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German Pages [428] Year 2013
Wiener Forum für Theologie und Religion
Band 1
Herausgegeben im Auftrag der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien von Karl Baier und Christian Danz
Die Bände des Wiener Forums für Theologie und Religion sind peer-reviewed.
Hubert Philipp Weber / Rudolf Langthaler (Hg.)
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube Neue Perspektiven der Debatte
Mit 4 Abbildungen
V& R unipress Vienna University Press
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0140-6 ISBN 978-3-8470-0140-9 (E-Book) Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Rektorats der Universität Wien. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Rudolf Langthaler & Hubert Philipp Weber Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grundlagen der modernen Evolutionstheorie Gerd Müller Evolutionary Theory Today : Three Myths Rejected
. . . . . . . . . . . .
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Christian Kummer SJ Was meint der Biologe, wenn er von Evolution spricht? . . . . . . . . . .
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Hans-Dieter Klein Species, Deszendenz, Evolution
51
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hans Poser Evolution – ein geschichtsmetaphysisches Deutungsschema
. . . . . . .
61
Erhard Oeser Evolution als universales Paradigma der Wissenschaft . . . . . . . . . . .
81
Evolutionstheorie im Dialog Philip Clayton Why the New Atheism is Bad Science: Culture and the Philosophy of Nature after Systems Biology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Ulrich Körtner „Schöpfung“ und „Evolution“: quasi dasselbe mit anderen Worten? Zur Hermeneutik des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften . 119
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Inhalt
Horst Seidl Evolution und Schöpfung aus naturphilosophischer und metaphysischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Hans-Dieter Mutschler Minimalbedingung für einen Dialog Naturwissenschaft – Theologie . . . 165 Celia Deane-Drummond Believing Deeply in Creation: Christ and Evolution as Theodrama . . . . 187 Ulrich Kattmann Glaube an die Evolution? Darwins Theorie im Spiegel der Alltagsvorstellungen von Schülern, Lehrern und Wissenschaftlern . . . . 201
„Evolution“ weiterdenken William Carroll Creation and a Self-Sufficient Universe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Vittorio Hösle Über die Unumgänglichkeit teleologischer Prinzipien. Natürliche Theologie nach Darwin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Ronald Cole-Turner Religion, Technology, and the “Future” of Evolution . . . . . . . . . . . . 281
Evolutionstheorie und Anthropologie Ludwig Huber Zur Evolution von Erkenntnis und Moral aus der Sicht der Kognitionsbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Ulrich Barth Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde. Überlegungen zu einem kulturellen Transformationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Christian Illies Evolutionär erweiterte Ethik. Fünf Thesen zur Bedeutung der Evolutionswissenschaften für die Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
Inhalt
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Erwin Dirscherl Zwischen Anfang und Ende, Sprache und Zeit. Die Frage nach der Geschöpflichkeit des Menschen angesichts des Anderen . . . . . . . . . . 383 Kurt Appel Theologische Erwägungen zum Thema „Zeit“ im Spannungsverhältnis von biblischer Schöpfungserzählung und evolutionärer Weltsicht . . . . 407 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
Rudolf Langthaler & Hubert Philipp Weber
Einleitung
Das Darwin-Jubiläumsjahr bot eine willkommene Gelegenheit, um mit Darwins Theorie und ihren Weiterbildungen in der modernen Evolutionsbiologie erneut in ein produktives Gespräch einzutreten, das dabei vorrangig das Ziel verfolgt, im interdisziplinären Austausch die wirklich klärungsbedürftigen bzw. strittigen Sachfragen zu sondieren und die damit verbundenen besonderen Herausforderungen anzunehmen. Für eine diesbezügliche Bestandsaufnahme schien es – nicht zuletzt im Blick auf künftige gemeinsame Bemühungen – ratsam, eine interdisziplinäre Tagung an das Ende einer ganzen Reihe von wissenschaftlichen Veranstaltungen zu setzen, die zum Darwin-Jubiläums-Jahr auch in Wien stattgefunden haben. Dies sollte es auch erlauben, besondere interdisziplinäre Themenfelder und Akzente in den Vordergrund zu rücken, die bislang vergleichsweise vernachlässigt wurden bzw. diejenigen Probleme betreffen, die vor allem für ein produktives Gespräch zwischen Evolutionsbiologie, Philosophie (somit auch der Naturphilosophie und der Wissenschaftstheorie) und auch der Theologie – und zwar jenseits weltanschaulichen Gezänks – von vorrangigem Interesse sein müssen. Interdisziplinäre Veranstaltungen, die mehr sein wollen als lediglich der Routine folgende Pflichtübungen, setzen bei den Teilnehmern die Einstellung voraus, dass man sich in der Sache auch wirklich etwas zu sagen hat, d. h. sie verlangen somit auch auf die Bereitschaft der Gesprächspartner, voneinander zu lernen. Gerade die sehr kontroversiell und weltanschaulich besetzten und mit erhöhter Öffentlichkeitswirksamkeit ausgetragenen Debatten in den letzten Jahren haben freilich die unverminderte Aktualität und die Notwendigkeit einer interdisziplinären wissenschaftlichen Verständigung eindringlich vor Augen geführt, ebenso die offensichtlichen und hartnäckigen (und teilweise auch gezielt geförderten) Missverständnisse und Hindernisse. In solcher Hinsicht spricht einiges dafür, dass sich in den vor einigen Jahren neu aufgeflammten Debatten rund um das Thema „Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube“ auch ein diesbezügliches Versäumnis der letzten Jahrzehnte widerspiegelt: Hat man sich da möglicherweise allzu unbedacht mit einem bloß ko-existierenden,
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Rudolf Langthaler & Hubert Philipp Weber
buchstäblich „nichts-sagenden“ und teilnahmslosen – sei es auch von wechselseitigen freundlichen Gesten und Versicherungen begleiteten – „Nebeneinander” bzw. mit einer eingespielten kulturellen und akademischen Arbeitsteilung begnügt – mit einem (von faulen Kompromissen nicht immer unterscheidbaren) Harmonie-Bedürfnis, das allerdings, ein wenig näher besehen, dort und da doch auf das stillschweigende Eingeständnis hinauszulaufen schien, dass – gleichsam im Sinne einer doppelten Buchführung – eine Auseinandersetzung in den substanziellen Sachfragen selbst in Wahrheit jedoch als wenig aussichtsreich erscheinen müsse? Hat also ein vermeintlich schiedlich-friedliches Nebeneinander dabei möglicherweise auch über eine gewissermaßen von freundlicher Teilnahmslosigkeit überdeckte Sprachlosigkeit hinweggetäuscht und interdisziplinären Klärungsbedarf derart womöglich eher verdeckt? Oder hat man sich mitunter vielleicht allzu hastig mit der zwar nicht falschen, aber doch ein wenig zu einfachen und bequemen wechselseitigen Versicherung begnügt, dass schöpfungstheologische Aussagen nicht als naturwissenschaftliche Thesen misszuverstehen sind und naturwissenschaftliche Theorien wiederum nicht als Antworten auf bzw. als Ersatz für die mit der menschlichen Existenz verbundenen Sinnfragen gelten können? So richtig dies auch sein mag, so erübrigt dies doch keineswegs die notwendige Verständigung über die klärungsbedürftigen bzw. über vielleicht wirklich strittigen Sachfragen. Jedenfalls muss die kurzsichtige Strategie, sachorientierte Kontroversen im „Streit der Fakultäten“ dem Bestreben nach faktischer Koexistenz zu opfern, erst recht stets darauf gefasst sein, dass durch besondere Umstände erneut tiefe Gräben aufbrechen und sich die thematisch einschlägigen Auseinandersetzungen unversehens auf ein pseudowissenschaftliches Terrain verlagern, hier rasche (auch mediale) Verbreitung finden und somit wissenschaftlich seriöse Argumentation durch das Wechseln von „weltanschaulichem Kleingeld“ ersetzt bzw. verdrängt wird. Demgegenüber wollte die anlass-bezogene interdisziplinäre Tagung, die im Februar 2010 an der Universität Wien stattgefunden hat, auch eine Art „Bestandsaufnahme“ sowie eine unumgängliche interdisziplinäre Verständigung darüber leisten, wo ein konstruktives diesbezügliches Gespräch zwischen den Disziplinen gegenwärtig einsetzen muss, das sowohl dem evolutionstheoretischen Forschungsstand bzw. dem Erklärungspotential entspricht, gleichermaßen dem theologischen Selbstverständnis und nicht zuletzt auch den unumgänglichen Perspektiven einer theologischen Hermeneutik genügt. Der vorliegende Band dokumentiert die für die Publikation überarbeiteten Beiträge zu der genannten Wiener Tagung. Interdisziplinäre Veröffentlichungen stellen für Autoren und Leser immer auch besondere Herausforderungen dar : Es gilt, den Gesprächspartnern bzw. Lesern auf verständliche Weise Einblick in die Grundlagen der eigenen Disziplin zu geben und die spezifischen Zugangsweisen
Einleitung
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gemäß dem jeweiligen Forschungsstand zu erörtern. Die Reihenfolge der Beiträge wurde so geordnet, dass sie zu vier Themenbereichen jeweils einen Dialog verschiedener Disziplinen darstellen. Die erste Gruppe der Beiträge ist den Grundlagen und Methoden der Evolutionstheorie gewidmet. Mit Rücksicht auf die genannten Problemlagen war es naheliegend, zunächst die neueren Entwicklungen und Wandlungen der Struktur der Evolutionstheorie und den derzeit erreichten evolutionsbiologischen Forschungsstand zu sondieren. Mit dem beanspruchten Erklärungspotential der zeitgenössischen biologischen Evolutionstheorie ist auch ein neues Selbstverständnis verbunden. Gerd Müller zeichnet in seinem Beitrag die wichtigsten Paradigmen biologischer Evolutionstheorien von Darwin über die „neodarwinistischen“ Ansätze bis zur Synthetischen Theorie nach und deckt dabei eine Reihe von Missverständnissen auf, die aus einer jeweils verkürzten Sichtweise von Anliegen und Methode dieser Ansätze resultieren. Anhand neuer Strömungen und Erkenntnisse der modernen Evolutionsbiologie werden anschließend weitere maßgebliche zukünftige Forschungsaspekte skizziert. Christian Kummer SJ unterscheidet in seinem Beitrag drei verschiedene Aspekte des Begriffs „Evolution“: „Evolution“ als reales „Phänomen“, als „Theorie“ bzw. als „Paradigma“. Damit möchte er auch unverzichtbare epistemologische Grundlagen bereitstellen, die in den einschlägigen Debatten nach wie vor oftmals ignoriert werden. Eine solche Erkundung sieht Kummer nicht zuletzt für die angemessene Beurteilung der Möglichkeiten und Grenzen evolutiver Ansätze als unverzichtbar an. Hans-Dieter Klein wendet in seinem naturphilosophischen Beitrag das Hauptaugenmerk auf die Klärung der Begriffe „Species“ und „Deszendenz“, die für evolutionstheorische Konzeptionen natürlich von grundlegender Bedeutung sind. Ein naturphilosophischer Beitrag muss sich diesbezüglich insbesonders an der Klärung der damit verbundenen philosophischen Voraussetzungen orientieren, wobei sich die damit verknüpfte naturphilosophische Unterscheidung zwischen „Deszendenz“ und „Evolution“ als besonders bedeutsam erweist. Hans Poser zeigt in seinem Beitrag, weshalb und in welchem Ausmaß evolutionäre Denkmodelle nicht nur die Biologie, sondern die moderne Weltsicht insgesamt bestimmen. Dabei erweist sich, dass das „evolutionäre“ Deutungsschema freilich eine Reihe philosophischer Voraussetzungen in sich birgt, deren Freilegung und Analyse eine unverzichtbare Aufgabe für die „Wissenschaftstheorie“ darstellt und auch nur so Problemnivellierungen und mangelnder Differenzierung entgegen zu wirken vermag. Erhard Oeser erörtert sodann in einer ebenfalls wissenschaftstheoretischen Perspektive „Evolution“ als „universales Paradigma der Wissenschaft“. Von T. Dobzhansky stammt der bekannte Satz: „Nothing in biology makes sense except
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Rudolf Langthaler & Hubert Philipp Weber
in the light of evolution“. In seiner universalen Anwendung hat dieser Satz zweifellos Konsequenzen für viele Problemstellungen, nicht zuletzt bezüglich der Weltstellung des Menschen, der Kultur und Gesellschaft und natürlich auch hinsichtlich der engeren Thematik des „Schöpfungsglaubens“. Ein zweites Themenfeld ist sodann der „Evolutionstheorie im Dialog“ der verschiedenen Disziplinen gewidmet. Philip Clayton will in seinem Beitrag vornehmlich aufweisen, wie sich die Paradigmen der Biologie selbst gewandelt haben. Der Ansatz der modernen Systembiologie (system biology) betrachtet demgemäß nicht alles auschließlich von der „Genetik“ aus, sondern nimmt durchaus größere „Systeme“ in den Blick. Damit verbundene Konsequenzen für das Verständnis von „Leben“ und „Kultur“ werden in diesem Beitrag ebenfalls benannt. Ulrich Körtner untersucht sodann das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie nicht über den Weg der Naturphilosophie, sondern orientiert an einer hermeneutischen Zugangswiese. Einen Schwerpunkt bildet dabei auch die Auseinandersetzung mit Konzepten von „Teleologie“ und „Teleonomie“, deren kritische Unterscheidung freilich auch in zeitgenössischen naturphilosophischen und wissenschaftstheoretischen eine wichtige Rolle spielt. Horst Seidl erkundet im Ausgang von der klassischen Metaphysik aristotelisch-„scholastischer“ Prägung die Möglichkeiten und Grenzen einer Naturphilosophie und versucht dabei näherhin den Nachweis dafür zu erbringen, dass und inwiefern diese traditionellen philosophischen Konzeptionen noch immer als ein bleibender Beitrag für das gegenwärtige Gespräch mit den Naturwissenschaften angesehen werden dürfen. Hans-Dieter Mutschler fragt in einer wiederum ganz anders orientierten Zugangsweise bzw. Zielsetzung nach den Möglichkeiten eines fruchtbaren Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaft und ist dabei vorrangig darum bemüht, in Auseinandersetzung mit verschiedenen Denkmodellen, die diesbezüglich heute verwendet werden, Minimalbedingungen für das Gelingen dieses Diskurses zu benennen. Celia Deane-Drummond findet in ihrem Beitrag einen bisher kaum bedachten theologischen Zugang, indem sie „Evolution“ radikal mit „christologischen“ Themen ins Gespräch bringt und sich dabei näherhin an der Konzeption des „Theodramas“ orientiert, das mit dem Namen des katholischen Theologen Hans Urs von Balthasar verknüpft ist: Diese theologische Anknüpfung soll es ermöglichen, das Wirken Gottes in der Welt verstehbar und in der Folge auch das christliche Glaubensbekenntnis „buchstabierbar“ zu machen. Ulrich Kattmann beleuchtet eine meistens zu wenig bedachte Perspektive des Gesamtthemas: Als „Fachdidaktiker“ der Biologie sondiert er Möglichkeiten, Schülern das Thema „Evolution“ im Unterricht in verständlicher und in auch für andere Fächer „anschluss-fähiger“ Weise näher zu bringen. Damit verbindet er
Einleitung
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den Hinweis darauf, dass bzw. weshalb auch im säkularen Umfeld der Begriff „Evolution“ häufig auf verschiedenste Weise sehr rasch zum Thema „Schöpfung“ in Beziehung gesetzt wird. Eine dritte Gruppe von Beiträgen blickt in die Zukunft mit dem Versuch, „Evolution“ weiterzudenken. William Carroll entwickelt ausgehend von Thomas von Aquin einen starken Begriff von „Schöpfung“, der eine solche Autonomie „natürlicher Prozesse“ aufweisen soll, dass derart schon bei ihm ein theologisch-philosophischer und ein naturwissenschaftlicher Zugang nicht als schiefes Konkurrenzverhältnis gedacht werden muss. Vittorio Hösle versucht mit einer Besinnung auf die philosophische Bedeutung teleologischer Prinzipien in vielen Verweisen auf die philosophische Tradtion Wege für eine natürliche Theologie nach Charles Darwin aufzuzeigen. Besonders aufschlussreich ist dabei Hösles Bezugnahme auf die damaligen einschlägigen Kontroversen zwischen Darwin und dem Botaniker Asa Gray, die in vielerlei Hinsicht offensichtlich keinesfalls bloß von wissenschaftshistorischem Interesse ist. Ronald Cole-Turner geht innerhalb des Themenfeldes „Evolution weiterdenken“ in einer zukunftsorientierten theologischen Perspektive der Frage nach, was das „Deutungsschema Evolution“ insbesonders im Blick auf die wissenschaftlich-technologische Evolution der Menschheit bedeutet und welche Chancen und Risiken hier zu bedenken sind. Der letzte Teil ist dem Thema „Evolutionstheorie und Anthropologie“ gewidmet. Ludwig Huber verweist in seinem kognitionsbiologischen Beitrag auf „Intelligenz“-Leistungen von höherentwickelten Tieren, die oftmals wesentlich größer und umfangreicher sind als allgemein angenommen wird. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der evolutionären Entwicklung von Verhaltensweisen gewidmet, die nach Hubers Urteil durchaus auch „moralisch“ genannt werden dürfen. Ulrich Barth skizziert in seinem anthropologischen Beitrag zunächst die christliche Schöpfungstheologie aus ihren Quellen und entwickelt anschließend – unter dem Leitbegriff „Gottebenbildlichkeit“ – ein christliches Menschenbild und dessen Bedeutung für die Ausbildung der philosophischen Konzeption der „Menschenwürde“. Christian Illies stellt sodann in fünf anthropologisch begründeten Thesen die unverzichtbare Bedeutung der Evolutionswissenschaften für eine philosophisch fundierte Ethik dar ; gleichwohl verlangt dies auch eine kritische Besinnung auf die Grenzen einschlägiger Ansprüche seitens der Evolutionswissenschaften, zumal nur dadurch auch naturalistische bzw. „biologistische“ Reduktionismen zu vermeiden sind.
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Rudolf Langthaler & Hubert Philipp Weber
Erwin Dirscherl fragt im Ausgang von den biblischen Schöpfungserzählungen nach dem Zusammenhang zwischen Sprache und Zeit; vor diesem Hintergrund rückt sodann die konstitutive „Dialogizität“ ins Blickfeld, ohne deren vorrangige Berücksichtigung auch eine philosophische und theologische Thematisierung der Weltstellung des Menschen unzulänglich bliebe. Kurt Appel macht schließlich ebenfalls „Zeit“ zum besonderen Thema seines Beitrages. Ein vertieftes Zeit-Verständnis wird darin als die Bedingung dafür geltend gemacht, um sowohl Aporien kreationistischer Ansätze als auch hartnäckige Schwierigkeiten im Dialog von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften überwinden zu können. Die Herausgeber dieses Bandes danken den Herausgebern der Reihe „Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft“ für die Aufnahme in diese Reihe der „Vienna University Press“. Für die redaktionelle Bearbeitung des Bandes sei Frau Mag. Agnes Leyrer herzlich gedankt. Die Herausgeber
Wien, im Frühjahr 2013
Grundlagen der modernen Evolutionstheorie
Gerd Müller
Evolutionary Theory Today: Three Myths Rejected
Die theistische Kritik an der wissenschaftlichen Evolutionstheorie richtet sich häufig gegen den so genannten Neo-Darwinismus, sowie gegen die angeblich grundlegende Rolle des Zufalls in der biologischen Erklärung und die vermeintliche Unmöglichkeit des natürlichen Entstehens komplexer biologischer Strukturen. Im vorliegenden Kapitel werden diese Darstellungen berichtigt. Ausgehend von einem Überblick über die aktuellen Komponenten der Evolutionstheorie wird gezeigt, dass der Neo-Darwinismus nicht das heutige Evolutionsparadigma repräsentiert, dass Zufall kein konstitutives Element der evolutionären Theorie darstellt und dass organismische Komplexität in der modernen Evolutionstheorie eine hinreichende Erklärung findet. Die gegenwärtigen Formen einer “Erweiterte Synthese” erhöhen nicht nur den Erklärungsgehalt der Theorie sondern beinhalten auch ein verbessertes Verständnis von den kausalen Mechanismen der biologischen Evolution. Abschließend wird gezeigt, dass bestimmte Formen theistischer Argumentation sich Fehldarstellungen der wissenschaftlichen Evolutionstheorie zu Nutze machen, um einen Rückgriff auf teleologische Prinzipien in der Erklärung der belebten Natur zu argumentieren. Es wird gefordert, dass sich teleologische Erklärungsmodelle dem Kriterium der empirischen Überprüfbarkeit stellen. The depiction of animal diversity as emerging from an egg, shown on the frontispiece of William Harvey’s mid-17th century “Exercitationes”, was a revolutionary statement. It argued against both preformationism and spontaneous creation: Ex ovo omnia – but, through Zeus’s opening of the egg, by divine guidance. Today, many of my colleagues in the biosciences would claim that in the light of evolutionary theory and our knowledge of genetics this picture simply needs to be replaced by one in which all life forms spring from DNA variation – without supernatural guidance, of course. The internet provides ample evidence of this widespread notion, with a sheer avalanche of images showing human and animal shapes in combination with ingeniously coiled double strands. It is understandable that such simplistic caricatures of evolution
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Gerd Müller
generate widespread opposition. I am going to argue that Harvey’s notion of relating epigenetic development to organismal diversity was in fact the more correct: The contemporary theory of evolution is significantly characterized, among other modifications since the so-called Modern Synthesis of the 1930s and 40s, by the inclusion of development. I will discuss evolutionary theory, not evolution. This is a crucial distinction, often forgotten in discussions like ours. Evolution is the phenomenon we observe, the continued generation, variation, diversification, and extinction of organismal forms on earth over geological time. It is what scientists describe, measure, and analyze with an arsenal of advanced methodology : We calculate the rates of change, the dynamics of populational variation, the time periods of speciation, the distance of genetic variants, the frequencies of mutations, the geometries of morphological modification, and so forth. This kind of data represents the factual evidence of organismal change over time that we term evolution. It is scientifically established beyond doubt. Several hundred biomedical papers appear every day, and no scientific study has ever produced any kind of evidence that contradicted the occurrence of organismal evolution on this planet. Hence we can regard biological evolution as a scientific fact. The theory of evolution is the conceptual framework that aspires to explain the facts of evolution in a scientific way. This is a different matter. A theory is prone to modification and growth. New results of research appear, and the new data need to be theoretically accommodated. This might require an alteration or expansion of the theoretical framework, and sometimes even its radical innovation or rejection. Critical debate and even harsh academic dispute may arise among scientists over certain components of a theory. Thus a theory is never complete and will itself evolve, as is the case with evolutionary theory. However, it cannot be repeated often enough, the theory of evolution is not a statement about whether evolution has taken place but about how it took place. All scientific controversies concern this latter aspect, not the prior. My task will be to introduce the current status of that theory. I will approach this issue via three “myths” about evolutionary theory that are commonly raised in controversial debates like the one that prompted the present volume. One is the label “neo-Darwinism” frequently attached to the current theory. The second is the characterization of the scientific position as a “mere chance” argument, in particular with regard to human evolution. The third is the proposal that evolutionary theory cannot explain organismal complexity. I will show that “neo-Darwinism” does not represent the current status of the theory (and, hence, its criticism is misguided), that chance is not its central explanatory element (and, hence, is not the devilish factor that biologists are accused of introducing into the explanation of life), and that the occurrence of complex structures of life finds sufficient explanation within the current theory (and,
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hence, does not require the postulate of supernatural intervention). I will address these three themes in sequence and conclude that renewed calls for a teleological narrative of biological evolution depend on false representations of the scientific explanation.
The evolution of evolutionary theory Let us begin with the current status of evolutionary theory and so-called “neoDarwinism”. Public attacks of proponents of Catholicism on science in general, and on evolutionary theory in particular, are full of criticism of “neo-Darwinism”1. But besides such attacks being unfounded in principle, due to the absence of evidence, neo-Darwinism is not where the theory stands today. Of course, there is a historical core. Darwin (1859) coined an amazingly simple principle. He related three variables to each other, namely the variation, heredity, and multiplication of the individuals of a species. He argued that favorable variations result in a larger number of offspring bearing the variant, and via inheritance this successful variant will be distributed in the population. Since the numbers of offspring always exceed the numbers of survivors that can propagate the hereditary determinants of different variants, an assortment process implicitly occurs, a principle he termed “natural selection”. Its result is an increased capacity of the members of a species to cope with given environmental conditions through continued optimizations of organismal form and function, i. e. adaptation. This is only one aspect of Darwin’s theory, but it is sufficient for the present purpose. Darwin did not know about the causal origins of variation, neither did he know about the material basis of heredity. For this he had to make certain assumptions, and he took into account the possibility of the propagation of experiences made by the individual to subsequent generations. These “Lamarckian” components were later removed by Weismann and others, Mendelian genetics was introduced, and this “cleansed” kind of Darwinism became known as “neo-Darwinism”. Neo-Darwinism was the theoretical nucleus around which more concepts from other research domains subsequently became integrated into what has been called the Modern Synthesis. This conceptual fusion happened in the 1930s and 1940s and included primarily mathematical population genetics and experimental genetics, but also systematics, a better understanding of speciation, and more2. The Modern Synthesis is a theoretical framework focused on variation. Its key 1 e.g., Schönborn 2005. 2 Huxley 2010.
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symbol is the Gaussian curve representing the distribution of character variation in a population, whether they are molecular, morphological, physiological, or behavioral characters. Variation is arranged around the populational mean, and any factor that is able to shift that mean in one direction, or affects the width of the distribution, is regarded as an evolutionary factor. Natural selection can be responsible for such shifts, but so can be drift or accidental effects, such as a meteor impact that cuts off a part of the population. In essence, this was how the Modern Synthesis viewed evolution, from the perspective of statistical correlations of phenotypic variation with supposed or abstract genetic variation. At the time when the Synthesis was established, genes were conceived units of inheritance, their material composition was not known. There existed no molecular genes, let alone the methods to analyze their sequences or visualize their activity. Thus, although highly successful in explaining a fundamental evolutionary mechanism and its general effects on variation in populations, the classical theory neglected certain features of organismal evolution and invited criticism, both scientific and unscientific. But the Modern Synthesis theory is roughly 70 years old, much has happened since. Most notably, the 1950s witnessed the discovery of the DNA, followed in subsequent decades by the establishment of methods to extract molecular genes – now we speak of physical genes. Methods that visualize gene activity in cells and embryos were developed from 1984 onwards, followed by a proliferation of quantitative methodologies and the analysis of whole genomes, culminating in the human genome project. In the wake of genomics, we are now in a flurry of “omics”-approaches, generating massive amounts of molecular data that require advanced bioinformatic tools for their organization and analysis. This represents a significant shift in the empirical basis of evolutionary biology. In the face of these and further developments in other areas of biology, it would be very surprising, indeed, if the theory of evolution had remained unaffected and static. Actually it remained not unaffected, and I will briefly survey some of the conceptual consequences these modern approaches had for evolutionary theory. Let’s start out with Genome Evolution. Today it is possible to obtain full genetic sequences from representatives of all major clades, and sometimes even from extinct organisms, in reasonably short amounts of time. Genomic technologies made clear that it is not just single genes that mutate or evolve, but there exist a number of mechanisms by which significant portions of the genome can be changed at once, for instance through duplications, lateral transfer, mobile elements, etc., and can subsequently become coopted into entirely new function, i. e., existing genes can serve different roles in new generative contexts. This represents a quite different picture from the one that required independent mutations of single genes that needed to fit together – a major issue in traditional accounts, which were faced with the problem of how to obtain all these fitting
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variations for a complex structure to arise. We now see that no such requirement is necessary, batteries of the same ancient genes operate in different settings in different organisms, permitting much more rapid instances of evolution than previously assumed by the Modern Synthesis. Genomic change introduces a new dynamics to evolution3. Besides genomics several other theoretical advances became decisive. One important aspect is the level-of-selection or unit-of-selection problem in the classical theory. At the time of the Synthesis, the sole accepted unit of natural selection was the individual, even though hints existed already then of supraindividual forms of selection. But these were not recognized by the canonical theory. Today it has become commonplace to assume a number of supra-individual and also infra-individual levels of selection, most of which have been well demonstrated and are combined under the heading of Multilevel Selection4. The question remains how important some forms of selection really are in actual cases of organismal evolution. Species selection, for example, is still much under debate. But it is clear that natural selection is effective beyond the level of the individual and, hence, also allows for different scenarios of evolutionary change. Furthermore, under the assumption of the Modern Synthesis there was only one form of inheritance – genetic inheritance – that had been accepted as the vehicle for transmitting information from one generation to the next. Today we know in addition about Epigenetic Inheritance, Behavioral Inheritance, and Cultural Inheritance. Again a more pluralistic array of concepts is taken into account, and these are not merely abstract notions. Scientists operate with these concepts. They analyze, for instance, behavioral inheritance and transgenerational epigenetic inheritance. The latter has recently gained widespread attention through the works of Eva Jablonka and Marion Lamb (2005). These authors demonstrate multiple cases in which non-DNA-based modulations of gene activation are transmitted not only from one cell to the next, but apparently also from generation to generation. At least there are well documented instances of that behavior, which differs substantially from the assumptions of the Modern Synthesis. Again the question remains: How important are such phenomena in the big picture of evolutionary change? But it is established beyond doubt that these phenomena exist5 and must be taken into account. One of the most influential innovations in evolutionary theory comes from a relatively young field of research that relates evolutionary change to embryonic development. Although it had been clear for a long time that the forms of organisms can only change if their development is altered, there were no 3 Bernardi 2005. 4 Wilson 2010. 5 Jablonka / Raz 2009.
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methods available to address this issue. New tools in experimental and molecular biology changed that situation in the early 1980s. By now the field has become known through the shorthand of EvoDevo, standing for Evolutionary Developmental Biology. Besides a host of empirical results this new research program has afforded a number of concepts that take evolutionary theory beyond the Synthesis paradigm. One example is Facilitated Variation, proposed by Marc Kirschner and John Gerhart (2005). It argues that because of the extensive interconnectedness of all developmental processes, the change in one component is easily integrated by all other components of the developing embryo. Hence evolution does not need to “wait around” until there is fitting genetic variation available in the participating components of the embryo. Instead there is immediate accommodation at the epigenetic level and therefore ontogenetic development greatly facilitates the origin and integration of new phenotypic variation. According to this concept, new variation is not merely a consequence of genetic change but also of the rules operating at the developmental level. Importantly, the kind of variation that can be generated in evolution will be both constrained and facilitated by the historically acquired and entrenched processes of ontogeny in each organismal lineage. Not every change to a developmental system is possible with the same kind of likelihood. Thus, developmental systems pose constraints on what kind of variation becomes available in a given lineage, providing limitations and opportunities on where selection can be effective and where it cannot. Another theoretical advancement resulting from EvoDevo research relates to the origin of multicellularity and the first organization of body architectures. “Single cell” organisms had more than a billion years to develop their genetic repertoire. When multicellularity arose, these organisms had a gamut of molecular properties already in place, such as those defining the adhesivity of cell surfaces. But in the new multicellular context the same molecular properties of single cells became the mediators of physical behaviors of cell masses, and the resulting configurations must have provided the earliest forms of multicellular bodies that would become exposed to natural selection once they became heritable as a joint unit. These emergent behaviors, which are characteristic of multiscale systems such as biological organisms, are fundamental to causal accounts of organismal evolution. Stuart Newman’s Generic Form concept explains how a limited number of primordial multicellular assemblies will arise automatically from a basic repertoire of molecular patterning modules6. This demonstrates that evolution does not generate “endless forms”, as suggested by a well known book title7. Rather, only a limited array of macroscopic shapes and 6 Newman 1994; Newman / Bhat 2009. 7 Carroll 2005.
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structures can have resulted from early multicellular interactions, such as cell sorting and clustering. Natural selection would have acted to stabilize such generic forms against external perturbations and would have generated further variations of the basic themes that resulted from early self-organized cell patterning. EvoDevo also introduces an important distinction that was not present in the Modern Synthesis, namely a distinction between the processes of variation and those of innovation, as well as between their respective outcomes, adaptation and novelty8. Innovation did not occur in the Synthesis theory, because, as pointed out above, it was predominantly a variational theory in which only continuous and incremental forms of change were addressed. It concentrated on the mechanisms of population change and on the adaptative variation resulting from natural selection. But how those characters that are subject to variation arose in the first place was not part of the Synthesis. The fossil record hints that origination rates of new orders and new species are not uniform and not equally distributed across the biosphere9. In our own work on Epigenetic Innovation10 we have shown that new characters in organismal bodyplans can arise as by-products of developmental systems that are exposed to perturbation, whether experimentally or environmentally induced. These novel elements result from the emergent properties of cellular organization, such as in the skeletogenic system that produces cartilages and bones. The continued addition, for instance, of new skeletal elements is well documented in vertebrate evolution. There is no possibility for natural selection being directly responsible for the appearance of such novel characters, simply because selection can only act on features that exist already. But the gradual selectional modification of developmental parameters, such as the relative proportions of body parts or of other quantitative cell and tissue properties, can take a system to developmental threshold points at which it will react according to its own propensities and generate incipient structures as a side effect. Subsequent evolution and natural selection may genetically stabilize such rudiments, but, in stark contrast with the received theory, the mode of their origination is explained by innovation events, in which byproducts of developmental change generate the kernels of novelty. Finally, to mention a last field of advancement in contemporary evolutionary theory, the modern behavioral and ecological sciences also provide new conceptual contributions. An example is the concept of Niche Construction11. In 8 9 10 11
Müller / Newman 2003, 2005. Jablonski 2005. Newman / Müller 2000; Müller 2010. Odling-Smee et al. 2003.
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departure from the Synthesis theory, in which natural selection is seen as a unidirectional factor affecting variation in organismal populations through exterior environmental conditions, niche construction theory argues that organisms, in turn, actively modify their environment – think of termite mounds, ant hills, beaver dams, or human ecological influences. This kind of altered environment, however, becomes the selective environment for subsequent generations of that same species, which continues to modify the environment, and thus, to some extent, its own selectional conditions. Niche construction theory introduces a feedback dynamic between evolving populations and evolving environments. In addition, the environmental features generated by organismal activity represent an extra-corporal inheritance mechanism, which can become even more effective in advanced kinds of cultural systems, such as with humans. The present structure of evolutionary theory that arises from the inclusion of the factors and concepts mentioned above, and of others not here addressed, has been labeled “Postmodern Synthesis” or “Extended Synthesis”12. Compared with the classical model, these modern versions represent a more complex and pluralistic picture, in which several kinds of feedback relations occur in evolving populations, in which the statistical notion of gene pools is replaced by pools of developmental systems, in which several forms of inheritance and of selection may operate, and in which the evolution of organismal forms is not explained merely by external factors of natural selection but also by the internal and inherent propensities of the generative processes that build these forms. The current expanded theory framework has a number of consequences regarding the relative importance of the factors that made up the traditional account. Maybe the most significant difference is the changed role of natural selection. Under the Modern Synthesis assumption natural selection was the predominant directional agent in evolution. In the extended theory natural selection becomes a boundary condition, permanently operating hand-in-hand with genetic variation at the population level, but the specificity of the phenotypic outcome is taken to be determined by what has been called “developmental dynamics.” At the same time the extended version of evolutionary theory has become less gene centric and overcomes the restriction to incremental forms of change. In conclusion of this section I reemphasize that “neo-Darwinism” is not the prevailing evolutionary paradigm. Nearly a century has passed since the period of neo-Darwinism, and the current version of evolutionary theory, whether depicted in the way chosen here, or from any other perspective, is very different from the versions reported in theistic and creationistic texts, of which “in12 Pigliucci / Müller 2010.
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telligent design” is but a puffed up variant. It is obvious that much of the rhetoric in such texts is directed against inadequate characterizations of evolutionary theory.
The role of chance in evolutionary explanation “Blind fate”, “pure chance”, “complete randomness”, “mere accident” are terms frequently heard in theistically motivated criticisms of the scientific theory of evolution. They are meant to expose a constitutive reliance on chance inherent to the scientific explanation of life, human evolution in particular. But is it true that biologists argue that the organismal manifestations of the evolutionary process are a product of chance? The numerous writings to the contrary, explaining the actual role of chance events in biology13, haven’t had the least effect on the tenacious perpetuation of misrepresentations of the chance element in evolution. Hence my hopes to succeed this time are not high, but I will give it another try. Much ink has been spilled over the distinction between randomness in the sense that the chain of causes leading up to an observable event is incomplete – in principle, as some would say – and, on the other hand, randomness in the sense of stochasticity, in which the causal chain is complete, but the exact timing or location of one or several of its events are unpredictable. Whereas evolutionary theory doesn’t make use of the former, it is correct that stochasticity is important in the mathematical framework of population dynamics – capturing probabilistic events, sampling error, etc. But this is not what is meant by “chance” in evolution. The evolutionary meaning of chance pertains to the relationship between variation (and innovation) and natural selection. “Evolutionary chance” denotes independence of certain kinds of genetic variation relative to the directionality imposed by natural selection. It does not mean that all mutations are equally likely or that unknown causes direct mutational change. Evolutionary chance, as defined above, is neither simply stochastic or probabilistic, nor coincidental or a-causal. Instead, it refers to the relation between variation and adaptive change. But how variation is generated, whether there is stochasticity in genetic recombination, whether mutation is randomly affected by chemical substances or by cosmic radiation, whether mutations are predictable or unpredictable, is of no importance in the explanation of the outcomes of the evolutionary process. The occurrence of chance in variation does not mean that these outcomes are accidental. Rather to the contrary : The 13 e.g., Eble 1999; Millstein 2000; Gould 2002.
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fundamental characteristic of biological evolution is the establishment of robust organizations of matter that withstand accidental perturbation. Evolution is the increasing removal of chance interference with biological organization. Take the different kinds of body architectures that evolved in animals. Once they are established and fixated, they remain constant – with variation – over hundreds of millions of years. Once an insect – always an insect! Leaving molecular evolution aside, for the sake of the present discussion, the factors that account for organismal evolution are contained in the principle of natural selection and its interplay with individual development. Whereas natural selection is a means for maintaining favorable variants in a population, primarily governed by conditions external to the individual organism, the physical properties of cell and tissue interaction in development, and their genetic regulation, constrain and facilitate variation. These factors provide the explanation for how new structures arise and become integrated with existing body architectures. Natural selection and the generative laws of developmental processes together account for the evolutionary ordering of organismal structures and complexity (see below). Chance, by contrast, is not a constituent element of explanation for why and how specific structures arise in biological evolution. Interestingly enough, the insistence on “mere chance” in the criticism of evolutionary theory seems to serve a different purpose. It is meant to designate a component in evolution that scientists recognize, but fail to explain. This would leave space for supernatural intervention, a potential inroads for divine manipulation. But, as pointed out above, the argument is fundamentally flawed, because chance in biological evolution has a very particular meaning. A similar misunderstanding is sometimes voiced from a physics perspective, when it is argued that Heisenberg’s principle introduces a fundamental causal uncertainty into biological evolution. Besides the fact that quantum mechanics is quite unlikely to have any direct effect at the scale of macromolecules and gene mutation, even if it did, this would not influence in any way the workings of natural selection or of generative tissue propensities and, hence, the evolutionary outcome. In any case, so far no quantum effects were shown to be effective in biological evolution, even though, in an unlikely alliance, renowned physists are assisted in their uncertainty argument by lay scholars who otherwise muse about the beneficiary effects of mare’s milk14. In summary, whereas different kinds of chance events may interfere with the evolutionary process and may affect the particular course of a given lineage’s phylogeny, the theory of evolution contains no claim that the generation of life’s forms is a consequence of accident or haphazard. Rather to the contrary, evolution is characterized by increasing fixation, entrenchment, and robustness 14 Huber / Thirring 2011.
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which stabilize organismal forms and, thus, buffer organized life from the effects of random variation. Biological evolution is anti-chance.
The origin of complexity “You can observe a lot just by watching”, American League idol Yogi Berra famously pronounced. In a similar vein proponents of design creationism argue that complex biological features have not originated from an unguided evolutionary process, because “the human intellect can readily and clearly discern purpose and design in the natural world, including the world of living things”15. In less arcane formulations, various examples have been proposed to demonstrate that highly complex organismal structures, such as bacterial flagellae or vertebrate eyes, have not arisen by natural evolution. On the one hand such assertions are again based on the “not possible by mere chanc” argument we have already treated above, but on the other hand, and more importantly, these arguments are directed against a form of evolutionary theory that did not seek to explain the origin of biological complexity. Here the design defenders actually would have had a point in the past: The classical theory of the Modern Synthesis explained the behaviors of genetic variation in evolving populations in a statistical-mathematical sense, but it did not aspire to explain the origin of specific complex features of the phenotype. However, as indicated in the first section, the current theory of evolution has overcome this restriction and now explicitly addresses the issue of complexity. For several decades biologists have studied the development of complex organismal systems and their evolutionary changes. The central questions of this research is how cellular structures arose and how single cells came to establish the complicated and diverse body patterns found in nature. The science that is occupied with the investigation of these topics has been introduced in the first section under the name of evolutionary developmental biology or EvoDevo. Since its inception the field has diversified into multiple strands of research, including the analysis of gene regulatory networks that underlie the development of different body architectures. The most revealing and astonishing result in this area was the discovery that organisms of very different body organization share a large number of their key regulatory genes. The evolutionary origin of new structures and organismal architectures is not based so much on the introduction of many new genes, rather it is the repeated activation and modification of the dynamical interactions among existing genes and their products that was instrumental. 15 Schönborn 2005.
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Complicated morphological structures, which have been peddled as examples of irreducible complexity, such as the human eye, in reality are well understood in both their molecular regulation and cellular interactions that generated the different anatomical versions of eyes in evolution. As indicated above, basic regulatory genes implicated in laying down the very first fields of eye formation are shared by all taxa that have evolved eyes. The differentiation pathways of many of the subsequently forming eye structures are equally well understood. Furthermore, the comprehensive comparison of different taxa shows how complex eyes, such as in vertebrates, have evolved from more simple structures in phylogenetic ancestors, tracing back the origin of eyes to single photoreceptor cells and their light sensitive capacities. No significant step in the evolution of eyes is miraculous or unexplainable, and the same holds true for other examples of so-called “irreducible complexity”. It should be noted that gene regulation is not the only and not even the primary source of complexity in organismal evolution. As with all multiscale systems, complexity arises from the interactions among many different levels organization. These include not only the molecular and structural levels, but also organismal behavior and cognition, as well as ecological and cultural feedback interactions. Hence the increase of complexity is a general feature of evolving, living systems. But order and complexity also arise autonomously in non-living systems, ranging from the micro-scale of chemical and physical organization, such as protein folding patterns or snow flakes, to the macro-scale of planetary systems and the universe. Living systems are only different in the sense that they have coopted these self-organizational properties of matter by an information processing apparatus, ensuring the reliable inheritance and repetition of organization in every new generation. Systems theory and EvoDevo respectively provide general and specific explanations for the origin of complex structures in evolution, even if not every single organismal feature has been studied in detail. The argument that certain structures of living beings are somehow irreducibly complex, i. e. too complex to have evolved from simpler structures and thus indicating preordained design, has been scientifically and legally refuted16. As with the two other topics discussed above, the continued reiteration of this view amounts to the perpetuation of an unsubstantiated myth.
16 Jones 2005.
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Teleology from a biological perspective Nearly 3000 years of teleological argument have pervaded Western thought, and it is not to be expected that a mere 150 years of evolutionary insight will easily erase these entrenched patterns of reasoning. The more so, since teleology comes in many different guises, and the masters of their trade artfully switch between them. In his systematic and comprehensive refutation, Hartman (1951) likened teleology to a mirage, a subjective sensation that nevertheless conjures a false image. He concluded that it will not be eradicated as a belief system and will likely stay with us forever. How right he was. But there is one thing that can be done, and this is to expose some of the wrong assumptions about evolutionary theory that are associated with current teleological narratives. The chance argument and the complexity argument have both been used in support of recent defenses of crude teleology. Since “a whirlwind blowing through a junk yard cannot put together a jet plane”, one notorious argument runs, evolution cannot have generated organismal diversity by chance. These kinds of far fetched analogy are then taken as the starting point for characterizing biological evolution as a planned process. Besides the fact that such stories profoundly misrepresent the biological approach, they are directed against a false understanding of the role of chance in evolutionary theory, as pointed out above. The same holds true for the complexity myth: “Because a watch must have a designer, equally complicated natural systems must also have a designer”. The fact that this argument can be traced back as far as Cicero doesn’t make it any better. To draw teleological conclusions from a simple comparison of man made objects with natural objects is not a scientifically adequate method. This is common knowledge since the period of enlightenment, whereas modern science shows through repeatable experiment how complex features arise in natural systems17. Biological systems are not without teleological components. This has been correctly argued in philosophical discourses18. There is goal directed behavior in individual organisms, there is goal directed development in individual ontogenies, there is goal directed function in physiological processes, etc. But all these goal directed processes are effective within the individual life span of an organism, and they are a consequence of evolutionary processes having established functional relationships among organismal components in previous generations. This kind of teleology has always been recognized in biology, even if it was rarely called by that term. But it is a version of teleology that does not
17 e.g., Kauffman 1993. 18 Nagel 1965; Ayala 1970.
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imply a preordained relationship of means to a given end. Hence it seems useless for the theistic argument. Beyond crude biologistic teleology there are certainly more subtle strands of teleological reasoning, some of which are represented in this volume. But, at least with regard to their biological applications, they usually harken back to chance and complexity in evolution. In this regard it is necessary to request that the propositions of evolutionary theory be represented correctly, and that the misrepresentations I have pointed out in this chapter be abandoned. Furthermore the defenders of teleological reasoning in evolution are requested to present testable proof for their arguments. Plan and purpose in nature cannot be observed “just by watching”.
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Christian Kummer SJ
Was meint der Biologe, wenn er von Evolution spricht?
Exposition and criticism of Darwin’s theory use various senses of the term ,evolution‘. This fact should be appreciated if one takes part in this discourse – either ideological or scientific. At least three different meanings of the term are used in biology : 1. Evolution as a phenomenon 2. Evolution as a theory 3. Evolution as a paradigm. Evolution as a phenomenon refers to observations, which indicate the variability of species respectively a relation to descent. Evolution as a theory is the mechanism of hereditary variability and natural selection to explain the change of species, as suggested by Darwin. Finally evolution as a paradigm concerns the style of thinking, to explain all occurrences of living beings „in the light of evolution“ (T. Dobzhansky). Obviously Darwin’s Theory of „natural selection“ is the crucial part justifying the other two meanings. Observations can only be interpreted in an evolutionary way in the light of an established theory. In the same way phylogenetic ideas demand the theoretical clarification of causes. However the big question is to which extent the mostly narrative reconstructions of a „natural history of creation“ (E. Haeckel) are actually covered by the available theories.
Einleitung: Verschiedenen Bedeutungen von Evolution Viele Missverständnisse in der langjährigen Debatte um Evolution und Schöpfung haben ihren Ursprung in den verschiedenen Bedeutungen, die dem Begriff ,Evolution‘ beigelegt werden. Es ist hier keineswegs mit einer bloßen begrifflichen Unterscheidung – des Philosophen liebste Tätigkeit – getan, weil sich die verschiedenen Bedeutungen gegenseitig durchdringen und voraussetzen. Denken wir nur an Kardinal Schönborn und seinen berühmt-berüchtigten Aus-
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spruch, der ihm – mit Recht – so viel Widerspruch eingetragen hat: „Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn – ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion – ist es nicht.“1 Nicht nur ist es nicht Aufgabe eines Kardinals, über die Richtigkeit einer naturwissenschaftlichen Theorie zu befinden, wozu ihm seine kirchliche Autorität nicht die geringste Kompetenz verleiht. Vor allem aber gibt es das eine, „die Evolution“, nicht ohne das andere, „Darwins Theorie“. Ich sehe Evolution nicht einfach – als einen Naturgegenstand unter vielen sozusagen – , sondern ich deute bestimmte Befunde mithilfe einer, in diesem Fall eben Darwins, Theorie. Man benötigt das theoretische Gebäude, um das Phänomen entsprechend wahrzunehmen. Dabei sind Deutung und Theorie nicht von vornherein schon deckungsgleich, sondern der Deutung wohnt eine gewisse Tendenz inne, über die theoretisch abgesteckten Grenzen hinaus zu schießen und mehr als plausibel darzustellen, als theoretisch exakt erklärbar ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die evolutive Herleitung des Linsenauges aus einfachen Vorläuferformen, die sich allesamt innerhalb des Stammes der Weichtiere auffinden lassen. Augen sind im einfachsten Fall „Augen- oder Pigmentflecke“. Im Unterschied zum Einzeller Euglena werden hierbei Pigmentschirm und lichtempfindliche Stelle von ganzen Zellen übernommen werden. Es ist also nicht mehr nur eine bestimmte Stelle an der Geißel, die im Dienst der Helligkeitswahrnehmung steht, sondern eine ganze Zelle hat sich auf diese Funktion konzentriert. Umklammert von einer becherartigen Pigmentzelle, die den Lichteinfall nur aus einer Richtung gestattet, stellt eine derartige Lichtsinneszelle so etwas wie eine spezialisierte Geißelzelle dar. Mit einem so einfach gebauten Augenfleck ist bereits Richtungssehen möglich, wenn man das Körperende, wo das Auge sitzt, hin und her bewegt. Wir können diese Bewegung etwa bei Fliegenmaden beobachten, die beim Öffnen einer Käseschachtel gestört in ihrer Mahlzeit sich plötzlich suchend hin und her bewegen, um vom Licht und damit vom Feind weg zu kommen. Selbstverständlich führt jede Vergrößerung eines solchen Augenflecks, d. h. die vermehrte Anzahl von Sinnes- und Pigmentzellen an einer bestimmten Körperstelle, zu einer Verbesserung der Sehleistung. Die weitere Entwicklung ergibt sich fast zwangsläufig. Eine Anhäufung von Lichtsinneszellen an ein und derselben Stelle führt aus Platzmangel zur Aufwölbung der Haut, was wiederum eine Verbesserung der Wahrnehmung des Lichteinfalls (jetzt auch ohne Kopfbewegung) nach sich zieht. Die umgekehrte Lösung des Dilemmas von Anzahl der Sehzellen und Platz auf der Haut, eine Einstülpung nach innen, führt zu einer neuen Sehleistung, der räumlichen Abbildung. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass bei dieser Anordnung das von einem Gegenstand ausgehende Licht nicht 1 Schönborn 2005.
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mehr gleichmäßig alle Lichtsinneszellen erreicht, sondern je nach Einfallswinkel nur die eine oder andere. Die vom einfallenden Licht getroffene Sinneszelle korrespondiert also mit einer bestimmten Stelle der Umgebung und bildet diese als eigenen Raumpunkt ab. Natürlich steigt die Abbildungsleistung, wenn man die Öffnung eines solchen Auges wie bei der camera obscura möglichst verringert. Solche Augen sind sehr lichtschwach, aber wenn man ihr Inneres mit durchsichtiger Gallerte ausfüllt, erhält man einen doppelten Effekt. Einmal ist die Augengrube vor eindringenden Fremdkörpern geschützt, und zum andern werden durch die Gallerte mehr Lichtstrahlen auf die Netzhaut gebrochen. Die Wirkung einer Linse, die das Bild nicht nur schärfer sondern gleichzeitig heller macht, ist damit im Prinzip erreicht.2 Ist eine derartige typologische Ableitung schon eine evolutionäre Erklärung? Ja und Nein. Sie kann zwar verständlich machen, wie sich aus der gegenseitigen Rückkoppelung von verbesserter Lichtausbeute und morphogenetischen Randbedingungen immer leistungsfähigere Augen konstruieren lassen. Aber damit zu behaupten, dieses Schema ließe sich mühelos in den von der Theorie geforderten Schritt-für-Schritt-Prozess von Mutation und Selektion übertragen oder auch nur innerhalb einer konkreten phylogenetischen Linie verfolgen, ist mehr, als das Beispiel hergibt – und auch mehr, als wir von ihm verlangen. Auch der von Nilsson und Pelger durchgeführte Computer-gestützte Nachweis, dass die Entstehung eines Linsenauges aus einer dreilagigen ebenen Schicht von lichtdurchlässigen Schutzzellen, lichtempfindlichen Rezeptor- und abschirmenden Pigmentzellen auch unter sehr pessimistischen Optimierungsbedingungen nur ein Frage von einigen zigtausend Generationen ist3, ist dafür kein hinreichend detaillierter Beweis – vor allem nicht für die letzte Stufe des Übergangs von der Linsenbildung zu den vielen komplizierten Zusatzvorrichtungen, die zum Beispiel das Linsenauge der Säugetiere auszeichnen. Andererseits muss man schon ein eingefleischter Kreationist sein, um der evolutionären Suggestivkraft einer mit solchen Mitteln aufstellbaren Stufenreihe zu widerstehen. Damit sind wir genau bei unserem Thema, den Zusammenhang zwischen dem Denken in der Kategorie des Evolutiven, wie es für jeden Biologen (und mehr oder weniger für uns alle) selbstverständlich ist, und den von der Theorie dafür bereitgestellten Grundlagen etwas genauer zu durchleuchten. Ich schlage dazu vor, einen dreifachen Evolutionsbegriff zu unterscheiden: – Evolution als Phänomen – Evolution als Theorie – Evolution als Paradigma
2 Text aus: Kummer 2009, S. 136 ff. (dort auch Abbildungen). 3 Nilsson / Pelger 1994, S. 53 – 58.
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Vielleicht wird in dieser Einteilung der Stichpunkt „Evolution als Tatsache“ vermisst. Genau diese Formulierung stellt aber die Quelle aller Missverständnisse dar. Wissenschaftstheoretiker aller Couleur weisen mit Recht darauf hin, dass eine Theorie, auch wenn sie noch so gut begründet ist, dadurch niemals zu einer Tatsache werden kann, sondern immer eine Theorie über Tatsachen bleibt.4 Und als beobachtbares und in diesem Sinn tatsächliches Phänomen wäre Evolution in einem viel zu eng begrenzten Rahmen verfolgbar, um daraus eine allgemein anwendbare Theorie zu machen. Ich denke, dass die hier vorgelegte Einteilung genügt, um sowohl dem gerecht zu werden, was Biologen mit dem Wort ,Tatsache‘ sagen wollen, nämlich die Konkurrenzlosigkeit der evolutionären Erklärungskraft auszudrücken, als auch die Differenz zwischen dem gesicherten Geltungsbereich und der tatsächlichen Inanspruchnahme der Theorie zu markieren.
1.
Evolution als Phänomen
Dass Evolution in gewissen Grenzen als mikroevolutives Geschehen beobachtbar ist (z. B. bei Mikroben5, bei Galapagos-Finken6, oder auch als ComputerSimulation7) wird hier als erwiesen vorausgesetzt und nicht weiter erörtert. Auch die Beweise für den stammesgeschichtlichen Zusammenhang aller Lebewesen schlägt man besser in einem Lehrbuch der Evolutionsbiologie nach8, als hier eine oberflächliche Wiederholung zu erwarten. Dass die Universalität des genetischen Codes und die gentechnisch nutzbare Austauschbarkeit von Genen quer durch alle Organismenklassen hier eine beredte Sprache sprechen, ist offensichtlich. Worauf ich das Augenmerk lenken möchte, ist die Art und Weise, wie Darwin selber zur Überzeugung der Wandelbarkeit der Arten kam, lange bevor er seine ausformulierte Theorie bezüglich der dafür geltenden Ursachen vorgelegt hatte.
1.1
Transformation
Was hat ihn dazu bewogen, ein ausgestorbenes Riesenfaultier (Megatherium) oder das elefantengroße Taxodon der tertiären Pampas Argentiniens als Ahnformen heutiger Lebewesen aufzufassen? Als Fossilien waren solche Funde z. T. 4 5 6 7 8
Bunge / Mahner 2004, S. 90. Beaumont et al. 2009. Grant 2006, S. 224 – 226. Dawkins 1986, chap. 3. Siehe etwa: Futuyma 2007 oder : Storch / Welsch / Wink 2007.
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längst bekannt und auch von Taxonomen, die keine Evolutionsanhänger waren, richtig eingeordnet. Ausgestorbenen Lebewesen hatte der französische Paläontologe Georges Cuvier (1769 – 1832) mithilfe seiner Katastrophentheorie, also dem Auftreten mehrerer Sintflut-Ereignisse im Verlauf der Erdgeschichte, mühelos und mit der Bibel vereinbar erklären können, ohne deshalb die Ähnlichkeit mit heutigen Formen als Abstammungszusammenhang deuten zu müssen. Oder : Warum reiht Darwin die Galapagos-Finken in ein lineares Schema zubzw. abnehmender Schnabelgröße9 und nicht, wie heute selbstverständlich, in ein radiales Ausbreitungsschema, das von unterschiedlichen ökologischen Ansprüchen bestimmt ist? Die Antwort ist einfach, wenn man sich erinnert, dass Darwin, bevor er sich mit seiner Rankenfüßer-Monographie auch als Zoologe auszuweisen verstand, sich naturwissenschaftlich in erster Linie mit Geologie beschäftigt hatte. Charles Lyell, dessen eben erschienenen ersten Band der Principles of Geology Darwin auf seine fünfjährige Forschungsreise mit der HMS Beagle mitgenommen hat, war einer der Begründer des Akutalismus, d. h. jener Theorie, die an der gleichartigen Wirksamkeit derselben geologischen Kräfte während aller Epochen der Erdgeschichte festhält, wie sie auch heute aktuell am Werk sind. Damit verdankt sich die Gestaltung der Erdoberfläche nicht so sehr katastrophalen Ereignissen wie bei Cuvier, sondern vor allem der stetig aber unmerklich wirkenden Kräfte von Erosion und Sedimentation. Dass auch damit dramatische Umbildungen erklärbar sind, ist weiter kein Problem, wenn man genügend lange Zeiträume dafür in Rechnung stellen kann. Das schon Goethe aufgefallene (und von ihm ebenfalls schon richtig gelöste) Paradoxon der Muschel auf dem Berggipfel verliert so seine Rätselhaftigkeit und wird, gemessen mit der Latte des Geologen, zum Alltagsphänomen. Es ist diese Überzeugung von der Transformation, der allmählichen aber anhaltenden Abwandlung und Verformung des (scheinbar) Bestehenden, die über lange Zeiträume sich in den massivsten sichtbaren Unterschieden und Gegensätzen manifestiert, die Darwin veranlasst hat, auch die Verschiedenheit zwischen den Arten auf diese Weise zu sehen: Wenn schon die massive Erdoberfläche nichts Ehernes, Unveränderliches an sich hat – um wie viel mehr dann die ungleich beweglichere Welt der Organismen. Den besten Beweis für dieses Denken liefert Darwin mit seiner 1842 publizierten, aber bereits während der Beagle-Reise ausgearbeiteten Theorie der Korallenriffe, die im wesentlichen bis heute Gültigkeit besitzt. Das Paradoxe der Bildung von Hunderte von Metern hohen Riffen durch die Tätigkeit von nur wenige Meter unter der Meeresoberfläche lebensfähigen Korallenpolypen erklärt er elegant durch ein synchron mit dem Riffzuwachs fortschreitendes Absinken des Meeresbodens. Allmählichkeit und Unmerklichkeit eines Prozesses, der dem aktuellen Betrachter einen unerwarteten Effekt vor Augen führt, weil 9 Voss 2007, S. 35 ff.
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dieser den Zeitraum der Veränderung nicht im Blick haben kann – das ist es, was Darwin für das Füllhorn der lebendigen Arten übernimmt, auch wenn er sich hier, im Gegensatz zur Geologie, über die Natur der verändernden Faktoren zunächst noch keine Rechenschaft zu geben weiß.
1.2
Stufenschema
Nun sind die Eigenschaften der Lebewesen ungleich zahlreicher als die Parameter, welche das Aussehen einer Landschaft bestimmen. Mit dem Denkschema des Übergangs einer Form in eine andere ist es darum so lange noch nicht getan, wie Kriterien für echte gegenüber nur scheinbarer Ähnlichkeit der Tierformen fehlen. Zwar konnte Darwin hier auf die umfangreichen Arbeiten von Carl von Linn¦ zurückgreifen, dessen Anliegen es ja gerade war, ein „natürliches System“ der Organismen zu entwerfen und dafür die richtigen „Charaktere“ zu verwenden. Aber davon abgesehen, dass Linn¦s System gerade aufgrund der von ihm ausgewählten Charaktere (etwa die Zahl der Staubblätter zur Ordnung der Blütenpflanzen) alles andere als natürlich ist, wäre auch ein solches System noch viel zu unübersichtlich, um als Leitidee einer allmählichen Transformation zu dienen. Außerdem zeigt Darwins Schema der Galapagos-Finken, dass der Verlauf der Transformation in zweierlei Richtung gelesen werden kann: als Zunahme der Schnabelstärke oder als Abnahme. Durch die bloße Aneinanderreihung ist der Verlauf der Evolution noch nicht festgelegt. Dazu bedarf es eines anderen Denkschemas, nämlich der bis auf Aristoteles zurück gehenden Vorstellung einer scala naturae, auf der alle Naturwesen entsprechend ihrer Organisationshöhe in eine vom Menschen abwärts führende Reihe immer entfernterer Ähnlichkeit angeordnet werden. (Der Ausdruck „Deszendenztheorie“ hätte sich zumindest im Deutschen ohne die Vorstellung eines Herabsteigens von der Leiter der Organisationshöhe wohl nicht durchgesetzt, wenngleich er stammesgeschichtlich verstanden natürlich die umgekehrte Leserichtung beinhaltet.) Insbesondere der Genfer Zoologe Charles Bonnet (1720 – 1793) hat sich in der Ausgestaltung einer solchen Stufenleiter der irdischen Körper (id¦e d’une ¦chelle des Þtres naturels von 1745) hervorgetan, und es ist lehrreich, auf seine Darstellung einen Blick zu werfen. Zu einer Leiter gehören Holme, Sprossen und ein oberes und unteres Ende. Alle drei Elemente haben ihre Aussagekraft. Die Holme stehen für die lineare Kontinuität und Zusammengehörigkeit aller Naturformen, die Enden markieren die einfachste und größte Organisationshöhe, und die Sprossen, ja, die haben es in sich. Gewiss werden darauf die Arten verteilt, aber auch Bonnet war sich bewusst, dass er bei einer Verteilung der gesamten ihm bekannten Naturformen der „drei Reiche“ (Tiere, Pflanzen und Mineralien) vor einer ähnlich überdimensionierten Aufgabe ge-
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standen wäre wie Noah bei der Konstruktion einer alle Tierarten fassenden Arche (auch wenn manche Kreationisten unter allerlei abenteuerlichen Annahmen behaupten, dass so etwas nicht unmöglich sei). Wenn wir Bonnets Leiter daraufhin genauer anschauen, bemerken wir, dass es dort zweierlei Sprossen gibt – solche, die für einen ganzen Formenkreis (eine Ordnung oder auch höhere systematische Einheit stehen), und andere, für einzelne Arten stehende, die zwischen diesen Formenkreisen als Übergangsglieder vermitteln. Wenn das nicht eine für den Evolutionsgedanken nutzbar zu machende Transformationskonstruktion reinsten Wassers ist! Die Sprossen auf der Leiter stehen selbstverständlich in regelmäßigen Abständen, aber in welcher Höhe wir sie mit welchen Namen besetzen und wie viele Sprossen wir dazwischen frei lassen, ist unsere Sache. Die Idee vom missing link ist damit geboren und als probates Mittel zur Hand, wenn sich die vorhandenen oder bekannten Formen nicht mit hinreichender Passgenauigkeit der theoretischen Transformationsvorlage fügen wollen. Ernst Haeckel hat in seinen Stammbäumen mehr als einmal von dieser Methode Gebrauch gemacht. Besonders auffallend ist dies in einem Stammbaum-Entwurf der Primaten von 1895 feststellbar, wo er den Abstand zwischen Homo sapiens und der von ihm favorisierten, aber aus heutiger Sicht falschen, Ableitung vom Gibbon einfach durch eine Reihenfolge scheinbar fossiler, aber in Wirklichkeit lediglich fiktiver Zwischenformen auffüllt, nämlich (von oben nach unten) Homo stupidus, Pithecanthropus alalus und Prothylobates atavus. Die Kenntnis der alten Sprachen ist hier äußerst nützlich, um den EtikettenSchwindel dieser phylogenetischen Betrachtungsweise zu durchschauen. Man soll ein solches Vorgehen aber nicht einfach als falschen, ideologiegeleiteten Stammbaum-Fetischismus belächeln. Was bleibt anderes übrig, solange beispielsweise die Abstammung des Menschen nur durch die drei Schädelformen des Jetzt-Menschen, des Neandertalers und, sagen wir, des Java-Menschen belegt war, als diese drei Typen nach Maßgabe ihrer (vermeintlich) „äffischen“ Charaktere in eine Stufenreihe zu stellen? Erst mit zunehmender Fundmenge kann man daran gehen, ein mehr oder weniger realhistorisches Schema des Evolutionswegs zum Menschen zu konstruieren, wie das heute geschieht10. Und auch ein solches Schema ist immer noch vom Stufendenken der Größenzunahme des Gehirns geleitet, wenngleich es für diese Art der Höherentwicklung zeitlich gut datierte fossile Belege gibt. Erst so wird offenbar, dass der Neandertaler eine Parallelform zum Homo sapiens darstellt, aber nicht dessen Vorläufer ist – eine Erkenntnis noch sehr jungen Datums. Nicht nur das Denken in Zwischenformen, auch die Vorstellung der (eben schon angesprochenen) Höherentwicklung ist dem Transformationsdenken durch das Stufenleiter-Schema zugänglich. Es ist unter Biologen verpönt, von 10 Schrenk 2002, S. 193.
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Höherentwicklung zu sprechen und man verweist dafür auf Darwin als Kronzeugen. Dies gilt aber nur für seine Ablehnung eines immanenten Vervollkommnungsstrebens der Organismen, wie es Lamarck gelehrt hatte11. Die Überlegung, wie die Organismen auf dem Weg der natürlichen Zuchtwahl neben aller Anpassungsleistung zu einem Fortschritt ihrer Organisationshöhe (gradual advancement of organisation) kommen können, findet sich bei Darwin sehr wohl – jedenfalls ab der 3. Auflage seiner Entstehung der Arten. Nur aus den Voraussetzungen seiner Theorie, ohne allen Rückgriff auf das Stufenleiterdenken, wäre m. E. der folgende Abschnitt On the degree to which organisation tends to advance aus dem 4. Kapitel kaum vorstellbar : „Natural selection acts, as we have seen, exclusively by the preservation and accumulation of variations, which are beneficial under the organic and inorganic conditions of life to which each creature is at each successive period exposed. The ultimate result will be that each creature will tend to become more and more improved in relation to its conditions of life. This improvement will, I think, inevitably lead to the gradual advancement of the organisation of the greater number of living beings throughout the world. But here we enter on a very intricate subject, for naturalists have not defined to each other’s satisfaction what is meant by an advance in organisation. Amongst the vertebrata the degree of intellect and an approach in structure to man clearly come into play. It might be thought that the amount of change which the various parts and organs undergo in their development from the embryo to maturity would suffice as a standard of comparison; but there are cases, as with certain parasitic crustaceans, in which several parts of the structure become less perfect, so that the mature animal cannot be called higher than its larva. Von Baer’s standard seems the most widely applicable and the best, namely, the amount of differentiation of the different parts (in the adult state, as I should be inclined to add) and their specialisation for different functions; or, as Milne Edwards would express it, the completeness of the division of physiological labour.“12
Mit all dem soll die Berechtigung der Annahme von Evolution keineswegs in Frage gestellt werden, sondern lediglich gezeigt sein, dass vieles von dem, was uns als „Beweis“ für die Richtigkeit des Abstammungszusammenhangs scheinbar in die Augen springt, auf Vor-Urteilen beruht, die vom Theoriegebäude Darwins deutlich unterschieden sind. Beobachtungen werden immer nur theoriegeleitet zu Phänomenen mit Beweiskraft; der theoretische Hintergrund für das Phänomen Evolution ist aber zumindest reichhaltiger, als es explikativ in der Kausalstruktur der Evolutionstheorie zum Vorschein kommt.
11 Vgl. Sauer / Kullmann 2007, S. 255. 12 Darwin 1861, p. 133.
Was meint der Biologe, wenn er von Evolution spricht?
2.
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Evolution als Theorie
Um diese These weiter zu erhärten, ist nun endlich auf den Inhalt der Evolutionstheorie einzugehen. „Jeder redet davon, aber keiner weiß, was es eigentlich ist“ – dieser Allgemeinplatz hat auch gegenüber der Evolutionstheorie eine gewisse Berechtigung. Dies liegt vor allem an der so überaus eingängigen, um nicht zu sagen trivialen Rolle der Selektion: Unter Konkurrenzbedingungen um dieselben Ressourcen gibt es immer Sieger und Verlierer. Innerhalb der verschiedenen Versuchen, Darwins weitschweifige Darstellung seiner Theorie (die Erstauflage seines Origin of Species bei Murray, London 1859 hatte bereits 490 Seiten und war doch nur die „Kurzfassung“ eines geplanten, aber nie erschienenen zweibändigen Werks Natural Selection) zu systematisieren, halte ich die Evolutionsdefinition und -begründung von Stefan Peters für die gelungenste. Sein schmuckloses, aber scharfsinniges Bändchen Evolution. Die Theorie eines selbstverständlichen Prozesses verdiente eine weitere Verbreitung als der wohl nur Insidern bekannte Verlag „Natur & Text“ in Brandenburg garantieren kann.
2.1
Evolution als – unter bestimmten Voraussetzungen – notwendiger Prozess
Peters definiert die Evolutionstheorie „als die Annahme, dass in der Generationenfolge der Organismen deren vererbbare Eigenschaften in naturgesetzlichem Rahmen abgewandelt werden können“. Das Eintreten dieses Prozesses fußt auf zwei Voraussetzungen: 1. Organismen unterliegen als operational geschlossene, stoff- und energiewandelnde, mechanisch kohärente Systeme den allgemeinen Naturgesetzen. 2. Die Fortpflanzung der Organismen ist mit Vererbung (Übertragung von Strukturanlagen der Eltern auf die Nachkommen) verbunden, die allerdings störanfällig ist und deshalb nicht immer zu einer identischen Reproduktion führt.13 Bei Vorliegen beider Voraussetzungen kommt es nach Peters Worten „unausweichlich“ zum Evolutionsprozess. Auffällig ist, dass Peters die Quintessenz der Evolutionstheorie ohne das übliche Begriffsarsenal von Konkurrenz, Überproduktion von Nachkommen, Variation und – insbesondere – Selektion beziehungsweise natürlicher Zuchtwahl formuliert. Allerdings braucht es kein großes Nachdenken um festzustellen, dass es inhaltlich um genau denselben Prozess geht wie bei Darwin. Der 13 Peters 2010, S. 23 – 24.
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Kniff, mit dem Peters den Gebrauch der üblichen Begriffe vermeidet, liegt in dem, was in seine Organismus-Definition gepackt ist. Wenn Organismen Systeme sind, die aus naturgesetzlichen (= thermodynamischen) Gründen des Stoffwechsels bedürfen, dann ist damit der Verbrauch von Ressourcen schon impliziert. Und wenn weiter der Vererbungsmechanismus aufgrund einer begrenzten Replikationsgenauigkeit der DNAVariabilität generiert, dann ist damit auch schon ein Unterschied im Ausnützen dieser Ressourcen ausgesagt und eine Wettbewerbssituation zwischen den Individuen hergestellt – gleichgültig, ob damit eine Überproduktion verbunden ist oder nicht. Der Hauptvorteil von Peters’ knapper Formulierung der Evolutionstheorie liegt indessen darin, dass er im Gegensatz zu Darwin Evolution nicht nur als eine äußere Anpassungsleistung des Organismus an die Umweltbedingungen und in diesem Sinn als einen Optimierungsvorgang14 versteht, sondern auch als eine Abänderung der inneren Kohärenz des mechanischen Systems des Organismus selbst. Erbänderungen können nicht nur zu neuen äußeren Merkmalen führen, über deren Vorteile die Umwelt befindet, sondern auch zu einer Beeinflussung des ontogenetischen Entwicklungsverlaufs, und dann ist es das geschlossene Gefügesystem des Organismus selbst, das beurteilt, ob die Neuerung den Erfordernissen einer energiewandelnden biomechanischen und hydraulischen Konstruktion genügen oder nicht. Es ist die Frage, ob uns mit dieser Erweiterung der Selektion auf die innere „Bionomie“ (d. h. die naturnotwendigen Bedingungen einer lebensfähigen Konstruktion) des Organismus ein Instrumentarium in die Hand gegeben ist, das sich eignet, die im letzten Abschnitt angesprochene Transformation auf eine höhere Organisationsstufe – von Darwin als „inevitably“ bezeichnet, ohne damit etwas zu erklären – einsichtig zu machen.
2.2
Anagenese und Kladogenese
Peters hält die Frage, ob durch Evolution bzw. Zuchtwahl die Überschreitung von Artgrenzen möglich ist, für falsch gestellt. Zwar überschreitet man bei der Züchtung des Haushundes niemals den mit der Stammform Canis lupus, dem Wolf, gegebenen Artstatus – aus Hunden werden also immer nur neue Hunde und nichts anderes –, aber das liegt nur daran, dass der Mensch all diese Rassen nebeneinander im Dasein erhält und ihre Kreuzbarkeit notfalls auch mit künstlichen Mitteln erzwingt. Denkt man sich innerhalb des Formenspektrums der Hunderassen die vermittelnden Zwischenglieder weg, könnten die verbleibenden Extreme unter natürlichen Verhältnissen schon durch die Kreuzungsbarriere einer nicht zueinander passenden Körpergröße, von anderen Verhal14 Vgl. Anm. 12.
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tensunterschieden ganz zu schweigen, schnell zu verschiedenen Arten werden, die dennoch evolutiv „auseinander hervorgegangen“ wären. Dies zeigt, dass es notwendig ist, zwischen anagenetischem Zusammenhang und kladogenetischer Artentstehung zu unterscheiden. Evolutiv gesehen gibt es nur das Formenkontinuum, den Abstammungsverlauf von einer Generation zur anderen, innerhalb dessen sich keine distinkten Arten abgrenzen lassen. Diese gibt es nur als Bezeichnung von Teilpopulationen, die infolge bestimmter Isolationsbedingungen den Zusammenhang mit der übrigen Fortpflanzungsgemeinschaft verloren haben und sich im Zuge ihrer weiteren anagenetischen Eigenentwicklung allmählich auch phänotypisch vom ursprünglichen Merkmalsspektrum abgrenzen lassen. Das Netz allseitiger Kreuzbarkeit hat so an einer Stelle einen Riss bekommen, der einen mit der Zeit immer deutlicheren eigenen Strang entstehen lässt, der aus eingeschränkten kladogenetischen Anfängen (griechisch klados = Zweig) seiner eigenen anagenetischen Weiterentwicklung unterliegt. Damit bezeichnen Ana- und Kladogenese zwei unterschiedliche Perspektiven, unter denen man die Evolution zu betrachten hat: Die anagenetische Blickrichtung geht auf die Herkunft in der Zeit, die kladogenetische auf die Ausbreitung im Raum.15 Klar, dass damit die in der Gegenwart mehr oder weniger distinkt unterscheidbaren Arten nicht in eine evolutive Ahnenreihe überführt werden können. In diesem Sinn geht der Mensch nicht aus dem Schimpansen hervor, weil keine rezente Art die Ahnform einer anderen sein kann. Diese logisch notwendige Ergänzung hat die Evolutionstheorie dem Stufenleiterdenken hinzugefügt. Taugt damit aber der Artbegriff wirklich nur für die Gegenwart und ist das Konzept einer Vorläuferart ein logisches Unding? Man kann, zumindest in Gedanken, die kladogenetische Betrachtungsebene auch in der Vergangenheit verlegen und schauen beziehungsweise rekonstruieren, wie sich das anagenetische Netzwerk zu einem früheren Zeitpunkt darstellt. Wenn es, was zu vermuten ist, da noch weniger Risse aufweist, stehen wir vor dem Befund, dass Arten tatsächlich auch im Lauf der Zeit ineinander übergehen bzw. auseinander hervor gehen können. Angenommen, wir unterscheiden bei einer hypothetischen Gattung in der Gegenwart drei „gute“ Arten a, b und c. Einer der dafür ursächlichen Risse im anagenetischen Netzwerk möge bis zum gedachten Beobachtungszeitpunkt in der Vergangenheit zurück reichen. Dann ist die Art a auch zu diesem Zeitpunkt schon auszumachen. Aber die anderen beiden? Von ihnen gibt es zu diesem Zeitpunkt nur das Formenkontinuum des an dieser Stelle noch unversehrten anagenetischen Netzes und von einer kladogenetischen Auftrennung noch keine Spur. Was hätte ein zur damaligen Zeit lebender Taxonom mit dieser Situation angefangen? Er hätte, neben der schon bestehenden Art a das restliche Merk15 Vgl. dazu das instruktive Schema F. Ehrendorfers in Strasburger 1991, S. 474.
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malskontinuum als eigene Art z beschreiben müssen. Diese Art z geht dann aber im weiteren evolutiven Verlauf kladogenetisch in die jüngeren bzw. rezenten Arten b und c über. Wo ist damit die Art z geblieben? Ist sie ausgestorben? Oder lebt sie in b und c weiter? An dieser Stelle kommt das Missliche am biologischen Artbegriff zum Vorschein (worunter die Paläontologen naturgemäß mehr zu leiden haben als die Biologen), und es melden sich Zweifel an, ob das überkommene Stufendenken wirklich so restlos in den von Darwin (am Ende des 4. Kapitels der „Entstehung der Arten“) entworfenen Antagonismus von genealogischem Zusammenhang und isolationsbedingter Divergenz überführbar ist.
2.3
Umfang der Variabilität
Kinder müssen ihren Eltern (wenigstens weitgehend) gleichen – und darum kann der Prozess des anagenetischen Strukturwandels nur im Schritttempo geringfügiger Variation erfolgen. Reicht dann, überspitzt gesagt, bei der zur Verfügung stehenden Zeitspanne aller Raum der Erde aus, um auf kladogenetischem Weg all jene Vielfalt hervor zu bringen, die wir innerhalb der Fülle der Organismen kennen und bewundern? Das ist die Grundfrage an die Evolutionstheorie seit den Tagen Darwins bis heute. Peters hat zur Lösung dieses Problems mit Recht auf das Bionomie-Konzept der Frankfurter Evolutionstheorie hingewiesen, wonach die evolutiv erreichbaren Veränderungen sich vor aller Umweltanpassung an den Erfordernissen einer lebensfähigen biomechanischen Konstruktion des Organismus zu orientieren haben. Gutmann und Bonik haben dazu ein einprägsames Schema für eine hypothetische Fischevolution entworfen.16 Innerhalb einer anagenetischen Linie allmählicher Optimierung der Fischgestalt (Flossenbildung, hydrodynamische Form) gibt es immer wieder mutationsbedingte Entgleisungen, die in der Mehrzahl der Fälle entweder zu nicht lebensfähigen Monster-Konstruktionen führen oder zu Abwandlungen, die, obwohl lebensfähig, im Konkurrenzkampf mit der Stammform unterliegen. Äußere und innere Selektion sind hier also nebeneinander am Werk. An einer Stelle jedoch ist eine kladogenetisch wirksame Veränderung zu verzeichnen: Die hier entstandene Form ist nicht nur konstruktiv zulässig, sondern weicht auch dem von der Stammart diktierten Selektionsdruck auf hydrodynamische Optimierung durch Einwandern in eine neue ökologische Nische aus. (Das muss nicht unbedingt räumlich verstanden sein, sondern kann z. B. auch in der Bevorzugung einer neuen Nahrungsquelle oder einer sonstigen verhaltensbiologischen Besonderheit bestehen.) Das erlaubt die anagenetische Optimierung dieser Ausgangsgestalt in eine neue Richtung, was schließlich vom 16 Gutmann / Bonik 1981, S. 136.
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zoologischen Betrachter mit einem eigenen Artnamen quittiert wird. Es wäre denkbar, dass am Anfang einer solchen Kladogenese eine sprunghafte Veränderung steht, die es erübrigt, den äußeren Selektionsdruck mit in die Überlegungen einzubeziehen. Die Barriere zwischen der alten und der davon abzweigenden neuen Anagenese-Richtung bestünde dann einfach in der Trennung zweier nicht ineinander überführbarer Organisationstypen durch nicht lebensfähige Zwischenglieder. Es ist aber derzeit überhaupt nicht einzusehen, auf welche genetische Weise ein solcher Sprung geschehen könnte. Darum haben es die beiden Autoren wohl auch vorgezogen, ihr Kladogenese-Modell auf der Basis traditionell mikroevolutiver Veränderung darzustellen, obwohl von den Voraussetzungen einer strukturbedingten Binnenselektion her auch ein sprunghafter Organisationswandel zulässig sein müsste und ein solcher von den Vertretern der Frankfurter Konstruktionsmorphologie gegenüber dem „darwinistischen Anpassungsmodell“ auch stets hochgehalten wird. Die Frankfurter Theorie sieht also sehr wohl das Defizit der klassischen Synthetischen Evolutionstheorie, nach der alle Veränderung des Organismus nur das passive Resultat von richtungsloser genetischer Mutation und an den Umweltbedingungen ausgerichteter phänotypischer Selektion ist. Ein Eigenbeitrag des Organismus bleibt in diesem Spiel gänzlich unberücksichtigt, ja, scheint aufgrund der bewussten Eliminierung des noch bei Darwin zu findenden lamarckistischen Gedankenguts einer aktiven Umweltanpassung nicht damit verträglich. Die Frankfurter Theorie überwindet dieses Defizit durch Einbeziehung der konstruktiven Bedingungen des Organismus in das Evolutionskonzept. Aber sie bleibt auf halbem Weg stehen, weil sie die Rolle des Organismus auch nur als Selektionseffekt (wenn auch als inneren) zu fassen versteht, nicht aber als dessen aktive Leistung. Worin diese bestehen könnte, anders gefragt, welche Regulationsvorgänge für die Überführung einer viablen hydraulisch-biomechanischen Konstruktion in die nächst höhere erforderlich sind, darüber muss sie bisher die Auskunft schuldig bleiben. Peters erwartet (wie viele andere Biologen auch) hierfür die Lösung aus einer neuen „Synthese“ von Entwicklungsgenetik und Evolutionsbiologie. So verheißungsvoll dieser „EvoDevo“-Ansatz sich auch in der Öffentlichkeit darzustellen weiß17 – er ist bisher doch wenig mehr als ein Programm. So bleibt bis auf weiteres festzustellen: Darwins „Dilemma“, dass natürliche Zuchtwahl nur als Anpassungsstrategie taugt, aber zur Erklärung von Höherentwicklung mangels echter Alternativen herhalten muss, wird zwar innerhalb der Zunft der Evolutionsbiologen als Problem gesehen und auch in Angriff genommen18, ist aber in dem Umfang, wie er für das – akzeptierte – Phänomen Evolution erforderlich wäre, noch nicht 17 Carroll 2005. 18 Kirschner / Gerhart 2007.
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hinreichend gelöst. Bis auf weiteres muss sich so die Biologie damit zufrieden geben, dass die theoretische Grundlage ihres Redens von Evolution mehr naturphilosophischen als strikt naturwissenschaftlichen Charakter hat.
3.
Evolution als Paradigma
Nach diesem eher abstrakten Ausflug in die theoretischen Grundlagen soll es in diesem letzten Teil wieder anschaulicher zugehen. Wir wollen uns bei der Charakterisierung der dritten Bedeutung von Evolution nicht an den Einzelheiten von Kuhns Paradigmenbegriff abarbeiten, sondern damit lediglich das benennen, was Ludwik Fleck in einer allgemeineren und vorläufigeren Form (auf der Kuhn allerdings aufbaut) als „Denkstil“ einer bestimmten WissenschaftlerGruppe bezeichnet19. Theodosius Dobzhansky hat zur Kennzeichnung dieses evolutionären Denkstils das bekannte Diktum geprägt: „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution.“20 Das bedeutet, dass biologisches Erklären auf weite Strecken „story telling“ ist, Darstellung von naturkundlichen Fakten im Erklärungsrahmen der Evolution, und dass gerade dies das Faszinierende an der Biologie ausmacht. Das hängt zwar mit der Bedeutung von Evolution als Phänomen zusammen, ist aber doch nicht dasselbe. Es soll hier vielmehr darauf abgestellt werden, wie das Erfinden plausibler evolutionärer Geschichten die Überzeugungskraft der Theorie als ganzer erhöht – ungeachtet aller im zweiten Teil gemachten Vorbehalte und Einschränkungen. Das liegt einfach daran, dass es der evolutionäre Erklärungsrahmen möglich macht, Beschreibungen und Beobachtungen des Lebendigen in einen funktionalen Zusammenhang zu stellen, und funktionale Erklärungen sind nun einmal, wie Hans Mohr richtig bemerkt21, das Eigentümliche der Biologie. Das lässt sich sehr schön am Beispiel der Evolution der Orchideen und ihren Blüten zeigen, was ich selber jahrelang in einem Grundkurs für Philosophiestudenten unternommen habe. Als stolzer Besitzer eines Gewächshauses mit etwa 350 Exemplaren (nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass es vielleicht 30.000 Orchideenarten gibt, aber doch genug, um als Freizeitgärtner hinreichend beschäftigt zu sein) war es mir möglich, im Mai, der Hauptblütezeit tropischer Orchideen unter unseren mitteleuropäischen Lichtverhältnissen, genügend Exemplare parat zu haben, um jeden Studenten im Vorlesungssaal mit wenigstens einer Blüte zu versehen. Das machte Eindruck, dass ein Professor auch noch etwas anderes konnte als nur Papierstapel zum Wachsen zu bringen – manche dieser Pflanzen gediehen schon 19 Fleck 1980. 20 Dobzhansky 1973, S. 125 – 129. 21 Mohr 2008, S. 33.
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30 und mehr Jahre unter meiner Obhut! Als Vergleichsobjekt erhielt jeder Hörer auch noch eine Tulpenblüte oder dergleichen. Und dann konnte es losgehen:22 „Die fünf Wirtel der Einkeimblättrigen-Blüte sind gewöhnlich 3-zählig. Drei Kelchund drei Kronblätter, die bei der Tulpe identisch gefärbt sind und als Tepalen zusammengefasst werden, sind bei den Orchideen deutlich zu unterscheiden. Die Kelchblätter oder Sepalen sind zwar auch blumenartig ausgefärbt, aber schmäler als die Kronblätter oder Petalen. Deren mittleres ist bei den Orchideen als Lippe (Labellum) umgestaltet, was den radialsymmetrischen Blütenbau der Tulpe in einen dorsiventralen Bau mit nur einer Symmetrieebene umwandelt. Die 2 x 3 Staubblätter oder Antheren sind bei den Orchideen auf selten zwei, meist eines reduziert. Der aus drei Fruchtblättern aufgebaute Fruchtknoten ist bei den Orchideen mit den Antheren verwachsen und bildet ein neues Organ, das so genannte Gynostemium.“
Wenn man nun unter Voraussetzung des Paradigmas Evolution an den Stoff herangeht, hört sich das Ganze auf einmal weit weniger langweilig an: „Die Orchideen sind eine sehr junge Pflanzenfamilie. Als sie auftraten, war der tropische Regenwald, ihr vermutlicher Ursprungsort, schon über und über mit blühenden Pflanzen besetzt. Als horror vacui, als Angst vor einer leeren Stelle, hat einst Alexander von Humboldt die Artenfülle des Regenwaldes bezeichnet. Darin nun wollten die Orchideen Fuß fassen. Das erste Problem war dabei, an genügend Licht zu kommen, um als grüne Pflanzen Photosynthese betreiben zu können. Die Orchideen lösten dies, indem sie Epiphyten wurden, Aufsitzerpflanzen, die, ohne wie die Mistel zu schmarotzen, auf den Rinden von Sträuchern und Bäumen zum Licht strebten. Die schwierige Wasserversorgung lösten sie dabei mit speziellen, oft meterlangen Haftwurzeln, deren Oberfläche herab tropfendes Regenwasser wie Fließpapier auffangen kann. Schwierig war natürlich auch die Ausbreitung an so exponierten Standorten, denn Pflanzen können ja nicht einfach wie Tiere von einem Baum zum anderen klettern. Die Orchideen verlegten sich deshalb darauf, zu ihrer Verbreitung möglichst kleine Samen zu auszubilden, aber diese dafür in unglaublich großer Menge. Aus einem einzigen Bestäubungsvorgang kann eine Vanda, das ist eine südostasiatische Orchideengattung, leicht 100.000 Samen in ihrem Fruchtknoten erzeugen. Es braucht zwar gut ein Jahr, bis er sie zur Reife gebracht hat, aber dann entlässt er wie ein feines Pulver diese ganze Saat, die sich mit dem leisesten Windhauch in alle Richtungen verteilt. Der Embryo im Inneren der trockenhäutigen, perfekt für das Schweben in der Luft eingerichteten Samenhülle ist dabei nicht schon ein kleines Keimpflänzchen, wie wir das von der Bohne oder vom Weizenkorn her kennen, sondern ein noch völlig undifferenziertes grünes Kügelchen, das erst die Mithilfe bestimmter Pilze haben muss, um an geeigneten feuchten Rindenstellen keimen zu können. Eine so gewaltige Samenerzeugung verlangt natürlich eine ebenso große Bestäubungsleistung, denn von einem Blütenstaubkorn auf der Narbe geht immer nur ein einziger Pollenschlauch aus, der auch nur eine einzige Eizelle im Inneren des Fruchtknotens befruchten und zu einem Embryo werden lassen kann. ,Kompaktion‘ heißt darum die Methode der Wahl bei der Or22 Text aus: Kummer 2009, S. 57 ff.
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chideenbestäubung, Zusammenpacken der gesamten Blütenstaubmasse einer Blüte zu einem oder wenigen Paketen, um diese möglichst auf einmal zu übertragen. Dazu wird der Blütenstaub zu kunstvollen Gebilden, den Pollinien oder dem Pollinarium, vereinigt, die an ihrer Basis mit regelrechten Haftscheiben versehen sind, deren Klebstoff von der Narbenfläche stammt. Das erklärt jetzt die Verwachsung von Staub- und Fruchtblättern zum ,Gynostemium‘. Wenn nun ein zur Bestäubung ausersehenes Insekt, eine Hummel oder Prachtbiene, eine Blüte anfliegt – das zur Lippe umgestaltete Blütenblatt ist der Landeplatz dafür – und in deren tütenförmige Basis hineinkriecht – Hummeln tun nichts lieber als solche Röhren nach Nektar abzusuchen – bekommt es beim Verlassen der Blütenröhre im Rückwärtsgang das ganze Pollenpaket auf seinen Rücken oder Kopf appliziert. Beim nächsten Blütenbesuch wird dann dieses Paket vom Schleim der Narbenhöhle aufgesogen, und der Befruchtungsvorgang der vielen tausend Samenanlagen kann auf einmal einsetzen.“
Ich kann niemandem garantieren, dass sich die evolutive Entstehung der Orchideen tatsächlich so zugetragen hat wie hier geschildert. Aber darum geht es gar nicht. Die Schilderung muss nicht richtig sein, sondern nur evolutionär, d. h. auf der Grundlage von Darwins Theorie plausibel. Was daran auffällt ist, dass in einer solchen erzählerischen Rekonstruktion Lebewesen nicht als passive Objekte der Evolution erscheinen, sondern als eigenständige evolutionäre Agenten. Nicht „die Evolution“ tut hier etwas – eine oft kritisierte falsche Hypostasierung eines bloßen Prozesses, der damit zu Unrecht Ähnlichkeit mit dem Tätigsein eines Schöpfers erhält. Nein, die Lebewesen tun hier selbst etwas, und dagegen ist ja eigentlich nichts einzuwenden. Nur : wir erzählen die Geschichte in dieser Weise, um den Erwerb zweckmäßiger Eigenschaften, welche die Orchideenblüten wie zigtausend andere biologische Gegenstände auszeichnet, verständlich zu machen. Ist das eine bloße faÅon de parler, oder eine unumgängliche Beschreibungsweise, um der Eigenart evolvierender Subjekte gerecht zu werden?23 Es ist die große Frage, woher die Zweckkategorie stammt, die hier im erzählenden Kontext so selbstverständlich zur Hand geht und die Rede von der Evolution so plausibel erscheinen lässt. Ist sie nur von uns als Betrachtern übergestülpt oder ergibt sie sich aus der Natur der Sache? Das allerdings ist ein eigenes Thema, dessen eingehendere Behandlung ich an anderer Stelle vorgenommen habe24.
23 Hans-Walter Leonhard hat in einem Beitrag (zu: Antweiler/Lammers/Thies 2008, S. 151) mit Recht darauf hingewiesen, dass die übliche Entschuldigung der Biologen nicht nachvollziehbar ist, wenn sie behaupten, diese Metapher sei unvermeidlich, solle aber nichts besagen. „Mir sind solche absichtlich falsche Redeweisen aus keiner anderen Wissenschaft bekannt, und mir ist auch nicht einsichtig, worin das Problem liegen soll, das zu dieser Redeweise zwinge.“ 24 Kummer 2009, S. 535 – 547.
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Hans-Dieter Klein
Species, Deszendenz, Evolution
Ancient science shed light on some fundamental terms in the course of a formal logic progression that strangely enough back then, but also even until today, has proven to be copious for theoretical Biology and further more for Natural Science. In this case the focus is especially on the terms species, genus, unity, diversity, the whole, the part. Aristoteles, founder of the formal logic and also the systematic zoology, uses the mentioned terms in the field of formal logic as well as in Biology. These definitions are still valid in today’s Biology although they have changed through the Theory of Evolution, which actually needs to be considered as a basic science theory of Biology itself. This can also be seen regarding the issue of constancy of species. With reference to the Theory of Evolution the significance of teleological concepts needs to be discussed under current conditions As a matter of fact the former concepts of Aristoteles occur in today’s Theory of System in a converted way. This is namely the basis for theoretical Biology ; it even reaches beyond and shows also relevance for theories of inorganic systems. Therefore a perspective arises on the discussion of difference between organic and inorganic nature. „The origin of species“ – der Titel des epochemachenden Werkes von Charles Darwin indiziert, dass der species-Begriff, der Grundbegriff der antiken Biologie, durch die Deszendenztheorie nicht einfach verabschiedet, wohl aber verwandelt wird. Es handelt sich hier freilich schon um den modernen speciesBegriff, welcher – seit Buffon1 – als Fortpflanzungsgemeinschaft definiert wird. Species und Evolution setzen einander voraus: Evolution ist Evolution der Arten, Arten sind – vorübergehende – Resultate der Evolution. Jedoch sind die Mechanismen der Evolution (Variation, Selektion usw.) sinnvoll nur im Kontext von Fortpflanzungsgemeinschaften, also von Arten. Fortpflanzungsgemeinschaften benötigen freilich eine gewisse, wenn auch keine absolute Konstanz. Es bleibt der Wissenschaftsgeschichte überlassen, zu klären, wie absolut die Kon1 Hösle / Illies 1999, S. 50.
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Hans-Dieter Klein
stanz der Arten bei Platon, Aristoteles und anderen im Detail konzipiert wurde, beziehungsweise wie weit sogar schon in der Antike von einzelnen Autoren eine gewisse Variationsfähigkeit von Arten in Rechnung gestellt wurde. Die Evolutionstheorie jedenfalls arbeitet mit einem korrigierten, dynamischen Begriff der Artkonstanz. Die Deszendentheorie verändert auch ein weiteres Grundkonzept der traditionellen Biologie, nämlich das Konzept der Organzweckmäßigkeit. Diese kann verbindlich beurteilt werden lediglich durch den Bezug auf Arterhaltung. Alle anderen Kriterien, zum Beispiel der Nutzen für den Menschen oder für andere Arten, bleiben beliebig und sind daher ungeeignet. Unzweifelhaft ist jedoch die Tatsache, dass die Organe der Organismen hinreichend zweckmäßig sein müssen zum Zweck der Arterhaltung, da andernfalls Organismen aussterben würden. Soweit stimmt die moderne Biologie mit Annahmen überein, die schon Aristoteles vertreten hatte. Was aber ist der Grund für die offensichtliche Organzweckmäßigkeit? Die traditionelle Theorie postulierte hier ein ontologisches Prinzip der Naturzweckmäßigkeit. Als die neuzeitliche Physik und damit das Konzept einer lückenlosen Gültigkeit der physikalischen Kausalität entdeckt wurde, ergab sich eine kontroverse Diskussion, ob Naturzweckmäßigkeit überhaupt noch vertreten werden konnte. Viele, zum Beispiel Bacon, hielten dieses Prinzip für eine Täuschung, für ein Idol. Die Deszendenztheorie bietet nun in dieser Diskussionslage eine neue Lösung an: sie ist in der Lage, zu erklären, wie das offensichtliche Phänomen der Organzweckmäßigkeit zustande kommt allein durch die Gültigkeit der physikalischen Gesetze. Die Deszendenztheorie macht also dem ersten Anschein nach die ontologische Annahme einer Zweckmäßigkeit der Natur überflüssig. Die Möglichkeit, das Phänomen der offensichtlichen Organzweckmäßigkeit erklären zu können aus der causa efficiens allein (ohne Zuhilfenahme einer causa finalis) muss der Biologie umso willkommener sein, als die neuzeitliche Physik jede Möglichkeit einer Wechselwirkung zwischen physikalischen Objekten und nichtphysikalischen Entitäten eliminiert hat: die Erhaltungssätze und Invarianzen fordern, dass jede Entität, welche mit physikalischen Objekten wechselwirkt, selbst ein physikalisches Objekt ist. Dieses Argument hat bereits Leibniz herangezogen, um den cartesischen Leib-Seele-Dualismus zu widerlegen. Allerdings haben bereits Platon und Aristoteles vermutlich die Relation zwischen causa efficiens und causa finalis nicht als Wechselwirkung konzipiert. Die Darwinsche Deszendenztheorie jedoch eröffnet erstmalig die Möglichkeit, das Phänomen der offensichtlichen Organzweckmäßigkeit erklären zu können aus der causa efficiens, das heißt also der physikalischen Kausalität allein. Allerdings müssen wir ein Argument berücksichtigen, welches Peter Schuster in diesem Zusammenhang mehrfach vorgebracht hat: „Was mich fasziniert und
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bewegt, ist der relativ schmale Korridor in der Vielfalt aller möglichen Welten, durch welchen der Pfad vom Anfang der naturwissenschaftlichen Vorstellungen des Urknalls bis zum heutigen Kosmos führt. Meine Freunde aus der Kosmologie sagen mir, dass eine kleine Änderung der Naturkonstanten völlig andere Welten ergeben würde. Die präbiotische oder chemische Evolution auf der Erde benötigt einen ziemlich schmalen Temperaturbereich, und die Entwicklung der Biosphäre im Sinne der biologischen Evolution von den Urformen des Lebens bis zum Menschen ging durch eine nicht kleine Zahl von ,Nadelöhren‘, welche durch klimatische und andere widrige Umweltbedingungen bestimmt waren. Das erfolgreiche Zusammenspiel dieser vielen Bedingungen erscheint mir höchst bemerkenswert, und hier und nicht durch Eingriffe in den Verlauf der biologischen Evolution, so könnte ich mir vorstellen, wäre Raum für einen Brückenschlag zwischen Theologie und Naturwissenschaft.“2 Dieses von Peter Schuster vorgebrachte Argument stimmt überein mit der Strategie, welche schon Leibniz eingeschlagen hatte, um die Relation von causa efficiens und causa finalis zu bestimmen. Die Zweckmäßigkeit der physikalischen Gesetze selbst sowie die günstigen „Korridore“ lassen sich durch die Konzeption von Multiversen nicht eliminieren, sondern nur in noch weiter zurückliegende Anfänge verschieben: denn immer wird eine nicht überbrückbare Differenz zwischen den faktisch geltenden Gesetzen der Physik und der Menge das mathematisch Möglichen bestehen bleiben. Das heißt also, die faktisch gültigen Gesetze der Physik werden immer den Charakter der zufälligen Gültigkeit behalten. Wäre dies nicht so, dann ließe sich irgendwann die methodische Differenz zwischen Mathematik und Physik beseitigen, es ließe sich die Physik zuletzt vollständig aus der Mathematik ableiten. Es wäre also durch hinreichenden Erkenntnisfortschritt ein Status zu erklimmen, in welchem die Physik auf empirische, experimentelle Überprüfung ihrer Sätze verzichten könnte. Nichts spricht dafür, vielmehr müssen wir davon ausgehen, dass Mathematik und Physik für alle Zeiten methodisch wohlunterscheidbare und getrennte Disziplinen bleiben werden. So bleibt es also dabei, dass die Physik stets Naturkonstanten und Relationen ansetzen muss, die nicht physikalisch begründet werden können, sondern nur als faktisch gültig anerkannt werden müssen. Diese, sowie die von Schuster erwähnten „schmalen Korridore“ eröffnen dem Denken grundsätzlich die Möglichkeit, teleologische Prinzipien in Erwägung zu ziehen. Diese Möglichkeit ist durch die Deszendenztheorie keineswegs versperrt, sondern in genau derselben Weise ernst zu nehmen, wie dies bei Leibniz und Kant exponiert wurde. Da die Deszendenztheorie erklären kann, wie zweckmäßige Strukturen in der Natur zustande kommen, ist sie auch in der Lage, die Entstehung des Mentalen in 2 Schuster 2007, S. 56.
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der Natur zu erklären. Denn der Funktionalismus zeigt, wie im Übrigen schon seit Platon und Aristoteles, dass allen mentalen Vorgängen funktional, das heißt zweckmäßig organisierte Prozesse im Gehirn zugeordnet werden können. Jeder mentale Akt kann demnach funktionalistisch rekonstruiert werden. So wird die Deszendenztheorie auch Begründungstheorie der Psychologie. Allerdings tut sich hier eine fundamentale Schwierigkeit auf: wir müssen nämlich im mentalen Bereich zwischen Erste-Person-Perspektive und DrittePerson-Perspektive unterscheiden. Kleine Kinder müssen beim Spracherwerb erst allmählich lernen, sich der ersten Person zu bedienen. Zunächst beziehen sie sich auf sich selbst in Formen der dritten Person, indem sie etwa ihren Eigenoder Kosenamen verwenden, zum Beispiel: „Butzi will den Ball!“ Erst allmählich lernen sie zu sagen: „Ich will den Ball!“ Nun zeigen grammatische Analysen, dass ein Satz, welcher in erster Person formuliert ist, transformierbar ist in einen Satz, welcher sich der dritten Person bedient. Dennoch sind erste und dritte Person nicht äquivalent, sondern durch die erwähnte Transformation wird die Innenperspektive der ersten Person in die Außenperspektive der dritten Person verwandelt, das heißt das Subjekt wird als Objekt betrachtet. Dies ist stets möglich, ja sogar erforderlich: stets ist das Ichsubjekt in der Lage, sich selbst zu objektivieren. Dennoch ist dieser Vorgang zugleich eine Reduktion, das heißt es wird dabei von der Subjektivität des Subjekts abgesehen. Zwar ist es dem Subjekt stets möglich, sich zu objektivieren, nicht möglich ist es aber, das Subjekt auf ein Objekt zu reduzieren. Daher ist es auch nicht möglich, das Subjekt aus der Welt der Objekte zu erklären. Daher wissen wir seit Descartes, dass wir philosophisch beim Ich einsetzen müssen und nicht bei den Objekten. Denn als Objekte für das Ich können wir die Objekte sehr gut konstituieren, hingegen können wir aus einer als ichlos angesetzten Welt der Objekte niemals mehr die Ichgenese erklären. Die Ichperspektive ist auch konstitutiv für die Methode der Physik: ohne Ichperspektive keine Physik! Dies betrifft zwei Aspekte: – Erstens stützt sich die Physik auch auf das, was wir sehen, hören, riechen usw. Nun ist „rot“ dreierlei: erstens das Rot, das ich sehe, zweitens die dieser Wahrnehmung korrespondierenden Prozesse in meinem Gehirn, drittens elektromagnetische Wellen in einem bestimmten Frequenzbereich. Das Rot, das ich sehe, ist zwar nicht denkbar ohne Gehirnprozesse und elektromagnetische Wellen, jedoch lässt es sich nicht auf diese beiden Prozesse reduzieren.3 – Zweitens sind die mathematischen Konzepte, welche die Physik heranzieht, um ihre Gesetze zu formulieren, konstituiert durch das Ich. Mathematische 3 Klein 2002, S. 37; vgl. auch Jackson 1986.
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Entitäten (Zahlen, Mengen) werden konstituiert durch selbstreferentielle Imperative4, in welchen geboten wird, einen Erzeugungsvorgang immer weiter zu führen, unbegrenzt zu wiederholen. Diese Imperative lassen sich nicht durch Axiome ersetzen5. Denn jede Beschreibung (etwa der Progression der natürlichen Zahlen oder der absoluten Wohlordnung oder der Klasse aller reinen Mengen) durch Axiome oder Axiomenschemata einer Sprache mit Sätzen endlicher Länge ist inkorrekt oder unvollständig oder zirkulär. Imperative aber implizieren Personalia und Personalia lassen sich nicht definieren ohne den Ich-Jetzt-Indikator. Also sind Mathematik (und formale Logik) ohne Ich nicht denkbar6. Nimmt man beide Aspekte zusammen, so ergibt sich daraus, dass physikalische Objekte ohne Konstitution durch das Ich undenkbar sind. Der reduktionistische Physikalismus ist demnach ein Physikalismus ohne Physik und ohne physikalische Objekte, er entzieht sich selbst seine eigene Existenzgrundlage. Unverzichtbar hingegen ist, wie oben mit Leibniz unter Berufung auf Invarianzen und Erhaltungssätze gezeigt wurde, der nichtreduktionistische Physikalismus. Sind wir nun belehrt, dass der nichtreduktionistische Physikalismus, der auch der Deszendenztheorie zu Grunde liegt, denkbar nur ist als konstituiert durch das Ich, dann sind wir zugleich veranlasst, noch einmal das Problem der Teleologie zu betrachten: In der Innenperspektive des handelnden Ich sind Zwecke real, wir können nicht handeln, wenn wir nicht im Handeln von der Annahme der Realität unserer Handlungszwecke für unser Handeln ausgehen. Daher gibt es einen Ort in unserem Universum, wo wir nicht bloß Zweckmäßigkeit als Effekt von Mechanismen feststellen, sondern wo wir causa finalis als real begründend unterstellen müssen: andernfalls könnten wir uns nicht für unsere Handlungen, zum Beispiel für die von uns durchgeführten physikalischen Experimente, verantwortlich fühlen. Daher ist es nicht sinnvoll, Gott heranzuziehen, um die Realität der causa finalis zu begründen. Vielmehr zeigt sich die Realität von causa finalis unmittelbar in unserem Handeln. Sie ist sowohl bei der Erzeugung der mathematischen Entitäten, als auch bei der Durchführung physikalischer Experimente bereits vorausgesetzt. Sind wir so gezwungen, die Realität von Zwecken in unserem Handeln annehmen zu müssen, dann ist diese Gewissheit eine Operationsbasis, von welcher wir auch Gründe für die Existenz Gottes in Erwägung ziehen können, nicht 4 Blau 2008, S. 114 ff. 5 Blau, a.a.O., S. 110. 6 vgl. auch Blau, a.a.O., S. 17.
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jedoch umgekehrt. So hat es Kant in seiner Lehre von den Postulaten der praktischen Vernunft bei gleichzeitiger Kritik an theoretisch begründeter Theologie und am teleologischen Gottesbeweis zur Diskussion gestellt. Die Annahme des Ich als Prinzip der Philosophie scheint in Schwierigkeiten zu führen, die indes in den vergangenen Jahrhunderten seit Descartes ausführlich durchargumentiert wurden und überwunden sind. So konnte nachgewiesen werden, dass die egologische Begründung der Philosophie nicht in Solipsismus führt, da wir unsere Gegenstände zwar konstituieren, aber nicht hervorbringen, nicht schaffen7. Daher ist das Ich nur denkbar, wenn Entitäten, welche selbst nicht Iche sind und zugleich unabhängig vom Ich bestehen, existieren. Weiters ist mehrfach gezeigt worden, dass der Ichbegriff ohne die anderen Personalia nicht gedacht werden kann8, sodass die soziale Verwurzelung und Einbettung des Ich bereits als dessen Existenzbedingung aus dem Ichbegriff selbst demonstriert werden kann und muss. Gegenstände, welche das Ich nicht schafft, sind diesem gegeben in der Wahrnehmung. Die wahrgenommenen Gegenstände sind für uns Kontinua (ausgedehnt), auf welche wir mathematische Konzepte durch Messung und Berechnung beziehen können. Zenon hatte bereits intuitiv erkannt, dass Mathematik das Kontinuum niemals erreichen kann. Platon verweist in diesem Sinne darauf, dass der gezeichnete oder gedrechselte Kreis kein Kreis ist (7. Brief)9 Diese seine Auffassung lässt sich mit den Mitteln der heutigen Logik und Mathematik technisch stringent beweisen10. Für die Grundlagentheorie der Biologie ist nun interessant, dass Platon und Aristoteles der Auffassung waren, dass Kontinua in der Natur nur als individuelle Repräsentanten eines edos, einer species, denkbar sind. Denn mathematisch lässt sich die Einheit des kontinuierlichen Gegenstandes nicht verstehen. Da er aber offensichtlich Einheit ist und diese ja auch in der Mathematik stets vorausgesetzt, wenn auch nie durch Rekonstruktion erreicht wird, muss seine Einheit durch außermathematische Aspekte konstituiert werden – diese Aspekte versuchen Platon und Aristoteles in der Selbstorganisation des sich selbst erhaltenden und dabei seine species repräsentierenden Individuums (Platon: Autokinesis, Aristoteles: Entelecheia, Kant und Schelling: Selbstorganisation) zu finden. Zugleich wird von ihnen das Individuum, welches als Repräsentant seiner species sich selbst in sich zweckmäßig organisiert, als Einheit mit Innerlichkeit nach Analogie des Ich, als Psych¦, konzipiert. 7 8 9 10
Kant AA III, B 274ff (= AA IV, A 226 ff.). Düsing 1986. Platon, 342c. Blau 2008, a.a.O., sowie Blau 1991, S. 45 ff.
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Die Innerlichkeit lässt sich beim Ich nicht leugnen. Der Versuch jedoch, Innerlichkeit auch bei jenen Systemen der Natur, welche nicht Iche sind, zu postulieren, wie Platon und Aristoteles dies versuchten, wird nicht überall Zustimmung finden. Interessant in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass in der Quantentheorie zwischen beobachtendem (messendem) und beobachteten (gemessenen) System unterschieden werden muss. Es ergibt sich nun die Frage, ob dieser Unterschied lediglich wissenschaftstheoretische oder auch ontologische Bedeutung hat. Sollte letzteres zutreffen, dann müsste man ein Analogon zur Subjekt-Objekt-Differenz auch in der anorganischen Natur postulieren. In diesem Fall wäre es sinnvoll, den Aspekt der Innenperspektive für alle natürlichen Systeme, also auch im Bereich der anorganischen Natur, zu postulieren, wie dies Leibniz in seiner Monadologie tatsächlich versucht hat11. Wenn uns die philosophische Einsicht in die konstitutive Rolle des Begriffs des handelnden Ich zu einer Rehabilitierung der causa finalis geführt hat, dann ergibt sich daraus eine weitere Frage: Ist es sinnvoll, nach einem Endzweck der gesamten kosmischen Evolution zu suchen? Um in dieser Frage einer Klärung näher zu kommen, ist es hilfreich, sich auf die Grundlagen der Ontologie zu besinnen. Als im antiken Griechenland von Parmenides an bis zu Aristoteles die noch heute gültigen Grundlagen der formalen Logik entdeckt wurden, wurde den Pionieren dieser Disziplin sofort klar, dass die logischen Gesetze nicht nur Regeln für das korrekte Denken des Menschen, sondern zugleich Grundstrukturen alles Seienden überhaupt darstellen. Wir müssen davon ausgehen, dass etwa der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht nur eine Regel zur korrekten Bildung von Sätzen ist. vielmehr müssen wir postulieren, dass korrekte Sätze nur deshalb sich auf Seiendes beziehen können, weil dessen Grundstrukturen mit denen korrekter Sätze übereinstimmen. Alles Seiende ist demnach logisch – und demnach auch mathematisch – strukturiert. „Denken und Sein sind ein- und dasselbe“, sagte bekanntlich in diesem Sinne schon Parmenides. Dieser Grundgedanke zieht sich durch die gesamte Geschichte, wir finden ihn bei Aristoteles ebenso wie bei Carnap, Wittgenstein und andren, freilich jeweils in mannigfaltigen Modifikationen und Abwandlungen. Dieser Satz zeigt aber ein Doppeltes: Einerseits ist der Kosmos alles Seienden logisch und mathematisch strukturiert. Andererseits gibt es innerhalb des Kosmos Individuen, Iche, welche über logische und mathematische Kompetenz verfügen, welche also die formalen Grundstrukturen des Kosmos in sich selbst abbilden und zur Regulierung ihres eigenen Verhaltens einsetzen. Die Deszendenztheorie kann sehr gut erklären, wieso die kosmische Evolution früher oder später zur Herausbildung von Ich-Populationen, das heißt also 11 Klein 2006, insbes. S. 95 ff.
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von Populationen, deren Verhalten durch ihre logisch-mathematische Kompetenz gesteuert wird, führt. Denn zum Unterschied von Spezialanpassungen, welche zur Fitness in einer bestimmten Umwelt beitragen, wie zum Beispiel die Pferdehufe zum Laufen auf dem Steppenboden, ist logisch-mathematische Kompetenz eine Universalanpassung, welche potentiell Fitness in jeder beliebigen Umwelt erreichen kann. Dass es schließlich zu Populationen mit Universalanpassung kommen kann, ist daraus zu erklären, dass bereits für Spezialanpassungen Teilkompetenzen im logisch-mathematischen Bereich erforderlich sind. So muss zum Beispiel das Gehirn einer Fliege komplizierte Berechnungen anstellen, um die virtuose Flugorientierung, die wir beobachten können, zustande zu bringen. Diese Betrachtungen legen es nahe, die Existenz von Naturwesen mit logischmathematischer Kompetenz, das heißt also von Ichen, als Endzweck der kosmischen Evolution in Erwägung zu ziehen. Nun müssen wir bei der Prüfung dieses Gedankens ein Argument heranziehen, welches der Analyse unserer Handlungszwecke entstammt und insbesondere von Kant in der Ethik vorgebracht wurde: wir müssen unterscheiden zwischen Handlungszwecken, welche als Mittel für andere Zwecke gewählt werden (hypothetische Zwecke) und solchen Handlungszwecken, welche wir um ihrer selbst willen und nicht bloß als Mittel zu anderen Zwecken anstreben (kategorische Zwecke). Nun zeigt die philosophische Ethik, dass wir unsere logisch-mathematische Kompetenz nicht nur zur Ermittlung hypothetischer, sondern vor allem zum Erkennen kategorischer Zwecke einsetzen. Vernünftigkeit, logisch-mathematische Kompetenz, erweist sich so als Endzweck. Daraus folgt, dass es moralisch geboten ist, Wesen mit logisch-mathematischer Kompetenz, Iche, Vernunftwesen stets als Endzwecke zu behandeln. Ich sind demnach – dies lehrt uns die Ethik – Endzwecke. Daraus aber müssen wir folgern, dass die Entstehung von Ichen als Endzweck der kosmischen Evolution postuliert werden muss. Wir haben gesehen, dass die Mechanismen der Deszendenz von Organismen, deren Entstehung zuletzt eine Folge der physikalischen Gesetze selbst ist, von selbst zur Evolution von Ich-Populationen führen. Allerdings sind dazu jenes Set von physikalischen Gesetzen, welches faktisch gilt, und jene „schmalen Korridore“, von denen Peter Schuster spricht, erforderlich. Da wir – mit Kant – als Postulat der praktischen Vernunft sagen müssen, dass die Entstehung und Existenz von Ichen Endzweck der kosmischen Entwicklung ist, schlage ich vor, terminologisch zwischen Evolution und Deszendenz zu unterscheiden12. Man könnte den Terminus Evolution vorwiegend gebrauchen, um die kos12 Klein 2006, S. 20 ff.
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mische und biologische Entwicklung auf den definierten Endzweck, die Existenz von Ichen, zu beziehen. Zu Recht hat Darwin darauf bestanden, dass sich die biologische Forschung von Wertungen freihält, und daher auch Begriff wie „höher“ und „niedriger“ strikt vermeidet. Als Terminus für diesen, auf die causa efficiens methodisch beschränkten Begriff der kosmischen und biologischen Entwicklung bietet sich eher das Wort Deszendenz an.
Literatur Blau, U.: „Zenon“, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie, Band XXII. Wien 1991, S. 45 ff. Blau, U.: Die Logik der Unbestimmtheiten und Paradoxien. Heidelberg 2008. Düsing, E.: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Köln 1986. Hösle, V. / Illies, Ch.: Darwin. Freiburg im Breisgau 1999. Jackson, F.: „What Mary didn’t know“, in: The Journal of Philosophy 83, 1986. Kant, I.: Gesammelte Schriften. Hg. v. der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften (Akademie-Ausgabe). Berlin 1900 ff (= AA). Klein, H.-D.: System der Philosophie, Band 1, Untersuchungen zur Kritik der Vernunft. Frankfurt a.M. 2002. Klein, H.-D.: System der Philosophie, Band 2, Naturphilosophie, Frankfurt a.M. 2006. Schuster, P.: „Evolution und Design. Versuch einer Bestandsaufnahme der Evolutionstheorie“, in: Schöpfung und Evolution, hg. Stephan Otto Horn SDS und Siegfried Wiedenhofer. Augsburg 2007, S. 25 – 56.
Hans Poser
Evolution – ein geschichtsmetaphysisches Deutungsschema
Since Lamarck and Darwin sciences on historical processes with chance elements cannot be imagined without evolution theories. They spread out from biology and social Darwinism to the area of the culture, epistemology and ethics. But what is their topic – a description of a fact? Or a hypothetical theory? To clarify their state it is necessary to look at elements they all have in common – mutation / selection / retention – to show that classical methods of the hypothesis examination drop out because it is a matter of our intellectual understanding of chance. But it is presupposed as an ontic chance – which cannot be checked just as it is the case with Aristotelian finality or the modern causality : They all cannot be observed. This implies to understand evolution not as a natural phenomenon, but as our scheme of thought (Whitehead), as our mental model of mastering contingency : Evolution is a historico-metaphysical interpretation pattern. Modelle der Evolution bestimmen heute die Weltsicht. Sie beherrschen unser wissenschaftliches Verständnis des Universums von seiner Genese aus einem Hochenergieplasma über die Ausbildung von Materie, Körpern, Lebewesen, Gesellschaften, Kulturen und Techniken. Doch wissenschaftstheoretisch gesehen sind sie immer noch weitgehend eine terra incognita – und dieses, obwohl sie uns mit gänzlich neuen Problemen konfrontieren, die von der Anerkennung eines ontischen, also nicht bloß epistemischen Zufalls bis zur Frage nach dem Sinn von Sein reichen. Hier ist etwas Nüchternheit geboten. Ohne nun die eminente Fruchtbarkeit evolutionstheoretischer Modelle zu bestreiten, soll es im Folgenden um die Klärung einiger ihrer Voraussetzungen gehen, mündend in drei Leitthesen: – Modelle der Evolution dienen der Kontingenzbewältigung, weil sie dem Zufall einen systemspezifischen Platz zuweisen. – Kontingenzbewältigung ist das Bemühen, den Weltlauf einsichtig zu machen, damit die Zukunft den Schrecken der Undurchschaubarkeit verliert.
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– Dazu werden metaphysische Voraussetzungen gemacht, d. h. Voraussetzungen, die weder der Empirie entstammen noch aus formalen Bedingungen herleitbar sind. – Diese erlauben, Evolution als geschichtsmetaphysisches Deutungsschema zu verstehen. Dabei wird es im ersten Schritt um Evolution als Kontingenzbewältigung gehen. Das soll im zweiten Schritt an der Struktur des Evolutionsmodells und seinen Voraussetzungen vertieft werden, um im dritten die These von der metaphysischen Beschaffenheit dieser Bedingungen herausarbeiten zu können.
1.
Evolution als Kontingenzbewältigung1
Vor 200 Jahren wurde Darwin geboren – Zeitungen und Fernsehen berichten über seine Ideen fast täglich; aber das erklärt nicht, warum sich seine Evolutionstheorie ausbreitete und zunächst als Sozial-Darwinismus auf die Gesellschaft, später und bis heute auf zahlreiche Phänomene bezogen wird, nämlich auf die Sprache, die Technik, die Kultur gerade so wie die Religion bis hin zur Ausbildung einer Evolutionären Ethik und Evolutionären Erkenntnistheorie.2 Warum ist es so faszinierend, ein Modell der Biologie in solcher Breite fast überall aufzunehmen? Eine auf die Religion bezogene Prägung Hermann Lübbes aufnehmend, kann man dieses Anliegen als Kontingenzbewältigung bezeichnen.3 Kontingenzbewältigung ist das Bemühen, getragen von unserem geradezu existenziellen Bedürfnis, den Weltlauf einsichtig zu machen, damit das Morgen, die Zukunft, den Schrecken der Undurchschaubarkeit verliert. Modelle der Evolution dienen hierzu, gerade weil sie dem Zufall einen systemspezifischen Platz zuweisen. Doch wie weit vermag das zu gelingen? Dass es hinter allem Werden und Vergehen ein Beharrendes, also ein Verlässliches und der Kontingenz Entzogenes gebe, fand sich in den kosmogonischen Mythen in der Gestalt eines Schöpfers. Das erwachende philosophische Denken, beginnend bei den ionischen Naturphilosophen, suchte nach einer begründenden Deutung eines solchen Beharrenden. Denn wenn alles fließt, muss es wenigstens, wie Heraklit meint, einen unveränderlichen logos geben. 1 Die folgenden Überlegungen nehmen Teile eines früheren Aufsatzes von mir auf und führen sie weiter: Poser 2007a, S. 239 – 252. 2 Einen Überblick gibt Buskes 2008. 3 Hermann Lübbe bezieht diesen Begriff auf die Religion; vgl. Lübbe 1986. Doch seine Analysen der Technikevolution lassen die vorgenommene Übertragung zu: Lübbe 1990, Kap. 9: Technische Evolution als Faktor der Selbsthistorisierung unserer Zivilisation, sowie S. 131.
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Oder moderner formuliert, wenn sich nie Gleichartiges gesetzmäßig ereignete, könnten wir die Welt niemals erkennen. Die Erkennbarkeit der Welt, gegründet auf ihren logos, war wiederum gewährleistet durch ihre Deutung als Werk eines weisen Schöpfers: Wenn menschliches und göttliches Denken nicht prinzipiell, sondern nur graduell voneinander verschieden sind, so musste die grundsätzliche Verstehbarkeit der Schöpfung gesichert sein. Die Erfassung des Wandels mit Hilfe von Gesetzen nach dem Vorbild ewiger Wahrheiten Platons und deren Abbild in Mathematik und Geometrie, sichtbar im ewigen Lauf der Gestirne, wurde der Leitgedanke aller Erfahrungswissenschaften. Die aristotelische Theorie der Finalursachen diente ihm geradeso wie die kausalen, induktiv gewonnenen Theorien der Neuzeit, wie Galilei und Descartes sie suchten. Der diese Gesetze nachzeichnende Menschgeist wurde in dieser Perspektive als die notwendige Krönung der Schöpfung gesehen, wurde doch so für Leibniz über die Einsicht in die Vernünftigkeit, Zweckmäßigkeit und Harmonie des Schöpfungsplanes der Schöpfer selbst erfahrbar. Die kausale Weltsicht zielte darauf ab, diejenigen Gesetze zu ermitteln, die es gestatten würden, im Sinne des Musterbilds des Laplaceschen Dämons aus je gegebenen Bedingungen in Prognosen jeden künftigen und in Retrodiktionen jeden vergangenen Zustand der Welt zu berechnen. Die Erweiterung um statistische Gesetze, gar als quantentheoretische Grundgesetze, schien hieran nichts Wesentliches zu ändern, galten sie doch nur für den Bereich des Mikrokosmos, während sich makroskopische Phänomene weiterhin kausal deuten ließen. Diese an der Physik orientierte Sicht war seit der Renaissance so mächtig geworden, dass sie zeitweilig zum Leitbild der Wissenschaftlichkeit schlechthin geworden war ; selbst die Geisteswissenschaften, von den Sozialwissenschaften zu schweigen, sollten sich ihm anbequemen. Die neuzeitliche Suche nach ewigen Gesetzen der Natur hat einen ungeheuren Reichtum an Wissen, an Naturverständnis und an Handlungsmöglichkeiten bis in die Technologie der Gegenwart mit sich gebracht. Heute aber sind uns ihre Voraussetzungen deutlicher geworden denn je zuvor: Die kausale Sicht hatte die finale Sicht und mit ihr die Verankerung von Zwecken in der Natur verdrängt, mehr noch, ihr verdinglichender Zugriff hatte die als unerschöpflich verstandene Natur zur bloßen Materie und mit ihr die Lebewesen, ja den Menschen zur Maschine werden lassen. Die Betrachtung unter dem Blickwinkel von Gesetzen führte weiter dazu, nur noch das Allgemeine statt des Individuellen, das Universelle statt des Einmaligen, das Schema statt der unerschöpflichen Fülle jedes Augenblicks, das Beharrende statt des Geschichtlichen zu sehen. Das erlebte Leben und die wissenschaftliche, auf Objektivität und Intersubjektivität abzielende Erfassung der Welt rückten weit auseinander. Bis zum 17. Jahrhundert wurde Geschichte als eine Folge kontingenter Tatsachen verstanden, die als solche jede Art der Erklärung ausschloss. Doch zu-
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gleich wurde offensichtlich, dass die Erde eine Geschichte hat, weshalb sich die Geschichte der Natur von einer bloßen Aufzählung und Beschreibung unabhängiger Tatsachen unterscheiden musste. So verfasste Leibniz seine Protogaea, eine Erdgeschichte, die sich auf Versteinerungen gründet und formuliert vorsichtig: „Manche gehen so weit, dass sie glauben, es seien einst, als der Ozean alles bedeckte, die Tiere, die heute das Land bewohnen, Wassertiere gewesen, dann seien sie mit dem Zurückgehen dieses Elements allmählich Amphibien geworden und hätten sich schließlich in ihrer Nachkommenschaft ihrer ursprünglichen Heimat entwöhnt. Doch solches widerspricht den heiligen Schriftstellern,“4 weshalb Leibniz an dieser Stelle diese Linie nicht weiter verfolgt, obwohl sie sich bruchlos in seine eigenen Substanzenlehre aufnehmen lässt. Seither ist jedoch die Frage unausweichlich, ob dies eine Geschichte der Schöpfung oder eine Geschichte nach der Schöpfung sei oder gar ohne sie auskommen könne, ob sie etwa Teil der mosaischen Genesislehre ist oder vielmehr deren Widerlegung. Das Verständnis von Geschichte änderte sich damit grundlegend. Auch methodisch wurde ein Neuansatz sichtbar – nämlich ein methodisch-philologisches Vorgehen, das endlich zu den Geschichtswissenschaften anstelle bloßer Chronistik führte: Die Synthese lässt sich ebenfalls bei Leibniz beobachten, denn die Protogaea sollten seiner Geschichte des Welfenhauses vorangesetzt werden, wobei – mehr noch – dieser Weltlauf mit seinen Geschicken von ihm als die Wahl Gottes unter unendlich vielen möglichen Welten verstanden wurde. Bei alledem wird zugleich das Grundproblem sichtbar : Wie lässt sich das Veränderliche erfassen und der Zufall bändigen, wie kann man Ordnung in Kontingentes hineintragen, um eine Orientierung auch hier zu gewinnen? So war das Erfordernis offensichtlich, eine theoretische Möglichkeit zu finden, historische Prozesse zu verstehen: Alle dynamischen Prozesse haben eine Geschichte und bedürfen deshalb einer Art Erklärung, die zugleich ihren Bezug zu einer Gesamtdeutung der Welt zum Problem werden lässt. So war Descartes 1644 vorsichtig genug, seine Wirbeltheorie der Principia philosophiae nicht als Theorie der tatsächlichen Genese des Kosmos aus der ersten Materie zu formulieren, sondern im Konjunktiv als eine nützliche Fiktion zu entwickeln (III. 4 und 19, sowie IV.1); doch schon Kant und Laplace ließen in ihrer Theorie der Weltentstehung keinen Zweifel daran, dass es in der Welt keinen Platz für einen Schöpfergott gibt. Auf Napoleons Frage, wo Gott in seinem Universum Platz finde, soll Laplace geantwortet haben: „Sire, je n’ai pas besoin de cette hypothÀse l.“ Nicht anders glaubte heute Stephen Hawking argumentieren zu können, weil in dem von ihm durchgerechneten Universum kein Platz für eine göttliche Entscheidung bleibe. Doch damit ist erst ein Zipfel des Pro4 Leibniz 1949, S. 24.
