? Diss. Göttingen 1868. Busse 1993 ⫽ Ulrich Busse: Anglizismen im Duden: Eine Untersuchung zur Darstellung englischen Wortguts in den Ausgaben des Rechtschreibdudens von 1880⫺1986. Tübingen 1993 (Reihe Germanistische Linguistik 139). Carstensen 1965 ⫽ Broder Carstensen: Englische Einflüsse auf die deutsche Sprache nach 1945. Heidelberg 1965. Carstensen/Busse 1993 ⫽ Broder Carstensen/Ulrich Busse: Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945. Band 1: A⫺E. Berlin 1993, Band 2: F⫺O. Berlin 1994, Band 3: P⫺Z. Berlin 1996. Dunger 1989 ⫽ Hermann Dunger: Wörterbuch von Verdeutschungen entbehrlicher Fremdwörter (1882)/Engländerei in der deutschen Sprache (1909). Mit einem Vorwort v. Wolfgang Viereck. Hildesheim 1989. Eichler 1943 ⫽ Albert Eichler: Deutsches Kulturgut im modernenglischen Wortschatz. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 182. 1943, 73⫺81. Felber/Lang/Wersig 1979 ⫽ Helmut Felber/Friedrich Lang/Gernot Wersig (Hrsg.): Terminologie als angewandte Sprachwissenschaft: Gedenkschrift für Univ.-Prof. Dr. Eugen Wüster. München 1979. Grimm 1864 ⫽ Jacob Grimm: Kleinere Schriften. Hrsg. v. K. Müllenhof. Berlin 1864. Lehnert 1988 ⫽ Martin Lehnert: The German element in the four supplementary volumes to the Oxford English Dictionary (OED) edited by R. W.

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771

Weber/Laux 1985 ⫽ Hannelore Weber/Lothar Laux: Der Begriff ,Streß‘ in Publikumszeitschriften: Ergebnis einer Inhaltsanalyse. In: Publizistik 30. 1985, 25⫺34.

Wolfgang Viereck, Bamberg

80. Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen II: Englisch⫺Französisch im 20. Jahrhundert 1. Der Anglizismus im Neufranzösischen 2. Der historische Rahmen und die Imagologie 3. Englisch dominierte Fachsprachen des Neufranzösischen 4. Der technische Anglizismus als Gegenstand der Sprachkritik 5. Die Ausbildung der heutigen Fachsprachen und der Einfluß des Englischen 6. Technischer Anglizismus und Fachsprachen 7. Fachsprache und Gemeinsprache 8. Lexikographie und englischer Lehnwortschatz 9. Grammatische Anglizismen 10. Ergebnisse und Ausblick 11. Literatur (in Auswahl)

1.

Der Anglizismus im Neufranzösischen

Wenige Bereiche des französischen Lehnwortschatzes (De´sirat/Horde´ 1976, 188 ff; Muller 1985, 54 ff; 141 ff; 191 ff) sind so gut erforscht wie gerade die Anglizismen, denen zahlreiche einzelsprachliche wie romanischvergleichende Studien (Beinke 1990) gewidmet sind; dabei betreffen diese Untersuchungen grundsätzlich unterschiedslos Fachsprachen wie die französische Gemeinsprache, wenn etwa Guiraud (1965) dem Englischen im Rahmen der französischen Sprachgeschichte den zweiten Platz hinter dem Italienischen, dessen Bedeutung als Spendersprache insbesondere von Hope (1971) sogar mit Abstand als die größte eingeschätzt wird, in gut dokumentierten Ausführungen konzediert, oder umfangreiche, historisch orientierte Anglizismenwörterbücher wie die Standardwerke von Rey-Debove/Gagnon (1980) oder Höfler (1982) Inventarlisten präsentieren, die sog. Eintagsfliegen und Hapax legomena ebenso erfassen wie Entlehnungen aus dem angloamerikanischen Bereich, die inzwischen als völlig integriert gelten dürfen.

Im allgemeinen ist man sich heute darüber einig, daß aktuelle Gebrauchswörterbücher der französischen Gegenwartssprache etwa 4% Lehnwörter aufgenommen haben und bei diesem Zahlenwert « meˆme en tenant compte de son introduction massive actuelle dans le vocabulaire technique, dont le PLI [⫽ Petit Larousse Illustre´, d. Vf.] 1969 donne une ide´e exacte, bien qu’en dessous de la re´alite´, l’anglais doit compter, pour l’instant, pour moins de 2%. Mais sa part ne cesse d’augmenter » (Catach/Golfand/Denux 1971, 135); diese Werte bestätigt grosso modo die lexikochronologische Analyse Messners (1975, 15), sie spiegeln sich auch in der statistischen Analyse der Zeitungssprache wider, denn « un nume´ro du Monde contient en gros, sur un ensemble de 3,2% d’emprunts aux langues modernes, 1,3% d’anglicismes et ame´ricanismes; un nume´ro de France-Soir, sur 4,6% d’emprunts, n’en comporte que 1%. Meˆme dans L’Equipe, le plus grand journal sportif, les termes d’origine anglaise ne de´passent pas 1,7% » (Muller 1985, 55). Aus den aktuellen Zahlen erhellt bereits, daß sich für das Französische ⫺ sowohl diachronisch wie qualitativ ⫺ vom 16.⫺20. Jh. die Entlehnungsmodalitäten gewandelt haben müssen, denn wenn heute fast 2% des Wortschatzes, also knapp die Hälfte aller Entlehnungen der Gegenwartssprache, angloamerikanischer Provenienz sind, dann läßt diese Distribution darauf schließen, daß die Stellung, die das Italienische vom 15.⫺18. Jh. innegehabt hat, heute vom angloamerikanischen Lehngut eingenommen wird. Einer Studie von Feyry (1972, 17⫺34) zufolge hat der Petit Larousse ca. 350 Angloamerikanismen aufgenommen, während der primär für den Schulgebrauch konzipierte Micro-Robert noch immerhin ca. 280 Angloamerikanismen verzeichnet. Dementsprechend stellte für Henricus Stephanus (1579) das Italienische die vordringlichste Gefahr für die französische Sprache dar, während heute die Auseinandersetzung mit dem angloamerikanischen Einfluß und der Kampf gegen das Franglais seit Etiemble (21973) das Hauptthema der Puristen bildet. In Studien zum angloamerikanischen Einfluß allgemein wie auch in derartigen puristischen Pamphleten bilden die Fachsprachen jeweils einen zen-

772

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

tralen Bereich, wenn etwa Henricus Stephanus die Übernahme ganzer Terminologien aus dem Gebiet des Kriegswesens oder der Architektur und der Musik stigmatisiert oder Etiemble (1966) mit der Entlehnung des technologischen Wortschatzes und der Spitzenbegriffe des angloamerikanischen way of life den Untergang des « guten » Französisch verbindet; doch lassen die vorliegenden quantitativen Untersuchungen eine genaue Bemessung des fachsprachlichen Lehnwortschatzes aus dem Englischen nicht zu. Wohl aber darf man festhalten, daß für die französische Fach- wie Gemeinsprache ab dem 18. Jh. das Englische zur wichtigsten Spendersprache avanciert ist, wobei « la pe´ne´tration de l’anglais, langue qui preˆte le plus au franc¸ais, s’ope`re par des voies diverses. La publicite´ privile´gie les vocables anglo-ame´ricains, soit que les produits vendus viennent d’outre-Atlantique, soit que l’on incite le consommateur a` imiter le comportement de l’anglais ou de l’ame´ricain: les noms de marques abondent en compositions a` base anglaise (…). Les rencontres entre chercheurs, techniciens, dirigeants d’entreprises, hommes d’affaires sont devenues de plus en plus fre´quentes, et l’anglais sert le plus souvent a` leurs e´changes. Source d’enrichissement du lexique commun, les vocabulaires techniques se modifient en faisant largement appel a` l’anglo-saxon » (De´sirat/Horde´ 1976, 191; vgl. auch Schütz 1968).

2.

Der historische Rahmen und die Imagologie

Mit der Sprache der Engländer beschäftigten sich die Franzosen bereits im 17. Jahrhundert insofern, als man leidenschaftlich an den politischen Ereignissen in England Anteil nahm: Die Hinrichtung Karls I. führte zur Verachtung des republikanischen Regimes, das von einem Volk von Barbaren bestimmt sei. Was hätten die Franzosen, die Erben Athens und Roms, schon von den Engländern lernen können, sie, die ihre Sprache perfektioniert hatten und das Monopol an bon gouˆt und bel esprit besaßen? Man war, so ein Zeitgenosse, « dans l’heureuse persuasion que tout ce qui n’e´tait pas franc¸ais mangeait du foin et marchait a` quatre pattes » (Kelly 1958, 78). Das Bild, das sich die Franzosen von den Engländern machten (Bonno 1948, 20⫺31), läuft auf einen exzessiven Individualismus, Freiheitsliebe und Unabhängigkeitsstreben hinaus; der sich keinerlei Regeln und Konventionen unterwerfende Engländer ist undiszipliniert, exzentrisch, launisch und zügellos, Klarheit und Ordnungssinn sowie Eleganz gehen dem sauvage insulaire völlig ab: « Le de´sordre leur a plu comme si l’ordre leur euˆt

semble´ pre`s de je ne sais quelle servitude » (West 1932, 338). Vom Bild des humanen Desperado bis zum Bild vom düsteren, melancholischen Engländer, der von der « maladie des re´flexions » befallen ist und sich in « noires reˆveries » (West 1932, 336) ergeht, ist es nicht mehr weit: « L’Anglais, sec et taciturne, joint a` l’embarras et a` la timidite´ de l’homme du nord une impatience, un de´gouˆt de toute chose, qui va souvent jusqu’a` la vie » (von Stackelberg 1972, 61). Die Klimatheorie gibt die Erklärung für den Charakter der Engländer ab: im kalten und feuchten Inselklima und in den Dämpfen der Steinkohle sah der Abbe´ Yart den Grund für den englischen « humeur atrabilaire » (Kelly 1958, 225). Diesen eher spekulativen Ansichten folgten konkrete Erfahrungen mit England, als hugenottische Flüchtlinge im 18. Jh. die für die europäische Kulturgeschichte wichtige Rolle von Vermittlern englischer Ideen und englischer Kultur einnahmen. Viele Englandreisende, wie z. B. Voltaire, Pre´vost, La Mottraye, knüpften ihre ersten Kontakte über das Rainbow Coffee-House, einen Hugenottentreff in London (Bonno 1948, 14). Bei den Flüchtlingen wie den Reisenden handelte es sich im allgemeinen nicht um Schriftsteller, sondern um Gelehrte, die vor allem von dem in England frei sich entfaltenden neuen Geist der experimentellen Naturwissenschaften und des empirischen Denkens angezogen waren, und die gleichzeitig noch in England die Realität der konstitutionellen Monarchie und der religiösen Toleranz kennenlernten. Für das sich wandelnde Bild vom Engländer sind im 18. Jh. zwei Schriften von zentraler Bedeutung: die Lettres sur les Anglais et sur les Franc¸ais des Schweizers Be´at de Muralt (cf. Kelly 1958, 90 ff) und die Apologie du caracte`re des Anglois et des Franc¸ois des Abbe´ Desfontaines (Paris 1726). Da der englischen Sprache, die als « sot baragouin » betrachtet und als Idiom gewertet wurde, « qui a de quoi empoisonner les chiens et les chats » (Reesink 1931, 54), mit Lauten « qui paraissent heurter les principes de l’articulation humaine » (Bonno 1948, 5), war die Bereitschaft zur Erlernung nicht sehr groß, so daß sich auch ⫺ selbst in den Naturwissenschaften ⫺ die Zahl der Entlehnungen noch in Grenzen hielt. Dies änderte sich erst im 19. Jh., als die englische Industrie weltweit führend und damit auch zum Vorbild für Frankreich werden konnte. Die Sprachkritiker des fin-de-sie`cle

80. Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen II: Englisch⫺Französisch im 20. Jh.

erkennen bereits recht klar, daß die Verquikkung von industrieller Macht und englischer Sprache zu einer Bevorzugung des Englischen (als Sprache Englands und der USA) führen und die zunehmende Zahl von Entlehnungen aus dem Englischen als Ausdruck ökonomischer wie wissenschaftlicher Abhängigkeit zu werten sind, denn es ist ein Faktum, daß zu Ende des Jahrhunderts das Englische überall präsent ist: „Anglo-amerikanische und englische Einflüsse auf den französischen Wortschatz treten besonders stark auf den Gebieten der beschreibenden und der experimentellen Naturwissenschaften sowie auf denjenigen der Geographie und der Ethnographie hervor. Die Verbreitung der Neuwörter erfolgt hier wohl zumeist durch die wissenschaftliche Fachliteratur und durch mehr oder weniger populär gehaltene Reiseschilderungen […]. Bemerkt sei noch, daß auf die Popularisierung einzelner hier in Frage kommender Ausdrücke auch Romanschriftsteller wie Jules Verne und Prosper Me´rime´e von besonderem Einfluß gewesen sind. Erwähnung verdient ferner, daß hervorragende Vertreter der exakten Wissenschaften wie […] Benjamin Franklin, James Watt und Benjamin Thompson, Graf von Rumford lange in Paris lebten, wohingegen französische Gelehrte wie Buffon in England sich aufgehalten haben“ (Behrens 1927, 39 f).

Das Nationalbewußtsein wird sensibilisiert, es entstehen xenophobe Abwehrreaktionen und eine Aggressivität, die man als Ausdruck des für die Jahrhundertwende typischen französischen Hexagonalkomplexes werten darf, der für das Sprachdenken um die Wende vom 19. zum 20. Jh. charakteristisch ist; dies ist verständlich, denn mit „fast 1.000 ursprünglich fachsprachlichen Entlehnungen erreicht dieser Bereich“ (Görtz 1990, 149) der exogenen Wortschatzerweiterung bisher nicht gekannte Ausmaße, wobei die am 14. August 1855 in der konstituierenden Sitzung des Institut de France vom Dichter Viennet vorgetragene Epıˆtre recht genau das zu Beginn des 20. Jh. vorherrschende Sprachempfinden beschreibt: « (…) On n’entend que des mots a` de´chirer le fer: Le railway, le tunnel, le ballast, le tender, Express, trucks et wagons; une bouche franc¸aise Semble broyer du verre ou maˆcher de la braise … Faut-il, pour cimenter un merveilleux accord, Changer l’are`ne en turf et le plaisir en sport? Demander a` des clubs l’aimable causerie? Fle´trir du nom de grooms nos valets d’e´curie, Traiter nos cavaliers de gentlemen-riders? Et de Racine enfin parodiant les vers, Montrer, au lieu de Phe`dre, une lionne anglaise

773

Qui, dans un handicap ou dans un steeple-chase, Suit de l’œil un wagon de sportsmen escorte´ Et fuyant sur le turf par un truck emporte´? » (Nyrop 1904, 98).

Mit den vornehmlich die Fachsprachen beeinflussenden Entlehnungen untrennbar verbunden bleibt die vieldiskutierte crise du franc¸ais, die primär in der puristischen Normendiskussion (Schmitt 1977; 1979; 1988; 1995) ihren besonderen Ausdruck erhalten sollte.

3.

Englisch dominierte Fachsprachen des Neufranzösischen

Ähnlich wie im Spanischen (Schmitt 1992) besteht auch im Französischen im Bereich der Fachsprachen (De´sirat/Horde´ 1976, 188 ff; Chaurand 1977, 155 ff; Kocourek 1982, 134 ff; Hage`ge 1987, 15 ff) eine deutliche Überdachung der technischen und wissenschaftlichen Fachsprachen durch kulturelle Adstrate; waren dabei vom Mittelalter an die klassischen Sprachen Latein und Griechisch klar dominant, so hat sich zu diesen beiden in der Neuzeit das Englische gesellt, ja darf inzwischen als bedeutendste Spendersprache angesehen werden: « Quant a` l’emprunt contemporain en franc¸ais, il s’agit avant tout d’anglicismes, car c’est sans doute l’anglais qui est, pour le franc¸ais moderne, la premie`re langue preˆteuse » (Kocourek 1982, 134). Die als Fortsetzung von Brunots und Bruneaus monumentaler Sprachgeschichte konzipierte Histoire de la langue franc¸aise 1880⫺1914 (Antoine/Martin 1985) zeigt deutlich, ohne dem Anglizismus ein eigenes Kapitel zu widmen, wie die wichtigsten Sektorialsprachen um die Jahrhundertwende mehr und mehr vom Englischen bestimmt wurden: Diese Entwicklung gilt sowohl für die politische Fachsprache, die im Grunde nur partiell als Fachsprache interpretiert werden darf (Coseriu 1987, 9⫺31), wie auch für die Medizin, die Biologie, die Psychiatrie, die Cinematographie, die Luftfahrt und die Automobiltechnik und ganz besonders für die Sportsprache; die Typologie der Entlehnungsformen findet sich bei Kocourek (1982, 134 ff) oder Bäcker (1975, 10⫺87). Bonnafous/Honore´/Tournier ist zuzustimmen, wenn sie bei der Ausbildung des vocabulaire du pouvoir von zwei bestimmenden neuen sozialen Organisationsformen sprechen, « que l’on a cru meˆle´s au de´but mais que l’histoire a de´partage´s, voire rendus ri-

774

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

vaux: les partis et les syndicats » (in: Antoine/ Martin 1985, 41); beide sind stark vom Englischen beeinflußt, wobei das Englische klar vor dem Deutschen steht: « L’anglicisme est en politique une tendance permanente non de´mentie du franc¸ais. Enfilons une question au hasard des fiches: les ‹ blackboule´s du dernier scrutin › sont-ils preˆts au ‹ flirtage avec l’ennemi ›, a` prendre le pape pour ‹ leader › ou, lors d’un ‹ meeting de protestation ›, a` exposer ‹ leur platform › sans eˆtre aussitoˆt traite´s de ‹ puffistes ›? On peut citer bien d’autres anglicismes, soit anciens comme ‹ self-government ›, soit nouveaux tels ‹ khakisme › he´rite´ de la guerre des Boers ou la se´rie ‹ interview ›, ‹ interviewer › 1883 et ‹ intervieweur › 1897. Mais le fait le plus original est celui de la vague d’anglo-ame´ricanismes qui vient doubler l’apport traditionnel. Outre un certain lexique social (les ‹ cow-boys ›), politique (les ‹ boss ›, comite´s e´lectoraux), ou e´conomique, c’est surtout dans le domaine de l’organisation … ou de la de´sorganisation industrielles que cette influence se fait sentir. Citons ‹ boom › (explosion, progre`s brusque) en 1885 et ‹ doom ›, son inverse, la crise, ‹ pool › en 1901, ‹ label › et ‹ labellisme ›, e´tiquetage des produits sous controˆle syndical, ‹ lobby › et ‹ lobbyist ›, ‹ lock-out › et ‹ lock-oute´s ›, ‹ turn-over › ou mobilite´ professionnelle, et bien suˆr ‹ holding › 1909 et ‹ trust › ou ‹ truste ›. G. Le Bon loue le ‹ type supe´rieur du businessman › en 1898 » (in: Antoine/Martin 1985, 54 f).

Der intensive Austausch politischer Texte und die Internationalisierung der Presse sowie die zahlreichen, mehr und mehr von englischen Beiträgen bestimmten Sozialistenund Arbeiterkongresse ⫺ beispielhaft sei hier Les congre`s ouvriers et socialistes franc¸ais (1901) von Le´on Blum (L’Œuvre de Le´on Blum. Bd. 1. Paris 1954) angeführt ⫺ tragen ganz entscheidend zur Durchsetzung der französischen Sprache der Politik durch angloamerikanische Lexik bei. Auch die Naturwissenschaften, die vielfach von der Forschung in den USA und England bestimmt sind, kennen eine Überdachung durch das Englische. Selbst für Fachsprachen wie die Medizin, die seit Jahrhunderten vom Latinismus dominiert wird, läßt sich, wie Sournia (1974) gezeigt hat, eine stete Progression des englischen Einflusses nachweisen; noch eindeutiger ist die Vorherrschaft dieser Spendersprache in der Biologie: Auch wenn feststeht, daß Biologie, biologisch und Biologe systematisch zum ersten Mal in G. R. Treviranus’ Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur, für Naturforscher und Ärzte (Göttingen 1802) und zeitgleich von Lamarck (« l’usage que Lamarck fait du mot biologie n’a

rien d’aussi syste´matique », Cottez, in: Antoine/Martin 1985, 99) gebraucht wurde, so darf doch ⫺ trotz bahnbrechender Arbeiten in Deutschland und Frankreich ⫺ diese Branche der Naturwissenschaft nach Darwins On the Origin of Species (1859), das 1862 in französischer Übersetzung (De l’origine des espe`ces) erschien, als lexikalisch mehr und mehr vom englischen Wortschatz beeinflußtes Wissensgebiet gelten. Dabei sind vielfach auch Bildungen und Vokabular, die den Strukturen des wissenschaftlichen Wortschatzes entsprechen (Cottez 1984), im Grunde aber nach gräkolateinischen Regeln gebildet wurden (Höfler 1972), über das ohnehin an lateinisch-romanischem Wortschatz reiche Englisch an das Französische weitergegeben worden, wie z. B. panorama, se´lection, linoleum u. a. m. (Behrens 1927, 235). Im Bereich der Technik ist der Wortschatz der Automobiltechnik, an dem französische Bildungen einen großen Anteil haben, am besten untersucht (Guilbert 1965); die Herkunft der zahlreichen Latinismen läßt sich jedoch oft nicht eindeutig ermitteln bzw. bleibt auf noch recht vorläufigen Erstdatierungen begründet. Vielfach besteht Umterminologisierung dieser Termini für das ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgebildete Gebiet der Ballon- und Luftschiffahrt (Zastrow 1973) sowie des Flugzeugbaus und der Flugzeugtechnik, die von Guilbert (1965) minutiös erfaßt wurden. Während avion ,Flugzeug‘ (wohl schon 1875 gebildet, aber erst 1890 ausgewiesen und noch 1910 nicht die übliche Bezeichnung, vgl. Laurian, in: Antoine/Martin 1985, 165 ff) oder he´licopte`re französische Bildungen darstellen und die Zeit von den Anfängen der Ballonfahrt bis zur Ausbildung der Luftfahrt durch endogene Bildung semantischer Neologismen (in erster Linie Umterminologisierung) und morphologische oder syntaktische Neologismen bestimmt bleibt, ist nach dem Zweiten Weltkrieg auch hier das Englische zur produktiven Spendersprache geworden (Guilbert 1965; 1975, 14 ff; Messner 1977, 118). Noch stärker wird die Abhängigkeit des Französischen in der bemannten Raumfahrt, an deren Entwicklung Frankreich kaum partizipiert; hier dominiert das Angloamerikanische noch eindeutiger, wie dies die chronologische Darstellung bei Guilbert (1965, 19 ff) zeigt. Auch im Bereich des modernen Flugverkehrs drängen mehr und mehr Anglizis-

80. Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen II: Englisch⫺Französisch im 20. Jh.

men in die französische Sprache, vgl. airbus, jumbo-jet, non-stop, charter, check-in, bang u. a. m. Als eine Domäne par excellence des Lehnwortschatzes und der Lehnprägungen präsentiert sich der Fachbereich der Cine´matographie (Laurian, in: Antoine/Martin 1985, 160⫺163), dessen Entlehnungen wie came´ra, fan, flash, gag, spot, star(let) etc. Legion bilden. Realisten wie z. B. Hage`ge (1987, 177) geben sich keinen Illusionen hin, wenn sie den Kampf des Englischen mit dem Französischen um die Kommunikationsanteile in den Fachsprachen zu Ende des 20. Jh. als entschieden betrachten: « Il n’y a pas lieu de s’appesantir sur cette ve´rite´ d’e´vidence: depuis la Seconde Guerre mondiale, le mouvement amorce´ de`s la fin du XVIIIe sie`cle en faveur de l’anglais (britannique) s’est poursuivi en faveur de l’anglais (ame´ricain); et cette fin du XXe sie`cle est l’e´poque de son re`gne comme langue quasiment universelle. Non seulement les anciennes terres coloniales ou zones d’influence autrefois lie´es a` la Grande-Bretagne, ou de´ja` aux E´tats-Unis, ont, en acce´dant a` l’inde´pendance, adopte´ l’anglais pour langue officielle, mais encore, en tant que langue internationale du commerce, de la circulation des ide´es, de la re´clame, de la de´couverte scientifique, l’anglais a ve´ritablement aujourd’hui le statut d’un espe´ranto de fait ».

Der Niedergang des Französischen in den wissenschaftlichen Fachorganen wird bei Muller (1985, 26) angezeigt; inzwischen hat ein von Hage`ge zitierter Buchtitel (Le franc¸ais chasse´ des sciences, von 1981) traurige Realität erreicht: Durch die Publikation von ca. 80% aller Texte wissenschaftlicher Zeitschriften auf Englisch ist der früher beidseitig funktionierende Weg des lexikalischen wie grammatischen Austausches und der Entlehnung zu einer Einbahnstraße geworden, die ihren Ausgang vom Englischen nimmt: Die Gründe dafür sind zahlreich, « mais peuvent eˆtre regroupe´es sous un meˆme chef: puissance et efficacite´ supe´rieures de la recherche scientifique ame´ricaine, qui a une conse´quence logique: l’anglais tend a` devenir la langue de la science pour tout le monde, y compris pour les chercheurs francophones » (Hage`ge 1987, 182); die Prozesse werden von Sauvageot (1964, 273) m. E. zu Recht mit der Latinisierung deutscher Fachsprachen verglichen, sofern neue Wörter keine neuen Sachen und Ideen bezeichnen:

775

« A de´faut, d’ailleurs, de pouvoir fabriquer des vocables nouveaux, les langues en empruntent, parfois meˆme jusqu’a` se constituer deux vocabulaires paralle`les, comme nous l’avons montre´ en ce qui concerne le franc¸ais, et nous pourrions reprendre la meˆme de´monstration au sujet de l’allemand, ou` nous relevons, par exemple, coˆte a` coˆte dans un meˆme texte, les paralle´lismes suivants: Konsequenzen/Folgen, Tradition/Überlieferung, Idee/Gedanke, Apparat/Werkzeug, Konstruktion/Aufbau […]. Les mathe´maticiens allemands emploient exakt la` ou` leurs confre`res franc¸ais disent exact, etc. Il y a mieux: les hommes de science d’outre-Rhin recourent parfois a` des latinismes qui ne sont pas introduits dans l’usage franc¸ais (Diskrepanz, par exemple) ou a` des helle´nismes que nous n’avons pas non plus adopte´s ».

Der im wissenschaftlichen Bereich vielfach bestehende Bilinguismus trägt ebenfalls zur Stärkung des Englischen in der Fachsprachenkommunikation bei.

4.

Der technische Anglizismus als Gegenstand der Sprachkritik

Die Prädominanz des Englischen in den Fachsprachen hat dazu geführt, daß man angesichts der zunehmenden Durchsetzung des Französischen mit angloamerikanischem Wortschatz von der « crise du franc¸ais » zu sprechen begann; für die einen handelt es sich dabei um ein mit dem Ersten Weltkrieg verbundenes Phänomen (Muller 1985, 46); andere hingegen weisen überzeugend darauf hin, daß bereits in der Sprachdiskussion des fin-de-sie`cle die französische Sprachkrise ein zentrales Thema bildete und der Anglizismus als der wohl wichtigste Bereich für die Illustration dieser im Grunde puristischen These figurierte (Görtz 1990, 147 f; 215 ff), denn hier kann zum ersten Mal die Sprachkrise als Identitätskrise belegt werden; die Aufnahme von Anglizismen primär im fachsprachlichen Bereich wird als Beginn eines inakzeptablen „zweisprachigen Stils“ angesehen, der den Anfang der Dekadenz darstelle: „In diesem envahissement de´plorable und dem von vielen Landsleuten widerspruchslos hingenommenen style bilingue sehen die Puristen den Beweis für die e´clipse qu’a subie depuis un sie`cle l’influence, jadis souveraine sur les nations de l’Europe, de la socie´te´ franc¸aise. Sinnverfälschungen wie die Verwendung von championnat (< engl. championship) in der Bedeutung von ,champion‘ oder semantisch verengte Wörter wie illustration/illustrer (,expliquer, de´montrer‘ → ,dessiner, orner‘) werden wie der bis zum Überdruß wiederholte Mißbrauch von question im englisch gefärbten, erweiterten Sinn

776

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

von ,affaire‘ nicht nur als Zeichen eines langage parfaitement idiotique, sondern sogar als Indiz einer fatalen Argotisierung des Französischen gedeutet“ (Görtz 1990, 153).

Unbestreitbares Faktum bleibt dabei, daß « les progre`s techniques et scientifiques de l’e`re industrielle ou` les pays anglophones ont pris le pas sur les autres, et l’extraordinaire spe´cialisation de toutes les activite´s ne peuvent plus eˆtre maıˆtrise´s par une forme linguistique de´termine´e par les traditions anciennes fige´es et refusant donc le principe de la dynamique du langage » (Muller 1985, 46). Das international orientierte Französisch, das grosso modo in den Fachsprachen beheimatet ist, wird damit zunehmend Gegenstand puristischer Traktate und Anliegen der Sprachinstanzen, die im Entre-deux-guerres stetig ansteigen und, wie Bengtsson (1968) dokumentiert hat, dadurch an Einfluß gewinnen, daß sie mit den von ihnen gepredigten Themen der crise, des danger inte´rieur und exte´rieur sowie des proble`me des nomenclatures genau die Themen aufgreifen, die einem breiten Publikum am Herzen liegen. Die Aktualität des von Bengtsson behandelten Themas hat seither stetig zugenommen; so gibt es praktisch heute kein Ministerium mehr in Frankreich, das sich nicht der Frankophonisierung der wissenschaftlichen Terminologisierung und damit des Kampfes gegen das Englische (Beinke 1990, 117 ff) angenommen hätte, wobei grundsätzlich von Sprachplanung oder ame´nagement linguistique (bzw. inge´nierie linguistique) gesprochen, faktisch hingegen stets Sprachkritik gemeint wird (Schmitt 1995). Etiemble (1966, 177), der bereits mit seinem Feldzug gegen die Beeinflussung der Gemeinsprache besonders hervorgetreten war mit einem Werk, dessen Titel jedem Frankophonen vertraut ist (11964; 21973), lieferte auch hier mit Le jargon des sciences (illustrations de Garache; 1966) die Kampfschrift mit der größten Breitenwirkung; wenn er hier die rhetorische Frage im Zusammenhang mit Charles de Gaulles Sprachpolitik formuliert « Depuis quand, opinent les belles aˆmes, depuis quand les questions de langage sont-elles affaire d’E´tat? He´, parbleu! mesdames les belles aˆmes, depuis pre´cise´ment que certains E´tats en font une affaire d’E´tat. Quand il existe un statut colonial, ou semi-colonial, le colonisateur e´prouve, en matie`re de langage, des sentiments qui tranchent sur ceux du colonise´ »,

weiß er sich der Zustimmung der ganzen Nation sicher, wie ja auch die Sprachpolitik der

Assemble´e nationale in erstaunlicher Eintracht von allen Parteien Frankreichs getragen wird (Schmitt 1977; 1979 a) und daher als nationales Anliegen gelten darf, das im Grunde seit dem 16. Jh. (Joseph 1987, 132 ff) vertreten wird und im 20. Jh. ⫺ speziell im Zusammenhang mit dem Ausbau der Fachsprachen ⫺ zu einem sogar die Medien beherrschenden Thema avanciert ist (Gordon 1978). In diesem Sinne erscheint auch der etwas überraschende Untertitel der Sprachgeschichte von Jean-Pol Caput berechtigt: la langue franc¸aise: histoire d’une institution (tome II, 1975): Gerade im Bereich der Fachsprachen wird das Französische ⫺ ausgehend von der Annahme, es bedürfe besonderer Anstrengungen zu seiner Verteidigung (Dauzat 1912/1980) ⫺ zu einer offiziell verwalteten Sprache, deren Normen speziell im lexikologischen Bereich eng abgesteckt sind (Maier 1984, 131 ff), wo Bildung und Fachwissen allenfalls mit Latinismen ausgedrückt werden, der Sprecher, will er nicht als Jargonaute (Merlino 1978) gelten, sich genuiner, wohlgeformter Wörter zu bedienen hat, die Interessen der Sprachgemeinschaft Francophonie (de Saint Robert 1987) als privilegiert gelten sollen und ⫺ sei die Rede von e´pinglette oder von logiciel ⫺ der Sprecher sich an empfohlenen wie obligatorischen Wortschatz (Mamavi/Depecker 1992) halten sollte. Selbst als deskriptiv intendierte quantitative Aufnahmen der Fachsprachen wie der vocabulaire ge´ne´ral d’orientation scientifique (Phal e. a. 1971) kommen nicht ganz ohne puristische Korrekturen aus, die natürlich in erster Linie gegen den technischen Anglizismus in Fachtexten gerichtet sind. Die halboffiziellen und offiziellen Sprachorganisationen, die sich mit dem englischen Einfluß auf die Fachsprachen beschäftigen, sind inzwischen so zahlreich, ihre Publikationen so umfangreich, daß sie kaum noch zu überschauen sind (Schmitt 1990, 354⫺391).

5.

Die Ausbildung der heutigen Fachsprachen und der Einfluß des Englischen

An dem von zahlreichen Puristen beklagten Status quo dürfte sich in absehbarer Zeit wenig ändern. Bereits Horaz wußte, daß verbaque provisam rem non invita sequontur (De arte poetica 311), was, übertragen auf die Ausbildung der modernen französischen Fachsprachen, bedeutet, daß die Terminolo-

80. Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen II: Englisch⫺Französisch im 20. Jh.

gie in erster Linie aus dem Sprach- und Kulturbereich kommt, in dem die Grundlagenforschung betrieben wird. Dem Englischen kommt ferner zugute, daß es bereits seit den 70er Jahren als die Wissenschaftssprache schlechthin gelten darf, in der Autoren publizieren, die internationale Rezeption ihrer Schriften wünschen: « […] parmi les revues de physique parues en 1972, 33,2% provenaient des Etats-Unis et de GrandeBretagne et 5,9% seulement de France. Pour les disciplines dans lesquelles la recherche franc¸aise a toujours e´te´ a` la pointe du progre`s, les pourcentages sont tout aussi de´cevants: chimie 30,6% de pe´riodiques anglo-saxons contre 5,7% provenant de France; mathe´matiques 33,2% contre 5,6%; biologie 42,7% contre 3,5%; biologie mole´culaire 52,2% contre 5,9%. Plus les disciplines sont « en vogue », plus les proportions paraissent disparates; ainsi 56,6% des pe´riodiques du monde entier ayant trait a` l’industrie et a` la technologie e´taient publie´s en 1972 aux Etats-Unis et en Grande-Bretagne, contre 2,1% publie´s en France. En psychologie les chiffres sont particulie`rement de nature a` inquie´ter les de´fenseurs de la langue franc¸aise: 82,5% contre 0,3% » (Muller 1985, 26).

Die Entwicklung hat hier nicht haltgemacht und Hage`ge (1987, 158 ff) weist noch deutlichere Zahlen aus; vor allem wird hier offen zugegeben, daß trotz massiver Eingriffe durch den französischen Staat die Wissenschaftler in Frankreich immer mehr für das Englische als Vortrags- und Publikationssprache optieren. So ist es kaum verwunderlich, wenn, um ein Beispiel zu nennen, im Bereich der sog. Digitalschallplatten bzw. der Compact Disc oder auch des Bildschirmtextes (Btx) trotz staatlicher Normung und bewußter Ausschaltung des englischen Lehnworts letztendlich ohne Anglizismen keine französische Fachsprache denkbar ist; bei der Compactdiskette (Schmitt 1989 a, 185⫺196) beginnt das Problem bereits mit dem weit verbreiteten compact disc, das zumindest teilweise als frz. disque compact integriert war, jetzt aber durch disque audionume´rique, ein echtes Schreibtischwort, laut Journal officiel vom 18. 2. 1983 zu ersetzen ist; ähnliches gilt auch für frz. convertisseur nume´rique (analogique) ,Digital-Analog-Umsetzer‘, für das sich de´codeur nume´rique durchgesetzt hatte, oder frz. e´chantillonnage ,Abtastung‘, das sampling verdrängen soll. Beim Bildschirm- und Videotex(t), einem in England entwickelten Kommunikationssystem, das in Frankreich als Te´le´tel auf der Grundlage der AntiopeTechnik (Acquisition nume´rique et te´le´vision d’images organise´es en pages d’e´criture) angeboten wird, kommt die Korrektur der Gebrauchsnorm ebenfalls zu spät (Schmitt 1989 a, 196⫺205), da auch hier englischer Wortschatz, englische Syntagmen oder Lehnbildungen in großer Zahl im Französi-

777

schen vorhanden sind. Grundsätzlich ist Skepsis gegenüber jedem Eingriff in die bereits bestehende Sprachverwendung angebracht.

6.

Technischer Anglizismus und Sprachplanung

Die französische Sprachplanung im Bereich der Fachsprachen leidet unter der Vermengung der Begriffe ame´nagement linguistique (auch inge´nierie linguistique) ,Sprachpflege, Sprachplanung‘ und chasse a` l’anglicisme. Was im Dictionnaire des termes officiels, textes le´gislatifs et re´glementaires (De´le´gation ge´ne´rale a` la langue franc¸aise 1991) als sprachplanerische Gesetzgebung angewiesen wird, stellt im Grunde nichts anderes als einen puristischen Eingriff in die tatsächliche Gebrauchsnorm von französischen Fachsprachen dar, der ausschließlich dem angloamerikanischen Wortschatz gilt. Es ist sicher kein Zufall, daß etwa bei der Standardisierung des vocabulaire en usage au ministe`re de la de´fense (Journal officiel vom 9. 11. 1976) die Entlehnung aus dem Deutschen, frz. le schnorchel bzw. le schnorkel ‹ tube permettant aux sous-marins d’utiliser en plonge´e leurs moteurs Diesel, en aspirant l’air frais et en rejetant les gaz d’e´chappement › sogar in zwei orthographischen Varianten akzeptiert wird, während die Anglizismen area durch frz. aire, stand-by durch frz. attente, scanning durch frz. balayage, tank durch frz. char, computer durch frz. calculateur, timing durch frz. calendrier, container durch frz. conteneur etc. mehr schlecht als recht ersetzt werden. Die Sprachplanung hat inzwischen zahlreiche Fachgebiete erfaßt (affaires e´trange`res; agriculture; audiovisuel et publicite´; composants e´lectroniques; de´fense; e´conomie et finances; fe´minisation des noms de me´tier, fonction, grade et titre; informatique; justice; mer; nucle´aire; personnes aˆge´es; pe´trole; sante´; sport; techniques spatiales; te´le´communications; te´le´de´tection ae´rospatiale; tourisme; transports; urbanisme et logement), konnte aber weder vor dem ‹ Conseil Constitutionnel ›, dem höchsten Verfassungsgericht, noch bei den angeblich von ihr geschützten Verbrauchern (Fugger 1980, 58⫺78) uneingeschränkte Akzeptanz finden, wie dies zuletzt auch eine im Auftrag des Figaro von der Sofres durchgeführte repräsentative Umfrage erneut bestätigt hat (Le Figaro, 7 avril 1995, p. 9): s. Abb. 80.1.

778

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Abb. 80.1: Fremdwortumfrage der Sofres in Le Figaro.

7.

Fachsprache und Gemeinsprache

Bei der stets gegebenen wechselseitigen Durchdringung von Fach- und Gemeinsprache ist es nicht verwunderlich, daß ausgehend vom anglizismenbestimmten fachsprachlichen Bereich auch die Gemeinsprache zunehmend Folgen des englischen Einflusses zeigt, der über die Fachsprachen in die Gemeinsprache gebracht wird. Dabei überrascht kaum, daß primär die zukunftorientierten Sachbereiche in der Sprache der jüngeren Generation von Anglizismen besetzt sind, denn « le vocabulaire des jeunes est caracte´rise´, par contre, par une richesse lexicale concernant les acquisitions et les modes de vie modernes que les plus aˆge´s connaissent a` peine » (Muller 1985, 179). Diese Verbindung von Anglizismus und Modernität zeigt Folgen, die Jacques Laurent (1988, 83) in seinem vielbeachteten, auf Breitenwirkung ausgerichteten Buch Le franc¸ais en cage ausgeführt hat, in dem behauptet wird, daß z. B. die Ärzte « conside`rent que le grec fait plus chic que le latin ⫺ ne parlons meˆme pas du franc¸ais ⫺, et c’est ainsi que les oculistes de ma jeunesse sont devenus des ophtalmologues ou, a` votre choix, des ophtal-

mologistes. Il est vrai que le latin suffit parfois aux laboratoires pharmaceutiques pour rendre leurs notices d’emploi inintelligibles au vulgaire. A la place de bouche, trop connue, on recourt a` la « voie buccale », ou « orale » et le tour est re´ussi. Quand ‹ soporifique › et ‹ somnife`re › sont familiers au grand public, alors on fait donner le grec avec « hypnotique » qui laisse perplexe le consommateur non averti. Et l’on substitue « posologie » a` mode d’emploi ».

Was hier von der Wirkung des Griechischen und des Lateins im fachsprachlichen Handeln festgestellt wird, gilt cum grano salis heute auch für das Englische, das die Gruppensprache der Jugendlichen beherrscht (Muller 1985, 179) und zunehmend auch die Gemeinsprache, das franc¸ais ze´ro, durch Morpheme wie Moneme verändert, die zunächst auf die entlehnende Fachsprache begrenzt waren (Schmitt 1989, 70⫺74): So ist eine Rivalität zwischen libre, auto- und engl. self durch die Übernahme von self-service oder ein Verdrängungsprozeß zwischen -age, -ment und engl. -ing durch Übernahme von pressing, lifting, mailing u. a. m. entstanden; bei le compact-disque gar, das man besser disc compact als ⫺ allzu bürokratisch ⫺ disque audionume´rique bezeichnet hätte, steht gar normativ die

80. Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen II: Englisch⫺Französisch im 20. Jh.

französische Syntax in Frage, so daß inzwischen die bei der jüngeren Generation verbreitete minidisque bereits in zahlreichen Zeitungsartikeln vorgezogen wird. Hier hat sich auch die angloamerikanische Bezeichnung für die Immunschwäche Aids trotz des heute unbestrittenen Beitrags des Institut Pasteur zu seiner Entdeckung durchsetzen können: « S’il est vrai que les premiers re´trovirus ont e´te´ isole´s par l’e´quipe de l’Institut Pasteur, la siglaison applique´e a` ce virus associe´ a` la lymphade´nopathie, LAV comme son synonyme HIV, ne peuvent pas s’expliquer a` partir du franc¸ais: LAV correspond a` l’anglais Lymphadenopathy Associated Virus et HIV a` l’anglais Human Immunodeficiency Virus; pour l’allemand, ou` l’on trouve sans aucun changement la siglaison ame´ricaine AIDS, la situation s’ave`re identique: on parle du LAV-Virus dans les textes a` haut niveau de spe´cialisation, alors que les textes des me´dias connaissent en ge´ne´ral les termes AIDS-Virus ou HIV-Virus ou bien AIDS-Erreger. On n’est pas surpris de trouver dans les notions fondamentales de l’immunologie et de la virologie sidatiques des termes franc¸ais et allemands comme cellule NK ou NK-Zelle qui correspondent a` l’anglais natural killer pour lesquels je pre´fe´rerais, une fois de plus, des calques linguistiques comme lymphocyte tueur naturel, cellule tueuse naturelle ou natürliche Killerzelle, franc¸ais/allemand core ‹ noyau ge´ne´tique d’un virus ›, synonyme de Virusinnenkörper ou meˆme franc¸ais/allemand kit ‹ ensemble de substances chimiques et biologiques ne´cessaires pour effectuer un test se´rologique ›, pour lequel il existe en franc¸ais le synonyme trousse » (Schmitt 1989, 72).

Ähnliche Probleme lassen sich bei der Vulgarisierung der Automobilterminologie feststellen, wo z. B. engl. airbag über die entsprechenden europäischen Gesetzesbestimmungen ebenso wie catalyseur von der Fachsprache in die Gemeinsprache eingedrungen ist. Im zeitgenössischen Frankreich nutzen zahlreiche sprachkritische Schriften und eine stets zunehmende puristische Literatur, bandes dessine´es sowie die in der Presse fest etablierten chroniques de langage die von diesem Phänomen ausgehenden Effekte aus, so daß der Anglizismus zunehmend Gegenstand von Parodien und humoristischer metasprachlicher Literatur wird.

8.

Lexikographie und englischer Lehnwortschatz

Die Unterscheidung von präskriptiven und deskriptiven gemeinsprachlichen wie fachsprachlichen Wörterbüchern ist auch für die Aufnahme von Anglizismen von entscheiden-

779

der Bedeutung; dabei läßt sich bei präskriptiven Wörterbüchern stets die Tendenz ausmachen, den tatsächlichen sprachlichen usus normativ einzugrenzen und so Anglizismen soweit wie möglich auszusparen, während deskriptive Wörterbücher eine grundsätzlich objektive Erfassung der tatsächlichen Sprachverwendung intendieren. Dazwischen liegen zahlreiche Mischtypen von Wörterbüchern, da sich oft Anspruch der Lexikographen und die Realisierungen nicht ganz zur Deckung bringen lassen. So hat z. B. Höfler (1976, 334⫺338) eindeutig nachgewiesen, daß trotz anderslautender Versicherung in den verschiedenen Auflagen des Petit Robert die Bewertung als anglicisme stets mit einer sprachpuristischen Haltung der Verfasser einhergeht; ähnliche Widersprüche lassen sich auch bei der Petit-Larousse-Illustre´-Reihe oder bei den weit verbreiteten Lexika des Hauses Bordas nachweisen, die unter den gemeinsprachlichen Wörterbüchern oder dictionnaires de langue ohne spezielle Berücksichtigung der Fachsprachen als bestimmend anzusehen sind. Bei den fachsprachlichen Wörterbüchern des Französischen dominiert hingegen die Absicht, den tatsächlichen Sprachgebrauch zu erfassen, was konkret heißt, daß hier Anglizismen besser berücksichtigt werden. Hier stellt sich jedoch zunehmend das Problem, in welchem Maße die durch die französischen Sprachgesetze gegebenen juristischen Fakten zu beachten sind, und ob das Konzept der frankophonen, suprahexagonalen Sprachplanung über die nationalen Sprachprogramme zu stellen ist. Seit Beginn der primär die Fachsprachen betreffenden Legislation (De´le´gation ge´ne´rale a` la langue franc¸aise 1991) lassen sich heimliche oder systematisch kaschierte Kritiken in Wörterbüchern ausmachen, wo zum einen Anglizismen weiterhin Berücksichtigung finden, die präskriptiven Ersatzwörter hingegen mit dem Epitheton « pre´conise´ par l’administration » versehen und damit als dem usage (noch) nicht zuzurechnende Lexeme qualifiziert werden, völlig mißlungene Konstrukte trotz Verbindlichkeit keine Aufnahme gefunden haben oder dem Gebrauch von verbotenen oder nach Meinung der Behörden einen schlechten Sprachgebrauch darstellenden Anglizismen mit dem Nachweis von Belegen bei Autoritäten eine gewisse Berechtigung konzediert wird (Schmitt 1979). Beinke (1990, 241) ist zuzustimmen, wenn sie betont: „Die Lexikographie kann also in hohem

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

Maße zu einer weiteren Verbreitung der durch den Staat getroffenen Entscheidung beitragen, denn es ist davon auszugehen, daß Wörterbuchbenutzer in vielen Fällen von einem Wörterbuch eine richtige Orientierung erwarten“. Bereits kurz nach Erscheinen des ersten Ministerialerlasses war festzustellen, daß sich die Lexikographen nicht mit den offiziellen Vorstellungen identifizieren konnten (Feyry 1972, 17⫺34); in der Folgezeit hat sich daran wenig geändert (Schmitt 1979, 7⫺44), und bis heute kann von einer systematischen Befolgung der ministeriellen Spracherlasse nicht die Rede sein (Beinke 1990, 245⫺253), da vielfach die verbindlichen Ersatzwörter für Anglizismen immer noch nicht berücksichtigt wurden.

9.

Grammatische Anglizismen

Zwar ist der Einfluß des Englischen im fachsprachlichen wie im gemeinsprachlichen Bereich primär lexikalischer Art (Langenbacher 1980, 79⫺95), doch läßt sich eine Beeinflussung auch auf grammatischer Ebene konstatieren, die in erster Linie die Wortkomposition und die Derivation betrifft. Da hier ⫺ zumindest nach Auffassung der puristischen Nationalgrammatik ⫺ wesentliche Charakteristika der französischen Sprache und des ge´nie de la langue getroffen werden, nimmt die grammatische Beeinflussung des Französischen durch das Englische seit der Zeit des fin-de-sie`cle (Görtz 1990, 165 ff) bis heute (Schmitt 1978, 456⫺459) einen zentralen Platz im normativen Diskurs ein. Vielfach werden dabei die Dimensionen verzerrt, werden Behauptungen aufgestellt, die kaum der Realität entsprechen, wenn z. B. Mitterand (1963, 72) versichert, daß « -ing sert meˆme ⫺ comme une sorte de supple´ance a` -age ⫺ a` former des mots nouveaux sur des radicaux autochtones », obwohl von einer Integration dieses Suffixes nicht die Rede sein kann (Goosse 1975, 51), das, wie Trescases (1982, 26 f) zu Recht hervorhebt, im wesentlichen auf fachsprachliche Entlehnungen beschränkt bleibt. Die von Beinke (1990, 78 f) erarbeitete Maximalliste eventuell als entlehnt zu erachtender Präfixe und Suffixe umfaßt self-, super-, anti-, auto-, de´-, pre´-, non-, -man, -ery, -(o)rama, -ic, -(o)matic, -less, -eur, -ant, -el/ence (-ance), -ette; wie sie selbst ausführt, wird diese Liste heute kontrovers diskutiert, denn u. a. bei de´-, pre´-, -ant, -el oder -ette lassen sich meist keine englischen Vorbilder nachweisen. Hinzu kommt noch, daß das Phänomen der Europäisierung der romanischen (wie einiger nicht romanischer) Fachsprachen (Schmitt 1996; 1996 a) bisher von den Lexikographen nicht beachtet wurde und daß die Beurteilung der Relatinisie-

rungsphänomene (Trescases 1982, 30) bisher zu sehr von den recht vorläufigen Erstdatierungen bestimmt ist.

Noch vehementer diskutiert wird die Komposition, bei der die Abfolge Determinans ⫹ Determinatum als germanischer Kompositionstyp, die Abfolge Determinatum ⫹ Determinans als romanischer Kompositionstyp verstanden wird, was natürlich nur cum grano salis stimmt, da auch Gräzismen, Latinismen sowie analogische romanische Bildungen des Französischen typologisch der germanischen Kompositaabfolge entsprechen können. Was den Einfluß des Englischen auf die Syntax betrifft ⫺ und hier speziell die Syntax der Fachsprachen ⫺, so lassen sich, in Anlehnung an Beinke (1990, 85⫺89) im wesentlichen vier Schwerpunkte herausarbeiten, in denen es gerechtfertigt erscheint, von einem vom Angloamerikanischen ausgehenden verstärkenden Einfluß auf syntaktische Phänomene zu sprechen: die Tendenz zur Voranstellung des Adjektivs, der verstärkte Gebrauch des Passivs, adverbialer Gebrauch von Adjektiven und verstärkter Gebrauch von Komparativ und Superlativ anstelle des Positivs. Wie alle Konvergenzphänomene sind auch diese nur quantitativ in Erscheinung tretenden Veränderungen schwer zu beurteilen; meist liegen mehrere Gründe vor, die zum selben Ergebnis führen, so z. B. beim Gebrauch des Passivs neben dem englischen Modell auch eine vorgegebene Thema-Rhema-Abfolge als Konsequenz der Mitteilungsperspektive oder bei der Voranstellung des Adjektivs neben dem englischen Muster (Spence 1976, 95) auch die Tatsache, daß diese Stellungsregel auch im Latein dominiert und in früheren Sprachstadien frequenter war. Grundsätzlich läßt sich feststellen, daß gerade dieser Bereich mit vielen Vorurteilen und oft ohne die nötige Grundlagenforschung behandelt und zum Gegenstand einer von Laien bestimmten Diskussion degradiert wird. Speziell im Bereich der Wortbildung hat z. B. die Acade´mie franc¸aise immer wieder unhaltbare Thesen aufgestellt, die der ideologischen Prämisse entsprachen, das Französische dürfe primär im morphosyntaktischen Bereich keine Affinität zum Englischen aufweisen. Dies zeigen beispielhaft die communique´s de mise en garde der Acade´mie franc¸aise, die jeweils aktuelle Fragen der Sprachnorm aufgreifen sollen (vgl. Schmitt 1978, 458): Da -ing als angloamerikanisches Affix gilt, Lexeme afrikanischer Herkunft jedoch nicht als sprachgefährdend eingestuft werden, kann le doping nicht Bestandteil der französischen Fachsprachen sein: « Pour de´signer le produit absorbe´ par l’athle`te, on peut dire produit dopant ou dopant

80. Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen II: Englisch⫺Französisch im 20. Jh. ou excitant ou stimulant […]. Pour de´signer l’emploi de ce produit, on peut dire dopage au lieu de doping » (27. 2. 1967; Schmitt 1978, 458), wobei sie das Risiko in Kauf nimmt, nicht synonyme Begriffe gleichzusetzen; ähnlich ist die Einstellung der Acade´mie bei zwei anderen Bildungen, die ursprünglich dem Englischen entlehnt sind: de´odorant bezeichnet sie als « anglicisme ⫺ est un mot mal forme´. On doit dire sans hiatus et avec le suffixe -iser: de´sodorisant (comme on dit: de´sunir, deshabiller) » (17. 2. 1966), und dies, obwohl alle Wörterbücher de´odorant und de´sodorisant semantisch klar voneinander trennen, und de´cade « signifie e´tymologiquement dizaine. En franc¸ais le sens de ce mot s’est fixe´ pour de´signer une pe´riode de dix jours. Le sens de: pe´riode de dix ans (en anglais de´cade) est impropre dans notre langue » (18. 11. 1965; vgl. Schmitt 1978, 458). Die Argumente sind hier beliebig austauschbar, da es nur um das ideologische Ziel geht, die Konvergenz des Französischen mit englischen Grammatikregeln zu vermeiden.

10. Ergebnisse und Ausblick Die besondere Stellung des Englischen in der Fachkommunikation des 20. Jh. hat dazu geführt, daß beim sprachlichen Austausch das Französische in ein deutliches Abhängigkeitsverhältnis zum Angloamerikanischen geraten ist, das sich auf allen Ebenen manifestiert, besonders aber im Bereich des Wortschatzes offen zutage tritt. Es gibt heute praktisch keine zukunftsorientierte französische Sektorialsprache mehr, die nicht mit Anglizismen durchsetzt wäre; besonders auffällig ist die inzwischen gut dokumentierte Abhängigkeit (vgl. Rey-Debove/Gagnon 1980; Höfler 1982; Schmitt 1993) in den Fachsprachen der Industrie, der Naturwissenschaften und der soziologischen Geisteswissenschaften, die angloamerikanisch überdacht zu sein scheinen. Die abnehmende Verbreitung des Französischen in der Fachkommunikation, seine Zurückdrängung als funktionale Welt- und Diplomatensprache und das damit verbundene geringe Prestige der mit dem ge´nie de la langue zusammenhängenden kulturellen Werte haben im Sprachbewußtsein der Frankophonen primär in Frankreich tiefe Spuren hinterlassen und dazu geführt, daß eine sich stets intensivierende Anglizismendiskussion (Beinke 1990, 49 ff) in Gang gesetzt wurde und man im Mutterland Frankreich begann, Sprachplanung vor allem im Bereich der Fachsprachen zu betreiben, wo man, nach einhelliger Auffassung aller in der Assemble´e nationale vertretenen Parteien, viel zu lange einen unkontrollierten Wildwuchs und, damit verbunden, eine stete Beeinflussung durch die lexikalisch ohnehin nahestehende englische Sprache in Kauf genommen hatte. Internationale Anlässe wie etwa die im frankophonen Montreal durchgeführten

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Olympischen Spiele, bei denen die starke Beeinflussung der französischen Sportsprache durch das Englische auf jeder Anzeigetafel evident wurde, genügten dabei, USA- und Großbritannien-bezogene Emotionen in Frankreich hochkommen zu lassen und das Terrain für eine von der Gemeinschaft aller Sprecher getragene Sprachpflege und Sprachintervention vorzubereiten. Das heute von allen Ministerien betriebene ame´nagement linguistique (Sprachplanung) betrifft fast ausschließlich die Fachkommunikation (vgl. De´le´gation ge´ne´rale a` la langue franc¸aise 1991); der gewünschte Erfolg hat sich bisher aber noch nicht eingestellt, da die sprachplanerischen Maßnahmen mit nur geringer sprachwissenschaftlicher Kompetenz durchgeführt wurden und der die Fachkommunikation betreffende normative Diskurs von ideologischen Argumenten bestimmt bleibt. Auch ist es bisher nicht gelungen, die Anstrengungen der zahlreichen offiziellen wie offiziösen Sprachpflegeorganisationen zu bündeln und eine linguistisch überzeugende Normierung von Terminologien systematisch einzuführen.

Eine weitere Anglisierung der Fachterminologien wie der Fachkommunikation überhaupt dürfte trotz sprachlegislativer Anstrengungen kaum aufzuhalten sein und zu einer weiteren Zunahme der heute ohnehin kaum noch überblickbaren Chroniques de langage führen (vgl. Premier ministre: Commissariat ge´ne´ral de la langue franc¸aise 1986; Haut Conseil de la francophonie 1986).

11. Literatur (in Auswahl) Antoine/Martin 1985 ⫽ Histoire de la langue franc¸aise 1880⫺1914. Sous la direction de Ge´rald Antoine et Robert Martin. Paris 1985. Bäcker 1975 ⫽ Notburga Bäcker: Probleme des inneren Lehnguts, dargestellt an den Anglizismen der französischen Sportsprache. Tübingen 1975. Behrens 1927 ⫽ Dietrich Behrens: Über englisches Sprachgut im Französischen. Gießen 1927. Beinke 1990 ⫽ Christiane Beinke: Der Mythos ‹ franglais ›. Zur Frage der Akzeptanz von Angloamerikanismen im zeitgenössischen Französisch ⫺ mit einem kurzen Ausblick auf die AnglizismenDiskussion in Dänemark. Frankfurt/M. Bern. New York. Paris 1990. Bengtsson 1968 ⫽ Sverker Bengtsson: La de´fense organise´e de la langue franc¸aise. Etude sur l’activite´ de quelques organismes qui depuis 1937 ont pris pour taˆche de veiller a` la correction et a` la purete´ de la langue franc¸aise. Uppsala 1968. Bonno 1948 ⫽ Gabriel Bonno: La culture et la civilisation britanniques devant l’opinion franc¸aise, de la Paix d’Utrecht aux Lettres Philosophiques (1713⫺1743). Philadelphia 1948.

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

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Christian Schmitt, Bonn

81. Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen III: Fachübersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften 1. 2. 3. 4.

1.

Die Problematik der Fachübersetzung Einzelfragen des Übersetzens in den Geistesund Sozialwissenschaften Übersetzen in einzelnen Fachbereichen Literatur (in Auswahl)

Die Problematik der Fachübersetzung

Sprachkontakte finden ihre unmittelbarste Form in der Übersetzung als der funktionsgerechten Neuformulierung eines verstandenen Textes für bestimmte Empfänger. Im Zuge der weltweiten Vernetzung im gesellschaftlichen wie im technischen Bereich haben die Fachsprachen auch hier inzwischen den Hauptanteil erobert. Die Fachübersetzung birgt im Vergleich zur literarischen und alltagssprachlichen Übersetzung auch spezielle qualitative Herausforderungen an die Übersetzungskompetenz, welche es rechtfertigen, sie als eigenständige Form des Kontakts von Einzelsprachen in einem eigenen Artikel herauszustellen. Der Unterschied der Fachübersetzung zur literarischen Übersetzung liegt v. a. darin begründet, daß die potentielle Fülle der Sprachmöglichkeiten in der fachlichen Kommunikation auf einige funktionale Präferenzen eingeschränkt ist, und daß Fachtexte nicht unspezifisch offen, sondern rezipientenorientiert für bestimmte Empfänger verfaßt werden. Die für das Fachübersetzen notwendige Übersetzungskompetenz umfaßt eine fachli-

che und kulturgebundene Wissensbasis sowie methodische und linguistische Kenntnisse als kognitives Instrumentarium. 1.1. Zur globalen Dichotomie der Fachtextvorkommen Es gibt ein Sprachverhalten des Benennens und Klassifizierens von Gegenständen und Sachverhalten und ein solches der Beschreibung und Deutung der menschlichen Innenwelt zum Zweck der Verhaltensabstimmung untereinander. Hierzu wurde ein metaphorisches Verfahren zur Mitteilung über die unsichtbare Innenwelt entwickelt, indem Wörter, die Konkretes bezeichnen, ins Psychische übertragen wurden: Vorstellung, Absicht, Vorsatz, Gewissen, Unschuld, Gefühl usw. sind solche Wörter. Während in Naturwissenschaft und Technik die Bezeichnung der Dinge auch mit einer eigens dazu geschaffenen, logisch strukturierten Fachterminologie erfolgen kann und muß, kommen die Geistes- und Sozialwissenschaften vom Menschen her, und ihre Sprache steht der Gemeinsprache näher. Die geisteswissenschaftliche Argumentation über Inneres, über Gefühle und Meinungen ist notwendigerweise rhetorischer Natur, man appelliert an das sprachlich gegebene Vorverständnis auf der Basis einer nicht hinterfragbaren Plausibilität. Verstehen ist möglich, weil grundlegende Schemata als Prototypen der Bedeutung im Wissen der Menschen vorhanden sind, die dann in der Kommunikation aus dem Kontext angereichert und präzi-

81. Fachübersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften

siert werden (vgl. Beaugrande 1988, 422). Die Bedeutung von Wörtern kann hier als eine Art Gruppenleistung aufgefaßt werden, indem im Dialog die Meinungen immer präziser ausdiskutiert werden, Gebräuche in der Gruppe herausgebildet und rechtliche Normen in der Gesellschaft gefunden und fortentwickelt werden. Um solche Rede zu verstehen, muß man selbst in dem geistigen Überlieferungshorizont stehen oder in ihn eintreten, man muß den kulturellen und fachlichen Hintergrund einer Sprechergruppe kennen. In diesem Rahmen ist es einsichtig, daß die entsprechende Begrifflichkeit in jeder Kultur gesondert entstanden ist, und daß Bedeutungen niemals intersubjektiv ganz identisch sein können. Auch ist einsichtig, daß sich in den Sozialwissenschaften tendenziell eher kulturspezifische Diskursmuster herausbilden, wie Gnutzmann (1992, 268) feststellt. Nach Baumann (1987, 94) sind auch „Regularitäten in den Beziehungen zwischen Fachsprache und Fachdenken nachzuweisen“. So ist anzunehmen, daß bestimmte benachbarte Fächer aufgrund ähnlicher Verarbeitung der Mitteilungsinhalte im Fachdenken auch sprachlich ähnliche Grundmuster aufweisen, die ein unterschiedliches übersetzerisches Verhalten z. B. in den Naturwissenschaften und in den Geisteswissenschaften bedingen. 1.2. Der andere Evidenzbegriff im geisteswissenschaftlichen Fachwortschatz Die Fachsprache der naturwissenschaftlichtechnischen Fächer kennt die exakt definierten Termini im Rahmen eines Begriffssystems, deren Menge im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts kumulativ erweitert wird und eine Terminologienormung verlangt. Der Evidenzbegriff der historisch-juristisch-sozialwissenschaftlichen Fachsprachen ist eher approximativ. In ihnen geht es nicht um eine widerspruchsfreie Systematik, sondern um eine apriorische Evidenz von der Sprache her als eine auf die Sache hingerichtete Ahnung. Die Fachsprache der Sozial- und Geisteswissenschaften dient der Beschreibung von Prozessen und der Interpretation von Lebenszusammenhängen. Die begrifflichen Definitionen als Inhalt der Begriffswörter sind nicht systematisch hergeleitet oder terminologisch fixiert, sondern im wissenschaftlichen Diskurs konventionell vereinbart und oft auch strittig. Sie sind damit interpretatorisch offen. In der Rede über

785

die Sache werden nach und nach Unterscheidungen über das Wort eingebracht, bis über sämtliche Unterschiede Einmütigkeit besteht. Dabei dient der Begriffsapparat zur immer engeren Feinabstimmung in der Sprache. Daher müssen solche Begriffsinhalte in der fachlichen Darstellung jeweils entweder eigens definiert oder mit einem Verweis auf die Denkschule, die „herrschende Meinung“ usw. versehen werden.

2.

Einzelfragen des Übersetzens in den Geistes- und Sozialwissenschaften

2.1. Textinterne Charakteristika Zunächst richtet sich das Interesse des Übersetzers rezeptiv auf das Verstehen der gegebenen Textvorlage, wobei Zusatzinformationen wie Verfasser, Situation und Intention wichtig sind. Übersetzungsrelevant ist es, den Textbauplan mittels Gliederungssignalen zu untersuchen (vgl. Baumann 1987 a, 12⫺15), welche die Teiltexte innerhalb eines Textganzen kennzeichnen. Informativ sind textsortentypische Formeln des Textanfangs und -abschlusses (z. B. Anrede und Grußformeln), Kapitelüberschriften, Sequenzsignale (z. B. Enumeration) und metakommunikative Sätze zur Präzisierung der thematischen Abfolge. Bei Fachtexten aus den Geistes- und Sozialwissenschaften (GSW) zeigen sich textintern einige spezifische Unterschiede im Vergleich mit Texten im Bereich von Naturwissenschaften und Technik (NWT). Während bei NWT die Anzahl der Fachtermini umso größer je höher der Spezialisierungsgrad eines Textes ist, zeigt sich bei GSW ein geringerer Zuwachs an Fachtermini, während stets ein großer Anteil an gemeinsprachlichem Wortschatz verbleibt. Es gibt viele Mischtermini und terminologische Entlehnungen aus NWT, wobei die unterschiedlichen Denotationen ein Verständnisproblem darstellen können. Die Syntax tendiert bei GSW in Abhängigkeit vom Individualstil des Autors zu größerer Elaboriertheit mit hoher Frequenz von Hauptsatz-Nebensatz-Gefügen, was von der Eigenart des Fachdenkens als Interpretation herrührt. Bei den Texttypen treten neben deskriptiven, instruktiven und direktiven Texten in NWT (vgl. Möhn/Pelka 1984, 45 ff) noch argumentative Texte auf. Wegen der komplexeren Diskursstruktur der Textbaupläne enthalten die Texte von GSW auch mehr Kohärenzhilfen, insbesondere Funktionswörter, Glie-

786

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

derungssignale und Modalpartikeln. Textgrammatisch zeigen sich einige Ähnlichkeiten zwischen Texten in NWT und solchen in GSW, wie z. B. der Rückgang der Verben zugunsten bedeutungsstarker Nomina, im Deutschen insbesondere zweigliedrige Komposita und prozeßbezeichnende Substantive auf -ung, (vgl. De Cort/Hessmann 1979, 73), sowie Adjektive mit Suffix -bar, -ig, -haft, -mäßig (vgl. Fuchs-Khakhar 1987, 9). Neben der hohen Frequenz der 3. Pers. und des Passiv in den Zeitformen Präsens, Infinitiv und Perfekt fallen bei Texten in GSW noch der besonders hohe Anteil des Passiv in der Verwaltungssprache (Fuchs-Khakhar 1987, 69) sowie Zeitformen des Konjunktiv II (Vermutung, Hypothese) und des Präteritum (Geschichte) auf. Schließlich ist die Verwendung von Zeigefeldern in GSW-Texten geringer als bei NWT. 2.2. Kompensation von Verständnisbarrieren Bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Texten kommt nicht nur der einzelwissenschaftliche Denkstil, sondern oft auch eine spezifische soziokulturelle Determination zum Ausdruck. Clyne (1987, 213 ff) hat auf Unterschiede im Aufbau wissenschaftlicher Texte nach „teutonischem, angloamerikanischem, gallischem oder nipponischem Stil“ hingewiesen. Kulturunterschiede werden meist nur an bestimmten Stellen eines Textganzen virulent und verlangen dann nach einer entsprechenden Vermittlung. Um sprachliche Verständnisbarrieren auszuräumen und fachliche Wissenslücken aufzufüllen, kann der Übersetzer bestimmte kompensatorische Übersetzungsstrategien verwenden (vgl. Stolze 1993, 267 ff). (1) Am einfachsten ist ein „explikatives Verfahren“, womit die Inkonsistenz von Texten aufgrund des Jargons überwunden und die Aussage vertrauter gemacht wird. Hierzu gehört die Verwendung von Konnektoren (auch, wieder, hier, also, wie etwa) zur Sicherung der Kohärenz des zielsprachlichen Textes, und von metakommunikativen Einschüben (wie schon gesagt … , d. h. … , der sogenannte …), was einer Aussage das Befremdliche nehmen soll. Bei einer Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche können durchaus Modalpartikeln wie also, jedoch, demgegenüber, freilich usw. eingesetzt werden, die als Wörter im Ausgangstext fehlen, jedoch der einzelsprachspezifischen Idiomatik des Deutschen und hier auch der Diskursstruktur

geisteswissenschaftlicher Texte (vgl. 2.1.) entsprechen. Erläuternde Appositionen sind ein syntaktisch einfaches Mittel (Beispiele: dt. Sachverständigenrat ⫺ e. German Council of Economic Experts). Solche Verfahren sind wegen der oft schwer deutbaren Mischtermini in geisteswissenschaftlichen Texten erforderlich. (2) Mit dem Vorgenannten eng verbunden ist ein „paraphrasierendes Verfahren“ im Umgang mit einzelnen schwierigen Begriffswörtern in den Texten. Dazu gehört die Hervorhebung im Satz durch Zeichen und die begriffliche Verallgemeinerung. Weil ein Oberbegriff den unteren immer impliziert, kann in Übersetzungen auch ein allgemeinerer Ausdruck für einen spezifischen verwendet werden. Hiermit verwandt ist die Umschreibung des unbekannten Wortinhalts, was beim Umgang mit fremdkulturellen Realia ein beliebtes Verfahren ist. (3) Eine andere Kompensationsstrategie des Übersetzens ist das „referentielle Verfahren“, womit durch Anbindung an Bekanntes das Fremdartige einsichtig gemacht werden soll. Dies stellt schon eine stärkere Abweichung vom Ursprungstext dar. Dazu gehört der Ersatz des Fremden durch Bekanntes (z. B. werden ausländische Zahlenangaben in einheimische umgerechnet, fremde Eigennamen werden transkribiert, Sigel werden zielsprachlich verändert). Allgemein herrschen in deutschen und in englischen geisteswissenschaftlichen Abhandlungen unterschiedliche Konventionen der Redeperspektive vor, wie Kußmaul (1978, 55) nachgewiesen hat. Formulierungen im ich-Stil sind im Deutschen unkonventionell, während sie im angelsächsischen Sprachbereich durchaus gebräuchlich sind. Eine funktionsgerechte Übersetzung führt zu entsprechenden Textveränderungen. (4) Ein „modifizierendes Verfahren“ schließlich berührt sowohl den Satzbau als auch den Inhalt. Oft kann eine Umgestaltung des ganzen Textes nach zielsprachlichen Normen erforderlich sein, z. B. wenn Familienanzeigen, Einladungen, Visitenkarten u. a. kulturspezifisch unterschiedlich gestaltet werden. Auch die textinterne Gliederung ist zu beachten und der Aufbau des Übersetzungstextes zu planen, da eine unreflektierte Übernahme u. U. die zielkulturspezifische Norm verletzen würde. Das Englische unterscheidet sich in der Abschnitteinteilung deutlich von anderen europäischen Sprachen (vgl. Jamieson 1993, 141). So finden sich in deutschen und niederländischen Texten Paragraphen

787

81. Fachübersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften

mit und solche ohne Einrückung, was für den Engländer unlogisch ist. In französischen Texten wird dagegen sehr viel in Einzelpunkte unterteilt. Eine idiomatische Übersetzung ins Englische würde hier die Abschnitteinteilung verändern und größere Gruppen bilden. Auch der thematische Übergang zu einem neuen Thema wird unterschiedlich verbalisiert. In französischen, russischen und deutschen Texten wird oft schon am Ende eines Paragraphs auf einen neuen Gedanken verwiesen. Im Englischen wird mit einem neuen Gedanken auch ein neuer Abschnitt eröffnet. Solche Unterschiede führen translatorisch zu formalen Abweichungen von der Textvorlage. 2.3. Die Rolle der Kommunikationssituation Bei der Übersetzung von Fachtexten ist auch die Feststellung wesentlich, ob es sich im Sinne Möhns (1977, 314) mit der Übersetzung um fachinterne Kommunikation unter Experten oder um fachexterne Kommunikation mit Laien handelt. Die Entfaltung der kognitiven Inhalte erfolgt im Prozeß der Fachkommunikation und auch der Fachübersetzung stets auf der Grundlage der Vorannahmen, die der Textautor bezüglich des Wissens, der Einstellungen und der Motivation der Textrezipienten hat. Baumann (1992, 34 ff) nennt in bezug auf geisteswissenschaftliche Texte als Dimensionen der Fachlichkeit das Rollenverhältnis zwischen Sender und Empfänger, den Abstraktionsgrad der sprachlichen Darstellung, das Fachwissen des Autors und das vorausgesetzte Fachwissen des Textrezipienten, sowie die Textfunktion. Der Grad der Fachlichkeit ist in einer Monographie oder einem wissenschaftlichen Artikel höher als etwa bei einem Lehrbuch. Wenn in fachinterner Kommunikation ein wissenschaftlicher Beitrag für Fachleute übersetzt werden soll, dann wird sich der Übersetzer aufgrund der pragmatischen Zweckbestimmung an der gebräuchlichen fachsprachlichen Sicht, z. B. Wissenschaftssprache, orientieren und sich nach der Diktion vergleichbarer Publikationen in dem Fachbereich richten. Wenn dagegen eine Fachübersetzung für Empfänger angefertigt wird, bei denen ein geringeres fachspezifisches Wissen vorausgesetzt wird, dann muß die Funktion des Wissenstransfers in der Übersetzung durch angemessene Formulierungen im Sinne kompensatorischer Verfahren (vgl. 2.2.) unterstützt werden.

3.

