Strategie und Kultur: Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor 9783839447550

Strategy is an ability. Based on this thesis, the volume develops a universal theory of strategy that leads to new ways

208 27 4MB

German Pages 336 Year 2019

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Widmung und Dank
1. Hinführung und These
2. Zusammenspiel von Kultur und Strategie
3. Kulturmanagement und Strategie
4. Der künstlerisch-kulturelle Inhalt als Zentrum der Eigengesetzlichkeiten des öffentlich getragenen Kultursektors
5. Die militärische und wirtschaftliche Perspektive
6. Elemente der Strategietheorie
7. Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor
8. Theoretisch-praktische Anwendung
Anhang
Quellenverzeichnis
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Strategie und Kultur: Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor
 9783839447550

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Björn Johannsen Strategie und Kultur

Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement

Björn Johannsen (Dr. phil.) studierte Orchesterschlagzeug und Kulturmanagement und wurde am Institut für Kultur- und Medienmanagement Hamburg promoviert. Er ist Gründer der Kulturberatung Fishberg.

Björn Johannsen

Strategie und Kultur Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Dissertation am Institut für Kultur- und Medienmanagement (KMM) der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2019, unter dem Titel »Über Strategie – Entwicklung einer allgemeingültigen Theorie der Strategie und deren kontextuale Spezifizierung im öffentlich-getragenen Kultursektor«.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4755-6 PDF-ISBN 978-3-8394-4755-0 https://doi.org/10.14361/9783839447550 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis | 9 Tabellenverzeichnis | 11 Abkürzungsverzeichnis | 13 Widmung und Dank | 15 1

Hinführung und These | 17

1.1 1.2 1.3 1.4

Ausgangslage | 17 These | 20 Ziele und Schwerpunkte | 21 Forschungsstand, Methode und Aufbau | 24

2

Zusammenspiel von Kultur und Strategie | 33

2.1 2.2 2.3 2.3.1

Aufbau des Kapitels | 33 Der Kulturbegriff | 34 Strategie als Fähigkeit | 40 Die aus der Neudefinition von Strategie als Fähigkeit resultierenden Folgen | 43 Strategie als Hervorbringung der Kultur im weiten Sinne | 48 Zusammenfassung, Reflexion und weiteres Vorgehen | 51

2.4 2.5

Kulturmanagement und Strategie | 55 3.1 Aufbau des Kapitels | 55 3.2 Kulturmanagement: Herausforderungen und Begrenzungen | 56 3.2.1 Grenzen der Betriebswirtschaft im Kontext des Kulturmanagements | 56 3.2.2 Kulturmarketing und Erlebnisgesellschaft | 59 3.3 Strategie im kulturmanagerialen Kontext | 73 3.3.1 Der Kulturstratege | 78 3.4 Zusammenfassung, Reflexion und weiteres Vorgehen | 82 3

4

Der künstlerisch-kulturelle Inhalt als Zentrum der Eigengesetzlichkeiten des öffentlich getragenen Kultursektors | 85

4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3

Aufbau des Kapitels | 85 Rahmenbedingungen des künstlerisch-kulturellen Inhalts | 87 Perspektive 1: Zuwendungen und Meritorik | 87 Perspektive 2: Rezeption, Partizipation und kulturelle Bildung | 104 Zusammenfassung, Reflexion und weiteres Vorgehen | 110

5

Die militärische und wirtschaftliche Perspektive | 113

5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.4

Aufbau des Kapitels | 113 Militärische Perspektive | 114 Wirtschaftliche Perspektive | 124 Wettbewerbsstrategien | 124 Ressourcenstrategien | 133 Der blaue Ozean als Strategie | 138 Konfigurationsstrategie | 143 Zusammenfassung, Reflexion und weiteres Vorgehen | 147

6

Elemente der Strategietheorie | 151

6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.3.1 6.3.2 6.4

Aufbau des Kapitels | 151 Der dynamische Kern | 152 Komplexität und Kompliziertheit | 152 Systemtheorie und Kybernetik | 154 Emergenz und Zufall | 159 Der strategische Plan | 162 Unterscheidung zwischen statischen und strategischen Plänen | 162 Unterscheidung zwischen strategischem Plan und Taktik | 166 Strategischer Rahmen, strategisches Gesamtbild und potenziell Seiendes | 171 Der Zweck | 176 Probleme: Start, Maßnahmen und Ziele | 179 Strategieren | 183 Zusammenfassung, Reflexion und weiteres Vorgehen | 193

6.5 6.6 6.7 6.8

7

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 195

7.1 7.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4

Aufbau des Kapitels | 195 Der Kulturauftrag als kultureller Zweck | 197 Kulturelles Zielsystem | 203 Aufmerksamkeit und Zeit | 205 Differenzierung | 214 Ästhetik und Qualität | 233 Zusammenfassung, Reflexion und weiteres Vorgehen | 243

8

Theoretisch-praktische Anwendung | 247

Aufbau des Kapitels | 247 Empfehlung mittels acht Theoremen | 248 Praktisches Vorgehen | 251 Erschließung des potenziell Seienden des strategischen Gesamtbildes | 251 8.3.2 Konkrete Entwicklung des strategischen Plans | 254 8.4 Allgemeine Reflexion und Ausblick | 257 8.1 8.2 8.3 8.3.1

Anhang | 261

Interview Gerd Uecker | 261 Interview Andreas Hoffmann | 275 Interview Konstanze Ullmer | 293 Übersicht der untersuchten Definitionen | 304 Quellenverzeichnis | 313

Literaturquellen | 313 Magazinquellen | 328 Internetquellen | 329 Interviewquellen | 332 Weitere Quellen | 333

Abbildungsverzeichnis

Gegenüberstellung der untersuchten Fälle | 47 Prägung diverser Disziplinen durch das Strategieverständnis der Wirtschaft | 50 Strategie als kulturelle Hervorbringung | 51 Kulturmanager und Kulturstratege | 81 Die zwei Perspektiven auf den Inhalt | 87 Das Drei-Sektoren-Modell | 90 Das Verständnis von Strategie und Taktik bei Clausewitz | 123 Gegenüberstellung diverser Interpretationen der Generischen Strategietypen | 132 Das Zusammenspiel der Elemente der Strategietheorie | 174 Die Verschiebung des strategischen Rahmens im Verlauf der Zeit | 175 Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Zwecks | 178 Die Verkürzung der Zeit | 192 Das Verlassen des Zwecks | 203 Die drei Stufen der Wahrnehmung | 209 Die Spielarten des Andersseins | 217 Die Luhmann-Habermas-Kontroverse | 228

Tabellenverzeichnis

Der lateinische Begriff colere | 34 Gegenüberstellung neuer und traditioneller Begriffsverwendungen | 53 Unterscheidung der Begriffe komplex und kompliziert | 153 Unterscheidung der Begriffe Aufgabe und Problem 1 | 163 Unterschiedliche Zweckbetrachtungen | 176 Unterscheidung der Begriffe Aufgabe und Problem 2 | 181 Gegenüberstellung der Kulturaufträge des Deutschen Schauspielhauses und des Thalia Theaters | 199 Zielsysteme öffentlich getragener Kultursektor und Privatwirtschaft | 204 Wahrnehmung und Zeit | 210 Innovationsgrade | 231 Vereinfachte Darstellung unterschiedlicher Maßnahmenebenen | 256

Abkürzungsverzeichnis

[...] [..] Strategie T [!]

Auslassung mehrerer Worte Auslassung nur eines Wortes Bezug auf ein traditionelles Verständnis von Strategie Korrekte Zitation trotz nicht aktueller Rechtschreibung

Widmung und Dank

Im Kloster Triefenstein, in der Nähe von Würzburg direkt am Main gelegen, durfte ich von Januar 2016 bis Oktober 2018 in der Gemeinschaft der Christusträger leben, um in der Besonderheit und der Abgeschiedenheit dieses Ortes, fernab eines mir ansonsten bekannten und auch ablenkenden Alltags einer Großstadt, an meiner Dissertation zu denken, zu arbeiten, zu schreiben. Sie ist daher allen Brüdern der Christusträger in Triefenstein gewidmet, die mich für diese Zeit aufgenommen, unterstützt, weitergebracht, manchmal doch auch abgelenkt und vieles mehr haben. In alphabetischer Reihenfolge sind es: • • • • • • •

Br. Bodo Br. Christian Br. Dieter Br. Felix Br. Gustav Br. Hans Br. Helmut

• • • • • • •

Br. Johannes Br. Jörg Br. Markus Br. Reinhart Br. Siegfried Br. Uwe Br. Werner

Bedanken möchte ich mich bei den Betreuern meiner Doktorarbeit Prof. Dr. Friedrich Loock vom Institut für Kultur- und Medienmanagement Hamburg sowie Prof. Dr. Rainer Zimmermann von der Hochschule Düsseldorf für den inspirierenden und wegweisenden Austausch sowie die Mut machende Begleitung. Ebenso möchte ich Prof. Gerd Uecker, Prof. Dr. Andreas Hoffmann und Konstanze Ullmer für ihre Bereitschaft danken, mir als Interviewpartner Einblicke in ihr Arbeiten und ihre Ansichten gewährt zu haben. Schlussendlich gilt mein Dank ohne große Worte meinen Eltern.

1

Hinführung und These

Deutschland, eine Kulturnation. Eine Nation, die auf ein kulturelles Erbe großen Umfangs zurückblickt. Ein Erbe, das auf einer abstrakten Ebene mit der Wortverbindung Dichter und Denker beschrieben wird. Ein Erbe, das im Falle der Theater- und Orchesterlandschaft Deutschlands ganz konkret seine Würdigung erfährt durch die Verleihung des UNESCO-Prädikats Immaterielles Weltkulturerbe – ein Blick allein auf die Opernlandschaft zeigt, dass jedes siebte Opernhaus weltweit ein deutsches ist. Wie entstand ein solches Erbe?

1.1 AUSGANGSLAGE In einem Staccato kann das kulturelle Erbe Deutschlands – das für die heutige Zeit sichtbare Folgen hat – und das Zustandekommen des Erbes wie folgt wiedergegeben werden: • 17. und 18. Jahrhundert – Bedingt durch den Absolutismus deutscher Prägung

fördern die Herrschenden der rund 300 deutschen Klein- und Stadtstaaten einerseits die unterschiedlichsten Kunstformen als auch andererseits die Hervorbringung entsprechender Einrichtungen; jedoch nicht nur um der hehren Kunst willen, sondern auch, um die Macht, das Ansehen und die Bedeutung des eigenen Hofes gegenüber anderen zu behaupten. • 19. Jahrhundert – Aufgrund eines erstarkenden Bürgertums mit einer hohen privaten Bereitschaft zur Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens wird das bestehende Kulturangebot durch Neugründungen von Einrichtungen erweitert. Dieses als Ausdruck eines gesteigerten Nationalbewusstseins dient der Abgrenzung gegenüber anderen Nationen und spiegelt das Streben nach einer nationalen Einheit und Identität wider.

18 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

• 20. Jahrhundert – Stifter, Förderer und Mäzene übergeben die zuvor gegrün-









deten Einrichtungen in die Obhut der öffentlichen Hand, der die finanzielle Absicherung im selben Maße auferlegt wird. Nach 1945 – Den Entbehrungen während des Zweiten Weltkriegs ist es geschuldet, dass in den Jahren nach dessen Ende ein großes Bedürfnis nach Kultur entsteht. Kommunen greifen das im 19. Jahrhundert anzutreffende Verständnis einer pluralistischen Kulturförderung auf mit der Folge, dass das kulturelle Angebot in seiner Vielfalt weiter zunimmt. Eine Kulturförderung dergestalt verfolgt neben der Verhinderung des Gebrauchs eines Kulturbegriffs, wie er durch das nationalsozialistische Regime propagiert wurde, auch die zukünftige Verhinderung der Wiederholung seiner Schreckenstaten. 1970er Jahre – Die Tendenz der Zunahme kultureller Angebote wird beibehalten. Im Zuge eines erweiterten Verständnisses von Kultur, einer Kulturpolitik für alle und einer Neuen Kulturpolitik entstehen weitere Einrichtungen wie die der Soziokultur, um möglichst viele gesellschaftliche Schichten zu erreichen, ohne jedoch Bestehendes zu hinterfragen oder eine Gewährleistung der finanziellen Sicherheit zu prüfen. 1980er Jahre – Zwar wird die Kultur als ein Wirtschaftsfaktor erkannt, dennoch tun sich keine neuen Finanzierungsmöglichkeiten auf, um ein im Laufe der Jahrzehnte stark gewachsenes Kulturangebot zu unterhalten. Im Gegenteil: Unter anderem aufgrund der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten kommt es zu monetären Einbrüchen in der öffentlichen Kulturfinanzierung. Seit den 1990er Jahren – Private Kulturanbieter erfüllen die Bedürfnisse einer medial geprägten, nach Erlebnissen dürstenden sowie kommerziell geprägten Gesellschaft rascher als Einrichtungen der öffentlichen Hand mit ihrem Verharren auf althergebrachten Traditionen und Strukturen.1

Ungebrochen ist die Kultur auch zu Beginn des neuen Jahrtausends in ihren vielfältigen Facetten von Wert – dem Staat, der Gesellschaft, der Demokratie. Aus diesem Grund finanziert der Staat beziehungsweise investiert die öffentliche Hand nach wie vor aus einem politischen Willen heraus in die Grundversorgung ihrer Bürger mit und durch Kultur. Die öffentliche Hand subventioniert nicht, nein, sie investiert. Diese Unterscheidung ist für das Selbstverständnis von Kultur bedeutsam, ist es doch die Unterscheidung zwischen einer negativen und einer positiven Konnotation, zwischen der Unterstützung eines hilfsbedürftigen Defizitären und der Unterstützung eines förderungswürdigen Wertvollen. Doch

1

Der kulturell-historische Überblick geht zurück auf Heinrichs (1997) und Wagner (2009).

Hinführung und These | 19

leider gerät die Kultur ins Hintertreffen. Und zwar dort, wo ihre Einrichtungen sich in einem Verteilungskampf befinden. In einem Verteilungskampf um Mittel, einem Verteilungskampf gegen andere Institutionen. In der Folge sind Kultureinrichtungen einem zusehends stärker werdenden wirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Zur Begegnung mit diesen und anderen Herausforderungen – um weitere zu nennen: Publikumsrückgang, Fusionen von tradierten Einrichtungen, Spartenschließungen, kritisches Hinterfragen des Gebrauchs von Steuergeldern2 – ist eine Grundeinstellung vonnöten, die sich am ehesten mit der eines strategischen Denkens und Handelns beschreiben lässt. Doch in Kultureinrichtungen, die eine Finanzierung durch die öffentliche Hand erfahren, in deren Trägerschaft verortet sind und im Zuge dessen einen kulturpolitischen Auftrag erfüllen, ist nicht selten ein anderer Glaube anzutreffen: Sie wähnen sich in der vorteilhaften Situation, scheinbar losgelöst von jedwedem Marktgeschehen zu agieren – gepaart ist der Glaube mit der Einstellung, Kunst und Kultur stünden erhaben über dem Markt. Diese Argumente wiederum führen zu dem Irrglauben, jenes strategische Denken und Handeln sei nicht notwendig. Doch das Gegenteil ist der Fall. Strategisches Denken ist gerade für Zuwendungen erhaltende Kultureinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft von elementarer Wichtigkeit. Eben weil sie einen kulturpolitischen Auftrag zu erfüllen haben und dieser und entsprechende Arbeitsplätze durch des Bürgers Steuergelder finanziert werden. Doch der Finanzier scheint immer weniger Zugang zu den kulturellen Angeboten zu finden. Aus diesem Grund wird seitens der Kultureinrichtung und des Kulturmanagements der Versuch unternommen, den Besucher ins Zentrum der Betrachtung zu rücken und dessen primärem Bedürfnis nach Erlebnis, Spaß und Unterhaltung gerecht zu werden – entsprechend der Titulierung der heutigen Gesellschaft als Erlebnisgesellschaft. Kultureinrichtungen und Kulturmanagement finden sich infolgedessen in einem Spannungsverhältnis wieder, das sich auszeichnet durch das Bewahren von künstlerisch-kulturellen Inhalten auf der einen und dem Ermöglichen von Zugängen zu diesen auf der anderen Seite – verbunden mit der Gefahr der Trivialisierung und Popularisierung. Auch dieses Spannungsverhältnis führt dazu, dass sich das Kulturmanagement in den Kultureinrichtungen Fragen zur Strategie stellen muss.

2

Vgl. Scheytt (2008), S. 46 sowie Schmidt (2017), S. 6, 95.

20 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

1.2 THESE Die Beschreibung der Ausgangslage scheint vorauszusetzen, dass Klarheit zum einen herrsche in der Frage, was Kultur sei; und zum anderen, was Strategie sei. Allerdings ist dies keineswegs der Fall. So liegt die Problematik des mehrdeutigen Kulturbegriffs nicht darin begründet, dass verschiedene Tatsachen mit demselben Begriff besetzt sind. Vielmehr handelt es sich um ein Problem der Spezifikation: Der Kulturbegriff besitzt diverse Dimensionen.3 Ihre Verwirrung über den Strategiebegriff wiederum bringt die Unternehmensberaterin Catherine Fitzgerald zum Ausdruck: „Learning about strategy turned out to be a challenging venture. The books and articles I read were initially more confusing than illuminating.“4 Wie kommt es, dass ein Begriff, der so inflationär im Gebrauch ist, bei einer tieferen Auseinandersetzung mit ihm für eine umso größere Verwirrung sorgt? Ein Grund ist die Anzahl an Synonymen, die in der Literatur zu finden ist und Situationen im Alltag, in denen der Begriff ungenau verwendet wird. So ist die Rede von Plan, Methode, Konzept, Programm oder Vorgehen. Wenn Strategie alleinig ein Vorgehen ist, so ist scheinbar jedwedes Kochrezept, jeder Beipackzettel, der die Einnahme eines Medikaments beschreibt, bereits eine Strategie. Ein weiterer Grund für die unklare Verwendung liegt in der Tatsache begründet, dass die Wirtschaft – und dabei insbesondere die der angloamerikanischen Länder – den Begriff Strategie forcierten. Dieser fand sich in deren fester Umklammerung wieder, wie sich unter anderem in den mehr als 12.000 Artikeln zum Thema zeigt, die in dem Wirtschaftsmagazin Harvard Business Review seit seiner Erstausgabe im Jahr 1922 veröffentlicht wurden.5 Der Umstand, dass „jeder Autor hierfür [für den Begriff Strategie, BJ] seine eigene Definition zur Hand [hat]“6, ist ein weiterer Garant für begriffliche Unklarheiten. Strategietheoretiker fordern daher ein neues Verständnis von Strategie. Dieses soll neue Impulse in die Diskussion bringen und mit unkonventionellen Ideen aufwarten. Gerry Johnson und Ann Langley beispielsweise trennen sich von einer klassischen Interpretation des Begriffs Strategie und nehmen – der Forderung nachkommend – eine andersartige Sicht auf die Strategie ein. Sie

3

Vgl. Recki (2014), S. 281.

4

Fitzgerald und Berger: Executive coaching: Practices & perspectives, Palo Alto, 2002, zit. nach Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 10.

5

Vgl. Nagel und Wimmer (2015), S. 27, 47. Der Berater Peters schildert ebenso, dass er in seinem Berufsleben viele der Millionen zum Thema Strategie veröffentlichten Artikel gelesen hat, vgl. Peters (1995), S. 307.

6

Scheuss (2012), S. 380.

Hinführung und These | 21

betonen: „We take a different perspective: strategy is something that people do.“7 Letzten Endes sind drei Grundsatzfragen zu beantworten, ehe zu beleuchten sein kann, wie Kultureinrichtungen strategisch agieren können: 1. Was ist Kultur? 2. Was ist Strategie? 3. In welchem Verhältnis stehen Strategie und Kultur zueinander?

Anders als bei Johnson und Langley wird die Beantwortung dieser drei Fragen zeigen, dass Strategie nicht etwas ist, was Menschen tun, sondern dass sie etwas ist, was sie besitzen. Somit lautet die Hauptthese: Strategie ist eine Fähigkeit. Eine Fähigkeit, auf besondere Art und Weise zu denken und zu handeln. In der Geburtsstunde dessen, was als Kultur bezeichnet wird – die Unterscheidung des Urmenschen vom Tier – entsteht jenes Denken und Handeln mit der Folge, dass Strategie als Fähigkeit eine Form von Kultur im weiten Sinne ist. Mit dieser These wird die landläufige Auslegung, die Disziplinen Militär und Wirtschaft besäßen die Hoheit auf die Strategie, widerlegt. Beide sind lediglich Ausprägungen der Strategie als Fähigkeit in ihren spezifischen Kontexten. Neben diesen gibt es weitere Disziplinen wie beispielsweise die Politik, das Alltägliche oder jener Bereich, der als Kunst und Kultur betitelt wird mit ebenfalls seinen eigenen Kontexten und Besonderheiten.

1.3 ZIELE UND SCHWERPUNKTE Die Literatur betont die Notwendigkeit von Strategie. In neu erscheinenden Veröffentlichungen mit mehr oder minder althergebrachtem Inhalt wird das umfangreiche Instrumentarium der Strategie angeboten und es scheint, als wäre das Wie der Strategie – wie entwickelt sie sich? – so zu greifen. Dies ist allerdings nicht der Fall. Das Instrumentarium bietet allenfalls Hilfestellung für das, was wirklich vonnöten ist: Ein erweitertes Denken, das zu erreichen ist, „indem wir auf das achten, was sich als zu Denkendes zeigt, was uns bedenklich wird. Solches meldet sich heute vorrangig darin an, dass wir über es in Unruhe sind“8, so Martin Heidegger. Die von Michael E. Porter nicht ausreichend beantwortete Frage

7

Johnson und Langley (2007), S. 3.

8

Heidegger (2015), S. 81.