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blems berührt, denn fraglos lässt sich jener Ausweg beschreiten, den schon Deisten des 17. Jahrhunderts fanden: Diese ganze kosmische Entwicklung erfolge nach einem göttlichen Plan, sie sei in jedem Schritt Verwirklichung der Schöpfung durch naturgesetzliche Entfaltung, die Gott vorhersah, auch wenn wir zu solcher Vorausschau nicht fähig sind. Mag dieser Ausweg (um der Berücksichtigung menschlicher Freiheit und Verantwortung willen verbunden mit einer Unterscheidung von praevisio und praedeterminatio) immer noch bestehen und damit Hawkings Feststellung zur nichtssagenden Trivialität werden lassen, so bleibt doch das viel tiefergehende Problem bestehen, wie sich die Frage des Verhältnisses von Schöpfung und Entwicklung gegenüber dem Phänomen der Zweckhaftigkeit des Pflanzlichen und Tierischen oder gar gegenüber dem Geistigen verhält; denn hierin sah noch die Physikoteleologie des 18. Jahrhunderts die Widerlegung des Deismus zugunsten des Nachweises eines planenden, Ziele und Zwecke setzenden und verwirklichenden Gottes. Kausale Modelle hingegen erwiesen sich dabei als zu eng und scheiterten. Die physikoteleologische Lösung wies Kant jedoch zurück, weil sie wie alle ontologischen Gottesbeweise wegen der Eingegrenztheit der Existenz auf transzendentale Bedingungen der Erkenntnis scheitern muss.5 Dennoch: „Es ist […] ganz gewiß“, schrieb Kant 1790 in seiner Kritik der Urteilskraft, „daß wir die organisirten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Principien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können; und zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann: es ist für Menschen ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, daß noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde“.6 Kant wollte damit verdeutlichen, dass wir über eine objektive Absicht, über einen Zwecksetzer in der Natur als erste Ursache empirisch nichts ausmachen können – und dass es deshalb den Newton des Grashalms nicht geben könne –, dass wir aber sehr wohl als ein „kritisches Princip für die reflektierenden Urtheilskraft“ den „Begriff einer objektiven Zweckmäßigkeit in der Natur“ annehmen müssen;7 oder etwas differenzierter : „so wird der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur in ihren Producten ein für die menschliche Urtheilskraft in Ansehung der Natur nothwendiger, aber nicht die Bestimmung der Objecte selbst angehender Begriff sein, also ein subjectives Princip der Vernunft für die Urtheilskraft, welches als regulativ (nicht consti-
5 Kant AA V, 436 ff (§ 85 u. 86). 6 Ebd., AA V, 397 (§ 75). 7 Ebd., AA V, 397 (Überschrift von § 75).
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tutiv) für unsere menschliche Urtheilskraft eben so nothwendig gilt, als ob es ein objectives Princip wäre.“8 Kant sieht also das Erfordernis einer metaphysischen Annahme, um mit dem Problem weiterkommen zu können. Das gilt auch für andere Ansätze, die, um Geschichte verstehbar zu machen, tiefgehende metaphysische oder ideologische Annahmen erfordern – man denke an Hegel oder Marx, Spengler oder Toynbee. Damit aber wird zwingend die Aufmerksamkeit auf die Geschichtlichkeit der Welt gelenkt. Ein weiteres kam hinzu: Die Suche nach dem letzten Beharrenden in der Natur erwies sich selbst als historisch gebunden, als abhängig von Paradigmen, als Teil der Geschichte. So schreibt Stephen Toulmin: „Wie müssen wir heute die Dinge sehen? Wenn weder die Elementarteilchen noch die Organismenarten Beispiele für die ewigen ,Gegenstände‘ der griechischen Metaphysik sind, gibt es denn in der wirklichen Welt überhaupt welche? Auf diese Frage gibt es nur eine einzige ehrliche Antwort. Zweihundert Jahre Geschichtsforschung haben ihre Wirkung getan. Ob man sich nun der Gesellschafts- oder Ideengeschichte, der Evolutionszoologie, der historischen Geologie oder der Astronomie zuwendet – ob man erklärende Theorien der Sternhaufen, Gesellschaften oder Kulturen, Sprachen oder Disziplinen, Organismenarten oder die Erde selbst betrachtet –, das Ergebnis ist kein parmenideisches. Wie man es heute sieht, besitzt nichts in der empirischen Welt die dauerhafte und unveränderliche Identität, die alle griechischen Naturphilosophen (abgesehen von den Epikureern) den Grundbausteinen der Natur zuschrieben.“9 Doch gerade das ist uns heute zum Problem geworden – bis hin zur Sicht, selbst die menschliche Vernunft sei das geschichtliche Produkt der Evolution, und Bewusstsein ein Zustand der Materie in einem autopoietischen System. Fassen wir dies alles zusammen, so verzeichnen wir heute eine fundamentale Akzentverschiebung, weg von den Gesetzen des Wandels, hin zu dem, was sich da wandelt. Natur wird nicht mehr als bloße Materie, sondern als von uns nur mühsam zu stabilisierende Lebenswelt in ihrer Besonderheit begriffen. Mit dem Bemühen um das je Einzelne statt des Gesetzmäßigen, des Vorübergehenden und sich Wandelnden statt des Allgemeinen rückt die Geschichtlichkeit alles Irdischen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Eine genetische Betrachtungsweise ist an die Stelle der kausalgesetzlichen getreten. Es geht nicht mehr um eine Theorie aller möglichen Welten, sondern darum, diesen Kosmos zu begreifen, diese Erde in ihrer Gestalt, diese Pflanzen und Tiere in ihren räumlich und zeitlich begrenzten Erscheinungsformen und Lebensbedingungen, diese Menschen in ihrer kulturellen Verschiedenheit und Veränderlichkeit, kurz in der 8 Ebd., AA V, 404 (§ 76). 9 Toulmin 1978, S. 415 (Englisch 1972, S. 355 f.).
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Genese. Doch der Logos der Genese wird nicht mehr in der Kausalität gesehen, sondern in einem der Evolutionsbiologie entlehnten Deutungsschema, das auf dem Wege ist, zur neuen Weltsicht zu werden. Dieses Schema trägt damit die Last der Kontingenzbewältigung als Last, diese Welt verstehen. Die Voraussetzungen einer darwinistischen Evolution schienen ein annehmbares Angebot zu sein, eine Ordnung im Kontingenten einzuführen, ohne auf einen Zweck rekurrieren zu müssen, selbst wenn es unumgänglich ist, dabei vorauszusetzen, dass es grundsätzlich unvorhersehbare Änderungen – die Mutationen oder Variationen – gibt, auch wenn damit ein Sinnverlust der Geschichte verbunden ist: Die Welt ist von Sinn entleert, jedenfalls von einem Sinn, den sie von sich aus hat. So wurde die Evolutionstheorie geradezu als Widerlegung jeder Möglichkeit von transzendenter Sinngebung aufgefasst. Die einzige Tröstung bestand und beseht heute für viele darin, den Evolutionsweg als Höherentwicklung und Fortschritt zu deuten. Beides zusammen, Kontingenzbewältigung und Tröstungshoffnung, mögen der Grund für die weitere Ausbreitung des Evolutionsmodells gewesen sein, um in sehr verschiedenen Feldern Verwendung zu finden. Heute gibt es kaum einen geschichtlichen Prozess mit Zufallselementen, dem nicht diese Struktur aufgeprägt wird: Evolution ist zum Deutungsschema geworden, dessen Last aufzuzeigen der Zweck dieses einleitenden Abrisses war. Mit dem Ausdruck ,Deutungsschema‘ ist keineswegs etwas Beliebiges gemeint, sondern im Sinne von Whiteheads ,scheme of thougt‘ oder ,scheme of ideas‘ ein vom erkennenden Menschengeist kreativ hervorgebrachter systematischer Rahmen der Welterschließung.10 Ihn gilt es auszuleuchten.
2.
Die Struktur des Evolutionsschemas
Nun ist zu klären, was unter Evolution verstanden wird. Es gibt einen breiten Gebrauch des Wortes. Er reicht von einer bloßen Entwicklung über eine, die mit Fortschritt verbunden ist, zu Sichtweisen der Biologie, die durch Lamarck eine Schema-Gestalt erhielt, um dann im darwinistischen Schema zu münden, das seinerseits in der Anwendung außerhalb der Biologie zahlreiche Mutationen erfuhr und in der Biologie zur Synthetischen Evolutionstheorie mutierte, in der Genotyp und Phänotyp zu den Trägern werden, um schließlich durch Aufnahme von weiteren Teiltheorien zur Erweiterten Synthese zu evolvieren.11 Doch han-
10 Whitehead 1982, S. 55 ff. (Englisch 1928, S. 67 ff.). – Vgl. Poser 1999, S. 25 – 44. 11 Zur Geschichte der Evolutionstheorie bis hin zur Synthetischen Theorie vgl. den Überblick von Wuketits 1988, sowie G. B. Müller, in diesem Band.
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delt es sich dabei um die Darstellung eines Faktums, um eine Erzählungsform12 oder um eine Theorie mit Hypothesenstatus? Alle Evolutionsmodelle haben bekanntlich drei wesentliche begriffliche Elemente gemeinsam: 1. Eine unvorhersehbare, nämlich kontingente oder sogar blinde Mutation oder Variation eines Gegenstands als eine Änderung innerhalb einer gegebenen Struktur, so dass es zu einer neuen und bisher unbekannten Eigenschaft oder Struktur kommt. 2. Dieser Mutation folgt eine Selektion gemäß einem Optimierungsprinzip. 3. Um sicherzustellen, dass es relativ stabile Strukturen gibt, muss es eine Art Wiederstabilisierung oder Retention geben.13 Diese drei Zentralbegriffe sind theoretische Begriffe, d. h. Begriffe der Theoriesprache, die sich nicht (oder allenfalls partiell) auf Begriffe der Beobachtungssprache zurückführen lassen; vielmehr handelt es sich um Konzepte, die jeweils im theoretischen Zugriff das zu Beobachtende allererst in einem systematischen Theorierahmen zu bestimmen ermöglichen. Dieses gilt es gegen alle naturalistischen Auffassungen festzuhalten, denn hier zeigt sich, dass wir um zu erkennen den Gegenständen der Erkenntnis eine Struktur aufprägen. Sobald das eingesehen wird, verwundert es nicht, dass selbst in der Biologie recht unterschiedliche Evolutionsmodelle herangezogen werden – von den analogen Evolutions-Konstruktionen in anderen Feldern ganz abgesehen. Bezogen auf die heutige Biologie sind Mutationen spontan auftretende, nicht prognostizierbare und in diesem Sinne zufällige Veränderungen des Genotyps, also der Erbsubstanz. Die Selektion ist eine nachfolgende, von inneren und äußeren Bedingungen abhängige Auslese vor allem des Phänotyps entsprechend der Vergrößerung der Überlebens- und damit der Reproduktionschancen des Mutanten oder der Mutantenpopulation. Die Retention wiederum ist Ausdruck der über längere Phasen sich unverändert reproduzierenden Genstrukturen – genauer : eines bestimmten Teils; denn andere mögen sich verändern, ohne dass darin eine Mutation gesehen würde, die ein Selektionskandidat wäre. Damit ist ein abgrenzender Systemrahmen umrissen, wie dies für jede Wissenschaft erforderlich ist. Das bedeutet zugleich, dass alle evolutionstheoretischen Aussagen sich auf das so umrissene System beziehen; ,Zufall‘ beispielsweise besagt des-
12 Zur Ausarbeitung des Ansatzes, es handele sich um eine spezifische Erzählungsform vgl. Fischer 2003. 13 Campbell hat die Begriffe ,blind variation‘ und ,selective retention‘ eingeführt; er zieht also die Punkte 2 und 3 zusammen. Seine Sicht wird oft als BVSR-These bezeichnet. Für die hier verfolgten Zusammenhänge ist jedoch eine Trennung hilfreich. Vgl. Campbell: 1965, S. 19 – 49.
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halb, korrekt formuliert, Nichtprognostizierbarkeit mit den Mitteln des Systems (und nicht etwa zwingend totale Ursachlosigkeit). Diese wenigen Bemerkungen zeigen, dass grundlegende theoretische Anteile in die Modellbildung einfließen. Diese schlagen sich auch in den Voraussetzungen nieder, etwa: 4. Ontologisch gesehen Möglichkeiten (als Zufall) von zweierlei Art, nämlich – Mutations-Möglichkeiten innerhalb einer gegebenen Struktur, und – Selektions-Möglichkeiten unter gegebenen Mutanten. Möglichkeiten lassen sich – wie alle Modalitäten – nicht beobachten; vielmehr handelt es sich um metasprachliche Reflexionsbegriffe; oder um es mit Kant zu sagen: sie „vermehren die Bestimmung des Objektes nicht im mindesten, sondern drücken nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen aus“.14 – Vorausgesetzt werden weiter : 5. Erkenntnistheoretisch gesehen Begriffe, die fortdauernde Entitäten bezeichnen (z. B. Wirbeltier, Säugetier, Homo sapiens), die uns erlauben, einen Zusammenhang zwischen den veränderten Mutanten zu etablieren. Hier geht es also um eine Konzeption, die, wird die Evolutionstheorie ontologisch interpretiert, fraglos auf das Universalienproblem zuläuft, weil gerade individuelle Unterschiede etwa zwischen den Katzen eines Wurfes unberücksichtigt bleiben, sofern sie nicht zu einer Selektion führen: Wir wollen vielmehr Hauskatzen von Löwen oder genauer Arten als Populationen voneinander unterscheiden. Populationen sind jedoch ebenfalls nicht beobachtbar, sondern unsere theoretische Konstruktion. Nun ist zweierlei entscheidend: Zum einen handelt es sich bei der Trias Mutation / Selektion / Retention um eine inhaltliche Unterscheidung, die zugleich eine zeitliche, aber nicht-kausale Abfolge bezeichnet; in diesem Sinne sind die drei Elemente unabhängig voneinander. Zum anderen ist die Voraussetzung eines Zufalls für das Auftreten einer Mutation unverzichtbar. Damit sind weitreichende Bedingungen verbunden, die nicht unterschlagen werden dürfen: – Trotz der Zufälligkeit und trotz der Unabhängigkeit der Elemente der Trias werden diese als Teile eines Ordnungssystems gesehen – was allen tradierten Vorstellungen von ordo und systema durchaus zuwider läuft und deshalb als eine essentielle Erweiterung zu verstehen ist. Dabei gilt keineswegs jede Veränderung bereits als Mutation, sondern nur eine solche Variante, die auf eine mögliche Selektion bezogen ist; umgekehrt ist eine Selektion nicht irgendeine positiv/negativ-Separierung, sondern nur eine solche, die durch eine Mutation veranlasst ist. Es geht also bei der Trias, wie Niklas Luhmann 14 Kant AA IV, A 219 bzw. AA III, B 266.
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hervorhebt, erkenntnistheoretisch gesehen „um korrespondierende Begriffe, die außerhalb der Evolutionstheorie keine Verwendung haben“.15 Insofern erfährt die Unabhängigkeit von Mutation und Selektion eine system- oder modellbezogene Eingrenzung, die es jeweils auszuweisen gilt. Insbesondere wäre es naiv, in Mutationen und Selektionen eine Beschreibung des Gegebenen, etwa der Natur, zu sehen: Es handelt sich, erkenntnistheoretisch betrachtet, um eine von uns aufgeprägte Ordnungsstruktur, auch wenn diese als ontisch gegeben aufgefasst wird. – Entscheidend ist hierbei die Form der Zufälligkeit: Sie wird nicht als ein bloßer Wissensmangel verstanden (wie dies im Alltag oder beim Wahrscheinlichkeitsbegriff der klassischen Thermodynamik angenommen wurde), sondern als eine aus der Sicht des Systems prinzipielle Unbegründetheit, also als ein ontischer Zufall: Dieses ist die tiefliegende metaphysische Voraussetzung aller Evolutionstheorien, denn entgegen aller Tradition, die einen nach Gründen und Gesetzen geordneten Kosmos annahm, werden Zufallsereignisse als konstitutives Element des Weltaufbaus anerkannt. Man mag das abschwächen und daran festhalten, dass es nicht um Ursachlosigkeit geht, sondern um eine systemspezifische Unauflösbarkeit; für die Quantentheorie hatte dies David Bohm vor Jahrzehnten in seiner Theorie verborgener Parameter erfolglos durchgespielt. Doch eingedenk der Mahnung Kants, dass die Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erkenntnis sind, führt solche Abschwächung nicht aus der Voraussetzung einer ontischen Zufälligkeit heraus. Vielmehr zeigt sich auch hier das Erfordernis, die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des System- oder Modellbezugs aufzuweisen. Die eben aufgezeigten Bedingungen verdeutlichen, dass wir es mit einer grundsätzlich veränderten Weltsicht zu tun haben: Unser Verständnis des Verhältnisses von Mensch und Welt, von Mensch und Transzendenz hat sich unter dem Druck der Erfahrung, dass wir, um es mit Jaques Monod und Manfred Eigen zu sagen, biologisch aus einem Spiel von Zufall und Notwendigkeit hervorgegangen sind,16 grundlegend verändert. War mit Kopernikus der Mensch aus dem Zentrum des Universums an den Rand einer der unzähligen Galaxien gedrängt worden, waren seit Francis Bacon und Galilei finale Ursachen zugunsten einer rein kausalen Deutung und damit einer Mechanisierung der raumzeitlichen Welt ausgeschlossen worden, um Finalität mit Kant allein als kritisches Prinzip der Vernunft in Gestalt der reflektierenden Urteilskraft zuzulassen, so scheint auch dies nicht mehr möglich. 15 Luhmann 1997, T. 1, Kap. 3: „Evolution“, S. 451. 16 Monod 1971; Eigen / Winkler 1975.
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Evolution wird damit zu einem Deutungsschema, das weit über seinen Ursprung hinausgreift. Denn mit diesem Ausgreifen wird der Mensch nicht nur biologisch zum Produkt des Spiels von Zufall und Notwendigkeit – vielmehr lässt sich allenthalben beobachten, wie sowohl die psychische Evolution wie die Evolution der geistigen Vermögen auf die biotische Evolution zurückbezogen werden, um so die ontische Trennung von Materie, Leben, Psyche und Geist, wie sie sich schon in der mosaischen Genesislehre spiegelt, zu unterlaufen: Auch für sie würde also die Laplacesche Antwort an Napoleon gelten; doch gravierender noch: nicht nur eine deterministische Gesetzmäßigkeit – die sich letztlich immer als eine vom Schöpfer gesetzte Ordnung auffassen lässt –, sondern der blinde Zufall soll in der Evolution zum vorantreibenden Element werden: Widerspricht das nicht der Suche nach einem Verstehen des Geschichtlichen in seiner Kontingenz?
3.
Evolution als geschichtsmetaphysisches Deutungsschema
Die kausale Sicht der Welt war unauflöslich mit einem physikalischen Reduktionsprogramm gekoppelt, das bis heute noch wirksam ist. Physikalische Chemie und Molekularbiologie sind als Disziplinen beredter Ausdruck hierfür. Die Anwendung des Evolutionsschemas außerhalb der Biologie ist hingegen nicht mit einem Rückführungsprogramm, etwa einem Biologismus, verbunden; kein Technikhistoriker oder Wissenschaftstheoretiker, kein Kulturanthropologe denkt auch nur im Traum daran, seine Disziplin auf Biologie gründen zu wollen. Einzig das Schema der Evolutionstheorie, das Schema von Mutation, Selektion und Retention wird als Deutungsschema eines genetischen Prozesses übernommen.17 In der dabei behaupteten Proportionalitätsanalogie fungiert das Evolutionsschema als geschichtsmetaphysisches Deutungsschema, das dem neuen Verständnis der Stellung des Menschen zur Welt Ausdruck verleiht. Dies wird deutlich, wenn man finale, kausale und evolutionäre Sicht der Geschichte miteinander vergleicht: Zunächst muss auf eine wichtige, oft genug übersehene Gemeinsamkeit aller drei Schemata hingewiesen werden: Sie entstammen nicht der Erfahrung! Dass dies für die Kausalität gilt, hat Hume so eindringlich analysiert, dass Kant die Kausalität als Denkform einführte, die den Gegenständen der Erfahrung ihre Struktur aufprägt. Dasselbe gilt aber für den Finalnexus, auch wenn von Aristoteles bis zur Physikoteleologie immer wieder die Beobachtbarkeit der 17 Das, was als Theoriendarwinismus beschrieben wird, ist, recht besehen, zugleich ein Theorien-Lamarckismus, denn erworbene Eigenschaften sind ebenfalls weitergebbar, vererbbar. Die Analogie hat also Grenzen.
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Zweckmäßigkeit in der Natur behauptet wird. Zwecke, das haben Leibniz und Wolff wohl gesehen, sind nicht beobachtbar, sondern wir setzen sie in der Deutung des Geschehens voraus. Das gilt selbst dort, wo der Begriff der Finalität seine Wurzeln hat, nämlich im menschlichen Handeln: Intentionen sind ebensowenig beobachtbar wie Handlungen, sondern wir interpretieren einen Ablauf als eine intentionale Handlung. – Nicht anders steht es mit dem Evolutionsschema, denn seine Beobachtbarkeit würde die Beobachtbarkeit von Spontaneität, von Neuem als solchem verlangen, was ersichtlich nicht gelingen kann. Wie schon gesagt, gilt dies auch für das, was unter Mutation, Selektion und Retention verstanden wird. Für die angenommenen Möglichkeitsformen gilt dieses geradeso wie für den als ontisch gedeuteten Zufall: Das damit Bezeichnete ist nicht beobachtbar, sondern konstitutiver Bestandteil der Theorie. Deshalb können wir in all diesen Fällen von Deutungsschemata sprechen; und da sie nicht der Empirie entstammen und nicht aus formallogischen Bedingungen herleitbar sind, mag es berechtigt sein, von metaphysischen Deutungsschemata zu sprechen. Das wesentliche Moment des Evolutionsmodells ist die strukturierende Deutung von Prozessen, von geschichtlichen Abläufen; das berechtigt zur Kennzeichnung als geschichtsmetaphysisches Deutungsschema. Dieses sei an einer Gegenüberstellung verdeutlicht: Die teleologische Sicht der aristotelischen causa finalis bestimmt die Gegenwart von der Zukunft her, das Ziel der Veränderung liegt fest. Dies fand seinen unmittelbaren Ausdruck im mittelalterlichen Lebensgefühl einer Hinorientierung jeden Lebens, jeden Augenblicks auf das allein belangvolle, in der Zukunft liegende Ereignis des Jüngsten Gerichts. Geschichte ist hier immer nur Vorgeschichte. Und Schöpfung ist angelegt auf ihre Erfüllung in einem jenseits aller Zeitlichkeit und Weltlichkeit liegenden Ziel. Die kausale Sicht dagegen findet ihren adäquaten Ausdruck im Laplaceschen Dämon, der vermöge der Kenntnis der Kausalgesetze von einer vollständigen Zustandsbeschreibung eines Gegenwartspunktes aus jeden beliebigen Zustand in der Vergangenheit und in der Zukunft zu errechnen vermag. In dieser Sicht sind Vergangenheit und Zukunft im Grundsatz ähnlich, denn das Schema der Prognose ist dasselbe wie das einer Retrodiktion. Vergangenheit und Zukunft werden von der Gegenwart her gleichermaßen erhellt, und die Zukunft bringt nichts grundsätzlich Neues. Methodisch schlägt sich dieses auch an der Hypothesenprüfung anhand von Prognosen nieder. Hier, in dieser Auffassung der Geschichte, scheinen die Mittel an die Hand gegeben, die Zukunft vermöge der Kenntnis der Kausalgesetze zu gestalten. Die kausale Sicht ist darum unmittelbar mit dem Gedanken des Fortschritts verbunden. Die kausale Deutung verweist nur noch in ihrem Ursprung auf eine außerhalb ihrer liegende Erste Ursache, auf einen Schöpfungsbestand, doch nur im Sinne
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eines Überschreitens aller Kausalität in der Totalität eines Bedingungsgefüges, das – mit Kant gesagt – als Idee die Erfahrung transzendiert und nur noch in Gestalt eines Als Ob als letzter Horizont gedacht werden kann. Laplace und Hawking haben darin recht gesehen (nur folgt daraus nicht die unterschwellig behauptete Nichtexistenz Gottes; die logischen Fehler der Gottesbeweise hinsichtlich des Existenzbegriffs sind die selben wie die eines Nichtexistenzbeweises). Innerhalb des kausalen Deutungsschemas aber wird der Mensch als Homo faber zum Schöpfer, indem er sich der gefundenen (und vermeintlich ehernen) Gesetzlichkeit zur Beförderung des Fortschritts bedient. Die evolutionäre Sicht unterscheidet sich grundlegend von den beiden anderen Sichtweisen, denn sie erklärt allein retrospektiv, wie es zu der vorliegenden Fülle der Arten mit ihren spezifischen Eigenschaften gekommen ist. Mit der Ablösung des Ursache-Wirkungs-Schemas durch das Mutations-SelektionsRetentions-Schema ist die Zukunft wegen des spontanen Auftretens von Mutationen, von Neuem, grundsätzlich offen und allein wegen der Retention im Sinne einer Trendaussage für die nahe Zukunft prognostizierbar. Die aus der Evolutionsbiologie vertrauten Aussagen über ein Evolutionsfenster und einen Evolutionsdruck widerlegen dies nicht, denn ein ,Darwinscher Dämon‘, der im Zeitalter der Saurier den Homo sapiens hätte vorhersagen können, ist ausgeschlossen. Die Zukunft ist auch offen für die Verwirklichung mehrerer nebeneinander bestehender Alternativen, doch ebenso für eine Konstanz oder für einen Abbruch der Entwicklung. Die Pluralität der Arten findet ebenso ihre Erklärung wie die Pluralität der Sprachen, Kulturen und Religionen, der Positionen, Theorien und Technologien – oder deren Aussterben. Die aus der kausalen Sicht vertraute Hypothesenprüfung durch Prognosen entfällt damit gerade für die Zentralkonzepte. Das Evolutionsschema ist deshalb in seiner Erklärungsleistung schwächer als das Kausalschema, denn es erlaubt nur das Verständnis und die Deutung der Vergangenheit von der Gegenwart her, ohne eine Zukunftsprognose zu ermöglichen; aber es ist leistungsfähiger, was den Umfang der zu strukturierenden Bereiche anlangt: Es ermöglicht – wie in der Biologie – mit der Akzeptanz der Trias Mutation/Selektion/Retention die Deutung und damit das Verstehen von geschichtlichen Prozessen, die sich einem teleologischen oder einem kausalen Schema nicht fügen. Seine Stärke besteht dabei in der Betonung der Unwiederholbarkeit bei gleichzeitiger Deutbarkeit jedes einzelnen Sachverhaltes und jeder als individuell abgrenzbaren Erscheinung, die sich unter dieses Schema bringen lässt. Genau hierin besteht seine Form der Kontingenzbewältigung. In dieser Gestalt entspricht das Schema gänzlich unserem heutigen Geschichtsverständnis. Es macht deutlich, dass wir auf die Vergangenheit angewiesen sind, um uns selbst zu verstehen. Es ersetzt die Projektion einer teleologischen Heilsgewissheit in die Welt oder das Vertrauen in einen von uns kausal
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zu bewirkenden Fortschritt durch den neutraleren Begriff der Entwicklung, die in ihrer Janusköpfigkeit (man denke an die Technikentwicklung) als Beglückung wie als Bedrohung erkennbar wird. Schließlich verspricht das Evolutionsschema nach der Erfahrung der Begrenztheit der voraufgegangenen Weltsichten eine verbindende, einheitsstiftende Deutung aller Prozesse des Werdens, von der biotischen und psychischen bis hin zur sozialen und geistig-kulturellen Sphäre. Dies sind, wie mir scheint, die Gründe, die dafür sprechen, einen grundsätzlichen Wandel der Weltsicht zu konstatieren, einen Wandel vom kausalen zum evolutionären Deutungsschema der Welt. An dieser Stelle ist ein Hinweis geboten: Das Evolutionsschema ersetzt nicht etwa das kausale Schema, so wenig wie das kausale seinerzeit das teleologische. So, wie die Handlungen allemal teleologisch bleiben und nur die teleologische Deutung allen Geschehens aus der Betrachtung der Natur zugunsten der Kausalursachen ausgeschlossen wurde, so wird jetzt der Bereich der kausalen einschließlich der statistischen Gesetzmäßigkeiten auf all jene Ereignistypen beschränkt, wo sie sinnvoll und unverzichtbar sind. Sobald aber unser Hauptaugenmerk nicht mehr den Gesetzen, sondern den singulären Zuständen in ihrer Geschichtlichkeit und in ihrem jeweiligen Bezug zum Menschen gilt, stehen wir vor dem Erfordernis, uns eines Deutungsschemas zu bedienen, das umfassender ist als das kausale, nachdem sich dessen Begrenztheit gezeigt hat.
4.
Die Zumutung des Zufalls
Das Deutungsschema der Evolutonstheorie zu akzeptieren bedeutet eine Zumutung, denn es verlangt in Gestalt der spontanen Mutation, in Gestalt des unvorhersehbaren Neuen in jedem Anwendungsbereich die Anerkennung des Zufalls: Dieser Zufall wird als Motor der Entwicklung gesehen. Die Welt – nicht eine planvolle Schöpfung, sondern durch Zufall geworden: das Grundelement des erkennenden Nachdenkens über die Welt scheint damit aufgegeben. Nun kann Zufall ganz Unterschiedliches bedeuten, nämlich im Hinblick auf die Welt erstens das Sichkreuzen zweier unabhängiger Kausalreihen. Das zufällige Geschehen ist hier sehr wohl kausal, aber es wird üblicherweise nicht auf einen gemeinsamen Rahmen bezogen. Zweitens kann zufällig ein Ereignis sein, dessen Prognose uns nicht möglich ist; das alte Beispiel dieses epistemischen Zufalls ist der einzelne Wurf eines Würfels, der in der Vorstellung der klassischen Physik in jeder Einzelphase kausal verläuft. Drittens wird Zufall – nämlich ontischer Zufall – als Ursachlosigkeit, als Spontaneität aufgefasst. In der teleologischen wie in der kausalen Weltsicht ist für solch ontischen Zufall grundsätzlich kein Platz. Das Evolutionsschema hingegen setzt (im übrigen ebenso wie die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie) die Existenz objektiven, onti-
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schen Zufalls voraus: Wir sind nicht nur zu unwissend, die Art und den Zeitpunkt der nächsten Mutation vorherzusagen, sondern das Ereignis wird prinzipiell als spontan, das heißt als ursachlos im Sinne des Fehlens einer spezifischen, für eine Prognose tauglichen Ursache angesehen. Ebenso ist das kreative Hervorbringen einer neuen naturwissenschaftlichen Hypothese oder einer technologischen Innovation nicht prognostizierbar, denn wäre sie es, wären sie gerade nichts prinzipiell Neues. Die heutigen Modelle des deterministischen Chaos und der dissipativen Systeme haben hierzu die nötigen mathematischen Strukturen entwickelt, deren unerwartete Eigenschaften gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass selbst im Falle völlig kausaler Strukturen eine Prognose wegen der hochsensiblen Abhängigkeit von Anfangs- und Randbedingungen nicht möglich ist. Noch dramatischer wird es bei den dissipativen Systemen, gekennzeichnet erstens durch Wegverzweigungsmöglichkeiten, bei denen alle Wahrscheinlichkeit versagt, zweitens durch stabile Zustände trotz Umgebungsänderung, die aber bei zu weitgehenden Veränderungen ins Trudeln geraten, um schließlich drittens einen nicht vorhersehbaren neuen stabilen Zustand anzunehmen.18 Den Zugewinn an Deutungsmöglichkeit mit Hilfe des Evolutionsschemas ebenso wie mit Komplexitätstheorien und autopoetischen Systemen als deren Fortführung zahlen wir also mit einem Preis, der gerade bedeutet, auf ein grundlegendes Prinzip des neuzeitlichen Naturverständnisses zu verzichten, nämlich auf das Prinzip des zureichenden Grundes. Die erweiterte Deutungsleistung des Schemas wird also erkauft durch eine Abdankung des Anspruchs, die Welt im Grundsatz verstehen zu können! Dies mag im Falle des deterministischen Chaos angesichts der Beschränkung, die uns die Unschärferelation der Quantentheorie auferlegt, gerade noch einsichtig sein, doch verlangt das Evolutionsschema in der Biologie und in der weiterführenden Übertragung auf andere Bereiche eine Rechtfertigung. Schwierigkeiten ganz anderer Art zeigen sich überall dort, wo das menschliche Bewusstsein als Produkt des Evolutionsprozesses gesehen wird und wo menschliche Kreativität im Spiele ist, im Bereich der Theorien-, Wissenschaftsund Technikdynamik, einer Technik überdies, die dabei ist, das biotische Evolutionsgeschehen selbst zu gestalten. Diese Schwierigkeiten erwachsen nun gerade aus der Grunderfahrung spontaner rationaler Handlungen und des rationalen wie des kreativen Denkens; Vernunft, Kreativität und Spontaneität aber gelten als Inbegriff des Humanum, denn Vernunft und Spontaneität als Selbstbestimmung ist Voraussetzung der Freiheit; und die Kreativität erst macht den Menschen zum Homo faber, zum Schöpfer von Kultur und Zivilisation. Doch hier von Zufall zu sprechen, verfehlt nicht nur die doch zumeist als Problem18 Vgl. Poser 2006, S. 966 – 982.
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lösungsaktivität zielorientierte Kreativität und Vernunft, sondern widerspricht vollkommen unserem Verständnis von Freiheit und Verantwortung.19 Nun erlaubt das Evolutionsschema, das wie das Kausalschema eine theoretische Konstruktion menschlicher Kreativität ist, Mutationen zuzulassen, die zum Bewusstsein geführt haben; doch es vermag diese nicht zu erklären, sondern behandelt sie als ein hinzunehmendes Faktum: Mutationen als Zufallsereignisse werden – das ist gewissermaßen der Trick des Modells – als gegeben und erfahrbar hingenommen; das war mit der Anerkennung eines ontischen Zufalls als Teil der Modellvoraussetzungen herausgearbeitet worden. Handlungsfreiheit und Kreativität entspricht aber einer Grunderfahrung des Menschen: während mit dem Evolutionsmodell die intellektuelle Kontingenzbewältigung des Zufalls als fundamentale Kontingenzerfahrung in der Biologie gelang, kam es außerhalb der Biologie – nämlich im Bereich des Humanum – zur Umdeutung des Zufalls und zu einer Positivierung als das Neue in Gestalt menschlicher Kreativität! Damit sind zwar nicht alle Probleme gelöst, aber die Zumutung scheint entscheidend gemildert.20
5.
Der Mensch zwischen Natur und Transzendenz
Das Deutungsschema der Evolution, so haben wir gesehen, ist auf dem Wege, eine neue Weltsicht zu etablieren, die mit unserer heutigen Problemlage in Einklang steht. Darüber aber sollte nicht versäumt werden, die Punkte aufzuzeigen, an denen es an seine Grenzen stößt. Mit seiner Herkunft aus der Biologie als einer Erfahrungswissenschaft verbindet das Schema den Anspruch auf Objektivität im Sinne einer Gültigkeit unabhängig vom Subjekt. Schon dieser Ausgangspunkt ist hypothetisch, wie alles Erfahrungswissen.21 Problematisch wird nun diese Objektivität bei der Übertragung auf andere Bereiche; denn schon in der Evolutionsbiologie wird sie erlangt durch die Beschränkung auf das, was Darwin „natürliche Zuchtwahl“ nannte – im Gegensatz zur menschlichen Zuchtwahl. So lässt uns das Schema vergessen, dass wir es sind, die in all den Bereichen der Wissenschaften das jeweils Neue hervorbringen: Es besteht so die Gefahr, Entwicklungsprozesse als etwas Naturgesetzliches zu verstehen, das in seiner Eigendynamik zwar nach19 Vgl. Poser 2007b, S. 105 – 113. 20 Unbenommen bleibt immer, hinter den Erscheinungen eine sinngebende Transzendenz anzunehmen; nur wird damit der Bereich empirischer und empirisch prüfbarer Theorien verlassen. Darum sind auch Erneuerungsversuche des kosmologischen Gottesbeweises auf der Grundlage der Evolutionstheorie nur Kompatibilitätsüberlegungen – so etwa ablesbar am Ende der Studie von Paul Erbrich 1988. 21 Dies ist der Ausgangspunkt der Argumentation von K. Hübner: Hübner 1988.
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zeichenbar, aber – eben wegen der Nichtprognostizierbarkeit – nicht steuerbar ist. Das jedoch wäre fatal, denn wir würden verspielen, was uns das Schema deutlich machen könnte, die Bedeutung nämlich des Menschen als Faktor in der Evolution, seine Bedeutung in der Möglichkeit zur Zuchtwahl wie zur Genmanipulation, im Entwerfen und Verwirklichen sozialer Systeme, im Konzipieren wissenschaftlicher Theorien und im Realisieren technologischer Artefakte zur Befriedigung echter und vermeintlicher menschlicher Bedürfnisse. Hier, im Bereich menschlichen Eingreifens in den als Evolution gedachten Prozess, treten die uns heute bedrängenden Probleme der Wissenschaftsethik, der Gentechnologie und der Technikbewertung auf, hier, wo der Mensch durch Unterlassen möglicher Hilfe und durch Unterlassen von Neuentwicklungen geradeso schuldig werden kann wie durch Handeln ohne zureichende Abschätzung der Folgen. All solche Handlungen setzen Normen und Werte voraus; die aber sind nicht auf ein Spiel von Zufall und Notwendigkeit zurückführbar. Der Empirie sind solche Ziele nie zu entnehmen, sie liefert immer nur deskriptive, keine normativen Aussagen. Ohne Sinnzuschreibungen aber sind wir nicht mehr Menschen. Nur indem wir der Welt einen Sinn geben, entstehen Werthaltungen, denen das Evolutionsschema seine heutige Akzeptanz verdankt! Ehrfurcht vor dem Leben verlangen Albert Schweitzer und Hans Jonas: Der Natur wird damit in ihrer Einzigkeit ein Wert zugesprochen, und die Bewahrung der Natur wird zum Ziel. Ziele, oder wie Kant sagte, Absichten, letztlich also Werte und Sinnzuschreibungen, sind aber der Natur prinzipiell nicht zu entnehmen, sie entstammen einer anderen, ihr transzendenten Quelle. So weit auch die ordnende Kraft des neuen Deutungsschemas reichen mag, es lässt uns mit der Aufgabe zurück, die Absicht, den Sinn unseres menschlichen Daseins, je für uns zu suchen und zu finden. Ob diese Antwort mit Hawking und Laplace und ohne den Rückbezug auf einen Schöpfer gegeben wird oder mit Jonas gerade in der Gottgeschaffenheit der zu bewahrenden Welt ihren letzten Fluchtpunkt sieht, wird durch das neue Denkschema nicht festgelegt, ja, nicht einmal nahegelegt: Gewiss, alle Argumentationen greifen zu kurz, die Zufallsbilanzen mit positivem oder negativem Resultat beizubringen suchen, etwa dergestalt, dass angesichts der ungeheuren Zufälligkeit, durch die die Welt ihre jetzige Gestalt gewonnen hat, der Gedanke eines Schöpfers obsolet sei. Oder in der entgegengesetzten Richtung: Wenn trotz der ungeheuren Zufälligkeit am Ende ein moralisches Wesen mit Vernunft und der Fähigkeit zu Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung resultiert habe, so sei dies ein Beleg für eine planvolle Fügung und Führung. In beiden Fällen wird aber vorausgesetzt, was behauptet wird. Solche Zirkularität gilt auch für die metaphysischen Standpunkte, die in diesem Zusammenhang entwickelt wurden: Whitehead, der als erster die Evolution zum durchgängigen Grundprinzip einer Prozessontologie erhob, sieht in
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Gott den notwendigen Abschluss dieser Metaphysik – auch wenn dieser Gott ein sich in der entfaltenden Welt selbst verwirklichender Gott ist.22 Im Anthropischen Prinzip einer Reihe von Evolutionstheoretikern wird argumentiert, die Welt habe sich so entwickeln müssen, wie sie sich entwickelt habe, hin zu einem sie begreifenden und erkennenden Wesen mit Selbstbewusstsein;23 und damit wird der Leibnizsche Gedanke eines Weltplans wieder aufgenommen, der in seiner Harmonie ein Wesen mit Selbstbewusstsein einschließen muss, um über die Welt hinaus in deren Ordnung – auch in einer Ordnung des Zufalls – ein dahinterliegendes Umgreifendes erfassen zu können. Radikaler als je zuvor wird so deutlich, dass wir es sind, die wir uns in geschichtlicher Gewordenheit eines Deutungsschemas dieser Gewordenheit bedienen, das selbst aus unserer wissenschaftlichen Denktradition erwachsen ist: mit ihm geben wir unserer Welterfahrung eine Struktur. Doch es ist unser Denken, unsere methodisch geleitete Vernunft, die uns jene Modelle der Natur und des Menschen entwickeln lässt: Wir sind es, die die Natur strukturieren – die Natur als Erkenntnisgegenstand, nicht als Ding an sich. Ob und wie wir dieser Struktur einen darüber hinausgehenden Sinn unterlegen, ob und wie wir das Deutungsschema selbst als Ausdruck der Sinnentleerung oder als Beleg für eine transzendente Sinnerfüllung verstehen, bleibt immer offen. Die Leibnizschen Versteinerungen haben nur die Geschichtlichkeit dieser Welt und unser Eingebundensein in sie gezeigt, nicht aber die Antwort gewiesen; keine Evolutionstheorie kann sie uns nahe legen oder gar vorschreiben, wir müssen sie uns selbst geben.
Literatur Asmuth, Chr. / Hans Poser, H. (Hg.): Evolution. Modell – Methode – Paradigma. Würzburg 2007. Breuer, R.: Das anthropische Prinzip. München 1981. Buskes, Chr.: Evolutionair denken. De invloed van Darwin op ons wereldbeeld. Amsterdam 2006, 4. Aufl. 2008; dt. Evolutionär denken. Darwins Einfluss auf unser Weltbild. Darmstadt 2008. Campbell, D. T.: „Variation and selective retention in socio-cultural evolution“, in: Barringer, H. R. / Blanksten, G. I. / Mack, R. W. (Hg.), Social change in developing areas: A reinterpretation of evolutionary theory. Cambridge, Mass 1965, S. 19 – 49 [Nachdruck in: General Systems (14) 1969, 69 – 85]. Eigen, M. / Winkler, R.: Das Spiel. Naturgesetze steuern den Zufall. München 1975.
22 Whitehead 1979, 5. Teil, Kapitel II: Gott und die Welt, sowie Whitehead 1985. 23 Breuer 1981.
Evolution – ein geschichtsmetaphysisches Deutungsschema
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Erhard Oeser
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It’s a historical fact: Darwin’s Book „The Origin of Species“ has exerted wide influence on every field of science, from its publication until today. One spoke about a cosmic evolution embracing the entire universe, a chemical evolution as the cause for life formation and finally – as Darwin himself was eager to extend his theory on evolution to mankind right from the start – a „sociocultural evolution“ as a logical consequence, which includes the entire scope of human society and culture, not only economy and law but also art, science, philosophy and science. This massive influence can only be explained by the fact that the perception of „Evolution“ in its universal meaning – like Darwin mentioned at the beginning of his book – is much older than the biological theory of evolution. Evolution is a fundamental term in modern cerebration, which is based on a dynamic world view founded in natural science. Darwin even talked about the hope that perhaps one day the principle of life will be recognized as part or result of a general law. It was mainly the application of the theory of selection to mankind which is still being criticised by biologism and social Darwinism even until today. Furthermore it seems as tough the theory of evolution, meanwhile emerged to be a universal research paradigm, necessarily leads to materialism and atheism. However if one follows Darwin’s primary intensions and avoids later meanders and misinterpretations none of these reproaches are justified. Die zu einem universalen Forschungsparadigma erweiterte Evolutionstheorie Darwins ist wissenschaftstheoretisch gesehen nicht nur ein korrektes Anliegen, sondern sogar, vor allem was ihre Übertragung auf die Human- und Sozialwissenschaften anbelangt, eine logische Konsequenz der biologischen Evolutionstheorie. Das aber heißt, dass man nicht auf der einen Seite die auf das Pflanzen- und Tierreich beschränkte Evolutionstheorie akzeptieren kann, und auf der anderen Seite ihre Bedeutung für die Entstehung und der Menschheit und ihrer geistigen und kulturellen Entwicklung leugnen kann. Das wäre die so genannte kulturalistische Position, der zufolge die Evolutionstheorie zwar nicht
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falsch, aber für das Verständnis der Menschen irrelevant ist, sobald es um mehr als um die körperlichen Merkmale und unmittelbarsten physischen Bedürfnisse geht. Das Konzept einer universalen Evolution ist jedoch keine Gegenposition zu dieser kulturalistische Position im Sinn eines biologistischen Evolutionismus und ebenso wenig ein Vermittlungsversuch, sondern vielmehr der Ansatz zu einer mehrstufigen Theorie, mit der gerade nicht die gesamte Wirklichkeit zu einem unterschiedslosen Brei verschmiert wird. Denn die Evolutionstheorie in ihrer universellen Bedeutung schlägt vielmehr einen Mechanismus vor, der nicht nur die einzelnen Phasen oder Stufen dieses Prozesses miteinander verbindet, sondern diese auch trennt, indem er ihnen eigene Produkte und eigene Entwicklungsgeschwindigkeiten zuordnet. Andererseits soll aber auch klar werden, dass von dieser Idee einer universalen Evolution, die man als eine nicht direkt nichtfalsifizierbare Oberhypothese ansehen kann, auch die Philosophie nicht unberührt bleiben kann – und zwar weder die theoretische noch die praktische Philosophie. Die unmittelbar von Darwin selbst eingeleitete Entstehung einer evolutionären Erkenntnistheorie und Ethik und ihre Weiterentwicklung im Rahmen der vergleichenden Verhaltensforschung durch Konrad Lorenz zeigt, dass auch die Philosophie nach Darwin nicht mehr das sein kann, was sie vorher war1. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man nicht nur davon ausgeht, dass die Philosophie seit jeher Auswirkungen in allen Gebieten der Wissenschaft hat, sondern, dass man auch akzeptiert, dass wissenschaftliche Erkenntnis, in diesem Fall die biologische Evolutionstheorie, eine Rückwirkung auf die Philosophie hat, ohne dabei schon in den Verdacht einer logisch verbotenen Zirkularität zu fallen. Was nicht verboten ist, ist jedoch noch lange nicht zwingend vorgeschrieben. Wer in der Übertragung der Evolutionstheorie auf die Philosophie keinen Fortschritt sieht, kann daher ruhig bei seinen alten Vorstellungen bleiben. Allerdings muss er den dadurch entstehenden Informationsverlust in Kauf nehmen. Ich halte es daher mit Ernst Mach, der in Bezug auf seinen eigenen evolutionistischen Standpunkt in der Erkenntnistheorie in einer Mischung aus gesunder Selbsteinschätzung und Toleranz einen Ausspruch Friedrich II. zitiert hat: „Wer am Jüngsten Tag nicht mitauferstehen will, der mag meinetwegen liegen bleiben“2. Andererseits kann auch nicht geleugnet werden, dass jene Vorwürfe des Materialismus und Atheismus nicht unberechtigt sind, wenn es um den ideologischen Missbrauch der Evolutionstheorie im Bezug auf den religiöse Glauben geht. Während die Idee der Evolution als universales Paradigma nicht nur der Naturwissenschaft, sondern auch der Human- und Sozialwissenschaften ein 1 Vgl. Oeser 1987, S. 9. 2 Verkürzt nach Mach 1905, vgl. Oeser in: Riedl / Wuketits 1987, S. 41.
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zentrales Anliegen der Wissenschaftstheorie und Philosophie sein muss, schon um einen derartigen ideologischen Missbrauch zu beseitigen, bleibt die Theologie bzw. der religiöse Glaube davon unberührt, weil er auf einer anderen Ebene liegt, was ja auch durch den Titel dieser Tagung „Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube“ korrekt ausgedrückt wird. Denn Glauben ist nicht Wissen und braucht daher nicht bewiesen werden. Der Glaube an Gott ist eine persönliche emotionale Entscheidung und keine Erkenntnisfrage sondern vielmehr eine Frage der Sinngebung.
Woher stammt die Vorstellung von der Evolution als universales Paradigma der Wissenschaft? Es ist eine historische Tatsache, dass Darwins Buch „Die Entstehung der Arten“ sofort nach seinem Erscheinen einen massiven Einfluss auf alle Bereiche der Wissenschaften ausgeübt hatte, der bis heute anhält. Man sprach von einer kosmischen Evolution, die das gesamte Weltall umfasst, von einer chemischen Evolution, welche die Ursache der Entstehung des Lebens sein soll, und schließlich, nachdem Darwin von allem Anfang an bereit war seine Evolutionstheorie auf den Menschen auszudehnen, von einer „soziokulturellen Evolution“, die eine logische Konsequenz der Darwinschen Evolutionstheorie ist, und den gesamten Bereich der menschlichen Gesellschaft und Kultur, also nicht nur Wirtschaft und Recht, sondern auch Kunst, Philosophie und Wissenschaft mit einschließt. Noch zu Lebzeiten Darwins erschienen Bücher, die schon in ihrem Titel die Übertragung der Darwinschen Selektionstheorie auf alle Bereiche der Wissenschaft ankündigen. So lässt schon der seltsame Titel eines im Jahre 1882 erschienenen Werkes „Der Kampf ums Dasein am Himmel“3 erkennen, in welch strenger Analogie der ältere Darwinismus das evolutionäre Erklärungsprinzip zu einer totalen Welterklärung ausweitet. Und auf einem ganz anderen Gebiet der Wissenschaft hat der bedeutende deutsche Jurist Rudolph von Jhering in einem repräsentativen Podiumsauftritt in Wien im Jahre 1872 einen Vortrag gehalten, der schon seinem Titel nach an Darwins Theorie anklingt: „Der Kampf ums Recht“4. Dass es sich nicht um eine bloße Analogie handelt, wenn man von der Evolution des Rechts spricht und Begriffe wie Mutation, Selektion und Adaption verwendet, hat auch der österreichische Zivilrechtsdogmatiker Franz Gschnitzer festgestellt, wenn er in einem Vortrag vor der „Wiener Juristischen Gesellschaft“ im Jahre 1946 sagt: „Der Mensch ist nach Naturgesetzen gebildet, es ist daher nicht verwunderlich, dass das, was er hervor 3 C. du Prel 1882. 4 Oeser 1990, S. 121.
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bringt, den gleichen Gesetzen wie er selbst unterworfen ist“5. Das Gleiche gilt für die evolutionäre Psychologie oder evolutionäre Erkenntnistheorie und evolutionäre Ethik, die ja alle eine logische Konsequenz der auf der Evolutionstheorie begründeten Vergleichenden Verhaltensforschung sind, worauf ja schon Konrad Lorenz hingewiesen hat. Dass das evolutionäre Erklärungsprinzip nicht nur in allen Gebieten der Wissenschaft eine zentrale Rolle spielt, sondern auch die Reflexion über die Entwicklung der Wissenschaft im Sinn einer evolutionären Wissenschaftstheorie bestimmt, haben schon längst vor Popper Ernst Mach (1905) und Ludwig Boltzmann (1905) erkannt und an ihrer eigenen Disziplin, der Physik dargestellt. Dieser massive Einfluss, den die Evolutionstheorie auf allen Gebieten der Wissenschaft, ausgeübt hat, ist nur dadurch zu erklären, dass die Vorstellung von „Evolution“ in ihrer universalen Bedeutung, wie bereits Darwin selbst am Beginn seines Buches über die Entstehung der Arten festgestellt hat, wesentlich älter als die biologische Evolutionstheorie ist. Sie reicht nach seinen Angaben bis ins Altertum auf Empedokles zurück, der sogar schon eine Ahnung vom Selektionsprinzip hatte. Und auch Buffon, den Darwin als den ersten Autor nennt, der in der Neuzeit diesen Gegenstand wissenschaftlich behandelt hat, ging von einer sehr weiten Vorstellung der Evolution aus, die nicht nur die Erde sondern auch das Sonnensystems umfasste. Darwin selbst sprach sogar von der Hoffnung, dass „das Prinzip des Lebens eines Tages als Teil oder Folge eines allgemeinen Gesetzes erkannt werden wird“ („The principle of life will be shown to be a part of, or consequence of, some general law“ Darwin, C. R. to Wallich, G. C., 28 Mar 1882). Und sein Zeitgenosse Herbert Spencer hat ein solches universelles Gesetz bereits vor der Veröffentlichung der „Entstehung der Arten“ explizit ausgesprochen: Es lautet in seiner kürzesten Formulierung: „Die gesamte erkennbare Realität ist ein Prozess, der aus einer unbestimmten unzusammenhängenden Gleichartigkeit in bestimmte, zusammenhängende Ungleichartigkeit übergeht“6. Aber Darwin, der zwar Spencers „Development Hypothesis“ vom Jahre 1852 gekannt hat, war sich darüber im klaren, dass die Erweiterungen der biologischen Evolutionstheorie, die ein derartig allgemeines und bloß deskriptives Gesetz in seinem kausalen Mechanismus konkretisieren hätte können, Probleme für eine „ferne Zukunft“ sind, wenn sie überhaupt jemals durch den Menschen gelöst werden können: „In welcher Weise sich die Geisteskräfte in den niedrigsten Organismen entwickelt haben, ist eine nicht weniger hoffnungslose Frage, als die, wie das Leben selbst zuerst entstanden ist“7.
5 Gschnitzer, ÖJZ 1946, S. 508; vgl, Oeser 1990, S. 125. 6 Spencer, dt. Übers. 1933. 7 Darwin 1871, dt. Übers. von Gärtner o. J., S. 84.
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Die Evolution der Evolutionsmechanismen Diese Situation hat sich jedoch heute drastisch geändert. Kein Geringerer als einer der Begründer der „modernen Synthese“ in der Biologie, Julian Huxley, hat bereits festgehalten, dass wir nun entdeckt haben, „dass alles Wirkliche in einem völlig eindeutigen Sinn aus einem einzigen alles umfassenden Evolutionsprozess besteht“8. Diese Ansicht lässt sich aber nur dann rechtfertigen, wenn es so etwas wie eine Evolution der Evolutionsmechanismen gibt. Im Rahmen eines Konzeptes der universalen Evolution ist diese Vorstellung einer mehrstufigen Theorie eine Selbstverständlichkeit. Denn die drei Phasen der präbiotischen, biotischen und postbiotischen Evolution unterscheiden sich so deutlich durch den ihnen eigenen Evolutionsmechanismus, dass es eher fragwürdig ist, ob es sich hier um einen einzigen, in sich zusammenhängenden Prozess handelt: So wird die kosmische oder anorganische, präbiotische Evolution durch physikalische oder einfache chemische Prozesse gesteuert, während die organisch-genetische Evolution von dem Mechanismus der Rekombination, Mutation und Selektion bestimmt wird und die sog. soziokulturelle Evolution auf dem Übertragungsmechanismus der direkten Kommunikation und Tradition beruht, die von den Vererbungsmechanismen und somit vom Generationswechsel unabhängig sind. Wenn man daher von einer universellen Evolution spricht oder auch nur den Begriff „Evolution“ sowohl im kosmologisch-physikalisch-chemischen Bereich als auch im biologischen und soziokulturellen Bereich gleichsinnig verwenden will, dann geht es darum, trotz dieser Unterschiede der jeweiligen Mechanismen der Evolution ein reales „Verwandtschaftsverhältnis“ zwischen ihnen in dem Sinne nachzuweisen, dass einer aus dem anderen hervorgegangen ist. Dieser Nachweis muss eben an jenen „kritischen Punkten der Evolution“9 geschehen, die Darwin als die beiden hoffnungslosen Fragestellungen bezeichnet hat: Die Entstehung des Lebens und des menschlichen Geistes. In beiden Fällen ist dieser Nachweis bereits weitgehend dadurch gelungen, dass man innerhalb des jeweiligen Bereiches eine sich selbst steigernde Entwicklung des jeweiligen Mechanismus feststellen konnte. Im Bereich der präbiotischen chemischen Evolution waren es synergetische Kooperationsphänomene10, Fluktuationen fern vom thermodynamischen Gleichgewicht11, katalytische Zyklen und autokatalytische Hyperzyklen12, mit denen man schließlich der Erklärung des Entstehens des Lebens nahe gekommen ist, während es im biologischen Bereich um die 8 9 10 11 12
Huxley 1966. Ebd. Haken 1981. Glansdorff / Prigogine 1971. Eigen 1988.
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Vorstellung einer Evolution des Vererbungsapparates ging. In diesem engeren Sinne hat schon 1936 der Genetiker A. Shull von einer „Evolution der Evolution“ gesprochen. Und Dobzhansky, von dem der bekannte Satz stammt: „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution“, hat diese Vorstellung folgendermaßen ausgedrückt: „Nicht nur Organismen, welche die Produkte der Evolution sind, entwickeln sich, sondern die Mechanismen der Evolution selbst“13. Auch innerhalb der biologischen Evolutionstheorie selbst handelt es sich also um die Frage, ob die Faktoren und der durch sie gebildete Mechanismus der organischen Evolution sich stets gleich geblieben sind, so dass sie einfach als gegebene Voraussetzungen für die theoretische Erklärung der Evolution aller Arten und Artengruppen zu allen Zeiten genommen werden können. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt sich schon am Beginn der Evolution des Lebendigen. Die übliche Minimalforderung zur Kennzeichnung des Lebens, Stoffwechsel, Selbstreproduktion und Übertragung von Mutation, ist schon im Eigenschen Hyperzyklus erfüllt. Aber erst durch die sexuelle Fortpflanzung, die mit Eukarioten auftritt, wird systematisch Varietät erzeugt. Daher ist überhaupt anzunehmen, dass der Vererbungsmechanismus selbst einer Evolution unterliegt. Denn nach mehreren Generationen wird auch die bessere Vererbungsstrategie, die eine schnellere Umweltanpassung zustande bringt, ausgelesen und weiterentwickelt. Die Evolution der Evolutionsmechanismen bedeutet somit auch eine Optimierung des zeitlichen Aufwandes, der sonst gar nicht ausreichen würde, um die Vielfalt der Organismen in der komplizierten Struktur ihrer Baupläne hervorzubringen. Daher hat schon Darwin mit einem Hinweis auf Goethe von einem universellen Ökonomieprinzip der Evolution gesprochen: „Die Natur ist gezwungen, auf der einen Seite zu ökonomisieren, um auf der anderen mehr geben zu können“14. Damit ist bereits die primäre Aufgabenstellung des heuristischen Konzepts einer universalen Evolution angegeben: Sie besteht nicht in der Aneinanderreihung der einzelnen empirisch erfassbaren Bereiche, sondern in der Konstruktion einer integrativen Rahmentheorie mit einer Terminologie, mit der sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Differenzierungen dieses die gesamte Realität umfassenden Prozesses beschrieben werden können. Historisch gesehen hat sich ja bereits dieser integrative Charakter der Evolutionstheorie schon vor Darwin bei seinem Vorläufer Lamarck gezeigt, bei dem die beiden getrennt entwickelten Gebiete der Botanik und Zoologie zu einer einheitlichen Wissenschaft vom Leben, der Biologie vereinigt worden sind.
13 Dobzhansky 1965, S. 400. 14 Darwin 1859, dt. 1876, S. 172.
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Die Theorie der universalen Evolution Eine Theorie der universalen Evolution hat zwar im Prinzip den gleichen integrativen Charakter wie die bereits durch Newton historisch gelöste Frage nach der universalen Mechanik, die sowohl terrestrische als auch coelestische (Himmels-)Mechanik vereinigt. Nur sind hier die Verhältnisse wesentlich schwieriger. Denn es handelt sich hier nicht nur um die Frage nach einer einheitlichen Grundlagentheorie für die biotische, d. h. genetisch-organische Evolution und die sozio-kulturelle Evolution, sondern es geht auch um die Vereinigung mit einer Theorie der präbiotischen oder früher sogenannten „chemischen“ Evolution und der so genannten kosmischen Evolution, die eine physikalische Theorie ist. Dadurch wird die Theorie der universalen Evolution nur zu einer höchst abstrakten Rahmentheorie für konkrete Forschungsprogramme, d. h. ein Paradigma im Kuhnschen Sinn, das auf einem dynamischen Weltbild beruht, in dem die Vorstellung der Komplexitätssteigerung, so wie sie bereits Spencer mit seinem Entwicklungsgesetz vorweggenommen hat, offensichtlich die entscheidende Rolle spielt. Mit dem konkreten Nachweis der Komplexitätssteigerung in allen Gebieten der Natur und Kultur ist jedoch keine Fortschrittsideologie verbunden. Wie schon Darwin wusste, gibt es neben dieser Komplexitätssteigerung auch immer wieder Komplexitätsreduktion, die mit den Begriffen Devolution oder Involution ausgedrückt wird. Ja es kann sogar sein, dass als Folge einer Komplexitätssteigerung in einem Gebiet eine Komplexitätsreduktion in einem anderen Gebiet auftritt. Die auf den Menschen übertragene Evolutionstheorie behauptet daher auch keineswegs die Notwendigkeit einer absolut parallelen Entwicklung von Wissen, Moral und Religion. Aus diesen Überlegungen lassen sich nun folgende Konsequenzen ableiten: 1. Universale Evolution ist ein dynamischer Prozess der Komplexitätssteigerung. 2. „Komplexität“, bezieht sich nicht nur auf die Anzahl und Art der Elemente, sondern auch auf die Anzahl und Art der Verbindungen/Beziehungen der Elemente untereinander, wodurch erst ein System entsteht. 3. Komplexitätssteigerung setzt eine Evolution der Evolutionsmechanismen voraus, die als Iterationsprozess zu verstehen ist. D.h. ein bereits erreichter evolutionärer Zustand wird zur Grundlage des nächsten evolutionären Schrittes gemacht (konkretes Beispiel sexuelle Fortpflanzung auf Grundlage der Differenzierung von Körperzellen und Keimzellen). 4. Das höhere Komplexitätsniveau kann nur über eine instabile Krisenphase sozusagen „am Rande des Chaos“ erreicht werden. Mit dieser allgemeinen Charakterisierung stimmt die moderne Theorie der biotischen und präbiotischen Evolution überein, die im Sinne von N. Eldredge
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und S. J. Gould eine Theorie der punctuated equilibrii15 und im Sinne von M. Eigen eine Theorie ist, die Evolution „als eine unumkehrbare Abfolge von Katastrophen“16 auffasst. Damit ist auch der Wahrheitsgehalt der alten Katastrophentheorie (Cuvier) und des Saltationismus gerechtfertigt, ohne dass damit das Grundkonzept der Evolution zerstört wird. In diesem Zusammenhang erweist sich jedoch auch der Wert jener allgemeinen Spekulationen um ein universales Evolutionsgesetz, das einer der bekanntesten Evolutionsbiologen Ernst Mayr (1979), als ein „nichtssagendes Prinzip“ bezeichnet hat. Denn gerade die von Prigogine und Glansdorff vertretene Theorie der dissipativen Strukturen fern vom thermodynamischen Gleichgewicht, versteht sich ausdrücklich als eine Rechtfertigung des universalen Evolutionsgesetzes von Spencer aus dem Jahre 1862: „Entwicklung ist Integration von Materie und begleitende Dissipation von Bewegung“17. Das Grundproblem, das mit dieser Theorie der dissipativen Strukturen gelöst werden soll, ist die Vereinigung zweier entgegen gesetzter Aspekte (nämlich einerseits die fortschreitende Desorganisation, die durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, dem Entropiegesetz von Carnot und Clausius, nahegelegt wird, und andererseits das Anwachsen der Organisation durch Strukturentstehung wie sie als Entwicklungsgesetze unabhängig voneinander in verschiedenen Gebieten der Wissenschaft, Physik (Thermodynamik) und Biologie, aufgetreten sind. Wenngleich die von Darwin selbst eingeleitete Spekulation um ein allgemeines Evolutionsgesetz und die damit verbundene Erweiterung des Evolutionsbegriffs auf die so genannte präbiotische Evolution, welche die kosmische Evolution mit einschließt, von manchen Biologen abgelehnt wird, bereitet jedoch diese Erweiterung der Evolutionstheorie in den Bereich der anorganischen Natur keine weltanschaulichen Schwierigkeiten. Denn in der modernen Physik nach Einstein ist der alte Vulgärmaterialismus, wie er von Büchner und anderen alten Evolutionisten vertreten worden ist, obsolet geworden. Und selbst die Urknalltheorie kollidiert nicht mit dem Schöpfungsglauben. Denn wie ein mir befreundeter und leider schon verstorbener theoretischer Physiker (Roman U. Sexl), scherzhaft gesagt hat: Der Urknall, der in einem pulsierenden Universum auch nur ein Zwischenknall sein könnte, ist eine durch den Nachweis der schwarzen Hintergrundstrahlung wohl bestätigte Hypothese, aber ein Physiker darf nicht fragen, „wer urgeknallt hat“. Diese Selbstbeschränkung entspricht durchaus der Ansicht der Zeitgenossen Darwins und Darwins selbst. Sie wurde am nachdrücklichsten von Th. H. Huxley unter Berufung auf Hume vertreten, der in dem Gedanken der Evolution ein 15 Eldredge / Gould 1972. 16 Eigen 1988. 17 Glansdorff / Prigogine 1971.
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hypothetisches naturwissenschaftliches Erklärungsprinzip sah, das nur so weit reicht, als es empirisch begründet werden kann. Anfang und Ende des Evolutionsprozesses bleiben daher notwendig im Dunkeln und lassen keine eindeutige Erklärung zu. Darwin selbst hat sich in allen seinen Werken auf diesen Standpunkt gestellt. Er hatte zwar schon in der ersten Auflage seiner „Entstehung der Arten“ (1859) darauf hingewiesen, dass in diesem Werk „manches Licht auf die Entstehung des Menschen und seine Geschichte geworfen werden würde“, womit er andeuten wollte, „dass der Mensch mit anderen organischen Wesen in allgemeinen Zusammenhang gebracht werden muss, sobald es sich um die Art seiner Entstehung auf dieser Erde handelt.“ Er hatte jedoch zunächst nicht die Absicht sich darüber öffentlich zu äußern. Erst als eine Reihe von Arbeiten zu diesem Thema erschien, entschloss er sich, jene empirischen Belege zu veröffentlichen, die er seit Jahren über diesen Gegenstand gesammelt hatte. Darwin war zwar in seinen Aussagen vorsichtiger als manche seiner Anhänger, wie Vogt und Büchner, aber mindestens ebenso konsequent. Deshalb war er von Wallace und Lyell enttäuscht, die in der explosionsartigen Entwicklung des menschlichen Gehirns geradezu ein Wunder sahen, nach dem Motto: Unseren Kopf hat Gott geschaffen und unsere Lungen die natürliche Zuchtwahl. Für Darwin war es jedoch klar, dass dort, wo man ein Wunder, d. h. eine Erklärungslücke zulässt, tausend andere folgen. Die Abstammung des Menschen von einer niedriger organisierten Form ohne irgendwelche Konzessionen war daher für Darwin eine unumgängliche Konsequenz seiner Evolutionstheorie. Aber – und darin besteht sein evolutionärer Humanismus – er hat für alle diejenigen, denen der Gedanke einer solchen niedrigen Abstammung widerwärtig ist, einen Trost bereit: „Denn gerade der Umstand“, sagt er, „dass der Mensch die höchste Stufe der organischen Stufenleiter selbst erstiegen hat, anstatt von Anfang an auf sie gestellt zu sein, kann ihm die Hoffnung geben, dass in ferner Zukunft ihm eine noch höhere Bestimmung vorbehalten ist“18. Ein Zeitgenosse Darwins, Claparede der Systematiker der niederen Tiere, hat unabhängig von Darwin diese Überlegung kürzer und drastischer ausgedrückt: „Besser ein veredelter Affe als ein heruntergekommener Adam“19.
Die Sonderstellung des Menschen Wie steht es aber mit der Sonderstellung des Menschen? Oder genauer im Sinn der Darwinschen Evolutionstheorie gefragt: Worin besteht die Einzigartigkeit der biologischen Art homo sapiens, die sich von der prinzipiellen und wesent18 Darwin 1876, S. 619. 19 Zit. nach Büchner 1891, S. 335.
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lichen Sonderstellung des Menschen unterscheidet, wie sie der geisteswissenschaftliche, theologisch-philosophisch orientierte „klassische Humanismus“ angenommen hat? Bekanntlich versucht ja gegenwärtig eine interdisziplinär orientierte Anthropologie eine Antwort auf diese Frage zu geben. Einig ist man sich darüber, dass diese Einzigartigkeit des Menschen weder auf mehreren, noch auf einem einzelnen Merkmal beruht, die ihm allein zukommen20. Das stimmt mit Darwins Meinung überein, der alle diese Merkmale in abgestufter Weise auch bei den Tieren vorgezeichnet sieht. Das gilt nicht nur für die körperlichorganischen Merkmale sondern auch für die kognitiven und moralischen menschlichen Fähigkeiten. Doch eine solche gradualistische Vorstellung schließt nicht aus, dass aus der Kombination und Steigerung dieser Fähigkeiten schließlich einzigartige Leistungen entstehen, die im vormenschlichen Bereich nicht vorkommen können und die auf der Komplexität und Struktur des Menschenhirns beruhen, das sich gerade durch diese Leistungen im Sinn einer Rückwirkung weiterentwickelt hat. Darwin hat nicht nur den „gottähnlichen Verstand“ des Menschen sondern auch seinen besonderen Sinn für Moral mit der Rückwirkung der Sprache und damit auch des symbolischen Denkens auf das Gehirnwachstum des Menschen begründet. Die Integralrechnung wurde ja weder von Schweinen noch von Affen, sondern von Newton und Leibniz erfunden. Kurioser Weise hat dagegen Bonnet es nicht für unmöglich gehalten, dass „unter den Affen und Elefanten einst ein Newton und Leibniz erscheinen wird“21 und auch Kant war der Meinung, „dass ein Orang-Utang oder ein Schimpanse die Organe, die zum Gehen, zum Befühlen der Gegenstände und zum Sprechen dienen, sich zum Gliederbau eines Menschen ausbildete, deren Innerstes ein Organ für den Gebrauch des Verstandes enthielte und durch gesellschaftliche Kultur sich allmählich entwickelte“22. Für Darwin waren es aber nicht so sehr die kognitiven Fähigkeiten sondern, der weit über alle Vorformen im tierischen Bereich hinausreichende „Sinn für Moral oder das Gewissen“, den Darwin im Sinn der Kantischen Pflichtethik als charakteristisch für den Menschen angesehen hat. Der evolutionäre Ursprung des Pflichtgedankens liegt nach Darwin in einer Selbstüberwindung lebenserhaltender Triebe oder Instinkte, die vor allem zu Gunsten verwandter Lebewesen geschieht, wie er an unzähligen Beispielen nachweisen will. Die Sonderstellung des Menschen wird daher von Darwin nicht vollständig aufgehoben. Sie ist nur keine, die schon von vornherein vorhanden war und für immer gesichert ist. Denn es ist eine Sonderstellung, die sich der Mensch bzw. seine unmittelbaren Vorfahren selbst erkämpft haben. Das einzige, worin sich der Mensch von der 20 Vgl. Oeser 2009, S. 168. 21 Paling¦n¦sie philosophique 1789, S. 149, vgl. Oeser 1996, S. 74. 22 Kant AA VII, S. 328.
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gesamten Tierwelt unterscheidet, sind seine geistigen Fähigkeiten. Sie waren es, wie Darwin unter Berufung auf Wallace sagt, die es ihm ermöglichen, „sich mit einem unveränderten Körper mit dem veränderlichen Universum in Einklang zu erhalten“23. Es handelt sich also nicht um eine organische Sonderstellung, die der Mensch besitzt. Das gilt auch für die anatomische Struktur, Größe oder Gewicht des Menschenhirns, die allein die ungeheure Steigerung der geistigen Leistungen nicht erklären kann, die den Menschen auszeichnet. Das wusste auch Darwin, der ausdrücklich sagt, dass „niemand daran denkt, dass der Intellekt irgend zweier Tiere oder irgend zweier Menschen genau durch den kubischen Inhalt ihrer Schädel gemessen werden kann“24. Auch darf es heute als hinreichend gesichert gelten, dass sich das Gehirn des Menschen seit dem Neolithikum nicht mehr wesentlich verändert hat. Und daher braucht man auch kaum zu befürchten, dass irgendwann einmal in der Geschichte der Menschheit ein Übermensch mit ballonartigem Kopf, veränderter Zahnformel und drei Zehen mitleidig lächelnd in unseren Knochenüberresten herum stochern wird. Das sind übrigens Vorstellungen, die von Biologen und Anthropologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch vertreten worden sind. Heutzutage steht jedenfalls fest, dass in der gesamten eigentlichen Menschheitsgeschichte mit keiner wesentlichen organischen Veränderung des Menschen zu rechnen ist. Die historische Entwicklung des Menschen, die man auch als die soziokulturelle Evolution bezeichnet, ist somit eine zweite Art von Evolution, die auf der organischen aufbaut, aber nicht eine lineare Fortsetzung bedeutet. Für Darwin war diese zweite Art der Evolution die Grundlage und der Ausgangspunkt für eine Theorie der intellektuellen und moralischen Weiterentwicklung des Menschen, die man auch als eine Selbstüberwindung seiner natürlichen Anlagen betrachten kann. Mit diesem Grundgedanken ist es Darwin gelungen, ein Prinzip einzuführen, das nicht nur wie das Selektionsprinzip negativ den Untergang des Alten, sondern auch die Entstehung des Neuen erklärt. Denn Darwin hat den Prozess in der sozialen und moralischen Entwicklung der Menschen als ein Kooperationsphänomen gesehen. Damit wird ausdrücklich neben das Prinzip des „Kampfes“ das Prinzip des „Zusammenwirkens“ gestellt, das die Grundlage für jede Art von „Selbstorganisation“ im Sinn der heutigen Terminologie bedeutet. Ausgehend von der Überlegung, dass „kein Stamm als solcher existieren könnte, wenn Mord, Raub und Verrat allgemein verbreitet wären“, kommt Darwin zur Auffassung, dass sich zunächst innerhalb des Stammes soziale Tugenden entwickeln, die sich später auf größere Gemeinschaften erstrecken. Sodass sich schließlich die sozialen Tugenden auf die 23 Wallace 1864, p. CLVIII. 24 Darwin 1876, S. 69.
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ganze Nation ausdehnen. Als Endzustand schildert Darwin einen Zustand, in dem sich die Sympathie „auf die Menschen aller Nationen und Rassen“ ausgebreitet hat25. Dass dieser Endzustand ein utopisches Bild ist, von dem wir noch weit entfernt sind, wenn wir es überhaupt je erreichen sollten, davon hat auch Darwin selbst eine Ahnung gehabt, wenn er auch darauf hinweist, dass intellektueller und moralischer Fortschritt des Menschen keineswegs immer parallel laufen müssen. Vielmehr gibt es für Darwin Beispiele genug, „dass der Erkenntnisgewinn des Menschen die Ursache einer zeitweiligen, jedoch lange andauernden moralischen Degeneration“ sein kann. Das aber ist, wie ein ungenannter Kritiker Darwins bereits im „Spectator“ vom 12. März 1871 bemerkt hat, eine „neue Theorie des Sündenfalles des Menschen“, über deren Orthodoxie sich Darwin selbst nicht im Klaren war. Denn damit scheint die jüdisch-christliche Lehre von der moralischen Entartung des Menschen infolge seiner Jagd nach Erkenntnis auch evolutionistisch ihre Rechtfertigung zu haben. Allerdings muss der ursprüngliche Unschuldszustand des Menschen als eine Illusion angesehen werden, seitdem man Australopithecus als „Mörderaffe“ entlarvt und dem Neandertaler eine höchst unangenehme Neigung zum Kannibalismus nachgewiesen hat. Dass die ursprüngliche Raubtiernatur des Menschen durch die Vermehrung seines Wissens nicht gelitten hat, zeigt die gesamte Geschichte der Menschheit. Kaum eine wissenschaftliche Entdeckung wurde jemals gemacht, ohne dass sie zugleich auch zu einem Werkzeug der Folter und der Vernichtung wurde. Die Erfindung des Rades, die Verwertung und Bearbeitung der Metalle, die Erfindung des Schießpulvers sind klassische Beispiele dafür.
Das Problem einer Brückendisziplin zwischen biologischer Evolutionstheorie und einer Theorie der soziokulturellen Evolution Darwin hat bereits bei der Veröffentlichung der „Entstehung der Arten“ erkannt, dass die Übertragung der Evolutionstheorie auf den Menschen an dem von Julian Huxley bezeichneten „kritischen Punkt“ erfolgen muss, nämlich die Entstehung und Entwicklung des menschlichen Geistes: „In einer fernen Zukunft sehe ich die Felder für noch weit wichtigere Untersuchungen sich öffnen. Die Psychologie wird sich mit Sicherheit auf den von Herbert Spencer bereits wohl begründeten Satz stützen, dass notwendig jedes Vermögen und jede Fähigkeit des Geistes nur stufenweise erworben werden kann. Licht wird auf den Ursprung der Menschheit und ihre Geschichte fallen“26. 25 Darwin 1871, dt. Übers. von Gärtner o. J., S. 157. 26 Darwin 1876, S. 576.
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Die Frage ist daher, ob nun die heutzutage so genannte „evolutionäre Psychologie“ die Brückendisziplin zu einer Theorie der soziokulturellen Evolution bilden kann. Die Antwort darauf ist: Nein. Denn, wenn Darwin von „Psychologie“ spricht, meint er nicht das, was heute darunter zu verstehen ist. Zu seiner Zeit gab es noch nicht die Psychologie als empirisch-experimentelle Wissenschaft. Sie war, was aus dem Hinweis auf Spencer hervorgeht, ein Teil der Philosophie und hat sich erst später in Anlehnung an die experimentelle Methode der Physik als eine von der Philosophie abgelöste empirische Wissenschaft etabliert. Und auch das, was heute „evolutionäre Psychologie“ genannt wird, entspricht nicht dem ursprünglichen Forschungsprogramm Darwins, hinter dem ganz eindeutig ein philosophisches Anliegen liegt, was schon daraus hervorgeht, dass sich Darwin in diesem Zusammenhang immer wieder auf Kant beruft. Damit soll nicht die Berechtigung einer „evolutionären Psychologie“, die aus der Ethologie, der vergleichenden Verhaltensforschung entstanden ist, geleugnet werden. Abgesehen davon, dass sie allzu sehr auf die Selektion durch sexuelle Fortpflanzung fixiert ist, kann sie schon deswegen nicht als die Grundlage oder als Brückendisziplinen zwischen der biologischen Evolutionstheorie und einer Theorie der soziokulturellen Evolution darstellen, weil es dort um die Entwicklung von normativen Prinzipien der menschlichen Gesellschaft geht. Diese Position einer Brückendisziplin kommt vielmehr der ebenfalls aus der Ethologie entwickelten und von Darwin selbst als logische Konsequenz seiner Evolutionstheorie initiierten evolutionäre Erkenntnistheorie und Ethik zu. Denn im Unterschied zur bloß empirisch-experimentell vorgehenden evolutionären Psychologie, welche sich bloß um die biologisch begründbare Basis des menschlichen Verhaltens kümmert, haben diese Disziplinen normative Konsequenzen, die in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und Kultur einschließlich Recht und Wirtschaft ein entscheidende Rolle spielen.
Evolutionstheorie und religiöser Schöpfungsglauben Die Frage nach dem Verhältnis von Evolutionstheorie und religiösen Schöpfungsglauben ist mindestens so alt wie die Evolutionstheorie selbst. Bereits in der Zeit vor Darwin und vor Lamarck hatte man dieses Verhältnis als Alternative angesehen. Während Linn¦s Theorie von der Artkonstanz mit dem Schöpfungsglauben vereinbar war, ja sogar von ihm selbst vorausgesetzt worden ist: „Es gibt so viele Arten, wie der unendliche Eine Gott am Anfang als verschiedene Formen hervorgebracht hat“27, hatte bereits der Hauptvertreter der naturge27 Phil. bot. 1763, Aph. 157, vgl. Oeser 1974, S. 27.
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schichtlichen Betrachtungsweise Buffon auf die „verborgenen Ähnlichkeiten“ im Bauplan der Tiere hingewiesen und dafür zwei alternative Erklärungen angeboten: Entweder ist der Grund dafür die Einfachheit der Schöpfungsidee Gottes oder es sind alle Tiere von einem einzigen Tier her gekommen, das im Lauf der Zeit alle Arten der anderen Tiere hervorgebracht hat. Diese zweite Erklärung wurde bekanntlich schon vor Darwin von Lamarck zur ersten Form der Evolutionstheorie ausgearbeitet. Diese konnte sich jedoch gegenüber der Katastrophentheorie Cuviers nicht durchsetzen, dessen Hauptargument das Fehlen fossiler Bindeglieder war. Cuviers Theorie bezieht sich nur auf den Massentod und das Aussterben von Arten. Sie ist jedoch nicht eine kreationistische Theorie, was immer wieder fälschlicher Weise behauptet wird, in dem Sinn, dass es nach jeder der periodisch auftretenden Katastrophen immer wieder Neuschöpfungen gegeben hat. Solche Vorstellungen wurden abgesehen von Alcide d’Orbigny vielmehr von den an der Bibel orientierten englischen Geologen und Paläontologen (Buckland, Owen) entwickelt. Genau so wenig, wie Darwin für den Sozialdarwinismus verantwortlich gemacht werden kann, genau so wenig ist er auch für den Atheismus verantwortlich, der nachträglich als materialistische Ideologie ohne logische Notwendigkeit auf die Evolutionstheorie draufgesattelt worden ist. Denn Darwin selbst hat in dem Verhältnis von Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben keinen Widerspruch gesehen, sondern vielmehr die Evolutionstheorie in einer besseren Übereinstimmung mit dem Schöpferglauben als die Konstanztheorie der Arten betrachtet: „Schriftsteller ersten Rangs scheinen vollkommen von der Ansicht befriedigt zu sein, dass jede Art unabhängig erschaffen worden ist. Nach meiner Meinung stimmt es besser mit den der Materie vom Schöpfer eingeprägten Gesetzen überein, dass das Entstehen und Vergehen früherer und jetziger Bewohner der Erde durch sekundäre Ursachen veranlasst werde – denjenigen gleich, welche die Geburt und den Tod des Individuums bestimmen … Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und dass, während unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt“28. Das klingt wie die theologische Interpretation der Evolutionstheorie als intelligentes Design. Doch gerade diese Ansicht, die mit der Idee der Höherentwicklung zum Menschen als Krone der Schöpfung verbunden ist, hat sich in der Weiterentwicklung der Evolutionstheorie nicht bestätigt. Denn eine der wichtigsten Theorienkomponenten der Darwinschen Evolutionstheorie, der Gra28 Darwin 1876, S. 576 ff.
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dualismus, lässt sich angesichts der Untersuchungen über das mehrfach nachgewiesene Massenaussterben von Arten in der Millionen lange Geschichte der Lebewesen nicht mehr aufrechterhalten. Das am besten untersuchte Beispiel dafür ist das Aussterben der Dinosaurier und vieler anderer Arten von Lebewesen am Ende der Kreidezeit. Und dass auch die biologische Art homo sapiens zu Grunde gehen wird, haben schon die Physiker und Astronomen des 19. Jahrhunderts in beklemmenden Bildern über den Wärmetod oder den Kältetod des Weltalls vorausgeahnt29. Und ein Physiker der Gegenwart, der über die ersten drei Minuten des Ursprungs des Universums und seiner Auslöschung durch unendliche Kälte und unerträgliche Hitze nachgedacht hat, stellt resigniert fest: „Je begreiflicher uns das Universum wird, um so sinnloser erscheint es auch“30. Selbst dann, wenn uns das anscheinend unweigerliche Ende des Universums nicht bekümmern muss, weil es erst in Milliarden von Jahren eintreffen könnte, weist schon heute das Ausmaß an Leid und Zerstörung, das Naturkatastrophen oder selbst gemachte Katastrophen immer wieder die geplagte Menschheit trifft, eher auf ein „unintelligentes Design“31 hin. Heutzutage hat man erkannt, dass in der realen Welt Komplexität und als deren wesentliche Strukturmerkmale Zeit und Veränderung herrschen. Katastrophen sind daher in einem dynamisch-evolutionären Weltbild nichts Ungewöhnliches, sondern bestimmen überall den zeitlichen Ablauf im Universum32. Aber alle wohlgemeinten Versuche dieses dynamisch-evolutionäre Weltbild der modernen Naturwissenschaft mit dem Schöpfungsbericht der Bibel oder der Apokalypse des Neuen Testaments in Einklang zu bringen, beruhen auf einem fundamentalen Missverständnis. Denn bei den Aussagen der Bibel handelt es sich nicht um eine naturwissenschaftliche Faktensprache, sondern nach Auffassung moderner Theologen „um eine metaphorische Bildersprache, mit der dem Menschen Gott als Ursprung und Vollender der Welt verständlich gemacht werden soll“33. Mit anderen Worten: Die Theologie hat in der Naturwissenschaft nichts zu suchen. Sonst geht die so mühsam erkämpfte Befreiung der Naturwissenschaft von religiösen Vorstellungen, die nicht der Erkenntnis sondern der Sinngebung dienen, wieder verloren.
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Evolutionstheorie im Dialog
Philip Clayton
Why the New Atheism is Bad Science: Culture and the Philosophy of Nature after Systems Biology
Hätte sich herausgestellt, dass Richard Dawkins in “Das egoistische Gen” mit seinen Darstellungen darüber, wie Biologie arbeitet, recht behielte, dann würden Biologie und die meisten Religionen auf der Welt tatsächlich in einem Krieg bis zum bitteren Ende kämpfen. Es zeigt sich jedoch, dass Dawkins im Irrtum war. Biologische Erklärungen schreiten nicht von den Genen aus aufsteigend, in einer unidirektionalen Linie fort. Im ersten Teil dieses Beitrags stelle ich die Philosophie der Biologie, wie Dawkins sie in “Das egoistische Gen” zeigt, einer solchen Philosophie der Biologie gegenüber, die epigenetische Effekte und neue Arbeiten zur Systembiologie berücksichtigt. Dann untersuchen wir die Implikationen, die diese neue Biologie für das Verständnis von Co-Evolution, Kultur, mentale Darstellungen, Selbstbewusstsein und philosophische Reflexion hat. Wenn die Evidenz weithin die neue Biologie unterstützt und die menschliche Kultur daher auf diesen Wegen wahrhaft emergent ist, dann ist das Verhältnis zwischen Biologie und Religion radikal anders, als in dem Bild, das Dawkins von ihr zeichnet. If it had turned out that Richard Dawkins was right about how biology works in The Selfish Gene, then biology and most religions would indeed be engaged in a war to the death. As it turns out, however, Dawkins was wrong. Biological explanations do not proceed from the genes upward in a uni-directional line; random variation and selective retention do not tell the whole story. In the first part of this paper I contrast the philosophy of biology that Dawkins offered in The Selfish Gene with more recent results, focusing in particular on recent work in systems biology. I then briefly trace out the implications of this new biology for interpreting co-evolution, culture, and the philosophy of nature. If the evidence continues to support the new biology and if human culture is indeed “strongly emergent” in these ways, then the relationship between biology, philosophy, and religion is radically different from the picture that Dawkins has painted. It’s one thing to criticize the so-called new atheists because they don’t leave room for self-consciousness (das Andere seiner selbst), or for God as causa
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prima, or for divine action; such reasons, whatever their merit, fall outside of the sphere of biology. Similarly, philosophers and theologians can leave evolution behind as true but irrelevant when they turn to more purely philosophical and theological matters. But here I encourage them to resist that temptation. For imagine how embarrassing it would be if new atheists like Dawkins turned out to be wrong not only about religion but also about biology. This, at any rate, should be the commitment of contemporary philosophers of nature: to understand the best natural science or our day, and then to incorporate it into the most appropriate philosophical framework. (I return to this project at the end of the chapter.) My thesis is not difficult to state: I take the types of dynamics and the patterns that we see in systems biology today to express the fundamental dynamics of living systems. The patterns that we will be examining first arise with the origin of life, and they extend across the entire reach of the biological sciences. We first encounter a sharply different dynamic with the evolution of culture, viz. the Lamarckian dynamic of the transmission and inheritance of learned behaviors, something which is by and large absent in genetic inheritance. Systems biology represents an important new paradigm in biology. Its assumptions are significantly different from the ones expressed in (e. g.) Dawkins’ The Selfish Gene. The contrasts make some difference in actual research, though scientifically Dawkinsian genetics and systems biology are not generally viewed as incompatible. From the standpoint of the philosophy of biology, by contrast, the differences are crucial. When one takes the assumptions that drive systems biology and begins to conceive human culture and philosophy in light of them, one obtains a starkly different interpretation than the one suggested by the Dawkinsian model, namely the co-evolution of biology and culture. This model in turn leads to a more adequate conception of consciousness and human reflection. Note that the epistemic status of my argument shifts as we move from more scientific to more philosophical matters; they are different kinds of arguments. The empirical and scientific value of systems biology is beyond question; I will not take time to defend the new sciences. But interpreting systems biology is more controversial. Although some maintain that it is not really that different from standard neo-Darwinism, I will argue that some of its underlying assumptions diverge significantly from old-style genetics. Note that working out the theoretical assumptions that underlie systems biology is not the same as reporting on its empirical results; matters of interpretation are inherently more controversial than the biology itself. One should never confuse the results of a good philosophical argument with direct empirical results, since different epistemic frameworks are involved in the two sorts of inquiries. Applying systems biology to the evolution of culture represents the second
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step of the argument. Here I will draw an analogy between how levels of phenomena are related in microbiology and how levels of phenomena are related in macrobiology. Defending this analogy requires arguments drawn from the philosophy of science (Wissenschaftstheorie), not just from microbiology. We will find that the analogy has some intriguing implications, which I summarize under the heading of the coevolution of biology and culture. To argue in this way is to challenge a widespread assumption, shared by many readers and writers of biology at least in the United States today, that one should eschew broader questions about biology when they began to become philosophical. Attempts to silence serious philosophical reflection are dangerous; they attempt to suppress questions by an appeal to authority when they ought to be resolved by reason. The problem at present is not that there is too much good philosophical reflection based on the biological sciences, but rather far too little.
Systems Biology Today The term “systems biology” was rarely found in the literature before 2000. The field has antecedents in systems theory, which sought to construe all phenomena as a web of relationships and to specify a single set of concepts and methods that would guide the study of all the different kinds of systems.1 Early applications of systems theory to biology were heavy on theory but lacked sufficient data and computational power to develop real empirical models. But, as R¦ka Albert notes, “the recent advent of high-throughput technologies brought an abundance of data on system elements and interactions, leading to a revival of systems biology”2. She adds, “Biology is in need of a discipline that goes beyond the properties of individual biomolecules, but takes seriously their organisation into a functional living whole. So, rather than a molecular biological theory of the cell (which keeps the matter, but throws away the organisation), we need a systems theory of the cell (which throws away the matter, but keeps the organisation).”3 By 2007, there were at least 10 different journals whose name included “systems biology”, and a vast literature is now emerging. Systems biology is defined as “the science of discovering, modeling, understanding and ultimately engineering at the molecular level the dynamic relationships between the biological molecules that define living organisms.”4 This means understanding the cell as a dynamical system: 1 2 3 4
See e. g. Bertalanffy 1968; Weinberg 1975; Heinrich / Schuster 1996; Francois 1999. Albert 2007, pp. 3327 – 3338; internet. Ibid. Hood, internet.
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“Systems biology is the study of an organism, viewed as an integrated and interacting network of genes, proteins and biochemical reactions which give rise to life. Instead of analyzing individual components or aspects of the organism, such as sugar metabolism or a cell nucleus, systems biologists focus on all the components and the interactions among them, all as part of one system.”5
As Bernhard Palsson notes, “It is not so much the components themselves and their state that matters, contrary to the components view, but it is the state of the whole system that counts … We cannot construct all higher level functions from the elementary operations alone. Thus, observations and analyses of system level functions will be needed to complement the bottom-up approach. Therefore, bottom-up and top-down approaches are complementary to the analysis of the hierarchical nature of complex biological phenomena … There will be additional constraints and considerations that arise as we move up the hierarchy. Thus there may be measurable changes at a lower level that are inconsequential at a higher level.”6
In order to study biological processes as complex systems, systems biologists engage in “studies that elaborate on large scale analyses of biological molecules and their interactions.”7 Typically, they seek to draw network diagrams of biological processes, where the nodes are genes or proteins or metabolites and the edges stand for interactions. For example, we now know that stress responses in bacteria are controlled by complex networks of molecular interactions, which involve genes, mRNAs, proteins, and metabolites.8 Thus, rather than focusing on the characteristics of individual molecules, or on the cellular effects of the expression of individual genes, systems biologists study systemic features of inner- and intra-cellular dynamics at each of the major levels of analysis. The first system is genomics, the study of the genome, the complete genetic blueprint of a cell or organism. Next comes transcriptomics, which studies the entire system of gene transcription in a cell. The next level of analysis is proteomics, which represents one of the great breakthroughs in this field. “Proteomics” refers to all the proteins expressed by a particular genome.9 It is a functional study, focusing on the physiological functions of proteins within a cell or organism. For example, the proteomic pattern analysis of serum involves studying the various signal pathways that are dysfunctioning in the tumour cells of a patient.10 The next level after proteomics is metabolomics. As proteomics offers a 5 6 7 8 9 10
“Systems biology – The 21st century science”, internet. Palsson 2006, pp. 13 – 4, 22 – 3, 284. Ofran 1998, pp. 594 f. See the data from the Ibis Institute in France and the literature cited there. “Proteomics”, internet. Petricoin et al. 2002.
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systematic picture of protein interactions, metabolomics seeks to present the same sort of systemic picture for all the components of the metabolism in a biological system. Usually these are cells, but they could also be tissues, fluids, or whole even organisms. Because metabolomics examines “the ultimate down stream effect of changes in transcription and translation”, it could “potentially provide us with molecular events close to the phenotype(s) under investigation.”11 Metabolites are fast moving targets, however. For yeast cells (Saccharomyces cerevisiae), for example, intracellular metabolites may survive for only a second or less. It’s thus necessary to quickly “freeze” all metabolic processes. Highly sophisticated technologies, such as nuclear magnetic resonance spectroscopy and mass spectrometry, are necessary to measure the metabolites while they are still detectible.12 A complete metabolomics would generate the biochemical profile for a given organism; it would bridge the gap between transcriptomics or proteomics and the phenotype as a whole. For metabolomics is a function of all the different regulatory processes inside the cell, for example the regulation of transcription and translation and the regulation of all the interactions between proteins. This level of study integrates all the available information concerning the functioning of the cell; it thus “defines the phenotype of a cell or tissue in response to genetic or environmental changes.”13
Interactions of Levels Note that these are data and calculations that the neo-Darwinians did not have when they constructed the “New Synthesis” (of Darwin and genetics) in the second half of the 20th century. Since they lacked this data, we can understand how they made their mistakes. But biology today offers us a very different picture of how biological systems develop and how they function. We now know that the causal arrows between genes and proteins, and between proteins and organismic development, are bidirectional, not unidirectional. As Cliff Joslyn puts it, “In evolved systems we recognize spatial scaling from subatomic particles through astronomical objects, and complexity scaling from subatomic particles through chemical systems to social organizations. Each of these threads is dominated by the
11 “Metabolomics”, internet. 12 See Villas-Búas, S. G. et al. 2005, pp. 613 – 46 and internet. 13 Ibid. It may even tell us whether or not an organically grown apple really is different. Youle 2009, internet.
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same concepts: wholes and parts, insides and outsides, and alternating levels of variation and constraint.”14
It’s widely known that genes code for proteins. But only when scientists began to map out the functions of proteins in the cell did we learn to what extent the cell’s functional needs cause certain genes to be expressed at certain times. Consider, for example, the transcriptional regulatory networks in Saccharomyces cerevisiae. These cells have up to 6,000 genes and at least 17,000 gene interactions. Genetic interaction maps for budding yeast cells now show how genes “cluster” according to the different key roles they play within these cells. According to the authors of a landmark study, the network map “reveals that gene expression programs and cellular functions are highly connected through networks of transcriptional regulators that regulate other transcriptional regulators.”15 Incidentally, the yeast maps have led to unexpected progress in cancer research, for example by Phil Hieter et al., since they have provided new clues for killing tumor cells. Charlie Boone notes that “the idea of creating a yeast genetic interaction map and testing its conservation as a potential means of killing human cancer cells was proposed over ten years ago. Only now have all the components come together, enabling Dr. Hieter’s group to realize [his] landmark study.”16 Trey Ideker, professor of bioengineering at University of California (San Diego) puts it even more strongly : “Our work supports the notion that cancer is a disease of pathways… The keys for understanding at least some of these pathways are encoded in protein networks.”17 Recent years have seen a growing maturity of the work in systems biology. Researchers are now able to use computational analyses of specific signaling networks in order to resolve many of the puzzles about how cells function. As specific hypotheses are developed and tested in living cells, the modeling tools become more and more sophisticated.18 At this point these functional studies are far more accurate than the bottom-up, gene-based models of the previous generation. Bioengineering offers further evidence of the power of this approach; systems biologists are now developing synthetic viruses to attack cancer cells, creating biosensors to detect arsenic in drinking water, developing biofuels, and designing algae that process carbon dioxide to reduce powerplant emissions: 14 15 16 17
Joslyn 2000, p. 67. See Lee et al. 2002, pp. 799 – 804 and the summary (internet). “Where science, art and medicine collide: Featuring a genetic masterpiece”, internet. “Will breast cancer spread? UCSD bioengineers answer”, internet. Ideker’s group achieved a 9 % increase in metastasis prediction accuracy over the two main sets of individual gene markers, raising metastatic prediction accuracy for breast cancer to roughly 72 %. 18 See e. g. the work of the Hamner Institutes, internet.
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“By studying the relationships between the components that make up an organism, systems biologists build a systems-level understanding of how the biological world works. Like engineers, they solve problems by understanding systems and then applying that knowledge to control them. As a result, systems biology is not only a scientific discipline but also an engineering one.”19
The level of gene expression is no longer seen as sufficient for understanding and predicting key phenomena such as breast cancer metastasis; only by including higher-level analyses is one able to explain the relevant phenotypic changes. Signaling pathways play key roles in the cell’s “decision” whether to proliferate, differentiate, or die. As scientists at the German Cancer Research Center, put it, “Alterations in signaling pathways and connected gene regulatory networks can change cellular decisions and thereby trigger the onset of tumor formation.”20 Systems biologists reject gene-centrism. Instead, they study networks of genes, proteins, hormones, and other parts of cell metabolism, and now intercellular interactions and other environmental factors as well. In this theoretical perspective there is no privileged base; it’s interactions all the way up and interactions all the way down. Organisms consist of the two-way interactions of parts and whole, of genome and environment. Dawkins’ The Selfish Gene may or may not have been right about the selfishness of organisms, but it was wrong about one thing: the story of biology is not all about the genes. The level of analysis in cutting-edge work has now shifted to the aggregate behavior of genes as they are connected together into functional networks.
Drawing Conclusions from Systems Biology The stage is now set for asking the central question: what happens when the new approaches are taken as a model for understanding biology as a whole? Is the resulting picture more adequate than gene-centric interpretations of biology? If so, then schools such as sociobiology or reductionist neuropsychology or the new atheism, which presuppose the old view, are not only wrong for philosophical reasons; they are wrong about the biology as well. The Institute for Systems Biology offers a concise summary of the implications of what we have seen so far : “In summary, systems are comprised of parts which interact. The interaction of these parts gives rise to new properties and functions which are key to the system. We call these new properties and functions ,emergent properties‘ … To understand systems, 19 See Paxon / Zannella, internet. 20 “SBCancer – systems biology of signalling in cancer“, internet.
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and to be able to fully understand a system’s emergent properties, systems need be studied as a whole.”21
“Systems biology is not the biology of systems”, writes Hans Westerhoff of the Free University in Amsterdam; its novelty lies in the fact that it studies the interactions between the individual components and the system. “It’s those new properties that arise when you go from the molecule to the system… It’s different from physiology or holism, which study the entire system. It’s different from reductionist things like molecular biology, which only studies the molecules. It’s the in-between.”22 Thomas Paterson, chief scientific officer at Entelos (Foster City, Calif./USA), emphasizes that systems biology takes a “top down” approach. His conclusions are similar : “We start with the high-level system phenomenon and work down. The end point that we care about is not a protein-protein interaction. It’s not even how a cell behaves in culture. It’s how the integrated human system is going to behave.”23 I will argue that systems biology has not eliminated the quest for good downward-oriented explanations. But it has shown that explanations “from below” are not enough. Specifically, – talk of networks, distributed systems, and components now replaces talk of hierarchies; – teleological language – language about the purposes and functions served by structures and processes – plays a crucial role in these explanations. In complicated organisms that are comprised out of many, many subordinate networks, subsystems have goals that are subtasks, which contribute to the organism’s overall “purpose” of survival. – The resulting science is not solely bottom-up: lower levels constrain outcomes, but they do not specify them. – The complexity of these systems is staggering, and – predictions cannot be made from the lower levels alone. Processes like diffusion across cell membranes do constrain intracellular processes, and through them all higher-level functions, but they are not sufficient to specify the outcomes of the higher-level processes. – And just consider how far we have to go before we can begin to model a simple multi-cellular organism – not to mention a human being! The biological world is far more complex, multi-factorial, and multi-causal than the genecentric model acknowledges. Agents and actors emerge as systems-of-systems, and a complete biology cannot omit their roles. Molecular structures 21 “Why systems matter”, internet. 22 Quoted in Henry 2003, pp. 45 – 55 and internet. 23 Ibid.
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continue to play an important role, of course, but so do physiological, organismic, and environmental factors. Philosophers of science have done important work to flesh out the implications of this new approach. Thus Jay Lemke notes that, “certainly for biological systems, and probably for many others as well, the richness of their complexity derives in part from a strategy that organizes smaller units into larger ones, and these in turn into still larger units, and so on.”24 In his excellent book Sunny Auyang notes, “Our sciences present the world as a hierarchical system with many branches, featuring individuals of all kinds … [T]he hierarchy of individuals is not merely a matter of classification. It is underwritten by the composition of the individuals…”25 He adds, “All individuals except the elementary particles are made up of smaller individuals, and most individuals are parts of larger individuals. Composition includes structures and is not merely aggregation…”26
Why Not Calculate Our Way Up to Ecosystems? Now an opponent might try to draw the opposite conclusion: why, he argues, couldn’t we extend the knowledge of cellular processes all the way up, using it to explain organismic behaviors and ultimately the dynamics of entire ecosystems? Perhaps the gene is not the basic unit of biology, but why not say that the cell is? Why not a new reductionist biology of the cell? To draw this conclusion would be to misunderstand the state of systems biology today. At present the hope is someday to model the interactions within simple prokaryotic cells, which usually consume only one kind of medium, such as glucose. We have not begun to model cross-level relationships between two different kinds of eukaryotic cells, say, kidney and liver cells. The complexity of these systems is staggering. (Biophysicists such as Harold Morowitz and ecosystem theorists such as Robert Ulanowitz come to similar conclusions27). The human genome consists of about 25,000 genes, and each produces, on average, three unique transcripts. This genotype in the fertilized human egg will develop into a human being with about 1014 cells and with over two hundred distinct cell types.28 Complex signaling networks coordinate the entire developmental process and preserve homeostasis in the organism. The 24 25 26 27 28
Lemke 2000, p. 100. Auyang 1998. Ibid., 40. Ulanowicz 2009. The argument here builds on his earlier work, Ulanowicz 1986. In this section I summarize from Palsson 2006, pp. 79 – 81.
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signaling network in a human, writes Palsson, includes genes for 1,543 signaling receptors, 518 protein kinases (i. e., enzymes that modify other proteins by chemically adding phosphate groups to them), and approximately 150 protein phosphatases (enzymes that dephosphorylate their substrate, i. e., the opposite of kinases). These networks activate or inhibit some 1,850 transcription factors in the nucleus, thereby composing the transcriptional regulatory network. But remember that the average number of protein interactions for a protein, at least in the yeast signaling network, is five. This multiplies the complexity of these networks even further. What would it take for scientists someday to predict the behavior of such systems from the bottom up? We have seen that the computational complexity for just a single cell is immense. Now consider the multiple receptor states of multiple cells. Now add the range of possible quantitative relationships among the reactants and products in these chemical reactions (stoichiometry). What you have so far is merely the description of the cell in a static state. So now add kinematics, the calculations of movement. Now add perturbations and flux so that you can begin to calculate the kinematics. And, God forbid, someone should come along and shake the Petri dish! Yet it nature organisms and systems are constantly being perturbed by other massively complex organisms, whether flies, flees, frogs, or Filipinos. The result is clear : there are fundamental constraints on far one can go with the bottom-up method. In biological systems we face dynamic complexities beyond what can be calculated. We soon need “pruning algorithms” (H. Morowitz) as we reach complexities beyond what we can measure and calculate. The “sensitive dependence on initial conditions”, made famous in a field of complexity studies knows as “chaos theory,” becomes a limiting factor on how far one can go. A systems approach to biology across levels offers the solution. In this approach, one specifies the particular types of informational content for the various dynamical processes that occur on specific levels of the hierarchy, for example the informational content of proteomics or metabolomics. Specifying different reactants and processes at different levels of the hierarchy builds compensates for the combinatorial explosion that otherwise would bring biological explanation to its knees. As noted above, systems biology does not describe the levels as discrete but rather as nodes of interaction. They represent different levels of self-organization and closure, in which specific processes create interactions that are not reducible to lower-level nodes of interaction. This approach acknowledges that higher-level processes evidence their own causal interactions and that they also constrain lower-level processes. There are operators specific to each given self-organizing structure, which explains the requirement that we use explanations in terms of the structures and functions
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specific to each given level of the biological world. Mathematical biology is providing a clearer and clearer sense of the constraining factors from lower-level systems. But these will never allow us to “bootstrap” our way all the way up through the hierarchy of systems. Explanations will always have to be given that are specific to each particular level – or at least to the interactions of that level with the levels immediately above and below it in the hierarchy.
Systems Biology and Interpreting Culture I suggest that the approach I have just defended offers at least a framework for answering the age-old question, “what is life?” Life lies not just in the genetic information, as if therein lay the full explanation for the complexities of organismic functioning. Instead, the exploding complexity of life is made possible by the interacting levels, the constraints from below and from above, that systems biologists study. Richard Langton, one of the founders of the field of “Artificial Life” (the study and design of artificial systems that exhibit similar behavior to that of living things) powerfully formulates this insight: “Life is a property of form, not matter, a result of the organization of matter rather than something that inheres in the matter itself. Neither nucleotides nor amino acids nor any other carbon-chain molecule is alive-yet put them together in the right way, and the dynamic behavior that emerges out of their interactions is what we call life. It is effects, not things, upon which life is based-life is a kind of behaviour not a kind of stuff-and as such it is constituted of simpler behaviors not simpler stuff.”29
The lower (and earlier) levels in the hierarchy constrain the later ones. No organism can do what is chemically or physically impossible. But these sciences do not fully determine, and hence do not fully explain, biological processes. Instead, they function like a leash, limiting the range of possibility for living systems but not deciding exactly what direction they will follow, just as the leash limits how far the dog can run but does not determine in which directions he runs. There are no shortcuts for explaining organisms; they have to be understood as the systems of systems that they actually are, and the dynamics of each of their component systems have to be studied both for themselves (e. g., proteomics) and in their functional interdependencies with lower- and higher-level systems. Whether one’s interest is the biochemistry of intercellular signaling or evolutionary developmental biology or ecosystem dynamics, the same rule applies. There is much to say about the intricacies of this hierarchy of levels as they are 29 Ofran 1998, pp. 594 f.
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being established in recent biological research. But most would agree that no serious philosophical issues arise until one gets to the evolution of culture. At this point the dynamics are seriously enough different from those of earlier levels that some begin to dissent, arguing that from this point on more reductionist explanations are necessary. Cultural transmission is Lamarckian (it exhibits the inheritance of acquired characteristics) whereas biological inheritance is fundamentally Darwinian (sperm and eggs transmit the genome, not acquired characteristics). So how could the study of culture function as an equal with biological explanations? Should they not trump it, reducing cultural dynamics to results of biological dynamics? But to respond in this way is to substitute the philosophical dogmas of materialism and reductionism for the more basic responsibility of science, namely, to study the empirical phenomena of the natural world in whatever ways they manifest themselves. Each level of the hierarchy – genomics, transcriptomics, proteomics, metabolomics, etc. – brings with it a distinct dynamics; why then would cultural dynamics need to represent an exception or to fall outside the realm of scientific study altogether? Only the prejudice of specialists for their own particular area of study could support such a judgment; and that certainly does not pass as a compelling reason. Sometimes the attempts at hegemony are rather subtle, as in E. O. Wilson’s attempt to “shorten the leash” on culture: “The genes hold culture on a leash. The leash is very long, but inevitably values will be constrained in accordance with their effects on the human gene pool.”30 To this attempt Daniel Dennett, despite his physicalist prejudices, offers an effective retort: “But Wilson’s leash is indefinitely long and elastic. Consider the huge space of imaginable cultural entities, practices, values. Is there any point in that vast space that is utterly unreachable? Not that I can see.”31 One prejudices have been set aside, a new and fascinating area of scientific research emerges: the co-evolution of biology and culture. The same principles apply that we have already uncovered: entities, causes, and dynamics at the two different levels are not identical, hence culture cannot be reduced to biology. Again, there is a leash: only what is biologically possible is culturally possible. But, as Dennett notes, the “leash is indefinitely long and elastic”. Because biology underdetermines culture, distinctively cultural explanations are necessary for the full scientific account. Leading figures such as William Durham and Terrence Deacon32 have helped to launch complex studies of phenomena as varied as genetic drift, lactose intolerance, and language evolution, where the interplay of 30 Wilson 1978, p. 167. 31 Dennett 1999, internet. 32 Durham 1991; Deacon 1997.
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cultural and biological developments creates more powerful science than either biology or anthropology alone could achieve. From the backdrop of these conclusions, one theory in particular looks increasingly wrong-headed: meme theory, or mimetics. Of course, one should already be suspicious of an entire theory that is based on a pun rather than on empirical evidence. The rhyme in English between “gene” and “meme” has been used, despite a vast range of dissimilarities, to ground the following analogical argument: if genes are the unit that transmits information from one cell to its successors, there must be a unit that transmits information from one mind to another in cultural dynamics. Therefore there must be “memes”, units of cultural information, which function basically like genes. With this Wortspiel firmly in place in lieu of good arguments, an entire superstructure of imaginary science has been built up by Richard Dawkins and his mimetic successors (imitators).33 But “memes” are not to culture just as genes are to cells. Disanalogies abound: cultural dynamics are Lamarckian, as already noted, whereas biological dynamics are Darwinian. Cultural dynamics are influenced by conscious willing, thinking, and deciding on the part of human agents (and, it seems, by mental representations on the part of higher primates and perhaps other animals as well), whereas such factors do not influence gene expression (at least as far as we have any scientific reason to think). Cultural change is far more rapid than genetic drift or natural selection. Finally, we have already found ample to reason to question the bottom-up account of genes that Dawkins made famous in The Selfish Gene. Bottom-up causes and top-down constraints together influence the dynamics of any given biological system. All these reasons support the thesis of the co-evolution of biology and culture, but without the meme-based dogma that the dynamics of both need to be identical, or even significantly analogous.
Conclusions Once this approach is in place, a rather different picture emerges of the study of consciousness and human interactions. The primary locus for this process of coevolution is of course the brain. But once the co-evolution of culture and biology is accepted using the systems model that we have developed, there is no longer any compulsion to treat ideas, concepts, values, and the other components of human culture as if they had no causal influence. Clearly, without a functioning brain no cognitive information will be processed. But that obvious truth no longer compels one to affirm, following Francis Crick, that we are “nothing but a 33 See Dawkins 2006 which originated the bad pun. Susan Blackmore picked up the idea in Blackmore 1999, and Daniel Dennett makes pernicious use of it in Dennett 2006).
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pack of neurons”34or with the California neurologist who once gushed in a private meeting, “Wires and chemicals, that’s all we are – wires and chemicals.” Many of the positions taken by neurologists such as Wolf Singer or philosophers of mind such as Daniel Dennett, though more complex, involve the same sort of reductionist assumptions.35 Thus Dennett assumes that the question of what it is like to be a particular person stands ultimately in tension with neuroscience: “What would it be like (if anything) to be such an entity? At first glance the answer seems to be: not like anything. The whole system has been designed to operate in the dark, as it were, with the various components accomplishing their tasks unperceived and unperceiving. In particular, we have not supposed any inner introspecting eye… [I]nside it is all darkness, a hoax. Or so it seems. Inside your skull it is also all darkness, and whatever processes occur in your gray matter occur unperceived and unperceiving.”36
Dennett assumes that the self would have to have some location in the brain; and if it cannot be located, then the concept of the self must ultimately be a fiction, one that he elsewhere calls “the intentional stance”. He writes: “You enter the brain through the eye, march up the optic nerve, round and round the cortex, looking behind every neuron, and then, before you know it, you emerge into daylight on the spike of a motor nerve impulse, scratching your head and wondering where the self is.”37
But just as cultural dynamics (causes, entities) are not identical with biological ones, so persons or selves, together with their actions, are not identical with their neurological processes. There are neural correlates to the actions of selves as emergent realities, and nothing a person does can be neurologically impossible. Yet such correlations don’t make persons “nothing more than” their brains. Of course, not just anything one wishes to say about consciousness will pass as scientific study. The lessons we’ve derived from systems biology require us to look for interaction effects between contiguous levels. Models and hypotheses must be formulated and tested against real empirical data. This means that one looks for bi-directional correlations between neurology and (say) cognitive psychology, as in studies of the neural correlates of consciousness.38 Or, to take another set of levels, one looks for correlations between individual behaviors and social patterns (social psychology, sociology), or between individual actions and cultural expectations (cultural anthropology). By the nature of the case, the 34 35 36 37 38
Crick 1994. See Singer 2006a; Singer 2006b; Dennett 1991. Dennett 1981, p. 164 f. Dennett 1984, p. 75. See Clayton 2004, ch. 4.
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data on these levels are less precise than biochemistry. Yet we have strong reasons to conclude that no explanations of the phenomena will be complete unless they include these levels. I should be clear, in closing, about what the argument of this paper has and has not achieved. It doesn’t follow that the philosophy of freedom is true or that God exists. The language of metaphysics and theology moves far beyond the sphere of empirical control, and complex questions must be addressed about its epistemic status.39 My argument is better understood as a contribution to the philosophy of nature. If natural phenomena have this emergent structure, require analysis at multiple levels, and are constrained by both bottom-up and topdown features, then the means by which they are known are far broader than the reductionists have allowed. Discussions of the “big questions” in philosophy will not be resolved by neurology alone, nor will religious truth claims be answered by studies in evolutionary psychology. Metaphysics and theology may still fail to substantiate themselves as bona fide disciplines in the 21st century. But it will not be because of the dominance of the “selfish gene”, as Richard Dawkins has claimed, nor because all explanatory arrows point downward.
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Ulrich Körtner
„Schöpfung“ und „Evolution“: quasi dasselbe mit anderen Worten? Zur Hermeneutik des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften
Even well-meaning natural scientists mistake the dialogue between natural science and theology often with the dialogue between natural science and faith. However, theology as science must be distinguished from religion respectively faith as its object. For the interdisciplinary discourse about creation and evolution the distinction between subjective confession of faith and scientific-theological propositions – which are based on statements of faith – matters. Therefore the dialogue between theology and natural science does not necessarily discuss the relation between theory of evolution and belief in creation but rather the relation between theory of evolution and theology of creation. According to the thesis not natural philosophy that finds general consensus but hermeneutics are the basis for discussions or the compromising authority between theology and natural science. The intention of the interdisciplinary discourse is the increase of complexity rather than a „theory of everything“. For this reason we are not talking about an amicable coexistence of different language-games but the capability to think in differences and use tensions to become productive theoretically and in daily life. However, the idea of a „theory of everything“ assumes the „only reality“ which turns out to be problematic on closer examination. In particular this should be pointed out discussing the problem of the term teleology. The idea of teleology as a metaphysical as well as natural-theological category built a bridge between the traditional doctrine of creation and natural scientific conceptions. Its disclosure in modern biology is counted among the biggest theoretical challenges which are posed between modern theory of evolution and Christian theology. Different approaches to the problem are being verified for significance and sustainability.
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Zur Hermeneutik des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften
Selbst wohlmeinende Naturwissenschaftler verwechseln den Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie oft mit einem Dialog zwischen Naturwissenschaft und Glaube. Zwischen Theologie als Wissenschaft und Religion bzw. Glaube als ihrem Gegenstand ist freilich zu unterscheiden. Für das interdisziplinäre Gespräch über Schöpfung und Evolution ist die Unterscheidung zwischen subjektiven Glaubensaussagen und wissenschaftlich-theologischen Aussagen, welche Glaubensaussagen zu ihrem Gegenstand haben, von wesentlicher Bedeutung. Im Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaft geht es also nicht so sehr um das Verhältnis von Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube, sondern um dasjenige von Evolutionstheorie und Schöpfungstheologie. Eine christliche Theologie der Schöpfung gibt es freilich nur auf biblischer Grundlage. Sie unterscheidet sich darin von Naturphilosophie und Naturwissenschaft, dass ihr primärer Gegenstand nicht die Natur oder Phänomene derselben sind, sondern ihre Interpretation als Schöpfung, die sich auf die biblische Tradition und ihre Texte beruft. Systematische Theologie fragt unter Gegenwartsbedingungen nach der Geltung biblischer Aussagen. Die Bearbeitung dieser Frage ist ein mehrschichtiger hermeneutischer Prozess. Grundsätzlich ist Theologie eine soteriologische Interpretation der Wirklichkeit. Sie interpretiert die Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt ihrer Erlösungsbedürftigkeit – und dies aus der Perspektive der biblisch bezeugten Erlösungswirklichkeit. Auch Aussagen über die Welt als Schöpfung müssen in diesem Kontext verortet werden. Dabei wird gegenwärtige Welterfahrung im Lichte biblischer Aussagen über die Welt als Schöpfung interpretiert, wie umgekehrt die Texte der Bibel im Horizont heutiger Wirklichkeitserfahrung interpretiert werden. Wer sich wissenschaftlich mit den biblischen Schöpfungsaussagen beschäftigen will, ist auf bibelwissenschaftliches, exegetisches Fachwissen angewiesen. Dazu gehören z. B. religionswissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Grundkenntnisse über die Entstehungsgeschichte der ersten Kapitel der Genesis, über ihre literarische Gattung und ihren zeitgeschichtlichen Kontext. Gleiches gilt für die Schöpfungsaussagen in den Psalmen, dem Gebetbuches des Alten Testaments, in der altisraelitischen Weisheitsliteratur wie dem Buch der Sprüche Salomos oder dem Buch Hiob wie für den hymnischen Prolog des Johannesevangeliums oder den Hymnus im Kolosserbrief (Kol 1,15 – 18), der die Schöpfungsmittlerschaft Christi preist. Der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft über Schöpfung und Evolution hat also nicht nur den Un-
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terschied zwischen Theologie und Glaube, sondern auch zwischen biblischer und systematischer Theologie zu beachten. Die Basis für das gemeinsame Gespräch oder die vermittelnde Instanz zwischen Theologie und Naturwissenschaften – so die These – ist nicht eine möglichst konsensfähige Naturphilosophie, sondern die Hermeneutik.1 Und das Ziel des interdisziplinären Gesprächs ist nicht eine „theory of everything“, sondern ein Zuwachs an Komplexität. Damit ist keineswegs nur eine schiedlich-friedliche Koexistenz unterschiedlicher Sprachspiele gemeint, sondern die Fähigkeit, in Differenzen zu denken und Spannungen theoretisch wie lebensweltlich produktiv werden zu lassen. Die Idee einer „theory of everything“ setzt dagegen ungeprüft die Annahme der „einen Wirklichkeit“ voraus, die bei näherer Betrachtung problematisch ist. Hermeneutik ist die Lehre vom Verstehen und seinen Bedingungen. Sie ist notwendig, weil sich das Verstehen nicht von selbst versteht. Vielen Dingen begegnen wir von Haus aus mit Verständnislosigkeit. Und auch das Missverstehen ergibt sich meist von selbst, wohingegen das Verstehen eigens gewollt und gesucht werden muss, wie der Begründer der modernen Hermeneutik im 19. Jahrhundert, Friedrich Schleiermacher treffend bemerkt hat.2 Die Probleme des Verstehens beginnen bereits bei der Sprache. Nicht nur, wenn wir uns in einer uns fremden Sprache verständigen wollen, sondern schon in der eigenen Sprache kann es schwer sein, einander zu verstehen, obwohl man vermeintlich dieselbe Sprache spricht. Wenn zwei das gleiche sagen, heißt das bekanntlich noch lange nicht, dass sie dasselbe meinen. Sinn und Bedeutung, die semantische Funktion eines sprachlichen Zeichens und sein Referent, können voneinander abweichen. Die Bedeutung eines Wortes, so Ludwig Wittgenstein, ist sein Gebrauch in der Sprache.3 Nicht nur haben unterschiedliche Lebensbereiche ihre Sondersprachen, sondern wir spielen auch mit denselben Wörtern ganz unterschiedliche Sprachspiele, wie Wittgestein es nennt.4 Genau dies trifft nun auch auf die Wissenschaften zu. Die unterschiedlichen Wissenschaften entwickeln und verwenden ihre Sondersprachen, die sie benötigen, um ihren Gegenstandsbereich möglichst präzise zu beschreiben. Die unterschiedlichen Wissenschaftssprachen sind aber immer auch an die Alltagssprache und unsere alltägliche Lebenspraxis zurückgebunden. Dieser Umstand kann für allerlei Verwirrungen sorgen. Die moderne Physik verwendet z. B. zahlreiche metaphorische Begriffe, ohne die sie sich einer breiteren Öffentlichkeit kaum verständlich machen könnte. Wenn diese aber aus dem Gel1 2 3 4
Vgl. Körtner 2007, S. 65 – 87. Schleiermacher 1959, S. 86. Wittgenstein 1977, S. 41 (§ 43). Ebd., S. 28 f. (§ 23).
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tungsbereich der Physik in andere Lebenszusammenhänge übertragen werden, verändert sich die Bedeutung der Wörter. Inzwischen hat eine Fülle von physikalischen Begriffen und Konzeptionen Einzug in andere Wissenschaften, aber auch in unsere Alltagssprache gehalten. Theologen und Philosophen sprechen heute wie selbstverständlich von Selbstorganisation, Urknall oder Wärmetod. In der Politik oder im Feuilleton ist des öfteren von Quantensprüngen die Rede. Während aber ein Quantensprung in der Physik ein winzig kleines Ereignis im subatomaren Bereich ist, verwenden viele Menschen das Wort in der Alltagssprache, um etwas ganz Großes auszudrücken. So las ich einmal etwas über einen vermeintlichen „Quantensprung in der Bioethik“, womit gerade nicht gesagt werden sollte, der geschilderte Vorgang sei wegen Geringfügigkeit nicht weiter der Rede wert. Für Verwirrung kann z. B. auch der Begriff des Designs sorgen. Nicht nur Kreationisten, deren Theorien den Kriterien ernstzunehmender Naturwissenschaft nicht standhalten5, sondern auch ein des Kreationismus völlig unverdächtiger Evolutionsbiologe wie Stephen J. Gould kann gelegentlich vom Design in der Natur sprechen. Für ihn ist zum Beispiel das Schnabeltier ein Meisterwerk an Design, weil sein einzigartiger Körperbau perfekt auf die Zwecke abgestimmt ist, die es erfüllen soll.6 Wie Umberto Eco anmerkt7, hätte Gould allerdings das Schnabeltier vermutlich nicht in dieser Weise „teleologisch“ interpretieren können, hätte uns nicht Immanuel Kant gesagt, ein organisiertes Produkt der Natur sei das, „in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist“8. Kant hat seine Werke übrigens geschrieben, bevor das Schnabeltier in Europa bekannt wurde, etliche Jahrzehnte vor Darwins umwälzenden Entdeckungen. Streng genommen handelt es sich bei Goulds Verwendung des Design-Begriffs freilich um eine Metapher, wie auch teleologische Urteile über Naturwesen die Erfahrung des menschlichen Planens und Wollens wie selbstverständlich auf natürliche Prozesse übertragen. Eine Metapher ist aber auch die Rede von einem göttlichen Plan, und zwar auch in einer nicht kreationistischen Lesart. Sie bringt die Gewissheit zum Ausdruck, dass nicht nur das Leben des Einzelnen, sondern auch der Kosmos als Ganzer einen tieferen Sinn hat. In seinen als Buch veröffentlichten Katechesen zum Thema hat Kardinal Schönborn 2007 betont, er halte zumindest „die Frage nach der Herkunft des evidenten ,intelligent design‘ im Lebendigen“ für „eine völlig legitime, ja zum Menschen und seiner Vernunft gehörende Frage“9, auch wenn die Antwort nicht 5 6 7 8 9
Vgl. dazu Markl 2007, S. 13 – 61. Gould 1991, S. 277. Eco 2000, S. 112 f. Kant 1983, § 66. Schönborn 2007, S. 169 – 182.