Übersetzen in einzelnen Fachbereichen

Im Rahmen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer treten besonders Fachtextsorten in folgender Kommunikationsfunktion auf: normativ ⫺ Gesetze, Verträge, Urteile, Zeugnisse; wissensdokumentierend ⫺ Forschungsberichte, Monographien, Fachartikel, Essays, Abstracts, wissenschaftliche Rezensionen; didaktisch ⫺ Lehr-, Schulbücher, Übungsbücher, populärwissenschaftliche Berichte; journalistisch ⫺ Kommentare, Zeitungsartikel, Werbetexte, feuilletonistische Rezensionen. Übersetzen ist jedoch weder Sprachvergleich noch interlingualer Fachtextvergleich. Für den Übersetzer kommt es vielmehr auf die Verknüpfung von Fachwissen mit Sprachwissen an. Im Blick auf charakteristische Textstrukturen des fachspezifischen Denkstils erscheint es sinnvoll, das Fachübersetzen hier exemplarisch im Bereich einzelner Fachgebiete darzustellen. 3.1. Übersetzen juristischer Texte Die Problematik der Rechtssprache liegt darin, daß sie im Juristen und im Rechtsbefolger zwei unterschiedliche Adressaten hat. Zwar kann eine spezifische Terminologie die Zwecke des Rechts optimal erfüllen, doch gilt auch, „daß das Recht an der Allgemeinsprache anknüpfen muß, weil es auf konkrete Lebenszusammenhänge bezogen ist. Da Rechtssicherheit aber nur durch möglichst eindeutige Begriffe gewährleistet ist, müssen die ,natürlichen‘ Begriffe der Gemeinsprache in ihrer Bedeutung durch Legal-Definitionen eingeengt werden“ (Fuchs-Khakhar 1987, 39). So findet der Übersetzer in juristischen Texten ein spezifisches Miteinander von exakten Termini und allgemeinen Begriffen vor, die im Horizont unterschiedlicher Rechtsordnungen stehen. Für den Übersetzer bleibt die Aufgabe, diese Verständnisbarrieren formulierend zu überbrücken. Die Übersetzung von Urkunden wie Urteilen, Zeugnissen, Vertragstexten, Bescheinigungen usw. wird praktisch nur dann erforderlich, wenn damit ein Recht in einem anderen Land begründet werden soll. Die Übersetzungen sind hier aufgrund ihres Zweckes als dokumentarische Übersetzung nur im Zusammenhang mit der Textvorlage gültig, wo sie als Verständnishilfe im behördlichen Verkehr dienen. Solche Übersetzungen sollen möglichst wörtlich und vor allem genau sein. Die Übersetzungsproblematik verdichtet sich

788

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

dabei in der begrifflichen Funktion der Rechtssprache, im Durchscheinen der fremden Rechtsordnung als fachspezifischer Struktur im Text und in dem syntaktischen Aspekt der Standardformeln. Juristische Termini wie Buchgrundschuld, Zwangsvollstrekkungsklausel, Rechtsnachfolger usw. sind lexikographisch gut dokumentiert. Daneben gibt es aber auch die unbestimmten Rechtsbegriffe, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung als Grundbegriffe die Rechtsgüter bezeichnen (Sicherheit und Ordnung, Schutz der Persönlichkeit, Freiheit des Eigentums). Hier gilt das Übersetzungsprinzip des „gemeinsamen Minimums“ (Stolze 1992, 225). Dazu wird oft ein kompensatorisches Übersetzungsverfahren (vgl. 2.2.) der Verallgemeinerung und der Explikation verwendet. Der Einsatz zielsprachlich bekannter Institutionenbezeichnungen ist unzulässig, da sonst eine falsche Identität der Institutionen suggeriert würde. Beim Übersetzen gilt aber auch die pragmatische Perspektive der kulturellen Empfängerbedingungen und der zielsprachlichen Verständlichkeit. Hier hilft oft eine explikative Übersetzung, indem das Begriffswort möglichst wörtlich beschreibend übertragen wird, auch wenn dann zielsprachlich eine Formulierung entsteht, die dort nicht rechts- oder verwaltungssprachlich verankert, dafür aber allgemein verständlich ist. Von dieser Verständlichkeit her kann sie von den Empfängern wieder in deren Rechtssystem eingeordnet werden. Ein Beispiel ist die Übersetzung von frz. attentat aux moeurs, einem Rechtsbegriff des französischen Verwaltungsrechts. Die Übertragung mit dt. Verstoß gegen die guten Sitten/ Erregung öffentlichen Ärgernisses wäre eine rechtsspezifische Übertragung nach dem gemeinsamen Bedeutungsminimum der „Verfehlung“. Dagegen wirkt die allgemeinere Formulierung Verstoß gegen Sitte und Ordnung eher für ein verbindliches Rechtsverständnis in der Öffentlichkeit. Ein anderes Beispiel ist die englische Übersetzung von dt. Regelunterhalt. Die Definition lautet: „Regelunterhalt ist der zum Unterhalt eines Kindes, das sich in der Pflege seiner Mutter befindet, bei einfacher Lebenshaltung im Regelfall erforderliche Betrag (Regelbedarf)“ (§ 1615 f BGB). Die Höhe des Regelbedarfs, abgestuft je nach Alter des Kindes und den zeitlichen Lebenshaltungskosten, wird bundeseinheitlich durch Rechtsverordnung festgesetzt. Ein gemeinsames Minimum der Bedeutung wäre regular payment of child support, wobei semantisch allerdings der wichtige Bezug auf den Mindestbedarf fehlt. So wäre ein verständliches Optimum etwa

regular child support payments according to normal requirement. Die unterschiedlichen Rechtsordnungen werden auch im Textganzen durchscheinend. Die Makrostruktur der Texte spiegelt beispielsweise bei Urteilen einen unterschiedlichen Textaufbau, der sich aufgrund verschiedenartigen Denkstils konventionell herausgebildet hat (vgl. Stolze 1992, 227). Während französische und spanische Urteile einen logischen Aufbau (Urteilseingang, Tatbestand, Entscheidungsgründe, Urteilsformel) aufweisen, enthalten amerikanische und italienische Urteile noch einen Abschnitt über den Verfahrensablauf. Im deutschen Gerichtsurteil erscheint nach dem Urteilseingang gleich die Urteilsformel, so daß Tatbestand und Entscheidungsgründe dann als Begründung folgen. Wegen des Übersetzungszwecks der dokumentarischen Übersetzung wird dieser Aufbau zielsprachlich nicht verändert. Das französische Gerichtsurteil hat eine spezifische Textgestalt: Der gesamte Text wird, wie umfangreich er auch immer sein mag, in einen einzigen Satz gezwängt (vgl. Krefeld 1985, 100). Die Hinweise auf relevante gesetzliche Bestimmungen werden mit vu que … eingeführt, die Tatbestandsmerkmale mit attendu que (1. Instanz) oder cons. que (obere Instanzen), wobei Nebensatzreihungen entstehen. Solche im Deutschen ungewöhnlichen Formulierungen werden nicht strukturgleich übernommen. In der Mikrostruktur der Texte kann das Fremdartige mit dem Prinzip des „transparenten Übersetzens“ (vgl. Stolze 1992, 227 ff) verdeutlicht werden. So ist es z. B. wichtig, die Art der Verfahrensführung vor italienischen Gerichten zu kennen, denn auch dies spiegelt sich in solchen Texten, wenn es dort heißt: Iniziato il giudizio, la causa venne istruita oder La causa veniva rimessa inanzi al collegio. Eine wörtliche Übersetzung mit Das Verfahren wurde eingeleitet und die Sache instruiert oder Die Sache wurde an die Kammer verwiesen bleibt hilflos, wenn der Übersetzer die dahinterstehende Wirklichkeit nicht kennt. (Das italienische Zivilverfahren hat drei Phasen [vgl. Luther 1968, 118 f]: das Eröffnungs-, das Instruktions- und das Entscheidungsverfahren. Ein Verfahren wird durch Niederlegung der Klageschrift und Einreichung der Klagebeantwortung begonnen. Der vom Vorsitzenden bestimmte Referent führt als Einzelrichter (giudice istruttore) das Instruktionsverfahren durch, bis das Endurteil von der Kammer wieder in voller Besetzung getroffen werden kann.) Vor dem Hintergrund solchen Fachwissens entstehen dann

81. Fachübersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften

zielsprachlich transparentere Formulierungen wie: Nachdem das Verfahren mit der Klage eingeleitet worden war, ging die Sache ins Instruktionsverfahren oder Die Sache wurde an die Kammer weitergeleitet. Ein spezielles Problem bei juristischen Übersetzungen sind schließlich die Standardformulierungen. Sie dienen zur Vereinfachung interner Informationen, weil sie durch den Rückgriff auf bereits vorliegende Formulierungen und Präjudizien Gleichbleibendes indizieren. Der Übersetzer hat hier keine Formulierungsfreiheit. Wenn zielsprachlich vergleichbare Verfahrensschritte vorliegen, dann sollten die entsprechenden Formulierungen verwendet werden, auch wenn diese grammatisch völlig anders aufgebaut sind. (Beispiel: Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben, e. The costs offset each other, it. Le spese del processo sono interamente compensate.) Hierzu zählt auch der Einsatz textsortenspezifischer Konstruktionsmuster. Bei rechtsförmigen Texten wie Resolutionen, internationalen Abkommen u. a. sind bestimmte einzelsprachspezifische Konstruktionsmuster zu beachten (Beispiel: f. rappelant les dispositions … , dt. Unter Hinweis auf die Bestimmungen …). Im Interesse terminologischer Einheitlichkeit hat das Auswärtige Amt mehrsprachige „Standardformulierungen für Vertragstexte“ (1992) im Bereich des Völkerrechts vorgelegt, die bei Übersetzungen zu verwenden sind. 3.2. Übersetzen wirtschaftlicher Fachtexte Bei den Textvorkommen im Bereich der Wirtschaft liegt die Übersetzungsschwierigkeit vor allem in der nicht homogenen Zusammensetzung der Sprechergruppen, die als Verfasser oder Empfänger wirtschaftlicher Texte wie wirtschaftswissenschaftliches Lehrbuch, Handelskorrespondenz, Bilanzbericht, Börsenbericht, wirtschaftspolitischer Kommentar in der Zeitung, Versicherungsbedingungen usw. auftreten. Neben exakten wirtschaftlichen Termini gewinnen hier auch die fachsprachlichen Register der Firmensprache und des Marketing an Bedeutung. Mehr noch als bei juristischen Texten treten hier Mischtermini, Wörter der Gemeinsprache mit fachlicher Bedeutung auf. Wirtschaftstexte in den Medien enthalten auffällig viele Metaphern. Diese haben die Funktion, mittels ihrer Konnotationen eine gefühlsmäßige Beziehung zum Gesagten aufzubauen. Hinzu kommt oft auch eine ideologische Funktion der Verschleierung. Das Prozeßhafte der Wirtschaftsentwicklung wird dabei gerne mit Me-

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taphern aus den Bereichen Gesundheit/ Krankheit und der Wetterberichte verglichen, worauf Schmitt (1988, 123) hingewiesen hat. Da die Bildfelder in den europäischen Sprachen jedoch recht ähnlich sind, dürfte sich hieraus keine größere Übersetzungsschwierigkeit ergeben. Mehr Probleme bieten die Mischtermini. Die Übersetzungsschwierigkeit liegt darin, diese in den Texten zu erkennen. Beispiel: Eine italienische Versicherung bestimmt in § 1 ihrer Bedingungen: „Le dichiarazioni inesatte o le reticenze del Contraente o dell’Assicurato relative a circostanze che influiscono sulla valutazione del rischio, possono comportare la perdita totale o parziale del diritto all’indennizzo, nonche´ la stessa cessazione dell’assicurazione“. Bei einer deutschen Übersetzung sind hier versicherungstechnische Benennungen wie Versicherungsnehmer, Risikoabschätzung, Leistungsanspruch anstatt der gemeinsprachlichen Bedeutungen Vertragspartner, Risikobewertung, Schadenersatz einzusetzen, weil sonst die Übersetzung zwar nicht unverständlich, jedoch nicht mehr funktionsgerecht wäre. Ein spezielles Problem der englischen Wirtschaftssprache sind polysemantische Ausdrücke, die oft in demselben Text auf verschiedenen Spezifizierungsebenen gebraucht werden, wie zum Beispiel: e. assets, property, money im Kontrast zu dt. Aktiva, Vermögensgegenstände, Anlagevermögen, Anlagen, Geld (vgl. Gerzymisch-Arbogast 1987, 23). Ohne Sachwissen ist die Bedeutung eines solchen Ausdrucks nur schwer zu erschließen. Oft bestätigt sich die Tendenz der deutschen Sprache zu expliziteren Ausdrucksformen im Vergleich zu anderen Sprachen. Die terminologische und textuelle Mehrdeutigkeit kann nur im Gesamtkontext gedeutet werden. Ein Merkmal der französischen Wirtschaftssprache ist die Kollokation mit Relationsadjektiv. Beispiel: le marche´ mondial ⫺ Weltmarkt, le commerce exte´rieur ⫺ Außenhandel, le travailleur saisonnier ⫺ Saisonarbeiter. Solche Wortgruppen werden im Deutschen vornehmlich durch Komposita übertragen. Allerdings ist auch hier genaue Fachkenntnis vom Übersetzer gefordert, denn eine mechanische Korrelation ist nicht immer möglich, da die semantischen Beziehungen oft implizit sind. Beispiel: le choˆmage conjoncturel ⫺ konjunkturbedingte Arbeitslosigkeit, les conse´quences e´lectorales ⫺ Auswirkungen auf die Wahl, le laxisme mone´taire et salarial ⫺ falsche Währungs- und Lohnpolitik, les variations saisonnie`res ⫺ saisonbedingte Schwankungen (Weiß 1992, 306 f).

790

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

3.3. Übersetzen im Bereich von Theologie und Soziologie Weil in den Fachbereichen Kirchen, Soziales, Politik, Kultur in besonderer Weise vom Menschen und seiner Befindlichkeit, seinen Bestrebungen und seinem Denken und Glauben die Rede ist, wird hier weithin die Gemeinsprache verwendet. Der Anteil besonderer Termini mit exakt definiertem Begriffsinhalt ist geringer, wenngleich er nicht ganz verschwindet. Da solche Texte auf den ersten Blick eher einfach wirken mögen, ist hier ein entsprechendes Fachwissen als Teil der Übersetzungskompetenz unabdingbar. Hesseling (1982, 85) bemängelte in einer Übersetzungskritik eine ausgeprägte „Inkonsequenz des Wortgebrauchs besonders bei der Übersetzung der zentralen AS-Wörter“ (sc. ausgangssprachlichen Wörter). Dies könnte daran liegen, daß der Übersetzer nicht gemerkt hatte, daß es sich hier um ein soziologisches Buch handelte. In solchen Texten kommt der Analyse rekurrenter Bedeutungsmerkmale eine besondere Rolle zu. Wortfelder als Bedeutungsnetze in Texten dienen ja nicht nur der Sinnentschlüsselung. Ihre homogene Konstitution ist auch ein Mittel der Textkohärenz in der Übersetzung und zugleich erhöhen sie die soziolektale Akzeptanz von Übersetzungen. Sprechergruppen konstituieren sich nicht zuletzt in sozialen Wortfeldern als Ausschnitten aus dem Gesamtinventar einer Sprache, wie z. B. Untersuchungen zur Sprache der Kirchen, der Jugend, der Parteien, der Gewerkschaften usw. zeigen. Entsprechende Ausdrucksformen in der Zielsprache zu verwenden, gehört mit zu den Aufgaben des Übersetzers. Bei Übersetzungen im Bereich der Kirchen stellt sich die Frage nach dem Wesen der religiösen Sprache. Es gibt im Deutschen einen gewissen Bestand an religiösem Wortgut, das durch die Literatur des 18. Jh. in die Gemeinsprache eingegangen ist. Die wichtigsten Quellen der säkularisierten Gefühlssprache sind die Bibel in der Lutherübersetzung und das deutsche Schrifttum der Mystik, die v. a. durch den Pietismus übermittelt wurden. Mystische Grundwörter sind z. B. Aufschluß, Einfluß, Grund, Stille, Neigung, Leiden, Opfer, Offenheit usw. Signifikant sind ferner die Wortfelder der religiösen Metaphern, besonders von ,Quelle‘ und ,Wasser‘ oder ,Licht‘, ,Weg‘ und ,Wüste‘. Religiöse Sprache ist ja ein Reden über das Unaussprechliche, doch die Heilige Schrift ist nicht ein bloßes Buch, „sondern gewissermaßen die Mittelstelle von

Geschichte zu Geschichte“ (Ebeling 1983, 73). Solches ,Wort‘ will wirklichkeitsverändernde Offenbarung sein als „geschehendes Wort“: „Die Macht des Wortgeschehens besteht darin, daß es uns in unserer Existenz zu betreffen und zu verändern vermag, indem einer dem andern etwas von seiner eigenen Existenz […] mitteilt und eben so daran Anteil gibt“ (Ebeling 1983, 76). Den Ausdruck des Dynamischen im mitmenschlichen „Geschehen“ leisten sprachlich viele verbale Präfixbildungen der Bewegung. Zur verbreiteten Metaphorik von ,Quelle und Wasser‘ werden Verben wie herabfließen, verströmen, sich ergießen, entspringen, ausgießen usw. mit Bezug auf die göttliche Liebe gebildet, zu ,Licht‘ erscheinen Verben wie aufleuchten, durchschauen, durchdringen, aufblicken. Der ,Weg durch die Wüste‘ des menschlichen Lebens wird umschrieben mit entgegengehen, hinstreben, emporsteigen, durchwandern, erleiden, ertragen usw. Das Einbringen entsprechender Formulierungen in Übersetzungen theologischer Texte ins Deutsche würde deren soziolektale Akzeptanz erhöhen. (Beispiel: Es ist ein Unterschied ob go to meet mit einander entgegengehen oder mit aufeinanderzugehen übersetzt wird.) Sozialwissenschaftliche Texte sind oft auch durch einen autorspezifischen Stil geprägt. Hier ist bei der Übersetzung zu fragen, inwieweit eine Bewahrung stilistischer Merkmale in der Zielsprache noch im Einklang mit der dort üblichen funktionalstilistischen Norm steht. Toury (1989, 103) hat angemerkt, daß die jüngste Übersetzung der Schriften Sigmund Freuds ins Hebräische dort als literarisches Werk gilt, nicht jedoch als ein wissenschaftlicher Beitrag zur Psychoanalyse angesehen wird. Während ein flott geschriebener, mehr gesprochen wirkender Forschungsbeitrag in deutscher Sprache evtl. nicht „wissenschaftlich“ (vgl. 2.2.) wirkt, würde dieser stilistische Effekt bei einer abbildenden Übersetzung ins Englische fehlen, da dort eine andere leserfreundlichere Konvention gilt.

4.

Literatur (in Auswahl)

Baumann 1987 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Die Bedeutung des Fachdenkens bei der Untersuchung von Fachtexten. In: Beiträge zur anglistischen Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Rosemarie Gläser. Leipzig 1987 (Berichte der Sektion Fremdsprachen der Karl-Marx-Universität 2), 92⫺108. Baumann 1987 a ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Die Makrostruktur von Fachtexten ⫺ ein Untersuchungsansatz. In: Fachsprache 9. 1⫺2. 1987, 2⫺18.

81. Fachübersetzung in den Geistes- und Sozialwissenschaften Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Die Fachlichkeit von Texten als eine komplexe Vergleichsgröße. In: Kontrastive Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Klaus-Dieter Baumann und Hartwig Kalverkämper. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20), 29⫺48. Beaugrande 1988 ⫽ Robert de Beaugrande: Text and Process in Translation. In: Textlinguistik und Fachsprache. AILA-Symposion Hildesheim 13.⫺ 16. April 1987. Hrsg. v. Reiner Arntz. Hildesheim. Zürich. New York 1988 (Studien zu Sprache und Technik 1), 413⫺432. Clyne 1987 ⫽ G. M. Clyne: Cultural Differences in the Organization of Academic Texts. In: Journal of Pragmatics 11. 1987, 211⫺247. De Cort/Hessmann 1979 ⫽ L. De Cort/P. Hessmann: Die wissenschaftliche Fachsprache der Wirtschaft. Eine Untersuchung ihrer syntaktischen und syntaktisch-lexikalischen Merkmale. Teil I: Syntaktische Merkmale. In: LA XI/1977, 27⫺89. Teil II: Syntaktisch-lexikalische Merkmale. In: LA XII/ 1978, 233⫺260. Teil III: Schluß und Bemerkungen zu der Didaktisierung. In: LA XIII/1979, 55⫺102 (LA ⫽ Linguistica antverpiensia). Ebeling 1983 ⫽ Gerhard Ebeling: Wort Gottes und Sprache (1959). In: Probleme der religiösen Sprache. Hrsg. v. Manfred Kaempfert. Darmstadt 1983 (Wege der Forschung Band CDXLII), 72⫺81. Fuchs-Khakhar 1987 ⫽ Christine Fuchs-Khakhar: Die Verwaltungssprache zwischen dem Anspruch auf Fachsprachlichkeit und Verständlichkeit. Tübingen 1987. Gerzymisch-Arbogast 1987 ⫽ Heidrun GerzymischArbogast: Passepartoutwörter als fachsprachliches Übersetzungsproblem. In: Textcontext Heft 1. 1987, 23⫺31. Gnutzmann 1992 ⫽ Claus Gnutzmann: Kontrastive Fachtextlinguistik als Projektaufgabe: Theoretische Fragen und praktische Antworten. In: Kontrastive Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Klaus-Dieter Baumann und Hartwig Kalverkämper. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20), 266⫺273. Hesseling 1982 ⫽ Ulla Hesseling: Praktische Übersetzungskritik, vorgeführt am Beispiel einer deutschen Übersetzung von Erich Fromm’s „The Art of Loving“. Tübingen 1982. Jamieson 1993 ⫽ John Jamieson: The “Spoonful of Sugar” Principle in the Translation into English of Sci Tech and Press Material. In: Aliran dan Perkembangan Semasa dalam Bidang Penterjemahan (Current Trends and Development in the Field of Translation: Towards the Global Sharing of Information and Technology). Proceedings of the Fourth International Conference on Translation. Kuala Lumpur 1993 (Dewan Bahasa dan Pustaka Malaysia), 135⫺142. Krefeld 1985 ⫽ Thomas Krefeld: Das französische Gerichtsurteil in linguistischer Sicht: Zwischen

791

Fach- und Standessprache. Frankfurt/M. 1985 (Studia Romanica et linguistica 17). Kußmaul 1978 ⫽ Paul Kußmaul: Kommunikationskonventionen in Textsorten am Beispiel deutscher und englischer geisteswissenschaftlicher Abhandlungen. Ein Beitrag zur deutsch-englischen Übersetzungstechnik. In: Lebende Sprachen 2. 1978, 54⫺58. Luther 1968 ⫽ Gerhard Luther: Einführung in das italienische Recht. Darmstadt 1968 (Einführungen in das fremdländische Recht). Möhn 1977 ⫽ Dieter Möhn: Zur Entwicklung neuer Fachsprachen. In: Deutscher Dokumentartag 1976. Hrsg. v. der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation DGD, bearb. v. M. von der Laake und P. Port. München 1977, 311⫺321. Möhn/Pelka 1984 ⫽ Dieter Möhn/Roland Pelka: Fachsprachen. Eine Einführung. Tübingen 1984 (Germanistische Arbeitshefte 30). Schmitt 1988 ⫽ Christian Schmitt: Gemeinsprache und Fachsprache im heutigen Französisch. Formen und Funktionen der Metaphorik in wirtschaftssprachlichen Texten. In: Fachsprachen in der Romania. Hrsg. v. Hartwig Kalverkämper. Tübingen 1988 (Forum für Fachsprachen-Forschung 8), 113⫺129. Standardformulierungen 1992 ⫽ Standardformulierungen für deutsche Vertragstexte. 3. Auflage. Terminological Series issued by the Foreign Office of the Federal Republic of Germany 4. Berlin. New York 1992. Stolze 1992 ⫽ Radegundis Stolze: Rechts- und Sprachvergleich beim Übersetzen juristischer Texte. In: Kontrastive Fachsprachenforschung. Hrsg. v. Klaus-Dieter Baumann und Hartwig Kalverkämper. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20), 223⫺230. Stolze 1993 ⫽ Radegundis Stolze: Mitteilen und Erklären ⫺ Kompensatorische Übersetzungsstrategien bei Verständnisbarrieren. In: Traducere navem. Festschrift für Katharina Reiß. Hrsg. v. Justa Holz-Mänttäri und Christiane Nord. Tampere 1993, 261⫺274. Toury 1989 ⫽ Gideon Toury: Well, what about a LINGUISTIC theory of LITERARY translation? In: Bulletin CILA. Organ der Schweizerischen Hochschulkommission für angewandte Sprachwissenschaft 49, Neuchaˆtel, mars 1989, 102⫺105. Weiß 1992 ⫽ Bert Weiß: Lernziel Explizität: Hauptschwierigkeiten frankophoner Studenten beim Übersetzen französischer Wirtschaftstexte ins Deutsche. In: Fachsprache und Terminologie in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. v. Jörn Albrecht und Richard Baum. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 14), 302⫺318.

Radegundis Stolze, Darmstadt

792

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

82. Die Rolle von Fachsprachen im Kontakt von Einzelsprachen IV: Fachübersetzung in den Naturwissenschaften und der Technik 1. 2. 3.

6.

Einführung Zum Übersetzen allgemein Übersetzungsrelevante Besonderheiten der Kommunikation in Naturwissenschaft und Technik Fachsprache und Übersetzen Einzelfragen des Übersetzens in Naturwissenschaft und Technik Literatur (in Auswahl)

1.

Einführung

4. 5.

Die internationale Zusammenarbeit wird in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ständig enger. Dies gilt nicht zuletzt für das Gebiet der Naturwissenschaft und Technik, wo der Informationsaustausch über Sprachgrenzen hinweg heute unverzichtbar ist. Zur Aufrechterhaltung dieses Austauschs spielt das Übersetzen eine wichtige Rolle, und zumindest auf absehbare Zeit kann die Person der Übersetzerin/des Übersetzers dabei als unverzichtbar gelten. Die Hoffnungen, die sich vor etwa 20⫺30 Jahren mit dem Einsatz der automatischen Übersetzung verbanden, haben sich nicht erfüllt; der wesentliche Grund dafür ist, daß Übersetzen lange Zeit fälschlich als eine Operation des code-switching, des Austauschs einzelner Zeichen, angesehen wurde. So begreift z. B. Mounin (1967, 158) interlinguale Terminologiearbeit nach dem Prinzip der Eineindeutigkeit („nur ein Wort für eine Sache und nur eine Sache für ein Wort“) als „internationale Vereinheitlichung der Wörter“ und kommt so zu der Prognose, nach Erreichen dieses Ideals werde „die wissenschaftliche und technische Übersetzung so gut wie hundertprozentig automatisierbar sein […]“ (Mounin 1967, 159). In diesem Sinne meint noch 1977 Wilss, daß „Äquivalenzaussagen bei fachsprachlichen Texten“ am besten extrapolierbar seien (Wilss 1977, 171): auch hier ist vor allem von Äquivalenzen auf der Wortebene die Rede. Die Fachsprachenforschung hat sich bis weit in die siebziger Jahre ebenfalls vorrangig mit der Fachlexik als dem zunächst auffälligsten Merkmal von Fachtexten befaßt; später erst hat sie sich von dieser Perspektive gelöst und dem „Fachtext-in-Funktion“ (vgl. Kalverkämper 1983, 144 ff) zugewandt. Herrschte demnach in den beiden Forschungsgebieten lange Zeit eine Gemeinsamkeit, die dazu

führte, daß die Fachübersetzung in Naturwissenschaft und Technik als grundsätzlich einfachere, weil mit relativ simplen Ersetzungsoperationen befaßte Form des Übersetzens galt, so greift mittlerweile eine differenziertere Auffassung Platz, nicht zuletzt deshalb, weil Fachsprachenforschung und Übersetzungswissenschaft sich dem Text und seiner Funktion in größeren Handlungszusammenhängen zuwenden.

2.

Zum Übersetzen allgemein

Übersetzen wird in neuerer Zeit als „eine spezifische Form sprachlichen Handelns und Sichverhaltens“ (Wilss 1988, 35) aufgefaßt. Sprachliches Handeln ist kulturgebunden, wobei Sprache einen Teil der jeweiligen Kultur ausmacht. Sind zwischen Kommunikationspartnern die Unterschiede sprachlichkultureller Art so groß, daß ein mit sprachlichen Mitteln verfolgtes Handlungsziel nicht erreicht werden kann, wird die interkulturelle sprachliche Transferhandlung Translation notwendig. Die Translation schriftgebundener Rede wird im folgenden als „Übersetzen“ bezeichnet, deren Resultat als „Übersetzung“. Ausgangs- und Zielpunkt des Übersetzens sind Texte und deren Funktion(en) für die Interessen der mittels dieser Texte Handelnden. Durch Übersetzungen sollen die Angehörigen einer Sprach- und Kulturgemeinschaft in die Lage versetzt werden, Texte, die zunächst im Rahmen einer anderen Sprach- und Kulturgemeinschaft entstanden sind, für ihre Interessen einzusetzen. Texte werden also in den folgenden Ausführungen als Bestandteile größerer Handlungszusammenhänge gesehen, deren sich Übersetzer so weit wie möglich bewußt sein müssen. Wenn Übersetzen so aufgefaßt wird, daß „der Übersetzer auf der Basis as und zs Wissens ,code-switching‘-Prozesse ausführt“ (Wilss 1988, 35), so ist damit lediglich ein (wenn auch grundlegender) Teil übersetzerischer Tätigkeit beschrieben: Übersetzen läßt sich auch im Rahmen des fachsprachlichen Kommunikations- und Handlungsprozesses nicht auf die Ersetzung eines Zeicheninventars durch ein anderes reduzieren.

82. Fachübersetzung in den Naturwissenschaften und der Technik

3.

Übersetzungsrelevante Besonderheiten der Kommunikation in Naturwissenschaft und Technik

Über Art und Zahl der Funktionen, die Sprache in Texten erfüllen kann, herrscht keine Einigkeit (vgl. Möhn/Pelka 1984, 5 ff). Nehmen wir mit Bühler (1978, 34) drei Grundfunktionen des Sprachzeichens an (Darstellung, Ausdruck, Appell) und gehen dabei über das einzelne Zeichen hinaus, so ist in Fachtexten vor allem die Darstellungsfunktion von Bedeutung. Dabei ist allerdings gerade für Übersetzer zu beachten, daß hier wie stets prinzipiell alle Funktionen eine Rolle spielen, nur eben in unterschiedlicher Gewichtung. Ausgehend von diesen Grundfunktionen lassen sich einzelnen Texten je nach Verwendungssituation Textfunktionen zuordnen. Auch hier ist grundsätzlich zu beachten, daß Texte mehrfunktional sind. Übersetzer müssen diese Tatsache sowohl bei der rezeptiven Phase ihrer Arbeit (Sicherung des Textverständnisses) als auch im produktiven Prozeß (Neuformulierung gemäß den Interessen der intendierten Leserschaft) in Rechnung stellen. Fachkommunikation ist allgemein durch die Dominanz der Beziehung zur außersprachlichen Realität gekennzeichnet; Baumann verweist auf Untersuchungen, aus denen hervorgeht, „daß die Spezifik des fachlichen Gegenstandes, über den kommuniziert werden soll, die thematische Textbasis entscheidend determiniert.“ (Baumann 1992, 5) Die enge Beziehung, die in der Fachkommunikation zwischen dem Thema und seiner sprachlichen Umsetzung herrscht, ist verschiedentlich betont worden. Hier ist nun eine Unterscheidung zwischen den Bereichen Sozial- und Geisteswissenschaften einerseits sowie Naturwissenschaft und Technik andererseits wichtig. Stolze weist auf diesen Unterschied hin, wenn sie betont, die Fachsprache der Sozial- und Geisteswissenschaften sei „nicht terminologisch fixiert, sondern interpretatorisch offen.“ (Stolze 1992, 168; Hervorhebung im Original. Vgl. auch Art. 81) Anders gesagt: In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist Sprache prinzipiell als Mittel der Erkenntnis und der Wahrheitsfindung anerkannt, ja Sprache ist z. T. gleichzeitig Gegenstand und Medium der Fachkommunikation. Naturwissenschaft und Technik dagegen sehen die Sprache eher in ihrer Funktion als Werkzeug der exakten Beschreibung. Häufig begegnen Techniker der Sprache mit

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Mißtrauen als einem wenig exakten, für diese Funktion nicht genügend tauglichen Werkzeug. Die Bemühungen um nationale und internationale Terminologienormung haben hier eine ihrer Wurzeln. Ischreyt (1965, 24 ff) geht auf dieses Problem, das hier nicht näher erörtert werden kann, genauer ein. Für Fachtexte der Naturwissenschaft und Technik gilt also die Beziehung zur außersprachlichen Realität in besonderer Weise. Die auf diesen Gebieten tätigen Fachleute sind vor allem damit befaßt, Gegenstände begrifflich-systematisch zu beschreiben und Sachverhalte auf vorhersagbar wiederkehrende Merkmale zu untersuchen (Naturwissenschaft) sowie die Natur so zu gestalten und umzugestalten, daß sie für den Gebrauch durch den Menschen besser nutzbar wird (Technik). Der Umgang mit der Realität, wie er in Naturwissenschaft und Technik gepflegt wird, hat potentiell drastische Auswirkungen im Leben der Menschen; entsprechend verantwortungsvoll ist auch in dieser Hinsicht die Aufgabe des Übersetzers. Fachtexte sind thematisch an Sachinhalten orientiert, die tendenziell nur von einem eingeschränkten Kreis von Fachleuten beherrscht werden; Gegenstände und Sachverhalte werden in Fachtexten so benannt, daß Fachleute möglichst widerspruchsfrei über sie kommunizieren können. Dabei wird erwartet, daß die Teilnehmer am technisch-wissenschaftlichen Diskurs über das notwendige Sachwissen verfügen; dies wird auch von Übersetzern erwartet. Allerdings ist deren Sachwissen anderer Art als das der Experten: Das Sachwissen von Übersetzern ist vor allem darauf ausgerichtet, vorliegende Texte verstehend nachvollziehen zu können; es handelt sich also nicht um das auf technische Produktion ausgerichtete Wissen z. B. des Ingenieurs. Das so strukturierte Sachwissen ist auch erforderlich, um zu erkennen, wann im Einzelfall Fachkenntnisse nicht ausreichen, um dann gezielt und sachkundig recherchieren zu können. Sachkenntnis dieser Art verbinden Übersetzer mit der Beherrschung der sprachlichen Mittel und Konventionen zur Neuformulierung in einer anderen Sprache. Die Bedeutung schriftlicher Kommunikation mittels Fachtexten in Naturwissenschaft und Technik beruht auf mehreren Arten kommunikativer Bedürfnisse. In den Naturwissenschaften, wie im Bereich der Wissenschaft überhaupt, kann von einem Veröffentlichungs-, Rezeptions- und Kritikgebot gesprochen werden: Arbeitsergebnisse sollen

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X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

schnell veröffentlicht werden, und die auf einem bestimmten Gebiet tätigen Fachleute haben wiederum ein Interesse daran, solche Veröffentlichungen mit geringstmöglicher Verzögerung zur Kenntnis zu erhalten, um darauf reagieren zu können. Das Übersetzen spielt hier eine große Rolle, denn trotz der (zunehmenden) Bedeutung des Englischen als Verständigungsmittel in der scientific community werden doch immer wieder wichtige Veröffentlichungen in anderen Sprachen vorgenommen (z. B. Russisch und Japanisch; vgl. Large 1983; Skudlik 1990). Außerdem wird es ab einem gewissen Grad an sprachlich-inhaltlicher Komplexität doch auch im Englischen wieder der Hilfe eines Sprachexperten bedürfen, um die Kommunikation möglichst zweifelsfrei zu sichern. Je stärker andererseits die konkrete technische Anwendung in den Vordergrund tritt, desto mehr ist die auf den jeweiligen Rezipienten genau abgestimmte Informationsvermittlung notwendig, desto größer also gegebenenfalls die Bedeutung der Übersetzung. Pinchuk (1977, 13) charakterisiert folgende drei Textklassen: 1 the results of pure science intended as a contribution to knowledge, without regard to possible practical application 2 the results of applied scientific research carried out in order to solve a particular problem 3 the work of the technologist, which is intended to result in an industrial product or process that can be sold on the market.

Diese Aufzählung ist jedoch unvollständig: Es fehlt zumindest das bei fertigen technischen Produkten und Anlagen notwendige Dokumentationsmaterial, das in der Übersetzungspraxis eine wichtige Rolle spielt. Vollständiger ist die Aufzählung bei Hoffmann (1985, 65): A B C D E

⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽

theoretische Grundlagenwissenschaften experimentelle Wissenschaften angewandte Wissenschaft und Technik materielle Produktion Konsumtion

Der weitaus größte Teil aller in der Praxis zu übersetzenden Texte, so zeigt eine Untersuchung aus den Jahren 1988/89, entfällt heute auf das Gebiet Technik: 76% der befragten Übersetzer gaben an, vorwiegend mit dem Fachgebiet „Technik“ zu tun zu haben (Schmitt 1990 a, 97; ohne genauere Definition von „Technik“). Dabei stehen beim Textsorten-Spektrum im Vordergrund Bedienungs- und Betriebsanleitungen, Systembeschreibungen, Spezifikationen, wissenschaft-

lich-technische Berichte und Artikel für Fachzeitschriften (Schmitt 1990 a, 103), also die eher anwendungsorientierten Gebiete.

4.

Fachsprache und Übersetzen

Sprachlichen Ausdruck findet die thematische Orientierung fachsprachlicher Texte zunächst in einer spezifischen Lexik, die referentielle und verständigungssichernde Funktion hat: Sprache ist in diesem Zusammenhang zunächst ein Instrument zur eindeutigen Benennung von Gegenständen und Sachverhalten. Das „Wort“ der Alltagssprache wird im „Terminus“ der Fachsprache tendenziell zum kontextfrei interpretierbaren Sprachzeichen, das idealiter eine vereinbarte Einheit von fest definiertem Begriff und dessen Benennung in umkehrbar eindeutiger Relation (Eineindeutigkeit) bildet und zudem aus konventionalisierten Oppositionsbeziehungen zu anderen Termini seinen semantischen Gehalt bezieht. Der Übersetzer muß sich deshalb darüber im klaren sein, daß er auf dem Gebiet der Terminologie in seiner Wahlfreiheit stark eingeschränkt ist. Das gilt vor allem in Abhängigkeit vom Grad der Fachlichkeit des Textes: Bei Texten hoher Abstraktionsstufe (vgl. Hoffmann 1985, 65 f) der fachinternen Kommunikation (Fachleute untereinander) muß der Übersetzer die durch sprachliche Mittel intendierte Sache exakt treffen; die Kommunikationsteilnehmer werden sich auf die Eindeutigkeit oder sogar Eineindeutigkeit eines verwendeten Terminus verlassen, so daß ein übersetzerischer Mißgriff in der Terminologie zu ganz erheblichen Kommunikationsstörungen führen kann. Für Übersetzer bedeutet Sprache jedoch parole, nicht langue, und das heißt, daß die von der internationalen Terminologienormung durch die Eineindeutigkeitsforderung angestrebte Ausschaltung von Synonymie und Polysemie in der übersetzerischen Praxis allenfalls ein unerreichtes Ideal darstellt (vgl. dazu Neubert 1987; Roelcke 1991), ja vielleicht sogar prinzipiell als natürlichen Sprachen nicht angemessen betrachtet werden muß. Auf jeden Fall ist aber bei Übersetzungen naturwissenschaftlich-technischer Texte die korrekte Referenz auf die verhandelte Sache bzw. den Sachverhalt zu wahren, sonst wird in aller Regel auch die kommunikative Funktion beeinträchtigt sein. Dabei spielt die Frage, ob diese Funktion im Zieltext dieselbe ist wie im Ausgangstext, zunächst zwar eine unterge-

82. Fachübersetzung in den Naturwissenschaften und der Technik

ordnete Rolle, insgesamt jedoch muß der Übersetzer über die Verwendung von Termini in Abhängigkeit von Faktoren der Textpragmatik entscheiden, wobei das Interesse des Rezipienten der Übersetzung das bestimmende Moment sein wird. Über die Lexik hinaus sind weitere sprachliche Faktoren für die Gestaltung von Fachtexten bestimmend. Die kommunikative Funktion im fachlichen Diskurs in Naturwissenschaften und Technik erschöpft sich bei weitem nicht in der Referenz, sondern geht (z. B. als Anweisung, Bericht, Argumentation; vgl. z. B. Möhn/Pelka 1984, 10) darüber hinaus. Diese Funktion ist nur zu erfüllen, wenn außer der Terminologie die weiteren Ausdrucksmittel der Fachsprache bezüglich morpho-syntaktischer, phraseologischer und textsortenspezifischer Muster funktionsadäquat eingesetzt werden (vgl. Gläser 1990; Baumann 1992, bes. 53 ff). Schließlich spielen in Texten der Naturwissenschaft und Technik nichtverbale Textteile wie Zeichnungen, Diagramme, Tabellen etc. eine große Rolle; der Übersetzer muß sie verstehen und, gegebenenfalls unter Wahrung abweichender zielsprachlicher Konventionen, korrekt wiedergeben. In stilistischer Hinsicht ist die Fachsprache der Naturwissenschaft und Technik vor allem im Falle der fachinternen Kommunikation (Experten mit Experten) stark konventionalisiert, dagegen wird bei fachexterner Kommunikation (Fachleute mit Laien) eher die sprachliche Gestaltung im Vordergrund stehen, weil die Sache im Medium der Sprache erst für den Rezipienten Gestalt gewinnen muß. Infolgedessen ist der Übersetzer hier freier in der Wahl der sprachlichen Mittel, muß sich aber um so mehr auf die intendierte Zielgruppe einstellen. Übersetzungsbezogen kann man ⫺ vereinfacht gesagt ⫺ eine Skala aufstellen, die sich an dem Merkmal der sachlichen Kompetenz orientiert: Am einen Ende liegt die fachinterne Kommunikation, bei der hochgradig komplexe und oft eher abstrakte Sachverhalte in sprachlich stark konventionalisierter Form zwischen sachlich gleichermaßen kompetenten Kommunikationspartnern ausgetauscht werden, das andere Ende bilden sprachlich weniger stark konventionalisierte Texte, die von sachlich unterschiedlich kompetenten Kommunikationsteilnehmern eingesetzt werden, oft mit dem Ziel, den Informationsstand der weniger kompetenten Kommunikationspartner zu heben.

795

Die prinzipielle Sachbezogenheit der Fachsprache der Naturwissenschaft und Technik bedeutet also nicht, daß die Zielgruppenbezogenheit des Übersetzens ⫺ wie jeder Kommunikation mit Texten ⫺ außer Kraft gesetzt wäre. Zielgruppen, gleich ob die des Ausgangstextes oder der Übersetzung, sind aber Teil bestimmter historisch-kultureller Zusammenhänge und damit kulturell verschieden. Vor allem auf Widdowson (1979, 51) geht die gegenläufige These zurück: “I assume that the concepts and procedures of scientific inquiry constitute a secondary cultural system which is independent of primary cultural systems associated with different societies.” Wie in neuerer Zeit betont wird, hält die Vorstellung von einer international einheitlichen wissenschaftlichen Kultur der genaueren Untersuchung nicht stand und trifft jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zu. Außerdem sind Texte, auch solche mit prinzipiell referentieller Funktion, individuelle Produktionen, tragen also individualspezifische Merkmale (vgl. Gläser 1990, 22 ff); bei technischen Texten ist oft auch firmenspezifische Sprachverwendung zu beachten. Sowohl kulturspezifische wie auch autoren/firmenspezifische Elemente sind also in Fachtexten der Naturwissenschaft und Technik vertreten und übersetzerisch zu berücksichtigen.

5.

Einzelfragen des Übersetzens in Naturwissenschaft und Technik

Damit lassen sich für das Übersetzen naturwissenschaftlich-technischer Texte folgende Problemfelder beschreiben, die nun an Hand von Beispielen diskutiert werden sollen: Sachkompetenz; fachsprachliche Kompetenz; kulturspezifische Einflüsse; individualspezifische Textmerkmale. Diese Aspekte sind natürlich keineswegs streng voneinander geschieden; sie sollen aber hier getrennt behandelt werden, um sie deutlicher darstellen zu können. 5.1. Die Rolle der Sachkompetenz Die Leistung des technischen Übersetzers beruht auf der „untrennbaren Einheit von Sprach- und Sachwissen“ (Gerbert 1972, 71). Dennoch sind Übersetzungsprobleme bei Fachtexten der Naturwissenschaft und Technik häufig Probleme des sachlichen Verständnisses. Da Übersetzer ständig mit lexikalischen Zeichen umgehen, deren Zahl weit kleiner ist als die der zu benennenden Gegen-

796

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

stände und Sachverhalte, ist es nicht verwunderlich, daß Polysemie und Homonymie in technischen Texten alles andere als selten sind. Solange dabei die einzelnen Sachbereiche unterschiedlich genug sind, etwa im Fall von Spannung als elektrotechnischem Terminus vs. Spannung als Terminus aus der Mechanik, dürften Verwechslungen eher die Ausnahme sein. Auch eine Homographie wie engl. lead läßt sich unschwer aus dem Kontext zu den Bedeutungen Blei bzw. Leitung auflösen, wie schon Jumpelt (1961, 58) anmerkt. Allerdings haben es Fachübersetzer nicht selten mit Texten hoher Informationsdichte und reduziertem Kontext zu tun, z. B. im Fall von abstracts. Aber auch in einem Satz wie dem folgenden ist dem Übersetzer am besten dann geholfen, wenn er den Kontext sachlich korrekt interpretieren kann: “The lead-finishing choice was 60/40 tin-lead plating for the new 14- and 16-lead resistor networks.” Sachgebiet ist hier die Elektronik (SMD-Technik); im zweisprachigen Fachwörterbuch lauten die angebotenen Entsprechungen „1. Leitung, Zuleitung; Leiterstift, Sockelstift; 2. Voreilung; 3. (Syst) Vorhalt“ bzw. „Blei“ (Budig 1989, Stichwort lead). Die Homographie muß sachbezogen aufgelöst werden: es geht darum, daß die Kontaktflächen der Anschlüsse beschichtet werden (lead-finishing, plating), um die Lötbarkeit zu verbessern, und zwar mit einer Zinn-Blei-Mischung, und das ganze bezieht sich auf eine neue Baureihe von Widerstandsnetzwerken mit 14 bzw. 16 Anschlußdrähten. Die Übersetzung lautet also: „Bei den neuen Widerstandsnetzwerken mit 14 und 16 Anschlußdrähten erfolgt die Oberflächenbehandlung der Anschlüsse durch Beschichtung mit einer Zinn-Blei-Mischung im Verhältnis 40 : 60.“ An diesem Beispiel wird auch deutlich, daß die im Wörterbuch angebotenen Übersetzungslösungen nicht unbedingt der branchenüblichen Ausdrucksweise entsprechen: Anschlußdraht ist ein durchaus gängiger Ausdruck selbst dort, wo gar keine Drähte im ursprünglichen Sinne vorliegen, in diesem Sinne kann man z. B. von einem bedrahteten Bauelement (für leaded component) sprechen. Zwar findet der Übersetzer meist auch ein Wörterbuch, in dem der passende Ausdruck verzeichnet ist, aber wie stets bei der Benutzung zweisprachiger Wörterbücher muß er in der Lage sein, die Angebote des Wörterbuchs für den betreffenden Kontext nutzbar zu machen und kritisch einzuordnen; beides ist nur bei genügender Kenntnis des sachlichen Hin-

tergrunds (wie natürlich auch der fachsprachlichen Konventionen) möglich. Neben solchen (und komplizierteren) Fällen von Polysemie können Synonyme Übersetzern große Probleme bereiten, z. B. im Falle von unterschiedlichen Benennungen in verschiedenen Textsorten. Häfele berichtet von den Bemühungen technischer Übersetzer, „die immer wieder von neuem überlegen und rückfragen müssen, bis sie herausgefunden haben, daß mit dem Übertragungshebel aus der Instandsetzungsanleitung, der in der Ersatzteilliste Zwischenhebel heißt, der Umlenkhebel der technischen Beschreibung gemeint ist (Häfele 1977, 90). Auch diese Schwierigkeit wäre mit gutem Sachwissen zu beheben. Auch die Auflösung der in der englischen Fachsprache der Technik häufigen Reihungen aus Nomina und Adjektiven erfordert Sachwissen, unter anderem deshalb, weil sie nicht immer regelmäßigen Wortbildungsmustern folgen. Ein Ausdruck wie der folgende läßt sich auflösen, sofern der Übersetzer über das entsprechende Wissen im Bereich der Halbleiterelektronik verfügt: Low capacitance small-area silicon diode detectors werden dann übersetzt als kleinflächige SiliziumEmpfangsdioden mit geringer Sperrschichtkapazität (vgl. Arntz/Eydam 1993, 213). Sachwissen ist weiterhin dafür notwendig, daß der Übersetzer dem Ausgangstext nicht unkritisch gegenübersteht und falsche Aussagen des Originals unbesehen übernimmt. Dies gilt selbst für Definitionen in Normen und Richtlinien, die ein Übersetzer gegebenenfalls als überholt erkennen sollte. Unser Beispiel dafür ist ein Akronym ⫺ ein Gebiet, das schon insofern ein übersetzerisches Problem bildet, weil Abkürzungen, je nach Sachgebiet und Kontext, ganz unterschiedliche Bedeutung haben können. Es ist die Abkürzung DNC aus dem Bereich der numerisch gesteuerten Maschinen: Laut VDI 3424 steht sie für Direct Numerical Control und ist „ein System zur Rechner-Direktführung von mehreren numerisch gesteuerten Arbeitsmaschinen durch Digitalrechner.“ Merkmal dieses Systems ist „die zeitgerechte Verteilung von Steuerinformationen an mehrere numerisch gesteuerte Maschinen […]“. Das ist insofern richtig, als tatsächlich bei den ersten DNCSystemen die Steuerung der einzelnen NCMaschinen über den Leitrechner erfolgte. Dieses System wurde aber bald aufgegeben, und man ging zum System der Distributed Numerical Control über, das ebenfalls als DNC bekannt ist, bei dem aber die Steuer-

82. Fachübersetzung in den Naturwissenschaften und der Technik

funktion bei der einzelnen Maschine verbleibt und der Zentralrechner nur das Programm liefert. Insofern ist VDI 3424 überholt, was den Stand der Technik angeht, und diese könnte auch als irreführend angesehen werden, was die Auflösung des Akronyms anbetrifft. Allerdings hat sich Direct Numerical Control für die zweite Art der Zentralsteuerung (Weitergabe des Programms) durchgesetzt, so daß nun wieder ein Fall von Polysemie vorliegt. Hieran wird noch ein anderes Problem deutlich: Technik als zukunfts- und fortschrittsorientierte Disziplin entwickelt sich häufig so schnell, daß die Dokumentationsmöglichkeiten für Terminologie (vor allem gedruckter Wörterbücher) dem Entwicklungstempo nicht folgen können ⫺ ganz davon abgesehen, daß die Terminologienormung meist eine Festlegung ex post sein wird. Übersetzer technischer Texte sind also darauf angewiesen, sich über die Entwicklungen auf ihren Spezialgebieten auf dem laufenden zu halten. Daß auch Normen nicht frei von Fehlern sind, zeigt der folgende Fall: Die „Schnittstelle zwischen Lochstreifenleser und numerischer Steuerung“ heißt BTR-Schnittstelle, wie in DIN 66 257⫺1983 richtig dargestellt wird, aber die Auflösung des Akronyms lautet natürlich nicht behind type reader, sondern behind tape reader. Die Eingrenzung auf Lochstreifenleser bei DIN dürfte wieder eine Frage der Berücksichtigung der technischen Entwicklung sein: Schon ISO 2806⫺1980 gibt neben control tape noch from a computer or other source an. Eine Reihe weiterer Beispiele für Fehler in technischen Texten findet sich in Schmitt (1986) und Bachmann (1992). Solche Fehler zu bemerken und in der Übersetzung richtigzustellen gehört zu den genuinen Aufgaben des Übersetzers in Naturwissenschaft und Technik. 5.2. Die Rolle der fachsprachlichen Kompetenz Nicht selten ist eine genaue Kenntnis fachsprachlicher Konventionen nötig, um einfache Druckfehler berichtigen zu können. Das folgende Beispiel stammt aus dem Bereich der Optoelektronik; an ihm wird auch deutlich, welche bedeutende Rolle das Englische in der modernen Fachsprache spielt: Viele Fachausdrücke werden in ihrer englischen Form verwendet und allenfalls erläutert, wie das Akronym SIBH. Es geht um einen Laser mit „halbisolierter vergrabener Heterostruk-

797

tur“, einen SIBH, wie das betreffende Akronym lautet. Dies wiederum wird aufgelöst als Semi-Isulating (!) Buried Heterostructure. Lautet hier die richtige Formulierung Semi-Isolating oder Semi-Insulating? Wörterbücher geben diese beiden Ausdrücke oft als synonym an; der fachsprachlich versierte Übersetzer weiß, daß insulating hier der richtige Ausdruck ist, weil es sich um eine nichtleitende Schicht handelt, während bei isolate die räumliche Trennung im Vordergrund steht. Auch bei den nonverbalen Textteilen sind unterschiedliche Konventionen zu beachten. Im Spanischen kann z. B. die chemische Formel für Kochsalz auch ClNa lauten, statt des im Deutschen üblichen (und auch im Spanischen geläufigen) NaCl (Bachmann 1992, 150). Das muß noch kein Problem für den Übersetzer darstellen; schwieriger sind kulturspezifische Unterschiede in technischen Zeichnungen, auf die z. B. Schmitt (1990 b, 80 ff) hinweist: Die nach der in Europa verwendeten ISO-Methode E angefertigten Darstellungen verhalten sich zu Zeichnungen, die nach der amerikanischen ISO-Methode A angefertigt sind, dergestalt, daß Verwechslungen geradezu herausgefordert werden: „Wird ein Teil vom Konstrukteur nach der einen Methode gezeichnet, die Zeichnung aber vom Hersteller nach der anderen Methode interpretiert, so wird das Teil letztendlich exakt seitenverkehrt eingebaut“ (Schmitt 1990 b, 82).

Vom Übersetzer ist auch die Beherrschung der Fachphraseologie gefordert, was vor allem bei der Formulierung des zielsprachlichen Textes relevant wird. Am folgenden Beispiel wird deutlich, wie unterschiedlich die Kollokationen selbst in so eng verwandten Sprachen wie Englisch und Deutsch sein können: remove the spark plugs remove the plug leads remove dipstick remove filler cap remove distributor cap remove rotor arm remove nipple remove the two bolts (Schmitt 1986, 279)

Zündkerzen herausdrehen Zündkabel abziehen Ölmeßstab herausziehen Verschlußkappe aufdrehen Verteilerdeckel abnehmen Verteilerläufer abziehen Schmiernippel herausdrehen beide Schrauben lösen

Ein weiteres Beispiel für unterschiedliche fachsprachliche Konventionen auf der eher mikrotextuellen Ebene ist die unterschiedliche Verwendung von Tempora: Im Englischen wird bei der Angabe gesetzmäßiger Zusammenhänge häufig das Futur I verwendet

798

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

(if x is given y will result), während im Deutschen das Präsens eingesetzt wird (wenn x gegeben dann folgt y); ähnlich ist es im Französischen: « a` la condition A nous dirons que B » oder « e´tant donne´ A nous dirons B » (Spillner 1982, 23). Zur fachsprachlichen Kompetenz gehört auch die makrotextuelle Ebene, etwa die Beherrschung unterschiedlicher Textsortenkonventionen. In spanischen und französischen Lehrbüchern der Technik und Naturwissenschaft wird z. B. gerne die 1. Person Plural verwendet, wo im Deutschen eher Formen der De-Agentivierung gewählt werden. Oft liest man also Formulierungen der folgenden Art: „Supongamos que tenemos un cristal tipo P …“; „Examinando el gra´fico podemos observar …“; oder im Französischen: « Conside´rons le sche´ma de la figure … »; « Ecrivons pour cela l’e´quation … » (vgl. Kocourek 1991, 70 f). In deutschen wissenschaftlichen Lehrwerken sind eher Formulierungen der Art „Wie aus Fig. 57 hervorgeht …“ üblich; nur bei stark didaktisierten Lehrbüchern werden Sätze wie „Wir erkennen, daß …“ oder „Wir zeichnen in ein Diagramm die Kennlinie …“ häufiger gebraucht. 5.3. Die Rolle kulturspezifischer Einflüsse Auch wenn kulturelle Unterschiede in anderen Bereichen als dem naturwissenschaftlichtechnischen sicher eine größere Rolle spielen, so muß der Übersetzer doch auch hier damit rechnen, daß sich die sprachlichen Darstellungen von Sachverhalten in Ausgangs- und Zielkultur unterschiedlich entwickelt haben. Auf lexikalischer Ebene ist die unterschiedliche Benennungstradition z. B. im Maschinenbau zu nennen: Kolbenboden entspricht im Englischen piston crown, im Französischen teˆte de piston (vgl. Beneke 1983, 187); auch die unterschiedlichen Text(sorten)konventionen können als kulturspezifische Unterschiede aufgefaßt werden. In der Terminologie ist mit kulturspezifisch bedingten Begriffsinkongruenzen zu rechnen, die zu erheblichen Problemen führen, wenn sie nicht erkannt werden. Z. B. ist die Abgrenzung zwischen Schweißen und Löten im Deutschen und Spanischen unterschiedlich: Die spanische Benennung soldar kann die beiden Begriffe Schweißen und Löten umfassen, so daß die deutsche Übersetzung je nach Kontext gewählt werden muß (vgl. Bachmann 1992, 148 f); das deutsche Bohren entspricht im Englischen drilling bei erstmaligem Bohren, aber boring bei weiterer Bearbeitung (z. B. Ausbohren); das Englische

kennt den Oberbegriff Blech nicht, so daß man für die Übersetzung auf sheets and plates (im Deutschen Feinblech und Grobblech) ausweichen muß. Oft hängt eine solche Inkongruenz auch mit unterschiedlichen technischen Entwicklungen zusammen: Wenn in englischsprachigen technischen Enzyklopädien noch in jüngster Zeit Widerstände (hier verstanden als Bauelemente) eingeteilt werden in composition/film/wirewound resistors, so steht dem im Deutschen eine Einteilung gegenüber, welche den Massewiderstand (als Entsprechung zu composition type resistor) nicht berücksichtigt, da er in der technischen Fertigung keine Rolle mehr spielt, so daß das deutsche System auf dieser Einteilungsebene faktisch nur noch zwei Gruppen kennt: Draht- und Schichtwiderstand. Die Beispiele ließen sich ohne Mühe vermehren; sie machen deutlich, daß eine exakte terminologische Recherche vonnöten ist, die mit manchmal tiefgreifenden Unterschieden zwischen einzelnen Sprach- und Kultursystemen rechnet. Lassen sich schon diese Unterschiede in der Begriffsbildung als kulturspezifische Einflüsse begreifen, so gibt es auch in einem traditionelleren Sinne kulturtypische Erscheinungen in Fachtexten. Als Beispiel zitieren wir die Überschrift eines Artikels aus einer amerikanischen Fachzeitschrift des Maschinenbaus (“American Machinist”, Mai 1992, S. 33, über eine Doppelspindel-Werkzeugmaschine): “DOUBLE DOUBLE your turning power. There’s no spindle like it”. Die Anspielung auf Shakespeare’s „Macbeth“ (IV. Akt 1. Szene: “Double, double toil and trouble”) ist unverkennbar. Für technische Texte aus dem anglophonen Sprachraum ist dieser (sprach)spielerische Einstieg nicht untypisch: In Aufsätzen zur Optoelektronik begegnet man nicht selten Überschriften nach dem Muster “Through a lens, darkly”, die sich an eine Stelle aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther (Kap. 13, Vers 12: For now we see through a glass, darkly …) anlehnen. Wenn ein Übersetzer ein entsprechendes Zitat in seinem deutschen Text substituieren würde, hätte er damit gegen die kulturelle Tradition des Deutschen verstoßen, die so etwas nicht vorsieht.

82. Fachübersetzung in den Naturwissenschaften und der Technik

5.4. Die Rolle individualspezifischer Textmerkmale Im negativen Falle bestehen individualspezifische Merkmale in der vielbeklagten schlechten Qualität technischer Texte. Dazu gehören neben den schon oben besprochenen sachlichen Fehlern vor allem sprachliche Mängel, die das Verständnis eines Textes erheblich beeinträchtigen können. Die folgende Anweisung aus einem Softwarehandbuch wird wohl zunächst eher zu Fehlversuchen der Anwender führen: „Bei Anwahl der Menüfunktion „Zeilenbreite“ wird eine Dialogbox geöffnet, in der die gewünschte Zeilenbreite in der gewünschten Einheit angegeben werden kann, die für einen markierten Bereich oder für den ab Cursorposition eingegebenen Text gelten soll.“ Hier hätte der Übersetzer die Aufgabe, seinen Zieltext benutzerfreundlicher zu gestalten. Auch in der folgenden Formulierung läßt die grammatische Korrektheit und damit auch die sprachliche Klarheit zu wünschen übrig: “The opportunities for the further development of MLCCs is significant. The number of paths for development are numerous and for these reasons they are likely to maintain and strengthen their position in the electronics market place.” Im positiven Sinne dagegen weisen auch Fachtexte aus Naturwissenschaft und Technik sprachliche Qualitäten auf, die es durchaus in der Übersetzung zu berücksichtigen gilt. R. Gläser (1990, 22) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß „die für einige Fachtexte charakteristische ,De-Agentivierung‘ nicht als Beweis für eine grundsätzlich fehlende Emotionalität gelten kann.“ Die wissenschaftliche Rhetorik läßt sich sogar als eine Art raffiniert angelegter Anti-Rhetorik ansehen: „Es ist ein Stil, der den sprachlichen Charakter des wissenschaftlichen Textes soweit wie möglich vergessen machen möchte […]. Dieser window pane style repräsentiert ein besonders kunstreiches Verbergen der stilistischen Kunst, ein tegere artem, wie es die klassische Rhetorik als Gipfel der Rednerkunst preist.“ (Kretzenbacher 1989, 8). Insgesamt ist jedenfalls Rülker (1972, 57) zuzustimmen, wenn er meint, „daß es manche Berührungspunkte zwischen den pragmatischen Typen ,Übersetzung eines Sprachkunstwerkes‘ und ,Übersetzung eines Fachtextes‘ gibt und daß eine in jeder Beziehung adäquate naturwissenschaftlich-technische Übersetzung nur im Prozeß einer schöpferischen Auseinandersetzung entstehen kann.“

6.

799

Literatur (in Auswahl)

Albl-Mikasa 1995 ⫽ Michaela Albl-Mikasa: Zum Lebenszyklus fachsprachlicher Ausdrücke. In: Realities of Translation. Hrsg. von Manfred Beyer et al. Heidelberg 1995 (Anglistik und Englischunterricht 55/56), 163⫺195. Albrecht 1995 ⫽ Jörn Albrecht: Terminologie und Fachsprachen. In: Realities of Translation. Hrsg. von Manfred Beyer et al. Heidelberg 1995. (Anglistik und Englischunterricht 55/56), 111⫺161. Arntz/Eydam 1993 ⫽ Reiner Arntz/Erhard Eydam: Zum Verhältnis von Sprach- und Sachwissen beim Übersetzen von Fachtexten. In: Fachsprachentheorie. Hrsg. v. Theo Bungarten. Bd. 1: Fachsprachliche Terminologie, Begriffs- und Sachsysteme, Methodologie. Tostedt 1993, 189⫺227. Bachmann 1992 ⫽ Roland Bachmann: Übersetzen technischer Fachtexte. Was muß man können? Wie kann man es lernen? Ein Beitrag aus praktischer und didaktischer Sicht. In: Lebende Sprachen 37. 1992, 145⫺151. Baumann 1992 ⫽ Klaus-Dieter Baumann: Integrative Fachtextlinguistik. Tübingen 1992 (Forum für Fachsprachen-Forschung 20). Beneke 1983 ⫽ Jürgen Beneke: Unterschiedlich motivierte Benennungen in der Fachsprache des Maschinenbaus als Gegenstand des Sprachvergleichs. In: Fachsprache. 1: Sprachanalyse und Vermittlungsmethoden. Hrsg. von Heinrich P. Kelz. Bonn 1983, 187⫺193. Budig 1989 ⫽ Peter-Klaus Budig (Hrsg.): Fachwörterbuch Elektrotechnik/Elektronik. Englisch ⫺ Deutsch. 5. Aufl. Heidelberg 1989. Bühler 1978 ⫽ Karl Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Frankfurt/M. u. a. 1978 (Ullstein Buch 3392). Gerbert 1972 ⫽ Manfred Gerbert: Technische Übersetzungen und das Problem des Fachwissens. In: Spezialprobleme der wissenschaftlichen und technischen Übersetzung. Hrsg. v. Harry Spitzbardt. Halle (Saale) 1972, 59⫺72. Gerzymisch-Arbogast 1996 ⫽ Heidrun GerzymischArbogast: Termini im Kontext. Verfahren zur Erschließung und Übersetzung der textspezifischen Bedeutung von fachlichen Ausdrücken. Tübingen 1996 (Forum für Fachsprachen-Forschung 31). Gläser 1990 ⫽ Rosemarie Gläser: Fachtextsorten im Englischen. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 13). Goepferich 1995 ⫽ Susanne Goepferich: Textsorten in Naturwissenschaft und Technik: pragmatische Typologie ⫺ Kontrastierung ⫺ Translation. Tübingen 1995 (Forum für Fachsprachen-Forschung 27). Häfele 1977 ⫽ Margot Häfele: Anforderungen der betrieblichen Wirklichkeit an die Sprache. In: Muttersprache 87. 1977, 86⫺98. Hoffmann 1985 ⫽ Lothar Hoffmann: Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. 2. Aufl.

800

X. Fachsprachen im inner- und zwischensprachlichen Kontakt

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Reiner Arntz / Rainer Barczaitis, Hildesheim

XI. Spezielle Aspekte von Fachkommunikation III: Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik 83. Fachsprachen und öffentliches Leben: Kommunikation in der arbeitsteiligen Gesellschaft 1. 2. 3. 4.

Alltag und fachliches Umfeld Pragmatische Aspekte fachbezogener Kommunikation Sprachkultur Literatur (in Auswahl)

1.

Alltag und fachliches Umfeld

1.1. Wie aus der Sprach- und Sozialgeschichte hervorgeht, entstehen und entwickeln sich Fachsprachen in arbeitsteiligen Gesellschaften vor allem durch Spezialisierungen im Bereich der technischen, naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Tätigkeit sowie durch die Dynamik des gesellschaftlich-verwaltungstechnischen Lebens. Weite Sphären der Alltagskommunikation sind heute fachsprachlich durchdrungen, verschiedene Fachsprachenbereiche weisen dabei Schnittpunkte auf, die sowohl Fachleute unterschiedlicher Fächer als auch die breitere Öffentlichkeit berühren. Man denke nur an Stichworte wie Umweltschutz, Ökologie, Genforschung, Telekommunikation. In interdisziplinären Bereichen wie Technikfolgeabschätzung und Technikfolgeforschung, deren Ergebnisse Auswirkungen auf politische Meinungsbildung und Maßnahmen haben, müssen Fachleute nicht nur überfachliche kommunikative Fähigkeiten haben, sondern auch die betroffene Öffentlichkeit informieren können. In industrialisierten Gesellschaften haben viele Unternehmen stets multidimensionale Aufgaben zu bewältigen. So werden Verträge großer Technikunternehmen gemeinsam von Technikern, Betriebswirten und Juristen ausgearbeitet, die Pharmaindustrie muß heute bei Packungsbeilagen nicht nur medizinische, pharmakologische und sprachliche Aspekte berücksichtigen, sondern auch juristische. Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens können Kommunikationsschwierigkeiten und Kommunikationslücken entstehen, u. a. aus

folgendem Grund: Immer weniger Menschen wissen immer mehr von immer weniger Sachen, die aber immer mehr Menschen angehen. Zwar brauchen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft alle nicht alles zu verstehen, aber wo das Alltagsleben der Bürger von verschiedenen technisch-wissenschaftlichen Prozessen und Resultaten betroffen wird, sind Information und Verständigung notwendig. Verständlichkeit ist dabei ein nicht immer erreichbares, aber stets anstrebbares Ideal; Verstehen beinhaltet „etwas in seinem wesensgemäßen Zusammenhang erkennen“ (Hofstätter s. Oksaar 1979, 86 f; vgl. van Staak 1983; Kalverkämper 1988). Schwierigkeiten ergeben sich wegen der heterogenen Kompetenz der Beteiligten in sachlicher und sprachlicher Hinsicht (s. 2.). Berücksichtigt werden muß dabei auch, daß die Fachsprache, z. B. der Biologie, der Rechtswissenschaft, der Medizin, der Linguistik nicht einheitlich ist. Es gibt Variationen und Schichtungen, je nach Entwicklung des Gegenstandsbereiches und seinem Anwendungsbereich. Für große Teile der Naturwissenschaft gilt: „Bei dem heutigen Entwicklungsstand der Wissenschaft können wir nur noch bis zu einem gewissen Grade verstehen, was der andere macht … Es gibt verschiedene Ebenen des Verstehens. Jeder von uns bewegt sich auf einer von ihnen. Denjenigen über uns können wir verstehen, wenn wir uns Mühe geben, demjenigen, der auf der übernächsten Stufe steht, können wir bei allem guten Willen schon nicht mehr ganz folgen“ (Maier-Leibnitz 1979, 166).

Die Gründe der Verständigungsproblematik sind daher nur individuell erfaßbar, auf dem Hintergrund der soziokulturellen Gruppenzugehörigkeit der Betreffenden: Verständlichkeit hängt von der sprachlichen Darstellungsart des Senders und vom Vorwissen des Empfängers ab. 1.2. Fachsprachen werden nicht nur von Fachleuten verwendet. Ihre dadurch entstan-

802 dene Mehrschichtigkeit ist noch wenig untersucht worden. Die interaktionale Kompetenz der Mitglieder einer Industriegesellschaft umfaßt immer, seien es noch so geringe, Kenntnisse irgendeiner Fachsprache (s. 2.). Die Mehrschichtigkeit der Verwendung der Fachsprache betrifft sowohl die Form als auch den Inhalt der Ausdrücke (vgl. Schipperges 1988; Buhlmann/Fearns 1989; Kalverkämper 1990; Terhart 1992). Sie hängt mit der Situation, dem Partner, dem Zweck und dem Ziel der Kommunikation zusammen. Die fachlichen Ausdrücke erscheinen in der gesprochenen und geschriebenen Form, häufig unterstützt von Bildern, Graphiken, Tabellen (vgl. Pörksen 1994). Die visuelle Kommunikation wird in verschiedenen Erklärungszusammenhängen eingesetzt nach dem Motto: Eine einfache Skizze oder ein anschauliches Bild erleichtern das Verständnis mehr als ausführliche verbale Erläuterungen. Ein großer Teil aller Fachwörter kommt in der mündlichen Kommunikation selten oder überhaupt nicht vor (Jumpelt 1958, 3). Die mündliche und visuelle Kommunikation steht in der Fachsprachenforschung auch heute noch hinter der Erforschung der schriftlichen Texte zurück (vgl. Hoffmann 1985, 117; Munsberg 1994). Die alltägliche Frequenz der Fachausdrücke spielt bei der Verständlichkeit eine gewisse Rolle. Ökologie ist heute allgemein geläufiger als Subsidiarität, und wenn ersteres vom Nichtfachmann auch auf einem sehr abstrakten Niveau verstanden wird, so stellen sich viele beim letzteren gar nichts vor. Generell gilt, daß „echte Fachsprache“ immer an den Fachmann gebunden ist (Hoffmann 1976, 31). Differenzierend muß jedoch gefragt werden, in welcher Weise die Bindung jeweils existiert und in welchem fachlichen Umfeld. Denn wenn der Fachmann mit dem Fachkollegen kommuniziert, kommt es nicht so sehr auf die Ausdrucksform an, da er weiß, daß Verständigung durch exakte Sachkenntnis gewährleistet ist. Dies kann zu einer saloppen Redeweise führen (von Weizsäcker 1960, 139). Zur Erörterung der Laien- und Expertensysteme s. neuerdings Wichter (1994, 42 ff). 1.3. Eine erfolgreiche Kommunikation, die Produktions- und Interpretationskompetenz der Beteiligten als Voraussetzung hat, fordert flexible Verwendung der Mittel. Von der Seite des Fachmanns aus lassen sich diese in drei Hauptkategorien gliedern:

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

(a) Innerfachlich ⫺ Es gibt nicht nur eine reine Theoriesprache, sondern auch immer eine fachliche Umgangssprache, Werkstattsprache. (b) Überfachlich ⫺ Auch zwischen den einzelnen Fächern wird kommuniziert. Da es bei den Fachtermini keine Form-Inhalt-Symmetrie gibt, können leicht Mißverständnisse entstehen. Mit je anderem Inhalt wird z. B. der Terminus Frucht in der Botanik, Medizin und Rechtswissenschaft verwendet. Das Wort kommt aber auch in der Gemeinsprache vor (s. 2.). (c) Außerfachlich ⫺ Verteilersprache, fachbetonte Sprachverwendung zwischen Fachleuten und Laien. Der Fachmann sollte die Fähigkeit haben, technisch-wissenschaftliche Prozesse und Resultate auch Nichtspezialisten deutlich zu machen. Vgl. Möhn (1979, 73), der zwischen drei Typen von Kommunikationssituationen unterscheidet: fachinterne, interfachliche, fachexterne, und die Fünfteilung von Hoffmann (1976, 186). Ischreyt (1965, 38 ff) unterscheidet bei technischen Fachsprachen zwischen Wissenschaftssprache, die auch Theoriesprache umfaßt, fachlicher Umgangssprache und Werkstattsprache, Verteilersprache; zu weiteren Einteilungen s. Drozd/Seibicke (1973, 82); von Hahn (1983, 73 f); van der Staak (1983, 54); Wichter (1994, 13 ff).

Durch die Wissenschaft, die Internationalisierung der Märkte und des technischen Wissensbestandes entstehen Sprachkontakte. Fremdsprachige Termini, vor allem aus dem Englischen, werden in die deutschsprachige Fachkommunikation übernommen: (1) Sponsoring ist heute ein bedeutendes Marketing-Instrument. Rechtsfragen bei der Durchführung eines Sponsorships berühren zahlreiche Grenzbereiche. (2) Mit offenem unternehmensweitem Computing kommt neue Power für moderne Client-Server-Netzwerke.

Bei zunehmender Vernetzung der Informationsmöglichkeiten durch verschiedene auditive und audiovisuelle Medien kann die Beeinflussung zunehmen. Gegenwärtig sind sprachliche Interferenzen verschiedenen Typs bei zahlreichen Fachsprachen festzustellen. Jedoch nicht nur durch fremden Einfluß. Es gibt inter- und intranationale Fachsprachenkontakte.

2.