22 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

„Was ist Strategie?“9 mag in Unruhe versetzen und wird hier erneut gestellt mit dem Zusatz Was ist Strategie wirklich? Das erste große Ziel ist daher die Wegbereitung zur Entwicklung einer allgemeingültigen Strategietheorie mit ihrem Strategiebegriff. Beide sollen Klarheit bringen in die Disziplin der Strategie. Dazu ist notwendig, was Rainer Zimmermann auf den Punkt bringt: „Wer sich aufmacht, Antworten auf die Fragen zu bekommen, einen allgemeinen Begriff und eine Theorie der Strategie in Angriff zu nehmen, muss das Territorium jenseits von Krieg, Evolution und Ökonomie erkunden und jene Aspekte in den Strategiebegriff einpflegen, die unter dem Druck der Erfolgsmaximierung ausgeblendet wurden.“10

Durch die Loslösung vom militärischen und wirtschaftlichen Primat zeigt sich Strategie als Fähigkeit somit als etwas, das nicht nur Unternehmen und Armeen einsetzen, sondern jeder auch nicht wirtschaftlich oder militärisch geprägten Organisation, ja, sogar jedem Individuum zur Verfügung steht. Ist im weiteren Verlauf von einer allgemeingültigen Theorie der Strategie die Rede, so ist damit genau dies gemeint: Allgemeingültig bedeutet, Strategie aus dem militärischen und wirtschaftlichen Kontext herauszulösen, sie einem übergreifenden Verständnis zuzuführen und sie infolgedessen ebenso anderen Bereichen bereitzustellen. Trotz der langen Tradition, die die Strategie vorweisen kann; trotz der vielen Bücher und Artikel; trotz aller Instrumente, die im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt wurden mit dem Ziel, Strategien zu erarbeiten, gehen Forscher davon aus, dass lediglich zehn Prozent aller Strategien umgesetzt würden.11 Kulturverantwortliche und deren Umgang mit Strategie können demnach nicht per se kritisiert werden, immerhin scheint das Schicksal der Strategie bei 90 Prozent der sich mit ihr Beschäftigenden aller Disziplinen dasselbe zu sein: Ein Dasein in der Schublade. Es stellt sich allerdings die Frage, wie etwas nicht Greifbares wie die Strategie zu beurteilen sein soll, um quantifizierte Aussagen dieser Art treffen zu können. Und was getan werden muss, damit Strategie als Fähigkeit sich im Allgemeinen und in öffentlich getragenen Kultureinrichtungen im Besonderen entfalten kann. Daher ist das zweite große Ziel die nähere Beschreibung des kulturellen beziehungsweise kulturmanagerialen Kontextes, in dem Strategie Anwendung finden soll. Hintergrund dieses Gedankens ist, dass die Wirtschaft und das Militär ihren jeweils spezifischen Kontext bereits definiert haben, für

9

Porter (2012), S. 6ff.

10 Zimmermann (2011), S. 12f. 11 Vgl. Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 250 sowie Nagel und Wimmer (2015), S. 77.

Hinführung und These | 23

das Kulturmanagement jedoch das Problem besteht, das Eigene des Kontextes zwar betont zu haben, dieser allerdings unter nicht geringem Einfluss der etablierten Verständnisse, Instrumente und Methoden des wirtschaftlichen und zum gewissen Teil auch des militärischen Kontextes steht. Das dritte Ziel ist die Übertragung der Strategietheorie auf die Kultur im engen Sinne; auf den öffentlich getragenen Kultursektor mit seinen Einrichtungen der Künste wie Konzerthäuser, Sprech- und Musiktheater oder Kunstmuseen und ihren Inhalten, die den Stand als meritorische Güter innehaben – in Abgrenzung beispielsweise zu Technischen oder Historischen Museen oder Musicaltheater im privatwirtschaftlichen Sektor. Der Fokus wird auf jenen Sektor gelegt, da er Eigengesetzlichkeiten besitzt, die besondere Anforderungen an die Strategie stellen. Die vorgestellten Gedanken sollen Kultureinrichtungen unterstützen, sich emanzipierter und ohne Scheu vor aktuellen Herausforderungen zu positionieren. Dies geschieht beispielsweise, indem eine Sensibilisierung erfolgt für die dargestellten Begrenzungen eines wirtschaftlich geprägten Strategiebegriffs mit seinen mitunter vorzufindenden Widersprüchen; oder indem das Besondere des künstlerisch-kulturellen Inhalts herausgestellt wird; oder indem durch die umfangreiche Diskussion des kulturell-kontextuellen Zielsystems die Zugkraft beschrieben wird, die von Zielen ausgeht – zum Wohle der Einrichtung, der Kunst und Kultur und infolgedessen der Gesellschaft. Da Kulturpolitik immer auch Gesellschaftspolitik ist, wird das Wirken der Kultureinrichtungen in die Gesellschaft beleuchtet – durchaus auch kritisch. Wird Strategie als Fähigkeit verstanden, so ist dieser Definition immanent, dass Fähigkeiten grundsätzlich in Individuen angelegt sein und Fähigkeiten durch Üben und Lernen ausgebaut werden können. Somit ist schlussendlich das vierte große Ziel die Schulung der Strategie als Fähigkeit. Sie umfasst beispielsweise den Umgang mit Dynamiken ebenso wie mit zeitlichen Entwicklungen. Oder pointierter: Sie lehrt das Denken und Handeln in Komplexitäten. Bedeutsam hierfür ist wiederum das Wissen um die Unterscheidung zwischen komplizierten und komplexen Situationen, da Erstere sich unter anderem auszeichnen durch Linearität, Vorhersagbarkeit, sequenzielle Zeitverläufe und bekannte Variablen, Letztere wiederum durch Nichtlinearität, Nichtvorhersagbarkeit, simultane Zeitverläufe und unbekannte Variablen. Kompliziertheit wird – dies wird im weiteren Verlauf deutlich besprochen – der Domäne des Plans, Komplexität der Domäne der Strategie zugeordnet.

24 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

1.4 FORSCHUNGSSTAND, METHODE UND AUFBAU Das Buch gliedert sich in die folgenden acht Kapitel, in die die Diskussion des Forschungsstandes integriert ist, sodass in diesem Kapitel 1 lediglich ein Einblick erfolgen wird: • • • •

Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4

• Kapitel 5 • Kapitel 6 • Kapitel 7 • Kapitel 8

Hinführung und These Kultur und Strategie Kulturmanagement und Strategie Der künstlerisch-kulturelle Inhalt als Zentrum der Eigengesetzlichkeiten des öffentlich getragenen Kultursektors Die militärische und wirtschaftliche Perspektive Elemente der Strategietheorie Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor Theoretisch-praktische Anwendung

Zu Kapitel 1 Die besondere Herausforderung einer Arbeit, die diverse Begriffe klären muss beziehungsweise die mit verschiedenen Themen operiert, stellt Niklas Luhmann dar: „Die Problematik liegt darin, dass die Begriffe zirkulär sind und ich immer etwas voraussetzen muss, was ich erst später erläutere. Das ist bei jedem Design dieser Art der Fall.“12 Die Bewerkstelligung der Doppelaufgabe, die beiden großen Themenfelder Kultur und Strategie zu diskutieren, hat zur Folge, dass sie sich immer wieder durchkreuzen und verweben, statt zunächst das eine, dann das andere vollständig zu erarbeiten; zwar ist wie in einem Webrahmen und seinem Webschiffchen mal der eine, mal der andere Faden an der Oberfläche, doch laufen die anderen Fäden auch ungesehen immer mit. Somit ist das besondere Ziel dieses Kapitels 1, das Vorgehen und den Aufbau derart zu erläutern, dass ein grundsätzlicher Überblick über das Buch ermöglicht wird. Während in dem Kapitel 2 die beiden Themenfelder aus einer hohen Flughöhe betrachtet werden, wird diese im Verlauf der anschließenden zwei Kapitel immer weiter verringert: Das Kapitel 3 widmet sich nicht mehr ausschließlich dem Thema Kultur, sondern spezifischer dem Kulturmanagement; das Kapitel 4 widmet sich nicht mehr ausschließlich dem Thema Kulturmanagement, sondern spezifischer dem künstlerisch-kulturellen Inhalt des Kulturmanagements als dem Besonderen im entsprechenden Kontext. Nachdem in dem Kapitel 5 der Weg zur Strategietheorie über die militärische und wirtschaftliche Perspektive und in dem

12 Luhmann (2017), S. 78.

Hinführung und These | 25

Kapitel 6 die Elemente der Strategietheorie vorgestellt wurden, wird in den finalen zwei Kapiteln erneut der Bezug zum Kultursektor und dem Kulturmanagement hergestellt: In Kapitel 7 wird die Übertragung der Elemente der Strategietheorie auf den Kultursektor besprochen und in Kapitel 8 werden konkrete Hinweise gegeben, wie Strategie geschult werden kann. Jedes Kapitel beginnt mit einer Beschreibung des Aufbaus des jeweiligen Kapitels und endet mit einem Unterkapitel Zusammenfassung, Reflexion und weiteres Vorgehen. An entscheidenden Stellen fasst ein Zwischenfazit das zuvor Erarbeitete pointiert zusammen. Zu Kapitel 2 Die Darstellung des Kulturbegriffs in diesem Kapitel erfolgt aus der Perspektive kulturwissenschaftlicher Vertreter wie Werner Heinrichs, Klaus P. Hansen und Emil Angehrn und führt zu der Unterscheidung zwischen einem Kulturbegriff im weiten und im engen Sinne. Darüber hinaus zeigt das Kapitel 2 die Beweisführung auf, dass es sich zum einen bei Strategie um eine Fähigkeit handelt und zum anderen, dass diese Fähigkeit zum Ursprünglichsten der Kultur gehört. Die Entwicklung der These, Strategie als Fähigkeit zu betrachten, wurde stark beeinflusst durch die Sprachphilosophie: Wenn sie Ausdrücke und Sprache versteht als „Code, in dem Gedanken von einer Person zu einer anderen übertragen werden“13; wenn es ihr Gegenstand ist, den Zusammenhang vom Denken und Sprechen zu untersuchen; wenn sie davon ausgeht, dass Gedanken nicht im Nachhinein mit Ausdrücken verknüpft werden, sondern Gedanken bereits in diesen vorhanden sind, da ansonsten der sinnvolle Gebrauch von Ausdrücken und Sprache nicht gelänge; dann muss – vor allem, wenn mehrere Personen im Austausch über Strategie sind – die Sensibilisierung für die Begrifflichkeiten Ausgangspunkt allen Argumentierens sein. Insbesondere Ludwig Wittgenstein als Vertreter der transzendentalphilosophischen Sprachphilosophie hatte Einfluss auf die gedankliche Öffnung und das Umdenken, die notwendig sind, um den Strategiebegriff neu betrachten zu können. In seinem 1922 erschienen Tractatus logico-philosophicus erläutert er unter der Kennziffer 4.112 seine Sicht auf die Philosophie. Er versteht sie nicht als „Lehre, sondern [als] eine Tätigkeit“14 . Darüber hinaus liefert seine Abbildtheorie, die nicht nur in dem Tractatus logico-philosophicus, sondern auch in den Philosophischen Untersuchungen – posthum im Jahr 1953 veröffentlicht – Niederschlag findet, gedankliche Impulse zur Erarbeitung des neuen Verständnisses von Strategie.15

13 Rödl (2014), S. 645f. 14 Wittgenstein (2016c), S. 38. 15 Vgl. Wittgenstein (2016b), S. 94f.

26 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Zu Kapitel 3 Zu Beginn wird mittels der Untersuchung des Begriffs Management das Verhältnis zwischen dem Kulturmanagement und dessen primärer Bezugsdisziplin – der Betriebswirtschaft – betrachtet. Dies ist erforderlich, um zu erläutern, weshalb in der kulturmanagerialen Literatur häufig der Wunsch geäußert wird, sich von dieser zu lösen. Eine so gewonnene Eigenständigkeit der Disziplin Kulturmanagement erfordert eine spezifischere Beschreibung des kulturell-künstlerischen Kontextes – eben auch für die Strategie. Die Verwandtschaft zwischen beiden Disziplinen zeigt sich ebenfalls in dem Fokus, der auf das Kulturmarketing gelegt wird: Es wird dargestellt, dass das Kulturmarketing aufgrund der Eigengesetzlichkeiten des öffentlich getragenen Kultursektors eine Reduzierung in seinem Instrumentarium erfährt und sich der Verdacht erhärtet, dass sowohl durch den gesetzten Fokus als auch durch die Reduzierung die gesellschaftliche Tendenz der Entwicklung hin zu einer Erlebnisgesellschaft unterstützt wird. In Verbindung mit dieser Entwicklung werden drei Diskussionen geführt: Gefährdet die Erlebnisgesellschaft Kunst und Kultur? Welche Folgen hat die Erlebnisgesellschaft für das Kulturmanagement? Wer bestimmt über den Wert von Kunst und Kultur? Die Diskussionen sind erforderlich, um ein umfangreicheres Bild der derzeitigen Praxis des Kulturmanagements zu zeichnen. Das Unterkapitel 3.3 widmet sich daher im Anschluss dem Begriff Strategie in der aktuellen kulturmanagerialen Diskussion und zeigt, dass die Unklarheiten, die der noch in der Betriebswirtschaft verankerte Begriff besitzt, auf das Kulturmanagement übertragen werden. Die weitere Besprechung von Strategien erfolgt anhand der drei Kulturstrategien der Städte Nürnberg und Bern als auch der Region Niederösterreich. Darüber hinaus wurde für dieses Kapitel insbesondere die Literatur von Birgit Mandel, Peter Bendixen, Horst W. Opaschowski und Gerhard Schulze zurate gezogen. Zu Kapitel 4 In diesem Kapitel werden die Eigengesetzlichkeiten des öffentlich getragenen Kultursektors erörtert, die – so die hier vertretene Grundüberzeugung – vom Inhalt ausgehen. Dreh- und Angelpunkt – und mit entsprechendem Gewicht versehen – ist auf der einen Seite die Zuwendungen der öffentlichen Hand, die die Eigengesetzlichkeiten des Kultursektors unterstützen, da sie vielfache Auswirkungen auf Preisgestaltung, Marktmechanismen und schlussendlich auch auf die Strategie besitzen; und die dafür Sorge tragen, dass Kritiker auf den Plan treten und den Zuwendungsfluss beanstanden. Auf der anderen Seite ist die Rezeption des künstlerisch-kulturellen Inhalts als meritorisches Gut eine besondere, da es sich bei dieser um eine von der Nachfrage entbundene als auch um eine das Wesen des Inhalts suchende handelt – im erstgenannten Punkt schließt sich der Kreis zu dem zuvor über die Zuwendungen Gesagten. Die Beschreibung des

Hinführung und These | 27

Begriffs Kultur ermöglicht es dabei, auf sie zurückzugreifen und deren Ausprägung als Kultur im engen Sinne zu konkretisieren. Die Ausführungen werden durch entsprechende Literatur zu Kulturpolitik, Kulturfinanzierung und Kulturmanagement beschrieben und differenziert beleuchtet, wie beispielsweise durch die Arbeiten von Oliver Scheytt, Klaus von Beyme, Ingrid Gottschalk und Armin Klein. Gerade die Fragen nach dem besonderen Wesen und der Qualität von Kunst, nach der Rolle der Kultureinrichtungen innerhalb der Gesellschaft sowie deren Mithilfe bei der Aneignung von Kulturkompetenz werden erörtert durch die Ausführungen von Autoren wie Hanno Rauterberg, Wolfgang Ullrich, Nicole Zepter, Walter Grasskamp oder Martin Tröndle. Es ist an dieser Stelle bedeutsam darauf hinzuweisen, dass in allen Ausführungen zum Thema Inhalt, wie sie besonders in Kapitel 3 und Kapitel 4 zu finden sind, hier nicht die Meinung vertreten wird, Hochkultur sei wertvoller als Populärkultur. Die Frage Kleins, ob der kommerzielle oder der öffentliche Sektor „die Bilder einer zukünftigen Welt“16 entwerfen würde, kann nur dahingehend beantwortet werden, als ein Und statt eines Oder der Diskussion dienlicher wäre, da es zu keiner synonymen Verwendung der Begriffe öffentlicher Sektor und Hochkultur sowie privatwirtschaftlicher Sektor und Populärkultur kommen sollte. Es geht hier – unabhängig von kulturellen Ausprägungen und Kategorisierungen – um das Eigentliche des Inhalts und dessen Bewahrung. Wie die späteren Ausführungen zeigen werden, ist der klassische Inhalt, der durch Zuwendungen geförderte und geschützte Inhalt, der mitunter schwer vermittelbare und unzugängliche Inhalt – trotz aller Betonung seiner Besonderheit im Kulturmanagement – mitunter ein Inhalt, der aus dem Sichtfeld rückt, je mehr das Erlebnishafte zunimmt, obgleich Letzteres dazu dienen sollte, ihn ins Sichtfeld zu rücken. Aus diesem Grund widmen sich diese Ausführungen verstärkt jenen Inhalten, die sich nicht ohne Weiteres erschließen lassen und denen es an entgegengebrachtem Interesse zu fehlen scheint – und die sind am ehesten in der Hochkultur zu finden. Zu Kapitel 5 Auch wenn gesagt wurde, die Disziplinen Militär und Wirtschaft seien lediglich Ausprägungen von Strategie, beschreibt und diskutiert das Kapitel 5 ausführlich eben jene Disziplinen. Mit dem Ziel, zentrale, als Attribute bezeichnete Wesenszüge der Strategie zu extrahieren, wurden diverse, im Anhang zu findende Definitionen beider Disziplinen analysiert. Denn konform gehend mit der Politikwissenschaftlerin Beatrice Heuser „muss das Wort ‚Strategie‘ selbst unser Ausgangspunkt sein, nicht zuletzt, um zu verstehen, warum dieser

16 Klein (2011a), S. 48.

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Begriff so uneinheitlich verwendet wurde und warum er sich im Laufe der Zeit so stark gewandelt hat“17. Carl von Clausewitz als ein wichtiger Vertreter der militärischen Perspektive schreibt mit Blick auf den Begriff Strategie in seinem nach dem Tode im Jahr 1832 veröffentlichten Werk Vom Kriege, es sei „das erste Geschäft einer jeden Theorie [..] das Aufräumen der durcheinander geworfenen und [...] sehr in einander verworrenen Begriffe und Vorstellungen“18. Auch wenn der Managementprofessor Henry Mintzberg ausführt, „man braucht nicht das Wort Strategie, um strategisch zu handeln“ 19 , soll unter hermeneutischmethodischen Gesichtspunkten ein Aufräumen der Begriffe im Sinne von Clausewitz erfolgen – eben weil die nicht selten anzutreffende unbedachte Anwendung des Begriffes die Wichtigkeit unterstreicht, dass Prägnanz in den Begrifflichkeiten zu einem klareren Umgang mit ihnen führt. Für das Kulturmanagement ist die Darstellung der militärischen und wirtschaftlichen Perspektiven in dieser Detailtiefe vonnöten, da in der kulturmanagerialen Literatur durchaus Bezug auf die Vertreter dieser Perspektiven genommen wird, jedoch in einem nicht ausreichenden Umfang und vor allem nicht in einer für das Kulturmanagement gewinnbringenden kritischen Reflexion. Anders als bei anderen Autoren werden die zurate gezogenen Schriften nicht chronologisch präsentiert, sondern entlang der Attribute erläutert: Es flossen hierbei die Lehren von Sunzi und Clausewitz ein, ebenso die gesammelten Strategeme des Sinologen Harro von Senger sowie die Auseinandersetzung mit einzelnen Militärstrategen wie sie bei Heuser zu finden sind – oder aus wirtschaftlicher Sicht bei Bolko von Oetinger. Des Weiteren stellt dieses Kapitel vier wichtige wirtschaftliche Strategieperspektiven vor, zeigt deren Zutun zu jener uneinheitlichen Begriffsentwicklung auf, unterzieht deren Vertreter und Strategiedefinitionen einer kritischen Würdigung und belegt schlussendlich die Existenz der im militärischen identifizierten Attribute auch im wirtschaftlichen Kontext. Die Perspektiven werden vertreten durch folgende Werke und Autoren: 1. Wettbewerbsstrategien – Wettbewerbsstrategien sowie Wettbewerbsvorteile

von Porter 2. Ressourcenstrategien – Wettlauf um die Zukunft von Gary Hamel und Coimba-

tore Krishnarao Prahalad

17 Heuser (2010), S. 18. 18 Clausewitz (2013), S. 55. 19 Gillies (2003), S. 32.

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3. Strategie der blauen Ozeane – Der blaue Ozean als Strategie von W. Chan