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im Kreationismus bestehen müsse. Tatsächlich jedoch ist die Frage als solche schon falsch gestellt, da sie die Evidenz eines „intelligent design“ behauptet, die bei näherer Betrachtung gar nicht besteht. Gerade darin aber liegt eine der entscheidenden Herausforderungen für die christliche Schöpfungslehre und die moderne Theologie. Was nun das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften angeht, meint der Physiker Jürgen Audretsch, es sei bis zu einem gewissen Grade legitim, wenn Begriffe aus den Naturwissenschaften, insbesondere aus der physikalischen Kosmologie, in religiöse metaphorische Rede eingebaut werde. „Unredlich wird es allerdings, wenn dabei versucht wird, etwas vom Wahrheitsgehalt der Naturwissenschaften in eine theologische Argumentation mit herüber zu ziehen. So entstehen für den unkritischen Leser Pseudobegründungen, die auf naturwissenschaftlich Informierte aber tatsächlich eher abstoßend wirken.“10 Dasselbe gilt freilich auch in umgekehrter Richtung. Es mag bis zu einem gewissen Grade legitim sein, wenn Physiker wie Walter Thirring11 oder Stephen Hawking von Gott, seinen Gedanken und seiner Schöpfung sprechen. Wenn aber theologische Ausdrücke in naturwissenschaftliche Argumentationen einfließen, entstehen Pseudobegründungen für theologische Laien, die bei Fachtheologen nur Kopfschütteln auslösen. Die vermeintlich abgeschlossene Emanzipation der Naturwissenschaften von der Theologie verstellt bisweilen den Blick dafür, dass die Naturwissenschaften nach wie vor Begriffe und Konzeptionen verwenden, die theologischen Ursprungs sind und weiterhin theologische oder metaphysische Implikationen haben. Das gilt z. B. für den Begriff der Autopoiesis und das Konzept autopoietischer Systeme in der Biologie, das von dem der Selbstorganisation zu unterscheiden ist. Zwar wird es in der Fassung, die es bei Humberto R. Maturana erhalten hat12, nicht nur gegen den metaphysisch und theologisch voraussetzungsreichen Teleologiebegriff, sondern auch gegen den nachmetaphysischen Teleonomiebegriff abgegrenzt, auf den wir später noch eingehen werden. Maturanas radikalkonstruktivistische Gleichsetzung von Erkennen und Erzeugen wirft aber nicht nur erkenntnistheoretische Probleme auf, sondern enthält auch theologische Implikationen, weil es die Idee der causa sui, die ursprünglich auf Gott oder das Göttliche gemünzt war, nun in die Biologie überträgt. Das Teleologieproblem, das zunächst aus der Biologie ausgeschieden wird, kommt durch den auf Organismen übertragenen Subjektbegriff durch die Hintertür wieder herein.13 10 11 12 13
Audretsch 2004, S. 180. Thirring 2004. Maturana 1977; ders. 1987. Zur Auseinandersetzung mit dem Konzept der Autopoiesis siehe Körtner 1997, S. 73 ff.
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Die hermeneutischen Probleme im interdisziplinären Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften lassen sich nicht einfach dadurch lösen, dass auf der strikten Trennung der unterschiedlichen Sprachspiele insistiert wird. Zwar bedarf es der hermeneutischen Kunst der Unterscheidung, aber die unterschiedlichen Sprachspiele sind doch keine autarken Inseln, sondern sie durchdringen einander und beeinflussen sich wechselseitig. Jeder von uns spielt verschiedene Sprachspiele, manchmal springen wir zwischen ihnen sogar in einer Gesprächssituation schnell hin und her. Die Vertreter der Kritischen Evolutionstheorie, die sich als Alternative zur dominanten Synthetischen Evolutionstheorie versteht, kritisieren gerade die strikte Trennung zwischen Naturund Geisteswissenschaften und begreifen die moderne Biologie – auch in ihren experimentellen Fächern – immer auch als Geisteswissenschaft.14 Als solche aber steht sie innerhalb der abendländischen Tradition mit der Philosophie wie auch der Theologie in einem komplizierten Wechselspiel, das auch durch die mit dem Stichwort der Säkularisierung benannte Ausdifferenzierung und Segmentierung sozialer Systeme nicht vollständig abgebrochen ist. Zwar lassen sich eine naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaftliche oder auch theologische Perspektive nicht ineinander überführen oder aufeinander abbilden, aber aufgrund der gemeinsamen Tradition der Begriffsbildung existieren nach wie vor Wechselwirkungen, welche unter anderem in den nicht zu beseitigenden Philosophemen naturwissenschaftlicher Hintergrundtheorien bestehen. Wovor wir uns allerdings zu hüten haben, sind Hybridsprachspiele, welche die Grenzen zwischen Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften verwischen. Das Ergebnis ist eine Form von Metaphysik oder Naturphilosophie im schlechtesten Sinne des Wortes, eine „Mixophilosophicotheologia“.15 Wenn diese dann noch mit dem Anspruch daher kommt, eine aufgeklärte Form der Religion oder ein undogmatisches Christentum zu sein, haben wir es nur noch mit einer Privatreligion oder Weltanschauung, aber weder mit Theologie noch mit Naturwissenschaft zu tun. Hermeneutik ist die Lehre vom Verstehen. Etwas verstehen aber bedeutet, dass man es als Antwort auf eine Frage versteht. Solange man die Frage nicht kennt und versteht, bleibt das, was man zu verstehen versucht, unverstanden. Es ist keineswegs von vornherein ausgemacht, dass eine theologische Schöpfungslehre und eine physikalische Kosmologie nach demselben fragen. Und ebenso wenig versteht es sich von selbst, dass Schöpfungslehre und Evolutionstheorie dieselbe Wirklichkeit nur in anderen Worten beschreiben. Die sprachlichen Zeichen „Schöpfung“, „Natur“, „Kosmos“, „Evolution“ und die 14 Vgl. Gutmann / Bonik 1981, S. 159. Zur geisteswissenschaftlichen Dimension der Physik vgl. auch Heitler 1972. 15 Vgl. zu diesem Begriff und zur Metaphysik im 17. Jahrhundert Sparn 1976, S. 205.
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Sprachspiele, in denen sie Verwendung finden, sind voneinander zu unterscheiden. Eben darum kann man nun auch nicht behaupten, dass es im Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften lediglich um Übersetzungsprobleme ginge. Das hermeneutische Problem ist komplexer, wie im weiteren Verlauf meiner Ausführungen vor allem am Beispiel des Teleologieproblems gezeigt werden soll. Übersetzen bedeutet nach einer treffenden Formulierung Umberto Ecos, quasi dasselbe mit anderen Worten zu sagen.16 Genau das aber ist bei Theologie und Naturwissenschaften, wenn sie von Schöpfung einerseits und Natur andererseits sprechen, keineswegs der Fall. Nicht genug damit, dass die gesellschaftlich anerkannte Kompetenz in Fragen des Weltbildes schon längst im Gefolge der Aufklärung von Theologie und Kirche an die Naturwissenschaften verlorenging, fallen die mit den Begriffen „Schöpfung“ und „Natur“ verbundenen Perspektiven auf die Wirklichkeit derart auseinander, dass sie sich offenbar nicht mehr in einem einheitlichen Weltbild zusammenfügen wollen. Die unterschiedlichen Weisen, in welchen die nachaufklärerische Theologie auf das Auseinanderfallen der Perspektiven reagiert hat, laufen im wesentlichen auf den Rückzug der Theologie aus der Kosmologie und ihre Beschränkung auf die Deutung menschlicher Existenz und Geschichte hinaus. Schleiermachers strikte Trennung von Metaphysik und bewusstseinsphilosophisch als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit interpretierter Religion hat im Resultat zu einer „Schöpfung ohne Natur“ geführt17. Das interdisziplinäre Gespräch verlor damit nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern auch für die Theologie an Bedeutung. Wenn heute von theologischer Seite Bemühungen im Gange sind, das Gespräch mit den Naturwissenschaften neu zu beleben, so hat dies seinen Grund in der Einsicht, dass das mit dem Schöpfungsgedanken Gemeinte „zwar von der Natur unterschieden, aber an der Natur identifiziert werden“ muss18. Es stellt sich aber die Frage, ob dieser Identifikationsversuch unter den heutigen Verstehensbedingungen gelingen kann.
2.
Teleologie und Teleonomie
Die hermeneutischen Probleme des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften sollen im folgenden anhand des Teleologieproblems verdeutlicht 16 Eco 2006, bes. S. 10 f. 17 Liedtke 1988. 18 Frey 1989, S. 222 f. (im Original kursiv).
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werden. Die traditionelle Schöpfungslehre aller großen christlichen Konfessionen bewegt sich in den Bahnen einer Metaphysik, in welcher die Kategorie der Teleologie eine Schlüsselrolle spielt. Gott wird hierbei nicht nur als Erstursache, als unbewegter Beweger, sondern auch als zwecksetzende Ursache, als causa finalis gedacht. Eben so tritt der Schöpfer schließlich auch in der biblischen Genesis in Erscheinung. Schon Spinoza wies freilich darauf hin, dass der Teleologiegedanke in der Kosmologie Kategorien auf die Natur überträgt, die eigentlich nur auf menschliche Handlungen anwendbar sind. Die Rede vom planenden Handeln Gottes ist also zunächst nur ein Anthropomorphismus, dessen Plausibilität sich nicht aus einer bloßen Beobachtung der Natur hinreichend begründen lässt. Es gehört bis heute zu den ungefragten Vorurteilen, dass sowohl die physikalische Kosmologie als auch die theologische Schöpfungslehre nach dem Ursprung aller Dinge und ihrem zeitlichen Anfang fragen. Unter dieser Annahme liegt es nahe, sich an der Frage abzuarbeiten, ob und wie der Urknall der Physiker mit der Aussage der Bibel: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, und der theologischen Lehre von der Erschaffung der Welt aus dem Nichts (creatio ex nihilo) in Einklang zu bringen ist. Als vermittelnde Instanz zwischen Theologie und Naturwissenschaften bieten sich dann die Metaphysik und die aristotelische Lehre von der prima causa an, welche in der theologischen Tradition wiederum mit dem biblisch bezeugten Gott identifiziert wurde. Die aristotelische Annahme, dass alles in der Welt eine Ursache haben muss, entspricht durchaus unserer Alltagserfahrung, nicht jedoch der modernen physikalischen Theoriebildung. Die Entwicklung der Naturwissenschaften zeigt, dass es zwar nicht unmöglich ist, eine Mechanik auf der Annahme aufzubauen, dass die Ruhe der physikalische Normalzustand ist, „dass es aber sehr viel geschickter ist, es nicht zu tun“19. Wird Bewegung als Normalzustand aufgefasst, wie dies die Allgemeine Relativitätstheorie tut, dann stellt sich die Frage nach einer Erstursache oder einem absoluten Anfang von Allem gar nicht mehr. Das aber bedeutet dann: „Von der physikalischen Kosmologie geht keine theologische Botschaft aus. […] Mehr noch, Kosmologie ist als Erzählung nicht tauglich, um Metaphern oder Bilder der Schöpfung aus ihr zu entnehmen. Die Gleichnisfähigkeit der Kosmologie ist gering.“20 Zu den größten gedanklichen Herausforderungen, welche die moderne Evolutionstheorie an die christliche Theologie stellt, gehört die Preisgabe der Kategorie der Teleologie.21 An ihre Stelle ist der Begriff der Teleonomie getreten,
19 Audretsch 2004, S. 193. 20 Ebd., S. 194. 21 Zum folgenden siehe ausführlich Körtner 1997, S. 52 ff.
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den vor fünfzig Jahren der Biologe Colin S. Pittendrigh geprägt hat.22 Mögen teleologe und teleonome Prozesse im Ergebnis nicht zu unterscheiden sein, so sind sie es doch ihrem Wesen nach. Teleologe Prozesse sind nicht nur zielgerichtet, sondern auch zielintendiert. Der von einem Willen gesetzte Zweck bestimmt den Prozess, der zu ihm führt. Teleonomie – auch Bionomie genannt – bedeutet dagegen eine programmgesteuerte Zweckmäßigkeit, die sich zwar als Ergebnis eines evolutiven Prozesses verstehen lässt, aber nicht nachweislich das Werk eines planenden Wesens ist. Was wie ein teleologisches Geschehen erscheint, lässt sich nach dem Stand der Evolutionsforschung als Ergebnis von „Komplexifikation“ – der Begriff stammt von Teilhard de Chardin – bzw. als „Musterwachstum“ (Carsten Brech) erklären. Die Evolution verläuft demnach keineswegs ungerichtet, aber ihre Richtung wird nicht von einem planenden Geist, sondern durch „Selbstorganisation“, d. h. durch eine wachsende Zahl von Interaktionen und Vernetzungen bestimmt. Als metaphysische wie natürlich-theologische Kategorie schlug der Gedanke der Teleologie die Brücke zwischen traditioneller Schöpfungslehre und naturwissenschaftlichem Denken. Der Verlust dieses Verbindungsgliedes ist nicht leicht zu überschätzen. Keineswegs lässt sich nämlich der an die Stelle des Teleologiebegriffs getretene Teleonomiebegriff umstandslos mit der Vorstellung eines personalen Schöpfergottes in Einklang bringen, indem man die im Zufallsprozess der Evolution sich teleonom aufbauende Ordnung als Ergebnis eines alles Naturgeschehen umfassenden göttlichen Willens interpretiert.23 Der erst im Rahmen einer Theorie der Selbstorganisation seinen präzisen Sinn erlangende Teleonomiebegriff schließt sowohl die theistische Annahme eines handelnden Gottes als auch die vitalistische einer göttlichen Kraft des Universums aus. Es lässt sich bezweifeln, dass „allenfalls eine tiefgreifende Umformulierung des Schöpfungsglaubens“ genügt, um weiterhin intellektuell redlich von Gott dem Schöpfer sprechen zu können.24 Führt eine kritische Durchsicht heutiger theologischer Versuche, „der naturwissenschaftlichen Vernunft die Welt als Schöpfung und die Geschichte der Welt als Wirken Gottes verständlich zu machen“25, nicht eher zu der Vermutung, dass sich, wie schon Johann Gottlieb Fichte überzeugt war, eine Schöpfung in welcher Form auch immer „gar nicht ordentlich denken“ lässt?26 Verständlich, aber nicht überzeugend sind philosophische und theologische Versuche, die Kategorie der Teleologie wieder in die Naturwissenschaften hin-
22 23 24 25 26
Vgl. Bröker 1991; Penzlin 1987; Illies 2006, S. 81 ff. Vgl. Frey 1994. Ebeling 1981, S. 304. Link 1991, S. 347. Fichte 1846, S. 479. Im Anschluss an Fichte siehe Wagner 1995, S. 106 ff.
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einzureklamieren.27 Sie argumentieren, in Wahrheit sei der Teleologiegedanke von den Naturwissenschaften gar nicht aufgegeben, sondern lediglich semantisch verschoben worden.28 Das dahinter liegende Motiv aber sei ein weltanschauliches, religionskritisches Vorurteil. So urteilt z. B. Hans-Dieter Mutschler : „Die Negation von Teleogie führt zur Negation von Theologie. Wenn es überhaupt keinen Sinn in der Natur gäbe, könnte Gott nicht ihr Schöpfer sein. […] Wenn das Lebendige kausal hinreichend beschrieben werden kann, dann hat die Behauptung, Gott habe die Welt erschaffen, keinen Sinn mehr.“29 Im Sinne einer Hermeneutik des Verdachts mutmaßt der evangelische Theologe Wolfgang Schoberth gar, „dass die Eliminierung der Teleologie aus der Wissenschaft und die Etablierung kapitalistischen Wirtschaftens ursächlich verbunden sind: Wenn die Dinge keinen Inhalt und Sinn in sich selbst haben, haben sie auch keinen Wert außer ihrem Tauschwert und allenfalls ihrem Nutzwert; damit fallen auch die Beschränkungen in ihrer Verwertung.“30 Mutschler führt gegen die Verabschiedung des Teleologiebegriffs in den Naturwissenschaften zwei Argumente ins Feld, die sich auch bei anderen Autoren finden, nämlich das Kontinuitäts- und das Technikmodell-Argument. Das Kontinuitätsargument unterstellt, dass man, wenn der Mensch aus einem kontinuierlichen Prozess der Evolution hervorgegangen ist und ermergente Eigenschaften wie Vernunft und Freiheit besitzt, annehmen kann, es müsse schon in der außermenschlichen Natur Vorformen von Freiheit und Vernunft geben. Das zweite Argument begründet den Teleologiebegriff damit, dass die modernen Naturwissenschaften lebende Organismen nicht nur als Modelle physikalischmathematischer Systeme, sondern auch als Modelle technischer Systeme, z. B. nach Modellen kybernetischer Maschinen zur Energieumwandlung, interpretieren. Technik aber ist immer zweckorientiert. „Vielleicht“, so Mutschler, „können wir das Lebendige anders nicht fassen. Vielleicht müssen wir unterstellen, dass das Lebendige Interessen verfolgt und dass seine Vollzüge Bedeutung haben, aber dann befinden wir uns mitten im Feld der Naturteleologie.“31 Nun wird die Preisgabe des Teleologiebegriffs zugunsten eines Begriffs von Teleonomie oder Bionomie auch innerhalb der Biologie problematisiert.32 Die Debatte leidet aber zum Teil daran, dass unterschiedliche Bedeutungen des Teleologiebegriffs wie auch des Teleonomiebegriffs nicht immer deutlich unterschieden werden. Ernst Mayr hat eine sehr strikte Definition des Teleonomiebegriffs vorgeschlagen und zugleich gezeigt, dass teleologische Erklä27 28 29 30 31 32
Spaemann /Löw 1981. Vgl. Schoberth 2008, S. 86. Mutschler 2008, S. 64 f. Schoberth 2008, S. 81. Mutschler 2008, S. 69. Siehe v. a. Engels 1982.
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rungsmuster keineswegs notwendigerweise theologische oder metaphysische Prämissen implizieren.33 Mayr begrenzt den Begriff Teleonomie auf solche Prozesse oder Verhaltensweisen, die sich der Zielgerichtetheit eines Programms verdanken.34 Der Schlüsselbegriff seiner Definition von Teleonomie ist „Programm“. Als Programm definiert Mayr eine codierte oder geplante Information, die einen Prozess oder ein Verhalten steuert, das zu einem Ziel führt.35 Entscheidend für das Verständnis des Teleonomiebegriffs ist, dass das Ziel teleonomer Prozesse nicht in der Zukunft liegt, sondern im Programm codiert ist.36 Aber auch das Argument, wonach die Übertragung des Programmbegriffs aus der Informatik auf lebende Organismen ein Anthromorphismus sei, der die Unverzichtbarkeit der Kategeorie Teleologie für die Evolutionsbiologie beweise, wird von Mayr überzeugend entkräftet.37 So wie er den Programmbegriff verwendet, ist nämlich die Herkunft des Programms für seine Definition nicht von Bedeutung. Es kann sich also durchaus um ein durch Versuch und Irrtum herausgemendeltes genetisches Programm oder um die erworbene Information eines offenen Systems handeln. Die moderne Evolutionstheorie im Anschluss an Darwin hält Mutation und Selektion durch Anpassung für hinreichende Erklärungen für die Entstehung und Entwicklung der Arten. Wie Mayr betont, ist Anpassung nicht als apriori zu bestimmende Zielsuche, sondern aposterio als Ergebnis von Prozessen zu beschreiben, die häufig genug in Tod und Destruktion enden.38 Bedenkt man die irreguläre Zickzackbewegung evolutionären Wandels, kann die Kategorie der Teleologie nur Missverständnisse erzeugen.39 So ist denn auch zu fragen, was man sich unter „Vorformen“ von Freiheit und Vernunft vorzustellen hat, von denen Mutschler im Zusammenhang des Kontinuitätsarguments spricht. Hans Jonas wie auch der evangelische Theologe Wolfhart Pannenberg deuten Kontingenz als Vorform der Freiheit.40 Im Anschluss an Kant aber müssen wir daran festhalten, dass Kontingenz und Freiheit kategorial verschieden sind, weil die Kausalität der Natur, in deren Rahmen man modallogisch über Zufall und Notwendigkeit diskutierten muss, von der Kausalität der Freiheit zu unterscheiden ist. Die Deutung von Kontingenzerfahrungen als göttliche Fügungen, wie sie Wolfgang Schoberth vorträgt41, ist darüber hinausgehend eine höchst voraussetzungsreiche Interpretationsleistung 33 34 35 36 37 38 39 40 41
Vgl. Mayr 1992. Ebd., S. 127. Ebd., S. 127 f. Ebd., S. 128. Vgl. ebd., S. 129 f. Ebd., S. 131. Ebd., S. 132. Vgl. Jonas 1973; Pannenberg 1991, S. 84 ff. Schoberth 2008, S. 88 ff.
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des religiösen Bewusstseins. Auch ist Vernunft als transzendentaler Begriff des Erkenntnisvermögens von Verstand und Bewusstsein zu unterscheiden. Eine evolutionäre Erkenntnistheorie wie auch eine neurowissenschaftliche Theorie des Bewusstseins bieten keine hinreichende Erklärung für Vernunft im kantischen Sinne, weil zwischen Bewusstsein und Vernunft eine kategoriale Differenz besteht.42 Mutschler will den Begriff der Naturteleologie nur in einer schwachen Form gelten lassen und ihn als Interpretament, d. h. aber als eine hermeneutische Kategorie betrachten.43 In dieser schwachen Form, die allerdings auch als ontologische Kategorie konzipiert ist, soll es möglich sein, „einzelne Fälle von Realteleologie [sic!] in der Natur aufzuweisen oder die Natur als Möglichkeit zum Entstehen sinnvoller Strukturen zu deuten“44. Wie Mutschler einräumt, könnte das, theologisch gesehen, freilich „höchstens darauf hinauslaufen, die Natur als ,Spur Gottes‘ zu lesen“45, wobei solche Spurensuche immer schon den biblischen Schöpfungsglauben und sein Offenbarungsverständnis voraussetzt. „Man würde dann im eigentlichen Sinne nichts beweisen, aber der Glaube würde sich angesichts der Verwissenschaftlichung des Weltbilds bewähren.“46 Halten wir zunächst fest, dass die Notwendigkeit einer theologischen oder metaphysischen Fundierung der Evolutionstheorie von dieser Fassung des Teleologiegedankens nicht behauptet wird. Zwischen Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben bzw. Schöpfungstheologie besteht nach diesem Modell also eine unaufhebbare Asymmetrie, weil die Bewährung des Schöpfungsglaubens nur für diesen selbst, nicht aber für die Evolutionstheorie als solche von Bedeutung ist. Die Frage muss aber doch im Gespräch zwischen Naturwissenschaften und Theologie gestellt werden, ob dieser Dialog auch für die Naturwissenschaften selbst einen Erkenntnisgewinn bringt oder nicht. Problematisch ist aber auch Mutschlers Umgang mit dem Sinnbegriff. So behauptet er, wir Menschen seien nicht imstande, Sinnvolles aus Sinnlosem, Semantik aus Syntax zu gewinnen.47 Dass wir in Naturprozessen Sinn entdecken können, verleiht dem Teleologiebegriff daher nicht nur eine hermeneutische, sondern auch eine ontologische Qualität. Mutschler spricht von „Realteleologie“, auch wenn diese nicht durchgängig in der gesamten Natur zu finden ist. 42 Zur Philosophie und Theologie des Geistes im Dialog mit den Neurowissenschaften siehe Körtner / Klein 2006; Petzoldt 2008. Zur aktuellen Diskussion über den Freiheitsbegriff im interdisziplinären Gespräch zwischen Theologie, Philosophie und Neurowissenschaften siehe ausführlich Klein 2009. 43 Mutschler 2008, S. 64. 44 Ebd., S. 70. 45 Ebd. 46 Ebd., S. 71. 47 Ebd., S. 69.
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Sogenannte Split-Brain-Versuche zeigen freilich, dass Teile des menschlichen Gehirns in der Lage sind, eine Art von sinnvoller Story zusammenzureimen, die keine Entsprechung in der Außenwelt hat. Sie sind in der Lage, „eine vereinheitlichende erklärende Konstruktion herzustellen, die es plausibel erscheinen lässt, warum etwas passieret, obwohl nur ein Teil der Information zugänglich war bzw. ein ganz wichtiger, aber auslösender Teil nicht verarbeitet werden konnte“48. Dass wir Menschen mit Hilfe unseres Gehirns Sinn in der Außenwelt finden, ist darum noch kein hinreichender Grund, von Realteleologie in der Natur zu sprechen. Man kann auch nicht wie Wolfgang Schoberth davon sprechen, dass Dinge einen Sinn in sich selbst haben49, sondern Sinn besteht immer nur als Sinn von etwas für jemanden, wie auch Verstehen bedeutet, dass etwas von jemandem als etwas verstanden wird. Sinn besteht nicht apriori, sondern entsteht durch Interpretation, d. h. aber als Konstruktionsleistung des menschlichen Geistes. Konstruktivistische Erkenntnistheorien lehren uns, die Konstruktivität von Sinn zu bedenken. Die Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus gehört daher zu den zentralen erkenntnistheoretischen Themen im interdisziplinären Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften.50 Wie die Theologie von dem Ansinnen zu befreien ist, Lösungen für Probleme der modernen physikalischen Kosmologie zu bieten, so müssen freilich Physik, Biologie und die übrigen Naturwissenschaften von dem Anspruch befreit werden, die Sinnfrage zu beantworten, die sich dem Menschen mit seiner Existenz stellt.
3.
Das Spannungsverhältnis von Schöpfungstheologie und Evolutionstheorie
Versuche, die vorkantische Physikotheologie zu erneuern, stehen nicht nur im Konflikt mit der modernen Evolutionstheorie, sondern stehen auch erkenntnistheoretisch und theologisch vor unüberwindbaren Schwierigkeiten. Selbst wenn man den Rückschluss von der Teleologie menschlichen Planens und Handelns auf eine planvolle Ursache in der Natur für zulässig hielte, wäre, wie schon Hume gezeigt hat, die monotheistische Annahme eines weisen Weltenlenkers nicht zwingend. Nicht nur Skeptizismus und Monotheismus, sondern auch eine polytheistische Welterklärung wären logisch gleichrangige Optionen. „Daraus kannst du entnehmen, dass deine Prinzipien fehlerhaft sind.“51 Kant hat 48 49 50 51
Lenk 2001, S. 66. Vgl. Schoberth 2008, S. 81. Vgl. Klein 2003. Hume 1981, S. 68.
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die Kritik an der Physikotheologie noch weiter vorangetrieben, indem er gezeigt hat, dass der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang nur für den Bereich unseres Erfahrungswissens gilt. Fragt die menschliche Vernunft über den Bereich der Erfahrung hinaus, verstrickt sie sich in unauflösbare Widersprüche.52 Der Rückschluss auf eine transzendente Ursache der Welt ist zum Scheitern verurteilt.53 Robert Spaemann versucht den christlichen Schöpfungsglauben mit dem Argument zu verteidigen, dass materielle Konfigurationen Träger codierter Informationen sein können. „Die Tatsache, dass eine systemfunktionale Information ausreicht, um uns das materielle Gebilde in seiner Entstehung verstehen zu lassen, sagt nichts darüber, ob es nicht einen zweiten Code gibt, der eine ganz andere Botschaft enthält.“54 Um den Gedanken einer Doppeltcodierung der Natur zu rechtfertigen, wählt Spaemann den Vergleich zu Johann Sebastian Bachs Violinsonate g-moll, bei der man vor einigen Jahren eine Doppeltcodierung entdeckt hat. Folgt man einem bestimmten kabbalistischen System, das in der Barockzeit unter dem Namen Geomantia bekannt war, entdeckt man in Bachs Partitur folgenden Text: „Ex Deo nascimur, in Christo morimur, per spiritum sanctum reviviscimus“.55 Analog könne, „wem das alte Gerücht von einem Schöpfergott keine Ruhe lässt“56, auch im Code der Natur, den die Naturwissenschaften entschlüsseln, noch einen weiteren Code entdecken, eben die Botschaft des Schöpfers und seines Planes. Spaemanns physikotheologische Argumentation beruht freilich auf eine petitio principii. Auf die Idee, in Bachs g-moll Sonate könnte eine geheime Botschaft verschlüsselt sein, kann man doch nur deshalb kommen, weil man schon Bachs Musik als solche mit guten Gründen für das Resultat kompositorischen Gestaltungswillens und nicht des blinden Zufalls hält. Die Teleologie muss in diesem Fall doch gar nicht erst bewiesen werden, sondern ist schon allein dadurch vorausgesetzt, dass diese Musik als Werk eines bestimmten Komponisten identifiziert wird. Welche Gründe dafür sprechen, dass der Komponist neben seinen vordergründigen kompositorischen Absichten noch eine geheime zweite verfolgt haben könnte, ist für das Problem der Teleologie zweitrangig. Im Fall der Natur ist doch zunächst die Frage zu beantworten, was überhaupt dazu nötigt, in ihr das planvolle Werk eines Schöpfers zu sehen. Nur wenn eine teleologische Deutung der Entwicklung des Kosmos und der Evolution die einzig plausible Erklärung ihres Verlaufs bieten würde, wäre es nicht von vornherein 52 53 54 55
Kant 1968, S. 430 ff.; 488 ff. Vgl. auch Danz 2007, S. 151 f. Spaemann 2007, S. 63. „Aus Gott sind wir geboren, in Christus sind wir gestorben, durch den Heiligen Geist werden wir zu neuem Leben erweckt werden.“ 56 Spaemann 2007, S. 63.
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abwegig, im Code der Naturgesetze und der DNA – „Code“, „Buchstabe“, „Text“, „Sinn“ sind in der Naturwissenschaft doch zunächst bloß Metaphern! – eine Botschaft des Schöpfers zu suchen, die sich offenbar an den Menschen richtet – denn wer sonst vermag den Code überhaupt zu entschlüsseln? Da aber eine teleologische Deutung der Evolution mit guten Gründen bestritten werden kann, bleibt die Behauptung einer Doppeltcodierung zunächst ein bloßes Konstrukt religiöser Einbildungskraft. Eine Schöpfungstheologie, die unter heutigen Erkenntnisbedingungen Anspruch auf intersubjektiv argumentierbare Wahrheit erhebt, kann sich nicht die Evolutionstheorie heraussuchen, die ihr passt, sondern muss sich gerade an einer solchen Kosmologie und einer Theorie der Evolution bewähren, die aus überzeugenden Gründen ohne den Gedanken der Teleologie auskommt. Das versucht z. B. die äußerst differenzierte Studie des katholischen Theologen Stefan Niklaus Bosshard zum Begriff der Selbstorganisation.57 Diese scheint mir allerdings die religionskritischen Implikationen zu unterschätzen, ist seine Untersuchung doch von der Zuversicht getragen, „dass Schöpfungstheologie, biblische, systematische, aber auch theologische Ethik mit einer Welt des Werdens und Vergehens, des selbsttätigen Aufbaus und Zerfalls von Strukturen grundsätzlich kompatibel sind und dass Probleme vorzugsweise dort auftreten, wo sichere Erkenntnis sowohl in den Naturwissenschaften wie auch in der Theologie noch aussteht“58. Selbst wenn man wie Bosshard die Selbsttranszendenz der Natur als Abbild der innertrinitarischen Dynamik und Selbsttranszendenz Gottes zu begreifen versucht und die Selbstorganisation des Lebendigen „als ein Wirken Gottes durch die Kreatur“ interpretiert59, bleibt dieser Versuch einer Synthese fragwürdig, insofern der thomistische Gedanke der Zweitursachen in die modernen Naturwissenschaften eingetragen wird, ohne dass die Rede vom „Plan Gottes mit seiner Schöpfung“60 mit dem naturwissenschaftlichen Denken theoretisch vermittelt wird. Die Auseinandersetzung mit der naturwissenschaftlichen Theoriebildung erübrigt sich freilich nicht schon durch ihre Abgrenzung gegenüber der Theologie mit Hilfe der Sprachspieltheorie Wittgensteins, so dass es für die Sinnhaftigkeit der Rede vom Schöpfergott und seinem Handeln „völlig unerheblich“ wäre, ob die Welt als den Naturwissenschaften zugängliche Erscheinung, „d. h. unter den Bedingungen von Raum und Zeit, ein geschlossener Kausalzusammenhang oder ein Prozess im Sinne der Prozessphilosophie oder ein Offenes System mit den Merkmalen der Selbstorganisation und Selbsttranszendenz 57 58 59 60
Bosshard 1985. Ebd., S. 144 f. Ebd., S. 192. Ebd. S. 210.
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ist“61. Kant folgend begründet der evangelische Theologe Johannes Fischer die Differenz zwischen Schöpfungsglaube und naturwissenschaftlichem Denken mit der fundamentalen Differenz von Kausalität und Freiheit, deren Perspektiven sich prinzipiell nicht aufeinander abbilden oder ins Verhältnis setzen lassen, aber auch nicht in einer dritten Perspektive aufgehoben werden können.62 Fischer verdeutlicht seine Unterscheidung und Zuordnung der Sprachspiele am Beispiel einer menschlichen Armbewegung: „In der Perspektive der einen Kommunikation sehen wir diese als Handlung (z. B. als ein Zeigen oder Winken), in der Perspektive der anderen Kommunikation als kausal (durch Muskelkontraktionen, auslösende Reize im zentralen Nervensystem) bedingtes Ereignis.“63 Nun liegt es auf der Hand, dass menschliches Handeln polydimensional beschrieben werden muss und auf der Ebene kausaler Beschreibungen, was bereits der Begriff der Handlung impliziert64, gar nicht als Handlung erfasst werden kann. Die schöpfungstheologisch entscheidende Frage aber, was uns dazu nötigt, Vorgänge in der Natur als Handlungen eines Schöpfergottes zu deuten, welcher Handlungsbegriff hier eigentlich in Rede steht und was man sich überhaupt unter einem Handeln Gottes vorzustellen hat, bleibt bei Fischer unbeantwortet.65 Wenn sich aber, wie Fischer ausführt66, die Perspektiven der säkularen Vernunft und des christlichen Glaubens nicht mehr in einer einheitlichen Konzeption der Wirklichkeit vermitteln lassen, bleibt dem Schöpfungsglauben nur noch der Rückzug ins Reservat binnenkirchlicher Sprachspiele. Diesem entkommt die Theologie nicht schon mit dem Versuch, die Sinnhaftigkeit des Schöpfungsglaubens auf dem Weg einer alltagsweltlichen Naturästhetik zu begründen. Dieser Ansatz hat zwar die zeitgenössische Hinwendung zu Ästhetik und Weisheit sowie die biblische Weisheitstradition für sich. Doch besteht keineswegs eine unmittelbare Evidenz des Schöpfungsglaubens durch das Erleben der Natur, zumal das Naturerleben sozial vermittelt und geschichtlichem Wandel unterworfen ist. Die vorgefundene Natur ist kulturell überformt, der Umgang mit ihr ebenfalls kulturell – und das heißt auch naturwissenschaftlich-technisch – vermittelt. Im Übrigen bleibt eine rein ästhetisch gewonnene Antwort auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Natur dieser äußerlich, insofern sie dazu neigt, die der Natur innewohnende Widersprüchlichkeit von Leben und Tod, des Schönen und Grausamen auszublenden.67 Die Wahrnehmung der Natur als Schöpfung ist nur dann nicht äußerlich, wenn sie 61 62 63 64 65 66 67
Fischer 1994, S. 495 f. Ebd., S. 500. Ebd., S. 499. Zum Handlungsbegriff siehe einführend Derbolav 1974, Sp. 992 – 994. Vgl. Fischer 1994, S. 510. Ebd., S. 514. Vgl. Koch 1991, S. 40 f.
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als Anrede vernommen wird.68 Die vom Glaubenden vernommene Anrede aber erschließt sich gerade nicht über die unmittelbare Wahrnehmung der Natur oder ihre naturwissenschaftliche Analyse, sondern durch existentielle Widerfahrnisse, die den Charakter von Offenbarung tragen. Der Begriff der Offenbarung bedeutet, dass die Welt und ihre eigene Existenz sich Menschen auf neue Weise erschließen und in eine andere Perspektive einrücken. Gleichwohl bleibt das Gespräch mit den Naturwissenschaften für die Theologie unerlässlich, weil deren Sicht der Natur auch ihre lebensweltliche Wahrnehmung mitbestimmt. Jeder Versuch eines Gespräches zwischen Theologie und Naturwissenschaften bleibt solange fruchtlos und überflüssig, wie nicht einsichtig gemacht werden kann, dass der Dialog für beide Seiten einen wirklichen Gewinn an Erkenntnis bringt. Die bloße Feststellung, dass es einen Pluralismus von Wirklichkeitskonzepten gibt oder bestimmte theologische und naturwissenschaftliche Perspektiven der Wirklichkeit einander nicht widersprechen müssen, bleibt freilich noch an der Oberfläche.69 Ein weiterreichender Erkenntnisgewinn ist allerdings nicht von theologischen Überbietungsansprüchen zu erwarten, wie sie etwa der evangelische Theologe Jürgen Moltmann an die Adresse der Naturwissenschaften richtet. Nach Moltmann ist der Schöpfungsbegriff zum Evolutionsbegriff nicht nur komplementär, sondern sogar notwendig, um die Begründungsproblematik der naturwissenschaftlichen Theoriebildung zu lösen: „Es gibt eine Schöpfung der Evolution, weil Evolution nicht aus sich erklärbar ist.“70 Theologisch fragwürdig ist aber auch das von dem evangelischen Theologen Christian Link postulierte Ziel einer Synthese, bei welcher „theologisches und naturwissenschaftliches Erkennen spannungslos [!] ineinanderruhen“71. Wenn denn die Verborgenheit Gottes ein theologisch gültiges Argument ist, lässt sich auf vermeintlichen Theoriedefiziten der Naturwissenschaften keine Apologetik der christlichen Schöpfungslehre aufbauen. Sofern aber der christliche Gottesglaube und mit ihm auch die Sicht der Welt als Schöpfung Gottes zu allen Zeiten ein durch die Verborgenheit Gottes angefochtener Glaube bleibt, der gerade durch die unaufhebbare Spannung zwischen Bekenntnis und Welterfahrung gekennzeichnet ist72, können theologische und naturwissenschaftliche Deutung der Welt niemals spannungslos ineinanderfallen.
68 69 70 71
Vgl. Bayer 1990. Vgl. Koch 1991, S. 52. Moltmann 1987, S. 32. Link 1991, S. 347. Link zitiert an dieser Stelle Rad 1962, S. 161. Rads Aussage ist auf die alttestamentlichen Schöpfungsaussagen gemünzt. 72 Vgl. Lührmann 1976.
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4.
Ulrich Körtner
Evolution und Theodizee
Das evolutionäre Denken fordert die Theologie nicht nur durch den Verzicht auf die metaphysische Kategorie der Teleologie heraus, die durch den Begriff einer relativen Teleonomie oder Bionomie ersetzt wird. Es geht auch nicht bloß um die Kategorie des Zufalls, sondern vor allem um das Problem der Selektion und der Destruktion. Stammesgeschichtlicher Wandel verläuft über allmähliche Veränderungen bei Verdrängung weniger leistungsfähiger Varianten und „eingebettet in einen Hof von Destruktion durch völlige Entgleisung der Lebensprozesse“73. Missbildungen und Fehlentwicklungen, die zum Absterben führen können, lassen sich nicht nur als Resultat äußerer, sondern vor allem als in der Embryonalentwicklung ablaufende innere Selektion verstehen. Durch diese innere Selektion erst wird die grundlegende Funktionstüchtigkeit der Lebewesen gesichert. Soll Evolution als Schöpfung interpretiert werden, stellt sich unweigerlich das Theodizeeproblem. Evolutionstheoretisch gilt nämlich, dass die Kräfte der Destruktion nicht etwa das Andere der Kreativität des Lebens sind, sondern dass Missbildungen, Fehlentwicklung und Tod die Voraussetzung für die Lebensfähigkeit der verbleibenden Lebewesen sind. Diese Einsicht erlaubt es nicht, im Sinne der traditionellen Schöpfungslehre von einem paradiesischen Urzustand, einem status integritatis ohne Tod und Zerstörung, zu sprechen. Wenn der Satz aus der biblischen Genesis: „Und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31), mit welchem der Schöpfungsglaube sein Einverständnis mit der vorfindlichen Welt zum Ausdruck bringt, auch von der Natur gelten soll, wie sie moderne Evolutionsbiologie beschreibt, dann sind auch Destruktion und Tod als Elemente des schöpferischen Handelns Gottes zu bejahen. Das theologische Problem besteht nicht darin, dass man eine solche Welt nicht als das Werk eines Gottes interpretieren kann. Dieser Gott muss nicht einmal anthropomorph als Person gedacht werden, sondern kann auch der pantheistische Gott Spinozas sein, der gleichbedeutend mit der alles hervorbringenden Natur (natura naturans) ist, oder der evolvierende Gott der nordamerikanischen Prozesstheologie. Das aber ist bestenfalls der Gott der Philosophen, nicht der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Wer ihn in der Natur sucht, wie der katholische Weltkatechismus der menschlichen Vernunft anrät, landet höchstens beim verborgenen Gott Martin Luthers, dem Deus absconditus, an dessen Rätselhaftigkeit man verzweifeln kann. Wie kaum ein zweiter hat der katholische Schriftsteller Reinhold Schneider diese Einsicht ausgesprochen. Seinen letzten Winter verbrachte der Dichter in Wien. Genau einen Monat nach seiner Rückkehr – nur wenige Wochen vor 73 Gutmann / Bonik 1981, S. 15.
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seinem 55. Geburtstag – starb er am 6. April 1958 in Freiburg. Fünf Tage vor seinem Tod konnte er noch das satzfertige Manuskript seiner Tagebuchaufzeichnungen mit dem Titel „Winter in Wien“ beim Verlag abliefern. In seinen Notizen spricht Schneider offen von seiner eigenen Skepsis und der Absurdität gläubiger Existenz. Zum Sinnbild seiner pessimistischen Geschichtstheologie wird Schneider ein Gang durch das Heeresgeschichtliche Museum: „Von Schritt zu Schritt, auf dem Wege durch die Räume, verhüllt sich dichter und dichter Gottes Bild. Nun, am Ausgang ist es verschwunden.“74 Das gleiche Empfinden stellt sich bei einem Besuch des Naturhistorischen Museums ein. Auch hier ist Gott „ebenso nah wie fern. Es ist unmöglich, ihn vor dieser unübersehbaren Gestaltenwelt, dieser entsetzlichen Fülle der Erfindungen zu leugnen“75 ; doch „das Antlitz des Vaters? Das ist ganz unfassbar.“76 Was das Antlitz des Schöpfergottes, an dessen Existenz für Schneider kein Zweifel besteht, verdunkelt, ist das biologische Grundgesetz des Fressens und Gefressenwerden, das nicht zu einem harmlosen „Stirb und werde“ abgeschwächt werden darf. Gerade die Faszination des „Designs“, die „Bewunderung der Zweckmäßigkeit, mit der ein Tier zur Vernichtung des anderen ausgestattet ist, […] grenzt an Verzweiflung“77. Die biblische Schöpfungsgeschichte urteilt, Gott habe die Welt „sehr gut“ geschaffen. Das ist keine Aussage über die vorfindliche Welt, sondern über die ursprüngliche Schöpfung, die vorgestellt wird als eine Welt ohne Gewalt zwischen Mensch und Tier, aber auch ohne Gewalt zwischen Tieren. In Wahrheit ist freilich auch der Mensch ein Produkt der durch Fressen und Gefressenwerden charakterisierten Natur. Kreationisten, die das leugnen, ist mit Reinhold Schneider entgegenzuhalten: „Wenn aber des Menschen Fall Anfang dieses sich zerfleischenden Elends war, so müssen wir die noch ausstehende Entdeckung menschlicher Fossilien in paradiesischen Formationen abwarten.“78 Schneiders Tagebuchaufzeichnungen sind ein heilsames Gegengift gegen die Propaganda der Kreationisten und die Idee eines „intelligent design“. Auch den allzu unbekümmerten Verfechtern einer kirchlichen Normaldogmatik seien sie ans Herz gelegt, gerade weil sie nicht den Geist eines plumpen Atheismus vom Schlage eines Richard Dawkins atmen79, sondern denjenigen einer gläubigen Skepsis, die darin recht hat, dass der Zweifel den Glauben nährt und der Glaube den Zweifel.
74 75 76 77 78 79
Schneider 2003, S. 249 f. Ebd., S. 129. Ebd., S. 131. Ebd., S. 178. Ebd., S. 130. Zur Auseinandersetzung mit Dawkins siehe Langthaler / Appel (Hg.) 2009.
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Theologie als „praktische Orientierungsdisziplin“80, die dem Menschen – also auch dem Naturwissenschaftler – helfen kann, sich seiner Welt gegenüber zu verhalten – muss es sich versagen, eine metaphysische Abschlusstheorie zu formulieren, die in allem einen Sinn zu sehen meint. Jeder Versuch einer solchen Abschlusstheorie scheitert an der Theodizeefrage. Jede Schöpfungslehre ist deshalb darauf hin zu überprüfen, ob sie uns hilft, nicht nur mit dem Verstandenen, sondern auch mit dem Unverstandenen81, nicht nur mit dem Großartigen, Guten und Schönen der Schöpfung, sondern auch mit dem Schrecklichen, Bösen und Hässlichen umzugehen, wie es insbesondere Albert Schweitzer in seiner Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben und seiner scharfen Unterscheidung zwischen Weltanschauung und Lebensanschauung versucht hat.82 Es war die spätantike Gnosis, welche die Welt als Schöpfung nicht dem gütigen Gott der Bibel, sondern einem Demiurgen zuschrieb. Und bis heute bleibt die Frage der Gnosis der Stachel im Fleisch des christlichen Schöpfungsglaubens, ob man einem Gott nicht Übles nachsagt, wenn man von ihm behauptet, er habe die Welt erschaffen. Der angefochtene Glaube mag sich damit zu beruhigen versuchen, dass die Kräfte der Destruktion im Prozess der Evolution von der Übermacht des Lebens überwunden werden, wodurch die Natur ihre innere Widersprüchlichkeit und Zweideutigkeit verliere. Es bleibt aber nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch theologisch fraglich, ob die Einsicht in die Übermacht des natürlichen Lebens dieses selbst schon als vernünftig erscheinen lässt. Ob Hegels spekulative Philosophie des Weltgeistes hier weiterhilft, darf bezweifelt werden. So versucht der evangelische Theologe Traugott Koch, die Vernünftigkeit der Natur im Anschluss an Hegel zu denken, in deren Prozess des Werdens und Vergehens Gott selbst den Tod erleidet und durch ihn hindurch sich erhält.83 Wird aber die dann aufbrechende Abgründigkeit des Schöpfungsglaubens dadurch gemildert, dass seine Bejahung des Lebens der „,Idee‘ des Lebens“ gilt84, welche idealistisch vom Aspekt der Zerstörung freigehalten wird85 ? Es sind dies offene Fragen, welche das Problem eines sachgerechten theologischen Zugangs zur Natur in die Problematik einer Eschatologie überführen. An dieser Stelle ist nun wieder die eingangs vorgenommene Grundbestimmung von Theologie als soteriologischer Interpretation der Wirklichkeit auf80 81 82 83 84 85
Dalferth 1999, S. 427. Vgl. Evers 2000, S. 395. Vgl. Schweitzer 1960. Koch 1991, S. 67 f. Ebd., S. 80 (Hervorhebung von mir). Ebd., S. 55 argumentiert, „dass Destruktives, Leben Zerstörendes in dieser endlichen, vom Tode gezeichneten Welt ist, obgleich es doch nicht sein soll. Denn Gott will das Leben und nicht das Verderben.“
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zugreifen. Die Verabschiedung der Physikotheologie und ihrer Kategorie der Teleologie durch die modernen Naturwissenschaften muss nämlich gar nicht zwingend als Verunmöglichung einer theologischen Deutung der Wirklichkeit verstanden werden, sondern konvergiert interessanterweise mit ontologischen Grundannahmen reformatorischer Theologie, wie wir sie bei Martin Luther finden. Die aristotelische Tradition unterscheiden vier Gründe dessen, was ist: die causa formalis, die causa materialis, die causa efficiens und die causa finalis. Die moderne Naturwissenschaft reduziert die vier causae auf die causa efficiens. Damit aber verschwindet die eschatologische Perspektive auf ein heilvolles Endziel des Kosmos und der Evolution im Sinne der christlichen Lehre vom Ende aller Dinge, Endgericht und Erlösung. So lässt sich naturwissenschaftlich weder behaupten, der Mensch sei die Krone der Schöpfung, noch dass die Evolution in der menschlichen Kultur und Geschichte ihre innere Bestimmung habe. Wie der Homo sapiens sapiens irgendwann in der Geschichte der Evolution auftrat, so könnte er auch irgendwann wieder aus ihr verschwinden, ohne dass damit die Evolution zu ihrem Ende käme. Vielleicht haben zum Beispiel die Insekten eine viel längere Lebensperspektive auf der Erde als die Gattung des Menschen. Nun hat Luther die Frage nach der causa finalis konsequent in die Eschatologie verlegt und zugleich Aristoteles – genauer gesagt die scholastische Aristotelesrezeption – scharf kritisiert. Zwar benötigt die Theologie auch nach Luther eine reflektierte Begriffssprache. Doch lehnt er die kritiklose Übernahme philosophischer Begriffe ab. Stattdessen fordert er „nova vocabula“ bzw. eine Taufe philosophischer, ontologischer bzw. metaphysischer Termini.86 Theologie ist bei Luther Theologie des Kreuzes (theologia crucis) im Unterschied zu einer Theologie der Herrlichkeit (theologia gloriae), die von der Metaphysik dominiert wird. Daher drückt Luther sein theologisches Anliegen in der Weise aus, dass er aristotelische Begriffe zwar aufgreift, sie jedoch verfremdet und gewissermaßen gegen den Strich bürstet. Entscheidend ist nun für Luther aber, dass die Philosophie die Frage nach der causa finalis gar nicht recht stellt und stellen kann, weil diese ein Wissen um das Evangelium und seinen eschatologischen Gehalt voraussetze.87 Dieses Wissen lässt sich nicht auf dem Wege einer natürlichen Theologie gewinnen oder vorbereiten, sondern nur streng offenbarungstheologisch begründen. So gesehen ist die metaphysische Abstinenz oder doch starke Selbstbescheidung der modernen Naturwissenschaften theologisch sachgemäß. Bei aller Vorsicht gegenüber anachronistischen Urteilen über Luthers Ari86 Luther, WA 39 I, 231, 18ff; 229, 16 ff. 87 Vgl. dazu Joest 1967.
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stoteleskritik muss freilich mit Wilfried Joest die Sachfrage gestellt werden, ob nicht Luthers Philosophiebegriff, der dieser jeglichen Zukunftsbezug abspricht, zu eng gefasst ist. Zu fragen ist daher auch, „ob der Theologe das Wort Gottes über das Sein des Menschen nach-sagen kann, ohne es bewusst oder unbewusst zumindest auf Fragen hin auszulegen, die auch in einer dem Ausgangspunkt nach rein philosophischen Selbstbestimmung – eben als Seinsfragen – sich melden.“ Joest meint, „dass er dies nicht kann und dass Luthers strikte Abschneidung der Philosophie von dem, was er ,causa efficiens‘ und ,finalis‘ nennt – sagen wir lieber, von dem Bereich des Fragens nach Grund, Sinn und Eigentlichkeit des Seins –, dann ein Kurzschluss wäre, wenn sie der philosophischen Selbstbesinnung die echte Berührung mit diesem Bereich schon als aporetische Frage-Berührung absprechen würde“88. Joest folgend wird man urteilen müssen, dass „dieser Fragebezug (kraft dessen bereits jene Selbstbesinnung gar nicht so autonom und rein ,innerweltlich‘, vielmehr von der Wirklichkeit Gottes beschattet ist)“, es letztendlich ermöglichen dürfte, „das Theologische überhaupt in menschlichen Worten und dann auch in philosophischen Reflexionsbegriffen auszudrücken.“89 Mit solchen Erwägungen wird freilich der Bereich dessen, was Luther ausdrücklich diskutiert, überschritten. Die philosophische Frage nach der Zukunft, nach Sinn und Ziel menschlicher Existenz im Kosmos ist einerseits von den strengen Naturwissenschaften und andererseits von der Weise, wie die christliche Theologie sie in soteriologischer Perspektive stellt, zu unterscheiden. „Es gibt“, wie der evangelische Theologe Paul Tillich richtig bemerkt hat, „keine erlösende Ontologie, aber die Ontologie ist in der Frage nach der Erlösung enthalten.“90 Das gilt bei genauerem Hinsehen auch für die Theologie Luthers. Allerdings muss der Mensch die Frage nach der Erlösung nicht notwendigerweise stellen, so sehr er nach christlicher Auffassung der Erlösung bedarf. Wie sich die Welt interpretiere lässt, etsi Deus non daretur, so kann auch die Frage nach der Erlösung sistiert werden. Für den christlichen Glauben, so wurde eingangs argumentiert, zeigt sich die Erlösungsbedürftigkeit der Welt und des Menschen allererst im Licht der biblisch bezeugten Erlösungswirklichkeit. Die Offenbarung nach christlichem Verständnis antwortet also nicht einfach auf eine vorgängig gestellte Frage, so dass die Antwort letztlich von der Frage abhängig wäre, sondern sie beantwortet die Frage so, dass diese von der gegebenen Antwort her korrigiert wird. Eben darum ist noch einmal zu betonen, dass „Schöpfung“ und „Evolution“ keineswegs einfach dasselbe mit anderen Worten sagen, sondern dass die mit 88 Ebd., S. 135. 89 Ebd., S. 136. 90 Tillich 1964, S. 183.
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diesen Begriffen verbundenen Sprachspiele unterschiedliche Fragen und Perspektiven auf die Wirklichkeit richten. Wohl weiß sich der Mensch – nicht nur der im christlichen Sinne Glaubende – herausgefordert, sein Selbstverständnis im Kosmos zu klären. Der Philosoph Franz Josef Wetz spricht in diesem Zusammenhang von einer „Hermeneutik des Universums im Sinne einer Auslegung der naturwissenschaftlich erforschten Welt“91. Es geht Wetz allerdings gerade „nicht um eine spekulative Interpretation naturwissenschaftlicher Erkenntnisse“, gegen die sich z. B. Audretsch wendet, „sondern um deren existenzielle Interpretation“, bei der „der von letzten Fragen bedrängte, um sein Selbstverständnis ringende Mensch“ den hermeneutischen Schlüssel darstellt.92 Der evangelische Theologe Dirk Evers ergänzt, dass es einer solchen Hermeneutik des Universums nicht darum geht, in der verwissenschaftlichten Natur einen verborgenen Sinn aufzudecken, „der den ,gehaltenen‘ Augen des Naturwissenschaftlers entgangen wäre, sondern darum, sie vom Selbstverständnis des forschenden und denkenden Menschen her auszulegen und zu interpretieren, wie er sich in der Zugänglichkeit ebenso wie in der Sinnverweigerung des Kosmos selbst erfährt“93. Erfahrungen des Sinnwidrigen mögen auch im Naturwissenschaftler die Frage nach Erlösung provozieren. Spekulativ beseitigen lassen sich diese Erfahrungen freilich nicht, weshalb sich die „Wut des Verstehens“ (Friedrich Schleiermacher) an ihnen vergeblich austobt.
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Ulrich Körtner
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Horst Seidl
Evolution und Schöpfung aus naturphilosophischer und metaphysischer Sicht
Today natural sciences (Physics, Chemistry, Life sciences) discuss the topics of evolution in an „evolutionistic“ way. They try to interpret processes of emergence of cosmos or nature only by material elements (atoms, molecules, genes) and deny every final cause. In doing so, it is omitted that the process of evolution belongs to the traditional natural philosophy. However, natural sciences, historically seen, have come up from that philosophy. There evolution means a development with finality. Of course, in matter as such, which is the object of natural sciences, there is no final end. But in living beings of nature (plants, animals) there are, besides matter, immanent final causes (principles of life) which become relevant in natural philosophy. Metaphysics sets out a first transcendent cause of being and finality of all things, which traditionally is identified with God. By immanent final causes living natural things emerge, whereas by the first transcendent final cause these immanent final causes as well as matter itself are created. Both views, the one of natural sciences concerning material conditions, the other of natural philosophy and metaphysics concerning final causes, do not exclude each other but are complementary. In my lecture I try to point out this relation, following the traditional disciplines, on the one hand, and to take position with regard to modern criticism (also the Darwinian one), on the other. Gegenwärtig hat die Diskussion über Evolution und Schöpfung zu einer Kontroverse zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen geführt, in der die ersteren für eine Erklärung der Evolution des Kosmos ohne die Schöpfung eintreten, die letzteren dagegen sie mit Hilfe der biblischen Schöpfungslehre verteidigen, während die Philosophen weitgehend schweigen. Um eine Klärung der Kontroverse zu erreichen, kann jedoch, wie mir scheint, als Vermittlung die Naturphilosophie hilfreich sein, da sie sich mit der Natur beschäftigt, welche die Grundlage sowohl der Naturwissenschaften, als auch der theologischen Schöpfungslehre ist, wie mein Vortrag darlegen möchte, der zunächst von der gegenwärtigen Situation ausgeht.
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I)
Horst Seidl
Gegenwärtige Situation
Die erwähnte Kontroverse stellt sich, näher gesehen, als unversöhnlicher Gegensatz dar, der sich in folgender Weise umschreiben lässt: Aus naturwissenschaftlicher Sicht stellt sich die „Evolution“ des Kosmos als ein Entstehungsprozess in Raum und Zeit dar, der von einer Urmaterie ausgegangen ist. Er vollzieht sich nach physikalischen und chemischen Gesetzen und hat in seiner jüngsten Phase die organische Natur mit Pflanze, Tier und Mensch hervorgebracht. Mit Hilfe von Darwins Theorie lässt man den Menschen aus dem Tierreich hervorgehen. In Gegenstellung hierzu erklärt die christliche Theologie, gestützt auf die biblische Offenbarung von der Schöpfung, die Entstehung des Kosmos aus dem Schöpfungsakt Gottes, der die anorganische und organische Natur geschaffen und in die heute feststellbare Ordnung gebracht hat, wobei man heute Gott mit einem Designer vergleicht, der in die gesamte Naturordnung seinen Plan eingezeichnet hat. Diese theologische Erklärung der Entstehung des Kosmos und der Natur hat bei Naturwissenschaftlern, die zwischen Wissen und Glauben eine klare Trennung machen, nachhaltige Kritik hervorgerufen, da die Naturwissenschaften ohne die „Hypothese Gott“ vorgehen müssen und zur Entstehung des Kosmos vom Anfang bis heute eine Evolutionstheorie mit Erfolg auszubilden versuchen, dank ihrer intensiven Forschung. Wissenschaftler, die gläubige Christen sind, gestehen oft ihre Schwierigkeit ein, die Forschungsergebnisse mit dem Schöpfungsglauben zu vereinbaren. Nur dort, wo die Forschung in Unerklärbarem endet, würde dann der Glaube an den Schöpfergott einspringen. Wer hingegen materialistisch eingestellt ist, ersetzt Gott durch die Materie und begabt diese mit schöpferischen Kräften, mit denen sie sich im Evolutionsgang entwickelt.
II)
Evolution als interdisziplinäres Thema
In dieser Kontroverse scheint mir ein vermittelnder Weg durch die Naturphilosophie und die ihr zugrunde liegende Metaphysik möglich zu sein. Doch wäre hierfür zuvor der Boden zu bereiten für eine interdisziplinäre Einstellung bei allen Beteiligten, was ich im Folgenden kurz ausführen möchte. Interdisziplinär eingestellt zu sein, dies würde besagen, dass einerseits jeder die Grenzen seiner Disziplin anerkennt und vermeidet, sie zu überschreiten und ins Gebiet anderer Disziplinen einzudringen, andererseits aber offen ist für die Gebiete anderer Disziplinen, d. h. bereit, sich von ihnen informieren zu lassen. So könnten Grenzprobleme in einer Disziplin eine Antwort in der benachbarten Disziplin finden.
Evolution und Schöpfung aus naturphilosophischer und metaphysischer Sicht
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In dieser Hinsicht sind vorbildlich z. B. die Arbeiten des Biologen Portmann, der auf seinem Gebiet die embryonale Entwicklung des Menschen erforscht und festgestellt hat,1 dass sie im Unterschied zu den Primaten ganz anders verläuft, nach einem anderen Bauplan von Anfang an und nach einem anderen Rhythmus des zeitlichen Ablaufes: vor allem die frühe Ausbildung des Großhirns, zusammen mit der früheren Ausbildung des Oberkörpers vor der des Unterleibes. Ferner die lange Austragungszeit. Tatsachen, die sich von der Biologie her nicht erklären lassen, sondern für sie eine unbekannte Größe X enthalten. Biologisch gesehen, könnte die Ausbildung des Großhirns beim Menschen wie ein anormaler Auswuchs erscheinen. Verdienstvoll ist, dass Portmann als Biologe diese Unbekannte X herausstellt und damit der Anthropologie die Möglichkeit darbietet, sie zu erklären, nämlich durch den Eintritt des Geistes, eines neuen, nichtbiologischen, höheren Lebensprinzips im menschlichen Embryo. Das Eingeständnis der Grenzen seiner Wissenschaft bedeutet keine Skepsis (wie Matthias Riedl es einschätzt), sondern ein interdisziplinäres Bewusstsein. Eine unstatthafte Grenzüberschreitung läge z. B. vor, wenn der Naturwissenschaftler mit den Prinzipien seiner Disziplin, den physikalischen und chemischen Gesetzen, versuchte, Erklärungen über den Kosmos, über den Beginn des Lebens, über den Menschen usw. zu machen; denn seine Forschung beschränkt sich auf das Materielle, während die genannten Themen auch den Menschen einschließen, und ihre Behandlung nicht ohne die Disziplin der Philosophischen Anthropologie erfolgen kann. Diese stützt sich nicht nur auf die Außenerfahrung, sondern zuvörderst auf die Innenerfahrung des Menschen, mit dem schlichten Selbstbewusstsein vom eigenen Sein (als Dasein und Etwassein). Das Leben ist, per Definition, das Sein der Lebewesen. Was Leben ist, verstehen wir nicht aus der externen Beobachtung materieller Prozesse, wie des Stoffwechsels bzw. der Nahrungsassimilation, der Zeugung u. a., die ja nur Lebensäußerungen im Leib sind. Wir verstehen Leben nur aus dem inneren Selbstbewusstsein unseres Seins-/Lebensaktes und übertragen den Begriff auf alles Lebendige. Eine Grenzüberschreitung scheint mir auch bei W. Heisenberg zu geschehen, wenn er Gedanken anstellt über den Verlust des herkömmlichen Naturbildes, das sich deterministisch auf die Bausteine der Materie als „die letzte objektive Realität“ der Natur „an sich“ stützte,2 nun aber durch die jüngere Relativitätstheorie sowie die sog. Unbestimmtheitsrelationen ins Wanken geraten ist, so dass die Menschen heute in Angst und Unsicherheit leben. Hierzu lässt sich jedoch feststellen, dass der Begriff der Realität der Metaphysik angehört – sie ist ein transzendentales Merkmal alles Seienden –, also dem Physiker als solchem 1 Portmann 1956; ders. 1974. 2 Siehe Heisenberg 1955, S. 18.
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Horst Seidl
gar nicht zur Verfügung steht. Auch kann die Natur nicht auf die Bausteine der Materie reduziert werden. Dagegen lehrt die traditionelle Naturphilosophie, dass die belebten Naturdinge neben der Materie- auch eine Form-, Bewegungsund Zweckursache haben, welche jedes Ding in seinem spezifischen Sosein bestimmen. Zu ihnen verhält sich die Materie, wie Aristoteles lehrt, als das unbestimmte, unerkennbare Prinzip. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn im subatomaren Bereich Unbestimmtheitsrelationen auftreten. Vielmehr ist es erstaunlich, wie viel bestimmte Strukturen in der Materie noch liegen, die sich in mathematischen Formeln ausdrücken lassen. Mit Recht macht Heisenberg darauf aufmerksam, dass der Halt des Lebens nicht in der Naturwissenschaft zu suchen ist, sondern in einer umfassenden Menschenbildung. Doch spricht er dann nicht als Physiker, sondern als Mensch, der dankbar auf seine humanistische Ausbildung in München zurückblickt. Auch erwähnt er mit Wertschätzung die antike Naturphilosophie, z. B. in Platons Timaeus, beschränkt sich aber mit seinem Interesse als Physiker nur auf die Elementenlehre (im zweiten Teil der Schrift), ohne die für die Naturbetrachtung so wichtige Zweckursache (im ersten Teil) wieder aufzunehmen. Themen von interdisziplinärer Art sind vor allem die auf den Menschen bezogenen; denn er umfasst als „Mikrokosmos“ alle Realitätsstufen, analog zum Makrokosmos, mit Gott als transzendenter Ursache. Er ist eine Einheit aus materiellen und nicht-materiellen, seelischen und geistigen Ursachen. Daher müssen bei Fragen wie die nach dem Beginn des menschlichen Lebens, sei es ontogenetisch oder phylogenetisch und paläontologisch, die Erörterungen von mehreren Disziplinen geführt werden, natur- wie geisteswissenschaftlichen.
III)
Naturphilosophie und Evolution
1)
Wiederaufnahme der traditionellen Naturphilosophie und ihrer Ursachenlehre
Für unseren Vermittlungsversuch zwischen der Evolutionstheorie und dem Schöpfungsglauben ist es notwendig, zuerst die traditionelle Naturphilosophie mit ihrer Lehre von den vier Ursachen wieder aufzunehmen.3 Aristoteles hat die vier Ursachen: nämlich die Materieursache einerseits und die Form-, Bewegungs- und Zweckursachen andererseits, durch die Erforschung der belebten Naturdinge selbst gewonnen, im Anschluss an die ersten Versuche der Vorsokratiker. Die Materie wird definiert als das Substrat der Naturdinge, „woraus sie entstehen und worein sie vergehen“. Dies sind die Elemente, aus 3 Ausführlich geht auf dieses Thema meine Abhandlung ein: Seidl 1995.
Evolution und Schöpfung aus naturphilosophischer und metaphysischer Sicht
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denen sich die spezifisch bestimmten, belebten Dinge aufbauen. Dabei verhält sich die Materie unbestimmt zu den Dingen, die aus ihr hervorgehen. Es sind immer dieselben Elemente, die sich zu diesen oder jenen Dingen zusammenfügen. Daraus wird deutlich, dass die materialistische Auffassung von der Materie als mit schöpferischen Kräften begabte, die alle Dinge hervorbringe, unhaltbar ist und der Wesenheit der Materie widerspricht, die als das in sich unbestimmte Prinzip definiert ist. Ihre Bestimmung erhalten die Dinge nicht aus der Materie, sondern aus anderen, nicht-materiellen Ursachen: der Form-, Bewegungs- und Zweckursachen. Dem Materialismus fehlt (paradoxerweise) eine genaue Definition der Materie. Daher mengt er die verschiedenen Funktionen des Bestimmtwerdens und des Bestimmens monistisch in die eine Materie zusammen, während sie sich in Wahrheit auf die Materie einerseits und nicht-materielle Ursachen andererseits verteilen. Leider werden die letzteren, besonders die Zweckursache in den belebten Dingen, nicht nur vom Materialismus geleugnet, sondern auch von der Biowissenschaft heute, zum großen Nachteil der Erörterung der Evolutionsprobleme. Zur Einführung nicht-materieller Ursachen in den Naturdingen wurden die Vorsokratiker, wie schon Aristoteles bemerkt, „durch die Natur der Sache“, „durch die Wahrheit selbst gezwungen“(Metaphysik I, 3, 984b 10, vgt. a 18 – 19). Er bringt als entscheidendes Argument dieses (Physik II 1 – 2, Metaphysik VII 17), dass nämlich die belebten Dinge mehr sind als ihre materiellen Teile, die Elemente; denn diese erklären nicht, warum sie sich jeweils zu einem Organismus der spezifisch bestimmten Lebewesen aufbauen. Für die Elemente selbst ist es, wie schon gesagt, gleichgültig, so oder anders zusammengefügt zu sein, einen Organismus zu bilden oder ein Monstrum. Für den Aufbau eines zweckvollen Organismus muss zur Materie eine andere, von ihr verschiedene Ursache hinzukommen, nämlich die je spezifische Zweckursache. Bei Aristoteles finden wir eine Einteilung der vier Ursachen in je zwei komplementär einander zugeordnete: nämlich die Materie- und Formursache einerseits und die Bewegungs- und Zweckursache andererseits. Die Materie- ist der Formursache wie das unbestimmte dem bestimmenden Prinzip für das Sein der Naturdinge zugeordnet, hingegen ist die Bewegungs- der Zweckursache wie das Prinzip des Anfanges dem des Endes der Entstehung der Naturdinge zugeordnet. Die drei nicht-materiellen Ursachen werden nur methodisch unterschieden, faktisch aber sind sie identisch und bilden in den Lebewesen das seelische Lebensprinzip. Da das Sein den Vorrang vor der Entstehung hat – denn damit ein Ding entstehen kann, muss immer schon etwas sein, nämlich seine konstitutiven Ursachen –, ist die Zweckursache für das Entstehen des Dinges zugleich seine Formursache, sofern diese als Seinsursache auch die Entstehung des Dinges trägt.
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Beachtenswert ist immer noch Aristoteles’ Kritik an den Vorsokratikern, die materialistisch die Natur auf die Elemente der Dinge verkürzten, so dass Entstehen und Vergehen der Naturdinge nur akzidentelle Veränderungen der Elemente waren, der alleinigen Substanzen, die sich in verschiedener Weise zusammenfügen und trennen. Dagegen weist Aristoteles auf, dass die Naturdinge – Pflanze, Tier und Mensch –, Substanzen sind, und deshalb ihr Entstehen und Vergehen nicht akzidentell, sondern substantiell sind, d. h. echte Übergänge vom substantiellen Nicht-Sein zum Sein, sowie wieder zum Nicht-Sein. Diese Klärung ist bis heute aktuell, da die Naturwissenschaften eine den Vorsokratikern ähnliche Einstellung zur Natur haben: Sie anerkennen als Natur nur die materiellen Elemente: Moleküle bzw. Atome und deren Elementarteilchen. Sie bestimmen auch die Biowissenschaft, die in der Entstehung der Lebewesen nichts anderes sieht als die „Synthese“ genetischer Grundbausteine. Außerhalb ihrer Sicht fallen die Form-Bewegungs-Zweck-ursachen, obwohl sie gerade das Lebensprinzip sind (und die „Bio“wissenschaft eigentlich eine solche vom Leben sein müsste!).
2)
Zu moderner Kritik an der Zweckursache
Moderne Kritik an Aristoteles’ Lehre der Zweckursache beruht auf dem Missverständnis, dass zweckmäßige Tätigkeit einen verstandesbegabten Agenten voraussetzt, da sie nur von unserem Verstand erfasst wird. Die Natur hingegen handelt ohne Verstand. Daraus zieht dann Kant den Schluss, dass unser Verstand die Zweckmäßigkeit, die es nur in menschlicher Praxis gebe, fälschlich in die Natur hineinlege, „als ob“ sie zweckmäßig handle. Im Sinne Kants hat daher auch H. Wagner in seinem Kommentar zu Aristoteles’ Physik Kritik daran geübt,4 dass dieser sich öfters auf Beispiele aus der menschlichen Technik beziehe, um das zweckvolle Geschehen in der Natur mit Hilfe der Zweckursache zu erklären, was unstatthaft sei, weil die Naturdinge nicht mit Verstand begabt sind. Indes, die Texte bei Aristoteles zeigen, dass er ein direktes Verständnis der Zweckmäßigkeit in der Natur hat, es also nicht primär aus menschlicher Praxis und Technik gewinnt. Vielmehr stellt er fest, dass die Technik die Natur nachahmt (Physik 194a 20 – 22). So dient ihm der Analogievergleich zwischen Technik und Natur nicht zum Verständnis von deren Zweckmäßigkeit als solcher, sondern nur zur Erläuterung der Form-, Bewegungs- und Zweckursache, die in den Naturdingen in eins zusammengehen, also nicht so leicht zu unterscheiden sind wie beim menschlichen Kunstschaffen, wo sie klarer unterscheidbar sind, z. B. bei der Herstellung einer Marmorstatue, bei welcher der 4 Siehe Wagner 1979.
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Marmor die Materieursache ist, der Bildhauer die Bewegungsursache und der Plan in seiner Vernunft die Form-Zweckursache. Ferner weist Aristoteles ausdrücklich die These einiger zurück, die der Natur „eine Art von Vernunft“ zuschreiben wollen (199a 8 ff)! Im Gegensatz jedoch zu Kant zieht Aristoteles nicht den Schluss, dass der Natur keine Zweckmäßigkeit zukomme, und wir Menschen diese ihr fälschlich zuschrieben (im Modus des „als ob“). Vielmehr stellt er gerade das Eigentümliche an der Natur heraus (Physik II, 8), dass sie Zweckvolles ohne Verstand hervorbringt, im Unterschied zur menschlichen Technik oder Kunstfertigkeit, die Zweckvolles mit Verstand wirkt. Wiewohl die Natur nicht überlegt (B t´wmg oq bouke¼etai), wirkt sie dennoch zweckvoll, wie wenn ihr ein Künstler (tewm¸tgr) innewohnte. Tatsächlich aber wirkt sie ohne Verstand, mit irrationalen Bewegungs- und Zweckursachen in den Lebewesen, sowohl in den vegetativen und sensitiven Prozessen, als auch in den Instinkt-Handlungen. Der Instinkt ist per Definition das Vermögen, Zweckvolles ohne Verstand zu vollziehen. Aus Unkenntnis hinsichtlich der Tradition bezeichnen heute Verhaltensforscher zweckvolle Handlungen bei Tieren als Intelligenzleistung und missbrauchen diesen Begriff, der nur dem Menschen zukommt.5
3)
Zufall statt Naturfinalität?
Der Versuch, die zweckvollen Naturvorgänge nicht durch eine Zweckursache, sondern durch rein materielle, zufällig ablaufende Vorgänge zu erklären, ist in unserer Zeit durch Monods Zufallstheorie bekannt geworden. Sie scheint schon durch mathematische Berechnungen unmöglich zu sein, was uns hier nicht beschäftigen soll. Der Versuch als solcher, Zweckvolles durch den Zufall zu erklären, findet sich bereits in der Antike. Schon Aristoteles hat sich mit dem 5 Vgl. zum Thema auch meine Abhandlung: Seidl 2008. Sie geht (S. 108 ff.) auch auf den von Hans Driesch 1928 eingeführten Begriff des „Entelechiefaktors“ ein. Seine Experimente an Seeigeleiern, die, wenn halbiert, in ihren Hälften zu ganzen Seeigeln heranwachsen, haben ihn veranlasst, einen finalen Faktor anzunehmen. Dieser müsste eine psychische intelligente Zweckursache sein, welche aber Driesch nicht annehmen kann, so dass er nur von einem unerklärbaren „Psychoid“ spricht und im Übrigen die Lebensfunktionen als Mechanismen materieller Bewegungen beschreibt. Die Abhandlung widmet sich der gegenwärtigen biowissenschaftlichen Forschung, wie sie die gute Einführung von Junker / Scherer 2006. Wertvoll ist die Darstellung gerade dadurch, dass sie die Schwierigkeiten bespricht, die den Naturwissenschaftlern erwachsen, wenn sie eine makroevolutionäre Entwicklung zu rekonstruieren versuchen, was nicht gelingt. Ein Beispiel von vielen: Der Übergang vom Zähnekiefer der Reptilien zum Schnabel der Vögel setzt eine Reihe struktureller Veränderungen voraus, die in ihrem koordinierten Zusammenwirken nicht durch Mutationen allein erklärt werden können. Hier kann die Naturphilosophie mit der spezifischen Zweckursache die beste Erklärung geben.
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Argument der Leugner der Naturfinalität auseinandergesetzt, dass nämlich die Organe in den Lebewesen rein zufällig aus materiellen Ursachen und den in ihnen liegenden Bewegungsfaktoren geformt worden seien, wiewohl die Dinge dann zweckvolle Funktionen ausüben. Er bringt als Beispiel die Zähne, von denen die einen, die Schneidezähne, im Mund vorne wachsen, zum Abschneiden der Nahrung, und die anderen hinten, die Mahlzähne, um die Nahrung zu zerkleinern. Das Argument mutet uns modern an, da es ähnlich wie ein moderner Evolutionismus die Organbildungen ohne natürliche Zweckursachen erklärt. Aristoteles widerlegt dieses Argument mit dem Hinweis auf die Regelmäßigkeit, mit der sich die Organe bilden, nämlich zum Zweck bestimmter Lebensfunktionen, hier der Nahrungsaufnahme und -verarbeitung. Bei der materiellen Hypothese wäre bestenfalls „erklärt“, dass sich solche Organe aus Zufall einmal gebildet hätten, nicht jedoch, dass ihre Bildung mit großer Regelmäßigkeit erfolgt, was eine Zweckursache erfordert. Man sehe auch den Hinweis Physik II, 6, 197b 20 ff, dass „die Natur nichts vergeblich macht“, sondern alles (oder das meiste) zweckvoll. Man kann noch hinzufügen: Selbst wenn sich ein Organ (wie die Zähne) rein zufällig aus einer materiellen Konstellation gebildet hätte, würde doch die seelische Lebensursache fehlen, die es als „Instrument“ für seinen Zweck zu gebrauchen vermöchte (Aufnahme der Nahrung, ihr Zerschneiden und Zerkleinern); denn das Organ allein erklärt noch nicht seinen zweckvollen Gebrauch.
4)
Zum Begriff der Evolution. Voraussetzung einer immanenten und einer transzendenten Zweckursache
Dem Begriff „Evolution“ entspricht der deutsche Begriff „Entwicklung“, der zusammen mit dem Begriff „Entstehung“ als Übersetzung für den griechischen Begriff c´mesir, bzw. den lateinischen: generatio steht. Während die moderne Evolutionstheorie zwischen der Ontogenese und der Phylogenese unterscheidet und sich hauptsächlich den Problemen der Phylogenese oder der Entstehung der Arten und der sog. Makroevolution widmet, waren die antiken Philosophen weitgehend nur mit der Ontogenese der Lebewesen beschäftigt, ohne Fragen der Entstehung der Arten zu stellen. Mir scheint aber, dass auch für die modernen Probleme die traditionellen ontogenetischen Beobachtungen und Erklärungen über die Entstehung des individuellen Lebewesens nicht ohne Nutzen sind; denn die bei diesen Erklärungen befolgte Methode könnte entsprechend auch für die moderne Evolutionsforschung hilfreich sein. Eine methodische Regel in der traditionellen Naturphilosophie lautet, dass jede Entwicklung eine Zweckursache voraussetzt; denn Entwicklung besagt einen Prozess, in welchem sich ein Ganzes aus Teilen organisch aufbaut, wobei
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jeder Teil eine bestimmte Funktion für den Zweck des Ganzen erfüllt, und jeder Teil im Entwicklungsprozess an einer je bestimmten Zeitphase ausgebildet wird. Die bloße Zusammenfügung der materiellen Elemente könnte dies nie erklären, wenn nicht eine organisierende, nicht mehr materielle Zweckursache am Werke wäre. Der Begriff „Organ“ bedeutet Instrument, Mittel für einen Zweck. Im sich entwickelnden Lebewesen baut die seelische Zweckursache den Organismus gleichsam als ihr Haus auf, um ihn zur Ausübung des eigenen Zweckes zu benützen, d. h. des Lebensvollzuges, den jede Spezies auf ihre bestimmte Weise erreicht. Eine weitere methodische Regel lautet, dass sich der Zweck eines Lebewesens erst vom Ende seiner Entwicklung her erkennen und bestimmen lässt, also nicht, solange das Lebewesen sich noch in Entwicklung oder gar noch im Anfangsstadium befindet. Der griechische Begriff für Zweck telos, latein. finis, meint ja Ende. Dabei gilt, dass sich erst am Ende der verwirklichte Zweck zeigt, dessen Ursache aber schon von Anfang an da sein muss. Dies drückt sich in der Erkenntnis aus, dass das Letzte in der Ordnung der Entstehung das Erste in der Ordnung der Ursache ist. Die Zweckursache muss von Anfang an im sich entwickelnden Lebewesen da sein, welche die Entwicklung schließlich zur Verwirklichung des Zweckes hinführt, der am Ende erreicht wird. Aus der Tatsache, dass am Anfang der embryonalen Entwicklung noch kein Organismus vorliegt, sondern nur ein Zellhaufen, kann also nicht geschlossen werden, dass noch keine menschliche Seele vorliege, und somit auch noch kein Mensch.6 Hinzu kommt der Grundsatz: Damit ein Ding sich entwickeln kann, muss immer schon etwas sein, nämlich seine konstitutiven Ursachen, aus denen es entsteht; denn es kann ja nicht aus nichts entstehen. Daraus erhellt die ontologisch-metaphysische Grundlage für alles, was entsteht. Sie müsste auch für die Evolution des Kosmos gelten, wenn sie doch nicht nur als ein Ablauf wechselnder materieller Zustände, sondern als eine echte Entwicklung verstanden werden sollte, die auf den gegenwärtigen Zustand als einen (vorläufigen oder schon letzten) zweckvollen Endzustand hinlaufen würde. Dann müsste die Erklärung der Evolution von diesem gegenwärtigen Zustand ausgehen, um auf ihren Anfang zurückzuschließen. Zum Endzustand heute gehört aber sowohl der Mensch mit seiner Vernunftseele, als auch die erste transzendente Seinsursache, Gott. Wichtig ist die traditionelle Unterscheidung zwischen den immanenten Zweckursachen in den Naturdingen und einer ersten transzendenten Zweckursache, die mit Gott gleichgesetzt wird. So entwickeln sich zum Beispiel die Pflanzen aus dem Samen zur ausgewachsenen Form dank der immanenten 6 Siehe meine Kontroverse mit Ulrich Steinvorth: Seidl 1997.
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Zweckursache. Aber die entwickelten Dinge können wieder zweckvoll für andere sein, so die Pflanzen als Nahrung für die Lebewesen. Und die gesamte Natur, einschließlich der Menschen, dient wieder einer ersten transzendenten Zweckursache, Gott. Diese wirkt nicht mehr als immanente Ursache und darf mit keiner von ihnen verwechselt werden, sondern ist vielmehr erste Ursache für die zweiten, immanenten Ursachen in den Dingen. Daher habe ich Schwierigkeiten mit dem Argument vom „intelligent design“ des Schöpfergottes, welches in der Weise Evolution und Schöpfung verbinden möchte, dass die Zweckmäßigkeit in der Natur ein von Gott eingezeichneter Plan ist. Doch scheint mir diese Erklärung die naturimmanenten Zweckursachen zu übergehen oder sie gleichsam durch Gottes Wirken in Naturdingen zu ersetzen. Dann lässt sich aber ein Pantheismus nur schwer vermeiden. Mit dem Bild des Designers verbindet sich das des Technikers oder Werkmeisters, der ein vorgegebenes Material bearbeitet. Mit einem solchen vergleicht aber Aristoteles sinnvoller die Natur, die wie ein Techniker (tewm¸tgr) vorgeht, nicht Gott. In Platons Timaios ist zwar der göttliche Demiurg dem Vergleich mit dem menschlichen Werkmeister entnommen. Aber der eigentliche Vergleichspunkt ist das Vorbild des Werkmeisters, das bei Platon die Idee des Guten ist, mit dem der göttliche Demiurg identisch ist; denn er ist, wie der Timaios-Text sagt, „der Gute“, „der Vater aller Dinge“, so dass er selbst das Vorbild ist. Und damit er dies für die zu gestaltende Welt werden kann, bedarf es zweier Vermittlungen, der Vernunft und der Seele, die der Demiurg vor der Gestaltung der Welt erschafft. Plotin hat sie richtig als kosmische Vernunft und kosmische Seele ausgelegt und als zweite und dritte Hypostase unter der ersten, dem Guten selbst, angesetzt, aber irrtümlich die Kosmos-Vernunft mit dem Demiurgen gleichgesetzt, während dieser doch mit dem Guten selbst identisch ist. Freilich ist dieser Irrtum verständlich, da der erste Gott, das Gute selbst, kein Demiurg sein kann, der wie der menschliche Werkmeister Materie formt.
IV)
Vereinbarkeit von Evolutionstheorie und Schöpfungslehre
1)
Einleitende Stellungnahme zum Evolutionismus und zu Darwin
Wenden wir uns nun der Evolutionsdebatte unserer Tage zu, so ist festzustellen, dass die evolutionistische Theorie ohne die Annahme des Schöpfergottes vorgeht, weil sie antimetaphysisch ist und Gott zu einer reinen Glaubenssache macht. Jedoch zu Unrecht, da die Existenz einer ersten transzendenten Seinsursache, die mit Gott gleichgesetzt wird, rational erkannt werden kann, ja in gewissem Sinne auch der Schöpfungsbegriff, wie im Folgenden darzulegen ist. Vielmehr leuchtet aus dem vorhin Gesagten ein, dass die Evolution nicht ohne
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Metaphysik erklärt werden kann, die schon vorausgesetzt werden muss. Ohne Metaphysik, allein aus einer Urmaterie alle Dinge dieser Welt, einschließlich des vernunftbegabten Menschen, entstehen lassen zu wollen, kann zu keinem Erfolg führen; denn die nicht-materiellen Form- bzw. Zweckursachen in den Lebewesen, sowie die Vernunftseele des Menschen sind nie aus der Materie ableitbar, es sei denn, man begabt sie, wie oben erwähnt, mit gleichsam göttlichen Schöpfungskräften, was nicht angeht.7 Evolutionstheorie und Schöpfungslehre müssen nicht in Gegensatz zueinander stehen, da sie auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. Die Lehre von der Evolution, Entwicklung des Kosmos und der Natur setzt immer eine Materie voraus, und stellt nicht die Frage nach der Herkunft der Materie selbst. Hierauf geht hingegen gerade die Schöpfungslehre mit der ihr zugrundeliegenden Metaphysik ein; denn die erste transzendente Ursache ist ja wesentlich eine solche für die zweiten, immanenten Ursachen. Einen Hauptgrund gegen die Schöpfungslehre und für den Evolutionismus ist Darwins Lehre geworden. Doch hat Darwin nicht von der Evolution gesprochen, sondern nur von der Entstehung der Arten und zu ihrer Erklärung hauptsächlich die zwei Faktoren eingeführt: die Mutation und die Selektion. Wenn die Mutationen (vereinfacht gesagt) zufällige Veränderungen in den Genen sind, die zu Abweichungen von bestehenden Arten führen und zur Entstehung neuer, so lässt sich dies mit der traditionellen finalen Naturerklärung durchaus vereinbaren; denn die Unbestimmtheit der Mutationen gehört ja gerade zu der Unbestimmtheit, welche der Materie per Definition eigentümlich ist. Und die bestimmende Zweckursache ist der unbestimmten/bestimmbaren Materieursache so zugeordnet, dass sie diese zum je bestimmten Organismus der betreffenden Spezies formt und aufbaut. Das Entstehen neuer Arten wird durch die Mutationen ermöglicht, aber nicht von ihnen bewirkt, sondern von der Zweckursache; denn auch die neue Art ist ja ein zweckvolles organisches Ganzes. Übrigens fehlt in Darwins Lehre der Zweckaspekt nicht. Er findet sich im Überlebenskampf (struggle for life), in welchem das Leben offenbar ein erstrebenswertes Gut ist. Doch wird dieser Zweckaspekt von Darwin nicht als solcher herausgestellt, vielmehr tritt nur der Aspekt des Kampfes der Individuen ums Überleben hervor, der vergleichsweise an den Konkurrenzkampf im Wirtschaftsleben der Menschen denken lässt (worauf Darwin-Interpreten hinweisen). Das heißt, dass es nur um einen Mechanismus von Bewegungskräften geht, dort von biologischen, hier von wirtschaftlichen. Der eigentliche Zweckaspekt 7 Es ist für mich besonders schätzenswert, an der Universität Wien sprechen zu dürfen, wo die Metaphysik-Tradition durch das so verdienstvolle Wirken von Professor Erich Heintel lebendig gehalten wurde.Um die Wiedergewinnung der traditionellen Metaphysik geht es in meiner Abhandlung: Seidl 2006.
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kommt nicht zum Tragen, auch deshalb nicht, weil in der Natur die Erhaltung des Individuums der Erhaltung der Art untergeordnet ist, für die das Individuum sich einsetzt und, wenn notwendig, sich auch aufopfert. Ein schönes Beispiel hierfür bietet eine Wespenart, welche ihre Eier im Leib der Riesenspinne ablegen muss, um zu überleben. Es kommt immer zu einem Kampf auf Leben und Tod, bei dem die kleine, schwächere Wespe beim Versuch, den tödlichen Stich am Hinterleib der Riesenspinne auszuführen, von dieser erdrückt zu werden droht, und doch meistens obsiegt, weil sie mit größerem Einsatz kämpft; denn bei der Wespe geht es um das Überleben ihrer Art, bei der Riesenspinne nur um das Überleben des Individuums.
2)
Unterscheidung von Entstehung und Schöpfung
Um die Evolution oder Entwicklung des Kosmos und der Natur mit ihrer Erschaffung durch den Schöpfer-Gott in Zusammenhang zu bringen, ist es nun notwendig, den Begriff der Schöpfung zu bestimmen, wie er sich schon in der Antike herausgebildet hat, und zwar zuerst in der theologischen Schriftauslegung des biblischen Schöpfungsberichtes. „Schöpfung“ bedeutet hier ein schlagartiges Ins-Dasein-treten der Welt: „Gott sprach – und es ward“, im Unterschied zur Entstehung der innerweltlichen Dinge, die sich in anlaufenden Phasen vollzieht. Und während ihre Entstehung aus schon vorliegender Materie geschieht, erfolgte Gottes Erschaffung der Welt aus Nichts, d. h. aus keiner vorliegenden Materie, da ja die Welt alles einschließt, auch die Materie. Vorbereitet findet sich die Konzeption eines Ins-Dasein-treten ohne Entstehung schon bei Aristoteles. In Metaphysik VII, 4 ff, legt Aristoteles seine Lehre von der Wesenheit der Dinge dar, die in ihren konstitutiven Ursachen liegt. Er stellt sich die Frage (VII 6 – 7), ob die Wesenheit der entstehenden Dinge auch entstehe, und verneint sie; denn das Entstehen der Dinge erfolgt aus dem Zusammentritt einer Materie- und einer Formursache. Also können diese Wesensursachen nicht wiederum aus einer Materie- und Formursache hervorgehen (Buch VIII, 3, 1033a 5 – 8). Vielmehr müssen sie sein und nicht sein „ohne Entstehen und Vergehen“. In der Schrift De caelo, Buch I, gelangt Aristoteles zum Ergebnis, dass der Himmel und die durch ihn umfasste Welt ewig ist, d. h. unentstanden und unvergänglich. Das Unentstandene (!c´mgtom) kann dreierlei bedeuten (Kap. 11): 1. was einmal nicht war, dann aber ist, ohne einen Prozess des Entstehens durchlaufen zu haben; 2. was bisher noch nicht entstanden ist; 3. was ohne Entstehungsprozess da ist, sei es, dass es ewig oder nicht ewig ist. Die dritte Bedeutung käme der Welt zu. Bei der Frage der Ewigkeit der Welt spricht gegen sie das Argument (Kap. 12), dass sie Mögliches enthält, und es für das Mögliche,
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zu sein und nicht zu sein, unmöglich ist, ewig zu sein – was der Vorrang allein des Notwendigen ist –, vielmehr wird es nur für eine begrenzte Zeit sein. Thomas hat dieses Argument in seinen 3. Gottesbeweis (ex contingenti et necessario) einbezogen. Die aristotelische Einsicht, dass es Seiendes gibt, das ohne Entstehung ins Sein getreten ist, d. h. ohne vorher bestehende Materieursache, hat bei Kirchenvätern Eingang gefunden, und zwar in ihrer Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes. Sie waren nun imstande, die Schöpfung (griech. jt¸sir, latein. creatio) der Welt als verschieden von jeder innerweltlichen Entstehung (c´mesir, generatio) zu verstehen, nämlich als entstehungsloses Ins-Sein-Treten, das aus keiner vorher bestehenden Materie, sondern als Schöpfung aus Nichts (creatio ex nihilo) erfolgt. Thomas von Aquin lehrt, dass der Schöpfungsakt Gottes mit seinem wesenhaften Sein identisch ist, verbunden mit seinem Willen, diese Welt zu erschaffen, und erörtert, wie dies möglich ist, da doch Gott unwandelbar und ewig ist. Thomas’ Antwort lautet, dass Gott von Ewigkeit her die Schöpfung der Welt gewollt hat, dass aber die Welt endlich ist, mit einem zeitlichen Anfang, wobei die Zeit mitgeschaffen worden ist.8 Was Gottes Schöpfungsakt betrifft, gibt es in der griechischen Philosophie eine wichtige Reflexion, die das Verständnis für ihn vorbereitet hat, und zwar bei Plotin, Enneade VI 1. Ohne hier seine Metaphysik von den drei göttlichen Hypostasen (Substanzen) näher darzulegen, nehme ich nur Plotins Erörterung auf, wie nämlich von der ersten Substanz, dem ersten Gott, dem Einen bzw. Guten, die zweite Substanz, der zweite Gott, hervorgehen könne, der reiner Intellekt ist und in sich alle Wesenheiten der Dinge (die platonischen Ideen) befasst. In ihm zeigt sich somit schon die Zweiheit von Subjekt und Objekt, sowie die Vielheit der Ideen. Wie kann sie aus dem absolut Einen, Ersten Gott hervorgehen? Plotins geniale Antwort ist die, dass die erste Substanz so mächtig ist, dass die von ihr ausgehende Wirkung sich zu einer neuen Substanz verselbständigt, zu einem eigenen Stand kommt, wie dies mit rpost/mai, dem Verbum zu rpºstasir (lat. substantia) trefflich ausgedrückt wird. Dieser Vorgang kann mit Recht als Schöpfung bezeichnet werden und lässt sich mit dem biblischen Schöpfungsbericht vereinbaren, wonach Gott sprach, und das Ausgesprochene ward. Bei Plotin wiederholt sich dann analog der Vorgang zwischen der zweiten und der dritten Hypostase, d. h. zwischen der Weltvernunft und der Weltseele. Die dritte ist eine Wirkung der zweiten und gewinnt wieder einen eigenen substantiellen Stand. Zu beachten ist, dass der Hervorgang des göttlichen Intellekts aus dem ersten göttlichen Einen keine „Emanation“ ist (wie eine falsche Auslegung, verleitet 8 Vgl. meinen Aufsatz: Seidl 1987.
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durch das Bild vom Brunnen, meint), da bei ihm das göttliche Eine nichts von seiner eigenen Substanz verliert. Augustinus war von Plotins Schriften stark beeinflusst. Er bezieht sich auf sie in De civitate Dei, Buch VIII, wo er die platonische Lehre zusammenfasst und auswertet. Dabei ändert er die Lehre von den drei göttlichen Hypostasen ab, um sie in die christliche Theologie von dem Einen Gott aufzunehmen. Die drei Merkmale des Seins, Erkennens und Lebens, die Plotin auf die erste, zweite und dritte göttliche Hypostase verteilt, kommen nun bei Augustinus dem Einen Gott zu; denn in Ihm ist „Sein, Erkennen und Leben dasselbe“. Mit dieser Einsicht hat er ein Lehrstück in Aristoteles’ „Theologie“ (Metaphysik XII 7) wiederentdeckt, welches die erste, göttliche Substanz als reinen Seinsakt bestimmt, sowie als reine Vernunftaktualität und vollkommenstes Leben. Dass Augustinus hier mit Aristoteles übereinstimmt, ist umso erstaunlicher, als er keine direkte Bekanntschaft mit dessen Metaphysik-Text zu haben schien. Seine Übereinstimmung mit Aristoteles war später für Thomas von Aquin sicherlich eine wichtige Hilfe, den griechischen Philosophen mit der christlichen Glaubenslehre zu verbinden. Zur materialistischen Annahme einer ewigen Materie, woraus die Dinge in endlosem Wechsel hervorgehen und worein sie vergehen, ist zu bemerken, dass sie fehlerhaft die Natur mit der Materie identifiziert. In Wahrheit jedoch sind die Naturdinge komplex. Ihre Erforschung durch die traditionelle Naturphilosophie hat erstmals zur Materieursache neben den Form-Bewegungs-Zweckursachen geführt. Ohne diese Tradition besäßen wir nicht einmal den Begriff „Materie“, der ja in der Antike kein Alltagsbegriff war, sondern als philosophischer Terminus eingeführt wurde. Im ursächlichen Verständnis aber kann die Materie nie (wie der Materialismus will) als erste alleinige Ursache von allem verstanden werden, die absolut, unbedingt und nicht weiter erklärungsbedürftig wäre. Vielmehr erweist sie sich als unterste, in sich unbestimmte Ursache, die komplementär zu den FormBewegungs-Zweck-ursachen hinzukommt. Sie erklärt keineswegs alleine das Entstehen der Naturdinge und ist selber, zusammen mit den anderen immanenten Ursachen, erklärungsbedürftig; denn es kann nochmals nach der Ursache ihres Daseins gefragt werden, was notwendig zu einer ersten transzendenten, immateriellen Seinsursache führt, die mit Gott gleichgesetzt wird. Übrigens wäre die tertia via des Thomas von Aquin (ex contingenti et necessario) auch bei Annahme einer ewigen Materie schlüssig; denn sie erfolgt nicht mit dem Argument, dass ohne etwas Notwendiges zu einem Zeitpunkt einmal nichts mehr wäre (wie Kritiker missverstehen), sondern das Argument lautet, dass „einmal nichts von den Dingen gewesen wäre“ (aliquando nihil fuit in rebus). Mag auch die Materie ewig sein, sie erklärt nicht, dass jetzt bestimmte Naturdinge da sind. Dies erfordert etwas Notwendiges, nämlich zunächst die
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ihnen immanenten Form-Bewegungs-Zweck-ursachen, und schließlich eine erste, absolut notwendige, transzendente Ursache, Gott.9
3)
Naturphilosophische und metaphysische Vermittlung zwischen Evolution und Schöpfung
Die Einsicht, dass die den Naturdingen immanenten Ursachen kein Entstehen mehr haben, wie die Naturdinge, deren Ursachen sie sind, sondern in einem zeitlosen Nu ins Dasein getreten sind, durch Schöpfung, die von der ersten, transzendenten Seinsursache, Gott, ausgegangen ist, ermöglicht es uns, abschließend die Beziehung zwischen Evolution und Schöpfung näher zu bestimmen. Beide müssen nicht in Widerstreit zueinander stehen. Es bedarf jedoch der interdisziplinären Einstellung, welche einerseits die naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse anerkennt, andererseits aber auch die naturphilosophische und metaphysisch-theologische Unterscheidung zwischen Entstehung und Schöpfung aufnimmt. Wie die naturwissenschaftliche Forschung erweist, verlief die kosmische Evolution zuerst so, dass sich aus einer Urmaterie allmählich jene Elemente bildeten, aus denen sich schließlich auch unser Planetensystem und die Natur unserer Erde aufgebaut haben. Die letztere zeigt wiederum eine Entwicklung von den Pflanzen zu den Tieren, und weiter von den Tieren bis zum Menschen. Sie erfolgt in einer kontinuierlich aufsteigenden Linie, die sich morphologisch als Aufstieg zu immer komplexeren Formeinheiten von Organismen darstellt. Gegenüber der anorganischen, leblosen Materie erreicht die Natur in den Pflanzen schon eine organische Lebenseinheit, die mit den Tieren eine wieder höhere, intensivere Einheitsstufe komplexer Formen erreicht, und eine höchste Stufe mit dem Menschen. Was sich nun aber den Naturwissenschaften aus der Außenbeobachtung als kontinuierlich aufsteigende Entwicklung darstellt, erfährt durch die naturphilosophische Betrachtung ihre Ergänzung, da sie auf die innere Zweckmäßigkeit dieser Entwicklung achtet und in den drei Übergangsstufen, 1. von der anorganischen Materie zu den Pflanzen, 2. von den Pflanzen zu den Tieren und 3. von den Tieren zum Menschen, jeweils eine wesentlich neue Form von Zweckmäßigkeit erkennt, die nicht anders erklärt werden kann als durch neue Zweckursachen, die anzunehmen zur Voraussetzung der Evolutionstheorie gehören muss, wie oben gesagt. Dann lässt sich naturphilosophisch feststellen, dass zu drei bestimmten Momenten der Erdgeschichte diskontinuierlich und entste9 Dies ist näher ausgeführt in meiner kommentierten Ausgabe: Thomas von Aquin 1986 (ibid. 330).
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hungslos jeweils ein bestimmtes Lebensprinzip bei den Pflanzen, dann ein neues Lebensprinzip bei den Tieren und schließlich wieder ein neues Lebensprinzip bei den Menschen aufgetreten ist. Wie sich zeigt, ist also mit der naturwissenschaftlichen Forschung die philosophische Erklärung der Evolution wohl vereinbar. Sie kann mit Recht von einer Schöpfung sprechen. Der Eintritt der drei Lebensprinzipien ist entstehungslos, weil von jener besonderen Weise des Eintrittes ins Dasein, wie sie nur durch Schöpfung erklärt werden kann (s. o.). Das heißt, die drei Prinzipien müssen von einer ersten, transzendenten Seinsursache ausgehen, welche die Metaphysik als Voraussetzung der Evolutionstheorie darbietet, und welche religiös gesprochen Gott ist. Am Beginn der Schöpfung musste zuerst die Materie ins Dasein getreten sein, bevor dann zu erdgeschichtlich verschiedenen Momenten die drei Zweckursachen auftraten. Die vorliegende Erklärung vermeidet übrigens eine zu wörtliche Übernahme des biblischen Schöpfungsberichtes, als hätte Gott Pflanzen, Tieren und Menschen auf die Erde gesetzt. Vielmehr hat Er deren Ursachen erschaffen, auf dass diese sich eigengesetzlich zu den Pflanzen und Tieren hin entwickelten. Der „Lehm“, aus dem der Mensch gebildet wurde, könnte das Genmaterial sein, das der Mensch mit dem der Primaten gemeinsam hat, ohne dass er deshalb von den Primaten abstammen würde. Vielmehr bedeutet in der Erdgeschichte der Eintritt des Menschengeistes als neuen Lebensprinzips den Beginn einer neuen Spezies, nämlich des Lebewesens Mensch, der die gesamte Natur übersteigt. Zur Frage, wie hierbei die Primaten als materiell genetische Grundlage gedient haben, könnte man verschiedene Szenarien überlegen, die interdisziplinär durchzugehen wären.
V)
Nachträge
Nach dem Vortrag sind in der Diskussion, wie auch in privaten Gesprächen an mich Fragen gestellt worden, die hier noch etwas ausführlicher beantwortet werden sollen. 1. Von naturwissenschaftlicher Seite stellen sich die Fragen, ob uns heute Aristoteles noch etwas zu sagen hat, ob wir seine Zweckursache für die Naturerklärung noch nötig haben, und weiter, was diese Zweckursache überhaupt bedeutet. Darauf lässt sich Folgendes antworten: Der große Wert der antiken Philosophie, nicht nur der aristotelischen, ist der, dass sie auf dem vorphilosophischen Realitätsbewusstsein beruht, mit dem die Menschen im Alltag miteinander und mit den Naturdingen verkehren, und ohne das auch wir heute keinen einzigen Tag leben könnten. Dieser Realismus bringt uns mit den antiken Denkern in eine zeitlose Gegenwart, mit der Anerkennung der Existenz der
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Naturdinge und der Mitmenschen. Wir sind uns ebenso wie Aristoteles bewusst, dass die belebten Naturdinge, wie auch der Mensch, mehr sind als nur ihre materiellen Elemente. Heute sagen wir, der Mensch ist mehr als seine Gene. Dieses Mehr liegt in einer nicht mehr materiellen Lebensursache, welche per Definition die Seele der spezifisch verschiedenen Lebewesen ist, nämlich als Form-, Bewegungs- und Zweckursache (wie im Vortrag ausgeführt). Wenn der Biowissenschaftler diese leugnet und für unnötig hält, so deshalb, weil seine Theorie an Physik und Chemie ausgerichtet ist, und im anorganisch-materiellen Bereich noch keine Zweckmäßigkeit, somit auch noch keine Zweckursache, vorliegt. Übrigens auch nicht für Aristoteles, der sie erst bei der Erklärung der belebten Natur einführt. Die Naturphilosophie stützt sich auf das vorphilosophische Verständnis vom Leben und der Seele, das die Menschen aller Zeiten haben, und zwar durch das schlichte innere Selbstbewusstsein. Der Biowissenschaftler, mit seiner experimentellen Außenbeobachtung, kann nicht als solcher verstehen, was Leben, Seele und Zweckursache ist, wenn er sich nicht als Mensch dank seines inneren Selbstbewusstseins (von seinem eigenen Sein/Leben) in das interdisziplinäre Gespräch mit der Naturphilosophie einbringt. Für die Naturphilosophie ist die Zweckmäßigkeit in der belebten Natur eine unbestreitbare Tatsache, von der sie ausgeht, um sie dann durch die Zweckursache, auf den spezifisch verschiedenen Ebenen des Lebendigen, der Pflanzen und Tiere, zu erklären. Sie verursacht in jedem Lebewesen jene organische Einheit, die immer eine Ganzheit aus Teilen ist, wobei jeder Teil seine Funktion für die spezifisch bestimmte Lebensweise des ganzen Lebewesens zweckvoll erfüllt. 2. Unentbehrliche Grundlage für die Naturphilosophie ist die Ontologie/ Metaphysik, mit ihrer Lehre der Seinsanalogie; denn das Leben ist die Seinsweise der Lebewesen, die über der leblosen Materie steht. Ebenso sind die Gesetze der Materie verschieden von denen der Lebewesen, wie auch wiederum das Gesetz der irrationalen Triebnatur nur analog etwas Gemeinsames hat mit dem moralischen Gesetz der rationalen Natur, bei wesentlicher Verschiedenheit. Auch ist die Zweckursache im biologisch-vegetativen Bereich wesentlich verschieden von der im sinnlichen Bereich, und die Zweckursache in diesem ist wieder wesentlich verschieden von der im geistigen Bereich. 3. Die mir mündlich gestellte Frage, welcher Zusammenhang zwischen den zweckvollen Naturvorgängen und dem Schöpfergott als Zweckursache von allem besteht, findet ihre Antwort schon mit dem im Vortrag Gesagten, das ich noch verdeutlichen möchte: Aus der Sicht der Seinsanalogie ist Gott das erste Seinsanalogat, das transzendent über allem Seienden steht, und von dem jedes, auf den verschiedenen Realitätsstufen, sein analoges Sein hat: vom MateriellenUnbelebten zum Belebten, vom Vegetativen-Sinnlichen bis zum Geistigen. Wie oben erwähnt, ist das Leben die hohe Seinsstufe der Lebewesen, für deren
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Horst Seidl
zweckvolle Lebenstätigkeiten ihre immanenten Zweckursachen verantwortlich sind, nicht sogleich Gott. Vielmehr sind die immanenten seelischen Zweckursachen als zweite auf Gott als erste, transzendente Ursache hingeordnet. Während sie Zweckursachen für das Werden der spezifischen Lebewesen sind, ist Gott Zweckursache in ganz anderem Sinne, nämlich für das Sein der immanenten Zweckursachen, für ihr Gut-Sein. Gott ist das Sein in ursächlicher Fülle und das höchste Gute. 4. Die theologische Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes könnte eine gute Bestätigung in der oben gegebenen naturphilosophischen und metaphysischen Erklärung des Verhältnisses von Evolution und Schöpfung finden. Doch müsste die theologische Exegese selbst ihrer natürlichen metaphysischen Grundlage bewusst sein, welche freilich eine rein geschichtliche oder existentiell ausgerichtete Theologie unserer Tage nicht mehr vorweist. Wenn Gott nur als geschichtliche Größe oder als Zeit ausgelegt wird, ist nicht mehr ersichtlich, wie Er Schöpfer von allem, einschließlich der Geschichte der Menschen und der Zeit, sein kann. Man vergleiche z. B. Psalm 90 (89): „Ehe die Berge geboren wurden, Erde und Welt entstanden, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist Du, o Gott.“ Daran schließt übrigens das Wessobrunner Gebet an, ein großartiges Zeugnis aus der Karolinger Zeit, das zeigt, wie damals Christen den biblischen Text realistisch in seiner metaphysischen Bedeutung verstanden haben. Die Zeit absolut zu setzen, widerspricht der Tatsache, dass sich Zeit durchaus vom Sein her definiert („Die Zeit ist…“), während das Sein sich nicht mehr definieren lässt (etwa in der Form: „Das Sein ist…“). Vielmehr erweist sich das Sein der Dinge als das Evidenteste, das wir haben. Dagegen ist Zeit bzw. Geschichte keineswegs evident, wie die verschiedenen Versuche zeigen, sie näher zu bestimmen. Doch ist jedenfalls klar, dass die menschliche Vernunft sie nur bestimmen kann aus einem zeitüberlegenen Standpunkt (Thomas v. Aquin: intellectus est supra tempus). Die Bibel überblickt bereits die gesamte Geschichte, vom Anfang der Welt bis zu den letzten Dingen. Die traditionelle Definition der Zeit als „Maß“ oder „Zahl der Bewegung gemäß dem Früher und Später“ trifft immer noch zu, wobei die Bewegung keineswegs auf die physikalische Bewegung beschränkt ist, sondern auch das Entstehen, sowie quantitative und qualitative Veränderungen umfasst. Zugrunde liegt eine natürliche, auch religiöse Erfahrung. Man denke an die Stellen in Psalmen, die sagen, dass des Menschen Erdentage in Gottes Hand liegend schon alle gezählt sind. In Psalm 90 heißt es: „Unsere Tage zu zählen lehre uns (o, Gott), damit wir ein weises Herz gewinnen!“ Auch der Schöpfungsbericht mit dem Siebentagewerk enthält unleugbar die Zeitkomponente in einer Anordnung des Früher und Später, die Gott dem Geschaffenen zumisst. Damit enthält der Bericht auch etwas Objektives, entgegen jeder modernen, subjektivistischen Auslegung.
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Bei der ebenfalls diskutierten Ewigkeit Gottes muss man m. E. nicht bei der Etymologie des griechischen Wortes: aioûn, stehenbleiben, das „Lebenszeit“ meint, sondern auch die tiefen Überlegungen über Zeit und Ewigkeit bei Platon, Aristoteles, Plotin und Augustinus hinzunehmen, die bei Thomas v. Aquin fortgeführt werden. Sie verweisen auf die metaphysische Bedeutung der Ewigkeit, nämlich auf das überzeitliche Sein Gottes in seiner unwandelbaren, vollkommenen Lebensfülle.
Literatur Driesch, H.: Philosophie des Organischen. Leipzig 41928. Heisenberg, W.: Das Naturbild der heutigen Physik. Hamburg 1955. Junker, R. / Scherer, S.: Evolution. Ein kritisches Lehrbuch. Gießen 62006. Portmann, A.: An den Grenzen des Wissens. Wien 1974. Portmann, A.: Biologie und Geist. Zürich 1956. Seidl, H.: Beiträge zu Aristoteles’ Naturphilosophie. Würzburg/Amsterdam1995. Seidl, H. : „De l’immutabilit¦ de Dieu dans l’acte de la cr¦ation et dans la relation avec les hommes“, in: Revue Thomiste (45) 1987, S. 615 – 629. Seidl, H.: Evolution und Naturfinalität, Hildesheim (Olms) 2008. Seidl, H.: Realistische Metaphysik. Stellungnahme zu moderner Kritik an der traditionellen Metaphysik. Hildesheim (Olms) 2006. Seidl, H.: „Stellungnahme zu einer Argumentation für Experimente mit Embryonen“, in: Logos, Zeitschrift f. systematische Philosophie (4) 1997, S. 333 – 346 (wieder abgedruckt in: Medizin u. Ideologie (20) 1998, S. 39 – 44). Thomas von Aquin: Die Gottesbeweise in den beiden „Summen“, mit Übersetzung, Einleitung und Kommentar von Horst Seidl. Hamburg (1982) 21986. Wagner, H.: Aristoteles’ Physikvorlesung. Übersetzung und Kommentar. Berlin 31979.
Hans-Dieter Mutschler
Minimalbedingung für einen Dialog Naturwissenschaft – Theologie
At Which Price Can Darwinism and Theology of Creation be Unified? The answer to this question is usually „at any price“ – if unification is fundamentalistically enforced – or „at no price“ – thinking in a materialistic way. In many places the discussion homed in on this fruitless alternative. Some are looking for gaps in biological theories together with the Intelligent-Design-movement, to use them fruitfully in theology. Others like Richard Dawkins project their ideological materialism onto biology, to use it then in a legitimizing way. Hereafter this unfruitful dispute is not of further interest. Apparently both sides are starting with the same wrong presupposition, that the question of God can be solved in an empirical way. But this is wrong both in a positive and in a negative way. Darwinism and theology of creation can only be compatible at the price of metaphysics of nature. This metaphysics has to restrain unjustified validity claims of biology. Empirical affirmations of a theory and validity claims connected to them are different things. The theory of evolution is a well approved theory. But there is no substantially change if someone either demands to have explained all living beings including humans with all their properties or if certain properties, like reason or morality, are excluded. Theology of creation is compatible only with a non-reductionist anthropology that implies reduced validity claim of biology. Theology of creation also demands a metaphysic of nature that assumes a spiritual element in evolution and overall intrinsic values. Both can only be explained with great effort of argumentation. Another way, which is widely gone by theologians, to leave nature to naturalism and add a theologic-anthropological enclave is indefensible neither theological nor philosophical. This approach would approve the prejudice that theology is only a weak superstructure that can be left out without any loss of substance. Bezüglich des Dialogs Naturwissenschaft – Theologie gibt es verschiedene Möglichkeiten: Man kann als Theologe 1) auf die radikale Verschiedenheit der Sprachspiele verweisen und das Problem im Rahmen einer Hermeneutik angehen, man kann 2) darauf warten, dass die Naturwissenschaften von sich aus
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Modelle entwickeln, die sich theologisch deuten lassen, d. h. man könnte unterstellen, dass sich Naturwissenschaft nach einer Periode der Entfremdung von sich aus wieder mehr der Theologie annähert oder man kann 3) argumentieren, dass Naturwissenschaft auf einem methodischen Atheismus beruht, so dass solche theologieaffinen Modelle nicht zu erwarten sind. In diesem Fall wird man nach einer metaphysischen Überbrückung suchen, wie auch immer. Einige protestantische Theologen mit fideistischer Tendenz neigen zu 1), andere mit szientifischen Ambitionen zu 2), während die katholische Theologie – in der Vergangenheit jedenfalls – sich auf 3) festlegte, was sich aber in letzter Zeit zu ändern scheint. Da ich davon überzeugt bin, dass 1) und 2) in die Irre führen und weil ich den Naturalismus, der inzwischen auch unter Theologen mehr und mehr Anhänger findet, für desolat halte, werde ich im Folgenden eine Minimalbedingung angeben, die erfüllt sein muss, dass der Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie überhaupt sinnvoll geführt werden kann. Ich mache eine solche Minimalbedingung namhaft, weil ich befürchte, dass der Dialog sonst aus dem Ruder laufen wird und es zum Teil schon ist. Die Formulierung solcher Minimalbedingungen wird von einer stärkeren Metaphysik Gebrauch machen müssen als heute gewöhnlich akzeptiert. Metaphysik wird gegenwärtig in einem schwachen Sinn verstanden wie etwa in der Analytischen Philosophie, wo man sich auf kategoriale Analysen beschränkt. Solche Analysen sind freilich unabdingbar und niemand, der eine stärkere Metaphysik vertritt, wird sie gering schätzen. Aber traditionelle, also starke, Metaphysik ging deutlich darüber hinaus. Sie war nicht nur Kategorien-, sondern auch Transzendentalienlehre, d. h. sie enthielt nicht nur spezielle, sondern auch allgemeine Seinsbestimmungen, wie z. B. das Gute oder das Wahre. Solche Transzendentalien kommen in der Analytischen Ontologie gewöhnlich nicht mehr vor, weil man 1) Wahrheit auf Satzwahrheit einschränkt und weil man 2) Werte für subjektive, rein konventionelle Zuschreibungen hält. Ich möchte im Folgenden die These vertreten, dass eine Ontologie ohne intrinsische Werte, die über das Konventionelle hinausgehen, keine Handhabe bietet, in den theologischen Diskurs überhaupt hineinzukommen. Da der Naturalismus die Existenz intrinsischer Werte leugnet (was die Abwesenheit des Wertbegriffs in den meisten Analytischen Ontologien erklärt), sehe ich an dieser Stelle die deadline für den Theologen. Wer sie unterschreitet, hat verloren. Vielleicht vorweg ein Vergleich, der das zu Sagende verdeutlicht, ein Vergleich aus dem sozialen Bereich, der uns jederzeit näher liegt als die Natur. Man stelle sich vor, die menschliche Gesellschaft wäre eine Gesellschaft reiner Egoisten. Der Mensch des Menschen Wolf.1 Es gäbe keine Liebe, keine Solida1 Ich entschuldige mich bei den Wölfen, die sehr soziale Tiere sind, aber so ist nun einmal der Sprachgebrauch.
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rität, keine Selbstlosigkeit unter den Menschen. Jeder würde nur um des eigenen Nutzens willen handeln. Könnte man in einer solchen Welt an Gott glauben? Mir scheint, dass kein Theologe diese Frage mit „Ja“ beantworten würde. Hingegen glauben viele Theologen, dass man eine solche Frage bezüglich der Natur ungestraft mit „Nein“ beantworten könnte, d. h. etwa die Frage „Können wir an einen Schöpfer der Natur glauben, wenn sie keine intrinsischen Werte enthält?“ Vielen Theologen scheint diese Frage irrelevant für den Glauben. Mir scheint, dass sie sich irren. Intrinsische Werte sind solche, die nicht von unserer Zuschreibung oder von unserem Nutzenkalkül abhängig sind. Man könnte intrinsische Werte auch so verdeutlichen: Würde es selbst dann in der Natur Werte geben, wenn keine Menschen existierten? Weit weniger Theologen würden eine solche Frage für eine Frage nach Sein oder Nichtsein des Glaubens halten und doch verhält es sich so, denn wenn Gott der Gute ist und wenn er nicht nur den Menschen, sondern auch die Natur erschaffen hat, sollte sich das irgendwie in beiden Bereichen bemerkbar machen. Nun enthält aber Naturwissenschaft keine Werte auf der Objektebene. Dies ist nicht zu verwechseln mit dem Werturteilsstreit, denn die Frage ist nicht, ob der Forscher auch ohne zugrundegelegte Werte forschen würde. Das würde er sicher nicht tun, trivialerweise weil niemand irgendetwas tun würde, wäre er nicht vom Wert des zu Tuenden überzeugt. Die Frage bezieht sich vielmehr auf die Objekte der Forschung und die wird ein Naturwissenschaftler nicht bewerten, wie man das in vorwissenschaftlichen Zeiten getan hat, in denen man das Feuer für edler als das Wasser hielt oder den Löwen für edler als das Schwein und die Kuh für edler als das Gras, das sie schliesslich frisst. Wenn nun Naturwissenschaft keine intrinsischen Werte in den Objekten ihrer Forschung kennt, dann ist sie als solche theologisch nicht integrierbar. Dann stehen ihre Ergebnisse beziehungslos neben den Sinnperspektiven, die die Theologie aufspannt, und wir könnten aufgrund einer rein naturwissenschaftlich begriffenen Natur genauso wenig an Gott glauben wie unter Menschen, die sich ausschließlich als Wölfe gebärdeten. Ich möchte von vornherein den Eindruck vermeiden, als ginge es mir um die Rechtfertigung eines katholischen, gegenüber einem protestantischen Standpunkt. Haltung 1), 2) und 3) kommen ja in beiden Konfessionen vor, wenngleich der katholische Theologe auf Position 3) festgelegt wäre. Das ist aber inzwischen nicht mehr Standard. Gemäss den Auffassungen des Priesters und Physikers Michal Heller kann die wissenschaftliche Arbeit verstanden werden als Versuch, „die Information zu entziffern, die Gott beim Schöpfungsakt in verschlüsselter Form in die Welt hineingelegt hat … Gottes Schöpfungsakt ist ein rationaler Akt, die Welt ist die Verwirklichung von Gottes Plan. Die wissenschaftliche Forschung stellt einen Versuch dar, diesen Plan zu entschlüsseln.“ Nun enthält ein
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Plan immer Zielvorstellungen, die als wertvoll erachtet werden. Daher nimmt Heller an, dass Gott bei Erschaffung der Welt zwecktätig vorgegangen sei: „Jede rationale Zweckganzheit ist mit Werten verbunden … Wenn Gott bei der Schöpfung der Welt zielgerichtet gehandelt hat, dann können wir vom Wert des Weltalls sprechen.“ Nun sieht aber Heller das Problem, dass die Physik keine Sinnperspektiven kennt und dass Telos und Wert in den Formeln dieser Wissenschaft nicht vorkommen. Heller hilft sich mit dem Verweis darauf, dass z. B. ein Stern für mich Sinn als Objekt meiner Forschung erlangt. Dieser Sinn sei zugleich mit einem Wert verbunden. Daraus folge, dass man nicht nur dem eigenen Leben, sondern auch dem Universum Sinn zusprechen könne.2 Nun ist dies ein bloßes Spiel mit Worten. Daraus, dass die Erforschung eines Sterns für mich wertvoll ist, folgt nicht, dass der Stern intrinischen Wert hat. Was kümmert es den Stern, wenn ich ihn erforsche? Heller versucht also, ohne jede natürliche Theologie auszukommen, obwohl er Professor an der sehr katholischen päpstlichen Universität in Krakau ist, ein erstaunliches Phänomen in Polen, wo die Neuscholastik nach wie vor dominiert. Anders bei John Polkinghorne, Physiker und protestantischer Theologe. Polkinghorne entwickelt eine komplette natürliche Theologie. So sehr haben sich die Positionen durchmischt! Polkinghorne begründet im Rahmen seiner natürlichen Theologie insbesondere die intrinsische Werthaftigkeit der Natur, weil er wohl sieht, dass ohne diese besondere Qualität der Übergang zur Theologie unmöglich wird. Ganz ähnlich auch Jan Barbour, der gerne mit Polkinghorne in einem Atemzug genannt wird. Zunächst aber zur fideistischen Position 1). Man findet sie vornehmlich in der protestantischen Theologie. Als Beispiel wähle ich den Theologen Ulrich Körtner.3 Körtner bestreitet, dass es sinnvoll sei, Theologie und Naturwissenschaft über die Naturphilosophie zu vermitteln. Insbesondere das Teleologiekonzept sei dafür ungeeignet. Vermittlungsinstanz sei die Hermeneutik, nicht etwa die Ontologie. Bezüglich ontologischer Behauptungen möge man die Kritik der radikalen Konstruktivisten zur Kenntnis nehmen. Teleologie sei im Übrigen durch den Fortschritt der Naturwissenschaft ausgesondert und durch Teleonomie ersetzt. Die aristotelische physis-techne-Paralelle, die ich selbst in meinen Schriften zur Begründung von Teleologie herangezogen habe, sei nicht einsichtig, genauso wenig das Kontinuitätsargument, wonach es in der Natur 2 Heller 2006, S. 45; 49; 201 – 202; 216. In Deutschland vertritt der katholische Theologe und Mathematiker Dieter Hattrup eine ähnliche Position. (Hattrup 2001). 3 Ich wähle Körtner, weil sein hier abgedruckter Beitrag auf demselben Wiener Symposion vorgestellt wurde wie mein eigener. Körtner hat es allerdings vorgezogen, meinen Betrag, sowie meine ausführlichen Arbeiten zum Thema zu ignorieren. Er bezieht sich auf einen gerade mal 10 Seiten langen Artikel in einem Sammelband, den er zudem grob missversteht, wie im Folgenden deutlich wird.
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Vorformen von Freiheit geben müsse, um die evolutionäre Kontinuität zu wahren. Man solle sich davor hüten, Teleologie erneut in die Naturwissenschaft „hineinzureklamieren“. Zunächst einmal ist die vorgebliche Aufhebung der Ontologie durch den radikalen Konstruktivismus eine postmoderne Beliebigkeitsideologie, die auf der Verabsolutierung einer Teilwahrheit beruht. Es ist wohl richtig, dass das konstruktive Element im Erkennen oft unterschätzt wurde. Aber dass Erkennen subjektiv konstituiert ist, heißt nicht, dass es darin aufgeht, und es hindert vor allem nicht, dass es auf Wahrheit ausgerichtet ist und man wird daher Quine zustimmen müssen, wenn er darauf besteht, dass jeder Diskurs, der mit dem Anspruch auf Wahrheit auftritt, ipso facto ontologische Verpflichtungen eingeht. Sowohl die Theologie, als auch die Naturwissenschaft erheben Wahrheitsansprüche. Überprüft man ihre ontologischen Implikationen, dann erweisen sie sich als widersprüchlich. Theologie beruht auf Sinnunterstellungen, Naturwissenschaft grenzt sie aus. Soll das kein glatter Widerspruch sein, dann muss dieser Gegensatz ausgeglichen werden und zwar durch ein Drittes jenseits von Naturwissenschaft und Theologie, nämlich durch eine eigenständige Philosophie der Natur. Es ist eben nicht wahr, dass wir Ontologie durch Hermeneutik ersetzen können, so fundamental hermeneutische Überlegungen auch sind. Körtner warnt, man solle sich hüten, Teleologie erneut in die Naturwissenschaft „hineinzureklamieren“. Aber wer macht denn so etwas? Offenbar die IntelligentDesign-Anhänger. Aber keiner der von Körtner erwähnten Autoren ist so töricht, eine andere Biologie zu fordern.4 Körtner bestreitet, dass der Begriff einer ,Vorform von Freiheit‘ sinnvoll ist. Man könne doch nicht Kontingenzen in der Natur als eine solche Vorform ansehen. Gewiss nicht. Aber Anthropologen und Biologen haben im Übergangsbereich Mensch-Tier längst aufgehört, streng objektivierende Methoden anzuwenden und deuten, was ihnen Körtner verbieten müsste, auch außermenschliche Lebewesen anthropomorph. Man denke etwa an die Untersuchungen von Michael Tomasello und einigen anderen.5 Danach sind Primaten realteleologische Agenten. Wie soll man das anders verstehen als eine Vorform von Freiheit und wie sollte man überhaupt verstehen können, wie sich Freiheit entwickelt hat, wenn nicht mittels solcher Vorformen? Im Übrigen gibt es hervorragende neuere Untersuchungen zum Teleologieproblem, die zeigen, wie 4 Körtner nennt außer mir auch noch Robert Spaemann und Wolfgang Schoberth. Alle diese Autoren sagen klar und deutlich, dass Finalität eine metaphysische Bestimmung ist, die nicht auf derselben Ebene liegt wie die empirische Wissenschaft. Es gibt offenbar auch eine lectio maligna. 5 Von einem empirischen Standpunkt Tomasello 2006. Philosophisch behandelt das Problem der Vorformen von Freiheit Heilinger 2007.
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wenig dieses Problem mit dem Teleonomiekonzept zu bewältigen ist, auf das sich Körtner beruft.6 Solche fideistische Positionen zahlen zudem einen sehr hohen Preis, was die Wahrheitsfrage anbelangt. Sie können nämlich niemals falsch werden, und was nicht falsch werden kann, kann auch nicht wahr sein. Position 2) lässt sich empirisch widerlegen und ich werde versuchen, es zu tun, aber Position 1) wird jedes Ergebnis der Naturwissenschaft taufen, es möge aussehen, wie es wolle. Ich selbst halte Position 3), bin mir aber der Gegenargumente sehr wohl bewusst. Position 3) kann also falsch werden. Sie ist zwar nicht empirisch, aber philosophisch widerlegbar. Doch der Theologe, der Position 1) einnimmt, hat immer recht. Aber wer immer recht hat, argumentiert entweder tautologisch oder ideologisch, eine wenig attraktive Wahl. Es gibt also Theologen, die eine eigenständige Naturphilosophie ablehnen, um sich mit der Naturwissenschaft direkt ins Verhältnis zu setzen. Das kann auf die Weise hermeneutischer Reflexionen allein versucht werden = Position 1) oder so, dass man die Naturwissenschaft selbst als eine vermittelnde Instanz heranzieht = Position 2). Ich möchte diese Position 2) verdeutlichen am Beispiel von Arthur Peacocke und seines Schülers Philip Clayton. Einmal, weil die Problematik bei ihnen sehr deutlich wird, zum Anderen, weil Clayton, wie auch Körtner, auf dem Kongress anwesend war, der diesem Sammelband zugrunde liegt. Peacocke war zunächst Chemiker und hat als solcher zusammen mit Crick und Watson zur Aufklärung der Struktur der Doppelhelix beigetragen. Er studierte später anglikanische Theologie, wurde zum Priester geweiht und schrieb mehrere Bücher über Naturwissenschaft und Theologie.7 Sehr interessant ist ein Essay, den er am Ende seines Lebens über dieses Spannungsfeld verfasste.8 Dieser Essay und die Stellungnahme verschiedener Wissenschaftler zu Peacockes Ansatz finden sich in einem Band, den Philip Clayton herausgab. Dieser Sammelband trägt den Titel „A Naturalistic Faith for the Twenty-First Century“ und signalisiert schon im Titel die ganze Problematik von Position 2): Der Theologe akzeptiert den herrschenden Naturalismus en bloc, glaubt aber, gegen das Selbstverständnis des Naturalismus, dass ein „theistic naturalism“ möglich sei. Peacocke gesteht zunächst zu, dass Sinnfragen keine naturwissenschaftlich beantwortbaren Fragen seien. Die Naturwissenschaften hätten „unvermeidlich reduktionistische Methoden“. Werte transzendierten das Physikalische und das 6 Ich denke an Autoren wie Peter McLaughlin und Georg Toepfer, die Körtner nicht berücksichtigt. 7 So z. B. Peacocke 1998. 8 Ich beziehe mich im Folgenden hauptsächlich auf diesen Essay in Clayton 2007.