Pragmatische Aspekte fachbezogener Kommunikation

2.1. Viele Menschen haben in ihrem täglichen Leben mit verschiedenen Fachsprachen Kontakt, u. a. mit der Verwaltungssprache, der

83. Fachsprachen und öffentliches Leben: Kommunikation in der arbeitsteiligen Gesellschaft

Sprache der Technik und der medizinischen und pharmakologischen Fachsprache, z. B. bei der formulargebundenen Kommunikation, bei Steuerfragen, beim Arzt und durch Packungsbeilagen der Medikamente. Viele Medien verbreiten Fachausdrücke, u. a. durch Nachrichten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Politik, Sport. Ihre Verständlichkeit variiert, ebenso wie die Notwendigkeit des Verstehens, je nach der Soziobiographie des Empfängers: (4) Das Ross erhebt sich auf die Hinterhand […] die Kapriole ist gelungen. Piaffe, Passade, Lera´de ⫺ die Herren haben alles im Programm. (5) Die Photonenausbeute bei Cycloadditionen, die im solaren Reaktor stattfanden, war gering. Während die in (4) und (5) enthaltene Information eine begrenzte Empfängerschaft hat, müssen die in Gebrauchsanweisungen enthaltenen Fachtermini von allen verstanden werden, die ein Gerät bedienen wollen. Es gilt von vielen Fachtexten, handle es sich um Versicherungen oder Rentenantragsformulare, daß der ganze Handlungszusammenhang unklar bleiben kann, wenn man ein Wort nicht versteht. Was sind Sachmängelgewährleistungsansprüche beim Kauf eines Altlastengrundstücks? Für die Fachsprachenforschung, die sich bis heute weniger mit der Empfänger- als der Senderseite beschäftigt hat, eröffnet sich hier ein umfangreiches Feld.

2.2. Bei der Interaktion zwischen Laien in einem Fachsprachenbereich kann es häufig zur Verwendung falscher Inhalte kommen, wenn z. B. Hypertonie „erhöhter Blutdruck“ und Hypotonie „Blutdrucksenkung“ verwechselt werden. Auch falsche Schlüsse durch Analogie kommen vor. Man weiß, daß Major ein höherer Dienstgrad ist als Leutnant und stuft daher Generalmajor „dritthöchster Dienstgrad in der Rangklasse der Generale“ auch höher ein als Generalleutnant „zweithöchster Dienstgrad in der Rangklasse der Generale“. 2.3. Die Interaktion zwischen Fachmann und Laie verdeutlicht die Kommunikation und die damit verbundenen Schwierigkeiten aus einer anderen Perspektive. Der Fachmann beherrscht den soziokulturellen Rahmen seiner Terminologie und deren inhaltliche Präzisionsmöglichkeit auf der größten Konkretisierungsebene, während der Laie sich beim selben Ausdruck auf einer abstrakteren Ebene befindet. Schuld ist für einen Strafrechtler die „Vorwerfbarkeit“. Er weiß genau, welche Elemente dazu gehören, z. B. „Schuldfähigkeit“, „Unrechtsbewußtsein“ und als Prüfungspunkt „Schuldausschließungsgründe“ (Köbler 1983, 254). Der Laie ver-

803

steht Schuld gewöhnlich als „sittliches Versagen, Verschulden“, sowie „Verantwortung für ein Handeln“ (Der Große Duden 2). Havarie ist für den Laien „Seeschaden, den Schiff oder Ladung erleiden“, für den Fachmann dagegen ist Havarie gleich unter dreifachem Aspekt zu sehen: „große Havarie, kleine Havarie und besondere Havarie“ (Köbler 1983, 135). Für einen Chemiker ist Pyrolyse ein chemischer Prozeß, von dem er genau weiß, was dazu notwendig ist, wie er mit welchem konkreten Resultat verläuft. Der Laie erfährt durch Definitionen stets weniger konkrete Erklärungen; bei Pyrolyse z. B. „Zersetzung von Stoffen durch Hitze“, und ist dadurch nur über den Prozeßverlauf informiert, es fehlen Einzelheiten und Hintergründe der Prozeßzusammenhänge.

Da vom Fachmann erwartet werden darf, daß er auf verschiedenen Konkretisierungsebenen über den Inhalt der Fachausdrücke reden kann, gehört dazu auch die Fähigkeit, fachsprachliche Zusammenhänge in der Gemeinsprache zu erläutern. Dies geschieht, wenn Forschungsergebnisse in die Praxis umgesetzt werden, wenn der Arzt mit dem Patienten fachlich redet, oder wenn der Jurist seinem Klienten forensische Zusammenhänge zu erläutern hat. Da sich in derartigen Situationen Dialoge zwischen Fachleuten und Laien ergeben, sind Verständigungsschwierigkeiten nicht ausgeschlossen, da die fachbezogenen Ausdrucksvarianten unterschiedlich sind. Der Fachmann verwendet in der Interaktion mit dem Laien einen anderen Variantentypus als der Laie mit dem Fachmann. Der Unterschied zwischen beiden Varianten umfaßt Form und Inhalt der fachsprachlichen Ausdrücke. In der laienbezogenen Verwendung muß der Fachmann den Inhalt möglichst konstant halten, auch wenn er die Form ändert. Der Jurist kann z. B. verleumderische Beleidigung durch Verleumdung ersetzen, er kann dagegen Besitz und Eigentum nicht als Synonyme verwenden. Wenn es sich um Bruch fremden und neuen Gewahrsams handelt, wird er wohl Wegnahme gebrauchen, den Inhalt des Wortes aber erläutern müssen. Für den Fachmann ergeben sich Schwierigkeiten nicht nur aus der Übersetzungsproblematik Fachsprache ⫺ Gemeinsprache, sondern auch aus der Tatsache, daß sowohl die Gemeinsprache als auch die Fachsprache nicht eindeutig sind. Es ist fraglich, ob Eindeutigkeit durch die natürliche Sprache überhaupt möglich ist, weil „jeder Versuch, einen Teil der Sprache eindeutig zu machen, schon den Gebrauch der natürlichen Sprache voraussetzt, soweit sie nicht eindeutig ist“ (von Weizsäcker 1951, 71).

804 Diese Probleme gibt es auch bei Definitionen: „Die Definitionen bedienen sich der natürlichen Sprache; sie benutzen also Begriffe, deren Eindeutigkeit nicht selbst schon überprüft ist. Man kann diese Begriffe vielleicht durch weitere Definitionen eindeutig machen. Aber werden wir einmal erst Begriffe finden, die von selbst eindeutig sind?“ (von Weizsäcker 1951, 71). Zur Eindeutigkeit vgl. Roelcke (1991). Der Laie verwendet zwar die Formen der Fachtermini, inhaltlich weicht er aber in der Regel vom Gebrauch durch den Fachmann ab: er kennt die Einzelheiten nicht. Beim Gebrauch der Kurzform Rheuma mag er zwar wissen, daß es Rheumatismus heißt, aber nicht, daß die Bezeichnung die Erkrankung der Gelenke, Muskeln, Nerven und Sehnen umfaßt, also, daß es eine Gattungsbezeichnung ist, und daß Gelenkrheumatismus fachsprachlich Rheumarthritis heißt. Zur Verbindung Gemeinsprache ⫺ Fachsprache s. Wiegand (1988); Oksaar (1988 a); Kalverkämper (1990); Schräder (1991); Nikula (1992). Schwierigkeiten in fachlichen Situationszusammenhängen entstehen, wenn z. B. der Patient die Fachtermini des Arztes nicht versteht oder sie mißversteht. Wenn ein Nichtfachmann beim Zahnarzt erfährt, daß das Röntgenbild kalzifizierte Kanäle und eine periapikale Radiotransulenz in der mesialen Wurzel zeigt, kann er damit nicht viel anfangen. Ärzte können wiederum aus der Rede der Patienten nicht immer brauchbare Anhaltspunkte für ihre Diagnosen bekommen. Parallelen zeigen sich in Gesprächssituationen bei Juristen und Laien vor Gericht. Zeugen und Angeklagte verstehen nicht immer die juristisch abstrakt formulierten Sätze des Richters, und häufig stehen wiederum die Richter hilflos ihren umgangssprachlichen Ausdrücken gegenüber. Bei Krankheiten sind bei Zeugen Laiendiagnosen nicht selten mißweisend, z. B. Hirnentzündung für Hirnhautentzündung (Meningitis), oder Blindheit für Sehbehinderung. Bei den Begriffen Dunkelheit oder Dämmerung können die Ansichten variieren, ebenso bei Farben. Was dem einen als blau erscheint, ist dem anderen grau.

2.5. Nicht selten sind fachsprachliche Ausdrücke Homonyme und der Form nach auch in der Gemeinsprache geläufig. In der Gesetzgebung können mit derselben Wortform z. B. Beamter, Besitz, Eigentum innerhalb eines Gesetzes und in verschiedenen Gesetzen unterschiedliche Inhalte verbunden sein (Engisch 1975, 78 f; Larenz 1980, 66). Der in der Rechtssprache geläufige Terminus Verursachung kann als „Bedingungszusammenhang“ oder als „typischer Zusammenhang“ gesehen werden. Nach der ersten Auslegung wird jede noch so leichte Wunde, die durch

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik irgendwelche Gründe zum Tode führt, als „ursächlich“ für diese gesehen. Legt man aber Verursachung als „typischen Zusammenhang“ aus, ist für den Tod als „ursächlich“ nur eine solche Wunde anzusehen, die typischerweise tödlich ist (Engisch 1975, 10). Während des Studiums lernt der angehende Jurist zahlreiche neue Inhalte und Formkombinationen bei formal gemeinsprachlichen Wörtern kennen: Termini wie Hausbesitzer, „Grundstückseigentümer“, Gebäude „Scheinbestandteil eines Grundstücks“. Juristen haben zu tun mit Früchten einer Sache (§ 99 BGB), mit beweglicher oder unbeweglicher Muttersache. Unter Sachen (§ 90 ff BGB) werden u. a. nicht nur Steine und Geldstücke, sondern auch Tiere und Pflanzen verstanden.

Der Laie ist sich der fachsprachlichen Sonderbedeutung häufig gar nicht bewußt. Es ist für ihn nicht ohne weiteres verständlich, daß für das Finden als „Akt der Geschäftsbesorgung“ nicht das Entdecken des Gegenstandes, sondern das Ansichnehmen entscheidend ist (§ 965, Abs. 1 BGB). Der Medizinstudent macht in seinem Studium einen Pflichtkurs in standardisierter medizinischer Terminologie, kann aber schon in Fächern wie Anatomie verwirrt werden wegen Unterschieden in der Nomenklatur als Resultat der ständigen Reformbemühungen in diesem Bereich, was zum Gebrauch aller Nomenklaturen durcheinander führt, bei Fachleuten unter sich auch zu Kürzungen. Für tuba uterina wird Tube oder Eileiter verwendet, „das griechische Salpinx und das aus dem Englischen übernommene Ovidukt“ (Lippert 1979, 94). Wie die Wechselwirkung zwischen der Gemeinsprache und der Fachsprache verlaufen kann, sei exemplarisch anhand der Rechtssprache zusammengefaßt: „Einerseits erscheinen die umgangssprachlichen Begriffe in der Rechtssprache wieder, bzw. wird ein Teil davon neu formuliert … , andererseits fließen manche neu geprägten Gesetzesausdrücke in die Alltagssprache zurück“ (Neumann-Duesberg 1949, 10). Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Korrelation der sprachlichen Mittel aus der Gemeinsprache und der Fachsprache variieren kann, je nach der Schichtung der Rechtssprache in Gesetzessprache, Urteils- und Bescheidsprache, Wissenschaftsund Gutachtersprache, Sprache des behördlichen Schriftverkehrs und der Verwaltungssprache (Otto 1981, 48). Im Rechtsverfahren und im Rechtsspruch kann der Anteil der Gemeinsprache erheblich sein. Eine derartige Beziehung ist in der Techniksprache als ein „sprachlicher Stromkreis“

83. Fachsprachen und öffentliches Leben: Kommunikation in der arbeitsteiligen Gesellschaft

gesehen worden, in dem die gegenseitige Wirkung von „Fachsprache, Werkstättensprache, Verbrauchersprache und Muttersprache“ festzustellen ist (Mackensen 1953, 295). Ein derartiges spezielles Verhältnis zwischen der Fachsprache und der Gemeinsprache wirft bei der Terminologie eine Reihe von praktischen Fragen auf, die alle mit der Antinomie zwischen Exaktheit und Verständlichkeit zusammenhängen. Dabei spielt auch eine Rolle, daß „die exakten Benennungen nicht auf das Forschungslaboratorium und die metaphorischen Benennungen auf die tägliche Arbeit des Laboranten beschränkt“ sind (Ischreyt 1965, 44). Bei Neuschöpfungen bedient man sich der Metaphorik, um einer neuen Sache oder einem neuen Begriff eine sprachliche Form zu geben. Man denke nur an Ausdrücke wie der schnelle Brüter in der Kerntechnologie oder an die Dämonen in der Programmiertechnik. Diese können zu etablierten Termini werden: (5) Die Arbeit mit Maus, Fenstern und Ikons hat Microsoft dem Betriebssystem des Mac (MacOS) nachempfunden.

Finanzleute sprechen von übergewichteten und untergewichteten Papieren. Tennisarm, Milchstraße, Leihmutter und hinkende Ehe sind nur einige Beispiele aus verschiedenen Fachsprachen für ursprünglich metaphorische Termini. Zu Metaphern in Fachtexten s. Ischreyt (1965, 211 f); Fluck (1985, 29); Ikkler (1993).

3.

Sprachkultur

3.1. Die Prager Thesen zur Sprachkultur besagen u. a., daß der besondere „Sprachzweck“ die Anforderungen an die Sprache bestimmt. Daher könne auch kein Funktionalstil dem anderen ein Maßstab sein (Trost 1968, 212). Als Ziel der Sprachkultur wird die Kultiviertheit des Sprachgebrauchs angesehen (Juha´sz 1985, 34). Zu den grundlegenden Fragen gehören dabei die Verständlichkeit und die themaabhängige situationsgerechte, adäquate Verwendung der sprachlichen Mittel, die auch bei der Sprachplanung und Sprachnormung eine wichtige Rolle spielen. Der formalen und inhaltlichen Bestimmung des Terminologiebereichs kommt dabei intraund international ein besonderes Gewicht zu. Die Sprachkultur, bemüht um einen verbesserten Sprachgebrauch, versucht Verständigungsbarrieren vorzubeugen. Vor allem in Bereichen, in denen überfachliche Zusam-

805

menarbeit notwendig ist und wo das Alltagsleben mit den Resultaten der Technik, Wirtschaft, Politik etc. direkt zu tun hat. Zum letzteren gehört auch der Wirkungskreis der Werbesprache, deren interkulturellen Aspekte in der Werbewirtschaft zunehmende Aufmerksamkeit zuteil wird (s. neuerdings Koskensalo 1995). Im öffentlichen Leben sind ungenaue Angaben, Verschleierungen, direktive inhaltliche Zugriffe aufzudecken. Aussagen sind auf ihre Empfängeradäquatheit zu analysieren, da es nicht genügt, wenn sie nur sendergerecht sind. Spezifische Interessen können die Verwendung von Euphemismen wie Markterschließungskosten oder zunehmende Vollbeschäftigung steuern, wenn es sich eigentlich um Bestechungsgelder oder abnehmende Unterbeschäftigung handelt. Jeder Zweig des öffentlichen Lebens sollte daran interessiert sein, von wem und wie sprachliche Ausdrücke durch Normierungen reguliert werden. Legefrische Eier ist eine Bezeichnung, deren Begriffsumfang z. B. gerichtlich festgelegt worden ist. Als legefrisch dürfen Eier gekennzeichnet werden, die 48 Stunden alt sind, obwohl für die Definition von der Sache her (Substanzveränderung u. a.) höchstens 12 Stunden berechtigt sind. Die Begründung, daß ein großstädtischer Verbraucher sonst nie legefrische Eier bekäme, zeugt von manipulativer Verwendung der Terminologisierung zur Erzeugung eines gebraucherfreundlichen Sprachrealismus (Sprachdienst 2/1962, 175). Auch heute sind derartige behördliche Zugriffe üblich: In einem Streit um die Bezeichnungen Sauce hollandaise und Sauce be´arnaise hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg neulich gegen die deutschen Behörden entschieden, die von den Importeuren verlangt haben, die mit Pflanzenfett hergestellten Saucen als solche zu kennzeichnen. Bliebe dies aus, würden die Verbraucher annehmen, diese seien den deutschen Vorschriften gemäß mit Butter und Eiern hergestellt. Die Richter fanden jedoch, daß durch die Erwähnung eine „weniger geschätzte Bezeichnung“ der Produkte entstehe, die ihren Absatz beeinträchtigen könnte (AZ: C-51/94).

Auch für die Fachsprache gilt, daß unsere Einstellungen und Reaktionen gegenüber Personen, Sachverhalten und Tatbeständen durch Bezeichnungen vermittelt und beeinflußt werden, diese aber vom Sender vom Standpunkt aus gewählt werden, den er gegenüber dem Tatbestand einnimmt, oder von der Wirkung aus, die er mit ihnen erzielen möchte. Es ist ein Unterschied, ob ein Tatbestand finaler Rettungsschuß oder Todesschuß heißt, da durch die Bezeichnung jeweils eine Perspektivenverschiebung des Inhalts eintritt. Direkt irreführend ist der Gebrauch des Terminus Marktordnung in der Euro-

806 päischen Union. Die Bezeichnung läßt auf einen wohlgeordneten Rahmen des betreffenden Marktes schließen. Tatsächlich aber weist sie, angefangen mit der Marktordnung für Bananen, eher auf das Gegenteil hin. Ausführlicher zu Terminologienormung und Sprachregelungen bei Ischreyt (1965, 259⫺280).

3.2. Da Sprachkultur stets auch Sprachverwendungskultur umfaßt, ist es nicht egal, welche verbale und bei der gesprochenen Sprache auch nonverbale kommunikative Mittel zusammen mit den fachsprachlichen verwendet werden. Nicht nur die Stilart, sondern auch die Behavioreme, die kulturbedingten situationsadäquaten Verhaltensweisen müssen beachtet werden (Oksaar 1988 b). In der Bürokratie verschiedener Behörden, deren Formularsprache und Wortschatz schon für viele undurchsichtig sind, können Behavioreme wie unhöfliches, abweisendes Verhalten der Bediensteten eine undurchdringbare mentale Mauer zwischen Sender und Empfänger schaffen. Behörden sind für viele Menschen eine Quelle der Verunsicherung, auch Demütigung und Angst. Auch bei der Arzt-Patient-Kommunikation kommt Empfängerverunsicherung durch das Verhalten des Arztes häufig vor und durch die Tatsache, daß der Arzt sich aus verschiedenen Gründen gerne hinter Fremdwörtern versteckt und der Patient nicht nachzufragen wagt (Oksaar 1988 a, 171 ff). Probleme gibt es auch bei Medikamenten. Die pharmazeutische Fachsprache erscheint in den Packungsbeilagen der Medikamente gewöhnlich in einer nur dem Fachmann verständlichen Weise. Sprachkritische Ausführungen mit sprachlich-formalen und inhaltlichen Verbesserungsvorschlägen für patientengerechtere Packungsbeilagen heben die Notwendigkeit hervor, bei aller Berücksichtigung der fachsprachlichen Präzision, die Verständlichkeit für den Empfänger nicht zu vergessen (Schuldt 1992, 251 ff; Oksaar 1986, 109). Schon aus diesen Darlegungen geht hervor, daß die Forderung, Fachsprachenforschung sollte „nicht als Wort- und Satzlinguistik, sondern mit erweitertem Forschungsprogramm als Text- und Pragmalinguistik“ (Weinrich 1994, 157 f) betrieben werden, berechtigt ist. Obwohl sich die Fachsprachendiskussion seit den siebziger Jahren zunehmend auf textlinguistische Perspektiven verlagert hat, werden dadurch die zentralen Bereiche der interaktiven Fragen der Fachsprachenverwendung sowohl methodisch als auch theoretisch nur wenig gefördert. Die Fachsprachenforschung braucht Ansätze, die

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik weiterführend und integrierend zugleich sind und das öffentliche Leben einschließen.

3.3. Sprachkritik und Sprachplanung sind zwei Bereiche, die die fachsprachlichen Verbesserungsbestrebungen strukturieren und die Kultivierung der Fachsprachen unterstützen. Die Forderung, daß sich die Fachsprachenforschung mit den Ergebnissen der Sprachplanung auseinandersetzen sollte, ist auch heute aktuell. Sprachplanung wird allgemein als eine Teildisziplin der angewandten Sprachwissenschaft angesehen. Wie aber schon Tauli (1968) hervorhebt, ist ihr Forschungsbereich breiter; als soziolinguistisches Arbeitsfeld ist sie vor allem durch Haugen (1966) bekannt geworden. Die Notwendigkeit der Sprachplanung ist, genauso wie die der Sprachnormung, seit der Prager Schule eingesehen worden. Terminologiefragen fordern nicht nur internationale Zusammenarbeit, sondern auch sprachplanerische Tätigkeit bei der Terminologienormung. Letztere wird vorwiegend in der Technik vorgenommen. Sie sollte aber auch in anderen Bereichen, z. B. in den Geisteswissenschaften nicht länger übergangen werden; die Maxime: man erfinde oder verwende keine neuen Termini, wenn altbewährte ihre Funktion erfüllen, könnte auch da von Nutzen sein. Zu vermeiden sind ferner unterschiedliche Bezeichnungen für denselben Sachverhalt. Auch Übersetzungen aus anderen Sprachen sollten aufeinander abgestimmt und Mehrfachübersetzungen vermieden werden. Zu Terminologiefragen s. Ischreyt (1965); Hoffmann (1985); Felber/Budin (1989). Sprachplanung ist besonders notwendig bei den gegenwärtig zahlreichen Neuprägungen im Bereich der Technik, da die Kommunikation zwischen Technik, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ohne sie kaum zufriedenstellend verlaufen kann. Im Hinblick auf den Europäischen Binnenmarkt ist ein intensivierter Aufbau von Terminologie-Datenbanken dringend notwendig. In Deutschland werden sprachliche Normungen von DIN ⫺ Deutsches Institut für Normung ⫺ durch seine rund 120 Normenausschüsse getroffen. Sprachplanung ist auch verbunden mit Fragen des Sprachkontakts (s. 1.2.) und des Sprachwandels, der Sprachveränderung. Als ein wichtiges Instrument wird sie in der Sprachpolitik der Europäischen Union nicht nur im Bereich der Technik, sondern auch in der Gesetzgebung und der Verwaltung eingesetzt. Die Diskussionen um die Bezeichnung der geplanten Europawährung veranschauli-

83. Fachsprachen und öffentliches Leben: Kommunikation in der arbeitsteiligen Gesellschaft chen die Schwierigkeiten, die bei multinationalen Terminologiefragen auftauchen können, wenn damit auch sozialpolitische Veränderungen verbunden sind.

Da sich Sprachplanung mit Fragen der Bewertung und Kritik zu befassen hat, ist es nicht gleichgültig, nach welchen Maßstäben und durch welches Gremium das geschieht. Wie Sprache zum politischen Faktor werden kann, zeigt das im Jahre 1994 in Frankreich erlassene Gesetz zur Verwendung des Französischen, das sich gegen Anglizismen wendet. Zwischen den beiden Weltkriegen ist man in vielen Ländern gegen Fremdwörter gewesen (vgl. Telefon ⫺ Fernsprecher; Lift ⫺ Fahrstuhl). Der soziokulturelle Rahmen, in dem auch fachsprachliche Termini übersetzt werden, und die Motivation dazu ist je nach der politischen Lage der Staaten unterschiedlich. Island ist bekannt dafür, daß man auf „die Reinheit der Sprache“ auch heute genauestens achtet. Bei Terminologiefragen zieht man eigensprachliche Bildungen Fremdwörtern vor, so heißt z. B. Moped auf isländisch skellinaÎra „Klapperschlange“, ein ursprünglich metaphorischer Terminus. Fremdwörter erfüllen als Fachtermini jedoch insofern eine wichtige Funktion als sie nicht mit einheimischen Konnotationen verbunden sind. Verdeutschungen wie Einhelfer, Einsager, Vorsager für Souffleur; Dingwort für Substantiv; Wassersucht für Hydropsie machen das deutlich. Außerdem gehen Nuancen verloren, oder es entstehen abweichende neue, wenn z. B. Manager durch Geschäftsmann oder Geschäftemacher wiedergegeben wird, oder in der Golfsprache Caddie durch Sackträger. Allerdings muß beachtet werden, daß bei der formalen Übernahme internationaler Termini diese nicht selten mit abweichenden Inhalten verwendet werden. Das Problem der sog. Faux amis muß auch bei der Fachsprache beachtet werden: dt. Kultur deckt sich nicht mit engl. culture, dt. Zivilisation nicht mit engl. civilization, russ. valuta umfaßt sowohl dt. Devisen als auch Valuten.

Wie fachsprachlicher Wandel mit dem Wandel der Sozialstruktur zusammenhängt, läßt sich anhand der Berufsbezeichnungen feststellen (Oksaar 1976). Durch zunehmende Spezialisierungen, die einen neuen Terminologiebedarf hervorrufen, sind Exemplarbezeichnungen wie Arzt, Schlosser, Sekretärin, Techniker zu Klassenbezeichnungen geworden, vgl. Arzt ⫺ Facharzt, Röntgenfacharzt; Schlosser ⫺ Bauschlosser, Bleischlosser, Hochdruckrohrschlosser, Kunststoffschlosser. Eine derartige Umstrukturierung in vielen Bereichen der Berufsterminologie, deren Dynamik

807

sich in den zwei entgegengesetzten Richtungen Differenzierung und Abstrahierung realisiert, hat linguistisch auch syntagmatische Folgen, mit denen sich die Sprachkultur auseinanderzusetzen hat. Bei zahlreichen Termini ist der Empfänger wegen des umfangreichen Interpretationsradius auf zusätzliche kontextuelle Information angewiesen (vgl. Assistent, Laborant). Untersuchungen im Bereich der dynamischen Synchronie der Fachsprachen sind eine angelegene Aufgabe. Sie können dazu beitragen, die multidimensionalen Beziehungen zwischen den Fachsprachen und dem öffentlichen Leben zu erklären.

4.

Literatur (in Auswahl)

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84. Die Stellung der deutschen Wissenschaftssprachen außerhalb des deutschen Sprachgebiets tiven. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Berlin. New York 1990, 45⫺65. Tauli 1968 ⫽ Walter Tauli: Introduction to a theory of language planning. Uppsala 1968. Terhart 1992 ⫽ Ewald Terhart: Reden über Erziehung. Umgangssprache, Berufssprache, Wissenschaftssprache. In: Neue Sammlung 32. 1992, 195⫺214. van der Staak 1983 ⫽ Jan van der Staak: Verständlichmachung ⫺ Verständlichkeit ⫺ Verstehen. Pflichten und Rechte von Produzent und Rezipient fachexterner Texte. In: Wortschatz und Verständigungsprobleme. Hrsg. v. Helmut Henne und Wolfgang Mentrup. Düsseldorf 1983 (Sprache der Gegenwart 57), 52⫺71. von Hahn 1983 ⫽ Walther von Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung. Linguistische Konzepte. Betriebliche Beispiele. Berlin. New York 1983 (Sammlung Göschen 2223). von Weizsäcker 1960 ⫽ Carl Friedrich von Weizsäcker: Die Sprache der Physik. In: Sprache und Wissenschaft. Vorträge gehalten auf der Tagung der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften in Hamburg 1959. Göttingen 1960, 137⫺153. Weinrich 1994 ⫽ Harald Weinrich: Wissenschaftssprache, Sprachkultur und die Einheit der Wissen-

809

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Els Oksaar, Hamburg

84. Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch I: die Stellung der deutschen Wissenschaftssprachen außerhalb des deutschen Sprachgebiets 1. 2. 3. 4.

5.

1.

Zu den Begriffen ,Stellung einer Sprache (als Wissenschaftssprache)‘, ,außerhalb ihres Sprachgebiets‘ und ,international‘ Historischer Abriß der Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache Derzeitige Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache Probleme infolge von Stellungseinbußen von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache und Förderungsbemühungen Literatur (in Auswahl)

Zu den Begriffen ,Stellung einer Sprache (als Wissenschaftssprache)‘, ,außerhalb ihres Sprachgebiets‘ und ,international‘

Der Ausdruck Stellung einer Sprache ist grundsätzlich unklar, wenn er nicht auf eine spezifische soziale Einheit bezogen wird. So kann die Stellung einer Sprache in einer bestimmten Ortschaft bedeutend sein, in der zu-

gehörigen größeren Verwaltungseinheit dagegen unbedeutend; sie kann auch in einem ganzen Staat bedeutend, in einer kleinen Region des betreffenden Staates oder einer seiner Institutionen aber unbedeutend sein. Es ist also jeweils zu spezifizieren „Stellung in x“, wobei als Wert der Variablen x der Name einer sozialen Einheit (Kommune, Staat, Institution usw.) einzusetzen ist. Des weiteren ist zumindest zu differenzieren zwischen der Rechtsstellung (auch Status) und der Verwendung (auch Funktion) einer Sprache. So kann eine Sprache z. B. offizielle Konferenzsprache (Status) eines Kongresses sein, aber praktisch nicht verwendet werden (Funktion); sie kann unter Umständen auch keine offizielle Konferenzsprache sein und trotzdem ⫺ bei Unbotmäßigkeit der Teilnehmer ⫺ häufig verwendet werden. Letzteres wird z. B. von der deutschen Sprache in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg berichtet, als Deutsch aus internationalen wissenschaftlichen Konferenzen verbannt

810 war, aber für viele Wissenschaftler die geläufigste Wissenschaftssprache darstellte. Der Terminus Stellung (einer Sprache) wird bisweilen synonym mit Status, mit Funktion oder auch Status und/oder Funktion verwendet. Wo vom Kontext her nicht klar wird, was gemeint ist, ist die Spezifizierung unerläßlich, um Mißverständnisse zu vermeiden (ausführlich zum Begriff ,Stellung einer Sprache‘ Ammon 1989). Sowohl der Status als auch die Funktion einer Sprache in einer sozialen Einheit lassen sich nach Maßgabe unterschiedlicher Skalen näher bestimmen. Die wichtigsten Skalierungsansätze orientieren sich dabei einerseits an Einteilungen nach Domänen und Verwendungsarten und andererseits nach dem Umfang der Verwendung. Die Einteilung nach Domänen und Verwendungsarten ist nicht nur relevant für die Funktion, sondern auch für den Status, insofern dieser weitgehend identisch ist mit der rechtlichen Zulässigkeit der Verwendung. Differenzierungen nach dem Verwendungsumfang betreffen dagegen nur die Funktion. So kann z. B. eine Sprache in einer Organisation Übersetzungssprache für bestimmte Dokumente sein (⫽ in einer bestimmten Domäne der Organisation), sofern dies von einer bestimmten Gruppe der Mitglieder gewünscht wird (Status); der betreffende Wunsch mag jedoch sehr selten geäußert, die dementsprechende Verwendung also gering sein (Funktion). Diese differenzierenden Hinweise, die hier nicht zu einer Systematik weitergeführt werden können, sollen vor allem zeigen, daß die Stellung einer Sprache (in einer sozialen Einheit) jenseits impressionistisch globaler Skizzen zumeist nur in kleinen Ausschnitten dargestellt werden kann, denn bei genauer Betrachtung erweisen sich die Verhältnisse oft als außerordentlich kompliziert. Auch nachfolgend werden notgedrungen nur Ausschnitte gezeigt, die jedoch hoffentlich für die Gesamtstellung einigermaßen repräsentativ sind. Die Einschränkung auf den Bereich der Wissenschaft reduziert die Komplexität unseres grundlegenden Begriffs nicht wesentlich. Der Bereich der Wissenschaft umfaßt nämlich eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Institutionen, Organisationen und Organe: Ministerien, Forschungseinrichtungen, Lehranstalten, Vereine, Verlage, Publikationsorgane und Konferenzen, in denen jeweils Status und Funktion einer Sprache unterschieden werden können.

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

Die Unterscheidung zwischen der Stellung einer Sprache ,innerhalb‘ und ,außerhalb ihres Gebiets‘ ist eine geeignete Vorgabe für unterschiedliche Untersuchungsrichtungen. Allerdings ist die Abgrenzung von Sprachgebieten in Zeiten weltweiter Mobilität und massenhafter grenzüberschreitender Kommunikation schwierig. Nicht umsonst folgt daher die empirische Forschung zu unserer Thematik nur zum kleinen Teil der Einteilung nach Sprachgebieten. Im Hinblick auf die Stellung von Sprachen als Wissenschaftssprachen wird eher zwischen national und international unterschieden. So zeigt sich die internationale Funktion einer Sprache daran, in welchem Ausmaß sie von ihren Sprechern im Kontakt mit Anderssprachigen verwendet wird ⫺ wobei es von untergeordneter Bedeutung ist, ob dieser Kontakt innerhalb oder außerhalb des eigenen Sprachgebiets stattfindet. Desgleichen zeigt sich ihr internationaler Status daran, ob sie in internationalen Organisationen, Konferenzen oder in internationalen Publikationsorganen zugelassen ist oder nicht, unabhängig davon, ob deren Standort (Sitz der Organisation, des Verlags) innerhalb des betreffenden Sprachgebiets liegt oder nicht. Dementsprechend wird für die folgenden Ausführungen der Ausdruck Stellung der deutschen Wissenschaftssprache außerhalb des deutschen Sprachgebiets interpretiert als ,Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache‘. Dies dürfte weitgehend auch den Erwartungen der Leser unter der vorgegebenen Überschrift entsprechen. Für die internationale Funktion einer Sprache ist es besonders bedeutsam, ob sie auch gegenüber Anderssprachigen, also sprachübergreifend (interlingual) verwendet wird. Ihre Verwendung nur zwischen Angehörigen verschiedener Nationen, aber gleicher Muttersprache (international, aber intralingual) ist demgegenüber weniger relevant. Interlinguale Verwendung läßt sich weiter differenzieren in asymmetrische Verwendung (mit Anderssprachigen) und Verwendung als Lingua franca (zwischen Anderssprachigen) (Abb. 84.1). Tendenziell kann man sagen: Die Funktion einer Sprache als internationale Wissenschaftssprache bemißt sich danach, in wievielen Domänen und Verwendungsarten im Bereich der Wissenschaft sie wie häufig asymmetrisch oder als Lingua franca zur Anwendung kommt. Ihr internationaler Status bemißt sich danach, in welchen und wievielen

84. Die Stellung der deutschen Wissenschaftssprachen außerhalb des deutschen Sprachgebiets

811

Abb. 84.1: Verwendungsmöglichkeiten einer Sprache im Hinblick auf ihre internationale Stellung

wissenschaftlichen Institutionen (im weitesten Sinn) sie einen Status hat, der ihre asymmetrische oder Lingua-franca-Verwendung ermöglicht. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf einzelne Ausschnitte der internationalen Gesamtfunktion bzw. des Gesamtstatus von Deutsch als Wissenschaftssprache, die ⫺ wie angenommen werden darf ⫺ dafür als Indikatoren aussagekräftig sind.

2.

Historischer Abriß der Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache

Nachdem sich Deutsch im 18. Jh. vom Lateinischen und im 19. Jh. vom Französischen als Wissenschaftssprache „emanzipiert“ hatte und in allen wissenschaftlichen Disziplinen terminologisch voll ausgebaut war, wurde es gegen Ende des 19. Jh.s zu einer der wichtigsten Wissenschaftssprachen der Welt. Noch heute erscheint Deutsch bisweilen in Darstellungen der „Weltsprachen“ mit der speziellen Begründung seiner starken internationalen Stellung als Wissenschaftssprache (z. B. Zabrocki 1978, 184 f; Braga 1979, 39 f). Für die weltweite Bedeutsamkeit von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache gibt es zahlreiche Einzelbelege, jedoch keine wirklich umfassende Gesamtdarstellung (vgl. Ammon 1991, 212⫺281, s. vor allem 251⫺256; Skudlik 1990, 22; 180 f). In vielen Ländern wird gegen Ende des 19. Jh.s die Aufnahme oder Intensivierung des Deutschlernens speziell mit der Bedeutsamkeit von Deutsch als Wissenschaftssprache begründet. Als eines von vielen möglichen Beispielen sei nur das Vorwort „An unsere Leser!“ der ersten Nummer der in Japan erscheinenden Zeitschrift für Deutsche Sprache (Tokio 1898) erwähnt, wo-

nach es für „Untersuchungen in allen Zweigen der Wissenschaft (…) entschieden von größtem Vorteil ist, die deutsche Sprache zu lernen (…)“. Dies ist für die Herausgeber dieser Zeitschrift zugleich das maßgebliche Motiv zu ihrer Gründung. Um diese Zeit, also gegen Ende des 19. Jh.s, hielten es die Wissenschaftler vieler Disziplinen weltweit für unverzichtbar oder zumindest sehr vorteilhaft, über Deutschkenntnisse zu verfügen. Viele publizierten auch auf deutsch, vor allem Wissenschaftler der europäischen Nachbarländer (Skandinavier, Niederländer, Osteuropäer). An US-amerikanischen Universitäten waren in einzelnen Disziplinen, z. B. in der Chemie, bis in die 30er Jahre des 20. Jh.s deutschsprachige Lehrbücher gebräuchlich. Schon aus diesem Grunde waren für alle Studierenden der betreffenden Fachrichtungen Deutschkenntnisse obligatorisch, zumindest Lesefertigkeiten. In der japanischen Medizin spielte Deutsch eine so dominante Rolle, daß bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Krankenkarteien in der Regel auf deutsch geführt wurden (s. dazu Kakinuma 1994). Inzwischen haben sich die Verhältnisse geändert. Einen Hinweis auf die längerfristige Entwicklung liefert eine Untersuchung von Minoru Tsunoda (1983). Er hat auf der Grundlage der umfassendsten Referatenorgane (Datenbanken und Bibliographien) Deutschlands, Frankreichs, Rußlands (bzw. der Sowjetunion) und der USA die Anzahl der Publikationen je Sprache in Mathematik und vier Naturwissenschaften (Biologie, Chemie, Physik, Medizin) ermittelt, und zwar in Zehnjahresschritten über eine hundertjährige Zeitspanne (von 1880 bis 1980). Abb. 84.2 gibt die kondensierten Daten (Mittelwerte) in Form von Liniendiagrammen wieder. Man sieht, welchen Anteil die verschiedenen internationalen Wissenschaftssprachen zu ver-

812

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

schiedenen Zeitpunkten dieser hundert Jahre hatten. Die Daten aus den US-amerikanischen Referatenorganen sind absichtlich getrennt geführt und dem Durchschnitt aus den Daten aller Referatenorgane gegenübergestellt. Dies hat folgenden Grund: Die US-Referatenorgane sind einerseits umfassender als die irgendeines anderen Landes ⫺ allerdings gilt dies erst in neuerer Zeit, vor allem für die Zeitspanne nach dem Zweiten Weltkrieg; andererseits bevorzugen sie jedoch bis zu einem gewissen (nicht genau bekannten) Grad Englisch gegenüber den anderen Sprachen. Sie dürften daher für die neuere Zeit die tatsächlichen Verhältnisse sogar getreuer widerspiegeln als die Durchschnittswerte aus allen Ländern; für frühere Zeiten ist dies jedoch zweifelhaft.

Wie man sieht, haben die drei Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch gegen Ende des 19. und im ersten Drittel des 20. Jh.s ungefähr gleichen Anteil am weltweiten Publikationsaufkommen in den untersuchten Wissenschaften. Man darf davon ausgehen, daß dies weitgehend ihrer Stellung als internationale Wissenschaftssprachen in diesen Wissenschaften, wenn nicht sogar in grober Annäherung als internationale Wissenschaftssprachen insgesamt (in allen Disziplinen zusammengenommen) entspricht. Für die Untersuchung wurden ja sehr zentrale wissenschaftliche Disziplinen ausgewählt, und der Anteil der Sprachen an den wissenschaftlichen Publikationen gilt allgemein als guter Indikator für ihre Stellung als Wissenschaftssprachen. Abb. 84.2 läßt sich zudem

(Mittelwerte US-amerikanischer, deutscher, französischer und russischer Referatenorgane)

(Nach US-amerikanischen Referatenorganen) Abb. 84.2: Anteil der Sprachen an naturwissenschaftlichen Publikationen im Verlauf von 100 Jahren (aufgrund von Tsunoda 1983)

84. Die Stellung der deutschen Wissenschaftssprachen außerhalb des deutschen Sprachgebiets

entnehmen, daß Deutsch zeitweilig (zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Zeit des Nationalsozialismus) sogar eine stärkere Stellung als Englisch gehabt haben könnte ⫺ falls die Durchschnittsdaten aus den Referatenorganen der verschiedenen Länder aussagekräftiger sind als die Daten der US-amerikanischen Organe für sich genommen. Schließlich ist unverkennbar, daß die Stellung von Deutsch, wie auch die anderer Sprachen, seit den 30er Jahren schwächer wird und daß Englisch eine herausragende Stellung gewinnt. Die einst annähernd gleichrangige Stellung von Deutsch, Englisch und Französisch als internationale Wissenschaftssprachen wird auch gestützt durch weltweit repräsentative Daten über die Sprachen auf internationalen Konferenzen in den 20er Jahren, die Herbert N. Shenton (1933) eruiert hat. Er hat dabei 1.088 internationale Konferenzen erfaßt, die in der Zeitspanne von 1923 bis 1929 von insgesamt 298 Organisationen veranstaltet wurden. Er klassifiziert die Konferenzen in 14 Fachgebiete („interests“): Frieden, Recht, Arbeit, Medizin usw., wovon eines auch Kunst/ Wissenschaft („art ⫺ science“) lautet. Es ist offenkundig, daß letzteres eher eine Restkategorie darstellt, als daß die anderen Fachgebiete unwissenschaftlich sind. In der Tat dürften die meisten erfaßten Konferenzen wissenschaftlichen Charakter gehabt haben, zumindest im Sinne von angewandter Wissenschaft. Dementsprechend gibt es auch keine auffälligen Divergenzen zwischen der Gesamtheit der Daten und der Teilmenge für das von Shenton gesondert ausgewiesene Fachgebiet Kunst/Wissenschaft. Tabelle 84.1 gibt einen Überblick über die Befunde, wobei

1. Französisch 2. Englisch 3. Deutsch 4. Italienisch 5. Spanisch 6. Niederländisch 7. Dänisch 8. Portugiesisch 9. Latein 10. Schwedisch 11. Arabisch

813

die Werte für das Fachgebiet Kunst/Wissenschaft für die wichtigsten Sprachen gesondert ausgewiesen und in Klammern beigefügt sind. Man beachte, daß die Zahlen den Status, nicht die Funktion der Sprachen wiedergeben. Der „offizielle“ Status ist am umfassendsten, insofern er die drei anderen Statusarten einschließt. „Zugelassen“ ist im Sinne zulässiger mündlicher Verwendung bei Vorträgen und Diskussionen gemeint. Bei der Bewertung der Zahlen ist zu beachten, daß Deutsch zu Anfang der 20er Jahre (bis zur Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund im Jahre 1926) aus politischen Gründen auf vielen internationalen Konferenzen nicht zugelassen war, aber offenbar trotzdem oft verwendet wurde ⫺ ein Umstand, auf den in der Fachliteratur des öfteren hingewiesen wird, der aber bislang, wie es scheint, nicht näher untersucht wurde. Leider gibt es zu den internationalen Wissenschaftskonferenzen keine Langzeituntersuchung von der Art, wie sie Tsunoda (1983) für wissenschaftliche Publikationen vorgelegt hat. Jedoch lassen zahlreiche Einzelbeobachtungen keinen Zweifel daran, daß auch bei internationalen Wissenschaftskongressen Deutsch gegenüber Englisch an Status und Funktion stark eingebüßt hat. Als beispielhafter Beleg seien nur die von bundesdeutschen Wissenschaftlern geschätzten Zahlenverhältnisse genannt (Skudlik 1990, 296⫺298). Nach diesen Schätzungen liegen die Sprachenanteile (Verwendung insgesamt) auf Kongressen in verschiedenen nicht-deutschsprachigen Ländern auf folgendem Niveau: Frankreich/Italien/ Spanien/Portugal: Deutsch 7%, Englisch 60%; Skandinavien: Deutsch 6%, Englisch

Offiziell

Übersetzung

Zugelassen

Publikationen

220 160 132 22 13 4 2 2 2 1 1

18 26 29 14 5 6 4 3 2 ⫺ ⫺

22 34 31 16 13 ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺

173 127 131 20 23 9 5 3 1 2 1

(31) (21) (15) (5) (2)

(4) (4) (4) (2) (2)

(23) (25) (25) (25) (23)

Tab. 84.1: Rangordnung der Sprachen nach der Häufigkeit unterschiedlicher Statusarten auf internationalen Konferenzen in den 20er Jahren (nach Shenton 1933, 255; 261; 264; 268)

814

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

Abb. 84.3: Anteil der deutschsprachigen und der englischsprachigen Länder an den naturwissenschaftlichen Nobelpreisen im Vergleich zum Anteil von Deutsch und Englisch an den naturwissenschaftlichen Publikationen

87%; englischsprachige Länder: Deutsch 5%, Englisch 93%. ⫺ Was sind die Gründe für die Status- und Funktionseinbußen von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache im Vergleich zu Englisch? Auf den Punkt gebracht ⫺ wenngleich sicher verkürzt ⫺ läßt sich die mangelnde Attraktivität der Wissenschaften in den deutschsprachigen Ländern als entscheidender Grund nennen. Stellvertretend für viele ähnlich lautende Äußerungen sei der japanische Wissenschaftsjournalist Toshio Aoki (1989, 69) zitiert, der seinen Überblick über die jahrzehntelange Vorbildfunktion der deutschen Wissenschaft für Japan mit dem Satz beschließt: „Jetzt ist die amerikanische Wissenschaft an diese Stelle getreten.“ Er fügt hinzu: „Deutsch macht keinen Spaß mehr, Deutsch hat die intellektuelle Anziehungskraft verloren.“ Voraussetzung für eine Renaissance des Deutschen als Wissenschaftssprache sei, daß „die deutsche Zivilisation und Kultur (…) erneut zur Blüte kommen.“ Gemeint ist damit hauptsächlich die deutsche Wissenschaft. In der Tat haben der zweimalige Ruin Deutschlands und Österreichs durch Weltkriege sowie der Exodus deutscher und österreichischer Wissenschaftler infolge des Nationalsozialismus den Rang der Wissenschaften in den deutschsprachigen Ländern nachhaltig beeinträchtigt. Aufgrund der viel günstigeren politischen Entwicklung und weit größeren materiellen Ressourcen sind demgegenüber für die meisten wissenschaftlichen Disziplinen die USA bzw. ihre Universitäten zum Mekka geworden. Die Zahl der erzielten Nobelpreise eignet

sich als einer von vielen möglichen Indikatoren für diese Entwicklung. Abb. 84.3 gibt einen diachronischen Überblick über den Anteil der deutschsprachigen und der englischsprachigen Länder an den naturwissenschaftlichen Nobelpreisen. Zum Vergleich ist der Anteil der deutschen und englischen Sprache an den naturwissenschaftlichen Publikationen (nach Tsunoda 1983) mit aufgenommen. Man sieht, daß die Entwicklung beider Größen (Anteil der Länder an den Nobelpreisen, Anteil der Sprachen an den naturwissenschaftlichen Publikationen) ungefähr parallel verläuft.

3.

Derzeitige Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache

3.1. Differenzierung nach Disziplinen Sowohl zahlreiche Einzelbeobachtungen als auch vorliegende repräsentative Daten weisen darauf hin, daß Deutsch in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen eine zum Teil recht unterschiedliche Stellung als internationale Wissenschaftssprache hat. Die gelegentlich kursierende Behauptung, Deutsch sei in einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen noch heute weltweit dominante Wissenschaftssprache, darf allerdings ins Reich der Mythen verwiesen werden. Ein auffälliger Unterschied in der Stellung des Deutschen zeigt sich zwischen den Naturwissenschaften auf der einen und den Geistes- und Sozialwissenschaften auf der anderen Seite. Er läßt sich Tab. 84.2 entnehmen, die den Anteil von Deutsch an

84. Die Stellung der deutschen Wissenschaftssprachen außerhalb des deutschen Sprachgebiets

1. 2. 3. 4. 5.

1. 2. 3. 4. 5.

Englisch Russisch Deutsch Japanisch Französisch

Englisch Französisch Deutsch Russisch Japanisch

815

Chemie

Biologie

Physik

Medizin

Mathematik

66,9 12,7 5,5 9,9 12,9

85,7 3,9 2,5 1,9 2,1

84,6 3,8 3,9 1,5 2,0

73,1 5,9 5,5 3,0 4,0

69,3 18,1 3,6 0,3 4,8

Soziologie

Ökonomie

Politikwissenschaft

Anthropologie

46,3 14,3 5,7 11,3 7,1

38,5 16,6 9,6 8,0 ⫺

51,3 16,3 12,4 2,8 ⫺

46,9 26,0 10,1 7,8 ⫺

Tab. 84.2: Prozentanteile von Deutsch und anderen Sprachen an den Publikationen von fünf Naturwissenschaften (im Jahre 1981) und vier Sozialwissenschaften (im Jahre 1976) (nach Baldauf/Jernudd 1983, 99 bzw. Thogmartin 1980)

der Gesamtheit der wissenschaftlichen Publikationen verschiedener Disziplinen wiedergibt, und zwar im Vergleich zu den anderen bedeutsamen internationalen Wissenschaftssprachen. Offenkundig ist der Anteil von Deutsch in den Sozialwissenschaften größer als in den Naturwissenschaften ⫺ zu ausgesprochenen Geisteswissenschaften fehlen leider entsprechende repräsentative Daten. Bei der Einteilung der wissenschaftlichen Disziplinen in theoretische und angewandte Wissenschaften zeigt sich ebenfalls ein bemerkenswerter Unterschied im Anteil von Deutsch als Wissenschaftssprache. Diverse partikulare Daten deuten darauf hin, daß Deutsch in den angewandten Wissenschaften eine größere Rolle spielt als in den theoretischen. So haben sich z. B. bei Untersuchungen der Publikationen von deutschen Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen an den Universitäten Heidelberg und München die folgenden Sprachanteile (in den jeweils eige-

nen Publikationen) ergeben: Biologie 12% deutsch ⫺ 88% englisch, Humanmedizin: 34,2% deutsch ⫺ 74,2% englisch, Geowissenschaft: 72,5% deutsch ⫺ 26% englisch, klinische Medizin: 78,6% deutsch ⫺ 20% englisch (nach Skudlik 1990, 269 f; Summen von über 100% aufgrund von Mehrfachantworten). Die beiden erstgenannten Disziplinen sind viel stärker theoretisch ausgerichtet, die beiden letztgenannten stärker anwendungsbezogen. ⫺ Abb. 84.4 verdeutlicht die Unterschiede zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen nach der Stellung von Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprache; die Unterscheidung zwischen theoretischen und angewandten Wissenschaften läßt sich in den Naturwissenschaften deutlicher durchführen als in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es ist anzunehmen, daß die Disziplinen mit stärkerer Stellung von Deutsch als Wissenschaftssprache mehr nur im nationalen Rahmen („innerhalb des deutschen Sprach-

Abb. 84.4: Tendenzielle Sprachwahl der wissenschaftlichen Disziplinen

816 gebiets“) kommunizieren und diejenigen mit stärkerer Stellung von Englisch als Wissenschaftssprache mehr international („außerhalb des deutschen Sprachgebiets“). Jedoch sind die Unterschiede in der Stellung von Deutsch und Englisch nicht allein darauf zurückzuführen. Hinzu kommt vor allem, daß die Geistes- und Sozialwissenschaften im Vergleich zu den Naturwissenschaften wie auch die angewandten im Vergleich zu den theoretischen Wissenschaften erkenntnismethodisch stärker an die Gemeinsprache gebunden sind ⫺ im Gegensatz zu den formalisierten Wissenschaftssprachen vor allem in den theoretischen Naturwissenschaften. Die Bindung an die Gemeinsprache erschwert den Wechsel zur Weltwissenschaftssprache Englisch, die dabei viel nuancenreicher beherrscht werden muß, als es bei der Handhabung als Formelsprache erforderlich ist. Dieser Umstand verlangsamt nicht nur den Wechsel der betreffenden deutschsprachigen Wissenschaftler zu einer Fremdsprache (Englisch), sondern motiviert auch anderssprachige Wissenschaftler, an der einmal erlernten, traditionellen Wissenschaftssprache Deutsch festzuhalten. ⫺ Die Vorliebe der theoretischen Naturwissenschaften für das Englische hat ⫺ aufgrund der gängigen unterschiedlichen Bewertungen der Wissenschaften ⫺ maßgeblich zu der verbreiteten Vorstellung beigetragen, daß Englisch die Wissenschaftssprache der „Spitzenforschung“ ist (vgl. Kalverkämper/Weinrich 1986). 3.2. Differenzierung nach Regionen Deutsch spielt als internationale Wissenschaftssprache eine größere Rolle in Europa (einschließlich Rußland) als auf anderen Kontinenten. Es wird auch als Fremdsprache in Europa weit mehr gelernt als andernorts, und zwar sowohl an öffentlichen Bildungseinrichtungen als auch an privaten Sprachlehrinstituten (vgl. Ammon 1991, 421⫺467). So erteilte z. B. das weltweit größte private Sprachlehrinstitut, die Berlitz-Sprachschule, im Jahr 1995 79% seines Unterrichts in Deutsch als Fremdsprache in Europa, 14% in Nordamerika, 5% in Fernost und 2% in Lateinamerika. Bei zusätzlicher Differenzierung innerhalb Europas zeigt sich vor allem ein Unterschied zwischen Ost- und Westeuropa. In Osteuropa hat Deutsch eine stärkere Stellung und zwar sowohl als Wissenschaftssprache wie auch ansonsten als Fremdsprache. So schätzten z. B. deutsche Wissenschaftler den Anteil der deutschen Sprache

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

auf internationalen Kongressen Ende der 80er Jahre folgendermaßen ein: in englischsprachigen Ländern 5%, in Skandinavien 6%, in Frankreich/Italien/Spanien/Portugal 7%, in osteuropäischen Ländern 16% (Skudlik 1990, 296⫺298). Sprachlernempfehlungen von etablierten Wissenschaftlern an ihren Nachwuchs zeigen eine ähnliche regionale Verteilung. Während in Japan nur 19% und in den USA 41% der Wissenschaftler (verschiedener Fachrichtungen) dem Nachwuchs wenigstens Lesekenntnisse in Deutsch empfehlen, sind es in Frankreich und den Niederlanden 45% und in Ungarn und Polen sogar 69% bzw. 70% (Ammon in Vorbereitung). Zur Vorliebe Osteuropas für Deutsch als Wissenschaftssprache (wie auch als Fremdsprache überhaupt) mögen ⫺ bis vor kurzem ⫺ ideologische Gründe beigetragen haben. Englisch ist eine kapitalistisch markierte Sprache, während Deutsch die Sprache der marxistischen Klassiker ist. Hinzu kommt jedoch sicher, daß die technologisch und wissenschaftlich rückständigeren osteuropäischen Länder von wissenschaftlichen Kontakten mit den deutschsprachigen Ländern mehr zu profitieren erhofften als die westeuropäischen Länder oder gar die USA und Japan. Schließlich könnte die allgemeine Trägheit der Entwicklung in den osteuropäischen Ländern eine Rolle spielen: Die Umstellung von der früher dominanten Wissenschaftssprache Deutsch auf die heute bedeutsame Wissenschaftssprache Englisch ist noch nicht so weit fortgeschritten wie andernorts.

4.

Probleme infolge von Stellungseinbußen von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache und Förderungsbemühungen

Für eine Sprachgemeinschaft hat die starke Stellung ihrer Sprache als internationale Wissenschaftssprache einerseits den Vorteil, daß die betreffenden Wissenschaftler weniger durch zusätzlich notwendiges Fremdsprachenlernen belastet sind ⫺ unzureichendes Fremdsprachenlernen hat Horizontbeschränkung zur Folge, falls die eigene Sprache nicht eine stark dominante Stellung in der wissenschaftlichen Kommunikation hat. Nur eine kleine Teilgruppe der Wissenschaftler empfindet das Fremdsprachenlernen als vorteilhaft (Linguisten und dergleichen); die Mehrheit konzentriert ihre Energie lieber auf die jeweilige Fachdisziplin. Andererseits hat die

84. Die Stellung der deutschen Wissenschaftssprachen außerhalb des deutschen Sprachgebiets

starke Stellung der eigenen Sprache als internationale Wissenschaftssprache den Vorteil, daß man vielfach in der Muttersprache kommunizieren kann, wo andere, deren Muttersprache eine schwächere internationale Stellung hat, in einer Fremdsprache kommunizieren müssen. Dies verschafft in manchen Situationen eine kommunikative Überlegenheit. Stellungseinbußen der eigenen Sprache als internationale Wissenschaftssprache machen Anpassungs- und Umstellungsprozesse erforderlich, die unter Umständen schmerzlich sind. So sehen deutschsprachige Wissenschaftler heute mehr als früher die Notwendigkeit, Fremdsprachenkenntnisse ⫺ vor allem Englischkenntnisse ⫺ zu erwerben und fühlen sich in der internationalen Wissenschaftskommunikation sprachlich gehandikapt. Bei einer Befragung sowohl unter Industrie- als auch Universitätswissenschaftlern bekundeten 25% Schwierigkeiten beim Lesen englischer Texte, 38% beim Hörverstehen und 57% beim Herstellen schriftlicher Texte. 88% verfügten über keine Sekretärin mit ausreichenden Englischkenntnissen. Aus diesen Gründen verzichteten 19% bisweilen auf die Teilnahme an wissenschaftlichen Konferenzen, 25% auf Kontakte mit Kollegen und 33% sogar auf das Publizieren, wenn dies die Verwendung von Englisch voraussetzte (Ammon 1991, 266⫺277). Auch die deutschen Wissenschaftsverlage sind durch die Stellungseinbußen von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache in Schwierigkeiten geraten. Der deutschsprachige Markt hat sich verkleinert, der englischsprachige erheblich ausgeweitet. Dies zwingt die deutschen Wissenschaftsverlage zur Umstellung von Deutsch auf Englisch als hauptsächliche Publikationssprache. So waren beim größten deutschen Wissenschaftsverlag, Julius Springer, 1927 0,5% der Publikationen auf englisch und stammten 90% der Autoren aus deutschsprachigen Ländern; 1989 waren 70% der Publikationen auf englisch und stammten 35% der Autoren aus deutschsprachigen Ländern (Ammon 1991, 264). Vor allem die Zeitschriften mußten und müssen oft vom Deutschen aufs Englische umgestellt werden, wenn sie erhalten bleiben sollen. Meist erfolgt die Umstellung über Zwischenstufen, wo zunächst bei deutschem, lateinischem oder auch schon englischem Titel mehrere Sprachen für die Beiträge zur Wahl stehen, aber am Ende nicht selten nur noch englischsprachige Beiträge aufgenommen werden. Diese Entwicklung hat z. B. zu

817

folgenden Titeländerungen renommierter deutschsprachiger Wissenschaftszeitschriften geführt: Zeitschrift für Tierpsychologie > Ethology, Psychologische Forschung > Psychological Research, Archiv für Kreislaufforschung > Basic Research in Cardiology, Archiv für Verdauungskrankheiten > Gastroenterologia > Digestion. Die Sprachumstellung kann für die Verlage zusätzliche Kosten oder Verzögerungen in der Produktion verursachen, da englischsprachige Lektoren angestellt werden müssen und sprachliche Überarbeitungen von Texten erforderlich sind. Auf einer anderen Ebene liegt das Problem, daß von einer dominierenden Sprache in eine dominierte in der Regel zahlreiche Ausdrücke entlehnt werden. Gerade wissenschaftliche Termini werden oft weitgehend unverändert übernommen (als Fremdwörter statt Lehnwörter), weil die Wissenschaftler sie in ihrer Kommunikation mittels der dominanten Wissenschaftssprache laufend weiterhin in der Originalform verwenden. Im Falle von Deutsch ist der daraus resultierende Sprachgebrauch als „Deutschlisch“ (oder „Engleutsch“) kritisiert worden (Analogiebildung zu Franglais). Eine stark von Fremdwörtern geprägte Terminologie kann die ohnehin schon schwierige Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien weiter erschweren. Schließlich ist die Stellungseinbuße von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache ein Problem für ausländische Germanisten, vor allem für Deutschlehrer und -dozenten. Ihnen droht das einstige Hauptmotiv für das Erlernen von Deutsch als Fremdsprache (und damit auch ein Gutteil ihrer Klientel) abhanden zu kommen: die erfolgreiche Teilnahme an der internationalen Wissenschaftskommunikation. Aufgrund dessen suchen Deutschdozenten vielerorts verzweifelt nach stichhaltigen Gründen auch für zukünftiges Lernen von Deutsch als Fremdsprache. Für Japan wurde sogar allen Ernstes als neue Motivation vorgeschlagen, daß japanische Techniker und Wissenschaftler Deutsch lernen sollten, um die zurückfallenden deutschen Fachkollegen beraten zu können (Ueda 1994). Die Suche nach stichhaltigen Gründen für das Erlernen von Deutsch als Fremdsprache, vor allem für Wissenschaftler, ist ein Indiz dafür, daß es schwierig ist, wirksame Gegenmaßnahmen gegen die Stellungseinbuße von Deutsch als Wissenschaftssprache zu entwikkeln. An Vorschlägen und auch tatsächlichen

818 Maßnahmen besteht eigentlich kein Mangel. Es wird geschätzt, daß die deutsche Sprache, allerdings nicht nur Deutsch als Wissenschaftssprache, in den 1990er Jahren allein von der BRD jährlich mit ca. einer halben Milliarde DM gefördert wurde, und zwar überwiegend aus staatlichen Mitteln (vgl. hierzu und zum weiteren Ammon 1991, 540⫺ 562). Die Förderung von Deutsch als Wissenschaftssprache findet auf vielen unterschiedlichen Ebenen statt. Als Beispiele seien nur genannt: die Ausarbeitung und das Angebot fachsprachlicher Kurse durch das Goethe-Institut, die Vergabe von Stipendien an Germanisten und andere Wissenschaftler zu Studien- und Forschungsaufenthalten in Deutschland seitens des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Alexandervon-Humboldt-Stiftung und die bevorzugte Förderung deutschsprachiger Publikationen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. In geringerem Maße fördern auch andere deutschsprachige Länder, vor allem Österreich, die Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache. Allerdings entfalten anderssprachige und sprachlich in Konkurrenz stehende Länder zu Gunsten ihrer eigenen Sprache vielfach ebenfalls umfangreiche Aktivitäten, in besonderem Maße Frankreich ⫺ aber auch die englischsprachigen Länder, obwohl eine Förderung ihrer Sprache fast überflüssig erscheint (vgl. Ammon/Kleineidam 1992; Ammon 1994). Es ist strittig, ob die Förderung der Wissenschaft selber nicht vielfach förderlicher für die betreffende Sprache wäre als die direkte Förderung der Sprache. Eine Sprache wird nämlich vor allem dann von anderssprachigen Wissenschaftlern gerne gelernt, wenn sie Zugang zum fortgeschrittensten Stand der Wissenschaften verspricht. In der Konkurrenz um eine wissenschaftliche Spitzenstellung sehen sich die deutschsprachigen Wissenschaftler gegenüber den englischsprachigen in einer schwierigen Lage. Die materiellen Ressourcen beider Sprachgemeinschaften sind recht ungleich. So standen im Jahre 1990 den Wissenschaftlern der BRD, dem größten deutschsprachigen Land, insgesamt nur 65,8, den Wissenschaftlern der USA als dem größten englischsprachigen Land dagegen 365,2 Milliarden $ zur Verfügung. Eine Reversion der Stellungen von Deutsch und Englisch als internationale Wissenschaftssprachen ist unter solchen Bedingungen kaum vorstellbar ⫺ auch bei intensiver Förderung der deutschen Sprache durch die deutschsprachigen Länder.

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

5.

Literatur (in Auswahl)

Ammon 1989 ⫽ Ulrich Ammon: Towards a Descriptive Framework for the Status/Function (Social Position) of a Language Within a Country. In: Status and Function of Languages and Language Varieties. Hrsg. v. Ulrich Ammon. Berlin. New York 1989 (Grundlagen der Kommunikation), 21⫺106. Ammon 1991 ⫽ Ulrich Ammon: Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin. New York 1991. Ammon 1994 ⫽ Ulrich Ammon (Hrsg.): Language Spread Policy Volume 2: Languages of Former Colonial Powers and Former Colonies. Berlin. New York 1994 (International Journal of the Sociology of Language 107). Ammon in Vorbereitung ⫽ Ulrich Ammon: Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache? Frankfurt a. M. usw. in Vorbereitung. Ammon/Kleineidam 1992 ⫽ Ulrich Ammon/Hartmut Kleineidam (Hrsg.): Language-Spread Policy Volume 1: Languages of Former Colonial Powers. Berlin. New York 1992 (International Journal of the Sociology of Language 95). Aoki 1989 ⫽ Toshio Aoki: Wozu lernt man Deutsch? Weder praxisorientiert noch bildungsorientiert. In: deutsch als zweite fremdsprache in der gegenwärtigen japanischen gesellschaft. Hrsg. v. Hans L. Bauer. München 1989, 68⫺74. Baldauf/Jernudd 1983 ⫽ Richard B. Baldauf/Björn H. Jernudd: Language of Publications as a Variable in Scientific Communication. In: Australian Review of Applied Linguistics 6 (1). 1983, 97⫺108. Braga 1979 ⫽ Giorgio Braga: International Languages: Concept and Problems. In: International Journal of the Sociology of Language 22. 1979, 27⫺49. Kakinuma 1994 ⫽ Yoshitaka Kakinuma: Die japanische Medizin im Übergang von Deutsch zu Englisch. In: Die deutsche Sprache in Japan: Verwendung und Studium. Hrsg. v. Ulrich Ammon. München 1994, 35⫺48. Kalverkämper/Weinrich 1986 ⫽ Hartwig Kalverkämper/Harald Weinrich (Hrsg.): Deutsch als Wissenschaftssprache. 25. Konstanzer Literaturgespräch. Tübingen 1986 (Forum für FachsprachenForschung 3). Shenton 1933 ⫽ Herbert N. Shenton: Cosmopolitan Conversation. The Language Problems of International Conferences. New York 1933. Skudlik 1990 ⫽ Sabine Skudlik: Sprachen in den Wissenschaften. Deutsch und Englisch in der internationalen Kommunikation. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 10). Thogmartin 1980 ⫽ C. Thogmartin: Which Language for Students in Social Sciences? A Survey to Help Academic Advisors. In: Anthropological Newsletter 21 (2). 1980, 6.

85. Die Stellung der französischen Wissenschaftssprachen außerhalb Frankreichs Tsunoda 1983 ⫽ Minoru Tsunoda: Les langues internationales dans les publications scientifiques et techniques. In: Sophia Linguistica 1983, 144⫺ 155. Ueda 1994 ⫽ Koji Ueda: Thesen über das Verhältnis des Studienumfangs zur Verwendbarkeit von Deutschkenntnissen im gegenwärtigen Japan. In: Die deutsche Sprache in Japan: Verwendung und

819

Studium. Hrsg. v. Ulrich Ammon. München 1994, 327⫺337. Zabrocki 1978 ⫽ Ludwig Zabrocki: Das technische Zeitalter und die deutsche Sprache in Polen. In: Germanistik international. Hrsg. v. Richard Brinkmann, Kennosuke Ezawa und Fritz Hackert. Tübingen 1978, 177⫺190.

Ulrich Ammon, Duisburg

85. Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch II: die Stellung der französischen Wissenschaftssprachen außerhalb Frankreichs 1. 2. 3. 4. 5.

Der Begriff ,Frankophonie‘ Technolektbezogene Sprachpolitik und ihre Institutionen Normative Gesichtspunkte Konkurrenz Literatur (in Auswahl)

1.

Der Begriff ,Frankophonie‘

Das Wort Frankophonie geht auf den Geographen One´sime Reclus zurück (Erstbeleg 1880), aber mit sprachpolitischem Inhalt wurde es erst in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts erfüllt, vor allem im Anschluß an die 1966 in Laval/Kanada gehaltene historische Rede des senegalesischen Präsidenten und Dichters Le´opold-Se´dar Senghor (*1906) « La Francophonie comme culture ». Auf den ersten Blick handelt es sich um einen praktischen und unproblematischen Terminus: „Zur Francophonie gehören alle Gebiete, die das Französische als Muttersprache kennen oder infolge politischer Ereignisse […], primär des Kolonialismus seit dem 16. Jahrhundert, das Französische als Schul- und Verwaltungssprache oder als Verkehrssprache angenommen haben bzw. zu übernehmen gezwungen waren“ (Schmitt 1990, 686). Doch haften dem Begriff einerseits zivilisationsmissionarisch-kolonisatorische Untertöne an (die übrigens keineswegs generelle Vorbehalte auslösen), andererseits sahen seine umsichtigen Benützer schon in den siebziger Jahren Probleme der Abgrenzung. Reboullet (1976, 7) spricht folgerichtig auch von mehreren „Kategorien“: « Il y a au moins trois francophonies. La premie`re est celle qui regroupe pays et gens (les gens plutoˆt

que les pays) dont le franc¸ais est langue maternelle. C’est la francophonie des Franc¸ais, des Belges wallons, des Suisses romands, des Que´be´cois et de quelques autres groupes plus restreints. La deuxie`me est celle des pays et des gens (ici les pays plutoˆt que les gens) pour qui le franc¸ais n’est pas langue maternelle mais langue be´ne´ficiant d’un statut particulier (re´visable): c’est par exemple la situation d’un grand nombre de pays d’Afrique dits francophones. […] La troisie`me francophonie re´unit les personnes qui, en pays non francophones: le Danemark ou le Bre´sil par exemple, ont appris notre langue, volontairement ou parce que les programmes des e´tudes nationales y conduisaient. De ces trois ‹ cercles › du monde francophone, les deux derniers sont moins stables que le premier et il est toujours possible, toujours a` craindre, qu’un pays passe du deuxie`me au troisie`me cercle ».

Seit der Einrichtung der sogenannten Frankophonie-Gipfel (Paris 1986, Que´bec 1987, Dakar 1989, Paris 1991, Mauritius 1993, Cotonou/Be´nin 1995, Vietnam 1997) droht der Begriff endgültig auszufransen, da sich viele wirtschaftlich schwache Länder wegen der Aussicht auf Subventionen um den Status eines Mitglieds bemühen. Zuletzt wurden Bulgarien und Rumänien (1993) sowie Moldawien (1995) vom zuständigen französischen Minister zu frankophonen Staaten „ernannt“ und in die (derzeit etwa 50 Mitglieder umfassende) Gemeinschaft aufgenommen. Auf der Warteliste stehen z. B. Albanien und Israel. Neben dieser kostspieligen kulturpolitischen Offensive wird in jüngster Zeit eine andere Strategie angewandt, um einen Abglanz des einstigen hegemonialen Status des Französischen zu retten. Man lanciert die Bezeichnung latins (vgl. etwa Rossillon 1983) bzw. latinophones (vgl. Rapport 1990, 379) für alle Menschen romanischer Muttersprache und

820

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

sieht sich innerhalb dieser Gruppe als natürliche Führungsmacht, was sich namentlich auf dem terminologischen Sektor in Form eines romanischen (d. h. französisch geprägten) Gegengewichts zum Englischen niederschlagen soll (z. B. Bezeichnungstyp ordinateur vs. computer, SIDA vs. AIDS). Um den Anspruch auf die Stellung als europäische Leitnation zu untermauern, wird auch in offiziellen Publikationen England aus Europa ausgegliedert (so im Rapport 1990, 341: « lors de la dernie`re guerre mondiale, la plupart des physiciens de valeur avaient fui l’Europe et s’e´taient re´fugie´s en Grande-Bretagne et aux EtatsUnis … »).

Das internationale Nord-Süd-Gefälle bildet sich auch innerhalb der ⫺ wie immer definierten ⫺ Francophonie deutlich ab: « force est de constater que le fleuve francophone a tendance a` couler surtout du Nord vers le Sud. Dans toutes les librairies, dans tous les cine´mas, dans toutes les discothe`ques d’Afrique, on trouve des livres, des films, des musiques issus du Nord ⫺ un Nord qui a d’ailleurs une certaine propension a` eˆtre hexagonal […]. Et dans des proportions sans doute moindres mais qui restent ne´anmoins tre`s significatives, la meˆme remarque pourrait eˆtre faite a` propos du Que´bec, lui aussi plus envahi qu’envahisseur » (Decoin 1990, 58).

Die Zahlen der Exportstatistik über die wissenschaftliche Buchproduktion können hier interessantes Anschauungsmaterial liefern. Als bezeichnend für die im obigen Zitat angesprochene Asymmetrie muß man auch die Tatsache empfinden, daß in FrancophonieRapports generell nur die frankreichbezogenen und hiervon wieder nur die den Export betreffenden Daten für mitteilungswürdig gehalten werden (letzte veröffentlichte detaillierte Statistik über 103 Länder im Rapport 1985, 265 f; Zahlen in 1.000 FF): Pays

Scientifiques techniques

Sciences humaines

Alge´rie RFA Angola Belgique/Lux. Bre´sil Canada Coˆte d’Ivoire Etats-Unis Guine´e Maroc Qatar Sue`de

12.347 3.585 92 18.988 1.741 4.413 3.860 1.131 343 3.542 6.734 421

552 2.097 ⫺ 16.088 345 2.069 1.320 3.356 ⫺ 2.079 15 165

2.