Kim und Renée Mauborgne 4. Konfigurationsstrategien – Strategy Safari von Mintzberg, Bruce Ahlstrand

und Joseph Lampel Zu Kapitel 6 Mannigfaltigen Begriffen wie jenen der Strategie und der Kultur gerecht zu werden, muss zu einer Auseinandersetzung mit ebenso mannigfaltigen Disziplinen führen, um Antworten zu finden. Dabei besteht die Gefahr der inhaltlichen Diffusität. Dieser Gefahr wird unter anderem begegnet, indem Theorien und Biografien nicht in Gänze wiedergegeben werden, sondern eine Beschränkung auf das jeweils Essenzielle erfolgt. Zurate gezogen werden über Militär und Wirtschaft hinaus die Philosophie, die Systemtheorie, die Kybernetik, die Teleologie, die Emergenzforschung sowie die Psychologie. Die Arbeiten unter anderem von Luhmann, Heinz von Foerster, William Ross Ashby und Dietrich Dörner fließen in das Kapitel 6 ein, ebenso die in Kapitel 5 beschriebenen Attribute. Es wird zeigen, dass es sich bei der Strategie als Fähigkeit um eine spezifische Art des Nachdenkens über Lösungen in komplexen, da vielschichtigen Situationen handelt; dass potenziell Gedachtes durch entsprechendes Handeln in ein Sein überführt wird; gepaart mit vielfältigen Entscheidungen, die die Identifizierung des eigentlichen Problems, der Maßnahmen und der Lösungen betreffen; diese Lösungen oder Ziele sind jedoch derart fokussiert, dass jedwedes Mäandern unterbunden ist. Gleichzeitig grenzt das Kapitel weitere Begriffe voneinander ab, sodass Klarheit über sie entsteht im Rahmen einer allgemeingültigen Theorie der Strategie. Eine Gliederung erfährt das Kapitel 6 entlang der Beschreibung der basalen Theorieelemente dynamischer Kern, strategischer Plan, strategischer Rahmen und strategisches Gesamtbild als auch entlang der steuernden Theorieelemente Zweck sowie Start, Mittel und Ziele. Zu Kapitel 7 Gegenstand dieses Kapitels ist die Beschreibung von Zweck und Zielen im kulturellen Kontext und deren Einfluss auf die basalen Theorieelemente. Der Fokus wird auf diese gelegt, da öffentlich getragene Kultureinrichtungen sich insbesondere durch sie von Einrichtungen anderer Art unterscheiden. Bei der Beschreibung des kulturellen Zielsystems wird ein Schwerpunkt die Differenzierung beziehungsweise die ihr nahestehende Innovation sein – beides sind treibende Kräfte des wirtschaftlich geprägten Strategieverständnisses. Es wird überprüft, welche Notwendigkeit es für diese im Kultursektor gibt. Dazu werden insbesondere die Ausführungen von Klaus Georg Koch kritisch hinterfragt. Die Literatur zur Aufmerksamkeitsökonomie – beispielsweise von Georg Franck oder Kristina Nolte – ergänzen die Betrachtung der Ziele unter Berück-

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sichtigung eben jener Aufmerksamkeit. Augenmerk wird dabei besonders gerichtet auf die der Aufmerksamkeit immanenten Zeit. Ihr wird – gerade aus Sicht des Kulturmanagements – hier die Funktion der entscheidenden Währung für Kultureinrichtungen zugesprochen. Indessen öffnet sich eine Tür zur Kunstphilosophie und ihrem Gegenstand, der Ästhetik. Seit Anbeginn fragen die Philosophen nach dem Wesen des Schönen und der Kunst. Je mehr Jahrzehnte und Jahrhunderte ins Land gingen, desto andersartiger wurde der Blick auf das Wahre, Schöne und Gute sowie auf die Intentionen, aus denen Künstler ihre Werke schufen. In kurzen Zügen werden die unterschiedlichen Theorien erläutert, angefangen im Mittelalter bei Thomas von Aquin über die Renaissance und das Verständnis von Ästhetik bei Immanuel Kant bis hin zu moderneren Vertretern wie Theodor W. Adorno, Nelson Goodman oder Arthur D. Danto. Sie alle zeigen Aspekte auf, die in der heutigen Debatte um Kunst und Kultur für deren Einrichtungen als kunstvermittelnde Orte und für deren Besucher von Bedeutung sind. Dementsprechend wird auch das Thema Qualität und im Gegenzug die Rolle der Quantität und der Objektivität im Kultursektor beleuchtet. Zu Kapitel 8 An unterschiedlichen Punkten wird Skepsis bezüglich der in der Literatur vorzufindenden Standardvorgehen und Dogmen geäußert. Nichtsdestoweniger fassen acht Theoreme in dem abschließenden Kapitel 8 die Strategietheorie kompakt zusammen. Diese sollen jedoch nicht als Standardvorgehen verstanden werden als vielmehr als Impulse zur Schulung der Fähigkeit Strategie. Neben den acht Theoremen dienen zum einen die Ausführung zum Erforschen des potenziell Seienden im Sinne des strategischen Gesamtbildes, zum anderen die praktischen Hinweise zur Entwicklung eines strategischen Plans ebenfalls der Schulung von Strategie. Nach diesen allgemeingültigen – und somit dem hier verfolgten Anspruch entsprechenden – finalen und zusammenfassenden Beschreibungen werden zu guter Letzt die in Kapitel 4 dargestellten Eigengesetzlichkeiten des öffentlich getragenen Kultursektors in Verbindung gebracht mit dem Spannungsverhältnis des Kulturmanagements und der Zunahme des Erlebnishaften (Kapitel 3) sowie mit den in Kapitel 7 zu findenden Empfehlungen. Es sollen so gedankliche Impulse gesetzt werden zur Schulung der Strategie im kulturellen Kontext. Flankiert werden die Gedanken und Überlegungen von drei Experteninterviews, die das Bild mit ihrem kritischen Blick auf die Themenschwerpunkte abrunden. Die Interviews wurden 2017 mit jeweils einem Vertreter einer künstlerischen Sparte geführt:

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1. Sparte Musik

Prof. Gerd Uecker, Intendant der Semperoper Dresden in den Jahren 2003 bis 2010 2. Sparte Bildende Kunst Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forum Hamburg 3. Sparte Sprechtheater Konstanze Ullmer, Intendantin des Hamburger Sprechwerk Der eine oder andere Gedanke, der vorgestellt wird, mag den Anschein erwecken, einen utopischen Charakter zu besitzen. Jedoch schreibt Rutger Bregman, „Utopien beginnen immer mit kleinen Experimenten, die langsam die Welt verändern“20 . Und dies ist das Hauptziel der Überlegungen: Strategie als Fähigkeit zu denken kann die Welt der Strategie verändern. Sie im kulturellen Sektor mit seinen Spezifika angewendet, kann auch diesen auf dem Weg in dessen Zukunft verändern. Dazu soll ermutigt werden.

20 Bregman (2017), S. 54.

2

Zusammenspiel von Kultur und Strategie

Wird in einer Zeitung das Feuilleton aufgeschlagen, so wird in diesem am ehesten über Theaterinszenierungen berichtet, Literatur besprochen oder eine Konzertkritik zu finden sein; wird eine Reise in ein fremdes Land unternommen, wird nach der Rückkehr nicht selten davon gesprochen, wie interessant und inspirierend es gewesen sei, in eine fremde Kultur eingetaucht zu sein; fehlt es einem Tischnachbarn an Manieren, mag die Bemerkung aufkommen, dieser sei nicht kultiviert. Ein Begriff, viele Facetten. Doch in welchem Zusammenhang stehen sie?

2.1 AUFBAU DES KAPITELS Beginnend mit der Beschreibung des Kulturbegriffs im Unterkapitel 2.2 aus den Blickwinkeln der Etymologie sowie der Kulturphilosophie und -wissenschaft wird im darauffolgenden Unterkapitel 2.3 die aus dem Kapitel 1 stammende und dort vorgestellte Ausgangsthese, Strategie ist eine Fähigkeit, konkretisiert und der hinter dieser stehende Argumentations- und Beweisstrang aufgezeigt. Die Definition von Strategie als Fähigkeit und ihre Verortung als Hervorbringung von Kultur ermöglichen es, die zunächst separat betrachteten Themen Kultur und Strategie in dem Unterkapitel 2.4 Strategie als Hervorbringung der Kultur im weiten Sinne in einem ersten Schritt weiter zu vereinen. Es wird dabei das Ziel verfolgt, existierende Vorbehalte gegenüber der Zusammenführung von Strategie und Kultur beziehungsweise der Anwendung von Strategie im kulturellen Kontext aufzulösen. In einem zweiten Schritt erfolgt im anschließenden Kapitel 3 die Bezugnahme auf die Disziplin Kulturmanagement und die Beschreibung des Themas Kulturstrategie als tatsächliche Zusammenführung beider Begriffe. Schlussendlich zeigt dieses Kapitel 2 die positiven Folgen für den Strate-

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gie-Wortschatz, da sich dieser auf ein ausreichendes Minimum an Begriffen reduziert, sobald Strategie als eine Fähigkeit definiert wird.

2.2 DER KULTURBEGRIFF Durch Einflussnahme auf seine Umwelt gestaltet der Mensch seine eigenen Erfahrungsbereiche und es kommt zu jener Unterscheidung zwischen dem Urmenschen und dem Tier, die sich in dem Ursprung des lateinischen Begriffes colere niederschlägt: Er trägt zum einen die Bedeutung pflegen und bebauen, zum anderen die Bedeutung anbeten. Der Ackerbau als erste und einfachste Form der Arbeit sowie die Verehrung von Göttern sind Tätigkeiten, die den Menschen dem Tier und der Natur gegenüberstellen. Gleichzeitig sind sie die Wiege der Kultur in all ihren Facetten. In der Folge bedeutet dies, dass Kultur nicht lediglich als eine Besonderheit in dem Prozess der Vergesellschaftung angesehen werden kann, sondern sie als „wichtigstes Merkmal des Menschen und somit aller seiner Handlungen und Beziehungen [Hervorhebung BJ]“1 einzustufen ist. Dieser Argumentation folgt auch Uecker, wenn er äußert, Kulturpolitik als solche sei nicht existent, da „selbst Politik [..] ein Ausfluss von Kultur [sei]“2 – auf diesen für die Strategie und ihrer Rolle im kulturmanagerialen Kontext entscheidenden Umstand wird im Unterkapitel 2.4 noch zurückzukommen sein. Tabelle 1: Der lateinische Begriff colere Der Urmensch Unterschiede im Vergleich zum Tier Der Begriff colere

Götterverehrung

Ackerbau

anbeten

pflegen, bebauen

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an die Begriffsherkunft bei Hansen (2003)

1

Rehberg (2010), S. 25.

2

Experteninterview Uecker (2017), S. 270.

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Mit einer Unterbrechung, die zu datieren ist auf den Zeitraum vom späten 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert, in der mit dem Begriff Kultur die Struktur und Substanz – oder: das Sein – eines Volkes verbunden wurde, wurde Kultur zuvor sowie danach verstanden als eine Tätigkeit – die Tätigkeit des Kultivierens. Das Kultivieren ist nur möglich, wenn zuvor etwas nicht Kulturviertes existiert; etwas, das zu kultivieren überhaupt infrage kommt. Die Kultur benötigt somit die Nichtkultur, beide sind keine gegensätzlichen Erscheinungen, sondern Letztere konstitutives Element der Ersteren. Diese Nichtkultur kann die Natur sein, aber ebenso – und an dieser Stelle tritt die Rückkehr zum Tätigkeitsverständnis im 18. und 19. Jahrhundert zutage – die individuelle Weiterentwicklung des Menschen, dessen Sorge um das eigene Selbst. Die in einem engen Verwandtschaftsverhältnis zur Kultur stehende Bildung förderte diese Weiterentwicklung in jenen Jahren eines erstarkenden Bildungsbürgertums. Max Fuchs spricht in diesem Zusammenhang von „Bildung [als] subjektive[r] Seite der Kultur, Kultur [als] objektive[r] Seite der Bildung“3. Der Kulturbegriff veränderte sich indes von einer aktiven Tätigkeit zu einem scheinbar statischen Sein und wieder zurück zu einer aktiven Tätigkeit. Kultur, so der Kulturwissenschaftler Andreas Hetzel, ist demnach ein immer fortwährender Prozess, gestaltet von unterschiedlichsten Akteuren unterschiedlichster Gesellschaften.4 Das Moment der Tätigkeit zeigt sich in den folgenden Beschreibungen der Nuancierungen des Begriffs Kultur. Zunächst identifiziert Hansen vier grundsätzliche Ausprägungen von Kultur: A1 Kultur als kreative und künstlerische Arbeit mündet in der Produktion von Artefakten, denen kein praktischer Zweck zuzuordnen ist und deren Schaffungsakt auf einer geistigen, kreativen und künstlerischen Arbeit von Menschen basiert. Nicht nur für den Produzenten sind entsprechende Fähigkeiten notwendig; auch der Rezipient muss diese besitzen, um in den Genuss der Artefakte zu gelangen. A2 Kultur als Kultiviertheit zeigt sich in einer bestimmten Lebensart, die sich auszeichnet durch Humanität und Bildung sowie Geschmack und ästhetisches Interesse. Auch hier müssen die Menschen Einstellungen und Eigenschaften besitzen, um als kultiviert zu gelten. Die Beschreibungen A1 und A2 sind auf der einen Seite deskriptiver, auf der anderen Seite wertender Natur.

3

Fuchs (2005), S. 36.

4

Vgl. Hetzel (2012), S. 25ff.

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A3 Kultur als Lebensausdruck ist die Gesamtheit aller Merkmale und Besonderheiten, die einem Volk – auch einem fremden – zugesprochen wird. Dies umfasst beispielsweise Manieren, Religionen oder Sitten. In der Beschreibung A3 sind die Beschreibungen A1 und A2 subsumiert. Sie integriert darüber hinaus weitere gesellschaftliche Milieus. Gleichzeitig ist sie wertneutral. A4 Kultur als Ergebnis einer anbauenden und pflegerischen Tätigkeit spiegelt erneut die menschliche Arbeit wider. Diese Arbeit ist jedoch – im Gegensatz zu der in Beschreibung A1 gezeigten – nicht Ergebnis eines schöpferischen Aktes. Vielmehr umfasst sie die Veränderung der Landschaft, wie es durch das Agrarwesen oder durch das Anlegen von Kulturlandschaften geschieht. In der Medizin findet dieser Begriff Gebrauch unter anderem in dem Züchten von Bakterienkulturen. Diese vierte Beschreibung ist ebenfalls wertneutral. Im Ergebnis geht es bei allen Beschreibungen um die Veränderung der äußeren und inneren Natur – eben auch der Natur des Menschen.5 Auf einem anderen Wege, der durchaus Übereinstimmungen zu Hansen aufzeigt, nähert sich Heinrichs dem Begriff Kultur: B1 Kultur als menschliches Vermögen und dessen Dokumentation umfasst die Entwicklung zivilisatorischer Prozesse oder der Sprache aus einer allgemeinen anthropologischen Betrachtung. B2 Kultur als Verhalten spiegelt sich in der Alltagskultur wider, in der Zugehörigkeit zu Vereinen, im Brauchtum oder der Gesprächskultur. B3 Kultur als Kunst ist ein für den Kultursektor wichtiger Bereich, beinhaltet er doch alle künstlerischen Gattungen, deren Entstehung, Vermittlung sowie deren Bewahrung.

5

Vgl. Hansen (2003), S. 11ff. Folgt man Hetzel, so geht mit der Tätigkeit des Kultivierens immer auch ein Aufwerten einher, da aus dem Nichtkulturellen etwas Kulturelles entsteht. Im Ursprünglichen erfolgt die Aufwertung durch den ersten ‚Bewohner‘ eines kultivierten Ortes, einen Gott. Dieser verleiht dem Ort Ehre und kultiviert diesen durch seine Anwesenheit, vgl. Hetzel (2012), S. 25. Deutlich werden auch hier beide Auslegungen des Begriffs colere.

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B4 Kultur als Bildung findet statt in Museen und Bibliotheken, in allgemeinbildenden Schulen sowie in Musik-, Kunst- und Volkshochschulen.6 Die Parallelen in den Ausführungen von Hansen und Heinrichs sind deutlich. Beide sprechen in den Erläuterungen A1 und B3 von Kultur als Kunst. Eng verwandt mit dieser Beschreibung und bei beiden Autoren gleichermaßen zu finden ist – wenn auch bei Hansen nur indirekt – die Beschreibung der Kultur als Bildung in den Erläuterungen A1 und A2 sowie B3 und B4. Aus den Erläuterungen A1 und B3 sowie A2 und B4 wiederum ergibt sich infolgedessen der geläufige Terminus Kultur im engen Sinne: Kultur als kreative und künstlerische Arbeit und Kultur als Kunst sowie Kultur als Kultiviertheit und Kultur als Bildung. Diese Typisierung ist geprägt durch einen humanistisch-pädagogischen Fokus auf die Bereiche Kunst, Religion und Bildung, der besonders in Deutschland jenen engen Kulturbegriff prägte und in dem beide Bedeutungen des Begriffs colere zu erkennen sind.7 Die Kultur im engen Sinne weist weitere Unterscheidungskriterien auf: Kunst und Kultur lassen sich beispielsweise in Hoch- und Massenkultur aufgliedern. Letztere bildete sich historisch betrachtet aus drei Gründen heraus: Erstens durch das Wachstum der Städte; zweitens durch die Trennung von Arbeit und Feierabend, der zusehends zur Freizeit wurde und entsprechende Gestaltung erfahren sollte – insbesondere im Kapitel 3 wird diese Entwicklung mit seinen Folgen für die Disziplin Kulturmanagement diskutiert werden; und drittens durch technische Errungenschaften, die eine Reproduzierbarkeit der Medien ebenso ermöglichten wie einen Zugang zu ihnen für viele.8 Scheytt weist darauf hin, dass „ ‚Massenkultur‘ [..] keineswegs a priori mit Niveaulosigkeit gleichzusetzen [ist]; umgekehrt gibt es ‚Hochkultur‘ von bisweilen jämmerlicher Qualität und Kreativität“9. Auch eine Unterscheidung von Hoch- und Populärkultur ist möglich, deren deutlichste Ausprägung in der Kunstsparte Musik die der Unterteilung in E- und U-Musik ist – in die ernste und unterhaltende Musik. Alledem gegenüber steht der Typus Kultur im weiten Sinne, der jene enge Sichtweise im Zuge der Aufklärung um den Begriff der Alltagskultur und somit um die Gesamtheit aller kulturellen Ausprägungen der Erläuterungen von A1 bis

6

Vgl. Heinrichs (1997), S. 4f.

7

Vgl. Enquete-Kommission (2007), S. 47 sowie Klein (2011d), S. 98.

8

Vgl. Wagner (2009), S. 292f.

9

Scheytt (2008), S. 21. Scheytt führt weiter aus, Kultur lediglich auf das Wahre, Gute und Schöne zu reduzieren wird dem Wechselspiel zwischen Gesellschaft, Politik und Kultur nicht gerecht, vgl. Scheytt (2008), S. 19ff.

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A4 sowie B1 bis B4 ergänzt. Es ist erkennbar, dass die Kultur im engen Sinne in dem weiten Kulturbegriff aufgeht und die Populärkultur in ihm ebenso integriert ist wie die Massenkultur. Durch Grenzziehung zwischen der Ebene der Lebensäußerung und -gestaltung einerseits und der Ebene der Darstellung und Reflexion andererseits nähert sich Angehrn dem Wesen der Kultur auf eine andere Weise als Hansen und Heinrichs es tun: C1 Kreativität, Ausdruck und Selbstgestaltung führen zu unterschiedlichen gesellschaftlich-kulturellen Ausprägungen wie die Hervorbringung von Politik, Bildung oder Wirtschaft – sie alle formen das soziale Leben innerhalb einer Gesellschaft. C2 Identitätsbildung findet innerhalb der Gesellschaft statt in der Differenz zu anderen Gesellschaften. Neben der Bildung von Identitäten ist ihre Sicherstellung ebenso von Belang. C3 Selbstverständigung ist eine tiefergehende Form der Identitätsbildung. Es geht nicht nur um die Abgrenzung gegenüber dem Anderen, sondern um den inhaltlichen Entwurf des eigenen gesellschaftlichen Seins. C4 Kritische Reflexion über die Selbstverständigung wiederum führt von der Frage, wie eine Gesellschaft sein will zu der Frage, was diese als richtig erachtet. Kulturgestaltung und Kulturkritik bedingen sich gegenseitig. C5 Sinnstiftung und Verstehen spiegeln das Bedürfnis nach Lesbarkeit der Welt wider. Es gilt, die Wirklichkeit des Menschen für ihn verständlich zu machen, ihn in Bezug zu ihr zu setzen und ihm indessen Sinn zu verleihen.10 In der Erläuterung C1 zeigt sich, dass es sich bei Bereichen wie der Politik oder der Wirtschaft um kulturelle Hervorbringungen handelt – wie es auch das Zitat von Uecker zu Beginn dieses Unterkapitels 2.2 ankündigte. Darüber hinaus wird die Verwobenheit von Kultur und Gesellschaft in den Erläuterungen C1 bis C5 deutlich, sodass auch die Tatsache bestätigt wird, dass Kulturpolitik Gesellschaftspolitik ist. Doch der Tatsache zum Trotz spricht Scheytt die Warnung aus, der Kultur dürfe nicht die Funktion eines Allheilmittels zukommen, das alle ge-

10 Vgl. Angehrn (2004), S. 4ff.

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sellschaftlichen Probleme zu lösen vermag.11 Erkennbar ist die Inanspruchnahme des Allheilmittels Kultur beispielsweise in der Äußerung von Rüdiger Benz: Er traut der Kultur und dem Theater als einem ihrer Repräsentanten theoretisch zu, „gesellschaftlicher Stein des Anstoßes [zu] sein, Fremdenfeindlichkeit [zu] bekämpfen, das Wertesystem weiter[zu]entwickeln und [zu] festigen, Demokratisierung [zu] fördern, Lebensqualität [zu] fördern, neue Sichtweisen auf die Welt [zu] eröffnen, soziale Barrieren [abzubauen], differenziertes Zuhören [zu] vermitteln und den Frieden [zu] sichern”12 –

und darüber hinaus durch „ihr attraktives und breit gefächertes Angebot regionale oder nationale Standortvorteile [zu schaffen], für wirtschaftliches Wachstum [zu sorgen] und Stadt oder Region [aufzuwerten]“13.