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Biologische prinzipiell.9 Man fragt sich nun allerdings, wie Peacocke Sinn- und Wertkategorien einführen will, die er doch braucht, um die Theologie anschlussfähig zu machen (er lässt Sinn und Wert immer nur bezüglich des Menschen zu, niemals bezüglich der Natur). Die Brücke zum Geistigen sucht Peacocke nun im Begriff der ,Information‘. Information sei eine „nichtphysikalische Kategorie“. Das kann man in der Tat so sehen, wenn man nicht nur Syntax, sondern auch Semantik und Pragmatik mit hinzurechnet, wie das in der Semiotik üblich ist. Nur : in einem solchen Fall ist der Informationsbegriff nur für menschliche Kommunikation definiert. Definiere ich ihn physikalisch oder auch technisch, dann fallen Semantik und Pragmatik weg. Indem Peacocke den Informationsbegriff auf die Natur anwendet, muss er ihn unter der Hand telelogisch und axiologisch anreichern, sonst taugt er nicht als Brücke zur Theologie, schließlich ist Jesus Christus für ihn letztlich die „Information des Universums“. Was ist hier geschehen? Der Informationsbegriff schwingt auf verschiedenen Ebenen. Er hat einen engen, wissenschaftlichen Gehalt und einen weiten, letztlich alltagssprachlichen. In diesem Zusammenhang wird er gerne mit ,Formung‘ im aristotelischen Sinn in Zusammenhang gebracht. Indem Peacocke unter der Hand das eine ins andere übergehen lässt, wirkt es so, als komme er elegant von der sinnfrei konstruierten Natur der Physik und Biologie zum Sinnkosmos der Schöpfungstheologie.10 An sich bietet Naturwissenschaft von sich aus keinen Übergang zur Theologie, weil sie auf der Ausblendung von Sinn-, Wert- und teleologischen Kategorien beruht, auf die die Theologie verwiesen ist. Theologen, die Position 2) halten lehnen aber eine vermittelnde Metaphysik der Natur ab, was dann darauf hinausläuft, dass sie die Naturwissenschaft unter der Hand teleologisieren und wertmäßig anreichern müssen. Bei Peacocke macht sich das auch so bemerkbar, dass er zunächst seinen Naturalismus durch Bezogenheit auf die Naturwissenschaft definiert, dann aber unter der Hand doch von den ,humanities‘ Gebrauch macht oder einfach nur von der folk psychology. In diesem Sinn spricht er ganz ungeniert über ,Freiheit‘, ,Motivkausalität‘ usw., indem er unterstellt, dass all dies in den Bereich naturalistisch verstehbarer Emergenzen falle, die nichts Geistiges voraussetzten, sondern nur die Tatsache, dass die Welt aus Materie und Energie bestehe, eben verschieden angeordnet. Aber wie soll Sinn aus Nicht-Sinn entstehen, Finalität aus Kausalität, Werte aus Fakten? Begeht die Natur dauernd naturalistische Fehlschlüsse? Man sieht: diese metaphysischen Qualitäten werden einfach ad hoc einge9 Peacocke 1998, S. 90; 113; 116. 10 Man sieht, dass hier eine ähnliche semantische Verschiebung stattfindet wie bei Heller. Der antimetaphysische Affekt ist interkonfessionell.
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führt, als seien sie Teil der Naturwissenschaft. Die harten naturalistischen Einwände der Soziobiologen, Evolutionären Erkenntnistheoretiker, Neurowissenschaftler usw. werden großzügig beiseite geschoben. In Wahrheit ist Peacockes Position kein Naturalismus, sondern ein Hybrid aus Wissenschaft und nicht ausgewiesener Metaphysik. Ich werde das Nähere im Abschnitt über Philip Clayton darstellen, der eine ganz ähnliche Position vertritt. Hier nur so viel zu den theologischen Konsequenzen: Gott ist nach Peacocke immanent „in the natural processes of the world unveiled by the sciences … The processes revealed by the sciences are in themselves the action of God as Creator.“11 Man solle sich das auf die Art vorstellen, wie ein Mensch seine leitenden Motive durch materielle Körperbewegungen zum Ausdruck bringt. Dieses Konzept ist den simpelsten Einwänden wehrlos ausgeliefert, so z. B. der höchst bescheidenen Frage: Weshalb gibt es eigentlich so viele Atheisten? Wenn die Naturwissenschaft selbst Gottes Aktionen enthüllt, warum sieht das dann nicht jeder, der sich irgend damit beschäftigt? Das wäre doch so ähnlich, als würde jemand die Körperbewegungen seiner Mitmenschen nur als Körperbewegungen wahrnehmen und nicht als Ausdruck von Absichten. So jemand wäre krank. Sollte man atheistische Naturwissenschaftler als ,krank‘ bezeichnen? Ich mache darauf aufmerksam, dass Peacockes Position, die als besonders ,progressiv‘ gehandelt wird, mit der konservativsten katholischen Neuscholastik übereinstimmt: Gleich nach dem II. Weltkrieg schrieb der Benediktinermönch Zeno Bucher ein Buch mit dem Titel „Die Innenwelt der Atome“, in dem er zeigen wollte, dass die Atomphysik, zu Ende gedacht, auf den Begriff der ,Entelechie‘ führen müsse, die ein Platzhalter Gottes in dieser Welt sei. Obwohl von dem konträren Standpunkt einer Substanzontologie geschrieben, lief auch Buchers Konzept darauf hinaus, dass die Physiker ihre Physik nicht richtig verstanden hätten, weil sie nicht in der Lage sind, den lieben Gott am Werk zu sehen. In beiden Fällen gilt: wenn Gott in der Dynamik der Natur direkt zum Ausdruck kommt, wie sie von den Naturwissenschaften beschrieben wird, dann würde zwingend folgen, dass er eine materielle Größe unter materiellen Größen sein müsste. Welche Gründe sollte man dann aber noch haben, Gott für transzendent zu halten, worauf Peacocke und Bucher doch bestehen? Aber wenn man aber dennoch auf der Transzendenz Gottes besteht, dann ergibt sich sofort folgendes Paradox: Peacocke – und wie ich gleich darstellen werden – Clayton machen den Begriff der ,Abwärtsverursachung‘ stark und versuchen damit Gottes Wirksamkeit in der Welt zu beschreiben. Aber diese Art von Ursache ist rein materialistisch. Also würde auch hieraus folgen, dass Gott ein Teil der materiellen Welt ist. Ist er es aber nicht, dann entsteht das Problem des Substanzendualismus: Wie kann Gott in eine durch und durch materielle 11 In Clayton 2007, S. 19 – 20.
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Welt eingreifen, wenn er transzendenter Geist ist? Man sieht, das Problem solcher Hybridkonstruktionen ist, dass ihnen Gott entweder ins Transzendente entweicht oder dass er zu einer Weltgrösse unter andern wird. Ich möchte nun die Emergenzlehre des Peacocke-Schülers Philip Clayton darstellen und kritisieren. Clayton schliesst sich eng an seinen Lehrer an12, aber bei Clayton wird der kompensatorische Charakter solcher Emergenzlehren besonders deutlich. Sie sind eine Mischung aus schlecht verstandener Naturwissenschaft und ad-hoc-Metaphysik, die die entsprechenden Sinn- und Wertgesichtspunkte liefern soll, um den Übergang zur Theologie zu markieren. Mein Plädoyer für metaphysische Minimalbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Naturwissenschaft und Theologie in ein sinnvolles Gespräch kommen, richtet sich vornehmlich gegen solche Hybridgebilde aus Physik und Metaphysik. Es scheint nämlich, dass die Anzahl der Theologen zunimmt, die den heute herrschenden Naturalismus en bloc akzeptieren, um darauf einen kraftlosen theologischen Überbau zu errichten. Die Situation erinnert fatal an die 60er und 70-er Jahre, als der marxistische Materialismus unter Geisteswissenschaftlern grassierte. Manche Theologen akzeptierten, um ,modern‘ zu sein, die marxistische Basis-Überbau-Lehre, die nicht zuletzt zu dem Zweck geschaffen wurde, Theologie außer Kraft zu setzen. Damals sprangen gewisse Theologen auf diesen Zug auf, um ihre Modernität unter Beweis zu stellen und sahen nicht, dass sie hingebungsvoll den Ast absägten, auf dem sie saßen. Alle Theologen, die den Naturalismus akzeptieren (ich würde auch Niels Gregersen dazu rechnen), gehen davon aus, dass der Naturalismus eine logische Konsequenz der Naturwissenschaft ist. Das ist aber mitnichten der Fall. Naturalismus ist eine riskante metaphysische Deutung der Naturwissenschaft, die nichttriviale Zusatzannahmen macht. Z.B. lautet eines der Dogmen des Naturalismus, dass die Welt kausal geschlossen sei und Theologen wie Peacocke, Clayton oder Gregersen akzeptieren dies ohne Weiteres. Man sieht aber, dass diese vorgebliche kausale Geschlossenheit kein Ergebnis der Naturwissenschaft sein kann, sondern nur eine regulative Idee oder Forschungsmaxime, denn wir sind gar nicht imstande, alle kausalen Einflüsse, die im Einzelfall eine Rolle spielen, aufzuzählen. Die These von der kausalen Geschlossenheit der Welt setzt aber voraus, dass wir die Totalität der Bedingungen überschauen, was eine metaphysische These wäre. Der Philosoph Nida-Rümelin hat in einer Schrift über den Freiheitsbegriff gezeigt, dass selbst eine anspruchsvolle, libertäre Auffassung von Freiheit physikalisch nur bedeutet, dass sie in der materiellen Welt als Zufall in Erscheinung tritt und insofern nicht von anderen Zufällen 12 Vgl. Clayton 2004; Clayton / Davies 2006. Die im Umlauf befindlichen Emergenzkonzepte sind sehr verschieden. Das Folgende bezieht sich also nur auf Clayton. Allerdings zweifle ich, ob es ein konsistentes Angebot dazu gibt.
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physikalischer Ereignisse unterscheidbar wäre. Das hieße, dass wir selbst dann, wenn Freiheit die kausale Geschlossenheit der physischen Welt beständig außer Kraft setzen würde, dies auf einer empirischen Ebene nicht wahrnehmen könnten. Die kausale Geschlossenheit der Welt wird oft mit dem Energieerhaltungssatz in Beziehung gebracht, auch das ein verbreitetes Dogma des Naturalismus. In Wahrheit hängt diese Beziehung vom Begriff der ,Kausalität‘ ab. Eine mächtige Tradition vom Wiener Kreis bis Hempel und Stegmüller betrachtet Ursachen als Anfangsbedingungen gesetzlicher Prozesse, deren Endpunkt als ,Wirkung‘ bezeichnet wird. Nach diesem sehr verbreiteten Schema hat Ursache mit Energieübertragung nichts zu tun. Die Idee, Ursachen bräuchten Energie, um zu wirken, ist aus dem technischen Weltumgang abstrahiert und hat mit Naturwissenschaft nichts zu tun. Wir springen also mit unserem Begriff von ,Kausalität‘ hin und her. Aber das allein verhindert, dass wir von einer ,kausalen Geschlossenheit der Welt‘ sprechen können. Aber ohnehin: der Energiesatz gilt nur statistisch. Nach der Quantentheorie gibt es nicht nur eine Unschärferelation zwischen Impuls und Ort, sondern auch zwischen Energie und Zeit, d. h. der Energiesatz kann beliebig aufgehoben werden, wenn auch nur sehr kurz. Sollten sich solche Schwankungen nichtlinear bis in den Mesokosmos verstärken, dann wäre die kausale Geschlossenheit der Welt auch rein physikalisch nicht haltbar. Der Naturalismus beruht also auf unüberprüften Dogmen. Ich erspare es mir, weitere Dogmen des Naturalismus zu kritisieren, eine Kritik die deutlich machen würde, dass diese Dogmen mitnichten aus der Naturwissenschaft folgen. Vielmehr hängt sich der Naturalismus parasitär an die Naturwissenschaft, um von ihrer Reputation zu profitieren, auch hier wiederum ähnlich wie der marxistische Materialismus, der auch Wert darauf legte, mit der Naturwissenschaft in bester Übereinstimmung zu sein. Ohnehin hat der heute herrschende szientifisch-monistische Materialismus mehr mit dem Marxismus gemein, als ihm lieb sein kann. In beiden Fällen geht es um das Verhältnis höherer Stufen zu elementaren, wobei man die höheren nicht einfach wegerklären will, sie aber trotzdem als festgelegt durch die tieferen ansieht, d. h. letztlich dann doch nicht ernst nimmt. Der Marxist nimmt als starting point die sozioökonomischen Bedingungen und sieht in Recht, Religion, Moral und Kunst einen ,Überbau‘. Der szientifische Materialist nimmt die Physik als starting point und betrachtet alle höheren Formen als bloße materielle Anordnungen. Der Marxist bedient sich der Dialektik, um das Verhältnis zu höheren Formen plausibel zu machen, der Szientist bedient sich der Emergenzlehren. Es wird sich zeigen, dass beides höchst unklare, schwammige
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Konzepte sind. Ich beziehe mich nun im Folgenden auf die Emergenzlehre von Clayton.13 Clayton unterscheidet, wie viele andere auch, schwache und starke Emergenz = epistemische versus ontologische Emergenz. Schwache Emergenz liegt vor, wenn wir die Eigenschaften eines komplexen Systems weder von seinen Teilen noch von seiner Vorgeschichte her erwarten würden, während sie aber derart schon festgelegt waren, dass man sie im Grenzfall berechnen und vorhersagen könnte. Von dieser Art sind z. B. die Leistungen neuronaler Netzwerke, die uns oft überraschen, aber nur weil die Prozesse zu komplex sind, um berechnet zu werden. Dieser schwache Begriff von ,Emergenz‘ ist philosophisch völlig harmlos, und Mario Bunge sagt in seiner Monographie zu diesem Thema zu Recht, dass kein noch so harter Reduktionist und Materialist die geringsten Schwierigkeiten haben sollte, diese Art von Emergenz zu akzeptieren.14 Starke Emergenz liegt vor, wenn die neuen Eigenschaften des komplexen Systems nicht nur unvorhersehbar sind, sondern im Prinzip nicht auf die Systemkomponenten oder auf die Vorgeschichte reduziert werden können. Der Theologe wird natürlich eine solche Art von Emergenz fordern, aber meiner Ansicht nach ist auch dieses Konzept viel zu schwach, um Theologie zu fundieren. Es ist eine Art Ersatzmetaphysik, die das nicht leistet, was sie leisten soll, abgesehen davon, dass das Emergenzkonzept widersprüchlich ist und daher auch sonst mit Recht kritisiert wurde.15 Clayton besteht darauf, dass bei starker Emergenz die höhere Ebene kausal wirksam sein müsse (downward causation), denn was nicht wirkt, sei auch nicht wirklich und dies sei der Unterschied zu schwacher Emergenz. Nun lassen sich dazu ganz leicht Gegenbeispiele machen: Wenn sich z. B. ein Gas in einem Zylinder befindet, dessen obere Abdeckung durch einen Stempel verschiebbar ist, dann würden sich die Bewegungszustände der Moleküle durch ein Verschieben des Stempels ändern. Das wäre laut Definition eine Abwärtsverursachung des Ganzen auf die Teile, also ein Fall von starker Emergenz. In Wahrheit lassen sich aber nach Boltzmanns Gleichungen die Bewegungszustände der Moleküle leicht in die makroskopischen Größen von Druck und Temperatur umrechnen, was laut Voraussetzung auf schwache Emergenz hinausliefe! 13 Clayton / Davies 2006 und Clayton 2007. 14 Bunge 2003. 15 Jaegwon Kim kritisiert z. B., dass die rein physikalische Ebene bei starker Emergenz nicht mehr kausal geschlossen sein kann, um Raum für Abwärtsverursachung zu schaffen. Zweitens sei starke Emergenz nur negativ definiert also nomologisch nicht erklärbar. Das sage aber nichts über die Art, wie die höhere Ebene mit der tieferen zusammenhängt, d. h. Emergenz erklärt eigentlich gar nichts. Sie ist nur ein Etikett. (Kim in Clayton / Davies 2006, S. 189ff).
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Es ist überhaupt kein Problem, beliebig viele solche Gegenbeispiele zu machen. Z.B. wäre ein Wattscher Dampfkraftregler eine Instanz für Abwärtsverursachung, weil sie das System als Ganzes bestimmt, folglich läge starke Emergenz vor. Aber wir könnten ohne Weiteres eine mathematische Funktion anschreiben, wie sich der Wärmeinput der Maschine zum output an Rotationsenergie verhält und dann hätten wir laut Definition doch wieder nur einen Fall von schwacher Emergenz! Ganz generell fällt auf, dass Clayton als Beispiele aus der Wissenschaft fast nur solche von schwacher Emergenz angibt. Aber die sind harmlos, wie wir gesehen haben und unterstützen von vornherein eine theologische Weltsicht nicht. Zudem scheint der Begriff der ,Abwärtsverursachung‘ nicht mehr als ein bloße Metapher zu sein, die wir anwenden können oder auch nicht, denn sie trägt nichts zum Verständnis der Sache bei. Clayton und alle, die diesen Begriff gebrauchen, nennen als hauptsächliche Berufungsinstanz die physikalische Selbstorganisationstheorie. Sie wurde zur gleichen Zeit entwickelt von dem deutschen Physiker Hermann Haken und dem belgischen Chemiker Ilya Prigogine. Aber man findet weder in den Schriften von Haken noch in denen von Prigogine den Begriff der ,Abwärtsverursachung‘. So wie bei dem im Zylinder eingeschlossenen Gas oder bei der Dampfmaschine kann man auch hier alles hinreichend beschreiben, ohne diesen Begriff der ,Abwärtsverursachung‘ jemals zu gebrauchen, d. h. er ist überflüssig, ein kraftloser Überbau. Es ist so ähnlich, als würde man von ,mechanischer‘ und ,elektromagnetischer Kausalität‘ sprechen, je nachdem, welche physikalischen Kräfte wirksam sind, aber auch das wäre reine Rhetorik. Clayton erwähnt sogar Beispiele die noch nicht einmal für schwache Emergenz herhalten können, bei denen er aber das Charakteristikum für starke Emergenz, nämlich Abwärtsverursachung, entdeckt haben will. Z.B. ein sich drehendes Rad. Die makroskopische Drehbewegung verursache downward die Bewegungen der Moleküle, aus denen das Rad besteht. Das Beispiel hat weder mit starker, noch mit schwacher Emergenz zu tun. Wenn man bei der Bewegung der Moleküle die thermisch bedingten Zitterbewegungen berücksicht, wäre die makroskopische Bewegung des Rades die automatische Folge der Bewegung der Moleküle, so dass uns hier nichts überraschen würde. Wir haben also keine emergenten Eigenschaften, noch nicht einmal im schwachen Sinn! Dasselbe ist der Fall beim Pauli-Prinzip, das nach Clayton Grund für die Emergenz der chemischen Elemente sein soll.16 Auch hier geschieht nichts Überraschendes, noch nicht einmal subjektiv gesehen. Der Aufbau des Periodensystems aufgrund des Pauli-Prinzips ist völlig vorhersehbar. Ein letztes Beispiel: Sowohl bei Clayton, als auch bei Gregersen und anderen 16 Clayton 2004, S. 57; 68.
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Emergenzautoren wird das Beispiel der Schneeflocken angeführt. Schneeflocken entstehen in großen Höhen aufgrund der Kristallisation des Wassers und ihre jeweilige Form wird durch zufällig in der Luft befindliche Kristallisationskeime hervorgerufen. Das kann kein Beispiel für starke Emergenz sein, weil es keinen kausalen Einfluss des Ganzen auf die Teile gibt. Es ist aber auch kein Beispiel für schwache Emergenz, eben weil die Form der Kristalle zufallsbedingt und nicht gesetzlich bestimmt ist. Reine Zufallsprozesse lassen sich nicht erklären. Wir müssen sie hinnehmen. Man fragt sich, wie überhaupt jemand auf die Idee kommt, Schneeflocken als Beispiel für Emergenz anzuführen, denn es gibt hier keine neuen Eigenschaften gegenüber den Einzelkristallen, sondern lediglich Zufallsschwankungen. Mit einem Wort: solche Emergenzlehren sind unwissenschaftlich. Bei Peacocke beruhen sie auf wishful thinking, weil er unbedingt seinen lieben Gott in den Ergebnissen der hard science finden will. Bei Clayton ist man im Zweifel, ob er die wissenschaftlichen Sachverhalte richtig verstanden hat. Aber unabhängig davon gibt es bei der Abwärtsverursachung prinzipielle Probleme, die auch Peacockes und alle starken Emergenzkonzepte belasten. Die Emergentisten sehen Freiheitsgeschehen als eine spezielle Form von Abwärtsverursachung. Aber wenn Abwärtsverursachung nichts Geistiges enthalten soll, gemäß dem Grundsatz des monistischen Materialismus, dann müsste Freiheit ohne Zuhilfenahme von Begriffen wie ,Norm‘, ,Ziel‘, ,Zweck‘, ,Wert‘ usw. beschrieben werden können. Wie sollte das gehen? Peacocke macht ganz ungeniert von solchen Begriffen Gebrauch. Aber dann ist er kein monistischer Materialist mehr, sondern er lügt sich in die Tasche. Clayton will die kausale und nomologische Einheit der Welt retten und behauptet dementsprechend, dass sich das Mentale nomologisch zu den Gehirnzuständen verhielte.17 Aber dann weiß man 1) nicht mehr, was ,Freiheit‘ überhaupt noch heißen soll und 2) wäre Clayton aufgefordert, strenge psychophysische Gesetze anzugeben, die man aber niemals gefunden hat. Clayton hilft sich so, dass er Subjektivität und Finalität erst im theologischen Teil seiner Arbeit einführt. Aber das würde bedeuten, dass Freiheit, Verantwortlichkeit, Personalität usw. zu Glaubensartikeln werden. Daraus würde weiter folgen, dass Atheisten bloße Roboter sind und nur die Christen wirkliche Menschen!18 Man fühlt sich peinlich an die Zeit vor 30 oder 40 Jahren erinnert, als der 17 Clayton 2004, S. 31. 18 Auch der Beitrag Claytons in diesem Sammelband enthält dieselbe Paradoxie. Clayton kritisiert den Genzentrismus Richard Dawkins’ vom Standpunkt einer Systembiologie. Dem kann man folgen. Nur die weitergehende Behauptung hängt dann in der Luft, dass Dawkins’ Materialismus damit zusammenhinge. Dawkins könnte sich ganz leicht zur Systembiologie bekehren, ohne seinen Atheismus aufgeben zu müssen. Beides hat nichts miteinander zu tun. Es gibt keinen direkten Übergang zwischen empirischer Wissenschaft und Theologie.
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Marxismus unter Geisteswissenschaftlern und auch unter gewissen Theologen Mode war. Die Emergenzlehren haben eine ähnliche Funktion wie die BasisÜberbau-Doktrin der Marxisten. In beiden Fällen geht es darum, Wertehierarchien materialistisch zum Verschwinden zu bringen, ohne ihre Existenz einfach nur wegzuerklären. Der Emergenztheoretiker anerkennt, dass es unreduzierbare Komplexitätsstufen in der Natur gibt, aber er bestreitet, dass sie ein gestuftes Reich intrinsischer Werte ausmachen. Das würde ja sonst im Sinn von Thomas von Aquins viertem Beweis aus den Vollkommenheitsstufen auf die Existenz eines vollkommensten Wesens verweisen. Der Marxist kann nicht bestreiten, dass es Recht, Moral, Kunst und Religion gibt, aber er muss unter allen Umständen verhindern, dass diese höheren Kulturleistungen als Hinweis auf die Existenz Gottes gedeutet werden. Zu diesem Zweck behauptet er, all diese Kulturleistungen seien allein durch die sozio-ökonomische Basis bedingt, während der materialistische Emergenztheoretiker behauptet, die höheren Komplexitätsstufen seien ihrer Substanz nach nichts als Materie und Energie, aber es träte halt bei höheren Stufen der Komplexität – man weiß nicht wie – spontan Neues in Erscheinung. In beiden Fällen bleibt der Mechanismus, wie das Höhere Konsequenz des Niederen sein soll, im Vagen. Die Marxisten schwafelten großflächig von ,Dialektik‘ und verweigerten eine klare logische Analyse in Termen von notwendigen oder hinreichenden Bedingungen. Der Überbau sei durch die Basis ,bedingt‘, punktum. Einen solchen Nebel verbreiten auch die Emergenztheoretiker, wie sich gezeigt hat. Es tritt hier eben ein Grundproblem des Materialismus zutage, und die Theologen wären gut beraten, dieses Probleme anzupacken, anstatt naiv auf das ,abzufahren‘, was gerade ,in‘ ist. Aber wer die Geschichte der Theologie der neueren Zeit kennt, d. h. der Zeit, seitdem die Theologie ihre führende Rolle in der Gesellschaft verloren hat, der ist mit diesem Phänomen vertraut, dass gewisse Theologen die Tendenz haben, immer auf den neuesten Zug aufzuspringen, um ihre Modernität unter Beweis zu stellen. Ich erinnere daran, dass es vor 60 Jahren eine ,kybernetische Theologie‘ gab, weil in der Profangesellschaft die Kybernetik als die alles überwölbende Zentralwissenschaft gehandelt wurde. Norbert Wiener selbst, der Begründer der Kybernetik19, hatte mit diesem Nonsense angefangen und schrieb ein Buch über Gott und die Kybernetik, was von emsigen Theologen sofort aufgegriffen wurde. Sie sprachen von Gott als dem „Ersten unprogrammierten Programmierer“ usw. Heute ist all das gründlich vergessen und so werden auch die theologisch verbrämten Emergenzlehren über kurz oder lang auf der Müllhalde der Geschichte landen. An sich hat dieser unsolide Umgang mit den Naturwissenschaften eine längere Geschichte. Naturwissenschaft erzeugt eine rein horizontale Sicht der Welt: 19 Wiener 1965.
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alles wird kausal decodiert und wenn wir Werte als vertikale Dimension deuten, weil sie immer eine Pluralität von unter- und übergeordneten Werten enthalten, dann ist eben der Preis naturwissenschaftlicher Objektivität und Präzision der Verlust der Vertikalen. Deshalb würde uns eine vollständige Kenntnis aller Gesetze der Physik, Chemie und Biologie nicht den leisesten Aufschluss darüber geben, wie wir handeln sollen, ja noch nicht einmal, wie wir uns technisch verhalten sollten. Darwin pflegte sich selbst einzuschärfen: „Verwende niemals die Begriffe ,höher‘ oder ,tiefer‘“, obwohl er sich oft nicht an die eigene Vorschrift hielt. Der Grund ist einfach der, dass Naturwissenschaft nicht die ganze Wahrheit über die Natur enthält. Die Wertedimension bleibt ihr verschlossen. Aus diesem Grund erzeugen manche Naturwissenschaftler in ihren populärwissenschaftlichen Schriften eine Kompensationsliteratur, die ad hoc Wertgesichtspunkte und Sinnperspektiven in die wissenschaftliche Weltauffassung einführt. Dies geschah insbesondere in der Literatur zur physikalischen Selbstorganisationstheorie.20 Vor allem Ilya Prigogine lud seine durchaus bedeutenden Entdeckungen21 in den populärwissenschaftlichen Schriften mit metaphysischer Energie auf, indem er vorgab, nichts zu treiben als Physik. Die Bifurkationspunkte im Phasenraum, die bei nichtlinearen Prozessen auftreten, nannte er Orte der ,Geschichtlichkeit‘ (Heidegger einholend) oder auch Ausdruck der ,physis‘ (im aristotelischen Sinn), es waren Orte, wo die Natur ,wählte‘, ihren ,Eigenwillen‘ artikulierte und was der spätromantischen Phantastereien mehr waren. Es ist durchaus kompatibel, dass ein Naturwissenschaftler in seinem Fach genial, in der Philosophie aber ein Stümper ist. Man ist ja auch nicht deshalb ein guter Cellist, weil man Klavierkonzerte geben kann. Der Physiker Paul Davies schrieb ein Buch über Chaostheorie, in dem er dem Universums eine doppelte Tendenz zusprach. Einmal eine zerstreuende, zerstörerische Tendenz, ausgedrückt durch den Entropiesatz und dann eine aufbauende Tendenz, ausgedrückt durch die Selbstorganisationsdynamik der Materie. Er sagt: „Dieses Vorwärtsschreiten in eine Richtung könnten wir als den optimistischen Pfeil bezeichnen, im Gegensatz zum pessimistischen Pfeil des zweiten Hauptsatzes … Dennoch ist das fortschrittliche Wesen des Universums eine objektive Tatsache.“22 Hier haben wir die ganze Problematik solcher populärwissenschaftlicher Synthesen in einem einzigen Satz beieinander. Die Physik ist neutrale Weltbeschreibung, aber Menschen haben den unstillbaren Hunger nach einer Sinn20 Haken 1984, Prigogine / Stengers 1981. 21 Dem ist nichts abzuhandeln. Ich kritisiere nur die weltanschaulichen Extrapolationen solcher Naturwissenschaftler. Ihre wissenschaftsimmanenten Leistungen bleiben davon unberührt. 22 Davies 1988, S. 35 – 36.
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und Werteordnung. Aus diesem Grunde reichert Davies ganz harmlose wissenschaftliche Sachverhalte unter der Hand axiologisch an und schon erscheint der Kosmos, wie bei Empedokles, als bestimmt durch Liebe und Streit, ein Gegensatz, den wir auch in der Gnosis, der romantischen Naturphilosophie und dann wieder bei Teilhard de Chardin finden. Aber jetzt soll all dies Resultat der hard science sein. Doch Optimismus und Pessimismus sind als kosmologische Bestimmungen keine „objektiven Tatsachen“, sondern Rückprojektionen menschlicher Grundbefindlichkeiten in eine dazu disparate Natur.23 Gleichwohl hatten solche Formen von Ersatzmetaphysik bei gewissen Theologen großen Erfolg. Zunächst einmal sprang der evangelische Theologe und Biologe Günter Altner auf diesen Zug auf. Er gab einen Diskussionsband zu Ilya Prigogine heraus, der auch sehr kritische Beiträge enthielt, die Prigogines unhaltbare Spekulationen entlarvten.24 Das hatte aber nicht viel Erfolg. Evangelische Theologen wie Sigurd Daecke und (mit der in dieser Branche üblichen Zeitversetzung) katholische Theologen wie Alexandre Ganoczy machten die Chaostheorie in ihren chaotischen Auswirkungen in der Theologie hoffähig25, so dass auch für groß gehaltene Theologen wie Jürgen Moltmann und Christian Link sich dieser Denkweise anschlossen und so ist es bis heute geblieben26, denn die physikalisch-metaphysischen Hybride, die damals entwickelt wurden, geistern noch heute durch die Literatur und finden sich allesamt bei Gregersen, Clayton usw. Man sollte aber genau sein. Der Begriff der ,Selbstorganisation‘ hat einen klaren Sinn, wenn es um Beispiele wie die Laserphysik, die BelousovZhabotinsky-Reaktion geht. Die kann man durchrechnen. Alle anderen Anwendungen des Begriffs der ,Selbstorganisation‘ sind rein metaphorisch und das sind die meisten. Es gibt heute eine Reihe von Wörtern, die klingen sehr wissenschaftlich, Wörter wie ,Selbstorganisation‘, ,Emergenz‘, ,Information‘ usw., und sie haben auch oft einen harten Kern, werden aber beliebig, wenn man sie auf alles und jedes anwendet. Von solchen Begriffsverschleifungen zehren die Emergenzkonzepte. Ich möchte nun aber nicht den falschen Eindruck erwecken, als ginge es mir um Theologenschelte um ihrer selbst willen. Nicht alle Theologen sind so oberflächlich! Ich hatte zu Beginn John Polkinghorne und Jan Barbour als die 23 Dass viele Theologen Davies besonders schätzen, ist ein mysterium stricte dictum, denn immerhin hat Davies an die 40 (!) populärwissenschaftliche Bücher geschrieben. Allein dies sollte einen misstrauisch machen. 24 Altner 1986; nach und nach erschienen ausführliche kritische Studien zur überbordenden Selbstorganisationsrhetorik, so z. B. die Arbeit von Theodor Leiber 1996. Sie waren vernichtend, wurden aber von den Theologen offenbar nicht gelesen. 25 Daecke 1993, Ganoczy 1995. 26 Moltmann 1985, Link 1991. Link hat den Fehler inzwischen gesehen und nahm Abstand von diesen haltlosen Spekulationen.
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beiden bekanntesten genannt. Solche Theologen wissen wohl, dass sie ohne vermittelnde Naturphilosophie nicht auskommen werden. In dieser vermittelnden Naturphilosophie versuchen sie dann, die Wertgesichtspunkte unterzubringen, die als Minimalbedingung erforderlich sind, um Naturwissenschaft und Schöpfungstheologie ins Verhältnis zu setzen. Im Darwinjahr 2009 sind im deutschen Sprachraum einige theologische Arbeiten erschienen, die die metaphysische Problematik sehr wohl beachten.27 Sollte das Gesagte richtig sein, dann würde sich allerdings die Frage stellen, wie man eine starke Metaphysik der intrinsischen Werte in der Natur begründen könnte. Dazu ließen sich zwei Wege vorstellen: 1) Könnte man die Werthaftigkeit des Seins im Rahmen einer metaphysica generalis zu begründen suchen, dann würde die Natur automatisch unter ihr Regime fallen. Oder man könnte 2) nach empirienäheren, allgemein anerkannten Diskursen fahnden, die eine solche intrinsische Werthaftigkeit der Natur nahelegen. Ich halte beide Wege für gangbar, ziehe aber den zweiten aus begriffsstrategischen Gründen vor. Eine metaphysica generalis hat in den Augen Vieler (das mögen Vorurteile sein) eine derart hohe Begründungslast zu tragen, dass sie leicht als unnachvollziehbar erscheinen wird. Kann man hingegen zeigen, dass wohletablierte und von jedem akzeptierte Diskurse bereits eine solche Werthaftigkeit enthalten, dann wird es schwerer fallen, die strenge Dichotomie Wert – Fakt aufrechtzuerhalten. Den ersten Weg geht z. B. Vittorio Hösle.28 Ausgangspunkt für ihn ist die moralische Kompetenz des Menschen, die ein absolutes Moment des Sollensanspruchs in sich enthält. Nun ist der Mensch aber zugleich Naturwesen und die Natur muss folglich so gedacht werden, dass sie ein Wesen mit einer solchen Eigenschaft hervorbringen kann. Die Naturgesetze sind letztlich kontingent. Sie könnten jederzeit auch anders sein. Soll aber der Mensch mit der genannten Eigenschaft aus ihnen hervorgehen, dann müssen sie final auf ihn ausgerichtet sein, sind also intrinsisch wertbestimmt obwohl man dies ihrer äußeren Form nicht ansieht. Man muss sehen, dass Hösle beileibe nicht der einzige Philosoph ist, der heute eine solche Position vertritt, die manchem als zu idealistisch erscheinen mag. John McDowell hat in vielbeachteten Büchern versucht, die klassischen Dichotomien zwischen Grund und Ursache, Fakt und Wert zu überwinden.29 Auch diese Überlegungen bewegen sich auf dem Niveau einer metaphysica generalis. Man kann die Begründung aber auch tiefer hängen.30 Es gibt, wie gesagt, heute 27 Ich denke z. B. an Kessler 2009 und Kummer 2009. Zu denken ist auch an die zahlreichen Arbeiten, die Whiteheads Prozessmetaphysik für die Theologie fruchtbar zu machen versuchen. 28 Hösle / Illies 2005a & 2005b und Hösles Beitrag in diesem Band. 29 McDowell 2001 und 2009. 30 Dies gilt nur für die hier verhandelte Fragestellung. Ginge es z. B. um Fragen der Ethikbe-
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allgemein anerkannte Diskurse, die die intrinische Werthaftigkeit der Natur faktisch enthalten, obwohl das oft nicht gesehen wird. Zwar wird zunächst einmal zu Recht gesagt, dass die Biologie an das kausale Idiom gebunden sei und dass sie insofern keine teleologischen und Wertbegriffe enthalten könne, aber die Biologie ist eine weit weniger kohärente Wissenschaft als die Physik, wo sich alle Teile deduktiv verbinden lassen. Das ist in der Biologie nicht der Fall. Man sieht oft nicht, wie sich z. B. Molekularbiologie und Ethologie zueinander verhalten. Nachdem die Ethologie das behaviouristische Reiz-Reaktions-Schema überwunden hatte31, geht man heute allgemein davon aus, dass empfindsame Lebewesen Interessen, Überzeugungen und Wünsche haben können. Sie sind also teleologische Agenten und insofern auf Werte ausgerichtet. Überhaupt wird das Teleologieproblem in der Biologie inzwischen erneut diskutiert, so z. B. von Peter McLaughlin und Georg Toepfer.32 McLaughlin fundiert funktionale Eigenschaften von Lebewesen nicht mehr in erfolgreichen Adaptationen, weil dagegen massive Argumente sprechen, sondern im Trieb zur Selbsterhaltung, der allem Lebendigen innewohne als eine Art von Gut im aristotelischen Sinn, das immer nur ein intrinsisches Gut sein kann. Bestätigt werden solche Überlegungen durch die „Animal Welfare Science“, die auch davon ausgeht, dass zumindest empfindungsfähige Tiere ein Gut haben.33 Zu denken wäre in diesem Zusammenhang auch an Untersuchungen aus dem Bereich der Bionik, wo man natürliche Konstruktionen als Vorbild für technische Konstruktionen des Menschen heranzieht. Was aber nicht in sich zweckhaft-teleologisch ausgerichtet ist, kann auch nicht Vorbild für menschliche Zwecksetzungen sein, wenn diese real und nicht nur ein kraftloses Als-ob sein sollten.34 Schon die Titel sind sprechend. Einer der führenden Bioniker, Claus Mattheck, schrieb z. B. ein Buch „Design in der Natur. Der Baum als Lehrmeister“, ein Titel, der noch vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre. Es scheint, dass die Zeiten vorbei sind, wo man glaubte, mit einer rein kausalen, also
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gründung, wäre um eine anspruchsvollere Metaphysik nicht herumzukommen, wie z. B. das selbst zugestandene Scheitern des Antimetaphysikers Ernst Tugendhat in dieser Frage zeigt. (Tugendhat 1992). Nicht zuletzt angestossen durch das Werk von Forscherinnen wie Dian Fossey und Jane Goodall. McLaughlin 2001, Toepfer 2004. Vgl. Müller / Sachser 2008, S. 140. Ich habe den Gedanken näher ausgeführt in Mutschler 2002, wo ich weitere Belege dafür angebe, dass wir heute allgemein akzeptierte Diskurse haben, wie die Kybernetik, Bioinformatik, Artificial Life Technologie, die faktisch intrinsische Werte in die Natur legen, ohne sich oft darüber Rechenschaft abzulegen. Körtner versucht solche Argumente zu widerlegen, indem er darauf aufmerksam macht, dass man z. B. den Informationsbegriff in der Biologie kausal tiefer hängen kann. Wenn man das kann, ist es gut, aber es deutet nichts darauf hin, dass die Biologen in der Mehrzahl dieser Reduktion folgen werden und wenn sie das nicht tun, verschwindet auch das metaphysische Problem nicht.
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wertfreien, Beschreibung der Natur auszukommen. Die Erfahrungswissenschaften selbst revoltieren inzwischen. So gesehen könnten Theologen wie Peacocke, Clayton oder Gregersen, die aus Gründen des Modernseins den Naturalismus akzeptieren, schon sehr bald überholt sein. Das Gesagte ließe sich durch Überlegungen aus dem Bereich der ökologischen Ethik bestätigen. Die Grundfrage in der ökologischen Ethik ist das sogenannte ,Demarkationsproblem‘: Who belongs to the ethical club? Sind in diesem ,Club‘ nur Menschen oder auch empfindsame Lebewesen, vielleicht alle Lebewesen oder auch Steine, Flüsse und Berge? Je nachdem unterscheiden wir eine anthropozentrische, pathozentrische, biozentrische oder holistische Position. Der Anthropozentrismus war früher state of the art. Deshalb kommen in der klassischen Ethik von Aristoteles bis Kant keine Tiere vor, geschweige denn Pflanzen oder Pilze. Veranlasst durch die ökologische Krise kommt man aber mehr und mehr dazu, auch außermenschliche Wesen für moralrelevant zu halten, d. h. für berücksichtigenswert um ihrer selbst willen. Für einen Christen sollte dies eigentlich selbstverständlich sein. Aber wenn das so ist, kann ein Christ umso weniger der These zustimmen, dass es keine intrinsischen Werte in der Natur gibt, er wäre ja sonst auf einen Anthropozentrismus festgelegt, der sich schwerlich mit einer Schöpfungstheologie vereinbaren ließe. Dies ist vielleicht der schwächste Punkt der naturalistischen Theologen. Ein solcher Naturalismus ist naiv wissenschaftsgläubig. Nichts liegt ihm ferner als Wissenschaftskritik. Für den Naturalisten ist die Naturwissenschaft einfach nur das Reich der Wahrheit. Dass Naturwissenschaft durch ihre Methode bestimmte Inhalte – wie z. B. die Wertedimension – ausblenden muss, deren sie dann nie mehr gewahr wird, ist dem Naturalisten nicht bewusst. Folglich wird er blind sein für die Differenz zwischen Wissenschaft und Lebenswelt. Glaube, Moral, die gesamte Wertsphäre, kommt aber erst in der konkreten Lebenswelt in den Blick. Der naturalistisch eingestellte Theologe beraubt sich also der Basis, auf der sein Anliegen überhaupt erst eingebracht werden könnte und diesen Vorwurf muss man auch den Theologen der Position 1) machen. Obwohl sie keine nebelhaften Emergenzlehren oder schwammige populärwissenschaftliche Synthesen vertreten, akzeptieren sie doch die naturwissenschaftliche Objektivierunsstrategie en bloc, wie sich am Beispiel von Körtner zeigte. Vor allem angesichts der heutigen Dominanz des weltanschaulichen Naturalismus, die bis in die Kirchen hinein wirkt, ist es daher nötig, Minimalbedingungen anzugeben, unter denen Theologie ein sinnvolles Unternehmen bleibt. Unterschreitet sie diese Minimalbedingungen, dann wird sie von den
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Materialisten nicht etwa als besonders progressiv, sondern einfach nur als überflüssig wahrgenommen.35
Literatur Altner, G. (Hg.): Die Welt als offenes System. Eine Kontroverse um das Werk von Ilya Prigogine. Frankfurt 1986. Barbour, J. G.: Wissenschaft und Glaube. Historische und zeitgenössische Aspekte. Göttingen 2003. Bucher, Z.: Die Innenwelt der Atome. Luzern 1946. Bunge, M.: Emergence and Convergence. Toronto 2003. Clayton, Ph.: Mind and Emergence. From Quantum to Consciousness. Oxford 2004. Clayton Ph. /Davies, P.: The Re-Emergence of Emergence. Oxford 2006. Clayton, Ph. (Hg.): A Naturalistic Faith for the Twenty-First Century. Arthur Peacocke. Minneapolis 2007. Daecke, S. M. (Hg.): Naturwissenschaft und Religion. Ein interdisziplinäres Gespräch. Mannheim 1993. Davies, P.: Prinzip Chaos. Die neue Ordnung des Kosmos. München 1988. Ganoczy, A.: Chaos, Zufall, Schöpfungsglaube. Die Chaostheorie als Herausforderung an die Theologie. Mainz 1995. Gregersen, N. H. (Hg.): From Complexity to Life. Oxford 2003. Haken, H.: Erfolgsgeheimnisse der Natur. Synergetik: Die Lehre vom Zusammenwirken. Frankfurt a.M. 1984. Hattrup, D.: Einstein und der würfelnde Gott. An den Grenzen des Wissens. Freiburg 2001. Heilinger, J.-Chr. (Hg.): Naturgeschichte der Freiheit. Berlin 2007. Heller, M.: Der Sinn des Lebens und der Sinn des Universums. Frankfurt a.M. 2006. Hösle, V. / Illies, Chr. (Hg): Darwinism & Philosophy. Notre Dame 2005 (= 2005 a). Hösle, V. / Illies, Chr.: Darwin. Bamberg 2005 (= 2005 b). Kessler, H.: Evolution und Schöpfung in neuer Sicht. Kevelaer 2009. Kummer, Chr.: Der Fall Darwin. Evolutionstheorie contra Schöpfungsglaube. München 2009. Leiber, Th.: Kosmos, Kausalität und Chaos. Naturphilosophische, erkenntnistheoretische und wissenschaftstheoretische Perspektiven. Würzburg 1996. Link, Chr.: Schöpfung. Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20.Jahrhunderts. Gütersloh 1991. Mattheck, C.: Design in der Natur. Der Baum als Lehrmeister. Freiburg 1992. McDowell, J.: Geist und Welt. Frankfurt a.M. 2001. McDowell, J.: Wert und Wirklichkeit. Frankfurt a.M. 2009 (11998). 35 Im Internet lässt sich ein bezeichnendes Ereignis verfolgen: Im Darwinjahr 2009 fand an der Cambridge University eine grosse Tagung statt, auf der atheistische Philosoph Daniel Dennett und der christliche Theologe Philip Clayton sprachen. Clayton vertrat die hier skizzierte Position, worauf Dennett ein eMail an Richard Dawkins schrieb: „Clayton ist ein Atheist. Er hat es nur noch nicht gemerkt.“ Sehr böse, aber wahr.
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Celia Deane-Drummond
Believing Deeply in Creation: Christ and Evolution as Theodrama1
Dieser Beitrag geht davon aus, dass es über Evolution und Christentum viel mehr zu sagen gibt als entweder einen freundschaftlichen oder feindlichen Umgang mit Darwin zu pflegen. Darüber hinaus vergessen solche Diskussionen auf eine angemessene Berücksichtigung des zentralen Bereichs der christlichen Theologie, namentlich unser Verständnis des Orts und der Bedeutung Jesu Christi, der Christologie, oder drängen diesen Bereich in den Hintergrund. Während traditionelle Christologien über lange Strecken die Evolution ignorierten, tendieren jene heutigen Denker, die sich mit evolutionstheoretischen Ansätzen beschäftigen wie Athur Peacocke und Ian Barbour zu einem synthetischen Zugang, der von Pierre Teilhard de Chardin sowie von einem liberalen Verständnis Christi als einem vom Geist erfüllten Menschen beeinflusst ist. Ich trete in Anlehnung an das Werk des Römisch-Katholischen Theologen Hans Urs von Balthasar für einen anderen Weg ein, um evolutionäre Ideen in den christologischen Diskurs einzubringen, ausgehend vom Theodrama als Basis, die es ermöglicht, theologische und evolutionäre Vorstellungen anders als nur narrativ zu verbinden. Der Vorteil von Drama als Kategorie ist, dass damit sowohl eine Ausrichtung gedacht werden kann, als auch das Unerwartete möglich bleibt. Ich behaupte, dass damit die Kontingenz des evolutionären Prozesses adäquat berücksichtigt und dabei gleichzeitig die Bedeutung des Christusereignisses in der christlichen Theologie ausreichend gewürdigt wird. Das eröffnet gleichzeitig ein weiteres Selbstverständnis des Menschseins in Begriffen des aktiven Handelns, bei dem Menschen nicht als passive Adressaten biologischer Prozesse gesehen werden. Eher traditionelle Verstehensansätze, die davon ausgehen, dass Christus eine menschliche und eine göttliche Natur hat, sind angesichts eines evolutionären Verständnisses der menschlichen Entwicklung schwer aufrecht zu erhalten. Die Kategorie Theodrama erlaubt ein Verständnis Christi als sowohl ganz menschlich und 1 This paper develops different sections of Deane-Drummond 2009. A modified and much extended version of this paper is also published under the title, “Beyond Separation or Synthesis: Christ and Evolution as Theodrama” (Deane-Drummond 2012).
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Celia Deane-Drummond
göttlich ohne dabei die Einheit der Substanz anzunehmen, denn seine menschlichen und göttlichen Attribute zeigen sich durch das Drama seiner Verbindung mit Gott, der Menschheit und der natürlichen Welt.
1.
Introduction
The statement of belief in God as Creator of all that is might seem to be in tension with evolutionary biology, at least according to those who have interpreted the influence of Charles Darwin along those lines. Charles Darwin was, I believe, well aware of the religious repercussions of his Origin of Species. One of the greatest challenges of this book was against the notion of design, that is, that the world is an expression of an original design in the mind of a Creator. This was a view held by William Paley and his Natural Theology and Evidences of Christianity2 was required reading when Darwin was an undergraduate. At this stage Darwin found Paley deeply appealing. “The logic of this book and I may add of his Natural Theology gave me as much delight as did Euclid. The careful study of these works … was the only part of the Academic Course which, as I then felt and still believe, was of the least use to me in the education of my mind.”3 Darwin himself respected those who were theists, even if he could not agree with their rationale for the existence of the natural world. Darwin describes belief in an omnipotent God as “ennobling belief”.4 The question of whether God exists or not is outside the realm of science, as far as Darwin is concerned, but in Descent of Man he admits that “this has been answered in the affirmative by some of the highest intellects that have ever existed”.5 Biologist and Theologian Arthur Peacocke is correct to note that historically the conflict between Darwin’s theory and Christian belief was not as stark as subsequent biologists and popular perception have supposed.6 He suggests that the enmity that T.H. Huxley had towards Christianity was related to the desire to free professional biologists from any stranglehold of ecclesial control. Peacocke’s reply, following Aubrey Moore, that Darwin is really a disguised friend, is one based on a profound belief that Darwin forces religious believers to think more carefully about the meaning of the incarnation and a renewed sense of the sacramental presence of God understood as immanent or present in the world.7 Those reading the most recent 2 3 4 5 6 7
Paley 1802. Barlow 1958, p. 59. Darwin 2004, p. 143. Ibid, 143. Peacocke 2005, pp. 59 – 60. See other works by Peacocke that develop the idea of Darwin as disguised friend, in, for example Peacocke 2004.
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vitriolic outpourings of Richard Dawkins, such as in his most recent The God Delusion, might be forgiven for wondering what kind of friend Darwin might be for religious faith, unless it is seen in a paradoxical way of providing the opportunity to speak about what Christian belief in God as a Creator really entails.8 This, of course, raises the issue of how far and to what extent Dawkins can speak either for Darwin or for Christian belief. Dawkins is particularly nave in his portrayal of Christian theism as founded on claims that lack a rational basis, while denying the cultural ferment in which his own narrative is placed. UltraDarwinists such as Daniel Dennett, Christopher Hitchins or Richard Dawkins go even further in their speculation and explicitly conflate superstition and monotheism. In their case the possibility that reasoning might guide humanity towards more sophisticated forms of religious belief that Darwin was careful to endorse is not even considered. While Christian commentators have more often than not pointed to considerable flaws in his understanding of theism, or even the cultural agenda behind his theories, they are less inclined to pay attention to the scientific or philosophical basis for his evolutionary arguments. The starting point of this paper is that it is entirely possible to be a theist and affirm in evolutionary biology, as long as that evolutionary biology does not take the place of theism as a fundamental option. For Christian faith that option is belief in God as Creator, yes, but it is also belief in God in a particular way. This way is that of Jesus Christ, namely that God in Christ became physically part of the material world that God created – the belief that God is deeply incarnate. Belief in the Trinity emerged subsequent to belief in the significance of Christ, or Christology. Unless Christians reduce their theologizing to a form of monotheism, belief in creation is understood in terms of relationship between a Trinitarian God and creation deeply connected through faith in the incarnation. Once we use this as a filter for deliberations, it raises all sorts of questions about how to connect theology and evolution. Perhaps in a paradoxical way, those who make it their profession to reflect on the significance of Christ in different cultures have also largely failed to give proper attention to the significance of either science in general or evolutionary ideas, both in terms of biological science, and wider cultural meanings.9 Once we recognise the significance of Christ for faith and for theology more generally, the questions at the boundary of Christian religious belief with evolutionary ideas becomes even clearer. Should 8 This is not what Peacocke meant when he spoke of Darwin as a friend. See Dawkins 2006. It is, however, implied by Tom Greggs’ approach to the issue in T. Greggs, “The Dawkins Delusion”, lecture presented to Centre for Religion and the Biosciences, November 26th, 2008. 9 See, for example, Graham Ward’s book on Christology and culture, where in spite of the considerable merits of this volume, engagement between Christology and scientific discourse is missed out entirely, even though, arguably, the latter serves to shape Western culture ever since the Enlightenment. Ward 2005.
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the discourse around evolution be separated off from considerations of Christ, understood as incarnate merely as a matter of faith, or should Christ somehow be fitted into evolutionary accounts, or is there an alternative? I will suggest in this paper that there are problems associated with merging theological and evolutionary views as well as problems with separation. I will attempt to map out a different way of appropriating evolutionary ideas into a theological discourse using theodrama, rather than narrative as a framework for discussion.
2.
Christology and evolution
2a
Classical debates
Classical debates on the person and nature of Christ struggled to articulate the meaning of the human and divine nature of Christ, while keeping within the Chalcedonian Council (451) framework of who Christ is, namely, one person and two natures. It was possible to lean in the more Alexandrian direction, where the emphasis is on the importance of the divinity of Christ and the Word made flesh, or in the Antiochene direction, where more emphasis was placed on the humanity of Christ, and the human soul taken up by the Word from the moment of incarnation. If the first view tended to squeeze out the possibility of a human soul, the second ended up with two persons in Christ, the divine indwelling the human. Historically, the story was likely to have been rather more complicated than this account implies, with authors such as Cyril of Alexandria adopting some ideas on Christ’s rational soul that seem closer to the Antiochene tradition.10 The point here is that such a framework then leads to further discussion about how one might consider the human nature that is assumed by Christ – is it an abstract universal, or does it only make sense in the particular? – along with related technical discussion about an-hypostasia and en-hypostasia, with the former putting more emphasis on the possibility of a human nature existing as an abstract universal human nature, and the latter emphasizing the particular human nature as pertains in Christ’s person.11 Other ways through the problem of relating the divine and human natures in Christ posit that the two are related through mutual indwelling, that is, perichoresis, so that each indwells the other 10 For discussion, see Crisp 2007, pp. 38 – 40. 11 An anhypostatos physis is a human nature that exists independently from an individual or person. In this scenario, Christ’s personhood requires the assumption of human nature by the Word. From the moment of incarnation, there is enhypostatos, that is, human nature in a particular person. In some discussions, the human nature of Christ is seen as being taken up into the Word. See, in particular, ibid., pp.72 – 89.
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in a manner analogous to the relationships of the Trinity.12 All these discussions use technical jargon that is difficult to grasp and are essentially closed insofar as they represent internal theological debates about what might be logically possible, given certain premises. They seem to bear little or no relationship to evolutionary biology except inasmuch as the concept of two natures becomes incredible or difficult to understand.
2b
Reactions to classical traditions
It is hardly surprising that those who are engaged in the dialogue between evolution and theology are far more attracted to liberal accounts of Christology, where Christ is portrayed as a man unique only in as much as he is uniquely obedient and open to God. Such an account sits smoothly with belief in God as Creator and belief in evolution; Christ now is just part and parcel of the evolutionary process and therefore the problematic associated with the radical nature of the meaning of the incarnation fades from view. Arthur Peacocke, for example, suggests that in his oneness to God, Jesus is an archetype, a chief exemplar of what it is for a human to be united in self-offering to God.13 Jesus therefore gives humanity a moral example to follow in the way he lives his life, and in the manner of his self-sacrificing death. In Jesus we find God’s character as Love displayed, and this, in its turn, is expressed in the life, death and resurrection of Jesus, where his resurrection is understood as what happens in the minds of the disciples. The resurrection does not, in this model, jar with any natural account of evolution by biological causes, since the resurrection seems to be a psychic event in the minds of disciples perhaps distraught by the death of their leader, of the type that many are familiar with today. He uses the work of a theologian called Geoffrey Lampe in order to envisage Jesus as the evolutionary point where perfect humanity appears for the first time, but it is perfection in relationship with God. Jesus, here, is portrayed as one whose deity emerges as a result of carrying out the divine will, and is seen as in direct parallel to the normal workings of emergent reality in other spheres. Jesus becomes “the manifestation of what, or rather of the One who, is already in the world though not recognised or known”.14 Of course, the idea that Christ might become known as divine through his obedience and openness to God reflects a liberal tradition that goes as far back as Albert Ritschl. The point is that the evolutionary story of emergence is made paradigmatic, and the work of God, including the description 12 Crisp also devotes a whole chapter to considering this issue. Ibid., pp. 2 – 33. 13 Peacocke 1979, p. 248. 14 Peacocke 2007, p. 37.
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of the meaning of theological terms, such as grace, as well as an understanding of Christology then becomes compatible with this, rather than the other way round. Ian Barbour is similarly exercised against traditional notions of two natures, so that “what was unique about Christ, in other words, was his relationship to God, not his metaphysical ‘substance’”, even though he had “two wills”, he was also able to exercise human “freedom and personal responsibility”.15 Also, similarly drawing on Lampe he suggests that Jesus is best understood through a Spirit Christology, where Christ emerges as the archetype and pattern of union between God as Spirit and the spirit of humanity, and moves towards the final goal of creation, where humanity will be formed in the likeness of Christ, who is portrayed as the model “Adam”. Just as the fall of Adam and Eve in mythological terms represents the possibility for human wrong doing, Christ shows a new possibility for all of humanity that are united with the same purpose and filled with the same Spirit. Christ represents, therefore, a new “stage” in evolution and a new stage in God’s activity. But on what basis is humanity going to be conformed to the likeness of Christ if Christ has simply emerged through evolution? On this basis, redemption seems to be reduced to what happens to creation, expressed entirely in evolutionary terms. Belief in redemption seems to have collapsed into belief in creation, understood not so much as a divine act, but a process of evolutionary emergence. The newness of Christ is related to first, his personal relationship with God, second, his ideas, and third the response by the community around him. But is this sufficient? Would I really be inclined to worship Jesus as Lord, in the manner given in the John’s Gospel, if this is all that can be said about Christ? Using process thought, Barbour also suggests that the difference between humanity and animals is similar to the difference between humanity and Christ, in that it is a difference of degree, rather than an absolute difference, so, in this way, “Christ is the distinctive, but not exclusive revelation of the power of God”.16 I would agree with Barbour that Christ suffers and grieves, and is tempted like all of us. What is much weaker is a sense of Christ as divine gift, in spite of the language of authors such as Cobb or Griffin, where Christ becomes God’s “supreme act”, yet such an act seems integral to evolutionary processes. Christ’s uniqueness is reduced to “the content of God’s aims for him and in his actualisation of those aims”.17 Hence, the classic notion of Christ as God incarnate has virtually disappeared. The influence of Jesuit priest and palaeontologist, Pierre Teilhard de Chardin 15 Barbour 1990, p. 210. 16 Ibid., p. 213. 17 Ibid., p. 235.
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is palpable in such contemporary accounts. He was, without doubt, one of the pioneers relating theology to evolution, and Christ to evolution in particular. Yet his vision was one informed by a particular metaphysical way of perceiving the world that owed its origin less to Darwin’s theory of evolution by natural selection, than to Herbert Spencer’s notion of progressive evolution. In this, Teilhard’s writing suffers considerable drawbacks, for it imposes a metaphysical theory and cosmological account on what in Darwinian terms is far less progressive, and certainly not linear in its unilateral direction towards humanity in the way that he envisaged. Of course, such a view depends on the accuracy of his evolutionary ideas, that there is an inherent push towards unification, a view that arguably stems more from ideals of progress, rather than from Darwinian theory as such. It is also in the light of this vision of progress that he situates the significance of Christ, for he proposes that such a centre is necessary if the cosmos is to progress, and in this way, Christ is recognised as the crossroads where “everything can be seen, can be felt, can be controlled, can be vitalised, can be in touch with everything else. Is not that an admirable place in which to position (or rather recognize) Christ?”18 He interprets the incarnation of God in Christ primarily in evolutionary terms, and the cross of Christ primarily on a cosmic stage first, rather than speaking of it in terms of human misdemeanours. It would, however, be incorrect to suggest that Christ is simply explained by evolution in the manner suggested by Barbour or Peacocke above, rather, Christ is also in some way emancipated from time and space; so that “in one of its aspects, different from that in which we are witnessing its formation, it has always been emerging above a world from which, seen from another angle, it is, at the same time, in the process of emergence”.19 He also envisages the future as impinging on the present, so that “this is what renders the movement not only irreversible, but irresistible”.20 Before humankind emerges, such attraction is “received blindly”; afterwards it is partially conscious in reflective freedom, leading eventually to religious belief.21 God as a “prime psychic mover” that works from the lowest levels of creation to humanisation anticipates subsequent writing. The question marks about his approach relate to: (1) His understanding of evolution as progressive, which seems to rest on metaphysical theory and cosmology rather than the evolutionary biology of Charles Darwin. (2) His outdated 18 19 20 21
Teilhard de Chardin, 1971, p. 87. Teilhard de Chardin 1966, p. 84. Ibid., p. 85. Ibid., p. 86. It is worth noting that while the evolutionary emergence of religion is an area of more recent debate, Teilhard believed that the psychic elements in evolutionary processes were connected to divine action that beckoned from the future, expressed eventually as Omega.
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evolutionary theory and its anthropocentrism in as much as his interpretation of its direction towards the human is not strictly accurate, even if the present landscape of the world shows Homo sapiens to be the most dominant species. (3) His tight association of evolution and Christology, such that Christ becomes embedded in the process as such, and thus endorsing that process, rather than being freely given by God to creation. (4) His Christomonism where Christ becomes remote from any understanding of the historical Jesus. (5) His neutralisation of evil through his treatment of it as a necessary part of the process. (6) His somewhat nave and optimistic view of human progress and science in particular, whereby all its endeavours could necessarily be synthesised with the goals of the kingdom of God. His views are perhaps more in line with physicists and cosmologists, who speak of the Anthropic Principle, though in reality this means the principle of life. In addition, he remains a prophetic visionary in as much as he seemed to anticipate the World Wide Web through his understanding of a further evolutionary stage of human consciousness and communication. Such global cultural shifts can hardly be identified with the coming kingdom of God in the way that he anticipated.
3.
Theodrama and evolution
Many other authors in this field are, like Teilhard, rather more inclined to discuss the process of cosmological evolution rather than biological evolution. This leads to his interweaving of evolution and theology through historical narrative, viewing the history of nature as a story to be told in a way that is comparable to the human story. In one sense I agree heartily with the idea that the natural world can be interpreted as sharing historical features that run to some extent in tandem, or even in continuity with human history. But what if a theology of history becomes much more vivid, and true to itself as theology, through a different reading of history, one that draws specifically on drama, rather than a narrative account of God’s ways with the world? The first most basic question to be addressed is whether theology is compatible with history, and given the influence of scientific understanding on modern historical scholarship, this is also indirectly a question about the compatibility of theology and science. Ben Quash suggests that theologians are people prepared “to see the dense, historical world as having an origin and an end in the creative purposing of God, a God who can relate personally to his creatures. People ready to acknowledge the idea that there can be revelation”.22 22 Quash 2005, p. 2.
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Such a reading gives history a key orientated to the future, and theo-dramatics is a way of thinking about eschatology and history together in their relationship with each other.23 Drama is about human actions and particular events in particular contexts, and theodrama is that which is connected to God’s purpose. A theodramatic approach will always be in one sense eschatological in orientation. Attention to drama draws out the specific significance of human agency, the particular context, and also the wider plot or time dimension. Consideration will therefore include that of the subjects themselves, the acting area in which they perform, or the stage, and the movement of the play or action. Another key issue that arises here is that of freedom, and what this means in the Christian life. If God is perceived as one who is in possession of divine freedom, this means that any account of history cannot be simply an inevitable chain of events. The advantage of theodrama is that it envisages an encounter between God and creation, where the freedom of the creature is preserved.24
Including evolution in theodrama: theological perspectives But what if we allow theodrama to include not just human history, but evolutionary history as well? Such an expansion has the advantage of viewing other evolved creatures as more than simply the stage in which human action and freedom is worked out. The ability to read evolution not just as science, but also as history means that through evolutionary accounts, nature as such becomes historical, a perspective that, according to John Haught, is one of the most significant discoveries of science.25 But then this leaves the question open as to how we should understand that history, how are we to make sense in historical terms of the very processes of natural selection understood as the history of creaturely becoming? The most common way of reading human history is that according to the activities of individual human subjects in genealogies or that according to the dynamics of historical change through systematic analysis in what can be termed a “grand narrative” approach.26 In evolutionary science, we find similar trends toward either tracing genealogies or constructing grand narratives such as evolutionary psychology, but also others such as Darwin’s theory of natural selection, Mendel’s laws, and so on. The concern of theodra23 Ibid., pp. 2 – 3. The basic interpretation of theodrama as applied to human history that I am using here follows Quash’s very helpful summary. 24 Exceptions include, for example, Conradie’s interpretation of narrative, which includes a more Barthian interpretation of the action of God in history. Given this, it is worth asking if his theology is more consistent with theodrama than with the narrative approach. 25 Haught 1996, p. 57. 26 Quash 2005, p. 6.
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matics is with the character of human agency, its necessary conditions in terms of place, and its relation to the wider plot over time. Can we include other creatures in this dramatic way of reading history? Of course, the degree of awareness of divine action will be different according to different levels of consciousness and capacity for decision, but by placing creatures in kinship with humanity the evolution of life becomes an integral aspect of the drama between God and God’s creatures. Moreover, in the light of such a dramatic reading, an overly systematised account of evolutionary process begins to look far too thin. Ben Quash suggests that a non-dramatic reading in human history leads to common denominator principles that amount to a form of betrayal, for they “fail to give due attention to particulars, to the individuals, the exceptions to rules, the resistances to explanation and the densities of meaning that ask for recognition in a good description of historical reality”.27 Yet I believe that such readings of evolutionary history are rife in secular and religious accounts; examples include the Christomonism of Teilhard; the aesthetic principle of process thought; even the organic model of Gaia, or even more general highly influential ideas such as the “balance” of nature. The difficulty of course, when it comes to the millions of years of evolutionary history, is that human imagination finds it hard to appreciate the dynamics of the particular in any given “scene” of the drama. A grand narrative helps the human mind to grasp what is going on in this case. Also, given that evolution takes place over a long period of time, the “play”, if it is to do justice to the individual characters concerned, will find itself dealing with long epochs of history where such characters have come and gone in different scenes presented. In other words, the characters that may be picked out for discussion are selective and illustrative in as much as they represent just one small fraction of the overall evolutionary process. Sometimes it may prove preferable, therefore, to use a close examination of those creatures that we know, in order to provide an analogy of what earlier creatures may have been like. A good example of this is the study of primates in order to give clues as to the life of early hominids.28 Yet such study also helps open up the realisation of human ignorance about the drama itself, by focusing on the punctuated phases of evolution where improbable events came together in a way that mean only one lineage survived and not others. In this I am not necessarily endorsing Stephen Jay Gould’s punctuated evolution theory, but simply pointing to the well-known fact that the rate of evolution is uneven in terms of timescale. Such events, that effectively wiped out myriads of species, many of which may not even yet be identified by present research, means that the 27 He uses the term ‘synchronic’ to describe this effect. Quash 2005, p. 7. 28 There are, of course, disadvantages in such an approach, especially as much of the cultural history of early humans is dependent on speculation.
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tragic nature of the evolutionary drama comes into view. A theodramatic approach takes proper account of the tragic, one that is so vivid in terms of the evolutionary history of the earth, but now brings this into juxtaposition with an understanding of how God works in the tragic in human history. It therefore will resist any generalisation of evil or attempt to wash over the contingency of events. In theodrama, the tragic is recognized fully, rather than absorbed and neutralized in the manner that more often than not happens in an epic account. The tragic has been the pattern for the drama of evolutionary history for millennia, as witnessed in the paleontological record. In order to highlight the advantages of a theo-dramatic approach, the tendency for narrative accounts to become epic is also worth considering. Evolutionary history, with its tremendously long time scale, is almost always sucked into such an interpretation. I do not believe that we can avoid at least some narrative description, but such description needs to be self aware in as much as it recognises the tendency for it to be taken over by the genre of the epic. What do we mean by epic? In the second of his trilogy, Theo-Drama, Balthasar considers whether there is some standpoint from which we can merely be observers to a sequence of event, including the events of Christ’s death and resurrection. In such a view he suggests we “smooth out the folds and say that Jesus’ suffering is past history ; we can only speak of his continued suffering in an indirect sense, in so far as those who believe in him are referred to, metaphorically, as his members”.29 At its worse, epic becomes the “genre of false objectification”, and “reifies what is given to it to know. It substitutes monological narration for dialogue, without supposing that this is a loss for truth. And it tends towards determinism”.30 The idea of evolution as incorporating some sort of necessity is a typical reading of evolutionary history in some quarters as well. On the other hand, Christian spirituality is more often than not expressed in terms of particular experiences of the individual, what Balthasar terms the “lyric” mode, where all thoughts of universal significance found in epic thought falls from view. Theodrama avoids equally problematic mystical “lyric” accounts, where “the whole substance of an action is transposed into a highly volatile, highly individual; immediate and emotionally coloured mode of response and expression.”31 The theo-dramatic considers the ongoing action of God in history, as witnessed particularly in the lives of the Apostles and in the early Church. Ignatius’ sacramental view of the world allowed for a positive attitude towards all of creation, God’s presence being found in all things. It is no surprise, therefore, that Balthasar also perceived this dramatic account of God 29 Balthasar 1990, p. 54. 30 Quash 2005, p. 42. 31 Ibid., p. 42.
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action as extending back not just to the creation of Adam and Eve, but also to the creation of the world, and forward to the future revelation of what is to come, expressed through apocalyptic literature. He suggests that: “It so overarches everything, from beginning to end, that there is no standpoint from which we could observe and portray events as if we were uninvolved narrators of an epic. By wanting to find such an external standpoint, allegedly because it will enable us to evaluate the events objectively ..we put ourselves outside the drama..”.32
Such an approach has profound implications on how to envisage Christology. Now the incarnation is understood as kenotic, but it is a kenotic Christology that is less about God “giving up” particular attributes or divine and human essences and more about a theodrama expressed in a radical, deep incarnation of God assuming human and thereby creaturely being in Christ. Jesus’ life and ministry are thereby connected with the cosmic role of Christ, for it is expressed in the theodrama of Trinitarian interrelationships.
Including evolution in theodrama: evolutionary perspectives We also need to ask another question, namely is consideration of evolution in dramatic terms meaningful from the perspective of science, from those who work grapple with an evolutionary perspective? Evolutionary biologist Jeffrey Schloss has noted such a possibility in describing evolution in terms of a play on an “ecological stage”. He suggests, “The lines, the players and even the plot may change over evolutionary time, though they are ever constrained by the props and setting and choreographic syntax of the ecological moment.”33 While I agree with the analogy, I suggest that we can go even further than this, in that ecology is rather more dynamic than this view might suggest. Hence, ecology does not just represent the stage but also, for many nonhuman animals at least, includes the possibility of agency. The profile of the dramatic includes indeterminacy and thus is inclusive of circumstance, compulsion, and decision, which most characterize human existence.34 Such indeterminacy is also, I suggest, characteristic of life in general and becomes most intense in animals that share the capacity for decisionmaking. Drama also works through particular events, as well as showing a social dimension through including the audience as much as those on the stage. The possibility of sharing in a performance, it seems to me, makes for a more readily accommodated perception of inclusiveness with other finite creatures, compa32 Balthasar 1990, p. 58. 33 J. Schloss takes this idea from Evelyn Hutchinson. See Schloss 2002, p. 58. 34 Quash 2005, pp. 35 – 37.
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red with, for example, a simple portrayal of evolution in terms of a rational system of truth claims. Jeffrey Schloss has argued more specifically that there is an analogy between “ideal” and “actualized” niches found in evolutionary history and that which can be expected in an eschatological future “heaven”.35 Most species occupy theoretically “suboptimal” niches due to competitive displacement by other, more dominant species. Yet while some biologists resist any language of the “ideal” – the “optimal” niche always being a compromise in terms of physiology and availability of resources, competition, and so on – the meaning of “optimal” is equally under dispute. The use of terms like optimal and ideal implies teleology, a future to which species aspire. Yet Schloss is critical of those attempts to endorse evolutionary accounts through a developed teleology inasmuch as many of the assumptions in such stories do not appear to be true. For example, in many species there is no real evidence for an increase in complexity over time, and ever since the Cambrian Period, morphological diversity has stayed more or less constant. There is also no evidence that parasites or other harmful organisms gradually become more mutualistic. Schloss, for example, questions more saccharine accounts of evolution in a number of ways, not least challenging the myth that infectious agents coevolved with hosts in order to “minimise pathogenicity”; this view, he suggests, is false on both “theoretical and empirical grounds … Pathogenicity often increases over evolutionary time, depending on infectiousness and host density.”36 Such benign readings of nature characterize much natural theology, especially in the work of those theologians that seek to find a continuum between evolution and eschatology.
4.
Conclusions
I suggest that including evolution in a theodrama opens up new questions about what it means to believe in creation, for such a belief for a Christian is inclusive of the incarnation, rather than remote from it. Further, and importantly, it is entirely possible to envisage evolutionary processes going on through the rhetoric of dramatics in a hermeneutics that gives room for contingency, while allowing for divine purpose. It therefore addresses the age old question that many theists have struggled with for so long, and with which I began this address, in what sense can God be thought of being engaged in a purposeful creation while acknowledging its freedom? 35 Schloss 2002, p. 65. 36 Ibid., p. 73.
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Celia Deane-Drummond
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Ulrich Kattmann
Glaube an die Evolution? Darwins Theorie im Spiegel der Alltagsvorstellungen von Schülern, Lehrern und Wissenschaftlern
Opinions on the theory of evolution in every day life show what people with or without academic background think about evolution. Considering the educational point of view the natural scientific correctness of the statement is thereby not primarily important but especially it’s anchoring in the personal visions. Results of empiric studies show that personal conceptions are composed of physical, social and ecological experience (theory of experiential understanding). Conceptions are defined as subjective mental processes, which are always constructed by the people themselves. Every-day-conceptions are conceptions which are available and used in every day life. They are serious attempts to understand natural phenomena and resistant to change through instruction. On evolution they often reflect experiences and desires regarding purpose and meaning of one’s personal existence. Similar positions of statements on a matter-of-fact level can be observed concerning the relation between evolution and creation where both are considered to be real opposites. Neither the character of religious statements nor the basic principles of natural scientific conclusions are in general being adequately reflected neither among teachers, nor students nor scientists. In order to overcome the shortcomings of the factual juxtaposition of faith und science, correspondences between religious beliefs and scientific statements are outlined. Students conceptions imagine evolution as straight upgrade to a higher level, i. e. to the human species, and understand adaptation as a process of insight and target-oriented action due to needs; they explain evolution through the origin of outsiders and consider nature and evolution as subjects which provide the necessary equipment for survival. Students consider creation and evolution as competing facts; aware of the contradiction some try to compensate for it through idiosyncratic constructions or separate faith and knowledge into disjoined areas of living (school and service). Students surprisingly understand principles of evolution irrespectively of religious beliefs or their acceptance of evolutionary theory.
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Ulrich Kattmann
Interviewed teachers of biology understand the word „theory“ mainly in a colloquial sense; most of them judge statements on evolution as less reliable than other scientific statements and lay main emphasis on causal explanation, i. e., on the micro-processes of evolution. In consequence, they consider statements on natural history as „soft“. Some scientists consider creation and evolution as competing facts; they try to satisfy religious needs through evolution. Linking principles of evolution with faith in progress, they expect from evolution a perfection of humans or an exempt life. The attempts of some philosophers and theologians to re-introduce teleological principles into science and to stress progress or design in nature seem in vain. They are in accord with every-day-conceptions but contradict to scientific methods. Correspondences between religious and scientific beliefs are to be found in two fundamental insights: There is only one earth – and, we are only one humankind. Recommendations for mediation and further discussions: – Reflection of every-day-conceptions: They should be used to promote the learning of the scientific concepts. – No bossiness: The claim of factual knowledge is not fit to master the relationship between evolution and religious beliefs. – Strict separation on the level of facts: On this level the conception of „non overlapping magisterial“ seems to be quite adequate (NOMA, S. J. Gould). – Theories are the best of science: Learning und teaching of evolution should be based on epistemological considerations and by reflection of scope and limits of scientific statements. – Correspondences on the sense-level: Creation and evolution should be joined together mentally, if existential questions are considered.
1.
Alltagsvorstellungen: Aus Erfahrung gebildet „Unter Evolution verstehe ich, wie wir – die Menschen – abstammen. Manche sagen aber auch, dass Gott die ersten Menschen, Adam und Eva, geschaffen hat. – Das mit Gott glaube ich aber nicht so ganz.“ Jens, 16 Jahre
Die Ergänzung, die Jens dem vorgegebenen Satzanfang „Unter Evolution verstehe ich …“ hinzufügt, zeigt seine persönliche Einstellung zum Thema Evolution, mit dem er sofort auch religiöse Anschauungen angesprochen sieht. Mit dieser Vorstellung steht Jens nicht allein (s. 2.). Vorstellungen zur Evolution sind
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in einer großen Anzahl von Studien erhoben worden, die in den letzten drei Jahrzehnten an Personen von der Grundstufe bis zur Universität zu deren Vorstellungen zur Evolution (speziell zu Anpassung und evolutionärem Wandel) durchgeführt wurden1. Unter Vorstellungen werden in der fachdidaktischen Forschung ganz allgemein Kognitionen, also Verständnisse und Gedanken (zu einem bestimmten Sachgebiet) verstanden. Vorstellungen sind demnach subjektive gedankliche Prozesse, die weder aufgenommen noch weitergegeben werden können, sondern immer von den Personen selbst konstruiert oder erzeugt werden2. Aus der Tatsache, dass Vorstellungen immer wieder neu konstruiert werden müssen, ergibt sich, dass Menschen ihre Vorstellungen nicht einfach haben, vielmehr können sie über bestimmte Vorstellungen besonders leicht verfügen. Verfügen heißt, dass die betreffenden mentalen Zustände leichter rekonstruiert werden können als andere. Vorstellungen, die – ohne vorherige fachliche Unterrichtung – vorwiegend durch lebensweltliche Erfahrungen gebildet werden, werden als Alltagsvorstellungen bezeichnet. Die erwähnten Untersuchungen zeigen, „dass Alltagsvorstellungen über die Evolutionstheorie Ergebnis ernsthafter Bemühungen der Lernenden sind, natürliche Phänomene zu verstehen und dass sie im Unterricht erstaunlich widerstandsfähig gegen Veränderungen sind“3. Bei neuartigen Problemen greifen viele Menschen auch dann auf Alltagsvorstellungen zurück, wenn sie wissenschaftliche Konzepte, die für eine Lösung geeignet wären, bereits gelernt haben. Sie sind auch keineswegs nur „kindlich“. Nach mehreren Untersuchungen verwenden die meisten Erwachsenen zur Erklärung naturwissenschaftlicher Phänomene dieselben Vorstellungen wie sieben- bis dreizehnjährige Schülerinnen und Schüler4. Manche betrachten solche Alltagsvorstellungen dennoch als „Fehlvorstellungen“, die durch fachlich richtige ersetzt werden müssen. Die Resistenz von lebensweltlich geprägten Vorstellungen gegen Belehrung widerlegt solche Wertungen und macht das Unterfangen unmöglich, Alltagsvorstellungen einfach auszuradieren zu wollen. Alltagsvorstellungen entspringen meist frühen körperlichen, sozialen und umweltlichen Erfahrungen und sind aus diesen Erfahrungen heraus zu verstehen5. Die Bewertung als „fehlerhaft“ geht ins Leere, da die so gebildeten Vorstellungen aufgrund der lebensweltlichen Erfahrungen sich für die bereffenden Personen bewährt haben und als sinnvoll erlebt werden. 1 Vgl. Wandersee / Good / Demastes 1995; Baalmann et al. 2004; Kattmann 2009. 2 Zu dieser konstruktivistischen Sicht vgl. von Glasersfeld 1992; von Aufschnaiter et al. 1992; Duit 1994. 3 Wandersee / Good / Demastes 1995. 4 Nentwig 2000. 5 Gropengießer 2006.
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Da jeder Mensch nur mit den ihm verfügbaren Vorstellungen lernt, muss nachhaltiges und fruchtbares Lernen und Lehren die Alltagsvorstellungen beachten und mit ihnen arbeiten. Lernen ist in dieser Sicht immer Umlernen; Lehren ist Anregung zum Umlernen, oder vergeblich. Alltagsvorstellungen spielen gerade auch beim Verhältnis von Evolution und Schöpfung sowohl bei Lernenden wie bei Lehrern und Wissenschaftlern der verschiedenen Fachgebiete eine wesentliche Rolle. Deren Ausprägungen sowie deren Bedeutung für Verständnisse und Missverständnisse werden im Folgenden dargelegt. Die im Text angeführten Zitate von Befragten dienen nicht allein der Illustration. Sie stehen exemplarisch für die in umfangreichen Studien erhobenen Alltagsvorstellungen. Die jeweils angeführte Interpretation beruht dabei nicht allein auf den zitieren Äußerungen, sondern auf der qualitativen Inhaltsanalyse umfangreicher Interviews, mit denen das persönliche Denkgebäude der Interviewpartner erfasst wurde. In Kenntnis dieser Denkgebäude lassen sich auch die kurzen Äußerungen von Kartenabfragen zuverlässig einordnen und deuten.6
2.
Schülervorstellungen zur Evolution: Absichtsvoll zum Ziel
2.1.
Aufwärts zum Menschen
Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse eines Gymnasiums in Oldenburg (Old.) hatten die Aufgabe, den bereits erwähnten Satzanfang zu ergänzen: „Unter Evolution verstehe ich …“ Diese Kartenabfrage hatte aufschlussreiche Ergebnisse7. Zunächst zwei Beispiele: „… die Abstammung vom Affen zum Menschen. Die Urvorfahren vererbten nach und nach immer mehr an die nächste Generation bis zum heutigen Menschen.“ Melanie, 16 Jahre „….die Entwicklung vom Urtier bis zum Discman hörenden, umher irrenden modernen Menschen.“ Hendrik, 17 Jahre
Charakteristisch ist, dass – übereinstimmend mit anderen Erhebungen – bei Evolution sofort an die Abstammung des Menschen gedacht wird, auch wenn es 6 Die zitierten Ergebnisse der Vorstellungsforschung stammen aus Studien, die in Oldenburg und Hannover im Rahmen des fachdidaktischen Forschungsmodells der Didaktischen Rekonstruktion durchgeführt wurden (vgl. Kattmann et al. 1997; Gropengießer / Kattmann 2009; URL: http://www.diz.uni-oldenburg.de/20512.html). 7 Kattmann 2001.
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um den eigentlich umfassenderen Begriff der Evolution geht. Im Hintergrund steht die Annahme einer durch Evolution bewirkten geradlinigen und zielgerichteten Höherentwicklung, die in einer Interviewstudie zur Evolution des Menschen8 noch deutlicher zum Ausdruck kommt: „Affen sind eine Abzweigung, die sich aus menschlicher Sicht nicht so wie wir weiterentwickelt hat. Den Menschen würde ich [im Stammbaum] an der am weitesten entwickelten Abzeigung, also ganz oben einordnen.“ Olaf, 16 Jahre
Die Entwicklung zum Menschen wird als Stufenleiter verstanden, bei der die Menschenaffen auf niederer Stufe stehen geblieben sind9. Der Mensch, in christlicher Philosophie zur Krone der Schöpfung ernannt, mutiert zum Spitzenprodukt der Evolution (s. 6.).
2.2.
Zielgerichtetes Handeln
Zu den Prozessen der Evolution befragt, wird Evolution fast immer zielgerichtet verstanden und mit einsichtsvollem, absichtlichem Handeln der Lebewesen erklärt10 : „Die Ente merkt, dass sie sich im Wasser schlecht bewegen kann, wenn sie mit drei Zehen da herumpaddelt. Sie merkt, dass man besser vorankommt, wenn man eine größere Fläche hat. … und so hat sie Schwimmhäute bekommen.“ Jens, 17 Jahre
Ein Schüler der 12. Klasse erläutert so das in Biologieunterricht häufig herangezogene Beispiel des Auftretens von dunklen Formen des Birkenspanners, wobei er Vokabeln der Genetik in seine Alltagsvorstellungen einbaut: „… dann haben die heute dunklen Falter gemerkt, dass die Baumstämme dunkler wurden und sie als helle Tiere darauf für Feinde gut zu erkennen waren. Ich stelle mir das jetzt irgendwie über die Gene vor, dass da eine Erkenntnis ,Ich muss schwarz werden‘ stattgefunden hat und sich dann über mehrere Generationen verteilt in den Chromosomen festgeschrieben hat und die dann wirklich schwarz geworden sind.“ Gerd, 19 Jahre
In einem Unterrichtsversuch wurden die Lernenden aufgefordert, ihre Vorstellungen zur Entstehung der Wale in einer Geschichte niederzuschreiben11. 8 9 10 11
Papenfuß 2002. Groß / Gropengießer 2008. Baalmann 1989; Baalmann et al. 2004. Zabel 2009.
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Im folgenden Beispiel wird das zielgerichtete Handeln der Lebewesen in origineller Weise mit dem Auftreten abweichender Eigenschaften und neuen Verhaltens eines Individuums verknüpft, um so den evolutionären Wandel zu erklären : „Die Evolution des Wals Bernd wurde immer von den anderen Urwalkindern gehänselt, weil er größer war und einen längeren Schwanz hatte. Außerdem konnte er meisterhaft schwimmen. Da immer mehr Kinder geboren wurden, gab es eine Nahrungsknappheit auf der Insel. Selbst die Allerkleinsten schlugen sich um etwas Essbares. Doch Bernd nicht. Da er schwimmen konnte, besorgte er sich seine Nahrung aus dem Meer. Er war ein Individuum. Alle Urwale waren ausgemergelt, und die Weibchen flogen alle auf Bernd ab, weil er ja kräftig war. Schließlich gründete er mit Susi eine Familie. Ihre Kinder konnten auch schwimmen. Diese gründeten auch Familien und immer so weiter. Und so entstand der Wal.“ Max, 13 Jahre
Das in der Erzählung verwendete „Außenseitermotiv“ eröffnet durchaus ein weitergehendes Verständnis der Evolution, das jedoch erst erreicht werden kann, wenn das Prinzip der Selektion auf die Variation der Individuen innerhalb von Populationen angewendet wird12.
2.3.
Die Natur macht es
Im Zusammenhang mit Vorstellungen zur Entstehung der Vielfalt der Lebewesen13 sowie der Evolution von Ökosystemen14 wird die „Evolution“ bzw. die „Natur“ regelmäßig personifiziert, indem diese als handelnde Subjekte für das Überleben bzw. für die nötige Anpassung zwischen den Lebewesen sorgen: „Die Evolution musste aufgrund unterschiedlicher Lebensbedingungen immer neue Wege für die Pflanzen und Tiere finden. Durch den Kampf ums Überleben, der entstand, weil andere Arten auch überleben (stärker sein) wollten, mussten sie sich weiterentwickeln. Dieser Kampf ums Dasein hat sie angetrieben, neue Möglichkeiten zu entdecken und neue Sachen auszuprobieren.“ Karsten, 16 Jahre „Es hat sich nicht nur so ergeben, dass die Pflanzen den Sauerstoff produzieren. Es war, wenn ich das so ausdrücken kann, so eine zielgerichtete Entwicklung. Wenn die Pflanzen Schwefel produzieren würden, so würden sich Tiere entwickeln oder Tiere 12 Vgl. Kattmann / Janßen-Bartels / Müller 2005. 13 Biebricher 2002. 14 Jelemensk 2006.
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würden sich daran anpassen, Schwefel atmen zu können und sich durch den Schwefel das Überleben sichern. Die Natur macht sich das halt schon, sie sichert sich die Entwicklung.“ Martin, 18 Jahre
Zielgerichtetes, absichtsvolles Handeln und Personifizierung von Natur und Evolution sind nahe liegende anthropomorph gedachte Vorstellungen. Die anthropomorphe Ausdrucksweise ist keineswegs nur ein sprachliches Problem. Die Interviews verraten, dass hinter den Formulierungen ein tief gehendes Bedürfnis nach Harmonie und Sinn in der Natur steht. Wesentliche Aspekte der Alltagsvorstellungen zum evolutionären Wandel und dessen Ursachen lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Anpassung wird als zielgerichtetes Handeln von Individuen nach den Bedürfnissen der Organismen begriffen. – Die Natur und Evolution sind Subjekte, die das für das Überleben Nötige bereitstellen. – Die Evolution steigt geradlinig zum Höheren auf, d. h. letztlich zum Menschen. Anthropomorphe Alltagsvorstellungen sind nicht einfach zu negieren, sondern sollten reflektiert werden und so für das Lernen von wissenschaftlichen Vorstellungen genutzt werden.
2.4.
Konkurrierende Tatsachen
Etwa 1/3 der an der genannten Kartenabfrage („Unter Evolution verstehe ich …“) beteiligten Schülerinnen und Schüler bringen – auch in einer säkularisierten Stadt wie Oldenburg – sogleich religiöse Motive ins Spiel, die als Gegensatz zu evolutionären Erklärungen empfunden werden: „… Die Entwicklung des Menschen vom Affen zum gerade gehenden Menschen. Die Menschen entwickelten sich immer weiter, ebenso ihr Wissen, Technik etc. Andere glauben an die Entstehung von Adam und Eva. Thomas, 16 Jahre „… die Lehre von der Entwicklung der Erde. Aus Affen wurden mit der Zeit Menschen. Die Erde hat sich allmählich entwickelt und wurde nicht von Gott geschaffen. – Ich glaube aber an einen Gott, der die Tiere, die Pflanzen und die ersten Menschen geschaffen hat und sie danach auf die Erde gesetzt hat!“ Lena, 17 Jahre
An den zitierten Aussagen wird deutlich, dass den Befragten Schöpfung und Evolution als Gegensatz erscheinen (vgl. auch die eingangs zitierte Äußerung
208
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von Jens). Beides wird dann zuweilen auf verschiedene Lebensbereiche aufgeteilt, indem privat Schöpfung für wahr gehalten, für das Lernen in der Schule aber Evolution akzeptiert wird15. Der Ausweg daraus besteht also häufig in einer strikten Trennung von Glauben und Wissen. Zuweilen aber wird versucht, die Aussagen in origineller Weise zu vereinbaren: „… die Abstammung vom Affen zum Menschen. Vielleicht sind wir [aber] auch durch Adam und Eva entstanden. Diese haben Kinder bekommen, welche sich langsam zu Affen entwickelt haben, da es die damalige Zeit erzwang, – und wurden so zu Menschen.“ Jannick, 16 Jahre
Der Umweg der Evolution nach Jannick – von Adam und Eva zum Affen und dann zum heutigen Menschen – erscheint weniger skurril, wenn man eine Paradiesdarstellung aus dem 17. Jahrhundert hinzunimmt (Abb. 1). Vor Darwin bedeutete die Abstammung von Affen keine Beleidigung. Die Wesensverwandtschaft von Mensch und Menschenaffen war ja auch damals offensichtlich und wurden anscheinend als unproblematisch empfunden. Die Nähe zwischen Mensch und Affen wurde erst mit der Evolutionstheorie peinlich und nötigte erst jetzt dazu, den Menschen durch das Postulat einer Sonderstellung von der Natur abzusetzen.16 Jannick denkt offensichtlich an eine Abfolge: Auf Schöpfung folgt Evolution. Dieselbe Sequenz wird von anderen Befragten allgemeiner, zwar ohne Bezug auf Adam und Eva, aber doch mit deutlichen Schöpfungsmotiven formuliert: „… dass Gott Licht, Meer, Erde, Himmelskörper etc. erschaffen hat. Mit Hilfe des Lichts und des Wassers wurde Wachstum von Pflanzen angeregt, die haben sich vermehrt (Selbstbestäubung, Fremdbestäubung) und weiterentwickelt. Es sind neue Pflanzen entstanden, bis zum heutigen Stand. Ebenso ist es bei Tieren, die sich durch Kreuzungen entwickelt haben und sich ihrer Umwelt angepasst haben.“ Marie, 17 Jahre „… Ich glaube, dass jedes Tier und jede Pflanze von Gott selber geschaffen wurde. Doch nun gibt es noch viel mehr Tiere, als Gott geschaffen hat. Es sind alles Abstammungen von denen, die Gott geschaffen hat. 15 Vgl. Illner 2000. Nach zahlreichen Untersuchungen hängen religiöse Überzeugungen weder positiv noch negativ mit dem Verstehen der Evolutionstheorie zusammen, vgl. u. a. Bishop / Andersen 1990; Wandersee / Good / Demastes 1995, S. 44 f.; Sinatra et al. 2003; Ingram / Nelson 2006; Retzlaff-Fürst / Urhahne 2009. Dieser Befund ist aus pädagogischer Sicht besonders bedeutsam, da für den Lernerfolg das Verstehen der Evolutionstheorie entscheidend ist, nicht ihre Akzeptanz. 16 Zum Wandel des Bildes von den Menschenaffen aufgrund der Evolutionstheorie Darwins vgl. Portmann 1965, S. 440 ff.; zum gleichgerichteten Wandel des Welt- und Menschenbildes auch Kattmann 1997, S. 123 f.
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Abb. 1: Paradiesdarstellung aus dem 17. Jahrhundert (aus Sommer 1998).
Doch nun hat der Mensch versucht, ebenfalls andere Tiere zu schaffen.“ Ben, 17 Jahre
Hinter diesen Äußerungen steht deutlich ein Streben nach Harmonisierung der unterschiedlichen Aussagen. Schöpfung und Evolution werden dabei als konkurrierende Tatsachenaussagen gehandelt, die auf die gleiche Ebene gestellt werden. Eine Unterscheidung der Kategorien von Glauben und Wissen wird nicht gemacht und kann daher auch nicht reflektiert werden17. Auf ein Verständnis von Evolution und Schöpfung als konkurrierende Erklärungen lässt auch die Antwort schließen, die bei 18-Jährige in einer repräsentative Umfrage in Deutschland gaben. Auf die Frage „Welches ist nach Ihrer persönlichen Meinung die beste Erklärung für die Entstehung des heutigen Menschen?“ antworteten 67 % mit „Evolution“, 16 % mit „Schöpfer“ oder „Schöpfergott“ und 4 % mit „Intelligent Design“18.
17 Vgl. Kattmann 2001; 2009; Rothgangel 2004. 18 EARSandEYES 2009.
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Die Alltagsvorstellungen zu Schöpfung und Evolution lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: – Schülerinnen und Schüler halten Schöpfung und Evolution für konkurrierende Tatsachen; – versuchen teilweise, den empfundenen Widerspruch durch persönliche Konstruktionen auszugleichen; – trennen für sich Glaube und Wissen in verschiedene Lebensbereiche (Schule und religiöse Überzeugung); – verstehen Evolution unabhängig von religiösen Überzeugungen oder der Akzeptanz der Evolutionstheorie. Für die Vermittlung von Evolution ergibt sich: Nur keine Rechthaberei betreiben. Die Behauptung von Tatsachen ist nicht geeignet, dem Verhältnis von Evolution zu religiösen Überzeugungen gerecht zu werden.
3.
Pädagogische Unsicherheit: „nur“ eine Theorie
In einer Interviewstudie mit Biologiefachleitern (Studienseminare Gymnasium Niedersachsen) wurde u. a. ermittelt, welche Schwerpunkte sie hinsichtlich des Themas „Evolution“ und der Evolutionstheorie im Unterricht setzen19. Als wichtigste Konzepte, die sie im Evolutionsunterricht vermitteln wollen, nennen die Lehrenden vor allem die Mikroprozesse. Nachfolgendes Zitat ist ein Beispiel dafür, wie die verschiedenen Belege für die Evolutionstheorie vom Befragten bewertet werden: „Ich habe große Schwierigkeiten mit Paläontologie im Unterricht, weil es häufig nur Geschichten sind, dass das sozusagen sehr hypothetisch ist, und dass es durchaus sehr viele andere Denkmöglichkeiten gäbe. Die Gefahr ist, dass in dem Moment, wo Evolution zu weich wird, sie von Schülern leichter abgewertet wird. Deshalb ist es mir so wichtig, die harten Aspekte raus zu greifen. Also die Frage, wie kann ich Lamarck und Darwin experimentell überprüfen.“ Fachleiter Biologie
Der Lehrer macht einen gravierenden Unterschied zwischen weichen historischen und harten (experimental-kausalen) Aspekten der Evolutionstheorie. Die historischen Aspekte der Evolution hält er daher für unsicherer als andere naturwissenschaftliche Aussagen. Durch diese Wertung können die Lernenden dazu verleitet werden, die Evolution nicht als naturwissenschaftlich „erwiesen“
19 Van Dijk / Kattmann 2010.
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anzusehen. Sie würden dadurch gehindert, sich mit den historischen Aspekten der Evolutionstheorie angemessen auseinander zu setzen. Die Orientierung an experimentell überprüfbaren „Tatsachen“ könnte die beschriebenen Alltagsvorstellungen (2.4.) der Lernenden noch verstärken Die Ergebnisse der Studie geben außerdem einige Hinweise darauf, dass die Befragten unterschiedliche und teilweise inadäquate Vorstellungen von der Natur der Evolutionstheorie haben. Sie sprechen von „verschiedenen Erklärungsansätzen“, „nur Geschichten“, „vielen Zeugnissen“, „verschiedenen Möglichkeiten, aber keine beweisbaren“ und „Indizien“. Schließlich sei die Evolutionstheorie „nur eine Theorie“. Dieses Verständnis kann schließlich dazu führen, wichtige Auseinandersetzungen im Unterricht zu auszuklammern: „Da hat mein Unterricht noch Mängel, dass das im Prinzip nur eine Theorie ist. Das haben wir in der Biologie eigentlich überall, dass die im Prinzip noch abgelöst werden kann durch was anderes. Das mache ich zu wenig. Was zunehmend mehr Gewicht bekommt, sind die Kreationisten. Wenn man sich mit den kreationistischen Argumenten auseinandersetzt, dann haben die für fast jedes evolutionäre Argument auch ein kreationistisches Gegenargument, und da gibt es Schwierigkeiten, und da habe ich mich noch nicht daran getraut.“ Fachleiterin Biologie
Die Lehrerin verwendet den Begriff der „Theorie“ in einer Alltagsbedeutung: Theorie steht dann für eine bloße Vermutung. Der Charakter naturwissenschaftlicher Theorien und Fakten wird in der Aussage „,nur‘ eine Theorie“ verkannt: Theorien sind unabdingbare Voraussetzungen für naturwissenschaftliche Aussagen und nicht durch „Tatsachen“ zu überbieten. Fakten sprechen nicht für sich. Bereits Charles Darwin stellte hierzu fest, es komme vielmehr darauf an „ob sie für oder gegen eine Theorie sprechen.“ Eine naturwissenschaftliche Theorie ist als ein Erklärungsmodell zu begreifen, das aus mehreren zusammenhängenden Hypothesen besteht. Theorien bleiben demgemäß in ihrem Charakter selbst immer hypothetisch. Naturwissenschaftlich verlässliches Wissen ist nur innerhalb von Theorien zu gewinnen. Die Abwertung von naturwissenschaftlichen Theorien als „unsicher“ gegenüber „sicheren“ Tatsachen ist also wissenschaftlich nicht sachgemäß. Kreationistische Einwände werden von der Befragten als Tatsachenargumente akzeptiert. Somit werden Glaubensinhalte und naturwissenschaftliche Aussagen von ihr auf die gleiche Tatsachenebene gestellt und als konkurrierende Gegensätze verstanden. Sie verfügt damit über eine Alltagsvorstellung, die auch bei den befragten Schülerinnen und Schülern vorherrscht (s. 2.4.). Für die Vermittlung von Evolution ist festzuhalten: Theorien sind das Beste, das Naturwissenschaften zu bieten haben. Lernen und Lehren von Evolution
212
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bedürfen der erkenntnistheoretischen Fundierung, d. h. Reflexion der Tragweite und Grenzen naturwissenschaftlicher Aussagen.
4.
Biologische Bekenntnisse: Glaube an Wissenschaft, Vernunft und Fortschritt „Die Gotteshypothese ist heue wissenschaftlich nicht mehr verfechtbar, sie hat ihren klärenden Wert verloren, sie lastet intellektuell und ethisch auf unserem Denken. Sie überzeugt und tröstet nicht mehr. Sich von ihr loszusagen vermittelt ein tiefes Gefühl der Erleichterung. … Die Zentralhypothese der neuen Religion wird die Evolution sein, die als objektive Tatsache nachgewiesen und zu einem fest begründeten Prinzip geworden ist. … (Sie) kennt keinen automatischen und universalen Fortschritt. … Folglich muss es auf lange Sicht ein Anliegen der Religion sein, entwicklungsgeschichtliche Verbesserungen möglich zu machen und neue Möglichkeiten zu aktualisieren. Das ist gleichbedeutend mit größerer Vervollkommnung von immer zahlreicheren menschlichen Individuen und menschlichen Gesellschaften.“ Julian Huxley (1965)
Das Zitat illustriert die religiöse Weltanschauung mancher Biologen, die wissenschaftliche Aussagen zur Evolution religiös auslegen. Julian Huxley nimmt damit Aussagen vorweg, mit denen neuerdings Richard Dawkins (2007) Aufsehen erregt hat. Die damit verbundene Wissenschaftsgläubigkeit hat Carl Friedrich von Weizsäcker (2006) als Szientismus und als heute vorherrschende Weltreligion beschrieben. Es wird geglaubt, dass einzig und allein die Naturwissenschaften Antwort auf die Fragen der Welt geben können. Das Vertrauen in die unbedingte Zuverlässigkeit naturwissenschaftlicher Aussagen ist begründet, denn die wissenschaftliche Methode besteht gerade darin, verlässliches, anwendbares Wissen zu gewinnen20. Diese Verlässlichkeit verführt im Szientismus zu einer naturwissenschaftlich beschränkten Weltdeutung, die andere religiöse Aussagen ersetzen soll und sie überflüssig erscheinen lässt. Eine Ausprägung ist der sich philosophisch als Konsequenz aus der Naturwissenschaft verstehende ontologische Naturalismus. Danach gibt es über den naturwissenschaftlich ermittelten Naturzusammenhang hinaus keine Realität21. Im naturwissenschaftlichen Vorgehen sind nur empirisch widerlegbare Hypothesen zulässig. Eben wegen dieser Beschränkung können aus Naturwissenschaft keine über diese methodische Voraussetzung hinausgehenden ontologisch naturalistischen Aussagen abgeleitet werden. Weil die Grenzen natur20 Vgl. Markl 2007. 21 Vgl. Mahner / Bunge 1996; Kutschera 2007; Neukamm 2007.
Glaube an die Evolution?
213
wissenschaftlicher Aussagen nicht erkannt werden, wird der ontologische Naturalismus zu Recht als wissenschaftsgläubige Ideologie bezeichnet22. Kennzeichnend ist, dass der Glaube an die Evolution von Biologen gern mit dem Fortschrittsgedanken verbunden wird, obwohl schon Julian Huxley einräumt, dass mit Evolution kein automatischer Fortschritt verbunden ist. Genauer wäre zu formulieren, dass ein mit Evolution verbundener Fortschritt illusionär ist23 (vgl. 6.). Konrad Lorenz muss daher in seinem Glaubensbekenntnis zusätzlich die menschliche Vernunft heranziehen, um den Fortschritt evolutionär, d. h. selektionstheoretisch zu begründen: „Ich glaube an die Macht der menschlichen Vernunft, ich glaube an die Macht der Selektion, und ich glaube dass die Vernunft vernünftige Selektion treibt. Ich glaube, dass dies unseren Nachkommen in nicht allzu ferner Zukunft die Fähigkeit verleihen wird (alle unsere Menschenbrüder, ohne Ansehen der Person, zu lieben), jene größte und schönste Forderung wahren Menschentums zu erfüllen.“ Konrad Lorenz (1963)
Die Äußerungen von Evolutionsbiologen zu religiösen Themen führen oft zu hitzigen Debatten. Atheistische Eiferer wie Richard Dawkins, der einst die „egoistischen Gene“ und die „Meme“ populär machte, versuchen rigoros (andere) religiöse Überzeugungen zugunsten ihrer eigenen evolutionären Weltanschauung ins Abseits zu stellen: „Die meisten Menschen klammern sich … deshalb an Religion, weil sie … sich nicht einmal klar machen, dass Unglauben überhaupt möglich ist … Sie haben Darwins erstaunliche Alternative einfach nicht richtig kennen gelernt. … Ich glaube an die Menschen, und wenn Menschen ermutigt werden, selbst über alle heute verfügbaren Erkenntnisse selbstständig nachzudenken, stellt sich häufig heraus, dass sie nicht an Gott glauben und ein erfülltes, zufrieden stellendes, ja wahrhaft befreites Leben führen.“ Richard Dawkins (2007)
Letztlich stellen Biologen wie Dawkins naturwissenschaftliches Wissen auf eine Stufe mit religiösen Glaubensaussagen. Diesen Kategorienfehler teilen sie mit den Alltagsvorstellungen von Schülerinnen und Schülern (s. 2.4.). Statt den Agnostizismus als Feigheit zu verspotten, sollten sich Dawkins und andere Neoatheisten ihren wissenschaftlichen Lehrmeister zum Vorbild nehmen. Charles Darwin betont in seinem Buch zur „Abstammung des Menschen“: „Ich weiß wohl, dass die Folgerungen, zu denen ich in diesem Werk gelangt bin, von Einigen als in hohem Maße gegen die Religion gerichtet denunziert werden. Wer sie aber in dieser Weise bezeichnet, ist verpflichtet zu zeigen, warum es in höherem Maße 22 Hemminger 2007. Vom ontologischen Naturalismus ist der methodische Naturalismus zu unterscheiden. Letzterer ist Grundlage des naturwissenschaftlichen Vorgehens. 23 Gould 1998.
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gegen die Religion gerichtet sein soll, den Ursprung des Menschen nach den Gesetzen der Abänderung und natürlichen Selektion zu erklären, als die Geburt des Individuums nach den Gesetzen der gewöhnlichen Fortpflanzung.“ Charles Darwin (1871)
Die Bekenntnisse von evolutionsgläubigen Biologen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Einige Naturwissenschaftler – halten Schöpfung und Evolution für konkurrierende Tatsachen; – versuchen religiöse Bedürfnisse durch Evolution zu befriedigen; – verbinden Prinzipien der Evolution mit Fortschrittsglauben; – versprechen sich von Evolution eine Vervollkommnung des Menschen oder ein befreites Leben. Eine Versachlichung der weltanschaulich-religiösen Debatten wäre angebracht24. Wenn jemand naturwissenschaftliche Aussagen religiös deutet und dies als seine persönliche Glaubensüberzeugung vertritt, ist dagegen nichts einzuwenden, sofern damit kein Anspruch auf intersubjektive Wissenschaftlichkeit verbunden ist. Wird Naturwissenschaft als verbindlicher Glaubensinhalt vorgeschrieben, so wird der Charakter der Naturwissenschaft verkannt, die ihren Geltungsbereich durch ihre Methoden selbst beschränkt. Naturwissenschaftliche Aussagen dürfen nicht als Argument für die Wahrheit von Überzeugungen dienen, die außerhalb des durch die naturwissenschaftlichen Methoden abgesteckten Bereichs liegen. Auf der Tatsachenebene sind die verschiedenen Wirklichkeitsbereiche strikt zu trennen: Hier ist die Anschauung zweier nicht überlappender Bereiche von Naturwissenschaft und Religion (Non Overlapping Magisteria, NOMA) angemessen25. Jeder, der bewusst naturwissenschaftliche Aussagen in seinen Glauben oder seine Weltanschauung einbezieht, muss sich davor hüten, die „Autorität“ der Naturwissenschaften für die eigenen Überzeugungen – wie im ontologischen Naturalismus – illegitim in Anspruch zu nehmen. Das gilt spiegelbildlich auch für die Auslegung naturwissenschaftlicher Aussagen durch christliche Philosophen und Theologen (s. 5. und 6.).
24 Vgl. hierzu Körtner 2007; Altner 2009; zur Auseinandersetzung mit Dawkins s. Langthaler / Appel 2009. 25 Gould 2002.
Glaube an die Evolution?
5.
215
Teleologische Irrwege: Der Zweck heiligt nicht das Leben
Teleologie spielt nach wie vor eine große Rolle in religiöser und philosophischer Deutung der Evolution. Das Suchen nach Sinn und Zweck in der Natur und manche Forderung an Naturwissenschaften, dieser Frage nachzugehen, scheint der Überzeugung zu entspringen, dass nur so eine religiöse oder philosophisch angemessene Deutung der Natur möglich sei. Das Rekurrieren auf die aristotelische „causa finalis“ und die angebliche Unverzichtbarkeit von teleologischen Erklärungen in der Biologie kann jedoch im Gespräch mit Naturwissenschaftlern aus methodologischen Gründen nicht zielführend sein. Es kann vielmehr zu Missverständnissen und gegenseitigem Unverständnis Anlass geben. Wer aus der Tatsache, dass Biologen von Funktionen sprechen, schließen will, dass sie auf teleologische Erklärungen (d. h. ihren Gegenständen immanenten Zwecksetzungen) für ihre Erklärungen angewiesen seien, ist sich über den Charakter naturwissenschaftlicher (biologischer) Erklärungen nicht im Klaren. Naturwissenschaftlich gibt es nur kausale Erklärungen. (Die aristotelischen Ursachen sind daher auf die „causa efficiens“ reduziert.) Dabei weiß kein Naturwissenschaftler was „Kausalität“ (an sich) ist und muss es auch nicht wissen, um das Kausalitätsprinzip methodisch strikt anzuwenden. Biologisch gibt es nur zwei Formen der Erklärung: Die aktual kausale Erklärung (Wie kommt es?) und die historisch kausale (Wie kam es dazu?). Die erstere ist allgemein naturwissenschaftlich und betrifft innerhalb der Biologie die Physiologie (z. B.: Wie kommt es, dass Muskelproteine sich zusammenziehen können?), die zweite ist auf historische Naturwissenschaften (neben Biologie Geologie und Kosmologie) beschränkt und betrifft innerhalb der Biologie die Evolutionslehre (z. B.: Wie kam es dazu, dass kontrahierende Muskelproteine entstanden sind?). Leider ist es in der Literatur üblich, auch die Antwort auf die Frage nach Funktionen von biotischen Strukturen als Erklärung zu bezeichnen („funktionale Erklärung“). Tatsächlich handelt es sich bei dieser Antwort aber nicht um eine Erklärung, sondern um die Beschreibung der Funktion von Teilen in einem System (z. B. auf die Frage: Welche Funktion haben Muskelproteine im Muskel?). Die funktionale Beschreibung betrifft die Systemanalyse, mit der die Rolle eines Elements im Systemganzen erfasst wird: Mit der Struktur und der Dynamik eines Systems wird immer schon auch das Verhalten von Teilen im System beschrieben, was dann gern als „Zweck“ dieses Teils für das „Ganze“ bezeichnet wird. Daher sind aus der Beschreibung von Organismen als Systemen keine Zwecksetzung und keine naturwissenschaftliche Relevanz von Finalität abzulesen. Vielmehr wäre eine solche Umschreibung ein Artefakt, da das mit „Zweck“ bezeichnete Verhalten bereits im methodischen Ansatz der System-
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Ulrich Kattmann
analyse enthalten ist: Es steckt nämlich schon darin, dass „Teil“ und „Ganzes“ unterschieden und in Beziehung gesetzt werden. Kein Element philosophischer Tradition, auch keine alte oder neue philosophische Überlegung werden konsequente Naturwissenschaftler dazu verleiten, ihre methodischen Voraussetzungen zu verlassen und teleologische Prinzipien als Erklärungen einzuführen. Teleologische Erklärungen sind bezogen auf Beweggründe zutreffend, die ein absichtsvoll handelndes Lebewesen als seine Motive angibt oder die für ein solches Handeln vermutet werden können. Solche Erklärungen betreffen also die Innenansicht von Handlungen, während Naturwissenschaft nur Verhalten in der für sie nur möglichen Außenansicht beschreiben und erklären kann. Teleologische Erklärungen sind damit auf die Psychologie beschränkt. Obgleich der Begründer der Systemtheorie, Ludwig von Bertalanffy, seine Beschreibung als strikt physikalisch verstehen wollte, sind Systembetrachtungen vielfach philosophisch und metaphysisch ausgedeutet worden (z. B. zur Autopoiesis und Selbstorganisation). Gegenüber unangemessenen Interpretationen der „Natur“ von Systemen ist herauszustellen, dass Systeme nicht in der Natur vorgefunden werden, sondern vom Betrachter konstruiert werden.26 Vor der Analyse eines Systems stehen mehrere Schritte, in denen über den Charakter und den Umfang des Systems entschieden werden muss. Es geht darum, – wo Grenzen des Systems zu ziehen sind, – welche Teile (Elemente) im System unterschieden werden können, – welche Beziehungen (Relationen) zwischen den Elementen für die Beschreibung ausgewählt werden und damit das System erst konstituieren. Bei aller Komplexität, die mit Systembeschreibungen erfasst wird, ist zu beachten, dass die Systembetrachtung eigentlich ein wirksames Mittel zur Reduktion von Komplexität ist: 26 Die folgenden Ausführungen sind als Reaktion auf das Referat von Philipp Clayton zum Systemcharakter der Organismen (s. Beitrag in diesem Band) zu verstehen. Clayton kritisiert zu Recht Dawkins’ reduktiven Genetizismus. Dawkins überträgt zudem seine partikularistische Vorstellung von den „Genen“ mit der Erfindung der „Meme“ ohne jedes physische Korrelat auf die Verbreitung von „Ideen“. Auch ohne diesen idealistischen Ausflug ist das simple Genkonzept von Dawkins – durch die molekularbiologische Einordnung der Gene in das chemische System der Zelle – in der Tat wissenschaftlich längst überholt und zutreffend als „bad science“ zu charakterisieren. Wenn Clayton jedoch den Charakter der genetischorganismischen Systeme umfangreich und detailliert illustriert, so ist zu fragen, was damit gegenüber der atheistischen Position von Dawkins gewonnen ist. Wird damit die Existenz eines Gottes wahrscheinlicher? Sollte man sich auf eine solche Argumentation einlassen? Die Vermutung liegt nahe, als solle mit der Darstellung der Systeme ein Design-Argument eingebracht werden – oder wenigstens eine augenfällige „Zweckmäßigkeit“ und „Sinnhaftigkeit“ in der Natur belegt werden. Solche Annahmen wären als (naturwissenschaftlich) unzulässige Extrapolationen aus den methodisch eindeutig festegelegten Systembeschreibungen zu markieren.
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– Die Vereinfachung besteht zum ersten im Ziehen von Systemgrenzen; – erscheint das System danach zu komplex, um es angemessen wissenschaftlich erfassen zu können, so wird es in kleinere Systeme zerlegt; – eine weitere Vereinfachung kann zum zweiten dadurch erfolgen, dass (an sich komplexe) Teilsysteme als einfache Elemente des Systems behandelt werden (z. B. Organe als Elemente des Organismus). Die Entscheidungen des Betrachters werden von der Natur nicht unbedingt vorgegeben. „Systeme“ sind eben keine in der Natur vorgegebenen Objekte, sondern Konstrukte des systemtheoretischen Vorgehens. Sie werden in die Natur „hineingedacht“. Wenn eine weitergehenden Deutung angestellt werden soll, dann dürfte diese nicht in der Hypostasierung eines Naturzwecks bestehen, sondern könnte allenfalls einem theologischen Schluss „a minore ad maius“ folgen: „Wenn schon Systeme als komplexitätsreduzierte Konstrukte unseres Denkens so komplex sind, dass wir sie kaum fassen können, um wie viel komplexer ist dann wohl die Wirklichkeit, die nicht Gegenstand unserer naturwissenschaftlichen Erkenntnis wird.“ Die Reflexion des naturwissenschaftlichen Vorgehens ist eine Voraussetzung, um zu gültigen Schlüssen zum Verhältnis von Wissen und Glauben zu kommen. Im folgenden Zitat scheint dies anerkannt zu werden: „Es (bereitet) für den Glauben heute keinerlei Schwierigkeit mehr …, die naturwissenschaftliche Hypothese Evolution sich gemäß ihrer eigenen Methode ruhig entfalten zu lassen.“ Joseph Kardinal Ratzinger (1985)
Es ist jedoch bemerkenswert, dass eben die im Zitat herangezogenen methodischen Grenzen der Naturwissenschaft mit Leichtigkeit übersprungen werden, wenn es darum geht, deren Ergebnisse mit Hilfe platonischer Philosophie für das eigene Verständnis von Natur, Rationalität und Vernunft zu reklamieren. Als Papst Benedikt XVI. spricht Joseph Ratzinger in dieser Weise mehrfach von der Rationalität der Materie, am deutlichsten in einem Diskussionsbeitrag zum Symposion „Schöpfung und Evolution“: „Es gibt zum einen eine Rationalität der Materie selbst. Man kann sie lesen. Sie hat eine Mathematik in sich, sie ist selbst vernünftig, selbst wenn es auf dem Wege der Evolution Irrationales, Chaotisches und Zerstörerisches gibt. Aber als solche ist die Materie lesbar. Zum anderen scheint mir, dass auch der gesamte Prozess als Ganzer eine Rationalität hat. Trotz seiner Irrungen und Wirrungen durch den schmalen Korridor hindurch, in der Auswahl der wenigen positiven Mutationen und in der Ausnützung der geringen Wahrscheinlichkeit, ist der Prozess als solcher etwas Rationales.“ (Diskussionbeitrag von Benedikt XVI, in Horn/Wiedenhofer, 152):
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Die hier angenommen „Rationalität“ in der Natur entspricht den zuvor diskutierten „teleologischen Erklärungen“, den in die Natur hineingedachten Systemen und den damit postulierten Zwecksetzungen in der Natur. Hier wie dort werden methodische Schranken übersprungen und (fragwürdige) naturwissenschaftliche Fakten als Argument für die vom eigenen Glauben gespeiste „Vernunft“ gebraucht: Naturwissenschaftliche Aussagen werden zu wissenschaftsförmig artikulierten philosophischen oder quasi-theologischen Argumenten: Die Mathematisierung wird in platonischer Lesart als Eigenschaft der Mathematisierbarkeit zur lesbaren „Rationalität der Materie“. Dabei werden die in der Aufklärung seit Immanuel Kant gewonnenen Einsichten in die Erkenntnisfähigkeit des Menschen und seinen ideologischen Eintrag in die Wissenschaft einfach beiseite gelassen. Mathematik wohnt der Natur nach Kant gerade nicht inne, sondern wird in die Natur hineingetragen, indem: „die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, dass sie mit den Prinzipen ihres Urteils nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müsse.“ (Immanuel Kant 1787, B XIII – XIV)
Vergleicht man die grundsätzlichen Ausführungen Kants mit den aufgeführten Zitaten, so ist deutlich: Religion nimmt hier Naturwissenschaft über Gebühr in Anspruch27. Glaubensaussagen erscheinen dann als überhöhte und Wissenschaft überbietende Behauptungen. Der (berechtigten) Forderung nach methodischer Beschränkung naturwissenschaftlicher Ausagen müsste eigentlich eine reflektierte Selbstbescheidung von Glaubensaussagen entsprechen. Das Hineindeuten von Zwecken und Sinn in naturwissenschaftliche Aussagen, das Rekurrieren auf die Komplexität und funktionale „Erklärungen“ von Systemen wie auch die platonische Inanspruchnahme von Wissenschaft und Vernunft sind Zeichen methodischer Blindheit.
6.
Trügerische Hoffnung: Evolution wächst nicht in den Himmel
Die Vorstellung, dass die Schöpfung ein Ziel habe und der Mensch eben dieses Ziel sei, gründet in der alten Vorstellung der Skala der Naturwesen, an deren Spitze der Mensch platziert wird. Diese Anschauung spiegelt sich auch in den zitierten Alltagsvorstellungen von Jugendlichen wider (s. 2.1.).28 Manche biologische Darstellungen scheinen Ähnliches zu suggerieren, wenn 27 Zur philosophischen Begründung dieser Kritik s. auch Langthaler 2009. 28 Die Übereinstimmung beruht wahrscheinlich auf ähnlichen lebensweltlichen Erfahrungen, nicht auf direkter Übernahme der alten Ideen durch die Schülerinnen und Schüler.
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der Mensch als „höchst entwickeltes Lebewesen“ bezeichnet und „evolutionärer Forschritt“ als Bewegung zum Höheren beschrieben wird, als sei er ein ehernes Gesetz der Evolution. In Charles Darwin finden die Anschauungen von „hoch“ und „nieder“ sowie zwangsläufiger Höherentwicklung sowie einer natürlichen Vorrangstellung des Menschen keinen Anwalt: „Es ist absurd, davon zu reden, dass ein Tier höher stehe als ein anderes. Wir Menschen betrachten diejenigen mit den entwickeltsten geistigen Fähigkeiten als die höchsten. Eine Honigbiene würde zweifellos die Instinkte als Kriterium heranziehen.“ Charles Darwin (1837)
Wie kommt es aber zu dem Augenschein, dass überall in der Evolution „Komplexität“ und „Organisationshöhe“ zuzunehmen scheinen? Konvergieren hier doch Schöpfungsvorstellungen und Evolutionstheorie, sodass die Evolution gleichsam in den Himmel wächst? Das evolutionäre Phänomen der Komplexitätszunahme erläutert Stephen Jay Gould mit dem statistischen Modell vom „Weg des Betrunkenen“ (Abb. 2): Wenn man annimmt, dass der Betrunkene nur vorwärts oder rückwärts gehen kann, lässt sich sein rein statistisch bestimmter Weg simulieren: Man benötigt dazu nur einen Würfel und eine Münze, eine Spielfigur und ein „Spielfeld“. Die Zahl auf dem geworfenen Würfel bestimmt die Anzahl der Schritte, ein zugehöriger Münzwurf (Zahl oder Bild) gibt die Richtung (vor oder zurück) an. Man setzt die Spielfigur entsprechend den Würfen und zählt die Würfel-/MünzWürfe bis zu dem Wurf, mit dem der „Betrunkene“ in der „Gosse“ landet. Denn dort landet er aus statistischen Gründen zwangsläufig: „In einem System geradliniger Bewegungen, die aus Gründen der Struktur auf einer Seite eingeschränkt sind, führt zufällige Bewegung ohne jede Bevorzugung einer Richtung zwangsläufig dazu, dass sich die durchschnittliche Position von dem Ausgangspunkt an der Wand entfernt“29. Der „Weg des Betrunkenen“ ist ein Modell für den „Fortschritt“ in der Evolution. Bei Zu- und Abnahme von Komplexität gibt es in der Evolution ebenfalls eine „linke Wand“: Da eine Mindestgröße und ein Mindestmaß an Komplexität (worin immer sie auch bestehen mag) nicht unterschritten werden können, ohne die Lebensfähigkeit zu verlieren, ist eine Komplexitätszunahme der Lebewesen die zwangsläufige Folge, ohne dass eine gerichtete Entwicklung oder eine Steuerung durch einen „Lenker der Evolution“ angenommen werden müsste. Es ergibt sich eine Zunahme der Mittelwerte und der Extremwerte von der „linken Wand“ zur rechten Seite hin, also ein Scheintrend, der auf ungerichteter Variation beruht. Es entstehen also in der Evolution tatsächlich auch größere und 29 Gould 1998.
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Abb. 2: Der Weg des Betrunkenen (Gould 1998). Der Betrunkene landet aus statistischen Gründen unweigerlich in der Gosse (s. Text).
auch komplexer aufgebaute Lebewesen. Aber die ziel- und absichtslosen Prozesse der Evolution führen nicht zur Überlegenheit oder zu Höherem, sondern zur Vermehrung von Lebenschancen und damit zu größerer Vielfalt von Lebensweisen und Lebensformen30. Weder die Annahme von Sinnlosigkeit (bloßer „Zufall“) noch eine Richtung auf gesetzmäßig sich einstellenden Fortschritt sind naturwissenschaftlich zu belegen. Naturwissenschaft macht dazu schlicht keine Aussage. Naturwissenschaftliche Aussagen zur Evolution liefern als solche keinen Grund, um in ihnen den Sinn und das Ziel menschlicher Existenz oder der Natur überhaupt ausmachen zu können. Das gilt für evolutionistische und andere religiöse Anschauungen gleichermaßen.
7.
Dialog: biblisch-biologische Korrespondenzen „Es liegt etwas Erhabenes in dieser Ansicht vom Leben, das mit seinen vielfältigen Kräften ursprünglich einigen wenigen oder nur einer Form eingehaucht wurde,
30 Die Frage von Ziel und Richtung in der Evolution ist ausführlich dargestellt bei Kattmann 2007.
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und – während sein Planet fortwährend kreist nach den ehernen Gesetzen der Schwerkraft – , sich aus einem so einfachen Beginn zu unendlich vielen schönster und wundervollster Formen entwickelt hat und noch entwickelt.“ Charles Darwin (1859)
Darwin setzt in seinem berühmten Schlusswort zur „Entstehung der Arten“ die Entfaltung der Lebenswelt gegen die ewigen Gesetze, nach denen der Planet Erde unveränderlich seine Bahn zieht. Wir lesen aus den Zeilen vor allem die Entwicklung zu höherer Organisation und Lebensweise heraus, die Darwin anklingen lässt. Den damit angesprochenen Fortschrittsglauben seiner Zeitgenossen teilt er jedoch nicht: Er zeichnet keine gerade Linie nach oben, sondern nimmt den ganzen belebten Planeten in den Blick: Der Ton seines „Schöpfungshymnus“ liegt auf der Dynamik und Veränderung der Lebenswelt gegenüber der Statik und Konstanz der Planetenbewegung aufgrund ewig gültiger Gravitationsgesetze, er liegt auf der Entstehung der Vielfalt gegenüber dem ewig Gleichen, auf der Geschichte und Genealogie der organischen Wesen gegenüber der Annahme einer ein für allemal erfolgten Schöpfung konstanter Arten. Dabei bedient er sich mit dem Einhauchen eines Bildes aus den biblischen Schöpfungsvorstellungen. Vom Schöpfungshymnus Darwins bietet es sich an, das biblische Schöpfungslied zu betrachten, das gewöhnlich als „Schöpfungsbericht“ bezeichnet wird. In Wahrheit ist es ein liturgisches Lied zum Gotteslob und dient anhand der sieben Tage zur Begründung der Sabbatruhe31. Ein grober Fehler mancher Evolutionsbiologen besteht darin, kreationistische Aussagen als bare Münze des christlichen Schöpfungsglaubens zu nehmen. In theologischer Sicht sind die Schöpfungserzählungen und der sich auf biblische Zeugnisse beziehende Schöpfungsglaube zu wichtig, um ihre Auslegung Kreationisten zu überlassen. Theologische Argumente gegen Kreationismus betonen den kategorialen Unterschied zwischen Naturwissenschaft und Religion und die religiösen Aussagen biblischer Texte mit der in ihnen enthaltenen besonderen Perspektive der Welterschließung. Es kommt also darauf an, die unterschiedlichen Perspektiven zu beachten und gegebenenfalls füreinander fruchtbar zu machen32. Die kreationistischen Überzeugungen gehen demzufolge mit ihrer buchstäblichen Auslegung an dem redlichen Sinn der Schöpfungstexte vorbei: „Man kann die Bibel entweder wörtlich nehmen oder ernst nehmen. Beides zugleich geht nicht.“ Pinchas Lapide, jüdischer Theologe, 1922 – 1997
31 Vgl. Nipkow 2007. 32 Vgl. Kattmann 1998; 2009.
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Abb. 3: „Am siebten Tag ruhte Gott“, Schöpfungstage, gezeichnet von Jens, 9 Jahre (Kattmann 1998). Links: Schöpfungstage der Scheidung der Elemente: 1 Scheidung von Licht und Finsternis, 2 Scheidung der Wasser über dem Himmelsgewölbe und unter dem Himmelsgewölbe, 3 Scheidung von Wasser und Land (und Heraussprießen der Pflanzen). Rechts: Tage der Erschaffung der Geschöpfe: 4 Schaffen der Sonne, Mond und Gestirne (bei den Babyloniern Götter, jetzt Lampen zur Beleuchtung von Tag und Nacht), 5 Schaffen der Geschöpfe des Himmels und des Wassers, 6 Schaffen der Landtiere (einschließlich Mensch).