Technolektbezogene Sprachpolitik und ihre Institutionen

In der von Frankreich betriebenen auslandsorientierten Sprachpolitik ist in neuerer Zeit ein deutlicher Wandel in der Diktion und teilweise auch in der Strategie zu registrieren. Der militante « rivarolisme » (vgl. Wijnands 1993, s. v.) schwindet aus offiziellen Stellungnahmen; man bietet sich als demokratisch eingestellter Partner an, der unter der Flagge « e´galite´, comple´mentarite´, solidarite´ » segelt (so die Devise der ACCT, vgl. Ende dieses Abschnitts). In der Sache selbst freilich fehlt die Übereinstimmung zwischen Taten und Worten oft nach wie vor. So reklamiert man weltweit das Recht der frankophonen Sprecher auf Benützung der eigenen Sprache in allen Kommunikationssituationen, während sich Frankreich selbst mit Emphase weigert, die vom Europarat 1992 vorgelegte « Charte Europe´enne des Langues Re´gionales » zu unterzeichnen (vgl. dazu z. B. das Themenheft 106/1993 von Land un Sproch). Realistisch betrachtet behindert individuelle Einsprachigkeit den sozialen Aufstieg heute überall in der Welt; von dieser Regel mögen allenfalls die Angehörigen der Anglophonie ausgenommen sein. Daher wird Mehrsprachigkeit überall dort positiv beurteilt, wo das Englische nicht die Rolle der lingua franca spielt. In den afrikanischen Ländern etwa bewertet man die autochthonen Sprachen offiziell nicht mehr als dem Fortschritt hinderlicher und daher abzustreifender Ballast, fördert aber naturgemäß weniger den Ausbau der einheimischen Sprachen als die Annahme des Französischen als Medium des Anschlusses an die westliche Zivilisation. Insgesamt jedoch werden die Akzeptanzbedingungen der europäischen Sprache heute sorgfältiger als früher sondiert. Mit dem Ende der Kolonisationsphase hat sich auch ein differenzierteres Verständnis bezüglich der Funktionen der einzelnen Sprachen (und Varietäten) entwickelt: « les rapports entre le franc¸ais et les langues ne´gro-africaines ne sont plus pense´s en termes de conflit, mais plutoˆt en termes de comple´mentarite´ » (Nadjo 1992, 348), wobei der Grad an Komplexität der Verschränkung von Sprachen und Domänen nicht mit europäischen Verhältnissen zu vergleichen ist (vgl. etwa das Diagramm für den Staat Mali in Schmitt 1990, 692). Angesichts der unterschiedlichen sprachlich-kulturellen Voraussetzungen in den ein-

85. Die Stellung der französischen Wissenschaftssprachen außerhalb Frankreichs

zelnen Ländern der sog. Dritten Welt operiert die internationale Entwicklungspolitik heute flexibel nach dem „Senegal-Modell“ (“it is assumed that the former colonial language should become the only medium of education, intra-national communication and the carrier of a modern African culture”) oder dem „Nigeria-Modell“, in dem “the former colonial language [in diesem Fall Englisch] serves as a metalect or link language” (Ohly 1984, 10), ohne daß die „Demolekte“ zu Haussprachen herunterfunktionalisiert würden. Allerdings besteht nach wie vor ein manifestes Interesse der französischen Sprachpolitik am Bekenntnis prominenter Afrikaner, sie würden der (Beherrschung der) französischen Sprache den „Ausbruch aus der Misere der Dritten Welt“ verdanken, was in der frankophilen Literatur quasi-propagandistisch auf die Formel gebracht wird: Loyalität zum Französischen als Rezept gegen Armut und Rückständigkeit. In der „Ersten Welt“ werden Partner gesucht, die in Fremdsprachenunterricht und Wissenschaftsbetrieb das Englische nicht bis zur Exklusivität favorisieren; als ideales Rüstzeug für den mündigen, erfolgreichen Europäer von morgen wird seit kurzem die Kenntnis mehrerer Fremdsprachen propagiert (so jetzt regelmäßig zu lesen in den programmatischen Artikeln der vom CILF herausgegebenen Zeitschrift La banque des mots). Die UITF (zu beiden Kürzeln vgl. Ende dieses Abschnitts) « propose un ‹ axe germano-roman › pour e´quilibrer ‹ l’axe anglo-ame´ricain › dans la construction de l’Europe des sciences et des techniques » (Rapport 1990, 378), der Generalsekretär des HCF will der communaute´ francophone eine altruistische Öffnung verordnen: « Communaute´, certes, mais pas communaute´ pour elle-meˆme, les scientifiques francophones, s’ils s’organisent, devront penser aux autres. Je crois que l’image de marque positive d’une communaute´ scientifique francophone viendra du fait que nous serons les avocats de la valorisation de la recherche scientifique des lusophones, des hispanophones, des arabophones et de tous les autres. Si nous voulons avoir une image attrayante dans le monde, il faut que nous soyons ceux qui ouvrent leurs revues, leurs publications, aux Arabes, aux hispanophones, aux lusophones et a` tous les autres. Il faut que nous soyons ceux par qui l’heureux scandale arrive, c’est-a`-dire les garants du pluralisme, y compris au niveau scientifique, a` l’e´chelle internationale » (Farandjis 1989, 38 f).

Für beide Kategorien von potentiellen Verbündeten betont man die Bedeutung der Stu-

821

dienaufenthalte von Stipendiaten, die eine emotionale Bindung an die französische Sprache und Kultur bewirken sollen, wobei man auf den Multiplikationseffekt setzt, wie er in internationalen Organisationen wirksam zu sein scheint: « Le travail que font les francophones dans les assemble´es internationales, notamment les Africains, joue magnifiquement en faveur de la langue franc¸aise. Si, a` l’ONU, on ne distribue pas a` temps les documents en franc¸ais, quinze de´le´gations de´posent d’un meˆme e´lan une pe´tition au secre´tariat ge´ne´ral » (Decaux 1990, 63).

Ob auf dem internationalen Parkett tatsächlich eine generelle Trendwende zugunsten des Französischen stattfindet, wie Müller (1985, 30) beobachten zu können glaubt, geht aus den zugänglichen Statistiken allerdings nicht eindeutig hervor (vgl. z. B. Gehnen 1991). Das Engagement der frankophonen Länder für die Verbreitung und Verwendung ihrer Sprache äußert sich am augenfälligsten in der unermüdlichen Schaffung von Sprachpflegeorganisationen, deren Funktionen und Verflechtungen auch für den Fachmann oft alles andere als transparent sind. Briand (1990, 74) versucht eine summarische Periodisierung der frankophoniespezifischen Initiativen: « Historiquement, on peut distinguer trois pe´riodes. Une multitude d’associations se sont cre´e´es dans les anne´es soixante et, pour la France seule, leur liste remplit un re´pertoire de plus de cent pages; la mise en place d’institutions fonctionnelles date des anne´es soixante-dix; on a assiste´ enfin a` la ve´ritable structuration d’une communaute´ francophone internationale dans les anne´es quatrevingt. L’extension du domaine de la francophonie ainsi que l’habitude franc¸aise d’ajouter des structures nouvelles aux anciennes expliquent la complexite´ du tableau actuel ».

Neben den auf den verschiedensten Ebenen agierenden staatlichen Einrichtungen haben mittlerweile auch zahlreiche Berufsgruppen ihre eigene frankophone Vertretung. Ausführliche Angaben finden sich z. B. in Le´ger (1987), der kontinuierliche Zuwachs an Einrichtungen ist am besten aus den jährlich erscheinenden Rapports ersichtlich. Hier einige Beispiele: ACCT ACFAS AILF

Agence de coope´ration culturelle et technique Association canadienne franc¸aise pour l’avancement des sciences Association des informaticiens de langue franc¸aise

822

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

AISLF AUPELF

CILF CIRTEF HCF IDEF LISULF

UCTF UELF UITF USF

3.

Association internationale des sociologues de langue franc¸aise Association des universite´s partiellement ou entie`rement de langue franc¸aise (mit der ihr angeschlossenen 1987 gegründeten UREF ⫽ Universite´ des re´seaux d’expression franc¸aise); zu den Initiativen von AUPELF-UREF vgl. Rapport (1993, 192 ff) und Francophonie Scientifique (1989) Conseil international de la langue franc¸aise Conseil international des radios-te´le´visions d’expression franc¸aise Haut Conseil de la Francophonie Institut international de droit d’expression franc¸aise Ligue internationale des scientifiques pour l’usage de la langue franc¸aise (gegründet 1979 in Que´bec; die entsprechende französische Sektion ANSULF ⫽ Association nationale des scientifiques pour l’usage de la langue franc¸aise wurde erst zwei Jahre später ins Leben gerufen) Union culturelle et technique de langue franc¸aise Union des e´diteurs de langue franc¸aise Union internationale des techniciens de langue franc¸aise Union des scientifiques francophones

Normative Gesichtspunkte

3.1. Sprachnormen Wenn auch als « franc¸ais marginal » (im Gegensatz zum unmarkierten « franc¸ais universel ») abgestempelt, werden regionale Einschläge in der von Nicht-Franzosen der „ersten Frankophonie“ (Schweiz, Belgien), der DOM-TOM oder der (ehemaligen) Kolonien verfaßten französischsprachigen Literatur im letzten Drittel unseres Jahrhunderts gewöhnlich zumindest toleriert; seit kurzem werden die zentrifugalen Tendenzen, die sich etwa in der maghrebinischen Literatur (litte´rature maghre´bine d’expression franc¸aise) manifestieren, von binnenfranzösischen Kritikern, preisverleihenden Jurys, Verlagen und Lesern gelegentlich sogar als wünschenswerte ästhetische Bereicherung der von Erstarrung bedrohten traditionellen Literatursprache betrachtet. Das bedeutet freilich noch nicht das endgültige Aussterben der « suspicion condescendante dans laquelle on tient ge´ne´ralement les franc¸ais dits ‹ re´gionaux › d’outreAtlantique ou d’Afrique auxquels, sur fond de me´fiance, on conce`de un pittoresque folklorique et festivaler » (Gueunier 1992,

378). In bezug auf die Umgangssprache haben jedoch auch die unbeugsamsten „Universalisten“ der fünfziger und sechziger Jahre, für die das vorbildliche Französisch ausschließlich aus Mund und Feder der sich am gehobenen Pariser Bürgertum orientierenden Sprecher kam, in letzter Zeit einen Schwenk vollzogen. Einer der schreibfreudigsten und gefürchtetsten Kritiker jeder noch so geringfügigen Abweichung vom Pariser Standard (und Mitautor eines Werks mit dem bezeichnenden Titel « Chasse aux belgicismes ») kommentiert diesen Einstellungswandel: « Il est certain qu’il y a vingt-cinq ans les de´fenseurs du franc¸ais et de la francophonie, quelle que fuˆt leur nationalite´, reˆvaient plus ou moins consciemment d’un franc¸ais commun, universel, qu’ils avaient l’ambition de pratiquer. Ils e´taient fascine´s par la perspective de l’unite´ du franc¸ais a` travers le monde et ne songeaient gue`re a` sa diversite´ que pour la combattre. […] Et l’on ne percevait gue`re encore, il y a vingt ans, l’importance sentimentale que pouvaient reveˆtir ces diffe´rences dans l’expression de l’identite´ culturelle a` laquelle sont devenues plus sensibles les consciences nationales » (Hanse 1989, 79 f).

Eine von solchen pluralistischen Haltungen getragene Politik wird heute zumindest offiziell von der Mehrzahl der wichtigen gesamtfrankophonieorientierten Sprachpflegeinstitutionen vertreten. Man kann also für die Gegenwart nicht hinsichtlich aller Ausprägungen undifferenziert stehen lassen, was auch an prominenter Stelle nach wie vor vielfach behauptet wird: „Für die gesamte Frankophonie gilt ⫺ zumindest als Zielnorm ⫺ das ,hexagonale‘ Französisch, das heißt die allgemeine europäische Sprachnorm“ (Schmitt 1990, 686). Wenn solche Sätze auf eine Varietät uneingeschränkt zutreffen, dann wohl am ehesten auf die Wissenschaftssprache, die ⫺ vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich ⫺ einerseits als Reservat einer weitgehend emotions- und konnotationsfreien Kommunikation (ohne « importance sentimentale ») betrachtet, andererseits im Kontext kulturübergreifender Konventionen gesehen wird, die sich der Experte zusammen mit der entsprechenden Fachkompetenz anzueignen hat. Ob der internationale Standardisierungsgrad des akademischen Diskurses allerdings wirklich so hoch ist wie generell angenommen, darf aufgrund neuerer Studien in begründeten Zweifel gezogen werden (vgl. z. B. Clyne 1987; Sachtleber 1993; Mauranen 1993).

823

85. Die Stellung der französischen Wissenschaftssprachen außerhalb Frankreichs

In der Praxis scheint der Normdruck auf die wissenschaftliche Kommunikation in französischer Sprache jedoch nicht sehr groß zu sein, da selbst französische Wissenschaftler, besonders wenn sie in stark angloamerikanisch dominierten Disziplinen arbeiten, den erwartbaren Standard oft deutlich verfehlen. Der Direktor der der Sorbonne Nouvelle angegliederten Ecole supe´rieure d’interpre´tariat et de traduction beklagt in vielen von seinen Landsleuten verfaßten fachsprachlichen Texten: « Impre´gnation sournoise de la syntaxe, de la grammaire, qui aboutit a` une de´gradation de la langue franc¸aise telle que de nombreux traducteurs de par le monde nous consultent pour nous demander ce que peut bien vouloir dire telle phrase e´crite en franc¸ais, et qu’il suffit le plus souvent de traduire beˆtement, mot a` mot, de l’anglais pour lui trouver un sens » (Moskowitz 1981, 52).

Diese problematische Form der sprachlichen Osmose hat ein Soziolinguist unter Hinweis auf belegte Beispiele wie frz. le but contemple´ < the contemplated aim (Etiemble 1966, 34) oder e´vidence physique < physical evidence (scil. ‹ preuve tangible ›) als « clochardisation culturelle » kritisiert (Gobard 1981). Je abgehobener ein fachsprachlicher Text von der Alltagssprache und je eingeschränkter der von ihm anvisierte Rezipientenkreis ist, desto weniger läuft er Gefahr, Gegenstand der öffentlichen Sprachkritik zu werden. Da deren Vertreter sich in erster Linie als auf den Artikel Sprache spezialisierte Konsumentenschützer und als Anwälte der Lebensqualität des Bürgers zu verstehen pflegen, schenken sie der strikt fachinternen Kommunikation, dem Sprachkritiker inhaltlich ohnedies weitgehend unzugänglich, wenig Aufmerksamkeit, um sich mehr auf die Schnittstellen zwischen Spezialistentum und Öffentlichkeit zu konzentrieren, wobei die diesbezüglich intensivsten Aktivitäten außerhalb Frankreichs in Que´bec zu registrieren sind (dort wurden in den achtziger Jahren auch umfangreiche Erhebungen zur „Qualität“ des internen Verwaltungsfranzösisch gemacht (vgl. Bureau 1986). 3.2. Terminologienormen Innerhalb der Frankophonie sehen sich die mit Terminologiearbeit beschäftigten Institutionen Frankreichs heute zwar gewöhnlich als prädestinierte Koordinationsorgane, nicht mehr hingegen (vor allem in Anbetracht des unleugbaren Vorsprungs der Frankokanadier

in diesem Bereich) als alleinige Hüter und Verkünder der allgemeingültigen Richtlinien. Immer regelmäßiger eingebunden in die Entscheidungsprozesse werden auch die frankophonen (und „latinophonen“) Länder, die direkt oder indirekt über das Französische Anschluß an Technologie und Wirtschaftsformen der „Ersten Welt“ zu finden trachten. Für regionale Spezifika der materiellen Welt und der Sachkultur (wie Vegetationsformen, Klimaerscheinungen, Bewässerungstechniken, landwirtschaftliche Praktiken usw.) werden Bezeichnungen in bi- und multilateralen Kommissionen vereinbart. Diese Form der Kooperation entwickelt sich seit Ende der siebziger Jahre allem Anschein nach besonders gut zwischen der arabophonen Welt und dem CILF, der sich im Tätigkeitsbericht für 1991 als « le premier producteur de terminologie en France » (in La banque des mots 43, 1992, 9) rühmt und die ausgearbeiteten Terminologien kämpferisch als seine « force de frappe » (Joly 1992, 11) bezeichnet. Der Grundsatz, daß bodenständige und historisch gewachsene Bezeichnungen nicht stigmatisiert werden dürfen, leitet die aktuelle Sprachpolitik und Terminologiearbeit. Am selbstbewußtesten gegen hexagonale Hegemonieansprüche treten erwartungsgemäß die Angehörigen der „ersten“ Frankophonie, also die französischsprachigen Schweizer und Belgier, auf, die nicht nur im administrativen Bereich auf ihren angestammten Einrichtungen und deren Namen beharren (z. B. belg. bourgmestre, conseil communal, percepteur des postes), sondern auch etwa in der Fachsprache des Straßenbaus und der Verkehrsplanung andere Termini verwenden als das französische Bautenministerium (Beispiele aus Martinek 1985): F astreinte bande d’arreˆt d’urgence chausse´e 2e sens densite´ humide diffuseur route a` grande circulation hydroplanage noeud en tre`fle

B garde zone de se´curite´ corps de la chausse´e masse volumique

CH piquet voie d’arreˆt superstructure

poids spe´cifique apparent humide e´changeur B jonction route a` priorite´ route principale aquaplaning e´changeur en tre`fle

Technizismen dieses Typs sind einerseits zu neu und zu wenig in den regionalen Traditionen verankert, als daß sie von den herkömm-

824

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

lichen Wörter-und-Sachen-Studien aufgegriffen worden wären, andererseits aufgrund der weitgehenden staatlichen Autonomie von Sektoren wie dem Verkehrswesen in der internationalen Kommunikation nicht so stark vertreten. Sie werden daher wohl als weniger normierungsbedürftig betrachtet und treten nur vereinzelt in den Gesichtskreis von Linguisten (zu einigen in Belgien üblichen Fachausdrücken des Baugewerbes vgl. Goosse 1981). Die frankokanadische Sprach- und Terminologiepolitik baut da weit mehr auf gesamtfrankophonen Konsens als auf Eigenständigkeit. Dies erklärt sich aus der Sorge über den prekären Status des Französischen in Kanada. Zwar hat eine günstige demographische Entwicklung und die Erklärung Que´becs zur einsprachig-französischen Provinz im Jahr 1977 die mit schöner Regelmäßigkeit aufgestellten Prognosen vom Ende der kanadischen Zweisprachigkeit zum Verstummen gebracht, doch bleibt die Haltung der Sprecher im Alltag wie im wissenschaftlichen Gebrauch nach wie vor von einem Kräfteparallelogramm bestimmt, dessen Vektoren « fide´lite´, innovation, vulne´rabilite´ et auto-de´fense » (Martucci 1988, 102) heißen. Die aufgenötigte Abwehrhaltung gegen die dominante Nachbarsprache Englisch und der bisweilen trotzig kompensierte Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Hexagonalfranzösisch haben Reaktionen ausgelöst, die Que´bec in fachsprachlich-terminologischen Belangen zur führenden Kraft der Frankophonie avancieren ließen. Die Vorreiterrolle kommt z. B. in der Einrichtung der zweisprachigen Datenbanken « Banque d’Ottawa » (1970) und « Banque de terminologie du Que´bec » (1977) zum Ausdruck, von deren Arbeit Frankreich profitiert, das seinen « retard conside´rable dans l’acce`s aux terminologies spe´cialise´es qui conditionnent aujourd’hui largement la vie scientifique, industrielle et commerciale d’un pays » (Rapport 1985, 284) gelegentlich durchaus einzubekennen bereit ist.

4.

Konkurrenz

Während die „Qualität“ des Französisch wissenschaftlicher Veröffentlichungen ⫺ wohl nicht zuletzt mangels geeigneter Meßmethoden ⫺ kaum Gegenstand seriöser Analyse (sondern höchstens der Polemik oder Parodie) ist, werden laufend Erhebungen über

die quantitative Verwendung angestellt. Da das Ungleichgewicht zugunsten des Englischen generell von Jahr zu Jahr größer wird und in einigen naturwissenschaftlichen Disziplinen das französische Publikationswesen in die Bedeutungslosigkeit abgesunken bzw. fast ganz zum Erliegen gekommen ist, hat jede Bekanntgabe neuer Daten umgehend Ankündigungen von Maßnahmen zur Hebung der Attraktivität des Französischen als Wissenschaftssprache zur Folge. Die „fahnenflüchtigen“ und der Illoyalität zu ihrer Muttersprache bezichtigten Wissenschaftler nehmen die beschwörenden Appelle frankophiler Institutionen sowie die von Politikern angedrohten Pressionen (wie Kürzung oder Entzug finanzieller Unterstützung von Forschungseinrichtungen) gewöhnlich recht unbeeindruckt auf. Ein Mitglied der Acade´mie Royale de Belgique hat die Haltung vieler wissenschaftlich tätiger Landsleute in knapper und neutraler Form charakterisiert: « Chacun est conscient que la diffusion de la connaissance issue de travaux originaux est aussi importante que sa production. L’objectif est de faire connaıˆtre le re´sultat a` une communaute´ scientifique aussi e´tendue que possible, le plus rapidement possible, en assurant a` l’auteur la notorie´te´ la plus large. La langue anglaise est devenue le meilleur vecteur pour re´aliser ces buts. Elle est utilise´e en Belgique pour plus de 90% des publications de recherches originales. La situation est la meˆme au Que´bec et l’emploi de l’anglais ne cesse de s’e´tendre en France meˆme. Cette situation ne paraıˆt pas re´versible. La communaute´ scientifique francophone de Belgique est tre`s oppose´e a` toute politique visant a` forcer d’exprimer des re´sultats en franc¸ais » (Jaumotte 1989, 44).

Die Hauptgründe für diese Einstellung sind ohne Schwierigkeiten nachvollziehbar: (1) Nicht direkt einbekannt wird der Umstand, daß ein großer Teil der Naturwissenschaftler von Weltgeltung die „wissenschaftliche Sozialisierung“ in den USA erhalten hat und der Gebrauch des Englischen eine Bequemlichkeitslösung darstellt, da man sich auf diese Weise die mühsame Anpassung der Terminologie und Phraseologie ans Französische erspart. Die Aussicht, daß jeder kreierte Neologismus eine Reihe von sich zuständig fühlenden und erfahrungsgemäß nicht leicht zufriedenzustellenden Kommissionen auf den Plan rufen würde, hat zweifellos eine zusätzlich abschreckende Wirkung. (2) Gegen das Französische sprechen die weltweit ⫺ auch von CNRS und INSERM praktizierten ⫺ Modalitäten der Evaluation.

85. Die Stellung der französischen Wissenschaftssprachen außerhalb Frankreichs

Der Wert von Publikationen wird am Prestige der Publikationsorgane, an der Registrierung durch (vornehmlich englischsprachige Literatur auswertende) internationale Bibliographien und Datenbanken sowie am Aufscheinen im Science Citation Index (SCI) gemessen. Der Vorwurf der egoistischen Ruhmsucht, der von den Verteidigern des Französischen gegen die englisch publizierenden Kollegen erhoben wird, hat wenig Berechtigung (und noch weniger Aussicht auf Effekt), wenn man sich vor Augen hält, daß die genannten Parameter auch als Grundlage für die Gewährung staatlicher Förderungen von Forschungsprojekten (die wiederum dem Ansehen des Förderlandes zugute kommen sollen) herangezogen werden. (3) Entgegen dem in der frankophon gesinnten Wissenschaftspresse regelmäßig geäußerten Verdacht, die Nötigung der nichtanglophonen Forscher zur Zweisprachigkeit diene der Aufrechterhaltung der amerikanischen Vormachtstellung, weil der Zwang zum Erlernen und dauernden Gebrauch einer fremden Sprache einen markanten Wettbewerbsnachteil darstelle, sehen die Betroffenen in der gegebenen Situation durchaus Vorteile. Der Kernphysiker Jacques Devooght von der Universität Brüssel antwortete auf eine entsprechende Anfrage (zit. in Jaumotte 1989, 44 f): « Au risque d’eˆtre paradoxal, je conside`re que l’abandon du franc¸ais a e´te´ un facteur de progre`s scientifique. En effet, le de´clin des revues belges francophones a force´ les jeunes chercheurs a` se frotter a` la concurrence internationale, parfois tre`s dure dans les revues anglo-saxonnes, alors que les revues belges et franc¸aises en de´clin e´taient loin d’avoir les meˆmes exigences ».

(4) Die für ihre Sprachenwahl kritisierten Wissenschaftler zeigen wenig Neigung, sich vor den Karren einer diskreditierten Sprachverbreitungsideologie spannen zu lassen. Während sich die Verteidiger des Französischen dagegen auflehnen « d’eˆtre les Bretons ou les Occitans d’une capitale nomme´e Washington » (de Chambrun/Reinhardt 1981, 17) ⫺ Blauäugigkeit oder Zynismus dieser Formulierung aus Pariser Mund sei hier nicht weiter erörtert ⫺, beleuchtet ein Physiker dieselbe Problematik aus einer anderen Perspektive: « Quand il m’arrive de parler de la de´fense du franc¸ais a` des gens qui vivent au-dessous du 45e paralle`le ou du coˆte´ du Finiste`re, ils sourient doucement: que le franc¸ais soit ‹ pele´ › ou ‹ tondu › par l’anglais,

825

ou ne le soit pas, les laisse indiffe´rents, parce que cela fait bien longtemps que leur langue, qu’ils conside`rent comme leur culture, a e´te´ ‹ e´crabouille´e ›. » (Taupin 1981, 73)

Aus nahezu allen von der Presse in den vergangenen Jahren aufgegriffenen und manchmal zum Politikum hochstilisierten „Affairen“ ging regelmäßig die „anglophile“ Partei als Sieger hervor. Zwei Fälle wurden besonders intensiv diskutiert: (a) Der Pariser Zoologe Pierre Jaisson als Herausgeber von in einem Pariser Verlag edierten Tagungsakten mit englischem Titel wehrte nicht ohne Humor und gute Argumente die Beschwerden eines belgischen Kollegen und die Androhung einer Klage ab (Details in Christmann 1986, 26 f). (b) Die renommierte Zeitschrift des Institut Pasteur heißt seit kurzem “Research in microbiology, immunology and virology”; als Kompensation wurde allerdings im Februar 1990 ein rein französischer Ableger namens « Nouvelles Annales de l’Institut Pasteur » für ein breiteres Publikum ins Leben gerufen. Bei anderen Zeitschriften geschieht die offizielle, im Inneren oft längst vollzogene Ankopplung an die Anglophonie schmerzlos, so im Fall des « Journal de Me´canique the´orique et applique´e », das seit 1989 unter dem Namen “European Journal of Mechanics” weiterbesteht. Die in den verschiedensten Organen publizierten Zahlen zu einzelnen Fächern und Ländern sind zwar schwer miteinander vergleichbar (schon weil selten die gleichen Disziplinen zu Gruppen zusammengefaßt sind), in der Tendenz aber konvergent. Inner- wie außerhalb Frankreichs verliert das Französische von Jahr zu Jahr Terrain in allen naturwissenschaftlich-technischen Bereichen außer Mathematik, während es in den Sozial- und Geisteswissenschaften die Prozentsätze grosso modo stabil halten kann. Nach einer neueren Erhebung erscheinen in Que´bec 72% aller wissenschaftlichen Publikationen in englischer Sprache, die Diskrepanz zwischen den Naturwissenschaften mit einem Anteil von 90% und den Geistes- bzw. Sozialwissenschaften mit 27% ist allerdings beträchtlich (Angaben in Philoge`ne 1989, 25). So gut wie alle Auszählungen, die den französischen Markt sondieren, sehen Pädagogik, Religions- und Literaturwissenschaft im Spitzenfeld. Eine gewisse Aussagekraft über das Ansehen des Französischen als Wissenschafts-

826 sprache kommt auch den Titeln der in der Welt erscheinenden Fachzeitschriften zu. Darüber gibt es m. W. genauere Longitudinaldaten nur zur Medizin (Lippert 1979, 93). Ich habe drei Bibliographien anderer fachlicher Ausrichtung, denen man mit Sicherheit nicht Frankophobie oder Anglozentrismus unterstellen kann, in einer „Momentaufnahme“ angesehen. (1) Die in Göttingen erscheinende „Bibliographie der Wirtschaftswissenschaften“ 83 (1991) wertet etwa 730 Zeitschriften aus. Es überwiegen Periodika mit Verlagsort auf französischsprachigem Territorium und englischem Namen (insgesamt 10, z. B. “Financial market trends”/Paris) gegenüber französischen Titeln aus Gebieten, in denen Französisch nicht offizielle Sprache ist (4 Titel, davon Tunis 2, Bern, Damaskus je 1). (2) Die « Bibliographie Ge´ographique Internationale » 96 (1991) erfaßt ca. 360 Periodika: alle in Frankreich publizierten Organe haben französische Titel; daneben finden sich 16 französische Titel aus afrikanischen Ländern, davon allerdings allein 11 aus Marokko (weiters je 1 aus Algerien, Madagaskar, Mali, Senegal, Zaı¨re). (3) Die « Bibliographie Linguistique » (1990) mit ungefähr 1800 Zeitschriften- und Serientiteln zeigt erwartungsgemäß ein anderes Bild. Von den 44 französischnamigen Periodika mit nichtfrankophonen Verlagsorten erscheinen viele auch außerhalb der ehemals französisch-belgischen Kolonialgebiete, wobei ost- und südosteuropäische Staaten ein deutliches Übergewicht haben (wogegen die Iberische Halbinsel ganz ausfällt und Skandinavien nur höchst marginal vertreten ist). Im Feld der Linguistik werden nicht nur ehrwürdige Traditionen fortgeführt, es sind auch Neugründungen konsequent einsprachiger Periodika in alloglotten Ländern zu verzeichnen; als Beispiel seien die « Cahiers francophones d’Europe Centre-orientale » (Pe´cs/ Wien) genannt, die seit 1991 erscheinen und nicht ausschließlich frankophone Thematiken behandeln. So unterschiedlich die Gebrauchsbedingungen des Französischen in den enger oder lockerer zur Frankophonie zu zählenden Ländern sind, unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs im wissenschaftlichen Bereich gibt es nur einen ⫺ allerdings übermächtigen ⫺ Konkurrenten: das Englische. Die „Anwälte“ der französischen Sprache monieren energisch Defizite im Engagement

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

des Mutterlandes, legen aber selten sachliche Analysen der Situation in den „kritischen“ Gebieten vor. Am wenigsten beunruhigt scheint man derzeit über die Arabisierungsbestrebungen in den nordafrikanischen Ländern, da man offenbar die Ausschaltung der europäischen Kultursprache aus der wissenschaftlichen Kommunikation (noch?) nicht für möglich hält. In Schwarzafrika, wo das Französische mehr als sonstwo als Statussymbol und Mittel sozialer Selektion funktioniert, kein « moyen naturel de s’exprimer et de communiquer » darstellt und sein Gebrauch « jamais pragmatiquement indispensable » ist (Manessy 1992, 409), geht es den für die Sprachpolitik Verantwortlichen heute nicht darum « d’e´liminer, ni meˆme de marginaliser la langue franc¸aise, mais plutoˆt d’ame´nager une coexistence, autant que possible harmonieuse, entre cette langue et les langues ne´gro-africaines, en affectant chacune d’elles a` des domaines d’emplois diffe´rents, a` des fonctions pre´cises, c’est-a`-dire en leur donnant des statuts fonctionnels » (Nadjo 1992, 349). Doch könnte das Französische auch hier bald ins Abseits gedrängt werden, da die von den USA angebotene Entwicklungshilfe, kombiniert mit einem gewissen Einfühlungsvermögen in die komplizierten sprachlichen und ethnischen Verhältnisse, ein gutes Argument für einen Loyalitätswechsel zu werden droht. Amerikanische Missionare und Linguisten « œuvrent de fac¸on syste´matique a` l’instrumentalisation et au de´veloppement des langues subsahariennes, si bien que les principaux instruments dont disposent celles-ci risquent d’eˆtre bientoˆt plus souvent bilingues par rapport a` l’anglais que par rapport au franc¸ais » (Gueunier 1992, 385). Ob hier « initiatives qui feront date » (Francophonie Scientifique 1989, 5) wie die Gründung einer Zeitschrift « Se´cheresse-sciences » ausreichend gegensteuern können, bleibt abzuwarten. So repräsentiert Que´bec die unverrückbarste Bastion der französischen Wissenschaftssprache außerhalb Frankreichs. Viele Aktionen und bewußtseinsbildende Maßnahmen zur Stärkung des Französischen haben hier ihren Ausgang genommen, wie etwa die Gründung der LISULF (vgl. Abschnitt 2). Angesichts dieses engagierten, weil als existentiell notwendig erachteten Selbstverteidigungswillens verwundert es nicht, daß der argumentativ fundierteste Katalog gegen die exklusive Verwendung des Englischen im Wissenschaftsbetrieb aus kanadischer Per-

85. Die Stellung der französischen Wissenschaftssprachen außerhalb Frankreichs

spektive formuliert wurde, wobei hier die befürchteten Konsequenzen einer englischen Einsprachigkeit in der Wissenschaft expliziter als in Form der üblichen Ressentiments zur Debatte gestellt werden. Die Folgen, behauptet Chantefort (1981, 130), seien politischer (Stärkung der angloamerikanischen Kultur und Wissenschaft), sprachlicher (Ausbaudefizit des Französischen), kultureller (Austrocknung des französischen Publikationswesens), moralischer (Verrat der Muttersprache), juristischer (Benachteiligung der Frankophonen beim Zugang zu wissenschaftlichen Informationen) und nicht zuletzt psychologischer Natur (erzwungene Zweisprachigkeit ist ein produktivitätshemmender und neurosenfördernder Stress-Faktor). Ein derartiger Katalog kann die Zugehörigkeit seines Autors zu einer sogenannten Weltsprache kaum verbergen. Wer, z. B. in Zentralafrika oder als Nachkomme portugiesischer Eltern in Luxemburg, in eine polyglotte Gesellschaft hineingeboren wurde und Mitglied der scientific community werden will, wird ein mildes Lächeln über die Vorstellung, individuelle Mehrsprachigkeit sei ein pathogener Zustand, nicht unterdrücken können.

5.

Literatur (in Auswahl)

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827

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828

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

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Wolfgang Pöckl, Salzburg

86. Heutige Fachsprachen im interkulturellen Austausch III: die Stellung der englischen Wissenschaftssprachen in der Welt 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einleitung Problem Situation Gründe Kritik Ausblick Literatur (in Auswahl)

“English is the easiest language to speak badly.” (G. B. Shaw)

1.

Einleitung

Aufgabe der folgenden Ausführungen ist es, die Stellung des Englischen als internationale Sprache der Wissenschaften zu beschreiben, Gründe für seine Dominanz zu diskutieren und auf damit verbundene Probleme hinzuweisen. Gegenstand der Erörterungen ist ausschließlich die wissenschaftsinterne Kommunikation unter Fachleuten, da in anderen Bereichen der Fachkommunikation (Ausbil-

dung, Popularisierung, Datenerhebung etc.) die Entscheidung für die jeweilige Nationalsprache schon durch das kommunikative Ziel vorgegeben wird. Was die Literaturlage betrifft, so konstatiert Knapp (1984, 8) ein zunehmendes Interesse an der Thematik und verweist auf das Erscheinen zahlreicher Monographien und Sammelbände (siehe vor allem Brumfit 1982; Kachru 1990; Smith 1983) sowie auf die Gründung von Zeitschriften zur Thematik, wie English World Wide, World Language English und Varieties of English around the World. Im deutschsprachigen Raum sind der Sammelband von Kalverkämper/Weinrich (1985), die Beiträge in Oksaar/ Skudlik/von Stackelberg (1988) und die Dissertation von Skudlik (1990) sowie Themennummern von Zeitschriften (z. B. Studium Linguistik 1984) zu nennen. Erwähnenswert ist des weiteren die in der Zeitschrift Psychologische Beiträge geführte Diskussion über

86. Die Stellung der englischen Wissenschaftssprachen in der Welt

Vor- und Nachteile des Übergangs vom Deutschen zum Englischen (vgl. insbesondere Traxel 1975; Lienert 1977; Traxel 1979; Bekker 1980; Eysenck 1980; Süllwold 1980). Trotz der recht umfangreich vorliegenden Literatur ist die Erörterung der Rolle des Englischen als internationale Sprache der Wissenschaften mit zahlreichen Problemen verbunden, von denen hier nur einige kurz genannt werden sollen. Erschwerend wirkt zunächst, was die Verallgemeinerbarkeit von Untersuchungsergebnissen betrifft, die enorme Komplexität des sehr heterogenen Bereichs der Wissenschaftskommunikation: In Abhängigkeit von der jeweiligen Einzelwissenschaft sowie dem jeweiligen Spezialisierungs- und Fachlichkeitsgrad können recht unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich der Bedeutung des Englischen als lingua franca erwartet werden. Ein weiteres Problem kann darin gesehen werden, daß eine Diskussion der Stellung des Englischen in der Welt immer auch die Stellung des Englischen zu anderen Sprachen impliziert, so daß selbst in der Fachdiskussion bisweilen emotionale Aspekte eine Rolle spielen können. Markl (1985, 21) weist darauf hin, daß in Skandinavien und in den Niederlanden die Frage nach dem Englischen oder der jeweiligen Nationalsprache als Publikationssprache in keiner Weise „mit der gleichen Inbrunst“ geführt wird, „mit der sich hin und wieder noch heute deutsche Kollegen zu diesem Thema äußern“ (siehe auch Wapnewski 1986). Heidtmann (1985, 184; 186) z. B. äußert in seiner Rezension von Knapp (1984) sogar einen „Imperialismus“Vorwurf und spricht von einem „Anschluß an die angloamerikanische Kultur“ (vgl. auch die Antwort von Knapp 1987). Neben diesen emotionalen Faktoren, die eine sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik immer wieder beeinträchtigen, gibt es auch schwerwiegende methodologische Probleme. Auf die Frage, wie z. B. eine Einzelsprache zu einer internationalen Sprache wird, antwortet Ammon (1994 b, 1728): “Such factors cannot be studied experimentally, because the circumstances cannot be manipulated (as would be necessary for such studies), and because the possibilities of doing statistical analyses are very limited for want of a sufficiently large number of cases”.

Hinzu kommt, daß Sprachwissenschaftler, die mit der Thematik beschäftigt sind, meistens nur unzureichend die Bedingungen des Publizierens in den einzelnen Fachgebieten

829

kennen. Es mangelt an Untersuchungen, in denen sich Fachwissenschaftler und Sprachwissenschaftler dieser komplexen Thematik interdisziplinär annähern (s. erste Ansätze dazu in Kalverkämper/Weinrich 1985).

2.

Problem

Die Wahl einer Einzelsprache zur Darstellung und Vermittlung von Fach(er)kenntnissen ist einerseits aufgrund der kommunikativen Funktion der Sprache von wichtiger Bedeutung für die interkulturelle Fachkommunikation ⫺ andererseits spielt Sprache über ihre kognitive Funktion eine grundlegende Rolle im fachlichen Erkenntnisprozeß selbst. Hinsichtlich der Vermittlung von Fach(er)kenntnissen weist Weinrich (1985, 45) darauf hin, daß wissenschaftliche Erkenntnisse „einem allgemeinen Veröffentlichungsgebot unterworfen“ sind, das „in seiner striktesten Form nur dann erfüllt“ ist, „wenn ein Forschungsergebnis allen anderen Angehörigen der wissenschaftlichen Population, die es je für relevant halten können, zugänglich gemacht wird“. Damit ist die Frage nach einer lingua franca in den Wissenschaften angesprochen, in denen es neben dem Veröffentlichungsgebot auch ein Rezeptions- und Kritikgebot (Weinrich 1985, 46) gibt, eine gemeinsame Verkehrssprache also als Voraussetzung für das gegenseitige Verstehen und die Verständigung der Scientific community angesehen werden könnte. Der Begriff lingua franca bezeichnet eine Sprache, die als Kommunikationsmittel zwischen Menschen mit unterschiedlicher Muttersprache dient (Barotchi 1994, 2211), wobei es sich um Dialektdifferenzen, aber auch um verschiedene Einzelsprachen handeln kann (Samarin 1987, 371). Zu unterscheiden sind drei Typen: ,natural‘, ,pidginized‘ und ,planned‘ lingua franca (Barotchi 1994, 2211; zur Problematik des Begriffs ,international language‘ vgl. Ammon 1994 b, 1725). Die Aufgaben einer lingua franca in der Wissenschaftskommunikation erfüllte lange Zeit das Gelehrtenlatein, das zwar seit dem 17. Jh. zunehmend durch die Nationalsprachen abgelöst wurde (vgl. Pörksen 1986, 19 ff; 42⫺71), das nach wie vor aber Grundlage für die wissenschaftliche Nomenklatur in fast allen westlichen Sprachen und Kulturen ist. Das Ende des Gelehrtenlateins wurde in der Wissenschaftsgeschichte als Befreiung aufgefaßt, stand (insbesondere in den Naturwissenschaften) mit einem sprunghaften Aufschwung der Forschung im Zusammenhang und führte zur Entwicklung von

830

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

nationalen Fachsprachen, die den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft intensivierten, ja teilweise sogar erst ermöglichten (über Gewinne und Verluste beim Übergang vom Gelehrtenlatein zu den Nationalsprachen vgl. Pörksen 1986, 69 f). Beginnend mit dem 17. Jh. finden der Forschungsprozeß und die Darstellung von Forschungsergebnissen vor allem in deutscher, englischer und französischer Sprache statt, die bis ins 20. Jh. hinein mit jeweils unterschiedlicher und wechselnder Gewichtung als internationale Wissenschaftssprachen anerkannt waren. Das Problem der Sprachbarrieren schien es in der damaligen Scientific community nicht gegeben zu haben, da die meisten Gelehrten ⫺ dem damaligen Bildungsideal entsprechend ⫺ mehrsprachig waren und/oder über erforderliche Fremdsprachenkenntnisse verfügten. Interkultureller Austausch in den Wissenschaften ist also ⫺ wie die Geschichte zeigt ⫺ nicht an die Existenz einer lingua franca gebunden, sondern kann grundsätzlich auch durch Mehrsprachigkeit, Fremdsprachenkenntnisse und/oder Übersetzungen gesichert werden (vgl. auch Crystal 1987, 343), wobei bislang nicht erwiesen ist, ob eine internationale Verkehrssprache das beste Mittel für den interkulturellen Austausch ist. Es scheint aber einiges dafür zu sprechen, daß es in bestimmten Situationen günstiger ist, eine internationale Sprache zu benutzen, als etwa zu übersetzen bzw. zu dolmetschen (s. Ammon 1994 b, 1725).

3.

Situation

3.1. Äußerungen, daß Englisch heute „die Lingua Franca der Naturwissenschaften ist“ (Wapnewski 1986, 56) und rund 90% der wichtigsten Forschungsleistungen in anglophonen Ländern erbracht werden (Eysenck 1980, 374), lassen sich sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in der einschlägigen Forschungsliteratur zur Sprachenproblematik in den Wissenschaften reichlich belegen. Statistische und andere quantitative Angaben für die Evidenz der konstatierten Dominanz des Englischen finden sich zwar in großer Anzahl, vor allzu eiligen Schlußfolgerungen und Verallgemeinerungen muß aber dennoch gewarnt werden: nicht immer sind die Daten zuverlässig und vollständig, nur selten wird differenziert nach Disziplin und Fachlichkeitsgrad; schließlich sind aufgrund unterschiedlicher Operationalisierungen forschungsleitender Begriffe Untersuchungsergebnisse bisweilen gar nicht vergleichbar. Im folgenden wird aus diesen u. a. Gründen auf die Darlegung umfangreicher Statistiken verzichtet und stattdessen der Blick auf die Komplexität der Problematik gerichtet.

3.2. Wichtige Indikatoren für die internationale Bedeutung einer Sprache sind: (1) die Zahl der Muttersprachler, (2) die Anzahl der Länder, in denen die Sprache Amtssprache und/oder gemeinsames Verständigungsmittel zwischen sprachlich heterogenen Gruppen ist, (3) der Verbreitungsgrad der Sprache in verschiedenen Bereichen internationaler Kontakte, (4) der Anteil am Gesamtaufkommen von Publikationen sowie (5) die Zahl der Fremdsprachenlerner. Schon die Angaben zum ersten Indikator sind in der Forschungsliteratur nicht einheitlich: Crystal (1987, 358) weist darauf hin, daß die Zahlen zu den Sprechern des Englischen zwischen 300 und 1.000 Millionen schwanken. Bougerolle (1991) geht sogar von 1.327 Millionen Sprechern des Englischen (rund 20% der Weltbevölkerung) aus. Was den Begriff Sprecher des Englischen betrifft, so kann mit Knapp (1984, 3) differenziert werden in ,Englisch als Muttersprache‘ (einer Majorität oder einer Minorität), ,Englisch als Zweitsprache‘ und ,Englisch als Fremdsprache‘ sowie zwischen ,Pidgins‘ und ,Creoles‘ und dem ,International English‘, wobei außerdem noch die Problematik der Varietätenbildung zu berücksichtigen wäre. Knapp (1984, 2) weist auf Statistiken von 1982 hin, wonach der Zuwachs der Zahl der Sprecher des Englischen innerhalb von zwanzig Jahren bei 40 Prozent lag. Obwohl Englisch ⫺ hinsichtlich der Zahl der Muttersprachler ⫺ hinter dem Mandarin liegt (siehe die Angaben bei Finkenstaedt/Schröder 1990, 14), zeigen verschiedene Fakten, daß das Englische neben seiner Stellung als Muttersprache einer ohnehin sehr großen Population zusätzlich als internationale Sprache eine besondere Bedeutung hat, die anderen Sprachen nicht zukommt. Crystal (1987, 358) führt Untersuchungsergebnisse an, denen zufolge drei Viertel der Weltpost auf Englisch geschrieben sind, also wesentlich mehr, als der relative Anteil der Muttersprachler des Englischen erwarten ließe. Weiter heißt es zur internationalen Bedeutung des Englischen bei Crystal: “It is the main language of books, newspapers, airports and air-traffic control, international business and academic conferences, science, technology, medicine, diplomacy, sports, international competitions, pop music, and advertising”.

Besonders offensichtlich ist die Dominanz des Englischen ⫺ so die Forschungsliteratur ⫺ im Bereich der wissenschaftlichen Publikationen. Knapp (1989, 46) zitiert Ergeb-

86. Die Stellung der englischen Wissenschaftssprachen in der Welt

nisse von J. A. Large, wonach das Englische folgende Prozentanteile am Veröffentlichungsaufkommen für 1980 erreichte: Biologie 88%, Physik 82%, Medizin 73%, Chemie 62%. Swales (1991, 96 f) zitiert Daten von Baldauf/ Jernudd zum Anteil des Englischen an Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften, die mit den bei Large genannten Ergebnissen fast identisch sind, darüber hinaus aber noch den Bedeutungszuwachs des Englischen von 1965 bis 1981 darstellen: in der Chemie von 50 auf 67%, in der Biologie von 75 auf 86%, in der Physik von 73 auf 85% und in der Medizin von 51 auf 73%. Weiter zitiert Swales (1991, 97) eine Untersuchung, wonach der Anteil des Englischen zwischen 1978 und 1982 in den vier führenden Zeitschriften in der Psychologie bei 97% lag, weist aber gleichzeitig auf einige problematische Aspekte solcher Erhebungen hin. Die in den Schätzungen schon ohnehin zum Ausdruck kommende Dominanz des Englischen im Wissenschaftsbereich scheint sich noch zu vergrößern, wenn man neben den traditionellen Printmedien die neueren elektronischen Medien in die Betrachtung einbezieht. Nach Crystal (1987, 358) sind 80% der Informationen in ,Electronic retrieval systems‘ auf englisch abgespeichert, wodurch in einem erheblichen Maße Rezeption und Weiterverbreitung dieser Informationen bestimmt werden. Nach Angaben des Directory of Online Databases existierten Ende 1986 weltweit 3.000 Datenbanken, von denen 75% in den USA, aber nur 4 bis 5% in Deutschland produziert werden (Angaben nach Rittberger/Jenschke 1990, 140). Sowohl traditionelle Online-Datenbanken als auch Publikationen werden heute zunehmend von CD-ROMs abgelöst, die für die wissenschaftliche Information und Dokumentation sowie für die Aus- und Fortbildung von nicht zu unterschätzendem Wert sind. Der Ursprung des CD-ROM-Marktes lag aber in den USA, und auch heute „stammt der größte Teil der CD-ROM-Informationsanbieter aus den USA“ (Handbuch lieferbarer CD-ROMs 1994, XXIX). Nach Angaben aus dem Handbuch lieferbarer CD-ROMs liegt der Anteil Nordamerikas (USA und Kanada) bei den Online-Datenbanken bei 43% (im Unterschied zu dem bei Rittberger/Jenschke 1990 angegebenen Wert von 75%!), bei den CDROM-Produkten aber bereits bei 59%. Der Anteil der EG-Länder liegt ⫺ zum Vergleich ⫺ bei den Online-Datenbanken bei 35% und sinkt bei den CD-ROM-Angeboten

831

auf 31% ab, wobei anzunehmen ist, daß ein großer Teil der europäischen Produkte ebenfalls englischsprachig ist. Was schließlich die internationale Netzwerkkommunikation betrifft, die aufgrund der Geschwindigkeit des Informationsaustausches und der Möglichkeit zur direkten Interaktion für die weltweite wissenschaftliche Kommunikation enorm an Bedeutung gewinnen wird, so spricht vieles dafür, daß die hier entstehende virtuelle Gemeinschaft der Wissenschaftler Englisch bereits ⫺ bis auf wenige Ausnahmen ⫺ zur Sprache ihres Global village gemacht hat. Dies mögen folgende Angaben für die wissenschaftsinternen Diskussionsgruppen im Internet belegen: Während für das Deutsche (⫽ de.sci.) und das Französische (⫽ fr.sci.) 1994 jeweils nur fünf Diskussionsgruppen eingerichtet sind, existieren für das Englische (⫽ sci.) bereits 99, die nicht nur wesentlich aktiver als die deutschen und französischen sind, sondern auch international frequentiert werden und wichtige Spezialgebiete vertreten (nach Recherchen von Mika Kallio). 3.3. Einige der unter 3.2. gemachten Angaben zu ausgewählten Disziplinen zeigten bereits, daß die Bedeutung des Englischen nicht in allen Disziplinen gleich ist, der Diskurs also ⫺ so Süllwold (1980, 194) ⫺ in den einzelnen Disziplinen in verschiedenen Sprachen bzw. mit unterschiedlicher Gewichtung des Englischen geführt wird. Auch Skudlik (1990, 214 ff) weist darauf hin, daß die Wissenschaften keineswegs gleichmäßig ,anglisiert‘ sind und sich in ,anglophone‘, ,anglophon geprägte‘ und ,nicht-anglophone/polyglotte‘ Wissenschaften einteilen lassen. Weinrich (1985, 55) führt für diese drei Gruppen exemplarisch folgende Disziplinen an: (1) Enzymforschung und Gentechnologie, (2) Psychologie und Linguistik, (3) Geschichte und Philosophie. In Anlehnung an Gnutzmanns (1994, 363) Hypothesen zur Kulturgebundenheit bzw. Universalität des wissenschaftlichen Diskurses lassen sich folgende allgemeine Annahmen zum Anglisierungsgrad der einzelnen Disziplinen aufstellen: (1) Je kulturübergreifender eine Disziplin ist, die Forschungsgegenstände also nicht an die Primärkultur gebunden sind, desto größer ist die Tendenz zur Verwendung des Englischen. (2) Je mehr die Forschungsgegenstände einer Disziplin in der Primärkultur verankert sind, je mehr sie also kulturbezogen sind, desto stärker ist auch die Tendenz zur Verwendung der jeweiligen Sprache der Primärkultur. Gestützt werden diese

832 Annahmen u. a. durch Untersuchungsergebnisse von Skudlik (1990, 211; 304 f; Tab. 23) über die Englischkenntnisse deutscher Wissenschaftler, die bei Naturwissenschaftlern und Medizinern einen besonders hohen Stellenwert haben, bei Juristen, Geschichtswissenschaftlern, Literaturwissenschaftlern und Theologen aber eine mindere Rolle spielen. Über den ,Anglisierungsgrad‘ in der Medizin berichtet Lippert (1985, 39) ausgehend von den Titeln medizinischer Fachzeitschriften im Jahre 1984: Der Index medicus belegt 385 Zeitschriften im deutschsprachigen Raum, von denen 44% einen deutschen, 43% einen englischen und 10% einen lateinischen Titel hatten; insgesamt wurden im Index medicus 2.611 Zeitschriften erfaßt, wovon 65,8% einen englischen Titel trugen. Durch eine Auswertung des Science Citation Index wird diese Tendenz für die Medizin noch weiter erhärtet (Lippert 1985, 40). Skudlik (1991, 394) kommt auf der Grundlage ihrer Auswertung von Ulrich’s International Periodicals Directory (21st Edition, 1982) zu folgenden Ergebnissen: In der Medizin waren Anfang der 80er Jahre 44,9% aller Zeitschriften aus anglophonen Ländern, 11,9% waren multilingual (in Spezialgebieten der Medizin betrugen die entsprechenden Anteile 48 bzw. 15%); in der Linguistik waren 26,8% aus anglophonen Ländern und die gleiche Menge multilingual; in der Geschichtswissenschaft waren 29,4% aus anglophonen Ländern und 10% waren multilingual. Anzunehmen ist, daß der größte Teil der multilingualen Zeitschriften ebenfalls englischsprachig ist bzw. das Englische dort dominiert. Die Vergleichswerte für Anfang der 90er Jahre sind auf der Grundlage einer Auswertung von Ulrich’s (32nd Edition, 1992) folgende: In der Medizin sind ca. 57% der Abstractverzeichnisse, Bibliographien und statistischen Werke aus anglophonen Ländern, in der Linguistik ca. 46% und in der Geschichtswissenschaft ca. 45 bis 52% (nach Recherchen von Dagmar Zimmer). Da die Erhebungen von Lippert, Skudlik und unsere eigenen Recherchen unterschiedliche Erhebungstechniken und Korpora nutzen, sind die Ergebnisse zwar nicht direkt vergleichbar, zeigen aber dennoch den Trend zum Englischen deutlich an. Noch deutlicher auszumachen ist der Trend bei einer Analyse der entsprechenden Citation Index: Sowohl im Sciences Citation Index (1992) als auch im Social Sciences Citation Index (1992) tragen die zehn ,largest journals‘, ,most cited journals‘ und ,highest impact journals‘ anglo-

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

phone Titel, mit der Einschränkung, daß im Social Sciences Citation Index die zehnte Zeitschrift einen lateinischen Titel trägt, die Publikationssprache aber wohl kaum Lateinisch sein wird (nach Recherchen von Dagmar Zimmer). Eine relativ umfangreiche Untersuchung zur Sprachproblematik in einer ausgewählten Disziplin hat Tatje (1992) vorgelegt, der sich mit der Bedeutung des Englischen, Deutschen und Französischen in wissenschaftlichen Publikationen der Mineralogie anhand einer Analyse der acht wichtigsten Zeitschriften sowie einer Befragung von Wissenschaftlern beschäftigt hat. Für den Zeitraum von 1950 bis 1970 belegt Tatje einen relativ konstanten Anteil von 50 bis 60% für Deutsch, 15% für Französisch und nur 25 bis 35% für Englisch. Die neuesten Daten, die Tatje anführt, belegen für Deutsch jedoch nur noch einen Anteil von rund 5%, für Französisch ca. 10 bis 15% und für das Englische um 80 bis 85%. Zusammenfassend stellt Tatje fest: „Die Mineralogie ist also wie die anderen Geowissenschaften als anglophon geprägte Wissenschaft einzustufen, in der sehr viel, aber nicht alles auf Englisch läuft. […] Daß für die Probleme, die mit einer solchen Entwicklung verbunden sind, bei den Mineralogen meistens kein Bewußtsein besteht, sondern daß diese Englisch mit großer Selbstverständlichkeit annehmen und benutzen (wie frühere Generationen Latein?), ist vielleicht das erstaunlichste Ergebnis der Untersuchung“ (Tatje 1992, 82).

3.4. Untersuchungsergebnisse zur Dominanz des Englischen in den Wissenschaften sind einerseits ⫺ bezogen auf einzelne Wissenschaften ⫺ „nicht sehr zahlreich“ (Tatje 1992, 73) und andererseits ⫺ aufgrund verschiedener Probleme der Datenerhebung ⫺ nicht immer zuverlässig. Knapp (1990, 45) verweist auf das Problem, wie der internationale Status einer Sprache als Wissenschaftssprache überhaupt gemessen werden kann und meint, daß („streng genommen“) „zu keiner dieser Domänen der Verwendung von natürlichen Sprachen in den Wissenschaften wirklich reliable Daten“ vorliegen. Laut dem Fächerkatalog des Hochschulverbandes ist von der Existenz von etwa 4.000 wissenschaftlichen Fächern auszugehen, wobei in jedem Fach dem Englischen jeweils ein ganz spezifisches Gewicht zukommt. Die Wichtigkeit des Englischen hängt aber nicht nur von der Disziplin ab (vgl. z. B. Swales 1991, 98⫺99), sondern es spielt außerdem eine wichtige Rolle, ob es

86. Die Stellung der englischen Wissenschaftssprachen in der Welt

sich um Grundlagen- und Spitzenforschung, um angewandte Wissenschaft oder um den Bereich von Wissenschaftsvermittlung in der Aus- und Fortbildung handelt. Des weiteren kann angenommen werden, daß die Wahl der Sprache bisweilen auch vom wissenschaftlichen Paradigma abhängt. Becker (1980, 369) weist darauf hin, daß in der Psychologie Englisch vor allem in der Grundlagenforschung dominiert, weniger aber in den Anwendungsgebieten. Kalverkämper (1985, 11) kritisiert, daß der „intuitiv verständliche Begriff der ,Spitzenforschung‘ durchaus noch einer schärferen Konturierung bedarf“ und nach Natur- und Geisteswissenschaften, einzelnen naturwissenschaftlichen Gebieten, Spitzenforschung und ,normaler‘ akademischer Praxis, Forschung und Lehre, schriftlicher und mündlicher Fachkommunikation differenziert werden müßte. Derart differenzierte Daten liegen bislang aber nicht vor, so daß mit Crystal (1987, 358) insgesamt von einem „lack of precise data“ ausgegangen werden kann. Doch auch die bereits erhobenen Daten sind nicht immer als zuverlässig anzusehen. Swales (1991, 97) führt Schätzungen an, wonach 80% der wissenschaftlichen Publikationen der Welt auf Englisch verfaßt sind, schränkt aber gleichzeitig ein, daß es bei der Datenerhebung nicht immer ganz objektiv zugeht, nicht-englische Medien z. B. bisweilen nicht mitgezählt oder nicht ausgewertet werden: “The major difficulty is one of bias in the data bases” (vgl. zum Problem der ,Language bias‘ bei Datenbanken ebenfalls Knapp 1989, 46). Exemplarisch dargestellt werden kann dieses Problem für Ulrich’s International Periodicals Directory, der (1) für den Buchhandel eingerichtet wurde und eigentlich keine repräsentative Darstellung aller erscheinenden Periodicals ist, (2) keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, (3) sich zwar international nennt, aber keine Angaben über Aufnahmekriterien macht, (4) auf die Angaben seiner sechs Suppliers angewiesen ist, die sämtlich aus anglophonen Ländern kommen und (5) zwar die Publikationssprachen in den Titeln der einzelnen Periodicals erhebt, keine Angaben aber zur Gewichtung der einzelnen Sprachen in den Periodicals macht (nach Recherchen von Dagmar Zimmer). Angaben im Ulrich’s können daher nicht als repräsentativ angesehen werden. Kritisch anzumerken bleibt schließlich, daß der Anteil des Englischen am Gesamtaufkommen wissenschaftlicher Publikationen

833

noch keine Auskunft über die internationale Rezeption gibt und erst recht keinen Rückschluß auf die wissenschaftliche Bedeutung zuläßt. So heißt es bei Knapp (1989, 46): „Der internationale Status einer Sprache als Wissenschaftssprache kann also strenggenommen nicht allein an der Menge der in ihr verfaßten Literaturproduktion abgelesen werden, sondern diese müßte gewichtet werden nach den jeweils angesprochenen Rezipienten (national/international) und danach, wieweit diese Veröffentlichungen tatsächlich international rezipiert werden“.

Hierzu liegen bislang aber noch keine zuverlässigen Daten vor.

4.

Gründe

4.1. Sucht man nach Erklärungen für die Dominanz des Englischen in der wissenschaftlichen Fachkommunikation, so ist zunächst evident, daß Englisch diese Position einnimmt, weil es (nach dem Mandarin) die Sprache mit den meisten Muttersprachlern ist und der größte Teil der Wissenschaftler heute aus dem anglophonen Raum kommt. Erklärt ist damit freilich nicht, warum Englisch auch für Nichtmuttersprachler zur lingua franca geworden ist, d. h. „mehr als jede andere Sprache […] als Zweit- oder Fremdsprache benutzt“ (Knapp 1990, 20) wird. Den ersten Versuch, Faktoren der Ausbreitung einer Sprache als Weltsprache zu systematisieren, hat ⫺ so Knapp (1990, 23 f) ⫺ L. F. Brosnahan in seinem Artikel “Some historical cases of language imposition” im Jahre 1963 unternommen. Brosnahan nennt als entscheidende Faktoren (1) militärische (Eroberung), (2) Fremdherrschaft/Kolonialisierung (und deren Dauer), (3) sprachliche Heterogenität der unterworfenen Bevölkerung und (4) (materielle/soziale) Vorteile durch das Erlernen der Sprache der Herrscher (zitiert nach Knapp 1990, 24). J. A. Fishman et al. führen grundsätzlich zu diesen Faktoren in ihrer Monographie “The Rise and Fall of Ethnic Rivival” (1985) weitere Einflußgrößen an: (5) Verstädterung, (6) wirtschaftliche Entwicklung, (7) Entwicklung des Bildungssystems, (8) Religion(en) der Bevölkerung und (9) Zugehörigkeit zu einem weltpolitischen Lager (zitiert nach Knapp 1990, 24). Trotz einer gewissen Plausibilität findet Knapp (1990, 24) diese Systematisierungen von Brosnahan und Fishman et al. unzureichend, wenn es um die Erklärung geht,

834 warum Englisch „in entwickelteren Ländern in dem heute zu beobachtenden Ausmaß verbreitet ist“. Zusätzliche Erklärung bieten hier die von Finegan (1987, 79) angegebenen Faktoren, der u. a. komplexe historische und ökonomische Aspekte sowie „social prestige“ nennt, aber auch sprachbedingte Vorteile des Englischen (“the simplicity of English inflections and the cosmopolitian character of its vocabulary”) anführt. 4.2. Als relativ unumstritten in der einschlägigen Literatur gilt die Einschätzung, „daß sich die Weltgeltung des Englischen heute den USA verdankt“ (Knapp 1990, 23). Gemeint ist damit nicht nur die politische und ökonomische Macht der USA, sondern auch die Übermacht der amerikanischen Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg (als Indikator nennt Ammon 1994 a, 47 die Anzahl der Nobelpreise). „Da die Konkurrenzfähigkeit einer Volkswirtschaft zu einem großen Teil von der raschen wirtschaftlichen Nutzung technologischer Innovationen abhängt, ist es naheliegend, die Sprache des Landes zu lernen, in dem die fortgeschrittenste wissenschaftliche Forschung betrieben wird, um an den Ergebnissen dieser Forschung zu partizipieren. Dieses Land sind die USA, in denen mehr als 50% des Forschungspotentials der westlichen Welt lokalisiert sind […]“ (Knapp 1990, 26).

Das überwältigende Forschungspotential der USA und die Marktgesetze, denen auch wissenschaftliche Publikationen unterliegen, führen zunehmend dazu, daß einerseits neueste Forschungsergebnisse nur noch über das Englische rezipiert werden können, andererseits die Produktion von neuen Kenntnissen und Erkenntnissen ebenfalls an das Englische gebunden ist, wenn man ein ausreichend großes und fachkompetentes Publikum ansprechen will (vgl. u. a. Lienert 1977, 488). Die Spitzenforschung spricht heute eben Englisch (Knapp 1989, 48), und „die sicherste Publizität versprechen amerikanische Zeitschriften“ (Becker 1980, 370). Der heutige Wissenschaftsbetrieb scheint die Existenz einer lingua franca geradezu erforderlich zu machen, da Forschung sich immer stärker international verflicht und die wachsende Spezialisierung dazu führt, „daß so mancher Wissenschaftler im eigenen Land (wenn es ein kleines wie die Bundesrepublik ist) nur noch eine Handvoll Kollegen kennt, die an genau den gleichen Problemen interessiert sind wie er, und daß es auf der ganzen Welt vielleicht nur wenige Hundert sind“ (Skudlik 1988, 105;

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

vgl. auch Knapp 1990, 33). Wissenschaftliche Abhandlungen mit sehr hohem Fachlichkeitsgrad haben so oftmals nur eine reale Chance, publiziert zu werden, wenn sie auf englisch abgefaßt sind. In einem besonderen Maße gilt dies für Fachzeitschriften, bei denen aufgrund ökonomischer Faktoren der Spezialisierungsgrad im anglo-amerikanischen Bereich viel größer als z. B. im deutschsprachigen Raum ist. Einen empirischen Nachweis dafür hat Skudlik (1991, 393) durch ihre Auswertung von Ulrich’s International Periodicals Directory geliefert: “The more specialized, the more English, one could say. The opposite is to be noticed for German. It simply has no importance at all in the highly specialized fields of chemistry and biology!”

Wissenschaftliche Publikationen fungieren in zunehmendem Maße als Ware auf dem Weltmarkt, so daß Wissenschaft (als Welthandelsware) weitgehend den Regeln von Angebot und Nachfrage unterliegt (Lienert 1977, 490⫺ 491). Verlage und wissenschaftliche Zeitschriften nennen als Gründe für die Wahl des Englischen als Publikationssprache das allgemeine Prestige des Englischen und die Möglichkeit, einen größeren Leserkreis anzusprechen (vgl. Traxel 1975, 586⫺587). Ähnliche handfeste (wirtschaftliche) Interessen waren bereits bei dem Übergang vom Gelehrtenlatein zu den Nationalsprachen von großer Bedeutung: Nach Erfindung der Druckkunst wollten sich Drucker und Verleger mit ihren Erzeugnissen an ein möglichst breites Publikum wenden, so daß die damalige neue Technik als „ein einschneidender Faktor“ im Übergangsprozeß zu den Nationalsprachen angesehen werden kann (Skudlik 1988, 88). Ebenso einschneidend (im Übergangsprozeß von den Nationalsprachen zum Englischen als lingua franca der Wissenschaften) könnte der sich anbahnende Übergang von den traditionellen Printmedien zu CD-ROM-Produkten werden. Da in dieser neuen Branche die direkten Produktionskosten der (multimedialen) Erzeugnisse zwar sehr niedrig, die Entwicklungskosten aber enorm hoch sind, ist zu vermuten, daß (anders als bei der Einführung der Druckkunst) nicht mit einer weiteren Orientierung auf die Nationalsprachen zu rechnen ist, sondern im Gegenteil eine lingua franca sogar zur Bedingung für die wirtschaftliche Nutzung neuer Kommunikationsund Informationstechnologien wird. 4.3. Neben ökonomischen Faktoren werden für die Dominanz des Englischen auch

86. Die Stellung der englischen Wissenschaftssprachen in der Welt

sprachbedingte Vorteile, wie z. B. die leichte Lernbarkeit und eine besondere „Adaptabilität an Substratsprachen“ (Knapp 1990, 30), der große Wortschatz und der Charakter als „Mischung aus Elementen der meisten Weltsprachen“ (Berlitz 1982, 351) sowie die einfache Grammatik genannt (Berlitz 1982, 353; vgl. des weiteren Finegan 1987, 82). Berlitz konstatiert, daß „Sprachen die Tendenz zeigen, im Lauf der Zeit durch ausgedehnten Gebrauch einfacher zu werden. Mit anderen Worten, je mehr Menschen eine Sprache sprechen, desto einfacher wird sie“ (Berlitz 1982, 353). Aus fachwissenschaftlicher Sicht meint Lippert (1985, 42), daß die Stellung des Englischen sogar erst möglich wurde, weil es „in besonderem Maße geeignet ist, naturwissenschaftliche Probleme schlicht und klar auszudrücken“. Bei solchen und ähnlichen Argumenten handelt es sich freilich meistens „weniger um linguistische Fakten als um Urteile von Laien“ (Knapp 1990, 28), und „die meisten der angeblich besonderen sprachlichen Vorzüge des Englischen halten wissenschaftlicher Betrachtung nicht Stand“ (Knapp 1990, 30). Bislang liegen jedenfalls keine Untersuchungsergebnisse vor, die eine leichtere Lernbarkeit des Englischen gegenüber anderen Sprachen beweisen, und es mangelt an einer überzeugenden Argumentation für die angenommene strukturelle Einfachheit des Englischen. Nachgewiesen ist lediglich die Größe des Wortschatzes im Englischen, wobei aber z. B. im Hinblick auf die Möglichkeiten der Terminusbildung auch Probleme für das Englische bestehen. Genannt sei hier u. a., daß im Englischen die Aneignung neuer (Fach-)Lexik schwerer sein kann als im Deutschen, da im Englischen immer wieder neue Worteinheiten gelernt werden müssen, im Deutschen hingegen frequent Prä- und Suffixe sowie Komposita genutzt werden. 4.4. Außer den bereits genannten Gründen für die Dominanz des Englischen spielen sicher auch Faktoren wie Status und Prestige eine Rolle, denen hier aber nicht weiter nachgegangen werden soll. Anzunehmen ist jedenfalls, daß auch für den Wissenschaftsbereich folgende Feststellung Gültigkeit hat: „Der Zeitgeist spricht Englisch, und mit ihm zu sein, bringt affektiven Gewinn“ (Knapp 1990, 27). Insgesamt ist es in der vorliegenden Forschungsliteratur zum Englischen als lingua franca noch nicht gelungen, die Gründe für die Dominanz des Englischen durch empiri-

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sche Untersuchungen hinreichend zu erfassen (richtungsweisend ist die Befragung von Tatje 1992, 80). Knapp (1990, 23) weist darauf hin, daß sich die Identifizierung und zuverlässige Gewichtung der genannten Faktoren als sehr kompliziert erweist. Monokausale Erklärungen allein können jedenfalls nicht greifen, wie sie mitunter ⫺ z. B. aus deutscher Sicht ⫺ durch den Hinweis auf den verlorenen Zweiten Weltkrieg gegeben werden. Unter Hinweis auf die Hunnen und Mongolen zeigt Ammon, daß militärische Stärke in keiner Weise für die Etablierung einer lingua franca ausreicht: “Economic strength, often accompanied by scientific and cultural prominence, seem to be the most important factors in establishing and maintaining an IL” (Ammon 1994 b, 1729; IL steht als Abkürzung für ,international language‘).

5.