Welche Aufgabe, wenn nicht die eines Allheilmittels, kommt der Kultur hierbei zu? Darüber hinaus ist Kultur in vieler Munde, erkennbar daran, dass das Wort Kultur zu einem „idiomatischen Bestandteil zahlloser Komposita geworden ist“14. Belegung findet diese Aussage in den bei Ansgar Nünning zu findenden Beispielen Alltagskultur, Diskussionskultur, Esskultur, Fankultur, Firmenkultur, Fußballkultur, Populärkultur und Subkultur, der in diesen nicht nur eine Erweiterung der Bedeutung des Kulturbegriffs sieht, sondern auch die Gefahr der Sinnentleerung. Die Gefahr, werden die Gedanken Scheytts und Nünnings weiterverfolgt, besteht darin, dass die Kultureinrichtungen und mit ihnen das Kulturmanagement zu vielen Aufgaben gerecht werden wollen und müssen und ihre eigentlichen Aufgaben aus dem Blick verlieren. Diese Gefahr wird unter anderem in Kapitel 3 besprochen.

11 Vgl. Scheytt (2008), S. 15, 37, 143. Dreh- und Angelpunkt der Sinnstiftung ist für Scheytt der Begriff Arbeit: Kultur stiftet Sinn all denen, die Arbeit haben, die noch keine Arbeit haben, die keine Arbeit mehr haben und denen, die nicht arbeiten können oder dürfen. 12 Benz (2017), S. 42. 13 Ebd. 14 Nünning (2009).

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2.3 STRATEGIE ALS FÄHIGKEIT Das Substantiv Strategie, in Kombination mit dem Demonstrativpronomen die führt manches Mal zu der Vorstellung, etwas Dinghaftes vorzufinden. So ist die Frage zu erklären, wo denn nun die Strategie sei, wenn über Strategie gesprochen wird. Mithilfe der Fabel Die Blinden und der Elefant zeigen die Autoren des Buches Strategy Safari, weshalb die Beantwortung der Frage, was Strategie sei, ausbleibt, ja, ausbleiben muss: „Da es noch niemandem gelungen ist, das komplette Tier [den Elefanten als Stellvertreter für Strategie, BJ] zu sehen, hat jeder einen anderen Teil davon betastet und sich darüber ausgelassen, ohne den Rest zu kennen.“15 In der Vergangenheit wurde trotz des Hinzuziehens dieser Fabel und des Wissens um deren Aussage an einem Punkt nach Antworten gesucht, an dem der Versuch unternommen wurde, etwas nicht Sichtbares sichtbar werden zu lassen. Doch wieso handelt es sich bei Strategie um etwas Nichtsichtbares? Nichtsichtbar ist Strategie an der Stelle, an der von ihr als Kunst oder als spezifischer Denkart gesprochen wird.16 Sie als etwas Nichtsichtbares zu verstehen, ist eine entscheidende Weichenstellung für die Neudefinition von Strategie. Die Abbildtheorie Wittgensteins konkretisiert dies. Unter der Kennziffer 3.001 des Tractatus logico-philosophicus erläutert der Philosoph: „ ‚Ein Sachverhalt ist denkbar‘ heißt: Wir können uns ein Bild von ihm machen.“17 Unter einem Sachverhalt ist in seiner Philosophie die Konfiguration von Dingen als kleinste atomare Einheit und zugleich als Substanz der Welt zu verstehen. Wenn die Zusammensetzung von Dingen nun – ungeachtet der Debatte um den Begriff Ding bei Wittgen-

15 Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 18. Die Fabel zeigt, wie blinde Personen sich ein Bild eines Elefanten durch das Betasten des Tieres machen. Da jeder Blinde einen anderen Teil des Elefanten berührt, wird auch jeweils ein anderer Teil beschrieben: Mal ist es der Rüssel, mal sind es die Beine. Das Gesamtbild – so die Aussage der Fabel – setzt sich erst aus den einzelnen Beschreibungen zusammen. Auch an anderer Stelle betont Mintzberg, dass „niemand [..] bisher eine Strategie gesehen oder berührt [hat]. Strategien existieren nicht als spürbare Gebilde.” Vgl. Mintzberg (1995), S. 282. 16 Vgl. Maier (2015), S. 27, 103, 127 sowie Simon (2003c), S. 22 und Schwenker (2017), S. 20. Gerade Generäle, Offiziere und Militärhistoriker wie Jomini, Clausewitz oder Mahan sprechen bei Strategie oft von Kunst, vgl. dazu Heuser (2010), S. 24f, 28. 17 Wittgenstein (2016c), S. 17.

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stein18 – Voraussetzung für das Denken von Sachverhalten ist, so ist festzuhalten, dass kein Bild von Strategie existieren kann, da Strategie nicht dinghaft ist – und somit nicht Teil eines Sachverhalts sein kann. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff Macht. Wird an diesen gedacht, entsteht in Gedanken eventuell das Bild eines Königs oder eines Politikers. Doch weder der eine noch der andere ist die Macht – sie repräsentieren sie allenfalls. Ähnliches geschieht beim Denken an Kreativität; es mag sein, dass vor dem geistigen Auge ein Maler oder eine Skulptur zu sehen ist. Doch auch hier ist weder der eine noch die andere die Kreativität. Das Denken sucht aufgrund der fehlenden Sachverhalte einen Umweg und findet bei derartigen Begriffen anderweitige, sie vertretende Darstellungsformen: „Deswegen denkt die Seele niemals ohne Vorstellungsgehalt”19, sagte schon Aristoteles. Und aus diesem Grund ist das in Gedanken entstehende beziehungsweise den Begriff vertretende Bild das eines Plans, wenn an Strategie gedacht wird – auf diesen Umstand wird im folgenden Unterkapitel 2.3.1 dezidiert Bezug genommen. Auch der von Wittgenstein beeinflusste Maler René Magritte spielt mit Begriffen und bildet auf dem Gemälde Der Verrat der Bilder von 1929 eine Pfeife ab, unter der die Worte Ceci n’est pas une pipe geschrieben stehen – Das ist keine Pfeife – und belegt damit, wie unklar die unterschiedlichen Realitäten sind.20 Der Philosoph Michel Foucault, das Bild eines Lehrers gebrauchend, der seinen Schülern jenes Gemälde von Magritte erläutert, bringt die Diskrepanz zwischen den Realitäten auf den Punkt und unterstreicht somit das über das Nichtsichtbare der Strategie Gesagte: „ ‚Dies ist eine Pfeife‘, als [er] noch einmal ansetzen mußte und stotterte: ‚Dies ist keine Pfeife sondern die Zeichnung einer Pfeife – dies ist keine Pfeife, sondern ein Satz, der sagt, daß das eine Pfeife ist – der Satz ‚Dies ist keine Pfeife‘ ist keine Pfeife – im Satz ‚Dies ist keine Pfeife‘ ist dies keine Pfeife: diese Tafel, dieser geschriebene Satz, diese Zeichnung einer Pfeife, all dies ist keine Pfeife.‘ “21

18 Vgl. Schulte (1992), S. 73. Einige Autoren sehen in den Dingen tatsächlichrealistische Gegenstände, andere meinen, hinter dem Begriff Ding verbergen sich Elemente im Wahrnehmungsfeld Einzelner, wiederum andere verstehen unter dem Ding seine besondere Beschaffenheit, die abhängig ist von der Funktion. Deutlich wird auf jeden Fall das Haptische des Dings. 19 Aristoteles (2017), S. 191. 20 Vgl. McGinity (2016), S. 433. 21 Foucault (1997), S. 22.

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Analog dazu werden die folgenden Gedanken zeigen, dass ein Plan, ein Konzept, ein Programm, eine Kampagne, all diese vor dem Hintergrund des hier Entwickelten keine Strategie sind. Sichtbar hingegen werden allein die Resultate, wenn das Denken, die Kunst oder das hinter ihr stehende Können angewendet wurden. Die Resultate treten in Form von Vorgehensweisen oder schriftlichen Plänen in Erscheinung. Dies entspricht dem Ursprung des Begriffs Plan aus dem 17. Jahrhundert, nach dem es sich bei diesem um Maßnahmen handelt, die auf eine flache Unterlage geschrieben werden.22 Resultate zeigen sich mitunter auch in der Anwendung von Instrumenten oder Methoden. In beiden Fällen liegt begründet, wieso Managementpraktiken und deren Handwerkszeug zu Strategien erhoben und Strategien auf Pläne reduziert werden: Es ist der Wunsch, das Nichtsichtbare in irgendeiner Art und Weise in das Sichtbare, in eine Existenz zu überführen. Und so kommt es, dass es sich beispielsweise bei der aus der Ansoff-Matrix abgeleiteten Empfehlung, mittels neuer Produkte neue Märkte zu erobern, bereits um eine Strategie handeln soll – um eine Diversifikationsstrategie.23 Sieht man nicht in jedem Managementinstrument eine mögliche Strategie, so kann Strategie als das erscheinen, was sie ist. Denn der Aspekt, sie als etwas Nichtsichtbares zu verstehen und dieses Nichtsichtbare detaillierter zu denken, führt zu der Definition von Strategie als Fähigkeit. Bereits im antiken Athen wurde der Aspekt der Fähigkeit erkannt. „Strategie bestand aus einem Gemenge von Intuition [und] listiger Überlegung.“24 In Ersterer spiegelt sich das Nichtsichtbare wider, in Letzterer die Fähigkeit, Überlegungen anzustellen. Und so waren in der damaligen Zeit die zehn Strategen die Fähigsten, denen – anders als anderen Würdenträgern – ihr Amt nicht per Los, sondern per Wahl durch die zehn Phylen zugeteilt wurde.25

22 Vgl. Mintzberg (1995), S. 18 und 39. 23 Vgl. Colbert (1999), S. 246. Untermauert wird der Grundgedanke bei Oetinger: Er spricht Instrumenten wie dem Total Quality Management oder dem Lean Management operativen, keinen strategischen Charakter zu. Lean Management ist keine Strategie, sondern eine operative Maßnahme zur Kostensenkung, die in der Kostenführerschaft münden und wiederum als eine von Porters Strategietypen fungieren kann, wie das Kapitel 5 zeigen wird, vgl. Oetinger (1993), S. 19. 24 Ritter und Gründer (1998), S. 261. 25 Vgl. P. Funke (2006), S. 144.

Zusammenspiel von Kultur und Strategie | 43

Doch was ist eine Fähigkeit? Christoph Menke erläutert diese in Die Kraft der Kunst wie folgt, den Begriff Vermögen statt des Begriffs Fähigkeit verwendend: „Vermögen zu haben heißt, ein Subjekt zu sein; ein Subjekt zu sein heißt, etwas zu können. Das Können des Subjekts besteht darin, etwas gelingen zu lassen, etwas auszuführen. Vermögen zu haben oder ein Subjekt zu sein bedeutet, durch Üben und Lernen imstande zu sein, eine Handlung gelingen lassen zu können. Eine Handlung gelingen lassen zu können wiederum heißt, in einer neuen, je besonderen Situation eine allgemeine Form wiederholen zu können. Jedes Vermögen ist das Vermögen der Wiederholung eines Allgemeinen.“26

Folgende Aspekte sind hierbei für den Weg der Entwicklung des neuen Verständnisses von Strategie als Fähigkeit von Bedeutung: • Strategie als Fähigkeit ist verortet in Personen. Dieser Aspekt löst bereits an

dieser Stelle die auf die Wirtschaft zurückgehende primäre Verankerung des Strategiebegriffs im Kontext von Unternehmen und Organisationen auf. • Personen können die Fähigkeit erlernen, sie ist nicht per se und – wie sich in Kapitel 8 zeigen wird – nicht qua Amt vorhanden und abrufbar. • Das Erlernen der Fähigkeit ermöglicht ihre Anwendung in immer anders erscheinenden Situationen. Dies bedeutet, die mit der erlernten Fähigkeit ausgestattete Person greift auf allgemeines Wissen und Können zurück und transferiert diese in die jeweilig anders erscheinenden Situationen. 2.3.1 Die aus der Neudefinition von Strategie als Fähigkeit resultierenden Folgen Durch die Neudefinition werden zunächst begriffliche Verquickungen zugunsten einer Trennschärfe überwunden. Der Begriff strategisches Denken beispielsweise wird obsolet. Zu untersuchen ist indes der Verwandtschaftsgrad zwischen einer Strategie und einem Plan, denn nochmals: Das in Gedanken Entstehende, wird an Strategie gedacht, ist in erster Linie das Bild eines Plans. Mintzberg formuliert: „Wenn Sie irgendjemanden um eine Definition des Begriffs Strategie bitten, wird er Ihnen wahrscheinlich sagen, dass eine Strategie ein Plan ist oder etwas in der Art – eine Rich-

26 Menke (2014), S. 13.

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tung, eine Leitlinie oder eine zukünftig zu ergreifende Handlung, ein Weg von hier nach dort [Hervorhebung im Original, BJ].“27

Jedoch handelt es sich bei alledem um das sichtbar gewordene Resultat eines zuvor durchlaufenen kognitiven Prozesses – dieser wird als Planung bezeichnet –, sodass eine Untersuchung von insgesamt drei Fällen zu erfolgen hat: 1. Strategie ist ein Plan. 2. Strategie ist kein Plan. 3. Sowohl eine Strategie als auch ein Plan sind Ergebnisse von Planung.

Zu 1 Bei der Aussage, eine Strategie sei ein Plan, handelt es sich um eine Prädikation, die sich laut der gleichnamigen Theorie aus zwei verschiedenen Wortarten zusammensetzt. Mit der einen Wortart werden einzelne Gegenstände ausgewählt, mit der anderen diese Gegenstände unter Berücksichtigung bestimmter Eigenschaften klassifiziert – eine Gliederung der Welt ist infolgedessen möglich.28 Das Beispiel Eine Ulme ist ein Baum verdeutlicht dies: Die Ulme – laut der philosophischen Lehre der Logik handelt es sich bei dieser um einen Nominator – wird aufgrund bestimmter Eigenschaften der Klasse der Bäume – diese trägt den Terminus Prädikator – zugeordnet. Es handelt sich hierbei um unterschiedliche Niveaus, durch die der Satz Eine Ulme ist ein Baum erst logischer Gestalt sein kann. Würden zwei Begriffe desselben Niveaus als Beispiel gewählt, so würde es Eine Ulme ist eine Linde lauten – und demnach unwahr sein. Wenn in dem Satz Eine Strategie ist ein Plan Erstere der Nominator ist, der durch das Prädikat ist ein Plan die Eigenschaft zugesprochen wird, ein Plan zu sein, so repräsentiert ein Plan eine Klasse, unter der sich mit entsprechenden Eigenschaften andere Arten von Plänen – und eben auch Strategien – subsumieren. Dies hat zur Folge, dass eine Strategie eine Spielart eines Plans ist.29 Zwar ist in einer Kategorisierung dieser Art keine Wertung auszumachen, da eine Ulme nicht wertvoller ist als ein Baum; jedoch schwingt – allgemein üblich – in dem Verhältnis von Strategie und Plan nahezu immer ein Werturteil mit: Die Strategie steht über dem Plan sowie der Stratege über dem Planer. Dies mag auf einem engen Verständnis von Plan beruhen: Beispielsweise schreibt Wolf-

27 Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 26. 28 Vgl. Kirchner und Michaëlis (2013), S. 514ff sowie Detel (2007), S. 23ff. 29 Der gegenteilige Fall, ein Plan sei eine Strategie, ist in der Literatur nicht zu finden. Wenn der auf der Prädikatstheorie basierenden Argumentation gefolgt wird, kann Strategie nur als zur Klasse des Plans gehörend gedeutet werden.

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gang H. Staehle, ein Planer könne selbst nie Strategie machen, nach Tom J. Peters dürfe die strategische Planung nicht dem Planer überlassen werden und Wolfgang Lotter formuliert, dass ein Plan Beständigkeit vermittle.30 Anders als die Kategorie Baum, die trotz definierender Eigenschaften für eine Vielfalt der in ihr versammelten Arten steht, zeigen die unter die Kategorie Plan fallenden Arten weniger Vielfalt auf, wenn die Eigenschaften von Planarten wie die des Fahrplans, des Haushaltsplans, des Spielplans, des Straßenplans oder des Stundenplans betrachtet werden – diese hier als statische Pläne definierten Pläne werden in Kapitel 6 ausführlicher beschrieben. Die Strategie als eine weitere Planart in dieser Aufzählung zu ergänzen, fällt schwer aufgrund der mitklingenden Wertigkeit und infolgedessen aufgrund des Reizvollen, das der Strategie innezuwohnen scheint; und das dafür Sorge trägt, sich mit etwas Glanzvollem zu umgeben, wenn aus einem Papier ein Strategiepapier, einem Treffen ein Strategietreffen oder einem Berater ein Strategieberater wird. Dieses Reiz- und Glanzvolle scheint verloren, ja, verloren gehen zu müssen, wird die Strategie als Art eines Plans verstanden. Und in diesem Fall bleibt sie tatsächlich nur als Interpretation eines herkömmlichen Vorgehens bestehen. Die zu Beginn erwähnten Rezepte und Beipackzettel könnten somit bereits als Strategie bezeichnet werden. Zu 2 Der im Fall 1 genannte Gedanke mag verwundern, sehen viele Autoren die Strategie doch über einem Plan stehend, wenn sie schreiben, Strategie sei das Überraschende, das Zeitverkürzende oder gar eine Königsdisziplin; sie folglich ein Mehr aufweist als ein statischer Plan – ein Mehr, das jenes Glanzvolle ausmacht.31 Doch bei allem, was einer Strategie als ein Mehr gegenüber einem Plan zugesprochen wird, zeigt sie deutliche Eigenschaften eines Plans auf, wenn die Rede ist von einem Weg eines gegenwärtigen Zeitpunkts in eine erdachte Zukunft. Somit zeigt der Fall 2 aufgrund seiner großen Schnittmenge zum Plan letztlich auch Bestandteile desselben auf – gerade, weil und wenn es um den Weg von hier nach dort, von A nach B geht. Allerdings wird der Weg mit einem Mehr beschritten, das unter anderem in Form von Überraschung, einer höheren Flexibilität, einem revolutionären statt evolutionären Fortschreiten oder der Ei-

30 Vgl. Staehle (1994), S. 580f sowie Peters (1988), S. 607 und Lotter (2017). 31 Vgl. Oetinger (1993), S. 16f sowie Scheuss (2012), S. 69. Auch Johnson, Scholes und Whittington sprechen sich gegen eine Gleichsetzung von Strategie und Plan aus: „Strategie ist nicht das Gleiche wie ‚der Plan‘, denn unter Strategie versteht man die langfristige Ausrichtung einer Organisation und nicht nur ein schriftliches Dokument.” Vgl. Johnson, Scholes Whittington (2011), S. 501.

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genschaft, die Zeit zu verkürzen, in Erscheinung tritt – all dies wird ab dem Kapitel 6 Schwerpunkt der Betrachtungen sein. Zu 3 Wenn der Plan das Resultat eines zuvor durchlaufenen kognitiven Prozesses ist und dieser Prozess den Begriff Planung trägt – wieso ist eine Strategie nicht ebenso das Ergebnis von Planung? Wieso muss Strategie als Fähigkeit eines spezifischen Denkens auf die Ebene der Planung gehoben werden? Da die Planung ihren Fokus auf die Analyse legt und die im Kontext von Strategie oft betonten Eigenschaften Kreativität und Synthese bei der Planung eine untergeordnete, wenn nicht sogar keine Rolle spielen – wie auch das enge Verständnis von Plan im Fall 1 belegt –, diese jedoch unter anderem für jenes Mehr der Strategie Sorge tragen, kann eine Strategie nicht als Resultat von Planung gelten. Die Argumentation findet Unterstützung bei Bendixen. Er schreibt, „Planung ist der Versuch, dem künftigen Geschehen möglichst jeden Überraschungswert zu nehmen“32. Doch sollte deutlich geworden sein, dass das Mehr, das eben auch in Form von Überraschung auftreten kann, der Strategie immanent ist. Aus diesem Grund entstand – so ist anzunehmen – ein weiterer Begriff, der das Kognitive der Planung mit dem Überraschenden der Strategie vereinen sollte: Der Begriff strategische Planung. Wieso aber muss in der Argumentation der Begriff strategische Planung wiederum mit der Definition von Strategie als Fähigkeit ersetzt werden? Die Antworten sind im Grunde einfach: Lediglich die Tatsache, Strategie als das Ergebnis einer strategischen Planung zu sehen, beantwortet zum einen nicht die Frage, was Strategie ist; zum anderen befände sich Strategie als das Resultat der strategischen Planung auf derselben Ebene wie deren Resultat Plan. Strategie wäre infolgedessen etwas Sichtbares. Zusammenführung der drei untersuchten Fälle Als Ergebnis ist festzuhalten, dass aufgrund der Klassifizierung von Plan und Strategie wie im Fall 1, der Schnittmenge zwischen Plan und Strategie wie im Fall 2 oder aber der Tatsache, dass das beim Denken an Strategie entstehende Bild das eines Planes ist, der Begriff Plan dennoch Anwendung finden soll. Seine Anwendung zeigt sich, indem er in dem Begriff strategischer Plan vertreten ist. Dieser besitzt im Vergleich zu einem statischen Plan jenes Mehr, das in dem Adjektiv strategisch seine Akzentuierung erfährt. Weitere Begriffe, die im Zusammenhang mit Strategie stehen, wie beispielsweise die Begriffe strategisches Konzept, strategisches Programm oder strategisches Vorgehen, lösen sich zugunsten des Begriffs strategischer

32 Bendixen (2006), S. 162f.

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Plan auf und wirken so der Irritation um den Strategiebegriff entgegen.33 Basierend auf dem Fall 3 wird deutlich, dass ein statischer Plan das Ergebnis von Planung ist, während das Ergebnis von Strategie eben jener strategische Plan mit seinem Mehr ist. Der Begriff strategische Planung findet somit ebenfalls keine Verwendung mehr. Wird der Fall 3 wiederum mit dem Fall 1 in Verbindung gebracht, so kann Strategie nicht der Klasse des Plans angehören. Die folgende Abbildung stellt die untersuchten Fälle dar: Abbildung 1: Gegenüberstellung der untersuchten Fälle Fall 1 Klassifizierung

Fall 2 Schnittmenge

= Strategie

= Das Mehr der Strategie

= Plan

= Das Herkömmliche des Plans

Fall 3 Resultate

Planung

Strategie

Plan

Str. Plan

= Strategischer Plan

Quelle: Eigene Darstellung

Eine weitere Folge des neuen Verständnisses von Strategie ist ebenso die Einführung des Verbs strategieren – in Anlehnung an die im Englischen existierende Verbform to strategize –, verstanden als die Tätigkeit, Strategie zu denken 33 Der hohe Verwandtschaftsgrad zwischen einem Plan und einer Strategie zeigt sich bei Betrachtung folgender Substantive, in deren Definition der Begriff Plan inkludiert ist. Programm: „Die nach einem Plan genau festgelegten Einzelheiten eines Vorhabens.” Konzept: „Klar umrissener Plan, Programm für ein Vorhaben.” Vgl. hierzu Duden (2018). Denkbar ist, dass die Nuancierungen des Begriffs Plan einzelne Aspekte besonderer Situationen im Umfeld der Strategie betonen sollen; allerdings tragen sie zu einer begrifflichen Überflutung bei.