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Der Text zur Schöpfung von 1. Mose 1,1 – 2,3 ist von Priestern während des Zwangsexils der Elite Israels vor etwa 2500 Jahren in Babylon verfasst worden. Sein Inhalt ist auf dem Hintergrund des babylonischen Schöpfungsmythos zu verstehen, der in Frontstellung gegen den babylonischen Polytheismus zu einem Loblied für den Gott Israels umgeschrieben wurde. Damit wird das Prinzip durchbrochen, die jeweiligen örtlichen Gottheiten anzubeten. Der Gott Israels wird nunmehr als universaler Gott verstanden, der auch im Exil verehrt werden soll. Die Abfolge in der Schöpfung spiegelt die Ordnung der Welt in Lebensbereiche und Phänomene wider (Abb. 3): Werke der Scheidung der Elemente (Tage 1 bis 3). Werke der Erschaffung der Geschöpfe (Tage 4 bis 6). Wie die Überhöhung biologischer Aussagen über eine Sonderstellung des Menschen biologiefachlich zu korrigieren ist33, so gleichermaßen theologische Aussagen, welche die Erschaffung des Menschen fälschlich als Ziel der Schöpfung anpreisen. Das Schöpfungslied erzählt, dass der Mensch am 6. Tag geschaffen wurde. Als Geschöpf des 6. Tages ist der Mensch eins mit den Landtieren und eingeordnet in die Komposition der Schöpfungswoche (würde er als „Krone“ der Schöpfung verstanden, hätte er wohl einen eigenen Schöpfungstag verdient). Das Besondere der Erschaffung des Menschen liegt nach der Erzählung nicht in besonderen natürlichen Eigenschaften des Menschen, sondern in der göttlichen Selbstaufforderung „Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde.“ Wenn der Mensch ausgezeichnet wird, dann durch die Beziehung zum Schöpfer, die durch diesen und nicht durch besondere Fähigkeiten des Geschöpfs gestiftet wird. Eben darin besteht auch die meist missverstandene Aussage vom Ebenbild Gottes. Das Schöpfungslied erzählt weiter, dass Gott am siebten Tag ruhte. Nach alter rabbinischer Auslegung sind mit der Ruhe Gottes die Vollendung und das Ziel der Schöpfung angegeben. Das Ziel der Schöpfung ist danach nicht der Mensch, sondern der Schöpfer selbst. In der Ruhe Gottes in seiner Schöpfung ist die Schöpfung als Ganze vollendet. Damit ist auch gesagt, dass das Ziel eben nicht in der Schöpfung selbst oder einem ihrer Teile zu suchen ist. Das passt zu den Aussagen biologischer Wissenschaft, dass Evolution selbst ohne naturwissenschaftlich erkennbares Ziel abläuft (s. 6.). Der Mythos bzw. die biblische Dichtung enthält keine naturwissenschaftlichen Aussagen über die Entstehung der Lebewesen, im engeren Sinne nicht einmal Aussagen über die Vergangenheit. Sie sind vielmehr Aussagen zum Verständnis der Gegenwart.34 33 Kattmann 2007. 34 Bernhard Dressler (Dressler 2008) macht darauf aufmerksam, dass die Fixierung auf die kosmologische Ebene über die oben genannten Korrespondenzen hinaus ein Defizit reli-
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Von den Inhalten des biblischen Schöpfungsglaubens her gibt es mindesten zwei Korrespondenzen zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen: – Die erste betrifft die Einheit der Schöpfung bzw. das eine Lebensgefüge des Planeten Erde – Die zweite die Einheit der Menschheit als Ebenbild (Partner) Gottes im Adamund Noah-Mythos bzw. die naturgeschichtliche und genetische Einheit der Art Homo sapiens. Die Korrespondenzen entstammen verschiedenen Zugängen zur Wirklichkeit. Sie betreffen deshalb keineswegs die Tatsachenebene, als könne die eine Seite die andere im Wahrheitsgehalt stützen. Sie verbinden die verschiedenen Kategorien aber auf der Sinn- und Handlungsebene. Korrespondenzen sind auf der Sinnebene zu suchen: Schöpfung und Evolution sind in den verschiedenen Perspektiven von Glauben und Wissen miteinander zu denken, wenn es um existentielle Fragen geht. Religiöser Glaube und naturwissenschaftliches Wissen liefern dann beide Motive zum verantwortlichen Handeln, die zusammenspielen und einander verstärken können: – Ein Motiv ist die Sorge um die Schöpfung bzw. den Erhalt der Lebensgrundlagen auf dem Bioplaneten Erde. – Das zweite Motiv betrifft das Eintreten für Menschenwürde und Menschenrechte gleichermaßen für alle Menschen. Naturwissenschaftliches Wissen ist dabei eine unverzichtbare Hilfe, nicht nur das Gute zu wollen, sondern auch das unter den jeweiligen Bedingungen Richtige zu tun. Dazu gehört das Beachten ökologischer Zusammenhänge und menschlicher Grundbedürfnisse.
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Abbildungen Abb. 1 aus: Sommer 1989 / Abbildung 1. Abb. 2 aus: Gould 1998. Abb. 3 aus: Kattmann 1998.
„Evolution“ weiterdenken
William Carroll
Creation and a Self-Sufficient Universe
Entwicklungen in den modernen Wissenschaften, insbesondere in der Evolutionsbiologie wurden verwendet um damit eine Art “Totalnaturalismus” zu rechtfertigen, demzufolge das Universum und die Prozesse in ihm keinerlei Erklärung jenseits der Kategorien der Naturwissenschaften selbst brauchen. Entweder spricht man von selbstorganisierenden Prinzipien in Lebewesen oder von Prozessen der Emergenz. Dabei wird oft die Schlussfolgerung gezogen, dass die Natur sich selbst genügt und jede Berufung auf einen Schöpfer bestenfalls irrelevant ist. Thomas von Aquin bietet wichtige Einsichten dafür an, wie man einen starken Begriff von der Schöpfung aus dem Nichts und der relativen Autonomie natürlicher Prozesse behaupten kann, mit dem es möglich ist, sowohl die Schlussfolgerungen der Evolutionsbiologie als auch das traditionelle Verständnis von Gott als der Ursache für alles das ist, anzunehmen. Die Evolution anzunehmen verlangt nicht, dass man entweder Gott ablehnen oder irgendeine Form von Prozesstheologie aufnehmen oder ein kenotisches Verständnis von Gott als Schöpfer akzeptieren müsste. Göttliches Wirken, wie Thomas es versteht, konkurriert nicht mit der natürlichen Selektion, so dass man, sozusagen, zwischen Darwin und Gott wählen müsste. Thomas bietet uns einen Weg an, die “geschaffene Autonomie” der Welt zu erkennen und dabei den Entdeckungen moderner Wissenschaft treu zu sein. The International Film Festival in Toronto in September 2009 was the venue for the premiere of the British film, “Creation”, the subtitle of which is “How Darwin Saw the World [and] Changed It Forever”. The film is based on the book, Annie’s Box: Charles Darwin, His Daughter, and Human Evolution, by Randal Keynes, a great-great grandson of Darwin.1 The focus of the book and the film is the importance to Darwin of the death of his ten-year old daughter, Annie, in 1851. As Janet Browne writes in her biography of Darwin: “This death was the formal beginning of Darwin’s conscious dissociation from believing in the traditional 1 The book is being republished with the title: Creation: The True Story of Charles Darwin.
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figure of God. The doctrines of the Bible that [his wife] Emma took comfort in were hurdles he could not jump.”2 One of the scenes in the movie is an encounter between Darwin and a young orangutan in the London zoo. Above the title “Creation” in the advertisement for the film is a picture of Darwin and the orangutan reaching out to one another, each with a finger almost touching the other’s finger : an obvious reminder of the scene on the ceiling of the Sistine Chapel of God’s creating Adam. Although the film is more of a melodrama than a didactic work, the title, “Creation”, suggests a scientific alternative to religious belief. The film was shown in many countries throughout the world but not in the United States until near the end of January 2010.3 The delay in the release of the film in the United States is an example of how discussions about creation and evolution can easily become obscured in broader political, social, and philosophical contexts. Indeed, evolution and creation have taken on cultural connotations, serve as ideological markers, with the result that each has come to stand for a competing world-view. Michael Ruse4 notes that “creationism” and what he calls “evolutionism” have come to represent rival religious views of the world: “rival stories of origins, rival judgments about the meaning of human life, rival sets of moral dictates. …” What Ruse calls “evolutionism” is a collection of cultural claims which have their roots in, but ought to be distinguished from, the scientific discipline of evolutionary biology. Similarly, too often “creation” is confused with various forms of “creationism”, which embrace either a literalistic reading of the Bible or think that creation must mean a kind of divine intervention in cosmic history with God’s directly creating each individual species of living things. For some, to embrace evolution is to affirm an exclusively secular and atheistic view of reality, and evolution is accordingly either welcomed or rejected on such grounds. In the Darwin film, for example, when a clergyman comes to visit a sick and despondent Charles Darwin, he seeks to reassure Darwin by telling him that “God moves in mysterious ways”. To which Darwin replies: yes, “he has endowed us – in all his blessed generosity – with not one but 900 species of intestinal worm”. On another occasion, the character who plays Thomas Huxley tells Darwin: “Sir, you have killed God.” Even if we resist such a harsh conclusion, we might be attracted to the claim of the Catholic theologian, John Haught, that after the life and work of Charles Darwin “any thoughts we may have about God can hardly remain the same as before.” As Haught observes, 2 Browne 2003, p. 503. 3 The U.S. distributor of the film, Newmarket Films, is the company that released: The Passion of the Christ. 4 Ruse 2005.
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“Evolutionary science has changed our understanding of the world dramatically, and so any sense we may have of a God who creates and cares for this world must take into account what Darwin and his followers have told us about it.”5 Despite attempts of process theologians and philosophers to re-fashion our views of God and His relation to the world, such that they would appear more congenial in an evolutionary context, the choice for many often seems to be between a purely natural explanation of the origin and development of life, an explanation in terms of common descent, genetic mutations, and natural selection as the mechanism of biological change, on the one hand, and, on the other hand, an explanation which sees divine agency as the source of life in all its diversity and that human beings, created in the image and likeness of God, have a special place in the universe. The difference appears stark: either Darwin or God.
A Self-Sufficient Universe The sense of a fundamental incompatibility between creation and evolution is enmeshed in a broader intellectual framework which is captured in the title of my presentation. This wider context has its source in recent developments in the natural sciences, especially in cosmology and biology, which have led to wideranging speculations about implications for traditional theological and philosophical understandings of creation, that is, of the complete dependence of all that is on the unique creative act of God. Often these scientific developments have been used to support a kind of “totalizing naturalism” according to which the universe and the processes within it need no explanation beyond the categories of the natural sciences. To some degree, such a conclusion corresponds to the philosophical claim that existence is a “brute fact” which does not call for any explanation beyond itself. Thus, only the emergence of new things from already existing realities, or their going out of existence, or other varieties of change, need to be explained; what does not need to be explained, so this position contends, is the mere existence of that which changes. The argument is that the natural sciences are fully sufficient, at least in principle, to account for all that needs to be accounted for in the universe. Whether we speak of purported explanations of the Big Bang itself (such as quantum tunneling from nothing) or of some version of a multiverse hypothesis, or of self-organizing principles in biological change (including, at times, appeals to randomness and chance as ultimate explanations), the conclusion which seems inescapable to many is that there is no need to appeal to a creator, that is, 5 Haught 2000, p. ix.
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to any cause which is outside the natural order. This is a point made with particular clarity by Jean-Michel Maldam¦: “La nature est comprise comme auto-cr¦atrice, ce terme connotant que la notion classique de cr¦ation est devenue inutile. La Nature – et il convient d’¦crire le mot avec un majuscule – est autosuffisante pour produire non seulement ses effets, mais pour se produire … La notion de cr¦ation disparat dans cette perspective de la r¦flexion.”6
Note his emphasis on the widespread view that Nature is self-sufficient and that, accordingly, the traditional doctrine of creation has more or less disappeared, or has at least lost its currency. It is this topic, the self-sufficiency of nature, and its relation to the doctrine of creation, which will be the focus of this essay. Heinrich Caro, a German chemist, writing a little more than a century ago, noted that “science has conducted God to its frontiers, thanking him for his provisional services.”7 Stephen Hawking, commenting upon the implications of his own view that the universe does not have a beginning, concluded that there is nothing for a creator to do; the universe just is. Richard Dawkins and Daniel Dennett, working from principles of evolutionary biology, reach a similar conclusion. Dawkins writes, in what have become famous phrases, that belief in God “is a computer virus of the mind” and that the universe disclosed by evolutionary biology “has precisely the properties we should expect if there is, at bottom, no design, no purpose, no evil and no good, nothing but blind, pitiless indifference.”8 Terrence Deacon, author of The Symbolic Species: The Co-evolution of Language and the Brain, makes the following claim: “Evolution is the one kind of process able to produce something out of nothing. … [A]n evolutionary process is an origination process. … Evolution is the author of its spontaneous creations.”9 In some contemporary cosmological circles there is a clear desire to get rid of “the troubling singularity” of the Big Bang since, so conceived, the Big Bang has at times been identified with an original act of creation: the most famous example of the Big Bang used to support creation is the work of William Lane Craig. Craig and others argue that, since science shows us that the universe began in a kind of primal event – the Big Bang – we are compelled to accept the existence of a Creator as the cause of this event. But now, not only are there various theories to explain an initial Big Bang in exclusively scientific terms, cosmologists like Neil Turok of Cambridge University, using a development of “super string theory”, offer a model in which the birth of the present universe is the result of a collision of enormous four-di6 7 8 9
Maldam¦ 2006, p. 153. From the preface to the English version of Haeckel 1934 by Joseph McCabe, p. ix. Dawkins 1986, p. 6. Deacon 1997, p. 458.
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mensional membranes. Turok’s universe is, as he says, “philosophically very appealing. … Time is infinite, space is infinite, and they have always been here. … It is exactly what the steady-state-universe people wanted. Our model realizes their goal [that is, a universe without a cause ‘beyond’ itself].”10 As Turok notes, many cosmologists in the 1950s and early 1960s were reluctant to accept the Big Bang theory because if the universe were thought to have such a beginning then the initial conditions would have to be in some sense accidental, that is, not included within the framework of the natural sciences. The initial conditions, thus, would have to have a source beyond the explanatory domain of the natural sciences: a source which some thought must mean God. Cosmologists in the Soviet Union, well into the 1960s, were forbidden to teach Big Bang Cosmology, since authorities deemed it to be “theistic science”. Turok’s recent book, coauthored with Paul Steinhardt, has the revealing title, The Endless Universe, since he and Steinhardt propose endless collisions and rebirths, one big bang after another, after another.11 There is no need to appeal to a Creator ; we just happen to live in one universe among an infinite number. The multiverse needs no explanation beyond itself: the multiverse does not need a creator. In a book published in 2008, Stuart Kauffman, famous for his work on information systems and bio-complexity, argues that we are “reinventing the sacred” as a result of a new view of science. This new view involves a rejection of reductionism and an affirmation of the emergent properties of a dynamic universe of “ceaseless creativity”. As he observes, “life has emerged in the universe without requiring special intervention from a Creator God. … All, I claim arose without a Creator God. … Is not this view, a view based on an expanded science, God enough? Is not nature itself creativity enough? What more do we really need of God. …?”12 As Pope Benedict XVI has frequently noted, there continue to be attempts, from the time of the Enlightenment to the present day, to find in the natural sciences “an explanation of the world in which God would be unnecessary.”13 In a lecture in 1999 at the University of Paris the then Cardinal Ratzinger observed that “the theory of evolution has increasingly emerged as the way to make metaphysics disappear, to make the [so-called] ,hypothesis of God‘ superfluous, and to formulate a strictly ‘scientific’ explanation of the world. A comprehensive theory of evolution, intended to explain the whole of reality, has become a kind of ‘first philosophy’, which represents, as it were, the true foundation for an enlightened understanding of the 10 Quoted in Charles Seife, “Eternal-Universe Idea Comes Full Circle”, Science, vol. 296 (26 April 2002), 639. 11 Turok / Steinhardt 2007. 12 Kauffman 2008, p. 71, 229, 283. 13 Pope Benedict XVI 2006.
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world. Any attempt to involve any basic elements other than those worked out within the terms of such a ‘positive’ theory, any attempt at ‘metaphysics’, necessarily appears as a regression from enlightenment, as abandoning the universal claims of science. Thus the Christian idea of God is necessarily regarded as unscientific…”14
As I have suggested, the universe described by contemporary science is often viewed as a self-contained universe, exhaustively understood in terms of the principles and laws of science. In such a universe there would seem to be little if any need for the God of Jewish, Christian, or Muslim revelation. The traditional doctrine of creation appears obsolete in the face of the recent advances of science. The role of a creator has, so it seems, been rendered superfluous; a creator represents, at best, an intellectual artifact from a less enlightened age. One source of confusion in such an analysis is to see God’s creative act essentially as the explanation for order and design in nature: that is, to identify creation with the causing of order and design. As evolutionary biology, for example, claims to be able to explain order and design without an appeal to an orderer or designer, but exclusively on the basis of natural processes, it appears to many that there is no longer a role for God to play. Another confusion, evident in cosmological discourse, is to identify creation necessarily with a temporal beginning of the universe: so, if we deny such a beginning we seem to deny creation. I want to mention briefly one sophisticated approach to understanding living systems in terms of self-organization, which has been used to deny the need of any appeal to a Creator. Two Chilean scientists, Humberto Maturana and the late Francisco Varela, have argued that living systems ought to be seen as self-contained unities whose only reference is to themselves. These living systems are autonomous, self-referring, and self-constructing. Maturana and Varela coined 14 The Pope called into question “the development of evolutionary theory into a generalized philosophia universalis, which claims to constitute a universal explanation of reality and is unwilling to allow the continuing existence of any other level of thinking… The question that now has to be put certainly delves deeper : it is whether the theory of evolution can be presented as a universal theory concerning all reality, beyond which further questions about the origin and nature of things are no longer admissible and indeed no longer necessary, or whether such ultimate questions do not after all go beyond the realm of what can be entirely the object of research and knowledge by natural science… The question is whether reason, or rationality, stands at the beginning of all things and upon their foundation or not. The question is whether reality originated on the basis of chance and necessity… and, thus, from what is irrational; that is, whether reason, being a chance by-product of irrationality and floating in an ocean of irrationality, is ultimately just as meaningless; or whether the principle that represents the fundamental conviction of Christian faith and of its philosophy remains true: ‘In principio erat Verbum’ – at the beginning of all things stands the creative power of reason. Now, as then, Christian faith represents the choice in favor of the priority of reason and of rationality… Even today, by virtue of its choosing to assert the primacy of reason, Christianity remains ‘enlightened,’ and I think that any enlightenment that cancels this choice must, contrary to all appearances, mean, not an evolution, but an involution, a shrinking of enlightenment…”. Ratzinger [1999] 2004, pp. 178 – 183.
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the term autopoiesis15 to describe such living systems, and they think that they are able to describe any living thing as an “autopoietic machine”.16 This type of machine “continuously generates and specifies its own organization through its operation as a system of production of its own components”.17 Autopoietic organization, the defining feature of living systems, is quite different from crystal organization; the latter is “a domain of relations among components, not of relations among processes of production of components…”18 Autopoiesis excludes any appeal to purpose in nature, since “purpose and function have no explanatory value in the phenomenological domain which they pretend to illuminate, because they do not refer to processes indeed operating in the generation of any of its phenomena.” Purpose is only a notion in the domain of the observer ; “[l]iving systems, as physical autopoietic machines, are purposeless systems.”19 For Maturana and Varela, everything about a living system can be reduced to its autopoiesis.20 Self-organizing and autopoietic systems have increasingly come to describe the development of complex orders of being without any outside intervention.21 For some this means that God is irrelevant to nature. The extent to which biologists, when they speak about self-organization, move beyond the domain of biology to make broad claims about “self-creation” and that, accordingly, there is no need to appeal to a source of existence of living things, is the extent to which their claims are broadly metaphysical. This is what Pope Benedict XVI means when he refers to the unfortunate tendency to turn evolutionary biology into a philosophia universalis.22 An important feature of these philosophical claims, namely, that “self-creation” and “self-sufficiency” evident in the natural order eliminate the need to appeal to God, involves conceptions of God and creation which, even if shared by some believers, are really not the same as those found in traditional philosophy and theology. 15 Its Greek roots result in the word’s meaning “self-creating” or “self-producing”. 16 “An autopoietic machine is a machine organized (defined as a unity) as a network of processes of production that produces the components which: (i) through their interactions and transformations continuously regenerate and realize the network of processes (relations) that produced them; and (ii) constitute it (the machine) as a concrete unity in the space in which they (the components) exist by specifying the topological domain of its realization as such a network.” Maturana / Varela1980, pp. 78 – 79, in the original 1994, p. 69. 17 Ibid. 18 Ibid, p. 80. 19 Ibid., p. 86. Italics in the original. 20 Ibid., p. 88. 21 Stuart Kauffman writes of the “spontaneous formation of collectively autocatalytic sets”. Kauffman 2008, p. 59. “The radical implication is that we live in an emergent universe in which ceaseless unforeseeable creativity arises and surrounds us… . This emergent universe, the ceaseless creativity in this universe, is the bedrock of the sacred that I believe we must reinvent.” Ibid., p. 130 22 Ratzinger [1999] 2004; see note 14.
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The Harvard biologist, Richard Lewontin, famously warned that science must guard against allowing a “Divine Foot into the door” of explanations of nature. All truly scientific explanations must be framed in terms of what is often called the methodology of naturalism – a methodology which must be rigorously protected and which, for many, involves a commitment to a metaphysical naturalism, a modern form of materialism.23 The fear of the “Divine Foot” is based on a philosophical understanding (and ultimately, I would argue, misunderstanding) of the Creator and of divine agency. For Lewontin, God would be a competing cause in the world. The fear is that any causality one attributes to God must, accordingly, be denied to creatures. This is precisely the fear which informs many who defend creation against evolution as well as those who defend evolution against creation: both opposing sides view the general terms of the discourse in the same way. In either case, God and creatures are seen, erroneously, I think, to be causes which, although differing significantly in degree, fall within the same explanatory category. Accordingly, the more one appeals to nature as self-explanatory, the less one appeals to God – or vice versa.
The Contribution of Thomas Aquinas In this essay I want to argue, briefly, for the value of a return to the Middle Ages, and particularly to Thomas Aquinas, to evaluate contemporary claims about a self-sufficient universe. Mediaeval discussions about creation (especially the intelligibility of creatio ex nihilo), divine agency, and the autonomy of nature, and ultimately the very possibility of the natural sciences’ discovering real causes in nature, provide a rich source of insights for us today. What Avicenna, Maimonides, and Thomas Aquinas, for example, saw so clearly, that creation is an account of the existence of things, not of changes in and among things, allows us to conclude that there is no contradiction between creation, so understood, 23 “[When science speaks to members of the general public] the problem is to get them to reject irrational and supernatural explanations of the world, the demons that exist only in their imaginations, and to accept a social intellectual apparatus, Science, as the only begetter of truth… . We take the side of science in spite of the patent absurdity of some of its constructs, in spite of its failure to fulfill many of its extravagant promises of health and life, in spite of the tolerance of the scientific community for unsubstantiated just-so stories, because we have a prior commitment, a commitment to materialism. It is not that the methods and institutions of science somehow compel us to accept a material explanation of the phenomenal world, but, on the contrary, that we are forced by our a priori adherence to material causes to create an apparatus of investigation and a set of concepts that produce material explanations, no matter how counter-intuitive, no matter how mystifying to the uninitiated. Moreover, that materialism is absolute, for we cannot allow a Divine Foot in the door.” Lewontin 1997. Italics in the original.
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and any conclusion in the natural sciences. Avicenna makes the crucial observation that metaphysicians and natural philosophers discuss agent causality in different senses and that creation falls under the kind of causality appropriate for analysis in metaphysics, not in the natural sciences: “… the metaphysicians do not intend by the agent the principle of movement only, as do the natural philosophers, but also the principle of existence and that which bestows existence, such as the creator of the world.”24 The key to Thomas Aquinas’ analysis, for example, is the distinction he draws between creation and change, or, as he often remarked: creatio non est mutatio. Creation, as a metaphysical and theological notion, affirms that all that is, in whatever way or ways it is, depends upon God as cause. The natural sciences, whether Aristotelian (with which Thomas was primarily concerned) or those of our own day, have as their subject the world of changing things: from subatomic particles to acorns to galaxies. Whenever there is a change there must be something that changes. Whether these changes are biological or cosmological, without beginning or end, or temporally finite, they remain processes. Creation, on the other hand, is the radical causing of the whole existence of whatever exists. To cause completely something to exist is not to produce a change in something, is not to work on or with some existing material. If, in producing something new, an agent were to use something already existing, the agent would not be the complete cause of the new thing. But such complete causing is precisely what creation is. To create is to cause existence, and all things are totally dependent upon the Creator for the very fact that they are. As Thomas remarks in his treatise, De substantiis separatis [c. 9]: “Over and above the mode of becoming by which something comes to be through change or motion, there must be a mode of becoming or origin of things without any mutation or motion, through the influx of being.” Evolutionary biology, cosmology, and all the other natural sciences offer accounts of change; they do not address the metaphysical and theological questions of creation. The failure to recognize this distinction is the source of much of the contemporary confusion concerning the relationship between theology and science. For Thomas, creation is not primarily some distant event; rather, it is the ongoing complete causing of the existence of all that is. At this very moment, were God not causing all that is to exist – from subatomic particles to the color of the sky, to our own thoughts, hopes, and dreams – were God not to be causing everything that is, there would be nothing at all. Creation, for Thomas, concerns first of all the origin of the universe, not its temporal beginning. Indeed, it is important to recognize his distinction between origin and beginning. The former affirms the complete, continuing dependence of all that is on God as cause. 24 Avicenna 1983, p. 248.
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Although Thomas believed, as a matter of faith, that the universe had a temporal beginning, he thought that there was no contradiction in the notion of an eternal, created universe: for were the universe to be without a beginning it still would have an origin, it still would be created. Those contemporary cosmological theories which employ a multiverse hypothesis or an infinite series of big bangs would not, for Thomas, challenge the fundamental feature of what it means to be created. So, no matter how many universes there might be, every one of them would be a created universe. To avoid confusion, we need also to recognize different senses of how we use the term “to create”. We often speak of human creations, especially with respect to the production of works of art, music, and literature. What it means for God to create is radically different from any kind of human making. When human beings make things they work with already existing material to produce something new. The human act of creating is not the complete cause of what is produced; but God’s creative act is the complete cause of what is produced; this sense of being the complete cause is captured in the expression “out of nothing”. To be such a complete cause of all that is requires an infinite power, and no creature, no human being, possesses such infinite power. God wills things to be and thus they are. Creatures, both animate and inanimate, are real causes of the wide array of changes that occur in the world, but God alone is the universal cause of being as such. Creatures are what they are (including those which are free), precisely because God is present to them as cause. Were God to withdraw, all that exists would cease to be. Creaturely agency and the integrity of nature, in general, are guaranteed by God’s creative causality. Here is how Thomas expresses this view in the Summa theologiae: “Some have understood God to work in every agent in such a way that no created power has any effect in things, but that God alone is the ultimate cause of everything wrought; for instance, that it is not fire that gives heat, but God in the fire, and so forth. But this is impossible. First, because the order of cause and effect would be taken away from created things, and this would imply lack of power in the Creator, for it is due to the power of the cause, that it bestows active power on its effect. Secondly, because the active powers which are seen to exist in things, would be bestowed on things to no purpose, if these wrought nothing through them. Indeed, all things created would seem, in a way, to be purposeless, if they lacked an operation proper to them, since the purpose of everything is its operation … We must therefore understand that God works in things in such a manner that things have their proper operation …”25
God is so powerful that His causal agency also produces the modality of its effect: the effect is assimilated to God’s will in every way so that not only what happens 25 Thomas Aquinas, S.T. I, q. 105, a. 5.
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occurs because God wills it to happen, but it happens “in that way which God wills it to happen.”26 God’s will transcends and constitutes the whole hierarchy of created causes, both causes which always and necessarily produce their effects and causes which at times fail to produce their effects.27 We can say, for example, that God causes chance events to be chance events. The role of chance mutations at the genetic level, so important in current evolutionary theory, does not call into question God’s creative act. The International Theological Commission of the Catholic Church, when discussing this theme, noted that, “according to the Catholic understanding of divine causality, true contingency in the created order is not incompatible with a purposeful divine providence. Divine causality and created causality radically differ in kind and not only in degree. Thus, even the outcome of a truly contingent natural process can nonetheless fall within God’s providential plan for creation.”28 God is the cause of being as such – and to cause being as such is precisely what to create means. God’s causation does not compete with the causation of creatures, but rather supports and grounds it.29 Since it is characteristic of the causes in nature precisely to be causes, God’s causal determination of them is not such as to deny their proper autonomy.30 Contrary to the view of some contemporary 26 Thomas Aquinas, D.V., q. 23, a. 5. 27 “God’s will is to be thought of as existing outside the realm of existents, as a cause from which pours forth everything that exists in all its variant forms. Now what can be and must be are variants of being, so that it is from God’s will itself that things derive whether they must be or may or may not be and the distinction of the two according to the nature of their immediate causes. For He prepares causes that must be for those effects that He wills must be, and causes that might cause but might fail to cause for those effects that He wills might or might not be. And it is because of the nature of these causes that these effects are said to be effects that must be and those effects that need not be, although all depend upon God’s will as primary cause, a cause which transcends the distinction between must and might not. But the same cannot be said of human will or any other cause, since every other cause exists within the realm of must and might not. So of every other cause it must be said either that it can fail to cause, or that its effect must be and cannot not be; God’s will however cannot fail, and yet not all His effects must be, but some can be or not be.” Thomas Aquinas 1993, p. 282. 28 International Theological Commission 2004, paragraph 69. 29 Goris 1996, p. 299. Goris notes that the distinction between divine causality and creaturely causality is based on the distinction between divine being and creaturely being: “Aquinas distinguishes the being of the Creator from the being of the creature not in terms of necessary being versus contingent being but more radically in terms of being versus non-being, while God causes the either necessary or contingent being of the creature. Likewise divine causation differs from creaturely causation as being differs from non-being. Without God’s causation there is no creaturely causation at all.” ibid. 30 In discussing how the human will is free to choose, and yet caused to be so by God, Thomas notes that the autonomy of the will does not require that it be the “first cause” of its activity : “Not every principle is a first principle… . [A]lthough it is essential to the voluntary act that its principle be within the agent, nevertheless it is not contrary to the nature of a voluntary act that this principle be caused or moved by an extrinsic principle: because it is not essential to the voluntary act that its intrinsic principle be a first principle.” Thomas Aquinas, S.T.
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theologians,31 God does not need a metaphysical indeterminacy in nature so that His actions would not collide, so to speak, with other causes.32 The problem which those who defend a self-sufficiency in nature and its processes see is that any appeal to a cause outside of nature is either superfluous or contradictory to the very claim that nature is the domain of self-organizing activities. They often reach this conclusion because they see God as a competing cause among other causes in nature. There is a confusion here, however, about different orders or levels of explanation. If we ask, for example, why wood is heated in the presence of fire, we can explain the phenomenon in terms of the characteristics of both wood and fire. Thomas Aquinas remarks that if a person answers the question of why the wood is heated by saying that God wills it, the person “answers appropriately, provided he intends to take the question back to a first cause; but not appropriately, if he means to exclude all other causes.”33 Thomas was especially concerned with refuting the views of those who thought that to defend divine omnipotence and sovereignty one had to deny any causes in nature. For Thomas, there is no question that there are real causes in the natural order: “if effects are not produced by the action of created things”, he writes, “but only by the action of God, it is impossible for the power of any created cause to be manifested through its effects.” If no created things really produced effects, then “no nature of anything would ever be known through its effect, and thus all the knowledge of natural science is taken away from us.”34 Thomas thinks that to defend the fact that creatures are real causes, far from challenging divine omnipotence, is a powerful argument for divine omnipotence. As he says, to deny the power of creatures to be the causes of things is to detract from the perfection
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I – II, q. 6, a. 1, ad 1. “If the Thomist solution to the reconcilability of finite free action and divine causal power is to work … God cannot be inserted into the world’s causal chains, the divine causal influence, as ex nihilo, cannot and must not be thought of as univocal with other causes. As in all other things, God is not to be conceived of as a ‘cause’ in the categorical sense; He does not belong to any categories precisely because He is the ‘cause’ of them all.” Yates 1990, pp. 252 – 6. In the Summa theologiae, Thomas writes: “God is the first cause of both natural causes and voluntary agents. And just as His moving natural causes does not prevent their acts from being natural, so also His moving voluntary agents does not prevent them from acting voluntarily, but rather makes it be just that, for He works in each according to its nature.” Thomas Aquinas, S.T. I, q. 83, a. 1, ad 3. Indeed, “every movement either of will or of nature proceeds from God as the First Mover.” ibid., ad 3. What is crucial for Thomas, however, is that we recognize that both natural and voluntary movements proceed from an intrinsic principle, but that need not, indeed cannot, be the truly first principle of action. See the work of Nancey Murphy (Murphy 1995, pp. 324 – 357). I have in mind here those who think that quantum indeterminism and/or chaos theory provide a new kind of “metaphysical space” in the world in which God can act without interfering with natural processes. Thomas Aquinas, S.C.G. III, c. 94. Ibid., c. 69.
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of creatures and, thus, “to detract from the perfection of divine power.”35 Thus, a self-sufficient universe – that is a universe explicable in terms of causes in nature – is precisely the universe God has created. God does not only give existence to things when they first begin to exist, He also causes being in them so long as they exist. He not only causes the operative powers to exist in things when these things come into being, He always causes these powers in things. Thus, if God’s creative act were to cease, every operation would cease; every operation of a thing has God as its ultimate cause. As I have said, Thomas does not think that such an affirmation of divine omnipotence eliminates the role of real created causes. The self-sufficiency of nature, the dynamism of natural processes which science discovers, does not mean that God is superfluous, since He is the cause of nature itself; He is a cause in such a way that nature has its own integrity, its own self-organizing principles. Thomas shows us how to distinguish between the being or existence of creatures and the operations they perform. God causes creatures to exist in such a way that they are the real causes of their own operations. For Thomas, God is at work in every operation of nature, but the autonomy of nature is not an indication of some reduction in God’s power or activity. It is important to recognize that, for Thomas, divine causality and creaturely causality function at fundamentally different levels. In a recent essay in the Revue thomiste, JeanMichel Maldam¦ notes that a proper understanding of the relationship between evolution and creation requires that we recognize two distinct, but complementary, orders of causality, and that it is the failure to recognize the existence of these two orders which results in confusion on all sides of the current debate.36 In the Summa contra Gentiles, Thomas remarks that “the same effect is not attributed to a natural cause and to divine power in such a way that it is partly done by God, and partly by the natural agent; rather, it is wholly done by both, according to a different way, just as the same effect is wholly attributed to the instrument and also wholly to the principal agent.”37 It is not the case of partial 35 Ibid. 36 “On doit donc reconnatre deux orders de causalit¦: d’une part, l’ordre de la causalit¦ des ph¦nomÀnes d¦crits par les faits et les lois qui les r¦gissent, et, d’autre part, l’ordre de la causalit¦ premiÀre qui rend raison de leur sens.” Maldam¦, 2007, pp. 531 – 560, at 553. “[L]’intervention de Dieu n’est pas une falsification des processus naturels. Si les ph¦nomÀnes ¦l¦mentaires sont al¦atoires [chance], ils restent al¦atoires.” Ibid., p. 554. Aquinas: “it would be contrary to the character of divine providence if nothing were to be fortuitous and a matter of chance in things.” Thomas Aquinas, S.C.G. III, c. 74, 2. Maldam¦ continues: “…le refus par certains de la th¦orie de l’¦volution cause du caractÀre al¦atoire des ph¦nomÀnes ¦l¦mentaires est d leur incapacit¦ de comprendre la distinction qui doit Þtre faite entre la maniÀre d’agir et la capacit¦ d’agir.” Maldam¦ 2007, p. 557. As Aquinas writes about the divine will, there are some things on which the divine will confers necessity and on others which it does not. 37 Thomas Aquinas, S.C.G. III, c. 70, 8.
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or co-causes with each contributing a separate element to produce the effect.38 God, as Creator, transcends the order of created causes in such a way that He is their enabling origin. For Thomas “the differing metaphysical levels of primary and secondary causation require us to say that any created effect comes totally and immediately from God as the transcendent primary cause and totally and immediately from the creature as secondary cause.”39 In response to the objection that it is superfluous for effects to flow from natural causes since they could just as well be directly caused by God alone, Thomas writes that the existence of real secondary causes “is not the result of the inadequacy of divine power, but of the immensity of God’s goodness.” God wills to communicate His likeness to things, “not only that they might exist, but also that they might be causes for other things.”40 To ascribe to God (as first cause) all causal agency “eliminates the order of the universe, which is woven together through the order and connection of causes. For the first cause lends from the eminence of its goodness not only to other things that they are, but also that they are causes.”41 Speaking at the plenary meeting of the Pontifical Academy of Sciences in October 2008, Pope Benedict XVI reiterated Thomas’ position on creation as the “foundational relationship that links creature to Creator”: To state that the foundation of the cosmos and its developments is the provident wisdom of the Creator is not to say that creation has only to do with the beginning of the history of the world and of life. It implies, rather, that the Creator founds these developments and supports them, underpins them and sustains them continuously. Thomas Aquinas taught that the notion of creation must transcend the horizontal origin of the unfolding of events, which is history, and consequently all our purely naturalistic ways of thinking and speaking about the evolution of the world. Thomas observed that creation is neither a movement nor a mutation. It is instead the foundational and continuing relationship that links the creature to the Creator, for he is the cause of every being and all becoming.42 38 “God and creatures are not two causes collaborating on the same level to produce a joint effect. God causes on the transcendental level and He thereby constitutes the creatures’ causation on the categorical level.” Goris 1996, p. 301. 39 Shanley 1998, p. 100 and 108. Shanley argues that no real explanation of exactly how God’s causality functions is possible, since God transcends the mundane world of causation. David Burrell observes that the “terms ‘primary’ and ‘secondary’ [causality] come into play when we are faced with the situation where one thing is by virtue of the other. So each can properly be said to be a cause, yet what makes one secondary is the intrinsic dependence on the one which is primary. This stipulation clearly distinguishes a secondary cause from an instrument, which is not a cause in its own right: it is not the hammer which drives the nails but the carpenter using it.” Burrell 1993, p. 97. See also Carroll 1999, pp. 69 – 91. 40 Ibid. The dignity of being a cause God imparts to His creatures “not on account of any defect in God’s power, but by reason of the abundance of His goodness.” Thomas Aquinas, S.T. I, q. 22, a. 3. 41 Thomas Aquinas, D.V. 11, 1; see also Thomas Aqinas, S.T. I, q. 23, a. 8, ad. 2. 42 Pope Benedict XVI 2008.
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Divine Transcendence: An Underlying Assumption The source of most of the difficulties in grasping an adequate understanding of the relationship between the created order and God is the failure to understand divine transcendence. It is God’s very transcendence, a transcendence beyond any contrast with immanence, which enables God to be intimately present in the world as cause. God is not transcendent in such a way that He is “outside” or “above” or “beyond” the world. God is not different from creatures in the way in which creatures differ from one another. We might say that God “differs differently” from the created order. Kathryn Tanner, who has written persuasively on this subject, observes: “This non-competitive relation between creatures and God is possible, it seems, only if God is the fecund provider of all that the creature is in itself … This relationship of total giver to total gift is possible, in turn, only if God and creatures are on different levels of being, and different planes of causality.”43 Or, as Rudi Te Velde puts it: “God operates immanently in nature in such a way that He sets nature, so to speak, free in its own operation. … Thomas [sees] … God as a cause which by its transcending immanence constitutes the causality of nature in its own order.”44 Modern theism, with its “domesticated transcendence”45 too often sees “transcendence” and “immanence” as contrasting categories such that one necessarily excludes the other. This shift from a Thomistic understanding of divine transcendence has resulted in rejecting traditional attributes of God (e. g., omnipotence, immutability, and timelessness) in order to affirm the integrity of processes in nature. Also, as Charles Taylor has noted, a crucial characteristic of our secular age is the possibility of describing the cosmos in wholly immanent terms (especially when immanence is contrasted with transcendence) without any reference to a transcendent source of existence and meaning. This “immanent frame”, as Taylor calls it, “… is the sense of an absence; it is the sense that all order, all meaning comes from us. We encounter no echo outside. In the world read this way, as so many of our contemporaries live it, that natural/supernatural distinction is no mere intellectual abstraction. A race of humans has arisen which has managed to experience its world entirely as immanent. In some respects we may judge this achievement a victory of darkness, but it is a remarkable achievement nonetheless.”46
43 Tanner 2001, pp. 3 – 4. For an excellent discussion of the transition between a Thomistic understanding of divine transcendence and a modern sense, especially beginning with Suarez, see Placher 1996. 44 Te Velde 1995, p. 164. 45 See Placher 1996. 46 Taylor 2007, p. 376.
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Taylor thinks that various forms of what he calls “exclusive humanism” are attempts to fill the gap and offer only a kind of ersatz transcendence. He claims that “exclusive humanism closes the transcendent window, as though there were nothing beyond. More, as though it weren’t an irrepressible need of the human heart to open that window, and first look, then go beyond. As though feeling this need were the result of a mistake, an erroneous world-view, bad conditioning, or worse, some pathology.”47 Creatures of pure immanence still may be haunted, according to Taylor, by a longing for the transcendence rejected, but part of the problem, I think, is the notion that one must choose between transcendent and immanent sources of meaning. As we have seen, to view God’s agency in the world essentially as designer or orderer, immanent in nature and its processes, has provided intellectual support for the view that we can just as well do without any reference to God, or at least to a god so conceived. As I have argued, however, the god so rejected is hardly the God about whom Thomas speaks.
Conclusion For Thomas, there is no conflict between the doctrine of creation and any physical theory. Theories in the natural sciences account for change. Whether the changes described are cosmological or biological, unending or finite, they remain processes. Creation accounts for the existence of things, not for changes in things. Contemporary debates about cosmology, evolution, and creation often ignore the fundamental insight of Thomas that creation is not a change. If we follow Thomas’ lead, we can see that there is no need to choose between a robust view of creation as the constant exercise of divine omnipotence and the causes disclosed by the natural sciences. God’s transcendent creative power is exercised throughout the entire course of cosmic history, in whatever ways that history has unfolded. No explanation of biological or cosmological change, no matter how radically random or contingent such an explanation claims to be, challenges the metaphysical account of creation, that is, of the dependence of the existence of all things upon God as cause. No matter how much one thinks that natural selection is a master mechanism of change in the world of living things, the role of God as Creator, as continuing cause of the whole reality of all that is, is not challenged. When some thinkers deny creation on the basis of theories in the natural sciences, or reject the conclusions of these sciences in defense of creation, they misunderstand creation or the natural sciences, or both.48 47 Taylor 2007, p. 638. 48 One further caution; we need to avoid making the mistake of thinking that Big Bang cosmology in its traditional sense which affirms an initial “singularity” offers confirmation of
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The complete dependence of all that is on God does not challenge an appropriate autonomy of natural causation; God is not a competing cause in a world of other causes. In fact, God’s causality is such that he causes creatures to be the kind of causal agents which they are. In an important sense, there would be no real autonomy to the natural order were God’s not causing it to be so: there would be no evolutionary and cosmological processes at all were God’s not creating them to be and to be what they are. Traditional conceptions of God as Creator certainly need not be abandoned in order to embrace an evolving universe in which real novelty and contingency are characteristic features of nature. The created universe is a self-sufficient universe in that there is a real autonomy and integrity to its processes, an autonomy and integrity caused to be such by the Creator. We need not choose between a universe which is created and a universe with autonomous natural causes. We do need, however, to be careful to keep distinct explanations in the natural sciences, in metaphysics, and in theology. As Aristotle observed a long time ago, a small mistake in the beginning of such discourse can easily result in huge errors. Or, as Jacques Maritain remarked more recently, we must distinguish in order to unite – but we must do both; we must make distinctions among various areas of inquiry into what is real, and we must remember that a full account of the world includes not only the natural sciences, but also metaphysics and theology, especially as the latter two point to the world’s origin in God. Finally, if we reflect on the debates about what ought about to be taught in the schools about evolution and creation, we might conclude that, rather than eliminate Darwin from the curriculum, we should add Thomas Aquinas.
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Vittorio Hösle
Über die Unumgänglichkeit teleologischer Prinzipien. Natürliche Theologie nach Darwin
After travelling around the world Darwin intensely reflected on religious questions and he came to the conclusion that his theory does not implicate atheism. Therefore it is appropriate to start the lecture by analyzing Darwin’s subtle religious ideas that are not inferior to most contemporary scientists’ ideas on religion. Then I will place his findings into the context of a more general development of the terms „God“ and „nature“ and discuss Asa Gray’s 19th century attempt to reconcile Darwinism with theism. The focus on Gray is based on the simple fact that the progress in philosophy – if there is any at all – is quite different from that in the natural sciences; therefore we can learn much more from philosophic deliberations of the past centuries than from natural scientific theories of those times. In conclusion I will define to what extent a teleological interpretation of nature not just represents a possibility but a necessity even after the Darwinian Revolution. In dankbarer Erinnerung an den bedeutenden Wissenschaftshistoriker Matthias Schramm (1928 – 2005).
Einer der liebenswertesten Charakterzüge von Charles Darwin ist zweifelsohne seine Bescheidenheit. In seiner Autobiographie, die 1876 begonnen und bis 1882 fortgeführt wurde, behauptet er aufrichtig, dass seine Arbeiten „over and over again greatly overpraised“1 worden sind und dass er in metaphysischen Angelegenheiten nie besonders talentiert gewesen sei: „My power to follow a long and purely abstract train of thought is very limited; I should, moreover, never have succeeded with metaphysics or mathematics.“2. Natürlich war er sich darüber im Klaren, dass seine Revolution in der Biologie den Begriff der Arten gewandelt 1 Darwin 1993a, S. 126. 2 Ebd., S. 140.
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und die Lücke zwischen Menschen und anderen Tieren verringert hat; denn er zeigte detailliert, wie das Prinzip der natürlichen Auslese unzählige Fakten im biologischen Bereich erklären konnte, die zuvor als nicht-reduzierbar angesehen worden waren – darunter die Existenz der Arten und das menschliche Verhalten in all seinen Facetten. Recht erstaunlich sind jedoch die enormen Auswirkungen, die On the Origin of Species (1859) unmittelbar außerhalb der Scientific Community der Biologen in der breiten Öffentlichkeit hatte, aber auch sein rasches Übergreifen auf religiöse und philosophische Fragen.3 Nur ein Satz am Ende des Buches spielt auf den Ursprung der Menschheit an4, der in seinen späteren Arbeiten von 1871 und 1872 behandelt wird; und es gibt keine explizit antireligiösen Schlussfolgerungen in diesem oder überhaupt irgendeinem von Darwins veröffentlichten Büchern. Nur am Ende von Variation of Animals and Plants under Domestication wirft Darwin – sich darüber im Klaren, dass er die Grenzen seiner eigenen Disziplin überschreitet – einige kritische Fragen auf, die sich auf die Vereinbarkeit des Mechanismus der natürlichen Selektion mit dem traditionellen Theismus beziehen. Darwins intellektuelle Zurückhaltung, die ihn deutlich von einigen der gegenwärtigen Neodarwinisten wie Richard Dawkins5 unterscheidet, war nicht nur als Vorsichtsmaßnahme gedacht, die der Sorge um seine Frau oder der Furcht vor sozialer Ausgrenzung geschuldet war : In den Jahren nach seiner Reise um die Welt dachte er ernsthaft über religiöse Fragen nach und kam zu dem Schluss, dass seine Theorie keinen Atheismus impliziert. Es ist daher angemessen, die folgenden Überlegungen mit einer Untersuchung seiner recht scharfsinnigen religiösen Ideen beginnen zu lassen, die den Ideen der meisten gegenwärtigen Naturwissenschaftler zu religiösen Fragen sicherlich in nichts nachstehen (I). Anschließend werde ich sie in den Kontext einer allgemeineren Entwicklung des Gottes- und Naturbegriffs stellen und den wichtigsten Versuch im 19. Jahrhundert diskutieren, den Darwinismus mit dem Theismus in Einklang zu bringen – den Versuch von Asa Gray. Der Schwerpunkt auf Gray ist dem einfachen Umstand geschuldet, dass der Fortschritt in der Philosophie – wenn er überhaupt stattfindet – ganz anderer Art ist als in den Naturwissenschaften; daher können wir von den philosophischen Überlegungen der vergangenen Jahrhunderte weit mehr lernen als von naturwissenschaftlichen Theorien aus jener Zeit (II). Abschließend werde ich darlegen, inwiefern selbst nach der Darwinschen Revolution eine teleologische Deutung der Natur nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine Notwendigkeit darstellt (III).
3 Ein guter Überblick zu klassischen Texten der Debatte bieten Young / Largent 2007. 4 Darwin 1968, S. 458. 5 Vgl. insbesondere Dawkins 2006.
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I. Im Kapitel „Religious belief“ seiner Autobiography – der Text wurde in vollständiger Form erst 1958 veröffentlicht, da die erste Ausgabe von 1887 von der Familie zensiert worden war – legt Darwin die Gründe dar, die für seinen Verlust des anglikanischen Glaubens verantwortlich waren, in dem er aufgewachsen war. Immerhin hatte er für einige Zeit mit dem Gedanken gespielt, ein anglikanischer Pfarrer zu werden. Er behauptet – und in soweit wir seine Entwicklung kennen, wahrheitsgemäß –, dass er niemals stark ausgeprägte religiöse Gefühle hatte6 ; sicherlich war er niemals ein Evangelikaler gewesen. Dennoch hatte er die traditionelle anglikanische Theologie aufgesogen, und zu Beginn seiner Reise mit der „Beagle“ – während der sein Lieblingsbuch Paradise Lost von Milton war – wurde er gelegentlich von orthodoxen Offizieren verhöhnt, „for quoting the Bible as an unanswerable authority on some point of morality“7. Wie kam es zu dieser langsamen Auflösung seiner Glaubensüberzeugungen, gegen die er sich erfolglos zur Wehr setzte? Die Gründe und Ursachen, die Darwin erwähnt, haben recht wenig mit seiner großen wissenschaftlichen Entdeckung zu tun. Mit was dann? Wir können das betreffende Kapitel in drei Abschnitte unterteilen. Im ersten (A) untersucht Darwin diejenigen Argumente gegen den Glauben, die Bibel beruhe auf göttlicher Offenbarung; im zweiten (B) verschiebt er den Fokus von der Offenbarungs- zur natürlichen Theologie. Hier diskutiert er sowohl die Argumente für (B 1) als auch diejenigen gegen (B 2) die Existenz Gottes, unter die auch das Theodizee-Problem fällt. Und er erwähnt auch die in logischer Hinsicht unabhängige Frage nach der Unsterblichkeit der Seele (B 3). Drittens (C) denkt er über seine eigene Entwicklung nach – man könnte sagen, über die Evolution seiner eigenen religiösen Glaubensüberzeugungen und ihren erkenntnistheoretischen Status. Solche Überlegungen finden sich am Ende des Kapitels, aber auch in (B) sind sie eingestreut; ich werde sie im Zusammenhang mit (C) erörtern. (A) In Bezug auf den ersten Punkt setzt er sich jeweils mit dem Alten und dem Neuen Testament auseinander. Beim Alten Testament erwähnt er einerseits die historisch falschen Erzählungen, andererseits die primitiven Gefühle, die Gott zugeschrieben werden (etwa diejenigen eines „revengeful tyrant“). Hinsichtlich des Neuen Testaments stört er sich an der Verbindung des Neuen zum diskreditierten Alten Testament. Zudem führten die intrinsische Unglaubwürdigkeit von Wundergeschichten, die Leichtgläubigkeit der damals lebenden Menschen, die Tatsache, dass man unmöglich ausschließen könne, dass die Evangelien später geschrieben wurden als die dort dargestellten Ereignisse, wie auch die 6 Darwin 1993a, S. 91. 7 Ebd., S. 85.
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Widersprüche unter den Evangelisten ihn dazu, „to disbelieve in Christianity as a divine revelation“8. Er erkennt weiterhin die moralische Schönheit des Neuen Testaments an, doch er bemerkt, dass sie teilweise auf späteren Interpretationen beruht, die nicht den ursprünglichen Sinn erfassen. Dieser ursprüngliche Sinn umfasst beispielsweise die Lehre von der ewigen Verdammnis der Ungläubigen, und er erklärt diese Lehre „damnable“9. Es ist offensichtlich, dass nichts in diesen Argumenten auf den Naturwissenschaften beruht: Sie stützen sich auf ethische Ideen und historische Forschungen; und selbst der generelle Zweifel an den Wundern rührt nicht so sehr von der naturwissenschaftlichen Entwicklung, als er vielmehr deren Voraussetzung ist. Die meisten der genannten Argumente – wie auch andere, die sich gegen die formale Idee einer Offenbarung richten – sind schon im 18., manche im 17. Jahrhundert zum Tragen gekommen (man denke nur an Spinoza und Lessing), auch wenn sie mehr Einfluss im kontinentaleuropäischen Raum als in England entfalten konnten. Aber David Friedrich Strauss’ Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet von 1835/36 erschien schon 1846 als The Life of Jesus Critically Examined in der Übersetzung von Marian Evans – später besser bekannt unter ihrem Künstlernamen George Eliot –, und ohne Zweifel hat dieses Buch unser Verhältnis zum Neuen Testament wie kein Zweites vor oder nach ihm verändert.10 Darwin selbst bemerkt, dass die dargelegten Argumente nicht „the least novelty or value“ aufweisen. Mit ,value‘ kann er nur ,Wert als origineller Beitrag‘ meinen, kaum ,Gültigkeit‘, denn er betont ausdrücklich, dass er „never since doubted even for a single second that my conclusion was correct“11 – eine jener Stellen, deren Veröffentlichung von Emma Darwin unterbunden wurde. Der Zusammenbruch des naiven Glaubens an die Offenbarung schließt, nebenbei bemerkt, nicht aus, dass der Kern der christlichen Botschaft, sofern er durch die Vernunft gerechtfertigt werden kann, als eine Erscheinungsform des Göttlichen und die ganze Bibel als eine fortschreitende Offenbarung gedeutet werden kann. Und er hat sicherlich nicht die Entfaltung der natürlichen Theologie in der Frühmoderne verhindert, sondern sie im Gegenteil gefördert. Es war lediglich deren Krise, die den Niedergang des Theismus beschleunigt hat. Schauen wir, was Darwin zu dieser Krise beigetragen hat. (B 1) Den zweiten Abschnitt beginnt er mit einem kurzgefassten Vermerk über die Beiträge seiner Theorie zur natürlichen Theologie. „The old argument of design in nature, as given by Paley, which formerly seemed to me so conclusive, fails, now that the law of natural selection has been discovered.“ Der Satz 8 9 10 11
Ebd., S. 86. Ebd., S. 87. Über die philosophischen Bemühungen, in der Bibel Sinn zu finden, vgl. Hösle 1999. Darwin 1993a, S. 87.
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behauptet weder, dass die Theorie der natürlichen Auslese12 mit dem Theismus inkompatibel ist, noch, dass sie alle Beweise für Gott zerstört hat. In der naheliegendsten, wenn auch zugegebenermaßen nicht der grammatikalisch einzig möglichen Interpretation sagt der Satz noch nicht einmal aus, dass das ,argument of design‘ durch die neue Theorie erledigt worden ist, sondern beschränkt diese Behauptung auf das ,argument of design‘, wie es von Paley dargelegt worden ist. Darwin hat Paley in Cambridge gründlich studiert; er erwähnt, dass er sowohl sein Werk A View of the Evidences of Christianity als auch The Principles of Moral and Political Philosophy lesen musste, um seine Bachelor-Prüfung zu absolvieren. Doch offensichtlich hat er hier sein letztes Werk, Natural Theology (1802) mit dem berühmten Uhrenmacher-Vergleich13, im Sinn – ein Buch, dessen Logik „gave me as much delight as did Euclid. The careful study of these works, without attempting to learn any part by rote, was the only part of the Academical Course which, as I then felt and as I still believe, was of the least use to me in the education of my mind.“14. Dennoch könnte man Darwins zuvor zitierten Satz so verstehen, als impliziere er, dass Paleys Spezialkreationismus die einzig schlüssige Form des ,argument from design‘ darstelle. Doch dass dem nicht so ist, wird durch den Kontext belegt. Denn Darwin fährt fort: „Everything in nature is the result of fixed laws“ und anschließend: „But passing over the endless beautiful adaptations which we everywhere meet with, it may be asked how can the generally beneficent arrangement of the world be accounted for?“15. An dieser Stelle scheint Darwin festzustellen – was sich eigentlich von selbst versteht und von einem Freund wie Asa Gray mit Nachdruck betont wird –, dass das Ganze der Naturgesetze, innerhalb deren die natürliche Auslese allein agieren kann, nicht selbst das Ergebnis der natürlichen Auslese ist. Der Mechanismus der natürlichen Auslese kann die Anpassung einzelner Organismen und Arten nur unter der Voraussetzung verständlich machen, dass es ein System von Gesetzen gibt, das eine solche Evolution ermöglicht. Wenn kein Planet Wasser hätte, dann gäbe es – kraft der Naturgesetze unserer Welt – beispielsweise kein Leben; und es ist einfach, sich andere Welten vorzustellen, in denen die natürliche Auslese nicht zu Formen des Lebens führen kann, die komplexer sind als die der Prokaryoten. Daher muss die korrekte Deutung von Darwins Behauptung dahingehend lauten, dass sie sich lediglich gegen eine Spielart des physikotheologischen Arguments wendet, die den Spezialkreationismus zugrunde legt. 12 Die intentionalistische Bedeutung von „Auslese“ muss zurückgewiesen werden, wenn von der natürlichen Auslese die Rede ist. „In the literal sense of the word, no doubt, Natural Selection is a false term“ (Darwin 1988a, S. 66). 13 In der mir einzig zur Verfügung stehenden, zwölften Ausgabe vgl. Paley 1809, S. 1 ff., 416 ff. 14 Darwin 1993a, S. 59. 15 Ebd., S. 87 f.
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Die Ursachen für die Entwicklung der verschiedenen Arten sind immanent. Aber solange wir Zwecke in der Welt als Ganzer sehen – nicht in den einzelnen Arten –, solange muss es uns gestattet sein zu fragen, weshalb die Welt so beschaffen ist, dass es in ihr so ehrfuchtgebietende Entitäten wie Organismen gibt. In dieser Form – so könnten wir sagen, auch wenn Darwin selbst keine solche Ausdrucksweise gebraucht – verbinden sich der kosmologische und der physikotheologische Beweis: Wir suchen weder nur nach der Ursache einer Welt, wie im kosmologischen Beweis, noch nach einer Ursache für die Anpassung der einzelnen Arten, wie in der traditionellen Physiko-Theologie, sondern nach der Ursache für eine Welt, die die Evolution der Organismen gestattet, wie wir sie kennen. Dieses Argument verwirft Darwin gewiss nicht: „This follows from the extreme difficulty or rather impossibility of conceiving this immense and wonderful universe, including man with his capacity of looking far backwards and far into futurity, as the result of blind chance and necessity. When thus reflecting I feel compelled to look to a First Cause having an intelligent mind in some degree analogous to that of man; and I deserve to be called a Theist.“16
Wir werden auf diese Passage zurückkommen, denn in einer späteren Ergänzung schwächte Darwin seine Aussage ab. (B 2) Im Anschluss widmet sich Darwin der klassischen Frage nach der Theodizee, d. h. der Existenz des Bösen als einem Argument gegen die Existenz Gottes. Von den verschiedenen Spielarten des Bösen nennt er nur das Leid. Zu Beginn seiner Überlegungen scheint er nicht davon auszugehen, dass die Welt die bestmögliche sein muss oder wenigstens derart, dass sie nicht besser sein kann, um die Wege Gottes zu rechtfertigen. Er scheint sich (aber der Schein trügt) mit einer Bilanz zugunsten des Glückes zufriedenzugeben.17 Und diese bekräftigt der lebensbejahende Darwin deutlich, auch wenn er sich darüber im Klaren ist, dass die Gewichtung der Freude und des Leides eine schwierige Angelegenheit ist.18 Aber er sieht in der natürlichen Auslese, die eine Überproduktion voraussetzt, ein Argument für seine Überzeugung: 16 Ebd., S. 93. 17 Leibniz macht gelegentlich vom Bilanz-Argument Gebrauch, auch wenn es nicht dem Beweis dienen kann, dass die tatsächliche Welt die beste aller möglichen ist, vgl. ders.: Essais de th¦odic¦e § 258 (1978, VI 269). 18 Eine moderne Variante dieser Überzeugung wird nachdrücklich von J. Balcome (2006) formuliert. Die gegenteilige Position wurde auf äußerst eindringliche Weise vom pessimistischen Philosophen Arthur Schopenhauer vorgebracht, der uns sarkastisch auffordert, die Freude eines Tiers, das gerade ein anderes Tier verschlingt, mit dem Schmerz ebendieses Tiers zu vergleichen (Parerga and Paralipomena § 149, in: Schopenhauer 1977, 9.317). Doch der Vergleich ist nicht gerechtfertigt, denn man sollte sein Augenmerk auf die Freuden richten, die das nun verschlungene Tier in seinem gesamten früheren Leben empfand, und nicht auf die gegenwärtige Freude des Räubers. Schopenhauer glaubt darüber hinaus, dass das menschliche Leben – obwohl ein gewaltsames Ende unter Menschen nicht so üblich ist
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„According to my judgment happiness decidedly prevails, though this would be very difficult to prove. If the truth of this conclusion be granted, it harmonises well with the effects which we might expect from natural selection. If all the individuals of any species were habitually to suffer to an extreme degree they would neglect to propagate their kind; but we have no reason to believe that this has ever or at least often occurred. Some other considerations, moreover, lead to the belief that all sentient beings have been formed so as to enjoy, as a general rule, happiness.“19
Darwin fügt anschließend hinzu, dass ein langanhaltendes Leiden den Handlungsspielraum einengt, während angenehme Empfindungen diesen negativen Effekt nicht aufweisen; „on the contrary they stimulate the whole system to increased action.“ Daher ist es naheliegend, dass die natürliche Auslese eher die Freude als den Schmerz als Antriebsfeder für Tätigkeiten nutzt, selbst wenn letzterer „is well adapted to make a creature guard itself against any great or sudden evil“20. Darwin erwähnt verschiedene Arten der Freude, etwa jene, die von geistigen und körperlichen Anstrengungen und von der Geselligkeit rühren, und er fasst zusammen: „The sum of such pleasures as these, which are habitual or frequently recurrent, give, as I can hardly doubt, to most sentient beings an excess of happiness over misery, although many occasionally suffer much. Such suffering is quite compatible with the belief in Natural Selection, which is not perfect in its action.“21
Am Ende des dritten Kapitels von The Origin wird er sich selbst mit der Überlegung trösten, „that the war of nature is not incessant, that no fear is felt, that death is generally prompt, and that the vigorous, the healthy, and the happy survive and multiply.“22 Dennoch bleibt das Vorhandensein jeglichen Umfangs an Leiden ein störendes Problem, und das noch mehr unter den Tieren als unter den Menschen, da letztere – und nur sie – vom Leiden profitieren und sich moralisch bessern können.23 „This very old argument from the existence of suffering against the existence of an intelligent first cause seems to me a strong one.“24 Dieser Satz belegt, dass Darwin das Leiden als eine ernsthafte Herausforderung für den Theismus ansah. Er glaubte jedoch nicht, dass seine eigene Theorie die Schwierigkeit dieses Problems verstärkt hatte. Ganz im Gegenteil dachte er,
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wie unter anderen Tieren – noch elender ist, weil der Schmerz nicht einfach flüchtig ist, sondern sowohl vorausgeahnt als auch erinnert wird (Ebd., § 153 = 1977, 9.318 ff.). Darwin 1993a, S. 88. Ebd., S. 89. Ebd., S. 89 f. Darwin 1968, S. 129. In dieser Frage stimmt Darwin mit Schopenhauer überein (siehe Anm. 18, §173 = 1977, 9.351). Darwin 1993a, S. 90.
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dass sie die Idee untermauert hatte, dass die Bilanz zugunsten der Freude ausfällt – eine Idee, die sicherlich keine hinreichende, aber doch eine notwendige Bedingung einer jeden Lösung für dieses Problem darstellt. Es gibt allerdings ein Merkmal der Darwinschen Theorie, das seiner Ansicht nach nicht einfach einen Gottesbeweis aus der Welt schafft, sondern das möglicherweise unmittelbar inkonsistent mit Gottes Existenz ist. In unserem Kapitel der Autobiography deutet er das Thema nur an und verweist auf die letzten Seiten von Variation of Animals and Plants under Domestication, indem er behauptet, dass „the argument there given has never … been answered“. Worin besteht sein Argument? An dieser Stelle vergleicht Darwin die nützlichen Auswirkungen der natürlichen Auslese, die auf Variation beruht, mit der Benutzung von Steinscherben, deren Form das Ergebnis diverser Zufälle ist, durch einen Architekten. Wie allgemein in seinem Werk vertritt Darwin hier einen Determinismus, das heißt, er beharrt auf der Existenz von hinreichenden Ursachen für die Form der Steine, selbst wenn diese Ursachen nicht bekannter sind, als die Ursachen der Variationen es zu seiner Zeit waren. „And here we are led to face a grave difficulty, in alluding to which I am aware that I am travelling beyond my proper province. An omniscient Creator must have foreseen every consequence which results from the laws imposed by Him.“25
Doch ist es plausibel anzunehmen, dass Gott all diese Variationen wirklich beabsichtigt hat, selbst jene, die zu einem besonders abstoßenden Verhalten von Tieren geführt haben? Und wenn wir das in einem Fall bestreiten, wie können wir es dann in einem anderen behaupten? „However much we may wish it, we can hardly follow Professor Gray in his belief ,that variation has been led along certain beneficial lines,‘ like a stream ,along definite and useful lines of irrigation‘.“ Zwei Dinge stören Darwin besonders: Die Plastizität der Organisation, die auch zu nachteiligen Abweichungen führt, und die redundante Kraft der Reproduktion, die – gemäß der Malthusschen Grundlage seiner Theorie – den Kampf ums Überleben impliziert. Diese „must appear to us superfluous laws of nature. On the other hand, an omnipotent and omniscient Creator ordains everything and foresees everything. Thus we are brought face to face with a difficulty as insoluble as is that of free will and predestination“26. Wir werden sowohl auf Grays Theorie als auch auf Darwins Argument zurückkommen, das den Theismus am deutlichsten herauszufordern scheint, da es behauptet, dass der Mechanismus der natürlichen Auslese – dessen Existenz nicht bezweifelt werden kann – irgendwie „überflüssig“ für einen allmächtigen und allwissenden Schöpfer ist. 25 Darwin 1988b, S. 371. 26 Darwin 1993a, S. 372.
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(B 3) In der Autobiography widmet sich Darwin nur kurz dem Problem der Unsterblichkeit. Er denkt, dass der Glaube an sie „strong and almost instinctive“ ist, da der Gedanke unerträglich erscheint, dass das Leben verlöschen wird, wenn die Sonne zu kalt für das Leben sein wird. „To those who fully admit the immortality of the human soul, the destruction of our world will not appear so dreadful.“27. Gleichwohl hat der Leser nicht den Eindruck, dass Darwin diesen Glauben teilt. (C) Die gerade zitierte Stelle zeigt, dass nach Darwins Ansicht der Tatbestand, dass eine Überzeugung nahezu instinktiver Natur ist, nicht beweist, dass sie auch wahr ist. In der Tat ist eines der verblüffendsten Merkmale dieses Kapitels die Fähigkeit, die eigenen Überzeugungen gewissermaßen von außen zu betrachten. Darwin bietet uns sozusagen eine „natürliche Geschichte“ seiner religiösen Sichtweisen, wie er es schon zuvor mit denen der Menschheit im zweiten Kapitel von The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex28 getan hatte. Diese Haltung rührt teilweise von seiner Arbeit als Biologe, die – besonders in The Expression of the Emotions in Man and Animals – eine unvoreingenommene Beobachtung nicht nur seiner Kinder, sondern auch von sich selbst umfasst. Teilweise setzt sie eine Ablehnung einer intuitionistischen Erkenntnistheorie voraus, d. h. der Position, dass es bei religiösen Fragen nicht beweisbare, aber nichtsdestoweniger legitime Grundüberzeugungen gibt. Zumindest von Friedrich Heinrich Jacobi bis Alvin Plantinga haben Religionsphilosophen von einer solchen Erkenntnistheorie Gebrauch gemacht, die in der Tat verlockend ist; denn es ist nicht einfach zu sehen, wie ohne Grundüberzeugungen die ganze Idee einer Rechtfertigung irgendeinen Sinn ergeben kann. Und haben wir das einmal zugestanden, dann erweist es sich als schwierig, unseren religiösen Grundüberzeugungen denselben Status abzuerkennen, den wir unseren nicht-religiösen Grundüberzeugungen zusprechen. Darwin jedoch witzelt über diese Position, indem er die Bemerkung einer älteren Dame zitiert, die jene an Darwins notorisch skeptischen Vater richtete: „I know that sugar is sweet in my mouth, and I know that my Redeemer liveth.“29. Sein Haupteinwand gegen die erkenntnistheoretische Position, dass solche „inward convictions and feelings are of any weight as evidence of what really exists“ besteht darin, dass sich verschiedene Menschen oft in ihren Grundüberzeugungen unterscheiden und dass sich diese verschiedenen Überzeugungen teilweise logisch ausschließen. Unter den Religionen etwa gibt es keinen Konsens: „But it cannot be doubted that Hindoos, Mahomadans and others might argue in the same manner and with equal force in favour of the existence of 27 Ebd., S. 92. 28 Darwin 1981, I S. 65 ff. 29 Darwin 1993a, S. 96.
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one God, or of many Gods, or as with the Buddists of no God.“30. Was noch schwerer wiegt, ist, dass sich unsere eigenen Ansichten im Laufe der Zeit ändern. Darwin schildert die fast schon religiöse Ehrfurcht, die er als junger Naturforscher im brasilianischen Urwald empfand, „but now the grandest scenes would not cause any such convictions and feelings to rise in my mind. It may be truly said that I am like a man who has become colour-blind.“ Darwin denkt sogar, dass seine früheren quasi-religiösen Empfindungen in Wirklichkeit nicht religiöser Natur, sondern vielmehr dem Sinn für Erhabenes verwandt waren31. Er scheint zu unterstellen, dass die religiöse Dimension eine Deutung reiner Qualia darstellte, die an und für sich nicht im Geringsten mit der Idee von Gott in Verbindung standen. Allgemein berichtet er von einem zunehmenden Skeptizismus in der Entwicklung seines Geistes: „Nothing is more remarkable than the spread of skepticism or rationalism during the latter half of my life.“32. Diese Selbstdistanzierung erstreckt sich jedoch nicht auf moralische Gefühle. „The highest satisfaction is derived from following certain impulses, namely the social instincts.“33. Manchmal ist es uns erlaubt, ja geradezu unsere Pflicht, gegen die Erwartungen anderer Personen zu verstoßen; dann wird eine Person „still have the solid satisfaction of knowing that he has followed his innermost guide or conscience“34. Aber es ist nicht ersichtlich, weshalb wir uns mehr an unser Gewissen als an unsere religiösen Gefühle gebunden fühlen sollten; schließlich unterscheiden sich bei verschiedenen Personen auch die Gebote des Gewissens. Diese Selbst-Distanzierung spielt in der bereits erwähnten, späteren Ergänzung zur Passage eine zentrale Rolle, in der Darwin sich selbst zum Theisten erklärt. Er bemerkt, dass sein Glaube an eine Erste Ursache auf einem Prozess der logischen Folgerung beruht: „But then arises the doubt – can the mind of man, which has, as I fully believe, been developed from a mind as low as that possessed by the lowest animal, be trusted when it draws such grand conclusions?“35. Der Glaube an Gott werde schließlich Kindern eingeschärft, und es könnte auch sein, dass die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung nicht notwendiger Natur sei, „but probably depends merely on inherited experience“36. Folglich sieht sich Darwin nicht länger als Theisten, sondern als Agnostiker an.37 30 31 32 33 34 35 36 37
Ebd. S. 90 f.; analog in Bezug auf moralische Überzeugungen: Darwin 1981, I S. 99. Darwin 1993a, S. 92. Ebd., S. 95. Ebd., S. 94. Ebd., S. 95. Ebd., S. 93. Ebd. Schon am 17. Februar 1861 schrieb er an Asa Gray : „With respect to Design & … I have no
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II. Darwins religiöse Ideen sind nicht revolutionär, vielmehr beruhen sie auf der Entwicklung der Naturwissenschaften und der Philosophie in der Frühmoderne. Unter Wissenschaftshistorikern besteht heutzutage kaum ein Zweifel daran, dass das Wunder der modernen Naturwissenschaft seine tiefen Wurzeln in einer religiösen Sicht der Welt hat.38 Diese Sicht bot sowohl eine moralische Rechtfertigung für das neue Vorhaben, das menschliche Leben mittels der Entwicklung der Wissenschaft und Technik zu vereinfachen, als auch eine metaphysische Grundlage für den entscheidenden Begriff universeller Naturgesetze, die keine Ausnahme erlauben – eine Auffassung, die der antiken Welt, der deren theologische Voraussetzungen fehlten, noch fremd war.39 Es stimmt, dass einige der Gründerväter der modernen Naturwissenschaften keine orthodoxen Christen waren, d. h. sie wiesen die Glaubenslehren der Trinität und/oder der Göttlichkeit von Christus zurück, wie es Newton tat; aber die meisten von ihnen waren dem Theismus oder Deismus verbunden. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden letzteren Auffassungen ist, nebenbei bemerkt, verschwommen und oft auch irreführend. Dies ist teilweise dem Umstand geschuldet, dass die verschiedenen Elemente, die der Definition von „Deismus“ dienen, weder logisch äquivalent noch stets gleichzeitig empirisch verwirklicht sind. Hegel z. B. akzeptiert, wie auch Tindal oder Toland, keine Offenbarung, die die Vernunft transzendiert, doch er nimmt die Trinitätslehre ernster als jeder andere Philosoph der Moderne; Dickens glaubt nicht an die Göttlichkeit von Christus, aber er sieht die Moral des Evangeliums als unübertroffen und unübertreffbar an. Für Theologiehistoriker ist ein mehrdimensionales Kontinuum zwischen dem traditionellen Theismus und der natürlichen oder rationalen Theologie nützlicher als eine scharfe Entgegensetzung beider Auffassungen.40
real objection, nor any real foundation, nor any clear view. – As I before said I flounder hopelessly in the mud.“ (Darwin 1994, S. 30). Darwin bezieht sich auf verschiedene frühere Briefe, etwa jenen vom 26. November 1860 (Darwin 1993b, S. 496). Der Briefverkehr mit Gray umfasst in einer faszinierenden Vielfalt botanische, theologische und politische Fragen. 38 Vgl. Yolton 1990. 39 Es mag ausreichen, auf das Ende des zweiten Buches von Aristoteles’ Physik zu verweisen, wo der Autor die primitive vor-darwinsche Theorie von Empedokles verwirft, die noch nicht von variierenden Vermehrungsraten Gebrauch macht (198b 10 ff.). Das ganze Argument funktioniert nur deshalb, weil Aristoteles den Begriff des Naturgesetzes ignoriert, wie Hans Wagner richtig bemerkt (Wagner 1979, S. 479). 40 Der Fall des Deismus im 19. Jahrhundert hat mehrere Ursachen – eine liegt zweifelsohne darin, dass er das orthodoxe Christentum durchdrungen und verändert hatte. Er wurde überflüssig. – Ich gebrauche „natürliche Theologie“ und „rationale Theologie“ äquivalent, auch wenn man einwenden kann, dass die natürliche Theologie jene Unterart der rationalen Theologie darstellt, die einzig a-posteriori-Argumente für Gottes Existenz anführt. Die ra-
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Ein anderer Grund, weshalb die Unterscheidung zwischen Deismus und Theismus mehr Probleme denn Lösungen schafft, liegt darin, dass eines der Hauptkriterien für die Unterscheidung – ob Gott die Welt nur geschaffen hat oder ob er immer noch in ihr Geschehen eingreift – für eine Zwischenlösung offen steht: Gott agiert gemäß den geschaffenen Gesetzen, doch in der nach seinen Gesetzen ablaufenden Entwicklung der Welt ist er gegenwärtig – bei bestimmten axiologisch ausgezeichneten Ereignissen mehr als bei anderen. Unmittelbar nach der Veröffentlichung von The Origin rief ein berühmter, sich äußerst gut verkaufender Sammelband von liberalen Theologen, Essays and Reviews, Disziplinarmaßnahmen der Kirche von England hervor. (Dies verhinderte jedoch nicht, dass einer ihrer Autoren, Frederick Temple, später Erzbischof von Canterbury wurde.) In diesem Buch behauptete der Pastor Baden Powell, der aufgrund theologischer Überlegungen den Spezialkreationismus noch vor Darwins Buch verworfen hatte, dass der Glaube an eine Weltordnung ohne Störungen, d. h. ohne Wunder, Gott mehr Respekt zollt als die Annahme, dass er seine Schöpfung periodisch durch spezielle Eingriffe in Ordnung bringen müsse41. Woher rührt diese Auffassung? Die Idee, dass göttliches Handeln notwendigerweise gemäß der Naturgesetze verläuft, wurde eindringlich von Spinoza vorgebracht. Aber die Gesetze sind nicht hinreichend; jedes Ereignis muss auch eine Zweitursache haben, keines kann lediglich durch die ewigen Eigenschaften Gottes, d. h. durch seine Naturgesetze erklärt werden.42 Die Anziehungskraft dieser Idee beschränkt sich nicht auf den pantheistischen Kontext, in dem Spinoza sie entwickelt; noch impliziert die Idee als solche eine substantielle Identität von Körper und Geist oder eine Zurückweisung jeglicher Physiko-Theologie, auch wenn Spinoza nur Verachtung für sie wie für jede realistische Werttheorie hegt.43 Wie bekannt ist, war die Suche nach göttlichen Zwecken in der Schöpfung verschiedener natürlicher Objekte ein wichtiger Teilaspekt der frühen Naturwissenschaft – man denke an die ,Boyle Lectures‘, die 1692 begannen. In England dauerte diese Tradition weit länger an als im kontinentaleuropäischen Raum, genauer gesagt bis zu den Bridgewater-Traktaten (1833 – 1840). Doch schon im 18. Jahrhundert witzelte man über die diversen ,Theologien der Insekte‘ und ähnliches, so z. B. Voltaire. In seinem meisterlichen Werk Natur ohne Sinn? hat Matthias Schramm gezeigt, wie die Forschungen von Leibniz, Euler und Maupertuis – die schließlich zu den Extremal-Prinzipien tionale Theologie ist umfassender, da sie ebenso a-priori-Argumente anerkennt, wie etwa den ontologischen und den moralischen. 41 Powell 1860, S. 114. 42 Vgl. Ethica, I 28. Curley (1969) hebt hervor, dass Spinoza dadurch das Hempel-Oppenheim Modell der wissenschaftlichen Erklärung vorwegnimmt. 43 Ethica I Appendix.
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führten, insbesondere dem Prinzip der kleinsten Wirkung – schon eine Reaktion gegen die theologischen Absurditäten darstellten, die Gott in den begrenztesten Zweck-Mittel-Relationen zu finden glaubten, entweder zwischen Organen und ihren Organismen oder, noch schlimmer, zwischen anderen Arten und den Menschen. Eine formale Theologie wurde als vielversprechender angesehen als die traditionelle, die sich an konkreten Inhalten orientiert.44 Leibniz ist der bekannteste unter jenen Denkern, die eine Vermittlerposition einnehmen zwischen Spinozas Postulat, dass Gott notwendigerweise durch die Naturgesetze wirkt, und einer finalistischen Interpretation der Welt, die kein Theist aufgeben kann. Leibniz akzeptiert das Prinzip des hinreichenden Grundes und somit ein alles durchdringendes System der Wirkursachen, doch zugleich legt er dar, dass sie die Zweckursachen nicht logisch ausschließen. Die Welt des Bewusstseins kann ohne Finalität nicht erfasst werden, und selbst das System der Naturgesetze, insbesondere die Bewegungsgesetze sind nicht einfach eine Schlussfolgerung aus der Logik, sondern setzen ein axiologisches Prinzip voraus.45 Gott wählt unter allen möglichen Welten diejenige mit dem maximalen Wert aus: Seine Weisheit manifestiert sich in der Wahl des Ganzen und nicht etwa in der Wahl von einzelnen Zwecken. Darwins Ablehnung des Spezialkreationismus war nichts anderes als die Anwendung von Spinozas Idee, dass Gott lediglich durch Antezedens-Bedingungen und allgemeine Gesetze wirkt, auf die Arten: Die Arten stellen keine ewigen Merkmale der Welt dar, und daher muss auch ihre Existenz aus Antezedens-Bedingungen (früheren Arten) und allgemeinen Gesetzen (unter denen der Mechanismus der natürlichen Auslese eine überragende Rolle einnimmt) erklärt werden. Darwin hatte in der Tat eine tiefgehende Ehrfurcht vor universellen Gesetzen, und diese Ehrfurcht war eine der Triebfedern für seine Entdeckungen. Sein Sohn William schrieb kurz nach dem Tod Darwins über ihn: „As regards his respect for the laws of nature it might be called reverence if not a religious feeling. No man could feel more intensely the vastness or the inviolability of the laws of nature“.46 44 Schramm 1985, S. 71. Vgl. z. B. I. Kant, Der einzig mögliche Beweissgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, A 63 f. Kant spricht von der „Sparsamkeit der Natur“ (A 63, Weischedel-Ausg. I, 141). 45 Vgl. Principes de la Nature et de la Grace, fond¦s en raison (1978, VI 598 – 606; 603). Eine der zentralen Einsichten von Kants oben (Anm. 44) erwähntem Werk besteht darin, dass selbst die logisch notwendigen Naturgesetze als eine Manifestation der göttlichen Vernunft gedeutet werden können (A 56, 101, 118); somit kombiniert er Spinoza und Leibniz. Interessant sind beispielsweise seine Überlegungen zu den geometrischen Eigenschaften des Hexagons und seiner Bedeutung in der Natur (A 95, 141, 152). Man vergleiche damit Darwin 1968, S. 247 ff. zu den Bienenwaben. 46 Dieser unveröffentlichte Brief an Francis Darwin vom 4. Januar 1883 wird hier nach Sloan 2005, S. 143 zitiert.
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Der rationalistische Geist der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts wurde dem jungen Darwin nicht durch Spinoza oder Leibniz nahegebracht, sondern durch William Whewell47 und John Frederick William Herschel, die er beide persönlich kennenlernte und die beide nicht gewillt waren, seine Theorie zu akzeptieren.48 Den größten Einfluss unter den bedeutenden Philosophen übte David Hume auf ihn aus, was vielleicht den zunehmenden Skeptizismus des alternden Darwin in Bezug auf religiöse Fragen erklärt. Ich habe bereits auf Humes Einfluss angespielt, als ich über Darwins „natürliche Geschichte“ seiner eigenen religiösen Sichtweisen berichtet habe; und die frühen Notizbücher weisen in der Tat einen weitreichenden Einfluss des schottischen Denkers auf.49 Die zitierten Werke sind A Treatise of Human Nature, An Enquiry Concerning Human Understanding, A Dissertation on the Passions, The Natural History of Religion und die Dialogues Concerning Natural Religion. Das letztgenannte Buch muss für Darwin einen ganz besonderen Reiz ausgeübt haben, da es eine kraftvolle Kritik des ,argument from design‘ entfaltet – lange vor Darwins eigener Theorie, die interessanterweise in Teil VIII des Buches andeutend vorweggenommen wird50. Humes Einfluss zeigt sich auch in Darwins Ablehnung eines freien Willens;51 und in der späten Autobiography spiegelt das Hauptargument gegen die Schlüssigkeit des kosmologischen Beweises Humes Kritik am Begriff der Ursache. Auch Humes Idee, die Evolution der Religion anhand universeller Gesetze zu erklären, findet sich in Darwins Kritik eines Philosophen wieder, „who says the innate knowledge of creator ,is‘ „has been“ implanted in us … by a separate act of God, & not as a necessary integrant part of his most magnificent laws, of which we profane „degnen“ in thinking not capable to ,do‘ produce every effect, of every kind which surrounds us“52. Diese Stelle ist deshalb von Bedeutung, weil sie belegt, dass die ablehnende Haltung des jungen Darwin gegenüber besonderen Akten der Schöpfung oder der Offenbarung Hand in Hand mit einem Theismus oder Deismus geht. Gewiss ist der Darwinismus als solcher mit einer spinozistischen oder leibnizschen Interpretation 47 Whewells dritter Bridgewater-Traktat: „Astronomy and General Physics Considered with Reference to Natural Theology“ wird schon in den Notizbüchern zitiert (C 72; 1987, 262 and C 91; 1987, 266) und stellt das erste der beiden Zitate am Anfang von „The Origin…“ bereit. Die Stelle findet sich zu Beginn des achten Kapitels des dritten Buches (Whewell 1833, S. 267). 48 Eine Übergangsstufe zwischen der allgemeinen Theorie und ihrer Anwendung auf die Biologie stellt der Aktualismus von Hutton und Lyell dar. Vgl. Gray 1884, S. 109 und Huxley, der „the ,Origin of Species‘ the logical sequence of the ,Principles of Geology‘“ nannte (1896, S. 232). 49 Vgl. C 270 (1987, S. 321), C 267 (1987, S. 326), M 104 (1987, S. 545), M 155 (1987, S. 559), N 101 (1987, S. 591), N 184 (1987, S. 596). 50 Hume 1947, S. 185. 51 M 27 (1987, S. 527), M 30 f. (1987, S. 526 f.), N 49 (1987, S. 576 f.). 52 M 136; 1987, S. 553.
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vereinbar, und es obliegt nicht der Naturwissenschaft, sondern der Philosophie zu entscheiden, welche der beiden Interpretationen die plausiblere ist. Unter Darwins Zeitgenossen ist es sein Freund und Bewunderer, der große Botaniker Asa Gray – eine der wenigen Personen, denen Darwin seine Theorie mitgeteilt hatte, bevor sie veröffentlicht wurde –, der diesen Punkt voll und ganz nachvollziehen konnte und den bedeutendsten Versuch unternahm, die Idee der natürlichen Auslese in eine theistische Weltsicht zu integrieren.53 (Es war ein Brief von Darwin an Gray aus dem Jahre 1857, der am 1. Juli 1858 in der Linnean Society verlesen wurde, um zu beweisen, dass Darwin seine Theorie entwickelt hatte, bevor er von Wallaces analoger Theorie Kenntnis hatte.) Gray, der ein orthodoxer Protestant und von bemerkenswerter philosophischer Gewandtheit war, verteidigt die zentralen Thesen des Darwinismus mit Scharfsinn gegen ihre Kritiker (z. B. Louis Agassiz), doch er behauptet, dass er nichts anderes als eine Hypothese sei – gleichwohl die beste Hypothese, die zur Verfügung stehe und die Theologen gut beraten seien zu respektieren54. Seine Überlegungen zu den philosophischen Konsequenzen des Darwinismus beeindrucken den Leser, weil sie ein vollständiges Verständnis der Theorie an den Tag legen,55 ein Bewusstsein der einschlägigen methodologischen und erkenntnistheoretischen Fragen, einen eleganten Stil, eine vernünftige Religiosität, eine Unbefangenheit und gar Respekt gegenüber anderen Meinungen und, zu guter Letzt, einen feinsinnigen Humor.56 Es verwundert daher nicht, dass seine zahlreichen Aufsätze über den Darwinismus und die Religion schon bald, nämlich im Jahre 1876, in einem Sammelband veröffentlicht wurden (mit einer Neuauflage 1884) und dass er im Jahre 1880 die Einladung erhielt, zwei Vorträge über Natural Science and Religion an der Theological School des Yale College zu halten.57 Sein erster Text, der 53 Ein anderer bedeutender christlicher Darwinist war St. George Mivart, dessen Beziehungen zu Darwin sich allerdings nach der Veröffentlichung von „On the Genesis of Species“ von 1871 schnell verschlechterten. 54 Gray 1880, S. 458 ff.; Gray 1884, S. 260 f. 55 „I declare that you know my Book as well as I do myself,“ schrieb ihm Darwin am 22. Juli 1860 (1993b, S. 298). 56 Es sei mir gestattet zu erwähnen, dass die von mir benutzte Ausgabe von „Natural Science and Religion“ (aus der Bibliothek der University of Notre Dame) mit einer handschriftlichen Widmung des Autors in lateinischer Sprache verziert ist – und zwar dem „amicissimo“ B. Peirce, womit ohne Zweifel sein Kollege Benjamin Peirce in Harvard gemeint ist, der bekannte Mathematiker, fromme Christ und Vater des größten amerikanischen Philosophen, Charles Sanders Peirce, dessen Spätphilosophie der evolutionären Liebe einige Gemeinsamkeiten mit der Theorie von Gray aufweist. 57 Schon am 26. September 1860 reagierte Darwin mit den folgenden Worten auf die 1860 veröffentlichten Artikel von Gray : „I do not pretend to be a good judge, as I have never attended to Logic, Philosophy & c; but it is my opinion that you are best reasoner, of any man, let him who he may, that I ever read. … The two last essays are far the best Theistic essays I ever read.“ (Darwin 1993b, S. 388). Am 24. Oktober 1860 schrieb Darwin an Gray, dass Lyell bekräftigt hatte: „It would be well worth while if a little Book could be got up by Asa Gray for
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bereits im März 1860 im American Journal of Science and Arts veröffentlicht wurde, ist eine Besprechung von The Origin, die zum Ende hin die philosophischen und theologischen Folgen von Darwins intellektuellem Durchbruch zum Thema hat. Er stellt zu Recht fest, dass der Autor sich darüber ausschweigt, wie er „harmonizes his scientific theory with his philosophy and theology“58, und er versucht, die implizite Philosophie zu rekonstruieren. Er fragt witzig, indem er auf Paleys Uhrmacher-Analogie anspielt: „What is to hinder Mr. Darwin from giving Paley’s argument a further a-fortiori extension to the supposed case of a watch which sometimes produces better watches, and contrivances adapted to successive conditions …?“59. Gray betont, dass man sich Gott als zeitlos vorstellen müsse; und er sagt, dass jeder philosophische Theist die Idee annehmen müsse, dass die Eingriffe des Schöpfers entweder ein für allemal erfolgt sind oder dass sie über alle Zeiten hinweg andauern.60 Er sieht in beiden Sichtweisen Gefahren, denn die erste führe zu einem Atheismus und die zweite zu einem Pantheismus – und er bevorzugt eindeutig die zweite Variante. „Natural law, upon this view, is the human conception of continued and orderly Divine action.“61. Um jedweden Unterschied zwischen einer ursprünglichen Schöpfung und späteren Eingriffen zu untergraben, beruft sich Gray, in meinen Augen recht ironisch, auf „profounder minds to establish, if they can, a rational distinction in kind between his working in Nature carrying on operations, and in initiating those operations.“62. Gray beharrt auf einer „continued directing intelligence“, was aber mit einem generellen Plan kompatibel ist. Während er am Ende einräumt, dass es einen unabhängigen Ursprung einiger Typen gegeben haben könne und somit „as much intervention as may be
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the theological part is so admirable.“ (Ebd., S. 443). Die zwei Bücher von Gray verdienen es, dass man sie heute neu auflegt. Dieser große amerikanische Intellektuelle mag sogar über sein Ableben hinaus dazu beitragen, dass der destruktive Kulturkrieg über die Evolution in den USA beigelegt wird. Denn er war, wie Darwin ihn nannte, „a hybrid, a complex cross of Lawyer, Poet, Naturalist, & Theologian! – Was there ever such a monster seen before?“ (Ebd., S. 350). In Briefen an andere Personen war Darwin jedoch nicht so wohlwollend. In Anspielung auf die Theorie der drei Stadien von Comte kritisiert Darwin in einem auf den 1. August 1861 datierten Brief an Charles Lyell, dass sich Herschel und Gray noch immer im theologischen Stadium der Wissenschaften befänden (Darwin 1994, S. 226 f.). Gray 1884, S. 56. Ebd., S. 57. In einem anderen Aufsatz wird als dritte Möglichkeit die Theorie von gelegentlichen Eingriffen erwähnt. Aber obgleich sie als die beliebteste Theorie bezeichnet wird, behauptet Gray, dass sie auf umsichtige Menschen den geringsten Reiz ausübt (Gray 1884, S. 159). Er nennt die Idee, dass jedes einzelne Organ von Gott geschaffen worden sei, „an idea which has been set up as the orthodox doctrine, but which to St. Augustine and other learned Christian fathers would have savored of heterodoxy“ (ebd., S. 357). (Gray 1880, S. 83) werden zudem Thomas von Aquin, Leibniz und Malebranche erwähnt. Gray 1884, S. 58. Ebd., S. 59.
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required“ akzeptiert, besteht er darauf, „that Natural Selection, in explaining the facts, explains also many classes of facts which thousand-fold repeated independent acts of creation do not explain, but leave more mysterious than ever.“63. Nur wenige Monate später veröffentlichte er in derselben Zeitschrift einen Dialog mit dem Titel „Design versus Necessity“, der von verschiedenen Weisen handelt, wie man den Wert von Darwins Buch für die natürliche Theologie abwägen könne.64 Interessant ist die am Ende hinzugefügte Anmerkung, dass der Gegner der theistischen Deutung den Begriff der Kontingenz statt den der Notwendigkeit hätte benutzen können65. Der dritte Aufsatz wurde ebenfalls im Jahre 1860 veröffentlicht und trägt den programmatischen Titel „Natural Selection not Inconsistent with Natural Theology“. Gray erwähnt, dass sich Darwins gradualistische Evolutionstheorie gut mit einem alten Prinzip der Naturphilosophie verträgt – sie „answers in a general way to the Law of Continuity in the inorganic world, or rather is so analogous to it that both may fairly be expressed by the Leibnitzian axiom, Natura non agit saltatim.“ Gray betont, dass dieses Prinzip nicht a priori vorausgesetzt werden kann, doch „naturalists of enlarged views will not fail to infer the principle from the phenomena they investigate – to perceive that the rule holds, under due qualifications and altered forms, throughout the realm of Nature.“66. (Es bedarf kaum einer Erwähnung, dass die spätere Theorie des Punktualismus ebenfalls eine Spielart des Gradualismus darstellt.) Gray ist sich darüber im Klaren, dass „the principle of gradation throughout organic Nature may … be interpreted upon other assumptions than those of Darwin’s hypothesis“67, aber die Darwinsche Theorie bietet sicherlich eine Erklärung für die Phänomene, die wir beobachten. Gray veranschaulicht seine Theorie am Beispiel der Individualität, die mit einem Verlust der vegetativen Reproduktion einhergeht und die im Verlauf der Evolution nur langsam zur Entfaltung kam, obgleich sie der „very ground of being as distinguished from thing“ ist. Gray nennt ausschließlich einzellige Pflanzen wirkliche Einheiten, nicht aber die komplexeren. „In the ascending gradation of the vegetable kingdom individuality is, so to say, striven after, but never attained; in the lower animals it is striven after with greater though incomplete success; it is realized only in animals of so high a rank that vegetative multiplication of offshoots are out of the question, where all parts are strictly members
63 Ebd., S. 61. 64 Ich konnte nicht herausfinden, auf wen sich „D. T.“ bezieht, der Name für den Gesprächspartner von „A. G.“, also Asa Gray. 65 Gray 1884, S. 86. 66 Ebd., S. 123. 67 Ebd., S. 126.
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and nothing else, and all subordinated to a common nervous centre – is fully realized only in a conscious person.“68
Im letzten Abschnitt des Aufsatzes über „Darwin and his Reviewers“ verweist Gray auf die äußerst stark schwankende Qualität der Besprechungen von The Origin; und über jene, die Darwins Buch unterstellen, dass es atheistisch sei, ist er ganz besonders irritiert. Gray merkt an, dass sich Darwin absichtlich über theologische Themen ausgeschwiegen hat, und in einer witzigen Übertragung der betreffenden Frage auf Darwins eigenen Umgang mit dem Problem kommentiert er : „This reticence, under the circumstances, argues design, and raises inquiry as to the final cause and reason why. Here, as in higher instances, confident as we are that there is a final cause, we must not be over-confident that we can infer the particular or true one.“69 Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass er nicht mit philosophischen Untersuchungen vertraut ist und sich daher nur auf Zweitursachen beschränkt; eine andere könnte darin bestehen, dass er es genießt, von unbedachten Menschen als Atheist abgestempelt zu werden. Im Allgemeinen, so Gray, ist ein Theist nur der Idee verpflichtet, dass es Zwecke in der Welt gibt, aber ganz und gar nicht der besonderen Behauptung, dass ein bestimmtes Ding oder Ereignis von Gott beabsichtigt ist. „Most people believe that some were designed and others were not, although they fall into a hopeless maze whenever they undertake to define their position.“70 Jede intelligente Person akzeptiert eine allgemeine neben einer besonderen Vorsehung, d. h., dass viele Ereignisse nur insofern von Gott gewollt sind, als sie eine Konsequenz der allgemeinen Gesetze sind, und kein bedachter Theist schreibt nur übernatürlichen Ereignissen eine Absicht zu71. In einem Punkt betritt Gray jedoch ein heikles Terrain, und zwar in seiner Behauptung – die von Darwin nachdrücklich abgelehnt wurde –, dass „variation has been led along certain beneficial lines“72 Es stimmt zwar, dass die Ursachen der Variation zu seiner Zeit unbekannt waren (und selbst heutzutage kennen wir nicht alle von ihnen), und es trifft auch zu, wie er sagt, dass Darwins Theorie nicht notwendigerweise impliziert, dass es mehr nachteilige Abweichungen gibt, als ohnehin schon bekannt waren. „Good-for-nothing monstrosities, failures of purpose rather than purposeless, indeed, sometimes occur ; but these are just as anomalous and unlikely upon Darwin’s theory as upon any other.“73 Doch an dieser Stelle neigt Gray dazu, die negativen Variationen herunterzuspielen, und ir68 69 70 71 72 73
Ebd., S. 125. Ebd., S. 144. Ebd., S. 138. Ebd., S. 149. Ebd., S. 148. Ebd., S. 147.
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gendwie unterstellt er die unmittelbare Anwesenheit Gottes, wenn die Zweitursachen noch nicht bekannt sind. Auf jeden Fall behauptet Gray nicht, dass der Darwinismus zu einer natürlichen Theologie führt; denn er erkennt an, dass das ,argument from design‘ vielleicht nicht jeden überzeugen werde. „But we may insist, upon grounds already intimated, that, whatever they were good for before Darwin’s book appeared, they are good for now.“74. Auch wenn sich Gray einer solchen Sprache nicht bedient, so verweist er doch auf den Umstand, dass die Genese eines Organismus rein gar nichts zu der Frage beiträgt, ob seine erstaunlich angepasste Struktur einer Absicht geschuldet ist.75 Ohne Zweifel kann der Darwinismus auf atheistische Weise interpretiert werden76 ; aber diese Interpretation folgt nicht aus der Theorie. „If you import atheism into your conception of variation and natural selection, you can readily exhibit it in the result.“77 Gray erkennt das Zufallsmoment (das er richtigerweise nicht in die Auslese, sondern in die Variation verortet) als das Hauptproblem. Eine große Zahl dieser Variationen „are not improvements, but perhaps the contrary, and therefore useless or purposeless, and born to perish.“78 Aber Gray kontert, indem er darauf verweist, dass die Natur mit einer Fülle von analogen Fällen aufwartet, nicht nur innerhalb der anorganischen Welt, sondern sogar unter den Menschen. „Some of our race are useless, or worse, as regards the improvement of mankind; yet the race may be designed to improve, and may be actually improving.“79 Von besonderem Interesse ist Grays Behauptung, dass Darwin die Teleologie wieder in die Naturwissenschaft zurückgebracht habe, „so that, instead of Morphology versus Teleology, we shall have Morphology wedded to Teleology“80. Teleologie (der Ausdruck wurde von Christian Wolff ins Leben gerufen) meint hier, dass eine Art von Nutzen für eine andere ist. Der Grund für dieses Wiederaufleben besteht darin, dass wir der Idee der Veränderlichkeit der Arten die eigentliche Ökologie verdanken.81 Wenn die Arten nicht ewig sind, sondern nur aufgrund eines kontinuierlichen Kampfes ums Überlebens fortbestehen, dann ist „the structure of every organic being … related, in the most essential yet often 74 Ebd., S. 152. 75 Ebd., S. 151 f.; vgl. S. 259. Ein analoges Argument findet sich in Kants „Allgemeiner Naturgeschichte und Theorie des Himmels“: Die mechanische Erklärung der Entstehung des Sonnensystems schließt dessen teleologische Deutung nicht aus (Weischedel-Ausgabe I, 231 f: A XX ff). 76 Gray 1884, S. 159. 77 Ebd., S. 154. 78 Ebd., S. 156. 79 Ebd., S. 157. 80 Ebd., S. 288. 81 Der Ausdruck „Ökologie“ wurde 1866 vom Darwinisten Ernst Haeckel geprägt (vgl. Leps 2004, S. 601).
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hidden manner, to that of all other organic beings, with which it comes into competition for food or residence, or from which it has to escape, or on which it preys“82. Es ist dieser holistische Zugang zur Natur, der Analysen der kausalen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten rechtfertigt, die zu einer „restoration of teleology“ geführt haben83, wie Gray in letzten Aufsatz seines Sammelbandes, in „Evolutionary Teleology“, schreibt. Doch das ist nicht nur für die Naturwissenschaft der Biologie von Bedeutung; es macht das ,argument from design‘ für seine Gegner plausibler, die stets auf die dysteleologischen Strukturen in der Natur verwiesen haben. „In the comprehensive and far-reaching teleology which may take the place of the former narrow conceptions, organs and even faculties, useless to the individual, find their explanation and reason of being. Either they have done service in the past, or they may do service in the future.“84. Die Mängel haben die Funktion, den Prozess der Evolution am Laufen zu halten und bessere Formen der Anpassung hervorzubringen. „In this system the forms and species, in all their variety, are not mere ends in themselves, but the whole a series of means and ends, in the contemplation of which we may obtain higher and more comprehensive, and perhaps worthier, as well as more consistent, views of design in Nature than heretofore.“85 Auch hier bestreitet Gray nicht, dass das ,argument from design‘ verworfen werden könne: Er ist sowohl mit Humes als auch mit John Stuart Mills bekannten Einwänden vertraut (nicht allerdings mit Kants Einwänden). Aber er wiederholt seinen Punkt, dass es – während die Frage nach Absichten in der Welt so lange von Philosophen diskutiert werden wird, wie die Welt dauert – im Darwinismus nichts dieser Annahme Abträgliches gibt. Er lehrt uns lediglich, die Natur als Ganzheit zu betrachten und in ihr als Ganzer eine Absicht zu entdecken oder zu verwerfen86. Doch zeigt uns die natürliche Auslese nicht die komplette Überflüssigkeit von Finalursachen an? Gray verweist auf den Umstand, dass die Auslese nur dann vonstatten gehen kann, wenn die Variation neue Formen hervorbringt; folglich kann sie nicht das erklären, was sie in Wirklichkeit voraussetzt87. In seinen Yale-Vorlesungen präzisiert Gray diesen Punkt. Für ihn ist nicht die gesamte Theorie der artübergreifenden Evolution, wohl aber die natürliche Auslese selbst nicht einfach eine simple Hypothese, sondern vielmehr eine Wahrheit88, während dem Gedanken, dass die Variation in alle Richtungen und 82 83 84 85 86 87 88
Darwin 1968, S. 127. Gray 1884, S. 357. Ebd., S. 375. Ebd., S. 378. Ebd., S. 379. Ebd., S. 385 f. Gray 1880, S. 46.
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rein zufällig erfolgt, nicht derselbe Status zukomme. Was auch immer die genauen – zu seiner Zeit immer noch unbekannten – Ursachen der Variation sind, die natürliche Auslese kann keine von ihnen sein, und daher kann sie nicht von sich aus die langsame Evolution zu immer komplexeren Formen erklären89. Zusammen mit der Variation ist jedoch „the principle of natural selection, taken in its fullest sense, … the only one known to me which can be termed a real cause in the scientific sense of the term“90. Eine Ursache ist es allerdings nur zusammen mit den Gesetzen der Welt des Lebendigen, die nach Darwin genauso verblüffend sind, wie sie es vor ihm waren. „Does it ,sc. natural selection‘ scientifically account for the formation of any organ, show that under given conditions sensitive eye-spot, initial hand or brain, or even a different hue or texture, must then and there be developed as the consequence of assignable conditions? Does it explain how and why so much, or any, sensitiveness, faculty of response by movement, perception, consciousness, intellect, is correlated with such and such an organism? I answer, Not at all! The hypothesis does none of these things. For my own part I can hardly conceive that any one should think that natural selection scientifically accounts for these phenomena.“91
Und deshalb kann auch vom ,argument from design‘ Gebrauch gemacht werden, wenn man ohnehin schon ein Theist ist92. Der Konflikt entflammt „not between Darwinism and direct Creationism, but between design and fortuity, between any intention or intellectual cause and no intention nor predicable first cause“93. Zum Ende hin erwähnt Gray, dass eindeutige Argumente für den Theismus nicht vom Studium der Natur rühren – es ist lediglich so, dass es diese Argumente nie ausschließt. Sein eigener Beweggrund dafür, an ein göttliches Prinzip der Welt zu glauben, liegt darin, dass dieser Glaube „gives us a workable conception of how ,the world of forms and means‘ is related to ,the world of worths and ends.‘ The negative hypothesis gives no mental or ethical satisfaction whatever.“94 Gray nähert sich auch einem erkenntnistheoretischen Argument an, indem er einen James Clerk Maxwell zugeschriebenen Satz zitiert, „that he had scrutinized all the agnostic hypotheses he knew of, and found that they one and all needed a God to make them workable“95. Auf jeden Fall interpretiert Gray die Evolution als die langsame Instantiierung der von Gott gewollten Werte. „As the forms and kinds rise gradually out of that which was well-nigh formless into a consummate form, so do biological ends rise and assert themselves in increasing distinctness, 89 90 91 92 93 94 95
Ebd., S. 49. Ebd., S. 70 f. Ebd., S. 73. Ebd., S. 84 f. Ebd., S. 89. Ebd., S. 91. Ebd.
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variety, and dignity. Vegetables and animals have paved the earth with intentions.“96. Anschließend steuert er einige (unbefriedigende) Überlegungen zum „insoluble“ Problem des freien Willens bei97 und schließt mit einigen Argumenten für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Wir haben gesehen, dass Darwin am Ende der Variation weiterhin skeptisch in Bezug auf Grays Versuch bleibt, die natürliche Theologie mit dem Darwinismus zu versöhnen. Das hat teilweise damit zu tun, dass Gray den Darwinismus von einer theistischen Warte her betrachtet, die für Darwin nicht gleichermaßen einleuchtend war.98 Aber Darwin sah auch die wesentlich schwächere These als nicht zwingend an, dass seine Theorie kompatibel mit dem Theismus sei. Soweit ich urteilen kann, gibt es zwei Haupteinwände gegen diese Kompatibilitäts-Behauptung. Einer wird von Darwin selbst nicht angeführt, spielt aber eine wichtige Rolle bei den üblichen Darstellungen des Niedergangs der Physiko-Theologie. Ihm zufolge hat der gesamte Begriff der Evolution das ,argument from design‘ zerstört.99 Wenn ein absoluter Geist in der Lage ist, unmittelbar zu seinen Zwecken zu gelangen – weshalb sollte es dann einen langwierigen Weg zu ihnen geben? Allerdings hat schon Leibniz diese Frage diskutiert und dabei akzeptiert, dass eine Weiterentwicklung der Vollkommenheit endlicher Wesen durchaus kompatibel sein mag mit der besten aller möglichen Welten, denn ein Wandel hin zum Besseren könnte selbst eine Vollkommenheit darstellen.100 Gewiss könnte eine derartige Welt, so könnte man vorbringen, interessanter und auch herausfordernder sein als eine, die absolut unveränderlich ist. Das zweite Argument ist damit verwandt, ist aber spezifischer : Darwin verweist auf die redundante Kraft der Reproduktion und die nachteiligen Abweichungen, die aus der Plastizität und der extremen Veränderlichkeit der Organismen resultieren. Auch wenn er es nicht sagt, so scheint es mir doch, dass die Malthussche Überproduktion für ihn irgendwie das Gegenteil des Prinzips der kleinsten Wirkung darstellt, das bei den natürlichen Theologen im Verlauf der 18. Jahrhunderts eine so große Beachtung fand. Die negativen Variationen und die Überproduktion mit der sich anschließenden Auslese scheinen nicht gerade die schnellstmögliche Route zu jenen Ergebnissen zu sein, die Gott vielleicht beabsichtigt hat – und daher sind sie unvereinbar mit der Vorsehung.101 Wie
96 97 98 99 100 101
Ebd., S. 93. Ebd., S. 97. Vgl. Miles 2001. Vgl. Schramm 1985, S. 54 und 164 f., der hier Hans Freudenthal folgt. Vgl. seinen Text „An mundus perfectione crescat“: Leibniz 1965, S. 368 ff.. In einem auf den 5. Juni 1861 datierten Brief an Gray weist Darwin die Idee einer designten Variation von sich und schreibt: „What an enormous field of undesigned variability there is
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kann man diesen Zweifeln entgegnen? In Hinsicht auf die nachteiligen Variationen kann man mit Gray einwenden, dass das Auftreten solcher Abweichungen bereits vor Darwin bekannt war ; folglich steuert seine Theorie nichts Negatives zu den alten Argumenten der Theodizee bei. Ganz im Gegenteil verhindert die natürliche Auslese, dass sich die nachteiligen Abweichungen weiter ausbreiten können; somit beschränkt sie die negativen Folgen des Zufalls und kann darüber hinaus beanspruchen, dass sie in Bezug auf die Anpassung von Nutzen („purposive“) ist.102 Darwin selbst war der Meinung, dass einer der Einwände gegen den Spezialkreationismus strikt theologischer Natur sei: Der letztere schreibt recht hässliche Resultate unmittelbar dem Willen Gottes zu103. So teilt er am 2. Mai 1860 Gray mit: „I cannot persuade myself that a beneficent & omnipotent God would have designedly created the Ichneumonidae with the express intention of their feeding within the living bodies of caterpillars, or that a cat should play with mice.“104 Das begriffliche Werkzeug, mit dem man solch üblen Phänomenen beikommen kann (die vom menschlichen Leiden und von der menschlichen Grausamkeit um ein Leichtes übertroffen werden), ist alt. Wer die göttliche Allmacht – meiner Ansicht nach aus guten Gründen – so interpretiert, dass Gott die Ursache von allem ist, ist gut beraten, die normativen Unterschiede zwischen verschiedenen Tatbeständen nicht preiszugeben. Das Leiden ist von Gott nicht in gleichem Maße gewollt wie die Freude, auch wenn es unmöglich ist zu bestreiten, dass beide von ihm gewollt sind, sofern sie auftreten und Gott als allmächtig angesehen wird. Das intellektuelle Werkzeug, von dem ein Theist wie Leibniz Gebrauch macht, besteht in der Behauptung, dass Gott gewisse negative Zustände hinnimmt, weil sie notwendigerweise mit den positiven Zuständen verknüpft sind, auf die er mit seinem vorausgehenden Willen abzielt, d. h. in einem starken Sinn des Wortes „Willen“, noch unabhängig von den einhergehenden Konsequenzen.105 Aber warum hat Gott eine Welt akzeptiert, in der überhaupt Leiden auftreten kann, das ein Mechanismus wie derjenige der natürlichen Auslese sicherlich mit sich bringt? Eine klassische Erwiderung lautet, dass ein ausschlaggebendes Kriterium bei der Wahl der Welt, die Gott geschaffen hat, die Einfachheit der Naturgesetze ist, und diese habe immer wieder Leiden zur Folge, einschließlich desjenigen unschuldiger Menschen. Selbst dann, wenn man den Variationen jegliche „Richtung“ abspricht, kann man dennoch innerhalb einer theistischen Weltanschauung dafür argumentieren, dass der Mechanismus der natürlichen
102 103 104 105
ready for natural selection to appropriate for any purpose useful to each creature.“ (Darwin 1994, S. 162; vgl. auch Darwin 1993b, S. 275; 389). Vgl. McMullin 2008 und bereits Darwin 1994, S. 226. Darwin 1968, S. 263. Darwin 1993b, S. 224. Vgl. Essais de th¦odic¦e § 114 (Leibniz 1978; VI 166).
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Auslese aus vier Gründen von Gott gewählt worden ist: Erstens ist die natürliche Auslese ein äußerst einfacher Mechanismus mit einer enormen Wirkkraft – Wallace hat sie 1859 mit der „centrifugal governor of the steam engine“ verglichen106. Zweitens impliziert die Überproduktion – zusammen mit der Knappheit der Ressourcen, der Variation und der Vererblichkeit der Eigenschaften – die natürliche Auslese als eine logische Konsequenz, und die Überproduktion ist ein Ausdruck des Prinzips der Fülle: Alle möglichen Lebensformen werden durchgespielt, auch wenn nur die kompossiblen Formen Bestand haben werden. Der Wert des Lebens ist der Grund dafür, dass es sich so weit wie möglich ausbreiten will, auch wenn der Preis hierfür in einem Kampf ums Überleben besteht, der zur Entwicklung komplexerer Lebensformen führt. Drittens ist die Überproduktion paradoxerweise die Ursache für das Auftreten von Knappheit, die die Organismen dazu zwingt, sich ökonomisch zu verhalten und die Ressourcen zu optimieren zu suchen: Daher wird den Organismen aufgrund der redundanten Reproduktion etwas aufgezwungen, das analog dem Prinzip der kleinsten Wirkung ist. Und viertens musste die Evolution – zusammen mit anderen Naturgesetzen und gegebenen Antezendens-Bedingungen – innerhalb eines deterministischen Universums zu eben jenen Ergebnissen führen, die Gott gewollt hat, wie etwa die Existenz von moralisch verantwortlichen Wesen.
III. Die Überlegungen von Asa Gray haben – zusammen mit den letzten Erwägungen – hoffentlich zeigen können, dass sich der Darwinismus und der Theismus nicht logisch ausschließen. Aber das zeigt noch nicht, wie Gray schreibt, dass der Theismus wahr ist. Der Theismus, also die Annahme, dass die Welt von einem absoluten Geist geschaffen wurde, impliziert sicherlich eine teleologische Deutung der Welt als Ganzer, denn ein geistbegabtes Wesen handelt nach Zwecken. Der Umkehrschluss scheint jedoch keinen Bestand zu haben; denn sowohl Aristoteles als auch Schopenhauer verteidigen eine teleologische Deutung der Natur auch ohne jeglichen Glauben an einen Schöpfergott: Die Zwecke wohnen der Natur auf immanente Weise inne. Welches sind die Argumente für den Theismus? Das ,argument from design‘ ist gewiss alles andere als zwingend. Wenn es ein göttliches Prinzip der Welt gibt, dann müssen wir die Welt mithilfe von Zwecken interpretieren, aber die Welt als solche nötigt uns keine teleologische Interpretation ab. Es gibt in ihr zu viel anscheinend Dysteleologisches. Wir mögen es als notwendig für wünschenswerte Zwecke wegerklären, aber nur dann, wenn wir bereits unabhängige Argumente für ein transzendentes Prinzip 106 Wallace 1991, S. 300.
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haben. Zudem haben Hume in seinen posthumen Dialogues Concerning Natural Religion von 1779 und Kant in Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes von 1763 wie auch in der Kritik der reinen Vernunft von 1781107 die zentralen Schwachpunkte des Arguments folgerichtig herausgestellt.108 Ihre immer noch gültige Erkenntnis lautet, dass das Argument nicht auf einer empirischen Basis aufgestellt werden kann. Hume, um mit ihm zu beginnen, schreibt, dass wir Ursachen aus Wirkungen erschließen können, wenn wir die beiden zusammen in anderen Fällen beobachtet haben; „but how this argument can have place, where the objects … are single, individual, without parallel, or specific resemblance, may be difficult to explain“109. Des weiteren ist nicht ersichtlich, weshalb die Ursache der Welt nicht selbst einer Ursache bedarf110. Denn dem Empirismus gemäß gründet sich all unser Wissen auf Erfahrungen von der Welt, so dass wir lediglich sagen können, dass die Ursache der Welt analog sein muss zu einer der Ursachen der Ordnung, die wir innerhalb der Welt auffinden, und alle geistbegabten Wesen, die wir kennen, sind von begrenzter Natur. „This world … is very faulty and imperfect, compared to a superior standard; and was only the first rude essay of some infant Deity, who afterwards abandoned it, ashamed of his lame performance“111; sie könnte auch das Gemeinschaftswerk von verschiedenen Gottheiten sein112. Neben der Vernunft als Ursache von Kunstwerken, sind auch der Instinkt und die vegetative und sexuelle Reproduktion Ursachen beachtlicher Objekte. Warum sollten wir dann annehmen, dass eine dieser Ursachen eher den Ursprung der Welt darstellt als eine andere? „Any one of these four principles above mentioned (and a hundred others which lie open to our conjecture) may afford us a theory, by which to judge of the origin of the world; and it is a palpable and egregious partiality, to confine our view entirely to that principle, by which our own minds operate.“113
Man könnte den letzten Satz verwerfen, indem man von einer cartesischen Theorie ausgeht, derzufolge die Erste-Person-Perspektive eine erkenntnistheoretische Priorität genießt; wenn man diesen Schritt aber nicht vollzieht, dann ist 107 Kant Weischedel-Ausg. II, S. 548 – 555. 108 Es ist immer noch eine erstaunliche Tatsache der vergleichenden Philosophie, dass der Denker, der Humes Kritik am nächsten kam, der Inder Ramanuja aus dem 11./12. Jahrhundert in seinem Sri Bhashya ist – ein Autor, der Hume natürlich unbekannt war. Vgl. Yandell 1999, S. 205 ff. Diese Tatsache bezeugt eine seltsame Konvergenz in der Entwicklung des menschlichen Geistes, man ist versucht zu sagen: eine gewisse Teleologie in der Geschichte der Philosophie. 109 Hume 1947, S. 149. 110 Ebd., S. 161. 111 Ebd., S. 169. 112 Ebd., S. 167. 113 Ebd., S. 178.
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Humes Vermutung, „that the world arose by vegetation from a seed shed by another world“, nicht weniger rational als der Glaube an eine Schöpfung der Welt durch ein geistbegabtes Wesen. Hume ist sich über die Tatsache im Klaren, dass es auch ein apriorisches Argument für den Theismus gibt, nämlich eine Kombination des kosmologischen und ontologischen Beweises, wie sie von Demea vorgeschlagen wird, aber seine Gesprächspartner Cleanthes und Philo verwerfen es einstimmig.114 Schon in der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels von 1755 (A XIV f.), zumal aber in Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes von 1763 hat Kant vorgebracht, dass das ,argument from design‘ lediglich einen Architekten beweisen könnte, nicht aber einen Schöpfer der Welt (A 116), und dass es nicht zeigen kann, dass die Ursache der Welt vollkommen oder gar eine einzige ist (A 199 ff.). Der erste Einwand wird in der Ersten Kritik wiederholt (B 655/A 627), wo die allgemeine Einsicht formuliert wird, dass die gefolgerte Ursache nur proportional zur Wirkung sein kann. Daher kann der empirische Weg niemals zu einer absoluten Totalität führen (B 656/A 628).115 Nur dank des durch die Hintertür eingeschleusten Gebrauchs des kosmologischen Arguments, das ein notwendiges Wesen beweisen möchte und das wiederum selbst das ontologische Argument voraussetzt, kann das physikotheologische Argument zu einem absoluten Wesen führen. Folgt man allerdings dem späteren Kant, so sind auch der kosmologische und der ontologische Beweis hoffnungslos zum Scheitern verurteilt, während der jüngere Kant noch eine neue Variante des ontologischen Beweises verteidigt hat, die er später verwarf. Gleichwohl beschränkt sich Kants Beitrag zur natürlichen Theologie, wie allgemein bekannt ist, nicht auf seine destruktive Arbeit, die er in Der einzig mögliche Beweisgrund und in der Ersten Kritik verrichtet. Die Kritik der praktischen Vernunft führt Gott als ein Postulat der praktischen Vernunft ein (A 223 ff.), und auch wenn der erkenntnistheoretische Status dieses Postulats nicht eindeutig und kontrovers ist, kann Kant doch beanspruchen, dem moralischen Argument für die Existenz Gottes eine neue Grundlage gegeben zu haben. Dies geht mit Kants radikalem Bruch mit der eudaimonistischen Ethik einher : Die Frage nach unserer Pflicht kann nicht auf das Problem reduziert 114 Ebd., S. 188 ff. Die Gegenargumente von Cleanthes sind teilweise zirkulär, teilweise gehen sie von falschen Voraussetzungen aus (so verwechselt er Ursachen mit Gründen; ebd., S. 190), und da Philo auf das ganz andersartige Problem verweist, dass die Notwendigkeit Gottes vielleicht die Notwendigkeit der Welt impliziert (191) – folglich eine spinozistische Konzeption –, müssen wir hier offen lassen, ob Hume alle Argumente von Cleanthes teilt, der in den anderen Teilen des Dialogs beschämend schlecht argumentiert. 115 Der Fairness halber sei angemerkt, dass beispielsweise Paley sich darüber im Klaren ist, dass die der Ursache der Welt zuschreibbaren Attribute nur „beyond all comparison“ liegen (Paley 1809, S. 443 f.).
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werden, was uns glücklich macht. Wenn aber die moralische Tatsache nicht auf natürliche Begierden wie die nach dem Glück reduziert werden kann, dann ist das moralische Sollen kein Teil dieser Welt. Doch wie kann es dann in dieser Welt seine Wirkung entfalten? Wie können wir eine Pflicht haben, dem moralischen Gesetz gemäß zu handeln, wenn die natürliche Welt nicht prinzipiell durch die Gebote des Sollens formbar ist? Diese Fragen werden in der Kritik der Urteilskraft von 1790 behandelt, deren zweiter Teil, die „Kritik der teleologischen Urteilskraft“, die eindrucksvollste Verteidigung eines teleologischen Denkens in der Moderne seit dem Zusammenbruch der traditionellen Physiko-Theologie darstellt. Kants Verteidigung beharrt allerdings darauf, dass die Teleologie ein regulatives, nicht aber ein konstitutives Prinzip ist (B 270): Sie ist ein subjektives Prinzip zur Beurteilung der Phänomene. Kant wiederholt seine Meinung, dass die Physiko-Theologie nicht das hält, was sie verspricht. Sie hat keinerlei Möglichkeit, die Frage nach dem letzten Zweck der Natur anzugehen (B 401); und sie kann keine Ursache mit absoluten Eigenschaften folgern: Wenn sie es dennoch tut, so ergänzt die praktische Vernunft durch die Hintertür das, was die theoretische Vernunft von sich aus nicht zu leisten vermag (B 404).116 Geht man von rein physikotheologischen Argumenten aus, so könnte die Ursache der Welt genausogut mit dem Instinkt wie mit der Vernunft agieren (B 409). Einzig die Ethiko-Theologie kann uns zu einem wahren Begriff von Gott führen, die Physiko-Theologie für sich genommen kann ebenso zu einer Dämonenlehre führen (B 414). Den letzten Zweck, den wir – uns immer über den subjektiven Charakter dieser Zuschreibung im Klaren seiend – Gott innerhalb der Ethiko-Theologie zusprechen müssen, sind menschliche Wesen unter moralischen Gesetzen (B 415 f.). Auf dieser Grundlage ist eine teleologische Deutung der Natur, mit der wir als Menschen unausweichlich verbunden bleiben, allerdings legitim (B 419). Es steht außer Frage, dass es sich kein gegenwärtiger Versuch, der die Teleologie in der Natur verstehen will, leisten kann, Kant außen vor zu lassen.117 Die Hauptgründe dafür, weshalb die zeitgenössischen Vorschläge einer naturalistischen Weltanschauung seitens von Neodarwinisten wie Dawkins so unattraktiv sind, liegen in den zwei Sphären der Normativität und der geistigen Welt. Der Naturalismus wird der Tatsache nicht gerecht, dass wir als Personen unweigerlich letzte intellektuelle und moralische Zwecke haben, die sich nicht auf das Ausführen von biologischen Programmen zurückführen lassen. Man mag mit 116 Vgl. auch Kants Aufsatz von 1788: Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie, A 36 ff (= Weischedel-Ausgabe V, 139 – 170). 117 Damit ist nicht gemeint, dass alle seine Ideen im Bereich der Religionsphilosophie Bestand haben. So kann Kants Kritik den ontologischen Beweis in der Version, die Plantinga vorschlägt, nicht umwerfen (Plantinga 1982, S. 197 ff.). Dessen Schlüssigkeit würde die subjektiven Einschränkungen aus der Welt schaffen, denen Kant die teleologischen Argumente unterwirft.