Kritik

5.1. Vom Übergangsprozeß zum Englischen als lingua franca der Wissenschaften sind die zurückbleibenden Nationalsprachen, der wissenschaftliche Kommunikations- und Erkenntnisprozeß sowie das Englische selbst betroffen. Als Gefahr sei hier zunächst und an erster Stelle die Möglichkeit einer durch die englische Sprache und die anglo-amerikanische Kultur standardisierten und damit monokulturellen Forschungspraxis genannt, in der kein Platz mehr für eigenkulturelle Denk-, Argumentations- und Darstellungsstile bleibt. 5.2. Für die Nationalsprachen kann die Existenz einer lingua franca zu einer belastenden Diglossie-Situation führen, in der die Verkehrssprache zur Prestigesprache auf Kosten der Entwicklung der einheimischen Sprache wird (vgl. dazu u. a. Knapp 1990, 21). Ein Problem ist dies z. B. in Indien, wo ⫺ nach Podder-Theising (1984, 138 ff) ⫺ Englisch die Bildungssprache ist und auch „das einzige Fenster zur Welt“ darstellt. In der Tendenz kann ein ähnliches Problem allerdings auch in den hochentwickelten Industrieländern entstehen, in denen die Landessprache aufgrund der relativ kleinen Zahl ihrer Sprecher (z. B. in Skandinavien, in einigen osteuropäischen Ländern und in den Niederlanden) zwar wichtigstes Verständigungsmittel in der Binnenkommunikation bleibt, in bestimmten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen sowie in der Forschung aber die ,High-

836 Variante‘, d. h. das Englische, präferiert wird. Für Finnland z. B. sieht Tapaninen (1993, 5) die Gefahr, daß Teile der jungen Generation sich den Wortschatz zum Ausdruck ihrer eigenen emotionalen Erlebniswelt und ihrer Lebenserfahrungen bereits mehr und mehr auf englisch aneignen und darüber hinaus in den Bildungsinstitutionen die Entwicklung der wichtigsten ,Denkwerkzeuge‘ an die englische Sprache gebunden wird. Ähnliches gilt für den jungen Wissenschaftler, der sich die Terminologie seines Spezialgebietes auf englisch aneignet, rhetorische und stilistische Muster dem Englischen entnimmt und schließlich Schwierigkeiten bei der Rückübersetzung in seine Muttersprache hat. Eine fachsprachliche Kompetenz in der Muttersprache ist nicht automatisch und ein für allemal vorhanden, sondern sie muß entwikkelt und gefördert sowie ständig erweitert werden (Stilideale, Terminologie etc.); anderenfalls wird es für den Wissenschaftler einfacher sein, den Forschungs- und Darstellungsprozeß direkt an das Englische zu koppeln, wo die Muster und Konventionen vorhanden, nachlesbar und eingespielt sind. Der Rückübersetzungsprozeß in die Muttersprache ist so tendenziell in Frage gestellt. Ohne diesen besteht aber die Gefahr ⫺ z. B. in der Psychologie ⫺, daß „in der betreffenden nationalen Kultur das überkommene psychologische Überzeugungswissen nicht mehr recht vorankäme und von der internationalen Entwicklung des psychologischen Alltagswissens abgeschnitten würde“ (Heckhausen 1985, 33). Weinrich (1985, 58) appelliert daher an die deutschen auf englisch publizierenden Wissenschaftler in folgender Weise: „Da sie ein kulturelles Umweltproblem schaffen, bleiben sie, auch wenn sie ihren Forschungsergebnissen eine englische Sprachform geben, für die Umsetzung und Übersetzung dieses Wissenschaftsenglisch in gutes Wissenschaftsdeutsch verantwortlich und dürfen diese Aufgabe nicht angestellten Dolmetschern und Hilfskräften überlassen. Das ist insbesondere bei der Begriffsbildung zu bedenken, und kein deutscher Wissenschaftler sollte Beifall für eine englische Begrifflichkeit finden, wenn er sich nicht gleichzeitig Mühe gegeben hat, dafür zu sorgen, daß diese Begriffe in mündliches und schriftliches Wissenschaftsdeutsch gut übertragbar sind. Es gibt daher zu dem oben erläuterten Veröffentlichungsgebot, dem alle Wissenschaftler unterworfen sind, eine anglophone Variante, die in der folgenden Maxime ausgedrückt werden kann: Wenn du deine Forschungsergebnisse in englischer Sprache veröffentlichst, so bist du für die Folgeveröffentlichungen in deutscher Sprache ⫺ bis hin zu den Gymnasialfächern ⫺ mitverantwortlich!“

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

5.3. Selbst wenn es nicht-anglophonen Wissenschaftlern gelänge, sich Englischkenntnisse auf einem so hohen Niveau anzueignen, das sie dazu befähigen würde, gleichberechtigt am internationalen Diskurs in ihrem Fach teilzunehmen, bleibt es dennoch fragwürdig, ob die damit verbundene faktische Einsprachigkeit der internationalen Scientific community mehr Nutzen oder Schaden bringen würde. In der Psychologendiskussion vertrat Traxel (1975, 592 f) den kritischen Standpunkt, daß die Beschränkung auf das Englische letztendlich zum Konformismus, zu Provinzialität sowie zu Rückständigkeit und eben nicht zur angestrebten Internationalität führe; denn problematisch scheint zu sein, unter welchen formalen und inhaltlichen Vorgaben nicht-anglophone Wissenschaftler überhaupt die Chance haben, auf Englisch zu publizieren. Nach einer Hypothese von Clyne (1984, 93) gibt es für das Verfassen wissenschaftlicher Texte und deren Beurteilung verschiedene Konventionen bzw. Kriterien, die in einem starken Maße von der jeweiligen Ausgangskultur abhängen. Wenn ein nichtanglophoner Wissenschaftler in einer internationalen Zeitschrift (mit Englisch als Einheitssprache) zu publizieren beabsichtigt, so reicht es nicht aus, die Terminologie und Grammatik des Englischen zu beherrschen, sondern es ist ebenso wichtig, die Stilvorgaben der jeweiligen Zeitschrift richtig zu treffen (vgl. Skudlik 1991, 403). Dies scheint aber durchaus nicht unproblematisch zu sein; denn nicht-anglophone Autoren verfügen eben nicht über die gleichen ,formal schemata‘ wie Muttersprachler und strukturieren dementsprechend ihre Texte auch nicht wie diese (Swales 1991, 84 ff). Damit sinken ihre Chancen zu publizieren. Hinzu kommt, wie Heckhausen (1985, 34) für die Psychologie feststellt, daß neben den stilistischen auch die „inhaltlichen Anforderungen der US-amerikanischen Fachgesellschaft und der nationalen Psychologie-Tradition“ eingehalten werden müssen, so daß „der endliche Eintritt in den internationalen englischsprechenden Informationsstrom zum Schluß noch mit den Paraphernalien der nationalen amerikanischen Psychologie-Tradition verknüpft“ ist. Die genannten Probleme machen bereits deutlich, daß die Beschränkung auf das Englische als lingua franca in den Wissenschaften zu einem Mangel an Originalität und zu einer Einbuße an Erkenntnisfähigkeit führen kann (Süllwold 1980, 199). Nach Süllwold sind grundsätzliche Zweifel angebracht, ob er-

86. Die Stellung der englischen Wissenschaftssprachen in der Welt

kenntnisfördernde Kommunikation von deutschen Psychologen überhaupt auf Englisch ohne Einbuße geführt werden kann. Am Beispiel der Zeitschrift Psychologische Beiträge weist Traxel (1975, 592) auf die Gefahr hin, daß durch den Wechsel der Sprache und die Anpassung an den nordamerikanischen Markt die Folge auch eine Änderung der inhaltlichen Schwerpunkte sein kann. Ein Hauptproblem sieht er darin, daß verschiedene Sprachen zu unterschiedlichen Denkweisen führen (Traxel 1979, 68), worauf ebenfalls der Tierpsychologe Wickler (1985, 27) hinweist, der seine Bedenken auf folgende Formel bringt: „Einheitssprache und Einheitsbegriffe in den Wissenschaften bergen die Gefahr einseitiger Denkansätze“. Von einem direkten Zusammenhang zwischen Sprache und Denken in den Wissenschaften geht Podder-Theising (1984, 139) im Hinblick auf die Stellung des Englischen in Indien aus: Sie bezweifelt, daß sich bestimmte moderne Theorien überhaupt in indischen Sprachen denken lassen und begründet dies mit dem Wortschatz und der Syntax indischer Sprachen, in denen sich „Seinsvorstellungen und Denkformen einer Kultur“ spiegeln. Mit Vehemenz widerspricht allerdings Gauger (1988, 225) allen Annahmen, „daß eine bestimmte wissenschaftliche Darlegung oder gar bestimmte wissenschaftliche Ergebnisse […] an eine bestimmte Sprache“ gebunden seien; denn alles was sich nur mit den Mitteln einer bestimmten Sprache ausdrükken ließe, wäre letztendlich wissenschaftlich unerheblich. Gegen die These von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sprache und Denken in den Wissenschaften spricht schließlich auch die Wissenschaftsgeschichte. So zeigt z. B. das Wirken von ursprünglich in Deutschland ansässigen Lehrmeinungen, daß trotz der (meist durch Emigration bedingten) Orientierung auf das Englische keineswegs die Werte der ,anglophonen‘ Denktraditionen übernommen wurden, sondern ⫺ im Gegenteil ⫺ diese sogar beeinflußt werden konnten. Die Gefahr einer inhaltlichen Verarmung von Denkansätzen wird letztendlich auch nicht durch das Englische als Sprache verursacht; vielmehr kann die quantitative Übermacht der amerikanischen Forschung und die ökonomische Stärke amerikanischer Verlage und Publikationsorgane als ein wesentlicher Grund für die Entwicklung in Richtung auf eine monokulturelle Forschungsgemeinschaft gesehen werden. Bemerkenswert ist in diesem Zusam-

837

menhang, daß die Wirkung der herrschenden (anglo-amerikanischen) Lehre bisweilen sogar unabhängig von der Sprachenwahl (Knapp 1989, 52) ist; denn der anglo-amerikanische Einfluß (Forschungsmethoden, Stilideal und inhaltlich-konzeptionelle Ausrichtung) kann in vielen Fällen auch dann nachgewiesen werden, wenn in der Muttersprache geschrieben wird. 5.4. In seiner Rolle als lingua franca der Wissenschaften ist das Englische „zweifellos nicht mehr das alleinige Eigentum seiner native speakers“ (Knapp 1990, 37). Ein Hauptproblem der zukünftigen Funktionsfähigkeit des Englischen ist darin zu sehen, daß es weltweit zu einer noch nicht einschätzbaren Entwicklung von divergierenden Varietäten des Englischen kommen wird. Mit anderen Worten: Einerseits kann weltweit ein Trend zur Vereinheitlichung der Kommunikation (hin zum Englischen) festgestellt werden, andererseits kann aber auch ein Trend zur Heterogenisierung dieser Sprache (divergierende Varietätenentwicklung) nicht mehr übersehen werden (Crystal 1987, 357). Weitere Probleme des Englischen als internationale Sprache ergeben sich „zum einen aus unterschiedlichen Graden der Englischbeherrschung der Sprachbenutzer […], zum anderen daraus, daß […] kein einheitlicher, weltweit verbindlicher Standard des Englischen“ existiert, so daß Sprecher ihre eigenkulturellen Konventionen der Sprachverwendung einbringen, die für die Native speaker des Englischen gar nicht typisch sind (Knapp 1984, 4). Ein besonders belastendes Problem für die wissenschaftliche Kommunikation kann darin gesehen werden, daß die Verständigung mittels einer (internationalen) Sprache (als Hilfssprache) grundsätzlich auch hemmende Faktoren in sich birgt und die Präzision der Aussagen einbüßen kann. Hinzu kommt nach Finkenstaedt/Schröder (1990, 41; 43), „daß die in der Funktion der Hilfssprache gebrauchten internationalen Sprachen (Beispiel: das Englische) ihres kulturellen Kontextes weitgehend entkleidet sind. In jedem kommunikativen Ablauf, selbst bei fachsprachlicher Orientierung […] spielt aber die kulturelle Einbettung der Kommunikationspartner eine wichtige Rolle. […] Erst ein weltweites Englischlernen auf hohem kommunikativen Niveau würde die oben geschilderten Hemmnisse in Grenzen halten“.

Ein Beispiel für die Schwierigkeiten in der internationalen wissenschaftlichen Kommuni-

838

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

kation mittels einer dritten Sprache gibt Meyer-Kalkus. Ausgehend von der Kontroverse zwischen Jürgen Habermas und Jacques Derrida (die über das amerikanische Englisch erfolgte) stellt Meyer-Kalkus (1990, 696) die Frage: „Könnte sich dabei herausstellen, daß man einfach aneinander vorbeireden und -schreiben mußte, weil die diskursiven Voraussetzungen für einen Dialog auf ganz elementarer Ebene, in Stil, Verhaltensformen und Adressatenorientiertheit, nicht gegeben waren?“

Meyer-Kalkus sieht die Voraussetzungen des Streits zwischen Habermas und Derrida noch in nationalen Sprach- und Wissenskulturen, die aber schon international geworden sind: „Das binationale deutsch-französische Bezugssystem ist auf das Magnetfeld der angelsächsischen Scientific Community hin orientiert. […] Weniger und weniger, so scheint es, können und wollen die Geistes- und Sozialwissenschaften beider Länder sich dem Integrationsdruck durch das Englische als universellem Kommunikationsmedium entziehen“ (Meyer-Kalkus 1990, 696).

6.

Ausblick

Es sollte dargestellt werden, daß die lingua franca Englisch im Hinblick auf die kommunikative Funktion von Sprache eine wichtige und positive Rolle zugleich spielt, indem ein schneller Austausch von Informationen und Meinungen erreicht wird. In Zweifel bleibt allerdings, ob sie auch hinsichtlich der kognitiven Funktion von Sprache für den Forschungsprozeß mehr Nutzen als Schaden bringt. Zu beachten bleibt, daß das Englische als Wissenschaftssprache in keiner Weise „mit der lingua franca des Mittelalters, dem Latein, zu vergleichen“ ist: Da das Latein im Mittelalter keine lebende Nationalsprache war, „konnte es sich der Schlacken nationaler Kultur entledigen, um als ,tote Sprache‘ ganz Wissenschaftssprache zu werden“ (Heckhausen 1985, 35). Das Dilemma des Englischen kann vielleicht gerade darin gesehen werden, daß es sich zwecks weiterer Verbreitung und Eignung als internationale Verkehrssprache in Wissenschaft und Forschung immer mehr von seinem kulturellen Kontext entfernt und damit gleichzeitig die notwendige Rückkopplung zum kulturellen Umfeld der Wissenschaftler erschwert. Schließlich bleibt offen, ob es überhaupt möglich ist, in den nicht-anglophonen Ländern zugleich fachlich kompetente und bilinguale Mitglieder der Scientific

community auszubilden oder ob das Ergebnis in der Breite letztendlich doch nur „sprachlose Waisen“ (Tapaninen 1993, 5) wären. Eine mögliche Alternative könnte eine konsequente (zumindest rezeptive) Mehrsprachigkeit (Finkenstaedt/Schröder 1990, 17) sein, durch die „dem auf Ideenvielfalt und Originalität gegründeten Fortschritt“ der Wissenschaft vielleicht eher gedient wird als durch die Einführung einer universellen Wissenschaftssprache (Süllwold 1980, 203). Ich danke meinen Mitarbeitern Dagmar Zimmer und Mika Kallio an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und an der Universität Vaasa für die Unterstützung bei den Recherchen und der Literaturauswertung.

7.

Literatur (in Auswahl)

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839

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840

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

rich Ammon und Marlis Hellinger. Berlin. New York 1991, 391⫺407. Smith 1983 ⫽ Larry E. Smith (Hrsg.): English as an International Language. Oxford 1983. Social Sciences Citation Index 1992. Journal Citation Reports 1992. Philadelphia/Pennsylvania: Institute for Scientific Information. Süllwold 1980 ⫽ Fritz Süllwold: Wissenschaftssprache und Originalität. In: Psychologische Beiträge 22. 1980, 191⫺203. Swales 1991 ⫽ John M. Swales: Genre Analysis. English in Academic and Research Settings. Ann Arbor/Michigan 1991. Tapaninen 1993 ⫽ Jaakko Tapaninen: Kieli on mieli. In: Kielikello. Kielenhuollon tiedotuslehti. Kotimaisten kielten tutkimuskeskus 4. 1993, 3⫺7. Tatje 1990 ⫽ Rolf Tatje: Sprachen in Europa: Gegenwart. Entwicklungstendenzen. Sprachpolitische Konsequenzen. In: Bulletin der Gesellschaft für Angewandte Linguistik 12. 1990, 38⫺55. Tatje 1992 ⫽ Rolf Tatje: Fachsprachliche Kommunikation: Zum Status des Deutschen, Englischen und Französischen als Wissenschafts- und Publikationssprachen in der Mineralogie. In: Beiträge zur Fachsprachenforschung. Sprache in Wissenschaft

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Hartmut Schröder, Frankfurt (Oder)

87. Das Englische als Fachsprache in internationalen Institutionen des 20. Jahrhunderts 1. 2. 3. 4. 5.

Einleitung Probleme des Gegenstandsbereichs Situation Tendenzen Literatur (in Auswahl)

1.

Einleitung

Wie keine Zeit der Weltgeschichte zuvor ist das 20. Jh. durch eine Zunahme internationaler Zusammenarbeit charakterisiert. Als im Jahr 1908 das Office Central des Institutions Internationales ⫺ 1907 gegründet mit dem Ziel, die weltweite Zusammenarbeit insbesondere zwischen nicht-regierungsabhängigen Institutionen, Organisationen und Vereinigungen zu fördern ⫺ erstmals das Annuaire de la Vie Internationale herausgab, enthielt diese Publikation Informationen über die damals bekannten knapp 200 international operierenden Körperschaften aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Der Jahrgangsband 1993/94 des Yearbook of International Organizations, herausgegeben von

der Nachfolgeorganisation Union of International Organizations, enthält 34.004 Einträge zu internationalen Körperschaften, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit Hinweis darauf, daß deren Zahl seit 1985 jährlich um 15% angestiegen ist (Judge 1994). Schon für die relativ kleine Zahl internationaler Institutionen zu Beginn dieses Jahrhunderts stellte die Wahl eines gemeinsamen Kommunikationsmediums ein zentrales Problem dar. Beim ersten Welt-Kongreß der Union des Associations Internationales 1910 in Brüssel war die Einführung international gültiger Regelungen für die Definition wissenschaftlicher und technischer Terminologie auf der Basis allein der deutschen, englischen, französischen, italienischen und lateinischen Sprache ein wichtiger Punkt der Tagesordnung (Congre`s Mondial 1913, 14). Über diese Festlegung international zulässiger Fachbegriffe hinaus beauftragte der Kongreß ein wissenschaftliches Komitee damit, einen begründeten Vorschlag für eine internationale Hilfssprache zu erarbeiten. In seinem Bericht

87. Das Englische als Fachsprache in internationalen Institutionen des 20. Jh.

kam es zu dem Ergebnis, daß dafür angesichts ihrer weltweiten politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bedeutung nur das Französische, Englische und Deutsche infrage kommen könnten, die allein auch als offizielle Sprachen internationaler Organisationen anerkannt werden sollten. Für konkrete internationale Kontakte sollte jedoch nur das Französische benutzt werden, da diese Sprache wegen ihrer Schönheit und ihrer Literatur ein hohes Prestige besitze, weltweit in der Diplomatie und in einigen internationalen Institutionen bereits als einzige offizielle Sprache in Gebrauch und als Fremdsprache am weitesten verbreitet sei und da die meisten internationalen Organisationen ihren Sitz in frankophonen Staaten hätten (Comite´ 1911). So überzeugend diese Kriterien zu der damaligen Zeit auch gewesen sein mögen ⫺ sie hatten keinen langen Bestand. Denn seit den Zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts befindet sich das Französische als internationale Sprache auf dem Rückzug, und heute hat das Englische die damals für das Französische angestrebte Quasi-Monopolstellung als Fach- und Hilfssprache in internationalen Organisationen übernommen. Die folgenden Ausführungen wollen diese Stellung exemplarisch beschreiben, Gründe für seine Dominanz nennen und Tendenzen der Entwicklung des Status des Englischen in internationalen Institutionen aufzeigen.

2.

Probleme des Gegenstandsbereichs

Eine Erörterung der Rolle des Englischen als Fach- und Hilfssprache in internationalen Institutionen ist mit zahlreichen Problemen verbunden, von denen die folgenden hier kurz herausgehoben werden sollen: Anders als im Bereich der Wissenschaftssprache (vgl. auch Art. 85) liegt nur sehr wenig Literatur zu dieser Thematik vor. Eine Ausnahme hiervon stellt lediglich die Sprachenproblematik in der Europäischen Union (EU, bis November 1993 als Europäische Gemeinschaft (EG) bekannt) dar, zu der inzwischen viel publiziert wurde (vgl. z. B. die Arbeiten in Sociolinguistica 1991; Sociolinguistica 1994; Born/Stikkel 1993; Coulmas 1991 a). Zwar gibt es zahlreiche Nachschlagewerke und Übersichten, die Aussagen über die in anderen internationalen Institutionen, Organisationen und Vereinigungen verwendeten Sprachen machen (z. B. die aktuellen Ausgaben des Yearbook of International Organizations, des Fischer WeltAlmanachs; Banks et al. 1987), doch sind diese Informationen nur selten uneinge-

841

schränkt brauchbar. Zum einen sind die dort gemachten Angaben häufig nicht differenziert genug hinsichtlich der verschiedenen Funktionen, die eine Sprache ⫺ hier speziell das Englische ⫺ in einer Institution einnehmen kann, zum anderen geben sie nur selten den tatsächlichen Umfang der Verwendung einer Sprache in einer bestimmten Funktion zuverlässig wieder. 2.1. In internationalen Organisationen, in denen Mitglieder aus verschiedenen Sprachgemeinschaften dauerhaft zusammenarbeiten, kann man die zu verwendenden Sprachen nicht in jedem Zusammentreffen neu aushandeln. Deshalb werden eine oder mehrere Sprachen satzungsgemäß als offizielle Sprachen oder Amtssprachen der betreffenden Institution festgelegt, die ausschließlich in den Zusammenkünften ihrer Mitglieder, in ihren Gremien, Dokumenten und der alltäglichen Arbeit ihrer Organe benutzt werden dürfen. Die Verwendung dieser Sprachen ist damit rechtlich abgesichert. In größeren Organisationen, die wie etwa die Vereinten Nationen (UN) mehrere offizielle Sprachen haben, wird gewöhnlich aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen für die praktische Tätigkeit der Organe eine Teilmenge der offiziellen Sprachen als Arbeitssprache(n) ausgewählt. In der Praxis der UN bedeutet dies z. B., daß die offiziellen Sprachen allgemein verwendet werden dürfen, daß aber nicht alle Sprachen in sie übersetzt und gedolmetscht werden müssen. Dagegen müssen alle anderen Sprachen in die Arbeitssprachen übersetzt und gedolmetscht werden (vgl. Ammon 1991, 300 f). Die Begriffe offizielle Sprache und Arbeitssprache werden allerdings nicht überall gleich definiert. So verwenden die Statuten des Europarats diese Termini genau umgekehrt zur hier genannten gängigen Unterscheidung (vgl. Ammon 1991, 309). Wenn die wichtigsten offiziellen Schriftstücke einer Organisation in eine nicht-offizielle Sprache übersetzt werden, spricht man von einer Dokumentensprache. Diese Funktion hat z. B. das Deutsche in der Generalversammlung, im Sicherheitsrat und im Wirtschafts- und Sozialrat der UN (zum Terminus Dokumentensprache vgl. Paque´ 1980). Als Resultate der Arbeit einer internationalen Institution werden jedoch nicht nur deren institutionelle Regelungen und Ergebnisse der Verhandlungen zwischen ihren Mitgliedern publiziert, sondern auch Texte, die den Ertrag der konkreten Aktivitäten dieser

842 Institution ⫺ z. B. Dokumentationen, Statistiken oder Forschungsergebnisse ⫺ gegenüber einem einschlägigen Fachpublikum verbreiten oder die der Öffentlichkeitsarbeit dienen sollen. Über die Dokumentensprache hinaus sind als Funktionen geschriebener Sprache noch die Publikationssprachen und die Publizitäts-Sprachen zu unterscheiden. Diese sind nicht immer in den offiziellen oder in den Arbeitssprachen enthalten. Letzteres gilt auch für die überwiegend mündlich verwendeten Einsatzsprachen, die besonders z. B. für die Arbeit von großen humanitären Organisationen bei Hilfs- und Entwicklungsprojekten vor Ort relevant sind. Üblicherweise werden dafür die jeweiligen lokalen Sprachen oder eine in der Region verbreitete lingua franca gebraucht. Letztere kann dabei mit einer offiziellen Sprache oder einer Arbeitssprache der jeweiligen Institution ⫺ z. B. Englisch ⫺ identisch sein, was die Bedeutung dieser Sprache für die Institution wiederum erhöht. Schließlich kann eine Sprache in einer Institution auch deshalb eine wichtige Funktion einnehmen, weil sie die lokale Sprache des Institutionssitzes ist. Die lokale Sprache des Institutionssitzes kann die Wahl von offiziellen Sprachen und von Arbeitssprachen beeinflussen. Es vereinfacht z. B. die Arbeit, wenn das professionelle Personal in der internen Kommunikation mit nicht-professionellem Personal (z. B. Verwaltung, technische Dienste u. ä.) mit Muttersprachlern einer der Arbeitssprachen zu tun hat. Naturgemäß ist der Status einer Sprache in einer internationalen Institution umso größer, je mehr dieser Funktionen auf sie entfallen, insbesondere, wenn sie die (oder zumindest eine) Arbeitssprache ist und als Publikationssprache benutzt wird. Diese beiden Funktionen machen die in einem engeren Sinne professionelle Sprachverwendung in einer Institution aus, für die auch der Terminus Fachsprache verwendet werden kann.

2.2. Um den Status der englischen Sprache in internationalen Institutionen zuverlässig einschätzen zu können, ist es nicht allein notwendig zu bestimmen, in welchen Funktionen das Englische in einer solchen Körperschaft jeweils vorkommt, sondern auch, welchen Anteil es am gesamten Kommunikationsaufkommen der betreffenden Institution hat. Dies ist wichtig gerade bei großen Institutionen, in denen neben dem Englischen auch noch andere offizielle Arbeits- und Publikationssprachen in Gebrauch sind. Dazu durch empirische Untersuchungen reliable Daten zu erhalten, ist forschungsmethodisch

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik schwierig (vgl. z. B. Ammon 1993). Andererseits geben offizielle Aussagen einer Institution zu den in ihr gebrauchten Sprachen wegen der häufig unter ihren Angehörigen gegebenen Interessen und Affekte gegenüber der Sprachenproblematik ⫺ insbesondere mit Blick auf die politische Symbolwirkung der Sprachenwahl ⫺ die tatsächliche Stellung einer Sprache in dieser Institution nur selten realistisch wieder. Die folgende Darstellung der Situation des Englischen stützt sich deshalb so weit wie möglich auf Forschungsliteratur. Wo solche nicht vorliegt, werden im folgenden nur Institutionen berücksichtigt, deren offizielle Angaben zur Stellung des Englischen durch Befragungen von Personen kontrolliert werden konnten, die als Mitarbeiter, Verhandlungspartner usw. mit der sprachlichen Situation der jeweiligen Institution vertraut sind. Gleichwohl muß eine gewisse Unsicherheit der nachfolgenden Angaben in Kauf genommen werden.

3.

Situation

3.1. Für den gegenwärtigen Status des Englischen in internationalen politischen Institutionen stellt seine Anerkennung als eine der offiziellen Sprachen des Völkerbundes zweifellos einen entscheidenden Schritt dar. Der Völkerbund mit Sitz in Genf entstand als eine Konsequenz des Versailler Vertrages von 1919, dessen erste 26 Artikel zugleich die Satzung des Völkerbundes bildeten. In ihr wurden auch Französisch und Englisch als die einzigen offiziellen Sprachen festgelegt ⫺ eine Konsequenz der Tatsache, daß vor allem auf Betreiben der USA und Großbritanniens, den eigentlichen Siegern des I. Weltkrieges, und gegen den erbitterten Widerstand Frankreichs neben Französisch auch Englisch als Verhandlungssprachen von Versailles akzeptiert worden war (Ostrower 1965, 360⫺371). Damit war die bisherige Vorherrschaft des Französischen als Sprache der Diplomatie in einer besonders prestigeträchtigen Situation durchbrochen. Englisch und Französisch blieben während der ganzen Zeit seiner Existenz (von 1920 bis 1945) die einzigen offiziellen Sprachen und zugleich Arbeitssprachen des Völkerbundes. Als lokale Sprache des Institutionssitzes war das Französische allerdings als Arbeitssprache dominant (Haeberli 1954). Für die Nachfolgeorganisation des Völkerbundes, die Vereinten Nationen (UN), gilt diese Dominanz nicht mehr. Bei ihrer Gründungskonferenz 1945 in San Francisco wurden fünf Sprachen als offizielle Sprachen festgelegt: Englisch, Französisch, Spanisch, Rus-

87. Das Englische als Fachsprache in internationalen Institutionen des 20. Jh.

sisch und Chinesisch; 1973 kam Arabisch hinzu. Arbeitssprachen waren von Anfang an Englisch und Französisch, ab 1948 auch Spanisch (Ostrower 1965, 407⫺427). Inzwischen jedoch sind alle 6 offiziellen Sprachen auch Arbeitssprachen in dem Sinne, daß von jeder dieser Sprachen in jede gedolmetscht wird und daß alle Dokumente in diesen Sprachen erscheinen (Paque´ 1980, 65). Allerdings gilt dies nur für die 6 Hauptorgane der UN (Generalversammlung, Sicherheitsrat, Wirtschafts- und Sozialrat, Treuhandrat, Internationaler Gerichtshof und Generalsekretariat). In den zahlreichen Sonderorganen und Programmen, Sonderorganisationen (Specialized Agencies) und autonomen Organisationen im UN-Verband bleibt die Unterscheidung zwischen Arbeitssprachen (zumeist Englisch, Französisch und Spanisch) und nur offiziellen Sprachen (meist Russisch, Chinesisch und Arabisch) jedoch bestehen. Allerdings gelten in diesen Institutionen überwiegend eigene, von denen der Hauptorgane unabhängige Regelungen hinsichtlich der Sprachenwahl (für einen Überblick s. Tabory 1980).

Die Funktion des Englischen als Amts- und Arbeitssprache gibt seine tatsächliche Stellung in den Hauptorganen der UN nur unzureichend wieder, denn auch als Konsequenz der Tatsache, daß Englisch die lokale Sprache des Institutionssitzes ist, dominiert es als lingua franca in der alltäglichen Arbeit. Als Indikator der Dominanz des Englischen in den UN kann auch die Auflagenhöhe der UN-Publikationen angesehen werden, die für die englischsprachigen Ausgaben höher ist als für alle anderen offiziellen Sprachen zusammen. Auch in größeren regional orientierten politischen Organisationen ist diese Dominanz anzutreffen. Die Arbeitssprachen der 53 Mitglieder der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) mit Sitz in Addis Abeba sind Englisch, Französisch und Arabisch ⫺ also keine autochthone afrikanische Sprache. Publikationssprachen sind allein die Sprachen der ehemaligen Kolonialmächte, Englisch und Französisch, und da die Zahl ehemals britischer Kolonien unter den Mitgliedsstaaten, in denen Englisch als intranationales Verständigungsmittel fungiert, die der frankophonen und arabischsprachigen Mitglieder weit überragt, herrscht Englisch in der internen Kommunikation der OAS vor. Nicht so sehr die Zahl englischsprachiger Mitgliedsstaaten als vielmehr das politische Gewicht der USA und der Organisationssitz in Washington sind ausschlaggebend dafür,

843

daß das Englische neben dem Spanischen auch im Arbeitsalltag der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine herausragende Stellung einnimmt, der mit Ausnahme Kubas alle 34 unabhängigen amerikanischen Staaten angehören. Offizielle Sprachen, in denen Dokumente veröffentlicht werden, sind mit Englisch, Spanisch, Portugiesisch und (im Falle Haitis) Französisch die Sprachen aller Mitglieder; Publikationssprachen der Jahrbücher, Arbeits- und Konferenzberichte der OAS sind Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Im Fall des Verbands Südostasiatischer Staaten (ASEAN), in dem Englisch die einzige Amts- und Arbeitssprache ist, ist es in keinem der 6 Mitgliedsstaaten eine Muttersprache, hat aber in dreien als koloniale Erbschaft eine Funktion als intranationale Verkehrssprache. Daß die Funktion des Englischen als internationale und regionale lingua franca für diese Sprachenwahl ausschlaggebend war, zeigt sich in Veröffentlichungen des Regional English Language Center (RELC), das 1968 von der South East Asian Ministers of Education Organization (SEAMEO) ⫺ der außer Laos und Kambodscha die gleichen Gründungsmitglieder angehörten wie der ASEAN-Gruppe ⫺ mit dem Ziel in Singapur etabliert wurde, zur Förderung der regionalen und internationalen Kommunikation den Englischunterricht in den Mitgliedsländern zu verbessern (Pattayang 1968). Eine koloniale Vergangenheit hat das Englische in den meisten der 21 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga (AL), aber keine Funktion als intranationale Verkehrssprache. Gleichwohl ist es hier allein neben dem Arabischen Arbeitssprache und Publikationssprache, nicht jedoch Französisch, das Kolonialsprache bei den AL-Mitgliedern Algerien, Marokko und Tunesien war. Auch für den Status das Englische in der AL ist seine Rolle als Sprache der ehemaligen Kolonialmacht weniger ausschlaggebend als vielmehr die Tatsache, daß die politische Außenwirkung der AL es erfordert, ihre Deklarationen und Dokumente der Weltöffentlichkeit auch in einer außerhalb des Arabischen Lagers gebrauchten Sprache der internationalen Diplomatie zugänglich zu machen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie sich der Status des Französischen in diesem Jahrhundert zugunsten des Englischen verschlechtert hat. Dies gilt naturgemäß weniger in europäischen internationalen Institutionen. Eine effiziente Kommunikation in den Organen des

844 (Ende 1994) 31 Mitgliedstaaten umfassenden Europarats setzt eine Einschränkung der Sprachen voraus, in denen kommuniziert werden kann. Offizielle Sprachen des Europarates (im oben eingeführten Sinn) sind Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Sie werden in der Parlamentarischen Versammlung benutzt. Arbeitssprachen (wie oben definiert) in allen anderen Organen des Europarats sind jedoch allein Englisch und Französisch. Als lokale Sprache des Institutssitzes in Straßburg überwiegt in der internen Kommunikation das Französische. Auch für die Europäische Union (EU) mit ihren inzwischen 15 Mitgliedern und 11 Sprachen läge eine Beschränkung auf wenige Amts- und Arbeitssprachen nahe. Doch das ist bisher nicht geschehen und auch für die nähere Zukunft unwahrscheinlich ⫺ zu groß erscheinen die nationalen politischen Empfindlichkeiten, die bei den Verlierern der bisherigen Gleichbehandlung aller Nationalsprachen der Mitgliedsländer befürchtet werden (Coulmas 1991 c). Die Ursache dieses Problems hängt mit der Gründungsgeschichte der EU zusammen, die ⫺ zunächst unter der Bezeichnung EG ⫺ aus der mit den Römischen Verträgen von 1957 ins Leben gerufenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Euratom und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl entstanden ist. In den Römischen Verträgen wurde festgelegt, daß die Amtssprachen der sechs Gründungsmitglieder (Belgien, BR Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande), zugleich auch Amts- und Arbeitssprachen der Gemeinschaft sein sollten, also Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch. Mit den Erweiterungen der EG (Beitritt Dänemarks, Großbritanniens und Irlands 1973, Beitritt Griechenlands 1981, Beitritt Spaniens und Portugals 1986) wurden aus Gründen der Gleichbehandlung der neuen Mitglieder Dänisch, Englisch, Griechisch, Portugiesisch und Spanisch ebenfalls der Status von Amts- und Arbeitssprachen der Gemeinschaft zuerkannt. Der Beitritt Schwedens, Finnlands und Österreichs (1994/95) ergänzt diese Liste um Schwedisch und Finnisch. Diese dann 11 Amts- und Arbeitssprachen gelten für alle Organe der EU, mit Ausnahme des Europäischen Gerichtshofs, bei dem zusätzlich noch das Irische (Gälisch) zulässig ist. Da alle Dokumente der EU in alle Sprachen zu übersetzen sind ⫺ im Falle des Europäischen Parlamentes auch alle mündlichen Debattenbei-

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

träge in alle Sprachen zu dolmetschen ⫺ ist für die Bewältigung der Sprachenvielfalt ein riesiger Sprachendienst notwendig, der bis zu 60% der Verwaltungskosten des jeweiligen EU-Organs verschlingt. Allerdings entspricht keinesfalls die gesamte kommunikative Praxis der EU-Organe dem Grundsatz der Statusgleichheit aller der Amts- und Arbeitssprachen. Vom Anbeginn der Gemeinschaft an dominierte das Französische im Verwaltungsalltag. Man kann dies auch von den Organisationsstrukturen und den Titeln der Funktionäre ablesen, die nach französischen Vorbildern gebildet sind. Seit dem Beitritt Großbritanniens und Irlands geht diese privilegierte Stellung jedoch zugunsten des Englischen zurück. Haselhuber (1991) und Gehnen (1991) weisen auf, daß das Englische das Französische in der Verwendungshäufigkeit bei der internen mündlichen und schriftlichen Kommunikation der EU-Organe zwar noch nicht erreicht hat, ihm aber schon recht nahe kommt. Diese Untersuchungen lassen auch erkennen, daß Englisch unter den Nachwuchskräften populärer ist, was in der Zukunft sicher zu seiner weiteren Zunahme in der EU-internen Kommunikation führen dürfte. Ohnehin dreht sich der gegenwärtig noch bestehende Abstand zum Französischen bei der Sprachenwahl zugunsten des Englischen um, wenn EU-Organe nicht intern oder miteinander kommunizieren, sondern wenn die Kommunikation mit Individuen, Institutionen und Organisationen außerhalb der EU stattfindet (Schlossmacher 1994). Damit scheinen außerhalb der EU verbreitete Sprachwahlmuster zunehmend auch in die EU hineinzuwirken. Insofern spricht vieles dafür, daß die EU ihren Sonderstatus als derzeit noch einzige größere internationale Institution, die nicht primär in Englisch funktioniert (Tugendhat 1987), in absehbarer Zeit verlieren wird.

3.2. Besonders groß sind die praktischen Notwendigkeiten für eine Reduktion der Sprachenvielfalt im Fall von militärischen Bündnissen, bei denen die Streitkräfte der Mitgliedsstaaten einem gemeinsamen Oberbefehl unterstehen. Dies trifft z. B. auf die NATO zu. Von der Gründung 1949 in Washington bis heute sind Englisch und Französisch offizielle Sprachen der NATO, doch seit Frankreich 1966 die militärische Integration verließ und nur noch in einigen die nationale Souveränität nicht berührenden politischen Organen der NATO verblieb, wird Französisch als Amts- und Arbeitssprache auch nur noch in diesen Organen benutzt. Das auch schon früher dominierende Englisch ist heute alleinige Arbeitssprache in allen anderen politischen und militärischen Organen und fast ausschließliche Publikationssprache für mit NATO-Förderung entstehende wissenschaft-

87. Das Englische als Fachsprache in internationalen Institutionen des 20. Jh.

lich-technische Veröffentlichungen. Daß Englisch ausschließliche Einsatzsprache in der praktischen militärischen Kooperation ist, wird NATO-offiziell damit begründet, daß eine reibungslose Kommunikation nach einer Sprache verlangt, die alle Soldaten funktional beherrschen und daß Englisch die unter den NATO-Mitgliedern verbreitetste Fremdsprache ist. Nicht unwesentlich ist allerdings auch, daß diese Sprachenwahl den USA entgegenkommt, die als die für das Bündnis entscheidende Großmacht den größten Teil des NATO-Haushaltes finanzieren und das größte Truppenkontingent stellen. Wie in der amerikanischen Bevölkerung überhaupt gibt es auch bei US-Soldaten kaum brauchbare Kenntnisse fremder Sprachen (Simon 1980). 3.3. Der zivilen Sicherheit dient die internationale Kooperation der Polizei im Rahmen von Interpol. Interpol (1923 gegründet) hat das Ziel, die Polizeiarbeit zwischen den angeschlossenen Staaten zu koordinieren und für die Verbrechensbekämpfung allgemein relevante Information zu dokumentieren. Die Aktivitäten von Interpol betreffen damit im wesentlichen nur die organisatorischen Voraussetzungen der Kooperation, die von einem Sekretariat in Frankreich (Lyon) und der jährlichen Generalversammlung getragen werden. Offizielle Sprachen sind Arabisch, Englisch, Französisch und Spanisch; als Arbeitssprache dominiert die lokale Sprache des Institutionssitzes über das Englische. Publikationssprachen der Dokumentationen sind Englisch, Französisch und Spanisch. Eine eigenständige polizeiliche Ermittlungsarbeit durch Interpol gibt es nicht. Muß in einem Fall im Ausland ermittelt werden, vollzieht sich die Kooperation nicht in direktem Kontakt zwischen den jeweiligen Polizeidienststellen vor Ort, sondern schriftlich ⫺ und damit häufig sehr langsam ⫺ auf dem Dienstweg über die Interpolstellen bei den obersten Polizeibehörden der beteiligten Staaten ⫺ z. B. in Deutschland über das Bundeskriminalamt ⫺ wo die Ermittlungsersuchen und die Ermittlungsergebnisse jeweils in die betreffende andere Sprache übersetzt werden. Um innerhalb der EU eine schnellere polizeiliche Kooperation zu ermöglichen, wurde von den EU-Staaten mit dem Vertrag von Maastricht die Einrichtung einer europäischen Polizeistruktur (EUROPOL) beschlossen. Mit einer Anti-Drogen-Einheit nahm EUROPOL 1993 in Den Haag seine Tätigkeit auf. Die endgültige Ausgestaltung dieser

845

Struktur ist (1994) noch umstritten (Ingleton 1994). Gegenwärtig hat sie den Charakter eines Computerzentrums mit 12 Terminals, von denen je einer mit den polizeilichen Datenbanken eines der (1993) 12 EU-Mitgliedsländer verbunden ist und ⫺ aus Gründen des Datenschutzes und der nationalen Souveränität ⫺ nur von einem Verbindungsbeamten des betreffenden Landes bedient wird. Ermittlungsersuchen eines Landes A an ein Land B werden on-line in der Sprache A an den Verbindungsbeamten des Landes A geleitet, der diese dann vor Ort in Den Haag in englischer Sprache an den Verbindungsbeamten des Landes B weitergibt, welcher dann in den Datenbanken seiner nationalen Behörden recherchiert und das Ergebnis auf Englisch mündlich oder schriftlich seinem Kollegen aus dem Land A mitteilt, der es dann in der Sprache A in seine Heimat weiterleitet. Obwohl EUROPOL im EU-Kontext entstanden ist, herrscht hier nicht die EU-typische Vielfalt von Amts- und Arbeitssprachen ⫺ an der Schaltstelle des Informationsflusses wird ausschließlich in Englisch kommuniziert. Daß Englisch in EUROPOL als lingua franca fungiert, wird pragmatisch mit dem Vorhandensein von Englischkenntnissen und mit der Fortsetzung einer etablierten Kommunikationspraxis begründet. Ob die endgültige EUROPOL-Struktur Englisch als ausschließliche Arbeitssprache behalten wird, ist (1994) noch offen.

3.4. Sicherheitsaspekte spielen auch für die Dominanz des Englischen in internationalen Verkehrswesen eine Rolle. Die Organisation insbesondere navigationsbezogener Aspekte des Zivilluftverkehrs, die Festlegung von Sicherheitsstandards und die Durchsetzung von internationalen Vereinbarungen über den Flugverkehr gehört zu den Aufgaben der 1947 in den USA gegründeten International Civil Aviation Organization (ICAO), eine Special Agency im Verband der UN-Organisationen mit Sitz in Montreal (Kanada). Obwohl die ICAO mehrsprachig ist ⫺ offizielle Sprachen sind Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch, Arbeitssprachen am Institutionssitz Englisch und Französisch ⫺ ist die ICAO verantwortlich dafür, daß heute nur Englisch im Funkverkehr der internationalen Luftfahrt benutzt wird: Als in den 60er Jahren die natürliche Sprache statt der bisherigen Buchstabencodes in der Radiotelefonie für den internationalen Luftverkehr eingeführt wurde und das Verkehrsaufkommen rapide stieg, erließ die ICAO als Standard für die aeronautische Kommunikation, daß das Englische auf Anforderung eines Flugzeuges auch dort zu benutzen ist, wo sich der Funk-

846 verkehr ansonsten in der Landessprache abspielt ⫺ was in der Praxis zu einer Durchsetzung des Englischen als lingua franca des internationalen Flugverkehrs geführt hat (Robertson 1987, viii). Die Wahl des Englischen für diese Funktion reflektiert die Tatsache, daß damals der internationale Flugverkehr deutlich von britischen und amerikanischen Airlines dominiert wurde, und daß das größte Aufkommen an internationalem Luftverkehr Flughäfen in englischsprachigen Regionen, insbesondere aber in den USA, betraf. Durch die Beschränkung auf nur eine Sprache, die von Piloten, Funkern und Fluglotsen zu lernen ist, sollten die Eindeutigkeit und Sicherheit der Kommunikation erhöht werden. Ein idiomatisches Englisch ist dafür jedoch disfunktional (Graband 1963). Deshalb entwickelte die ICAO Handbücher, in denen eindeutig definierte Begriffe und Phrasen für die Kommunikation in Routine- und NichtRoutine-Situationen festgelegt wurden, an denen sich die Sprachausbildung orientiert (z. B. Robertson 1987). Daß auch die Fremdsprachenausbildung von Flugbegleitern und Service-Personal sich vorrangig auf das Englische konzentriert, kann man allerdings nicht mit derartigen Sicherheitsgesichtspunkten erklären, sondern allein mit der Annahme, daß unter Fluggästen das Englische als lingua franca am verbreitesten ist (so z. B. Sufty 1987, 2).

Auch für den Funkverkehr in der internationalen Handelsschiffahrt gilt seit den 60er Jahren die Konvention, das Englische zu benutzen. Eingeführt wurde diese Regelung von der International Maritime Organization (IMO) (bis 1982 mit dem Namen Intergovernmental Maritime Consultative Organization (IMCO)) mit Sitz in London, deren satzungsgemäße Aufgabe die Entwicklung und Überwachung von internationalen Standards der Navigation und der Sicherheit auf See ist. Um diese Sicherheit durch Eindeutigkeit der Funkmeldungen zu erhöhen, erließ die IMCO 1974 das IMCO Standard Maritime Navigational Vocabulary, eine Liste mit 382 in ihrer Bedeutung eingeschränkten Wörtern, mit denen alle Kommunikationssituationen auf See, in Wasserstraßen und Häfen abgewickelt werden können sollen (Opitz 1978). In jüngerer Zeit sind diese Wortlisten im Rahmen des Projektes Seaspeak um Routineformeln und Diskursregeln für den Aufbau von Funkmeldungen erweitert worden (Seaspeak 1984). Die IMO gehört ebenfalls zu den den UN angeschlossenen Institutionen. Ihre offiziellen Sprachen sind Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch,

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik Russisch und Spanisch; Arbeitssprachen sind Englisch, Französisch und Spanisch. Publikationen erscheinen allein in Englisch. Die Beschränkung auf das Englische reflektiert eine seit dem 18. Jahrhundert bestehende Verbreitung dieser Sprache als lingua franca der internationalen Seefahrt: Bis zum Zweiten Weltkrieg war die britische Handelsflotte die größte der Welt, in der auch viele nicht-britische Seeleute anheuerten, die sich mit englischen Offizieren verständigen mußten. Zudem liegen die wichtigsten Häfen Asiens und Afrikas im Einflußgebiet des Britischen Empire.

3.5. Auch in den internationalen Institutionen der Wirtschaft hat das Englische heute kaum noch eine Konkurrenz. Im General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), einer autonomen Organisation innerhalb des UN-Systems, die ab 1995 den Namen World Trade Organisation (WTO) trägt, ist Englisch zwar nur eine der Amts- und Arbeitssprachen neben Französisch und Spanisch. Dem Ziel des GATT ⫺ die Liberalisierung des Welthandels durch Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken ⫺ dienen mehrjährige Verhandlungsrunden zwischen den Mitgliedsstaaten zu jeweils unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen. Offizielle Sprache bedeutet hier also in erster Linie Konferenzsprache ⫺ und in dieser Funktion nimmt das Englische nach Teilnehmeraussagen mehr Raum ein als die anderen Sprachen zusammen. Die Organisation für Ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Sitz in Paris ist eine Spitzenorganisation der westlichen Industriestaaten, die Analysen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten erstellt, Prognosen für verschiedene Bereiche der Wirtschaftstätigkeit entwickelt und Hilfen für Mittel- und Osteuropäische Staaten sowie für Entwicklungsländer bereitstellt. Amts- und Arbeitssprachen sind Englisch und Französisch. Da die Veröffentlichung von Studien, Berichten usw. für die Tätigkeit der OECD charakteristisch ist, kann der Anteil der Sprachen an den Publikationen ein brauchbarer Indikator für die Bedeutung des Englischen in der OECD sein: Rund 80% der Publikationen entstehen auf Englisch. Während die Arbeit des GATT und der OECD eher langfristig und programmatisch angelegt ist, wirkt sich die Tätigkeit des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank (ihre genaue Bezeichnung ist International Bank for Reconstruction and Development) unmittelbar im Wirtschaftsalltag

87. Das Englische als Fachsprache in internationalen Institutionen des 20. Jh.

aus. Beide vergeben Kredite an Mitgliedsstaaten; der IWF zur Behebung von Zahlungsbilanzproblemen, die Weltbank zur Förderung der Wirtschaftsentwicklung. Beide Institutionen sind in Washington lokalisiert, und obwohl sie zum Kreis der UN-Organisationen zählen, ist in beiden Englisch die alleinige Amts- und Arbeitssprache (wobei im IWF Französisch und Spanisch zusätzliche Publikationssprachen sind). Dies erklärt sich vor allem aus ihrer Entstehungsgeschichte: Beide sind ein Ergebnis der von den USA initiierten und dominierten Konferenz von Bretton Woods im Jahr 1944, auf der die WeltWirtschaftsordnung und der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg geplant wurden. Als größte Kapitalgeber nach der Gründung üben die USA bis heute einen entscheidenden Einfluß auf diese Organisationen aus. Der Einfluß eines Gründungsmitglieds ist auch der Grund dafür, daß in der European Free Trade Association (EFTA) nur Englisch als Amts- und Arbeitssprache zugelassen ist, wenngleich Dokumente auch in den Sprachen der Mitgliedsländer ausgestellt werden. Die EFTA wurde 1960 auf britische Initiative zum Schutz der Handelsinteressen der europäischen Staaten gegründet, die nicht in die EWG eingebunden waren. Großbritannien als politisch und wirtschaftlich stärkste Gründungsnation gab die englische Sprache vor, die die EFTA auch beibehielt, als Großbritannien 1973 ausschied und sich der EG anschloß. Doch auch ohne daß ein anglophones Land an der Gründung einer internationalen Wirtschaftsorganisation beteiligt ist, setzt sich heute das Englische als alleinige Arbeitssprache durch. Ein Beispiel hierfür ist die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), die 1960 von Irak, Iran, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela gegründet wurde. In diesem Fall stellt die Sprachenwahl die Übernahme einer etablierten lingua franca dar. 3.6. Zweifellos ist das Englische heute die dominierende lingua franca in alltäglichen internationalen Wirtschaftskontakten, wenngleich der genaue Umfang des Englischgebrauchs in dieser Kommunikationsdomäne kaum genau zu bestimmen ist (für Hinweise hierzu aus Sicht der deutschen Wirtschaft vgl. Ammon 1991, 150 ff). Die praktische Notwendigkeit, sich auf eine international eingeführte lingua franca zu beschränken, ergibt sich besonders mit multinationalen Unternehmen, die sehr viele verschiedene Märkte bedienen. Für sie

847

ist vor dem Hintergrund der Annahme weltweit verbreiteter ⫺ zumindest elementarer ⫺ Englischkenntnisse das Englische eine naheliegende Wahl auch für die Abfassung von Wartungshandbüchern und technischen Dokumentationen. Als ein Beispiel kann hier die Caterpillar Tractor Company (CTC) gelten, deren technische Dokumentation bereits in den 60er Jahren mehr als 20.000 Publikationen umfaßte, die von Personal verstanden werden sollten, in dem es 50 verschiedene Sprachen gab. Insgesamt wären damit mehr als eine Million verschiedener Versionen notwendig geworden. Sie zu übersetzen und auf dem aktuellen technischen Stand zu halten, war wirtschaftlich unmöglich. Deshalb entschied die CTC, ihre gesamte technische Dokumentation ausschließlich in Englisch zu erstellen, ließ jedoch dafür ein stark vereinfachtes Fundamental English entwickeln, das auf eine geringe Sprachbeherrschung ausgelegt ist. Es wird inzwischen von vielen anderen Firmen benutzt. Da der Schwierigkeitsgrad von Wartungsanweisungen für den amerikanischen Markt das Niveau der Schulstufen sechs bis acht nicht übersteigen sollte, wird das vereinfachte Englisch inzwischen auch innerhalb der USA eingesetzt (Gingras 1987). Verständlichkeit der Wartungshandbücher für ein sprachlich sehr heterogenes Personal ist ein Problem auch im internationalen Flugverkehr. Deshalb entschied auch die Association Europe´enne des Constructeurs de Mate´riel Ae´rospatial (AECMA), daß alle ihre Mitgliedsfirmen ihre Wartungshandbücher ausschließlich in Englisch verfassen, und entwikkelte unter Beteiligung auch der großen amerikanischen Unternehmen der Luftfahrtindustrie ein Simplified English, das inzwischen weltweit eingesetzt wird. Auch für die in Frankreich endmontierten Typen des Airbus werden ⫺ nicht ohne Widerstand der französischen Regierung ⫺ die Wartungshandbücher in Simplified English erstellt (Heuler 1990).

4.

Tendenzen

4.1. Die hier an typischen Beispielen dargestellte Situation stellt zweifellos nicht das Endstadium der Ausbreitung des Englischen als dominante Sprache in den internationalen Institutionen des 20. Jahrhunderts dar. Diese Dominanz geht eindeutig zu Lasten des Französischen. Während von den rund 200

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XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

im Annuaire de la Vie Internationale (1908) erwähnten Körperschaften alle Französisch als alleinige oder eine der offizielle(n) Sprache(n) angaben und nur 83 Englisch, hat sich dieses Verhältnis heute umgekehrt: Von den Institutionen, die Angaben über ihre Sprachen machen, nennt das Yearbook of International Organizations von 1993/94 4234 mit Englisch, aber nur 2544 mit Französisch in dieser Funktion. Ähnlich verhält es sich mit internationalen Kongressen. Nach einer Übersicht bei Shenton (1933, 255 ff), die die Konferenzen erfaßt, welche von 298 verschiedenen Organisationen zwischen 1923 und 1929 durchgeführt wurden, war Französisch in 74% der Fälle die häufigste offizielle Sprache, gefolgt von Englisch mit 54%. De Coninck (1987) wertet die Angaben von 1.637 internationalen Organisationen zu den bei deren Kongressen im Jahr 1985 gebrauchten offiziellen Sprachen aus: Danach wurde bei 86% aller größeren Kongresse Englisch in dieser Funktion verwendet und bei 52% Französisch. (Sowohl bei Shenton wie bei de Coninck sind in diesen Zahlen auch die Fälle enthalten, in denen beide Sprachen offiziellen Status haben.) 4.2. Die Gründe für diese Ausbreitung des Englischen sind in der Literatur schon vielfach diskutiert worden (vgl. z. B. Knapp 1990 und Art. 85 in diesem Band). Zweifellos gehören die herausragende Stellung, die die USA aufgrund ihrer politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Potenz einnehmen, und das Gewicht, das sie deshalb in internationalen Institutionen haben, ebenso zu den besonders wichtigen Determinanten dieser Entwicklung wie die geographische Verbreitung des Englischen durch das britische Empire. Allerdings zeigt sich an Institutionen wie der Arabischen Liga oder der OPEC, daß eine Beteiligung anglophoner Staaten oder eine Lokalisierung in einem anglophonen Land für die Entscheidung zugunsten des Englischen zunehmend an Bedeutung verliert ⫺ wie auch bei der Ausbildung von Service-Personal für eine sprachlich heterogene Klientel ist es mehr und mehr das Faktum, daß das Englische weltweit meistgelernte Fremdsprache und als internationale lingua franca bereits etabliert ist, das zu dieser Sprachenwahl führt und damit wiederum die Attraktivität des Englischen erhöht.

5.

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849

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Karlfried Knapp, Erfurt

88. Fachsprachliche Phänomene in der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation 1. 2. 3.

Bestandsaufnahme Theorie interkultureller Wirtschaftskommunikation Literatur (in Auswahl)

1.

Bestandsaufnahme

1.1. Zur Entwicklungsgeschichte des Forschungsbereiches Interkulturelle Wirtschaftskommunikation Soweit ersichtlich, wurde der Begriff Interkulturelle Wirtschaftskommunikation zuerst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre von nordeuropäischen Linguisten geprägt. Be-

zeichnet wird damit ein Forschungsgebiet, das sich unter kultur-, sprach- und wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen mit der Analyse von Prozessen kommunikativen Handelns im internationalen Wirtschaftsalltag beschäftigt. Während der Begriff zunächst noch eher beiläufig und weitgehend undefiniert verwendet wurde, erfolgten Detailbestimmungen des inhaltlichen Spektrums und der Aufgaben des Forschungsbereiches 1989/90 im Rahmen von Fachsymposien an den Universitäten Bayreuth und Vaasa (Müller 1991; Schröder 1993). 1992 wurde dann an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena erstmals ein eigen-

850 ständiges Studienfach „Interkulturelle Wirtschaftskommunikation“ eingerichtet (Bolten 1996). Obwohl sich bezüglich der Konzeption des Forschungsgegenstandes von Anbeginn eine interdisziplinäre Zusammenarbeit z. B. von Fachsprachenlinguistik, Fremdsprachendidaktik, Psychologie, Wirtschaftswissenschaft, Geschichte, Soziologie und Ethnologie angeboten hätte, ist die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung zunächst innerhalb der einzelnen Disziplinen unabhängig voneinander verlaufen. So haben sich die Wirtschaftswissenschaften vorrangig mit der Beschreibung von Kulturunterschieden im internationalen Management befaßt (von Keller 1982; Hentze 1987), dabei allerdings kommunikationsbezogene Fragestellungen in ähnlicher Weise vernachlässigt wie die Organisationspsychologie. Umgekehrt fehlte den Sprach- und Kulturwissenschaften lange Zeit der Bezug zu Handlungskontexten des internationalen Wirtschaftsalltags. Zeitgleich mit den Planungen zur Errichtung des Europäischen Binnenmarktes wurde zwar die Brücke zum „Praxisfeld Wirtschaft“ (Picht 1989, 79) geschlagen; allerdings stand dabei eher die Lösung von sprachlichen Verständigungs- als die von interkulturellen Verstehensproblemen im Mittelpunkt. Vor dem Hintergrund des in den achtziger Jahren erheblich gestiegenen Bedarfs an Wirtschaftsfremdsprachen war es aus fachsprachentheoretischer Sicht zunächst vordringlich, empirisch abgesicherte Beschreibungsmodelle von Kommunikationsprozessen im Wirtschaftsalltag zu erstellen, die als Basis für die Erstellung praxisorientierter fremdsprachlicher Lehrmaterialien verwendbar waren (Piirainen/Airismäki 1987; Bolten 1991). Damit verlagerte sich der Gegenstandsbereich der wirtschaftsorientierten Fachsprachenforschung zwar von genuin wissenschaftssprachlichen zu eher berufssprachlichen Corpora. Das Grundanliegen bei der Beschäftigung mit Wirtschaftskommunikation blieb indes noch bis zum Ende der achtziger Jahre ein eindeutig linguistisches. Wissenschaftshistorisch muß man allerdings zugute halten, daß die Ausgangsinteressen und Forschungsziele der einzelnen Disziplinen in den siebziger und achtziger Jahren sehr unterschiedlich gewesen sind. Interkulturelle Kommunikationsforschung ist in den USA und später auch in Europa primär unter der Zielsetzung entstanden, Problemlösungsstrategien für die Integration

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

ethnischer Minderheiten zu entwickeln, während der Wirtschaft eher daran gelegen war, Konkurrenzfähigkeit auf internationalen Märkten zu sichern. Daß dies mit Globalisierungsstrategien allein nicht gelingt, wurde relativ früh erkannt (Adler 1986). Aber erst die Einsicht, daß Fremdsprachenkenntnisse oder das Wissen um Kulturunterschiede z. B. im Führungsverhalten allein keine Erfolgsgarantie beinhalten, hat an der Wende zu den neunziger Jahren zu einer größeren Aufgeschlossenheit gegenüber sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Fragestellungen und zu einer Annäherung an die interkulturelle Kommunikationsforschung geführt. Wissenschaftsorganisatorisch hat dieser Weg zu inhaltlicher Interdisziplinarität indes auch in der Mitte der neunziger Jahre noch nicht den notwendigen Rückhalt gefunden. Bezeichnenderweise gingen Impulse fast immer von Fachsprachenforschern und Fremdsprachendidaktikern skandinavischer und angelsächsischer „Area Studies“ bzw. „International Business Studies“ aus, während die Wirtschaftswissenschaften zwar mehr und mehr studienbegleitenden Fachsprachenunterricht für obligatorisch erklärten, aber in der Regel bis heute interkulturelle Studieninhalte ausschließen. Damit weist die gegenwärtige wissenschaftshistorische Situation der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation frappierende Ähnlichkeiten mit der Entwicklung der „wirtschaftssprachlich-nationenwissenschaftlichen Forschung“ (Messing 1928, 17) der zwanziger und frühen dreißiger Jahre auf. Die seinerzeit vor dem Hintergrund der zunehmenden Internationalisierung der Handelsbeziehungen begründete Wirtschaftslinguistik hatte die These, „daß die Internationalisierung der Wirtschaft ein Verständnis für die Psyche des Fremden erfordert“ (Henke 1989, 16), zu einem wesentlichen programmatischen Bestandteil ihrer Arbeit erklärt und sich selbst damit vom wissenschaftlichen Anspruch her als eindeutig interdisziplinäres Fach profiliert. Die Akzeptanz seitens der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten scheiterte allerdings an fehlender Bereitschaft zu interdisziplinärem Denken. Die Chance, in größerem Umfang ein Äquivalent zur heutigen „Interkulturellen Wirtschaftskommunikation“ zu schaffen, war in den dreißiger Jahren dennoch realistisch, zumal einige Vertreter der Volkswirtschaftslehre wie Levy (1931) entsprechenden Gedanken durchaus aufgeschlossen gegenüberstanden. Daß es dennoch weitere sechzig Jahre dau-

88. Fachsprachliche Phänomene in der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation

erte, ist einerseits durch die Politik des Nationalsozialismus bedingt gewesen, andererseits aber auch Resultat eines bis heute insbesondere in den nicht-angelsächsischen Ländern eher praxisfremden Wissenschaftsverständnisses. 1.2. Praxis interkultureller Wirtschaftskommunikation: Bedarf Noch bis in die siebziger Jahre hinein war im internationalen Management die These von der weltweit einheitlich gültigen ökonomischen Rationalität wirtschaftlichen Handelns unumstritten. Daß absatzfähige Produkte und passable Kenntnisse in einer den Handelspartnern gemeinsamen Fremdsprache allein keinen internationalen Markterfolg garantieren, war eine Erfahrungstatsache, die sich erst proportional zur Vergrößerung des Konkurrenzdrucks auf den Weltmärkten durchzusetzen begann. Dies traf für die großen Industrienationen vor allem auf die Zeit des Übergangs von den 70er zu den 80er Jahren zu. Bedenkt man weiterhin, daß heute z. B. die Komponentenbeschaffung für ein Automobil aus 15 und mehr Ländern erfolgt, wird das Ausmaß der Konkurrenzsituation und der erreichten internationalen Vernetzung evident. Da sich die Rentabilität von Auslandsengagements vor allem danach bemißt, inwieweit die beteiligten Unternehmensmitarbeiter in der Lage sind, in fremdkulturellen Kontexten erfolgreich zu interagieren, haben entsprechende Vorbereitungstrainings im Sinne von „weichen“ Faktoren des Personalmanagements inzwischen erheblich an Bedeutung gewonnen. Zu Recht, wenn man sich vor Augen führt, daß Schätzungen zufolge z. B. zwischen 20 und 50 Prozent der entsandten Mitarbeiter US-amerikanischer Unternehmen ihre Auslandstätigkeit aufgrund mangelnden Erfolges frühzeitig abbrechen müssen, wodurch der US-Wirtschaft jährliche Verluste von 2 Billionen Dollar an direkten Kosten entstehen (Copeland/Griggs 1984, XIX). Obwohl für europäische Länder kaum Vergleichszahlen existieren, dürften die Werte hier ähnlich liegen (Dülfer 1992, 462). Vor diesem Hintergrund haben sich in den vergangenen Jahren auch die an Auslandsmanager gestellten Qualifikationsanforderungen erheblich verändert. Während in Befragungen der siebziger Jahre noch Vertriebs-, Produktions-, Markt- und Verwaltungskenntnisse als wichtigste Faktoren genannt wurden und Fremdsprachenkenntnissen bzw. der „Vertrautheit mit der Umwelt

851

des Gastlandes“ ein relativ geringer Stellenwert eingeräumt wurde (Pausenberger 1983, 44), rangieren Fremdsprachenkenntnisse heute vor Marktkenntnissen auf dem ersten Platz; beide gefolgt von „Kenntnissen der Mentalität der Partner“ (Weiß 1992, 96). Entsprechend gestaltet sich auch der Bedarf bei Personalentwicklungsmaßnahmen für Auslandsmanager. An erster Stelle werden hier Fremdsprachen- vor Marktkenntnissen genannt, und bereits an dritter Stelle folgt Interkulturelles Management (Bayerisches Bildungswerk 1992, 40). Bezüglich der Sprachenwahl besteht ⫺ analog zu entsprechenden sprachpolitischen Empfehlungen des Europarats ⫺ weitgehend Konsens darüber, daß aus Gründen kultureller Identitätswahrung und zur Vermeidung kulturell bedingter Kommunikationskonflikte keine lingua franca angestrebt werden soll, obgleich die Realität eher gegenteilige Tendenzen dokumentiert. Differenziertere Untersuchungen des Fremdsprachenbedarfs im Management europäischer Unternehmen belegen weiterhin übereinstimmend, daß Terminologiekenntnisse in einer Wirtschaftsfremdsprache oder die Fähigkeit, Übersetzungen anzufertigen, für Interaktionserfolge im Wirtschaftsalltag nur noch eine untergeordnete Rolle spielen (Weiß 1992, 111). „Führungssprache“ und wirtschaftsbezogene „Umgangssprache“ mit Hauptakzenten in den Bereichen Verhandlungsführung, telefonische Kommunikation und Präsentation sind ⫺ wie mündliche Kommunikation insgesamt ⫺ diejenigen Aspekte, denen die größte Relevanz beigemessen wird (Christ/Schwarze 1985, 38; Weiß 1992, 111; Bayerisches Bildungswerk 1992, 23). Müller (1991, 32) konstatiert in diesem Zusammenhang zu Recht, daß „internationale Wirtschaftskommunikation *…+ nur zu einem sehr geringen Teil eine Fach-Kommunikation mit spezieller Lexik“ ist. Ein Befund, den u. a. Reuter/Schröder/Tiittula (1991, 106) auf die didaktischen Erfordernisse des Wirtschaftssprachenunterrichts übertragen, wenn sie konstatieren, daß im Rahmen des fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts vor allem auch „Wissen über fremde Wertsysteme, außersprachliche Verhaltensweisen und Interpretationsrahmen in der zu erlernenden Sprache und der dahinter stehenden Kultur aufgebaut werden muß.“ Gerade angesichts der letztgenannten Aspekte bestehen deutliche Überschneidungen mit dem inhaltlichen Bedarf dessen, was

852 von Unternehmen unter dem Weiterbildungssektor „Interkulturelles Management“ verbucht wird. Als besonders wichtig gelten hier Kenntnisse über geschäftliche Gepflogenheiten, Führungsstile, Kommunikationsstile sowie Sitten und Gebräuche der Zielkultur (Bayerisches Bildungswerk 1992, 35), wobei allerdings bislang nicht oder kaum erwogen wird, diese Komponenten mit dem Wirtschaftsfremdsprachenunterricht zu einem interdisziplinären Aus- und Weiterbildungsbereich „Interkulturelle Wirtschaftskommunikation“ zu verknüpfen. Die Folge ist, daß seitens der Unternehmen ein relativ hoher Qualifikationsbedarf sowohl für wirtschaftsbezogene Fremdsprachen (in 61% der befragten Unternehmen) als auch für Interkulturelles Management (54%) besteht, der Anteil laufender bzw. konkret geplanter Maßnahmen jedoch zu Lasten interkultureller Trainings geht: So führen zwar 36% der befragten Unternehmen auch tatsächlich Personalentwicklungsmaßnahmen im wirtschaftssprachlichen Bereich durch, während es in bezug auf Interkulturelles Management jedoch nur 15% sind (Bayerisches Bildungswerk 1992, 50). Da keine realistischen Anzeichen dafür auszumachen sind, daß sich die durchschnittliche Dauer für Personalentwicklungsmaßnahmen zur Auslandsvorbereitung künftig verlängern wird, offenkundig aber ein erheblicher Bedarf sowohl an Wirtschaftsfremdsprachen als auch an interkulturellen Trainings und an Marktkenntnissen der Zielkultur besteht, wird es künftig vor allem darum gehen, integrative und interdisziplinäre Konzepte zu entwickeln. 1.3. Problemstellungen Die Tatsache, daß sich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation realiter aus einer Vielzahl interdependenter (und keineswegs nur sprachlicher) Handlungen und Handlungsmotive zusammensetzt, läßt sie als Forschungs- und Trainingsgegenstand nur handhabbar werden, wenn es gelingt, Interdisziplinarität auch tatsächlich zu realisieren. Der Umfang der damit verbundenen Aufgaben ist ⫺ zumeist unter Berufung auf US-amerikanische Modelle zur Entwicklung interkultureller Kompetenzen ⫺ verschiedentlich skizziert und in Anforderungskatalogen zusammengefaßt worden (Knapp/Knapp-Potthoff 1990, 84 f; Müller 1991, 515 ff; Bolten 1995). Als wesentliche Konstituenten für Interkulturelle Interaktionsfähigkeit im Wirtschaftsalltag können hieraus vier miteinander

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

verbundene Kompetenzfelder abgeleitet werden: (a) Verbale, non-verbale und paraverbale Handlungsfähigkeit in fremdsprachigen wirtschaftsbezogenen Kontexten einschließlich der Fähigkeit, metasprachliche Strategien zu verwenden und kommunikative Stile zu identifizieren. (b) Handlungsbewußtheit in bezug auf die Kulturabhängigkeit eigenen (kommunikativen) Handelns und Verhaltens (Eigenkultur). (c) Kenntnis handlungsleitender Werte und Normen der Zielkultur bzw. der Aufgaben-Umwelt in synchronischer und diachronischer Perspektive, Einsicht in entsprechende Begründungszusammenhänge zielkulturellen wirtschaftsbezogenen Handelns (Fremdkultur). (d) Ambiguitätstoleranz, Empathie und Problemlösungsfähigkeit in bezug auf konkrete interkulturelle Handlungssituationen (Interkultur). Obwohl die unter (b) bis (d) genannten Aspekte vordergründig als extraverbale Kommunikationsfaktoren bezeichnet werden könnten, sind sie nicht anders als durch kommunikative Prozesse vermittelbar, so daß der Bereich (a) ⫺ in einem entsprechend weiten Verständnis von Kommunikation ⫺ eine Leitfunktion erhält. Die Problematik besteht jedoch darin, die einzelnen Komponenten in einen Systemzusammenhang zu stellen und dieses methodische Verfahren theoretisch zu fundieren.

2.

Theorie interkultureller Wirtschaftskommunikation

2.1. Fachsprachenforschung versus Interkulturelle Kommunikationsforschung? Angesichts der Komplexität der Problemstellungen interkultureller Wirtschaftskommunikation erscheint es durchaus plausibel, daß „ein rein linguistischer Zugriff von vornherein unzureichend“ bleiben müsse (Reuter/ Schröder/Tiittula 1991, 98) bzw. Interkulturelle Wirtschaftskommunikation „nicht als Sonderfall einer engeren Fachsprachen-Linguistik betrachtet werden“ könne (Müller 1991, 27). Dennoch bleibt zu bedenken, daß Fachsprachenforschung in bezug auf Interkulturelle Wirtschaftskommunikationsforschung konstitutiven Charakter besitzt ⫺ und nicht umgekehrt. Daß sie aus interkultureller Forschungsperspektive trotzdem insbesondere in den späten achtziger Jahren bisweilen in Mißkredit geraten ist, hängt mit ih-

88. Fachsprachliche Phänomene in der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation

rer späten Öffnung gegenüber pragmatischen Fragestellungen zusammen. Beiträge zur Formulierung integrativer Ansätze liegen indes nicht unbedingt schon dann vor, wenn anstelle von Fachsprache Wirtschaft praxisangemessenere Bezeichnungen des Forschungsgebietes wie Betriebslinguistik oder Unternehmenskommunikation verwendet werden. Voraussetzung ist vielmehr, konkrete Interaktionsprozesse im Wirtschaftsbereich zu analysieren, dysfunktionale Entwicklungen zu begründen und zu prognostizieren sowie Synergiepotentiale zu beschreiben. Einen ersten Schritt in diese Richtung weist die Kontrastive Fachsprachenforschung, insofern sie sich nicht auf Vergleiche semantisch-syntaktischer Einzelelemente beschränkt, sondern Makrostrukturen unter Einbeziehung integrativer Analysemodi thematisiert und kontrastiert. Aber auch unter dieser Prämisse ist die kontrastive Analyse der „Objekt-“ und nicht der „Beziehungskommunikation“ (Beneke/Nothnagel 1988, 269) verpflichtet. Das heißt, perspektiviert werden nur die Konstituenten einer Kommunikationsbeziehung; die Prozessualität der Beziehung selbst bleibt unberücksichtigt. Diesen Aspekt in die Fachsprachenforschung aufgenommen und damit die Brücke zur Kernthematik der interkulturellen Kommunikationsforschung geschlagen zu haben, ist Verdienst neuerer Arbeiten zur Fachtextpragmatik. In Abgrenzung zur Fachtextlinguistik sieht Schröder (1993, XI) in diesem Zusammenhang einen Forschungsschwerpunkt in der Beschreibung der „Interaktion verschiedener Kommunikationspartner in fachlichen Situationen“, wobei ⫺ unter Bezugnahme auf Kulturwertsysteme ⫺ vor allem „kognitive Aspekte der Textverarbeitung und die Ebene der Wirkung von Texten“ in den Mittelpunkt rücken. Clyne (1993, 4 f) hat diesen Gedanken in seinem Modell der „Interkulturellen Diskursforschung“ aufgegriffen und differenziert. Die Stärke seines Modells liegt zweifellos darin, daß Kommunikation als interdependentes und kulturabhängiges System verstanden wird, dessen hermeneutische Erschließung einen interdisziplinären Zugang zwangsläufig voraussetzt. Wo sich die Fachsprachenforschung mit ihren ursprünglich „engen linguistischen“ Fragestellungen auf diese Weise zur „interkulturellen Fachkommunikationsforschung“ (Schröder 1993) weiterentwickelt hat, sind nicht nur die Grenzen zur Interkulturellen Wirtschaftskommunikationsforschung fließend geworden; es ist darüber hinaus auch eine fundierte Basis entstanden, auf der eine ⫺

853

bislang nicht existente ⫺ Theorie interkultureller Wirtschaftskommunikation überhaupt erst entwickelt werden kann. Dies ist nicht unproblematisch, weil das Verständnis selbst so konstitutiver Begriffe wie Kommunikation, Kultur und Interkulturalität in den beteiligten Disziplinen teilweise erheblich voneinander abweicht und eine gemeinsame methodische Basis nicht besteht. 2.2. Kommunikationsbegriff Wie Merten (1977) gezeigt hat, wurde in den Geistes- und Sozialwissenschaften unter Kommunikation noch in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre überwiegend ein einseitiglinearer und demzufolge asymmetrischer Prozeß verstanden. Spätestens an der Wende zu den achtziger Jahren hatte sich dann allerdings in den Sprachwissenschaften bereits ein symmetrischer Kommunikationsbegriff durchgesetzt. Entscheidend war hierfür die Annahme einer in sich interdependenten Doppelstruktur von Kommunikation, und zwar von (a) Inhaltsaspekt und (b) Beziehungsaspekt. Anders als bei Definitionen, die dem Reiz-Reaktions-Schema folgen, schließt dies nicht nur wahrnehmbare Reaktionen ein, sondern über (b) auch Selbstwertkonzepte, Erwartungen und Erwartungs-Erwartungen der Beteiligten, also Selbst-, Fremdund Metabilder. In das Kommunikationsmodell einbezogen werden auf diese Weise mit den kognitiven Schemata der Beteiligten auch die situativen (und damit kulturellen) Kontexte, in denen und auf deren Basis sie interagieren. Während sich insbesondere interaktionstheoretisch orientierte Ansätze in den Sprachwissenschaften diese Einsicht zunutze gemacht und auf diese Weise Instrumentarien zur Analyse interkultureller Kommunikationsprozesse bereitgestellt haben, zeichnen sich wirtschaftswissenschaftliche Kommunikationsbegriffe bis heute im wesentlichen durch die Nichtbeachtung des beschriebenen Interdependenzverhältnisses aus. Wo es um die Optimierung von Kommunikationskanälen geht (PR, Werbung), dominiert ein informationstheoretisches Kommunikationsverständnis, während Aspekte interpersoneller Kommunikation (Personalwesen) häufig in den Kompetenzbereich der Betriebspsychologie verlagert werden. Auch die aktuelle betriebswirtschaftliche Literatur zur MarketingKommunikation versteht Kommunikation überwiegend als „Austausch von Informationen“ (Berndt 1993, 11). Am ehesten noch hat der symmetrische Kommunikationsbegriff

854 bislang in Forschungen zur Unternehmenskommunikation Einzug gehalten. Für einen interdisziplinär operationalisierbaren Kommunikationsbegriff erweist sich der sozialwissenschaftliche Aspekt der Reziprozität als Schlüsselkategorie. Bezogen auf die Selbstwertkonzepte, Erwartungen und ErwartungsErwartungen der Kommunikationspartner bedeutet dies, daß sie den Kommunikationsprozeß nicht nur konstituieren, sondern in ihm auch selbst permanent und in jeweils veränderter Qualität generiert werden. Dies läßt sich wiederum nur unter Berücksichtigung aller kommunikativer Verhaltensweisen und ihres wechselseitigen Zusammenhangs angemessen analysieren. Zu nennen sind diesbezüglich vier Teilbereiche kommunikativen Verhaltens: der verbale, nonverbale, parasprachliche und extraverbale. Innerhalb der Fachsprachenforschung ist ⫺ abgesehen von Arbeiten zum Text-Bild-Verhältnis ⫺ bislang freilich überwiegend der verbale Bereich berücksichtigt worden. Aus der Sicht der interkulturellen Fachkommunikationsforschung gilt es jedoch, die vier genannten Teilbereiche sowohl hinsichtlich ihrer jeweils konkreten individuellen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen als auch in Hinblick auf ihre Interdependenz bzw. Systemhaftigkeit in der Interaktion zu untersuchen. Wie in neueren Arbeiten gezeigt werden konnte, ist dies nicht nur auf mündliche, sondern auch auf schriftliche Kommunikation anwendbar (Schröder 1993; Kalverkämper 1993; Bolten/Dathe/ Kirchmeyer u. a. 1995). 2.3. Kulturbegriff Sowohl kulturvergleichende als auch interaktionale Forschungsansätze gehen heute von einem erweiterten Kulturbegriff aus. Unterscheiden lassen sich in diesem Kontext drei methodologische Richtungen, die als „materiale“, „mentalistische“ und „funktionalistische“ bezeichnet werden können (Bolten 1996). Gemeinsam ist den drei Ansätzen bzw. auf ihnen aufbauenden integrativen Konzeptionen, daß Kultur ⫺ wie immer sie auch definiert wird ⫺ als kommunikativ vermittelte stets ein Resultat gesellschaftlich gebundener Interaktionsprozesse darstellt und dementsprechend nur mit synchronisch-diachronisch verfahrenden Analysemodellen dechiffrierbar wird. In dieser Weise wird Kultur auch in betriebswirtschaftlichen Theorien zu unternehmens- oder organisationsbezogenen Subsystemen im wesentlichen als ein dynamischer Prozeß aufgefaßt.