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und nach ihr zu handeln. Der Begriff strategisches Handeln wird infolgedessen ebenfalls nichtig und die in Kapitel 1 vorgestellte und auf einem Tun basierende Interpretation von Strategie bei Johnson und Langley in das Strategieren integriert. Die Einführung des Verbs strategieren verhält sich demnach zum Substantiv Strategie wie das Verb taktieren zum verwandten Begriff Taktik. Das, was beim Strategieren gedacht wird, ist in Anlehnung an Aristoteles das potenziell Seiende.34 Oder mit den Worten Heideggers: „Gedächtnis ist die Versammlung des Denkens auf das, was überall im Voraus schon bedacht sein möchte.“35 So wie ein Bildhauer in einem Marmorblock bereits die zu schaffende Skulptur sieht und deren Entstehung von der Verwirklichung aus denkt, denkt der Stratege mittels seiner Strategie in Potenzialen des Seienden. Strategie wird infolgedessen ontologisch. Wenn Joseph Beuys den Menschen zugesteht, ein jeder sei ein Künstler, so existieren dennoch Unterschiede zwischen einzelnen. Zwar zeigen viele Menschen kreative Fähigkeiten, ja, gerade Kinder besitzen eine ungeahnte Kreativität. Jedoch tritt nicht jeder Kreative in die Fußstapfen eines Künstlers wie Ludwig van Beethoven oder Pablo Picasso. Ähnlich verhält es sich mit der Strategie, verstanden als die Fähigkeit, auf besondere Art und Weise zu denken. Jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens mit unterschiedlichsten Situationen konfrontiert, die er mittels seiner Fähigkeit mal geschickter, mal weniger geschickt handhaben wird. Gleichwohl – und dies ist die Parallele zu Beuys – wird nicht jeder Mensch zu einem großen Strategen wie Perikles, Napoleon oder Richard Wagner als ein Vertreter der Kultur; weil die Fähigkeit nicht bei jedem derart umfassend ausgeprägt ist, gleichwohl sie erlern- und ausbaubar ist. Der strategische Plan, das potenziell Seiende, das Strategieren als auch die Unterscheidung zur Taktik werden ab Kapitel 6 umfassend erläutert.

2.4 STRATEGIE ALS HERVORBRINGUNG DER KULTUR IM WEITEN SINNE Wenn das im Unterkapitel 2.2 genannte und auf Heinrichs zurückgehende menschliche Vermögen Teil der Kultur und Strategie als Fähigkeit eben ein menschliches Vermögen ist, so folgt, dass Strategie als die Fähigkeit des Menschen, auf spezifische Art und Weise zu denken und zu handeln, ebenfalls Bestandteil der Kultur ist. Sind Disziplinen wie die des Militärs, der Wirtschaft, aber auch der Politik und des Kulturmanagements Hervorbringungen der Kultur

34 Vgl. Aristoteles (2009), S. 101ff. 35 Heidegger (2015), S. 14.

Zusammenspiel von Kultur und Strategie | 49

und wurde der Begriff Strategie wiederum ursprünglich als Hervorbringung des Militärischen gesehen, so erhebt sich die Fähigkeit Strategie durch die vorgebrachte Argumentation über jene Disziplinen. Strategie verhält sich zu ihnen wie es auch die Fähigkeit des Sprechens tut: Auch sie ist eine Hervorbringung der Kultur – Bendixen bezieht sich auf Wittgenstein und erörtert, dass die Sprache der Kern der Kultur ist.36 Dieser Kern steht allen Disziplinen zur Verfügung, die wiederum je ihre spezielle Sprache entwickelten und nun anwenden. Die Schwierigkeit ist an dieser Stelle folgende: Die Sprache der Wirtschaft beziehungsweise ihr Verständnis von Strategie dominiert andere Disziplinen, dementsprechend reagieren Kulturschaffende. Um der Akzentsetzung zu entfliehen, wird der Schutz eines sicheren Raums gesucht, der in diesem Fall die Wirtschaft des Raumes verweisen soll. Denn nicht selten pflegen Kulturschaffende Ressentiments gegen Markt und Wirtschaft, sind doch dies die Bereiche, in denen ihrer Ansicht nach aufgrund marktwirtschaftlicher und kommerzieller Absichten Werte verrohen, Bürger durch Werbung manipuliert werden, wahre Qualität nicht erkannt wird, die Gesellschaft sich in bedenkenswerte Richtungen entwickelt. Der Gedanke drängt sich auf, dass Strategie durch das Diktat der Wirtschaft mit selbiger in Sippenhaft genommen wird, deswegen seitens der Kulturschaffenden gegenüber der Strategie entsprechende Vorbehalte existieren und die gezielte Auseinandersetzung mit ihr ebenso wie ihr Einsatz ausbleiben. Strategie als Fähigkeit öffnet daher mehrere Türen: Es emanzipiert sich die Strategie selbst, weil sie sich lossagt von Militär und Wirtschaft; es emanzipieren sich die Kultureinrichtungen und auch das Kulturmanagement, da sie eine Fähigkeit schulen und nutzen können, die ihnen selbst aufgrund des kulturellen Ursprungs von Strategie sehr nahe ist. Notwendig dafür ist die Gestaltung des kulturmanagerialen Kontextes von Strategie. Die folgenden Abbildungen stellen die Entwicklungen graphisch dar: Jedwede Disziplinen sind Hervorbringungen der Kultur im weiten Sinne. Das Strategieverständnis wird von der Wirtschaft geprägt – trotz des eigentlichen Ursprungs im Militärischen – und beeinflusst andere Disziplinen. So auch das Kulturmanagement.

36 Vgl. Bendixen (2009), S. 171.

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Abbildung 2: Prägung diverser Disziplinen durch das Strategieverständnis der Wirtschaft Kultur im weiten Sinne

Politik

Wirtschaft

Militär

Kulturmanagement

U

= Strategie U = Etymologischer Ursprung

Quelle: Eigene Darstellung

Durch die Definition von Strategie als Fähigkeit erhebt selbige sich über die einzelnen Disziplinen und steht ihnen zur Verfügung, wie es Abbildung 3 zeigt. Die einzelnen Kontexte sind dabei in einigen Disziplinen bereits definiert, am deutlichsten sicherlich in der Wirtschaft mit ihren Modellen, Instrumenten und Definitionen. Ein entsprechender Kontext im Kulturmanagement fehlt beziehungsweise wird – wie es in Abbildung 2 sichtbar wurde – eben von der Wirtschaft geprägt.

Zusammenspiel von Kultur und Strategie | 51

Abbildung 3: Strategie als kulturelle Hervorbringung Kultur im weiten Sinne

Politik

Wirtschaft

Militär

Kulturmanagement

Kontext

Kontext

Kontext

Kontext

= Strategie = Bereits umfangreich definierte Kontexte mit entsprechenden Modellen, Instrumenten und 
 Definitionen

Quelle: Eigene Darstellung

2.5 ZUSAMMENFASSUNG, REFLEXION UND WEITERES VORGEHEN So wie sich die Fähigkeit das Schreiben durch die Tätigkeit schreiben, durch die gedankliche Vorstellung dessen, was ein Buchstabe ist, durch Handbewegung und Stiftführung in Form von Worten ausdrückt; so wie die Fähigkeit die Kreativität durch die Tätigkeit gestalten, durch das gedankliche Vorab-Sehen und Vorab-Hören von etwas noch nicht Existierendem, durch Werke im weitesten Sinne in Erscheinung tritt; so handelt es sich bei die Strategie ebenso um eine Fähigkeit. Ausdruck findet die Fähigkeit in der Tätigkeit strategieren als dem Denken des potenziell Seiendem mit dem Ergebnis des strategischen Plans, der durch entsprechendes Handeln realisiert wird, immer in dem Wissen um dynamische Einflüsse, die das Mehr beispielsweise in Form von Überraschung und Zeitverkürzung ausmachen. Vor dem hier aufgezeigten Hintergrund ist es indes nicht korrekt, davon zu sprechen, für eine Situation werde eine Strategie benötigt; so wie es auch nicht korrekt ist, davon zu reden, es bräuchte eine Kreativität. Vielmehr ist es erfor-

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derlich, für eine Situation seine Strategie anzuwenden – seine Fähigkeit zu strategieren. So wie man auch seine Kreativität anwendet, will man ein Werk schaffen oder eine Idee generieren. Strategie ist demnach etwas sehr Individuelles; ein weiterer Beweis und ein Brückenschlag zu den Ausführungen von Menke, sie mehr im persönlichen denn ausschließlich in organisatorischen, wirtschaftlichen oder militärischen Kontexten zu betrachten. Die Tabelle am Ende dieses Kapitels 2 fasst die Reduzierung des Wortschatzes auf wenige Begriffe zusammen. An unterschiedlichen Stellen wurde in unterschiedlichster Literatur ein neuer Zugang zur Strategiediskussion gefordert. Diese Arbeit liefert diesen und leistet durch ein begriffliches Neusortieren ihren Beitrag. Dennoch muss kritisch angemerkt werden, dass sich ein zwar vager, aber durchaus existenter Strategiebegriff im Alltag etabliert hat: Dort, wo über Strategie gesprochen wird und der Begriff Anwendung findet – in Intendantenzimmern oder Hochschulsenatssitzungen, um Beispiele aus Kultur und Bildung zu nennen – ist den Beteiligten sicherlich bewusst, dass der Begriff Strategie etwas anderes ausdrückt als es ein Rezept oder Konzept tun – eben durch das mitschwingende Mehr. Allerdings kann es nicht Ziel sein, bestehende Altlasten und Ungenauigkeiten mitzunehmen. Ohne Frage ist es ein nicht leichtes Unterfangen, einen derart in aller Munde sich befindenden Begriff mit einer neuen Definition zu versehen. Schwerer aber noch wird sein, dessen neuen und modifizierten Gebrauch in den Alltag zu überführen. Zu vermuten ist, dass die Ersetzung des Begriffs Strategie durch den Begriff strategischer Plan leicht beziehungsweise leichter fallen wird – an der Stelle, an der sonst gesagt wurde, die Einrichtung benötige eine neue Strategie, kann alsbald der – im Sinne der hier vertretenen Denkweise – korrektere Satz fallen, die Einrichtung benötige einen neuen strategischen Plan. Anspruchsvoller mitzudenken wird nichtsdestoweniger das Verständnis des Wesens des strategischen Plans sein. Weitaus ambitionierter beziehungsweise ungewohnter als der Gebrauch des Begriffs strategischer Plan mag die Verwendung des Begriffs Strategie sein, um mit diesem auszudrücken, dass es sich in dem Gespräch um eine Fähigkeit handelt. Gleichwohl gab es immer – wie in den Ausführungen zur Entwicklung des Kulturbegriffs erwähnt – Veränderungen im Gebrauch von Begriffen, sodass aufgrund der Klarheit und genaueren Beschreibung der Begriffe im Kontext der Strategietheorie auch in diesem Fall davon ausgegangen wird. Am Ende dieses Kapitels 2 mag die Kritik im Raume stehen, der etymologischmilitärische Ursprung des Begriffs Strategie sei missachtet worden, immerhin basiert die These, Strategie ist eine Fähigkeit, auf semantischen Gedanken. Allerdings ist die Missachtung mitnichten der Fall. Vielmehr ist es so, dass das für

Zusammenspiel von Kultur und Strategie | 53

das Militärische Entscheidende – nämlich die Existenz eines Gegners und von ihm ausgehend das Unvorhersehbare und Dynamische – im Begriff strategischer Plan inkludiert ist. Tabelle 2: Gegenüberstellung neuer und traditioneller Begriffsverwendungen Begriff Strategie

Neue

Traditionelle

Verwendung

Verwendung

Dieser Begriff wird verstanden

• • • • •

als die Fähigkeit, in komplexen Situationen auf eine besondere Art über Lösungen nachzudenken, dabei das potenziell Sei-

Plan Konzept Vorgehen Programm Methode

ende vorab zu sehen, entsprechend zu handeln und die Ergebnisse des Handelns wiederum in das Denken miteinfließen zu lassen. Strategischer

Dieser Begriff tritt an die Stelle

Der Begriff findet zwar Ver-

Plan

des ansonsten verwendeten

wendung, wird aber zum einen

Begriffs Strategie, verstanden

nicht von dem der Strategie

als in sich stimmige Maßnah-

abgegrenzt, zum anderen nicht

men zur Zuführung einer Lö-

definiert.37

sung in einem dynamischen Umfeld mit dem Ergebnis einer permanent möglichen Anpassung der Maßnahmen innerhalb des eigenen Rahmens. Strategieren

Das Verb verdeutlicht die Tä-

Bisher nicht gebräuchlich.

tigkeit der Anwendung der Fähigkeit.

37 Am deutlichsten zeigt Kotler die Bestandteile des strategischen Plans auf, jedoch sind diese erneut auf den Unternehmenskontext zugeschnitten: Mission des Unternehmens, strategische Ziele, strategische Situationsanalyse, SWOT-Analyse, Portfolio-Analyse sowie Wachstumsstrategien, vgl. Kotler, Armstrong und Wong (2011), S. 160.

54 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Strategische

Dieser und alle ihm verwand-

Über die Rolle und Funktion

Planung

ten Begriffe wie strategische

der strategischen Planung hin-

Analyse, strategische Entwick-

sichtlich der Entwicklung von

lung, auch die Realisierung in

Strategien herrscht Uneinig-

Form von Strategieimplemen-

keit.38

tierung werden obsolet. Der Begriff strategieren repräsentiert all diese.

Grundsätzlich wird hier der Begriff Strategie verstanden als Fähigkeit. Jedoch an den Stellen, an denen es um die Wiedergabe der herkömmlich traditionellen Verwendungen des Begriffs geht – wie beispielsweise in den Beschreibungen des militärischen oder wirtschaftlichen Verständnisses in Kapitel 5 – wird zur Verdeutlichung des traditionellen Gebrauchs an den Begriff Strategie das Subskript T angefügt: Strategie T. Im Unterkapitel 2.4 klang erneut die Dominanz der Wirtschaft an, die den Strategiebegriff – auch für die Disziplin Kulturmanagement – prägt. Gerade in dieser ist zu beobachten, wie sich Autoren der einschlägigen Literatur darum bemühen, sich als eigenständige Disziplin im Allgemeinen zu etablieren und sich im Speziellen von der Wirtschaft loszulösen. Je stärker dieser Versuch unternommen wird, desto stärker gelangen diese Autoren am Ende wieder an den Ausgangspunkt ihrer Argumentationen. Dies ist Thema des folgenden Kapitels 3.

38 Vgl. hierzu beispielhaft die Ausführungen von Mintzberg (1995) sowie Johnson, Scholes und Whittington (2011) und Lafley, et al. (2017).

3

Kulturmanagement und Strategie

Stand in den 1950er Jahren die Kulturpflege und das Überwinden des nationalsozialistisch geprägten Kulturbegriffs sowie in den 1970er Jahren die Kulturarbeit im Blickpunkt der Kulturpolitik, kam es in den 1990er Jahren zu der Etablierung des Kulturmanagements: Geprägt zunächst durch einen volkswirtschaftlichen Blick auf den Wirtschaftsfaktor Kultur mussten deren Einrichtungen nach vielen Jahren der finanziellen Sicherheit das eigene Tun unter ressourcenschonenden Aspekten betrachten. Infolgedessen standen Forderungen nach Produktivität und Effizienz im Raume und es entwickelte sich aus einer institutionellen Betrachtung heraus der betriebswirtschaftlich gefärbte Begriff Kulturmanagement. Ein anthropologisch weites Verständnis dessen, was Kultur als Summe aller Lebenswelten des Menschen ist, musste dabei eine starke Reduzierung erfahren: Im Fokus stand dabei nur die manageriale Ermöglichung von Kunst und Kultur beziehungsweise die Sicherung von Rahmenbedingungen, die das Realisieren von Kunst und Kultur überhaupt erst ermöglichen.1

3.1 AUFBAU DES KAPITELS Dieses Kapitel 3 beginnt mit einer kritischen Bestandsaufnahme des Verhältnisses zwischen den Disziplinen Wirtschaft beziehungsweise Betriebswirtschaft und Kulturmanagement. Es werden zunächst die Grenzen der Übertragbarkeit von der einen auf die andere Disziplin und der entstehende Zirkelschluss besprochen, ehe das Teilgebiet Kulturmarketing aufgrund einer Reduzierung des Instrumentariums im kulturellen Kontext bei gleichzeitig hohem Stellenwert in der Literatur ebenso kritisch beleuchtet wird. Die Ausführungen münden in der Notwendigkeit eines Richtungswechsels innerhalb des Kulturmanagements. Ein

1

Vgl. Heinrichs (1997), S. 35f.

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entsprechender Impuls kann von dem hier vertretenen Verständnis von Strategie ausgehen, sodass das Kapitel 3 mit einer Beschreibung der aktuellen Strategiediskussion im Kulturmanagement und einem ersten Einblick in das Thema Kulturstrategie endet. Gleichzeitig dient das gesamte Kapitel 3 der Sensibilisierung für den kulturmanagerialen Kontext auf einer grundsätzlichen Ebene, in dem letzten Endes die Fähigkeit Strategie Anwendung finden kann. Es werden daher die im Folgenden zu diskutierenden Aspekte zu Fragen an die Strategie im Kulturmanagement.

3.2 KULTURMANAGEMENT: HERAUSFORDERUNGEN UND BEGRENZUNGEN 3.2.1 Grenzen der Betriebswirtschaft im Kontext des Kulturmanagements Nicht nur die Entwicklung der letzten Jahrzehnte und die volks- und betriebswirtschaftlichen Sichtweisen auf den Kultursektor bescheinigen die Nähe der Betriebswirtschaft zum Kulturmanagement, nein, diese ist bereits durch den Begriff Management in dem des Kulturmanagements inkludiert. Denn geht es um die Vermittlung von Managementwissen, handelt es sich bei der Betriebswirtschaft um die prädestinierte Disziplin.2 Demnach gilt, in die Form der logischen Folgerung gebracht: Das Kulturmanagement hat zum Gegenstand das Management. Die Bezugsdisziplin für das Management ist die Betriebswirtschaft. Also: Für das Kulturmanagement ist die Bezugsdisziplin die Betriebswirtschaft. Gleichwohl betonen Autoren in ihren Veröffentlichungen zum Kulturmanagement, die Übertragbarkeit der Instrumente und Methoden der Betriebswirtschaft auf den Kultursektor – insbesondere auf den öffentlich getragenen – sei nur sehr eingeschränkt gewährleistet. Als Gründe werden an erster Stelle die Unantastbarkeit des Inhalts sowie die Autonomie der Kunst angeführt.3

2

Vgl. Staehle (1994), S. 71 sowie Vahs und Schäfer-Kunz (2005), S. 149.

3

Vgl. Höhne (2013), S. 353, Föhl und Glogner-Pilz (2017), S. 16f, 64, Bendixen (2006), S. 39 sowie Mandel (2009a), S.16 und Colbert (1999), S.123.

Kulturmanagement und Strategie | 57

Darüber hinaus existieren weitere Gründe, die mehr in der Literatur zur Betriebswirtschaft und dem Management denn der zum Kulturmanagement zu finden sind: 1. Der Begriff Management schließt für das Kulturmanagement wichtige Berei-

che aus, wenn er – seiner Definition nach – lediglich Prozesse wie die der Organisation, der Führung und der Kontrolle sowie der Planung umfasst. Trotz der Betonung, den klassisch-kulturmanagerialen Kanon – bestehend aus Organisation, Vermittlung und Finanzierung – ausdifferenzieren und erweitern zu müssen4, weist er aufgrund seiner Schwerpunktsetzung auf jene Tätigkeiten eine der Betriebswirtschaft nahestehende und den kulturmanagerialen Kontext vereinfachende Form auf. 2. Für die Betriebswirtschaft besitzen Organisationsziele im Gegensatz zu den Zwecken der Organisation eine größere Bedeutung.5 Anders die Kultur: Letztere sind in Form des Kulturauftrags, an den wiederum der Fluss von Zuwendungen gekoppelt ist, für Kultureinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft von Bedeutung. Die existierenden Unterschiede zwischen Zielen und Zwecken wird das Kapitel 6 zeigen. 3. Die Betriebswirtschaft agiert mit einer Anfangslast, die entstand, als diese Wissenschaft das Wesentliche ihres Realitätsausschnittes definierte. Sie zeigt sich dort, wo kritisch zu hinterfragen ist, wie darüber entschieden wurde, welche Aspekte als wesentlich oder unwesentlich einzustufen sind: Wie wurde die Entscheidung gefällt, dass jene Wissenschaft politische, rechtliche, ökologische oder kulturelle Dimensionen nicht beziehungsweise kaum in ihrem Realitätsausschnitt berücksichtigt?6 Eben durch die Betonung des Besonderen von Kunst und Kultur und eben durch eine eingeschränkte Übertragbarkeit der Betriebswirtschaft auf den kulturellen Sektor versuchen Kulturmanager in ihren Publikationen, sich von der Betriebswirtschaft zu lösen und dem Kulturmanagement als Disziplin zu mehr Eigenständigkeit zu verhelfen. Heimo Konrad geht sogar so weit, die Frage zu stellen, inwiefern die Betriebswirtschaft für das Kulturmanagement überhaupt von Relevanz sei.7 Doch auch wenn der Versuch des Lösens unternommen wird, so ge-

4

Vgl. Staehle (1994), S. 69 sowie Föhl und Glogner-Pilz (2017), S. 18.