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kausalen Mitteln, etwa mittels der Soziobiologie, die Entwicklung unserer moralischen Begriffe zu erklären versuchen, aber auch wenn diese Erklärungsversuche die Genese einiger unserer Ideen erhellt haben, z. B. im Bereich der Sexualmoral, so sind sie doch prinzipiell nicht in der Lage zu erklären, woher die Geltung unserer moralischen Überzeugungen stammt. Dies ist das allgemeine Problem, dem sich jede bloß evolutionäre Darstellung gegenübergestellt sieht: Die Welt der Gründe ist, sowohl im theoretischen als auch im praktischen Bereich, nicht auf die Sphäre der Ursachen reduzierbar. Wir benötigen eine Theorie der Finalität, um uns als denkende und handelnde Wesen begreifen zu können, denn auch Denken und Argumentieren sind Handlungen, und Handlungen orientieren sich unweigerlich an Zwecken. Das ist, wie Kant richtig verstand, der Ausgangspunkt einer jeden Teleologie. Doch weshalb ist es nicht ausreichend, einerseits die Natur als bloße Sphäre der Ursachen und andererseits die Vernunft als eine hiervon unabhängige Sphäre anzunehmen? Die Antwort lautet, dass die Einheit der Natur, die von der Evolutionsbiologie so eindrucksvoll aufgezeigt worden ist, einer jeden dualistischen Theorie des Seins zuwiderläuft. Die einzigen vernünftigen und moralischen Akteure, die wir kennen, sind schließlich komplexe Tiere, und wenn es nicht plausibel ist anzunehmen, dass die kategorischen moralischen Gebote uns Menschen lediglich als das Ergebnis einer zufälligen Evolution auferlegt worden sind, dann ist es eine verlockende Idee, dass die Entwicklung von moralischen Wesen ein Zweck der Natur ist. Doch sind Akteure mit moralischen Zwecken der einzige Zweck der Natur? Es scheint ein kruder Anthropozentrismus, die vormenschliche Natur als etwas abzustempeln, das bloß von instrumentellem Wert für die Menschen ist. Es ist wesentlich plausibler, in der langsamen Evolution der Geistigkeit und der Fähigkeit, Zwecke zu haben, einen anderen Zweck der Natur zu erkennen. Selbst wenn es kausale Mechanismen für die Entwicklung der Arten gibt, und wahrscheinlich auch für den Ursprung des Lebens, kann man kaum bestreiten, dass das Leben mit seiner wunderbaren Anpassung der Organe untereinander und an den gesamten Organismus durch eine Form der Teleonomie gekennzeichnet ist, die sich sowohl vom anorganischen Bereich als auch von der vernünftigen Finalität der Menschen abhebt. Und es gibt nichts, was mit der modernen Naturwissenschaft unvereinbar wäre, wenn man die Entwicklung von anorganischen Objekten hin zu Organismen und selbstbewussten Geistwesen als Entfaltung immer komplexerer Zwecke deutet: Das Hervorbringen von Entitäten, die zunehmend komplexere Zwecke haben, ist sozusagen ein Zweck der Natur oder ihres Schöpfers; und der höchste Zweck ist die Erzeugung eines Wesens, das die Frage aufwerfen kann, was ein letzter Zweck ist.118 118 Zu einer konkreten Ausarbeitung der Art und Weise, wie transzendentale Werte in der Evolution realisiert werden vgl. Hösle 2005; zu einer möglichen teleologischen Interpre-
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Aber es gibt nicht nur praktische Zwecke für vernünftige Akteure, etwa die Gerechtigkeit; ein theoretischer Zweck muss das Erkennen der Wahrheit sein, ohne die weder die Naturwissenschaft noch die Philosophie einen Sinn ergibt. Nun setzt dieser Zweck zweierlei voraus: Erstens muss es vernünftige Akteure geben, die in der Lage sind, Schlussfolgerungen zu verstehen, und zweitens muss die Natur eine verständliche Form aufweisen. Das hat Folgen für die Art und Weise, wie die Natur beschaffen sein muss. Wenn man den Interaktionismus verwirft, d. h. die Vorstellung, dass mentale Zustände einen Einfluss auf physische Zustände nehmen können, wird das Argument der natürlichen Auslese daran scheitern, die Entwicklung mentaler Zustände zu erklären, da sie dann ohne jeglichen Nutzen sind. Zweifelsohne irren diejenigen, die beteuern, dass der Epiphänomenalismus sich nicht mit dem Darwinismus in Einklang bringen lässt. Denn man kann annehmen, dass es Gesetze der Supervenienz gibt, die garantieren, dass gewisse mentale Zustände mit bestimmten physischen Zuständen einhergehen. Gleichwohl wird die Existenz solcher Gesetze, wie wir bereits wissen, durch den Darwinismus vorausgesetzt und nicht erklärt. Es gibt allerdings ein weiteres Problem. Wenn wir unsere eigenen Gedanken ernst nehmen wollen, dann müssen wir davon ausgehen, dass einige physische Zustände des Gehirns miteinander kausal so verbunden sind, dass die korrespondierenden mentalen Zustände, z. B. in einer logischen Deduktion, auch logisch verbunden sind. Solch eine Voraussetzung ist kein bloßes Wunschdenken; es ist die transzendentale Voraussetzung einer jeden vernünftigen Untersuchung.119 Eine analoge teleologische Erklärung mag es für diejenigen Naturkonstanten geben, ohne die sich das Leben oder intelligentes Leben nicht hätten entwickeln können. (Es ist freilich nicht möglich, alle Naturgesetze mit derartigen Überlegungen zu rechtfertigen.) Man kann den Einwand erheben, dass es ein simples Faktum ist, dass solch eine Feinabstimmung vorliegt, doch wer bei simplen Fakten Halt macht, hilft in der Regel weder der Naturwissenschaft noch der Philosophie. Unsere philosophische Neugier wird eher befriedigt, wenn wir Gesetze auf ein Prinzip der Welt zurückführen können, das selbst ein geistbegabtes Wesen ist und das von innerweltlichen, endlichen Geistwesen erkannt werden will. Solch eine Zurückführung ist mit der Befriedigung der wissenschaftlichen Neugier geistesverwandt – vergleichbar mit dem Fall, als der Darwinismus die verschiedenen Arten nicht länger als reine Tatsachen hinnehmen musste, sondern ihre Existenz erklären konnte. Natürlich sind im Falle metaphysischer Erklärungen Gründe und nicht Ursachen, wie in naturwissenschaftlichen Erklärungen, am Werk. Alternative, nicht-teleologische Erkläruntation der Evolution hin zu den Menschen vgl. Wandschneider 2005; zur Überwindung des Dualismus zwischen der Natur und dem Sollen vgl. Illies 2006. 119 Vgl. Hösle 2006.
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gen für diese Naturkonstanten haben kaum Überzeugungskraft. Es ist außerordentlich unplausibel, dass sie und alle Naturgesetze durch die Logik determiniert sind, wie es allem Anschein nach Spinoza geglaubt hat. Das Modell des Multiversums, also die Idee, dass unsere Welt nur eine unter vielen anderen ist, die keine solchen teleologischen Eigenschaften aufweisen, ist anderseits per definitionem empirisch nicht verifizierbar ; und in metaphysischer Hinsicht gibt es an der Multiplizierung von aktualen Welten nichts, was reizvoll wäre.120 Zudem lässt sich das Argument leicht spiegeln, um die Bürden der Theodizee zu schmälern: Wenn wir die Idee akzeptieren, dass es viele aktuale Welten gibt, dann könnte es sein, dass Gott alle möglichen Welten geschaffen hat, in denen das Gute das Böse überwiegt; wir befinden uns in einer solchen Welt, aber nicht in einer mit einem maximalen Wert. Nach dieser Auffassung muss die Natur nicht nur so beschaffen sein, dass sie Geistwesen hervorbringt, sie muss auch verständlich sein. Und das bedeutet, dass wir Gründe dafür haben, nach Theorien Ausschau zu halten, die zugleich einfach und fruchtbar sind. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass jede gute wissenschaftliche Theorie mit den empirischen Tatsachen übereinstimmen muss; doch diese Übereinstimmung ist eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für die Qualität einer wissenschaftlichen Theorie. Schon in der Kritik der reinen Vernunft beharrte Kant auf solchen regulativen Prinzipien als der kontinuierlichen scala naturae der Geschöpfe (B 670 ff./A 642 ff., insb. B 696/A 668); in der Kritik der Urteilskraft (B XXVIIIff.) werden sie als ein Ausdruck der formalen Zweckmäßigkeit der Natur interpretiert. Darwins Theorie ist sicherlich eine der stärksten wissenschaftlichen Theorien. Sie fördert die Einheit der verschiedenen biologischen Disziplinen, aber auch die der Biologie und der Wissenschaften vom Menschen. Auf der Grundlage eines einfachen Arguments erlaubt sie es uns, Ursachen für Entitäten wie die Arten zu finden, die sich zuvor jeglicher Erklärung entzogen hatten. Sie bestreitet keineswegs die Schönheit und Komplexität der Welt des Lebendigen, sondern sie lehrt uns, sie als ein komplexes und zerbrechliches Netz anzusehen: Es kann leicht zerstört werden, und für seine Erhaltung tragen wir Menschen eine moralische Verantwortung. Sie vergrößert unseren Glauben in die Verständlichkeit und somit in die formale Zweckmäßigkeit der Natur zu dem sehr 120 Wir müssen die strikt modale Konzeption eines Multiversums von Lee Smolins Idee einer „cosmological natural selection“ unterscheiden. Denn ihr zufolge können durch den Kollaps Schwarzer Löcher neue „Universen“ entstehen; sie alle formen eine einzige Welt, selbst dann, wenn sich einige Naturkonstanten in den verschiedenen „Universen“ unterscheiden mögen. Diese Theorie ist naturwissenschaftlich, nicht metaphysisch, und sie fügt nichts Wesentliches zu der bekannten Tatsache hinzu, dass nur kleine Ausschnitte der Welt Orte für das Leben und Geistestätigkeiten bieten. Zudem hat die Theorie recht wenig mit der natürlichen Auslese zu tun.
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bescheidenen Preis, dass wir nicht länger unmittelbar zu der Ersten Ursache aufsteigen können, wann immer wir die relevanten Zweitursachen noch nicht verstanden haben. (Übersetzung aus dem Englischen von Patrick Spät)
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In den letzten Jahrzehnten haben sich Anwälte eines “Transhumanismus” für die Entwicklung und den Gebrauch von Technologien stark gemacht, um die menschliche Intelligenz, die Lebenserwartung und damit verbunden andere menschliche Eigenschaften zu verbessern. Sie behaupten, durch Technologie könnten und sollten wir Menschen unsere eigene biologische Zukunft steuern. Ihre Vision setzt Evolution im Darwinschen Sinn voraus und hängt gleichzeitig von modernen und fortschrittlichen Technologien ab. Gleichzeitig ist die transhumanistische Vision in philosophischen Ansätzen und religiösen Hoffnungen, die seit der Antike bestehen, verwurzelt. In der Tat, schon weit vor Darwin schlossen evolutionäre und progressive Vorstellungen oft Andeutungen mit ein, dass wir Menschen mit der richtigen Technologie einige Aspekte der Evolution in unsere eigenen Hände nehmen um unsere eigene biologische Zukunft zu steuern und damit das, was die Natur hervorgebracht hat, übersteigen und so zu einer völlig neuen “post-menschlichen” Spezies gelangen könnten. Diese transhumanistischen Ansätze werden kurz vorgestellt unter Berücksichtigung ihrer technologischen Annahmen und religiösen Ursprünge. Dann wird das transhumanistische Programm untersucht im Licht einer theologischen Perspektive, die den Menschen als Geschöpf betrachtet. Insbesondere werden ausgewählte Aspekte des traditionellen Menschenbildes berücksichtigt, dass der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist und transformiert, verherrlicht, ja sogar “vergöttlicht” werden soll. Diese theologischen Themen bieten Unterstützungen für die transhumanistische Idee, dass wir Menschen veränderliche Wesen sind, die Freiheit haben, sich selbst zu verbessern oder zu transformieren. Wie auch immer, die Theologie stellt eine Herausforderung für die transhumanistische Annahme dar, dass das autonome Individuum der Ausgangspunkt für die Verbesserung ist. Dabei wird gezeigt, dass die theologische Vision der Vergöttlichung des Menschen und die transhumanistische Vision von der Zukunft der menschlichen Evolution eng benachbart sind und doch in scharfem Kontrast zueinander stehen.
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The theory of evolution is an attempt to explain the present in light of the past, but it seems inevitably to invite us to speculate about the future. If complex forms of life have evolved from simpler forms, will even more complex living forms emerge in the future? If we human beings have evolved from extinct creatures more simple, might we become the extinct antecedents of creatures more advanced? Can we use our technology to produce future human beings who are no longer human as we are, or maybe not human at all? We are not the pinnacle of evolution. Are we merely a transitional form? But if so, must it not also be said that the human species, transitional like all others, is nonetheless unique because we alone possess the knowledge of evolution and the power to affect its future? Can anything whatsoever be said about the future of evolution? Does the theory make any prediction about what lies ahead? Is there any evidence of a general direction or some sort of “progress” that might be expected to continue to work itself out in the future, so that the future may be predicted not precisely but generally? Simon Conway Morris suggests something along these lines when he writes: “…we need [not] imagine that the appearance of humans is the culmination of all evolutionary history. Yet, when within the animals we see the emergence of larger and more complex brains, sophisticated vocalizations, echolocation, electrical perception, advanced social systems including eusociality, viviparity, warm-bloodedness, and agriculture – all of which are convergent – then to me that sounds like progress.”1 But as everyone knows, it is far easier to find a direction in the past, even to extrapolate that line of direction in the future, than to predict something wholly new. We might be able to make some predictions about the effects of climate change on species distribution, for example. But if by the “future of evolution” we mean the future evolution of something quite different from what has evolved already (something, for example, like a new species of hominid), then the theory of evolution is agnostic. I want to suggest, however, that the question of the “future” of evolution is not merely a scientific question but also today a practical question and indeed a theological question. In recent decades, many have claimed that human beings now have the power, if not to direct the future of evolution, then at least to modify our humanity to the point of becoming something more or different from merely “human” in the sense in which we ordinarily use the term. Ordinarily a key component of this claim is that we not only are about to acquire this power, but that we should acquire it and use it as soon as possible. This claim, I will suggest, is advanced in several forms, and it is useful to sort them out, which I will attempt to do by classifying them into three principle types: Experimentalism, Transhumanism, and Theological Transhumanism. I 1 Morris 2003, p. 307.
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will argue that of these three forms, Experimentalism is the weakest claim and Theological Transhumanism the strongest because it asserts the strongest possible warrant (the eternal creative purposes of God) for the most radical form of transformation. Finally, I will argue that any theological version of Transhumanism, if truly grounded in the Christian tradition, stands in sharp contrast to the other types, despite their agreement about the use of technology to advance evolution.
Preliminary Observations 1. At most these three types are arbitrary categories. No sharp line divides one from the others. But they are useful in organizing our work and, in particular, in pointing out the similarities and the differences between various points of view. 2. There are of course many critics of the use of technologies of human enhancement, not to mention of the notion that human beings should direct their own evolution. A foundational question – whether it is justifiable scientifically even to speak of interfering with evolution – is not explored here due to its complexity. Other objections, based more in philosophy and ethics, include the claim that these technologies threaten human nature or dignity, or that they raise profound questions about continuity of personal identity and thus of the authentic or true self through modifications of brain, mood, or memories. 3. The “future” of which we are speaking is not theology’s eschatological future, nor even of the end of this cosmos as understood by physics and cosmology, but merely the mid- to long-term human future measured in hundreds, maybe a few thousand years, or at most a few hundred thousand years, roughly as long as the time since anatomically modern homo sapiens arose in our present form. Although Christian theology will not confuse this time horizon with the eschaton, it recognizes nonetheless that this intermediate future “counts” over against the eschatological. Our efforts in history are just that – efforts in history. But they are more than a mere exercise in marking time, as if the movements of history were a matter of utter indifference when judged against the horizon of the eschatological. To use the most concrete theological language: while our efforts do not bring in the reign of God, they are used by God, in a way that is never fully known by us, as a means toward that goal. 4. We must also note that the overwhelming share of the technologies of human enhancement will not modify the human species in a way that has direct significance for the future of biological evolution as understood according to
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the “Modern Synthesis”. For the most part, these technologies modify the traits or capacities of existing individuals, without any change in the DNA inherited by future generations. Nevertheless, there has been some recent discussion of the possibility of human inheritable genetic modification or “human germline modification”2. Because it would allow human beings to modify the DNA of future generations, perhaps at first in order to reduce the likelihood of disease but, in time, to confer new or enhanced traits upon our descendants, this technology, if successfully developed and used, would constitute the most obvious form of “taking evolution into our own hands.” Whether other forms of human technological modification aside from germline modification will result in evolutionary change is a more difficult question. If the domestication of plants and animals has led through complex pathways to our own “domestication”, how much more will the technologies of the future have their affects, through even more complex and less expected pathways, on the future of our evolution?
Experimentalism The most modest form of the claim, and the least controversial, is that human beings should be free to develop and use technology to enhance or increase whatever traits we desire. Desirable traits range from athletic ability to physical appearance to cognitive ability. Also included as traits to be enhanced are our psychological or emotional mood, our moral predispositions, or the length of our lives. The desire to enhance these traits is widespread if not universal. Most people think that it is good to enhance these traits using classical methods such as education, physical exercise, or healthy living. Today, however, technology offers us new methods of enhancement. Some are opposed not to enhancement itself but to the use of technology to achieve what once was achieved by hard work. If technology replaces the satisfaction that comes from sustained effort, it deprives us of the value of accomplishment and becomes a kind of cheating. 2 For a range of recent opinions on the theological significance of human germline modification, see Cole-Turner 2007); most of the contributors argue that germline modification is acceptable within limits, most notably that it should not be used to enhance our offspring but only to avoid disease. While no one suggests that human germline modification is possible today, recent developments raise the possibility that it may be safe within decades. More speculatively, Lee Silver (Remaking Eden) has argued that human germline modification will produce a post-human species no longer capable of inter-breeding with today’s humans. One strategy under consideration is the insertion of a human artificial chromosome, a “cassette” of genes.
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But depending on how terms are defined, it is hard if not impossible to escape technology. If we define technology to include language itself, or writing, or at least the printing press, then we see that education without such technology is impossible to imagine. Nearly everyone recognizes the legitimacy of using at least some technologies to enhance human capacities beyond what biological evolution alone has produced. But is it right to use computers to enhance our access to information, especially if the computer/mind interface is not a screen and keyboard but a brain implant? Should we implant devices in the brain, something already being done on a limited scale? If we could, should we “upload” the contents of our brains to computers in order to achieve a kind of immortality, as suggested for example by inventor Ray Kurzweil? When it comes to enhancement technology, nearly everyone favors minimal forms (printing) while almost no one favors more extreme forms (brain uploading). The challenge is to know where to draw line. Advocates of “Experimentalism” argue that people should be free to gain access to enhancement technologies in order to try to achieve better athletic ability, physical appearance, sexual performance, cognitive ability including memory, the erasing of traumatic memories, a more elevated mood, resistance to disease, self-esteem, a longer lifespan, or even the intensity of spiritual experiences. A range of targets and technologies is envisioned, but the unifying term here of course is enhancement. John Harris defines enhancement this way : “…an enhancement is clearly anything that makes a change, a difference for the better.”3 According to Harris, an enhancement is good by definition: “In terms of human functioning, an enhancement is by definition an improvement on what went before. If it wasn’t good for you, it wouldn’t be enhancement.”4 Harris continues: “Enhancements are so obviously good for us that it is odd that the idea of enhancement has caused, and still occasions, so much suspicion, fear, and outright hostility.”5 These statements sound simple enough, but they cover over a host of complex questions, not the least of which is how to understand the moral status of “what went before”. Implicit in Harris’s argument is the view that evolution has not completed the task of human creation in a way that fully meets our expectations. It has left us wanting to be more than we are and willing to use technology to make ourselves “better”. “Better” by what standard? For Harris, “better” can only be defined by the person who wishes to be “enhanced”. Note that he says: “good for you”. You are the only person competent to judge what is good for you, a maxim consistent
3 Harris 2007, p. 36. 4 Ibid., p. 9. 5 Ibid., p. 36.
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with the contemporary secular bioethics cardinal principle of autonomy.6 By making autonomy the highest principle, Harris seeks to avoid the problem that arises in suggesting, as he does, that enhancement is good by definition. He is confident that no one would want to enhance an illness or an evil power.7 What if someone desires to be a “better” thief or a “better” liar? Would enhancing these traits make one a “better” person? Obviously not; but it is not clear how Harris guards against this problem. For him, the only judge of what is “better” is the person who wishes to be different. Any enhancement a sane person desires is by definition good. For Harris, the autonomous individual is not accountable to any external standard of human goodness. It is also important to ask whether persons are truly as autonomous as Harris seems to assume. Are we indeed independent of social and cultural forces that shape our views and decisions, or do we not rather internalize these external norms and make them our own? Social pressure is often subtle and unnoticed, but not always. What if we are told that we must take a cognition-enhancing drug if we are to keep our job? At one level, of course, we remain free; but such scenarios pose serious concerns for secular bioethicists who defend Experimentalism. In addition, they face the problem of enhancement of future generations. Do today’s parents have an autonomous right to enhance their asyet-unconceived children? Advocates of a strict view of autonomy find it difficult
6 Autonomy, the right of every individual to consent or to refuse any medical treatment, is firmly fixed in today’s bioethics in direct response to the eugenics movement. The idea that human beings might be subjected to selective breeding, or more commonly that some human individuals might be prevented from breeding, was widely endorsed by scientists and progressive religious leaders alike, first in the United States in the decades up to the 1930s, and then elsewhere. “Eugenics”, as this program was called, is now almost universally denounced because it relied on state coercion and forced sterilizations and because of some dubious assumptions about human genetics. But the core idea – that the offspring of human beings might be “improved” biologically, or more commonly, that human beings might prevent the deterioration of their gene pool – is very much alive. Today’s Transhumanists distinguish their proposals from earlier eugenics by replacing state control with patient autonomy. This is why autonomy is so critical to the argument given by both Experimentalists and Transhumanists; autonomy is the critical factor that distinguishes traditional eugenics from what is now sometimes called “laissez-faire” eugenics. 7 According to Harris: “Enhancements of course are good if and only if those things we call enhancements do good, and make us better, not perhaps simply by curing or ameliorating our ills, but because they make us better people. Enhancements will be enhancements properly socalled if they make us better at doing some of the things we want to do, better at experiencing the world through all of the senses, better at assimilating and processing what we experience, better at remembering and understanding things, stronger, more competent, more of everything we want to be. A welcome part of all this added value is the likelihood, the hope, and intention, that enhancements will also make us less: less the slaves to illness, pain, disability, and premature death; less fearful because we have less to fear ; less dependent, not least upon medical science and doctors.” Harris 2007, p. 2.
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to say no. Others, such as Julian Savulescu, argue that parents have a duty not just to give their children a healthy start in life but, if possible, to enhance them. These problems are only made more difficult by the possibility that if we were able to enhance cognitive abilities, we might get smarter criminals not to mention tyrants. On the other hand, we might like the idea of having smarter engineers or scientists, doctors or political leaders. Already there is a widespread use of drugs by people without neurological diseases who simply want to enhance their cognitive abilities, such as their ability to memorize while preparing for an examination. These drugs are originally intended to slow down the effects of dementia, but if they help the Alzheimer’s patient, perhaps they will also help graduate students.8 But some, such as Savulescu, argue that cognitive enhancement without moral enhancement is dangerous to society. Right now, however, it seems more likely that we can enhance cognition than that we can enhance, say, our ability to feel compassion. Besides, who is to say that it is good to be more compassionate or more aggressive? While some Experimentalists (like Savulescu) argue for a moral standard that constrains autonomy, many (like Harris) do not. Many other objections have been raised about the use of technologies of enhancement. One concern is the unjust distribution of the benefits of technology. Another is that if enhanced longevity became widespread, the human population would become even more disproportionately elderly, with few to care for them. Some argue that there is a clear distinction between therapy and enhancement; while it is good to use biomedical science for therapy, it is morally unacceptable to use it for enhancement. But others note that the distinction between therapy and enhancement, even if it feels right intuitively, is a hard line to draw much less enforce. Still others argue that if therapy brings us to a “normal” level of health or performance consistent with evolution, why (morally) should we feel we must stop with what evolution has given us? The “normal” or average condition of an evolved species has no moral weight. Some have suggested that the human struggle to improve ourselves by classical means is a central component of what gives us dignity, and that technology might deprive us of this need to struggle. Still others ask whether the person who is enhanced remains the same person after being modified. This is a particularly interesting objection when we are considering enhancements such as increased cognitive ability or the erasing of traumatic memories. It also raises interesting questions about autonomy : if I freely choose to be cognitively enhanced, then in my enhanced state choose something else, is it still me or my enhancement that does the choosing? This question – often identified as the question of au8 Recent polls suggest that use of cognitive enhancement drugs runs as high as 25 % of students on some US campuses.
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thenticity – has an interesting parallel: If some enhancements change a person into a different person, might many enhancements over time also change humanity into a different species? The position I am calling Experimentalism says no: human enhancement will not likely produce a “post-human” species. Furthermore, the purpose of enhancement is just that – to enhance our lives – not to “take evolution into our own hands”. It is odd, therefore, that Harris’s book is entitled Enhancing Evolution. Despite that title, Harris has almost nothing to say about evolution. In fact, he is clear that he wants to separate human enhancement from human evolution, probably because he believes it is easier to argue for a few ad hoc enhancements than for the grandiose program of engineering a new species. Harris writes: “…whether any proposed changes amount to changes in human nature, or to involve further evolution, seems ethically uninteresting. In particular, whether the enhancements might be judged to involve creation a new species, ‘a new breed’, or amount to ‘self-evolution’ or ‘post humanism’ or ‘transhumanism’ are not moral issues.”9 Harris is not clear why these are not moral issues, but goes on to suggest that “…the terms ‘transhumanist’ or ‘transhumanism’ … can seem to be a way of characterizing (and often embracing) a movement or quasi-religion which promotes, encourages, and indeed has as its objective the creation of a new species of ‘transhumans’. This idea has, I believe, no special merit aside from the ways in which the changes that (might) lead to the creation of a new species are justified and indeed mandated by the good that they will do for us and our successors.”10 While we might sympathize with Harris’s strategy of keeping enhancement simple, the question of enhancement leads us inevitably to the question of evolution, if for no other reason than that the purpose of enhancement is to improve on what evolution has given us.
Transhumanism While Harris largely detaches the question of human enhancement from human evolution, others such as Nick Bostrom and Julian Savulescu argue for the moral supremacy of human guidance over the “indifference” of nature. It is just this point, I want to suggest, that distinguishes “Transhumanism” from “Experimentalism”. An Experimentalist merely wants the freedom to use technology to enhance desired traits in pursuit of a “better life”, without claiming that the human species or even the human condition is improved. A Transhumanist, on the other hand, wants to use these technologies to produce “better people” 9 Harris 2007, p. 37. 10 Ibid., pp. 38 – 39.
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and, in the end, a better species. According to Savulescu, as products of evolution, “we are merely random chance variations of genetic traits selected for our capacity to survive long enough to reproduce. There is no design to evolution.”11 But because of the possibilities of genetic technologies of enhancement, Savulescu suggests, this is about to change: “The next stage of human evolution will be rational evolution, according to which we select children who not only have the greatest chance of surviving, reproducing and being free of disease, but who have the greatest opportunities to have the best lives in their likely environment. Evolution was indifferent to how well our lives went; we are not.”12 This premise – that intentional, morally-informed human action, otherwise known as “rational evolution” is superior to “merely random” evolution – is foundational to the claims of the Transhumanists. In a summary document entitled “Transhumanist Values”, Nick Bostrom writes: “Transhumanists view human nature as a work-in-progress, a half-baked beginning that we can learn to remold in desirable ways. Current humanity need not be the endpoint of evolution. Transhumanists hope that by responsible use of science, technology and other rational means we shall eventually manage to become posthuman, beings with vastly greater capacities than present human beings have.”13 Here again, note that for Bostrom, human beings must use “rational means” to enhance human capacities to the point that enhanced “humans” might no longer human at all, but “posthuman”. At the same time, today’s Transhumanists are somewhat cautious about the claim that we human beings are about “to take evolution into our own hands”. As we have just seen, it is clear that they define the project in evolutionary terms. But they describe their program in terms of improving or enhancing human performance and function, even in terms of improving the human condition, but not so much in terms of engineering the future of evolution. They insist that transhumanism is not merely an outlook; “Radical technological modifications to our brains and bodies are needed.”14 But these modifications are largely pharmacological or brought about by future developments in nanotechnology and cybernetics, not by interventions that will directly affect biological evolution. Human germline modification, which might directly affect evolution, is assigned a relatively small and unimportant place in the writings of today’s transhumanists. “It is unlikely that germ-line genetic enhancements will ever have a large impact on the world. It will take a minimum of forty or fifty years for the requisite technologies to be developed, tested, and widely applied and for a 11 12 13 14
Savulescu 2006, p. 529. Ibid., p. 530. Bostrom 2003, 1.1. Ibid., 1.2.
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significant number of enhanced individuals to be born and reach adulthood. Before this happens, more powerful and more direct methods for individuals to enhancement themselves will probably be available, based on nanomedicine, artificial intelligence, uploading, or somatic gene therapy.”15 This statement may or may not be an accurate prediction. It is clear, however, that it is endorsed because today’s Transhumanists wish above all to enhance themselves, to extend their own lives and increase their own intelligence, more than they wish to have distant descendants who enjoy these benefits. They wish to become transhuman, possibly even to become posthuman, rather than merely to create future posthumans.16 After all, why let our great-great-great-grandchildren have all the fun? “The transhumanist goal is not to replace existing humans with a new breed of superbeings, but rather to give human beings (those existing today and those who will be born in the future) the option of developing into posthuman persons.”17 Today’s Transhumanists wish to experience something like the future of evolution in their own extended lifespans. According to “The Transhumanist FAQ”, this is what Transhumanists want: “They yearn to reach intellectual heights as far above any current human genius as humans are above other primates; to be resistant to disease and impervious to aging; to have unlimited youth and vigor ; to exercise control over their own desires, moods, and mental states; to be able to avoid feeling tired, hateful, or irritated by petty things; to have an increased capacity for pleasure, love, artistic appreciation, and serenity ; to experience novel states of consciousness that current human brains cannot access.”18
And in the opening definition of Transhumanism found in “The Transhumanist FAQ”, we find this statement, obviously couched in the language of evolution and its future: “Transhumanism is a way of thinking about the future that is based on 15 Ibid., 3.2. 16 We should add here not only Experimentalists but also Transhumanists like Bostrom “place a high value on autonomy : the ability and right of individuals to plan and choose their own lives….Transhumanists seek to create a world in which autonomous individuals may choose to remain unenhanced or choose to be enhanced and in which these choices will be respected”, in: ibid., 1.1. In an interesting move, Bostrom suggests that individual enhancement will result in the improvement of “the human condition”. He writes: “According to transhumanists, the human condition has been improved if the conditions of individual humans have been improved.” But then he follows this with a restatement of the presupposition that underlies the principle of autonomy : “In practice, competent adults are usually the best judges of what is good for themselves. Therefore, transhumanists advocate individual freedom … From this perspective, an improvement to the human condition is a change that gives increased opportunity for individuals to shape themselves and their lives according to their informed wishes.” (ibid., 3.7., italics added). 17 Ibid., 3.7. 18 Ibid., 1.2.
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the premise that the human species in its current form does not represent the end of our development but rather a comparatively early phase.”19 Despite such lofty aspirations, today’s Transhumanists (or what “The Transhumanist FAQ” identifies as “contemporary usage”) distinguish their aspirations from an earlier version of Transhumanism. The earlier version, which they trace back to Julian Huxley, is comparatively more explicit about humandirected evolution than is today’s version. Huxley, writing in 1957, is often credited with coining the term “Transhumanism”: The human species can, if it wishes, transcend itself – not just sporadically, an individual here in one way, an individual there in another way, but in its entirety, as humanity. We need a name for this new belief. Perhaps transhumanism will serve: man remaining man, but transcending himself, by realizing new possibilities of and for his human nature. “I believe in transhumanism”: once there are enough people who can truly say that, the human species will be on the threshold of a new kind of existence, as different from ours as ours is from that of Pekin man. It will at last be consciously fulfilling its real destiny.20
According to Huxley “Transhumanism” presupposes evolution but seeks to go beyond it, “transcending” human nature as evolved. It will not be evolution that takes this step, but the human species intentionally or “consciously fulfilling its real destiny”. These key terms – “transcending” and “destiny” – are not typically found in the writings of today’s Transhumanists. Bostrom’s “The Transhumanist FAQ”, by contrast, credits F. M. Estfandiary (who changed his name to FM-2030) with the first use of “transhuman” in the contemporary sense. Unlike Huxley, for whom “Transhumanism” derives from “transcending the human”, Estfandiary’s “transhuman” is “shorthand for ‘transitional human’”.21 The contrast between transcending and transitional is a key to the difference between the early and the contemporary versions of Transhumanism.22 “Transcending” suggests something like progress, as if evolution will get there on its own anyway, but faster if we help; “transitional”, on the other hand, sounds like mere change for the sake of change, without any clear direction or progress in view. This distinction is consistent with the greater emphasis placed on the “future of evolution” by early Transhumanists compared to today’s. 19 20 21 22
Ibid., 1.1. Huxley 1957, p. 17. Bostrom 2003, 1.3. Bostrom’s “Transhumanist FAQ” refers to Huxley, but adds that the sense in which Huxley used transhumanism “…was not quite the contemporary one”, thereby maintaining the distinction between the early and the contemporary versions (ibid., 5.1). It should also be noted that “Transhumanist FAQ” gives credit to Max More for offering “the first definition of transhumanism in its modern sense (ibid., 5.1).”
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Another key difference is that today’s Transhumanists focus on the human beings now alive and on the possibility of their attaining a transformed or “transitional human” state, perhaps even extending their lifespans long enough so that technology will make them demonstrably posthuman. By contrast, the vision of early Transhumanism suggested by Huxley is the future evolution of the human species, aided by technology but reaching to the level of evolution itself, not just changing what has already evolved but changing the future of what shall evolve. Today’s Transhumanism has an undeniably individual, perhaps even selfish ring to it. This is seen first in its endorsement of autonomy as the core moral principle for any decision that might be made about technological modification: The individual is the only one qualified to decide what is good. By contrast, Huxley speaks of the destiny, not of the individual, but of the species. But it is also seen in the selection of the beneficiaries of technological modification. Rather than attempting to alter the course of future evolution to the benefit of future generations, today’s Transhumanists put the emphasis not just on the technologies that are at hand, but (more important) on the technologies that will modify those already alive.
Theological Transhumanism If we go back to the era of Julian Huxley and the 1950s, we find another writer who is also suggesting the idea of Transhumanism as a future stage of human evolution in which today’s humans are beginning to play a role. This of course is Pierre Teilhard de Chardin, S.J., who was in close contact with Huxley during these years and who may have suggested the very word “Transhumanism” to Huxley.23 As early as 1948, Teilhard writes that the human species now “feels himself to be on the verge of acquiring the power of physico-chemical control of the operations of heredity and morphogenesis in the depths of his own being. So we may say that since by a sort of chain-reaction consciousness, itself born of complexity, finds itself in a position to bring about ‘artificially’ a further increase of complexity in its material dwelling…”24 A few years later, Teilhard writes about “…some sort of trans-humanity at the ultimate heart of things.”25 For Teilhard, the emergence of human life on earth is a process that stretches from the past through the present to the future. Why should we think “that the human species, having attained the level of Homo sapiens, has reached an upper organic limit beyond which it cannot develop, so that anthropogenesis is only of 23 See Grumett 2011. Also see Grumett 2005. 24 Teilhard de Chardin 1964, p. 205. 25 Ibid.,, p. 297.
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retrospective interest in the past.”26 It is “wholly illogical and arbitrary”27 to think that human evolution will not continue, and it is in this context that Teilhard speaks of the “ultra-human”.28 Quite remarkably, Teilhard argues that as human beings become aware of themselves as products of evolution, they begin to acquire the tools to understand and shape the very processes which created them. In this way, “evolution itself is now entering a new phase.”29 According to Teilhard, “from the time of Man the evolutionary mechanism undergoes a radical change.”30 Scientific consciousness and technological power are critical factors for Teilhard. Unlike the Transhumanists, however, Teilhard sees a theological necessity in the future of what he calls “cosmogenesis”. For “the ultra-human perfection which neohumanism envisages for Evolution will coincide in concrete terms with the crowning of the Incarnation awaited by all Christians.”31 Three factors are at play here. First, evolution itself, ongoing and incomplete. Second, human consciousness of evolution and the human capacity to act on the natural world. Third, the promise of God’s own becoming in and with the cosmos. “For such a Christian the eventual biological success of Man on Earth is not merely a probability but a certainty : since Christ (and in Him virtually the World) is already risen.”32 John Passmore offers a nice summary of Teilhard’s perspective: “Evolution, so he suggested, moves towards, first, the perfection of man in new forms of social organization and, then, ultimately, man’s union with Christ – a union which evolution prepares us to expect, in so far as it involves the unification of all things, but to which revelation gives its specifically Christian content. So if Teilhard is right, the idea of perfection by natural development is identical with the idea of perfection by mystical union with Christ; science prepares the way for ‘the coming of Christ’, as do human attempts to find a unified form of social organization in which men, at last, can love their neighbours as fellow-workers for Christ.”33 But is Teilhard right, not just about evolution having a future in the sense of a trans- or ultra-human future, and not just in advocating the rapid development of technology as the pathway leading to the evolution of the ultra-human, but also in his willingness to connect the ultra-human with the full realization of the 26 27 28 29 30 31 32 33
Ibid.,, p. 274. Ibid., p. 274. Ibid., p. 280. Ibid., p. 204. Ibid., p. 205. Ibid., p. 280. Ibid., pp. 246 – 247. Passmore 1970, p. 259.
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Incarnation? Hardly anyone wants to follow him that far.34 And yet it is remarkable that in limited ways, some of these same themes are found in one somewhat unusual essay by a far more cautious theologian, Karl Rahner, S.J. We turn to Rahner indirectly, however, after first noting two themes that are found in the patristic theological literature. The first of these themes is most clearly stated by Irenaeus of Lyon. For Irenaeus, the human species is created in a form that is purposely incomplete, only finding its completion according to the providential plan of God over the ages in the Incarnation, by which God becomes like us so that we may become like God.35 According to Brian Daley, “Salvation, for Irenaeus, is not so much God’s unexpected intervention in history to rescue his faithful ones from destruction as it is the end-stage of the process of organic growth which has been creation’s ;law‘ since its beginning.”36 Daley cites a key text in Irenaeus, which sees God acting upon the human species in a way that is “tending towards perfection and preparing us for incorruption, being little by little accustomed to receive and bear God.”37 On this theme, Denis Minns comments: “The notion that Adam was not created perfect, but rather created in the image of God and intended to come to be in the likeness of God at the end of a process of development, is Irenaeus’ most characteristic understanding of Genesis 1:26, and the one that most coheres with the rest of his theological scheme.”38 The second theme has to do with a distinctive interpretation of the doctrine 34 It is instructive at this point to note a recent Vatican statement on genetics, specifically allowing the possibility of human germline modification provided that anything resembling in vitro fertilization is avoided and the purpose is to avoid disease, not to engage in enhancement. “Enhancement genetic engineering aims at improving certain specific characteristics. The idea of man as ‘co-creator’ with God could be used to try to justify the management of human evolution by means of such genetic engineering. But this would imply that man has full right of disposal over his own biological nature. Changing the genetic identity of man as a human person through the production of an infrahuman being is radically immoral. The use of genetic modification to yield a superhuman or being with essentially new spiritual faculties is unthinkable, given that the spiritual life principle of man – forming the matter into the body of the human person – is not a product of human hands and is not subject to genetic engineering. The uniqueness of each human person, in part constituted by his biogenetic characteristics and developed through nurture and growth, belongs intrinsically to him and cannot be instrumentalized in order to improve some of these characteristics. A man can only truly improve by realizing more fully the image of God in him by uniting himself to Christ and in imitation of him. Such modifications would in any case violate the freedom of future persons who had no part in decisions that determine his bodily structure and characteristics in a significant and possibly irreversible way.” International Theological Commission, 2004, paragraph 91. 35 Irenaeus refers to “our Lord Jesus Christ, who did, through His transcendent love, become what we are, that He might bring us to be even what He is Himself.” (Irenaeus 1979, p. 526). 36 Daley 1991, p. 29. 37 Ibid., p. 29, citing Irenaeus 5.8.1. 38 Minns 2010, p. 61.
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that human beings are created in the image of God, and it is most clearly stated by Gregory of Nyssa. According to Gregory, the human is created in the image of God and exists as a reflection of the incomprehensible mystery of the Godhead. As a reflection of the incomprehensible, the human is itself an irreducible mystery. Quoting Nyssa: ”For if, while the archetype transcends comprehension, the nature of the image were comprehended, the contrary character of the attributes we behold in them would prove the defect of the image; but since the nature of our mind, which is the likeness of the Creator evades our knowledge, it has an accurate resemblance to the superior nature, figuring by its own unknowableness the incomprehensible Nature.”39
Gregory’s view stands in contrast to the maxim, “Know thyself”, but also to all attempts to define human nature. Both of these perspectives – Irenaeus’ view of human incompleteness and Nyssa’s view of human incomprehensibility – are minority views in Christian theology, which for the most part interprets the imago Dei as a way of fixing the meaning of human nature as a definable and static concept. In that case, efforts to modify the human will quickly be denounced as violations of human nature. Nearly everyone on both sides agrees that the human (particularly the soul) can be truly known only in relation to God; the disagreement is over whether this relationship conveys knowledge of the nature of the human or whether it opens up a reciprocal and inexhaustible mystery. These two views are contrasted nicely in a recent work by Thomas Carlson, who speaks of Nyssa’s view as “a divergent line of theological reflection…according to which the contention that man is created in the image of God implies not the capacity of man to ground or comprehend himself, or indeed to assume conceptual or practical mastery over the real, but a fundamental incapacity of man to comprehend or to master himself or the world in which he dwells cocreatively with God.”40 In his own way, Karl Rahner adopts these insights from both Irenaeus and Gregory. For Rahner, the human is an incomplete product of evolution, an openended creature that must attempt to define itself. But is it really possible for human beings to define themselves? No, Rahner argues: “It is impossible for man. Man is, one might say in way of definition, an indefinability coming to consciousness of itself.”41 Rahner continues, speaking of the human as “the boundless, the nameless. Man is therefore mystery in his essence, his nature.”42 These themes are first explored by Rahner in his Christology and anthropology. But he carries them forward in a very practical way in order to the 39 40 41 42
Gregory of Nyssa 1972, pp. 396 – 97 (11.2 – 4). Carlson 2008, p.13. Rahner 1966, p. 107; italics added. Ibid., p. 108.
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question of human technology as a vehicle for future evolution. Rahner clearly grasps the theological significance of technology. The human ability to engage in “self-manipulation” is quickly becoming a power that shapes the future. Technology therefore has direct relevance for doctrines such as salvation. According to Rahner, the theologian “is obliged to join in the discussion because it cannot be assumed that man’s salvation is in principle independent of this self-manipulation, and the theologians concern must be with the furtherance of man’s salvation…” He continues: “Self-manipulation means that today man is changing himself.”43 At the same time, Rahner is careful to note the limits of technological selfmanipulation. The horizon of technology is not that of Christian eschatology. The technological program “does not wish to conjure up a utopia of superman with a profanised eschatology, but only to sketch, design and calculate a new, different man and then to produce him technologically in accordance with this plan.”44 Among the technologies that will be used, according to Rahner, are “biology, biochemistry and genetics”, along with the “workshop of medicine, pharmacology and, above all psycho-pharmacology…”45 He is aware that he is speaking of technologies that are not yet developed but which can be foreseen. Now it must be said very clearly that the view developed by Rahner in this particular essay, “The Experiment with Man”, is not characteristic of his thought as a whole, which tends to be far more cautious on these themes. Nevertheless, it is remarkable that here, at least, Rahner does not seem to be alarmed by the growing possibility of human “self-manipulation”, provided of course that certain limits and safeguards are in place. He rejects the obvious moral hazards of willful misuse of these technologies, but he remains open to the general possibility of human technological self-modification. It has always been the case that “according to Christian anthropology man really is the being who manipulates himself.”46 For Rahner, because of the freedom that is laid upon the human, “man’s ‘essence’ as we say – is not an intangible something, essentially permanent and complete, but the commission and power which enable him to be free to determine himself to his ultimate final state.”47 Before the rise of powerful new technologies, the human capacity for radical self-manipulation “was operative almost exclusively in the field of content with to metaphysical knowledge, knowledge in faith and moral action in reference to God. Therefore as soon as it arose, it disappeared…”48 But now, because of the 43 44 45 46 47 48
Rahner 1972a, pp. 205 – 206; italics in the original. Ibid., pp. 207 – 208. Ibid., pp. 208 – 209. Ibid., p. 212. Ibid., p. 212. Ibid., p. 213.
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growing powers of technology, “no longer does man create himself merely as a moral and theoretical being under God, but as an earthly, corporeal and historical being. Passive biological evolution is being extended, at least to an initial degree, by an active evolution of civilization. But the latter is not only external and supplementary : it is actually continuing its own biological evolution. This self-manipulation is not only carried out unconsciously, as was the case almost exclusively in the past, but deliberately planned, programmed and controlled. Man no longer makes himself merely with reference to eternity but with reference to history itself as such.”49 It must be noted once again that on balance, Rahner is cautious about the role of technology and the future of humanity. At the same time, he recognizes technology’s power and theological relevance. He understands the human creature as a product of evolution and yet as a creature with the freedom to define itself and to use various means to engage in what he calls “self-manipulation”. He reminds us, however, that such actions can go wrong and that their effects may prove irreversible.50 And so while it seems fair to call Teilhard de Chardin a “Theological Transhumanist”, the same cannot be said of Rahner. Where Teilhard urges us onward towards the technologies of the “ultra-human”, Rahner is more cautious and ambivalent, interpreting rather than advocating. He recognizes that it is probably inevitable that human beings will engage in efforts that might constitute “taking evolution into our own hands”. But the fact that it may be inevitable does not make it either wise or right, according to Rahner.
Concluding Observations What Teilhard and Rahner hold in common – that God has created human beings through evolution, that this process must be considered incomplete, and that technology may affect its future – is on the right track for Christian theology today. How else can theology express its core convictions while existing in the context of evolutionary theory and the growing powers of technology? On the other hand, the point on which Teilhard differs from Rahner, by advocating the development and use of technology in order to allow evolution to complete itself, is sure to remain a matter of contention and a minority view among theologians. One might just as easily see technology as a disturbance in creation, something
49 Ibid., p. 213. 50 According to Rahner : “Man’s self-manipulation must not be thought of according to the model of a limited laboratory experiment where, for the most part, isolated processes can be performed and reversed at will” in: Rahner 1972b, p. 219.
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that must largely be undone, not just in repairing the environment but in restoring human nature to an earlier, unenhanced form.51 If it is fair to call Teilhard a ”Theological Transhumanist”, fairness also requires that we distinguish Teilhard (and all Christians with Transhumanist sympathies) from their secular counterparts. The key to the distinction lies in the bioethical principle of autonomy. While Christians have no complaint about autonomy as a way to safe-guard the integrity of the individual human being over against other human beings (such as corporations, governments, or powerful individuals), they do insist that autonomy is not the highest principle of Christian ethics. Far higher is obedience to the will of God. It is important to see that this higher principle is found in Teilhard, and it marks off his form of Transhumanism from that of Bostrom or others. If there is to be an “ultra-“ or a “trans-human”, it can only be because God’s creation-in-evolution is not yet complete. And if human technology is to play any role at all of any sort in next stage of evolution, that, too, is a question of the creative work of God. This points us to the practical distinction between Teilhard and writers like Harris or Bostrom. For the Experimentalist or the secular Transhumanist, an enhancement is anything I say it is. I – the person now alive – am the judge and the beneficiary of any technological modification of the human. By contrast, Teilhard remains appropriately unconcerned about himself. Precisely for that reason, Teilhard’s form of Transhumanism is the stronger because its warrant rests not in the desire of the individual for a better life but in the creative purposes of God for a completed creation, purposes that are being worked out through evolution, using what has already evolved and leading to whatever may lie ahead. Secular Transhumanism stands in sharp contrast not just to Teilhard but to all forms of Christian hope, not because Transhumanism seeks too much but because it settles for too little. The hope of Christian theology is for a human future that is nothing less than theosis, the consummation of redemption in the transformation or divinization of the human being and, indeed, of the whole cosmos.52 The horizon of theosis is in and yet beyond history, incorporating but exceeding any “future of evolution”. 51 Microsoft’s Vista comes to mind here. The comment of Simon Conway Morris 2003, p. 325, is also sobering. He warns against technological overconfidence grounded in genetic determinism: “…these myths of genetic determinism, set in a dreary world of reductionism, are being used to drive new agendas, most notably in eugenics. At present it is the natural world, which according to some, should be treated as a sort of genetic play-dough. Now vanished is the notion that the world we have been given might have its own integrity and values. Rather the prevailing view of scientism is that the biosphere is infinitely malleable.” 52 This theme is developed by Dumitru Sta˘niloae, who draws upon Maximus the Confessor and who therefore includes the entire cosmos within the scope of theosis, understood as the transfiguration for which the creation is made. For Sta˘niloae, as for Teilhard and Rahner,
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But if it is true that Christian hope looks forward to a transformation more radical and complete than anything envisioned by secular Transhumanism, it is also the case that Christian hope is more costly. Secular Transhumanism offers enhancement at no cost. Because Christianity insists that true human (and evolutionary and cosmic) transformation is found in theosis and not in mere enhancement, it also acknowledges that the only pathway to theosis is not through self-improvement but, paradoxically, through self-emptying or kenosis. This is true of the Incarnation, by which the self-emptying God becomes like us in order that we might be made like God. But it is equally true that our reciprocal self-emptying is the true pathway of the individual who would seek not to be enhanced but transformed.
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human beings are to play a role: “The world was created in order that man, with the aid of the supreme spirit, might raise the world up to a supreme spiritualization, and this to the end that human beings might encounter God within a world that had become fully spiritualized through their own union with God. The world is created as a field where, through the world, man’s free work can meet God’s free work with a view to the ultimate and total encounter that will come about between them.” Sta˘niloae 2000, p. 59.
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Evolutionstheorie und Anthropologie
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Zur Evolution von Erkenntnis und Moral aus der Sicht der Kognitionsbiologie
The modern biology of cognition uses versatile empiric tools to approach the mental performance of animals apart from presumptuous and trivialized human attitude. In addition to questions about character, mechanism, and development the evolutionary aspect must be considered. In doing so marked similarities to human mindset and behavioural pattern become evident. On the one hand some animals act intentionally, self-conscious, and are able to put themselves in somebody else’s position; they plan ahead, are creative or imitate the objectives and acts of others; they use, improve or produce tools; they establish traditions, communicate, to some extent even referential. However on the other hand they seem to be lacking instruction, cumulative civilization and symbolized recursive forms of expression. Such achievements appear to have developed from biological and cultural evolution on hominids in self-energizing cycles. Though human cerebration does not start with logic reasoning and justification but is based upon comprehension and benefit of the physical environment, prelingual skills and flexible, cooperative and competitive strategies of the social surroundings. It is the cognitive skills in the social setting that provide moral-like behaviour even before human civilization formed such as care, design and implementation of social rules, competence in engagement and friendship, conflict resolution and mutual assistance, empathy but also ability to manipulate. The contribution ends with the assumption that human beings institutionalized morality while justification and accountability play a decisive role. Unfortunately we know very little about the corresponding skills of other hominids. However, the only decisive factor is that humans did not achieve cerebration and morality by fighting against nature but through accomplishments and values which were passed on during evolution.
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Einleitung Als im Darwin-Gedenkjahr (2009: 200. Geburtstag, 150 Jahre Buch „Origin of Species“) die Evolutionstheorie wieder im breiten öffentlichen Interesse stand, galt dieses Interesse nicht nur der Theorie Darwins über die kausalen Mechanismen im Wandel der Arten (natürliche Selektion), sondern vor allem auch ihrer Bedeutung für das Weltbild und das Menschsein. Vor allem Darwins Hypothese (Postulat) der Kontinuität von geistigen (mentalen) Fähigkeiten provoziert nach wie vor Widerstand und Ablehnung. Denn diese Kontinuität scheint für viele das Fundament der menschlichen Einzigartigkeit und Sonderstellung, seine erhabene Vernunft und hohe Moralität zu untergraben. Die besondere, göttliche Natur von Vernunft und Moral wäre dahin. Wie einer seiner Vorgänger (Pius XII.) hat Papst Johannes Paul II. betont: „Mit dem Menschen befinden wir uns also vor einer Differenzierung ontologischer Art, vor einem ontologischen Sprung, könnte man sagen.“ (Botschaft an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften anlässlich ihrer Vollversammlung am 22. Oktober 1996). Folglich sind diejenigen Evolutionstheorien nicht mit der Wahrheit über den Menschen vereinbar, die – angeleitet von der dahinter stehenden (materialistischen) Weltanschauung – den Geist für eine Ausformung der Kräfte der belebten Materie oder für ein bloßes Epiphänomen dieser Materie halten. Diese Theorien sind im Übrigen nicht imstande, die personale Würde des Menschen zu begründen. Selbst Charles Darwin war anfänglich skeptisch, ob die natürliche Selektion das Entstehen von menschlicher Vernunft erklären könnte. Ganz im Sinne der damaligen vorherrschenden Meinung, die besonders eloquent und überzeugend vom Theologen William Paley vorgebracht wurde, bezweifelte Darwin, dass die natürliche Selektion langsam fortschreitend und in kleinen Schritten komplexe Organe – wie etwa Augen – hervorbringen konnte. Das Problem für ihn und viele Zeitgenossen war zu verstehen, wie solche komplexen Organe in der Evolution entstehen konnten, wenn ihre Funktion auf dem Zusammenspiel vieler einzelner aufeinander wohl abgestimmter Teile abhängt. Doch später argumentierte Charles Darwin (1871) deutlich gegen die Annahme, dass die Differenz zwischen Menschen und Tieren, so klein diese ja offensichtlich im Bereich der Morphologie und Physiologie sei, im Bereiche des Geistigen von fundamentaler Größe sei. Die Differenz in den mentalen Fähigkeiten zwischen einem Amphioxus (ein „schädelloser“ Chordat) und den Menschenaffen sei viel größer als zwischen Menschenaffen und Menschen. Doch selbst diese Differenz ist aufgefüllt mit unzähligen Gradierungen. Die Frage, was das spezifisch Menschliche ausmacht, ist zweifellos berechtigt und benötigt große Anstrengungen auf mehreren wissenschaftlichen Gebieten. Sie erfordert vor allem auch Antworten auf die komplementäre Frage, was nicht
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spezifisch menschlich ist, was also auch bei anderen Lebewesen in etwa derselben Art – wenn auch nicht unbedingt in der selben Stärke und Ausprägung – vorkommt. Bereits Darwin wusste um die besonderen Schwierigkeiten des Nachweises einer kontinuierlicher Entstehung und Veränderung kognitiver Mechanismen. Wie bei allen Verhaltensmerkmalen liegt ein Problem beim Fehlen von ,Verhaltensfossilien‘, ohne die eine genaue historische Rekonstruktion bestimmter Fähigkeiten in bestimmten evolutionären Linien (zum Beispiel in der Primatenevolution zum Menschen) unmöglich ist. Im Folgenden möchte ich einen neuen Zweig der Naturwissenschaften skizzieren, der für die Frage des Entstehens kognitiver Strukturen im Tierreich wichtig ist, aber in der philosophischen Debatte oft im Schatten anderer biologischer Disziplinen, wie Genetik und Neurobiologie, steht. Diese Disziplin wird manchmal „Kognitive Ethologie“ genannt, wobei ich allerdings den etwas weiteren Begriff „Kognitionsbiologie“ bevorzuge.
Wie kann man kognitive Phänomene im Tierreich untersuchen? Das Studium kognitiver Phänomene im Tierreich ist zwar nicht neu, hat aber erst in den letzten beiden Jahrzehnten durch die Vereinigung von Vergleichender Psychologie und Ethologie eine einheitliche Ausrichtung bekommen. Dieser Vereinigung gingen einige bedeutende wissenschaftshistorische Prozesse voraus, die durchaus als Paradigmenwechsel bezeichnet werden können. Die vom Behaviorismus dominierte Lerntheorie, welche die totale Modifikation des Verhaltens durch Umwelteinflüsse proklamierte, näherte sich erst durch die Einsicht in die artspezifischen Bedingtheiten des Lernen der kontinentaleuropäischen Ethologie an. Umgekehrt begannen immer mehr Ethologen, nach einem Abschwung der verhaltensökologischen und soziobiologischen Welle, sich der individuellen, kognitiven Steuerung von Verhalten zuzuwenden. Die Kognitionsforschung bei Tieren umfasst sehr viele verschiedenen Phänomene, aus den Bereichen der Navigation, Futtersuche und -verstecken, Wahrnehmung, Kommunikation, Lernen, Gedächtnis, Entscheidungsfindung, Täuschung, Kooperation und soziale Strategien. Die all diesen in ihrer Funktion beträchtlich divergierenden Phänomenen zu Grunde liegende, gemeinsame Annahme ist die zentrale Verarbeitung von reichhaltiger Information im Sinne einer kohärenten Repräsentation, die einerseits stabil genug gegen Störungen ist, aber andererseits flexibel genug für die Bewältigung neuartiger Situationen. Dazu ist ein gehöriges Maß an Lernen und Gedächtnis notwendig, ebenso wie Abstraktion und Generalisation, Erfassung von Regelhaftigkeit, Voraussicht, Imagination, Erzeugung neuer motorischer Programme, usw. In manchen Fällen liegt heute sogar Evidenz für intentionales Handeln, Vorausplanung, Ein-
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sicht, Zeitreise und Selbstbewusstsein vor1. Wichtig, aber nicht immer ganz eindeutig, ist dabei die Abgrenzung von nicht-kognitivem Verhalten, wie es bei reflexhaften Reaktionen, stereotypen Handlungen, fixierten Reiz-Reaktionsschemata und Reifungsprozessen der Fall ist. Kurz gesagt scheint es im Verlauf der Evolution unterschiedlicher Formen der Verhaltenssteuerung in verschiedenen Stammeslinien zu einer zunehmenden Abkopplung der Reaktionsselektion von der unmittelbaren Reizsituation und Bedürfnislage gekommen zu sein. Damit verbunden war ein Zuwachs an Freiheitsgraden der Verhaltenskontrolle. Während angeborene Reflexe und Instinkte in relativ starrer Weise durch spezifische Reize ausgelöst werden und Anpassungen an invariante Umweltbedingungen darstellen, bestand ein entscheidender Schritt hin zu größerer Verhaltensflexibilität darin, dass Lebewesen die Fähigkeit erwarben, ihre Reaktionsdispositionen erfahrungsabhängig, also durch individuelles oder soziales Lernen zu verändern. Dabei wird das Verhalten durch erlernte Reiz-Reaktions-Assoziationen bestimmt, die ein Niederschlag früherer Erfahrungen sind. Wie Goschke2 erörtert, bestand ein bedeutsamer Schritt in der Evolution der kognitiven Verhaltenssteuerung darin, dass einige Lebewesen die Fähigkeit entwickelten, ihr Verhalten an inneren Repräsentationen zukünftiger Zustände auszurichten, so dass man von einer zukunftsorientierten Verhaltensplastizität sprechen kann. Dadurch wurde es möglich, mehr oder weniger weit in der Zukunft liegende Effekte des eigenen Verhaltens zu antizipieren und zu bewerten und Verhalten an solchen mental repräsentierten Zielzuständen auszurichten (Effektantizipation und Zielgerichtetheit). Weiteres haben manche Tiere die Fähigkeit entwickelt, zukünftige Veränderungen der eigenen Bedürfnislage zu antizipieren und bei der Ausrichtung des Verhaltens an solchen antizipierten Bedürfnissen wenn nötig aktuelle Bedürfnisse oder emotionale Impulse zu unterdrücken (Bedürfnisantizipation und Selbstkontrolle). Es ist leicht zu sehen, dass diese kognitiven Kapazitäten im engen Zusammenhang mit der Ausbildung willentlichen Handelns und moralischer Bewertung stehen3.
Die Evolution von Sprache Darüber hinaus wird die menschliche Antizipationsleistung in kaum zu überschätzender Weise durch die Sprache erweitert. Mit ihr verfügt der Mensch über ein generatives und produktives Repräsentationssystem, in dem sich eine un1 Gute Übersichten in Bekoff u. a. 2002, Wasserman / Zentall 2006. 2 Goschke 2004. 3 Ebd.
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begrenzte Zahl beliebiger Instruktionen, Intentionen und Aufgabenregeln kodieren lässt. Die sprachliche Repräsentation von Zielen, Handlungen und Effekten spielt eine zentrale Rolle bei der menschlichen Fähigkeit, Reaktionsdispositionen von einem Moment zum nächsten und ohne längeres Training „umkonfigurieren“ zu können4. Wie wurde das möglich? Für die Frage der Sprachevolution empfiehlt es sich eine allgemeine und spezielle Sprachfähigkeit zu unterscheiden5. Zur allgemeinen tragen spezielle sensorisch-motorische Fähigkeiten der Lautäußerung (phonologisches System bestehend aus Kehlkopf, Zunge, Mund- und Rachenhöhle, usw.) und ein konzeptuell-intentionales Kategorisierungssystem bei, während Syntax und Grammatik als das kritische Merkmal der menschlichen Sprache angesehen wird. Die Grammatik oder Syntax der menschlichen Sprache ist gewiss einzigartig. Wie eine Zwiebel oder eine Russische Puppe ist sie rekursiv. Ein Element einer Einheit ist eingebettet in ein anderes Element derselben Einheit. Rekursivität macht es möglich, dass ein Wort von einem anderen Wort im Satz weit getrennt ist, aber dennoch voneinander abhängig ist. Die „Wenn-dann“-Paarung ist ein gutes Beispiel dafür. Wenn rekursive Kombinatorik nur im Zusammenhang mit der menschlichen Lautkommunikation entstanden wäre, dann wäre zumindest ein Indiz für die Einzigartigkeit der menschlichen Sprache gefunden. Nach Premack6 ist Rekursivität eines von insgesamt sechs Symbolsystemen, auf die der Mensch zurückgreifen kann. Zwei davon sind evolutionär entstanden – der genetische Code und die Lautsprache – aber vier sind seiner Meinung nach vom Menschen erfunden worden: die geschriebene Sprache, das arabische Zahlensystem, die Musik-Notation und die Laban-Notation. Die kombinatorischen Mechanismen der Rekursivität ermöglichen die Erzeugung von unbegrenzten Ausdrücken trotz begrenzter Zahl von Elementen, was bereits von Denkern wie Galilei, Descartes und Humboldt erkannt wurde. Sind Tiere dazu fähig? Tamarine, kleine südamerikanische Krallenaffen, können zwar nichtrekursive Grammatik erlernen, scheitern aber bei der rekursiven Form7. Menschen erlernen beide Arten, auch außerhalb der Wortsprache. Das Fehlen von Rekursivität bei Tamarinen mag zwar erklären, warum diese Tiere keine rekursive Sprache entwickelt haben, aber warum haben sie auch keine nicht-rekursive Sprache erlernt. Rekursivität alleine kann also noch nicht vollständig die Einzigartigkeit der Menschensprache erklären. Wie schnell sich allerdings kognitive Zuschreibungen bei Tieren ändern 4 5 6 7
Ebd. Hauser u. a. 2002. Premack 2004. Fitch / Hauser 2004.
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können, zeigt ein jüngeres Beispiel. So wurde tatsächlich an Staren die Fähigkeit der Unterscheidung rekursiver, in sich selbst eingebetteter, kontextunabhängiger Sequenzen von Lautmustern gefunden8. Damit ist aber noch nicht bewiesen, ob diese Vögel auch die Fähigkeit der Erzeugung von rekursiven Gesangssequenzen haben. In jedem Fall wird aber deutlich, dass selbst diese für manche Wissenschafter letzte Unterscheidungsmöglichkeit menschlicher Sprache bereits ins Wanken geraten könnte. Zur Zeit laufen an unserem Institut (Department für Kognitionsbiologie, Universität Wien) Versuche zum Verstehen von Rekursivität im nicht-verbalen, nämlich im visuellen Kontext. Tauben, Papageien, Totenkopfäffchen und Menschen werden getestet, Bilder an Hand der zu Grunde liegenden ,generativen Grammatik‘ zu unterscheiden. Es könnte tatsächlich sein, dass die Fähigkeit zum Erzeugen und Erkennen grammatikalischer Kombinatorik viel älter ist als die menschliche Sprache und die Fähigkeiten von dieser nur sekundär „in den Dienst genommen“ wurden. Diese Umkehrung der Kausalität in der Evolution kognitiver Fähigkeiten wurde schon im Falle von Kategorisierung und Konzeptbildung nachgewiesen. Viele Tiere können ähnliche, aber nicht-idente Objekte oder Ereignisse in Klassen einordnen, sei es an Hand perzentueller oder auch funktionaler Merkmale, und das noch dazu in einer hierarchischen Abstufung. Diese Form der ,vor-sprachlichen Begriffsbildung‘ ist also auch lange vor der Nutzbarmachung im Rahmen der menschlichen Sprache entstanden, möglicherweise mehrmals unabhängig voneinander. Könnte es daher sein, dass es kein einziges Merkmal menschlicher Sprache gibt, dass es nicht qualitativ gleichwertig, wenn auch in quantitativ bescheidenerer Form, in anderen (tierischen) Kommunikationsoder Kognitionssystemen gibt? Es wäre möglich, dass die Fähigkeit zur generativen Grammatik und zur rekursiven, Kontext unabhängigen Syntax zur Lösung kombinatorischer Aufgaben im Kontext der Navigation, der numerischen Abschätzung und der Perspektivenübernahme entstanden ist. Würde dies zutreffen, bliebe zu klären, wieso es dann scheinbar nur dem Menschen möglich ist, es auch im Rahmen der Kommunikation zu verwenden und dabei eine potentiell unbegrenzte Menge von Bedeutungen zu erzeugen. Manches spricht dafür, dass die Vorläufersysteme im Tierreich stark aufgabenspezifisch und kontextgebunden sind, während sie beim Menschen durchlässig, aufgabenneutral und kontextunabhängig geworden sind. Ob dies als Nebeneffekt erheblicher neuronaler Umorganisationen im Gehirn oder als Folge bestimmter Selektionsdrücke geschehen ist, ist fraglich. Zumindest sind aber Wege zur Erforschung der Evolution der Menschensprache und ihrer kognitiven Primär- und Sekundärkomponenten aufgezeigt.
8 Gentner u. a. 2006.
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Premack9 stellt folgende Faktoren zur Diskussion. Es sind allesamt Fähigkeiten, die beim Menschen offensichtlich sind und deren Beziehung zur Sprache seit langem diskutiert wird: die Fähigkeit zu willentlicher Kontrolle des sensomotorischen Systems, zu reflexiver Imitation, zum absichtsvollen Lehren, zur Verwendung der Perspektivenübernahme, und zu rekursiver und nicht-rekursiver Grammatik. Dabei sind die genannten Leistungen einzeln nicht ausreichend, sondern ergeben nur gemeinsam die komplexe Fähigkeit der Menschensprache. Die Hauptschwierigkeit liegt allerdings im Verstehen eines sich langsam entwickelnden kognitiven Systems, bei dem viele Komponenten dynamisch zusammenwirken und sich selbst auch langsam entwickelt haben, also jeweils Vorformen hatten. Außerdem nehmen diese kognitiven Komponenten der Sprache nicht nur bei der Entwicklung und Ausprägung der Sprache teil, sondern sind auch konstitutiv für andere geistige Fähigkeiten. Und ganz besonders große Schwierigkeiten macht die Tatsache, dass wahrscheinlich die meisten obern beschriebenen Fähigkeiten einen Funktionswechsel durchgemacht haben, also ursprünglich im Dienste ganz anderer Leistungen standen. Erst die „In – Dienst-Nahme“ für die gegenseitige Verständigung bei der Kooperation und Synchronisation mit Gruppenangehörigen und später für den Aufbau von Kultur und Wissenschaft haben alle diese Fähigkeiten selbst wieder verändert. Doch trotz all dieser gewaltigen Probleme, denen Linguisten, Psychologen, Neurobiologen, Anthropologen und Soziologen gegenüber stehen, scheint mir die Sprache ein vergleichsweise noch viel einfacher zu lösendes Problem als das Bewusstsein zu sein. Im Gegensatz zur Sprachevolution gibt es nicht wenige Wissenschaftler aus den genannten Disziplinen, die ernste Zweifel hegen, ob wir diese menschliche Fähigkeit wirklich jemals ganz verstehen werden.
Elemente von Bewusstsein Obwohl es auf den ersten Blick den Anschein haben mag, dass mit der Frage, wie Bewusstsein entstanden ist und welche nicht-menschlichen Lebewesen ein solches auch besitzen könnten, das ganze Problem noch schwieriger zu lösen ist, bin ich der festen Überzeugung, dass nur die Lösung dieser Frage uns einer wirklichen Lösung näher bringen wird. Evolutionäre Kontinuität sollte dabei nicht als Totschlagargument für die Einschätzung oder sogar Würdigung der menschlichen Fähigkeiten dienen, sondern eben genau dazu beitragen, aus dem Vergleich mit anderen Arten das spezifisch Humane herauszuschälen. Denn die 9 Premack 2004.
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Einzigartigkeit ergibt sich logischer Weise nur aus der Relation zur Fremdartigkeit. Für die Annäherung an die Frage, wo, wie und warum Bewusstsein entstanden ist, braucht man operationalisierbare Konzepte. Konkret gesagt sollte man davon ausgehen können, dass Lebewesen, die phänomenales Ich-Bewusstsein besitzen, bestimmte Aufgaben lösen, die Lebewesen ohne dieses Bewusstsein nicht bewältigen können. Diese Ingredienzien von Bewusstsein wären nach Kircher und Leube10 : (a) die Ich-Aktiviät und das Reafferenzprinzip, (b) die Perspektive des Anderen einnehmen, (c) Imitation und Spiegelneurone, d) Erkennen des eigenen Gesichtes und (e) autobiografisches Gedächtnis. Während das Reafferenzprinzip bereits vor über fünfzig Jahren von deutschen Verhaltensphysiologen postuliert, später bei Fischen oder Grillen nachgewiesen werden konnte und heute sogar auf neuronaler Ebene gut beschrieben ist, sind Nachweise für die anderen vier Fähigkeiten noch sehr jung und keineswegs unumstritten. Den Stein ins Rollen gebracht haben die berühmten Spiegelversuche an Schimpansen11. Heute gibt es Nachweise des Erkennens des eigenen Gesichts oder auch anderer Körperteile im Spiegel selbst bei bei Elefanten12 und jüngst auch bei Elstern13. Eng damit in Zusammenhang stehen die Experimente zur Fähigkeit, sich in die Gedanken des Gegenübers zu versetzen, also wie schon gesagt eine Theorie des Geistes14 haben. Ein Kernstück dieser Fähigkeit ist der Zusammenhang von Sehen und Wissen. Dem natürlichen Verhalten der Tiere angepasste Experimente haben eindrucksvoll bewiesen, dass Tiere sich in ihr Gegenüber versetzen können und dieses Wissen nutzbringend für ihr eigenes Tun verwenden können. Solche Machiavellischen Fähigkeiten15 sind zunächst bei Schimpansen gefunden worden, mittlerweile aber sogar bei Raben. Rabenvögel erweisen sich bezüglich ihrer kognitiven Fähigkeiten im sozialen Kontext als besonders interessant. Das Verhalten des Futterversteckens und gegenseitigen Futterplünderns hat zu einer Art ,kognitiven Rüstungswettlauf‘ des Sehens und Gesehenwerdens geführt. Zu wissen, wer wann was gesehen haben könnte, erhöht die Chancen, sein eigenes Futterversteck später unversehrt wieder zu finden. Mein Kollege Thomas Bugnyar hat zusammen mit Bernd Heinrich mit ausgeklügelten Experimenten die Fähigkeiten der Einnahme der Perspektive anderer gut belegen können16. Nicht minder eindrucksvoll sind die Beweise für 10 11 12 13 14 15 16
Kircher / Leube 2005. Gallup 1970. Plotnik u. a. 2006. Prior u. a. 2008. Premack / Woodruff 1978. Byrne / Whiten 1988. Heinrich / Bugnyar 2007.
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autobiografisches Gedächtnis bei anderen Rabenvögeln, den Hähern. Eine Besonderheit der menschlichen Antizipationsfähigkeit ist es, Zusammenhänge zwischen Reizbedingungen, Handlungen und Effekten als integrierte Episoden im deklarativen Gedächtnis speichern zu können. Es konnte gezeigt werden, dass Häher wissen, wann sie wo welches Futter versteckt haben17. Dieses Wissen ermöglicht es zu planen, also elementare Operationen versuchsweise zu neuen Handlungssequenzen zu rekombinieren und deren Effekte „mental zu simulieren“. Episodisches Planen setzt voraus, dass sich das Subjekt in die zukünftige Bedürfnislage versetzt und vorbereitende Handlungen generiert. Neue Experimente der Cambridger Forschergruppe um Nicola Clayton haben nun sogar zeigen können, dass die Häher Futter dort verstecken, wo sie erwarten können (gelernt haben), dass es am nächsten Tag kein Futter geben wird18. Mehr noch, sie verstecken genau jene Futtersorte in dem Raum, wo sie erwarten können (gelernt haben), dass es dort diese Futtersorte nicht geben wird (aber sehr wohl eine andere). Das Verstecken wurde daher von der Motivation am nächsten Tag und von den dann verfügbaren Ressourcen bestimmt. Die eigene Forschung hat sich auf die Frage der Evolution von Imitation konzentriert19. Zunächst konnten wir zeigen, dass Krallenäffchen genau diejenige Aktion zum Öffnen einer Futterbox verwenden, welche zuvor ein erfahrenes (weil vortrainiertes) Gruppenmitglied vorgezeigt hat20. Später untermauerten wir diese Evidenz für Imitation mit dem Nachweis der Verwendung des selben Körperteils (Hand oder Mund) zum Öffnen des Deckels einer Futterbox, wobei der Effekt der Aktion identisch war21. Und schließlich konnten wir noch zeigen, dass die Beobachter die vorgezeigte Bewegung bis in kleinste Details kopiert hatten, während Kontrolltiere, die kein Modell zu Gesicht bekamen, zwar den Deckel öffnen konnten, dazu aber andere Bewegungsmuster zeigten22. Dieser eindeutige Nachweis der Imitation hat die lange vorherrschende Meinung widerlegt, dass diese höchste Form des sozialen Lernens eine menschen- oder zumindest menschenaffenspezifische Fähigkeit ist. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass die bei Makaken gefundenen Spiegelneurone beim Prozess der Imitation involviert sind23, können sie die gefundenen Imitationsleistungen nicht vollständig erklären, da es sich um ganz neuartige Bewegungen handelt, die noch nicht im Bewegungsrepertoire des Beobachters vorhanden sind. Für die Kopie einer ganz neuen Bewegung oder Handlung 17 18 19 20 21 22 23
Clayton / Dickinson 1998. Raby u. a. 2007. Huber u. a. 2009. Bugnyar / Huber 1997. Voelkl / Huber 2000. Voelkl / Huber 2007. Rizzolatti 2005.
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müsste das Gehirn eine spontane Transformation des visuellen Inputs in ein motorisches Programm durchführen. Wie das geht ist bis heute weitgehend unklar, es scheint aber sicher, dass dabei viele Gehirnareale besonders im temporalen, parietalen und frontalen Kortex zusammenarbeiten müssen. Die frontalen Anteile sind besonders wichtig für die Hemmung der Imitation, da sonst jede Handlung eines Artgenossen sofort und blindlings imitiert würde. Erst durch die selektive Kontrolle kann Imitation effektiv und daher zur Weitergabe von Wissen und Kultur verwendet werden. Bereits mit 14 Monaten beginnen Kleinkinder selektiv vorzugehen, indem sie nur bestimmte Handlungen genau imitieren, andere aber entweder nur grob oder gar nicht. Dass sie dabei nicht einfach weniger aufmerksam sind oder die Handlungen nur ungenügend verstehen, hat ein kluges Experiment ungarischer Entwicklungspsychologen gezeigt24. Die Kinder vermochten dabei die effektive, zielorientierte Handlung der ,blinden‘ Kopie vorzuziehen. Aus diesen und weiteren Kontrollexperimenten konnten die Autoren schließen, dass die frühe Imitation von zielgerichteten Aktionen bei Kleinkindern ein selektiver, schlussfolgernder Prozess ist, der die Begründung (die „Beurteilung der Rationalität“) der eingesetzten Mittel im Verhältnis zu den Sachzwängen einschließt. Man spricht daher von ,rationaler Imitation‘. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass diese Studie danach oft als ein weiterer, starker Beweis für die kognitive Überlegenheit des Menschen zitiert wurde. Selbst wenn Menschen und Tiere gleichermaßen aus der Möglichkeit des Zusehens und Imitierens profitieren, so tun dies Tiere blindlings, Menschen hingegen setzen dabei Perspektivenübernahme, Rationalisierung und Abwägung von Mittel und Zweck ein. Diese offensichtliche Diskrepanz hat uns vor wenigen Jahren bewogen, Hunde mit einer ähnlichen Aufgabenstellung zu testen. Dazu ersonnen meine Kolleginnen Friederike Range und Zsofia Viranyi ein hundegerechte Version der Kinderexperimente25. Das überraschende Ergebnis dieser Experimente war, dass auch bei Hunden Imitation selektiv unterdrückt werden kann und sie diese zielgerichtet und effektiv einsetzen. Diese Art des kulturellen Lernens und Lehrens könnte demnach nicht nur die menschliche kulturelle Evolution vorangetrieben haben, sondern analog – wenn auch ungleich schwächer und kürzer – bei der Domestikation des Hundes eine Rolle gespielt haben. Da jedoch ähnliche Ergebnisse auch bei Schimpansen gefunden werden konnten26, ist Domestikation oder enge Interaktion mit Menschen nicht erforderlich. Wir sprechen in all diesen Fällen von konvergenten Entwicklungen, die im 24 Gergely u. a. 2002. 25 Range u. a. 2007. 26 Buttelmann u. a. 2007.
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Unterschied zu Ähnlichkeit durch Verwandtschaft (homolog) eine Gemeinsamkeit auf Grundlage gleicher Selektionsbedingungen erzeugt (analog). Anders als manche Vertreter der sog. „evolutionären Psychologie“ vermuten die meisten Kognitionsbiologen analoge Ursachen in der Mehrzahl der entdeckten Übereinstimmungen in den Ausprägungen kognitiver Merkmale27. Auch Bewusstsein könnte mehrfach in der Evolution entstanden sein, mit je eigenen neuronalen Mechanismen und Funktionen. Der selektive Druck seiner Entstehung scheint im komplexen Sozialverhalten zu liegen, als Anpassung an eine flexible, rasch wandelbare, weil reaktive Umwelt. Jedenfalls sind alle fünf von Kircher und Leube28 beschriebenen Ingredienzien für Bewusstsein bei Tieren gefunden worden und die Forscher der Rekonstruktion der Entstehungsbedingungen von Bewusstsein ein beträchtliches Stück näher gekommen. Obwohl heute manche Autoren, die sich die über Jahre für ihre experimentellen Beiträge zur Kognition bei Tieren verdient gemacht haben, wieder die Unterschiede zum Menschen betonen29, neigt die überwiegende Anzahl an vergleichenden Kognitionsforschern zur Ansicht, dass sich auch der menschliche Geist allmählich und vielfach parallel bei nicht-menschlichen Vorformen entwickelt hat. Eine täglich wachsende Anzahl empirischer Befunde stärkt die Evidenz, dass auch nicht-menschliche Tiere zu teilweise großer Flexibilität im Verhalten im Stande sind, welche durch eine Vielzahl von kognitiven Mechanismen zur Verbesserung und Effizienzsteigerung verhilft.
Prosoziales Verhalten und Ingredienzen der Moral Auch im Bereich des Moralischen gab es immer wieder Bestrebungen der Naturalisierung. Von Philosophen wird dabei kritisiert, dass dies meist mit einem unangemessenen Reduktionismus und einer einseitig kausalen Perspektive der Naturwissenschaften einher geht30. Wenn es um die Erklärung der spezifischen Ausprägung menschlicher Kultur und Moral geht, würden diese Beiträge noch keine Alleinvertretungsansprüche begründen, da hierfür das biologische Erscheinungsmuster unzureichend und unangemessen wäre. Menschliche Vernunft und Moral können aber nur angemessen erfasst werden, wenn die „Innenperspektive“ von uns als Handelnden nicht vernachlässigt und Geltungsfragen angemessen berücksichtigt werden31. Wenn heute Nicht-Biologen, seien es Geistes- oder Humanwissenschaften, 27 28 29 30 31
Huber 2000. Kircher / Leube 2005. Penn u. a. 2008; Hauser 2009. Gräfrath 1997. Gräfrath 1997.
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aber ebenso mehr oder weniger gebildete Laien die (überzogenen) Ansprüche der Biologen kritisieren, haben sie oft eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung der modernen Biologie. Meist werden die Vorwürfe gegen die Biologie auf eine „neo-darwinistische“ Evolutionsbiologie und eine „soziobiologische Verhaltensforschung reduziert. Doch beides ist (schon lange) nicht mehr „state of the art“. Für an moderner Evolutionstheorie würde ich das soeben erschienene Werk „The Extended Synthesis“ von Pigliucci und Müller32 empfehlen, für an moderner Verhaltensforschung Interessierte würde ich Bolhuis und Giraldeau33 empfehlen. Ein grosser Schwachpunkt der (frühen) Soziobiologie – ebenso wie der klassischen Ethologie und der von ihr geprägten Evolutionären Erkenntnistheorie – ist das ,ultra-adaptionistische‘ Programm mit seiner Vermengung von gegenwärtigem Nutzen und historischem Ursprung. Anstatt die gegenwärtigen Arten und die Ausstattung einzelner Organismen als optimale Anpassungen an die gegebene Umwelt zu interpretieren, dominieren Konzepte wie Exaptation, Funktionswechsel, genetische Drift, epigenetische Entwicklung, Stasis und Bürde. Es entspricht nur noch einer gewissen soziobiologischen Orthodoxie, wenn die soziale Organisation des Menschen und deren moralische Implikationen allein auf der Grundlage von durch genetische Fitness und Verwandtenselektion geprägtem Altruismus interpretiert wird. Selbst Wilson gesteht ein, dass die Soziobiologie es nicht erlauben würde, den menschlichen Geist, der den freien Willen einschließt, und die Kultur, welche eine große Varianz von Verhaltensweisen in verschiedenen Gesellschaften erzeugt hat, zu erklären34. Umgekehrt zeichnet sich auch ein Wendepunkt in der Einschätzung tierischer Fähigkeiten und Dispositionen soziopositiven Verhaltens ab. Soziobiologen haben lange Zeit behauptet, dass tierisches Verhalten psychologisch gesehen altruistisch und selbstaufopfernd wirkt, in Wahrheit aber gen-egoistisch und ausgerichtet auf die situationsbedingt maximal mögliche Effizienz ist35. Kognitionsbiologen aber gehen viel weiter. Sie akzeptieren zwar die die darwinistische Erklärung von Altruismus, Kooperation, Brutpflege und Aggression bei sozialen Tieren, gestehen ihnen aber ein bemerkenswertes Maß an individueller Flexibilität und (kognitiver) Verhaltenskontrolle zu. Bevor wir uns jedoch diesen schon sehr menschenähnlichen Fähigkeiten zuwenden, ist es lohnend, nach den Wurzeln unseres moralischen Empfindens, nicht unseres moralischen Urteilens suchen. Die Erforschung dieser Fähigkeiten und Neigungen ist nicht nur ein Haupt32 33 34 35
Pigliucci / Müller 2010. Bolhuis / Giraldeau 2004. Lumsden / Wilson 1984. Voland 2000.
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gebiet der Primatologie, sondern schließt andere hochsozial lebende Tiere, wie etwa Rabenvögel, Hyänen und Fledermäuse ein. Zu den Bestandteilen oder Voraussetzungen von moralischen Empfindungen zählt die Entwicklung sozialer Normen, die Strategien ihrer Durchsetzung, die Befähigung zu Bindung und Freundschaft, zu Konfliktlösung und gegenseitiger Hilfe, die „machiavellische“ Intelligenz und letztlich das Einfühlungsvermögen (Empathie). Klarerweise ist dabei die schwierigere Frage, wie sich genau unsere menschliche Moral aus den Vorformen entwickelt hat, sprich welche sozialen und umweltspezifischen Einflüsse dabei maßgebend waren. Aber ebenso spannend und wichtig ist die Frage, woher sie überhaupt kommt. Anders gesagt, gibt es hinreichend viele und eindeutige Belege für tierisches Verhalten, das man nach Konrad Lorenz36 als „moralanalog“ bezeichnen könnte? Genauer gesagt, gibt es Verhalten, das zwar nicht in allen Merkmalen und der vollen Ausprägung nach unserer Moral identisch ist, aber eben doch hinreichend ähnlich in Form und Funktion? „Legen Tiere Verhaltensweisen an den Tag, die der Güte wie auch den Regeln und Vorschriften des moralischen Verhaltens von Menschen entsprechen? Und falls ja, was bringt sie dazu, sich so zu verhalten?“37. Diese Frage ist nicht nur, aber vor allem für Menschenaffen eindeutig mit Ja zu beantworten. Sie unterhalten hochkomplexe soziale Beziehungen, welche sie mit Hilfe von sozialen Spielregeln (Proto-Normen?), Versöhnung, vermittelnder Schlichtung, Prävention vor Aggression, usw. erhalten. Manche Affenarten (Schimpansen, Managen) sind aber auch zu Gewaltexzessen und kriegerischen Auseinandersetzungen fähig, denen dann unterschiedliche Arten von Versöhnungsriten und Deeskalationsgesten folgen. Allerneuesten Berichten zufolge gehen nicht nur Schimpansen auf Raubzüge und unternehmen listenreiche Vormärsche in „feindliches“ Gebiet, sondern auch Klammeraffen38. Umgekehrt greifen sie auf ihre handfeste Weise des Konfliktmanagements zurück, um das Aggressionspotenzial solcher Situationen zu verringern: Mit Umarmungen reduzieren sie die Spannungen über die Gruppengrenze hinweg39. Der wesentliche Unterschied zwischen einer soziobiologischen (streng genommen soziogenetischen) und einer kognitionsbiologischen Betrachtung der Moral ist die Bedeutung von Motiven, Intentionen, Gefühlen und Entscheidungen. All das befindet sich außerhalb des Interesses einer auf die Analyse des Einflusses von Erbfaktoren auf das Sozialverhalten gerichteten Betrachtungsweise. Dies kontrastiert auch mit manchen Evolutionsbiologen, die dazu neigen, unzulässig verallgemeinernde Schlüsse aus der unbestrittenen Rolle des Egois36 37 38 39
Lorenz 1963. De Waal 2000, S. 11. Aureli u. a. 2006. Aureli / Schaffner 2007.
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mus im natürlichen Selektionsprozess zu ziehen. Hingegen ist der Kognitionsbiologe an den Motiven und unmittelbaren Ursachen von Handlungen interessiert. Er untersucht altruistisches Verhalten nicht nur aus dem Blickwinkel der Verwandtenselektion und inklusiven Fitness, sondern der beteiligten sozialen, kognitiven und emotionalen Komponenten des Verhaltens.
Soziale, kognitive und emotionale Faktoren der Kooperation Wie soziale und kognitive Mechanismen der Kooperation zusammenspielen, konnten wir am Beispiel der Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus) demonstrieren. Zu kooperativen Lösung eines Futtererwerbsproblems benötigten sie nicht nur gewisse kognitive Fähigkeiten zur Lösung der manipulativen Aufgabe, sondern auch die nötigen Motivationen, die sich aus ihrer Rolle in der Gruppe und ihrem Rang ergeben40. Im Tierreich finden sich aber auch Beispiele für erzwungenes „Helfen“, wie etwa bei Keas (Nestor notabilis), den neuseeländischen Bergpapageien41. Um zu wissen, wie man sich unter Berücksichtigung des anderen verhält, braucht es ein gehöriges Maß an Intelligenz und Flexibilität. Kapuzineraffen etwa, die auch für den einzig gut dokumentierten Werkzeuggebrauch bei Neuweltaffen verantwortlich sind, finden heraus, dass sie gemeinsam und gut koordiniert an einem Gestänge ziehen müssen, um an das begehrte Futter zu gelangen. Sie beziehen also die Handlungen des Partners ein, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Aber würden sie auch Kooperation einfordern und Hilfe holen, wenn es die Situation erfordert? Schimpansen tun dies, wie man erst kürzlich herausfand42. Um an das Futter zu gelangen benötigen sie einen Partner. Wenn dieser aber im Testraum nicht anwesend ist, öffnen sie die Tür zum benachbarten Käfig und lassen somit einen potentiellen Partner hinzu, welcher ohne zu Zögern und – mit dem entsprechenden Vorwissen ausgestattet – die „Einladung“ zur Kooperation annimmt. Mehr noch, wenn Schimpansen die Wahlmöglichkeit haben, einen erfahrenen oder einen unerfahrenen Kooperationspartner zu rekrutieren, holen sie fast ausschließlich ersteren. Diese Fähigkeit der gezielten und aktiven Kooperation und des strategischen Rekrutierens von Helfern widerlegt die lange dominierende Meinung, dass Kooperation im Tierreich nur eine genetisch-altruistische Basis habe und Tieren die motivationalen und kognitiven Mechanismen fehlen, auf welchen die menschliche Kooperation fußt. 40 Werdenich / Huber 2002. 41 Tebbich u. a. 1996; Huber u. a. 2008. 42 Melis u. a. 2006.
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Uneigennütziges Helfen Menschliche Kinder sind nicht nur fähig zu kooperieren, wenn es die Situation erfordert und man dazu noch selbst einen Gewinn zieht, sondern münden oft in echte Hilfeleistung, bei der man üblicherweise annimmt, dass sie aus uneigennützigen Motiven erfolgt. Neben dieser besonderen moralischen Komponente erfordert Hilfeleistung auch die Fähigkeit, das Ziel, welches der Hilfesuchende verfolgt, zu verstehen, als auch die unmittelbaren Hindernisse am Weg dorthin. Es ist daher wichtig, sich in den anderen hineinzuversetzen, und zwar nicht nur um seine Wünsche und Ziele zu verstehen, sondern auch um seine Bedürfnisse, Schwächen, oder sogar sein Leid nachzuvollziehen. Hier geht es also offensichtlich um zwei große menschliche Fähigkeiten, sich sprichwörtlich in den Kopf und die Haut des anderen zu versetzen. Während, wie schon zuvor dargestellt, die Fähigkeit zur Übernahme der Perspektive des anderen heute ein aktuelles und wichtiges Forschungsgebiet sowohl in der Entwicklungspsychologie als auch der Kognitionsbiologie geworden ist, wagen es nur wenige, auch die Fähigkeit und Motivation zu Einfühlung (Empathie) und Mitleid bei Tieren anzuerkennen. Vielen ist die Beschreibung und Deutung von Hilfeleistungen im Tierreich zu unwissenschaftlich, denn man fordert ein Experiment mit geeigneten Kontrollen und der Möglichkeit der Reproduzierbarkeit und Widerlegung. Eine oft übergroße Angst vor Anthropomorphismus hat die Erforschung tierischer Emotionen in der Vergangenheit gelähmt43.
Empathie Dies ist heute nicht mehr der Fall. Bei uns Menschen ist Empathie nicht nur äußerst offensichtlich, bildet sich früh im Leben aus, hat starke genetische Wurzeln44 und ist hinsichtlich ihrer neuronalen und physiologische Mechanismen gut untersucht45. Man nimmt an, dass die Empathie die ursprüngliche, vorsprachliche Form der inter-individuellen Verbindung ist, zu der es erst sekundär unter dem Einfluss von Sprache und Kultur gekommen ist. Offensichtlich ist Empathie zunächst im Rahmen der elterlichen Sorge um die Nachkommen entstanden, wobei diese ihr Befinden mittels genetisch fixierter Ausdrucksformen signalisieren, um die Eltern zu „zwingen“, sich um sie zu kümmern. Die
43 Panksepp 1998. 44 Plomin u. a. 1993. 45 Adolphs 2003.
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evolutionäre Kontinuität des Menschen mit anderen Säugetieren ist daher auch hier naheliegend46. Eine einfache Form der Empathie ist „emotionale Ansteckung“, wenn Signale des emotionalen Zustands eines Individuums einen dementsprechenden oder sehr ähnlichen Zustand bei einem Artgenossen auslöst47. Das bekannteste Beispiel ist ansteckendes Gähnen, das zunächst beim Menschen, heute aber bei vielen Primaten gezeigt wurde. Der funktionale Nutzen der schnellen Synchronisation von Verhalten liegt auf der Hand. Soziale Tiere müssen Verhalten und Positionen koordinieren, kollektiv auf Gefahren reagieren, sich über Nahrungs- und Wasservorkommen verständigen sowie Hilfsbedürftigen beistehen. Bei der Empathie manifestieren sich emotionale und motivationale Zustände aber in einem Verhalten, das spezifisch auf einen Partner abzielt. Hier wird der emotionale Effekt beim anderen aktiv herbeigeführt, wobei durch Perspektivenübernahme immer mehr Wissen um die genauen Bedingungen, die den Gefühlszuständen anderer zugrunde liegen, eine Rolle spielt. Dies erfordert eine zunehmende kognitive Differenzierung zwischen dem Selbst und dem Anderen48. In gewisser Weise ist die Empathie immer noch egoistisch – A versucht B zu trösten, weil A sich den Schmerz von B ,eingefangen‘ hat und selbst Trost sucht. Auf höherer Ebene jedoch kann emotionale Empathie zu Sympathie werden, das heißt zu der Anerkenntnis, dass B situationsspezifische Wünsche und Bedürfnisse hat, die sich von denen von A unterscheiden.
Sympathie Sympathie besteht nicht aus den selben Gefühlen, die der Artgenosse empfindet, sondern aus Gefühlen der Trauer oder Sorge für ein leidendes oder bedürftiges anderes Individuum. Sympathie bewirkt eine auf andere gerichtete, wirklich altruistische Motivation49. Wenn Anklänge von sympathiebezogenem Verhalten im nichtmenschlichen Bereich nachweisbar wären, würde dies deutlicher als zuvor die Kontinuitäts-Hypothese der Moral stärken. In einem wohl überlegten Experiment von Warneken und Tomasello50 konnte dies tatsächlich nachgewiesen werden. Drei jungen Schimpansen und 24 Menschenkindern im Alter von 18 Monaten wurden von einem Experimentator verschiedene Situationen vorgespielt, die Hilfe erfordern würden. In mehreren Fällen, etwa wenn ein 46 47 48 49 50
De Waal 2008. Hatfield u. a. 1993. Eisenberg 2007. Decety / Chaminade 2003. Warneken / Tomasello 2006.
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Gegenstand „unabsichtlich“ fallen gelassen wurde und sich danach außer Reichweite des Experimentators befand, halfen die Schimpansen spontan. Dennoch würde niemand bezweifeln, dass das moralische Verhalten des Menschen um einiges entwickelter als das irgendeines nichtmenschlichen Tieres ist. Aber es zwingt uns umgekehrt auch nicht dazu, sich die Moral als etwas zu denken, das in mysteriöser Weise zu einem unmoralischen Kern hinzutritt. Im Buch „Primaten und Philosophen“ warnt Frans De Waal vor der Fassadentheorie, wie sie viele Soziologen vertreten, nämlich der Auffassung von der Moral einer dünnen Fassade, die über einem nichtmoralischen oder unmoralischen Kern liegt, ebenso wie vor der Theorie des Gesellschaftsvertrags, populär geworden durch Thomas Hobbes, die ein Konzept des Menschen als eines im Kern asozialen oder gar antisozialen Wesens enthält.
Stufen des Altruismus Bei der Abwägung des spezifisch Menschlichen in der Moral ist es notwendig, mehrere Stufen altruistischen Verhaltens zu unterscheiden. 1. Funktional altruistisches Verhalten zeigen viele Tiere, denken wir nur an die Biene. 2. Sozial motivierten Altruismus, gekennzeichnet durch emphatische (einfühlsame) Reaktionen auf Kummer oder Betteln von Gruppenmitgliedern, lassen viele hochsoziale Tiere erkennen. 3. Intentionalen, zielgerichteten Altruismus, mit der Bewusstmachung, wie der andere dadurch profitieren könnte, scheint nur beim Menschen und – eventuell in seltenen Fällen – bei manchen Tieren, wie Menschenaffen, Delphinen und Elefanten, vorzukommen. Helfen mit der Intention, auch etwas zurückzubekommen, wenn auch nur Reputation, ist bei Tieren zweifelhaft. Der Philosoph Philip Kitcher51 schlägt den Begriff des „psychologischen Altruismus“ für all jene Fälle, wo das eigene Handeln von der Wahrnehmung der Bedürfnisse und Wünsche anderer bestimmt wird, vor. Hier müsste man zunächst zwischen paternalistischem (reagiert auf die Bedürfnisse, nicht auf die Wünsche) und nichtpaternalistischen (reagiert auf die Wünsche) Altruismus unterscheiden. Weiters sollte man vier Dimensionen des Altruismus berücksichtigen, auf denen Handlungen hinsichtlich ihrer Moralität unterschieden werden können (siehe Abb. 1), einmal nach der Intensität, welche durch den Grad bestimmt ist, zu dem der Altruist dem wahrgenommenen Wunsch oder Bedürfnis entspricht. Die Skala reicht vom vollständigen Eigennutz (nichts 51 Kitcher 2008.
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geben) zum Teilen (des Mantels beim hl. Martin) bis zur völligen Selbstverleugnung eines Maximilian Kolbe. Eine weitere wichtige Dimension ist die Spannbreite der Kontexte, in denen man eine altruistische Reaktion zeigt. Man ist etwa bereit den Schlafplatz zu teilen, nicht aber begehrtes Futter. Eine dritte wichtige Dimension ist das Ausmaß des Altruismus, welche durch die Menge an Individuen bestimmt ist, denen der Altruist zu helfen bereit ist. Der Kreis der Begünstigten kann sich vom eigenen Nachwuchs zu anderen Mitgliedern der Gruppe bis zu Fremden ausdehnen. Im Extremfall reicht das Ausmaß bis zur christlichen Lehre von der Feindesliebe. Schließlich kann man Altruismus nach dem Geschick unterscheiden, mit welchem das reale Bedürfnis oder der reale Wunsch des Begünstigten erkannt wird.
Abb. 1. Die vier Dimensionen des psychologischen Altruismus (nach Kitcher 2008)
Wenn man altruistisches Verhalten nach diesen vier Dimensionen charakterisiert, wird man auch menschliche Hilfeleistungen besser unterscheiden können. So könnte man nach Kitcher verschiedene Altruismusprofile unterscheiden, von Altruisten, die zwar in vielen Situationen und gegenüber vielen Nutznießern helfen, aber nur sehr wenig vom eigenen Nutzen abgeben. Demgegenüber mag es Altruisten geben, die vieles geben, aber nur wenigen sehr Bedürftigen. Mit diesen Dimensionen sollte es aber auch leichter gelingen, die Unterschiede von Menschen und Tieren exakt zu fassen und bewerten zu können. Jedenfalls würde man damit weniger der Versuchung unterliegen, eine klare Trennlinie zu ziehen, sondern könnte sich vorstellen, dass sich im Laufe der Evolution bestimmte Dispositionen zu altruistischem Verhalten verstärkt haben, aber auch bestimmte neue kognitive Fähigkeiten eine Verschiebung auf der Dimension des Geschicks ermöglicht haben. Insgesamt ist menschliche
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Moralfähigkeit durch eine Ausweitung des Kreises der Begünstigten52 durch eine immer stärkere Verschiebung entlang aller vier Dimensionen gekennzeichnet.
Sozialer Druck und Gemeinschaftssinn Die Erforschung menschlicher Kooperation konnte natürlich nicht bei bloßen Empfindungen stehen bleiben. Menschliche Gemeinschaften werden nicht nur von dyadischen Beziehungen getragen, sondern es bedarf der gemeinsamen Traditionen, der gemeinsamen Ziele, der gemeinsamen Feinde, eines Systems aus Spielregeln mit klar festgelegten Konsequenzen bei Nichtbefolgung, eines Systems aus Belohnung und Bestrafung, und der gleichen mehr. All das fließt ein und beschäftigt Ethiker, Ökonomen, Juristen und Politiker. Wir befinden uns in einer Welt wechselseitiger Abhängigkeit, bei der Kooperation und Wettbewerb nebeneinander bestehen. Der Mensch hat Mechanismen zur Konfliktvermeidung und -bewältigung geschaffen, er ist ständig herausgefordert, Eigeninteressen und Zusammenarbeit in der Gruppe in einem erträglichen Gleichgewicht zu halten. Und immer wieder geht es um Interessenabwägung, welche von einem Gefühl für Fairness oder Gerechtigkeit begleitet wird. Menschen haben eine Aversion gegen Ungerechtigkeit, was ein wichtiger Faktor bei der Kooperation ist53. Aber selbst Kapuzineraffen haben eine – wenn auch egozentrische – Form dieser Aversion. Wenn sie sehen, dass ihr Partner im Experiment für dieselbe Leistung deutlich besser belohnt wird (mit Weintrauben anstatt mit Gurken), lehnen sie diese ab und beginnen zu rebellieren, obwohl sie zuvor diese Belohnung stets akzeptiert haben, wenn auch ihr Partner damit belohnt wurde54. Noch sind wir damit nicht bei jenem echten „psychologischen Altruismus“ angelangt, der notwendig ist, sein eigenes Handeln auf die Wünsche und Bedürfnisse des anderen abzustimmen55. Aber auch wir Menschen neigen manchmal zu Neid und irrationalen Entscheidungen, welche auch, zumindest auf lange Sicht und bei nicht zu exzessiver Anwendung, zu gesellschaftlichem Ausgleich und zum Aufbau kooperativer Beziehungen beitragen können. Wir sind damit bei den Gemeinschaftswerten angelangt, die essentiell für echte, rein menschliche Moral sind. Bei der Förderung wechselseitiger Hilfe scheint ein nicht zu unterschätzender Faktor die Auseinandersetzung mit einem gemeinsamen Feind zu sein. Richard Alexander56 allerdings betonte neben der 52 53 54 55 56
Singer 1981. Fehr / Schmidt 1999. Brosnan / de Waal 2003. Kitcher 2008. Alexander 1987.
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Beilegung von Konflikten mit anderen Gruppen auch die Konflikte innerhalb der eigenen Gruppe als entscheidend für die Herausbildung von Moral. Ethische Systeme entstehen infolge von Spannungen zwischen individuellen und kollektiven Interessen, vor allem wenn ganze Untergruppen miteinander konkurrieren. Frans de Waal stellt im Buch „Der gute Affe – Der Ursprung von Recht und Unrecht bei Menschen und anderen Tieren“57 folgende Voraussetzungen von Moralität zusammen: 1. Bedeutung der Gruppe: Abhängigkeit von der Gruppe bei der Nahrungssuche und der Verteidigung gegen Feinde und Räuber. 2. Gegenseitige Hilfe: Kooperation und wechselseitiger Austausch innerhalb der Gruppe. 3. Interner Konflikt: Einzelne Mitglieder haben unterschiedliche Interessen. Dazu kommt dann noch ein System der Abwägung individueller und kollektiver Interessen, das auf zwei Ebenen geschehen kann: 1. Dyadische Ebene: Direkte Interaktion, z. B. unmittelbare Erwiderung einer Hilfeleistung oder Versöhnung nach einem Streit. 2. Höhere Ebenen: a) Gemeinschaftsinteresse oder Sorge um gute Beziehungen zwischen anderen, die in der durch Vermittlung herbeigeführten Versöhnung ihren Ausdruck findet, b) friedliche Schlichtung von Streitigkeiten, c) Wertschätzung altruistischen Verhaltens durch die Gruppe (indirekte Reziprozität) und d) Anregung, zur Verbesserung des sozialen Umfelds beizutragen. Der Autor gesteht allerdings ein, dass die beiden letzten Formen auf moralische Systeme bei Menschen beschränkt sein könnten. Menschliche Gesellschaften sind oft öffentliche Schauplätze von Verhandlungen über Geben und Nehmen, womit der Einzelne gegenüber der Gemeinschaft in den Hintergrund tritt. In einem sozialen Umfeld, zu dem jeder Einzelne beiträgt, aber niemals alleine verantwortlich sein kann, kommen systemimmanente Phänomene hinzu, die Gegenstand philosophischer, psychologischer, soziologischer und anthropologischer Theorien des menschlichen Zusammenlebens sind und in ihrer Komplexität selbst diese zu übersteigen scheinen. Daher haben es sich Mathematiker zur Aufgabe gemacht, an Hand von Computersimulationen die vielfältigen Beziehungsgefüge und Einflussfaktoren zu analysieren58. Dabei darf aber niemals außer Acht gelassen werden, dass der Einzelne selbst bei langen Abwägungsprozessen noch immer stark von seinen kognitiven und 57 De Waal 2000. 58 Nowak / Sigmund 2005.
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emotionalen Zwängen begleitet ist und noch wesentlicher, dass viele moralisch relevante Handlungen nicht auf rationalen Abwägungen beruhen und in sehr alten Gehirnstrukturen entstehen59. Zusammengenommen haben diese Studien gezeigt, dass sämtliche gen-basierten evolutionstheoretischen Modelle die wichtigsten Phänomene des menschlichen Altruismus nicht erklären können, sodass Theorien der kulturellen Evolution und Gen-Kultur-Koevolution an Wert gewinnen60. Kultur greift in zweierlei Weise in menschliches Verhalten ein. Einmal durch Veränderung des Umfeldes, in dem sich bestimmtes Verhalten bewähren muss. Dies geschieht über lange Zeiträume und wird Nischenkonstruktion genannt61. Werkzeuge sind ein Beispiel wie die kulturellen Erzeugnisse des Menschen die Möglichkeiten des Einzelnen erweitert haben. Im sozialen Milieu ist es die immer größer und komplexer werdende Gruppe, in die der Mensch hineingeboren wird und in der er sich bewähren muss. Neben diesen Anpassungen in evolutionären Maßstäben gibt es noch jene im individuellen Leben. Der heranwachsende Mensch ist von kulturellen Einflüssen umgeben, die bestimmte Verhaltensdispositionen wie offene Programme ausformen. Dazu sind umfangreiche Lernprozesse notwendig. Dies ist besonders bei der Sprache evident und gut untersucht. Die Muttersprache muss gelernt werden, aber es gibt dafür eine genetisch und epigenetisch vorbereitete Spracherwerbskompetenz. Ähnlich scheint es auch beim Erlernen moralischen Verhaltens zu sein. Wir werden nicht mit irgendwelchen bestimmten moralischen Normen im Kopf geboren, sondern mit einem Lernschema, das uns sagt, welche Informationen wir aufnehmen sollen. Bereits 18 Monate alte Kinder zeigen starke Hilfsbereitschaft, noch bevor sie die volle Sprachkompetenz erwerben, und dass sie diese auch gegenüber Fremden einsetzen, deutet auf tiefer verwurzelte und evolutionär länger zurückreichende Verhaltensmerkmale hin. Im Wechselspiel von Lernen und Lehren sind wir in der Lage, das moralische Gewebe der Gesellschaft, in die wir hineingeboren wurden, zu erkennen, zu verstehen und schließlich zu internalisieren62. Während der Erziehung, bei der die Eltern Hilfsbereitschaft immer wieder einfordern, werden die Anlagen für altruistisches Verhalten verstärkt und ausdifferenziert. In den ersten Lebensjahren ist das maßgebliche Umfeld die Familie, doch dann werden es immer größere Gemeinschaften, Freundeskreise (peers), Arbeits- und Lebenswelten. Hier tritt dann sozialer Druck auf, der auf jedes Mitglied der Gemeinschaft ausgeübt wird, zu gemeinsamen Zielen beizutragen und allgemein akzeptierte 59 60 61 62
Greene / Hait 2002; Moll u. a. 2005. Fehr / Fischbacher 2003. Odling-Smee u. a. 2003. Simon 1990.
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soziale Regeln einzuhalten. Wichtig scheint auch die Vorbildfunktion von Erwachsenen zu sein, die ohne explizite Anweisung die soziale und moralische Entwicklung des Heranwachsenden formt. In diesem Studium sind alle Prozesse des Erwerbs sozialer Kompetenz implizit und unbewusst. Sie basieren auf den evolutionär alten und bei Tieren weit verbreiteten Mechanismen der Prägung und des assoziatives Lernen mit selektiver Belohnung. Fraglich ist, in wie weit sozialer Druck in nicht-menschlichen Gemeinschaften auftritt. Ein wichtiges Forschungsthema der letzten Jahre ist die Existenz von Konformismus bei der Verbreitung von Innovationen oder der Tradierung von Verhaltensweisen. Schimpansen scheinen sich tatsächlich um den Zustand ihrer Gruppe zu kümmern und sozialen Regeln zu folgen63. Manche Experimente deuten sogar auf Konformismus hin64, doch insgesamt ist die Evidenz dafür dürftig. Bei Krallenaffen konnten wir bisher keine eindeutigen Hinweise dafür finden65. Es könnten einfachere Mechanismen, wie die Ausbildung von Gewohnheiten, ähnliche Effekte erzeugen.
Soziale Kontrollmechanismen Vermittelnde Schlichtung und friedensstiftendes Verhalten sind weitere Werkzeuge in der Stärkung der Gemeinschaft. Bei Schimpansen wurde nicht nur dieses, sondern auch soziale Kontrolle (policing) durch hochrangige Männer beobachtet66. Umstrittener ist allerdings, in wie weit dieses Verhalten einzelner zur Etablierung von sozialen Spielregeln dient. Es wurde beobachtet, dass bei Abwesenheit jener hochrangigen Gruppenmitglieder, die für soziale Kontrolle sorgen, der Zusammenhalt in der Gruppe leidet67. Bei uns Menschen kommt es zwar immer noch vor, dass einige Gruppenmitglieder für den sozialen Zusammenhalt sorgen, allerdings werden die Kontrollmechanismen zunehmend verstärkt und erweitert. Die Spielregeln werden nicht mehr nur auf direktem Wege tradiert und sanktioniert, also von Mitglied zu Mitglied der Gemeinschaft, sondern sie wurden mit Hilfe der aufkeimenden Sprache diskutiert und verhandelt, also in einen allgemeinen, inter-subjektiven Raum gehoben. Zudem werden die Einsätze für das Gruppenleben und das Allgemeinwohl erhöht und gleichzeitig deren Missachtung immer stärkeren Sanktionen unterworfen. Nicht mehr nur Einzelne, sondern jedes Individuum sollte versuchen, das Gruppenleben zu verbessern, selbst wenn die eigenen In63 64 65 66 67
de Waal 2008. Whiten u. a. 2005. Pesendorfer u. a. 2009. de Waal 2008. Flack u. a. 2006.
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teressen nicht auf dem Spiel stehen. Moral wird damit gewissermaßen institutionalisiert, mit der Erfindung von Zeichen (Malereien?) und Schrift kurzfristigen Veränderungen und Verwischungen entzogen. Solchermaßen fixiert etablieren sich echte Moralsysteme, welche dem Einzelnen eine Vielzahl von Beschränkungen auferlegen und die Spielregeln allgemein verbindlich machen. Indem moralisches Verhalten immer größere Gemeinschaften auf immer längere Dauer betrifft, bedarf es neuer kognitiver Instrumente zur Verallgemeinerung und Abstraktion. Es kommt Logik und Rationalität ins Spiel, die für interne Konsistenz, Objektivität und Gültigkeit (Pflicht) sorgen.
Die reflektierte Moral Ohne Zweifel war die Evolution bestimmter kognitiver Fähigkeiten entscheidend, die Ausdehnung und Verankerung von Moral voran zu treiben. Für viele Philosophen war dafür ein rationales Element entscheidend. Es geht damit über bloß emotivistische Ethiktheorien hinaus, bei denen nur das Mitgefühl ausgeweitet wird. Durch die richtige Eingliederung in die Gemeinschaft können wir dazu gebracht werden, unser Mitempfinden auszuweiten, sodass wir schließlich motiviert werden durch das, was für andere nützlich und angenehm ist, selbst wenn dies in Konflikt steht mit unseren eigenen Bedürfnissen und Begierden. Ausgestattet mit der Fähigkeit der Perspektivenübernahme entfernen sich Altruisten von den eigenen begrenzten und idiosynkratischen Wünschen und Bedürfnissen, und indem sie zurückschauen, verobjektivieren sie ihr Handeln. Damit scheinen sie den Standpunkt des „unparteiischen Beobachters“ einzunehmen. Viele Moralphilosophen folgen dieser von Adam Smith68 geprägten Sichtweise der Orientierung moralischen Verhaltens, andere aber gehen weiter und folgen dabei Immanuel Kant69, der die Rolle der Vernunft in moralischen Urteilen hervorhob. Kraft seiner alles im Tierreich übersteigenden Verstandesleistungen (nicht mehr bloß Intelligenz, sondern Vernunft) kann der Mensch Abwägungen immer abstrakter vornehmen. Er kann den Umfang der moralisch relevanten Handlungen und der moralisch zu bedenkenden Handelnden immer stärker erweitern, bis schließlich bei Ethikern und Juristen Motive, Interessen, Kontext und Folgen von Handlungen bewertet werden und in allgemeine Regeln, Gesetze und Theorien einfließen. Wenn wir von Rationalisierung unserer Handlungen sprechen, bedeutet dies noch lange nicht, dass die Handlungen automatisch moralisch (gut) sind. Unser 68 Adam Smith 1759. 69 Kant 1788.
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Tun könnte der maximalen Befriedigung unserer persönlichen Interessen dienen, auch wenn wir dies rational rechtfertigen würden. Aber wenn wir zur Förderung des Gemeinwohls und gegen unsere individuellen Interessen intersubjektiv Regeln entwickeln, welche die Maximierungstätigkeit einengen, kommt Moral ins Spiel. Institutionalisiert sickern sie langsam in unser ethischen Denken, das wir Gewissen nennen, wo sie als Prinzipien der Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit usw. weiter existieren. Doch ist diese Existenz gefährdet, sobald das Eigeninteresse durchbricht und eudämonistisch das eigene Glück und Wohlbefinden in den Vordergrund rückt. Die Frage, welche de Waal an Hand der Fassadentheorie erörtert, ist die, ob die oben genannten Prinzipien unnatürlich sind bzw. vom Menschen kulturell entwickelt wurden. Eine zentrale Frage von Ethik ist jene nach dem Wert und der Reichweite von Interessen. Mit Sicherheit besteht ein Unterschied zwischen Tieren und Menschen darin, dass die Interessen für Handlungen bei ersteren tiefer und weitreichender sind. Wie Christine Korsgaard verdeutlicht, erschöpfen sich unsere persönlichen Interessen nicht darin, dass wir Dinge haben wollen. Wir haben auch ein Interesse daran, Dinge zu tun und jemand zu sein. Vieles davon kann für das Individuum alleine gar nicht existieren, es braucht Gemeinschaft und Kultur, zum Beispiel Prestige zu gewinnen. Außerdem reichen menschliche Interessen oft weit in die Zukunft, die kalkuliert wird. Zwar können Tiere – wie schon weiter oben erörtert – auch ein kleines Stück in die Zukunft reisen und Vorsorge treffen. Aber können Tiere über ein fernes Lebensziel und einen geglückten Lebensentwurf nachdenken, das die Fähigkeit voraussetzt, von dem abstrakten Konzept des eigenen generellen oder langfristigen Wohls motiviert zu sein? Wie weit können sich nichtmenschliche Tiere vom hier und jetzt entfernen? Scheinen sie ausschließlich von unmittelbaren, lokalen und konkreten Interessen motiviert zu sein oder können sie berechnen, was insgesamt am besten für sie selbst ist? Philosophen wie Korsgaard bezweifeln, dass nicht-menschliche Tiere selbstinteressiert sind. Doch wie wir ebenfalls schon gesehen haben, können Tiere nicht nur zweckgerichtet und intentional handeln, sondern auch die Intentionen des anderen in einem gewissen Ausmaß einschätzen und ihr eigenes Handeln darauf abstimmen. Können diese Tiere demnach auch ihr eigenes Interesse in Beziehung zum Interesse des anderen setzen und sogar diesem unterordnen? Möglicherweise ja. Aber so weit wir momentan wissen, beschränkt sich diese Abwägung des eigenen Interesses in Relation zum Interesse des anderen auf ein oder einige wenige Gruppenmitglieder. Wenn etwa vor kurzem gezeigt werden konnte, dass sowohl Kapuzineraffen70, Schimpansen71 als auch Hunde72 eine Art 70 Brosnan / de Waal 2003. 71 Brosnan u. a. 2005.
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Gefühl für Fairness haben, mit der sie das Verhältnis von Aufwand und Entschädigung im Vergleich mit Artgenossen einschätzen, so beschränkt sich diese Einschätzung auf einen einzigen Partner. Gruppenexperimente mit mehreren Akteuren wurden meines Wissens noch nicht gemacht. Selbst wenn nichtmenschliche Tiere die ganze Gruppe, in der sie leben, einbeziehen, würden sie mit Sicherheit nicht die Stufe erreichen, die Kant fordert. Gemäß seiner Prinzipientheorie (deontologische Ethik) kann man sich nicht nur fragen, was man am meisten will, sondern auch, ob das Wollen dieses Ziels ein guter Grund dafür ist, diese bestimmte Handlung zu vollziehen. Gefragt wird, ob man es als allgemeines Gesetz wollen kann, sodass jeder, der diese Art von Zweck erreichen will, diese Art von Handlung vollziehen soll. Die dafür notwendigen kognitiven Fähigkeiten sind die der Abstraktion und Generalisation. Um das kantische Ideal zu erreichen wird die Bewertung der Handlung abstrahiert und generalisiert, im äußersten Fall auf alle Menschen zu allen Zeiten. Letztlich mündet diese extreme Form der Situationsbewertung in die Frage, ob die eigene Handlungsmaxime als rationales Prinzip gelten kann. Hier tritt auf, was Korsgaard73 als den eigentlich Beginn oder das eigentliche Merkmal von Moral ansieht: wir haben nicht einfach gute oder schlechte Absichten, sondern bewerten sie und machen sie uns zu eigen. In der Sprache Kants sagt man, wir haben die Fähigkeit zur normativen Selbstbestimmung bzw. zur „Autonomie“. „Die Moral unserer Handlung ist keine Funktion des Inhalts unserer Intentionen. Sie ist eine Funktion der Ausübung unserer normativen Selbstbestimmung“74. Doch die zunehmende Abkoppelung der Reaktionsselektion von der unmittelbaren Reizsituation und Bedürfnislage und der damit einhergehende Zuwachs an Freiheitsgraden der Verhaltenskontrolle beginnt nicht beim Menschen, sondern sind Charakteristika einiger Linien der kognitiven Evolution. Zusammenfassend scheint mir das Stufenkonzept von de Waal75 nützlich. Er unterscheidet dabei moralische Gefühle, sozialen Druck und Abwägen und Urteilen. Soweit wir auf gesicherte empirische Evidenz zurückgreifen können, scheinen sich Menschen auf der zweiten Ebene von Tieren abzuheben und auf der dritten Ebene alleine zu stehen. Wann genau diese Stufe gezündet wurde, wissen wir nicht, ziemlich wahrscheinlich aber erst mit voller Ausbildung der Sprache.
72 73 74 75
Range u. a. 2009. Korsgaard 2008. Ebd., S. 130. de Waal 2008.
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Tabelle 1. Drei Ebenen der Moral (verändert nach de Waal 2008, S. 187) Beschreibung
Vorkommen
1. Moralische Gefühle
Niveau
Bausteine von Moral, wie Empathie, Neigung zu Reziprozität, Sinn für Fairness und Fähigkeit, Beziehungen harmonisch zu gestalten
2. Sozialer Druck
Verhalten, das ein kooperatives Gruppenleben fördert, wie Belohnung, Bestrafung und Reputation
bei vielen Primaten, aber auch anderen sozialen Säugetieren (Meeressäugern, Hyänen, Caniden, usw.) und auch sozialen Vögeln (z. B. Rabenvögel und Papageien) Gemeinschaftssinn und präskriptive soziale Regeln existieren wie oben, aber sozialer Druck ist weniger systematisch und weniger bedacht auf die Ziele der Gesellschaft als Ganzes
3. Abwägen Verinnerlichung der Nöte und Wünsche anderer; moralisches und Urteilen ist selbst-reflexiv und Urteilen häufig logisch durchdacht
kaum Ähnlichkeiten im nichtmenschlichen Bereich bekannt
Fazit Ein vorläufiges Resümee könnte lauten, dass es Stufen von Bewusstsein und Moral gibt, von denen Tiere einige erreicht haben, aber erst Synergien von symbolischer Sprache, relationaler Konzeptbildung, Verallgemeinerung, Zielrepräsentation, Abstraktion und Selbsterkenntnis die kulturelle und moralische Evolution des Menschen vorangetrieben haben. Manche Bausteine dieser Errungenschaft, wie Einfühlung, Gefühlsansteckung, Perspektivenübernahme und Imitation, Verhaltensweisen wie Zusammenarbeit, Teilen und Trösten finden sich auch bei nichtmenschlichen Primaten, Hundeartigen, Delfinen, Elefanten, sozialen Vögeln wie Rabenvögel und Papageien und wahrscheinlich einigen Tierarten mehr. Die Grundannahme lautet, dass es in diesen Bausteinen multiple Konvergenzen zu den Menschen(arten) gibt. In jedem Fall sind es gemeinsame Dispositionen zum psychologischen Altruismus, ohne die genuin moralisches Handeln unmöglich wäre. Mit jeder Schärfung des Blicks auf die Gemeinsamkeiten wird auch die Einschätzung der Unterschiede deutlicher. Doch vom evolutionären Gesichtspunkt wäre es missverständlich, wie de Waal betont, von Diskontinuitäten zu sprechen. Die Evolution macht keine Sprünge. Würde man eine lückenlose Genealogie kennen, würde man schwer ein Kind treffen, von dem man sagen könnte, es hätte eine „spezifisch menschliche Fähigkeit“, welche seine Eltern noch nicht haben.
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Daher ist auch im Bezug auf die Moral Philip Kitcher76 zuzustimmen, der vermutet, dass es selbst zwischen uns und den jüngsten Vorfahren, die wir mit den Schimpansen gemein haben, bedeutsame evolutionäre Schritte gab: die Entwicklung einer Fähigkeit zur normativen Orientierung und Selbstkontrolle, die Fähigkeit, zu sprechen und die potenziellen moralischen Ressourcen miteinander zu diskutieren. Vieles davon ist wohl eine Errungenschaft von nur etwa fünfzigtausend Jahren kultureller Evolution. Anders gesagt, es ist nicht eine Eigenschaft des Menschen, denn die Art Homo sapiens existiert bereits mindestens 200.000 Jahre. Evolutionäre Kontinuität sollte nicht als Totschlagargument für die Einschätzung der menschlichen Fähigkeiten dienen. Sie sollte vielmehr dazu beitragen, aus dem Vergleich mit anderen Tieren das spezifisch Humane zu erkennen. Die Tatsache, dass der Mensch sich weder Erkenntnis noch Moral im Kampf gegen seine Natur zugelegt hat, sondern auf natürlichen, evolutionären Dispositionen bauen kann, sollte uns auch zu einem würdevolleren und achtsameren Umgang mit Tieren mahnen.
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Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde. Überlegungen zu einem kulturellen Transformationsprozess
To begin with I would like to adress the history of the influence and reception of the „image of God“ concept in the Old Testament, which was transposed during the Renaissance and Enlightment to the term „human dignity“. Secondly, the anthropologically exeptional position of the human being will be demonstrated using the terms Geist and reason, in a way compatible to evolution theory. In the third step, I would like to point out that the above mentioned anthropologically exeptionel position of the human being can only be adequately presented when discussed in the context of the theory of moralism, i. e. when the subject matter of reason develops from the perspective of the terms consciousness and self-awareness. Der Streit um die Evolutionstheorie wird mancherorts mit einer Heftigkeit ausgefochten, als gelte es, die Evolution selber voranzutreiben oder umgekehrt aufzuhalten. Deshalb eine nüchterne Tatsachenfeststellung vorab: Die biologische Evolution des homo sapiens ist seit etwa 40.000 Jahren so gut wie abgeschlossen. Seine weitere Entwicklung – Geschichte im engeren Sinne des Wortes – ist kultureller Art. Auf dieser Ebene ist auch die im Folgenden zu erörternde Frage anzusiedeln, wie die Entwicklung vom Gottebenbildlichkeitsgedanken zum Menschenwürdekonzept einzuschätzen ist. Dass die Streitpunkte der Kontroverse sich im Laufe der Zeit verschoben haben, hängt auch damit zusammen, dass die Evolutionstheorie eine in mehreren Schritten erfolgende Ausweitung ihres Problemfeldes erfahren hat. Von Darwin war sie zunächst als eine Hypothese zur ,Entstehung der Arten‘ konzipiert – im Widerspruch zur älteren Klassifikationsbiologie. Der späte Darwin baute sie zu einer Lehre von der Abstammung des Menschen aus. In der Mitte des 20. Jahrhunderts erfuhr sie eine Verallgemeinerung ganz anderer Art durch ihre Entfaltung in der Dimension der Molekularbiologie. Hieran schloss sich die noch prinzipiellere Frage, ob nicht nur die Selbstorganisationsstruktur des Lebens, sondern auch Selbstreproduktionsvorgänge in der unbelebten Natur mit ihrer Hilfe erklärt werden können. Folgt man dem Gang dieser Theorieent-
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wicklung, dann nimmt es nicht Wunder, dass die Evolutionstheorie heute mit dem Anspruch eines globalen Deutungsmodells auftritt und sich nicht nur für natürlich-biologische Prozesse, sondern auch für soziokulturelle, kulturelle und ästhetische Probleme zuständig fühlt. Es hat aber noch niemand mit Gründen darlegen können, dass Geistes- und Kulturgeschichte nach den evolutionstheoretischen Gesetzen von Vererbung, Mutation, Anpassung und Selektion verläuft. Dieser Vorbehalt betrifft auch das in Frage stehende Thema. Die Umformung der biblischen Gottebenbildlichkeitsvorstellung in den neuzeitlichen Gedanken der Menschenwürde repräsentiert einen kulturellen Vorgang par excellence. Zwei weitere Vorbemerkungen sind erforderlich, um zu erklären, worum es im Folgenden nicht gehen wird. Erstens handelt es sich nicht um einen Beitrag zur sogenannten Jellinek-Debatte. Es geht also nicht um die Frage der Herkunft der Menschenrechte. Die folgenden Ausführungen beziehen sich vielmehr ausschließlich auf das Thema Menschenwürde. Beide ideenpolitischen Begriffe werden zwar häufig zusammen behandelt, haben aber trotz der sachlichen und historischen Berührungspunkte durchaus unterschiedliche Hintergründe.1 Es geht, zweitens, auch nicht um das komparatistische Problem, wie die Stellung des Menschen im Kosmos von den verschiedenen Weltreligionen und Hochkulturen gesehen wird und wie sich diese Vorstellungskomplexe zueinander verhalten. Das ist ein sehr schwieriges Thema und bedürfte einer gesonderten Behandlung. Stattdessen werden wir uns ganz auf die abendländisch-christliche Tradition samt deren Vorgeschichte konzentrieren. Beide Themeneingrenzungen haben ihren Anlass in dem Umstand, dass die Frage des Beitrags der christlichen Religion zum neuzeitlichen Menschenwürdekonzept und speziell zu dem unserer Verfassung – um das Problem an diesem Beispiel zu konkretisieren – in den einschlägigen theologischen, ethischen und juristischen Debatten bis heute strittig ist. Schon in den ersten Beratungen über das Grundgesetz beherrschten drei entgegengesetzte Standpunkte die Diskussion. Die einen legten Wert auf die genuin christliche Herkunft des Menschenwürdekonzepts. Die anderen betonten demgegenüber die naturrechtlichen und humanistischen Traditionen. Die Dritten pochten auf die rechtlich-allgemeine Funktion des Grundgesetzes und wollten darum auch dessen Basisartikel von religiösen und weltanschaulichen Prämissen möglichst freihalten. Die zuletzt genannte Position, vertreten vor allem durch Theodor Heuss, setzte sich in den
1 Dieser Unterschied ist auch bei Joas 2011 nicht zureichend berücksichtigt. Das von ihm herangezogene Sakralisierungsparadigma lässt sich zudem weder auf das alttestamentliche Gottebenbildlichkeitskonzept noch auf den von Renaissance, Aufklärungsphilosophie und Aufklärungstheologie entwickelten Menschenwürdegedanken beziehen, sondern ist Emile Durkheims soziologischem Ansatz entnommen.