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

2.4. Interkulturalität vs. Internationalität Aus dem Gesagten folgt, daß die häufig konstatierten Unstimmigkeiten hinsichtlich dessen, was unter interkulturell zu verstehen ist, vermutlich nicht durch ein gravierend unterschiedliches Verständnis von Kultur bedingt sind. Gleiches gilt auf den ersten Blick in bezug auf das Präfix inter-, denn wenn Kultur konstitutiv ist für den Interaktionszusammenhang einer bestimmten Lebenswelt, kann Interkulturalität per definitionem nur das „Dazwischen“, die Relation von Lebenswelten, bezeichnen. Definitorische Dissenzen ergeben sich vielmehr aus den skizzierten Unterschieden bei der Verwendung des Kommunikationsbegriffs. Legt man einen informationstheoretischen Kommunikationsbegriff zugrunde, geht es im wesentlichen um Internationalität, um Transmissionsaspekte z. B. in dem Zusammenhang, wie sich ein Unternehmen A strategisch verhalten muß, um auf einem fremden Markt B ein Produkt x möglichst erfolgreich absetzen zu können. Im Mittelpunkt stehen hierbei zumeist inhaltliche Fragestellungen im Sinne einer Sender-Empfänger-Relation (A → B) oder einer Reiz-Reaktions-Handlung (A ↔ B), nicht so sehr jedoch Aspekte der eigentlichen Interaktionsbeziehung zwischen dem Unternehmen A und seinen Partnern auf Markt B. Vor dem Hintergrund eines interaktionstheoretischen Kommunikationsbegriffs steht dagegen die Perspektivierung gerade der Prozessualität der Beziehung A ↔ B selbst im Mittelpunkt. Das „Dazwischen“ ist dabei der Prozeß oder die „Interkultur“. In diesem Sinne focussiert der Begriff Interkulturalität anders als derjenige der Internationalität immer auch Interaktionsprozesse. Er läßt sich nicht auf ausschließlich kulturvergleichende bzw. -kontrastive Ansätze anwenden, setzt sie aber voraus.

3.

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855

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856

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

89. Kritik der Wissenschaftssprachen 1. 2.

6.

Begriffliche Klärungen Kritik der Wissenschaftssprache als Teil und im Zusammenhang innerwissenschaftlicher Entwicklungen Wissenschaftssprache und Öffentlichkeit Wissenschaftssprachkritik und Sprachkultur Wissenschaftssprachen-Kritik ⫺ Wissenschaftssprachliche Interkulturalität oder neue Einsprachigkeit? Literatur (in Auswahl)

1.

Begriffliche Klärungen

3. 4. 5.

Der Titel dieses Artikels verlangt hinsichtlich seiner nominalen Elemente Klärung. Die Verwendung des Ausdrucks Sprache in Wissenschaftssprache ist mißverständlich ⫺ genauer gesagt: Es handelt sich meist um eine Metonymie, die freilich in der Gefahr steht, als solche nicht erkannt zu werden. Lediglich dann, wenn sich das seit dem Mittelalter virulente Programm einer wissenschaftlichen Universalsprache (Raimundus Lullus und seine „ars generalis“, Leibniz (vgl. Pombo 1987), Morris/Carnap) realisieren würde, wäre eine eigene Wissenschaftssprache konstituiert. Gegen die Wahrscheinlichkeit der Realisierung dieses Vorhabens spricht die bisherige wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung. Gegen seine Möglichkeit hat Apel (1973) die Idee der Alltagssprache als notwendig letzter Metasprache geltend gemacht. Auch die intensive Nutzung der Mathematik als Sprache eigener Art verbleibt hinsichtlich der unumgänglichen kommunikativen Anteile, in die sie eingebettet ist, auf alltägliche Sprachen angewiesen. Diesseits dieser Grenzen handelt es sich bei „Wissenschaftssprache“ um eine oder mehrere Varietäten von Sprachen im umfassenden Sinn, die entweder diachronisch (Wissenschaftslatein; klassisches Arabisch als Wissenschaftssprache, vgl. Ibrahim 1989) oder synchronisch (europäische „National“sprachen seit der Neuzeit) diese Varietäten umgreifen. Die Kennzeichen der Varietäten werden je nach gesellschaftlichen Erfordernissen und linguistischen Fragestellungen unterschiedlich bestimmt. Dadurch, daß Wissenschaftssprache linguistische und öffentliche Aufmerksamkeit vor allem in lexikographischer, weniger stark in syntaktischer oder gar in darüber hinausreichender Hinsicht gefunden hat, konnte in der Nutzung der Metonymie

„Wissenschaftssprache“ die Notwendigkeit einer genaueren pragmatischen Bestimmung des Charakters auch der lexikalischen und syntaktischen Eigenschaften dieser Varietäten aus dem Blick geraten. Wissenschaftssprache und ihre Kritik wurden und werden so als Spezialfall für die Fachsprachenanalyse behandelt (vgl. Kalverkämper 1980; Felber/ Budin 1989). Die Bestimmung einer Sprache vorwiegend durch ihr Lexikon erleichtert dann auch das Reden von einer Vielfalt von Wissenschaftssprachen. Durch die Erweiterung linguistischer Fragestellungen hin zu solchen des sprachlichen Handelns hat sich im Rahmen der „pragmatischen Wende“ eine neue Orientierung ergeben, in der die sprachsoziologischen Kennzeichen wissenschaftssprachlicher Varietäten ebenso als Erkenntnisdesiderat benannt werden wie das Erfordernis, die inneren Strukturen von für die Wissenschaft geeigneter Sprache pragmatisch zu rekonstruieren. Auch der Ausdruck Kritik versteht sich allenfalls oberflächlich von selbst, nämlich dann, wenn Kritik von Wissenschaftssprache auf ein Feld begrenzt ist, das sich von stilistischen bis zu allgemeinen sogenannten „kulturkritischen“ Faktoren erstreckt. Kritik wird hier als Ausübung eines präskriptiv basierten Richteramtes verstanden, wie es sich am deutlichsten in der „Literaturkritik“ ausspricht. Derartige Kritik hat ihre zentralen Topoi im Einklagen von Verständlichkeit und Schönheit, zusammengefaßt von Lesbarkeit, und im Beklagen von deren Fehlen. Handlungstheoretisch gesehen, ist es v. a. die Frage der Hörer bzw. Leser wissenschaftlicher Vorträge und Texte, die Teilhaberschaft am wissenschaftlichen Diskurs, von der aus sich Sprach- oder genauer Kommunikationskritik entfaltet. Davon unterscheidet sich Kritik im theoretischen Sinn. Diese ist wesentliches Element von Wissenschaft selbst (vgl. Röttgers 1990). Pragmatisch gesehen ist es hier stärker die Funktionsbestimmung von Sprache im Prozeß wissenschaftlichen Wissensgewinns, die den Kernpunkt ausmacht: Damit Wissenschaft ihre Ziele erreichen kann, bedarf sie kontinuierlicher Verbesserung der Sprache als ihres wichtigsten Verständigungs- und Tradierungselementes. Die unterschiedlichen Verstehenstraditionen des Ausdrucks Kritik verdienen eigene Berücksichtigung bei der Darstellung von

89. Kritik der Wissenschaftssprachen

„Kritik der Wissenschaftssprachen“. Dazu gehört auch das Bezeichnen der Schnittstellen, an denen die beiden hauptsächlichen Verwendungsweisen zusammentreffen.

2.

Kritik der Wissenschaftssprache als Teil und im Zusammenhang innerwissenschaftlicher Entwicklungen

Gruppen, die sich der für ihr Überleben notwendigen Wissensbestände im wesentlichen in ihren praktischen Verrichtungen vergewissern können, bedürfen der situations-, personen- und generationenübergreifenden Potentiale von Sprache in nur geringem Maße. Indem die Wissensbestände wachsen, ihre Nutzung, Gewinnung und Überlieferung sich ausdifferenzieren (Arbeitsteilung) und die gesellschaftliche Praxis aus den Grenzen des jeweils Selbstverständlichen heraustritt, realisieren sich die wissensspeichernden Möglichkeiten von Sprache zunehmend. Die Entwicklung und Unterhaltung von Wissenschaft setzt solche Komplexität immer schon voraus und dient ihrer Bearbeitung. In ihrer Entfaltung gewinnt Innovation und damit zugleich Revision überkommenen Wissens über dieses zunehmend die Überhand. Um die komplexeren Wissensbestände für diese Prozesse präsent und praktikabel zu halten, bedarf es der Entfaltung des Organons Sprache. Diese hat tiefgreifende Folgen bis in die Sprachstrukturen hinein. Die Veränderungen sind an die jeweiligen Grundstrukturierungen gebunden, die für etwa eine isolierende Sprache (z. B. die chinesische) oder eine flektierende (z. B. die griechische, arabische oder deutsche) eine je andere Ausgangslage für die erforderlichen Differenzierungs- und Komplexivierungsprozesse bedeuten. Um bei den flektierenden Sprachen zu bleiben, so hat sich in ihnen je ähnlich zunächst eine implizite Kritik an vorausliegenden Sprachstufen für die Zwecke der Wissenschaft ergeben, die sich in der Einführung und Verallgemeinerung der Hypotaxe, der Ausdifferenzierung der präpositionalen Konstruktionen und der Vervielfachung von Diskurs- und Textarten als unumgänglicher Voraussetzung und Folge wissenschaftlicher Kommunikation vollzieht. Die neuzeitliche Wissenschaft erhebt diese kritischen Prozesse in den Rang eines eigenen, bewußt geführten Diskurses, in dem die Erweiterung und Modifikation des Wissens zugleich immer Kritik an vorausliegenden

857 Sprachformen wird. In der Wissenschaftstheorie und der kritischen Philosophie, kulminierend in der Kantischen Kritik und in den idealistischen Systementwürfen, und besonders in der Wittgensteinschen und der angelsächsischen analytischen Sprachphilosophie gewinnt dieser Diskurs seine eigene Reflexivität. Dabei ist der Prozeß der Vulgarisierung des wissenschaftlichen Betriebes gegenüber der mittelalterlichen Wissenschaftsökumene und ihrer einheitlichen Wissenschaftssprache Latein für das Westreich (sowie die slawischen Bevölkerungsgruppen) ein zentrales Merkmal. Die Umsetzung religiösen und wissenschaftlichen Wissens und die Herausbildung einer neuen Art von Wissenschaftsbetrieb, der sich besonders der „Natur“ in ihren verschiedenen Dimensionen zuwandte, geht Hand in Hand mit der Weiterentwicklung der „Volks“sprachen zu entfalteten Werkzeugen für wissenschaftliche Kommunikation. Damit ist der prinzipielle Bruch mit einem mitgliedschaftsbezogenen Wissenschaftsverständnis verbunden, das die Kleriker (⫽ Teilhaber) vom Volk (⫽ den Laien, von gr. laikos: zum Volk gehörig) in grundsätzlicher Weise trennte. Die hier vollzogene Kritik an der mittelalterlichen Wissenschaftssprache Latein, deren Durchsetzung sich über mehrere Jahrhunderte erstreckte (vgl. etwa die Fallstudie von Menzel 1996 zu Christian Wolff und die quellenreiche Darlegung Schiewes 1996 am Beispiel der Universität Freiburg), bedeutete wesentlich erweiterte Zugangsmöglichkeit zum wissenschaftlichen Diskurs. Menzel (1996) schlägt hierfür den im Deutschen bisher wenig genutzten Ausdruck Vernakularisierung vor (im Sinne von vernaculus II ⫽ inländisch, einheimisch (Georges, Bd. 2, Sp. 3427); in den romanischen Sprachen werden Ableitungen von vulgus ⫽ „Volk“ genutzt, eine Verwendung, die aus bekannten Gründen im Deutschen schwer einsetzbar ist. Auch der Bezug auf die „gemeine“ Sprache ist aufgrund der Bedeutungsveränderung von „gemein“ problematisch). Entsprechend dem Programm des nicht mehr autoritativ versicherten und vergewisserten Wissens, das im mittelalterlichen Traditionswesen vorgelegen hatte, dem Programm eines Wissenstyps also, der seiner eigenen permanenten Revision unausweichlich ausgeliefert ist, wird die in den Vernakularisierungen vorangetriebene Sprachkritik vor allem unter den Maximen der Klarheit und der Eindeutigkeit geführt. Erst und nur wenn

858 die klaren Gedanken eine ebensolche sprachliche Fixierung gefunden haben, ist das je neue Abgleiten in die Obskurität, die Dunkelheit und damit die Unwissenschaftlichkeit verhindert. So findet sich seit Bacon und Descartes ein kontinuierlicher Argumentationsstrang in der neuzeitlichen Wissenschaft, der dieser Art von Klärung kritisch verpflichtet ist. Sprachliche Unklarheit erscheint als Ursache gesellschaftlicher Unordnung, die Verhinderung der Verbreitung einer klaren wissenschaftlichen Sprache als Ausdruck der Verhinderung von Aufklärung und Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände. Inwieweit die verschiedenen Teile dieses in der Aufklärung kulminierenden Projekts miteinander vereinbar sind, ist dabei durchaus unklar. Gerade die Entwicklung eindeutiger und somit klarer Begriffe, die in eindeutigen Wörtern ausgedrückt werden, führt immer wieder zu sprachlichen Strukturen, die einen verallgemeinerten, dem „Volk“ zugänglichen Wissenserwerb und -gebrauch verstellen. Dies ist exemplarisch greifbar in der Kontroverse zwischen Kants „Kritik der reinen Vernunft“ (Kant 1781/87) und Herders „Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft“ (Herder 1799). Hatte Kant eine in sich stringente Architektur der Grundlagen des möglichen Wissens entfaltet, indem er die Begrifflichkeit zu einer spezialsprachlichen Präzision vorantrieb und die Relationen der Begriffe in einer die Fassungskraft der Leser weithin übersteigenden Form abbildete, so begann Herder seine „Metakritik“ nach einem narrativ-mythologischen Bezug auf die Edda mit der emphatischen Einklagung jener nationalsprachlichen Verständlichkeit, die in den zuvorliegenden Jahrhunderten in den west- und mitteleuropäischen Sprachen erreicht worden war: „Wer einer Nation ihre Sprache verkünstelt (mit welchem Scharfsinn es auch geschehe), hat das Werkzeug ihrer Vernunft verderbt und ihr verleidet; einer Menge von Jünglingen hat er ihr edelstes Organ verstümmelt und den Verstand selbst, dessen Gebiet sich den Spekulationen nie abschließen kann, irregeleitet. Hätten wir aber eine größere Pflicht und Gabe als den freien innigen Gebrauch unsers Verstandes? Protestantismus ist also die „Metakritik“; sie protestiert gegen jedes der Vernunft und Sprache ebenso unkritisch als unphilosophisch aufgedrängte Satzungspapsttum; […]“ (Herder 1955, 24).

Das hier exemplarisch bezeichnete Dilemma gilt ähnlich für den Bereich wissenschaftlicher Terminologie, also den Bereich, der am

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

ehesten linguistische Aufmerksamkeit gefunden hat, der zugleich freilich schon länger in der öffentlichen Diskusskion präsent war. Um die gewünschte Präzision des Lexikons zum Zweck der eindeutigen Bezeichnung der jeweils gemeinten Sache zu erreichen, ist bei wachsender Sachkenntnis eine erhebliche quantitative und qualitative Ausweitung der Terminologie unumgänglich. Da Sprache hier als vergleichsweise beliebiges Manipulationsobjekt erscheint, sind entsprechende Ressourcen erforderlich, um der gewünschten terminologischen Vervielfältigung eine unumgängliche und nicht so schnell zu erschöpfende Quelle zu vermitteln. Für die west- und mitteleuropäischen Sprachen sind es vor allem die abgelösten Wissenschaftssprachen, das Lateinische und, über es vermittelt, das Griechische, die dafür dienen (vgl. Ehlich 1989; Nedobity 1989; Munske/Kirkness 1996). Im Ergebnis entstehen Termini, die ⫺ bis auf die Nutzung der jeweiligen vernakulären Wortbildungsmuster ⫺ den Kontakt zu den Volkssprachen weithin verloren haben. Dadurch wird manifest, daß die andere Seite des Aufklärungsprogramms, nämlich die sprachlich garantierte Teilhaberschaft am wissenschaftlichen Wissen, nicht eingelöst werden konnte. Dieses Dilemma läßt die terminologische Differenzierung als Ergebnis der inneren Sprachkritik von Wissenschaftssprache im Forschungsprozeß selbst umschlagen zu einem Aspekt derjenigen Sprachkritik, die es mit den mitgliedschaftsverteilenden Kennzeichen von Wissenschaftssprache zu tun hat (siehe 3.).

3.

Wissenschaftssprache und Öffentlichkeit

Die nachmittelalterliche Wissenschaft realisiert als eine der ersten Formen der neuen Kommunikationsverhältnisse einen emphatischen Begriff von Öffentlichkeit (vgl. Habermas 1962). Damit leistet Wissenschaft einen Beitrag zur Niederreißung jener Schranken zwischen einzelnen Gruppen der Bevölkerung, die die mittelalterliche Gesellschaftsstruktur als ganze gekennzeichnet hatten. Die Umsetzung des wissenschaftlichen Wissens in die Volkssprachen ist also kein zufälliges, bloß kontingentes Ereignis der europäischen Wissenschaftsgeschichte, sondern Ausdruck jenes Motors der Entwicklung dieser Geschichte, der die Entfaltung der europäischen Wissenschaften in der Folgezeit zu einer bis

89. Kritik der Wissenschaftssprachen

dahin ungeahnten Blüte vorantrieb. Daß die Verallgemeinerung und Veröffentlichung von Wissen für die gesellschaftliche Entwicklung sich als unumgänglich erwies, bewirkte in der Folgezeit eine zunehmende Veränderung in bezug auf die Gesamtbildungsarbeit der daran beteiligten Gesellschaften. Diese betraf zunächst die Entpersonifizierung von Wissen, indem das Traditionswesen des Wissens sich zentral auf die Ausbildung schriftlicher Wissensformen und Wissensvermittlungsformen konzentrierte. Damit diese Wissensvermittlungsformen einer möglichst großen Zahl von Gesellschaftsmitgliedern zugänglich werden konnten, um so das optimale Nutzen dieses Wissens zu ermöglichen, war die Massenalphabetisierung verlangt (vgl. Giesecke/Elwert 1983), die zunehmend als gesamtstaatliche Aufgabe erkannt und institutionell umgesetzt wurde. Zugleich verlangte die Verallgemeinerung des Zugangs zum wissenschaftlichen Wissen dessen innere Systematisierung und Didaktisierung. Die wissenschaftliche Gesamtstruktur mußte sprachlich so aufbereitet werden, daß ein durchlässiger Zugangsweg bis hin zur Teilnahme an der wissenschaftlichen Innovation für zunehmend größere Teile der Gesamtbevölkerung möglich wurde. Indem diese didaktische Durchstrukturierung des Gesamtwissens den Sachbezug zur zentralen Maxime hatte, verloren sich andere, ältere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit wissenschaftlicher Sprache. Während in der mittelalterlichen Wissenschaftspropädeutik neben der grammatischen und der dialektischen, d. h. argumentativen, Schulung auch rhetorische Bildungsteile als unumgänglich erschienen, entwickelte sich hier eine der massivsten sprachlichen und Sprachbildungs-Veränderungen. Je mehr die dem Präzisions- und Vereindeutigungsgebot unterliegende sprachliche Weiterentwicklung vorankam, umso mehr trat deren Vermittlungserfordernis als eigenständige Bildungsaufgabe zurück. Gerade die Vernakularisierung schien hier eine Freisetzung von Lernkräften zu ermöglichen, die eine Konzentration auf die Sachkenntnisse zuungunsten der dafür erforderlichen Sprachkenntnisse erlaubt. Dadurch bildeten sich schlechte Voraussetzungen für den Umgang mit der sich entfaltenden Wissensvielfalt heraus. Die arbeitsteilige Differenzierung von Grundkenntnissen und die darauf aufbauenden vielfachen Spezialisierungen verschoben die Teilhabemöglichkeiten am Gesamtwissen gegenüber dem Verallgemeinerungspro-

859 gramm des neuzeitlichen Wissenschaftsprozesses. Die Partizipation wird zur bloßen Möglichkeit für im Prinzip gleichberechtigte Gesellschaftsglieder zurückgenommen. Damit tut sich ein Dilemma auf, das seine besondere Schärfe angesichts der zunehmenden Abhängigkeit der Gesellschaften als ganze von den wissenschaftlichen Prozessen besonders klar bemerkbar macht und das einen spezifischen Typ von Wissenschaftssprachkritik zur Folge hat. Die Fundiertheit ganzer Gesellschaften auf wissenschaftlich gewonnenem und vorgehaltenem Wissen tritt in einen kaum zu bearbeitenden Widerspruch zu den Erfordernissen gesamtgesellschaftlicher Entscheidungsprozesse. Wissenschaft, die integraler Bestandteil der Demokratisierung von Gesellschaft ist, entzieht sich durch eine der Öffentlichkeit nicht mehr vermittelbare Sprache eben dieser Allgemeinheit, als deren Agent ihre Repräsentanten doch tätig sind. Hieraus entsteht eine Kritik an Wissenschaftssprache, die von beiden Seiten weithin hilflos erfolgt und erlitten wird. Die Öffentlichkeit verlangt Verständlichkeit, die die Wissenschaft allenfalls um den Preis ihrer eigenen Selbstaufgabe leisten kann, solange und soweit eine faktische gesamtgesellschaftliche Vermittlung des Wissens nicht als gesellschaftliche Bildungsaufgabe begriffen wird. Eine Reaktion darauf besteht im Ruf nach einer spezifischen Gruppe von Mittlern, die Wissenschaft „popularisieren“ sollen (vgl. Bungarten 1986, Teil C). Hieraus entwickelt sich ein eigener Berufszweig, die Wissenschaftsjournalisten (vgl. Hömberg 1989; Kretzenbacher 1992, § 2.2). Verschiedene Wissenschaftskulturen gehen auf diese Problematik offensichtlich auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Intensität ein (s. Kretzenbacher 1992, 3 f). Grundsätzlich bleibt hier freilich ein Kritikpotential bestehen, das kaum aufzuarbeiten ist ⫺ es sei denn durch Umstrukturierungen der Wissenschaft einerseits, Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Bildung andererseits. Da wissenschaftliche Prozesse und ihre Ergebnisse die Gesamtgesellschaft in einer zuvor ungekannten Weise tangieren, ist nahezu zu befürchten, daß die Entfaltung der kritischen Bewegung zwischen beiden Bereichen erst dann wirklich in Gang kommt, wenn größere gesamtgesellschaftliche Katastrophen dies unabweisbar einfordern (Tschernobyl-Effekt).

860 Einstweilen gerinnt der Vorwurf gegen die Unverständlichkeit von Wissenschaft zum Topos einer „wissenschaftssprachkritischen“ Rhetorik, die bis weit in den wissenschaftsredaktionellen Zusammenhang hinein überall dort durchschlägt, wo Teile des Wissenschaftsbetriebes sich einer allgemeinen öffentlichen Wertschätzung nicht oder nicht mehr erfreuen. Besonders dann, wenn sich öffentliches Interesse an Phänomenen der alltäglichen Lebenswelt (Schule und Erziehung, Gesundheit, Rechts- und Verwaltungshandeln usw.) individuell-lebensgeschichtlich umsetzt und die „Bürger“ ihre Hilflosigkeit gegenüber institutionellem Handeln erfahren (vgl. Knoop 1997), ist Schelte wissenschaftssprachlicher Anteile in der Kommunikation der Institutionsrepräsentanten eine häufige Form von Wissenschaftssprachkritik. An anscheinend leicht in die Gemeinschaft rückübersetzbaren Musterbeispielen wird dann die Sinnlosigkeit wissenschaftssprachlicher Terminologie und Redeweise sinnfällig demonstriert (vgl. Jochems 1987). Zugleich legt sich die Suche nach den ⫺ geheimen ⫺ Hintergründen für derlei inkriminierte Wissenschaftssprache nahe. Sie werden im gruppenisolierenden und -sichernden Jargon identifiziert („Fachchinesisch“) (vgl. Polenz 1981; Sager 1986; Knobloch 1987). Wissenschaftssprache erscheint hier vor allem als neuer Mitgliedschaftsausweis einer kleinen innergesellschaftlichen Gruppe, die meist zudem als privilegiert gilt. Alte Topoi der aufklärerischen Religionskritik, genauer der Kritik an deren institutionellem Personal, werden virulent ⫺ bis hin zu generellen Verdikten über die „Intellektuellen“ (Schelsky 1977). Daß diese Kritik meist von Mitgliedern derselben Gruppe artikuliert wird, macht sie zu einem außerordentlich verflochtenen, analytisch schwer auflösbaren Gebilde. Interessanterweise scheinen derartige wissenschaftssprachkritische Diskurse kaum je die mit der Gemeinsprache terminologisch kaum oder nicht mehr vermittelbaren wissenschaftlichen Fachsprachen innerhalb der Naturwissenschaften zu betreffen. Hier scheint das Einklagen einer allgemeinen Verständlichkeit als von vorneherein nicht erreichbar eingeschätzt zu werden. Die Kontroversen entzünden sich sehr viel stärker an den Geistes- bzw. Gesellschaftswissenschaften, deren Texte und Diskurse der Forderung nach allgemeiner Verständlichkeit offensichtlich eher unterliegen als jene der Naturwissenschaften

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

⫺ obwohl oder gerade weil Wissenschaftssprache und Alltagssprache sich hier ohnehin näher sind. Unter anderem die hier gesellschaftlich und wissenschaftsgeschichtlich wahrgenommenen Differenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaftssprachen sind in Snows Konzeption der „zwei Kulturen“ aufgenommen worden (vgl. Snow 1959; 1963), ein Konzept, das Lepenies (1985) zu einem Konzept von „drei Kulturen“ erweitert hat (vgl. die Diskussionsbeiträge von Kreuzer 1969). Sie radikalisieren sich in der Frage nach der Existenzberechtigung der einen oder anderen dieser Kulturen. Die wissenschaftsorganisatorischen Konsequenzen betreffen insbesondere restriktive Umsetzungen in bezug auf die Geisteswissenschaften, wie sie von Kultusbürokratien unter Rückgriff auf diese wissenschaftssprachkritischen Diskurse verstärkt seit den siebziger Jahren im nationalen und internationalen (vgl. z. B. Großbritannien) Kontext zu beobachten sind. Wissenschaftssprachkritik schlägt hier tendenziell um in Wissenschaftseliminierung, die im faktischen Gegensatz zur Grundrechtsqualität der Freiheit von Forschung und Lehre in einigen Demokratien westlichen Typs steht.

4.

Wissenschaftssprachkritik und Sprachkultur

Die auf Gemeinverständlichkeit zielende Umsetzung von Wissenschaftssprache in die jeweiligen Volkssprachen (Vernakularisierung, s. o. 2.) ist im allgemeinen aufs engste verbunden mit Entwicklungsprozessen in bezug auf diese Sprachen selbst. Die Einrichtung von Akademien (vgl. etwa Weinrich 1989) war schon in vorbürgerlicher, absolutistischer Zeit damit zentral befaßt. Die Aufklärung griff dieses Programm intensiv auf (vgl. die detailliertere Rekonstruktion am Beispiel Campes bei Schiewe 1988). Die Entwicklung einer vernikularen Wissenschaftssprache ist ein wesentlicher Teil des übergreifenden Prozesses der Einbindung von Sprache in das „nationale Projekt“, das sich im 19. Jh. voll entfaltete (vgl. Anderson 1983). Diese Bemühungen sehen Sprache als Objekt pflegerischer, kultivierender bewußter Eingriffe, die sich in unterschiedlichen Normensystemen niederschlagen. Darin zeigt sich ein Bewußtsein davon, daß die Adaptierungserfordernisse für Sprachen zu allen Zwecken wissenschaftlicher Kommunikation (vgl. Coul-

89. Kritik der Wissenschaftssprachen

mas 1989) keinesfalls einfach naturwüchsig erfüllt werden können. Die Durchsetzungskraft der Normierungen, die sich weithin in deren Institutionalisierung ausdrückt und durch sie zugleich realisiert wird, ist in den verschiedenen Nationalkulturen unterschiedlich stark. Das beeindruckendste Beispiel ist ohne Zweifel die Acade´mie Franc¸aise. Weniger stark institutionalisierte Formen von Sprachkritik drücken sich in der Praxis eines sprachkritischen Urteils-, insbesondere Rezensionswesens aus. Dieses muß sich sehr viel stärker auf die Gültigkeit und Verläßlichkeit von praktizierten und einklagbaren Standards beziehen. Derartige Standards konnten am ehesten am rhetorischen Bestandteil der wissenschaftlichen Elementarbildung ansetzen. Je mehr die Rhetorik ihren gesellschaftlichen Stellenwert verlor, umso deutlicher nahm das Konzept des Stils (vgl. Müller 1981; Gumbrecht/Pfeiffer 1986) deren Stelle ein. Es kommt zu einer Kombination normativer Anforderungen an wissenschaftliche Sprache, die ein Schnittpunkt unterschiedlicher Begründungszusammenhänge ist. Einerseits sind sie die Realisierung eines die gebildete Öffentlichkeit umfassenden Verständlichkeitskonzeptes, andererseits werden die stilistisch reinterpretierten rhetorischen Anforderungen zur Geltung gebracht. Weiter ist ein spezifisches, auf diskursive Praxis bezogenes Wissenschaftskonzept hierin präsent ⫺ das freilich von der faktischen Wissenschaftsentwicklung seit der 2. Hälfte des 19. Jh. zunehmend desavouiert wurde und in den vielfältigen Spezialisierungen unterzugehen droht (vgl. 3.). Dieses Geflecht hat sich zu einer spezifischen Form von Wissenschaftssprachkritik entfaltet, die in der Bundesrepublik Deutschland auch institutionelle sprachfördernde Ausformungen gefunden hat. In der DDR wurde die Frage der Sprachkultur im Anschluß an den Prager Funktionalismus (vgl. Scharnhorst/Ising 1976; Ammon 1993; exemplarisch Benesˇ 1981) gleichfalls intensiv beachtet, wobei hier zugleich Erfahrungen der UdSSR einflossen (vgl. Ising 1977; Fix 1987). Die Begründungszusammenhänge und ihre Spezifizierung für die Wissenschaften sind jeweils deutlich andere, die theoretisch wenig miteinander vermittelt sind. Besonders Harald Weinrich hat in einer Reihe von Beiträgen Sprachkultur mit Blick auf die Wissenschaft zum Gegenstand geradezu programmatischer Ausführungen gemacht (vgl. Weinrich 1985 b; 1989; 1990; Kalverkämper/ Weinrich 1986; Kretzenbacher/Weinrich 1995;

861 vgl. auch Wimmer 1985). Seine Bemühungen, der Erforschung von Wissenschaftssprache einen eigenen institutionellen Ort zu geben (1989), sind bisher noch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen. Daß hier ein grundsätzliches Desiderat vorliegt, ist freilich unverkennbar (vgl. unten 5.). Vor allem die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt hat sich der Pflege wissenschaftlicher Sprache angenommen, indem sie seit 1964 den Sigmund-FreudPreis für wissenschaftliche Prosa vergibt. Dieser Preis steht in Zusammenhang mit ihren anderen Preisen (für Übersetzung der Johann-Heinrich-Voss-Preis; für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland der Friedrich-Gundolf-Preis; für literarische Kritik und Essay der Johann-Heinrich-Merck-Preis; und ⫺ ihr bedeutendster ⫺ der Georg-Büchner-Preis) (Bickes/Trabold 1994, 180). Seit 1964 zum ersten Mal (an den Romanisten Hugo Friedrich) vergeben, wurde der Sigmund-Freud-Preis an Historiker, Juristen, Literaturwissenschaftler, Musikwissenschaftler, Pädagogen, Philologen, Philosophen, Politologen, Soziologen, Theologen, und ⫺ nur in wenigen Fällen ⫺ Naturwissenschaftler (Portmann, Heisenberg, C. F. von Weizsäkker) verliehen. Unter den Preisträgern von 1964 bis 1995 ist Hannah Arendt (1967) die einzige Frau, der diese Auszeichnung für ihre wissenschaftliche Prosa zuerkannt wurde. Zielsetzung des Preises ist die „Förderung einer Gattung (,gelehrte Prosa‘) …, die der Akademie im Vergleich zu anderen europäischen Literaturen, bei den Schaffenden wie bei den Aufnehmenden, nicht gebührend geschätzt und daher auch nicht genügend entwickelt erscheint“ (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 1989, 36). Die Anknüpfung an die Prosa Sigmund Freuds (vgl. Bettelheim 1983; Pörksen 1986; Gauger 1979) und seine Terminologie greift auf einen „sprachmächtigen“ Wissenschaftler zurück ⫺ der seine Bedeutung freilich gerade außerhalb der Universität und gegen sie durchsetzen mußte. Hierin wird eine Spannung deutlich, die sich aus den oben (s. unter 2. und 3.) angegebenen Problemfeldern heraus erzeugt. Betrachtet man die Wissenschaftssprache einzelner der Geehrten ⫺ etwa am Beispiel der drei Theologen Gerhard Ebeling (1987), Karl Barth (1968) und insbesondere Karl Rahner (1973) ⫺ im Rahmen der wissenschaftlichen Fachprosa ihrer Disziplinen, so erstaunt die Wahl zum Teil (außer vielleicht unter dem Gesichtspunkt des fakultären Proporzes).

862 Eine manchmal eher dem Raunen als dem aufklärerischen Stilideal nahestehende Prosa bei Rahner, eine dem antiaufklärerischen Denken in der Figur des „Senkrecht von oben!“ verpflichtete Sprachlichkeit in den dogmatischen Verlautbarungen Barths und eine in der Zunft ob ihrer Unzugänglichkeit bekannte Schreibweise im Falle Ebelings rufen die Frage wach, in welche Richtung die in der Auszeichnung manifesten Sprachförderungs- und Sprachkritikvorhaben sich entfalten. An Beispielen, die den Zielsetzungen ersichtlich näher stehen, läßt sich in den Laudationes, jeweils in den Jahrbüchern der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung publiziert, Auskunft über die Ziele einholen. So schreibt von Hentig in seiner Laudatio auf Walther Killy von dessen Sprache, „deren stärkstes Bestreben Verständigung über den Gegenstand ist“: „Darum, weil diese Sprache in erster Linie Aufklärung treibt, hat sie auch jene anderen Eigenschaften ⫺ Urbanität und Genauigkeit, Umstand und Bescheidenheit, ,Verlockung zur Frage‘ und epigrammatische Raffung.“ (S. 109).

Hentig fährt fort: „Killy überführt die Fachsprache ⫺ nein, nicht in die Gemeinsprache, sondern in die Sprache der Gebildeten“ (ebd.).

Die hier berufenen Kriterien fassen die faktischen Zielsetzungen präzise zusammen. Sie lassen zugleich erkennen, daß der Preis eben jenem Vermittlungszusammenhang verpflichtet ist, der Wissenschaft einem Teil der Öffentlichkeit, eben dem „gebildeten“, zugänglich halten will. Darin freilich wird die oben (siehe 2. und 3.) beschriebene tatsächliche Problematisierung des Zusammenhangs von Umgangs-, Wissenschafts- und Bildungssprache erneut relevant (vgl. Habermas 1978), der in der faktischen Entwicklung so brüchig geworden ist, daß er sich durch den sprachpflegerischen Appell kaum wiederherstellen läßt. Geradezu protagonistisch wird ein solcher Appell in der Arbeit Hans Martin Gaugers deutlich, der in vielfältiger Weise durch theoretische und wissenschaftpraktische Arbeiten der Förderung jenes wissenschaftlichen Stilideals verpflichtet ist, dem die Arbeit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit ihrem Sigmund-FreudPreis gilt (vgl. u. a. 1979; 1980; 1985; 1986; 1988; 1991). Gauger, selbst Mitglied der Akademie seit 1981, fordert nicht nur eine wissenschaftliche Schreibweise gemäß diesen stilistischen Standards, er setzt sie in seiner eigenen

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

wissenschaftlichen Arbeit vielfältig um ⫺ was wiederum zahlreiche Anerkennungen aus dem Bereich anderer sprachkritischer und wissenschaftsfördernder Institutionen erfahren hat und erfährt. Im Zusammenhang der Wissenschaftssprachkritik ist die Verleihung des Henning-Kaufmann-Preises 1984 hervorzuheben. Konzentriert sich in Gaugers Werk (dem auch neuere wissenschaftssprachkritische Arbeiten seines Freiburger Kollegen Uwe Pörksen (vgl. 1974; 1984; 1989 a; 1989 b) nahestehen) dieses Wissenschaftssprachideal, das sich bildungsbürgerlicher Sympathie gewiß sein kann, so wird in ihm gleichfalls die Problematik geradezu exemplarisch deutlich (vgl. Ehlich 1980). Während die Wissenschaftssprachkritik und -förderung durch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in einen größeren öffentlichen Kontext eingebunden ist, finden sich darüber hinaus kaum institutionalisierte Formen dafür. Der nützliche Überblick von Bickes/Trabold (1994) zur „Förderung der sprachlichen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland“, der im Auftrage der Robert-Bosch-Stiftung durch die „Gesellschaft für Deutsche Sprache“ erstellt wurde, weist (neben fünf informativen Artikeln zur Sprachkultur (S. 12⫺134)) unter den nahezu 130 genannten Institutionen zur Förderung der sprachlichen Kultur außer einigen wenigen universitätsnahen Einrichtungen (Aachen, Berlin, Duisburg, Saarbrücken, Siegen) und der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ (Wiesbaden), dem „Institut für deutsche Sprache“ (Mannheim) jeweils in Teilen ihrer Tätigkeitsbereiche sowie der „Akademie für Rede und Sprache“, einer privatrechtlichen Organisation in Weimar, kaum allgemein wissenschaftssprachbezogene Förderungsinstitutionen auf. Nicht nur für den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereich, aber vorwiegend für diesen, wirkt sich die sprachbezogene Arbeit sowohl des „Deutschen Instituts für Normung“ (Berlin) wie des „Vereins Deutscher Ingenieure“ (Düsseldorf) aus. In der Zusammenstellung von Bickes/ Trabold (1994) nicht enthalten ist die „Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege der Reinheit der deutschen Sprache“, die „1983 als Nachlaßstiftung des Gymnasiallehrers und Namensforschers Dr. Henning Kaufmann (1897⫺1980) begründet“ wurde (Jahrbuch 1989, 101). In umsichtiger Nutzung und Interpretation des ja nicht unproblematischen Konzepts der „Pflege der Reinheit der deut-

863

89. Kritik der Wissenschaftssprachen

schen Sprache“ (vgl. Schiewe 1988, 6 f) hat die Stiftung verschiedentlich auch Wissenschaftler (zuletzt 1996 den Linguisten Peter Eisenberg, Potsdam) ausgezeichnet, um so „sorgfältigen Sprachgebrauch, ein gutes und verständliches Deutsch“ auch in den Wissenschaften zu befördern (Jahrbuch 1989, 101).

5.

Wissenschaftssprachen-Kritik ⫺ Wissenschaftssprachliche Interkulturalität oder neue Einsprachigkeit?

Während die nationalsprachlich verfaßten Wissenschaftssprachen nach der erfolgreichen Durchführung der Vernakularisierung in den europäischen Wissenschaftskulturen besonders des 19. und des beginnenden 20. Jh. zu einer weitgehenden Entfaltung der jeweiligen wissenschaftssprachlichen Möglichkeiten führte, haben sich die Entwicklungen nach zwei Weltkriegen (zu deren strategischen Zielen auf der deutschen Verursacherseite auch sprachpolitische gehörten; vgl. Lerchenmüller/Simon 1997) und nach der allgemeinen Dekolonialisierung in einer ganz anderen Richtung bewegt. Das Englische wird zunehmend als primäre und für die wissenschaftliche Arbeit zugleich hinreichende Wissenschaftssprache behandelt. Hieraus ergeben sich erhebliche Veränderungen für alle nicht-englischen Wissenschaftssprachen (vgl. Oksaar/Skudlik/von Stackelberg 1988, bes. Oksaar 1984; Skudlik 1988; von Stackelberg 1988; Skudlik 1990; Ehlich 1993; 1995). Die zum Teil euphorischen Erwartungen, die mit der Aufgabe nationaler wissenschaftssprachlicher Traditionen und der Selbstsubsumption unter das Englische als allgemeine Wissenschaftssprache verbunden sind (vgl. kritisch Kalverkämper/Weinrich 1986), scheinen sich bisher kaum zu realisieren. Die Diskussion zur Kritik an den nicht-englischen Wissenschaftssprachen, soweit sie von Mitgliedern dieser Sprachgemeinschaft selbst betrieben wird, verkennt häufig, daß eine in eine spezifische Alltagssprache eingebundene Wissenschaftssprache (vgl. 1.) notwendig einen anderen Stellenwert hat als eine non-nativeSprache, wie sie im mittelalterlichen Wissenschaftslatein vorlag. Im Anschluß insbesondere an die (bis an die Vorurteilsproduktion im wissenschaftlichen Gewande heranreichenden) von Galtung (1985) vorgetragenen Charakterisierungen über etwa „teutonische“ Wissenschaft

findet sich ein neuer Typ von Wissenschaftssprachkritik, der der allgemeinen Anglisierung durch den Hinweis auf antidemokratische, verständlichkeitsfeindliche Charakteristika der deutschen Wissenschaftstradition und ihrer unverständlichen Sprache zusätzliche Argumente bietet (vgl. Graefen 1994). Eine ernsthafte, empirisch-basierte Untersuchung unterschiedlicher Wissenschaftssprachen, die den Anforderungen an eine Wissenschaftssprach-Komparatistik genügen, ist demgegenüber weithin noch Desiderat. Erste Beiträge liegen in Arbeiten von Michael Clyne vor (vgl. z. B. Clyne 1987). Erst bei genauerer Kenntnis dieser Strukturen wird eine Einschätzung der Leistungsfähigkeit und Grenzen einzelner Wissenschaftssprachen wissenschaftlich möglich sein. Diese aber wäre eine Aufgabe einer wissenschaftlichen Wissenschaftssprachkritik, die Voraussetzungen für einen internationalen Vergleich (vgl. Schröder 1995) unter Einbeziehung wissenschaftssystematischer, wissensund wissenschaftssoziologischer, kognitiver, historischer und allgemein linguistischer Gesichtspunkte zu schaffen in der Lage wäre. Es zeichnet sich hier ein Forschungsfeld ab, das als solches bisher kaum ausgemessen ist. Gegenüber dem naiven Zutrauen in die triviale Konvertierbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse von Sprache zu Sprache gälte es, die jeweils spezifischen Beiträge zu einer multilingualen Welt-Wissenschaftskultur zu eruieren.

6.

Literatur (in Auswahl)

Umfangreiche bibliographische Angaben zur Wissenschaftssprachkritik finden sich in Kretzenbacher 1992 (besonders § 2, § 3.4, § 5) und Dieckmann 1992 (besonders § 7.2). Ammon 1993 ⫽ Ulrich Ammon: Sprachkultur. In: Metzler-Lexikon Sprache. Hrsg. v. H. Glück. Stuttgart 1993, 579 f. Anderson 1983 ⫽ Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 1983; deutsch: Die Erfindung der Nation. Frankfurt/M. 1988. Apel 1973 ⫽ Karl-Otto Apel: Transformationen der Philosophie. 2 Bde. Frankfurt/M. 1973. Benesˇ 1981 ⫽ Eduard Benesˇ: Die formale Struktur der wissenschaftlichen Fachsprachen in syntaktischer Hinsicht. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981, 185⫺212.

864 Bettelheim 1983 ⫽ Bruno Bettelheim: Freud and Man’s Soul. New York 1983. ⫺ Deutsch: Freud und die Seele des Menschen. Düsseldorf 1984. Bickes/Trabold 1994 ⫽ Hans Bickes/Annette Trabold: Förderung der sprachlichen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Positionsbestimmung und Bestandsaufnahme. Hrsg. v. der Gesellschaft für Deutsche Sprache und der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart 1994 (Materialien und Berichte/ Robert Bosch Stiftung 40). Bungarten 1986 ⫽ Theo Bungarten (Hrsg.): Wissenschaftssprache und Gesellschaft: Aspekte der wissenschaftlichen Kommunikation und des Wissenstransfers in der heutigen Zeit. Hamburg 1986. Clyne 1987 ⫽ Michael Clyne: Cultural Differences in the Organization of Academic Text. In: Journal of Pragmatics 11. 1987, 211⫺247. Coulmas 1989 ⫽ Florian Coulmas (Ed.): Language Adaptation. Cambridge 1989. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 1989 ⫽ Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt. Hrsg. von derselben. Darmstadt 1989. Dieckmann 1992 ⫽ Walther Dieckmann: Sprachkritik. Heidelberg 1992 (Studienbibliographien Sprachwissenschaft 3). Ehlich 1980 ⫽ Konrad Ehlich: Traurige Topen. Zur wissenschaftlichen Rhetorik in konservativer Absicht. In: Merkur 34, 1980, 10, 1057⫺1062. Ehlich 1989 ⫽ Konrad Ehlich: Greek and Latin as a permanent source of scientific terminology: the German case. In: Language Adaptation. Ed. by Florian Coulmas. Cambridge 1989, 135⫺157. Ehlich 1993 ⫽ Konrad Ehlich: Deutsch als fremde Wissenschaftssprache. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 19. München 1993, 13⫺42. Ehlich 1995 ⫽ Konrad Ehlich: Die Lehre der deutschen Wissenschaftssprache: sprachliche Strukturen, didaktische Desiderate. In: Linguistik der Wissenschaftssprache. Hrsg. v. Heinz L. Kretzenbacher und Harald Weinrich. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1995 (Forschungsbericht 10), 325⫺351. Felber/Budin 1989 ⫽ Helmut Felber/Gerhard Budin: Terminologie in Theorie und Praxis. Tübingen 1989 (Forum für Fachsprachen-Forschung 9). Fix 1987 ⫽ Ulla Fix: Sprachpflege als sprachkulturelle Praxis und ihr Verhältnis zum Sprachästhetischen. Anmerkungen zu einer theoretischen Voraussetzung sprachkultureller Aktivitäten, Berlin 1987 (Linguistische Studien/ZISW/A. 1987, 170), 60⫺78. Galtung 1985 ⫽ Johan Galtung: Struktur, Kultur und intellektueller Stil. Ein vergleichender Essay über sachsonische, teutonische, gallische und nipponische Wissenschaft. In: Das Fremde und das Eigene. Prolegomena zu einer interkulturellen Germanistik. Hrsg. v. Alois Wierlacher. München 1985 (Publikationen der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik 1), 151⫺193.

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik Gauger 1979 ⫽ Hans-Martin Gauger: Sprache und Sprechen im Werk Freuds. In: Der Mensch und seine Sprache. Schriften der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Hrsg. v. Anton Peisl und Armin Mohler. Berlin 1979, 48⫺80; und in: Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Hrsg. v. Johannes Cremerius. Frankfurt/M. 1982, 169⫺212; wieder in: Hans-Martin Gauger: Der Autor und sein Stil. 12 Essays. Stuttgart 1988. Gauger 1980 ⫽ Hans-Martin Gauger: Wissenschaft als Stil. In: Merkur 34. 1980, 365⫺374. Gauger 1985 ⫽ Hans-Martin Gauger: Brauchen wir Sprachkritik? Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege und Reinheit der deutschen Sprache. Jahrbuch 1984. Marburg 1985. Gauger 1986 ⫽ Hans-Martin Gauger: Zur Sprache der Wissenschaft: Sermo incurvatus in se ipsum. In: Deutsch als Wissenschaftssprache. 25. Konstanzer Literaturgespräch des Buchhandels. Hrsg. v. Hartwig Kalverkämper und Harald Weinrich. Tübingen 1985 (Forum für Fachsprachen-Forschung 3), 119⫺123. Gauger 1988 ⫽ Hans-Martin Gauger: Babel in den Geisteswissenschaften oder der ungeträumte Traum. Nachwort. In: Els Oksaar/Sabine Skudlik/ Jürgen von Stackelberg: Gerechtfertigte Vielfalt. Zur Sprache in den Geisteswissenschaften. Darmstadt 1988, 203⫺231. Gauger 1991 ⫽ Hans-Martin Gauger: Auszug der Wissenschaften aus dem Deutschen? In: Merkur 45. 1991, 583⫺594. Georges 19138 ⫽ Karl Ernst Georges: Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch Bd. II. Darmstadt 1992. Giesecke/Elwert 1983 ⫽ Michael Giesecke/Georg Elwert: Adult Literacy in a Context of Cultural Revolution: Structural Parallels of the Literacy Process in Sixteenth-Century Germany and PresentDay Be´nin. In: Writing in Focus. Ed. by Florian Coulmas and Konrad Ehlich. Berlin 1983, 209⫺ 225. Graefen 1994 ⫽ Gabriele Graefen: Wissenschaftstexte im Vergleich. Deutsche Autoren auf Abwegen? In: Gisela Brünner/Gabriele Graefen: Texte und Diskurse. Opladen 1994, 136⫺156. Gumbrecht/Pfeiffer 1986 ⫽ Hans-Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer: Stil. Geschichte und Funktion eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements. Frankfurt/M. 1986. Habermas 1962 ⫽ Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Darmstadt. Neuwied 1962. Habermas 1978 ⫽ Jürgen Habermas: Umgangssprache, Wissenschaftssprache, Bildungssprache. In: Merkur 4. 1978, 327⫺342. Hentig 1991 ⫽ Hartmut von Hentig: Nur ein Text, der widersteht, ist der Mühe wert. Laudatio auf Walther Killy. In: Deutsche Akademie für Sprache

89. Kritik der Wissenschaftssprachen und Dichtung, Jahrbuch 1990. Hrsg. v. Michael Assmann. Darmstadt 1991, 103⫺110. Herder 1955 ⫽ Johann Gottfried Herder: Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft (1799). In: Johann Gottfried Herder: Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Friedrich Bassenge. Berlin 1955. Hömberg 1989 ⫽ Walter Hömberg: Das verspätete Ressort. Die Situation des Wissenschaftsjournalismus. Konstanz 1989. Ibrahim 1989 ⫽ Muhammad H. Ibrahim: Communicating in Arabic: problems and prospects. In: Language Adaptation. Ed. by Florian Coulmas. Cambridge 1989, 39⫺59. Ising 1977 ⫽ Erika Ising (Hrsg.): Sprachkultur ⫺ warum, wozu? Aufgaben der Sprachkultur in der DDR. Leipzig 1977. Jahrbuch 1984 ⫽ Henning-Kaufmann-Stiftung: Jahrbuch 1984. Hrsg. v. Ulrich Knoop und H. G. Schmitz. Marburg 1985. Jahrbuch 1989 ⫽ Henning-Kaufmann-Stiftung: Jahrbuch 1989. Hrsg. v. Ulrich Knoop und H.-G. Schmitz. Marburg 1994. Jochems 1987 ⫽ Helmut Jochems: Wege und Irrwege der deutschen Fremdsprachendidaktik im Spiegel ihrer Fachsprache. In: Fachsprache und Wissenschaftssprache. Hrsg. v. Clemens Knobloch. Essen 1987 (Siegener Studien 42), 35⫺54. Kalverkämper 1980 ⫽ Hartwig Kalverkämper: Die Axiomatik der Fachsprachen-Forschung. In: Fachsprache 2. 1980, 2⫺21. Kalverkämper/Weinrich 1986 ⫽ Hartwig Kalverkämper/Harald Weinrich (Hrsg.): Deutsch als Wissenschaftssprache. 25. Konstanzer Literaturgespräch des Buchhandels. Tübingen 1985 (Forum für Fachsprachen-Forschung 3). Kant 1956 ⫽ Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (1781, 17872). Hrsg. v. Raymund Schmidt. Hamburg 1956. Knobloch 1987 ⫽ Clemens Knobloch: Esoterik und Exoterik. Über Begriffsmoden in den Humanwissenschaften. In: Fachsprache und Wissenschaftssprache. Hrsg. v. Clemens Knobloch. Essen 1987 (Siegener Studien 42), 55⫺70. Knoop 1997 ⫽ Ulrich Knoop: Artikel 90. Kritik der Institutionensprache am Beispiel der Verwaltungssprache. In diesem Band. Kretzenbacher 1992 ⫽ Heinz L. Kretzenbacher: Wissenschaftssprache. Heidelberg, 1992 (Studienbibliographien Sprachwissenschaft 5). Kretzenbacher/Weinrich 1995 ⫽ Heinz L. Kretzenbacher/Harald Weinrich: Linguistik der Wissenschaftssprache. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1995 (Forschungsbericht 10). Kreuzer 1969 ⫽ Helmut Kreuzer unter Mitarbeit von Wolfgang Klein: Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. Dialog über die „zwei Kulturen“. Hrsg. v. Helmut Kreuzer. Stuttgart 1969.

865 Lepenies 1985 ⫽ Wolf Lepenies: Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft. München 1985. Lerchenmüller/Simon 1997 ⫽ Joachim Lerchenmüller/Gerd Simon: Im Vorfald des Massenmords. Germanistik im 2. Weltkrieg. Tübingen. Menzel 1996 ⫽ Wolfgang W. Menzel: Vernakuläre Wissenschaft. Tübingen 1996 (Reihe Germanistische Linguistik 166). Müller 1981 ⫽ Wolfgang G. Müller: Topik des Stilbegriffs. Zur Geschichte des Stilverständnisses von der Antike bis zur Gegenwart. Darmstadt 1981. Munske/Kirkness 1996 ⫽ Horst Haider Munske/ Alan Kirkness (Hrsg.): Eurolatein. Das griechische und lateinische Erbe in den europäischen Sprachen. Tübingen 1996. Oksaar 1988 ⫽ Els Oksaar: Möglichkeiten und Grenzen einer internationalen Gemeinsprache in den Geisteswissenschaften. In: Els Oksaar/Sabine Skudlik/Jürgen von Stackelberg: Gerechtfertigte Vielfalt. Zur Sprache in den Geisteswissenschaften. Darmstadt 1988, 9⫺72. Oksaar/Skudlik/von Stackelberg 1988 ⫽ Els Oksaar/Sabine Skudlik/Jürgen von Stackelberg: Gerechtfertigte Vielfalt. Zur Sprache in den Geisteswissenschaften. Darmstadt 1988. Pörksen 1974 ⫽ Uwe Pörksen: Vom pseudowissenschaftlichen Jargon. In: Neue Rundschau 85. 1974, 214⫺22. Pörksen 1984 ⫽ Uwe Pörksen: Das Demokratisierungsparadoxon. Über die zweifelhaften Vorzüge der Verwissenschaftlichung und Verfachlichung unserer Sprache. In: Sprachkultur. Jahrbuch 1984 des Institutes für deutsche Sprache. Hrsg. v. Rainer Wimmer. Düsseldorf 1985 (Sprache der Gegenwart 63), 159⫺181. Pörksen 1986 ⫽ Uwe Pörksen: Die Terminologie der Psychoanalyse. In: Uwe Pörksen: Deutsche Naturwissenschaftssprachen. Historische und kritische Studien, Tübingen 1986 (Forum für Fachsprachen-Forschung 2), 150⫺181. Pörksen 1989 a ⫽ Uwe Pörksen: Thesen zur Sprachkritik und zur Wissenschaftssprache. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 33, 429⫺435. Pörksen 1989 b ⫽ Uwe Pörksen: Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur. 3. Aufl. Stuttgart 1989. Polenz 1981 ⫽ Peter von Polenz: Über die Jargonisierung von Wissenschaftssprache und wider die Deagentivierung. In: Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. Hrsg. v. Theo Bungarten. München 1981, 85⫺110. Pombo 1987 ⫽ Olga Pombo: Leibniz and the Problem of a Universal Language. Materialien zur Geschichte der Sprachwissenschaft und der Semiotik. Hrsg. v. Klaus D. Dutz und Ludger Kacmarek. Münster 1987.

866

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

Röttgers 1990 ⫽ Kurt Röttgers. Artikel „Kritik“. In: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd. II. Hrsg. v. Hans J. Sandkühler. Hamburg 1990, 889⫺898.

Schröder 1995 ⫽ Hartmut Schröder: Der Stil wissenschaftlichen Schreibens zwischen Disziplin, Kultur und Paradigma ⫺ Methodologische Anmerkungen zur interkulturellen Stilforschung. In: Stilfragen. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Institut für deutsche Sprache. Jahrbuch 1994. Berlin 1995, 150⫺180.

Stackelberg: Gerechtfertigte Vielfalt. Zur Sprache in den Geisteswissenschaften. Darmstadt 1988, 73⫺129. Skudlik 1990 ⫽ Sabine Skudlik: Sprachen in den Wissenschaften. Deutsch und Englisch in der internationalen Kommunikation. Tübingen 1990 (Forum für Fachsprachen-Forschung 10). Snow 1959, 1963 ⫽ Charles Percy Snow: Die zwei Kulturen. Rede Lecture. In: Charles Percy Snow (Hrsg.): Die zwei Kulturen. Hrsg. v. Charles Percy Snow. München 1987, 19⫺58, 59⫺96. Stackelberg 1988 ⫽ Jürgen von Stackelberg: Die Mehrsprachigkeit der Geisteswissenschaften. In: Els Oksaar/Sabine Skudlik/Jürgen von Stackelberg: Gerechtfertigte Vielfalt. Zur Sprache in den Geisteswissenschaften. Darmstadt 1988, 131⫺186. Weinrich 1985 a ⫽ Harald Weinrich: Wege der Sprachkultur. Stuttgart 1985. Weinrich 1985 b ⫽ Harald Weinrich: Sprache und Wissenschaft. In: Harald Weinrich: Wege der Sprachkultur. Stuttgart 1985, 2. Aufl. 1988, 42⫺60. Weinrich 1989 ⫽ Harald Weinrich: Formen der Wissenschaftssprache: In: Jahrbuch 1988 der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin 1989, 119⫺158. Weinrich 1990 ⫽ Harald Weinrich u. a.: Wissenschaftssprache und Sprachkultur. 15. Bayerischer Hochschultag. Tutzing 1990 (Tutzinger Materialien 61). Wimmer 1985 ⫽ Rainer Wimmer (Hrsg.): Sprachkultur. Jahrbuch 1984 des IdS. Düsseldorf 1985 (Sprache der Gegenwart 63).

Skudlik 1988 ⫽ Sabine Skudlik: Die Kinder Babylons. In: Els Oksaar/Sabine Skudlik/Jürgen von

Konrad Ehlich, München

Sager 1986 ⫽ Juan C. Sager: Jargon and Hermeticism in Special Languages. In: Wissenschaftssprache und Gesellschaft: Aspekte der wissenschaftlichen Kommunikation und des Wissenstransfers in der heutigen Zeit. Hrsg. v. Theo Bungarten. Hamburg 1986, 63⫺179. Scharnhorst/Ising 1976 ⫽ Jürgen Scharnhorst/ Erika Ising (Hrsg.): Grundlagen der Sprachkultur. Beiträge der Prager Linguistik zur Sprachtheorie und Sprachpflege. In Zusammenarbeit mit K. Horalek und J. Kuchar. Berlin 1976 (Sprache und Gesellschaft 8/1 und 8/2). Schelsky 1977 ⫽ Helmut Schelsky: Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen. München 1977. Schiewe 1988 ⫽ Jürgen Schiewe: Sprachpurismus und Emanzipation. Hildesheim 1988. Schiewe 1996 ⫽ Jürgen Schiewe: Sprachenwechsel ⫺ Funktionswandel ⫺ Austausch der Denkstile. Tübingen 1996 (Reihe Germanistische Linguistik 167).

90. Kritik der Institutionensprache am Beispiel der Verwaltungssprache 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

1.

Grundsätzliches zum Verhältnis von Verwaltungs- und allgemeiner Sprache Die vorbildliche Kanzleisprache Gegen den „Papierstil“ Die Sprache der verwalteten Welt Bürgernahe Verständigung Expertensprache und Plastikwörter Literatur (in Auswahl)

Grundsätzliches zum Verhältnis von Verwaltungsund allgemeiner Sprache

Die Verwaltungsfachsprache unterscheidet sich von anderen Fachsprachen dadurch, daß der Verwaltung über die fachsprachliche Binnenverständigung hinaus die Umsetzung in

die Allgemeinsprache des Publikums bzw. umgekehrt die Hereinnahme allgemeinsprachlicher Äußerungen aus dem Publikum aufgegeben ist. Die Verwaltung kann deshalb intern fachsprachlich verfahren, also Aufbau, Pflege und geordnete Verwendung ihrer Fachsprache betreiben, sie muß aber auch zu den notwendigen Umsetzungsprozessen in eine allgemeinsprachliche Verständigung bereit und in der Lage sein. Denn die fachsprachliche Komplexitätsauflösung der natürlichen Sprache zu mehr linear geprägten Verständigungsabläufen stößt auf seiten der Klientel immer wieder auf die Forderung nach einer „natürlichen“, alltagssprachlichen Verständlichkeit ⫺ etwa auf dem Niveau „des durchschnittlich Gebildeten“ (Steger 1989, Sp. 126).

90. Kritik der Institutionensprache am Beispiel der Verwaltungssprache

Damit wird freilich die Singularität des einzelnen Vorgangs exklusiv und verwischt den Rückbezug zu der zu bewältigenden Komplexität, aus dem heraus der Vorgang für die jeweilige Klientel vereinzelt wurde. Die Forderung der Klientel als Adressat des Verwaltungshandelns führt also zu einer grundsätzlichen Ungeklärtheit beider Verständigungsbereiche. Dies auch deshalb, weil sowohl die Klientel wie auch das Verständigungshandeln kaum begrenzbar sind, also auch fachlich schwierig zu strukturieren ist. Die Klientel reicht vom einzelnen Bürger bis zu Bevölkerungsgruppen, das Verständigungshandeln der Verwaltung bedarf der unterschiedlichsten Text- und damit eben auch Inhaltsbewältigungsarten mit oftmals zwei und mehr Verfassern (Gespräch, Brief, Rundschreiben, Formular, Verfügung etc.). Umgekehrt muß die Verwaltung unterschiedliche, großenteils allgemeinsprachliche Texte ihrer Klientel umsetzen (Anträge, Anfragen, Eingaben etc.). Anders als z. B. in den Fachsprachen des Rechts oder der Medizin hat die Verwaltung aber keine speziellen Agenten (also z. B. Rechtsanwalt, Arzt) für den Umsatz in die oder aus der Fachsprachlichkeit ⫺ allenfalls in Teilbereichen (Steuerberater, Rechtsanwalt). Hieraus ergibt sich ein grundsätzlich angelegtes Spannungsverhältnis zwischen fachlich angemessener und allgemeinverständlicher Darstellung, das sich in Unzufriedenheit und Mißverständnissen niederschlägt. Die Fachsprache der Verwaltung und ihre Umsetzungsversuche sind also einer mehr oder minder deutlichen, mehr oder minder andauernden Kritik an ihrem sprachlichen Verhalten ausgesetzt. Die Ansatzpunkte dieser Kritik sind allerdings so veränderlich wie die Auffassungen von der Leistung bzw. den Leistungsbereichen der Sprache einerseits und von den Verfahren und Aufgaben der Verwaltung andererseits. Grundsätzlich steht die Verwaltungssprache aber deshalb im Blickfeld der sprachkritischen Beurteilung, weil sie, anders als die allgemeine Sprache überhaupt, durch ihre Veröffentlichung und Beobachtbarkeit als Prototyp „allgemeiner“ Sprache angesehen werden kann und deshalb die sensibilisierte Sprachbeurteilung auf sich zieht. Es werden also nicht nur die reine Verständigungsqualität der Verwaltungssprache und ihre mehr oder minder geglückten Umsetzungen in die Allgemeinsprache kritisiert, sondern auch an dieser veröffentlichten Sprache die allge-

867

meinen sprachkulturellen bzw. überhaupt kulturellen Vorgaben überprüft ⫺ so z. B. die Verwirklichung des Natürlichkeitstopos der Jahrhundertwende, die Abwehr der Vermassungsvorstellung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder die Verständigungsmaxime seit den 70er Jahren als „Bürgernähe“. Da Sprachkritik mit Sachkritik verknüpft wird, ist die Kritik an der Verwaltungssprache auch vor dem Hintergrund des Verwaltungshandelns zu sehen. Mit ihren Eingriffen, Eingriffshinderungen, Bewilligungen oder Nichtbewilligungen wird deutlich, daß die Verwaltung mit ihrer Sprache „etwas tut“ (Ehlich/Rehbein 1980, 338).

2.

Die vorbildliche Kanzleisprache

Das geht auch daraus hervor, daß die Sprache der Verwaltung in den Zeiten keiner Kritik unterlag, in denen mit ihr nicht geregelt, organisiert oder entschieden wurde, sie also noch nicht Institutionensprache war, sondern lediglich Beschreibungssprache einer soziologisch hoch angesetzten Trägerschicht bzw. lediglich Protokollsprache mündlich geklärter Entscheidungsprozesse auf allen sozialen Ebenen. Als „Kanzlei-Stil“ hatte diese Form der Verwaltungssprache über lange Zeit hin Vorbildcharakter, weil sie zugleich die einzige veröffentlichte Form einer Gemein- oder Gebrauchssprache darstellte. Bekannt sind die Ausrichtung Luthers an der sächsischen „Kanzlei“ oder die entsprechenden Hinweise in den Sprachlehrbüchern der Neuzeit ⫺ z. B. Fabian Frangk, der die Sprache der Wiener Kanzlei als die „emendirsten und reinisten“ 1531 in seiner ,Orthographia deutsch‘ hinstellt (Eggers 1969, 183). Äußerungen dieser Einschätzung sind bis zum Ende des 17. Jh.s zu finden. So nennt Grimmelshausen (1671) vor allem die Fürstlichen „Cantzleyen“, wo das beste Deutsch zu finden sei (Josten 1976, 155). Zu gleicher Zeit werden aber auch schon Einwendungen gegen die Verwaltungssprache benannt. Der Satiriker Johann Fischart tadelt die Fremdwörterei, vor allem aber das „Dintendeutsch“ (Eggers 1969, 190). Diese Kritik hält zwar an, bleibt aber meist beschränkt auf die Literaten.

3.

Gegen den „Papierstil“

Nachdem die gesellschaftlichen Steuerungsund Versorgungsaufgaben im 19. Jh. weitgehend auf staatliche Organisationen und Institutionen übertragen und damit weite Bevölkerungskreise vom Verwaltungshandeln er-

868 faßt worden sind bzw. selbst ihre Ansprüche anmelden müssen oder können, werden die Staatsbürger vermehrt mit den fachsprachlichen Formulierungen konfrontiert. Denn dieser moderne ⫺ in der gängigen Wendung: Verwaltungs- ⫺ Staat muß sein regelndes Handeln aus Gesetzen, Vorschriften und allgemein überprüfbaren Handlungsanweisungen so umsetzen, daß durch wörtliche Zitate (aus den fachsprachlichen Rechts- und Verwaltungstexten), enge Paraphrasierungen und Querverweise die Aussage möglichst sachdirekt gehalten wird, auch wenn dies der allgemeinsprachlichen Maxime der Kürze zuwiderläuft, also umständlich ist, und insgesamt ästhetisch nicht befriedigt (Steger 1989, Sp. 127). Damit sind auch schon die Ansatzpunkte genannt, gegen die zum Ende des 19. Jh.s ein allgemeineres Publikum seine Kritik an der Verwaltungssprache in Anschlag bringt. Denn kritisiert wird an der Verwaltungssprache ihre Weitschweifigkeit, Umständlichkeit, Gespreiztheit und unschöne Diktion. Diese Kritik wird durchaus aus der sozialen Klasse hervorgebracht, aus der sich auch der (Verwaltungs-)Beamtenstand rekrutiert. Der erfolgreichste unter ihnen ist der Gymnasiallehrer Gustav Wustmann (1844⫺1910). Er möchte mit seinen „Allerhand Sprachdummheiten“ ein Hilfsbuch für alle liefern, die sich der öffentlichen Sprache bedienen (Untertitel), und erreicht damit weite Kreise: „Selten [hat] ein Buch über Sprachfragen ein solches Aufsehen erregt“ (Meyer 1993, 299, die auch die Höhe der Auflagen und ihre Verbreitung darstellt). Der Duktus der Kritik wendet sich grundsätzlich gegen die Berechtigung der Verwaltungssprache als Fachsprache und fordert ihr Aufgehen in der „sonst üblichen Schriftsprache“ (Wustmann 1891, 6). Das korrespondiert mit der resümierenden Erfolgsbilanz des Allgemeinen Deutschen Vereins durch Herman Dunger (1910, 141): „… das Kanzlei- und Juristendeutsch wird mit immer größerem Erfolg bekämpft“ (Ähnlich Schill 1911, III: Reinerhaltung der deutschen Sprache; Übelacker 1894 ,Gutes Deutsch … für Beamte‘). Am dann sog. „Amtsstil“ bemerkt Wustmann (1891, 6 f, 244, 247, 145, 275, 32) besondere Eigentümlichkeiten: „er liebt es, sich in die Brust zu werfen, sich erstaunliches Geschick, die einfachsten Gedanken unter einem unverständlichen oder schwerverständlichen Wortschwall zu vergraben, er hat auch ein besonderes Wörterbuch“.

In seinen drei Beobachtungsfeldern (Formenlehre, Wortbildungslehre, Satzlehre) behan-

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

delt Wustmann dann jeweils Sprachformen dieses Amtsstils. Beispielsweise die Nominalisierungen die Absicht haben, namhaft machen, käuflich erwerben, die Fachwortverwendung das belegne Haus, die „schleppenden“ Modepräpositionen betreffs, zwecks, mittels, bezüglich, in Erwiderung, in Beantwortung, unter Mitnahme, „das langweilige papierne Relativpronomen welcher, welche, welches“, „ein wahres Juwel unserer Papiersprache, der Stolz aller Kanzlisten …: das herrliche Bindewort bez. oder bezw.“. Getragen wird diese Kritik von der Auffassung, daß „die Ästhetik das entscheidende Wort“ in Sachen Sprachrichtigkeit zu sprechen hat, weil es um Sprachkunst gehe. Sie allerdings entfaltet sich in der eigentlichen „Natur“ der Sprache, also der lebendigen, nicht aber in der unlebendigen, gemachten Schreibsprache (ebda.). Wustmann schließt sich hier deutlich der Natürlichkeitsmaxime der Zeit an, die mit dem Ruf „Zurück zur Natur“ der Sprache (Matthias 1914, 173) das Hauptgewicht auf die gesprochene Sprache legte. Diese Forderung des einflußreichen Rudolf Hildebrand (1898, 6) rief lebhafte Resonanz hervor (vgl. Müller 1990, 120 ff; Meyer 1993, 283 ff). Gemäß der Popularität dieser Kritik an der Verwaltungssprache und ihrer soziologischen Gleichsinnigkeit kommt es zu einer bereitwilligen Reaktion seitens des Führungspersonals der Verwaltungsbehörden: sie verteilen in großer Zahl Exemplare des Wustmannschen Buches an die Beamtenschaft (Meyer 1993, 301) ⫺ weitere Schriften schließen sich daran an, z. B. Schill (1911, III), der auch um die „Reinhaltung der deutschen Sprache“ bemüht ist. Dieser allgemeine, kulturkritische Impuls sah also in der Verwaltungssprache eine Objektivation der allgemeinen Sprache. Diese Verkennung der Fachsprachlichkeit der Verwaltungssprache findet sich auch in den anderen Sprachkritiken des 19. Jh.s ⫺ vorläufige Übersichten bei Cherubim (1983, 180⫺182) und Meyer (1993, 228⫺230).

Angesichts der Lebhaftigkeit der sprachkritischen Diskussion mit ihrem Impetus der Nationalsprachenbewahrung und -verbesserung bleibt die Literatur nahezu unbeachtet, die die Ratgeberaufgabe für eine gute Verwaltungssprache weiterverfolgt. Will die kulturkritische Richtung die Verwaltungssprache durch eine Identifizierung mit der allgemeinen Sprache verbessern und damit letztlich aufheben, geht es in dieser Ratgeberliteratur um die Verbesserung der fachsprachlichen Funktionalität der Verwaltungssprache. Wie in den älteren Kanzlei-Schrift-Stellern wird darin die Fertigkeit angelegt, einen

90. Kritik der Institutionensprache am Beispiel der Verwaltungssprache

treffsicheren verwaltungssprachlichen Text anzufertigen. Die o. g. Übersicht ist also zu ergänzen mit der Ratgeberliteratur für die einzelnen Verwaltungsbereiche, z. B. Gutes Deutsch … für Beamte (Übelacker 1894), Hilfsbuch für Postunterbeamte (Herper 1909), Dienstliche Schreiben des Försters (Groth 1913) oder Der praktische Polizeidienst (Retzlaff-Echterhoff 1920). Das wurde allerdings für das allgemeine Publikum kaum bemerkbar, denn dieses entlastete sich gegenüber der Notwendigkeit der Verwaltung u. a. auch mit der Ironisierung der Verwaltungssprache und ihrem Duktus ⫺ was etwa in den Wortentflechtungen von Ringelnatz (achte ver die Beschwerden, faltet die Fahnen ent; Mackensen 1971, 30) oder den einschlägigen Gedichten von Christian Morgenstern versucht wurde: Der nichtexistente Korf soll der Behörde erklären wer er sei. „Korf erwidert darauf kurz und rund: ,Einer hohen Direktion stellt sich, laut persönlichem Befund, untig angefertigte Person als nichtexistent im Eigen-Sinn bürgerlicher Konvention vor und aus und zeichnet, wennschonhin mitbedauernd nebigen Betreff, Korf. (An die Bezirksbehörde in ⫺)‘. Staunend liests der anbetroffne Chef.“ (Die Behörde; Morgenstern 1972, 261⫺262)

Ansonsten war die Kritik darauf aus, die Verwaltungssprache in der ablehnenden Bezeichnung „Amtsdeutsch“ weiterhin unter den zu vermeidenden „Papierstil“ zu subsumieren. Er wird als die Ausdrucksform kraftloser Naturen angesehen, denen der erfolgreiche Sprachkritiker Ludwig Reiners (1964, 202⫺ 212) dringend die Orientierung an der mündlichen Rede anrät.

4.