5

Vgl. Staehle (1994), S. 413.

6

Vgl. Bendixen (2009), S. 188.

7

Vgl. Konrad (2009), S. 201, Bendixen (2006), S. 114 sowie Föhl und Glogner-Pilz (2017), S. 27 und Lang (2015), 19f, ebenso Mandel (2009a), S.16.

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langen einige Autoren am Ende ihrer Ausführungen dennoch zur Betriebswirtschaft zurück. Grund dafür ist der in ihren Publikationen zu erkennende Zirkelschluss, mit dem sie konfrontiert sind: Der Versuch, die Diskrepanz zu beseitigen zwischen dem Gegenstand Kunst und Kultur mit seinen nicht abbildbaren Werten auf der einen und der Betriebswirtschaft als jener primären Disziplin auf der anderen Seite, die es eben im Rahmen des Kulturmanagements zur Aufgabe hat, den künstlerisch-kulturellen Gegenstand mit ihren rationalen Instrumenten, Methoden, Modellen sowie ihren Möglichkeiten des Messens, Zählens und Abbildens zu managen. Dieser Versuch führt unweigerlich zur Betriebswirtschaft zurück, da sie bereits begrifflich im Kulturmanagement sowie in dessen traditionellen Aufgaben verankert ist. Schlussendlich wird – und das ist das Entscheidende, das dazu führt, den Zirkelschluss nicht aufzulösen – der Betriebswirtschaft die Rolle der primären Bezugsdisziplin wieder zugestanden. Jedoch lassen ihre rationalen Instrumente aufgrund des realitätsvereinfachenden Wesens die kunst- und kulturimmanente Komplexität simpler erscheinen mit der Folge – so Konrad erneut –, dass der Verdacht entstehen kann, das Kulturmanagement beziehungsweise das Erlernen desselben sei ebenso einfach.8 Damit ein Missverständnis an dieser Stelle ausgeschlossen werden kann: Gemeint ist mit diesen Ausführungen nicht, dass Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit keine Rolle spielen sollten. Denn: „Kunstbetriebe setzen eine ökonomische Basis voraus, die überhaupt die Institutionalisierung erst ermöglicht. Demnach ist es ein dummer Ausspruch, Ökonomie solle für Kunst keine Rolle spielen“9, so Uecker. Kultureinrichtungen befinden sich einerseits in einer Pflicht gegenüber sich selbst; einer Pflicht, die ein betriebswirtschaftliches Handeln erfordert und das Aspekte der Führung und Entwicklung von Organisationen ebenso umfasst wie die Gestaltung von betrieblichen Prozessen und das indes nicht nur monetär zu definieren ist. So können Kultureinrichtungen andererseits ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen, die insbesondere bei öffentlich getragenen Einrichtung aus dem Fluss von Zuwendungen resultiert. Um aber den Zirkelschluss aufzulösen, muss der Betriebswirtschaft die Rolle zukommen, die für das Kulturmanagement und dessen Eigenständigkeit hilfreich ist. Kurzum: Die betriebswirtschaftliche Seite muss bedacht werden, darf allerdings nicht die primäre sein. Ihr Gewicht muss dabei nicht – wie im Zitat von Konrad – in Gänze reduziert werden. Wichtiger ist vielmehr, ein Gegengewicht zu installieren und dieses zu akzentuieren. Ein Gegengewicht, das deutlicher das Nichtabbild-

8

Vgl. Konrad (2009), S. 199.

9

Experteninterview Uecker (2017), S. 269.

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bare, die Werte und all jene Eigenschaften im Blick behält, die bei der Beschreibung des künstlerisch-kulturellen Inhalts zu finden sind. Zwischenfazit Die Disziplin Kulturmanagement befindet sich laut Steffen Höhne in einer dritten Entwicklungsphase. Galt es in der ersten, die Diskussion um die Theorie zu führen, wurde der Fokus in der zweiten auf die Praxis gelegt. Die aktuell dritte Phase hat die wissenschaftliche Fundierung zum Gegenstand.10 Nach den bisherigen Ausführungen kann der Gedanke zugelassen werden, das Kulturmanagement bereits an einer Schwelle zu einer vierten Phase zu verorten; zu einer Phase, in der sich von bereits Bekanntem verabschiedet wird, da dieses Bekannte der Disziplin nicht nur geholfen hat. Der so gewonnene Raum muss mit neuen Impulsen gefüllt werden: Wenn ein von der Betriebswirtschaft dominiertes Strategieverständnis – wie es Gegenstand des Kapitels 5 ist – vor dem Hintergrund der eingeschränkten Übertragbarkeit für das Kulturmanagement nicht geeignet sein kann, muss der Raum mit einem entsprechend neuen Strategieverständnis gefüllt werden. Und wenn viele Begriffe im Kulturmanagement noch nicht definiert sind, sie aber gleichzeitig eine große Rolle in der Forschung dieser Disziplin spielen und momentan Begriffe wie Produkt, Nachfrage, Bedürfnis oder Marketing der Betriebswirtschaft entnommen sind11, so können das hier verfolgte sprachphilosophische Vorgehen, das Neuordnen von Begriffen und das Definieren des kulturmanagerialen Kontextes einen Beitrag zu dieser vierten Phase leisten. 3.2.2 Kulturmarketing und Erlebnisgesellschaft Die Literatur zum Kulturmanagement ist stark geprägt von Veröffentlichungen zum Thema Kulturmarketing. Auch in diesen zeigt sich der Inhalt des Kultursektors unantastbar – oder entsprechend mit den Worten des Marketing: Das entscheidende P der den klassischen Marketingmix bildenden vier Ps bleibt unbe-

10 Vgl. Höhne (2013), S. 353. 11 Vgl. Föhl und Glogner-Pilz (2017), S. 62, 92. Wolfram beanstandet, dass mit „Begriffen des Marketing und der Produktplatzierung [...] häufig künstlerisches Handeln beschrieben [wird], ohne auf die Ebenen künstlerischer Selbstreflexion ausreichend Rücksicht zu nehmen“. Vgl. Wolfram (2013), S. 105. Bendixen führt aus, dass im Kunstmarketing nicht jeder beliebige Jargon genutzt werden kann und übt grundsätzliche Kritik an der nicht ausreichend reflektierten Übertragung des betriebswirtschaftlichen Marketing auf den Gegenstand Kultur, vgl. Bendixen (2006), S. 175, 181.

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rücksichtigt – das Produkt.12 Der Schwerpunkt des Kulturmarketing liegt somit auf den verbleibenden drei Ps – Price, Place, Promotion. Besonders auf Letztere wird ein starker Fokus gesetzt, so Mandel.13 Anzunehmen ist, dass sich die Fokussierung darin gründet, dass auf der einen Seite der Preis im öffentlich getragenen Kultursektor mit seinem Zuwendungserhalt als unrealistischer Preis in Erscheinung tritt; dass auf der anderen Seite der Vertrieb – der Place – beim Kunst- und Kulturbesuch aufgrund dessen typischen Merkmals der Ortsgebundenheit eingeschränkte Möglichkeiten bietet – anders als die Betriebswirtschaft mit ihren Optionen, Produkte zu reproduzieren und diese somit regional, national oder international an mehreren Orten gleichzeitig anzubieten. Diese Gedanken werden in Kapitel 4 und Kapitel 7 dezidiert beschrieben. Es wird die These aufgestellt, dass durch den Wegfall des ersten P und durch die Reduzierung auf die verbleibenden drei Ps beziehungsweise durch die inhaltlichen Einschränkungen in Preis und Vertrieb – unterstützt durch die Entwicklung der Gesellschaft hin zu einer Erlebnisgesellschaft – Kulturmanagement und -marketing den Weg beschreiten, den Inhalt mit einem Mehr des Drumherums aufzuladen. Gleichzeitig zeigt sich in jener Reduzierung des Instrumentariums abermals, dass trotz der Tatsache, dass das Kulturmarketing „ein im Schrifttum durchaus gewichtiges Feld“14 besetzt, es in die Nähe der Betriebswirtschaft als Ursprung des Marketing rückt, die Betriebswirtschaft allerdings nicht als primäre Bezugsdisziplin des Kulturmanagements gelten kann. Die These prägnanter und überspitzt formuliert: Die aktuellen Entwicklungen befördern das Aus-denAugen-Verlieren des Eigentlichen. So spielten beispielsweise die Hamburger Philharmoniker im April 2017 die Sinfonie der Tausend von Gustav Mahler in

12 Es muss ergänzend gesagt werden, dass beispielsweise bei der Gestaltung von Programmatiken durchaus Möglichkeiten existieren, das Produkt Konzert – zur Verdeutlichung wird hier der Terminus Produkt beibehalten, wenn auch die Verwendung insbesondere in Kapitel 7 angemahnt wird – zu gestalten. Allerdings handelt es sich um die Gestaltungen der Konstellationen von Inhalten; doch die Inhalte, die in diesen Konstellationen zu finden sind, werden a priori nicht angepasst. 13 Vgl. Mandel (2009b), S. 11. Obgleich der Marketingmix im Laufe der Jahre eine Erweiterung erfuhr durch das Hinzufügen weiterer Ps wie Process, Physical Facilities oder People, bezieht sich die Kulturmanagementliteratur auf die klassischen vier Ps. Vor dem Hintergrund der geforderten Einbindung und stärkeren Beachtung des Kulturpublikums ist es verwunderlich, dass das entsprechende Element People nicht im Zuge des Marketingmixes erwähnt wird. 14 Bendixen (2006), S. 123.

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der Elbphilharmonie. Neben rund 300 Musikern und dem Werk an sich – beides galt als Beweis, dass die Hansestadt Hamburg nun endlich aufgrund des neuen Konzerthauses in der Lage sei, große Werke mit großer Besetzung auf die Bühne bringen zu können – wurde eine aufwändige Lichtinstallation der Künstlerin Rosalie im neuen Konzertsaal angebracht und entsprechende Kritik laut.15 Die Frage muss gestellt werden, wieso in diesem Fall neben dem Werk, den Klangkörpern und der Atmosphäre des kurz zuvor eröffneten neuen Konzerthauses ein weiteres Kunstwerk in Erscheinung treten muss; und wieso in allgemeinen Fällen das Angebot an Firmen- und Hochzeitsfeiern, Kochveranstaltungen, Modepräsentationen, Wellnessangeboten, Tanz oder Yoga in Kultureinrichtungen zunimmt.16 Die Antwort findet sich in der kulturmanagerialen Literatur selbst: So schreibt Mandel, dass in der Erlebnisgesellschaft Menschen von Kultureinrichtungen vor allem Unterhaltung, Spaß und Gemeinschaftserlebnisse erwarten und nicht mehr beziehungsweise in immer geringerem Ausmaße Kontemplation und Bildung; Bendixen beschreibt dies als Sensationslust und als Hunger nach Erlebnissen; andere Autoren ziehen schlussendlich den Kulturflaneur als Musterbeispiel für den heutigen Besucher zurate, dem wichtiger als inhaltliche Motive vor allem gesellige und unterhaltende sind.17 Der Soziologe Gerhard Schulze erläutert die Gründe, die zu einer Erlebnisgesellschaft führten: Da die existenzielle Bedrohung des Lebens heutzutage in den westlichen Gesellschaften nicht mehr gegeben sei – gepaart mit einer stärkeren Kaufkraft und einem höheren Zeitaufkommen der einzelnen Personen –, gelte es, das Leben so zu verbringen, dass es lohnenswert sei. Der kategorische Imperativ laute: Erlebe dein Leben. Dieses Erleben verlagere sich von einer damals randständigen Position ins Zentrum des Lebens mit der Folge, dass die Anzahl der Möglichkeiten zunehme, da ein Erlebnismarkt diese Bedürfnisse bediene. Institutionen müssten entsprechend reagieren.18

15 Vgl. Kaiser (2017). Uecker zu dieser Thematik: „Es geht nicht mehr um die Kunstwerke [...], sondern um Entertainment.“ Vgl. Experteninterview Uecker (2017), S. 268. Auch Adorno und Horkheimer kritisieren den Hang zu immer neuen Effekten: „Während sie [die Kulturindustrie, BJ] nichts mehr kennt als die Effekte, bricht sie deren Unbotmäßigkeit und unterwirft sie der Formel, die das Werk ersetzt.“ Vgl. Horkheimer und Adorno (2015), S. 15. 16 Vgl. Grasskamp (2016), S. 17 sowie Rauterberg (2015a), S. 8, ebenso Mandel (2009b), S. 160 und dpa (2018). 17 Vgl. Mandel (2005), S. 17 sowie Bendixen (2006), S. 180 und Glogner-Pilz und Föhl (2011), S. 29. 18 Vgl. Schulze (2005), S. 38, 57, 59f.

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Auch die Freizeitforschung bestätigt, dass dem Individuum seit den 1990er Jahren erstmals mehr freie Zeit zur Verfügung steht als Zeit, die in den Lebenserwerb fließen muss. Allerdings steht diese freie Zeit genau wie die Arbeitszeit unter der Forderung nach Produktivität und Nützlichkeit.19 Für das Individuum resultieren daraus Spannungen, die es immerzu auszugleichen versucht. Sie sind zurückzuführen auf den Wunsch beziehungsweise auf eben jene Forderung nach Aktivität einerseits und dem Wunsch nach Erholung und Entspannung andererseits. Um diesen Spannungen zum Teil entfliehen zu können, verschafft sich das Individuum mittels der Angebote des Freizeitmarkts Verdrängung. Dem kategorischen Imperativ entsprechend will und muss es mehr in kürzerer Zeit erleben; und das zu Erlebende will und muss ebenso schnell erlebt werden. Aus alledem resultieren Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit.20 Ergänzend muss gesagt werden, dass die Ergebnisse zu datieren sind auf das Ende des vergangenen Jahrtausends, einer Zeit, in der beispielsweise soziale Medien ihren Durchbruch noch nicht erzielten. Es ist davon auszugehen, dass heutzutage noch mehr in gleicher Zeit zu geschehen hat, die von der Freizeitforschung identifizierten Tendenzen sich demnach noch verstärkt haben. Nichtsdestoweniger unterstützen Kulturmanagement und Kultureinrichtungen eher jene Tendenzen als ihnen ein Gegengewicht zu setzen und Lösungen anzubieten, die den Kulturbesucher aus dem beschriebenen Spannungsverhältnis wenigstens temporär befreien. Wirkliches Betrachten und Zuhören, kurzum: wirkliches Hinwenden zum Inhalt sollte im Fokus stehen statt einer Vielzahl von Eindrücken und Informationen binnen kürzester Zeit zu erliegen. Für das Kulturma-

19 Für Adorno und Horkheimer resultiert aus der Tatsache, dass „Amusement [!] [..] die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus [ist]“ zwar auch das Prinzip von Produktivität und Nützlichkeit. Sie argumentieren: Um Freizeit und Erholung zu erfahren und gewappnet zu sein für den nächsten Arbeitstag, wird auf Angebote zurückgegriffen, die einem ähnlichen Arbeitsprozess entspringen wie jener, in den der Freizeitsuchende tagtäglich im Beruf integriert ist. Dennoch ist das Ergebnis dieser genormten Angebote mehr Langeweile denn Vergnügen, da es aus Sicht des Produzierenden keine Anstrengung kosten darf, will es Vergnügen sein, vgl. Horkheimer und Adorno (2015), S. 30. 20 Vgl. Opaschowski (1997), S. 21, 31, 38, 40. Auch Colbert nutzt den Begriff Freizeit, setzt diesen jedoch mit Unterhaltung gleich, vgl. Colbert (1999), S. 68. Aufgrund der begrifflichen Schwierigkeit, die entsteht, wenn kulturelle Inhalte, die durchaus in der Freizeit rezipiert werden wie beispielsweise Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau, mit dem Begriff Unterhaltung überschrieben werden, wird Freizeit hier nicht mit Unterhaltung gleichgesetzt.

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nagement und letzten Endes für die Strategie des Kulturmanagers ist das Wissen um diese Tatsachen und Entwicklungen bedeutend, wollen sie dem Kulturbesucher helfen. Denn, so der Zukunftswissenschaftler Horst Opaschowski: „Das Feld für tiefergreifende Hilfsangebote ist noch weitgehend unbestellt.“21 Diskussion 1: Gefährdung der Kunst und der Kultur? Doch ist die Tendenz hin zu mehr Erlebnis, Spaß und Unterhaltung als negativ zu beurteilen? Und stellt sie tatsächlich eine Gefährdung für die Kulturlandschaft in Deutschland dar, wie in manchen Veröffentlichungen zu lesen ist?22 Immerhin besaßen bereits im antiken Griechenland kulturelle Veranstaltungen unterschiedliche Funktionen: Neben der Demonstration und Inszenierung von Herrschaft und Macht sollte das Publikum unterhalten – und infolgedessen durch Brot und Spiele auch unten gehalten – werden. Die unterhaltenden und geselligen Momente wirkten einem Alltag entgegen und ermöglichten eine kurzzeitige Ablenkung von ihm. Auch im Verlauf der Zeit blieben das Unterhaltende und das Soziale Bestandteil des Kulturgenusses. Zwar war es auch immer Anliegen, das Publikum durch seinen Kulturbesuch zu bilden, ja, diese Bildung wurde sogar im 19. Jahrhundert explizit vom Staat gefordert; doch die Unterhaltung, die Geselligkeit und das Amüsement blieben weitestgehend vordergründig. Erst durch die Aufteilung der Kultur in Kunst und Bildung auf der einen, Unterhaltung und Geselligkeit auf der anderen Seite und infolgedessen der Entstehung der Hochkultur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Bildungsanspruch – aus Gründen der Selbstentwicklung des Individuums als auch aus Gründen der Abgrenzbarkeit zu anderen Bürgerschichten – vermehrt in den Mittelpunkt gestellt,

21 Opaschowski (1997), S. 22. 22 Über die in Berlin zu besuchende Ausstellung Von Monet bis Kandinsky zu Beginn des Jahres 2018, die zwar 1.500 Bildelemente in digitaler Form zeigte, jedoch keine Originale, schreibt Kikol: „Mit Monet und Kandinsky hat diese mittelprächtige Show nichts mehr zu tun, doch für Unterhaltung ist gesorgt.“ Und Bendixen kritisiert, dass der Hang der Regisseure zum Event den musikalischen Werken nicht dienlich sei. Für Beyme wiederum scheint mittlerweile „die Museumsnacht [...] wichtiger als das Museum“. In diesen grundsätzlichen Entwicklungen sieht wiederum Merten die Gefährdung der ursprünglichen Aufgabe und Stellung der Museen, wenn diese sich „durch die systematische Inszenierung von Ausstellungen als Ereignis [...] zu Kunstspektakel-Bühnen in der Erlebniskultur [entwickeln]“. Vgl. Kikol (2017) sowie Bendixen (2009), S. 170 und Beyme (2012), S. 219, ebenso Merten (2017), S. 162.

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so Wagner. 23 Diese Ausführungen nehmen Bezug auf die Beschreibung der Entwicklung des Kulturbegriffs in Kapitel 2. Nichtsdestoweniger hinterlässt die zu beobachtende Tendenz der Zunahme des Drumherums einen Beigeschmack, der sich zusammensetzt aus den folgenden Punkten: • Der Inhalt von Kunst und Kultur wird als das Elementare beschrieben, jedoch









droht die Gefahr, dass er von dem Drumherum aus Erlebnis, Spaß und Unterhaltung aus dem Sichtfeld verschwindet. Die Gefahr, die in der Literatur am ehesten mit den Begriffen Anbiederung, Trivialisierung, Verflachung oder Eventisierung in Verbindung gebracht wird, wird von Kulturmanagern gesehen.24 Gleichwohl werden überwiegend Beispiele für Maßnahmen der Publikumseinbindung und der Programmgestaltung beschrieben, in denen der Inhalt hinter das Erlebnis zurücktritt – trotz Betonung, dass dieser dies nicht tut.25 Es entsteht der Eindruck, dass das Kulturmanagement kaum mit einem ausreichenden Maß an Ideen fernab des Drumherums aufwarten kann, die den Fokus auf den Inhalt und die eigentlichen Aufgaben legen. Das Argument: Der Kulturbesucher wünscht Erlebnis, Spaß und Unterhaltung, demnach soll dieser Wunsch erfüllt werden. An diesem Punkt schließt sich der Kreis zum Marketingmix: Da dem Kulturmarketing – wie bescheinigt – das für die geforderte Nachfrageorientierung entscheidende Element der Produktanpassung fehlt und die verbleibenden Elemente diesen Umstand nicht wettmachen können, wird aus der Nachfrageorientierung eine Besucherorientierung, die auf Dialog und Partizipation setzt und den Weg bereitet für Erlebnis, Spaß und Unterhaltung – im Zuge einer konsequenten Besucherorientierung. Insbesondere das Szenario Kürzungen der Zuwendungen in Kapitel 4 wird diese Thematik näher diskutieren.