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verfassungsgebenden Ausschüssen schließlich durch.2 Doch die Kontroverse ist eigentlich nie zur Ruhe gekommen, sondern wurde durch die in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts anstehenden Auslegungsprobleme immer wieder von neuem entfacht. Erst in den 80er Jahren haben sich erneut prominente Staatsrechtslehrer zu Wort gemeldet – etwa Ernst-Wolfgang Böckenförde, Martin Kriele, Josef Isensee –, die an die religiös-metaphysische Herkunft des Menschenwürdeartikels erinnert haben,3 nicht aus historischem Interesse, sondern um ihm ein Wertfundament jenseits aktueller Stimmungen und politischer Interessen zu verschaffen. So berechtigt dieses Anliegen ist, so sehr ist umgekehrt vor falscher Eindeutigkeit zu warnen. Wenn z. B. Isensee behauptet: „Die dignitas humana hat keine andere Begründung als den christlichen Glauben“, und hinzufügt, die Menschenwürde sei „von jeher Lehre der Kirche“,4 dann dürfte das Konto weit überzogen sein. Es ist nicht zu bestreiten, dass das europäische Menschenwürdekonzept genuin biblische Wurzeln hat, aber ebenso unzweifelhaft ist, dass deren Ausgestaltung zu einem expliziten Menschenwürdekonzept das Resultat einer langen Entwicklung ist, die weithin außerhalb der offiziellen Kirchenlehre und teilweise sogar in Opposition zu ihr verlief. Darüber kann auch das verdienstvolle Engagement des gegenwärtig amtierenden Papstes für die Menschenwürde5 nicht hinwegtäuschen. Zu kirchlichem Triumphalismus besteht also keinerlei Veranlassung, zu religiöser oder kultureller Selbstverleugnung allerdings ebensowenig. Dies werden die folgenden Ausführungen im Einzelnen deutlich machen. Der Gang der Erörterung zerfällt in drei Teile. Zunächst wird es um eine Rekonstruktion der – meist allzu glatt vereinnahmten – alttestamentlichen Imago-Dei-Vorstellung gehen. Sie wird rein religionsgeschichtlich verfahren. Es ist ja in hohem Maße erklärungsbedürftig, weshalb eine so stark an Erwählungsund Bundestraditionen orientierte Frömmigkeit zu einem konsequent universalistischen Menschenbild wie dem der Gottebenbildlichkeit gefunden hat. Im Anschluss daran sind die Hauptstationen des ideengeschichtlichen Prozesses darzustellen, in dem diese Vorstellung sich zum neuzeitlichen Menschenwürdekonzept entwickelt hat. Motive ganz unterschiedlicher Herkunft haben sich aneinander gerieben und damit die theologische Anthropologie vorangebracht. Das christlich-religiöse Verständnis der Menschenwürde war nicht von Anfang an fertig, sondern ist – um mit einer Lieblingsfigur der Aufklärung zu sprechen – ein Produkt der Perfektibilität des Christentums. Und schließlich soll die sachliche Relevanz des religiös verstandenen Menschenwürdekonzepts unter 2 Vgl. Stern 1988 – 1994; hier Bd. III. 1, S. 15 ff. 3 Vgl. Böckenförde / Spaemann 1987, S. 314 f. Die hier vorwaltende Sicht findet sich bereits bei Verdross 1961. 4 Isense 1987, hier S. 165. 5 Vgl. Johannes Paul II. 1980; ders. 1989.
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den kulturellen Bedingungen der Gegenwart umrissen werden. Den Anknüpfungspunkt dafür bildet seine verfassungstheoretische Bestimmung im Rahmen unserer Grundrechtsordnung. Alle drei Themen sind unter ihrem besonderen Aspekt schon verschiedentlich abgehandelt worden. Die eigentliche Schwierigkeit besteht in der Identifizierung und Rekonstruktion des inneren Zusammenhangs. Es wird im Folgenden deshalb vor allem um die Beziehung gehen, von der aus die beiden im Titel genannten Begriffe sich wechselseitig beleuchten.
I Allgemein kann festgestellt werden, dass sich die Anthropologie einer Religion nicht – oder nicht in erster Linie – von deren Erlösungslehre her schreibt, sondern auf breiteren Grundlagen fußt, die das von ihr geformte Weltbild im Ganzen betreffen. Dies gilt auch für die christlich-jüdische Tradition. Hier wurde vor allem die biblische Schöpfungslehre maßgebend. Deshalb haben unsere Überlegungen einzusetzen beim alttestamentlichen Schöpfungsglauben. Im 1. Buch Mose finden sich bekanntlich zwei Darstellungen der Welterschaffung nebeneinander, die eine in Gen 1,1 – 2,4a, die andere in Gen 2,4b – 25. Beide sind für die biblische Anthropologie von zentraler Bedeutung. Beginnen wir mit der zweiten, weil sie die zeitlich ältere ist. Sie entstand vermutlich um 1000 v. Chr. und wird nach ihrer literarischen Tradition6 als jahwistischer Schöpfungsbericht bezeichnet. Die ihn prägende Vorstellungswelt ist noch vergleichsweise naiv, die Erschaffung des ersten Menschen steht im Zentrum der Darstellung und umfasst nur wenige Verse: Jahwe entnimmt das Material dem feuchten Erdboden, gibt ihm eine Form – wie der Töpfer dem Lehmkloß – und haucht seinen eigenen Atem ein. Wie die Geschichte weitergeht, ist bekannt. Anthropologisch bedeutsam ist vor allem das letztgenannte Moment: Der Mensch soll sich verstehen als Träger des göttlichen Lebensodems.7 Dieser Gedanke verbindet sich8 im Laufe der Entwicklung mit der israelischen Seelenvorstellung,9 wonach die Seele 6 Es ist heute umstritten, ob und inwieweit diese literarische Tradition auch als selbständige Quelle existierte – so die klassischen Vertreter der Pentateuchforschung – oder ob sie, seit überhaupt Spuren von ihr namhaft gemacht werden können, bereits eingebunden war in andere Überlieferungskomplexe. Das Problem ist deshalb nicht leicht zu entscheiden, weil es in einigen neueren Arbeiten überlagert wird von der generellen Frage nach der hermeneutischen Leistungskraft der literarkritischen Methode. Für unseren Kontext, die Erhellung des Gehalts der Schöpfungsdarstellungen in Gen 1 – 2, ist dieser Streit unerheblich. 7 Vgl. Lamberty-Zielinski 1986. 8 Unterstützt wird dieser Prozess durch die parallele Entwicklung des alttestamentlichen Geistbegriffs (ruach). 9 Vgl. Seebaß 1986.
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– analog zur altgriechischen Auffassung10 – das Prinzip kreatürlicher Lebendigkeit darstellt. Als solches wird sie dann mehr und mehr auch zum Zentrum der inneren Erfahrung des Individuums. Dieses Verständnis der menschlichen Seele als Vollzugsort göttlichen Lebens und Konzentrationspunkt personaler Existenz ist dann vor allem im Psalter eindrucksvoll entfaltet worden. Vor allem hier finden sich auch – wiederum parallel zum griechischen Denken – wichtige Einsichten in den reflexiven Charakter des Menschen.11 Das Christentum hat diese Auffassung uneingeschränkt übernommen und durch die Rezeption des hellenistischen Denkens noch entscheidend vertieft. Den Höhepunkt dieses Prozesses repräsentiert die Religionspsychologie Augustins. Die andere Schöpfungsdarstellung ist anthropologisch nicht minder bedeutsam, auch wenn sie zunächst weit stärker von kosmologischen Motiven überlagert ist. Sie wird ihrer literarischen Quelle wegen als priesterliche Schöpfungserzählung bezeichnet und ist hinsichtlich der endgültigen Fixierung des Materials ungefähr auf das sechste vorchristliche Jahrhundert zu datieren. Damit ist bereits angedeutet, dass sie auch wesentlich älteren Stoff verarbeitet, der zum Teil weit hinter den des jahwistischen Parallelberichts zurückreicht. Will man ihren eigentümlichen Skopos erfassen, dann muss man – wie Hermann Gunkel überzeugend dargelegt hat – überkommenes Material und eigene Komposition scharf auseinanderhalten.12 Mit dem altorientalischen Mythenstoff, den sie übernimmt, verbindet sie das typische Interesse aller frühen Priestertheologie, die Welt als einen sinnvollen Kosmos darzustellen. Alle Dinge haben ihren bestimmten Ort in der Welt, die Welt als ganze ist Ausdruck einer göttlichen Ordnung. Erst unter Zugrundelegung dieser Gemeinsamkeit und in Abhebung davon wird der spezifische Gehalt der nachexilisch-jüdischen Schöpfungsauffassung greifbar. Er besteht vor allem in einem Vierfachen. Erstens, die Priesterschrift ist sichtlich bemüht, die Erschaffung der verschiedenen Dinge und ihrer jeweiligen Existenzräume in genau sechs Tagen unterzubringen, um den siebten Tag für den Schöpfungssabbat Gottes zu reservieren. Damit erfährt die eigene Sabbattheologie gleichsam ihre kosmologische Begründung. 10 Ganze Generationen von Alttestamentlern haben sich an dem angeblich fundamentalen Gegensatz von griechischem und hebräischem Denken gelabt und in der Seelenvorstellung einen der Hauptbelege dafür erblickt. Dieses Pauschalurteil wird durch die neueste Forschung zu Recht relativiert, sofern gerade mit Bezug auf den Seelenbegriff die Textbefunde ergeben, dass „der vorplatonische Gebrauch von Psyche überraschende Gemeinsamkeiten mit dem alttestamentlichen aufweist“ (aaO., S. 537). Diese Einschätzung lässt sich unschwer auf die nicht orphisch-pythagoreischen Komponenten der Platonischen Psychologie und vor allem auf Aristoteles ausdehnen. Dass die Seele das Prinzip der Lebendigkeit darstellt, gilt auch ihnen als unumstößliche Gewissheit. 11 Vgl. aaO., S. 537; 542; 545; 552. Zu denken ist vor allem an die Funktion der mit dem Suffix der ersten Person versehenen Vokativform ,naphschi‘. 12 Gunkel 1977, S. 101 – 131.
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Zweitens, sie macht deutlich, dass schlechterdings alles, was existiert, von Gott geschaffen ist, auch die Gestirne, denen im archaischen Denken geradezu mythische Urgewalt zukam. Damit ist der Kosmos radikal entzaubert: Es gibt keine Kräfte mehr in der Welt, deren Mächtigkeit nicht von dem einen Gott selbst herrührte. Drittens, mit feierlich-pathetischen Worten schärft sie ein, dass der Akt des göttlichen Schaffens mit keinem menschlichen Herstellen zu vergleichen ist. Auch wenn der Gedanke der creatio ex nihilo noch fehlt, so ist der Schöpfungsvorgang selbst dennoch streng supranaturalistisch gefasst: Gott spricht und es geschieht. Viertens, den Höhepunkt aller Schöpfungswerke – durch stilistische Akzente der Darstellung unterstrichen – bildet die Erschaffung des Menschen. Dies gelangt in einem Zwiefachen zum Ausdruck, zum Einen im Begriff der Gottebenbildlichkeit des Menschen, zum Andern im Gedanken einer daraus resultierenden, besonderen Verpflichtung. Beide Momente hängen eng miteinander zusammen und begründen seine geschöpfliche Sonderstellung.13 Allein der Mensch ist nach dem Urbild Gottes geschaffen und ihm darum ähnlich. Deshalb kommen ihm trotz seiner Endlichkeit die spezifischen Eigenschaften der Elohimwesen, Geistbesitz und Weisheit, zu, wenn auch nur auf abbildhafte Weise. Solche Herkunft begründet aber auch einen besonderen Auftrag, nämlich als Stellvertreter Gottes gegenüber der übrigen Schöpfung dessen Absicht mit der Welt zu befördern. Letztere besteht für die Priesterschrift in der Bemächtigung der Erde, insbesondere der Tierwelt. Die christliche Lehrtradition hat dafür die Formeln „dominium terrae“ bzw. „Naturbeherrschung“ geprägt – Begriffe, die bis in die Neuzeit hinein auch für die philosophische Ethik und Kulturtheorie leitend waren. Die Theologie hat buchstäblich jahrhundertelang über die Bedeutung des Ausdrucks ,Gottebenbildlichkeit‘ gerätselt. Die Suche hat sich schließlich zu der Frage verdichtet, ob diese Formel eine genuine Idee der Priesterschrift darstellt, oder ob hier älteres Vorstellungsmaterial zum Zuge gelangt. Die neuesten Bemühungen der alttestamentlichen Forschung14 haben zu folgendem Ergebnis geführt: Wie auch in den Parallelaussagen von Ps 8 ist wohl ein Einfluss altorientalischer Königtumstheologie als ferner Hintergrund zu veranschlagen. Schon die frühen ägyptischen Könige haben den Titel eines Ebenbilds Gottes geführt und damit zugleich die Aufgabe der Landbebauung und Städtegründung verbunden. Diese Vorstellung ist wohl über Persien nach Israel eingedrungen. Doch dieser Nachweis erklärt noch nicht alles. Denn daraus allein wird nicht verständlich, warum in der Priesterschrift jenes altorientalische Theologume13 Vgl. Rad 1967, S. 44 – 50. 14 Den eigentlichen Durchbruch bilden die Untersuchungen von Schmidt 1964, S. 127 – 148, und Wildberger 1965. Die von ihnen gelieferte Erklärung wurde verfeinert und partiell modifiziert durch Ockinga 1984 und von Rüterswörden 1993. – Zum Beitrag der Prophetie Deuterojesajas vgl. Waschke 2001, S. 94 – 96; 152 – 154.
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non gleichsam in demokratisierter Version begegnet. Um diesen Schritt zu begreifen, wird man den Blick auf die inneralttestamentliche Gedankenentwicklung richten müssen. Die entscheidende Vorstufe bildet die Prophetie Deuterojesajas. Ihm kommt das Verdienst zu, den überkommenen Jahweglauben zum strengen Monotheismus erhoben und diesen mit dem Schöpfungsgedanken verbunden zu haben, wodurch letzterer allererst zu innerer Folgerichtigkeit gelangt. Deuterojesaja war aber – wie wir aus Kap. 55,3b – 5 ersehen können – zugleich auch derjenige, der unter dem Eindruck des Exils zu der Erkenntnis gelangte, dass mit dem endgültigen Untergang des Reiches die einstige Verheißung an David vom Königtum auf das Volk übergegangen ist: Nunmehr ist Israel als Volk in jene königliche Stellung eingesetzt. Doch wie passt dieser heilsgeschichtliche Gedanke zu jener schöpfungstheologisch-monotheistischen Grundlage? Genau an dieser Stelle setzt die Priesterschrift ein. In der Tat ist Israel das Bindeglied zwischen Jahwe und den Völkern, aber wegen der Einzigkeit und Universalität Jahwes geht sein Heilsplan nicht im Verhältnis zu Israel auf. Zwar kommt die Gnadenverheißung direkt nur im erwählten Volk zur Erfüllung, aber prinzipiell gilt sie der ganzen Welt, weshalb auch die gesamte Menschheit schließlich Anteil daran bekommen soll. Eben dieses Allgemeinheitshorizontes wegen setzt die Priesterschrift gerade nicht mit der innerisraelitischen Heilsgeschichte ein, sondern schaltet die Schöpfungslehre vor und lässt den darin enthaltenen umfassenden Heilsplan erst allmählich auf die besondere Rolle Israels zulaufen. Die kreatürliche Sonderstellung einschließlich der aus ihr resultierenden Bestimmung ist darum eine Eigenschaft aller Menschen, nicht nur der Angehörigen des erwählten Volkes. Vom theologischen Programm der Priesterschrift her steht außer Frage, dass der Gedanke der Gottebenbildlichkeit im strengen Sinne des Wortes universalistisch konzipiert ist.15 Genau darin besteht – trotz seines verhältnismäßig späten Auftauchens – denn auch seine Schlüsselfunktion für das biblische Menschenbild im Ganzen. Halten wir an dieser Stelle einen Moment inne, um ein erstes Zwischenfazit zu ziehen. In der Tat kann die Anthropologie der alttestamentlichen Schöpfungslehre, die in dem universalistischen Gedanken der Gottebenbildlichkeit des Menschen ihren verdichtetsten Ausdruck gefunden hat, als früher Versuch einer Theologie der Menschenwürde gelesen werden. Diesen Ausdruck selbst hätte das Alte Testament freilich nie verwendet. Als Bezeichnung des geschöpflichen Selbstverständnisses des Menschen wäre er theologisch allzu missverständlich gewesen. Dem frühen Christentum erschien selbst der Begriff der Gottebenbildlichkeit noch als zu kühn. Dies gilt zwar nicht für Jesus – von dem wir nicht wissen, ob er von dieser Vorstellung je Gebrauch machte –, wohl aber für gewisse 15 Dieser Gedanke steht in genauer Entsprechung zur Fassung des Gottesbegriffs: „in jenen Urerzählungen ist er mehr ein universalistischer“ (Gunkel 1977: Genesis XIII).
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Teile der neutestamentlichen Briefliteratur, die ihn sowohl christologisch als auch soteriologisch problematisieren.16 Dieser Auffassung ist dann – vor allem unter dem Eindruck der augustinischen Erbsündenlehre – der Hauptstrom der christlichen Lehrbildung gefolgt, auch der gesamte Altprotestantismus. Für ihn war die Gottebenbildlichkeit des Menschen – im Widerspruch zum Alten Testament17 – mit dem Sündenfall endgültig abhanden gekommen und konnte erst durch die Inkarnation und das Versöhnungswerk Christi zurückgewonnen werden. Doch es gab seit patristischer Zeit auch einen anderen, allerdings äußerst schmalen Traditionsstrang, der an der Gottebenbildlichkeit als unveräußerlicher Wesenseigenschaft des Menschen festhielt und der von da aus zu einer expliziten Theologie der Menschenwürde gelangte. Die beiden Hauptstationen dieser Entwicklung sind der altkirchliche Platonismus und das italienische Renaissancechristentum. Der Beitrag des ersteren war mehr indirekt, der des zweiten hingegen programmatischer Art.
II Die erste Station fällt in den Zeitraum der Alten Kirche, der durch die Begegnung mit der hellenistischen Bildungsreligion bestimmt ist. Die Träger dieses kulturellen Syntheseprozesses waren die sogenannten griechischen Apologeten. Sie waren philosophisch geprägt vom mittleren Platonismus und erblickten in ihm eine dem Christentum nachgerade wahlverwandte Geistesströmung, sowohl der theologischen Doktrin als auch der allgemeinen Weltanschauung nach. Eines der gedanklichen Zentren dieser Richtung spätantiker philosophischer Theologie war Platons Lehre von der Homoiosis theo.18 Dieser Gedanke wird vor allem im Dialog Theaitet entfaltet. Inmitten umständlicher skeptischer Erwägungen über die Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt unterbricht Platon plötzlich den Gedankengang und stellt unvermittelt fest, eigentlich komme es darauf an, Gott ähnlich zu werden. Damit will er zunächst den Endzweck philosophischen Existierens jenseits des Scheiterns oder Gelingens von Erkenntnis unmissverständlich bezeichnen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich freilich, dass jener Endzweck durchaus in einem inneren Zusammenhang zum philosophischen Erkenntnisstreben steht. Indem der Weise nämlich nach der Idee des Guten als der höchsten aller Ideen fragt und sein gesamtes Tun und Denken 16 Die für die spätere Lehrbildung entscheidenden neutestamentlichen Stellen waren 2 Kor 4,4; Kol 1,15; Hebr 1,3; Kol 3,10; Eph 4,24. 17 In Gen 5,1.3 und in Gen 9,6 – also nach der Sündenfall- bzw. nach der Sintfluterzählung – wird die Gottebenbildlichkeit des Menschen ausdrücklich noch einmal bekräftigt, sie dauert also fort (vgl. Gunkel 1977, S. 112). 18 Vgl. Roloff 1979; Barth 1989.
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daran ausrichtet, erlangt er Gerechtigkeit und wird so Gott ähnlich, der selbst wesenhaft gut und geradezu der Inbegriff des Guten ist. Es ist nachvollziehbar, dass dieser Gedanke aus Theaitet 176B der hellenistischen Bildungswelt und ihrer Erlösungssehnsucht sozusagen unter die Haut ging, der christlichen nicht minder als der heidnischen.19 Die intellektuelle Leistung der altkirchlichen Apologeten – um auf unser Thema zurückzukommen – bestand nun darin, dass sie den Gedanken der Homoiosis theo unmittelbar auf den Begriff der Gottebenbildlichkeit bezogen: Erstere bildet das Ziel der letzteren, diese das Fundament jener. Dem herkömmlichen Platonismus fühlten sie sich darin überlegen, dass sie zum Einen den Ermöglichungsgrund der Gottverähnlichung anzugeben wussten und dass sie diese andererseits nicht auf die exklusive Stellung des Philosophen beschränken mussten, sondern dank der Schöpfungslehre auf das Leben aller Menschen beziehen konnten. Umgekehrt waren sie Platon dankbar, dass er den biblischen Horizont insofern erweitern half, als die aus der kreatürlichen Sonderstellung erwachsende Aufgabe nun nicht mehr vorrangig als Naturbeherrschung verstanden zu werden brauchte, sondern als wesentlich allgemeinere ethische Zielbestimmung gelesen werden konnte, in die jene unschwer einzuordnen war. Die von Platon angegebene umfassende Telosdefinition bildet für die christlichen Mittelplatoniker das eigentliche Korrelat der Gottebenbildlichkeit. Damit wurde der in Gen 1 formulierten geschöpflichen Bestimmung des Menschen eine zuvor nicht gekannte ethische Innerlichkeitsund Tiefendimension zuteil. So kommt es bei den christlichen Platonikern der nächsten Generation zu einer förmlichen Identifizierung jener Korrelation von Gottebenbildlichkeit und Gottverähnlichung mit der Idee der Menschenwürde. Sie begegnet uns bei dem jüngsten der drei großen Kappadozier, dem christlichen Neuplatoniker Gregor von Nyssa, in seinem großen Traktat zur Erschaffung des Menschen.20 Daneben finden sich noch einige wenige Vorkommen des Begriffs bei anderen griechischen Kirchenautoren. Augustin, von dessen Psychologie her sich eine konstruktive Aneignung des Gedankens ebenfalls nahegelegt hätte, lässt ihn der Erbsündenlehre zum Opfer fallen.21 Leo der Große baut im Kontext spätantiker Weihnachtsliturgie die dignitas hominis dann ein in das Schema: Verderbnis durch Adam – Wiederherstellung durch Christus. Dieser Sicht ist dann auch das lateinische Mittelalter gefolgt.22 Die andere Hauptstation bildet die italienische Renaissance. Wiederholt ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass hier ein tiefgreifender Umbruch im 19 Vgl. Merki 1952; Jaeger 1955. 20 Vgl. Merki 1952, S. 94 ff. Vgl. dazu auch Dörrie 1976. 21 Der Traktat ,De Dignitate conditionis humanae‘ (MPL 17, 1105 – 1108), den W. Huber Augustins Mentor Ambrosius von Mailand zuschreibt (Huber 1992; hier S. 578), ist wahrscheinlich pseudoambrosianisch. 22 Vgl. zum Ganzen die Nachweise bei Pöschl 1989, S. 41 – 50.
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Selbstverständnis des Menschen stattgefunden hat. Jakob Burckhardts These – der sich Nietzsche angeschlossen hat und die aus den entgegengesetzten Motiven auch von breiten Strömungen konfessioneller Theologie aufgegriffen wurde –, es handle sich dabei um den Beginn der für die Neuzeit insgesamt signifikanten Abkehr von Religion und Christentum, hat sich inzwischen jedoch als einseitige Überzeichnung herausgestellt.23 Sachlich angemessener wird man eher von einem Wandel innerhalb des Christentumsverständnisses zu sprechen haben. Der Lehrgestalt nach handelt es sich um die Verabschiedung des scholastischen Dogmatismus, dem Lebensgefühl nach um die Verabschiedung des Jammertalchristentums mittelalterlicher Bußgesinnung.24 Es ist höchst aufschlussreich, dass Francesco Petrarca, der am Anfang dieser Entwicklung stand, als Beleg für das neue Selbstgefühl sich auf die Menschwerdung Christi berief, worin die Schätzung des Menschen in unüberbietbarer Form zum Ausdruck gebracht sei.25 Bei der theoretischen Klärung dieser Einstellung spielten Platon und der altkirchliche Platonismus – neben weiteren antiken und mittelalterlichen Denkströmungen – eine wichtige Rolle. Marsilio Ficino, dessen Schriften den Höhepunkt des Renaissanceplatonismus verkörpern, veranschaulicht in geradezu exemplarischer Weise den wissenschaftlichen Geist dieses neuen christlichen Denkens.26 In diese Entwicklung gehören auch die beiden Autoren hinein, denen wir die klassische Formulierung des Menschenwürdekonzepts der italienischen Renaissance verdanken.27 Mit ihren Traktaten über ,Dignitas hominis‘ wollten sie in die zeitgenössische Debattenlandschaft eingreifen, in der die Anthropologie ein zentrales Thema bildete.28 Den Begriffsausdruck selbst haben sie durch Cicero der mittleren Stoa entnommen. Er bezeichnete dort in erster Linie die Vernunftbegabung des Menschen im Unterschied zum Tier.29 Von der Sache her legt sich die Frage nahe, warum dieser stoische Leitbegriff erst jetzt rezipiert wurde und nicht schon in der Alten Kirche, die doch manche Anleihen bei der Stoa machte. Die Antwort ist in der besonderen Konfiguration zu sehen, in die jene Vorstellung innerhalb der lateinischen Antike eingebettet war. Dort ver23 „Religiöse und theologische Vorurteile führen zu der Meinung, der Humanismus sei dem Christentum oder der Kirche feindlich gewesen“ (Kristeller 1980, S. 245). „Die Ansicht, daß die humanistische Bewegung im Grunde eine heidnische oder antichristliche war, kann nicht aufrecht erhalten werden“ (Kristeller 1974, S. 73). 24 Vgl. Buck 1960. 25 Zum Hintergrund vgl. Heitmann 1958. 26 Vgl. Kristeller 1972; Leinkauf 1992. 27 Zum Menschenwürdekonzept der italienischen Renaissance vgl. Kristeller 1980, S. 177 ff.; ders. 1981, S. 66 ff. 28 Der von Bartolomeo Facio verfasste Traktat ,De excellentia ac praestantia hominis‘, der die Debatte in Gang setzte, bewegt sich noch weithin in mittelalterlichen Fragestellungen. Vgl. Kristeller 1965; Trinkaus 1970, Bd. I, S. 215 – 229. 29 Vgl. Pöschl 1940, S. 69 f.
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band er sich eng mit ganz spezifischen römischen Ehrbegriffen und Standesvorstellungen (officium, honestum, auctoritas, fides, maiestas, gratia, decus).30 Diese wurden christlicherseits rundweg abgelehnt und mit ihnen entfiel auch der sie tragende Grundbegriff.31 Erst nach deren Wegfall konnte man unbefangen zum stoischen Ausgangspunkt zurückkehren. Aus einer Privilegierungskategorie wurde ein Gleichheitsmodell. Bemerkenswert ist nun, dass beide Renaissance-Autoren, die sich den stoischen Gedanken der dignitas hominis zu eigen machten, seine theologische Auslegung und Begründung in der Gottebenbildlichkeitsvorstellung von Gen 1 fanden. Beide verleihen ihm aber ein durchaus unterschiedliches Profil, das sich in seiner Doppelung für die gesamte Folgezeit als richtungweisend erwies. Giannozzo Manetti,32 der ältere Autor, interpretiert die in Gen 1 formulierte Sonderstellung in Übereinstimmung mit dem Alten Testament,33 dem Platonismus und der Stoa als Geist- und Seelenausstattung.34 Originell hingegen ist seine Sicht der Telosbestimmung. Das dominium terrae besteht für ihn nicht mehr bloß in der Aufgabe der Naturbeherrschung, sondern wird verstanden als umfassender Kulturauftrag des Menschen.35 So wird die Idee der Gottebenbildlichkeit oder Menschenwürde gleichsam zum Spiegel des für die Renaissance signifikanten neuen Kulturbewusstseins. Dieser Zusammenhang von Menschenwürde und Kulturauftrag findet dann bei Herder seinen großen Nachhall. Ganz anders liegt der Akzent bei Pico della Mirandola,36 dem knapp siebzig Jahre Jüngeren.37 Für ihn zeigt sich die kreatürliche Sonderstel30 Vgl. Wegehaupt 1932; Drexler 1980. – Dieser Hintergrund ist auch noch für Thomas von Aquin bestimmend, weshalb er die dignitas hominis im Kontext des Themas Ehrerbietung/ Ehrung (S. th. II – II q. 102 f) bzw. korrelativ dazu unter dem Thema Tötungserlaubnis (S. th. II – II q. 64 a. 2) abhandelt. 31 Vgl. Dürig 1957, hier Sp. I028 f. 32 Manetti 1990. 33 Vgl. Dröge 1987. 34 „Es machte also Gott den Menschen nach seinem Bilde und sich ähnlich; er schuf ihm nämlich eine Seele, durch die er, da sie Vernunft und Unsterblichkeit, Verstand, Gedächtnis und Willenskraft besaß, den anderen Lebewesen überlegen war und die Herrschaft über sie ausübte“ (Manetti 1990, S. 47). 35 „Wie groß und erhaben aber seine Kräfte sind, bezeugen einerseits sehr viele bedeutende, ungeheure Leistungen, andererseits die Instrumente, die er auf bewundernswerte Weise erfunden und erdacht hat“. Sie reichen vom Schiffsbau bis zur modernen Medizin, von der Pyramidenkonstruktion bis zur Errichtung der „Kuppel des Doms zu Florenz“, von der Redekunst bis zu den Kunstwerken der „herausragenden Maler und vorzüglichen Bildhauer“ (aaO., S. 58ff). Die vom Schöpfer verliehene Ausstattung ist „so groß und so reich, daß nach der Erschaffung jener ursprünglichen, neuen, rohen Welt offenbar alles weitere von uns aufgrund des einzigartigen, überragenden Scharfsinns des menschlichen Verstandes hinzuerfunden und zur Vollendung und Vollkommenheit geführt worden ist“. Häuser und Städte, Sprachen und Wissenschaften, „Erfindungen“ und „schließlich alle Maschinen“ sind Ausdruck jener geschöpflichen Würde des Menschen (aaO., S. 77 f). 36 Pico della Mirandola 1990. 37 Vgl. Kristeller 1986, (Kap. 4: Pico), S. 47 – 61; Monnerjahn 1960; Pusino 1925.
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lung des Menschen im Vermögen der Selbstgesetzgebung und Selbstbildung, die gleichsam das positive Korrelat seiner unbestimmten und unfestgelegten Natur bildet. Das Ziel der Lebensführung liegt in nichts anderem als in der Ausübung der Autonomie als solcher.38 Die dem Menschen von Gott verliehene Schöpfungswürde besteht in der Anlage und Bestimmung zum Gebrauch der Freiheit.39 Damit hat Pico dasjenige Verständnis von Menschenwürde vorgelegt, das für das neuzeitliche Freiheitsverständnis maßgeblich wurde. Manetti und Pico haben so die Bandbreite abgesteckt, innerhalb deren sich das humanistische Dignitas-hominis-Modell bewegte.40 Es findet dann im 16. und 17. Jahrhundert in ganz Europa seine Verbreitung.41 Besondere Erwähnung verdient der aus dem deutschen Luthertum stammende und in Schweden lehrende Jurist Samuel Pufendorf,42 durch den jener Gedanke Eingang in das moderne Naturrecht fand.43 Dieses bildet – vermittelt über John Wise – dann auch den Hintergrund für die an der Idee der „Dignity of human nature“ orientierten Verfassungs38 Vgl. Cassirer 1959. 39 „[E]s befriedigte mich nicht, was alles über die Vorzüglichkeit der menschlichen Natur von vielen angeführt wird: […] mit seiner Sinnesschärfe, der Forschungskraft seiner Vernunft, dem Licht seines Verstandes sei er der Interpret der Natur […]. Diese Eigenschaften sind zwar bedeutend, aber nicht die hauptsächlichen […]. Endlich glaubte ich verstanden zu haben, warum der Mensch das am meisten gesegnete und daher ein jeder Bewunderung würdiges (dignum) Lebewesen ist […]. Schon hatte Gottvater, der höchste Baumeister, dieses Haus, die Welt, die wir sehen, als erhabensten Tempel der Gottheit nach den Gesetzen verborgener Weisheit errichtet […]. Alles war bereits voll […]. Endlich beschloß der höchste Künstler, daß der, dem er nichts eigentümliches geben konnte, Anteil habe an allem, was die einzelnen jeweils für sich gehabt hatten. Also war er zufrieden mit dem Menschen als einem Geschöpf von unbestimmter Gestalt, stellte ihn in die Mitte der Welt und sprach ihn so an: ,Wir haben dir keinen festen Wohnsitz gegeben, Adam, kein eigenes Aussehen noch irgendeine besondere Gabe, damit du den Wohnsitz, das Aussehen und die Gaben, die du selbst dir ausersiehst, entsprechend deinem Wunsch und Entschluß habest und besitzest. Die Natur der übrigen Geschöpfe ist fest bestimmt und wird innerhalb von uns vorgeschriebener Gesetze begrenzt. Du sollst dir deine, ohne jede Einschränkung und Enge, nach deinem Ermessen (pro tuo arbitrio), in dessen Hand ich dich gelegt habe, selber bestimmen. Ich habe dich in die Mitte der Welt gestellt […], damit du wie dein eigener, in Ehre frei entscheidender, schöpferischer Bildhauer dich selbst zu der Gestalt ausformst, die du bevorzugst […].‘ Welch unübertrefflicher Großmut Gottvaters, welch hohes und bewundernswertes Glück des Menschen“ (Pico della Mirandola 1990, S. 3 ff.). 40 Über das Verhältnis von Manettis und Picos Ansatz und deren kulturgeschichtliche Nachwirkungen informieren die beiden vorzüglichen Einleitungen von August Buck in die von ihm herausgegebenen Texte von Manetti 1990 (VII – XXXIV) und Pico 1990 (VII – XXVII). Vgl. auch Auer 1956. 41 Zu Frankreich vgl. Sozzi 1970; ders. 1974; Buck 1987. Zu Mitteleuropa vgl. Pusino 1928; Sigwart 1855. – Verschiedentlich wird auch auf die naturrechtlichen Ausführungen der spanischen Barockscholastik verwiesen (zum historischen Hintergrund vgl. Höffner 1947). Ihr Beitrag war jedoch eher indirekter Art: „Der Begriff der Menschenwürde als solcher ist […] in den Texten der Spanier selbst nirgends zu finden“ (Pöschl 1989, S. 51). 42 Pufendorf 1688; ders. 1682. 43 Zum soziohistorischen Hintergrund von Pufendorfs Naturrechtslehre vgl. Medick 1981.
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entwürfe Neu-Englands. Durch Pufendorfs naturrechtliche Akzentuierung wird das universalistische Menschenwürdekonzept zu einem normativen Deutungsschema44 erweitert:45 Die menschliche Natur enthält eine Würde, welche die Verpflichtung auferlegt, jedes andere so verfasste Wesen gleichermaßen als Mensch zu schätzen.46 Der Gleichheitsgedanke verschränkt sich mit einem universalen Achtungsgebot.47 Auch Pufendorf geht noch ganz selbstverständlich davon aus, dass die als Vernunft, Freiheit und Kulturbefähigung zum Tragen kommende Menschenwürde eine vom Schöpfer verliehene, kreatürliche Vorrangstellung darstellt, die der menschlichen Seele zugleich eine besondere Bestimmung auferlegt.48 Das Verdienst, die freiheitstheoretische Fassung des Menschenwürdekonzepts endgültig durchgesetzt zu haben, kommt allerdings weder Pico mit seinen teilweise höchst apokryphen Zusatztheorien noch Pufendorfs Naturrechtslehre zu, sondern der praktischen Philosophie Kants. Ihr epochaler Beitrag zum modernen Verständnis dieses Begriffs liegt im Vergleich zu den zuvor geschil-
44 Zum Verständnis von Normen als normativer Deutungsschemata und zum formalen Begriff der normativen Deutung vgl. Kelsen 1960 (Neudruck 1992), 3 f.13.19. 45 Zu den Grundlagen von Pufendorfs Menschenwürdekonzept vgl. Welzel 1986, S. 47 ff. 46 Bei Manetti fällt beides noch auseinander : „Daher gab der allmächtige Gott ihm, den er in eine so große und so erhabene Würde eingesetzt hatte, die natürliche Anlage, daß er sich selbst liebt, um sich am Leben zu erhalten, im übrigen aber erlegte er ihm durch die ganz festen und ausdrücklichen Gebote des geschriebenen Gesetzes die Verpflichtung auf, daß er alle seine Nächsten, das heißt alle Menschen, liebe, ehre und achte“ (De hominis dignitate, S. 92). Auch Pufendorf kennt noch diese Argumentation, aber sein naturrechtliches Interesse führt ihn darüber hinaus. 47 „In ipso quippe hominis vocabulo judicatur inesse aliqua dignatio; et ultimum simul atque efficacissimum argumentum, quo aliorum insolens insultatio retunditur, isthoc habetur ; utique non canis aut bestia, sed aeque homo sum atque tu. […] Humana porro natura, cum omnibus hominibus aeque competat, neque socialem cum isto homine vitam degere quis possit; absque quo non saltem ut homo aestimatur“ (Pufendorf 1688, III, 2 § 1; p. 224; vgl. die fast wörtliche Wiederholung in Pufendorf 168, I, 7 § 1; p. 45). 48 „Requirebat humanae naturae dignitas, et praestantia, qua caeteras animantes eminet, ut certam ad normam ipsius [scil. Creatoris] aedones exigerentur ; quippe citra quam ordo, decor, aut pulchritudo intelligi nequit. Maxima inde homini dignatio, quod animam obtinet immortalem, lumine intellectus, facultate res dijudicandi et eligendi praeditam, et in plurimas artes sollertissimam. […] Animam porro ad longe nobiliorem finem destinatam esse a Creatore, quam ut corpusculo huic pro sale sit […]. Sane enim animae humanae vis circa illa sesequam maxime exserit, quae ad cultum Numinis, vitamque socialem ac civilem spectant. […] Jam quo splendidioeribus donis Creator hominem instruxerat. […] Neque vero frustra Deus homini dederat mentem decori ordinis intelligentem, utque eidem sese posset attemperare; sed par omnino erat concessis ipsum facultatibus ita uti, ut exinde Creatoris gloria exsplendesceret, ipsique homini amplior felicitatis proveniret“ (Pufendorf 1688, II, 1 § 5; p. 101 f). Zum Zusammenhang von Menschenwürde und kreatürlicher Sonderstellung vgl. auch ebd., I, 3 § 1; p. 26.
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derten Ansätzen weniger auf der inhaltlichen49 als vielmehr auf der methodischen Ebene – die als solche dann allerdings auf jene zurückwirkt. Auch Kant erblickt den Kern der Menschenwürde in der Anlage und Bestimmung zum Gebrauch der Freiheit und stellt sie zugleich unter ein unbedingtes Achtungsgebot. Er hat jedoch zutreffend erkannt, dass der universalistische Charakter dieses Modells auch eine Entsprechung auf der Begründungsebene finden muss. Darum koppelt er seine Geltung völlig ab von den theologischen Anschauungen einer historischen Religion, die seiner Meinung nach immer nur partikularen Charakter haben können. Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung taucht deshalb nicht einmal mehr am Rande auf. Die Begründung der Menschenwürde gehorcht vielmehr dem generellen Leitgesichtspunkt der Ethik, nur in einem „principium intellectuale internum“50 ein zureichendes Fundament zu besitzen. Die allen endlichen Vernunftwesen eigentümliche und unveräußerliche Würde resultiert aus der Grundstruktur der praktischen Vernunft, der Form der Selbstbestimmung, weil allererst sie den spezifischen Subjektscharakter des Menschen konstituiert. Kants strikt rationale Fundierung der Menschenwürde kann somit verstanden werden als eine Art Säkularisat51 des anhand der Gottebenbildlichkeitsvorstellung entwickelten Ursprungskonzepts.52 Behält man den methodischen Ausgangspunkt, der zu diesem Überschritt führte, streng im Auge, so besteht aus theologischer Sicht keinerlei Anlass zu seiner Beargwöhnung. Im Gegenteil, das christliche Bewusstsein kann es mit Genugtuung akzeptieren, elementare Gehalte seiner religiösen Überzeugung auch durch rationale Argumente53 gerechtfertigt zu wissen. Jener Schritt erweist sich aber geradezu als zwingend, wenn man die rechtstheoretischen Folgerungen mit einbezieht, die Kant aus dem Menschenwürdeprinzip gezogen hat. Nur eine vernunfttheoretische Begründung der Menschenwürde ist derjenigen Allgemeinheitsebene angemessen, deren Naturrechtsbestimmungen oder ihnen äquivalente Grundrechtsartikel bedürfen.54 Hat sich dann aber nicht die religiöse Funktion jenes 49 Die wichtigsten Belege sind abgedruckt in der von Hans Thomae herausgegebenen Stellensammlung, Kant 1941. 50 Kant 1990, S. 25. 51 Vgl. Huber 1992, S. 580. 52 Zum Vorkommen des Menschenwürdebegriffs in der nachkantischen Philosophie vgl. Horstmann 1980. 53 Isensees These: „Eine transzendenzlose Philosophie vermag sie nicht zu leisten. Außerhalb des Glaubens kann die Personenwürde postuliert, nicht aber weiter abgeleitet und begründet werden“ (Isensee 1987, S. 165 f.), scheint ein besonderes Verständnis von Ableitung und Begründung zu implizieren. 54 Nicht von ungefähr ist Kant von der neueren deutschen Verfassungstheorie wieder verstärkt aufgegriffen worden. Eine gewisse Pionierrolle – nach dem Vorgang der neukantianischen Rechtstheorie – kommt hierbei den rechtsphilosophischen Arbeiten zu, die Johannes Schwartländer vorgelegt oder mitangeregt hat. Vgl. Schwartländer 1968; ders. (Hg.) 1978; 1981a; 1981b. – Einen instruktiven Überblick über den Ertrag der neueren verfassungs-
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Gedankens überhaupt erledigt? Mit dieser Frage können wir uns nun den Gegenwartsproblemen unter systematischem Aspekt zuwenden.
III Als Ausgangspunkt unserer Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem religiösen und dem rechtlichen Aspekt der Menschenwürde wählen wir die einschlägige Bestimmung unseres Grundgesetzes. Artikel 1 Absatz 1 lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Seine systematische Funktion innerhalb der Grundrechte lässt sich in der These zusammenfassen: Die Menschenwürde begründet das Recht auf Menschenrechte.55 Um den begrifflichen Gehalt des Satzes zu verstehen, müssen wir uns der Analyse seiner Bestandteile zuwenden. Was zunächst den Subjektsterm anbelangt, so lassen sich in der Geschichte seiner Auslegung durch die Staatsrechtsliteratur und höchstrichterliche Rechtssprechung im Wesentlichen drei Interpretationsrichtungen unterscheiden: Die erste, mit der Verabschiedung des Grundgesetzes gleichsam mitgelieferte Lesart war geprägt durch die konservative Wertphilosophie. Sie wurde durch den Kommentar von Maunz/Dürig für die unmittelbare Nachkriegszeit zur herrschenden Lehre: Der Mensch als geistig-personales Wesen in der Spannung von Individualität und Sozialität bildet den axiologischen Maßstab, an dem sich alle rechtlichen Normen auszurichten haben. Doch schon Mitte der 50er Jahre ergänzte Dürig jenes werttheoretische Fundament durch ein Zusatzkriterium, die sogenannte Objektformel: „Die Menschenwürde als solche ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“.56 Dieser neue Gesichtspunkt war ganz offensichtlich Kants zweiter Nebenform des kategorischen Imperativs, der sogenannten Zweckformel, entnommen. Die dritte Lesart geht zurück auf das Karlsruher Urteil zum Postgeheimnis vom 15. 12. 1970.57 Wir finden hier eine wahre Gemengelage von Theorieperspektiven. Das Urteil rekurriert partiell auf die werttheoretische Position,58 gelangt jedoch von hier aus überraschender Weise zu einer Einschränkung der Objektformel59 und bietet dann ein neues Kriterium. Man hat darin eine Abkehr von der kantianisierenden Auffassung
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theoretischen Diskussion bietet die Habilitationsschrift des Böckenförde-Schülers Enders 1997. Vgl. Enders 1997, S. 501 – 509; Koch 1991. Dürig 1956, hier S. 127. Zitiert nach Kriele 1986, S. 158 – 184. Vgl. aaO., S. 167. Vgl. ebd.
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erblicken wollen.60 Doch der Eindruck täuscht. Was zunächst die Einschränkung der Objektformel anbelangt, so ist daran zu erinnern, dass Kant durch die zweite Nebenform des kategorischen Imperativs keineswegs den Sachverhalt ausgeschlossen wissen wollte, dass Menschen überhaupt als Mittel füreinander fungieren, sondern nur dies, dass sie darin „bloß“ als Mittel zu stehen kommen. Kant war nicht so weltfremd, zu verkennen, dass in jeder Form sozialer Interaktion immer auch eine wechselseitige Instrumentalisierung vorliegt. Und dies gilt auch für das Verhältnis des Individuums zu Recht und Gesellschaft. Die Formel „niemals bloß als Mittel“61 schließt eine Funktionalisierung nicht absolut aus, sondern unterwirft sie nur dem moralischen Kriterium, dass die betroffene Person in der extern verfügten Mittel-Funktion zugleich einen eigenen, von ihr selbst bestimmten Zweck erblicken können muss. Sofern die Relativierung der Objektformel dieser Bedingung genügt, widerspricht sie darum nicht der Grundintention des kategorischen Imperativs. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht durch jene Entscheidung seine durch die Objektformel eingeleitete Auslegungsperspektive der Sache nach nicht revidiert, sondern im Gegenteil nur noch konsequenter ausgebaut. Denn das im Postgeheimnis-Urteil aufgestellte, neue Kriterium lautet: „Subjektqualität“ bzw. „Rücksicht auf die Subjektqualität des Menschen“.62 Für die weitere Auslegungsgeschichte hatte das neue Kriterium zur Folge, dass das wertphilosophisch-ordnungstheoretische Menschenbild verlassen wurde zugunsten stärkerer Berücksichtigung der individuellen Autonomie.63 Mit der Erhebung der „Subjektqualität“ zum inneren Maßstab des Personseins64 und damit zum obersten Verfassungsprinzip ist die höchstrichterliche Rechtssprechung ganz auf den Boden des kantischen Menschenwürdekonzepts eingeschwenkt. Weitaus schwerer als der Subjektsterm ist der in Art. 1 Abs. 1 verwendete Prädikatsterm zu greifen. Umso erstaunlicher ist, dass der Begriff selbst – nicht seine methodische65 oder dogmatische66 Funktion – in der Kommentarliteratur und Rechtssprechung eher stiefmütterlich behandelt wird. Was heißt „unantastbar“? Der Form nach handelt es sich um ein einstelliges Prädikat. Es enthält, für sich genommen, keine Angabe über die Relationen, in deren Dimension die möglichen Verletzungen, die durch ihn untersagt werden, erfolgen können. 60 61 62 63
Vgl. Wetz 1998, S. 88 ff. Kant AA IV, S. 429. Zitiert nach Kriele 1986, S. 167 f. Was dies in concreto bedeutet, mag abgelesen werden etwa am Wandel der Karlsruher Stellungnahmen zum Problem des Schwangerschaftsabbruchs. 64 Vgl. K. Stern 1988, S. 25; ders. 1994, S. 1113. 65 Durch ihn wird Art. 1 Abs. 1 als „höchstes wertsetzendes Verfassungsprinzip“ (Stern 1988, S. 23) festgeschrieben. 66 Vgl. dazu die komprimierten Ausführungen von Maihofer 1967, hier S. 17 – 43; Behrendt 1967, hier S. 20 – 25.
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Sucht man nach derartigen Relationen, dann hilft der Blick auf die Parallelaussagen weiter. Bei der Unabänderlichkeitsgarantie Art. 79 Abs. 3 handelt es sich offensichtlich um eine Schrankennorm für den verfassungsändernden Gesetzgeber, im Falle der Wesensgarantie Art. 19 Abs. 2 ist der Normadressat die Staatsgewalt als ganze. Dies legt es nahe, Art. 1 Abs. 1 von Abs. 3 her zu interpretieren.67 Das besagt: Die Unantastbarkeit bezieht sich auf die drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Jurisdiktion. Darin spiegelt sich der genuine Sinn der Menschenrechte wider – nämlich als Abwehrrechte des Individuums gegen Übergriffe der Staatsgewalt. Erst durch Art. 1 Abs. 2 wird dieser dann auch eine positive Schutzverpflichtung auferlegt. Sie kommt in Form der mittelbaren Drittwirkung im Privatrecht zur Geltung und wurde als solche durch das Lüth-Urteil vom 15. 1. 1958 höchstrichterlich abgesegnet.68 Das bedeutet für unseren Zusammenhang: Die Angehörigen des Geltungsbereichs von Art. 1 Abs. 1 werden von diesem selbst gar nicht direkt als Normadressaten angesprochen. Nun lebt aber die konkrete Verfassungswirklichkeit einer Menschenwürdegarantie davon, dass nicht nur die Staatsgewalten, sondern auch die Staatsbürger in ihrer Gesamtheit die Menschenwürde als Prinzip staatlichen Zusammenlebens respektieren. Damit ergibt sich eine merkwürdige Diskrepanz: Auf der einen Seite wird jene Grundnorm zum letztgültigen Verfassungsprinzip erhoben, andererseits zeigt sich eine echte Lücke in der Benennung der von ihr betroffenen Normadressaten. Für die Grundrechtssystematik mag diese Diskrepanz unerheblich sein, in rechtssoziologischer Hinsicht ist sie es nicht. Max Weber hat in seiner Herrschaftssoziologie überzeugend dargelegt, dass die Existenz legaler Herrschaftsformen sich nicht nur deren Positivität und Verfahrensrationalität verdankt, sondern dass ihnen darüber hinaus aufseiten der Betroffenen zugleich ein „Legitimitätsglaube“ und „Legalitätsglaube“ korrespondieren muss.69 Die Geltung des Rechts lebt nicht allein von dessen Gesetztheit und Durchsetzbarkeit, sondern bedarf zusätzlich einer ihm entgegengebrachten „Gesinnung für das Recht“.70 Dieser Anerkennungsakt kann durch keine äußeren Sanktionen wettgemacht werden. Dieser rechts- oder herrschaftssoziologische Sachverhalt lässt sich unschwer auf unseren Fall übertragen. Es reicht für die menschenwürdige Gestaltung eines Staatswesens nicht aus, diesem Prinzip den verfassungsmäßigen Rang einer Grundnorm zuzuweisen und seine konsequente Umsetzung durch die Verfassungsgerichtsbarkeit zu kontrollieren. Es muss vielmehr zugleich auch deren gesellschaftliche Aner67 68 69 70
Vgl. Stern 1994, S. 1112. Vgl. M. Kriele 1986, S. 27 – 51. Weber 1985, 16. 122. 153. 19 f. 124. 154. Ritschl 1875, § 31.
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kennung als Grundnorm sicher gestellt sein. Dolf Sternberger hat im Hinblick auf dieses öffentliche Geltungsproblem – in Anlehnung an Hegel – die Ausbildung eines spezifischen Verfassungspatriotismus angemahnt, der die innere Legitimationsbasis moderner Gesellschaften abgeben könnte.71 Doch beide Wege erweisen sich in unserem Fall als ungangbar. Hegel hatte in der ,Rechtsphilosophie‘ mit dem Begriff Patriotismus eine staatsbürgerliche Gesinnung vor Augen, die aus dem Vertrauen in das Funktionieren der staatlichen Institutionen die Gewissheit schöpft, die eigene Sache sei in der des Staates wohl aufgehoben, woraus sich die innere Bereitschaft ergebe, die eigenen Rechte in den öffentlichen Pflichten aufgehen zu lassen; den Bezugsrahmen dafür bildete der Nationalstaat.72 Sternberger transformiert diese Gesinnung auf die Zustimmung zu den tragenden Verfassungswerten. Es ist aber nicht entfernt zu erkennen, wie eine ihrem Gehalt nach grundsätzlich universalistische Wertvorstellung wie die der Menschenwürde auf dem Boden eines partikularen Patriotismus – welcher Form auch immer – sichergestellt werden könnte. Hier scheinen religiöse Überzeugungen, sofern ihnen die Ebene universalistischer Deutungsschemata erschwingbar ist, in einer günstigeren Lage zu sein. Die als Menschenwürdekonzept entfaltete Gottebenbildlichkeitsvorstellung erfüllt diese Bedingung. Sie war ihrem Gehalt nach – wie wir gesehen haben – von Anfang an ein universalistisches Modell. Es war die Stärke des Naturrechts, sich auf eine jeglichen partikularen Satzungen vorausliegende, vorstaatliche Gegebenheit beziehen zu können, die ihre eigene Allgemeinheitsevidenz besaß und so als Kriterium möglicher Rechtsordnungen in Anspruch genommen werden konnte. Durch die staatsrechtliche Positivierung der Menschenwürde und Menschenrechte als geltender Verfassungsprinzipien – nicht zuletzt motiviert durch die innere und äußere Krise des Naturrechts73 – ist diese Möglichkeit abgeschnitten. Doch das Problem des Legitimitätsglaubens im Weberschen Sinne bleibt zurück. Hier können religiöse Gehalte universalistischen Zuschnitts eine dem Naturrecht äquivalente Funktion übernehmen.74 Die religiöse Verankerung des Menschenwürdekonzepts ist der Form nach dem Naturrecht zwar darin unterlegen, immer nur aus der partikularen Perspektive einer bestimmten Religionsgemeinschaft sprechen zu können, aber sie besitzt dafür den Vorzug, die Menschenwürde nicht in einer gleichsam gegenständlichen Eigenschaft aufgehen zu lassen, sondern weiß um die Notwendigkeit einer entsprechenden Deutungskultur, worin jene allererst mentale Realität gewinnt. Ohne die wechselseitige Fremdzuschreibung von 71 Die einschlägigen Texte sind jetzt zusammengestellt in Sternberger 1990. 72 Vgl. Hegel 1821, § 268. 73 Zur inneren Krise vgl. Tanner 1993. Die äußere Krise kulminierte auf deutschem Boden im Humanitätsverrat des NS-Staates. 74 In diese Richtung gehen auch die Überlegungen von Schockenhoff 1996.
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Subjektsqualität und die Habitualisierung und Institutionalisierung solcher Prozesse entbehrt die Idee der Menschenwürde jener öffentlichen Geltung außerrechtlicher Art, auf die auch eine wohl funktionierende Grundrechtsordnung nicht verzichten kann, nicht – um es noch einmal zu wiederholen – im Hinblick auf die innerrechtliche Begründungsstruktur, sondern ihrer sozialen Anerkennungsbasis wegen.75 Von Ernst-Wolfgang Böckenförde stammt das viel zitierte Diktum: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist“.76 Ich denke, in dieser Situation sind auch die Kirchen zur Verantwortung gerufen. Sie dienen ja nicht nur den eng begrenzten Zwecken, auf die einige sie gern reduziert sehen möchten. Die Funktion der Kirchen in der modernen Gesellschaft zerfällt unter religionssoziologischem Aspekt vielmehr in ein ganzes Bündel von Aufgaben. Sie formieren zunächst durch Ritus und Kultus das innere Leben der sogenannten Kerngemeinden. Sie bilden sodann das Forum und den organisatorischen Rahmen für mehr oder weniger selbständige Gruppenaktivitäten. Sie leisten ferner durch die Bereitstellung temporär abrufbarer Dienstleistungen eine breitgestreute religiöse Grundversorgung, die unabhängig von deren aktueller Inanspruchnahme eine Hintergrundserfüllung gewährt durch das bloße Vorhandensein der Institution. Sie wirken des weiteren mit – gerade als Volkskirchen – an der Ausarbeitung und Sicherung der Wertgrundlagen der Gesellschaft. Und sie widmen sich schließlich teils eigenständig, teils im Verbund mit anderen gesellschaftlichen Einrichtungen und Kräften der Tradierung des kulturellen Erbes des Christentums in den vielfältigen Formen, die seine Geschichte hervorgebracht hat. Alle aufgeführten Funktionen geben Raum, und die beiden letztgenannten gebieten es förmlich, an der Etablierung einer dem Menschenwürdekonzept verpflichteten Deutungskultur mitzuarbeiten, und zwar nicht erst um irgendwelcher gemeinsamer politischer Zwecke willen, sondern weil die Menschenwürde als religiöses Thema selber zum Kernbestand christlicher Überzeugungen gehört. Es wäre deshalb umgekehrt politischerseits extrem kurzsichtig, diesen Beitrag aus ideologischen Konkurrenzgründen zurückzuweisen, indem man die Religionsneutralität des Staates zu einer vollständigen Trennung von Kirche und Staat verschärft. Derartige Programme passen nicht mehr in eine gerade aufgrund ihrer funktionalen Differenzierung hochgradig vernetzte Gesellschaft. Hinsichtlich der Reproduktion und Stabilisierung der Grundwerte der modernen Gesellschaft ziehen Staat, Parteien und Kirchen an einem Strang. Keine dieser Institutionen kann es sich leisten auf die Mitarbeit der anderen zu verzichten, wenn nicht das Ganze 75 Diese Differenz scheint Isensee vollständig übersehen zu haben. 76 Böckenförde 1991, S. 212.
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Schaden nehmen soll. Die Kirchen – vor allem die protestantischen – müssten, um den ihnen zukommenden Anteil überzeugend auszufüllen, allerdings weit konsequenter, als bislang geschehen, aus dem Schatten der augustinisch-lutherischen Erbsündenlehre heraustreten77 – wie es bereits die Theologie der Aufklärung nachdrücklich forderte. Damit sind wir bei der abschließenden Frage angelangt: Worin besteht die spezifisch religiöse Valenz des religiösen Menschenwürdekonzepts, abgesehen von seiner eingangs referierten schöpfungstheologischen Begründung und abgesehen von dem nachfolgend dargestellten Traditionszusammenhang? Hans Jonas hat einmal in ganz anderem Kontext – es handelte sich um das Thema Umweltverantwortung – beklagt, dass die Religionen heute viel zu wenig von der ihnen eigentümlichen Kategorie des Heiligen Gebrauch machen und damit bewusst oder unbewusst zu einer Verarmung der Ethik beitragen.78 Man kann sich – selbst bei Zugrundelegung eines kritischen Technikverständnisses – fragen, ob die Natur wirklich der angemessene Kandidat für diese Vorstellung ist. Vieles spricht eher dagegen. Aber für sich genommen ist jener Hinweis nicht uninteressant. Ich möchte ihn darum aufgreifen und für unsere Problematik als den geeigneteren Anwendungsfall fruchtbar machen. Was Jonas mit seiner Bemerkung im Auge hat, lässt sich religionswissenschaftlich allgemeiner fassen: Es geht um die ethische Funktion des religiösen Tabus. Damit ist nicht das Phänomen gemeint, das man heute umgangssprachlich mit jenem Ausdruck belegt, nämlich die öffentliche Verdrängung erörterungsbedürftiger Themen. Die religionswissenschaftliche Kategorie bezeichnet vielmehr etwas ganz anderes: Indem das religiöse Bewusstsein einen Gegenstand oder Bereich für tabu erklärt, übereignet es ihn der Sphäre des Heiligen und entzieht ihn so menschlicher Manipulation. Es wächst ihm eine aus dem Göttlichen selber kommende Unverletzlichkeit zu, die ihn zugleich zu etwas Unberührbarem macht. Die Tabuisierungskraft der Religion gehört in der Tat zu deren urwüchsigen Funktionen, quer durch alle geschichtlichen Gestalten. Was jeweils unter Tabu gestellt wird, wechselt von Religion zu Religion und ist verschiedener kultureller Ausprägungen fähig. Nur die Form selbst bleibt identisch. Wirft man von hier aus einen Blick auf das oben zur grundrechtlichen Stellung der Menschenwürde Ausgeführte, so erscheint der in Art. 1 Abs. 1 verwendete Begriff der „Unantastbarkeit“ in einem ganz neuen Licht. Dem unmittelbaren Wortsinn nach handelt es sich offenbar um eine Tabuisierungska77 Es ist nicht nachzuvollziehen, warum Karl Barth im Jahre 1938, also zu einem Zeitpunkt, da Faschismus, Nationalsozialismus und Stalinismus in Europa wüteten, unter Rückverweis auf die Bibel meinte feststellen zu müssen: „Der Mensch als solcher hat nach ihr keinen Selbstwert“, und darum die Vorstellung einer „Würde […] des Menschen“ als theologisch illegitim abkanzelte (Barth 1975, S. 445). Vgl. zur Stelle Koch 1991, S. 97. 78 Vgl. Jonas 1984, S. 57 f.
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tegorie im gerade erläuterten Sinne. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die einschlägigen Parallelen mit hinzuzieht. Art. 1 Abs. 2 spricht von „unverletzlichen“ Menschenrechten. Die Wesensgehaltsgarantie Art. 19 Abs. 2 formuliert: „In keinem Falle darf […] angetastet werden“. Die Unabänderlichkeitsgarantie von Art. 79 Abs. 3 sagt: „[…] berührt werden, ist unzulässig“, enthielt aber im Vorentwurf statt „berühren“ ebenfalls den Ausdruck „antasten“.79 Somit dürfte der in Art. 1 Abs. 1 verwendete Prädikatsausdruck kaum zufällig gewählt sein. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Der Begriff „Unantastbarkeit“ besitzt als Rechtskategorie – wie dargelegt – eine präzis angebbare verfassungstheoretische Bedeutung. Dies ändert aber nichts daran, dass die Termini Unantastbarkeit, Unberührbarkeit, Unverletzlichkeit überdies Konnotationen mit sich führen, die der Sphäre sakraler Tabuisierung zugehören. Als solche kommen sie – aus guten Gründen – im Verfassungsrecht nicht zur Geltung, um so mehr ist damit jedoch umgekehrt ein Hinweis auf die besondere theologische Dimension gegeben. Auf der nun erreichten Explikationsebene können wir sagen: Die Anthropologie des Schöpfungsglaubens besitzt ihre spezifische Leistung genau darin, die Menschenwürde unter die Tabuisierungskraft der Religion zu stellen. Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung wird auf der Ebene des Mythos durch die Ähnlichkeitsrelation Urbild/Abbild artikuliert. In der Sprache neuzeitlicher Metaphysik besagt dies: Die strukturelle Selbstbestimmungsfähigkeit von Subjekten ist eine Darstellung der Aseität des Absoluten.80 Die jedem Menschen von Gott verliehene und insofern unveräußerliche Subjektsqualität ist sakrosankt im präzisen Sinne des Wortes. Darum ist sie nicht nur kategorisch, sondern unbedingt zu achten. Die Funktion des religiösen Deuteschemas besteht darin, dieser doppelten Unbedingtheitsdimension Ausdruck zu verleihen, der Unbedingtheit der Menschenwürde und der Unbedingtheit des Achtungsgebots. Bereits Kant sah sich genötigt, das von ihm als subjektive Triebfeder der Befolgung des Sittengesetzes konstruierte Zwittergebilde eines intellektuellen Achtungsgefühls durch die Vorstellung der „Heiligkeit“ des Sittengesetzes abzustützen. Dieser Schritt lässt sich unschwer auf unseren Fall übertragen. Die religiöse Sanktionierung der Menschenwürde ist neben der freiheitstheoretischen Begründung – die das kategoriale Fundament des Verfassungswertes bildet – deshalb unverzichtbar, weil die subjektive Verbindlichkeit des Gebots ihrer unbedingten Achtung nicht vom kontingenten Ausgang diskursiver Plausibilisierungsbemühungen abhängig gemacht werden kann, sondern jen79 Vgl. Stern 1994, S. 1092. 80 Es ist das kaum zu überschätzende Verdienst Fichtes, die Erscheinungsrelation zwischen göttlicher Aseität und humaner Autonomie in das systematische Zentrum seiner späten Religionsphilosophie und Wissenschaftslehre gerückt zu haben. Vgl. auch Dierken 1999; ders. 1998, hier S. 234 – 237.
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seits ihres Scheiterns oder Gelingens auf einer vordiskursiven Überzeugungsebene sichergestellt sein muss. Die schlechthinnige Gültigkeit des Menschenwürdeprinzips kann ihr subjektives Korrelat nur in einem Verbindlichkeitsbewusstsein haben, welches sich nicht nur dem Gehalt, sondern auch seiner Form nach als unbedingt erweist. Mit seiner Bereitstellung leistet die Religion einen unverwechselbaren und unersetzbaren Beitrag zum Aufbau von Humanität. Inwieweit es allerdings dem realen Kommunikationsverhalten der Kirchen gelingt, die Verinnerlichung jener Wertgrundlagen zu befördern oder in Gang zu setzen, steht auf einem anderen Blatt. Dass es einer solchen Deutungskultur bedarf, steht außer Zweifel. Erinnert sei etwa an die gegenwärtigen Debatten zur Gentechnologie, Stammzellenforschung, In-vitro-Fertilisation, Euthanasie oder Organtransplantation, die jeweils eine Fülle von Fragen auswerfen und damit zugleich den Bedarf nach verbindlichen Kriterien anzeigen. Mindestens ebenso dringlich erscheint jedoch das ordnungspolitische Problem. Für die sogenannten Väter und Mütter des Grundgesetzes bildeten die Gräuel des NS-Staats den Anlass, am Aufbau einer menschenwürdigen Sozialordnung mitzuwirken. Heute sind es die fast schon alltäglich gewordenen Vorkommnisse von Rassendiskriminierung, Fremdenhass und Asylrechtsaushöhlung, die zur Gegenmobilisierung rufen. Dass es sich dabei lediglich um vorübergehende Exzesse handelt, ist höchst unwahrscheinlich. Eher ist das Gegenteil zu erwarten. Denn es ist jetzt schon abzuschätzen, dass die größer werdenden Migrationsströme, ausgelöst durch das Absinken der Geburtenraten in den hochentwickelten westlichen Industriestaaten und durch die Zunahme des Wohlstandsgefälles nach Süden und Osten, eine Verschärfung des zwischen den verschiedenen Gruppen bestehenden Konfliktpotentials zur Folge haben. In dieser Situation ist eine die Rechtsordnung ergänzende innermentale Verankerung universalistischer Humanitätsstandards geradezu eine Überlebensbedingung des gesellschaftlichen Friedens. Dieser Herausforderung ist keine der bestehenden Religionsgemeinschaften mehr alleine gewachsen, sondern neue, weit über die bisherigen Ansätze hinausgehende interreligiöse Verständigungsprozesse werden erforderlich sein, wenn es darum geht, unter den Bedingungen sozialen Andersseins die wechselseitige Anerkennung des Allgemein-Humanen dauerhaft zu internalisieren. In diese Richtung verweisen nicht zuletzt auch die religionssoziologischen Überlegungen Niklas Luhmanns, der wiederholt die Idee der Weltgesellschaft als das große, immer noch unabgegoltene Thema der Religion eingeklagt hat.81 81 Von hier aus wäre dann auch das Thema Globalisierung zu beleuchten. Es ist kaum sinnvoll, sich pauschal zu verweigern – ganz davon abgesehen, dass dies gar nicht möglich wäre. Allerdings bedarf jener Prozess dringend universalistischer, ethischer und rechtlicher (vor allem völkerrechtlicher) Standards, wenn Individuen, Gruppen, Gesellschaften, nicht zum
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In dieser Situation kommt dem Christentum die Aufgabe zu, das Universalismusproblem als vordringliches Thema der theologischen Anthropologie in den interreligiösen Dialog einzubringen. Er lässt sich christlicherseits nur in Form der Schöpfungslehre explizieren. Alle anderweitigen theologischen Begründungsversuche, welche etwa vom alttestamentlichen Bundesgedanken, vom paulinischen Taufverständnis oder vom reformatorischen Rechtfertigungsglauben her zu argumentieren suchen, scheitern an der essentiellen Partikularität dieser Topoi. Es ist eben kein Zufall, dass das neuzeitliche Menschenwürdekonzept sich nicht aus ihnen, sondern aus der Gottebenbildlichkeitsvorstellung von Gen 1 entwickelt hat. Denn allein die Schöpfungsanthropologie verfügt über den Allgemeinheitshorizont, der dem universalistischen Charakter der Menschenwürde angemessen ist. Der Glaube an die Würde jedes Menschen als einen von Gott verliehenen unendlichen Wert ist das anthropologische und ethische Grunddatum des neuzeitlichen Christentums. Mit diesem Verständnis der Menschenwürde leistet die christliche Religion einen unverzichtbaren Beitrag zur kulturellen Konsolidierung der Moderne, den sie allerdings nicht nur in gesellschaftsfunktionaler Absicht erbringt. Blicken wir noch einmal zurück auf den Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Wir begannen mit der Anthropologie der biblischen Schöpfungserzählungen und brachen nach Gen 2 ab. Die Darstellung der Urgeschichte geht aber weiter. Gleich in Gen 3 wird der Mythos vom Sündenfall erzählt und danach werden die Folgen benannt: Das einzelne Individuum kann die ihm verliehene Fähigkeit zur Selbstbestimmung auch dazu benutzen, die Selbstbestimmung des Mitmenschen zu behindern und die eigene Subjektsqualität auf Kosten anderer zu realisieren.82 Die bloße Befähigung zur Vernunftautonomie garantiert noch nicht den ihr gemäßen Gebrauch. Die der Freiheit selber innewohnende Differenz von Anlage und Realisierung ist der innere Ermöglichungsgrund des Bösen. Dieser anthropologischen Situation entspricht die Religion durch die Ausbildung einer allgemeinen Schuldfähigkeitskultur, aus der sich nach Maßgabe der eigenen Einsicht die individuelle Selbstzuschreibung von Schuld ergibt. Jene strukturelle Möglichkeit und schicksalhafte Kontingenz der Selbstverstrickung der Freiheit ist zugleich aber auch der Grund dafür, warum die allen Menschen verliehene und schlechthin zu achtende Subjektsqualität einer religiösen Tabuisierung bedarf. Die schöpfungstheologische Sanktionierung der Menschenwürde entspringt der Einsicht, dass die gottähnliche Sonderstellung des Menschen nur die eine Hälfte der Wahrheit ausmacht, deren andere Hälfte Spielball ökonomischer Macht verkommen sollen. Es kommt somit darauf an, die rechtliche und ethische Seite von Globalisierung voranzutreiben. 82 Den Zusammenhang zwischen Gottebenbildlichkeit und Sündenfall im christlichen Verständnis der Menschenwürde betont auch Gadamer 1988, hier S. 97 – 99.
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die Realität des Bösen darstellt. Zur theologischen Begründung der Menschenwürde gehört darum immer auch die Explikation der Tiefendimension ihrer immanenten Gefährdungen.
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Christian Illies
Evolutionär erweiterte Ethik. Fünf Thesen zur Bedeutung der Evolutionswissenschaften für die Ethik
Ethics is well-advised to take evolutionary accounts and explanations of moral behaviour and moral judgements seriously ; they are an integral part of testing and validating our knowledge. However, the exact consequences of these accounts are highly debatable, above all when exploring the question of whether they show that ethics can or should be fully naturalised. In a biological age, is there a space left for ethical theories and their traditional ambition of justifying normative demands – or is ethics nothing but „an illusion fobbed on us by our genes“ (E.O. Wilson and M. Ruse 1985)? The debate has often been portrayed as an argument between mutually exclusive possibilities: if we are genetically impelled to hold certain moral convictions, then they cannot be anything „more“ than naturalistic phenomena. If, on the other hand, ethics and moral demands do have a higher dignity, then they must also have a different origin, and evolutionary accounts are simply missing the point. But this either/or alternative is false. We can have the ethical cake and eat it evolutionarily. Or so it will be argued.
I.
Um was es geht – fünf Thesen1
Eine Begegnung mit Vertretern empirischer Wissenschaften endet für Ethiker oft unerfreulich. Funktionale Erklärungen für moralische Phänomene, wie sie etwa die Evolutionsbiologie, Soziologie oder Psychologie vorlegen, vertreiben oft das Phänomen, zumindest als ein im eigentlichen Sinne moralisches Phänomen – womit der Ethiker den Gegenstand seines Nachdenkens verliert, um den sich dann besser andere Wissenschaften kümmern sollen. „Um unseres Wohlergehens willen“ so bemerkt etwa der Evolutionsbiologe Edward O. Wilson
1 In diesen Beitrag sind viele Gedanken eingeflossen, die Gabriele de Anna und ich gemeinsam entwickelt haben.
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spitz, sei es an der Zeit, die Ethik aus den Händen der Philosophen zu nehmen, die lediglich „weise“ seien, aber von der Biologie nichts verstünden.2 Die Ethik hat immer wieder versucht, sich gegen solche unerfreulichen Begegnungen zu verwehren, etwa indem sie empirische Erklärungsansprüche für die Moral als Grenzüberschreitung zurückwies: Der erfahrungswissenschaftliche Zuständigkeitsbereich sei vom ethischen abgegrenzt. Dies wurde teils mit der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit der Diskurse oder Sprachspiele begründet, teils, in der Nachfolge David Humes, mit dem Verweis auf den Naturalistischen Fehlschluss. Die empirische Wirklichkeit, also die Welt wie sie ist, habe keine Relevanz für die Legitimation von Werten oder Normen, also dem, was in dieser Welt geschehen soll. Und in der Tat sind die Versuche, von naturwissenschaftlichen, vor allem evolutionsbiologischen Erkenntnissen auf eine „Wissenschaftliche“ oder „Evolutionäre Ethik“ zu schließen, alle gescheitert, ja müssen aus sachlogischen Gründen scheitern.3 Dennoch lässt sich die Herausforderung nicht so leicht abweisen. Die empirischen Wissenschaften, vor allem die Evolutionsbiologie, um die es im Folgenden gehen soll, sind für die Ethik keineswegs bedeutungslos. Es hat einen sehr guten Sinn, die unterschiedlichen Diskurse eng zusammenzuführen. Und gerade die Evolutionswissenschaften sind von großer Bedeutung für die Philosophie, denn sie können durchaus Erhellendes zu Phänomenen wie dem Erkennen, unserem Bewusstsein, menschlichen Motiven, Handlungen und Verhalten beitragen – und eben auch zur Moral. Die Reichweite der Evolutionswissenschaften kann kaum unterschätzt werden; sie schließt heute viele Bereiche ein, in denen die Philosophie traditionell fast alleiniges Hausrecht genoss. Wie weit sie dabei auch in die Kammern der Ethik vordringt, und was sie dort zu suchen hat, will ich in diesem Beitrag ausloten. Meine erste These wird dabei sein, dass die Ethik zwar nicht zu fürchten hat, ihren eigentlichen Gegenstand bei dieser Begegnung aus der Hand genommen zu bekommen.4 1. These: Auch evolutionäre Erklärungen für das Zustandekommen unserer moralischen Überzeugungen und Urteile können die Ethik nicht naturalisieren. Aber es folgt die zweite These, dass die Ethik dennoch nicht ungeschoren davonkommt. Vor allem wird die Begründungsaufgabe für die Ethik dringlicher und schwieriger : 2 Wilson 1978, S. 14. 3 Siehe dazu etwa die ausführliche Diskussion in Gräfrath 1997. (Siehe auch Illies 2006). 4 In einer anderen Arbeit habe ich bereits gegen Daniel Dennett und andere argumentiert, dass die Philosophie auch grundsätzlich keine Sorgen haben muss, von der Evolutionswissenschaft verjagt werden zu können. Siehe Illies 2010, S. 15 – 38.
Evolutionär erweiterte Ethik
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2. These: Evolutionäre Erklärungen erhöhen die Begründungslast für moralische Urteile. Dabei kann die Evolutionstheorie nicht selbst an Stelle der traditionellen Ethik treten und eine eigene ,Evolutionäre Ethik‘ begründen, wie zum Teil versucht wird. Alle entsprechenden Versuche scheitern: 3. These: Eine evolutionäre Begründung der Moral kann nicht gelingen. Dennoch haben die Evolutionswissenschaften eine große Relevanz für den Inhalt der Moral. Ich werde argumentieren, dass sie einen entscheidenden Beitrag zur ,Nachhaltigkeit‘ des moralischen Handelns leisten können. 4. These: Evolutionäre Einsichten helfen die Ethik so zu erweitern, dass sie nachhaltiger wirksam wird. Dem schließt sich eine These an, die wohl am wenigstens kontrovers ist: die Evolutionswissenschaften leisten einen Beitrag zur Erklärung moralischen bzw. moralanalogem Verhaltens und seiner Entwicklung. 5. These: Evolutionäre Erklärungen erhellen die natürliche Grundlage der menschlichen Moral. Um die fünf Thesen plausibel zu machen, werden im Folgenden die von verschiedenen Autoren vorgebrachten evolutionären Erklärungen für moralische Phänomene in sieben Typen unterschieden. Man könnte hier (in Anlehnung an Philip Kitcher) von sieben Typen einer „Evolutionierung“ der Moral, bzw. der entsprechenden Versuche sprechen.5 Von diesen Typen gehören zwei in den meta-ethischen Bereich (siehe Abschnitt II), drei stammen aus der Normativen Ethik (Abschnitt III) und zwei Typen sind der Deskriptiven Ethik zuzuordnen (Abschnitt IV). Ich werde sie in entsprechender Reihenfolge diskutieren und zeigen, inwiefern die eingangs angeführten fünf Thesen aus den sieben Evolutionierungstypen folgen. Der Beitrag endet mit einer Bilanzierung und Ermutigung der Ethik (Abschnitt V).
5 In einem berühmten Essay von 1993 spricht Kitcher von verschiedenen Arten, die Ethik zu biologisieren (Kitcher 1993).
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II.
Christian Illies
Metaethik – warum die Moral keine Illusion sein muss
Der weitest reichende Typ evolutionärer Erklärung nimmt die Moral als Ganze in den Blick; es wird von verschiedenen Autoren beansprucht, das Moralische schlechthin als funktionale Anpassung erklären zu können. Dass wir in bestimmter Weise handeln und reagieren, dies oder jene normative Urteile fällen und ganze Regelwerke des Verhaltens entwickeln, all das gründe letztlich auf Anlagen, die ausgelesen worden seien, weil sie zu haben uns bzw. unseren Vorfahren selektive Vorteile bringe oder gebracht habe. Unabhängig von dem möglichen Beitrag solcher Erklärungen zur Deskriptiven Ethik, wird damit eine Aussage gemacht, was die Moral eigentlich sei (eine komplexe funktionale Anpassung) bzw., jedenfalls in der Regel, was sie nicht sei (ein eigenständiges normatives System mit Geltungsanspruch). Die Moral lasse sich letztlich auf einen natürlichen Mechanismus reduzieren (also naturalisieren) und sein kein eigenständiges Phänomen. Eine solche Darstellung der ,eigentlichen‘ Natur des Moralischen gehört in den Bereich der Metaethik. Evolutionierung der Ethik (1. Typ): Die Moral ist ein natürliches Phänomen bzw. kann durch die Evolutionswissenschaften naturalisiert werden. Schauen wir kurz auf Beispiele: Konrad Lorenz naturalisierte die Moral, indem er sie als „Kompensationsmechanismus“ für einen Mangel an Triebsteuerungen deutete.6 Entsprechend wird auch argumentiert, dass unsere ethischen Begriffe selbst „eben als Resultate der Evolution und nicht als ,völlig a priori in der Vernunft‘ gegebene Kategorien“ zu sehen seien.7 Wie die Evolutionsbiologen Michael Ruse und Edward O. Wilson schreiben, sind unsere moralischen Verhaltensregeln daher lediglich selektiv vorteilhafte Anpassungen eines komplexen Gruppentiers, das im Interesse seiner Gene meine, in bestimmter Weise handeln zu müssen: „Was wir unter Moral verstehen, ist eine Illusion, die uns unsere Gene vorgaukeln, damit wir kooperieren.“8 Gerade der Illusionseinwand bei Ruse und Wilson zeigt, was diesen ersten Typ einer Evolutionierung der Ethik besonders attraktiv macht: Sie erklären die Moral nicht nur mit einer grundsätzlich gut validierten und weitgehend anerkannten naturwissenschaftlichen Theorie (im Unterschied etwa zu soziologischen oder psychologischen Versuchen, die Moral auf andere Mechanismen zu reduzieren). Sondern sie können zudem mit ihrer Methode plausibel machen, 6 Lorenz 1974, S. 236. 7 Wuketits 1990, S. 161. 8 Wilson / Ruse 1985, S. 52. (Übersetzung C.I.). In einer subtileren Fassung hat dieses Argument jüngst Richard Joyce wiederholt (Joyce 2006).
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warum wir die Moral gemeinhin für mehr, nämlich für ein besonderes Regelsystem mit einer Art übernatürlichen Autorität halten. „Wir denken, dass wir helfen sollten, dass wir anderen gegenüber verpflichtet sind, weil es in unserem biologischen Interesse liegt, diesen Gedanken zu haben“, schreibt Ruse.9 Gelingt das Vorhaben? Können die Evolutionswissenschaften tatsächlich eine Naturalisierung der Moral leisten? Dagegen lassen sich einerseits wissenschaftliche Bedenken erheben, derart dass wir bisher nur eine Erklärung in groben Umrissen haben, die noch weitgehend programmatisch ist, aber kein im Detail durchgeführtes Projekt. Viele Fragen bleiben offen, etwa wie es zu dem fast universalen Altruismus kommen kann, zu dem der Mensch fähig scheint, dessen Anpassungsvorteil aber fraglich ist. Zudem liegt noch keine überzeugende Lösung des methodischen Problems vor, wie überhaupt biologische Erklärungen von kulturellen zu trennen seien, was aber geleistet werden müsste, wenn man die Moral ganz auf Evolutionsbiologie reduzieren will. Aber selbst wenn wir die wissenschaftsinterene Kritik zur Seite lassen und annehmen, eine vollständige evolutionäre Erklärung der wichtigsten moralischen Phänomene sei erreichbar, bleibt doch noch ein grundsätzliches Problem. Es ist durchaus möglich, dass die derart erklärte Moral sich zwar als funktional erweist, aber zugleich einen berechtigten Anspruch an unser Handeln erhebt. Funktionalität und Geltungsanspruch schließen sich nicht zwingend aus. Vermutlich ist Brutfürsorgeverhalten eine funktionale Anpassung (und es ist auch eine funktionale Anpassung, sie für moralisch geboten zu halten), da Tiere mit diesem Instinkt wesentlich wirksamer dafür sorgen konnten, ihre Gene in der nächsten Generation zu verbreiten. Aber deswegen muss das Gebot keine Illusion sein, weil es in der Tat gute Gründe gibt, warum wir für unsere Schutzbefohlenen besonders verantwortlich sind (als Menschen haben sie Anspruch auf Achtung und wir sind besonders denen gegenüber verpflichtet, die von uns abhängen). Eine entsprechende Doppelcodierung findet sich auch im Bereich der Evolutionären Erkenntnistheorie: Vermutlich ist es eine funktionale Anpassung, die Welt kausal geordnet zu erfahren – aber daraus folgt nicht, dass sie nicht auch in Wirklichkeit eine solche Ordnung aufweist. Das, was eine natürliche bzw. funktionale Erklärung findet, kann also zugleich ein Phänomen mit einem eigenständigen Geltungsanspruch darstellen. Die logische Möglichkeit einer Doppelcodierung zeigt zugleich, dass der „Illusionseinwand“ letztlich zirkulär ist: Nur unter der bereits gemachten Voraussetzung, dass die Moral nichts als eine funktionale Anpassung ist, wäre es illusionär, sie für mehr zu halten. Aber wenn die Moral tatsächlich mehr wäre, es also ein normatives System gibt, das mit guten Gründen Geltung beansprucht, dann wäre auch die entsprechende Anlage, die Moral für etwas Besonderes zu 9 Ruse 1993, S. 161 (Rechtschreibung angepasst, C.I.).
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halten, durchaus berechtigt und keineswegs illusionär. Die entscheidende Frage ist also, ob wir gute Gründe haben, an der Geltung der moralischen Regeln festzuhalten. Hier setzt eine noch radikalere Form der Evolutionierung der Ethik ein, die eigentlich eine Evolutionierung der praktischen Vernunft ist: Evolutionierung der Ethik (2. Typ): Die praktische Vernunft ist ein natürliches Phänomen und kann daher zu keinen Urteilen mit Gültigkeitsanspruch führen. Der Ansatz geht davon aus, dass ein hinreichend komplexes evolutionäres Bild des Menschen erklären kann, warum es für eine derart soziale und sprachbegabte Art wie Homo sapiens funktional ist, in bestimmter Weise zu denken, nach Gründen zu suchen, Argumente für sein Handeln vorzubringen und darüber mit seinen Artgenossen zu diskutieren. Dieser Typ von Evolutionierung erhebt damit einen weitreichenden meta-ethischen Anspruch: Er stellt jede kognitive Ethik in Frage, da er die praktische Vernunft als funktionalen Mechanismus deutet, der keine Einsichten mit Wahrheitsanspruch hervorbringen kann. Wir finden solche Naturalisierungen der praktischen Vernunft in verschiedenen Variationen. Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt etwa argumentiert, dass unsere vermeintlich rationalen Urteile lediglich eine Sekundärrationalisierung intuitiv-emotionaler Einstellungen seien.10 Auf individuellen Emotionen aber lässt sich keine objektive Moral gründen. Erik J. Wielenberg spricht dagegen von ,epistemological evolutionary debunking arguments‘11 und argumentiert: „Wenn es eine evolutionäre Erklärung für die moralische Überzeugung von S gibt, dann ist die moralische Überzeugung von S kein Wissen.“ Man kann den zweiten Typ der Evolutionierung in zwei Behauptungen zerlegen: (1) Eine Rekonstruktion der praktischen Vernunft als evolutionär-funktionaler Mechanismus ist möglich. Und (2): Wenn die praktische Vernunft ein solcher Mechanismus ist, dann können ihre Ergebnisse keinen Geltungsanspruch erheben, sie „hätte keinen Wert“, wie man in Anlehnung an Wittgenstein sagen könnte.12 Die Naturalisierung der Vernunft ist eine große Herausforderung an die Ethik, der nicht in wenigen Zeilen Gerechtigkeit widerfahren kann. Es muss daher genügen, an dieser Stelle einen Einwand lediglich anzudeuten: Ein jeder Vertreter dieser Naturalisierungsstrategie steht vor dem Problem eins drohenden Selbstwiderspruchs. Denn ist sein Einwand gegen die Möglichkeit einer objektiven Ethik selbst mehr als nur eine Anpassungsleistung? Er kann ei10 Haidt 2001. 11 Wielenberg 2010, S. 442; folgendes Zitat S. 441. 12 „In der Welt ist alles wie es ist und geschieht alles, wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert“; aus: Wittgenstein 2003, Satz 6.41.
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gentlich nur sinnvoll gegen Wahrheitsansprüche argumentieren, wenn er selbst genau einen solchen erhebt – also das, was er für unmöglich erklärt hat. Ein Beitrag zur Debatte impliziert doch, dass er mit guten Argumenten eine richtige, gültige Einsicht gewonnen habe. Womit er in einer aussichtslosen Zwickmühle steckt: Entweder er erhebt einen solchen Anspruch, dann hat er damit seiner eigenen These widersprochen, dass die Vernunft gar nicht wirklicher Erkenntnisgewinnung fähig ist. Oder er erhebt ihn nicht, und dann ist nicht klar, warum man im rationalen Diskurs seinen Beitrag ernst nehmen sollte; er trägt nicht mehr zu unserem Verstehen der Wirklichkeit bei als andere funktionale Anpassungen wie etwa ein Magenbrummen. Gewiss, dem konsequenten Naturalisierer der Vernunft bleibt der Weg offen, alles Argumentieren und jeden Diskurs für nicht mehr als ein gemeinsam-wechselseitiges Magenbrummen zu halten – aber diese seine Überzeugung wäre dann kein „Argument“ dafür, ihm recht zu geben. Wie die transzendental-pragmatische Philosophie gezeigt hat, bleibt die Vernunft für jedes vernünftige Fragen unhintergehbar ; sie kann sich nicht selbst vernünftig in Frage stellen.13 Damit ist aber auch der zweite Typ der Evolutionierung der Ethik gescheitert; sie lässt sich so einfach naturalisieren. Als erste These können wir damit festhalten: Auch evolutionäre Erklärungen für das Zustandekommen unserer moralischen Überzeugungen und Urteile können die Ethik nicht naturalisieren. Und doch ist die Herausforderung funktionaler Erklärungen für die Ethik kaum zu unterschätzen. Die Attraktivität der Naturalisierungsversuche liegt ja nicht zuletzt daran, dass sie in eine Zeit fällt, in der alle rationalen Begründungsversuche der Ethik sich in einer Krise befinden. Seit Sokrates die Frage nach der Begründung in aller Schärfe gestellt hat, beschäftigt sie die Ethik, aber die zwischenzeitlich gefundenen Antworten (etwa die theologische, das Vertragsmodell, transzendentale oder die Intuition) stießen auf keine dauerhafte Zustimmung. Gerade im Vergleich zu den ,harten‘ naturwissenschaftlichen Einsichten erschienen die Begründungen der praktischen Vernunft höchst fraglich – ein Verweis auf Traditionen oder auf eine axiomatische Setzung sind ohnehin keine Begründung und anspruchsvolle, etwa transzendentale Argumente sind sehr technisch und überzeugen nur wenige (auch wenn sie das nicht falsch macht). Dass es keine Letztbegründung geben könne, scheint bei vielen Philosophen heute Konsens, und jede vorletzte Begründung ist ungenügend – sie
13 Für die Unhintergehbarkeit solcher transzendentaler Selbstvergewisserungen der Vernunft siehe etwa Walker 1989, S. 55 – 76.
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muss auf voraus gesetzte Axiome zurückgreifen, die freilich kein unbestreitbares Fundament bieten.14 Ja, es wird der Vernunft oft ganz grundsätzlich abgesprochen, jemals ein normatives Fundament entdecken zu können. In der Welt gäbe es nun mal keinen objektiven Sinn, sie sei frei von Werten und deswegen sei es auch von keiner rationalen Methode zu erhoffen, auf irgendwelche objektiven Werte zu stoßen. Dass wir in einer solchen normativ stummen, ,entzauberten‘ Welt leben, wie Max Weber sie nannte, wird wie selbstverständlich genommen.15 Und in dieser Welt sind nach Weber alle Wertaussagen lediglich subjektive Selbstverortungen und Orientierungsversuche, die ökonomische Bedürfnisse, soziale Wirklichkeiten oder biologische Anpassungen spiegeln – was auch immer als Erklärung geboten wird, eine tatsächliche normative Struktur der Wirklichkeit scheint da jedenfalls keine Rolle zu spielen. Diese Rechtfertigungskrise der Ethik in der Gegenwart verschärft deswegen die Herausforderung, welche evolutionäre Erklärungen der Moral darstellen, weil damit zur Disposition steht, ob es überhaupt einer solchen Rechtfertigung der Moral bedarf: Die angebotene funktionale Erklärung scheint ja abgeschlossen – ob neben ihr noch Geltungsansprüche erhoben werden, ist für sie unerheblich. Warum also sollte man daher an einem zusätzlichen Geltungsanspruch festhalten, für dessen Absicherung man keine allgemein anerkannte Methode anbieten kann, wenn es nicht einmal klar ist, ob diese (zusätzliche) Geltung moralischer Regeln überhaupt nötig ist? Zugespitzt könnte man sagen: Darwin ist für die Ethik was Descartes für die Epistemologie war. Weil Darwins Theorie eine naturwissenschaftliche Erklärung der Moral anbietet, die keine Geltung mehr benötigt, erschüttert sie das fragile Fundament der bisherigen Geltungsabsicherungen umso nachhaltiger. Das ist vergleichbar mit dem von Descartes gesäten Zweifel an aller sinnlichen Gewissheit: Beide machen es plausibel, dass unsere vermeintliche Erkenntnis einer Wirklichkeit – der empirischen Welt um uns oder der Wirklichkeit der moralische Werte und Normen – auch zustande kommen könnte, ohne dass es die entsprechende Wirklichkeit tatsächlich geben muss. Es könnte alles eine Täuschung durch Gott oder unsere Gene sein. Die Ethik muss also im Angesicht der Evolutionswissenschaften nicht nur zeigen, wie man Geltungsansprüche begründet, sondern darüber hinaus, dass es überhaupt sinnvoll und wichtig ist, nach der objektiven Geltung zu fragen. Deswegen folgt als zweite These: Evolutionäre Erklärungen erhöhen die Begründungslast für moralische Urteile. 14 Siehe dazu das zweite Kapitel von Illies 2003. 15 Weber 1988.
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Wie die Ethik dieser Herausforderung begegnen kann, ist nun nicht mehr Thema dieses Beitrags – schauen wir stattdessen auf andere Typen der Evolutionierung der Ethik, nämlich auf Versuche, über evolutionswissenschaftliche Einsichten zu inhaltliche Regeln oder Normen zu gelangen.
III.
Normative Ethik – wie die Moral evolutionär klug werden kann
Die Normative Ethik beschäftigt sich mit der inhaltlichen Bestimmung des moralisch Richtigen; zu ihr gehört die Ausformulierung konkreter ethischer Theorien. Es gibt nun einen Typ von ,Evolutionierungen‘ der Ethik, der genau solche inhaltlichen Bestimmungen mit Hilfe von evolutionswissenschaftlichen Einsichten versucht. In seiner frühen Variante ist das der „Sozialdarwinismus“, dem später die „Evolutionäre Ethik“ folgte. Beides lässt sich zusammenfassen als: Evolutionierung der Ethik (3. Typ): Die Evolutionstheorie erlaubt, eine eigene Moral zu begründen Der frühe Sozialdarwinismus war im wesentlich die Affirmation einer Auslese unter Menschen, da dieser Mechanismus als bester Weg einer Höherentwicklung gesehen wurde. Weil sich in der Natur die Tüchtigsten mit den besten Genen gegen andere durchsetzten, so solle man auch in der menschlichen Gesellschaft diesem Wettbewerb freien Raum geben. Eine aufgeklärte Moral ist dann im sozialdarwinistischen Sinne ein Regelwerk, welches dem Selektionsgeschehen beim Menschen keine oder nur wenige Schranken setzt (konkret hieß das eine Zurückweisung des Sozialstaats, da dieser die Schwachen unterstützt, oder die Forderung nach einem Laissez-faire Kapitalismus). Mehr noch, viele Sozialdarwinisten verlangten, die weniger guten Erbanlagen müssten aktiv an der Fortpflanzung gehindert werden (was zu Euthanasieprogrammen bis hin zur Forderung nach Zwangssterilisierung von Behinderten führte). Sozialdarwinistische Vorschläge gab es sowohl zur Verhaltenssteuerung innerhalb von Gesellschaften (hierzu gehören einige von Nietzsches Vorschlägen) als auch auf der Ebene von Staaten, Völkern oder Rassen (deren fürchterliche Auswüchse hinreichend bekannt sind). In allen Fällen bestand die Hoffnung auf ein wissenschaftlich abgesichertes Regelsystem, das durch natürliche Auslese zu einer Höherentwicklung der Menschheit führe – auch wenn viele Sozialdarwinisten hier nicht explizit von einer neuen „Moral“ sprachen, ging es ihnen darum,
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nämlich um ein Ideal des richtigen Handelns (für Individuen oder Institutionen). Gegen den Sozialdarwinismus gibt es verschiedene gewichtige Einwände, die nur kurz erwähnt werden sollen. So ist die Grundannahme evolutionstheoretisch nicht haltbar, denn es ist keinesfalls so, dass sich die Entwicklungsgeschichte als geradlinige Höherentwicklung durch Konkurrenz beschreiben ließe. Erstens können sehr unterschiedliche Eigenschaften als vorteilhafte Anpassungen dienen (und wie Parasiten zeigen, durchaus mit Verlust an Komplexität einhergehen). Es bedarf also zusätzlicher Kriterien für die Auszeichnung der von Sozialdarwinisten gepriesenen Eigenschaften (was die Sozialdarwinisten übersehen). Und zweitens ist die Evolution gar nicht auf eine Höherentwicklung hin angelegt; deswegen ist es falsch, aus ihr einen Maßstab für „besser „oder „falsch“ ablesen zu wollen. Neben solchen wissenschaftstheoretischen Einwänden spricht gegen den Sozialdarwinismus schließlich unsere gesamte moralische Tradition: Eine Ethik, die gegen die Schwachen und Bedürftigen gerichtet ist, würde eine solche Umwertung aller Werte fordern, dass sie zutiefst anstößig erscheint. Allerdings ist dieser Einwand zirkulär, da er nur unter Vorraussetzung einer nicht-sozialdarwinistischen Moral überzeugen kann – und genau diese steht ja zu Debatte. Der Sozialdarwinist wird Nietzsches Kampfruf von der Umwertung aller Werte aufgreifen und fordern, dass wir uns von diesen traditionellen Vorstellungen frei machen sollten. (Wer an der moralischen Tradition festhalte, so Nietzsche, belügt andere oder sogar sich selbst: „Diese ganze alte Moral geht uns nichts mehr an: es ist kein Begriff darin, der noch Achtung verdiente. Wir haben sie überlebt, – wir sind nicht mehr grob und naiv genug, um in dieser Weise uns belügen lassen zu müssen …“16) Dem Zirkeleinwand lässt sich allerdings entgehen, wenn es gute Gründe für die traditionelle Moral gibt – womit wir wieder bei der Herausforderung sind, die in der zweiten These genannt ist: Es braucht wohlbegründete moralische Urteile – auch um inhaltlich die Wertvorstellungen des Sozialdarwinismus zurückzuweisen. Die große Zeit sozialdarwinistischer Konzeptionen währte bis Mitte des 20. Jahrhunderts; die Versuche Ihrer Umsetzung waren vielfach so schrecklich (in den Augen der traditionellen Moral), dass sie abrupt endeten. Spätere Versuche, eine inhaltliche Ethik evolutionär zu begründen, hatten eine andere Ausrichtung: Sie versuchten nicht mehr eine Moral auf dem Regelwerk der Selektion zu gründen, sondern Inhalte und Ziele aus der menschlichen Entwicklungsgeschichte zu übernehmen. So argumentieren einige Autoren, dass es im aufgeklärten Selbstinteresse der Menschen liege, alle uns biologisch vorgegeben Ziele und Antriebe in eine allgemeine Moral aufzunehmen. Beispielsweise wollen die 16 Nietzsche 1967 ff. (Nachlass Frühjahr 1888: 15, S. 77).
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frühen Ethnologen (wie Konrad Lorenz) das Überleben der Spezies als zentrales Anliegen aller Moral sehen, und Irenäus Eibl-Eibesfeldt leitet den Erhalt von Menschengruppen und Kulturen von der Evolutionstheorie ab („Die Vertreter der verschiedenen Menschengruppen handeln demnach richtig und vernünftig, wenn sie jeweils ihr Überleben in eigenen Nachkommen anstreben..“)17 Der Soziobiologe E.O. Wilson dagegen fordert, wir sollten die uns als Spezies angeborenen Präferenzen auch zu bewussten Ziele der Moral machen,18 und andere wollen eine Evolutionäre Ethik auf Ziele wie genetische Vielfalt oder allgemein Biodiversität festlegen. Christian Vogel hat das „Gebot einer biogenetisch entstandenen natürlichen Moral“ aufgestellt: „Hilf deinen Verwandten nach Maßgabe ihrer jeweiligen genealogischen Verwandtschaftsnähe zu dir, jedoch im Zweifelsfalle allen weniger als dir selbst (und deinen leiblichen Kindern)!“19 Es verbindet die unterschiedlichen Ansätze, dass sie nach angeborenen Antrieben oder Gegebenheiten suchen, die biologisch zum evolutionären Erfolg unserer Spezies (oder einer Spezies) beigetragen haben, wie Vielfalt und Flexibilität, bestimmte Ideale der Hilfe oder ein Interesse am Selbst- oder Gruppenerhalt durch Unterstützung der eigenen Nachkommen. Diese Leitbilder werden dann als Ziele in die „Evolutionäre Ethik“ aufgenommen. Der Grundgedanke ist, dass es unserer Natur entspräche, aber auch dem evolutionären Erfolg diene, uns nach ihnen auszurichten. Aber auch diese Evolutionierung der Ethik kann nicht gelingen, teils aus wissenschaftsinternen Gründen, teils aus grundsätzlichen Erwägungen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist kritisch einzuwenden, dass ein Aufgreifen von angeborenen Impulsen vor der Schwierigkeit steht, auswählen zu müssen, welche Impulse in die neue Ethik aufgenommen werden sollen. Denn offensichtlich ist unser evolutionäres Erbe hochgradig ambivalent und drängt in sehr unterschiedliche Richtungen. Schon 1893 hat Henry Huxley in seinen RomanesVorlesungen argumentiert, dass die Evolution keine eindeutige Richtung vorgibt, sondern nur viele möglicher Zwecke, aus denen wir auswählen müssten. Neben Anlagen zu Kooperation, Hilfe, und Fürsorge, beschreibt die Evolutionswissenschaft beim Menschen durchaus auch antagonistische Impulse, die aggressives Verhalten gegen Gruppenfremde einschließt, die latente Ablehnung von Stiefkindern oder sogar eine mögliche Neigung zu Mord und Totschlag in bestimmten Konkurrenzsituationen.20 Wählt man nun aber von den vielen Anlagen einige aus, so benötigt man wieder ethische Kriterien – womit die Evolutionäre Ethik auf anderen moralischen Maßstäben fußt und keine genuin 17 18 19 20
Eibl-Eibesfeldt 1990, S. 23 (zitiert nach Gräfrath 1997, S. 108). Wilson 1978, S. 2. Vogel 2000, S. 143. Siehe etwa Cartwright 2000.
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eigenständige Ethik ist. Auch der vermeintliche Grundimpuls allen evolutionären Erfolges, das Streben nach Selbsterhalt, lässt sich kaum in eine Moral übersetzen – denn in der Evolution ist ja nicht das Wesen erfolgreich, was sich unter allen Umständen erhält, sondern vielmehr das Wesen, was sich erfolgreich reproduziert (und durchaus für seine Nachkommen Platz macht). Bestenfalls wäre also eine Ethik des möglichst unbeschränkten Reproduktion abzuleiten, die aber aus offensichtlichen Gründen in einer endlichen Welt mit endlichen Ressourcen sehr bald an Grenzen stößt. Neben den wissenschaftsinternen Gründen spricht zudem grundsätzlich gegen eine solche Ethik, dass nicht klar ist, woher sie ihre Autorität beziehen soll. Dass wir evolutionär darauf angelegt sind, gewisse Ziele zu haben, hat ja selbst keine bindende Kraft. Entweder können wir gar nicht vermeiden, uns nach ihnen zu richten (wie etwa das Bedürfnis zu atmen nur mit äußerster Mühe unterdrückt werden kann) – aber dann wäre es kein moralisches Handeln, sondern ein notwendiges Geschehen. Oder die angeborenen Ziele sind eher „Vorschläge“ als „Vorschriften“, wie Hubert Markl betont.21 Dann aber bleibt die Frage, warum wir uns nach diesen Vorschlägen richten sollten. Die bloße Tatsache, dass wir sie in uns vorfinden, reicht nicht, um ihnen eine Verbindlichkeit zu geben. Ist es aber eine Klugheitsforderung, ihnen zu folgen – etwa weil sie die Ziele sind, die unserer Spezies evolutionäre Nachhaltigkeit verheißen –, dann wird auch diese Ethik wieder von anderen normativen Annahmen abhängig, etwa von dem vorausgesetzten Wert der Erhaltung unserer Spezies. Damit würden dann aber diese vorgängigen Annahmen begründet werden müssen, denn sie sind keineswegs mit der Evolutionstheorie gegeben.22 Die Frage nach der Autorität einer solchen Evolutionären Ethik lässt sich auch als der bekannte Einwand eines drohenden Naturalistischen Fehlschlusses ausdrücken: Alle Beschreibungen von Naturgegebenheiten, selbst wenn diese biologisch angelegte Ziele betreffen, sind nur Aussagen darüber was ist, aber nicht, was sein soll. Eine überzeugende Ethik muss uns aber einen Grund geben, so oder so zu handeln. Die Beschreibung eines Motivs, oder die evolutionäre Erklärung seines Auftretens, ist kein eigener Grund, in bestimmter Weise zu handeln. Damit folgt die dritte These, die direkt gegen den dritten Evolutionierungstyp in seinen beiden Varianten gerichtet ist: Eine evolutionäre Begründung der Moral kann nicht gelingen. Und doch kann man die Bedeutung der Evolutionswissenschaften für die Normative Ethik nicht unterschätzen. Es gibt im Rahmen der Normativen Ethik zwei 21 Markl 1986, S. 86. 22 Zu all dem siehe ausführlich Illies 2006.
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wichtige Evolutionierungsversuche, die wir ernst nehmen sollten, weil sie zur Verwirklichung des moralisch Gebotenen beitragen. Wie sich zeigen wird, hat das dann durchaus Bedeutung für den konkreten Gehalt ethischer Normen. Der erste Versuch betrifft das konkrete Wissen um den Menschen, der zweite den evolutionären Erfolg von moralischen Regelsystemen im Wettstreit mit anderen Handlungssystemen. Schauen wir zunächst auf das evolutionäre Wissen vom Menschen: Wir wissen immer besser, was den Menschen bewegt, worauf er reagiert und zu welchen Handlungen er unter welchen Umständen neigt, aber auch, welche Bedürfnisse er hat und welche Grenzen ihm gesetzt sind. Wenn wir davon ausgehen, dass die Moral uns Handlungsideale gibt, die wir effektiv und langfristig umsetzen sollen, sie also selbst „nachhaltig“ sein soll, wie Melissa Lane argumentiert hat, so können solche Einsichten einen wichtigen Beitrag leisten.23 Evolutionierung der Ethik (4. Typ): Evolutionäres Wissen gibt Orientierung bei der Umsetzung moralischer Normen. Evolutionär müssen wir den Mensch als Wesen nehmen, das biologische Anlagen hat, die sich in Abhängigkeit von den sozio-kulturellen Gegebenheiten entfalten und ihn in konkreten Situationen zu einem jeweils funktionalen Verhalten drängen. Eine nachhaltige Ethik muss offensichtlich genau diesen Menschen dazu bringen, moralisch zu handeln. Damit lassen sich zwei große Gebiete identifizieren, in denen das evolutionäre Wissen vom Menschen für die Normative Ethik Beiträge liefert: Erstens sind die Sozialisationsbedingungen entscheidend. Sind diese günstig, dann können sich die genetischen Anlagen in einer Weise entfalten, wie sie für moralisches Handeln förderlich ist. Eine liebevolle und bedürfnisgerechte Erziehung führt häufiger zu liebesfähigen Erwachsenen, während eine aggressive, lieblose Kindererziehung die Bildung eines gewaltbereiten Charakters; fördert.24 Und auch die Ausbildung eines tugendhaften Charakters, wie ihn in jüngster Zeit die Tugendethik wieder entdeckt hat, wird sich auf evolutionäres Wissen stützen können. So kann es zeigen, unter welchen Bedingungen Ehrlichkeit und Vertrauensfähigkeit habituell werden können oder welchen Beitrag stabile Kleingruppen zur Entfaltung menschlicher Sozialfähigkeit und Kooperationswilligkeit von Kindern leisten. Zweitens kann man die statistisch vielfach bestätigte Annahme der Sozio23 Lane 2011, S. 20. 24 Diesen Einfluss elterlicher Gewalt auf Kinder beschreiben D. Cicchetti und M. Lyncht: „[T]he individual’s internalized relationship history … molds one’s attitudes, affects, and cognitions, thus organizing the self and shaping individual development.“ (Cicchetti / Lyncht 1993, S. 103).
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biologen aufgreifen, dass Menschen wie andre Tiere ihr Verhalten den jeweiligen Umständen funktional derart anpassen, dass sie letztlich ihrer Gesamtfitness dienen. Diese Tendenz des Menschen kann für eine ,weiche Lenkung‘ der Moral aufgegriffen werden, nämlich indem die gesellschaftlichen Umstände so gestaltet werden, dass das moralisch richtige Verhalten auch funktional ist. Der Mensch scheint zum Beispiel genetische Anlagen zu haben, in bestimmten Situationen und bei bestimmten Schlüsselreizen zu Aggressionen zu neigen.25 Eine sinnvolle Nutzung evolutionären Wissen für die normative Ethik ist daher, Regeln aufzustellen, wie man vermeidet, sich oder andere in Situationen bringen, die leicht Aggressionen hervorrufen. Ein anderes Beispiel: Wenn der Mensch Anlagen hat, um soziale Anerkennung zu wetteifern, so hat es wenig Sinn, von einer völlig egalitären Gesellschaft zu träumen. Man sollte stattdessen versuchen, soziale Anerkennung an gutes Handeln zu knüpfen. Das mag dem strikten Kantianer nicht gefallen, weil er argwöhnen wird, hier werde Gift in das Ideal reiner Gesinnung getröpfelt, da dann Menschen zum Guten von außen geführt werden und es nicht Selbstzweck ihres Handelns ist. Das ist nicht ganz zu bestreiten, aber vermutlich alternativlos für eine Ethik, die auf eine nachhaltige Verwirklichung des Guten in einer nicht-idealen Welt strebt. Der Mensch ist nun einmal ein evolutionär gekrümmtes Holz, aus dem nichts ganz Gerades gezimmert werden kann. Der Ethiker wird nicht umhin können, situationsabhängig verschiedener Mittel vorzuschlagen, um dem Guten einen Weg zu bereiten. Überzeugungen und Argumente sind sicher die ideale Weise der Einflussnahme, aber auch moralische Erziehung, die weiche Lenkungen durch Anreize, die stärkere Lenkung durch Verbote und schließlich rechtlich abgesicherte Regeln müssen alle zum Repertoire einer vernünftigen Ethik gehören. Wenn man diesen erweiterten Begriff der Ethik teilt, wir das Evolutionäre Wissen auch zum Inhalt der Normativen Ethik beitragen; sie wird auch Regeln und Ideale hinsichtlich der Entfaltung der menschlichen Moralfähigkeit, aber auch hinsichtlich der moralisch legitimen Lenkung in nicht idealen Situationen enthalten müssen. Sie gibt zum Beispiel die moralische Regel, gesellschaftliche Umstände so zu gestalten, dass sie wenig Schlüsselreize zu unmoralischem Verhalten bieten und moralisches Tun eher belohnen als bestrafen. Die genannten Beispiele des ersten Gebiets sind alle auf die biologische Natur des Menschen bezogen; sie betreffen seine besonderen Eigenschaften, Entwicklungsbedingungen und Anlagen. Aber die Evolutionierung der Ethik wird auch in einem weiteren Sinne von ,Evolution‘ versucht, nämlich als evolutionäre 25 Siehe etwa Hubert Markl: „Was wirklich von Interesse an dieser universellen Aggressionsfähigkeit wäre, ist, zu verstehen, was verschiedene Leute unter gleichen oder die gleichen Leute unter verschiedenen Umständen so verschieden aggressiv macht.“ (Markl 1986, S. 82).
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Erklärung der Evolution von Moralsystemen, bzw. Verhaltensstrategien. Verschiedene Autoren haben argumentiert, dass die Darwinistische Deutung der Evolution als ein Selektionsgeschehen auch auf nicht-biologische Entitäten zutrifft, sofern sie bestimmte Bedingungen erfüllen (Reproduktion, Konkurrenz um begrenzte Ressourcen etc.). So vermuten etwa Wolfgang Wickler und Uta Seibt, dass „Selektionsgesetze“ auch für die Entwicklung kultureller Phänomene wie etwa den Moralgesetzen gelten könnten: „Wir wagen vorauszusagen, dass die vom Menschen bewusst gesetzten Normen und Weisungen denselben in der Evolution bewährten Gesetzmäßigkeiten unterliegen.“26 Da es hier nicht um genetische Selektion geht, lässt sich von einem eigenen Typ der Evolutionierung der Ethik sprechen: Evolutionierung der Ethik (5. Typ): Einsichten in die Logik evolutionärer Entwicklungen erklären, warum sich bestimmte Verhaltensstrategien gegenüber anderen durchsetzen. Solche Evolutionierungsversuche finden sich schwerpunktmäßig bei spieltheoretischen Modellen. William D. Hamilton etwa betrachtet moralische Regeln als Verhaltensstrategien und zeigt, wie sich diese mehr oder weniger gut in Konkurrenz mit anderen Strategien behaupten können. Versucht etwa jemand altruistisch zu handeln, befindet sich aber unter lauter Egoisten, so wird er langfristig nicht bestehen können, denn er gibt den anderen von den begrenzten Ressourcen, erhält jedoch nichts zurück. Anders ist es bei einem gemäßigten Altruisten, der nur denen hilft, die ihm auch helfen, also die „Wie-du-mir-soich-dir“-Strategie.27 Wenn es eine genügende Anzahl Gleichgesinnter gibt, so werden sie sich wechselseitig stärken und dadurch gegen die reinen Egoisten evolutionär behaupten können. Der gemäßigte Altruismus ist in der richtigen Umgebung besser ,angepasst‘. Die Biologen John Maynard-Smith und George R. Price haben hierfür den Begriff der „evolutionär stabilen Verhaltensstrategien“ eingeführt: Eine Verhaltensstrategie sei genau dann evolutionär stabil, wenn sie „von keiner alternativen Strategie übertroffen werden kann“, also in der Konkurrenzsituation behauptet.28 Wichtig ist, dass damit die „in der Evolution bewährten Gesetzmäßigkeiten“ für Verhaltensstrategien unabhängig davon gelten, ob sie genetisch bei dem Träger verankert sind oder nicht. Auch frei gewählte Verhaltensweisen, wie es ja moralische Regeln idealerweise sind, müssen sich behaupten, um langfristig zu 26 Wickler / Seibt 1981, S. 354. 27 Siehe hierzu die klassische Studie von Axelrod 1984. Die Strategie ist allerdings nicht in jedem Fall erfolgreich; gibt es in der Population zum Beispiel hinreichend viele Betrüger, wird sie scheitern. 28 Maynard-Smith / Price 1973.
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bestehen. Sie konkurrieren um Ressourcen (hier die Bereitschaft von Menschen, sich nach ihnen zu richten), sie „vermehren“ sich, wenn mehr Menschen ihnen folgen, und sie können aussterben, wenn weniger und weniger Menschen sie befolgen. So sind viele Regeln der Ehrenmoral in unserer Gesellschaft verschwunden, weil sie immer weniger beachtet wurden – sei es, dass die letzten Vertreter dieser Moral verstarben, sei es, dass immer weniger Menschen es für zeitgemäß hielten, nach ihnen zu leben und sich auch kaum mehr neue Menschen für sie begeisterten. Natürlich kann es viele Gründe geben, warum solche Verhaltenstraditionen verschwinden, und einer davon ist, dass Menschen nicht mehr von ihnen überzeugt sind. Anders als Valentin in Goethes Faust sieht man es in der dominanten abendländischen Kultur eben nicht mehr als moralische Pflicht, den Verführer seiner Schwester zu duellieren, während andere Kulturkreise den Ehrenmord durchaus noch praktizieren. Solche Veränderungen können durchaus durch die Kategorien der Evolutionstheorie erhellt werden: Man kann hier von dem Wandel von Strategien bei veränderten Ressourcen bzw. ,ökologischer Nischen‘ sprechen; strenge moralische Verbindlichkeiten gegenüber Familienangehörigen sind zum Beispiel nur dort überlebensfähig, wo es noch stabile Familienbande gibt.29 Daher sind solche Verbindlichkeiten in unserer gegenwärtigen Kultur evolutionär nicht stabil und machen schwächeren Formen der Verpflichtung Platz. Das zeigt die praktische Bedeutung dieser fünften Evolutionierung der Ethik: Wenn die „Nachhaltigkeit“ der Umsetzung moralischer Gebote selbst ein moralisches Gebot ist, dann sollen wir den Erfolg moralischer Strategien nicht dem Schicksal überlassen sondern in die Hand zu nehmen. Und wenn die langfristige Beständigkeit und Durchsetzung moralischer Regeln bestimmten Selektionsgesetzen folgt, dann müssen wir für die Nachhaltigkeit diese Regeln kennen und klug nutzen. Das bedeutet konkret: Einerseits müssen die moralischen Gebote und Pflichten so spezifiziert werden, dass sie gegenüber konkurrierenden Verhaltensweisen Erfolg versprechen. Ein moralisches Gebot für Rücksicht und Toleranz in einer Gesellschaft sollte zum Beispiel gegenüber denen sich beschränken, die selbst keine Toleranz kennen. Ihr Verhalten kann nur toleriert werden, solange es die Toleranten selbst nicht schädigt. Nur so kann sich das moralische Gebot der Toleranz davor
29 Wobei man die Frage stellen kann, was zuerst kommt – denn auch das Schwinden der Überzeugungen, starke moralische Verpflichtungen zu haben, trägt selbst entscheidend zur Lockerung der Familienbande bei. Aber das widerspricht nicht einer gewissen evolutionären Logik, sondern ist lediglich ein sich selbst verstärkender Prozess. So hat ein Schlauchpilz (Ophiostoma novo-ulmi) das große Ulmensterben verursacht, was zu einem weitgehenden Verschwinden der Berg-Ulmen aus Europa geführt hat – womit sich der Schlauchpilz dann seiner eigenen Grundlage beraubt.
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schützen, dem Erstarken intoleranter Gruppen in einer Gesellschaft ohnmächtig ausgesetzt zu sein. Andererseits hängt der evolutionäre Erfolg moralischer Strategien auch von den Ressourcen ab bzw. den „ökologischen Nischen“, die sie vorfinden. Komplexe und differenzierte Moralsysteme etwa werden sich nur behaupten können, wenn ein bestimmtes Bildungsniveau in einer Gesellschaft vorhanden ist, denn ungebildete Menschen neigen dazu, einfache Regelwerke zu ergreifen, mit denen sie die Welt oft holzschnittartig in Gut und Böse einteilen. (Man denke an die Anziehungskraft fundamentalistischer Ideologien in bildungsärmeren Gesellschaften.) Damit wird die Förderung der allgemeinen Bildung zu einem wichtigen Gebot einer komplex-differenzierten Moral, die auf ihre eigene Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Es ist den beiden letztgenannten Evolutionierungen der Ethik eigen, dass sie wichtiges Wissen für eine langfristige Verwirklichung des moralisch Gebotenen zur Verfügung stellen. Das Gute, so könnte man altmodisch sagen, sollte evolutionär klug sein, um sich nachhaltig gegen das Böse behaupten zu können. Die vierte These lautet damit30 : Evolutionäre Einsichten helfen die Ethik so zu erweitern, dass sie nachhaltiger wirksam wird.
IV.
Deskriptive Ethik – der Mensch als moralfähiges Vernunfttier
Zweifellos gibt es in verschiedenen Kulturen und oft auch innerhalb einer Kultur sehr unterschiedliche Moralvorstellungen. Mehr noch, all diese Vorstellungen unterliegen einem geschichtlichen Wandel: Während unsere Urgroßeltern ein uneheliches Kind als moralische Schande betrachteten, kann heute bereits ein Zweitklässler in seiner Fibel lesen: „Meine Familie besteht aus Mama, Papa, der am Wochenende kommt, und ein zweiter Papa, mit dem Mama verheiratet ist.“ All das sind Themen der Deskriptiven Ethik, Wenn die Deskriptive Ethik unterschiedliche Moralvorstellungen beschreibt, so geht es um „Moral“ in einem besonderen Sinne. Der Begriff hat nämlich eine offensichtliche Doppeldeutigkeit: Der Begriff lässt sich einerseits in einem rein deskriptiven Sinne gebrauchen. Dann steht er für die Vorstellungen des guten Handelns, die Werte und Ideale, die von einer Gruppe (oder Individuum) anerkannt werden, aber ganz unabhängig davon, wie diese zu bewerten sind. In diesem Sinne gibt es also eine (mehr oder weniger unterschiedliche, mehr oder weniger eindeutige) „Moral“ der traditionellen aschkenasischen Juden wie der 30 Vergleiche hierzu auch Illies 2007.
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Amsterdamer Jugend, der Polen und des Pol-Pot Regimes. Aber der Begriff „Moral“ kann andererseits in einem normativen (also wertenden) Sinne verwendet werden, wenn man den Anspruch erheben will, etwas sei – kulturunabhängig und aus guten Gründen etc. – richtig oder geboten. Im normativen Sinne sprechen wir etwa davon, dass Respekt und Achtung vor anderen Menschen „moralisch“ gefordert seien – oder dass Wertvorstellungen der Taliban „unmoralisch“ seien. (Ob es für allgemeine moralische Urteile wirklich gute Gründe geben kann, mag im Moment offen bleiben.) Die Deskriptive Ethik beschäftigt sich mit der Moral im ersten Sinne; sie erfasst, systematisiert und ordnet die verschiedenen Vorstellungen des Richtigen, versucht sie in Entwicklungsbeziehungen zu setzen, aber auch ihre Entstehung zu erklären. Vor allem Soziologen, jüngst etwa Ronald Inglehart und Hans Joas, haben solche Studien zur Geschichte der Moral, also der Deskriptiven Ethik vorgelegt, in denen sie den Wertewandel aus gesellschaftlichen Konstellationen zu erklären versuchen.31 Und viele Autoren, die Beiträge zur Deskriptiven Ethik lieferten, sind und waren durchaus offen für eine biologische Vorgeschichte der Moral. Herder hat so schon lange vor Darwin in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit eine Entwicklungslinie von den einfachsten Lebensformen bis zum Menschen und über ihn hinaus zur „wahren Humanität“ angenommen.32 Auch bei Hegel finden sich Überlegungen zur biologischen Voraussetzungen des Menschen als Geist- und Kulturwesen – bevor dann Darwin die Möglichkeit eröffnet, eine evolutionäre Vorgeschichte der Moral zu erzählen, die mit dem Selektionsprinzip erstmals eine plausible Erklärung für die Entwicklung bestimmter Anlagen anbietet. In seinem Hauptwerk zum Menschen argumentiert Darwin, dass Anlagen, die dem Menschen moralisches, vor allem kooperatives Verhalten ermöglichen, von großem Anpassungswert waren und sich deshalb evolutionär durchgesetzt haben dürften.33 Darwins Ansatz wird von vielen bereits zu seinen Lebzeiten begeistert aufgegriffen und dann im 20. Jahrhundert in der klassischen Verhaltensbiologie, der Soziobiologie und jüngst in der Evolutionspsychologie weiter geführt. Die Ergebnisse ergänzen sich zum Bild eines in besonderer Weise moralisch begabten, komplexen Vernunfttiers – ohne dass damit die menschliche Freiheit oder die Bedeutung seiner Kultur notwendigerweise bestritten werden müsste. Viele Erklärungen der Evolutionswissenschaften, vor allem der Ethologie, sind heute noch spekulativ, wie immer wieder kritisch eingewandt wird. Das ist nicht überraschend angesichts der Komplexität der Faktoren, die bei der Er31 Beispielsweise erklärt Inglehart 1977 den Wertwandel vor allem auf Grundlage der wirtschaftlichen Situation in der Entwicklungsphase. Zu Hans Joas siehe: Joas 1997, S. 649. 32 Herder 1989. 33 Vor allem in Darwin 1981.
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klärung einer Verhaltensweise zusammen kommen, aber vor allem auch angesichts der methodischen Schwierigkeit, biologische Anlagen von kultureller Formung scharf abzugrenzen. Dennoch lassen sich zwei Hinsichten nennen, in denen grundsätzlich ein Beitrag der Evolutionswissenschaften, also Evolutionierungen der Ethik, versucht wird. Evolutionierung der Ethik (6. Typ): Die Evolutionswissenschaften geben eine Naturgeschichte der Moral. Indem sie Erklärungen für das Auftreten bestimmter Verhaltensweisen in der Tierwelt vorlegt und so erlaubt, die Entwicklung von moralischem (oder moralanalogem) Verhalten in der Ahnenreihe des Homo sapiens zu rekonstruieren, erhellt die Evolutionsbiologie unser Verstehen der Vorgeschichte der Moral. Evolutionierung der Ethik (7. Typ): Die Evolutionsbiologie erklärt konkretes menschliches Verhalten. Ohne Frage handelt der Mensch nicht immer nach guten Gründen, sondern wird vielfach von Interessen und Anlagen bestimmt, gerade auch in moralisch relevanter Hinsicht. Wir scheinen genetische Anlagen zu haben, uns in Situationen eines jeweiligen Typs in bestimmter Weise zu verhalten (weil dieses Verhalten selektiv vorteilhaft ist bzw. im historischen Selektionskontext, dem sogenannten „Environment of Evolutionary Adaptation“ war). Beispielsweise ist Hilfe evolutionär vor allem bei nahen Verwandten vorteilhaft (da man damit indirekt die eigenen Gene weitergeben kann) – und ganz wie zu erwarten gibt es bei allen bekannten menschlichen Kulturen und fast allen Individuen eine ausgeprägte Bereitschaft dafür, nahe Verwandte zu unterstützen.34 Evolutionäre Erklärungen finden sich für Verhaltensweisen oder soziale Regeln (etwa Eheformen), aber auch für moralische Urteile, die Menschen zu fällen geneigt sind (etwa die scharfe Verurteilungen von sozialen Trittbrettfahrern). In beiden Typen der Evolutionierung vertiefen die Einsichten der Evolutionswissenschaften unser Wissen um die Moral des Menschen (im beschreibenden Sinne); sie leisten also einen Beitrag zur deskriptiven Ethik. Und dieser Beitrag scheint weitgehend unkontrovers: Da es bei der Deskriptiven Ethik ohnehin um Erklärungen für das Zustandekommen von Moralvorstellungen geht, schließen sich die Evolutionswissenschaften mit ihren spezifisch evolutionären Erklärungen (Moral als funktionale Anpassung des Homo sapiens) methodisch mehr oder weniger reibungslos an. (Meinungsunterschiede gibt es höchstens um die Vorherrschaft bzw. Reichweite der Erklärungstypen, etwa des soziolo34 Siehe dazu Vogel 2000, S. 142.
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gischen oder biologischen Typs.) Diese Erklärungen sind aber alle neutral hinsichtlich der Frage, ob es darüber hinaus auch gute Gründe gibt, bestimmte Moralregeln als gültig auszuzeichnen und ihnen eine Autorität über uns zuzusprechen. Damit folgt als fünfte These: Evolutionäre Erklärungen erhellen die natürliche Grundlage der menschlichen Moral.
V.