Die Sprache der verwalteten Welt

Dieses Aufgreifen der alten Stil-Regel „Schreibe, wie du sprichst“ (Müller 1990) war aber einer neu aufgekommenen, ebenfalls kulturkritisch unterlegten Richtung zu wenig. Für sie hatte sich die Verwaltungssprache zu einer Sprache der verwalteten Welt gewandelt, die nun nicht mehr geändert werden konnte, weil ihre fest gewordenen sprachlichen Wendungen den Menschen numerierten, typisierten, degradierten. Sprachkritik an der Verwaltungssprache war zur Abwehr eines Angriffs geworden, der die Menschen zu Massen summiert, also abstrakte Größen für die Statistik herrichtet (Korn 1958, 33). Si-

869

cherlich inspiriert von der Kritik an der Sprache des Dritten Reichs im „Wörterbuch des Unmenschen“ von Süskind, Sternberger und Storz und deren Diktum der inhumanen Verwaltungs- und Rechtssprache (Sternberger 1963), aber auch von der kulturkritischen Wendung gegen die Masse als der Gesamtheit der nicht besonders Qualifizierten, also der „Durchschnittsmenschen“ im einflußreichen Werk von Ortega y Gasset (1930) stellt Karl Korn die Bestandteile dieses sprachlichen Zugriffs dar. Erfaßt werden hierbei solche Spracherscheinungen, die auch inhaltlich bewertet werden können, also der Wortschatz und die Wortbildung. Satzstrukturen, komplexere Ausdrucksarten wie Floskel oder Formelhaftigkeit fallen hier nicht darunter. Im einzelnen sind dies: ⫺ die Komposita in der Art von Mühlennachprodukte (statt Kleie, Öl etc.), Verkehrsteilnehmer (statt Fahrgast), Betriebsangehöriger (statt Arbeiter) wegen ihrer Wirkung als rechnerische Größen; ⫺ die Abschwächung des Grundworts, das die Person bezeichnet: -träger in Hoheitsträger, -bevollmächtigter in Regierungsbevollmächtigter; ⫺ Substantiv und Funktionsverb anstelle des einfachen Verbs: zur Durchführung bringen, unter Beweis stellen als Entindividualisierung; ⫺ Adjektivzusammensetzungen auf -mäßig, -voll, -seitig als Kategorien bürokratischer Ordnungsvorstellungen; ⫺ Substantivierung von Infinitiven: das Sicheinleben, das Einarbeiten („Nominalisierung“) als „verwaltete Enge“, als Präparation für statistische Größen; ⫺ Abkürzungen als Kunstworte, als Eliminierung von Anschaulichkeit und dinglichem Sinn; ⫺ entsprechend zur Nominalisierung Schwund des Verbausdrucks bis auf wenige: aufmachen, anfallen, durchführen als entpersönlichend, nichtssagend (Korn 1958, 15; 29; 85; 157; 150; 153; 108).

Zusammenfassend stellt Korn (1958, 161) fest: „Halten wir uns an die Masse der sprachlichen Bildungen der verwalteten Welt. Das allgemeinste Merkmal ist, daß das Wort mehr und mehr statt des einzelnen Konkreten einen Stellenwert innerhalb großer künstlicher Ordnungsgefüge anzeigt. Das Wort wird zum Punkt in den Koordinationssystemen der Bürokratie. Daher die Tendenz zum Nomen, daher die Entsinnlichung der Grundworte, daher die Verwandlung von Wortkernen in Worthülsen“. Ähnlich urteilen Less (1958), Diehl (1979) oder Mackensen (1971) ⫺ also: Förderung der Ent-

870

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

menschlichung durch die Unpersönlichkeit der Ansprache (Verkehrsteilnehmer), Nominalstil (in Erwägung ziehen), Nominalerweiterung (Bescheinigung statt Schein), substantivierte Infinitive (Vollstrecken) etc. (vgl. Mackensen 1971, 102⫺112). Die Analyse von Karl Korn ergibt dann auch die Grundlage für die entsprechenden Sprachglossen in den Tageszeitungen der 60er und 70er Jahre (Benckiser 1961; 1962; 1969; Hirsch 1976; 1979; Ibel 1962).

5.

Bürgernahe Verständigung

Karl Korn löst mit seinen gut fundierten Überlegungen, gewürzt mit vielen Beispielen, vor allem aber mit dem kulturkritischen Impetus eine lebhafte, letztlich fruchtbare Debatte aus. Ja, man kann sagen, daß er die Sprachwissenschaft geradezu aufweckt aus einer Selbstgenügsamkeit. Diese Debatte zeitigt dann mehrere Ergebnisse. Zunächst ergibt sich insbesondere aus den Darlegungen von Peter von Polenz (1964, 106⫺107) eine Eingrenzung der bis dahin gepflegten Sprachkritik. Er wendet sich gegen die kulturkritische Ausrichtung der Sprachkritik, die von der Verwaltungsterminologie den reinen Ausdruck der Humanität einfordert. Er wendet sich dagegen, daß die sprachgeschichtlich einzigartige wortschöpferische Leistung, die die Fachleute seit Generationen ohne Hilfe der Philologen vollbracht haben, als „Vulgarisierung“ oder „Nivellierung“ hingestellt werden. Erfolgreiche Sprachkritik darf sich nicht mit der Leerformel vom „Ungeist“ vom sprachlichen Alltagsleben distanzieren, denn an der geistigen Erschließung wirkt die ganze Sprachgemeinschaft mit. Kolb (1961), von Polenz (1963), Oksaar (1967) und andere analysieren nun gerade die von Korn kritisierten sprachlichen Wendungen und Formen der Verwaltungssprache und kommen zu dem Ergebnis, daß diese Nominalisierungen, Funktionsverbverwendungen usw. angemessene, differenzierende und reichhaltige Ausdrucksweisen darstellen. H. Wagner (1970/1972) kann dann in ihrer zusammenfassenden Monographie zur deutschen Verwaltungssprache der Gegenwart zu allen inkriminierten Sprachverwendungsformen eine positive Erklärung liefern, so daß die Verwaltungssprache gerade mit diesen Formen den Leistungserfordernissen einer modernen Verwaltung gerecht wird (Wagner 1970/1972, 115). Damit wurde die Verwaltungssprache als eine Fachsprache begründet, die für die Aufgabenerfüllung zweckmä-

ßig ist. Diese deutliche Herausstellung der Fachsprachlichkeit resultiert aus der Veränderung des Verwaltungsgeschehens und der Verwaltungsaufgaben: Das gesamte staatliche Handeln in der Industriegesellschaft erfährt eine Ausweitung, der Verwaltungsstaat wird zum Sozialstaat. Die Verwaltung muß nun, neutral betrachtet, die Funktion als Regulativ aufgeben: „sie ist eine im umfassenden Sinn gestaltende Funktion geworden“ (Forsthoff 1956, 3). Bemerkt wird diese Veränderung daran, daß man die regulative Verwaltung als „Obrigkeitsstaat“ kennzeichnet mit entsprechendem „imperativischen Charakter“ der Verwaltungssprache (Dieckmann 1975, 93). Da der moderne Sozialstaat zur Leistung verpflichtet ist, wird die Verwaltung zu einer Form des gesellschaftlichen Verkehrs mit dem Zweck der wechselseitigen Fallösung unter den Aktanten (Ehlich/Rehbein 1980, 338). Verwaltung wird nun als eine der Institutionen verstanden, deren Sprache verfahrensfest zu machen ist, so daß sie verbindlich und legitimiert funktionieren kann (Steger 1989, 127). Mit dieser veränderten Funktions- und Aufgabenbestimmung der Verwaltung ergibt sich die Notwendigkeit der Fachsprachlichkeit der Verwaltungssprache. Es entfällt also das Ziel der bis dahin geübten Sprachkritik, die Verwaltungssprache als Behördensprache, Amtsstil, Kanzleideutsch, Papiersprache aufzulösen und allgemeinsprachlich zu verfahren ⫺ z. B. in Orientierung an der lebendigen gesprochenen Sprache, des einfacheren Ausdrucks. Mit der Aufhebung dieses Ein-Sprachen-Ziels für die gesamte Verständigung muß aber nun die Aufgabe gelöst werden, wie diese Fachsprache vermittelt werden kann. Denn die Klientel soll das Verwaltungshandeln verstehen können bzw. muß ihrerseits sich verständlich machen können. Ziel dieser Umsetzung ist es also, die Verbindung zum allgemeiner orientierten Verständnis zu leisten bzw. umgekehrt dieses für das Verwaltungshandeln umzusetzen, ohne daß die Legitimität des Sachbezugs aufgegeben wird. Verwaltungshandeln wird damit auch explizit zum sprachlichen Handeln. Damit verändert sich, besser gesagt: verdeutlicht sich die Aufgabe der Sprachkritik dahingehend, daß sie zwar die Sprachverwendung zum Gegenstand, zum Adressaten aber die Verwaltungsagenten, und als Ziel die Verständlichkeit (nicht Sprachästhetik) hat (vgl. Dieckmann 1980 a, 510). Verstehen ergibt sich primär aus der Kenntnis des modus reci-

90. Kritik der Institutionensprache am Beispiel der Verwaltungssprache

piendi und des damit vorausgesetzten Bezugssystems, erst sekundär aus der konkreten sprachlichen Form (Raible 1981, 29⫺30). Für Augst folgt daraus, daß die ⫺ sicherlich nicht immer falschen ⫺ sprachkritischen Devisen (z. B. „meide das Passiv“) erst „sachlich“ geprüft werden müssen. Sprachkritik wird deshalb nicht an sich geübt, sondern mündet in Schreibempfehlungen. Diese haben drei Faktoren zu berücksichtigen: Sachkenntnis, emotionale Beziehung und die sprachliche Fähigkeit des Bürgers (Augst 1981, 261). Dies findet sich in dem leitenden Stichwort der „Bürgernähe“, weshalb auch der Ratgeber für die heutige Verwaltungssprache bürgernah und praxisnah orientiert ist (Otto 1977, 13). Dieser Begriff Bürgernähe hat zunächst den Inhalt, daß der vom Verwaltungshandeln „betroffene“ Bürger um Verständlichkeit einkommt. Der sprachkritische Impuls richtet sich also gegen Undurchsichtigkeit und Ausuferung der Verwaltungsfachsprachlichkeit, unterlegt von dem Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber den Institutionen. Was hier wie der Kampf um den politisch-ethischen Aspekt der Sprache aussieht, hat durchaus pragmatische Begründungen aus einer Verbindung von vermehrtem Verwaltungshandeln, nämlich die Akzeleration in der gesellschaftlichen Entwicklung und mit ihr als Konsequenz verbunden der wachsende Umfang und die fortschreitende Differenzierung in der Gesetzgebung (Grosse 1980, 11). Sie hat zum Ziel, jedem Bürger und seiner besonderen Situation gerecht zu werden. „Bürgernähe“ bedeutet also nicht nur die Einforderung von verständlicher Sprache, sondern auch Aufbau und Pflege einer verständigen und umgänglichen Klientel, weshalb es nun nicht mehr um Anweisungshandeln sondern um den Dialog zwischen Amt und Bürger gehen muß (Grosse 1980, 12). Die ethischen Forderungen nach verständlicher Verwaltungssprache bzw. Ansprache des Bürgers sind also gepaart mit dem Handlungsziel der Verwaltung bei ihrem notwendigerweise komplexen, mehrschichtigen Vorgehen, Friktionen, vor allem aber Unverständnis, Mißverständnis oder Widerständigkeit zu vermeiden. Deshalb waren es vor allem Verwaltungsfachleute, Juristen und Sprachwissenschaftler, die zum Ende der 70er Jahre auf mehreren Tagungen Vorschläge und Vorgehensweisen für eine produktivere Ansprache und Mitwirkung der Klientel unter der Maxime „Bürgernähe“ ausarbeiteten:

871

⫺ Die Wissenschaftliche Arbeitstagung zum Kommunikationsmittel ,Formular‘, Oktober 1979 (Institut für deutsche Sprache, Mannheim; Grosse 1980); ⫺ Normen der Gesetzes- und Verwaltungssprache. Herbsttagung der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, 1980; Radtke [Bearb.] (1981); ⫺ Sprachbewertung (Verwaltungssprache) (Arbeitsgruppe 6 der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft 1980; Dieckmann 1980 b); ⫺ Behördensprache (Jahresversammlung der Gesellschaft für deutsche Sprache 1981; Ickler 1982); ⫺ Rechts- und Verwaltungsprache (Tagung 1983 im Bundeskanzleramt Wien; Rechts- und Verwaltungssprache. Ein Problem der Verwaltungsreform. Hrsg. vom Bundeskanzleramt Wien 1983).

Die genannten Veränderungen in der institutionellen Verwaltung rufen eine „Reform“ hervor, in deren Folge es auch zu einer neuen behördlichen Sprachpflege kommt (Otto 1977, 5). Klar ist nun die Aufgabe: Abbau bzw. Vermeidung von „Staatsverdrossenheit“, verursacht durch Unverständlichkeit bzw. „Bürgerferne“. Klar sind auch die Grundsätze: die Verwaltungssprache ist eine Fachsprache, und: die Verwaltungssprache ist auf den Bürger bezogen (Otto 1977, 5). Klar ist nun ebenfalls die Aufgabe der Sprachkritik. Sie muß dort beginnen, „⫺ wo der Zweck der Verwaltung die Abweichung von der Allgemeinsprache nicht mehr rechtfertigt, ⫺ wo die „Besonderheit“ dem Inhalt nicht mehr angemessen ist, ⫺ wo das Übermaß stilwidrig und bürgerfremd wird“ (Otto 1977, 12). Im Zuge der Versuche, Konflikte zu vermeiden bzw. rasch zu lösen, geht auch die Verwaltung dazu über, die Verständigungsdistanz zu ihrer Klientel zu überwinden. Statt der Schriftform kommt es nun ⫺ durchaus parallel zu den ausgebauten Beratungsgesprächen der dienstleistenden Wirtschaft ⫺ zum Klientengespräch. Diese Form des Verwaltungshandelns ist insofern neu, als hier im Gespräch Rechtsanspruch und Entsprechungsmöglichkeit verhandelt werden. Voraussetzungsgemäß geht es hier nun nicht mehr um Texte, sondern um allgemeines kommunikatives Verhalten, im Besonderen aber auch um Sprachliches. Gemäß dem ohnehin vermehrten Interesse an der gesprochenen Form der Sprache kommt

872 es zu Analysen und Typisierungen solcher Gespräche. In diesen ist allerdings nur von einer Asymmetrie der Verhältnisse die Rede. Die „Kommunikationsprobleme“ (BeckerMrotzek 1990, 159) entstehen daraus, daß die Gesprächsführung bzw. -haltung, aber auch die Umsetzung von Anliegen der Klientel in verwaltungsgerechte „Fälle“ (Selting 1987, 173) und die unterschiedliche Verwendung fachsprachlicher Ausdrücke zu Verständnisproblemen führen. Die daran anschließende Kritik richtet sich deshalb weniger bis gar nicht gegen Sprachformen, sondern gegen Sprachverhaltensweisen. So z. B. in einem Katalog von Beamten-Verhalten bei Wahmhoff/Wenzel (1977, 261): „⫺ Ihre Äußerungen haben oft den Charakter von Stereotypen und Klischees, ⫺ sie verwenden häufig diskriminierende Redewendungen, ⫺ sie gebrauchen oft fachsprachliche Begriffe und Formeln, ⫺ ihre Sprecherbeiträge sind länger als die der Klienten, ⫺ sie unterbrechen die Klienten häufig, ⫺ sie lassen es oft zu Simultansprechen kommen, ⫺ sie geben wenig Hörersignale.“

Demgemäß werden zur Verbesserung zwar linguistisch angeleitete Schulungen vorgeschlagen, die die Verwaltungsmitarbeiter für die Verstehensprobleme sensibilisieren sollen (Selting 1987, 250). Es ist aber klar, daß hierfür Ergänzungen durch gesprächstherapeutische Verfahren nötig sind. Mit der Aufforderung zur Sensibilität erhält der ohnehin schon diffus gewordene sprachkritische Impuls eine „ethische Grundhaltung“ (Becker-Mrotzek 1990, 159). Sie führt zu der kritischen Auseinandersetzung mit den bestehenden Kommunikationsbedingungen. Im Änderungseifer ⫺ nämlich „als widersprüchlich erkannte institutionelle Bedingungen zu verändern“ (Boettcher/Bremerich-Voss 1986, 279) ⫺ wird allerdings übersehen, daß die ethischen Ansprüche auch für die Klientel zu gelten haben. Der Ambivalenz auf Seiten der Behördenmitarbeiter zwischen sensibilisiertem Verstehen und direktiver Ablehnung entspricht auf der Klientelseite eben nicht nur das berechtigte, sondern auch das unberechtigte Anliegen. Die Verstehensleistung des Behördenmitarbeiters besteht also nicht nur darin, einem Anliegen, gleich welchem, zum Erfolg zu verhelfen, sondern nur dem rechtmäßigen. Insofern muß der Beamte nicht in jedem Falle zum kommunikativen Ziel eine Problemlösung anbieten ⫺ so z. B.

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

Becker-Mrotzek (1990, 250) im Anschluß an Wenzel (1984) ⫺ vielmehr kann er auch, gerade weil er den Klienten versteht, eine Ablehnung des Antrags formulieren. Diese Kritik am Sprachverhalten der Verwaltung muß also die Begründung von „verständigungsfeindlichem Sprechhandeln“ (Becker-Mrotzek 1990, 251) entsprechend unterteilen und darf sie nicht allein einer klientelorientierten Gesprächsführung zuordnen.

6.

Expertensprache und Plastikwörter

Diese Vermittlertätigkeit unterliegt freilich schon länger einer Erosion. Denn die Annahme einer begrifflich abgesicherten und begründeten Fachsprache der Verwaltung kann angesichts einer zunehmenden Entschärfung grundlegender Begriffe nicht mehr für alle Bereiche aufrecht erhalten werden. Hierunter leidet die sinnvolle Teilung der Verständigung in einen fach- und einen allgemeinsprachlichen Teil und seine Vermittlung. Die Präzision der Fachsprachlichkeit in der Verwaltungssprache, ihre Treffsicherheit und Genauigkeit wird zunehmend durch eine „Expertensprache“ verstellt, die lediglich Symptomfunktionen erfüllt, aber keine Inhalte klärt oder erfaßt. Diese Expertensprache tritt vor allem dort in Erscheinung, wo Verwaltungsvorgänge und -planungen in Informationsmedien bzw. gegenüber einem Publikum umgesetzt werden. Der Anschein des Fachmännischen wird vor allem über Wörter erzeugt, die aus der Fachterminologie abgeleitet sind, Konnotationen zwar hervorrufen, inhaltlich aber nicht abdecken können. Enthält ein „Flächennutzungsplanentwurf“ die Wörter „Zone“, „Einheit“, „Entkernung“, „Anbindung“ oder „WE“ (Wohneinheiten), so lassen sich mit ihnen Wirklichkeitsmodelle hervorzaubern. Uwe Pörksen (1989, 11) nennt diese Wörter denn auch „Plastikwörter“ und kritisiert an ihrer Verwendung und Ausbreitung die „konnotative Stereotypie“. Plastikwörter erhalten aus dem Raster der Verwaltungssprache ihre Seriosität (Pörksen 1989, 101). Der Benutzer hat aber gar nicht die Möglichkeit, sie zu überprüfen, „stattdessen aber die Illusion, ein umfassendes Gebiet in ihnen zu überblicken“. Entscheidend ist, daß die Verwender der Verwaltungs-Fachsprachen mit dem Gebrauch dieser Plastikwörter die Definitionsmacht einer Fachsprache aus der Hand geben (Pörksen 1989, 58, 37 ff).

90. Kritik der Institutionensprache am Beispiel der Verwaltungssprache

873

Diehl 1979 ⫽ Rainer Diehl: Eine Sprache wird zerstört. Die Bürokratisierung unserer Sprache. In: Neue Gesellschaft 26. 1979, 1116⫺1119.

Diese sprachliche Kritik verweist darauf, daß das Übermittlerproblem zwischen Verwaltungsfachsprache und allgemeiner (Klientel-)Sprache zwar gemindert werden kann, aber nicht zu lösen ist (Steger 1989, Sp. 127).

Dunger 1910 ⫽ Herman Dunger: Zur Schärfung des Sprachgefühls. 4. Aufl. Leipzig 1910.

7.

Eggers 1969 ⫽ Hans Eggers: Deutsche Sprachgeschichte III. Das Frühneuhochdeutsche. Reinbek 1969.

Literatur (in Auswahl)

Augst 1981 ⫽ Gerhard Augst: Die Verständlichkeit der Gesetzes- und Verwaltungssprache aus linguistischer Sicht. In: Die Sprache des Rechts und der Verwaltung. Bearb. v. I. Radtke. Stuttgart 1981, 259⫺267. Becker-Mrotzek 1990 ⫽ Michael Becker-Mrotzek: Kommunikation und Sprache in Institutionen. Ein Forschungsbericht zur Analyse institutioneller Kommunikation. Teil I. In: Deutsche Sprache 18. 1990, 158⫺190; 241⫺259. Benckiser 1961 ⫽ Nikolas Benckiser (Hrsg.): Kritik aus dem Glashaus. Neue Glossen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über gutes und schlechtes Deutsch. Frankfurt/M. 1961. Benckiser 1962 ⫽ Nikolas Benckiser (Hrsg.): Im Gespräch mit der Sprache. Glossen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über gutes und schlechtes Deutsch. Frankfurt/M. 1962. Benckiser 1969 ⫽ Nikolas Benckiser (Hrsg.): Modenschau der Sprache. Glossen und Aufsätze der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über gutes und schlechtes Deutsch. Frankfurt/M. 1969. Boettcher/Bremerich-Voss 1986 ⫽ Wolfgang Boettcher/Albert Bremerich-Voss: Pädagogische Beratung: Zur Unterrichtsnachbesprechung in der 2. Phase der Lehrerausbildung. In: Kommunikationstypologie. Handlungsmuster, Textsorten und Situationstypen. Jahrbuch des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. Werner Kallmeyer. Düsseldorf 1986, 245⫺279. Cherubim 1983 ⫽ Dieter Cherubim: Sprachentwicklung und Sprachkritik im 19. Jahrhundert. Beiträge zur Konstitution einer pragmatischen Sprachgeschichte. In: Literatur und Sprache im historischen Prozeß. Vorträge des Germanistentages Aachen 1982. Hrsg. v. Th. Cramer. Bd. 2: Sprache. Tübingen 1983, 170⫺188. Dieckmann 1975 ⫽ Walther Dieckmann: Sprache in der Politik. Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache. 2. Aufl. Heidelberg 1975 (Sprachwissenschaftliche Studienbücher). Dieckmann 1980 a ⫽ Walther Dieckmann: Sprachlenkung/Sprachkritik. In: Lexikon der Germanistischen Linguistik. Hrsg. v. H. P. Althaus, H. Henne und H. E. Wiegand. 2. vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Tübingen 1980, 508⫺515. Dieckmann 1980 b ⫽ Walther Dieckmann et al.: Tagungsbericht der Arbeitsgruppe 6: Sprachbewertung. In: LAB Berlin (West) 15. 1980, 130⫺164.

Ehlich/Rehbein 1980 ⫽ Konrad Ehlich/Jochen Rehbein: Sprache in Institutionen. In: Lexikon der Germanistischen Linguistik. Hrsg. v. H. P. Althaus, H. Henne und H. E. Wiegand. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Tübingen 1980, 338⫺345. Forsthoff 1956 ⫽ Ernst Forsthoff: Lehrbuch des Verwaltungsrechts. I. Band. Allgemeiner Teil. 6. Aufl. München 1956. Fuchs-Khakhar 1987 ⫽ Christine Fuchs-Khakhar: Die Verwaltungssprache zwischen dem Anspruch auf Fachsprachlichkeit und Verständlichkeit. Tübingen 1987. Grosse 1980 ⫽ Siegfried Grosse: Allgemeine Überlegungen zur sprachlichen Fassung von Vordrukken und Formularen. In: Bürger ⫺ Formulare ⫺ Behörde. Wissenschaftliche Arbeitstagung zum Kommunikationsmittel ,Formular‘. Hrsg. v. S. Grosse und W. Mentrup. Mannheim, Oktober 1979. Tübingen 1980, 11⫺24. Groth 1913 ⫽ Hermann Groth: Dienstliche Schreiben des Försters. 3. Aufl. Neudamm 1913. Herper 1909 ⫽ Rudolf Herper: Hilfsbuch für Postunterbeamte. 2. Aufl. Dresden 1909. Hildebrand 1898 ⫽ Rudolf Hildebrand: Vom deutschen Sprachunterricht und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt, mit einem Anhang über die Fremdwörter und einen über das Altdeutsche in der Schule. 6. Aufl. Leipzig 1898. Hirsch 1976 ⫽ Eike Christian Hirsch: Deutsch für Besserwisser. Hamburg 1976. Hirsch 1979 ⫽ Eike Christian Hirsch: Mehr Deutsch für Besserwisser. Hamburg 1979. Ibel 1962 ⫽ Rudolf Ibel: Im Spiegel der Sprache. Kurzweilige und besinnliche Glossen zur deutschen Sprache. München 1962. Ickler 1982 ⫽ Theodor Ickler: Behördensprache ⫺ Zeichen der Zeit? Über den Grund unseres Unbehagens an amtlichen Texten. In: Muttersprache 92. 1982, 1⫺14. Josten 1976 ⫽ Dirk Josten: Sprachvorbild und Sprachnorm im Urteil des 16. und 17. Jahrhunderts. Sprachlandschaftliche Prioritäten. Sprachautoritäten. Sprachimmanente Argumentation. Bern. Frankfurt/M. 1976. Kolb 1961 ⫽ Herbert Kolb: Sprache in der unverstandenen Welt. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 2 NF. 1961, 149⫺163. Korn 1958 ⫽ Karl Korn: Sprache in der verwalteten Welt. Frankfurt/M. 1958.

874 Less 1958 ⫽ Emil Less: Die Amtssprache als Schlüssel zur Psychologie der Verwaltung. In: Zeitschrift für Beamtenrecht 6. 1958, 362⫺367. Mackensen 1971 ⫽ Lutz Mackensen: Die deutsche Sprache in unserer Zeit. Zur Sprachgeschichte des 20. Jahrhunderts. 2. neu bearb. Aufl. Heidelberg 1971. Matthias 1914 ⫽ Theodor Matthias: Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. Leipzig 1914. Meyer 1993 ⫽ Kerstin Meyer: Wustmanns ,Sprachdummheiten‘. Untersuchungen zu einem Sprachratgeber des 19. Jahrhunderts. In: Sprachwissenschaft 18. 1993, 223⫺315. Morgenstern 1972 ⫽ Christian Morgenstern: Gesammelte Werke. München 1972. Müller 1990 ⫽ Karin Müller: „Schreibe, wie du sprichst!“ Eine Maxime im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Eine historische und systematische Untersuchung. Frankfurt/M. 1990. Oksaar 1967 ⫽ Els Oksaar: Sprache als Problem und Werkzeug des Juristen. In: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 53. 1967, 91⫺132. Ortega y Gasset 1931 ⫽ Jose´ Ortega y Gasset: La rebelio´n de la masas. Madrid 1930. (Dt.: Der Aufstand der Massen. 1931). Otto 1977 ⫽ Walter Otto: Amtsdeutsch heute. Bürgernah und praxisnah. Stuttgart 1977. Pörksen 1989 ⫽ Uwe Pörksen: Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur. 3. Aufl. Stuttgart 1989. v. Polenz 1963 ⫽ Peter von Polenz: Funktionsverben im heutigen Deutsch. Sprache in der rationalisierten Welt. Düsseldorf (Wirkendes Wort, Beiheft 5). v. Polenz 1964 ⫽ Peter von Polenz: Sprachkritik und Sprachwissenschaft. In: Deutsch ⫺ Gefrorene Sprache in einem gefrorenen Land. Polemik. Analysen. Aufsätze. Hrgs. v. F. Handt. Berlin 1964, 102⫺113. Raible 1981 ⫽ Wolfgang Raible: Rechtssprache ⫺ Von den Tugenden und den Untugenden einer Fachsprache. In: Die Sprache des Rechts und der

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik Verwaltung. Bearb. v. I. Radtke. Stuttgart 1981 (Der öffentliche Sprachgebrauch II), 20⫺43. Radtke 1981 ⫽ Ingulf Radtke (Bearb.): Die Sprache des Rechts und der Verwaltung. Stuttgart 1981 (Der öffentliche Sprachgebrauch II). Reiners 1964 ⫽ Ludwig Reiners: Stilkunst. Ein Lehrbuch Deutscher Prosa. (Sonderausgabe) München 1963. Retzlaff/Echterhoff 1920 ⫽ Wilhelm Retzlaff/Alfred Echterhoff: Der praktische Polizeidienst. 8. Aufl. Lübeck 1920. Schill 1911 ⫽ Eduard Schill: Hundert Fehler des Amtsstils. Handbuch für Behörden und Beamte. München 1911. Selting 1987 ⫽ Margret Selting: Verständigungsprobleme. Eine empirische Analyse am Beispiel der Bürger-Verwaltungs-Kommunikation. Tübingen 1987. Steger 1989 ⫽ Hugo Steger: Institutionensprache. In: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft und Gesellschaft. 7. völlig neu bearb. Aufl. Freiburg et al., 5. Band 1989, Sp. 125⫺128. Sternberger 1963 ⫽ Dolf Sternberger: Maßstäbe der Sprachkritik. In: Jahrbuch 1962 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 1963, 75⫺90. Übelacker 1894 ⫽ Matthias Übelacker: Gut und richtig Deutsch oder kleine Sprachlehre für den Selbstunterricht. Für Beamte, Kaufleute, Militärpersonen und Private gemeinverständlich bearbeitet. Berlin 1894. Wagner 1970 ⫽ Hildegard Wagner: Die deutsche Verwaltungssprache der Gegenwart. Eine Untersuchung der sprachlichen Sonderform und ihrer Leistung. Düsseldorf 1970. 2. Aufl. 1972. Wahmhoff/Wenzel 1977 ⫽ Sibylle Wahmhoff/Angelika Wenzel: Ein hm ist noch lange kein hm ⫺ oder ⫺ Was heißt klientenbezogene Gesprächsführung? In: Arbeiten zur Konversationsanalyse. Hrsg. v. Jürgen Dittmann. Tübingen 1977, 258⫺297. Wustmann 1891 ⫽ Gustav Wustmann: Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen. Leipzig 1891.

Ulrich Knoop, Freiburg

875

91. Plansprachen als Fachsprachen

91. Plansprachen als Fachsprachen 1. 2. 3. 4. 5.

1.

Plansprachen ⫺ Sprachplanung ⫺ Fachsprachen Die wichtigsten Plansprachen Esperanto Plansprachliche Impulse für die Terminologiewissenschaft Literatur (in Auswahl)

Plansprachen ⫺ Sprachplanung ⫺ Fachsprachen

Seit dem 16. Jh. bis in die Gegenwart gibt es 900⫺1000 Versuche, internationale Verständigungsmittel bewußt zu schaffen (Blanke 1985, 66 f; Dulicˇenko 1990, 13 f). Statt der bekannteren Bezeichnungen Universalsprache, Welthilfssprache oder (internationale) Kunstsprache ist der vom Begründer der Terminologiewissenschaft Eugen Wüster stammende Terminus Plansprache in der Fachliteratur immer gebräuchlicher (vgl. Blanke 1987). Plansprachen sind nach bestimmten Kriterien geschaffene sprachliche Systeme unterschiedlichen Typs (Back 1996, 883 f) von meist regelmäßigerer Struktur als Ethnosprachen. Sie sollen der Erleichterung und Verbesserung der internationalen Kommunikation dienen. Sie sind Gegenstand der Interlinguistik, eines Wissensgebietes, das sich ⫺ in seinem weiteren Sinne ⫺ insgesamt mit der internationalen sprachlichen Kommunikation und ihren Mitteln befaßt (vgl. Schubert 1989 b, 11 f). Ergebnis bewußten und zielgerichteten Sprachschaffens, können Plansprachen als Produkt der Sprachplanung angesehen werden, versteht man unter Sprachplanung „the methodical activity of regulating and improving existing languages or creating new common regional, national or international languages“ (Tauli 1968, 27). Plansprachen sind für die Fachsprachenforschung aus mindestens drei Gründen von Interesse: (1) Plansprachen sind oft Ergebnis der Suche nach rationellen und exakten sprachlichen Ausdrucksmitteln. Von plansprachlichen Versuchen gingen Impulse auf die Entwicklung von Fachsprachen bzw. der Terminologiewissenschaft aus. (2) Plansprachen spielten bzw. spielen eine gewisse Rolle in der internationalen fachsprachlichen Kommunikation.

(3) Ethnosprachen und Plansprachen, sofern sie Fachsprachen ausgebildet haben, ist gemeinsam das Bedürfnis nach Gütekriterien für Termini und Terminologien, die Notwendigkeit von Terminologienormung und Terminologieplanung sowie deren praktische Organisierung. Weiterhin zu beobachten sind Tendenzen, von der Sammlung und Dokumentation über Forschung und Theorienbildung zu Wissensvermittlung und Training zu gelangen sowie zur Nutzung moderner Datenverarbeitung (elektronische Terminusbanken u. ä.). Da die Plansprachen jedoch bisher kaum einem gesellschaftlich relevanten Kommunikationsbedürfnis entsprochen haben, sind die meisten ihrer bisher vorliegenden fachsprachlichen Ergebnisse in der Regel das Produkt gesellschaftlich kaum geförderter privater Bemühungen.

2.

Die wichtigsten Plansprachen

Von den bisher vorliegenden Plansprachen haben nur wenige eine, zeitlich und in ihrer Kommunikationsleistung begrenzte, Rolle gespielt bzw. spielen diese noch heute. Das sind Volapük, Esperanto, Latino sine flexione, Ido, Occidental-Interlingue, Basic English und Interlingua. Volapük war bis zur Jahrhundertwende relativ bekannt. Latino sine flexione (in den 20er Jahren auch Interlingua genannt, jedoch nicht zu verwechseln mit Interlingua-Gode) hatte bis zum 2. Weltkrieg Anhänger vor allem in Europa. Das gilt auch für Basic English. Ido verfügt bis in die 90er Jahre über einige Hundert Anhänger, die alle zwei Jahre internationale Treffen durchführen (mit etwa 30⫺40 Teilnehmern), über eine kleine Organisation und 2⫺3 Zeitschriften verfügen. Occidental-Interlingue hatte bis Anfang der 80er Jahre eine kleine Kommunikationsgemeinschaft. Interlingua verfügte laut „Adresario de Interlingua“ 1996 über 85 eingetragene Mitglieder in 25 Ländern, die alle zwei Jahre internationale Treffen (mit 30⫺50 Teilnehmern) durchführen. Es erscheinen jährlich 10⫺20 neue Titel (Bibliographia 1996). Fachsprachlich orientierte Organisationen gab es 1996 weder in Ido noch in Interlingua. Lediglich das Esperanto konnte sich von einer Projektskizze zur vielseitig funktionierenden Sprache entwickeln (vgl. Lapenna/ Lins/Carlevaro 1974) und unterliegt folglich

876 den Gesetzen des Sprachwandels (Philippe 1991). Die Quellen, Struktur, Entwicklung und Kommunikationsleistung dieser Sprache werden von der Esperantologie untersucht, der einzigen bisher existierenden einzelplansprachlichen philologisch-linguistischen Disziplin (Wells 1987; Janton 1993). Im Volapük (1879, J. M. Schleyer), einer streng agglutinierenden Sprache mit stark veränderten Morphemen lateinischer, romanischer und germanischer Herkunft, gab es lediglich bescheidene Ansätze einer Handelskorrespondenz (Haupenthal 1982). In Latino sine flexione (1903, G. Peano), das auf den Vorstellungen von Leibniz über ein für die Wissenschaft vereinfachtes Latein basiert, wurden einige Fachtexte über Mathematik und Astronomie sowie über philologische Themen verfaßt, vorwiegend in „Schola et Vita“ (1926⫺1939), u. a. Peanos „Formulario mathematico“ (Kennedy 1980, 107 ff, 125 ff, 118 ff). In Ido (1907, L. de Beaufront/ L. Couturat), einem in Wortbildung und Lexik reformierten Esperanto, erschienen einige wenige Fachtexte sowie Wörterbücher zu Biologie, Chemie, Handel, Fotografie, Maschinenbau, Mathematik und Radiotechnik sowie Texte mit philologischen, philosophischen und religiösen Themen (Blanke 1985, 199 ff). Occidental (1922, E. v. Wahl), nach 1945 in Interlingue umbenannt (ein reduziert flektierendes Neuromanisch) verfügt nur über wenige Fachtexte meist philosophischen, philologischen und seltener politischen, ökonomischen und pädagogischen Inhalts sowie über eine mathematische Fachtextsammlung und ein mathematisches Wörterbuch (Blanke 1985, 167 f). In Interlingua (1951, A. Gode/International Auxiliary Language Association), einer ebenfalls lexikalisch hochgradig romanischen Plansprache mit vereinfachten flektierenden Zügen, erschienen in den 50er und 60er Jahren Abstracts in einigen medizinischen Zeitschriften sowie von 1952⫺1955 zwei Fachzeitschriften: „Spectroscopia Molecular“ und „Scientia International“ (Sexton 1993, 7 f). Der Interlingua-Buchkatalog (Bibliographia 1997) enthält Veröffentlichungen zur Demographie, Kunstgeschichte, Mathematik, Philologie, Philosophie, Phytopathologie und Theologie. Auch in Basic English (1929, Ch. Ogden), einem in der Lexik nach semantischen Gesichtspunkten auf ca. 850 Grundwörter reduzierten Englisch, sind Fachtexte

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

u. a. über Elektrotechnik, Geologie und Ökonomie erschienen (Ogden 1968, 75 ff). Allen bisher genannten Systemen, außer Esperanto, ist gemeinsam, daß sie zwar prinzipiell sprachstrukturell durchaus geeignet sind, fachsprachliche Sachverhalte und Terminologien abzubilden, daß jedoch selbst die wenigen veröffentlichten Fachtexte und Fachwörterbücher nicht wirklichen internationalen kommunikativen Bedürfnissen dienten, da die Sprecherzahlen zu gering waren bzw. sind.

3.

Esperanto

3.1. Fachtexte und Fachlexik In Esperanto (1887, L. Zamenhof), einer agglutinierenden Sprache (Wells 1987, 38) mit vorwiegend romanischer Lexik und einem leistungsfähigen Wortbildungssystem (vgl. Blanke 1982; Schubert 1993) erschienen schon in der ersten normbildenden Modelltextsammlung (1903: „Fundamenta Krestomatio“) populärwissenschaftliche Texte (Medizin und Astronomie). Fachtexte erscheinen zur Zeit (d. h. 1997) in Fachzeitschriften und Bulletins für folgende Bereiche: Agrikultur, EDV, Eisenbahnwesen, Interlinguistik/ Esperantologie, Journalismus, Jura, Mathematik, Medizin, Musik, Ökonomie, Pädagogik, Philosophie, Sprachpolitik (Minderheiten), Theologie und diverse Religionen. Eine wichtige, wenn auch z. T. zeitlich begrenzte, Rolle in der Publizierung fachsprachlicher Texte spielten bzw. spielen (neben Scienca Revuo) u. a. folgende Zeitschriften: Medicina Internacia Revuo (1910⫺11, 1923⫺36, seit 1952), Internacia Pedagogia Revuo (1908⫺22, 1927⫺39, 1956⫺59, seit 1970), Homo kaj Kosmo (Astronomie, 1963⫺87), Esperantologio (1949⫺55, 1959⫺61), Internacia Geografia Revuo (1956⫺64), Kemio Internacia (1965⫺68), Internacia Komputado/Fokuso (1983⫺88), Planlingvistiko (1981⫺86), Scienca Mondo (Wissenschaftspolitik, 1976⫺ 1989), Sciencaj KomunikaÓˆoj (1975⫺86), Tutmondaj Sciencoj kaj Teknikoj (chines. und Esperanto, seit 1985) (vgl. Yzal 1992). Einige ethnosprachige Fachzeitschriften enthalten gelegentlich auch Beiträge bzw. Abstracts in der Plansprache, so z. B. die sprachpolitische Zeitschrift „Language Problems & Language Planning“ (seit 1977) und die kybernetischpädagogisch orientierten „Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft/ Humankybernetik“ (seit 1977).

91. Plansprachen als Fachsprachen

Im Katalog der Universala Esperanto-Asocio (1988/89) werden Veröffentlichungen zu folgenden Fächern angeboten: Archäologie, Astronomie, Biochemie, Biologie, Botanik, Chemie, Energetik, Ethnographie, Genetik, Geologie, Informatik-Kybernetik, EDV, Interlinguistik/Esperantologie, Jura, Linguistik, Mathematik, Medizin, Meteorologie, Ökologie, Ökonomie, Pädagogik, Physik, Psychologie, Soziologie, Telekommunikation, Theologie (und diverse Religionen), Verkehrswesen, Zoologie (Moleono 1987, 117 ff, 273 ff). Jährlich kommen etwa 30⫺40 Fachmonographien hinzu (vgl. Spalte Neuerscheinungen in der Zeitschrift „Esperanto“, Rotterdam, Jahrgänge 1990⫺1996). Die Fachlexik des Esperanto ist in ca. 300, nach Qualität und Umfang recht unterschiedlichen, Fachwörterbüchern für über 80 Fachbereiche registriert (Ockey 1982). Hervorzuheben sind die Bereiche Botanik, Chemie, EDV, Elektrotechnik, Eisenbahnwesen, Geologie, Handel, Mathematik, Medizin, Religion(en), Rundfunk, Technik (vgl. Haupenthal 1991, 3128 f). Auch das bisher umfangreichste einsprachige Definitionswörterbuch des Esperanto enthält relevante Fachlexik aus verschiedenen Wissensgebieten (Waringhien 1987, XIX ff). 3.2. Fachliche Organisationen und Veranstaltungen Die internationale fachliche Kommunikation in der Plansprache vollzieht sich vor allem im Rahmen einiger Fachorganisationen und anderer Gruppierungen. Zu ihnen gehören z. B.: Internacia Scienca Asocio Esperantista (ISAE, gegr. 1907, interdisziplinärer Wissenschaftlerverband) Internacia Fervojista Esperanto-Federacio (IFEF, gegr. 1909, Eisenbahnwesen) Internacia Ligo de Eserantistaj Instruistoj (ILEI, gegr. 1949, Lehrer) Filozofia Asocio Tutmonda (FAT, gegr. 1983) Internacia Asocio de Esperantistaj Matematikistoj (IAdEM, gegr. 1974). Um die Förderung des interdisziplinären Austausches in Esperanto bemühen sich akademische Einrichtungen wie die 1985 gegründete Akademio Internacia de Sciencoj (vgl. Frank 1993, 910 ff) und die 1986 gegründete Internacia Scienca Akademio Comenius (vgl. Neergaard/Kiselman 1992, III ff). Diesem Ziel dienen auch Verzeichnisse von Wissenschaftlern, die in Esperanto publizieren (Darbellay 1981; T. Frank 1992) bzw. in anderer

877 Hinsicht fachlich aktiv sind (Veuthey 1996, 99 ff). Diese und andere fachlich orientierte Organisationen, Institutionen und Gruppierungen führen ihre Zusammenkünfte in der Regel im Rahmen der jährlich stattfindenden Weltkongresse (mit 2000⫺6000 EsperantoSprechern aus 50⫺70 Ländern) durch. Sie organisieren jedoch auch eigenständige internationale Fachtagungen, Konferenzen und Seminare. Das betrifft vor allem die Eisenbahner (jährlich Kongresse), Mediziner (seit 1977 alle zwei Jahre Konferenzen), Interlinguisten/ Esperantologen (jährlich mehrere nationale und internationale Veranstaltungen), Informatiker/Kybernetiker, Pädagogen (jährlich Kongresse) sowie verschiedene religiöse Gruppierungen. Auch populärwissenschaftliche Veranstaltungen tragen zur Entstehung von Fachtexten und zur Festigung von Fachwortschätzen bei, so u. a. seit 1948 die alljährlichen Sessionen der Internationalen Kongreßuniversität (vgl. Blanke 1986, 82 f), Sommer-Universitäten (z. B. 1963⫺1990 in Gyula/ Ungarn, seit 1980 in Veliko Tirnovo/Bulgarien) oder Universitäts-Sommerkurse 1972⫺ 1980 in Lie`ge/Belgien mit über 30 Vorlesungstextsammlungen zu den Bereichen Anatomie, Biologie, Chemie, Literaturwissenschaft, Mathematik, Pharmakologie, Psychologie, Soziologie, Sprachwissenschaft und Zoologie (Blanke 1986, 82). Die Veranstaltungsreihe Esperanto en Scienco kaj Tekniko ˇ SSR (1980⫺1989) war einzelnen in der C Rahmenthemen gewidmet (dabei immer Esperanto als Fachsprache), deren insgesamt 156 Beiträge in 6 Bänden veröffentlicht wurden. Eine ähnliche Veranstaltungsreihe begann 1987 in China. Auch auf einigen internationalen nichtesperantistischen Fachtagungen, so in den 80er Jahren die der Kybernetiker in Namur, und seit 1968 der Geologen (mit bisher 8 Kongreßbänden) war/ist Esperanto als Konferenzsprache zugelassen. Die völlig in Esperanto durchgeführte internationale Fachtagung Interkomputo (Budapest 1982) führte 200 Computerfachleute aus 19 Ländern zusammen, deren über 100 Referate in 6 Bänden herausgegeben wurden. Auf der internationalen Tagung Interkibernetiko der Tutmonda Asocio pri Kibernetiko, Informadiko kaj Sistemiko (TAKIS, gegr. 1983), 1985 in Budapest, wurden von insgesamt 45 Beiträgen 17 in Esperanto gehalten und veröffentlicht.

878 3.3. Zur Bildung von Termini: Voraussetzungen und Verfahren Seine sprachstrukturellen Eigenschaften machen Esperanto geeignet als Mittel der Fachkommunikation, wie schon Wüster (1931, 294 ff) in seinem Grundlagenwerk gezeigt hatte. Dazu gehören die hohe Bindungsfähigkeit der Morpheme (u. a. wegen günstiger morphophonologischer Silbenstruktur, Fehlen von Allomorphie u. a.), ein voll produktives Affixsystem und die sehr leistungsfähigen Wortbildungsregeln (Blanke 1982; Schubert 1993). Diese Eigenschaften ermöglichen auch die Anpassung an neue Kommunikationsbedürfnisse und machen die Sprache geeignet für Belange der automatischen fachsprachlichen Dokumentation, wie das Plansprachliche Rechner- und Dialogsystem PREDIS zeigt (vgl. Stoppoloni 1982). Das gilt auch für die automatische Übersetzung. So konnte das halbautomatische Übersetzungssystem DLT, in dem ein leicht modifiziertes Esperanto als maschineninterne Brückensprache fungiert, bis zur Prototypreife entwickelt werden (Sadler 1991). Zu den Verfahren der Terminusbildung im Esperanto gehören Terminologisierungen von allgemeinsprachlichen Wörtern (funkcioFunktion), Fremdentlehnungen (softvarosoftware, sputniko-Sputnik), Lehnübersetzungen (sinmortigo-Selbsttötung), metaphorische Bildungen (elektra kampo-elektrisches Feld) u. a. Die Hauptverfahren bei der Bildung von Neologismen sind morphologische Neubildungen und Fremdentlehnungen von ableitungsfähigen Grundmorphemen (z. B. rul/sˆtup/ar/o vs eskalator/o für Rolltreppe). Es konkurrieren auch komput/il/o, komputer/o und komputor/o für Computer. Zu den sich von Fall zu Fall jeweils gegenseitig ausschließenden bzw. ergänzenden Anforderungen an den Terminus in der Plansprache (vgl. Dehler 1985, 83 ff; Blanke 1986, 51 ff) gehören, wie auch bei Ethnosprachen: Fachbezogenheit, Systembezogenheit, Begrifflichkeit, (wahlweise) Genauigkeit, Eindeutigkeit, Selbstdeutigkeit, Knappheit u. a. Hinzu kommen die esperantospezifischen Anforderungen nach Internationalität und Systemtreue (⫽ Übereinstimmung mit der 1905 genormten und kodifizierten Grundfestlegung des Esperanto, dem Fundamento de Esperanto). Termini in Esperanto gehen bisher fast immer auf individuelle Bennungsvorschläge zurück, die in Texten oder Wörterbüchern vorgelegt, diskutiert, in der Praxis ausprobiert und schließlich in den Sprachbestand aufgenommen werden.

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

Der Registrierung und internationalen Diskussion dient u. a. das computergestützte terminologische Registrier- und Diskussionswerk Pekoteko (Eichholz 1992) sowie das Internet [Becker 1996]. 3.4. Terminologiearbeit: Versuche zur Koordinierung 1911 wurden erstmalig terminologische Prinzipien erarbeitet (Verax 1911/12; Rollet de l’Isle 1911). In den 50er Jahren war das terminologische Zentrum der ISAE und der Akademio de Esperanto bemüht, die Terminologiearbeit auf der Grundlage der Erkenntnisse der Terminologiewissenschaft zu gestalten und zu fördern. Seit 1987 bemüht sich darum auch das Terminologische Esperanto-Zentrum von Universala Esperanto-Asocio (TEC/ UEA Rotterdam), das mit Infoterm und TermNet (Wien) zusammenarbeitet (W. Blanke 1988). Es wurden Konferenzen durchgeführt, Trainingsseminare organisiert und Unterrichtsmaterialien erarbeitet, so z. B. ein Terminologia Kurso (Werner 1986). Einige Empfehlungen des Terminologie-Komitees der ISO, so Recomendation R 1087 (Vocabulary of Terminology) und die daraus folgende Norm liegen in Esperanto-(Probe)Übersetzungen vor, werden aktualisiert und an laufende Entwicklungen angepaßt (vgl. Eichholz 1986). In plansprachlichen Archiven (vgl. Gjivoje 1980; Veuthey 1996, 81 ff), u. a. in der Österreichischen Nationalbibliothek (Plansprachensammlung) und im Centre de documentation et d’e´tude sur la langue internationale in La-Chaux-de-Fonds (Schweiz) sowie in Spezialbibliographien (Blanke 1996 a) wird die bisherige (auch fachsprachliche) Praxis der Plansprachen registriert bzw. erschlossen.

4.

Plansprachliche Impulse für die Terminologiewissenschaft

Die seit dem 16. und 17. Jh. entstandenen apriorischen (philosophischen) Universalsprachen, die auf der Klassifizierung des jeweiligen Wissens beruhen, reihen sich ein in die Suche nach der „idealen Sprache“, die „richtiges“ und „exaktes“ Denken befördern sollte. Aus dieser Entwicklung bezogen auch Nomenklatur- und Klassifikationssysteme ihre Anregungen (Hüllen 1984). Einen direkten Einfluß hatte das Esperanto (aber auch andere Plansprachen) auf die Entwicklung der Terminologiewissenschaft, insbesondere

879

91. Plansprachen als Fachsprachen

durch Eugen Wüster. Seine sprachpraktischen und esperantologischen Arbeiten (vgl. Lang 1978, 226 ff; Blanke 1996 b) können z. T. als Vorarbeiten für die von ihm begründete Terminologiewissenschaft angesehen werden. So schuf er 1918⫺1920 ein nur bis zur Hälfte veröffentlichtes Enzyklopädisches Wörterbuch Esperanto-Deutsch und diskutierte in dessen Einführung bereits Fragen der Sprachgüte und Benennungsprinzipien (Wüster 1923⫺29, 26 ff), von denen manche in seine späteren Arbeiten eingingen (W. Blanke 1989, 282 f). Ein weiteres Beispiel: Der sowjetische Interlinguist Ernest K. Drezen (1892⫺ 1937), 1921⫺1937 Generalsekretär der Sowjetrepublikanischen Esperanto-Union und einer der Übersetzer des Wüsterschen Grundlagenwerkes ins Russische, entfaltete ebenfalls zahlreiche terminologiewissenschaftliche Aktivitäten, u. a. als Mitglied der Terminologiekommission des Allsowjetischen Kommitees für Standardisierung (Kuznecov 1991, 16). Von Drezen stammt die Idee eines jeweils in die Ethnosprachen einzupassenden Internationalen Terminologischen Codes (Terminologieschlüssel) ⫺ auf der Grundlage des Esperanto ⫺ (Drezen 1935, 70 ff), die Wüster später aufgriff und weiterentwickelte, jedoch nicht zu Ende führte (Schremser-Seipelt 1990). Die bisher vorliegenden Erfahrungen mit Plansprachen reichen bereits aus, um prinzipiell die fachsprachliche Eignung dieser Sprachen zu verdeutlichen. Sie können als ein Modellversuch verstanden werden, der quasi unter Laboratoriumsbedingungen abläuft. Sie sollten untersucht, beschrieben und ausgewertet werden. Fachsprachliche Forschungen im Bereich der Plansprachen gibt es bisher nur in Anfängen. Es wären daher u. a. erforderlich: ⫺ Erfassung sämtlicher bisher existierenden plansprachlichen Fachtexte (das sind zu ca. 90⫺95 % Esperanto-Texte) ⫺ Textlinguistische Untersuchungen zu plansprachlichen Fachtextsorten ⫺ Fachsprachliche und terminologiewissenschaftliche Untersuchungen zu plansprachlichen Texten und Terminologien ⫺ Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Interlinguistik und Fachsprachenforschung ⫺ Weiterführung der Untersuchungen zum Projekt des Terminologieschlüssels.

5.

Literatur (in Auswahl)

Back 1996 ⫽ Otto Back: Plansprachen. In: Kontaktlinguistik. Contact Linguistics. Linguistique de contact. Berlin. New York 1996 (HSK 12.1.), 881⫺887. Becker 1996 ⫽ Ulrich Becker: Interlinguistik im Internet. In: Interlinguistische Informationen 5, 1996, 3 (21), 2⫺13. Bibliographia 1997 ⫽ Bibliographia de Interlingua. edition januario 1991⫺1997, numero 18⫺24, Beekbergen 1997. Blanke 1982 ⫽ Detlev Blanke: Plansprache und Nationalsprache. Einige Probleme der Wortbildung des Esperanto und des Deutschen in konfrontativer Darstellung. In: Linguistische Studien, Arbeitsberichte, Reihe A, 85, Berlin 1982 (Akademie der Wissenschaften der DDR, 2. Aufl.). Blanke 1985 ⫽ Detlev Blanke: Internationale Plansprachen. Eine Einführung. Berlin 1985 (Sammlung Akademie-Verlag 34 Sprache). Blanke 1986 ⫽ Detlev Blanke: Esperanto und Wissenschaft. 2. Aufl. Berlin 1986. Blanke 1987 ⫽ Detlev Blanke: The Term ,Planned Language‘. In: Language Problems & Language Planning. 11. 1987, 335⫺349. Blanke 1996 a ⫽ Detlev Blanke: Zur Plansprache Esperanto und zur Esperantologie im Werk von Eugen Wüster. In: Heiner Eichner/Peter Ernst/Sergios Katsikas: Sprachnormung und Sprachplanung. Festschrift für Otto Back zum 70. Geburtstag. Wien 1996, 311⫺329. Blanke 1996 b ⫽ Detlev Blanke: Wege zur interlinguistischen und esperantologischen Fachliteratur. In: Language Problems & Language Planning 20, 1996, 168⫺181. W. Blanke 1988 ⫽ Wera Blanke: Terminologia Esperanto-Centro. Efforts for Terminological Standardization in the Planned Language. In: New Directions in Machine Translation. Conference Proceedings. Budapest 18/19-8-1988. Ed. by Dan Maxwell, Klaus Schubert and A. T. M. Witkam. Dordrecht. Providence 1988, 183⫺194. W. Blanke 1989 ⫽ Wera Blanke: Terminological standardization ⫺ its roots and fruits in planned languages. In: Schubert 1989 a, 277⫺292. Darbellay 1981 ⫽ Christian Darbellay: Kiu estas kiu en scienco kaj tekniko. Neuss 1981. Dehler 1985 ⫽ Wera Dehler: Terminologiaj principoj de Esperanto. In: der esperantist 21. 83⫺89. Drezen 1935 ⫽ Ernest K. Drezen: Pri problemo de internaciigo de science-teknika terminaro. Moskvo. Amsterdam 1935. Drezen 1991 ⫽ Ernest K. Drezen: Historio de la mondolingvo. (A.d. Russ.) Hrsg. v. Sergej N. Kuznecov. 4. Aufl. Moskva 1991. Dulicˇenko 1990 ⫽ Aleksandr D. Dulicˇenko: Mezˇdunarodnye vspomogatel’nye jazyki. Tallinn 1990.

880

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

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Sadler 1991 ⫽ Victor Sadler: Machine Translation Project Reaches Watershed. In: Language Problems & Language Planning 15. 1991, 78⫺83.

Moleono 1987 ⫽ Francisko Xaver Moleono: Universala Esperanto-Asocio. Esperanto-Katalogo 1988/89. Rotterdam 1987. Neergaard/Kiselman 1992 ⫽ Paul Neergaard/Christer Kiselman (Hrsg.): Aktoj de Internacia Scienca Akademio Comenius I. Pekino 1992. Ockey 1982 ⫽ Edward Ockey: A bibliography of Esperanto Dictionaries. Banstead 1982. Ogden 1968 ⫽ Charles Ogden: Basic English International Second Language. New York 1968. Philippe 1991 ⫽ Benoıˆt Philippe: Sprachwandel bei einer Plansprache am Beispiel des Esperanto. Konstanz 1991. Rollet de l’Isle 1911 ⫽ Maurice Rollet de l’Isle: Konsilaro por la farado de la sciencaj kaj teknikaj vortoj. Kötzschenbroda. Dresden 1911.

Werner 1986 ⫽ Jan Werner: Terminologia Kurso. Roudnice 1986.

Schremser-Seipelt 1990 ⫽ Ulrike Schremser-Seipelt: Das Projekt „internationaler TerminologieSchlüssel“ von Eugen Wüster. Diss. (Ms.) Wien 1990. Schubert 1989 a ⫽ Klaus Schubert (Hrsg.): Interlinguistics. Aspects of the Science of Planned Languages. Berlin. New York 1989. Schubert 1989 b ⫽ Klaus Schubert: Interlinguistics ⫺ its aims, its achievements, and its place in language science. In: Schubert 1989 a, 7⫺44. Schubert 1993 ⫽ Klaus Schubert: Semantic compositionality: Esperanto word formation for language technology. In: Linguistics 31. 1993, 311⫺365. Sexton 1993 ⫽ Brian C. Sexton: Kio estas Interlingua? Sheffield 1993. Stoppoloni 1982 ⫽ Silvio Stoppoloni: Plansprachliches Rechner-Dialogsystem (PREDIS). Pritakso kaj perspektivoj. In: Homa lingvo kaj komputilo. Prelegoj de Interkomputo. Hrsg. v. Ilona Koutny. Budapest 1982, 88⫺101. Tauli 1968 ⫽ Valter Tauli: Introduction to a theory of language planning. Uppsala 1968. Verax 1911/12 ⫽ Charles Verax: Propono por Terminologiaj Fundamentaj Principoj por la Scienca Lingvo en Esperanto. In: Oficiala Gazeto Esperantista (Paris) 4. junio 1911⫺majo 1912, 378⫺382. Veuthey 1996 ⫽ Francisko L. Veuthey: Universala Esperanto-Asocio. Jarlibro 1996. Rotterdam 1996. Waringhien 1987 ⫽ Gaston Waringhien (Hrsg.): Plena Illustrita Vortaro de Esperanto. 4. Aufl. Paris 1987. Wells 1987 ⫽ John C. Wells: Linguistische Aspekte der Plansprache Esperanto. Saarbrücken 1987.

Wüster 1923⫺29 ⫽ Eugen Wüster: Enzyklopädisches Wörterbuch Esperanto-Deutsch (A-Korno). Leipzig 1923⫺29. Wüster 1931 ⫽ Eugen Wüster: Internationale Sprachnormung in der Technik. Besonders in der Elektrotechnik. Berlin 1931. Wüster 1978 ⫽ Eugen Wüster: Esperantologiaj studoj. Hrsg. v. Reinhard Haupenthal. Antwerpen. La Laguna 1978. Yzal 1992 ⫽ Luis M. Hernandez Yzal (Hrsg.): Inventaro de planlingvaÓˆ periodaÓˆoj. Saint Pau d’Ordal 1992.

Detlev Blanke / Wera Blanke, Berlin

92. Puristische Strömungen in Deutschland und Fachlexik

881

92. Der Einfluß der puristischen Strömungen in Deutschland auf die Gestaltung der deutschen Fachlexik 1.

Fachsprachen, Fremdwörter und (Fremdwort-)Purismus Geschichte des fachsprachlichen Fremdwortpurismus Schluß Literatur (in Auswahl)

Fachsprachen, Fremdwörter und (Fremdwort-)Purismus

konstant jedoch und oft dominant sind nationale Argumente, im 19./20. Jh. gar völkisch-nationalistische, die die Fremdwörter vor allem bzw. bloß wegen ihrer fremden Herkunft und als Anzeichen mangelnden Nationalbewußtseins und nationaler Überfremdung anprangern. Diese für das Verständnis des deutschen Purismus wichtigen politischen Faktoren werden hier nicht weiter thematisiert (vgl. Kirkness 1984).

1.1. Im Mittelpunkt der puristischen Strömungen im deutschen Sprachraum stand und steht, soweit solche Strömungen heute noch zu verzeichnen sind, das sog. Fremdwort, das hier im traditionellen Sinn verstanden wird. Demnach gelten als Fremdwörter, wie sie etwa im besonderen Wörterbuchtyp des Fremdwörterbuchs erfaßt sind, einerseits aus anderen Sprachen übernommene Wörter, die nicht oder nur partiell den ausdrucksseitigen Strukturen des indigenen, vom Germanischen herrührenden Deutsch angepaßt sind, also Wortentlehnungen; andererseits innerhalb des Deutschen mit Hilfe meist fremdstämmiger Wörter und Wortbildungseinheiten geprägte Wörter, die ggf. kein Vorbild oder keine Entsprechung in einer Fremdsprache haben und ebenfalls im o. a. Sinn nicht (voll) assimiliert sind, also Lehnwortbildungen. Letztere sind im Deutschen wie in anderen europäischen Kultursprachen geradezu konstitutive Merkmale vieler technischer und wissenschaftlicher Fachwortschätze, ganz bes. die mit Hilfe griechisch- und lateinischstämmiger Wörter und Wortbildungseinheiten geprägten. Nur, „eine Geschichte der griechischen, lateinischen und hybriden Kunstwortbildungen gibt es noch nicht“ (Seibicke 1985, 48). Der deutsche Purismus ist im wesentlichen ein programmatischer Kampf zur Abwehr und zur Ersetzung oder Verdeutschung solcher Fremdwörter. Andere, z. T. über die lexikalische Ebene hinausgehende Momente kommen hinzu, spielen jedoch historisch betrachtet eine wechselnde, eher untergeordnete Rolle. Der Fremdwortkampf zieht sich wie ein roter Faden durch die hier behandelten puristischen Strömungen der neuhochdeutschen Zeit, nicht zuletzt im Fachsprachenbereich. Der Kampf wird je nach historischem Kontext und nach Interesse und Ziel der einzelnen Puristen unterschiedlich begründet,

1.2. Daß gerade die Fachsprachen Ziel puristischer Zugriffe waren und sind, liegt hauptsächlich in den engen Wechselbeziehungen zwischen Fachwort und Fremdwort im Deutschen begründet: Das „Fremdwörterunwesen“ (Dunger 1989, 12) wurde häufig ganz bes. den Fachwissenschaftlern zur Last gelegt, die Fachsprachen wurden u. a. als „Fremdwortschleusen“ (Mackensen 1972, 3) apostrophiert. Diese Beziehungen wären im einzelnen differenziert darzustellen, differenziert u. a. je nach der besonderen Existenzform von Fachsprache als Gruppen-, Institutionen-, Amts- oder Wissenschaftssprache, oder je nach Zeitalter, Fachbereich, Teildisziplin und Fremdsprache. So unterscheidet sich z. B. der Einfluß des Italienischen im Bankwesen und in der Musik in der frühen Neuzeit von dem des Englischen in der (Computer-)Technik der Gegenwart. So hat z. B. die spezifisch deutsche Ausprägung der europaweiten, intensiven Auseinandersetzung zwischen der Landes- oder Volkssprache einerseits und dem Gräko- und Neulatein andererseits überall in den Wissenschaften seit der Renaissance zu einem Wissenschaftsdeutsch geführt, das die historische Sonder- und Gruppensprache deutscher Studenten und Schüler zwar nachhaltig beeinflußt hat, dennoch nicht zuletzt lexikalisch ganz anders als diese konstituiert war und ist. Seit dem späten Mittelalter entwickelte sich vielfach in der Form von Übersetzungen aus dem Latein eine deutsche Sachprosa mit „Kunstbüchern“ und praktischen Ratgebern z. B. in der Mathematik, Medizin und Naturkunde, eine Prosa, die u. a. bewußte Fremdwortverdeutschungen aufwies: so hieß Ellipse etwa bei Dürer Eierlinie und bei Kepler Ovallinie oder ablenger Circkel. Andere Bereiche wie z. B. das Eisenhüttenwesen oder der Bergbau hat-

2. 3. 4.

1.

882 ten eine rein muttersprachliche Lexik. Die neuzeitlichen Naturwissenschaften einschl. der Mathematik und Medizin blieben und bleiben dahingegen einer internationalen Schriftkultur verhaftet, die lange ⫺ im deutschsprachigen Raum vielfach länger als im europäischen Umfeld ⫺ am Gelehrtenlatein festhielt und sich neuerdings vor allem und zunehmend des Englischen bedient, das als Wissenschaftssprache ohnehin sehr stark latinisiert ist. Eine solche differenzierte Darstellung ist hier allein aus Raumgründen unmöglich. Festzuhalten ist, daß in den Fachsprachen i. w. S. sowie in unterschiedlichen Teilbereichen einer Fachsprache Fremdwort nicht immer und überall gleich Fremdwort ist. Das Ziel und die Form puristischer Bestrebungen variieren entsprechend. 1.3. Generell gilt, daß weniger das fremdwörtliche Fachwort in seinem fachinternen und -spezifischen Gebrauch die Puristen auf den Plan gerufen hat, als vielmehr das fachwörtliche Fremdwort in fachexterner, vor allem auf den bildungs- und gar gemeinsprachlichen Wortschatz hinüberwirkender Verwendung. Blieben etwa bis heute die (international gültigen) lateinischen Nomenklaturen in Naturwissenschaft und Medizin puristischen Zugriffen ganz und die durchlatinisierten (Natur-)Wissenschaftsterminologien ihnen weitgehend entzogen, wurde dagegen die Amtssprache des 19./20. Jhs. in vielen, eine breite Öffentlichkeit berührenden Bereichen ein bevorzugtes Feld aktiver und teilweise erfolgreicher puristischer Tätigkeit. Solche Zusammenhänge kommen in der nachfolgenden historischen Übersicht eher punktuell zur Sprache. Sie orientiert sich stärker an der relativ gut erschlossenen Geschichte des neuhochdeutschen Fremdwortpurismus (Steuernagel 1926; Kirkness 1975; Olt 1991) als an der nur teilweise erforschten Geschichte meist einzelner deutscher Fach- und Wissenschaftssprachen und ist somit weniger der historischen Fachsprachenforschung als der germanistischen Sprachgeschichtsforschung verpflichtet. Diese hat tendenziell die deutschsprachige Sach- und Fachliteratur einschl. der Sach- und Fachlexikographie bes. relativ zur schöngeistigen Literatur und zur allgemeinen Sprachlexikographie als Quellenmaterial vernachlässigt (Seibicke 1982; 1985; Pörksen 1986), so daß diese Übersicht wohl vielfach erweiterungs- und revisionsbedürftig sein wird.

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

2.

Geschichte des fachsprachlichen Fremdwortpurismus

2.1. Das 17./18. Jahrhundert Programmatische fremdwortpuristische Bestrebungen setzten im frühen 17. Jh. ein, als es unter den Mitgliedern der Sprachgesellschaften galt, das französisierende Alamodewesen in allen Gesellschaftsbereichen einschließlich der Sprache abzuwehren. Sie waren Teil der das 17. und 18. Jh. durchziehenden Bemühungen, eine Norm des Hochdeutschen herauszubilden und überregional durchzusetzen. Es ging in bewußter Auseinandersetzung mit und in vielfacher Übersetzung aus dem Französischen und bes. dem Latein um Hochdeutsch als Träger der belletristischen Literatur und als Fach- und Wissenschaftssprache. Puristen wie Nichtpuristen forderten gleichermaßen, Deutsch anstelle des Lateins überhaupt erst zu gebrauchen, dazu noch kein mit Latein durchsetztes, sondern ein möglichst fremdwortfreies Deutsch, ganz bes. in eher fachexternen Schriften, die sich i. S. der Aufklärung an ein gebildetes Laienpublikum wandten. In diesem Zusammenhang schlugen etwa Harsdörffer und Schottelius ein Programm „Teutscher Spracharbeit“ vor, das von Leibniz u. a. vertieft und erweitert wurde. Es sah u. a. vor (1) eine Sammlung deutscher Stammwörter mit den dazugehörigen Ableitungen und Zusammensetzungen, die wohl deutschen Gelehrten den Rückgriff auf die angestammten, aber vernachlässigten, indigendeutschen Wortbildungsmittel statt der unter Wissenschaftlern üblichen gräkolateinischen nahelegen sollten; (2) eine Sammlung der (vorwiegend muttersprachlichen) Fachwörter in Bereichen wie Jagd, Bergbau, Schiffahrt, Recht und Handwerk, die wohl als Muster für andere, zu stark fremdwörtliche Fachsprachen in öffentlichkeitsnahen Bereichen wie Moral- und Populärphilosophie, Regierungs- und Staatswesen fungieren sollten; (3) eine Sammlung mustergültiger, z. T. übersetzter „Kernschriften“ in verschiedenen Wissensbereichen, die wohl u. a. als Kanon deutscher Sach- und Fachprosa Schule machen sollten. Bis Ende des 18. Jhs. hatte sich das Hochdeutsche als eine Literatur- und Wissenschaftssprache europäischen Rangs fest etabliert: der durchaus zähe Kampf gegen die Fremdsprachen war entschieden. Anders jedoch der Kampf gegen die Fremdwörter, deren häufig als übermäßig empfundener Ge-

92. Puristische Strömungen in Deutschland und Fachlexik

brauch die bevorzugte Zielscheibe der Puristen war. Ihre Haltung speziell fremden Termini technici oder sog. „Kunstwörtern“ gegenüber war in der Regel eher gemäßigt. Einzelne Puristen wie Zesen oder Klopstock, die eine extreme, ablehnende Position einnahmen, bildeten eine Ausnahme. Den Gelehrten und Wissenschaftlern wurde die Beibehaltung der nun einmal eingeführten fremden Fachausdrücke meist zugestanden, zumal in fachinternen Texten. Solche Ausdrücke wurden auch eifrig gesammelt und vornehmlich in (Zeitungs- und Staats-)Lexika und (technologischen) Enzyklopädien, zuweilen auch in Sprachwörterbüchern, einem gebildeten Laienpublikum erklärt. Deutsche Terminologien in Wissenschaften wie z. B. Philosophie und Mathematik wurden systematisiert und durchgesetzt, wobei die ausschlaggebenden Figuren wie Thomasius, Lambert und vor allem Wolff, die keine Puristen waren, bald Fremdwörter beibehielten (Quadrat, Trapez), bald indigene Fachwörter bevorzugten (Nenner, Zähler), bald sich für einen Ausdruck anstelle von konkurrierenden, auch fremdwörtlichen Synonymen entschieden (Durchmesser für Diameter, vgl. dagegen Durchschneider und älteres Durchzug, Querlinie). Solche Errungenschaften hängen sehr wohl mit puristischen Forderungen zusammen, direkter Einfluß der Puristen auf die deutsche Fachlexik läßt sich jedoch nur vereinzelt konkret nachweisen, etwa in der Form gelungener Verdeutschungen. Beispiele aus der Fachsprache der Sprachwissenschaft, die bes. wegen ihrer Rolle im Schulunterricht wiederholt Ziel puristischer Verdeutschungsversuche war, sind Hauptwort für Substantiv, Zeitwort für Verb, Doppel- und Strichpunkt für Kolon und Semikolon (Schottelius) oder Mundart für Dialekt und Rechtschreibung für Orthographie (Zesen). Hier wie in anderen Fachbereichen verdrängten die Verdeutschungen in den meisten Fällen die betreffenden Fremdwörter nicht, sondern setzten sich ggf. mit semantischen und/oder pragmatischen Unterschieden neben diesen durch. Dadurch wurde der Fachwortschatz viel eher bereichert als gereinigt. Dadurch wurde auch der Bildung einer doppelten Terminologie Vorschub geleistet, in der fremdwörtliche und indigendeutsche (oder lehnübersetzte oder verdeutschte) Fachsynonyme nebeneinander standen oder miteinander konkurrierten. Solche Doppelformen blieben fortan in der fachpuristischen Diskussion (vgl. 3.).