23 Vgl. Wagner (2009), S. 47, 288ff, 292. 24 Vgl. unter anderem Mandel (2009b), S. 7 sowie Tröndle (2011b), S. 10 und EnqueteKommission (2007), S. 154. 25 Stellvertretend für die derzeitige Praxis soll das folgende Beispiel dienen: „Kunstfeste für Nachbarn, Kochen für Kerle, eine Medien-Kunst-Lounge für Wolfsburger Jugendliche, Art and Club für junge Touristen aus Berlin – mit immer neuen, zum Teil spektakulären, jeweils zielgruppenspezifischen Kommunikationsaktionen macht das Kunstmuseum Wolfsburg [...] auf sich aufmerksam“. Vgl. Mandel (2009b), S. 160.

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• Mehr noch: Es wird dem Publikum zwar bescheinigt, Interesse für Kunst und

Kultur zu besitzen, allerdings zeigt es sich tendenziell passiv ob des umfangreichen und immerzu wachsenden – und wie dargestellt: teilweise überfordernden – Freizeitangebots. Die Herausforderung für das dialogfördernde Kulturmanagement scheint demnach zu sein, aus einem passiven Publikum ein aktives zu machen, das den Weg nicht nur in die Kultureinrichtung findet, sondern mit dieser in einen Dialog tritt. Vor dem Hintergrund der Besucherorientierung folgt daraus, ein ohnehin mehr oder minder passives Publikum aktiv am Geschehen beteiligen zu wollen, das laut Mandel unter anderem folgende Fragen beantworten sollte: Welchen Service wünscht es? Wie will es angesprochen werden? Welche Maßnahmen erleichtern ihm den Zugang zu Kunst und Kultur? Zwar ist die Gestaltung von Rahmenbedingungen, die von den Öffnungszeiten über die Parkplatzsituation und die Garderobe bis hin zum Angebot der Gastronomie reichen, nicht unwichtig. Wichtiger als diese sind allerdings Fragen wie die folgende: Wie können die „menschenleeren festen Sammlungen im Dornröschenschlaf“26 aus ihrem Schlaf geweckt werden? Deren wirkliche und zufriedenstellende Beantwortung erfolgt in der Literatur jedoch nicht. Bereits 1990 formulierte Ulrich Weisner, ehemaliger Leiter der Kunsthalle Bielefeld, seine Sorge über den entstehenden Zwang, nahezu alle Energie, Zeit und Kraft aufzuwenden, um die Popularität der Kultureinrichtung – in seinem Fall des Museums – in dem Ansehen der Öffentlichkeit zu erhöhen. Damit einher gehe die Unterordnung des eigentlichen Inhalts und infolgedessen der Verlust der primären Aufgabe der Einrichtung. Sekundäre Aufgaben wie die Durchführung von Kurzzeitveranstaltungen mit Ereignischarakter, die Erhöhung des Images oder die Erzielung von Standortvorteilen würden ihm nach aus Sicht der Kulturpolitik und der Öffentlichkeit zu primären Aufgaben; das Verhältnis drehe sich um. Eine konsequente Besucherorientierung sei indes nicht möglich, im Gegenteil: Es müssen Wünsche, Bedürfnisse, ja, nichtfachliche Interessen mitunter ignoriert werden, um eine wahrhafte Begegnung zwischen Besucher und Inhalt zu gestalten – entsprechend der tatsächlich primären Aufgabe der Einrichtung. Zwar prognostizierte Weisner damals, dass die Flut an Ereignissen ob ihres inflationären Charakters selbstschwächend ist; allerdings zeigt der Blick in die heutige Zeit, dass die Selbstschwächung nicht erkennbar ist. Vielmehr ist eine Betonung gerade von Erlebnis, Spaß und Unterhaltung in der kulturmanagerialen Literatur zu verzeichnen. Dabei gibt es Empfehlungen: Weisner selbst

26 Vitali (2000), S. 106.

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spricht sich nicht gegen eine Minderung der Öffnung aus als vielmehr für ein Gegenwirken gegen die Einseitigkeit, indem die primären Aufgaben der Einrichtung als auch der Wert der Inhalte wieder in das Gedächtnis gerufen werden.27 Daran anknüpfend muss an dieser Stelle nochmals betont werden: Es geht nicht darum, Erlebnis, Spaß und Unterhaltung zu unterbinden. Dennoch muss die zu Beginn der Diskussion 1 gestellte Frage nach der Beurteilung der Entwicklung hin zu Erlebnis, Spaß und Unterhaltung wie folgt beantwortet werden: Sie ist dann als gefährdend zu beurteilen, wenn sie aufgrund ihres allgegenwärtigen Wesens in der heutigen Zeit das Aufwerfen der tatsächlichen Frage unterbindet; nämlich der Frage, wie der eigentliche Inhalt, das, was an diesem als besonders erachtet und beschrieben wird, zu den Menschen gelangt, dieser für sie bedeutsam ist und wird, ohne dass dieser – salopp gesprochen – mit einem Geschmacksverstärker gewürzt werden muss, damit er überhaupt schmeckt. Auf diese Hauptfrage wird im Verlauf immer wieder Bezug genommen. Denn es sind die am Eigentlichen Interessierten, die schlussendlich immer rarer werden: Mit fortschreitender Zeit wird das klassische Bildungsbürgertum – jetzt noch überwiegend als Hauptpublikum der Kultureinrichtungen gesehen – nicht mehr die Säle und Ausstellungsräume füllen, stattdessen die in der Erlebnisgesellschaft und der Digitalisierung mit ihren Möglichkeiten Großgewordenen, denen mit ereignisreichen Maßnahmen beigebracht wurde, dass Kunst und Kultur fast nur mit jenem Extra zu genießen seien – das Kapitel 4 wird im Rahmen der kulturellen Bildung den Stellenwert der Elterngeneration darstellen. Gerade für die in der kulturmanagerialen Literatur immer wieder anzutreffende Äußerung, der Rezipient vollende das Werk, stellt sich genau dann eine Situation dar, in der der Rezipient das Werk eben nicht mehr vollenden kann, da er lediglich dem Ereig-

27 Vgl. Weisner (1990), S. 176, 181f, 186. Die Fachtagung Event zieht – Inhalt bindet belegt die Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis zwischen den beiden Polen im musealen Kontext. Die Experten sprechen sich an unterschiedlichen Stellen aus für einen Erlebnischarakter, der allerdings dem Inhalt zu folgen hat: Die Nachhaltigkeit wird somit ins Zentrum gerückt. Spannenderweise werden von einigen Autoren Events angesprochen, die in dem hier entwickelten Sinne nicht als Event gelten können, da sie nicht als Drumherum, sondern als zentrales, den Inhalt stützendes Moment gewertet werden müssen, wie beispielsweise Vorträge und Lesungen, Tagungen und Seminare sowie Podiumsdiskussionen. An anderer Stelle heißt es, ein Museumsbesuch könne ausgelöst werden durch ein Event wie das Interesse an einer Sonderausstellung oder durch die Begeisterung für ein besonderes Objekt, vgl. Kallnich (2004), S. 79 sowie Schormann (2004), S. 93.

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nis beiwohnt. Dass neben der publikumsbasierten Theorie auch eine künstlerbasierte existiert, die dem Kulturmanagement eine vervollständigende Sichtweise ermöglicht, ist ebenfalls Gegenstand des Kapitels 4. Und somit wird diese hier vertretene Kritik zu einer Kritik an der Praxis des Kulturmanagements, seiner eingeschränkten Perspektive und seinem Mangel an Alternativen und Ideen. Gleichzeitig erfolgt ein Aufruf an den Kulturbürger, nicht nur Erlebnis, Spaß und Unterhaltung zu fordern, sondern vermehrt Interesse am eigentlichen Inhalt zu zeigen. Die geäußerte Kritik als auch der Aufruf definieren die Anforderungen an die Strategie des Kulturmanagers. Diskussion 2: Folgen für das Kulturmanagement Auch wenn es sich bei der Entwicklung hin zu einer Erlebnisgesellschaft um eine sicherlich zu akzeptierende kulturelle Entwicklung der heutigen Zeit handelt, hat das Kulturmanagement in der Folge einen Weg eingeschlagen, der die Tendenz fördert, die Schulze beschreibt: „Viele Menschen, die im Museum von Bild zu Bild gehen, erleben fast nichts mehr, was noch etwas mit dem reichlich offerierten Material zu tun hätte.“28 Vereinfacht setzt sich für ihn das Erleben aus folgender Formel zusammen:

Ereignis + subjektiver Kontext = Erlebnis Stellschrauben für das Kulturmanagement sind in dieser Formel demnach die Vermittlung, dass auf der einen Seite bereits der Inhalt a priori ein Ereignis darstellen kann und auf der anderen Seite, dass das Kulturmanagement selbst den subjektiven Kontext des Besuchers mitgestalten muss, damit dieser das Ereignis – die Rezeption des Inhalts – in seinen subjektiven Kontext einbetten kann. Denn: „Was nicht wahrgenommen wird, kann auch nicht gelernt werden“29, kann nicht geschätzt werden. Entscheidend ist demnach die Wahrnehmung, die Verflüchtigung erfährt, je stärker das Drumherum des Erlebnisses zunimmt. Oder mit den Worten des Soziologen Hartmut Rosa: Entscheidend sind die entstehenden Resonanzen zwischen einem Individuum und anderen Individuen respektive anderen Entitäten – eben auch der Kunst und der Kultur. Seine These lautet: Beschleunigung, basierend auf einem Steigerungs- und Innovationszwang, wird dann zu einem Problem, wenn sie das In-Beziehung-Setzen des Einzelnen mit der Welt verhindert – und somit die Möglichkeit, in Resonanz zu

28 Schulze (2005), S. 44. 29 Staehle (1994), S. 192.

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treten. Wird durch das Drumherum die gesellschaftlich zu beobachtende Schwächung der Resonanzfähigkeit unterstützt, so arbeitet das Kulturmanagement im gewissen Sinne gegen das eigene Bestreben. Mehr noch: Rosa beschreibt seine Kritik der Resonanzverhältnisse als die schärfste Form der Gesellschaftskritik.30 Und sie wird zu einer kulturpolitischen und -managerialen Kritik, weil Kulturpolitik gleichzusetzen ist mit Gesellschaftspolitik. Denn Ziel der Kulturpolitik für die Gesellschaft ist die Erhöhung der Bedeutung von Kunst und Kultur im Leben sowie für das Leben und den Alltag der Mitglieder derselben, so in der kulturmanagerialen Literatur zu lesen.31 Doch das Gegenteil tritt ein: Durch das Drumherum und dem Nachfolgen erlebnisorientierter Trends werden Resonanzen eher verhindert denn ermöglicht. Dabei haben Kulturmanagement und -politik unter anderem etwas zu eigen, was laut Rosa die größtmögliche Resonanz erzeugt: Kunst. Sie ermöglicht eine lebendige Antwortbeziehung, da sie – durchaus bewusst von ihm widersprüchlich formuliert – über Unverfügbares verfügt. Unverfügbar aus Sicht des Rezipienten, weil eine Melodie oder ein Bild ihn an einem Tag berühren kann, an einem anderen wiederum nicht. Somit greift Rosa jenen Aspekt von Kunst auf, den Walter Benjamin mit dem Begriff Aura oder Menke mit dem Begriff Kraft umschreibt.32 Und in Der Ursprung des Kunstwerkes wiederum stellt Heidegger dar, dass es sich bei einem Kunstwerk zwar um etwas Dinghaftes handelt, allerdings mit dem „angefertigten Ding [..] im Kunstwerk noch etwas Anderes zusammengebracht [wird]“33 – und dieses Andere macht das Künstlerische aus. Eine weitere Folge ist, dass sich durch das Arbeiten in und für eine Erlebnisgesellschaft der Gestaltungsspielraum für Kulturmanagement und -marketing minimiert: Eine kontemplative und kognitive Auseinandersetzung ist erstens als ein nachrangiges Publikumsbedürfnis identifiziert. Der Fokus wird – mehr oder minder eingeschränkt – auf das Unterhaltende und das Soziale gelegt. Das oben angesprochene Ausbleiben der eigentlichen Hauptfrage findet hier ihre Bestätigung. Zweitens ist anzunehmen, dass die Bandbreite von Kunst und Kultur Einschränkungen erfahren wird, da in dem anzustrebenden dialogischen Verhältnis zwischen Kultureinrichtung und Publikum bekannte Inhalte gewünscht und vorgeschlagen werden. Wie sollte das Publikum sich auch etwas wünschen, wenn es das zu Wünschende oder Vorzuschlagende nicht kennt? Hier treten drittens die

30 Vgl. Rosa (2017), S. 14, 70. 31 Vgl. Scheytt (2008), S. 175 sowie Mandel (2005), S. 15. 32 Vgl. Rosa (2017), S. 334, 473, 476 sowie Benjamin (2011), S. 19 und Menke (2014), S. 11. 33 Heidegger (2012), S. 4.

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Grenzen der den Dialog fördernden Besucherbefragungen und Marktforschungen in Erscheinung, die am ehesten mit dem bekannten Zitat von Henry Ford auf den Punkt gebracht werden können: Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde – dazu mehr in der Diskussion 3.34 Werden Entscheidungen, die den Inhalt betreffen und die in der Kultureinrichtung und dem Kulturmanagement getroffen werden sollten, an ein – ob der Fülle des Freizeitangebots scheinbar passives – Publikum ausgelagert, hinterlässt dies Fragen: Geben Kultureinrichtung und -management ihre Verantwortung ab? Verstecken sie sich hinter den Wünschen und Bedürfnissen der Besucher? Agieren sie derart aus Sorge, weil ihnen bescheinigt werden könnte, sie würden den Anschluss an den Besucher verlieren, sich für diesen in der heutigen Zeit nicht öffnen und somit ihre Legitimation riskieren? Ist jene Sorge eventuell durch die Kulturpolitik mit ihrem Blick auf Zahlen und ihrem Verlassen auf Quantitäten verursacht? Treten Kultureinrichtungen und -management tatsächlich ideenarm in Erscheinung, sodass der Fokus scheinbar nur auf die „spektakulären Maßnahmen [zur Erzielung von] Aufmerksamkeit“35 gelegt wird? Die spannendste aller Fragen wäre jedoch – auch weil Einrichtungen anderer Art existieren, die das Moment der Unterhaltung besser bedienen –, wie sie es erreichen können, die scheinbar weniger gewünschte Kontemplation und Bildung zu fördern. Durch die Ausführungen zu Rosa klingt bereits ein Thema beziehungsweise eine philosophische Disziplin an, die das Wesen der Aura und die Fähigkeit zur Resonanz von Kunst und Kultur wenn nicht aufklären, so doch erklären kann: Die Phänomenologie als „Lehre von den Erscheinungen bzw. des Wissens dessen, was sich zeigt“36. Ein Beispiel am Ende dieses Kapitels 3 wird dies erläutern. Diskussion 3: Der Wert von Kunst und Kultur Wer entscheidet darüber, dass die Inhalte überhaupt von Wert sind und dass es bedeutsam ist, diese einem Publikum nahezubringen? Eine Antwort ist hier nicht in vollem Umfang zu geben. Anzumerken sind jedoch drei Aspekte. Der erste

34 Ullrich sieht die Marktforschung am Ende ihrer Zeit angelangt und somit die Zukunft der Ausrichtung von Unternehmen gerade in einem Loslösen von Ergebnissen der Marktforschung. So seien Unternehmen, so der Kunstwissenschaftler weiter, in der Lage, Persönlichkeit zu erlangen, die in Einklang mit den von ihnen kommunizierten Werten stehen, vgl. Ullrich (2015), S. 34, 39. Faschingbauer erläutert, dass die Marktforschung bereits in bestehenden Märkten an ihre Grenzen zu stoßen scheint, vgl. Faschingbauer (2013), S. 11. 35 Mandel (2009b), S. 8. 36 Ströker und Pastore (2014), S. 436.

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umfasst die Funktion der Kultureinrichtungen selbst, der zweite die gesellschaftliche Entwicklung hin zur Gleichförmigkeit und der dritte Aspekt betrachtet die zeitlichen Entwicklungen. Zu 1 Die mit einem Kulturauftrag versehene Kultureinrichtung muss sich im Rahmen dieses Auftrags um eine Vermittlung ihres Inhalts bemühen. Sie muss den Besucher unterstützen, auch und gerade wenn dieser die werkimmanenten Zeichen und Werte noch nicht decodieren kann. Immerhin ist die Essenz des Kulturauftrags im Bildungsauftrag zu finden, geht es nach dem ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht Udo Steiner einerseits und nach den oben erwähnten Ausführungen Opaschowskis und Weisners andererseits.37 Die Kultureinrichtung verhält sich demnach wie ein Lehrer: Dieser weiß einzuschätzen – anders als dessen Schüler –, welche Inhalte und Kompetenzen aufgrund ihrer Wichtigkeit vermittelt werden müssen und welche überhaupt existieren. Zur Folge hat dies, dass die Schüler mit Tatsachen konfrontiert werden, die sie noch nicht kennen und die von ihnen noch nicht beherrscht werden; dass deren Erlernen mal mit wenig, mal mit viel Mühe verbunden ist; dass ihnen ein Wissen und Verstehen vermittelt wird, die ihnen eine eigenständige Anwendung des Gelernten im Alltag ermöglichen – wohlwissend, dass ohne Frage manches des in der Schule Erlernten in Vergessenheit gerät. Auch an dieser Stelle ist zu erahnen, was geschähe, würde mit Mitteln der Besucherbefragung und Marktforschung der Frage nachgegangen, was gelernt werden wolle; genannt werden würden Dinge, die bekannt sind, von deren Existenz man eventuell vage gehört hat. Autoren wie Klein, Siglinde Lang und Mandel, die den Dialog mit dem Publikum und dessen Einbindung betonen – vermutlich analog zu dem aus der Betriebswirtschaft stammenden Imperativ, allein der Kunde bestimme, was wichtig sei38 – mögen in dem verwendeten Bild des Lehrer-Schüler-Verhältnisses eine mitschwingende Hierarchie beanstanden. Allerdings ist hier nicht die Rede von einem Verhältnis, das aufgrund der emporgehobenen Position des einen die untergeordnete Rolle des anderen zum Anlass nimmt, Letzteren aus dem Blick zu verlieren oder ihn zu degradieren. Vielmehr ist Gegenstand dieses Gedankens, dass Kultureinrichtungen und -management die Rolle zukommt – und diese auch noch stärker angenommen wird – das Wertvermittelnde in das Zentrum zu stellen und somit den Horizont des Besuchers zu erweitern. Ergänzend muss gesagt

37 Vgl. Steiner (1984), S. 11, 16. 38 Vgl. Peters (1988), S. 85. Die Nähe zum Kunden ist nach den Forschungen von Peters und Waterman eines von acht Merkmalen, das Unternehmen zu Spitzenleistungen führt, vgl. Peters und Waterman (1984), S. 36.

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werden, dass der Kulturbesuch auf Freiwilligkeit beruht. Das bedeutet, dass ein möglicher Kulturbesucher sich – anders als ein Schüler – gegen den Besuch aussprechen kann; oder aber entscheidet, ein unterhaltendes Programm zu besuchen; aber auch, Programme auszulassen, in denen der Inhalt zu kurz kommt, da das zu erlebende Drumherum zu umfangreich wird. Zu 2 Die in der Gesellschaft auszumachende Erlebnisorientierung sucht die Wirkung und den Effekt, nicht die Substanz. Dieser bei Thomas Bauer zu findende Umstand führt zu einer gleichgültigeren Betrachtung des Inhalts. Ereignisse ziehen zwar das Publikum an, allerdings hat dieses verlernt, Musik zu hören oder Kunst zu betrachten. Es ist beispielsweise zu hinterfragen, ob der Wert eines Gemäldes erkannt wird, werden vor diesem Yogaübungen durchgeführt; oder ob eine Lichtinstallation in einem Konzert vom Hören ablenkt. Durch die fehlende ernsthafte Hingabe an das Werk wird dessen Existenz bedroht. Bauer stellt dar, dass es aufgrund der Ambiguitätsintoleranz zu einer Vereindeutigung der Welt – so der Titel seiner Ausführungen – kommt: Vielfalt nimmt ab, Eindeutigkeit nimmt zu – und mit ihr die Bedeutungslosigkeit.39 Zu 3 Der Wertzuspruch, den hochkulturelle Inhalte genießen, basiert auf dem Zeitraum zwischen dem Heute und dem Zeitpunkt ihrer Entstehung. In diesem wurde ihnen Beachtung durch Rezeption, Besprechung, Forschung oder durch einen allgemeinen Austausch geschenkt. Diese Zeitprofile, wie Franck sie nennt, tragen Sorge dafür, dass den Klassikern Wert zugesprochen wird und sie somit auch heute noch wertvoll sind. An dieser Stelle muss ein Vergleich zur Populärkultur hergestellt werden, auch um den in Kapitel 1 genannten Schwerpunkt, der eben nicht in einer Unterscheidung zwischen beiden Kategorien liegt, erneut zu bekräftigen: Franck schreibt ebenso, dass das Renommee hochkultureller Inhalte nicht höher sein muss als jenes der populärkulturellen Inhalte. Bedeutsam ist die zurückliegende Zeit, die im Falle populärkultureller Inhalte eine kürzere Spanne umfasst, sodass diesen weniger Beachtung geschenkt werden konnte – aus diesem Grund ist das objektiv Messbare für die Populärkultur so bedeutsam, versucht sie doch so, das zeitliche Defizit auszugleichen und ihren Wert so zu unterstreichen. Im Umkehrschluss heißt dies auch, dass manchen populärkulturellen Inhalten durchaus derselbe Wert wie hochkulturellen zugesprochen werden kann – entscheidend ist dabei die zukünftige Beachtung, die diesen im Verlauf der Zeit zukommen wird.40

39 Vgl. Bauer (2018), S. 58, 89. 40 Vgl. Franck (1998), S. 165.

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Gehen Kultureinrichtungen dem Bedürfnis des Publikums nach Erlebnis, Spaß und Unterhaltung nach – und genau dies ist der Eindruck, der in den meisten Publikationen zum Kulturmanagement vermittelt wird und in denen dieses ausschlaggebende Bedürfnis gemeinsam mit der konsequenten Besucherorientierung eine Einheit bilden –, wirken sie genau an der falschen Stelle: Sie laufen Gefahr, ihre eigene Existenz zu gefährden, indem sie die Bedeutungslosigkeit fördern. Wie soll die Bedeutung eines Inhalts auch erkannt werden, wenn das eigentlich zu Betrachtende beziehungsweise das zu Erlebende hinter dem Ereignis zurücktritt, da der subjektive Kontext – hier wird Bezug genommen auf die Schulz’sche Formel aus der vorangegangenen Diskussion 2 – nicht hergestellt und der Inhalt infolgedessen gleichgültig betrachtet wird? Wird der Fokus des Kulturmanagements und der Kultureinrichtungen vermehrt auf den Inhalt gelegt und vermittelt, diesem mit Ernsthaftigkeit und Respekt zu begegnen und dabei zu helfen, den eigentlichen Inhalt zu erkennen, kann es gelingen, Vielfalt zu schaffen und gegen die Tendenz der Einfalt zu wirken. Vielfalt lehrt, dass es auszuhalten ist, nicht alles eindeutig festlegen und auflösen zu können. Und dies kann als Vorgriff auf die Kritik an Quantifizierung und Objektivierung in Kapitel 7 gesehen werden, durch die die Vergleichbarkeit des Unvergleichbaren – nämlich die Vergleichbarkeit des Inhalts und der Resonanzen, die dieser beim Publikum auszulösen vermag – durch Gleichmacherei hergestellt wird. Die Beantwortung der Frage, wer über den Wert von Kunst und Kultur bestimmt, erfolgt demnach durch die Gesellschaft selbst: Es gibt Wertvolles eben wie Kunst und Kultur in all ihren Facetten, die es Wert sind, in ernsthafte und respektvolle Verbindung mit ihnen zu treten, eben weil sie bereits seit Jahrzehnten und Jahrhunderten als wertvoll gelten: „(Hoch-)kulturelle Angebote gelten in der Mehrheit der Bevölkerung als wertvoll für die Gesellschaft, nicht jedoch als so attraktiv und relevant für das eigene Leben, dass sie auch regelmäßig wahrgenommen werden.“41 Diese Relevanz gilt es herzustellen ohne lediglich auf Erlebnis, Spaß und Unterhaltung als primäre Maßnahmen zu setzen. Dies ist Aufgabe eines bestimmten Typus des Kulturmanagers: des Kulturstrategen.