Schlussbetrachtung
Die sieben Weisen, in denen versucht wird, die Ethik zu ,evolutionieren‘, erreichen weniger, als Ihnen von vielen Evolutionsbiologen zugetraut wird, aber doch mehr, als viel Ethiker meinen. Es sind vor allem zwei klischeehafte (entgegengesetzte) Erwartungen, die zurückzuweisen sind: Zum einen ist die Erwartung vieler Evolutionswissenschaftler zu nennen und zu kritisieren, mit einer evolutionären Erklärung zugleich das Phänomen Moral naturalisiert zu haben – und die traditionellen Vorstellungen einer Moral damit hinter sich lassen zu können. Dieses Klischee der Evolutionswissenschaften als Universalwissenschaften ist nicht haltbar. Ebenso wenig haltbar ist allerdings auch die Erwartung von Seiten der Traditionellen Ethik, dass man sich problemlos gegen die empirischen Wissenschaften hermeneutisch abschotten könne, weil es sich um zwei gänzlich unterschiedliche Herangehensweisen bzw. Diskurse handele. (Wittgenstein schreibt im Tractatus: „Die Darwinsche Theorie hat mit der Philosophie nicht mehr zu schaffen als irgendeine andere Hypothese der Naturwissenschaft.“35) Mit den fünf Thesen argumentiere ich, dass diese Abgrenzung keineswegs vollständig und sicher nicht sinnvoll ist. Eine auf nachhaltige Wirksamkeit bedachte Ethik ist gut beraten, sich auf diese Begegnung einzulassen, weil moralische Forderungen stets Gestaltungsaufgaben für empirische Wesen in einer empirischen Wirklichkeit sind. Die Ethik wird sich durch die Begegnung mit der Evolutionstheorie ändern – aber das ist keine schlechte Nachricht, denn sie kann von der Begegnung profitieren. Sie wird mehr über die Voraussetzungen und Mechanismen dafür erfahren können, dem moralisch Richtigen dauerhaften Bestand zu geben. Oder um im eingangs gewählten Bild zu bleiben: Die Ethik sollte die Evolutionswissenschaften durchaus als Gast in ihrer Kammer herzlich willkommen heißen; denn der Besuch könnte fruchtbar sein. Aber das gilt nur, solange die Wissen35 Vergleiche Wittgenstein 2003, Satz 4.1122.
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schaften den Anstand wahren und nicht meinen, sich in den Räumen der Ethik nicht ganz wie zu Hause benehmen zu können.
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Erwin Dirscherl
Zwischen Anfang und Ende, Sprache und Zeit. Die Frage nach der Geschöpflichkeit des Menschen angesichts des Anderen
This talk deals with the relation between creation and revelation, language and time that can be found in the creation narratives of the Bible. Why are these phenomena correlated? It comes into one’s mind that God creates the world by speaking (Gen 1:2 – 2:4a) and approaches human being speaking. The speaking of God signifies the relation of God and time. What have language and time to do with each other? Human being as image of God (imago Dei) is enabled to language and to the answer to God’s word. In time there evolves a Dialogue between God and human beings. What or who encounters human being in time? An interpretation is not possible before that, what happens in time, is brought up to talk. But this interpretation demands a decision, because what happened before is ambiguous. This opens up the timeframe of human liberty and responsibility.
1.
Die Entzogenheit von Anfang und Ende als Phänomen der Bezogenheit: Passivität und Gegebenheit in der Zeit
Die Frage nach dem Anfang und dem Ende unseres Lebens stellt sich nicht nur hinsichtlich der ganzen Menschheit, sondern auch hinsichtlich unserer je eigenen Biografie. Blicken wir auf die Phänomene von Geburt und Tod, so stellen wir fest, dass wir weder am Anfang noch angesichts des Endes gefragt worden sind oder gefragt werden, ob wir in das Leben hinein oder aus ihm heraus wollen. Beides geschieht ohne unser Zutun. Auch den Tod werden wir erleiden, ob wir es wollen oder nicht. Andere haben über den Beginn unseres Lebens entschieden, und in der Konfrontation mit dem Tod werden wir eine letzte Ohnmacht erfahren. Angesichts dieses Phänomens sprechen wir in der Theologie von einer Verfügtheit oder einer grundlegenden Passivität des Menschseins. Martin Heidegger hat in seiner Existentialontologie den Begriff der Geworfenheit des Menschen geprägt. Wir leben, ohne dies selber konstituiert oder gewollt zu
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haben. Entscheidendes ist schon vor unserer Zeit geschehen, wenn wir auf die Welt gekommen sind. Wir stehen in einer Beziehung zu unserem Anfang und zu unserem Ende, die uns aufgegeben ist. Diese Beziehung bleibt rätselhaft und durchbricht die Grenzen des Kontrollierbaren und des sicheren Wissens. Die Frage nach unserem Ursprung führt uns, mit den Worten des jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas gesagt, in eine unvordenkliche Vergangenheit.1 Der Anfang unseres Lebens entzieht sich unserer Erinnerung, er entzieht sich einer Vergegenwärtigung und eines begreifenden Zugriffs. Unser Anfang liegt vor unserer Zeit und hat doch mit unserer Zeit zu tun. Und der Tod ist jenes Dunkel, das es uns auch nicht ermöglicht, in die Zukunft jenseits unseres Lebens hineinzublicken. Wir sind auf unseren Anfang und auf unser Ende bezogen in einer rätselhaften Verfügtheit oder Passivität. Angesichts dieser Bezogenheit leben wir unser Leben in Beziehungen, ohne die wir nicht leben könnten, aber derer wir nicht Herr sind. Denn es gibt auch die anderen Menschen, die Bezogenheit zur Welt mit der Vielfalt der Lebewesen und zum Kosmos. So wie ich über meine Geburt nicht Herr war, so kündigt auch der Tod ein Ereignis an, über das das Ich nicht Herr sein kann. Wenn man unter dem Subjektsein des Menschen auch seine Selbstkonstituierung oder Selbstsetzung verstehen sollte, dann ist in Bezug auf diese Phänomene das Subjekt nicht mehr Subjekt. Das Subjekt ist angesichts des Todes überwältigt, gefesselt und passiv. Levinas zieht daraus die Konsequenz: „Nicht vom Nichts des Todes, von dem wir genau nichts wissen, muss die Analyse ausgehen, sondern von einer Situation, in der etwas absolut Unerkennbares erscheint, absolut unerkennbar, das heißt fremd gegenüber jedem Licht, jedes Übernehmen einer Möglichkeit unmöglich machend, von einer Situation, in der jedoch wir selbst ergriffen werden.“2
Der Tod bedeutet ein einzigartiges Verhältnis zu unserer Zukunft, die nie Gegenwart werden kann, die wir nicht ergreifen können. Er bedeutet für das Subjekt Herrschaftsverlust. Das Ereignis des Todes zeigt, dass dem Menschen etwas widerfahren kann, ohne dass es das geringste Apriori dafür gibt, ohne dass man dies immer schon verstehen könnte. Auch wenn der Tod noch nicht eintritt, ist er von Anfang an in unserer Nähe. Das Nahen des Todes zeigt möglicherweise, dass das Subjekt eine Beziehung zu etwas absolut Anderem hat, das die Anderheit nicht wie eine vorläufige Bestimmung trägt. Die Beziehung zu dem absolut Anderen angesichts des Todes ist dem Subjekt gegenüber außerhalb, jenseits. Das Verhältnis zu diesem Anderen ist das Verhältnis zu einem Ge1 Vgl. Levinas 1985, S. 218. Vgl. zu den folgenden Überlegungen auch Dirscherl 2006. 2 Levinas 1989, S. 44.
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heimnis und nicht eine idyllische oder harmonische Beziehung. Es konfrontiert uns wie die Frage nach dem Anfang mit einer rätselhaften Diachronie. Die Entzogenheit meines Anfangs und meines Endes verweist auf das Phänomen einer unserer Verfügung entzogenen Zeit. Wir kennen unsere Alltagssprache, in der wir sagen: Ich habe Zeit oder ich habe keine Zeit, ich nehme mir die Zeit oder ich nehme sie mir nicht. Dies suggeriert uns, wir könnten über die Zeit verfügen. Ist dem aber so? Die Beziehung zu dem uns entzogenen Anfang und dem uns entzogenen Ende verweist auf ein an-archisches, d. h. ursprungsloses Verhältnis zur Zeit. Unsere Zeit beginnt ohne unser Zutun, die Zeit geschieht in jenen Beziehungen, in die wir unverfügbar hineingestellt worden sind und in denen sich dann unser Leben ereignet. Wir leben von dem, was wir selbst nicht gewollt oder konstituiert haben. Wir leben von Beziehungen und von einer Zeit, die uns grund-los, insofern an-archisch, ursprunglos geschenkt worden sind – Gnade des Anfangs. Der Anfang unseres Lebens und unserer Freiheit ist ein entschiedener, insofern über ihn schon entschieden worden ist. Diese Verfügtheit und grundlegende Passivität des Menschseins geschehen von einem Jenseits der Zeit her. Wir können uns nicht in unseren Ursprung oder in unser Ende bruchlos hineindenken, wir können über beide nicht mit einem sicheren Wissen verfügen. Darauf zielt der Begriff der unvordenklichen Vergangenheit, und man kann sagen, dass auch die Zukunft unausdenkbar ist. Die Grenzen unserer Existenz verweisen auf Brüche, auf Differenzen zu jenem rätselhaften Anderen, das über uns verfügt hat. Anfang und Ende unserer Existenz lassen uns Zeit, aber begrenzen sie auch. Angesichts von Geburt und Tod, Ursprung und Ende der Menschheit erkennen wir die Begrenztheit unserer Existenz. Aber in dieser Begrenzung bekommen wir es mit der Frage zu tun, was sich jenseits der Grenze tut oder aufhält. Angesichts dieses Grenzphänomens stehen wir vor der Frage, ob wir, mit einem schönen Bild Karl Rahners gesprochen, die kleine Insel, auf der wir leben, oder den grenzenlosen Ozean, der diese Insel umgibt, für das Ganze der Wirklichkeit halten. Es gibt möglicherweise eine Verfügtheit und radikale Abhängigkeit von jenem Anderen, den wir Gott nennen und der den Menschen frei-setzt. Diese Setzung bedeutet Geschöpflichkeit bzw. Kreatürlichkeit, die dem Menschen absolut vorgegeben ist und sich seiner Verfügungsgewalt entzieht. Die unverfügbare Verfügung durch den rätselhaften Anderen stellt den Menschen in eine Verantwortung. Denn er ist sich selber aufgegeben und hat seine Verantwortung schon immer übernommen. Was bedeutet die rätselhafte Verfügtheit des Menschen angesichts der Unverfügbarkeit? Was hat es mit dem Wovonher und Woraufhin des Menschen auf sich? Der Alttestamentler Erich Zenger spricht vom Geheimnis der Schöpfung als
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ethischer Vor-Gabe an Juden und Christen.3 Diese Gabe der Schöpfung wird zur Aufgabe für den Menschen. Karl Rahner beschreibt die Schöpfung als ein absolut einmaliges Verhältnis, das es nicht erlaubt, dieses als Fall, Anwendung, Extrapolation oder Steigerung eines innerweltlichen ursächlichen oder funktionalen Zusammenhangs zu denken.4 Schöpfung bedeutet die Setzung eines geschöpflichen Seienden und seiner Zeit, „welche Setzung gerade nicht in die Zeit eingeht, sondern deren Grund ist“.5 Schöpfung ist für Rahner ein Geschehen, das jenseits der Zeit passiert, jenseits der Zeit des Menschen, der keine Macht über dieses Geschehen hat. Die Schöpfung setzt den Menschen und seine Zeit. Insofern ist die Schöpfung kein Einzelfall eines kausalen Verhältnisses, weil die Zeitlinie, die es ermöglichen würde, ein synchrones Begründungsgeschehen von Ursache und Wirkung zu denken, radikal unterbrochen ist und sich von daher der Theologie die Aufgabe stellt, den Menschen in seiner Kreatürlichkeit als radikal von Gott abhängig anzusehen. Die Schöpfung wird als Voraus-Setzung verstanden, die am Anfang geschieht. Mit ihr ist eine radikale Differenz zwischen Gott und dem Menschen gegeben, weil dieser sich von Gott absolut unterscheidet. Rahner formuliert, dass in der Schöpfung Gott das Andere bzw. den Anderen von sich ab-setzt.6 In dieser Differenz aber kann eine freie Beziehung des Menschen zu Gott passieren, die sich einer Bezogenheit des Menschen auf Gott hin verdankt. In dieser Bezogenheit gründen die menschliche Freiheit, seine Herkunft und Zukunft. Das Gründen aber ist durchkreuzt von einer Grundlosigkeit dieses Geschehens, weil die Schöpfung die Voraussetzung für die Offenbarung, für die heilvolle Nähe Gottes bei den Menschen ist, die all unserem Tun vorausgeht – aus Gnade. Das bedeutet für den Menschen: „Ich bin nicht ursprünglich. Ich komme hernach. Ich finde von Geburt an eine Schöpfung vor, die schon gesprochen worden ist, hoheitlich, souverän, denn eben dies hat sie zur Schöpfung gemacht. Ich kann also nur antworten, meinerseits das Wort ergreifen. Ich bin geschaffen. Diese Vergangenheit und diese Gegebenheit bezeichnen einen geschehenen Abschluß. Ich komme erst hernach.“7
3 Vgl. Zenger 1985. 4 Vgl. Rahner 1976, S. 84. 5 Ebd., S. 85. Dieses Phänomen wird im Denken von Levinas zum Anlass genommen, die Diachronie im Denken von Zeit und Ewigkeit hervorzuheben. Es geht um eine Zeit, die als vom Schöpfer gesetzte etwas ganz anderes bedeutet als die Zeit, welche vom Bewusstsein in eine synchronisierbare Abfolge gebracht werden könnte. Denn am Ursprung der Zeit wie an ihrem nichtverfügbaren Ende scheitert jede Synchronisierungs- (Vergegenwärtigungs-) bzw. Vorstellungsleistung des Subjekts. 6 Vgl. Rahner, K., Art. Schöpfungslehre, in: HTTL 6. 7 Gisel 1988, S. 54.
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2.
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Schöpfung als Wortgeschehen: Der sprechende Gott und der angesprochene Mensch
Die so genannte Urgeschichte in den ersten Kapiteln der Genesis entfaltet auf narrative Weise Grundzüge der menschlichen Wirklichkeit, die aufgrund vielfältiger Erfahrungen zur Sprache drängen. Es wird eine Ur-Geschichte erzählt, die als Ätiologie bezeichnet werden kann,8 da bestimmte Erfahrungen in eine unvordenkliche Anfangszeit der Welt mythologisch und theologisch zurückversetzt werden. Gen 1,1 eröffnet diese Urgeschichte: „Im (Als) Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Im Folgenden wird erzählt, dass Gott schafft, indem er spricht. Dieses Sprechen Gottes hat mit seinem Atem, mit seiner Ruah (Geist) zu tun. In Gen 1,2 lesen wir, dass Gottes Geist über den Wassern schwebt, und dann beginnt Gott, in diesem Atem zu sprechen und schafft in der Scheidung von Licht und Finsternis die Zeit. Auch in dem anderen Schöpfungsbericht von Gen 2,4b–25 kommt der göttliche Atem, die Seele des Menschen, ins Spiel. In Gen 2,7 heißt es: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ Hier wird im Hebräischen mit den Worten adam (Mensch) und adama (Erde) gespielt. Der Mensch ist von der Erde, vom Staub genommen und wird durch Gottes Atem belebt. Durch den Geist Gottes wird er zu einer lebendigen Seele (nefesch hachajim). Der Mensch lebt aus einer Bezogenheit zu Gott, der ihn belebt und in die Wirklichkeit setzt. Der Mensch ist zutiefst an die Materie gebunden. Aber die Erde bedeutet nicht nur die Materie, aus der er geschaffen ist und in die er zurückkehrt (Gen 2,7; 3,19), sondern der Mensch ist auch kulturfähig: Ihm kommt die Aufgabe zu, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Er unterscheidet sich in dieser Erzählung grundlegend von den Tieren, weil er den Lebensatem von Gott erhält, ein inspiriertes Lebewesen ist. Dieses Bild vom Einhauchen des Atems wird auch in der Überlieferung des Neuen Testaments im Zusammenhang mit der Sendung des Heiligen Geistes wieder begegnen. Der Atem bedeutet Leben und befähigt zur Sprache. Der fundamentale Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf bedeutet eine Bezogenheit in dieser Differenz, die durch die Metaphorik des Atems zur Sprache gebracht wird. Gott schenkt dem Menschen das Leben, und dieses Leben findet der Mensch in der Bezogenheit auf Gott, in der er immer schon steht, von Anbeginn an. Als Gott der Herr den Menschen in den Garten Eden setzt, da beginnt er zum
8 Aitia bedeutet im Griechischen Anfang, Ursprung oder Ursache.
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Menschen zu sprechen. Der Mensch ist nicht nur jener, der durch Gottes Atem und Wort geschaffen wird, der ausgesprochene Mensch, sondern er ist auch der angesprochene und beanspruchte Mensch: „Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben.“ (Gen 2,16 f) Nach dieser Beanspruchung spricht Gott: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ (Gen 2,18) Diese soll auch helfen, der Beanspruchung gerecht zu werden. Das Schaffen des Menschen in der Dualität von Mann und Frau ist bleibend mit einem Sprechen Gottes verbunden, und es entfaltet sich in der Paradieseserzählung immer mehr ein Dialog zwischen Gott und dem Menschen. Als Gott der Herr alle Tiere schafft und dem Menschen zuführt, will er sehen, wie der Mensch sie benennen würde. Der Mensch gibt den Tieren Namen zur Unterscheidung von sich selbst und zur Differenzierung untereinander. Hierin liegt eine Auszeichnung des Menschen und der Sprache. Denn der Name kann als das innerste Wesen der Sprache verstanden werden. Gott schafft, indem er spricht. Benennt nicht Gott zunächst das, was er schafft und gibt er so nicht allem seine je unterschiedliche Bedeutung in der Zeit? „Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: Ein Tag.“ (Gen 1,5) An diesem schöpferischen Sprechen erhält der Mensch Anteil. Walter Benjamin zieht daraus die Konsequenz: „Der Mensch ist der Nennende, daran erkennen wir, dass aus ihm die reine Sprache spricht. Alle Natur, sofern sie sich mitteilt, teilt sich in der Sprache mit, also letzten Endes im Menschen. Darum ist er der Herr der Natur und kann die Dinge benennen. Nur durch das sprachliche Wesen der Dinge gelangt er aus sich selbst zu deren Erkenntnis – im Namen. Gottes Schöpfung vollendet sich, indem die Dinge ihren Namen vom Menschen erhalten, aus dem im Namen die Sprache allein spricht.“9
Im Namen teilt sich die Sprache selbst mit, die das geistige Wesen des Menschen ausmacht. Sprache bedeutet für Walter Benjamin restlose Mitteilbarkeit und rückt so an das Sprachgeschehen von Gott her, an die Offenbarung heran. „Durch den Namen wird Offenbarung ausgesprochen.“10 Für Benjamin ist der Atem, den Gott dem Menschen einbläst, Leben und Geist der Sprache.11 Die Sprache Gottes schafft und vollendet im Benennen – diese Sprache entlässt Gott im Menschen frei aus sich. Im menschlichen Namen berühren sich Gottes Unendlichkeit und menschliche Sprache, denn im Eigennamen, der uns gegeben wird, ist jedem Menschen seine Erschaffung durch Gott verbürgt und in diesem 9 Benjamin 1980, S. 144. 10 Wohlmuth 1996, S. 81. 11 Vgl. Benjamin 1980, S. 147.
Zwischen Anfang und Ende, Sprache und Zeit
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Sinne ist der Mensch selber schaffend. Die ur-sprüngliche, reine Sprache des Paradieses aber wird durch einen Bruch gestört werden. Im Sprechen entscheidet sich die Bedeutung der Wirklichkeit des Menschen. Und im Sprechen scheidet und unterscheidet Gott die Schöpfung, setzt er sie in Differenz zu sich und in der Differenziertheit der Lebewesen, die die Schöpfung bevölkern werden. Im Sprechen geschieht eine Nähe in Differenz, in Unterschiedenheit und Geschiedenheit. In der Sprache wird Beziehung gestiftet und Wirklichkeit geschaffen. Die Wirklichkeit kann zur Sprache kommen und die Wirklichkeit verdankt sich dem Sprechen Gottes. Auch die Beziehungen des Menschen zur Natur, zum Anderen und zu Gott geschehen wesentlich in der Sprache. Der Dialog mit der Schlange zeigt, dass die Kommunikation zwischen dem Menschen und seiner Natur nicht immer glückt, sondern gestört wird, dass er die Natur missverstehen kann. Das, was von Gott her am Ursprung gesprochen worden ist, lässt dem Menschen den Freiraum der Deutung. Daher ergibt sich der Zusammenhang zu jenem Ursprungswort Gottes nicht eindeutig. Diesen Spannungsbogen greift auch der Prolog des Johannesevangeliums im Neuen Testament auf. Dort heißt es: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,1 – 5)
Wie kommt das Wort Gottes, das Ursprungswort, wirklich zur Sprache? Dies kann nur im menschlichen Sprechen und in der Antwort auf das Wort Gottes geschehen.12 Die Rede von der Schöpfung ist für Gisel notwendig, weil sie sagen muss, dass das Wort nichts wäre ohne die ihm zugehörige Welt, nichts ohne die Schöpfung, die sie nur bezeugen, auf die sie nur zurückverweisen kann. Diese These geht sehr weit. Joseph Ratzinger drückte es in einem Interview über „Gott und die Welt“ ähnlich aus, wenn er sagte, dass unser Gottesverhältnis sich über Menschen entwickelt: „Gott wollte es so, dass er durch Menschen zu uns kommt…“13 Gisel und Ratzinger beziehen sich implizit auf das christliche Offenbarungsverständnis, wonach Gottes Wort im Menschenwort gegeben ist. Die spannende Frage der Schöpfungstheologie ist also auch, ob und wie sich Gottes Wort in der menschlichen Antwort ereignet, wie der Mensch dieses SchöpferWort und die Schöpfung bewahrt.14 Die Beziehung des Schöpfers zu seinen Geschöpfen geschieht wesentlich in der Sprache, die die Zeit mit Bedeutung erfüllt. Die neutestamentliche Tradition bezeugt, dass das Wort Gottes Mensch 12 Vgl. Dirscherl 2004. 13 Ratzinger 2000, S. 79. 14 Vgl. Bröker 1999, der von der „Schöpfung als Auftrag“ spricht.
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wird in Jesus Christus. Dies bezeichnet den Akt der Schöpfung als Neuschöpfung und verweist noch einmal auf die Bedeutung des Wortes für die Rede vom Leben und der Zeit des Menschen. Johannes Paul II. hat betont, dass aufgrund dieser Spannung der Text der Bibel nicht eindeutig ist, sondern mehrdeutig. Er muss immer wieder neu gedeutet werden. Der angesprochene Mensch kann dem Wort Gottes entsprechen, wenn er mit seinem Leben antwortet und eine Deutung wagt in der Uneindeutigkeit und Ambivalenz seines Lebens. Das Wort kann unterscheiden und scheiden, es kann trennen und zusammenführen. Das Wort überbrückt die Differenz zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung, es erfüllt die Zeit mit Bedeutung und stiftet Beziehung oder es kann Beziehung zerstören und spalten. Was wird in der Beziehung, in der Zeit zwischen Gott und den Menschen geschehen? Beides wird geschehen, das Glücken und das Scheitern des Lebens, das Stiften und Zerstören von Beziehung, Heil und Schuld, Versöhnung und Sünde. Das Wort eröffnet einen Raum des Lebens und der Deutung, einen Freiheitsraum. Aber dieser Freiheitsraum verdankt sich dem ersten Wort Gottes, das ursprunglos vorausgeht und von dem die Hl. Schrift narrativ kündet. Die Deutung der Theologie ist schon Antwort, Antwort auf sie angehende Wirklichkeiten und Forderungen. Eine christliche Rede von der Schöpfung des Menschen hat nichts zu tun mit einer Spekulation über die Anfänge der Welt. Gegenstand der Schöpfungsrede ist nicht der Grenzbereich unseres Wissens, sondern die Frage nach der Schöpfung als Gabe und unverdiente Gnade im Sinne eines grundlosen Geschehens: Creatio est gratia, die Schöpfung ist schon Gnade aus dem Wort Gottes, sie ist gegenwärtig und geschichtlich wie alle Gnade.15 Die Schöpfungslehre hat dann ihre theologische Bedeutung, wenn sie sich als notwendige Interpretation einer Praxis und eines Bekenntnisses des Glaubens zu erkennen gibt, einer Praxis, wie sie der jüdischen und christlichen Tradition zu eigen ist. Die Geschichte wird in der Bibel konkret und nicht abstrakt gedacht. Sie wird als unzusammenhängende, d. h. nicht in einem System darstellbare Geschichte von Geschlechtern gesehen (toledot), als eine Geschichte von Menschen, die das Wort übernehmen. Jeder und jede verwirklichen in voller, aber endlicher Eigenständigkeit ihre Verantwortung. Die Geschichte wird als Geschlechterabfolge zusammengefasst, so wie es auch zu Beginn des Matthäusevangeliums geschieht, wenn Jesus in und aus dieser Geschichte heraus gedeutet wird. Die Geschichte der Menschen kann metaphorisch nur als Geschichte von Kindern erzählt werden. Es ist die Geschichte derer, die wissen, wie bedeutsam es für sie ist, dass die Welt bereits gesprochen wurde durch das Wort jenes Schöpfers, der tatsächlich und endzeitlich die Gestalt eines Vaters hat und sich sorgend in der 15 Vgl. Gisel 1988, S. 27.
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Nähe der Schöpfung hält. Es ist notwendig, dass das Wort gesagt worden ist, damit die Menschen ihrerseits die Welt ins Wort bringen können.16
3.
Der inspirierte Mensch zwischen Staub und Geist: Der biblische Seelenbegriff
Der hebräische Begriff für Seele, nefesch, liegt nahe an der Bedeutung für ruah, Wind, Atem oder Lebendigkeit. Der Mensch ist ein lebendiges und beatmetes, in-spiriertes Wesen. Der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas sagt mit Blick auf den biblischen Seelenbegriff, dass der menschliche Körper seinen Platz ganz unten, auf der Ebene des Tuns und der Arbeit hat, wohingegen seine Seele sich ganz oben, beim Thron des Herrn befindet und dessen Atem ist. Er interpretiert nefesch als jenen Lebensatem, mit dem Gott den Menschen zum Leben erweckt, als ruah, als Atem des belebenden und sprechenden Gottes. Damit steht die Seele für die Beziehung zum Lebensgrund, zu Gott. Levinas spricht davon, dass die Seele in Gen 2,7 den Menschen in jenem Moment bezeichnet, da der göttliche Atem in die Nasenlöcher jenes Körpers eindrang, den Gott mit dem vom Erdboden genommenen Staub gebildet hatte.17 Hier bezieht er sich auf die Auslegung des Rabbi Chajim Woloszyner und sein Buch über die Seele des Menschen. Aufgrund der Seele sind die Taten, Worte und Gedanken des Menschen, mit den Geboten der Tora übereinstimmend oder ihnen entgegengesetzt, dasjenige, was die Verbindung Gottes zur Welt bedingt, stört oder blockiert. An dieser Beziehung hängt das Sein oder Nichtsein der Kreatur. Levinas sagt: „Gott hätte folglich den gesetzes(treuen) Menschen gebraucht, um die Welt zu beseelen, zu heiligen, zu erleuchten und auf diese Weise existieren zu lassen. Jeder Mensch aber ist so verantwortlich für Leben und Tod aller anderen Welten und Menschen.“18
In der Seele ist das schöpferische Wort Gottes in den Mund des Menschen gelegt worden und von seiner Treue zum Gesetz hängt Sein oder Nichtsein des Universums ab. Auch Jesus spricht in seiner Deutung des Alten Testaments dem Menschen eine einzigartige Bedeutsamkeit für die Nähe Gottes in der Welt zu und ruft ihn ebenfalls in eine einzigartige Verantwortung für das Heil der Welt. Die Seele steht für die unmittelbare Gottesbeziehung des Menschen, die sich auch im Gebet artikuliert. Und so kann Levinas fragen, ob nicht das Beten die
16 Vgl. Ebd., S. 54. 17 Vgl. Levinas 1985, S. 63. 18 Ebd., S. 65.
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Seele selbst ist, ob nicht der Vers in Dtn 5,6: „Du wirst den Herrn, deinen Gott, mit ganzer Seele lieben!“, genau davon spricht. Auch Joseph Ratzinger, der ebenfalls den Schöpfungsakt analog mit einem Sprechakt vergleicht, sieht den Menschen in einer Situation des Angerufenseins und die Bedeutung des Seelenbegriffs darin, dass er den Menschen als Dialogpartner Gottes anzielt. „… eine geistige Seele haben heißt: Ein Wesen sein, das von Gott auf ewigen Dialog hin gerufen und darum seinerseits fähig ist, Gott zu erkennen und ihm zu antworten.“19 Die Seele ist ein Beziehungsbegriff, der mit dem Sprechen Gottes und dem ausgesprochenen bzw. angesprochenen Menschen zu tun hat und genau für diese unmittelbare Beziehung steht. Der aus Staub gebildete Mensch ist von Gottes Atem in-spiriert und dies macht die Geistigkeit des Menschen aus. Der biblische Seelenbegriff lässt sich nicht in einen rein geistigen Seelenbegriff überführen, er lässt sich nicht ohne die vergängliche Leiblichkeit des Menschen verstehen. Der Begriff einer „unsterblichen“ Seele ist nur von diesem gnadenhaften schöpferischen Sprachgeschehen Gottes her zu deuten, insofern die Gottesbeziehung des Menschen vom Tod nicht bezwungen werden kann, wie es letztlich die Auferweckung Jesu Christi offenbart. Die Seele steht für eine Unsterblichkeit des Menschen, die ganz und gar in der Gabe und im Willen Gottes gründet: Unsterblichkeit aus Gnade. Sie kommt dem Menschen nicht an und für sich zu, sondern nur aus einer geschenkten Gottesbeziehung heraus. Der Mensch ist Seele als angesprochenes Gegenüber Gottes und er ist Leib, weil die Beziehung zu Gott leibhaftig in der Beziehung zu den Anderen geschieht. Insofern das Leben geschenkt ist und nicht in uns seinen Ursprung hat, ist es unverfügbar und unbedingt gegeben. Wir leben von einem Anderen her. Die Inspiration öffnet den Menschen bis hin zum Phänomen des Bewusstseins und des Geistes, bis hin zur Fähigkeit, ein Wort Gottes hören und empfangen zu können. Der Mensch ist capax infiniti bzw. capax dei (fähig, sich für das Unendliche/Gott zu öffnen). Man kann mit gutem Recht von einer relationalen Identität des Menschen sprechen, von der her auch der Begriff der Personalität theologiegeschichtlich entwickelt werden wird.20 Die abendländische Philosophie hat ein Verständnis des Menschen als Subjekt auf den Weg gebracht, das vor allem das Phänomen der Freiheit, der Selbstreflexivität und des Selbstbewusstseins hervorhob. Das bedeutet, dass jeder Mensch einen Weg der Selbstwerdung gehen muss, dass eine innere Beziehung zwischen seinem Ich und seinem Selbst gegeben ist. Diese Beziehung aber kann nur zeitlich und leibhaftig gedacht werden. Die Inspiration durch Gott in meiner Leiblichkeit ermöglicht mein Leben. 19 Ratzinger 1968, S. 263. 20 Vgl. dazu auch Müller 1995, S. 110 f.
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Levinas nennt das die inspirierte Inkarniertheit des Menschen, der ein Herz hat und zur Güte fähig ist. Capax infiniti bedeutet bei ihm, fähig zu unendlicher Güte zu sein. Die Inspiration lässt mich anders werden, ohne mich zu entfremden, sie bedeutet, dass ich mich dem Anderen öffnen und geben, mich mitteilen kann in der Sprache und in der Geste. Die Inspiration ist der Psychismus der Seele, meine Offenheit für den Anderen. Diese Beziehung bedeutet Atmen als Transzendenz und als Entschlossenheit. Der In-spiration entspricht im biblischen Kontext auch eine Ex-spiration, ein Aushauchen der Seele. Levinas spielt auf Dtn 34,5 an, wie es von den Weisen Israels gedeutet wird. Hier wird das Aushauchen der Seele des Mose, auf einen Kuss Gottes hin, das Aushauchen als Tod auf Geheiß in Passivität und Gehorsam zur Sprache gebracht. Die In-spiration bedeutet Inspiration bis zum Ende, bis zum Aushauchen im Tod. Dazu bedarf es eines langen Atems. Levinas sagt, dass der Begriff Geist vielleicht den „längstmöglichen Atem“21 gegenüber dem zu kurzen Atem der Animalität bedeutet. Gott schenkt uns diesen langen Atem, der uns leben lässt und die Hoffnung gibt, dass dieser Atem uns auf verwandelte Weise über den Tod hinaus beleben wird: Längstmöglicher Atem in seiner Entgrenztheit auf die Ewigkeit hin. Er fordert uns im Leben und in der Zeit Geduld ab, einen langen Atem in der Offenheit für Gott und den anderen Menschen. All dies liegt im Begriff der Seele beschlossen: Beanspruchung im Angesprochensein – der lange Atem, der in der Zeit gefordert wird, ist uns schon eingehaucht.
4.
Die Beziehung zum Anderen als Stellvertretung und Nachfolge Gottes in der Zeit: Der Mensch als imago dei
Die Verse in Gen 1,26 – 28 sind entscheidend für den Kern biblischer Anthropologie: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.“
In dieser priesterschriftlichen Tradition bedeutet die Gottebenbildlichkeit eine königliche Erwählung. Im ägyptischen Kontext ist diese Qualifikation aus21 Vgl. Levinas 1992, S. 388.
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schließlich dem Pharao vorbehalten. Dieser steht mit dem Schöpfergott Re in einem Abbildverhältnis, das auch in Darstellungen des Königs realisiert wurde. Mit Erich Zenger kann man formulieren, dass in diesem Denken der König als Bild des Schöpfergottes verstanden wird, insofern er in der Person des Schöpfers handeln kann. Er handelt aber nicht als Schöpfer, sondern wie der Schöpfer.22 Wenn nun in Gen 1 die Gottebenbildlichkeit auf den Menschen bezogen wird, dann wird ihm eine königliche Funktion und Bedeutung zugesprochen. Der Hintergrund der ägyptischen Königsidee spiegelt sich in dem hebräischen Wort selem, Standbild eines Königs oder Gottes, wider. Der andere Begriff, der verwendet wird, lautet demuth und meint eine Ähnlichkeit. Zenger spricht von einer dreifachen Bedeutung der Metapher „Bild Gottes“ und fasst diese wie folgt zusammen: „(1) Wie ein König die Lebensordnung der Schöpfung zu sichern und zu schützen; (2) wie ein Götterbild Erscheinungsweise und Offenbarungsmedium göttlicher Wirkmächtigkeit auf der Erde zu sein; (3) wie ein Verwandter/Sohn Gottes die Welt als das ihm zugewiesene Heimathaus/Vaterhaus zu verwalten und liebevoll zu gestalten.“23
Die priesterschriftliche Tradition hat eine funktionale Anthropologie in der Rede vom Bild Gottes im Blick und bestätigt auch die Hirtenmetapher, die in Gen 1,26 im Kontext des so genannten Herrscherauftrags angezielt ist. Der Mensch erhält die Bedeutung, im Namen Gottes ein guter Hirte der Schöpfung zu sein. Alle Menschen sind königliche Beauftragte des Schöpfergottes. Das Wort radah, das oftmals mit ,herrschen‘ übersetzt wird, bedeutet für Zenger das Umherziehen des Hirten mit seiner Herde, der sie auf eine gute Weide führt und die Tiere gegen alle Gefahren schützt. Ein solcher Hirte ist von alters her Bild für die Amtsführung eines guten und gerechten Königs, der sich ganz für sein Volk einsetzt, vor allem die Rechte der Schwachen schützt und somit ein gelingendes Leben für alle garantiert. Der Mensch erhält ein königliches Hirtenamt, die Metaphern des Bildes Gottes und des Hirten gehören eng zusammen. Von daher ist auch die Bedeutung der Kultur zu verstehen.24 Mit dieser Bestimmung der Gottebenbildlichkeit ist Entscheidendes über den Menschen gesagt: Es ist entschieden, dass der Mensch Stellvertreter bzw. Stellvertreterin Gottes in der Welt und in diesem Sinne Repräsentant/in Gottes ist. Die Bedeutung der Abbildlichkeit liegt in der repraesentatio dei im Sinne einer dynamischen, in der Zeit auszuübenden Entschiedenheit. Diese Bedeutung der Gottebenbildlichkeit hat der Mensch immer schon empfangen, er hat sie nicht selbst konstituiert. Der Mensch ist in diese Bedeutung eingesetzt – damit ist schon über ihn entschieden und von dorther erhält der Mensch seine Ent22 Vgl. Zenger 1983, S. 87. 23 Ebd., S. 90; vgl. dazu auch Janowski 1997, S. 30 – 33. 24 Vgl. dazu auch Wenzel 2003, S. 86 f.
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schiedenheit, seine unverfügbare Bedeutung, Würde und Einzigkeit. Diese Bezogenheit steht nicht gegen die menschliche Freiheit, sondern bedeutet ihre Einsetzung als Freiheit in Beziehung. Die Freiheit verdankt sich einer Setzung, die synchron nicht zu fassen ist, weil sie von einem „jenseits“ bzw. „vor“ der Zeit her geschieht. Hermann Volk (†1988) hat es so beschrieben, dass nicht der Mensch sich in Bezug zu Gott setzt, sondern konstitutiv durch sein Wesen von Gott in diese Beziehung gesetzt wurde. Das heißt dann aber, dass der Mensch nicht vollendbar ist ohne die Konkretisierung dieses Gottesbezuges, in welcher Form auch immer. Gottebenbildlichkeit bedeutet ein Gegenübersein, eine Relation in der Situation der Antwort.25 Mit dieser Bestimmung ist der Mensch auch als capax dei (fähig zur Gottesbeziehung) ins Wort gebracht. Er ist auf Gott hin offen. Der Mensch ist in eine Verantwortung gesetzt, an der sich die Gerechtigkeit in der Welt bemisst. Die Rede vom Menschen als Repräsentanten Gottes findet eine Spiegelung in dem Wort Jesu: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ (Lk 6,36). Die repraesentatio bedeutet entschiedene Verantwortung aus einer Bezogenheit heraus. Diese Verantwortung des Menschen gilt gegenüber der ganzen Welt, in besonderer und einzigartiger Weise aber angesichts des anderen Menschen. In Lev 19,18 wird die Nächstenliebe eingefordert: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Die Übersetzung bei Martin Buber lautet: „Du sollst deinen Nächsten lieben, denn er ist wie du“. Hier finden wir jenes Gebot der Nächstenliebe vor, das jüdisch wie christlich von zentraler Bedeutung ist und auch die Feindesliebe umfasst. Jesus greift dieses Gebot auf, stellt es in den Mittelpunkt seiner Verkündigung und bringt es in den Zusammenhang mit dem Gebot der Gottesliebe aus Dtn 6,4 f. Schon der Kontext von Levitikus interpretiert die Nächstenliebe als Gebot der Feindesliebe. Daher ergeht hier die Aufforderung zur Entfeindung der Gesellschaft durch konkret gelebte Solidarität. Der Mensch soll seinem Nächsten Taten der Liebe erweisen.26 Während in Lev 19,11 – 18 ein Ethos der Solidarität an das Volk Israel im Inneren gerichtet ist, wird der Geltungsbereich der Solidarität in 19,33 f auch auf die Fremden, die in das Land einwandern, bezogen. Lev 19,34 sagt: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst“. Dies wird mit der Erinnerung verknüpft: „Denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen“. Hier zeigt sich, dass die Erinnerung eine fundamentale Bedeutung für das Ethos hat. Freilich setzt das Gebot der Feindesliebe schon den Bruch von Sünde und Schuld voraus, die den ursprünglichen und eschatologisch verheißenen Frieden zerstört haben. Die Ursprungssünde wird in Gen 3 als Freiheitstat des Menschen 25 Vgl. Volk 1976, S. 110. 26 Vgl. Zenger 2004, S. 194.
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beschrieben, worauf die jahwistische Darstellung auch im Kontext der Theodizeefrage größten Wert legt. Im Wahlvermögen und in der Entscheidung wird die Freiheit des Menschen sichtbar und fassbar. Und auch die Sünde ist nur unter der Bedingung von Freiheit möglich. Auch wenn die Beanspruchung der Freiheit zu einer Fehlentscheidung führt, ändert dies nichts daran, dass diese Freiheit als solche nicht negativ qualifiziert wird. Der Mensch kann in seiner Freiheit, in der er ganz beansprucht ist, über sich verfügen. Die Tat von Gen 3,1 – 7 ist als prototypische Setzungsgeschichte zu verstehen, in der, mit Ch. Dohmen gesprochen, der „Urknall sittlicher Autonomie“ geschieht. Insofern diese Autonomie sich der Setzung Gottes verdankt, steht sie im Spannungsfeld von Theonomie und Autonomie. Gen 3 handelt von der Ambivalenz der Freiheit. Die protologische Geschichte vom Sündenfall erzählt davon, dass am Ursprung der autonomen Freiheitsaktivität des Menschen ein Bruch entsteht, eine ursprüngliche Beziehung aufs Spiel gesetzt wird. Es ist die Versuchung, eine Autonomie zu leben, die ihre Ursprungsbeziehungen nicht mehr im Handeln realisieren will, sondern sich selbst so in den Ursprung zurückversetzen möchte, dass die Freiheit ab-solut autonom, los-gelöste und bindungslose Freiheit wird. Diese von den Ursprungsbeziehungen getrennte Autonomie wird dem Menschen zum Verhängnis, weil er nicht mehr aus jenem Ursprung heraus leben kann, der ihm doch zutiefst das Leben ermöglichen will. Die ab-solute Autonomie schneidet den Menschen vom Lebensgrund ab und führt in das Gegenteil des Lebens, in den mörderischen und beängstigenden Tod, der nichts mehr mit einer natürlichen zeitlichen Begrenztheit zu tun hat. Dem absolut autonomen Menschen muss der Tod als Ärgernis und Bedrohung, als Einschränkung seiner Autonomie erscheinen. Wer autonom ist und sich selber das Gesetz gibt, unterliegt keiner Bindung und Verantwortung mehr, er kennt keine Grenzen. Auch die Grenze der Unverfügbarkeit des anderen Menschen wird im Morden durchbrochen. Sünde und Tod sind im biblischen Kontext Phänomene der Zerstörung von Beziehungen, die unser Leben ausmachen. Gott aber geht dem Menschen nach und will das Leben des Menschen, gloria dei vivens homo. Er schenkt die Möglichkeit der Umkehr und der Versöhnung. Das zeigt sich in den Bundeserneuerungen der Geschichte Israels und im Leben Jesu, der in der Kraft Gottes Versöhnung schenkt, durch seinen Tod und seine Auferweckung Sünde und Tod überwindet. Jesus will die Sünder, die Isolierten und Ausgeschlossenen wieder in die Gemeinschaft des Lebens zurückholen, zerstörte Beziehungen heilen und so Leben schenken. Denn Leben ist nur in Beziehung möglich. Für das heilvolle Leben aber gibt es Kriterien. Das in der Predigt Jesu zu findende Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe kann jüdisch wie christlich als Kurzfassung des Dekalogs interpretiert
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werden. Jesus bringt mit dieser Deutung das Gesetz zur Erfüllung. Auch von den Rabbinen wurde Lev 19 als Zusammenfassung der ganzen Tora betrachtet, denn alles ist darin komprimiert und alles andere lässt sich daran aufhängen. In diesem Kontext findet sich der Aufruf zur Heiligkeit und zur imitatio dei.27 Von daher ist auch ein Rückbezug auf die Bestimmung des Menschen als Ebenbild Gottes gegeben. Die Konkretion seiner stellvertretenden Funktion ist die Praxis der Gottes- und Nächstenliebe, wobei beides unmittelbar miteinander zu tun hat. Im zeitlichen Vollzug lassen sich diese beiden Realisierungsformen der Gottebenbildlichkeit nicht trennen, sie sind aber zu unterscheiden. Das ruft uns auch die Menschensohnrede in Mt 25,31 – 46 in Erinnerung, wenn dort das Handeln an den Brüdern und Schwestern mit dem Handeln gegenüber dem Herrn in Verbindung gebracht wird: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Wer der Spur Gottes in der Welt folgt, bekommt es mit dem Anderen zu tun. „Wer das Bild Gottes liebt, der liebt, was Gott liebt, der hat Teil an Gottes Liebe. Diese Liebe ist bedingungslos und achtet nicht auf Verdienste und Auszeichnungen des Menschen.“28 Diese Aussage des jüdischen Theologen Abraham J. Heschel führt zu einer originellen Füllung des Begriffes der Gottebenbildlichkeit, die bedeutet, dass Gott und der Mensch zwei Dinge gemeinsam haben: ein Anliegen und eine Aufgabe.29 Schließlich könne die jüdische Frömmigkeit auch in den Imperativ gefasst werden: Behandle dich als ein Ebenbild Gottes! Im Lichte dieses Imperativs könne man die Bedeutung des erstaunlichen Gebotes aus Lev 19,2 verstehen: „Ihr sollt heilig sein, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig“. Diese Heiligkeit ist auch dem Menschen aufgegeben, das Menschliche kann heilig werden. Jesus wird die göttliche Barmherzigkeit einfordern, zu der der Mensch fähig ist. Die Theologie der Väter hat den doppelten Bildbegriff der Bibel (selem und demuth) als Unterschied von imago und similitudo gedeutet: Der Mensch ist als imago dei geschaffen, muss aber noch zur similitudo dei, zur Ähnlichkeit mit Gott gelangen. Das ist die lebenslange Aufgabe seiner Freiheit. Die Selbstwerdung des Menschen hat unmittelbar mit seiner Beziehung zu sich selbst, zum Anderen und zu Gott zu tun. Das Kriterium für ein Leben in Fülle, für das Heil, ist das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe, dies entscheidet über das Gewinnen oder Verlieren der Zeit bzw. des Lebens, dies entscheidet, ob Gerechtigkeit und Barmherzigkeit die Zeit erfüllen. Christoph Dohmen weist im Kontext der Gebote auf ein spannendes Phänomen hin: In Ex 24,7 heißt es: „Alles, was JHWH gesprochen hat, wollen wir
27 Vgl. Staubli 1996, S. 155 f. 28 Heschel 1985, S. 126. 29 Vgl. ebd..
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tun und wir wollen hören“.30 Die Weisen Israels haben das Problem erkannt, wenn sie bemerken, wie denn das Tun dem Hören vorangehen kann. Normalerweise kommt doch erst das Hören und Lernen und dann die Tat. In einer jüdischen Auslegung antwortet das Volk: „Wir werden tun, was immer wir von Gott hören werden.“31 Israel nimmt es auf sich, die gesamte Tora zu beachten, bevor es sie gehört hat. Es geht hier um ein Tun vor dem Hören, ein sich Einlassen, bevor man wissen kann, was passieren wird. Seltsame Umkehr einer uns vertrauten Zeitabfolge! Es ist ein Hören und Gehorchen im Voraus zu dem, was kommen wird. Erst im Nachhinein wird sich erschließen, worauf man sich eingelassen hat. Aber im Vorhinein wird schon etwas getan, vor dem Hören. Es geht um das Phänomen der Nachfolge Gottes, um das Gehen eines Weges, der nicht offen wie ein Buch vor uns liegt. Mose muss sich auf einen Weg mit Gott verlassen, den er nicht kennt – er geht in eine offene und unbekannte Zukunft, die ihm, nach jüdischem Zeitverständnis, im Rücken liegt. Er geht diesen Weg mit dem Blick in eine Vergangenheit, in der die Verheißungen für die Zukunft von Gott her ergangen sind. Auch wenn Jesus seine Jünger beruft, dann sind diese bereit, ihm nachzufolgen, ohne zu wissen, was geschehen wird und was es für sie letztlich bedeutet. Wir haben das außerordentliche Phänomen eines Tuns vor dem Hören, einer Entscheidung vor dem sicheren Wissen vor uns. Das hat nichts mit blindem Gehorsam zu tun, den man totalitär pervertieren könnte, sondern es geht um ein freies, gewagtes Handeln auf eine Hoffnung hin, die an Gott gebunden ist. Es geht um ein Phänomen, das wir alltäglich erleben, um die Notwendigkeit einer Entscheidung in der Gegenwart, jetzt, die getroffen werden muss, ohne die Zukunft schon kennen zu können. Von daher wird deutlich, warum der Stellvertretungsgedanke auch in der Christologie zentral ist. Denn Jesus Christus als der neue Adam führt den Menschen in seine ursprüngliche Bedeutsamkeit zurück, erneuert ihn, denn er ist Stellvertreter Gottes auf einzigartige Weise, als fleischgewordenes Wort, und er vertritt die Stelle des Menschen vor Gott. In der Christologie haben wir es mit einer doppelten Stellvertretung zu tun, die den Menschen an jener Stelle aufsucht, an der er sich nach Schuld und Sünde befindet. Jesus Christus als eschatologischer und neuer Mensch erfüllt das, was vom Ursprung her Auftrag und Bedeutsamkeit des Menschen ist: Repräsentant Gottes zu sein. Die Sündelosigkeit Jesu ist deshalb nicht nur Privileg seiner Göttlichkeit, sondern sie steht auch dafür, dass der Mensch ursprünglich ohne Sünde geschaffen wurde, als imago dei. Das stellvertretende Handeln Jesu Christi zeigt sich in dem, was er pro 30 Dohmen 2004. 31 Zitat von W. G. Plaut, vgl. bei Dohmen 2004.
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nobis, für uns tut. Seine Proexistenz besteht darin, für den Menschen, vor allem für den Not leidenden und bedrängten Menschen zu leben und ihm die vergebende Nähe Gottes zuzusprechen. Schon von hierher kann man sagen, dass die Gottebenbildlichkeit bedeutet, die menschliche Existenz als Proexistenz angesichts und für den Anderen zu verstehen. Hier treffen sich, bei aller Unterschiedenheit in der Christologie, zutiefst ein christliches und ein jüdisches Denken, das ebenfalls in der Gottebenbildlichkeit den Stellvertretungsgedanken ausführt.32
5.
Gottebenbildlichkeit und Bilderverbot: Hören und Sehen als Gehen mit Gott
Die Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes ist auch deshalb interessant, weil sich im Dekalog das so genannte Bilderverbot findet. Die Entwicklung des Bilderverbotes: „Du sollst/wirst dir kein Bildnis machen!“, hängt eng mit der Entwicklung des Monotheismus zusammen. Es wird dem Menschen verboten, Götzenbilder herzustellen oder Gott in solche zu gießen. Man kann das Bilderverbot als Wächter der Theologie im Sinne des Monotheismus interpretieren.33 Gott der Herr ist einzig und von ihm kann es auch keine Abbilder geben. Das Bilderverbot wahrt die Anderheit und Einzigkeit bzw. Heiligkeit Gottes, die nicht profaniert werden darf. Kann man von Gott etwas sehen oder bleibt er gänzlich unsichtbar? Kommt dem Hören angesichts des Wortes Gottes nicht eine andere Bedeutung zu als dem Sehen, zumal wenn man sich das Bilderverbot vergegenwärtigt? Aber man könnte einwenden: Muss man aufgrund der neutestamentlichen Überlieferung nicht daran festhalten, dass Gott doch in Jesus Christus so erschienen bzw. epiphan geworden ist, dass man ihn nun endlich sehen konnte? Doch dagegen stehen Aussagen wie die folgenden: „Er (Jesus Christus; E.D.) ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15); „Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld“ (Röm 8,24 f) oder Joh 1,18: „Niemand hat Gott je gesehen“. Der Johannesprolog spricht davon, dass Gott uns in seinem Wort zugänglich wird, in dem er sich uns zuspricht. Das Christusgeschehen ist in erster Linie ein Wortgeschehen und fordert das Hören des Menschen. Gibt es also gar nichts zu sehen? 32 Es ist höchst spannend, wie sich in diesem Kontext relationalen Denkens christliche und jüdische Reflexionen begegnen können. Ich erinnere auch an evangelische Konzepte wie etwa die von Emil Brunner, Karl Barth oder Dietrich Bonhoeffer. Vgl. dazu etwa Menke 1991, S. 186 – 219; Prüller-Jagenteufel 2004. 33 Vgl. Dohmen 1987, S. 21 f.
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Die frühen Traditionen des Alten Testaments kennen die Rede vom Antlitz Gottes. Jakob kämpft am Jabbok mit einem Mann, der ihn überraschend überfallen hat. Er wird sagen: „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen“ (Gen 32,31). Daher nennt Jakob diesen Ort Penurl, Antlitz Gottes. Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen und am Leben zu bleiben – das ist die Sehnsucht der Menschen. Bei den Propheten erscheint Gott in Traumvisionen, mit Mose aber redet er von Mund zu Mund, von Angesicht zu Angesicht und nicht in Rätseln. Von Mose wird bezeugt, dass er die Gestalt des Herrn sehen darf (Num 12,8). Aber in Spannung dazu steht der Dialog Gottes mit Mose in Ex 33,18 – 23, wo Mose bittet, Jahwes Herrlichkeit sehen zu dürfen und Gott ihm antwortet: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen, denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“.34 Mose bittet um eine Bestätigung der Zusage Gottes, die dem entspricht, was Gott ihm nach dem Bundesschluss in Ex 24,9 f gewährte. Er erbittet eine sichtbare Weise der ihm gewährten Offenbarung und zielt auf eine sichtbare Gestalt des Verhältnisses Gottes zu Israel im Gegenüber zu allen anderen Völkern. „Bevor aber seine eigene Gottesgemeinschaft sichtbar wird (vgl. Ex 34,30) und Israel die Möglichkeit erhält, sein Sonderverhältnis zu JHWH sichtbar werden zu lassen (vgl. Ex 34,11 – 26), geht Gott in grundlegender Weise auf das Problem der Offenbarung, verdeutlicht am Phänomen des ,Sehens Gottes‘, ein.“35
Dabei kommt der Gedanke des Vorbeiziehens in den Blick, denn Gott spricht in V.19 vom Vorüberzug all seiner Güte, in V.22 vom Vorüberzug seiner Herrlichkeit und schließlich ist es in Ex 34,6 Jahwe selbst, der vorüberzieht. Neben das Wort Vorüberziehen tritt das Wort Angesicht, panim. Das Vorüberziehen bzw. Vorüberziehenlassen setzt sich von allem statischen Begreifen des Sehens, wie es etwa der Anblick von Götterbildern implizieren könnte, ab, indem ein Verb der Bewegung verwendet wird, das eine Dynamik in das Geschehen einträgt. Der Begriff des Angesichts weist auf das Ziel des Sehens, das nicht im Äußerlichen eines Kultbildes bestehen kann, sondern auf das Wesen abzielt. Das mögliche Missverständnis eines unmittelbaren Sehenwollens Gottes wird in V.19 ausgeschaltet, wenn dort Gott mit all seiner Güte, d. h. Gnade und Zuwendung, vorüberziehen will und das Beste anbietet: die Offenbarung seines Namens als Quintessenz seiner Offenbarung. Die Frage nach dem Sehen der Herrlichkeit Gottes in V.18 wird auf die Offenbarung des Namens verwiesen und diese als Fülle der Güte Gottes bezeichnet. Sie will Gott nicht einfach sehen lassen, wie Mose es erbittet, sondern an seinem Angesicht vorüberziehen lassen. Der Hin34 Vgl. dazu etwa Werbick 1994, S. 17 f; auch Dohmen 2004, S. 347 f. 35 Ebd., S. 347.
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weis auf den generellen Grundsatz einer Verbindung von Gott-Sehen und Sterben, der sich mehrfach in der Bibel findet, bekommt hier einen spezifischen Kontext. Der Kern des Problems liegt nämlich im Sehen Gottes, denn Mose hatte nicht darum gebeten, das Angesicht Gottes zu sehen, sondern seine Herrlichkeit, seine ka¯búd. Christoph Dohmen weist darauf hin, dass die Allgemeingültigkeit des begründenden Satzes in der Differenz zwischen Gott und Mensch liegt. Als lebendiger Mensch ist dieser von Gott so unterschieden, dass seine Unmittelbarkeit, die die Erkenntnis des Wesens Gottes in seiner Ganzheit beinhalten würde, unmöglich ist.36 Mose wird als sterblicher Mensch charakterisiert und es zeigt sich, dass Gottes Wort sich im menschlichen Zeugnis des Mose zeigen möchte. Die offenbarungstheologische Relevanz von V.20 wird in einer Rezeption von Dtn 5,24 deutlich, wo es heißt: „Wir haben gesehen, dass Gott zum Menschen spricht und er dennoch lebt“. Die Aussage vom Nicht-Sehen-können oder -dürfen Gottes wehrt auch das Missverständnis ab, das sich aus der Kultterminologie im Kontext altorientalischer Götterbilder ergibt. Denn die Rede vom Suchen des Angesichts Gottes gehört zur Terminologie der Götterbildverehrung. Wird mit der Differenz zwischen Gott und Mensch auf die Schöpfungsdifferenz verwiesen, so gibt es auch noch eine weitere Anspielung. Wenn es heißt, dass Gott Mose in eine Felsspalte stellt, dann erinnert das an jene schöpfungstheologischen Aussagen, in denen davon die Rede ist, dass Gott den Menschen in den Garten Eden setzt (Gen 2,8). Es stellt sich eine Assoziation zu den Schutzorten ein, die Gott z. B. in Ex 21,13 einsetzt. Die folgende Schilderung vom Bedecken und Entfernen der Hand Gottes lässt uns im Kontext der Sinaitheophanie an die verschiedenen Aspekte der Nähe Gottes denken, wie sie etwa auch beim Gedanken des Verdeckens der Bundeslade erwähnt werden oder mit Bezug auf die Decke, die Mose nach der Gottesbegegnung über sein Gesicht legt bzw. beim Eintritt in das Zelt entfernt (Ex 34,33 – 35). Der Schutzgedanke wird verständlich, wenn man das ganze Geschehen als unmittelbare Begegnung von Heiligem und Profanem, zwischen Gott und Mensch deutet – außergewöhnliche Unmittelbarkeit der Nähe, die nicht ohne Trennung geschieht.37 Die Gottesbegegnung geschieht als Vorüberzug, als dynamisches Geschehen. Durch dieses Verb kommt der Aspekt der Zeit in den Offenbarungsvorgang hinein. Dieser zeitliche Bezug des Vorüberziehens lässt das in V.23 erwähnte Sehen bzw. Nicht-Sehen-können Gottes eben nicht räumlich (von vorne oder von hinten), sondern zeitlich, als später oder früher, verstehen.
36 Vgl. ebd., S. 349. 37 Vgl. ebd., S. 351.
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„So entsteht durch den Begriff des Vorüberzugs ein hochsensibles Sprachspiel, das vom Begriff des ,Angesichts‘ … als Ausdruck des Wesens Gottes zur semantischen Opposition hinüberleitet, die dann aber nicht den ,Rücken‘ (so zahlreiche Übersetzungen) bezeichnet, sondern das Spätere, im Sinne dessen, was ,im Nachhinein‘ zu erkennen ist.“38
Es geht um ein Sehen im Nachhinein, das sich den Menschen aus den Wirkungen der göttlichen Nähe erschließt und in dem vorliegenden Kontext auf die Namensoffenbarung Gottes zielt, auf jenen Weg, den Gott mit seinem Volk gehen will. Das Wort ist sichtbar, insofern es sich in seinen Wirkungen in der Zeit zeigt, im Nachhinein. Wenn sich aber die Gegenwart Gottes, seine Offenbarung, auf unverfügbare Weise erst im Nachhinein zeigt, dann ist damit die Bedeutung der Erinnerung, der Memoria hervorgehoben. Emmanuel Levinas hat die Erzählung vom Vorübergang Gottes im Sinne einer Spur Gottes gedeutet, einer Spur, die Gott in der Zeit hinterlässt und die uns mehr zu denken aufgibt, als wir denken können. Und er fügt hinzu, dass, wenn wir dieser Spur Gottes folgen, uns in dieser Spur der Andere entgegenkommt, der uns von Gott anbefohlen ist. Auch Joseph Ratzinger bezieht sich auf dieses Kapitel des Exodus, um sich der Frage nach dem Sehen Gottes zu stellen. Er verweist auf den Grundgedanken der Auslegung von Ex 33 bei den Vätern. Gregor von Nyssa, der freilich eine Übersetzung im Sinne des Rückens und nicht des im Nachhinein vorlegt, deutet dieses Schauen als Nachfolge. Wir können Gott sehen in der Weise der Nachfolge; sehen bedeutet gehen.39 Diesen Gedanken überträgt Ratzinger auch in den christologischen Kontext. Hier bedeutet die Suche nach dem Angesicht Gottes die Begegnung mit Jesus Christus und die Nachfolge. Sehen bedeutet also auch christologisch ein Unterwegssein unserer ganzen Existenz auf den lebendigen Gott zu. Zu dieser Nachfolge gehört aber zentral die Liebe zum Nächsten. Ratzinger verweist auf Mt 25,31 – 46 um deutlich zu machen, dass die Nachfolge Jesu Christi uns unmittelbar auch mit dem Not leidenden Anderen konfrontiert. Man kann sagen, dass uns im Antlitz des Anderen Gott beansprucht und herausfordert, dass in ihm Gott nahe ist. 1 Joh 4,19 f bringt die Spannung auf den Punkt: „Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.“ Gottes Gegenwart im Nächsten bedeutet nicht, dass Gott in der Zeit sichtbar wird, auch seine Präsenz in Jesus Christus hebt die Spannung von Immanenz und Transendenz Gottes nicht auf. Seine Präsenz ist von einer Diachronie gezeichnet, von einer Unverfügbarkeit, die die Zeit in Spannung 38 Ebd., S. 352. 39 Vgl. Ratzinger 2003, S. 25 mit Bezug auf Gregor von Nyssa, De Vita Moysis PG 44, 408d.
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versetzt und uns in den Raum der Nachfolge einweist. Das Phänomen der Diachronie lässt sich nicht in Chronologien von früher oder später, davor oder danach fassen. Gott ist der Welt unmittelbar nahe als der ganz Andere, der sich uns im Anderen zeigt und herausfordert. Jean-Luc Marion spricht von der Zeit als Distanz, als Abstand zwischen einem Ruf und der Antwort. Für Levinas ist hier das Buch Kohelet bedeutsam: in dem ja davon die Rede ist, dass es eine Zeit des Lebens und des Sterbens, eine Zeit der Begrüßung und des Abschieds, eine Zeit der Freude und der Trauer gibt. Es geschieht nicht alles gleichzeitig. Die Bedeutung der Zeit erschließt sich über das, was in der Zeit geschieht. Alles hat seine Zeit. Die Zeit ist offen für unsere Deutung im Nachhinein und sie ist offen für Gott. Erst in der Sprache erschließt sich die Bedeutung der Zeit. Die endliche Zeit ist unendlich auf Gott hin geöffnet. Alles hat seine Zeit bedeutet auch: Jeder hat seine Zeit. Die Zeit Gottes und des anderen Menschen stehen uns nicht synchronisierbar zur Verfügung, sie konfrontieren uns mit einer Unvordenklichkeit und Anderheit, die unser Zeitbewusstsein sprengen und das Wagnis einer Entscheidung erfordern. Wir können nicht alles vergegenwärtigen, wir sind mit einer Diachronie konfrontiert, die uns zeitlich versetzt Gegenwart wahrnehmen lässt. Was in der Gegenwart hier und jetzt unmittelbar zwischen uns geschieht, können wir erst im Nachhinein zur Sprache bringen und nach-denkend reflektieren. Diese Brechung des Im-Nachhinein ist nicht nur die Brechung im Verhältnis zwischen Gott und Mose, sondern die Brechung im Verhältnis zwischen Gott und jedem Menschen. Ja diese Brechung ist unser Verhältnis zur Gegenwart, zur Zeit. Denn die Gegenwart, die jetzt zwischen uns geschieht, hier in diesem Moment, in dem ich vor Ihnen stehe und zu Ihnen spreche, die können wir nur im Nachhinein erfassen, bedenken und zur Sprache bringen. Die Gegenwart erschließt sich uns also erst im Nachhinein. Sie geschieht unfassbar und verfügbar, wir können den Augenblick des jetzigen Geschehens nicht festhalten und wir können erst im Nachhinein seinen Sinn und seine Bedeutung erfassen. Gleiches gilt für das menschliche Hören und Sehen, das sich nur im Nachhinein auf das Sprechen und Erscheinen Gottes in der Zeit beziehen kann und von daher auf die Erinnerung zurückverwiesen ist. Beide Vollzüge, hören und sehen, verweisen uns auf den Weg einer Nachfolge. Von daher erschließt sich noch einmal anders das Bilderverbot als Verbot von Kultbildern, die die Einzigkeit und Transzendenz Gottes und ihre Bedeutung für den Menschen sozusagen einfrieren. Wenn in der jüdischen oder christlichen Tradition von der unmittelbaren Nähe Gottes in der Welt die Rede ist, dann darf es nicht zur Vermischung von Schöpfer und Schöpfung kommen. Es gilt das „unvermischt und ungetrennt“, das auch von dem bedeutenden Konzil von Chalcedon 451 n. Chr. in der christologischen Aussage festgehalten wurde: Jesus Christus ist wahrer Gott und
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wahrer Mensch, aber so, dass die göttliche und die menschliche Natur nicht vermischt und nicht getrennt werden dürfen. So deutet Jürgen Werbick das Bilderverbot mit Bezug auf Theodor W. Adorno zu Recht als Vermischungsverbot.40 Darüber hinaus gilt, dass die dynamische Gegenwart Gottes im Sinne des Vorüberzugs nicht in eine statische Bild- oder Wortkategorie zu pressen ist. Das Wort, das sich in der Geschichte Israels als wirkmächtig erweist und das in Jesus Christus als fleischgewordenes geglaubt wird, ist eine zutiefst dynamische, auf die Zeit bezogene Größe, die aus einem Jenseits der Zeit kommt – dafür steht christlich die Präexistenzchristologie ein. Wenn das Wort Gottes in die Zeit eintritt dann wird sie erfüllt von der Nähe des unbegreiflichen Gottes, der als der Unendliche im Endlichen Wohnung nimmt. Levinas hat das Wort In-fini vom jüdischen Glauben her so gedeutet: Gott im Endlichen und un-endlich. Das Leben und die Nähe Gottes geschehen immer schon, unverfügbar gegeben, und wir können nur im Nachhinein darüber sprechen. Das ist die spannende Herausforderung für die Exegese und für die Dogmatik, das ist die spannende Herausforderung die von christlichen und jüdischen Denkern angenommen wird und zu immer neuen Fragen führt. Die Antwort aber geschieht durch unser Leben.
Literatur Benjamin, W.: „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen“, in: Ders.: Gesammelte Schriften II/1. Frankfurt a.M. 1980, S. 140 – 157. Bröker, W.: Was ist der Mensch? Theologische Anthropologie aus dem Dialog zwischen Dogmatik und Naturwissenschaften, hg. v. E. Dirscherl. Osnabrück 1999, S. 21 – 30. Dirscherl, E., „Gottes Wort im Menschenwort. Die Frage nach Jesus Christus und die Herausforderung des jüdisch-christlichen Dialogs in der Gottrede“, in: Striet, M. (Hg.): Monotheismus Israels und christlicher Trinitätsglaube (QD 210). Freiburg 2004, S. 11 – 32. Dirscherl, E.: Grundriss theologischer Anthropologie. Die Entschiedenheit des Menschen angesichts des Anderen. Regensburg 2006, S. 49 – 155. Dohmen, Ch.: Exodus 19 – 40 (HThKAT). Freiburg 2004, S. 217. Dohmen, Ch.: „Religion gegen Kunst? „, in: Ders. / Sternberg, Th. (Hg.): … kein Bildnis machen. Kunst und Theologie im Gespräch. Würzburg 1987, S. 11 – 23. Gisel, P.: „Schöpfung und Vollendung“, in: Eicher, P. (Hg.): Neue Summe Theologie. Bd.2. Freiburg 1988, S. 19 – 125. Heschel, A. J.: Die ungesicherte Freiheit. Essays zur menschlichen Existenz. Neukirchen/ Vluyn 1985. Janowski, B.: Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff. Stuttgart 1997. 40 Vgl. Werbick 2000, S. 409.
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Theologische Erwägungen zum Thema „Zeit“ im Spannungsverhältnis von biblischer Schöpfungserzählung und evolutionärer Weltsicht
A specific philosophical „evolutionism“ as well as the so-called „creationism“ are evocative of a time concept, where time serves as an empty bin being filled up with external incidents. Another peculiar affinity of both conceptions can be noticed: a view on time from „the outside“: in case of creationism could it be a God, who watches his world, which he created after certain laws, from a distance and who occasionally comes into action as a „designer“, or do certain evolutionary positions replace God by scientists, who observe from a distant position as well and who feel to have a clear conception of all physical and biological laws concerning the „beginning“ and – whatever the imagination might be – the „end“. In both cases time threatens to be left behind since on one hand it gets lost in a hopeless endlessness and on the other it is considered to be a transitory stadium of a timeless afterworld. This contribution intends to show the limits of a time concept, where time passes mechanically from moment to moment regardless of its contents. In an alternative view „time“ – in a primary meaning – will appear as an event where the „being“ is expressed in a special way. It is obvious that time holds transcendence that shows in human beings in an excellent manner and without which they could not exist. Furthermore the contribution will show that the interpretation of the biblical creation narratives not only corresponds with the perception of time mentioned in part one but especially show that a theological analysis of evolution is possible and often phenomena considered abreast or conflicting like evolution and creation, nature and history, time and God, logos and myth are to be connected with each other in a necessary and reasonable way. Zwei große Narrative bestimmen heute unser westliches Zeitverständnis, einerseits die biblische Schöpfungserzählung, andererseits das Zeitverständnis der Evolution. Beide werden oft als einander entgegengesetzt betrachtet und beide teilen das Schicksal, dass jene Vertreter, die das jeweils andere Verständnis bekämpfen, meist gar nicht zur entscheidenden Frage vordringen, nämlich was denn „Zeit“ überhaupt ist. Vorweg soll klar gestellt werden, dass es in diesem
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Beitrag nicht darum geht, Bibel und Naturwissenschaft auf dieselbe Ebene zu stellen. Denn es ist zu betonen, dass die Bibel nichts verloren hat, wo es um naturwissenschaftliche Zusammenhänge geht. Umgekehrt ist die Sache schwieriger. Denn zwar gibt es seitens vieler Naturwissenschafter eine gewisse, manchmal auch sehr große Toleranz gegenüber anderen Deutungen von Welt. Aber die Frage bleibt doch, mit welcher Berechtigung und auch mit welchem Wissensanspruch solche Deutungen auftreten können. Ein „Waffenstillstand“ zwischen Theologie oder Philosophie auf der einen Seite und Naturwissenschaften auf der anderen ist nur dann redlich, wenn die Grenzen beider klar bezeichnet sind. Im folgenden Beitrag wird in einem ersten, kursorischen Schritt die mögliche Grenze des so genannten evolutiven Weltverständnisses angedeutet, in einem zweiten Schritt die theologische Aussage der biblischen Schöpfungsgeschichte kurz nachgezeichnet, in einem dritten Schritt erfolgen einige philosophische Reflexionen zum Thema Zeit und in einem vierten Schritt werden mögliche schöpfungstheologische Konsequenzen in Bezug auf die Fragestellung der Tagung aufgezeigt werden.
1.
Die Zeit der Evolution
Das heute vorausgesetzte Zeitverständnis ist ein chronologisches. In unseren Tagen wird davon ausgegangen, dass das Universum vor 13,7 Milliarden Jahren aus dem sogenannten „Big Bang“ hervorgegangen ist, eine Theorie, die unter Theologen besonders viel Beifall fand, da man den Urknall, der in einer Singularität beginnt, auf Gott zurückführen konnte. Die Entstehung unserer Erde wird vor 4,6 Milliarden Jahren verortet. Reisen wir weiter auf dieser imaginären chronologischen Zeitleiste, begegnen wir vor 3,75 Milliarden Jahren dem ersten Leben in den Urozeanen, wir entdecken komplexere vielzellige Lebensformen vor 600 Millionen Jahren im Ediacarum, begegnen vor 540 Millionen Jahren der Kambrischen Explosion, in der sich die Tier- und Pflanzenwelt auf ganz neue Art entfaltete. In einer erdgeschichtlich gesehen auf den letzten Sekunden liegenden Strecke unserer fiktiven chronologischen Uhr könnten wir die ersten Hominiden entdecken (vielleicht vor 15 Millionen Jahren), und vor 200 000 Jahren taucht schließlich der Homo sapiens sapiens, also der vernunft- und sprachbegabte Mensch irgendwo in Afrika auf (ob und inwieweit der Neandertaler beides hatte, ist umstritten). Ergänzend könnte man noch hinzufügen, wenngleich dies für Biologen bedeutungslos ist, dass uns beim Homo sapiens sapiens seit etwa 10 000 Jahren eine zunehmende technologische Explosion begegnet (hier könnte man fragen, warum das nicht schon vorher passiert ist) und mittels
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Schrift ein in gewissem Sinne überdauerndes kulturelles Medium überhaupt erst seit 5 000 Jahren vorliegt. Diverse Wissenschaften beschreiben uns sehr deutlich die Mechanismen dieses Fortgangs, wobei allerdings doch offensichtlich Zäsuren herrschen, die heute massiv Gegenstand der Diskussion sind. Die Physik in Verbindung mit der Astronomie versucht uns die treibenden Momente der Kosmogenese darzulegen. Von ihr führt, wie nicht zuletzt der wohl der irrationalen Schwärmerei unverdächtige Physiker Erwin Schrödinger in seinem Buch „Was ist Leben“ aufzeigt1, vielleicht doch kein so direkter Weg zur Biologie, wie ihn Franz Wuketits suggeriert, wenn er schreibt: „Leben kann – aus heutiger Sicht – als Folge materieller Selbstorganisation betrachtet werden“.2 Schrödinger macht dagegen auf die fundamentalen Unterschiede physikalischer und biologischer Gesetze aufmerksam, wobei letztere nicht so einfach auf erstere zurückzuführen sind. Am Ende dieses heute noch empfehlenswerten Buches resümiert er : „Nach allem, was wir von der Struktur der lebenden Materie gehört haben, müssen wir darauf gefaßt sein, daß sie auf eine Weise wirkt, die sich nicht auf die gewöhnlichen physikalischen Gesetze zurückführen läßt“.3 Wie auch immer dem sei, in der Biologie gelten als die treibenden Momente der Evolution „Selektion“, „Mutation“ und „Generation“, wobei von vielen Evolutionsbiologen die „Nichtzielgerichtetheit“ der Evolution vertreten wird. Wieder soll Wuketits als Beispiel für diese Ansicht angeführt werden: „Die Evolution kennt keine Absichten und Ziele, und es ist kein Gesetz auszumachen, das eine Höherentwicklung automatisch erzwingt“4, allerdings räumt auch er knapp vorher ein, dass „in der Gesamtbilanz der Evolution eine Komplexitätszunahme zu Buche schlägt“5, die sich ja nicht zuletzt auch in seinem Buch ausdrücken soll. Knapp soll hier nur angemerkt werden, dass Aussagen wie die über die „Nichtzielgerichtetheit“ der Evolution genauso metaphysischer Natur sind wie Teleologien. Bevor aber zu weiteren philosophischen und theologischen Fragen übergeleitet wird, soll das imaginäre Auge, welches sozusagen den chronologischen Zeitpfeil überblickt, wieder eingeschaltet werden und das dritte klassische Stadium (sehr schön ausgeführt bei Teilhard de Chardin6) der Evolution nach Kosmogenese und Biogenese, nämlich die Anthropogenese betrachten. Was die Entwicklung der Menschheit bzw. der menschlichen Kultur und Geschichte betrifft, herrscht heute weitgehend Pessimismus vor. Zwar gibt es noch Philosophen, die von einem Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit des 1 2 3 4 5 6
Schrödinger 1951. Wuketits 2005, S. 81. Schrödinger 1951, S. 133. Wuketits 2005, S. 53. Ebd., S. 52. Vgl. P. Teilhard de Chardin 1959.
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Menschen sprechen, aber die Skepsis wächst. Wurde im vorigen Jahrhundert noch ein Fortschrittsoptimismus gepflegt, wie er sich etwa in dem Glauben an die Technik, aber auch in Marxismus und Hegelianismus zum Ausdruck brachte, weicht dieser heute zunehmend einem anthropologischen Pessimismus. Man könnte heute von einem tiefgehenden Unglauben an das Projekt „Mensch“ sprechen (hier in Wien wohl noch stärker und seit längerer Zeit zu spüren als anderswo in der Welt!). Der Mensch ist weniger Krone der Schöpfung, sondern eher deren Nemesis, und die Natur findet nach Auffassungsweise heutigen Bewusstseins nicht, wie Kant dies in der „Kritik der Urteilskraft“ darlegt, ihren Endzweck im Menschen, sondern eher ihren Untergang. Wohl mehr diesem anthropologischen Pessimismus als naturwissenschaftlicher Erkenntnis, die verschieden interpretierbar ist, verdankt sich daher wohl auch die oben angeführte Ansicht von Wuketits, wonach die Evolution ziellos sei. Von diesem Blickwinkel gesehen war natürlich der erste Blick auf den chronologischen Zeitpfeil nicht wirklich legitim, denn hier wurde ein Bogen vom Universum über die Erde und das Leben bis hin zum Menschen gespannt. Wir könnten zumindest nach Ansicht des oben genannten Wissenschafters und vieler seiner Kollegen genausogut einen Bogen zu den Insekten spannen, wenn wir etwa quantitative Kategorien anlegten, da es ja von keinem Tierstamm mehr Arten gibt als von den Gliederfüßern. Allerdings taucht da wiederum leise die Frage auf, woher denn das Kriterium der Quantität komme. Die Natur zählt sich nicht selber und daher kann festgehalten werden, dass wir bei jeder Darstellung einer evolutiven Entwicklung letztlich beim Menschen landen und die erste Darstellung so unberechtigt nicht war. Betrachten wir die Zukunft der Welt, so scheint sie, wiederum in menschlichen Maßstäben gemessen – der Stein ist neutral und auch die Schnecke lässt sich von Zukunftsszenarien wenig beeindrucken –, ziemlich deplorabel zu sein. Einige hundert Jahre dürften die Rohstoffe, die uns ein Leben in den heute gewohnten Vorstellungen ermöglichen, bei optimistischer Schätzung noch halten, dann ist es Schluss mit einer Kultur, wie wir sie einigermaßen zu erahnen vermögen. Ob danach oder schon davor der atomare oder ökologische Supergau kommt, wissen wir nicht, von der Hand zu weisen ist ein solches Schreckensszenario aber, zumindest empirisch gesehen, nicht. Aber selbst wenn wir die menschliche Zeitspanne noch viel länger währen lassen und sie gewissermaßen in den Bereich des Lebendigen weitertragen, stoßen wir an Grenzen: Die Sonne wird noch einige Milliarden Jahre Wasserstoff in Helium umwandeln, dann wird sie sich zu einem „Roten Riesen“ aufblasen, um schließlich als „Weißer“ und dann „Schwarzer Zwerg“ zu verglühen. Spätestens dann ist es aus mit dem Leben, wie wir es kennen. Das Verlöschen scheint aber auch den Kosmos zu ereilen: Derzeit gibt es zwei Szenarien, die beide zur Auslöschung des uns zugänglichen Kosmos führen: Erstens die Entropie, die alle bekannten Strukturen
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auflösen wird bis hin zum postulierten (wenngleich experimentell noch nicht nachgewiesenen) Protonenzerfall im Jahre 1035, zweitens das inflationäre Universum, welches als Konsequenz mit sich bringt, dass die Expansion des Raums „schneller“ ist als die Lichtgeschwindigkeit, wodurch uns das Licht anderer Galaxien irgendwann nicht mehr erreichen kann. Das Universum fällt auseinander und verödet, so die triste Perspektive. Natürlich könnte man fragen, wie weit sich solche Szenarien aus einer bestimmten Sicht des Menschen ergeben und wie weit sie diese dann wieder verstärken. Tatsache allerdings ist, dass heute mit der Erzählung der Evolution nicht mehr wie noch bei Teilhard de Chardin eine Erzählung des Fortschritts impliziert ist, sondern die Erzählung des ultimativen kollektiven Verendens. Genauso wie das Individuum verlischt und entropisch zerfällt, verendet auch das Universum. In dieser Sicht spielt der Mensch keine herausgehobene Rolle, sondern er ist allenfalls ein im wahrsten Sinne des Wortes verschwindendes Intermezzo. Die Frage ist, ob sich der Mensch auf diese Weise in die chronologische Zeit einfügen kann bzw. welche Folgen dies zeitigt. Bemerkt werden soll dazu, dass ja diese Theorien noch immer den mehr oder weniger wissenden Beobachter voraussetzen. Wenn der Mensch auch von jeder Bedeutung abstrahieren kann, so nicht von seiner Bedeutung als Beobachter. Oder anders gesagt: Wir können die gesamte Welt physikalisch als Spiel von Teilchen und Wechselwirkungen erklären und als Band die Kausalität einführen, d. h. das Universum als kausale Maschine beschreiben. Allerdings kann der Mensch in dieser Kausalität nicht aufgehen, denn selbst wenn er sich gedanklich völlig kausal ableitete, wäre er noch immer der Beobachter dieses Prozesses und als solcher nicht auf einer Ebene mit demselben. Die Problematik des skizzierten Zeitverständnisses ist also zweierlei: Erstens nivelliert es das Seiende auf physikalische Phänomene. Als Hauptgesetz tritt die Kausalität auf und von ihr her wird die Zeit bestimmt. Es gibt eine absolute Zeitordnung, die von Ursache zu Ursache weiterschreitet und deren Netz sich gleichsam nichts entziehen kann. Probleme bei diesem Kausalitätsverständnis tauchen schon beim Phänomen des Lebens, noch mehr aber in der Sphäre des Selbstbewusstseins auf (Gespräche entziehen sich einer linearen Kausalität). Gäbe es eine absolute Kausalität inklusive der lückenlosen zeitlichen Ordnung unserer Biographie, könnte der Mensch in keiner Sekunde Mensch bleiben. Denn schon allein, wenn wir unsere Biographie betrachten, ist diese nicht ein Voranschreiten entlang chronologischer Zeitmomente (wir könnten eine solche lückenlose Biographie nicht einmal für eine Minute unseres Lebens erstellen), sondern eine ständige Neuschöpfung zwischen den Motivationshorizonten von Vergangenheit und Zukunft, aus denen Gegenwart erwächst. Stellten wir uns den Menschen eingebettet vor in eine lückenlose Zeitbestim-
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mung, die er überblicken könnte, so könnte er sofort dazu Stellung beziehen und diese Lückenlosigkeit neu formieren und interpretieren, also Zeit neu schaffen. Zweitens ist das Problem der Vorstellung einer von Moment zu Moment voranschreitenden wirkursächlich bestimmten Zeit, dass sie uns die Welt als völlig quantifizierbaren und damit alle Qualitäten nivellierenden Mechanismus präsentiert. Wie könnte es irgendeinen herausgehobenen Wert in dieser Ansicht geben? Dieser Annihilierung jedes bestimmten Inhalts entspricht die Vorstellung des völligen Verlöschens aller Strukturen und des Untergangs der Welt im Kältetod des expandierenden Universums. Das Universum verschlingt gewissermaßen seine eigenen Beobachter und löst sich im Nichts auf. Eine Folge davon wäre im Übrigen auch, dass eine qualitative Differenz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wie sie konstitutiv für menschliches Verständnis ist, nicht mehr sinnvoll wäre. Die Zeit wäre auf eine funktionale Ebene reduziert und innerhalb des Zeitpfeils wäre jeder Moment „präsentierbar“, d. h. auf eine Zeitstelle fixiert7. Die ganz entscheidende Frage, vor die wir gestellt sind, ist also, ob die Zeit wirklich im Kontext eines mechanistischen und ewig fortlaufenden Geschehens zu verstehen ist und damit als Zeit ohne wirkliche Zukunft (und auch ohne wirkliche Vergangenheit) zu denken ist oder ob die Zeit eine andere Struktur aufweist, auf die im heutigen Wissenschaftsparadigma allerdings in der Regel vergessen wird, weil diese Zeit nicht unmittelbar messbar ist. Daran knüpft sich letztlich auch die Frage, ob die Zeit quasi unabhängig von ihren Inhalten gefasst werden kann (was mittlerweile auf Grund der allgemeinen Relativitätstheorie auch physikalisch schwer haltbar ist) oder ob sie auf noch zu bestimmende Weise mit dem Seienden im Allgemeinen und der Sprache, dem Bewusstsein und dem Geist im Speziellen auf unhintergehbare Weise verknüpft ist.
2.
Die Zeit des biblischen Schöpfungsberichtes
Jenem Zeitkonzept völlig entgegengesetzt ist das Zeitverständnis des ersten biblischen Schöpfungsberichts, welches einer kurzen Untersuchung unterzogen werden soll. Zunächst einmal aus historischen Gründen, weil es neben dem evolutiv-chronologischen Zeitverständnis ein weiteres entscheidendes Paradigma geworden ist, aber auch aus inhaltlichen Gründen, weil in ihm vielleicht etwas zum Ausdruck kommt, was uns die Frage der Zeit tiefer sehen lässt als ein ausschließlich quantitatives Verständnis. Und schließlich kann gerade anhand des biblischen Schöpfungsberichts gezeigt werden, dass sich die Kreationisten geistig näher bei den Evolutionisten befinden als bei der Bibel. Anders gesagt. 7 Zu dem Problem einer diesbezüglichen Zeitauffassung vgl. auch Koch 2006.
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Der Kreationismus ist genauso wie die Theorie des „Intelligent design“ der Zerrspiegel der Evolution, hat mit der Aussageabsicht der biblischen Schöpfungserzählung aber nichts zu tun. Liest man sie aufmerksam, fällt ihre Struktur ins Auge: Das Sieben-TageWerk ist streng gegliedert und diese Gliederung will beachtet sein8 : Das Thema Zeit wird thematisiert am „ersten“ Tag (zur Problematik dieser Bezeichnung s. u.), am vierten Tag und am siebenten Tag. Dazwischen wird das Thema „Land/Erde“ exponiert. D.h. das Erfassen der Zeit steht am Anfang, im Zentrum und im Eschaton (am Ende) der Schöpfung und schließt sogar die für die Bibel sonst zentrale Landthematik ein. Um den Text näher zu entschlüsseln, muss auf einige Signale geachtet werden: Zunächst sind die ersten beiden Sätze wichtig. Denn der erste Satz gibt in Urkunden der alten Welt den Titel des folgenden Buches an. Der Titel der Bibel ist also nicht „Bibel“, sondern „Als Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Es geht also um ein anfanghaftes Schaffen Gottes, welches den Grundton für die ganze Bibel angibt und welches noch näher zu bezeichnen ist. Der zweite Satz gibt die Ausgangssituation an, aus der geschaffen wird: „Die Erde aber war Wüste und Leere“. Damit ist nicht einfach irgendeine Beschreibung angegeben, sondern die Ausgangssituation der Welt in den Augen mythologischer Kulturen: Die ursprünglichste Realität der Welt ist das grenzenlose Chaos (griechisch apeiron) bzw. die Todesmacht. Das vorursprüngliche Gesicht der Zeit ist der Tod, der Götter und Menschen, Himmel und Erde einholt. „Die Zeit ist der Nichtigkeit preisgegeben“ ist die tiefe Einsicht dieser Kultur. Die griechische Metaphysik seit Parmenides antwortet auf diese Nichtigkeit, indem sie die Zeit als solche überwinden will zugunsten eines Augenblicks ewiger Präsenz9. Ein Großteil der abendländischen Philosophie- und Theologiegeschichte schließt sich daran an: Sie besteht in dem Versuch, aus der Zeit in ein zeitloses Jenseits auszutreten und die Zeit als Erscheinung zu dechiffrieren (man denke etwa an die Zenonschen Aporien). Die Bibel wird einen grundsätzlich anderen Weg gehen, indem sie einen differenzierteren Blick auf die Zeit wirft. Dazu dienen bereits die Anfangspassagen, die um Tag Eins, also den Anfang kreisen. Bevor ich dessen Pointe darzulegen versuche, sei auf eines hingewiesen: Die biblische Schöpfungsgeschichte gibt uns gerade nicht das Bild eines Gottes, der aus Nichts irgend etwas hervorbringt. Es wird also nicht etwas geschaffen, sondern vielmehr auf eine noch zu bestimmende Art und Weise die Zeit selber. Betrachtet man den Text der Bibel, fällt auf, dass nicht die Rede vom „ersten Tag“, sondern vom „ein Tag“ ist. Dieser stellt die fundamentale Einheit der Zeit dar, in der das zeitlose, ewige Chaos durchbrochen wird. Natürlich darf dieser 8 Vgl. die bahnbrechenden Ausführungen von Zenger 1983. 9 In Bezug auf Parmenides hat dies besonders K. Heinrich aufgewiesen; vgl. Heinrich 1966.
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„ein Tag“ nicht chronologisch im Sinne von 24 Stunden, 1440 Minuten etc. verstanden werden, auch nicht als Zeitstrecke vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Wie er verstanden werden muss, darüber gibt die Bibel selber einen Hinweis: „Abend ward und Morgen ward: Ein Tag.“ Interessant ist, dass der Tag nicht mit dem Morgen beginnt, sondern mit dem Abend, was bis heute der liturgischen Ordnung sowohl im Judentum als auch im Christentum entspricht. Der Grund ist ganz klar : Mit dieser Ordnung wird der Ausgangspunkt der Bibel noch einmal nachgezeichnet, der nämlich in der abendlichen todbedrohten Zeit liegt. Unsere Zeit ist umschlossen von der absoluten Nichtigkeit des nächtlichen Todes und läuft auf sie hinaus. Das biblische Zeitverständnis führt also NICHT linear von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft, sondern kennt folgende Zeitenfolge: 1. Zeit I: die chronologische Zeit in unserem Sinne, die in Richtung Tod geht und von diesem umschlossen wird. 2. Zeit II: die Un-Zeit der Nacht, die Unterbrechung der Zeit und deren Nichts. Genauso wie sich der Mensch im Schlaf verliert und diesen Bewusstseinszustand nicht positiv beschreiben kann, ist auch diese „Zeit“ genausowenig wie der Tod positiv beschreibbar. Diese Stufe ist sozusagen der Entzug der Zeit. 3. Zeit III: die morgendliche Zeit, also deren Erneuerung, die Überwindung der Chaosmacht bzw. theologisch gesprochen: die eschatologische Zeit. Sehr wichtig ist, dass diese Zeit nicht einfach die Fortsetzung der Zeit I ist. Wir begegnen dieser Zeit auch im berühmten Bekenntnis, dass Jesus am dritten Tage auferstanden ist: Auch hier ist der erste Tag die dem Tod verfallene Weltzeit, der zweite Tag deren Unterbrechung in der Gestalt des Todes, und der dritte Tag bezeichnet die Neuschöpfung. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, was das Charakteristikum dieser Zeit III ist. In einem ersten Schritt (der entscheidende folgt am Ende des Beitrags) soll geantwortet werden, dass diese Zeit die Transzendenz der Zeit ist, wie sie auf ganz ausgezeichnete Weise im (liturgischen) Fest (der jüdisch-christlichen Tradition; über andere religiöse Traditionen und säkulare Surrogate soll hier nicht befunden werden, wenngleich es vielleicht interessante Verbindungen und Parallelen gäbe)10 zum Ausdruck kommt. Mit anderen Worten: Die biblische Zeit zielt nicht auf die Chronologie, sondern auf das Fest als tiefster Gestalt der Zeit. Der weitere Weg geht also dahin zu untersuchen, wodurch sich die Festzeit auszeichnet und der Frage nachzugehen, ob es eine philosophische Vermittlung 10 Eine tiefsinnige Phänomenologie des Festes, welche sowohl für jüdische und christliche Liturgie als auch für andere und nicht unmittelbar religiöse Festformen zur Anwendung zu bringen ist, gibt Bahr 2008.
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zwischen der chronologisch-naturwissenschaftlichen und der biblischen (und altorientalischen) Festzeit gibt. Dass die Bibel tatsächlich das Fest im Blick hat, zeigen die weiteren Ausführungen der Schöpfungstage: der zweite und der dritte Tag zielen auf den festlichen Schmuck der Erde durch die Pflanzenwelt. Wie ein Tisch gedeckt wird, so wird die Erde mit Pflanzen bereitet. Der vierte Tag führt dann in die Mitte des sogenannten Siebentagewerks: Viel wäre zu sagen, z. B. über die politischen Bezüge, die darin aufleuchten, allerdings will ich mich hier auf den Hauptfokus beschränken: Der vierte Tag handelt von der Schöpfung von Sonne und Mond, insofern diese essentiell für den Festkalender sind. In der Mitte der Zeit steht also das Fest. Tag Fünf und Tag Sechs haben die Aufgabe, die Gäste für das universale Fest zu laden. Der Kulminationspunkt ist mit dem Menschen erreicht, dem fortan die Funktion zukommt, den festlichen Charakter der Welt zu aktualisieren. Er hat als Priester und Stellvertreter Gottes genau diese Funktion, den festlichen Ursprung und die festliche Sinngebung der Welt zu vergegenwärtigen. Wenn Kant viel später in seiner Kritik der Urteilskraft von einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck spricht, hat er sehr viel von dem, was in der Bibel anvisiert ist, auf seine Weise übersetzt und bewahrt. Bekanntlich endet die Schöpfung nicht mit dem sechsten, sondern mit dem siebenten Tag: Dieser führt uns, wie weitere intertextuelle Bezüge der Bibel zeigen, zur höchsten Steigerung des Festes, zur Epiphanie im Gotteslob. Die ganze Welt mit dem Menschen an der Spitze soll die Zeit unterbrechen, um den Lobpreis zu sprechen. Dabei ist entscheidend, dass Gott selber auf diesem Lobpreis Wohnstatt nimmt oder mit anderen Worten gesagt: Die tiefste Offenbarung Gottes ereignet sich im Fest, welches die chronologische Zeit unterbricht und transzendiert. Gott selber ist das Ereignis der festlichen Zeit, die ihren Ausdruck im Lobpreis des Menschen hat, den dieser stellvertretend für die ganze Schöpfung spricht. In Bezug auf Kant könnte man vielleicht die Wertigkeit umdrehen: Die Kritik der Urteilskraft spannt einen Bogen von der reflektierenden in die bestimmende Urteilskraft. Der Endzweck der Welt liegt nicht im freien Spiel von Anschauung und Verstand, er liegt auch nicht in der Naturzweckmäßigkeit, die zu keinem Abschluss kommt, sondern im moralischen Gesetz, welches uns Zwecke vorgibt, die das Sein als solches zu bestimmen vermögen. D.h. es gibt bei Kant einen Primat der bestimmenden Urteilskraft gegenüber der reflektierenden. Im biblischen Schöpfungsbericht deutet sich ein umgekehrtes Szenario an: Die Moralität dient dazu, Schuld und Unrecht als Eingangstor für das Fest, für eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck zu ebnen, in der der Sinn der Zeit liegt. Diese Struktur philosophisch und schöpfungstheologisch nachzuzeichnen, soll der dritte Teil des vorliegenden Beitrags leisten, wobei ich mich hier relativ kurz fassen kann, da ja zahlreiche Beiträge in diese Richtung denken.
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3.
Kurt Appel
Philosophische Zeitbetrachtungen
Als Ausgangspunkt einer philosophischen Kritik an einem Zeitkonzept, welches eine rein quantitative Zeit kennt, kann bis heute Leibniz fungieren. Insbesondere in seinem Mühlengleichnis (Monadologie §17) macht er darauf aufmerksam, dass eine bloß mechanistische Sichtweise der Welt nicht ausreicht, um diese in ihrer Konkretheit erkennen zu können: „Denkt man sich etwa eine Maschine, deren Einrichtung so beschaffen wäre, daß sie zu denken, zu empfinden und zu perzipieren vermöchte, so kann man sie sich unter Beibehaltung derselben Verhältnisse vergrößert denken, so daß man in sie wie eine Mühle hineintreten könnte. Untersucht man alsdann ihr Inneres, so wird man in ihm nichts als Stücke finden, die einander stoßen, niemals aber etwas, woraus man eine Perzeption erklären könnte.“11 Eine entscheidende Frage für Leibniz ist die Frage nach der Einheit des Seienden als transzendentales Prinzip desselben. Warum können wir Seiendes als Einheit benennen, gewissermaßen ins Wort heben? Die Raum-Zeit-Maschinerie kennt nur ein „außereinander“, wenn daher etwas als Einheit angesprochen wird, ist diese schon vorausgesetzt. Das versteht Leibniz unter „Monade“. Und da wir letztlich gar keine anderen Einheiten kennen als Subjekte, sind Monaden in Analogie eines Subjekts zu denken. Leibniz bildet eine Abfolge von solchen Einheiten mit einem zunehmenden Grad an Subjektivierung, d. h. der Akzent verschiebt sich immer stärker von der bloßen Objekthaftigkeit in die Sphäre der Subjektivität. Im Bereich der anorganischen Natur, wo wir es, abgesehen von der Technik, am unmittelbarsten mit Objekten zu tun haben, könnte man etwa auf Grund der Eigengravitation von „innerer Einheit“ sprechen12, deutlicher wird die Einheit und damit die Subjekthaftigkeit im Bereich des Lebendigen, noch deutlicher in der Sphäre der höheren Säugetiere, die bereits über ein Gedächtnis verfügen und damit die von ihnen wahrgenommene Welt in eine zeitliche Einheit fügen können. Im tiefsten Sinne mit Einheiten haben wir es aber in der Sphäre des Menschen zu tun, der sich nicht nur seiner Einheit bewusst ist, sondern auch in der Lage ist, mittels seiner Vernunft die gesamte Welt in Eines zu setzen. In Bezug auf die Raum-Zeit-Problematik ist zu betonen, dass die innere Einheit als transzendentales heuristisches Schema, unter der Welt betrachtet werden muss, vollkommen ideell ist. Allerdings vermittelt sich jede innere Einheit („Monade“) raumzeitlich. Insofern ist jede Entität Subjekt-Objekt oder, wie Leibniz dies auch nennt „vis primitiva“ und „vis derivativa“. In einer Terminologie von Husserl könnte gesagt werden, dass sich die Monade zeitigt (und 11 Leibniz 1996, S. 605 f. 12 Zur Frage der monadischen Struktur der anorganischen Materie vgl. Klein 2006, besonders S. 103 – 112.
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verräumlicht). Mit anderen Worten: Keine Monade ohne Zeit, aber auch keine Zeit ohne Monade. Ohne die Subjektivität innerer Einheiten bzw. deutlicher gesprochen ohne Bewusstsein gibt es keine Zeit (genauso wie es kein Bewusstsein ohne Zeit gibt). Wenn sich aber jede Monade zeitigt und verräumlicht, gibt es kein „außerhalb“ der Monade mehr. Mit dem Auftreten jeder Monade entsteht die Welt. Natürlich bedeutet dies nicht, dass die Monade allmächtig ist oder dass nur eine Monade wäre. Sondern es bedeutet, dass jede Monade mit ihrem Auftreten auch die ihr vorausliegende (und die ihr nachfolgende) Zeit mitsetzt und darin eine unendliche Anzahl anderer Monaden spiegelt (perzipiert), wenngleich in verschiedenen Vermittlungsgraden. Wir sind z. B. durch die Erde auf eine andere Weise vermittelt als durch unser Haustier und wieder auf andere Weise als durch den Nachbarstern Alpha Centauri. Eines aber bleibt in Bezug auf die Zeit festzuhalten: Die Voraussetzung jeder Monade ist gleichzeitig die von ihr (und d. h. nicht ohne sie existierende) gesetzte Voraussetzung. Das Kind ist nur in Bezug auf die Eltern und diese nur in Bezug auf das Kind. Ich bin nur in Bezug auf die Sonne und die Sonne nur in Bezug auf mich usw. Ein weiterer wichtiger Punkt der Überlegungen von Leibniz führt dahin, dass jede Monade als Spiegel des Universums unendliche Relation ist. Jede Monade spiegelt eine unendliche Anzahl anderer Monaden und verweist auf sie und es ist grundsätzlich keine Grenze in diesem Spiegel angegeben. Insofern jede Monade in diesen Verweisstrukturen innere Einheit bleibt, ist ihre Spiegelung EINE zusammenhängende Raumzeit. Die Kausalität und die raumzeitliche Abfolge sind so nichts anderes als der Spiegel der monadischen Einheit. Aus diesen Überlegungen leitet sich auch der Leibnizsche Satz ab, dass die Natur keine Sprünge macht: Jeder Sprung würde nämlich diese Einheitsstruktur der Monade im wahrsten Sinne aufsprengen. Die Monade würde schizophren. Für Leibniz gibt es also eine Einheit der Raumzeit, die die Einheit der Monade spiegelt. Die Evolution wäre so gesehen die biologische Darstellung dieser inneren Einheit jeder Monade, wobei aber festzuhalten bliebe, dass es eben die Evolution nur gibt, weil es Subjekte gibt (und umgekehrt). Der höchste Grad an Subjektivität ist dann erreicht, wenn die Einheit als Einheit erfasst wird, wenn also ein Selbstverständnis als Subjekt möglich ist. Die Zeit ist leibnizianisch gesehen damit kein großer Behälter mehr, sondern der Spiegel der Monaden und Zeit und Bewusstsein untrennbar verbunden. Ein besonderer Aspekt der Zeit bei Leibniz ist mittels seines Diktums der „prästabilierten Harmonie von Natur und Gnade“ zum Ausdruck gebracht. Um die Einheit der Handlung wahren zu können, muss jedes Handeln zureichend begründet sein. Die entscheidende Pointe bei Leibniz ist aber, dass das menschliche Handeln in der Unendlichkeit Gottes zureichend begründet ist. Der Mensch handelt gewissermaßen frei als Selbstvollzug Gottes. Empirisch gesehen kann niemals festgestellt werden, ob eine Handlung zureichend begründet ist oder nicht, weil wir dazu die Totalität
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aller Gründe einsehen müssten genauso wie empirisch niemals festgestellt werden kann, ob unsere Welt eine zielgerichtete Einheit ist oder nicht. Leibniz meint aber, dies transzendental voraussetzen zu müssen, da sonst der Einheitsgedanke wegfiele und das Universum in völlig zusammenhanglose Fragmente zerfiele. Anders gesagt: Wenn wir uns als Subjekte betrachten können, wozu uns unsere ethische und noetische Erfahrung nötigt, dann laut Leibniz nur unter dem Postulat einer zureichend begründeten Welt, die allerdings nicht in der empirischen Zeit diese Begründung erfährt, sondern im „Unendlichen“, in Gott, in einer nie direkt repräsentierbaren Zukunft („Gnade“). Auf diese Art und Weise schiebt sich bei Leibniz neben die empirische Welt („Natur“) die eschatologische, d. h. die Welt der Freiheit („Gnade“), in die sich die chronologische Zeit transzendieren muss, was immer da passiert, wo sich der Mensch als freies Wesen versteht und auch danach handelt. Es wäre interessant, einen ausführlichen Bogen von Leibniz zu Kant zu spannen, allerdings würde dies den Rahmen meiner Ausführungen sprengen13. Kants Überlegungen können in diesem Rahmen nur kurz angedeutet werden im Hinblick darauf, wo Hegel anknüpft. Bei Leibniz ist die Monade ein Universum und steht nicht in der Raumzeit, sondern zeitigt sich. Das Motiv einer Zeitigung der Zeit begegnet uns auch bei Kant, allerdings mit einem charakteristischen Unterschied: Die Zeit ist dem Subjekt als Anschauungsform vorgegeben, was wiederum nichts anderes bedeutet als dass jedes Subjekt zeitlich eingebettet ist. Ein Sprung ins Unendliche, in eine transzendentale Ewigkeit ist nach Kant nicht möglich. Allerdings muss sofort hinzugefügt werden, dass die Zeit natürlich auch bei Kant kein chronologischer Behälter ist, sondern überhaupt erst durch die produktive Einbildungskraft und deren Schematisierungen begegnet. Es ist diese Einbildungskraft, in der Anschauung und Verstand vermittelt werden und die überhaupt erst so etwas wie eine Erzeugung der Zeit (als Zeitreihe), eine Erfüllung der Zeit (als Zeitinhalt), eine Zeitrelation (als Zeitordnung) und eine Modalität der Zeit (als Zeitinbegriff) ermöglicht. Betrachtet man etwa die Zeitrelation, so ist diese nur mittels Substanz, Kausalität und Wechselwirkung als Verstandeskategorien, insofern diese schematisiert werden, möglich. In Bezug auf unser anfängliches Modell einer Entwicklung der Welt kann also gesagt werden, dass diese Zeitfolge, die dabei in Anspruch genommen wurde, sinnvoll nur in Bezug auf Wesen ausgesagt werden kann, die entsprechende Synthesen vorzunehmen im Stande sind, was auf alle Fälle für den Menschen zutrifft. Weiters ist auf folgenden zentralen Gedanken Kants hinzuweisen, der dann bei Hegel aufgenommen wird: Leibniz geht vom Grundsatz innerer Einheiten, den Monaden aus, die jede für sich ein ganzes Universum bilden. Kants 13 Eine umfassendere Ausführung über das Kantische Zeitkonzept habe ich in „Zeit und Gott“ versucht. Vgl. Appel 2008, S. 64 – 101.
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oberster Grundsatz ist dagegen nicht mehr das substantiierte Ich der Monade, sondern die Tätigkeit des Verbindens. All unser Erkennen besteht im Verbinden („ist“ sagen), in der Synthesis. Entscheidend ist, dass diese Synthesis sich als die oben genannte Zeiterstellung manifestiert. Kants oberster Grundsatz der Synthesis ist bekanntlich das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen begleiten können muss“ und dieses manifestiert sich, wie Heidegger wohl zu recht gesehen hat14, gerade in der Zeiterstellung. Es ist wichtig, dass dieses „Ich denke“ und damit die zeiterstellende Synthesis nicht gegenständlich werden kann, weil wir in einer Vergegenständlichung genau jene Verobjektivierung vor uns hätten, deren Voraussetzung diese Synthesis je schon ist. Mit anderen Worten: Mittels Kant erhalten wir eine radikal negative Bestimmung des „Ich denke“ und eine enge Zusammenbindung desselben mit der Zeit. Das Selbstbewusstsein kann seine Tätigkeit zwar nur zeitlich vermittelt durchführen, es ist dadurch gewissermaßen in der Zeit, niemals aber ein Gegenstand in der Zeit. Dies ist auch der Grundansatz von Hegel, für dessen Verständnis zwei Punkte berücksichtigt werden müssen: 1. Bereits der junge Hegel denkt die Welt nicht wie die Empiristen als Objekt (worunter auch das Subjekt fiele) und auch nicht wie Leibniz als SubjektObjekt-Einheit, sondern als Subjekt-Subjekt-Objekt-Einheit. Welt und Zeit ist uns immer intersubjektiv (sprachlich, geistig) vermittelt. Es gibt keine subjektfreie Zeit. 2. Anschließend an Kant, der, wie wir angedeutet haben, die Zeit auf das engste in die Sphäre des „Ich denke“ rückt ohne dieses zu vergegenständlichen, setzt Hegel Zeit und Selbstbewusstsein gleich. Noch grundsätzlicher gesagt fallen bei Hegel „Zeit“, „Begriff“, „Selbstbewusstsein“, „Gott“, „Negativität“ und sogar „Tod“ auf zu klärende Art zusammen. Das „Ich“ ist kein Gegenstand, kein Objekt, denn jede Objektivität käme im wahrsten Sinne des Wortes „zu spät“, da denkendes „Ich“ und gedachtes „Ich“ niemals zusammenfallen. Wann immer daher das „Ich“ sich in der Welt finden, d. h. spiegeln will, erfährt es lediglich seinen eigenen Entzug. Auf besondere Weise sieht man dies nicht zuletzt in der Sprache: In jedem Wort, welches der Mensch spricht, ist der benannte Gegenstand „aufgehoben“, sprachlich vermittelt. Der Gedanke ist also aufgehobener oder negativer Gegenstand, worin sich die Negativität des Bewusstseins zum Ausdruck bringt. Hegel zeichnet die Zeitstruktur des Bewusstseins bzw. die Bewusstseinsstruktur der Zeit in seinen philosophischen Hauptwerken, sprich der „Phänomenologie des Geistes“ und der „Wissenschaft der Logik“15 minutiös nach: Bereits in der Sinnlichkeit erfährt 14 Vgl. Heidegger 1998. 15 Vgl. Appel 2008, S. 202 – 316; Grießer 2005.
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das Bewusstsein, dass ihm lediglich das aufgehobene „Diese“ oder das Allgemeine bleibt, obwohl es das einzeln Konkrete suchte, welches sich aber ständig verändert und entzieht. Dieses Allgemeine versucht die Wahrnehmung als Ding mit Eigenschaften zu fixieren, aber auch das Ding erweist sich als nicht beständig, insofern es am Gegensatz von Ding und Eigenschaft, von Einzelheit und Allgemeinem zerbricht. In einem weiteren Schritt versucht das Bewusstsein die Welt als Spiel von Kräften und als Reich von Gesetzen zu beschreiben. Allerdings kann auch das ruhige Reich der Gesetze, welches den Unterschied der sich bewegenden Welt zu fixieren und in Gesetze zu binden trachtet und letztlich als Gesetz des Gesetzes zur Aussage „Alles ist unterschieden“ kommt, die Bewegung nicht einholen. Die Wahrheit aber des Satzes, dass ALLES der Unterschied ist, ist das Leben. Denn der Unterschied ist nicht ein Unterschied von fixierten Unterschiedenen, sondern der absolute Unterschied (d. h. Unterschied an ihm selber) und damit die Dialektik von Einheit und Unterschied, wie sie sich im Leben manifestiert. Das Leben unterscheidet in sich das Lebendige, welches es auch wieder zurücknimmt. Es ist (gleich der Zeit) sozusagen nichts Anderes als dieser ständige Wechsel16, als diese fortlaufende neue Gestaltung von Einheit (Leben) und Unterschied (Lebendiges), von Geburt und Tod, von Gattung und Arten, wie sie uns die Evolutionsbiologie auf das Eindrücklichste vor Augen führt. Insofern nun aber in diesem ständigen Sich-Unterscheiden dieser Unterschied sich auf sich selber bezieht (in der Sprache Hegels: in sich selber reflektiert ist) oder anders ausgedrückt: insofern der Unterschied, der das Leben ist, sich in seiner Totalität von sich unterscheidet, vollzieht sich in diesem Bezug ein Übergang von der Sphäre des Lebendigen in die Sphäre des Selbstbewusstseins, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass es, insofern es auf sich zu reflektieren vermag, sich in seiner Totalität von sich unterscheiden und gleichzeitig auch diesen Unterschied in sich zurücknehmen kann. Damit ist philosophisch gesprochen in jedem Selbstbewusstsein der gesamte Lebensprozess verwirklicht wie umgekehrt der gesamte Lebensprozess als Lebensprozess nur gedacht werden kann, insofern er auf eine Selbstbewusstseinsstruktur verweist. Das Diktum der Selbstorganisation der Materie hat hier seine Wahrheit: Sie ist im Leben Selbstorganisation, deren eigentliche Antriebsfeder das Selbstbewusstsein und damit der Geist ist. Ironischerweise fallen also in diesem Gedanken Materialismus und Geistphilosophie in eins. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich das, was in der Evolution sozusagen für das Leben als Ganzes 16 In der Einleitung in das Selbstbewusstseinskapitel der „Phänomenologie des Geistes“ wird das Leben explizit als Zeitgestalt eingeführt: „Das Wesen ist die Unendlichkeit als das Aufgehobensein aller Unterschiede, die reine achsendrehende Bewegung, die Ruhe ihrer selbst als absolut unruhiger Unendlichkeit; die Selbständigkeit selbst, in welcher die Unterschiede der Bewegung aufgelöst sind; das einfache Wesen der Zeit, das in dieser Sichselbstgleichheit die gediegene Gestalt des Raumes hat.“ Siehe Hegel 1993, S. 140.
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gilt, nämlich ein ständiges Sich-Transzendieren (identisch sein mit sich im Anderen seiner), wie es sich im Artsprung (d. h. in den Mutationen) zum Ausdruck bringt, in jedem Selbst verwirklicht. Daher ist meines Erachtens der Mensch nicht eine Art im Reich des Lebens, sondern in jedem Menschen vollzieht sich der gesamte biologische Lebensprozess, der umgekehrt wiederum auf den Menschen verweist. Was Hegels Modell also auszeichnet, ist, dass es zwar durchaus kompatibel ist mit den Erkenntnissen der Astronomie und der Evolutionsbiologie, aber die Akzente anders setzt: Jede Stufe geht sozusagen in ihrem Vorwärtsschreiten in die nächsthöhere Stufe als deren vorausgesetzte Wahrheit zurück, das Nichtlebendige, welches kausalen Mechanismen folgt und objekthaften Charakter hat, geht zurück in das Lebendige, welches damit Folge, aber auch Grund des ersteren ist. Das Lebendige wiederum verhält sich auf diese Weise zum Selbstbewusstsein. Das Selbstbewusstsein, also der sich auf sich beziehende Unterschied, unterscheidet sich wiederum als „gedoppeltes Selbstbewusstsein“, d. h. als Einheit von Individualität und allgemeinem Geist. Im tiefsten Sinne ist dieser Unterschied des Selbstbewusstseins das Sich-Anders-Werden des eigenen Selbstbezugs oder die absolute Unverfügbarkeit des Entzugs, das nicht mehr vergegenständlichbare Andere „inmitten“ des Eigenen, welches (zumindest in den Spuren Hegels) „Gott“ genannt werden kann, insofern er dieser Aufgang des nicht verfügbaren Anderen ist. Jede dieser Stufen, und damit möchte ich die Überlegungen, die im Ausgang von Hegel angedacht wurden, abschließen, führt ihr eigenes Zeitkonzept mit sich.
4.
Schöpfungs- und zeittheologische Konsequenzen
In der Stufe des anorganischen Vorlebendigen ist die Zeit gewissermaßen ein mechanistisches Außereinander, die Zeit des Lebens zeichnet sich dadurch aus, dass ihr eine zyklische Zeit entspricht, insofern sie das Lebendige in sich ständig neu hervorbringt und wieder zurücknimmt, wobei sich allerdings bereits das Selbstbewusstsein im evolutiven Fortschreiten ankündigt. Dieses Selbstbewusstsein hat den Lebensprozess und das Vorlebendige als ewige Vergangenheit seiner selbst gesetzt, insofern das Anorganische und das Lebendige gesetzte Voraussetzung des Selbstbewusstseins sind, welches Folge und Grund desselben ist. Dass allerdings das Anorganische zum Lebendigen und das Lebendige zum Selbstbewusstsein auch in einem chronologischen Sinne vorwärtsschreiten, offenbart bereits das Selbstbewusstsein als Triebfeder desselben. Denn dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass es in seiner Freiheit auch Zukunft hat und hin zu Neuem fortschreiten kann. Das Selbstbewusstsein kann sich auch zu seinen
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eigenen Ur-Sprüngen verhalten und damit zu seiner Vergangenheit, ebenso wie es gerade in der Praxis, d. h. im Versprechen, Zeugnis etc. in die Zukunft weist. Allerdings ist die Zeit des Selbstbewusstseins ihrerseits wiederum in eine andere Zeitstufe eingebettet: Es wurde angedeutet, dass das Selbstbewusstsein radikale Alterität impliziert, insofern es „Sich-Anders-Werden“ im eigenen Selbstbezug ist17. Diese Alterität erfährt es im Letzten als Entzug jeder Selbstverortung, als absolute Negativität seiner, in der eine Unterbrechung/ein Bruch der ihm eigenen Zeit einhergeht. Diesen Bruch kann das Selbstbewusstsein als „zweiten Tag“, d. h. als Tod und Chaos erfahren, wenn es die Zeit als diese Alterität, wie es in der biblischen Sündenfallgeschichte, die unmittelbar auf die Schöpfungsgeschichte folgt, der Fall ist, unter Kontrolle bringen will, also seine eigene Sterblichkeit als Hingebenmüssen zugunsten absoluter Selbstkontrolle verneinen möchte. In diesem Falle wird es die Zeit als zu Überwindendes betrachten müssen, das nicht sein darf. Das Selbstbewusstsein wird die Zeit „tilgen“ zu(un)gunsten metaphysischer Gottesvorstellungen18 oder im säkularen Surrogat eines Perpetuum mobile19, welches eine ewig weiterlaufende Zeit ohne Telos (Zeit ohne Finale20) bezeichnet. Der andere Weg ist durch die biblische Schöpfungsgeschichte angedeutet: Die Zeit des (liturgischen) Festes ist die Unterbrechung, die Alterität der (ersten) Zeit (der anfänglich biblisch festgemachten Dreigliederung), des „Ein Tag“, der auf die Nacht des Todes („zweite Zeit“) zusteuert, allerdings eine Alterität der Zeit, die weder in eine zeitlos-nihilistische Ewigkeit (Metaphysik) noch in die Ewigkeit im Sinne der „schlechten“ Unendlichkeit eines ewig maschinell weiterlaufenden Kosmos umkippt. Diese Zeit, die uns in der biblischen Schöpfungsgeschichte am siebenten Tag als Epiphanie begegnet ist, kann nun näher bezeichnet werden: Der siebente Tag, wie ihn die Bibel andenkt als festliche Unterbrechung der Zeit, ist das Wissen um den Entzug des Seins, in dem die Zeit21, das „Ich“, der „Tod“ zu verorten sind. Dieses Wissen, biblisch gesehen der 17 Diese Erfahrung des Sich-Anders-Werdens im eigenen Selbstbezug zeichnet jede geistvolle Begegnung aus, welche immer mit einer De-Zentrierung des eigenen Wunsches und damit des eigenen Selbstbezugs verbunden ist. 18 Unter metaphysischer Gottesvorstellung ist hier der Gedanke eines Gottes als absolutes Sein verstanden, der durch die Zeit nicht berührt ist, sondern in einer zeitenthobenen Ewigkeit verweilt. Dieses Sein wäre tatsächlich der Zeit radikal entgegengestellt. 19 Das Perpetuum mobile ist wohl nicht zufällig ein Leitmotiv der Neuzeit. Es stellt einen absoluten und fortlaufenden Selbstbezug dar, der keinen Entzug und damit auch keine Zeit kennt. Damit tritt es in gewisser Hinsicht an die Stelle Gottes: Es ist der mechanisierte Gott. 20 Vgl. Metz 1992. 21 Die Zeit muss von diesem Entzug her bestimmt werden, denn sie selber ist keine „Strecke“, die durch Quantelung messbar wäre, aber auch kein kontinuierlicher Fluss. Die Zeit selber „vergeht“ weder noch „steht“ sie.
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dritte Tag oder Morgen ist die Anerkennung dieses Entzugs, das Ja zur eigenen Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Entzogenheit und zur Entzogenheit, Sterblichkeit, Verletzlichkeit des Anderen. Was also gefeiert wird und wodurch die Schöpfung als solche offenbar ist, ist ihre Sterblichkeit. Einen der schönsten Gedanken dazu gibt uns indirekt Kant, wenn er in seiner „Kritik der Urteilskraft“ über das Naturschöne schreibt: „Aber dieses Interesse, welches wir hier an Schönheit nehmen, bedarf durchaus, dass es Schönheit der Natur sei; und es verschwindet ganz, sobald man bemerkt, man sei getäuscht, und es sei nur Kunst“.22 Die Täuschung läge, wie zuerst wohl H.D. Bahr bemerkt hat23, genau im Verlust der Sterblichkeit und damit im Verlust der Transzendenz der Zeit. Das Merkwürdige also an dieser „dritten“ Zeit, die in der Auferstehung am „dritten Tag“ genauso wie im siebenten Tag des Sabbats zum Ausdruck kommt, ist, dass sie den Tod (die Nacht der „zweiten“ Zeit) gewissermaßen „verdoppelt“ bzw. dramatisch wiederholt, denn wie er ist sie nur negativ als Unterbrechung erfahrbar. Damit wird auch eine Wahrheit der bisherigen Zeiten deutlicher : War der Tod im mechanischen Auseinander höchstens versteckt als Entropie präsent und im Lebensprozess noch im zyklischen Werden und Vergehen eingeborgen, so zeigt er sich jetzt als die Wahrheit des Lebens und in einem noch grundsätzlicheren Sinne als die Wahrheit des Selbstbewusstseins und seiner Zeit, die nicht chronologisch ins Unendliche fortschreitet, sondern endet. Die Frage allerdings ist, wie dieses Ende zu fassen ist: Oben wurde angedeutet, dass der Mensch mit diesem Entzug des Endes so umgeht, dass er ihn seiner Kontrolle unterwerfen will. Den ältesten Versuch dazu finden wir in der Genealogie24. In ihr will sich der Mensch der eigenen Vergangenheit und der eigenen Zukunft vergewissern und in diesen Vergewisserungen den Entzug der Zeit „füllen“, also ewig weiterleben. Allerdings ist die Genealogie zutiefst bedroht, denn, wie der Mensch allzubald erfährt, sind auch Sippen und Völker der Vergänglichkeit Preis gegeben. Als ultimative Überwindung der Zeit finden sich daher zwei Versuche: Der erste liegt – seit Parmenides bzw. seit den nach seinem Tod einsetzenden Interpretationen seiner Schriften – im metaphysischen Versuch, das zeitliche Sein als „Nichts“ zu dechiffrieren und ihm eine ebenso unerreichbare wie unberührbare Ewigkeit entgegenzusetzen. Der zweite Versuch ist das Erbe des ersten: Die „jenseitige“ Ewigkeit wird mitten in die Zeit verlegt, indem die Zeit maschinell gequantelt und dadurch zum Stillstand gebracht25 und berechenbar wird. An die Stelle Gottes tritt die Maschine, welche ihre tiefste Ausdrucksform im Perpetuum mobile als unendlicher Kausalkette hat. Die Welt wird zu einer 22 23 24 25
Kant AA V, 302. Vgl. dazu die erhellenden Analysen von Bahr 1985, S. 254 – 257. Vgl. Heinrich 1966. Bereits Zenon hatte Parmenides in diesem Sinne verstanden und auf dieser Grundlage seine Aporien, z. B. die vom „ruhenden Pfeil“ konstruiert.
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ewig linear fortlaufenden potenziell berechenbaren Funktion, die kein Ende mehr kennt. Wir sind damit im heutigen Zeitverständnis angelangt, wobei vielleicht noch angemerkt werden kann, dass sich der Verdacht aufdrängt, dass die linearen Kausalketten (Ursache-Wirkung/Ursache-Wirkung etc.) das säkulare Surrogat der Vater-Sohn-Genealogie darstellen. Am Ende dieses Zeitverständnis steht dann konsequenterweise das absolute Nichts, welches alle Strukturen in ihrem Eigenwert tilgt und auflöst und als Symbol nur mehr das Grauen einer unendlichen Leere mit sich bringt. Dieses Bild wird sowohl in heutigen kosmologischen Modellen sichtbar als auch im Umgang mit dem Tod, wo an die Stelle des Verstorbenen das Grauen einer absoluten Leere gesetzt wird. Der neben Metaphysik und Quantifizierung dritte Weg dagegen ist der Verzicht darauf, den Entzug der Zeit und damit den Tod in die eigene Verfügbarkeit zu bringen. Allerdings stellt sich dieser nicht in Form einer noblen Eigentlichkeit im Sinne des „Seins zum Tode“ Heideggers (der allerdings diesen dritten Weg wieder für unsere Zeiten beschreitbar gemacht hat) dar. Vielmehr ist der entscheidende Umschlagspunkt die Epiphanie des Anderen, der gekoppelt ist mit einem Versetzungsschritt aus dem eigenen Verfügungswillen. Auf diese Epiphanie der Zeit „antwortet“ das (liturgische) Fest in sich weggebender Freude. Es wird damit die eigene Sterblichkeit, die sich in der Begegnung mit dem Anderen (wenigstens momenthaft) vollzieht, festlich begangen – in diesem Sinne wäre jedes Fest, welches die eigene Sterblichkeit durch den augenblicklichen Genuss (im Sinne einer bloßen „Party“) zu ersetzen trachtet die Perversion des Festes – und die eigene Ex-sistenz in ein Geschehen hinein transzendiert, welches immer schon ursprünglicher als die eigene Selbstsetzung gewesen sein wird. Vielleicht ist in diesem festlich-liturgischen Aktus, der natürlich auch weitreichende ethische Konsequenzen (im Sinne eines Von-sich-Absehens) hat, wie angedeutet, auch die große Figur Kants einer „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ zu finden, die er in der „Kritik der Urteilskraft“ im Naturschönen verortet26. Denn der letzte Zweck der Zeit ist in diesem Geschehen nicht mehr intentional erschließbar, sondern stellt einen Aufgang (eine Epiphanie) dar, den (die) das Fest, ohne auf ein bestimmtes äußeres Ziel zuzusteuern, vorwegnimmt, indem es alle Zwecksetzungen noch einmal transzendiert, womit das Geheimnis des siebenten Tages und seiner Ruhe als höchster Tag in den Horizont als Mitte der Zeit rückt.
26 Kant AA V, 301.
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Literatur Appel, K.: Zeit und Gott. Mythos und Logos der Zeit im Anschluss an Hegel und Schelling. Paderborn 2008. Bahr, H.D.: Sätze ins Nichts. Ein Versuch über den Schrecken. Tübingen 1985. Bahr, H.D.: Zeit der Muße – Zeit der Musen. Tübingen 2008. Grießer, W.: Geist zu seiner Zeit. Mit Hegel die Zeit denken lernen. Auf dem Weg zu einer „Metaphysik“ der Zeit. Würzburg 2005. Hegel, G.W.F.: Phänomenologie des Geistes (Werke 3). Frankfurt a.M. 1993. Heinrich, K.: Parmenides und Jona. Frankfurt a.M. 1966. Kant, I.: Gesammelte Schriften. Hg. v. der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften (Akademie-Ausgabe). Berlin 1900 ff (= AA). Klein, H.D.: System der Philosophie. Band II. Naturphilosophie,.Frankfurt a.M. 2006. Koch, A.F.: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006. Leibniz, G.W.: „Monadologie“, in: Leibniz, G.W.: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Übersetzt von Arthur Buchenau mit Einleitungen und Anmerkungen herausgegeben von Ernst Cassirer (PhB 496 – 497). Hamburg 1996. Metz, J.B.: Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Würzburg 1992. Schrödinger, E.: Was ist Leben? Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet. München 1951. Teilhard de Chardin, P.: Der Mensch im Kosmos. München 1959. Wuketis, F.: Evolution. Die Entwicklung des Lebens. München 22005. Zenger, E.: Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte (SBS 112). Stuttgart 1983.
Autorenverzeichnis
Kurt Appel ist Professor für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Ulrich Barth ist Professor für systematische Theologie an der EvangelischTheologischen Fakultät der Universität Halle. William Carroll ist Professor für Philophie an der Faculty of Theology and Religion an der University of Oxford. Philip Clayton ist Professor für Systematische Theologie an der Claremont School of Theology, USA. Ronald Cole-Turner ist Professor für Theologie und Ethik am Theological Seminary Pittsburgh, USA. Celia Deane-Drummond ist Professorin für Theologie am Department of Theology an der University of Notre Dame, USA. Erwin Dirscherl ist Professor für Fundamentaltheologie an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Regensburg. Vittorio Hösle ist Professor für Philosophie am Department Of German and Russian Languages & Literatures an der University of Notre Dame, USA. Ludwig Huber ist Professor für Kognitionsbiologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Christian Illies ist Professor für Philosophie an der Universität Banberg. Ulrich Kattmann ist em. Professor für Biologie an der Universität Oldenburg.
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Autorenverzeichnis
Hans-Dieter Klein ist em. Professor für Philosophie an der Universität Wien. Ulrich Körtner ist Professor für Systematische Theologie an der EvangelsichTheologischen Fakultät der Universität Wien. Christian Kummer SJ ist Professor für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Gerd Müller ist Professor Theoretische Biologie an der Universität Wien und Vorstand des Konrad Lorenz Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung. Hans-Dieter Mutschler ist Professor für Naturphilosophie an der philosophischpädagogischen Hochschule Krakau. Erhard Oeser ist em. Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität Wien. Hans Poser ist em. Professor für Philosophie an der Technischen Universität Berlin. Horst Seidl ist Professor für Philosophie an der Lateran-Universität Rom.
Die Herausgeber Rudolf Langthaler ist Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Hubert Philipp Weber ist Lehrbeauftragter am Institut für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.