883

2.2. Das 19. Jahrhundert (bis 1871) Auf dem Hintergrund der Bestrebungen, die regionale und soziale Geltung des inzwischen etablierten Hochdeutsch zu festigen und dessen Wortschatz bzw. dessen Fachwortschätze entsprechend den wissenschaftlichen und technischen Neuerungen und Fortschritten und der zunehmenden Industrialisierung und Arbeitsteilung auszubauen oder auszubilden, fand im frühen 19. Jh in Gelehrtenkreisen eine lebhafte Diskussion über den Fremdwortpurismus statt, in der fremde Termini in den verschiedensten Bereichen von der Medizin und Mathematik bis zur Philosophie und Geographie und ganz bes. der Sprachwissenschaft immer wieder zur Sprache kamen. Einige wenige radikale Puristen wie Jahn und Krause lehnten sie insgesamt entschieden ab. Sie machten auch vor der Amtssprache nicht Halt, die andere Puristen eher den Behörden überlassen wollten. Andere wie Zeune (Geographie) und Mosqva (Jura) ⫺ wie später etwa Volger (Geologie) oder Stoltenberg (Philosophie) ⫺ vermieden oder verdeutschten sie konsequent in ihren eigenen Werken auf ihrem Spezialgebiet, ohne aber ihre Fachgenossen für ihr Anliegen zu gewinnen. Dadurch blieb der Sprachverkehr im Fach und erst recht das System der Fachsprache von ihrem Purismus praktisch unberührt. Eine seltene Ausnahme bildet die bewußt indigene Fachlexik der primär auf Jahn zurückgehenden Turnsprache. Von den meisten Puristen wurde jedoch den Gelehrten und Wissenschaftlern die Beibehaltung und Verwendung der bereits eingeführten fremdwörtlichen Termini, wenn auch nur vorübergehend, weiterhin zugestanden, jedenfalls in Texten der intra- und interfachlichen Kommunikation. Neue Termini freilich sollten grundsätzlich indigendeutsch sein. Anders jedoch in Texten, die vor allem in lebenswichtigen Sach- und Fachgebieten an ein gebildetes Laienpublikum oder gar an die breite Öffentlichkeit („das Volk“) gerichtet waren. Diese sollten möglichst fremdwortfrei sein. Maßgebender Purist hier, wie überhaupt, war der aufgeklärte Pädagoge Joachim Heinrich Campe, dessen Position in groben Umrissen wie folgt wiedergegeben werden kann: Volksaufklärung und -bildung sind nur möglich, wenn das Wissen der Gelehrten und Fachleute allen Sprachteilhabern zugänglich gemacht wird in einer für alle verständlichen Sprache, d. h. in einer von allem Nichtanalog-Fremdartigen bzw. Fremdstämmigen oder Fremdsprachlichen, sprich: von Fremdwörtern gereinigten Sprache, weil Fremd-

884 wörter nicht morphologisch durchsichtig, oder genauer: für diejenigen ohne entsprechende Fremdsprachenkenntnisse nicht motivierbar und hauptsächlich deshalb nicht verständlich sind. (Hierbei wäre allerdings, abgesehen von Fragen der prinzipiellen Arbitrarität des Sprachzeichens und eines kausalen Zusammenhangs zwischen Motivierbarkeit und Verständlichkeit, u. a. zu fragen, ob Fremdsprachenkenntnisse doch nicht mit Fachsprachen- oder Fachkenntnissen verwechselt werden, ob indigendeutsche (Fach-)Wörter doch nicht undurchsichtig oder nur scheinbar durchsichtig und schwer oder nicht verständlich sein können? (vgl. 3.2.; auch Henne/Mentrup 1983; Strauß/Zifonun 1985; Weinrich 1985, 214⫺217)). Dementsprechend wandte sich Campe letztlich gegen doppelte Fachwortschätze, einen latinisierten etwa für die Gelehrten und einen indigendeutschen für die Laien, denn sie würden s. E. antiaufklärerisch die Verständigung zwischen beiden Gruppen nur erschweren. Anders als die meisten seiner Mitstreiter begnügte er sich nicht mit puristischen Grundsätzen und Mahnungen, sondern bot in konkreten Einzelfällen Ersatzwörter für die inkriminierten Fremdwörter an. Er stellte namentlich 1801 in seinem Schule machenden Verdeutschungswörterbuch Tausende von z. T. selbstgeprägten Verdeutschungen zur Verfügung.

Im Fachsprachenbereich hatte Campe wenig nachweisbaren Erfolg. Einigen gelungenen Fachverdeutschungen wie Lichtmesser (Photometer), Feuchtigkeitsmesser (Hygrometer), Einzahl (Singular), Mehrzahl (Plural) oder Nachsilbe (Suffix) standen zahllose mißlungene wie Blitzfeuersauger (Kondensator), -sammler (Kollektor) oder Blitzfeuer (Elektrizität) gegenüber. Seine besonderen Versuche, Gräkolatinismen im philosophischen Fachwortschatz Kants und seiner Schüler zu ersetzen oder, wie so viele andere, indigendeutsche sprachwissenschaftliche Termini zu prägen und systematisch einzuführen, schlugen fehl. Die Puristen selbst sorgten mit ihren vielen Verdeutschungsvorschlägen zuweilen nur für Synonymenüberfluß und terminologische Verwirrung: für Verb/Verbum standen zur Wahl u. a. Zeitwort, Wandelwort, Aussagewort, Sagewort, Aussager, Aussaganzeiger, Redewort, Zustandswort, Wirkwort, Handlungswort, Begebenheitswort, Satzwort, Sätzer (vgl. auch Tätigkeitswort, Tuwort, Tunwort). Setzten sich im Schulunterricht ⫺ noch heute ⫺ eher die Verdeutschungen durch, beließen es die Sprachwissenschaftler, auch die keinesfalls fremdwortfreundlichen, die das Deutsche erforschten und förderten, weitestgehend bei Verb und den anderen lateinischstämmigen Fachwörtern. Campes Zeitgenossen und seine puristischen Nachfol-

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

ger um die Mitte des Jahrhunderts hatten letztlich noch weniger unmittelbaren Einfluß als er auf die deutsche Fachlexik. Die mittelbare Einwirkung der Puristen erwies sich jedoch als beträchtlich. Mit ihren wiederholten Diskussionen über das Für und Wider der Fremdwörter und mit ihren ständigen Mahnungen zum fremdwortreinen Deutsch trugen sie auch unter Wissenschaftlern und Fachleuten zu einem erhöhten Fremdwortbewußtsein bei, das einen wesentlichen Bestandteil des erstarkenden, mit der Herausbildung eines deutschen Nationalgefühls und dem Aufkommen des deutschen Nationalismus einhergehenden deutschen Sprachbewußtseins bildete: Das (fachwörtliche) Fremdwort war stets präsent. Dies schlug sich u. a. in einer von Campe gegründeten, puristischen Tradition der fremdwortund fachwortverdeutschenden Lexikographie nieder, die sich einfluß- und erfolgreich neben der fremd- und fachworterklärenden etablierte. Diese wiederum setzte sich in zahllosen Fremdwörterbüchern, bedingt in Sprachwörterbüchern (vgl. Schiewe 1991), vor allem aber in nichtpuristischen Konversationslexika und allgemeinen wie bereichsspezifischen Sachwörterbüchern fort. Zwei zukunftsträchtige Schwerpunkte des puristischen Interesses kristallisierten sich immer deutlicher heraus. Einmal die wachsende Kluft zwischen Fachwissenschaftlern bzw. Gelehrten und Laien bzw. dem Volk, die die Puristen immer wieder an den ihres Erachtens verständniserschwerenden oder -hindernden fachwörtlichen Fremdwörtern festmachten und mit der sie ihre geforderten Verdeutschungen bes. in der fachexternen Kommunikation begründeten. Zum anderen die zunehmende Bedeutung der Amtssprache i. w. S., deren Reinigung den Behörden auf allen Ebenen und der Obrigkeit oblag, an die die Puristen im Namen der Bürgernähe und der Allgemeinverständlichkeit und wohl auch in der Hoffnung appellierten, daß sich eine Reinigung der Amtssprache auch unmittelbar auf den allgemeinen Sprachgebrauch auswirken würde. 2.3. Das 19./20. Jahrhundert (nach 1871) Im Zeitraum von der Gründung des kleindeutschen Reichs bis ins Dritte Reich konnten die Fremdwortpuristen nicht nur weiterhin das allgemeine Sprach-, speziell Fremdwortbewußtsein entscheidend beeinflussen, sondern im Unterschied zu früheren Bestrebungen auch viele praktische Verdeutschungs-

92. Puristische Strömungen in Deutschland und Fachlexik

erfolge für sich verbuchen: Das immer wieder Geforderte, aber nur vereinzelt Gelungene, wurde nunmehr vielfach in die Tat umgesetzt, auch im Fachsprachenbereich, weniger in den (Natur-)Wissenschaftssprachen, eher in bestimmten technischen Fachsprachen und ganz bes. in der Amts-, Verwaltungs- und Gesetzessprache. Auf breiter Front setzten sich Regierungs- und Verwaltungsbehörden systematisch für die Verdeutschung ihres Amtsgebrauchs ein, was sich zwangsläufig i. S. der Puristen auf den allgemeinen Sprachgebrauch der betroffenen Bürger, d. h. auf die Gemeinsprache auswirkte. Dies galt primär in Deutschland, weniger in Österreich und der Schweiz, wie sich heute noch nachweisen läßt. In der Postsprache wurde, um nur ganz wenige Beispiele anzuführen (vgl. Steuernagel 1926; Olt 1991), Passagierbillet durch Fahrschein ersetzt, Retour-Recepisse durch Rückschein, recommandiert durch Einschreiben, eingeschrieben, Anciennetät durch Dienstalter; in der Militärsprache Charge durch Dienstgrad, Avancement durch Beförderung, Premierlieutenant durch Oberstleutnant; in der Rechtssprache Mundum durch Reinschrift, Kopie durch Abschrift, Pension durch Ruhegehalt, InsinuationsDokument durch Zustellungsurkunde, Kaution durch Sicherheit, Protokoll durch Niederschrift; in der Fachsprache der Eisenbahn Coupe´ durch Abteil, Perron durch Bahnsteig, Passagier durch Fahrgast, Billetexpedition durch Fahrkartenausgabe; und im amtlichen Schulgebrauch Autor durch Schriftsteller, Geographie durch Erdkunde, Experiment durch Versuch, Semester durch Halbjahr u. a. m.

Der Purismus stieß auch zunehmend auf das Interesse und die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit, insbes. der Lehrer- und Beamtenschaft, die im 1885 gegründeten und rasch aufblühenden Allgemeinen Deutschen Sprachverein einen geeigneten institutionellen Rahmen und eine wirkungsvolle Zentralorganisation für ihr Anliegen fand. Mit seinen vielen Mitgliedern und auf den ganzen deutschsprachigen Raum verteilten Zweigvereinen, mit seinen Veröffentlichungen und Pressemitteilungen, Rund- und Preisausschreiben, Eingaben an Ministerien und Behörden, Vereinssitzungen und öffentlichen Versammlungen errang der Sprachverein trotz gelegentlicher Opposition von Wissenschaftlern und Literaten eine bedeutende und einflußreiche Position. Er wurde häufig von Behörden und Verbänden aller Art in sprachberatender Funktion herangezogen, eine Funktion, die seine Nachfolgeorganisation, die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesba-

885

den, heute noch ausübt. Der Verein verschrieb sich der allgemeinen Sprachpflege: so wurde z. B. in der Amts- und Verwaltungssprache Papierdeutsches schlechthin beanstandet und „korrigiert“ (Nominalstil bzw. Substantivitis, Periodenbau und Schachtelsätze, Passivkonstruktionen u. ä. m.). Hauptanliegen blieb dennoch die Vermeidung und/ oder die Verdeutschung der Fremdwörter, auch im Fachsprachenbereich. Fremde Termini technici gehörten zwar theoretisch weiterhin zu den (wenigen) Kategorien unentbehrlicher Fremdwörter, die nicht verdeutscht werden müßten, in der (Vereins-)Praxis sah es freilich häufig anders aus. Den Puristen galt es nunmehr weniger, neue Verdeutschungen zu prägen, als vielmehr wo immer möglich im (fachlichen) Sprachverkehr indigendeutsche (Ersatz-)Wörter anstelle der Fremdwörter durchzusetzen. Solche Ersatzwörter wurden der Fach- und der breiten Öffentlichkeit im Überfluß dargeboten. Wichtigstes Forum für alle fremd- und fachwortpuristischen Fragen wurde ab 1886 die Vereinszeitschrift mit den Wissenschaftlichen Beiheften (Muttersprache 1886 ff). Großen Absatz fanden ab 1889 die wiederholt aufgelegten Verdeutschungsbücher des Vereins für Fach- und Sachbereiche wie Handel, Schule, Heilkunde, Druckgewerbe, Berg- und Hüttenwesen, Amtssprache u. a. Weitere bereichsbezogene Verdeutschungstafeln und -listen kamen flankierend hinzu, um den Strom der außerhalb des Vereins entstandenen Verdeutschungs- und Fremdwörterbücher noch anzuschwellen. Das Fremdwörterbuch etablierte sich neben dem Konversationslexikon als das allgemeine Fachwörterbuch für den Laien; noch heute bestätigen seltene Ausnahmen wie Mackensen 1986 diese Regel. Die Verdeutschung der Fachlexik wurde im ganzen Zeitraum direkt vom deutschen Staat gefördert. Im Bereich des puristischen Dauerbrenners, der Sprachwissenschaft, stellte z. B. im Auftrag des Reichsministeriums des Innern ein Ausschuß unter Leitung von Klaudius Bojunga an die 800 Vorschläge für die einheitliche Verdeutschung der Fachwörter in der deutschen Sprachlehre zusammen, die 1932 nach 10jähriger Beratung zum erstenmal veröffentlicht wurden: Für Verba stand als Oberbegriff Zeitwörter, unterteilt in Begriffs- bzw. Vollwörter (Tätigkeits- bzw. Tuwörter oder Zustandswörter) und Form- bzw. Hilfszeitwörter; für Nomina Nennwörter, untergliedert in Haupt- bzw. Dingwörter (Substantiva), Fürwörter (Pronomina) und Beiwör-

886

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

ter (Adjektive), darunter Eigenschaftswörter, Zustandsbezeichnungen bzw. -wörter und Zahlbezeichnungen (Bojunga 1933). Im vieldiskutierten Bereich der Technik betreute z. B. neben dem Normausschuß der deutschen Industrie u. a. der Deutsche Verband technischwissenschaftlicher Vereine, der Dachverband fast sämtlicher deutschen Fachvereinigungen (Ingenieure, Architekten, Chemiker, Eisenhüttenleute usw.), eine intensive Sprach-, speziell Verdeutschungsarbeit, die in den frühen 30er Jahren unter Zuziehung von Vertretern vieler Reichsministerien von der Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit fortgesetzt wurde. Eine zuerst 1930 erschienene, ca. 280 Ersatzwörter umfassende Liste zur „Verdeutschung technischer Fremdwörter“ wurde mehrfach erweitert und neu aufgelegt. Sie enthielt Verdeutschungsvorschläge auch für eingebürgerte fremde Fachwörter, z. B. ordnen, verschieben (rangieren), Bau, Bauwerk, Gestaltung, Bauart, Aufbau (Konstruktion), Ingner (Ingenieur), Fessel (Kondensator), Selb (Automat), Falt (Scharnier) oder Elt, Bern, Glitz (Elektrizität) (Muttersprache 1930, 331⫺332; 1934, 149⫺150; 1936, 402⫺403). Die Liste fand zwar großen Absatz, die Verdeutschungen dennoch ⫺ wie so oft ⫺ keinesfalls ungeteilte Zustimmung, geschweige denn Anwendung. Der Fremdwortpurismus (des Sprachvereins) fiel ohnehin zunehmend in politische Ungnade und wurde 1940 durch Erlaß untersagt; der Zweite Weltkrieg brachte die puristischen Strömungen vollends zum Erliegen.

3.

Schluß

3.1. In der zweiten Jahrhunderthälfte sind solche Strömungen nicht so recht wieder aufgelebt. Der Purismus hat zwar immer noch Anhänger, die nunmehr bes. die Anglizismen ins Visier nehmen und mitunter sogar eine radikale Verdeutschungspolitik verfechten, insgesamt spielt er jedoch keine entscheidende Rolle mehr, erst recht im Fachsprachenbereich nicht: Von einer puristischen Fixierung nur auf das fremdwörtliche Fachwort oder von einem programmatischen fachsprachlichen Fremdwortkampf kann nicht die Rede sein. Das heißt aber keinesfalls, daß das (fachwörtliche) Fremdwort nicht in der vor- und fachwissenschaftlichen Diskussion bleibt. Im Gegenteil, das Fremdwort ist nicht zuletzt dank der jahrhundertealten puristischen Bestrebungen nach wie vor präsent in Sprach-

kultur und -kritik. Aber in der (Fach-) Sprachberatung und -pflege von Institutionen wie der Dudenredaktion oder der Gesellschaft für deutsche Sprache rangieren Darstellungsfunktionalität, Verständlichkeit oder stilistisch-kommunikative Angemessenheit der/ einzelner (fachlichen) Fremdwörter in der Regel vor deren Herkunft oder Symptomund Signalwert. In der institutionellen Fachsprachlenkung etwa des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) mit seinen für die Fachsprache(n) der Technik wichtigen Richtlinien oder in der terminologischen Grundsatznormung des in die International Organization for Standardization (ISO) eingebundenen Deutschen Instituts für Normung (DIN) mit seinen einflußreichen Normen und Normentwürfen rangieren die Systemhaftigkeit, (Ein-)Eindeutigkeit und Festlegbarkeit von Benennungen und Begriffen vor deren Fremdstämmigkeit oder Fremdsprachlichkeit, werden die Europäisierung und Internationalisierung der Termini sachlich gegen nationalsprachliche Belange abgewogen und konkurrierende (fremde oder indigene) Doppelformen systematisch, nicht puristisch standardisiert. 3.2. Sind in der Technik solche Doppel- und Mehrfachbenennungen unerwünscht, können sie in den Geistes- und Sozialwissenschaften dagegen nicht nur von einem wünschenswerten Theorien- und Methodenpluralismus zeugen, sondern auch zu unterschiedlichen kommunikativen Zwecken bewußt eingesetzt werden, wobei gräkolateinische und indigendeutsche Fachsynonyme z. B. in Sprachwissenschaft und -unterricht nicht in einem exklusiven Entweder/Oder-, sondern in einem differenzierten Sowohl/Als-auch-Verhältnis zueinander stehen können (von Polenz 1980). Die unterschiedliche Bewertung der Synonymenvielfalt bzw. der Doppel- und Mehrfachterminologien als verständniserschwerend oder -erleichternd, als Barriere oder Brücke zur Verständigung zwischen Wissenschaftler und Laie, Arzt und Patient oder Handwerker und Bürger, ist nur eine der vielen anstehenden Fragen, die das doch primär unter dem Aspekt der Verständlichkeit und der kommunikativen Angemessenheit zu betrachtende Verhältnis zwischen Fremdwort und Fachwort im Deutschen und somit u. a. das Verhältnis zwischen Fachsprache i. w. S. und Gemeinsprache betreffen (vgl. 2.2.; auch von Polenz 1967; Link 1983, 66⫺74; Kirkness 1985, 102⫺103). Daß sie unbeantwortet ist/

92. Puristische Strömungen in Deutschland und Fachlexik

sind, zeigt u. a. auch, daß sich der fremdwortbekämpfende Purismus eben als keine geeignete Antwort erwiesen hat.

4.

Literatur (in Auswahl)

Bojunga 1933 ⫽ Vorschläge für die einheitliche Verdeutschung der Fachwörter in der deutschen Sprachlehre. Im Auftrage des Reichsministeriums des Innern aufgestellt vom Ausschuß für die einheitliche Verdeutschung der Fachwörter in der deutschen Sprachlehre und in dessen Namen ausgearbeitet v. Dr. Klaudius Bojunga. 3. Aufl. Frankfurt/M. 1933. Dunger 1989 ⫽ Hermann Dunger: Wörterbuch von Verdeutschungen entbehrlicher Fremdwörter. Engländerei in der deutschen Sprache. M. e. Vorw. v. Wolfgang Viereck. Nachdruck Hildesheim. Zürich. New York 1989 [Erstausgaben 1882; 1909]. Henne/Mentrup 1983 ⫽ Helmut Henne/Wolfgang Mentrup (Hrsg.): Wortschatz und Verständigungsprobleme. Was sind ,schwere Wörter‘ im Deutschen? Düsseldorf 1983 (Sprache der Gegenwart 57). Kirkness 1975 ⫽ Alan Kirkness: Zur Sprachreinigung im Deutschen 1789⫺1871. Eine historische Dokumentation I. II. Tübingen 1975 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 26,1; 26,2). Kirkness 1984 ⫽ Alan Kirkness: Das Phänomen des Purismus in der Geschichte des Deutschen. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hrsg. v. Werner Besch, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger I. Berlin. New York 1984, 290⫺ 299. Kirkness 1985 ⫽ Alan Kirkness: Sprachreinheit und Sprachreinigung in der Spätaufklärung. Die Fremdwortfrage von Adelung bis Campe, vor allem in der Bildungs- und Wissenschaftssprache. In: Mehrsprachigkeit in der deutschen Aufklärung. Hrsg. v. Dieter Kimpel. Hamburg 1985 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 5), 85⫺104. Link 1983 ⫽ Elisabeth Link: Fremdwörter ⫺ der Deutschen liebste schwere Wörter? In: Deutsche Sprache 11. 1983, 44⫺77. Mackensen 1972 ⫽ Lutz Mackensen: Traktat über Fremdwörter. Heidelberg 1972. Mackensen 1986 ⫽ Lutz Mackensen: Das Fachwort im täglichen Gebrauch. Das aktuelle Wörterbuch mit über 25 000 Begriffen. Frankfurt/M. Berlin 1986 [1. Ausg. 1981]. Muttersprache 1886 ff. ⫽ Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins 1886⫺1922. Zeitschrift des Deutschen Sprachvereins 1923⫺24. Muttersprache. Zeitschrift des Deutschen Sprachvereins 1925⫺39. Muttersprache. Zeitschrift für deutsches Sprachleben 1939⫺43. Berlin; Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der

887

deutschen Sprache 1949⫺93. Muttersprache. Vierteljahresschrift für deutsche Sprache 1994⫺. Wiesbaden; Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des (Allgemeinen) Deutschen Sprachvereins. Heft 1⫺50. Berlin 1891⫺1938. Nelz 1980 ⫽ Dieter Nelz: Zum Einfluß des „Allgemeinen Deutschen Sprachvereins“ auf die lexikalische Norm der Literatursprache im 19. Jahrhundert. In: Linguistische Studien. Reihe A, Arbeitsberichte 66/II. Berlin 1980, 68⫺115. Olt 1991 ⫽ Reinhard Olt: Wider das Fremde? Das Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins in Hessen 1885⫺1944. Darmstadt. Marburg 1991 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 80). von Polenz 1967 ⫽ Peter von Polenz: Fremdwort und Lehnwort sprachwissenschaftlich betrachtet. In: Muttersprache 77. 1967, 65⫺80. von Polenz 1980 ⫽ Peter von Polenz: Wie man über Sprache spricht. Über das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher und natürlicher Beschreibungssprache in Sprachwissenschaft und Sprachlehre. Mannheim. Wien. Zürich 1980 (Duden-Beiträge zu Fragen der Rechtschreibung, der Grammatik und des Stils 45). Pörksen 1986 ⫽ Uwe Pörksen: Deutsche Naturwissenschaftssprachen. Historische und kritische Studien. Tübingen 1986 (Forum für FachsprachenForschung 2). Schiewe 1991 ⫽ Jürgen Schiewe: Fach- und Wissenschaftssprache im Deutschen Wörterbuch. In: Studien zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm I. Hrsg. v. Alan Kirkness, Peter Kühn und Herbert Ernst Wiegand. Tübingen 1991 (Lexicographica. Series Maior 33⫺34), 225⫺263. Seibicke 1982 ⫽ Lubomir Drozd/Wilfried Seibicke: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Bestandsaufnahme, Theorie, Geschichte. 2. Aufl. Wiesbaden 1982. Seibicke 1985 ⫽ Wilfried Seibicke: Von Christian Wolff zu Johann Beckmann. Fachsprache im 18. Jahrhundert. In: Mehrsprachigkeit in der deutschen Aufklärung. Hrsg. v. Dieter Kimpel. Hamburg 1985 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 5), 42⫺51. Steuernagel 1926 ⫽ Otto Steuernagel: Die Einwirkungen des Deutschen Sprachvereins auf die deutsche Sprache. Berlin 1926 (Wissenschaftliches Beiheft zur Zeitschrift des Deutschen Sprachvereins 41). Strauß/Zifonun 1985 ⫽ Gerhard Strauß/Gisela Zifonun: Die Semantik schwerer Wörter im Deutschen I. II. Tübingen 1985 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 58,1; 58,2). Weinrich 1985 ⫽ Harald Weinrich. Wege der Sprachkultur. Stuttgart 1985.

Alan Kirkness, Auckland

888

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

93. Möglichkeiten der Optimierung von Fachtexten 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

1.

Ansatzpunkte für Textoptimierungen Textoptimierung auf der Grundlage von Benutzertests Textoptimierung durch die Kombination unterschiedlicher Zeichensysteme Textoptimierung durch kontrollierte Sprachen Zur Relation von Ausgangstext und optimiertem Text Ausblick Literatur (in Auswahl)

Ansatzpunkte für Textoptimierungen

Textoptimierungen dienen dem Zweck, Gebrauchstexte so umzugestalten, daß ihren Adressaten die Aufnahme und kognitive Verarbeitung (Verstehen und ggf. Behalten) sowie ⫺ bei entsprechenden Textsorten (etwa Bedienungsanleitungen) ⫺ die Anwendung oder praktische Umsetzung der Informationen aus diesen Texten erleichtert wird. Von besonderer Relevanz ist dabei die Anpassung von Inhalten, die ursprünglich für die fachinterne Kommunikation bestimmt waren, an die Vorkenntnisse und Bedürfnisse von Adressaten mit einem niedrigeren Kenntnisstand in dem betreffenden Fach, die „zu einem der bedeutsamsten Problemfelder der Verständlichkeitsforschung geworden ist“ (Biere 1991, 10) und auch „ein gewaltiges Potential für die Fachsprachenforschung“ bietet (Kalverkämper 1996, 145). Dabei ist Verständlichkeit bei Gebrauchstexten das zentrale Kriterium für deren Beurteilung und Gestaltung (Groeben 1982, 173). Zur betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanz von Textoptimierungen siehe Art. 106 a, 4. bzw. 9.; Kalverkämper 1988; 1996).

Die Forschung zur Textoptimierung „fragt nach den verarbeitungsrelevanten, verständlichkeitsfördernden Merkmalen der Textstruktur, untersucht deren Einfluß auf das Verstehen und Behalten von Texten und leitet auf dieser Grundlage Regeln und Techniken für die optimale Textgestaltung ab.“ (Groeben/Christmann 1989, 165). Berücksichtigt werden dabei neben der graphischen und typographischen Gestaltung sprachlich-stilistische, inhaltlich-kognitive, motivational-interessenorientierte und psychomotorische Faktoren. Aus dieser Aufzählung wird bereits deutlich, daß Textoptimierungen im Informa-

tionsverarbeitungsprozeß auf unterschiedlichen Stufen ansetzen können. Zur Differenzierung dieser Stufen kann auf die „Taxonomie des Textverstehens“ von Rickheit/Strohner (1993, 70) zurückgegriffen werden. Sie unterscheiden bei der Sprachverarbeitung einen sensomotorischen Bereich („perzeptuelles Verstehen“), einen syntaktischen Bereich („syntaktisches Verstehen“), einen semantischen Bereich („Konzeptverstehen“, „Referenzverstehen“, „semantisches Sinnverstehen“) und einen pragmatischen Bereich („pragmatisches Sinnverstehen“; vgl. hierzu auch die Verstehenstiefen nach Gunnarson 1984).

Die ersten Ansätze ⫺ oder besser die Vorläufer ⫺ der Verständlichkeitsforschung mit den entsprechenden Textoptimierungsstrategien setzen ausschließlich oder schwerpunktmäßig auf den niederen Verarbeitungsstufen, der Stufe des „perzeptuellen Verstehens“ (Leserlichkeitsforschung), des „syntaktischen Verstehens“ und des „Konzept-“ und „Referenzverstehens“ (klassische Lesbarkeitsforschung) an, die von ihnen jedoch auch nur zum Teil abgedeckt werden. Erst im Paradigma des kognitiven Konstruktivismus rückten auch die höheren Verarbeitungsstufen in das Zentrum der Forschung. Besonderes Interesse zogen in der Forschung zur Textoptimierung die folgenden Kommunikationsbereiche auf sich: Naturwissenschaften, Technik, Medizin (z. B. Schuldt 1992), Industrie und Wirtschaft (Wissenschaftsjournalismus [Ruß-Mohl 1987; Augst/ Simon/Wegner 1985], Kommunikation Arzt⫺ Patient, Technical Writing [s. Art. 106 a]) sowie die Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung/Justiz (z. B. Pfeiffer/Strouhal/Wodak 1987; Gunnerson 1984). Literaturangaben zu Verständlichkeitsproblemen in diesen speziellen Bereichen liefert Biere (1991, Gruppe 5).

Die einzelnen Phasen der für die Textoptimierung relevanten Forschung von „textorientierten Ansätzen“ über „kognitionsorientierte“ hin zu „aufgabenorientierten“ (Rickheit 1995, 21 ff) werden im folgenden mit ihren wichtigsten Ergebnissen knapp skizziert und evaluiert (s. hierzu auch die Studienbibliographie von Biere 1991). 1.1. Verbesserung der Leserlichkeit Die empirische Leserlichkeitsforschung (Leserlichkeit ⫺ engl. legibility), die als Vorstufe, aber auch als Teil der Lesbarkeitsforschung

889

93. Möglichkeiten der Optimierung von Fachtexten

(s. 1.2.) betrachtet wird, befaßt sich mit der graphischen und typographischen, also formalen Gestaltung von Texten und deren Einfluß auf die Textrezeption (s. z. B. Tinker 1963; Zachrisson 1965; Wendt 1969). Die Leserlichkeit von Druckerzeugnissen wird dabei entweder mit aktualgenetischen Verfahren (also unter Schwellenbedingungen wie großer Entfernung, geringer Helligkeit, kurzer Darbietungsdauer u. dgl.) oder über die Lesegeschwindigkeit (z. B. mit dem Tinker-Speed-ofReading-Test [Tinker/Paterson 1936]) ermittelt, wobei Faktoren wie der Schwierigkeitsgrad des Textes, die Lesefähigkeit des Lesers und seine Lesemotivation mit berücksichtigt werden müssen. Die mit aktualgenetischen Verfahren gewonnenen Ergebnisse sind z. B. für die Gestaltung von Schildern wichtig, die Ergebnisse, die unter Normalbedingungen ermittelt wurden, für die Gestaltung von Fließtexten (vgl. zu den Versuchsanordnungen zusammenfassend Kösler 1992, 151 ff). Eine Zusammenstellung von Ergebnissen der Leserlichkeitsforschung mit entsprechenden Optimierungsempfehlungen (zu Schriftart, -größe, -schnitt, Zeilenlängen, -abstand, -umbruch, Wortabständen u. dgl.) und weiteren Literaturangaben liefern Teigeler (1968, 42 ff; 1982, 125 ff), Kösler (1992, 147 ff) sowie Groeben (1982, 175). Zur typographischen Gestaltung von Texten siehe Gulbins/Kahrmann (1993). Hierbei ist zu beachten, daß die an gedruckten Texten gewonnenen Ergebnisse nicht ohne weiteres auf Neue Medien (z. B. Bildschirmtexte, On-line-Dokumentation) übertragbar sind (s. hierzu Riedel/Walter/Wallin-Felkner 1995, Kap. 10.2.6).

1.2. Verbesserung der Lesbarkeit Die Lesbarkeitsforschung (Lesbarkeit ⫺ engl. readability) befaßt sich seit Mitte der 30er Jahre vor allem mit der sprachlich-stilistischen Optimierung von Textmaterial (vgl. Groeben/Christmann 1989, 166 f) und hat zu sog. Lesbarkeitsformeln geführt. Als Hauptfaktoren fließen in diese Formeln Werte für die Wort- und Satzschwierigkeit ein (durchschnittliche Wortlänge, Anzahl der Silben pro 100 Wörter, durchschnittliche Anzahl der Wörter pro Satz), aber je nach Formel u. a. auch Werte für die allgemeine Vorkommenshäufigkeit der im Text verwendeten Wörter (gemessen an Ranglisten bzw. Häufigkeitswörterbüchern) oder Type-Token-Ratios (s. den Überblick bei Klare 1963; Teigeler 1968, 58 ff; Hofer 1976; Ballstaedt u. a. 1981; Groeben 1982, 173 ff; Biere 1989, 34 ff). Berücksichtigt werden also ausschließlich quantitativ erfaßbare Eigenschaften der materiell ge-

gebenen Textoberfläche. Eine der bekanntesten und am häufigsten angewandten Lesbarkeitsformeln ist die Reading Ease (RE)-Formel von Flesch (1948; vgl. Klare 1963, 23): RE ⫽ 206,835 ⫺ 0,846 wl ⫺ 1,015 sl (wl ⫽ Anzahl der Silben pro 100 Wörter, sl ⫽ durchschnittliche Anzahl der Wörter pro Satz) Diese Formel wurde für die englische Sprache entwickelt und ist u. a. aufgrund der Tatsache, daß einsilbige Wörter im Englischen häufiger vorkommen als im Deutschen, nicht unmittelbar auf das Deutsche übertragbar. Im Englischen streut der RE-Wert in der Regel zwischen 0 und 100, wobei 0 praktisch als Unlesbarkeit und 100 als optimale Lesbarkeit zu interpretieren ist (vgl. Klare 1963, 58; 78; Groeben 1982, 176 f).

Gewonnen wurden die Lesbarkeitsformeln dadurch, daß man objektiv feststell- und auszählbare Textmerkmale statistisch in Verbindung gesetzt hat zu bestimmten Kriterien, wie der Lesegeschwindigkeit, der Einschätzung der Textschwierigkeit durch Experten wie Lehrer (sog. Experten-Ratings) oder Trefferergebnissen in Lückentests (sog. cloze procedures) (vgl. Groeben 1982, 176). Entwikkelt wurden diese Formeln zunächst vor allem zur Beurteilung der Lesbarkeit von Schulbüchern, wobei Lesbarkeit nicht mit Verständlichkeit gleichgesetzt werden darf, sondern allenfalls einen Teilaspekt von ihr abdeckt. Nahezu unberücksichtigt bleiben in den Lesbarkeitsformeln nämlich u. a. inhaltliche Aspekte wie Anschaulichkeit und Gliederung, die Textfunktion und damit auch die Textsorte, das Vorwissen und die Interessen der Adressaten, also auch die Frage, ob die Inhalte in einer Ausführlichkeit und einer Reihenfolge dargeboten werden, in der die Adressaten sie mit ihrem spezifischen Vorwissen auch verarbeiten können. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben nonverbale Informationsträger (wie Diagramme und Zeichnungen), die jedoch erheblich zur Textverständlichkeit beitragen können (s. 3.). Ein weiterer Nachteil der Lesbarkeitsformeln besteht darin, daß ein mit einer solchen Formel ermittelter Lesbarkeitswert oder Lesbarkeitsindex noch keine Anhaltspunkte dazu gibt, an welchen Stellen und in welcher Hinsicht der Text ggf. optimierungsbedürftig ist (s. zur Bewertung der Lesbarkeitsforschung Klare 1963, 24 ff; Groeben 1982, 183 ff; Biere 1989, 34 ff; speziell für das Technical Writing

890 Redish/Selzer 1985). Diese Beschränkungen werden auch deutlich an den Handlungsanweisungen, die sich aus den Ergebnissen der Lesbarkeitsforschung speziell für die Optimierung von Informationstexten unter sprachlich-stilistischen Gesichtspunkten ableiten lassen. Groeben (1982, 185 f) stellt hier mit Bezug auf Klare (1963, 18 f) und Bormuth (1968, 489 ff) die folgenden zusammen: Verwendung kurzer, geläufiger, konkreter, anschaulicher Wörter der Schriftsprache in eingeführter, gebräuchlicher Bedeutung, solcher, die früh in der Sprachentwicklung gelernt werden; Vermeiden von Fremdwörtern, Termini technici und Abstrakta; Verwendung von (möglichst parataktischen) Sätzen geringer Länge und Komplexität; Vermeiden von Satzschachtelungen (s. zu diesen Handlungsanweisungen, deren Einhaltung in der fachbezogenen Kommunikation geradezu zu kommunikationsstörenden Ergebnissen führen kann, kritisch Göpferich 1997, Kap. 8; und 5.2.).

Trotz ihrer beschränkten Aussagekraft werden Lesbarkeitsformeln häufig angewandt, weil dies automatisiert mit Computerprogrammen möglich ist. Dabei muß man sich aber bewußt sein, daß in eine umfassende Bewertung der Verständlichkeit von Texten nicht nur deren Oberflächenstruktur eingehen, daß sie sich nicht nur am materiell gegebenen Textprodukt orientieren darf, sondern auch das Vorwissen des Lesers, seine Motivation und Interessen und damit das Verstehen als Prozeß berücksichtigen muß. Rickheit/Strohner (1993, 241) stellen hierzu fest: „Verständlichkeit und Erlernbarkeit eines Textes hängen nicht nur vom Text selbst ab, sondern auch von den kognitiven Prozessen, mit denen er verarbeitet wird.“

Diese Erkenntnis führte dazu, daß die noch produktorientierte Lesbarkeitsforschung (Rickheit [1995, 21 f] spricht hier von „textorientierten Ansätzen“) von Ansätzen der eigentlichen, prozeßorientierten Verständlichkeitsforschung (lern-, instruktions- und kognitionspsychologische Modellierungen des Textverarbeitungsprozesses) abgelöst wurde (vgl. Groeben 1982; Christmann 1989; Groeben/ Christmann 1989, 166; und Biere 1989). 1.3. Verbesserung der Verständlichkeit In diesen neueren Ansätzen der Verständlichkeitsforschung und Textoptimierung wird Verstehen als „Leser-Text-Interaktion“ aufgefaßt, bei der der Leser den Sinn eines Textes nicht passiv aus dem materiell im Text Gegebenen extrahiert (bottom-up-Prozesse),

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

sondern in top-down-Prozessen seine Interessen, seine Erfahrungen, sein Weltwissen und seine Lesestrategien an den Text heranträgt und in das Verstehen aktiv sinnkonstruierend einbringt (kognitiver Konstruktivismus; vgl. exemplarisch Bartlett 1932; Bransford/McCarrell 1974; Hörmann 1976; Hanstein 1993). Die ersten Ansätze, nach denen die Verständlichkeit eines Textes nicht mehr nur an seinen ⫺ vor allem sprachlichstilistischen ⫺ Oberflächeneigenschaften gemessen wird, sondern auch kognitiv-inhaltliche Faktoren berücksichtigt werden, sind das auf einem empirisch-induktiven Ansatz basierende sog. Hamburger Verständlichkeitskonzept der Psychologen Langer, Schulz von Thun und Tausch (1993) sowie das auf theoretisch-deduktivem Weg gewonnene Verständlichkeitskonstrukt Groebens (1972; 1982). Diese beiden instruktionspsychologischen Ansätze führen relativ übereinstimmend (s. zu den Differenzen Tergan 1980) zu dem Ergebnis, daß vier sog. Dimensionen die Verständlichkeit eines Textes ausmachen. Diese vier Dimensionen lassen sich zusammenfassen als „sprachliche Einfachheit“, „kognitive Gliederung“, „semantische Kürze/ Redundanz“ sowie „motivationale Stimulanz“ (Groeben 1982, 211). 1.3.1. Das Hamburger Verständlichkeitskonzept Die Hamburger Forschergruppe gewann die vier Dimensionen dadurch, daß sie Texte von Experten (Studenten, Lehrern etc.), die ein speziell entwickeltes Trainingsprogramm durchlaufen hatten, anhand von 18 Eigenschaftspaaren (wie interessant vs. langweilig, folgerichtig vs. zusammenhanglos, anschaulich vs. unanschaulich), die sie der damaligen Forschung einschließlich der hermeneutischen Rhetorik und Stilistik entnahm (Groeben 1982, 190), auf siebenstufigen Skalen einschätzen ließ und die Eigenschaften dann auf der Grundlage dieser Experten-Ratings faktorenanalytisch zu den vier Dimensionen zusammenfaßte (Langer/Schulz von Thun/ Tausch 1993, 138). In der Folge zogen sie für die Beurteilung der Verständlichkeit von Texten nur noch diese vier Dimensionen heran, in denen die Texte jeweils auf einer nur fünfstufigen Skala (⫺2, ⫺1, 0, ⫹1, ⫹2) zu beurteilen waren. Mit Verstehens- und Behaltenstests (Fragen und Aufgaben zum Text) wurde die Aussagekraft der Bewertung anhand der vier Dimensionen an Versuchspersonen validiert. Die Gesamtverständlichkeit eines Tex-

93. Möglichkeiten der Optimierung von Fachtexten

tes fassen Langer/Schulz von Thun/Tausch in einem „Beurteilungsfenster“ wie in Abb. 93.1 zusammen, in dem die Bewertung eines optimal verständlichen Textes dargestellt ist. Einfachheit ⫹2

Gliederung ⫺ Ordnung ⫹2

0 oder ⫹1 Kürze ⫺ Prägnanz

0 oder ⫹1 anregende Zusätze

Abb. 93.1: Beurteilungsfenster für einen optimal verständlichen Text (Langer/Schulz von Thun/ Tausch 1993, 28)

In den Dimensionen, in denen ein Text von dieser Optimalbeurteilung abweicht, kann er nach Langer/Schulz von Thun/Tausch optimiert werden. Hierzu stellen sie ein Trainingsprogramm vor, das die Stufen (1) Wahrnehmungstraining, (2) Optimierung in einzelnen Dimensionen, (3) Optimierung in allen Dimensionen und (4) freie Textproduktion umfaßt (Langer/Schulz von Thun/Tausch 1993, 34 ff). Neben der Dimension der „sprachlichen Einfachheit“, in die praktisch diejenigen Eigenschaften eingehen, die auch bereits in der Lesbarkeitsforschung berücksichtigt wurden, erfassen die Hamburger in den Dimensionen „Gliederung-Ordnung“ und „Kürze-Prägnanz“ auch den von der Lesbarkeitsforschung vernachlässigten Aspekt des kognitiven Inhalts sowie in der Dimension „anregende Zusätze“ den motivationalen Aspekt. Dabei werden zugleich Eigenschaften berücksichtigt, die nicht rein quantitativ erfaßbar sind. Die vier Dimensionen sind nach Langer/Schulz von Thun/Tausch (1993, 23) weitgehend unabhängig voneinander; bis zu einem gewissen Grad korrelieren jedoch die Dimensionen „Kürze-Prägnanz“ und „anregende Zusätze“, da letztere einen Text verlängern. Langer/Schulz von Thun/Tausch (1993, 23) empfehlen hier, die anregenden Zusätze selbst „kurz und ganz auf das Informationsziel ausgerichtet“ zu halten. Die Dimension „Einfachheit“ betrachten Langer/Schulz von Thun/Tausch als für die Verständlichkeit eines Textes wichtigste Dimension, gefolgt von der Dimension „Gliederung-Ordnung“ und dann „Kürze-Prägnanz“. „Anregende Zusätze“ wirken sich nur bei gut gegliederten Texten positiv auf die Verständlichkeit und Lesemotivation aus. Bei ungegliederten Texten tragen sie eher zur Verwirrung bei (Langer/Schulz von Thun/Tausch

891 1993, 27 f). Im Gegensatz zu den Hamburgern betrachtet Groeben die Dimension der „kognitiven Gliederung“ als die für die Verständlichkeit eines Textes wichtigste Dimension. Gegen die These, daß die sprachliche Einfachheit die wichtigste sei, führt Groeben u. a. an, daß aus den Ergebnissen der Lesbarkeitsforschung „gerade die stärkere Berücksichtigung der inhaltlich kognitiven Aspekte gefolgert worden war“ sowie die experimentellen Ergebnisse der Sprachpsychologie zum Verhältnis von Satzform (Grammatik) und Satzinhalt (Groeben 1982, 197). Gegenüber einem Lesbarkeitsindex hat die Beurteilung von Texten anhand von vier Verständlichkeitsdimensionen den Vorteil, daß aus den vier Einzelbewertungen genauer abzulesen ist, in welcher Hinsicht ein Text einer Optimierung bedarf. Groeben (1982, 198) kritisiert hier jedoch, „daß für die Erstellung konkreter Handlungsanweisungen zur Textoptimierung der Rückbezug auf die z. T. wenig explizierten Textmerkmale kaum ausreichen dürfte“ und unterbreitet konkretere Textoptimierungsanweisungen (s. 1.3.2.). Auch bleibt die Auswahl und Beschränkung auf gerade die 18 herangezogenen Merkmalspaare unzureichend begründet (vgl. hierzu auch Krause 1991, 396 ff). Zu kritisieren ist am Hamburger Verständlichkeitskonzept ferner die Subjektivität, die durch die ExpertenRatings in die Verständlichkeitsbeurteilung einfließt, sowie vor allem die Tatsache, daß das Hamburger Verständlichkeitskonzept weder unterschiedliche Textfunktionen (und damit Textsorten mit ihren spezifischen Konventionen), noch das Vorwissen und die speziellen Leseinteressen der Textadressaten berücksichtigt und damit noch weitgehend textorientiert bleibt (s. zum Hamburger Verständlichkeitskonzept zusammenfassend und kritisch auch Groeben 1982, 188 ff; Groeben/ Christmann 1989, 179 f; und Biere 1989, 41 ff). Die ,Verständlichkeit‘ eines Textes, die nach dem Hamburger Konzept beurteilt wird, ist eher eine Allgemeinverständlichkeit als soziokulturelle Größe als eine adressatenspezifische Verständlichkeit, wie sie für die fachsprachliche Kommunikation von Interesse ist. Dies gilt weitgehend auch für das Verständlichkeitskonstrukt Groebens. 1.3.2. Das Verständlichkeitskonstrukt Groebens Groeben geht bei der Herleitung seines Verständlichkeitskonstrukts von verschiedenen Theorien aus. Die Theorieansätze, auf denen

892 seine Dimension der „sprachlichen Einfachheit“ beruht, sind diejenigen der hermeneutischen Stilforschung (vgl. Reiners 1963) und der empirischen Lesbarkeitsforschung, die auch Langer/Schulz von Thun/Tausch (1993) heranziehen, untermauert durch „psycholinguistische Modelle, die sich in der Nachfolge der Transformationsgrammatik von Chomsky (vgl. 1969) auf die grammatikalischen Merkmale von Sätzen und deren Wirkung auf die Verarbeitung und das Behalten konzentrieren“ (Groeben 1982, 199). Seine Dimension der „semantischen Kürze/Redundanz“ basiert auf Modellen der Informationstheorie in ihren für die Gedächtnispsychologie und kybernetische Pädagogik relevanten Ausschnitten, seine Dimension der „kognitiven Gliederung“ auf der Subsumtionstheorie Ausubels (1968) und seine Dimension der motivationalen Stimulanz auf der Neugiermotivationstheorie Berlynes (1960). Unberücksichtigt bleibt in Groebens Verständlichkeitskonstrukt (wie auch in dem der Hamburger) u. a. das illokutionäre Verstehen (im Gegensatz zum Propositionsverstehen). Um dieses Defizit auszugleichen, müßte u. a. die Sprechakttheorie als weitere Theoriebasis in das Verständlichkeitskonstrukt Groebens aufgenommen werden. Siehe zum Verständlichkeitskonstrukt Groebens auch Biere (1989, 49 f) und Groeben/Christmann (1989, 170 ff); zur empirischen Überprüfung seiner Dimensionen Groeben (1982, 203 f) und zusammenfassend Groeben/Christmann (1989, 172 f).

Außer in der in 1.3.1. erwähnten unterschiedlichen Gewichtung der Dimensionen unterscheiden sich das Hamburger Konzept und dasjenige Groebens auch darin, daß die Hamburger Forschergruppe davon ausgeht, daß eine Maximierung der Verständlichkeit eines Textes auch zu einer Optimierung des Behaltenserfolgs beim Leser führe, während Groeben in Versuchen mit Probanden zu dem Ergebnis kommt, daß zur Erzielung hoher Behaltenserfolge bei gleichzeitiger Erzeugung von Neugier ein mittlerer Verständlichkeitsgrad anzustreben ist (s. den Vergleich zwischen den beiden Verständlichkeitskonzepten bei Groeben 1982, 206 ff; sowie Tergan 1980). Die seinen Dimensionen zugeordneten Merkmale betrachtet Groeben (1982, 209) noch als unvollständig und unzureichend definiert. Groeben/Christmann (1989, 191) gehen dabei davon aus, „daß durch eine Verbindung von instruktions- und kognitions-

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

psychologischen Modellierungen des Textverstehens [sc. propositions-, makropropositions- und schematheoretischen Modellierungen des Textverstehens sowie der Theorie der mentalen Modelle; vgl. den Überblick bei Christmann 1989] Merkmalpräzisierungen und Problemdifferenzierungen möglich sind, die auf Dauer zu (noch) konkreteren Handlungsregeln für verständlichkeitsfördernde Textmerkmale führen können.“ Als Beispiel führt Groeben (1982, 216) an, daß etwa „die ,Höhe‘ einer Proposition in einem Text (nach dem Grad, in dem sie in anderen Propositionen wieder aufgenommen wird) eindeutig ein Aspekt [ist], der von Ausubel mit der ,Inklusivität‘ eines Konzepts (mit)gemeint ist“. Für die Textmerkmale, die für Optimierungsmaßnahmen als erstrebenswert empfohlen werden, fordert Groeben (1982, 217), daß ihre praktische Wirksamkeit in spezifischen instruktionspsychologischen Untersuchungen gesichert wird. Den Wert eines Verständlichkeitskonstrukts sieht er dabei vor allem darin, daß es für die „anwendungsorientierte, technologische Forschung […] einen theoretischen Rahmen ab[gibt]: die [sic] Anzahl und Explikation der Dimensionen von Textverständlichkeit bildet [sic] eine (empirisch) gesicherte Heuristik dafür, in welcher Richtung gegebenenfalls nach weiteren Textmerkmalen bzw. deren Präzisierung zu suchen ist; die Gewichtung der Dimensionen bietet einen Ansatzpunkt zur Gewichtung der einzelnen als wirksam nachgewiesenen Textmerkmale und darauf aufbauenden Handlungsanweisungen zur Textoptimierung“ (Groeben 1982, 216 f). Ausgehend von Textmerkmalen, die sich empirisch gesichert als verstehens- und behaltensfördernd auswirken, empfiehlt Groeben für Textoptimierungen die folgenden Strategien (s. zu einer kritischen Zusammenstellung und Zusammenfassung entsprechender Versuche mit Metaanalysen Groeben 1982, Kap. 4): (1) in der Dimension „kognitive Gliederung“: Verwendung von advance organizers (von Groeben [1982, 235] eingedeutscht als „Vorstrukturierungen“), Angabe von Lernzielen in sehr allgemeiner Form, sequentielles Arrangieren, Einfügen von Überschriften, Nachstellen von Zusammenfassungen in Frageform; (2) in den Dimensionen „sprachliche Einfachheit“ und „semantische Kürze/Redundanz“: Verwendung kurzer, geläufiger, konkreter, anschaulicher und persönlicher Wörter, Veranschaulichung durch Beispiele, Abbildungen, Verwendung kurzer, grammatisch einfacher (Haupt-)Sätze, Vermeidung von hypotaktischen Konstruktionen und Satzklammern, semantische Redundanz vor allem bei Subjekt, Prädikat und Objekt; (3) in der Dimension „motivationale Stimulanz“: Integration konfliktgenerierender Fragen, inkongruenter Rückbezug auf Bekanntes, Darstel-

893

93. Möglichkeiten der Optimierung von Fachtexten lung inkongruenter, widersprüchlicher Alternativen, Präsentation von Neuem und Überraschendem, Schaffung von Inkohärenz und Komplexität. Ein stimulierender kognitiver Konflikt ist jedoch nach Groeben (1982, 273 f) nur „soweit anzustreben, als er die kognitive Gliederung/Ordnung nicht zerstört“ (s. zu den verstehens- und behaltensfördernden Merkmalen ausführlich Groeben [1982, 223 ff]; vgl. zu den Handlungsanweisungen zur Textoptimierung auch Groebens [1972, 147 ff] „20 Programmatische Regeln zur didaktischen Herstellung sprachlichen Lehrmaterials“).

Wie diese Optimierungsstrategien zeigen, werden auch hier die jeweilige Textsorte und Textfunktion und damit das „pragmatische Sinnverstehen“ (Rickheit/Strohner 1993, 70) sowie die spezifischen Adressatenmerkmale nicht bzw. nicht hinreichend berücksichtigt (s. speziell zur Mehrfachadressierung Hoffmann 1984). Hierdurch geht das tertium für die Beurteilung der Verständlichkeit (als einer relativen Größe) und der Angemessenheit sog. optimierter Texte verloren (s. hierzu 5.). 1.3.3. Sonstige Ansätze Außer aus den o. g. instruktionspsychologischen Ansätzen zur Erklärung von Textverständlichkeit lassen sich auch aus der kognitionswissenschaftlichen Forschung, insbesondere der Schematheorie, Leitlinien für Textoptimierungen ableiten, während sich die Ergebnisse der an Propositionsmodellen orientierten kognitionswissenschaftlichen Forschung kaum in operationalisierbare Handlungsanweisungen zur Textoptimierung umsetzen lassen (vgl. Göpferich 1997, Kap. 8.3). Untersuchungsergebnisse von Bransford/ Johnson (1972) u. a. lassen sich nach der Schematheorie dahingehend interpretieren, daß in Texten sichergestellt werden muß, daß die in den thematischen Positionen (z. B. Überschriften) plazierten Elemente beim Rezipienten jeweils die für die Interpretation der nachfolgenden Informationen relevanten Schemata aktivieren (Huckin 1983, 94 ff; vgl. hierzu auch die Funktion der advance organizers Ausubels [1968]). Empirische Befunde von Kieras (1978; 1980; 1981) sowie Faigley/Witte (1983) und weiteren (s. zusammenfassend Huckin 1983, 97 f) legen nahe, daß jeweils dem ersten Satz in einem Absatz und den thematischen Elementen am Satzanfang ⫺ im Englischen speziell dem Subjekt ⫺ die Funktion zukommt bzw. zukommen sollte, das für das Absatz- bzw. Satzverstehen relevante Schema zu aktivieren bzw. auf-

grund der begrenzten Speicherkapazität des Kurzzeitgedächtnisses zu reaktivieren und mit ihm zugleich die Anbindung an das übergeordnete Schema zu schaffen. Diese Befunde stehen auch mit den Ergebnissen der Thema-Rhema-Forschung in Einklang (vgl. z. B. die Typen thematischer Progression bei Danesˇ 1974; sowie Clark/Haviland 1977). Weitere kognitionswissenschaftlich fundierte Handlungsanweisungen für Textoptimierungen leitet Huckin (1983, 101) her. Die Verständlichkeit von Texten speziell auf der Illokutionsebene (im Bereich des „pragmatischen Sinnverstehens“ [Rickheit/ Strohner 1993: 70]) kann durch die Verwendung eindeutiger Illokutionsindikatoren verbessert werden (s. 1.4.; sowie Göpferich 1997, Kap. 6.1). Zur Textoptimierung durch erklärende Zusätze siehe 5.2. 1.4. Verbesserung der Brauchbarkeit Optimale Leserlichkeit, Lesbarkeit und Verständlichkeit garantieren bei Gebrauchstexten, insbesondere Anleitungen („Mensch/Technikinteraktionsorientierten Texten“ [Göpferich 1995, 128 f]), die direkt zu praktischen Anschlußhandlungen anleiten, noch keine optimale Nützlichkeit (vgl. Krause 1991, 396 f). Neben den o. g. drei Eigenschaften sind für Anleitungen u. a. auch inhaltliche Vollständigkeit und Korrektheit (z. B. bei Gefahrenhinweisen), formale und inhaltliche Konformität mit rechtlichen Bestimmungen, Rezeptionsökonomie und damit auch Möglichkeiten des gezielten Informationszugriffs (über Inhalts- und Stichwortverzeichnis sowie durch ein übersichtliches Seitenlayout) und eine klare Trennung zwischen Deskription und Instruktion auf der illokutionären Ebene zu fordern, wobei die Instruktionen so gegeben werden müssen, daß sich die einzelnen Handlungen sofort in der richtigen Reihenfolge und mit möglichst geringem kognitiven Aufwand umsetzen lassen. Instruktionen sollten sich daher nicht (wie in Bsp. [1]) hinter Beschreibungen verbergen, sondern in Form direkter direktiver Sprechakte mit eindeutigen Illokutionsindikatoren (wie in Bsp. [1⬘]) gegeben werden. [1] Gegenstandsorientierte Beschreibung: Achtung! Das in dieser Maschine benutzte synthetische Schmieröl enthält Zusätze, die, wenn sie über einen

[1⬘] Tätigkeitsorientierte Instruktion: Achtung! Lassen Sie das giftige Schmieröl dieser Maschine keinesfalls länger als 1 Stunde auf Ihrer Haut.

894

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

längeren Zeitraum mit der Haut in Kontakt kommen, absorbiert werden und dann giftig wirken.

Das synthetische Schmieröl enthält Zusätze, die nach einer Stunde in Ihre Haut eindringen und dann als Gift wirken. (Bsp. aus: Riedel/Walter/Wallin-Felkner 1995, 8.4.2-8) Während hier in Beispiel [1] eine Beschreibung des Schmieröls gegeben wird (das Schmieröl ist das Thema), aber nicht direkt gesagt wird, welche Konsequenzen der Benutzer daraus für den Umgang mit dem Öl ziehen soll, obwohl es darauf gerade ankommt ⫺ Überschrift „Achtung!“! ⫺ (wobei der Satz aufgrund seiner Verschachtelung noch schwer verständlich und in seiner Zeitangabe [„über einen längeren Zeitraum“] vage ist), steht in der optimierten Version [1⬘] nicht mehr das Schmieröl im Vordergrund, sondern die Instruierung und damit die Handlung des Adressaten. Die Konsequenzen, die der Leser aus [1] erst ziehen muß, was zusätzlichen kognitiven Aufwand bedeutet, werden in [1⬘] schon explizit gemacht, wobei die Begründung als repräsentativer Sprechakt der Instruktion Nachdruck verleiht und den Benutzer dazu motiviert, sie auch zu befolgen.

Vor diesem Hintergrund ist Krause zuzustimmen, wenn er die Forderung nach Leserlichkeit, Lesbarkeit und Verständlichkeit noch ergänzt durch diejenige nach „Brauchbarkeit“ auf der psychomotorischen Ebene, da Verständlichkeit eine notwendige, jedoch noch keine hinreichende Bedingung zur Erreichung des übergeordneten Ziels der „produkt- und situationsbezogenen Handlungskompetenz“ ist (Krause 1991, 397). An der Dimension der Brauchbarkeit, die sich je nach Textsorte ⫺ und je nach Medium (Neue Medien) ⫺ nach ganz verschiedenen Kriterien bemißt, wird nochmals deutlich, daß Handlungsanweisungen für Textoptimierungen nach Textsorten sowie Medien differenziert gegeben werden müssen (s. zu solchen textsortenspezifischen Handlungsanweisungen Göpferich 1997). Um die Brauchbarkeit von Anleitungen sicherzustellen, empfiehlt sich ⫺ als Grobraster ⫺ die Einhaltung von Empfehlungen wie denjenigen in DIN V 8418 (s. hierzu Art. 106 a, 8.), Göpferich (1997) und das „Minimalmodell“ zur Textoptimierung Sauers (1995). Im Einzelfall gezielt sichergestellt werden kann die Brauchbarkeit aber nur auf der Grundlage von Benutzertests (s. 2.).

2.

Textoptimierung auf der Grundlage von Benutzertests

Benutzertests (engl. usability testing) stellen die beste Möglichkeit dar, konkrete Textexemplare auf ihre Verständlichkeit und

Brauchbarkeit für spezifische Adressatengruppen zu prüfen und optimierungsbedürftige Stellen gezielt aufzudecken ⫺ eine diagnostische Aufgabe, die etwa mit Lesbarkeitsformeln, über die Ermittlung von Leseund Bearbeitungszeiten oder wiedergegebenen Propositionen in Reproduktionsaufgaben nicht zu lösen ist (vgl. Schäflein-Armbruster 1994, 507 ff). Um aussagekräftige Resultate zu erhalten, müssen die Versuchspersonen dabei repräsentativ für die Adressaten des jeweiligen Textes sein und die Aufgaben zum Umgang mit dem Text (und ggf. dem im Text dokumentierten Produkt) den bei der späteren Nutzung typischen entsprechen. Redish/Schell (1989, 67 ff) unterscheiden drei Arten von Benutzertests mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Nachteilen: (1) User edits für einzelne Instruktionsfolgen, in denen die Versuchspersonen den Text laut lesen und die Instruktionen dann umsetzen. Stockungen, Verlesen und Probleme bei der Umsetzung geben hier gezielt Aufschluß darüber, wo die Instruktionen optimierungsbedürftig sind. (2) Protokolle des Lauten Denkens (und des Vorgehens) von Versuchspersonen, die eine Aufgabe zum Umgang mit dem Produkt gestellt bekommen, diese mit Hilfe der Anleitung lösen und dabei die Instruktionen nicht laut vorlesen, sondern ihre Gedanken bei der Lösung der Aufgabe laut äußern sollen (protocol-aided revision). Durch den Einsatz von jeweils zwei Versuchspersonen kann eine natürlichere Gesprächssituation simuliert und dadurch das hemmende Gefühl des Selbstgesprächs reduziert werden. Im Gegensatz zur Methode (1) kann auf diese Weise auch ermittelt werden, ob ein gezielter Informationszugriff möglich ist. (3) Beta-Tests (meist im EDV-Bereich angewandt), bei denen die Versuchspersonen Produkt und Anleitung für den realistischen Einsatz zur Verfügung gestellt bekommen und hierzu Fragebögen ausfüllen sowie über Probleme, die bei der Anwendung auftraten, berichten sollen. Eine systematische Überprüfung der Dokumentation ist auf diese Weise nicht möglich (s. Redish/Schell 1989 mit weiteren Literaturangaben zum usability testing).

Diese Tests können durch Fragen seitens des Versuchsleiters begleitet und durch Interviews und Intensivgespräche ergänzt werden (vgl. zu diesen „kommunikativen Methoden“ Schäflein-Armbruster 1994, 508 ff; Pfeiffer/ Strouhal/Wodak 1987, Kap. 8). Zusätzliche Hilfsmittel, die in solchen Benutzertests eingesetzt werden können, sind Geräte zur Registrierung von Augenbewegungen (vgl. z. B. Winterhoff 1980) sowie speziell beim Testen von Software-Dokumentationen Programme zur Speicherung von Tastatureingaben in Protokolldateien (vgl. Bock 1993, Kap. 3).

895

93. Möglichkeiten der Optimierung von Fachtexten

3.

Textoptimierung durch die Kombination unterschiedlicher Zeichensysteme

Ausgehend von einem semiotischen, unterschiedliche Zeichensysteme integrierenden Textbegriff (vgl. Art. 57, 3.4.), ergeben sich Möglichkeiten der Textoptimierung auch durch eine ⫺ ggf. anders gewichtete ⫺ Informationsverteilung auf unterschiedliche semiotische Systeme, deren spezifische Vorteile für die Gesamtkommunikationsaufgabe dabei komplementär zu nutzen sind (s. hierzu die „intersemiotische Texttransformation“ in Göpferich 1996, 105 f). So transportieren bildhafte Darstellungen bestimmte Arten von Informationen (z. B. räumliche Beziehungen und das Aussehen komplex geformter Gegenstände) rezeptionsökonomischer und anschaulicher als verbale, erleichtern den Aufbau, die Aktivierung und Korrektur mentaler Modelle und können eine Motivations- und Stimulationsfunktion übernehmen (s. Weidenmann 1988). Um ihre Funktion optimal zu erfüllen, bedürfen bildhafte Darstellungen jedoch oft auch selbst einer Optimierung. Im Vergleich zum Textverstehen und zur Textoptimierung liegen zum Bildverstehen und der Bildoptimierung relativ wenige Untersuchungen vor (s. zum Bildverstehen Weidenmann 1988; Meutsch 1990; Braun 1993; Ballstaedt 1995; 1996; zur Text-Bild-Kommunikation Ballstaedt/Molitor/ Mandl 1989; Muckenhaupt 1986; zur Bildoptimierung Dwyer 1978; Meutsch 1989; sowie den Überblick mit empirischen Befunden zur Auswirkung der Bildgestaltung auf das Bildverstehen in Kösler 1992, 167 ff; zur Gestaltung bildhafter Darstellungen in technischen Texten Göpferich 1997, Kap. 3.; zur Gestaltung von Piktogrammen Ballstaedt 1994; zu Neuen Medien Riedel/Walter/Wallin-Felkner 1995, Kap. 10).

4.

Textoptimierung durch kontrollierte Sprachen

Textoptimierungen im Bereich der sprachlichen Einfachheit können auch durch den Einsatz sog. kontrollierter Sprachen (s. Art. 106 a, 3.) erreicht werden (vgl. Lehrndorfer 1996 mit weiteren Literaturangaben). Es handelt sich hierbei um Subsysteme natürlicher Sprachen mit einem beschränkten Vokabular und eingeschränkten grammatischen Möglichkeiten, die den Spielraum für Ambiguität reduzieren und weitgehend zur Einhaltung der unter 1.2. und 1.3.2. genannten Forderungen zur Erreichung von Lesbarkeit bzw. „sprachlicher Einfachheit“ zwingen.

Ihre Verwendbarkeit beschränkt sich allerdings auf bestimmte Textsorten (vor allem Anleitungen).

5.

Zur Relation von Ausgangstext und optimiertem Text

5.1. Zur Frage der Äquivalenz Das Problem der inhaltlichen Relation von inkriminiertem Text und optimierter Version wird in der Forschung zur Textoptimierung kaum thematisiert, ist jedoch vergleichbar mit der in der Translationswissenschaft vieldiskutierten Relation von Ausgangs- und Zieltext (vgl. Biere 1989, 213). Erreicht werden kann bei der Textoptimierung in der Regel keine (inhaltliche) Äquivalenz (im Sinne der formalen Logik), sondern nur eine Angemessenheit für einen bestimmten Zweck und für bestimmte Adressaten in bestimmten Situationen. Zweck, Adressatenmerkmale und Situation müssen dann aber entsprechend thematisiert und berücksichtigt werden (vgl. Meutsch 1989, 20), was in den in der Literatur zur Textoptimierung häufig anzutreffenden, wenig analytischen Gegenüberstellungen von inkriminiertem und optimiertem Text jedoch in der Regel nicht geschieht (s. hierzu das Bsp. mit Kommentar in Art. 106 a, 9.). Im Hinblick auf die anzustrebende Relation von Ausgangstext und optimierter Version ist die Skopostheorie (Reiß/Vermeer 1984, 95 ff) aus der Translationswissenschaft auf die (intralinguale) Textoptimierung übertragbar. 5.2. Substitution vs. Addition Die Substitution inkriminierter Texte durch optimierte birgt stets die Gefahr in sich, zu einer Verfälschung der Informationen zu führen, sich an falsch eingeschätzten Adressaten zu orientieren und dem Laien Fachliches vorzuenthalten, anstatt ihn an es heranzuführen. Biere schlägt daher als Alternative ein an einer dialogischen Lehr-Lern-Situation orientiertes „Verständlich-Machen“ vor, in dem der ursprüngliche Text nicht substituiert, sondern mit metasprachlichen und metakommunikativen, am mündlichen Sprachgebrauch orientierten Elementen (z. B. advance organizers) ergänzt wird (Biere 1989, 245 ff; 1990, 28 f; vgl. hierzu in historischer Perspektive Kalverkämper 1996, 142 ff). In diese Richtung zielt auch Kalverkämper (1988; 1988 a; 1996) mit seinem Begriff der FachsprachenHermeneutik, die weniger oder gar nicht die Substitution von Fachtermini durch ,gemeinsprachliche‘ Ausdrücke anvisiert (wie dies noch die Lesbarkeitsforschung forderte), da eine solche Substitution es nicht ermöglicht, „fachliche Inhalte unter Wahrung ihres fach-

896

XI. Sprachkultur, Sprachkritik, Sprachpolitik

lichen Zusammenhangs und ihrer fachbezogenen Qualität einem Laien verständlich zu machen“, sondern den Wissenstransfer verhindert oder zumindest verzerrt (Kalverkämper 1988, 162; vgl. auch 1996, 146). Vielmehr zielt sie auf die „Vertextungsstrategie als solche“, darauf, die fachlich schwierigen Stellen des Textes (einzelne Termini oder komplexe Zusammenhänge) zu erklären, z. B. in Form von Umschreibungen, verdeutlichenden, interpretierenden Zusätzen im Text oder in separaten Informationskästen sowie Glossaren (Kalverkämper 1988, 162; 1996, 141 ff; vgl. auch bereits 1987). Die fachsprachen-hermeneutisch konsequente Adaptation eines Fachtextes an ein Laienpublikum muß also die „zugehörige fachsystematische Einbettung laienverständlich“ machen, anstatt sie dem Leser ⫺ ihn in seinem fachlichen Verständnis entmündigend ⫺ zu unterschlagen (Kalverkämper 1988, 174). Als Strategie im Rahmen einer solchen fachsprachen-hermeneutischen Adaptation ergibt sich dann, daß etwa Inhalte, die in einem Text für die fachinterne Kommunikation präsupponiert werden können, für einen Laien jedoch aufgrund des ihm fehlenden Vorwissens nicht erschließbar sind, in einem Text für die fachexterne Kommunikation explizit eingeführt werden (vgl. Antos 1990, 3). Die Strategie der Integration verständlich-machender Zusätze ist jedoch nicht für alle Textsorten geeignet. Anwendbar ist sie ⫺ z. T. in Kombination mit substituierenden Verfahren ⫺ z. B. auf Textsorten wie Lehr- und Sachbücher, populärwissenschaftliche Artikel oder Zeitungstexte; im Bereich von Benutzerdokumentation scheidet sie aufgrund der dort erforderlichen Sprach- und Rezeptionsökonomie, die durch solche Ergänzungen unterlaufen würde, aus. Hier ist u. a. zu bedenken, daß für Fachbegriffe häufig unterschiedlich stark motivierte (ebenfalls fachliche) Synonyme existieren und eine Verbesserung der Verständlichkeit oft schon dadurch erreicht werden kann, daß eine wenig motivierte Benennung (z. B. eine, die ein Teil nach seinem Erfinder bezeichnet) durch eine stärker motivierte ersetzt wird (beispielsweise eine, die das Teil nach seiner Form und/oder Funktion benennt) oder über eine Abbildung erklärt wird (s. hierzu Göpferich/Schmitt 1996).

6.

Ausblick

In der weiteren Forschung zur Textoptimierung gilt es, theoriegeleitet und auf empirischer Basis anhand authentischen Textmate-

rials eine differenzierte Typologie von Verstehensproblemen zu entwickeln, diese Verstehensprobleme in ihrem Zusammenwirken zu untersuchen, auf ihre Ursachen zurückzuführen und aus diesen Ursachen gezielt Strategien zur Beseitigung der Verstehensprobleme herzuleiten (vgl. Heringer 1984, 67; Ballstaedt/Mandl 1988, 1049; Fritz 1991, 16 f; Schäflein-Armbruster 1994, 497). Bei der Ermittlung dieser Verstehensprobleme und der Herleitung von Strategien zu ihrer Behebung ist dabei nach Textsorten und Adressatengruppen differenziert vorzugehen. Als Ausgangspunkt und Grobraster für die Entwicklung einer solchen Typologie von Verstehensproblemen können neben den Verständlichkeitskonzepten (s. 1.3.1. und 1.3.2.) Unterteilungen des Verstehensprozesses wie die von Rickheit/Strohner (1993, 70) oder Gunnarson (1984) dienen. Einige solcher differenzierten Verstehensprobleme führen Fritz (1991) und Schäflein-Armbruster (1994, 497 ff) an.

7.

Literatur (in Auswahl)

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Susanne Göpferich, Karlsruhe

XII. Spezielle Aspekte von Fachkommunikation IV: zur Funktion von künstlichen Sprachen 94. Der Gebrauch und die Leistung von logischen Sprachen in den Geisteswissenschaften 1. 2. 3. 4. 5. 6.

1.

Einführung: Zu Geschichte und Begriff der modernen Logik Formale Logiksprachen: Aufgabenstellung und Darstellung Übersetzung zwischen natürlicher Sprache und Logiksprache Zum Gebrauch der Logiken bzw. Logiksprachen in den Geisteswissenschaften Was sollte die Anwendung formaler Logiksprachen in den Geisteswissenschaften leisten und was leistet sie? Literatur (in Auswahl)

Einführung: Zu Geschichte und Begriff der modernen Logik

Die Logik-Wissenschaft untersucht, je nach Auffassung, die Folgerichtigkeit im Denken, im Handeln, im Sprechen oder im Aufbau der Welt. Historisch kann man drei Epochen unterscheiden: die klassische Logik umfaßt die Antike (aristotelische, stoische) und mittelalterliche Logik; sie war hauptsächlich mit den syllogistischen Figuren des Schließens (über sprachlichen Aussagen) und den sich daraus ergebenden Problemen befaßt. Die zweite Epoche, die sog. traditionelle Logik, begann mit der Logik von Port Royal. Sie betrachtete hauptsächlich Einheiten des Denkens in der Unterteilung: Lehre vom Begriff, vom Urteil und vom Schluß und der Methodenlehre. Diese Richtung besteht bis in unsere Zeit fort, findet aber nur noch wenig Interesse. Die dritte Epoche ist die der formalen Logik (eine Zeit lang von den traditionellen Logikern eher abwertend „Logistik“ genannt). Den Gedanken, daß man Logik mit formalen mathematik-ähnlichen Mitteln beschreiben sollte, hatte als erster Leibniz (1646⫺1716). Die eigentliche Entwicklung einer formalen Logik setzte aber erst gegen Ende des vergangenen Jh.s mit G. Frege (1848⫺1925), G. Pe-

ano (1858⫺1932) und E. Schröder (1841⫺ 1902) ein. Die Begriffsschrift Freges (1879) gestattet es, einen Beweisgang vollkommen transparent und eindeutig darzustellen. Als erster Höhepunkt dieser Entwicklung kann das Werk „Principia mathematica“ (Russell/ Whitehead 1910/12) von A. N. Whitehead (1861⫺1947) und B. Russell (1872⫺1970) angesehen werden: der Versuch der Rekonstruktion der Mathematik mit logischen Mitteln (Scholz 1931, 1 ff; Bochenski 1956, 1 ff; Kneale/Kneale 1962, 1 ff). Die weitere sprachorientierte Entwicklung läßt sich durch die folgenden Arbeiten markieren: Russell (1905, 479 f), Wittgenstein (1921, 185 ff), Tarski (1936, 261 ff), Carnap (1934,1 ff; 1942, 1 ff; 1947, 1 ff; 1954, 1 ff), Quine (1960, 1 ff). Am konsequentesten hat sich R. Montague in seinen Spätschriften um die präzise Übersetzung von Ausschnitten des Englischen in die Sprache der intensionalen Logik bemüht (vgl. 3.2.).

2.

Formale Logiksprachen: Aufgabenstellung und Darstellung

2.1. Aufgabenstellung Für die hier zu behandelnde Frage soll eine Unterscheidung vorgeschlagen werden, die die weitere Darstellung erleichtern wird: mit den Begriffen „Logik im weiteren Sinne“ (Logik i. w. S.) und „Logik im engeren Sinn“ (Logik i. e. S.) sollen zwei Aspekte unterschieden werden, die im üblichen Logikbegriff nicht unterschieden werden und dort Anlaß zu Mißverständnissen bieten. Die Logik i. w. S. fragt nach der Folgerichtigkeit in den oben schon genannten Bereichen Denken, Handeln, Sprechen und im Aufbau der Welt. Sie ist insofern als empirische Wissenschaft zu verstehen, als sie Daten zu dem Phänomen des Folgerichtigen be-

94. Der Gebrauch und die Leistung von logischen Sprachen in den Geisteswissenschaften

trachtet und dazu eine logische Modellierung (in einer bestimmten dafür geeigneten Beschreibungssprache) anstrebt (cf. Gutzmann 1980, 1 ff). Logik i. e. S. knüpft an der Semantik einer vorgegebenen (n