41 Mandel (2013c), S. 229.

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3.3 STRATEGIE IM KULTURMANAGERIALEN KONTEXT Das bisher über das Kulturmanagement Gesagte lässt erkennen, mit welchen Ansprüchen die Strategie im kulturmanagerialen Kontext konfrontiert ist: die Betonung des Inhalts, die Reduzierung der Resonanzfähigkeit, die Grenzen der Betriebswirtschaft, die Einschränkungen im Marketing, die Veränderungen der Freizeitgestaltung, die Herausforderungen der Erlebnisgesellschaft, die sich verändernden Publikumsbedürfnisse. Gleichwohl ist das Thema Strategie ein inhaltlich vernachlässigtes, bei gleichzeitigem Reiz, der von diesem ausgeht: Das rund 700 Seiten umfassende Kompendium Kulturmanagement beispielsweise widmet der Strategie T kein Kapitel.42 Wird jedoch in der kulturmanagerialen Literatur das Thema Strategie T besprochen, wird aus dem Instrumentarium der Betriebswirtschaft geschöpft. So benutzt beispielsweise Jens Cordes in der Einführung zu Strategieentwicklung in Kultureinrichtungen sogleich wirtschaftlich geprägte Termini: Den Eigengesetzlichkeiten des kulturellen Sektors soll entsprochen werden, indem das Dienstleistungsmarketing auf eben jenen Sektor übertragen wird. Doch die Adaption des wirtschaftlichen auf den kulturellen Gegenstand zeigt vereinfachte Blicke auf die Eigengesetzlichkeiten des Kultursektors, wie zu Beginn dieses Kapitels 3 ausgeführt. Auch der Strategiebegriff bei François Colbert zeigt eine exakte Übernahme des wirtschaftlich geprägten Verständnisses von Strategie T: Eine Unternehmensstrategie T gliedert sich wiederum in zwei Strategien T auf – in die Wettbewerbsstrategie T und die Entwicklungsstrategie T. Flankiert werden diese von der Marketingstrategie T. Daher übt Bendixen an der Sinnhaftigkeit des Einsatzes des strategischen Managements T im Kulturmanagement grundsätzliche Kritik. Seine Beanstandung richtet sich an die bedenkenlose Übernahme der von der Betriebswirtschaft geprägten Haltung zur Strategie T und der damit verbundenen Übernahme von militärischen Termini. Er fragt: „Gegen wen soll eine Kulturinstitution zu Felde ziehen, um Rivalen im Kampf auszustechen?“43 Die Gefahr, die er sieht, sind praktische Fehlhandlungen, die auf einer Nichtbeachtung spezifischer Kontexte beruhen.44 Doch die hervorgebrachten Befürchtungen Bendixens fallen hier nicht ins Gewicht: Weder übernimmt die zu entwickelnde Strategietheorie die eingeführten Termini, da es gerade um eine sinnhafte Loslösung von scheinbar unveränderbaren Termini und Einstellungen geht, noch werden ein Rivale, Gegner oder Wettbewerber ins Zentrum gesetzt, als vielmehr die von diesen und der generel-

42 Vgl. Klein (2011b). 43 Bendixen (2006), S. 70. 44 Vgl. Cordes (2008), S. 112 sowie Colbert (1999), S. 243 und Bendixen (2006), S. 52.

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len Umwelt ausgehende Dynamik. Zu diesem Zeitpunkt soll daher ein systemtheoretischer Gedanke anklingen, der in Kapitel 6 vertieft wird, demnach ein „System [..] die Differenz zwischen System und Umwelt [ist]“45. Und da nichtsdestoweniger Konkurrenten Akteure in dieser Umwelt sind und da nichtsdestoweniger die Rolle des Wettbewerbs im traditionellen Verständnis von Strategie T von Bedeutung ist, werden zu diesem Zeitpunkt vier Konkurrenzverhältnisse vorgestellt, in denen Kultureinrichtungen mit anderen Einrichtungen und Aktivitäten stehen können. Sie untermalen jene Differenzen zwischen dem System und der Umwelt, die als Quelle der für die Strategietheorie bedeutsamen Dynamiken gesehen werden:46 • Kernkonkurrenz – Konkurrierend agieren Einrichtungen, die denselben Kern

besitzen wie beispielsweise Museen mit dem Schwerpunkt Kunst. Das bedeutende Spezifikum Original bleibt in diesem ersten Konkurrenzverhältnis von Klein unbeachtet. Denn: Kann derselbe Kern überhaupt existieren, wenn es sich bei diesem nicht selten um ein Original handelt? • Spartenkonkurrenz – In Konkurrenz zueinander stehen Einrichtungen derselben Sparte, somit ein Kunstmuseum zu einem Museum für Technik. • Kulturkonkurrenz – Das Konkurrenzverhältnis erstreckt sich auf den gesamten Kulturbereich, ein Kunstmuseum konkurriert demnach mit einem Konzerthaus oder einem Sprechtheater. • Freizeitkonkurrenz – Jede Aktivität, die in der Freizeit durchgeführt wird, tritt in Konkurrenz zu Kultureinrichtungen – ein Restaurant, ein Schwimmbad, ein Buch oder das Fernsehprogramm sind Konkurrenten eines Kunstmuseums.47

45 Luhmann (2017), S. 64. 46 Vgl. Klein (2011c), S. 172. Bei Colbert wiederum finden sich drei Konkurrenzverhältnisse, da er die Spartenkonkurrenz unbeachtet lässt beziehungsweise anzunehmen ist, dass er diese unter der Kulturkonkurrenz subsumiert, vgl. Colbert (1999), S. 68. 47 Bezüglich eines Konkurrenzverhältnisses bestätigen diverse Autoren einen immer schärfer werdenden Wettbewerb, gerade um das Zeitbudget der Individuen, vgl. Mandel (2009b), S. 7, ebenso Mandel (2005), S. 12, Keuchel (2005), S. 52 sowie Föhl und Glogner-Pilz (2017), S. 10f und Colbert (1999), S. 68f. Gleichwohl erwähnt Mandel an anderen Stellen missverständlich, dass Kultureinrichtungen aufeinander eine Wirkung des Verstärkens besitzen, da der Kulturgenuss nicht gesättigt, sondern durch jeden weiteren Kulturgenuss gesteigert wird. Kultureinrichtungen sollten sich demnach weniger als in Konkurrenz oder im Wettbewerb Befindende definieren, vgl. Mandel (2009b), S. 52. Auch Gottschalk sieht ein steigendes Interesse von Kulturbesuch zu

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Insbesondere im Konkurrenzverhältnis 4 tritt der Aspekt der Zeit des Interessenten, um die die Kultureinrichtungen konkurrieren, hervor und untermauert für den Kulturstrategen den Stellenwert der Investition von Zeit als wichtigstes Ziel, wie in Kapitel 7 näher beschrieben wird. Wenn Ullmer sagt, unter den Hamburger Theatern gäbe es keine Konkurrenz, so kann dies als Unterschätzung der Konkurrenzverhältnisse gewertet werden. Zwar ist das kooperative Miteinander zwischen den Einrichtungen als positiv zu bewerten, doch entsprechend der Verhältnisse existiert durchaus eine konkurrierende Situation. Diese sieht letzten Endes auch Ullmer, da sie die Wichtigkeit erwähnt, „Aufmerksamkeit zu erzeugen, damit man zu uns kommt und eben nicht in ein großes Haus geht“48. Und somit gibt es – anders als von ihr zunächst behauptet – doch eine Konkurrenz zwischen den Hamburger Theatern. Für den Kulturstrategen und dessen Arbeit ist somit das Wissen um die Konkurrenzverhältnisse notwendig – wenn auch es nicht im Sinne von Bendixen verstanden werden darf. In der Auseinandersetzung mit Strategie im Kontext des Kulturmanagements sind über das bisher Gesagte hinaus drei weitere grundsätzliche Punkte zu erwähnen: 1. Die Eigengesetzlichkeiten des kulturellen Sektors finden in der Literatur Er-

wähnung, gleichwohl ist ein entsprechendes Verständnis von Strategie T für Kultureinrichtungen ebendort nicht anzutreffen. 2. Die Wichtigkeit der Zukunftsfähigkeit von Kultureinrichtungen wird – gerade in Zeiten diverser Krisen – in der Literatur betont. Das gedankliche Handwerkszeug – die Strategie – findet dabei jedoch nur rudimentär Erwähnung. 3. Denn scheinbar wird der Begriff Strategie T per se nicht infrage gestellt. Dies könnte auch als Grund geltend gemacht werden, aus dem die kulturmanageriale Literatur sich dem Thema Strategie T nicht oder nur im geringen Ausmaße nähert. Basierend auf der Verflechtung zwischen Betriebswirtschaft und Kulturmanagement werden dem Begriff immanente Unklarheiten indes mitgetragen. Mit Blick in die Praxis finden sich die genannten drei Punkte in den vielmehr von Städten und Regionen als von Kultureinrichtungen veröffentlichten Kultur-

Kulturbesuch und spricht dabei von einem steigendem und nicht sinkendem Grenznutzen, vgl. Gottschalk (2016), S. 121. 48 Experteninterview Ullmer (2017), S. 303.

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strategien T wieder.49 Über den Grad der Strategie als Fähigkeit kann anhand der Publikationen keine Auskunft erfolgen; zu wenig beantwortbar ist die Frage, wie weit der Blick in das potenziell Seiende ging, um zu den in den Kulturstrategien T formulierten Maßnahmen zu gelangen; zu wenig beantwortbar ist die Frage, inwiefern mutig um Ideen gerungen wurde; zu wenig beantwortbar ist die Frage, inwiefern aufgrund von Entscheidungen das potenziell Seiende bewertet wurde auf der Suche nach dem potenziell Möglichen. Die Veröffentlichungen der Kulturstrategien T Niederösterreichs, Berns und Nürnbergs zeigen jedoch, dass die Beschäftigung mit dem Thema Strategie vonnöten ist. Zu 1 Die Beachtung der Eigengesetzlichkeiten des Kultursektors zeigt sich für die Stadt Bern in der Gewährleistung der Freiheit von Kunst. Niederösterreich wiederum sieht das Ideal in einer Gesellschaft, die um den Wert ihrer Kunst und Kultur weiß und die „bereit ist, einen Rahmen zu sichern, der ungestörtes, nicht primär an Gewinn und Eigennutz orientiertes Schaffen fördert“50. Die Berücksichtigung der Eigengesetzlichkeiten ist positiv zu werten, ebenso wie die Tatsache, dass der Kulturbegriff – anders als der der Strategie T – näher bestimmt wird: So geht im Falle Berns „die vorliegende Kulturstrategie [..] von einem erweiterten Kulturbegriff aus und fokussiert in vielen Bereichen auf die soziopolitische Funktion der Kultur“51. Zu 2 Die Beschäftigung mit der Zukunft zeigt sich in Niederösterreich bereits im Titel der Kulturstrategie T: Kultur der Zukunft – Zukunft der Kultur. In den Städten unterstreicht die Dauer, auf die die Kulturstrategien T angelegt sind, das Moment des Zukünftigen. Die Kulturstrategie T Berns reicht bis in das Jahr 2028, die der Stadt Nürnberg bis in das Jahr 2030 – und sogar darüber hinaus. Trotz der Erwähnung der Offenheit für Veränderungen und der Flexibilität – eben weil die Zukunft ungewiss ist und bleibt – erwecken jene Kulturstrategien T den Anschein, als seien sie starre Konstrukte, die wenig Flexibilität aufweisen. Das Dynamische der Strategie T wird nicht explizit behandelt. Selbst wenn es zu möglichen weitreichenden Entwicklungen im Umfeld wie im Falle Nürnbergs kommen könnte, wird die Kulturstrategie T weiterhin gültig sein – nämlich ungeach-

49 Die drei Kulturstrategien sind zu finden bei Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Kunst und Kultur (2016), Gemeinderat der Stadt Bern (2016a), Gemeinderat der Stadt Bern (2016b) sowie Stadt Nürnberg (2018). 50 Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Kunst und Kultur (2016), S. 4. 51 Gemeinderat der Stadt Bern (2016a), S. 32.

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tet dessen, ob die Stadt den Wettbewerb um den Titel Kulturhauptstadt Europas für sich entscheidet oder nicht. Zu 3 Auch wenn in den Kulturstrategien T eine Klarheit hinsichtlich dessen suggeriert wird, was Strategie T sei, ist ein Fehlen der begrifflichen und inhaltlichen Orientierung wahrnehmbar: In den betrachteten Kulturstrategien T beispielsweise trägt die Strategie T die Bezeichnung Handlauf, Leitfaden oder Formulierung von Zielen und Maßnahmen – eine Tatsache, die sich in der kulturmanagerialen Literatur generell wiederfindet.52 Des Weiteren ist sie die Summe aus zehn Visionen mit entsprechenden Leitlinien (Niederösterreich), aus vier Grundprinzipien und sechs Handlungsfeldern (Bern) beziehungsweise drei Handlungsfeldern und 30 Zielen (Nürnberg) – inklusive entsprechender Maßnahmen in allen drei Kulturstrategien T. Die Stadt Bern jedoch vollzieht scheinbar eine Trennung zwischen Kulturstrategie T und Maßnahmenübersicht, da sie „gleichzeitig mit der Kulturstrategie T einen Katalog von Massnahmen vor[stellt, Hervorhebung BJ]“53. Dies alles belegt die auch im Kulturmanagement auszumachende Verwirrung und Unklarheit, die in Bezug auf den Begriff Strategie bestehen. Die zu Beginn des Kapitels 2 als Startpunkt der Belegung der These gestellte Frage, wo die Strategie sei, ist eine durchaus bei jenen Kulturstrategien T ebenso berechtigt zu stellende. Selbst an dem Ort, an dem die „Kulturstrategie der Stadt Nürnberg auf einen Blick“54 zu erfassen sein soll, verbergen sich lediglich eine Kurzbeschreibung der Ausgangssituation, die Betonung der Offenheit für etwaige Entwicklungen sowie Informationen zum methodischen Vorgehen und schlussendlich die inhaltliche Gliederung der Kulturstrategie T – oder besser gesagt: des vorliegenden Dokuments. Über eine Kulturstrategie T erfolgt keine Auskunft. Die Frage wiederholt sich: Wo ist die Strategie T? Sind die kommunizierten Dokumente die Strategie T? Wenn dem so wäre, wäre dies als weiterer Versuch zu

52 So ist für Mandel eine Strategie T der rote Faden. An anderer Stelle setzt sie Strategie T mit einem Konzept oder einer Kampagne gleich, um wiederum an anderer Stelle Strategien T und Maßnahmen vorzustellen, ohne dass Klarheit herrscht, wann von Ersteren, wann von Letzteren die Rede ist, vgl. Mandel (2009b), S. 42, 57, 87, 119 sowie Mandel (2013b), S. 97-161. Da die Betriebswirtschaft Bezugsdisziplin ist, verwundern diese Unklarheiten nicht, werden diese doch letztlich übernommen. 53 Gemeinderat der Stadt Bern (2016a), S. 4. 54 Stadt Nürnberg (2018), S. 4f. Das veröffentlichte Dokument der Stadt Nürnberg trägt den Titel Abschlussbericht zur Kulturstrategie der Stadt Nürnberg: Handelt es sich bei diesem um einen Bericht oder um die Strategie T? Ist Ersteres der Fall, stellt sich noch mehr die Frage, wo sich die Strategie T befindet.

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werten, das Nichtsichtbare in das Sichtbare zu überführen und das Resultat eines kognitiven Prozesses – entsprechend des ursprünglichen Verständnisses eines Plans – als Strategie T zu bezeichnen. Die Formulierung Auf einen Blick im Falle Nürnbergs zeugt ebenso davon. Auch lediglich eine Abstimmung zwischen Zielen und Maßnahmen als Strategie T zu bezeichnen kann nicht ausreichen – in diesem Fall wäre erneut ein Verpackungszettel oder ein Rezept eine Strategie T. Derartige Veröffentlichungen von Strategien T sind folglich ebenso mit Problemen der Darstellung konfrontiert, da sie das ihnen innewohnende Mehr – Vernetzung und Dynamik sowie Wirkungen und Folgen – nicht abbilden. Weitere Darstellungsprobleme spiegeln sich auch im Umfang der Kulturstrategien T wider: Die Kulturstrategie T Niederösterreichs umfasst rund 80 Seiten. Die Kulturstrategie T Berns 115 Seiten – je nachdem, ob der 48-seitige Maßnahmenkatalog zur Kulturstrategie T zuzurechnen ist. Nürnbergs Kulturstrategie T besitzt einen Umfang von 98 Seiten. Jedoch: „Wenn Ihre Strategie nicht auf eine halbe Schreibmaschinen-Seite passt, ist es keine.“55 Der Umfang wird zwar von Peters auf zwölf Seiten erweitert, er merkt jedoch auch an, dass ein Umfang von 200 Seiten die Flexibilität einschränke.56 Es ist jene Flexibilität, die einerseits von der Dynamik eingefordert wird und die andererseits bei den betrachteten Kulturstrategien T abhanden kommt – allein des Umfangs wegen. Daher besitzen die Kulturstrategien T vor dem hier Vertretenem eher den Charakter einer umfangreichen Übersicht optionaler Maßnahmen für die kommenden Jahre. 3.3.1 Der Kulturstratege Die zurate gezogenen Kulturstrategien T belegen stellvertretend für weitere Regionen und Einrichtungen die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Strategie. Gleichwohl wurde deutlich, dass die Ergebnisse vor dem entwickelten Hintergrund ein bruchstückhaftes Bild von Strategie beziehungsweise strategischen Plänen zeigen. Als Vorwurf ist dies nicht zu interpretieren, vielmehr als Folge der Verwendung eines unklaren, aus dem wirtschaftlichen Dominanzverhältnis stammenden Strategiebegriffs, wie die Abbildung 2 es darstellte. Strategie, wie sie hier beschrieben wird, soll und kann helfen, zum einen die zuvor aufgezeigten Defizite des Kulturmanagements auszugleichen und zum anderen die Entwicklung von strategischen Plänen zu fördern. Strategie ist eine in jeder Person verankerte Fähigkeit und somit in jedem – auch operativ tätigen – Kulturmanager. Da die Fähigkeit allerdings geschult und entwickelt werden

55 Grauel (2003), S. 20. 56 Vgl. Peters (1988), S. 607f.

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muss – ein verdeutlichendes Beispiel ist Inhalt des Schlusskapitels 8 –, zeigt nicht jeder Kulturmanager die Fähigkeit in einem für die Praxis erforderlichen Maß auf. Beschreitet der Kulturmanager allerdings den Weg des Erlernens, so bildet er sich weiter zu einem spezialisierten Kulturmanager: dem Kulturstrategen. Dieser Typus soll die in der Literatur vorzufindende und auf Karen van den Berg zurückgehende Typologisierung des Kulturmanagers57 nicht nur erweitern, sondern auch dahingehend bereichern, als er durch seine Fähigkeit Strategie und ein entsprechendes Verständnis von der Strategietheorie mit ihren diversen basalen und steuernden Elementen in die Lage versetzt wird, weiter zu blicken, anders zu entscheiden, größer zu denken. Ebenfalls vor dem Hintergrund des hier Entwickelten im Allgemeinen und vor dem Hintergrund der Ausführungen zu Erlebnis, Spaß und Unterhaltung in diesem Kapitel 3 im Besonderen muss sich der Kulturstratege unter anderem die Frage stellen, wie Besucher für die traditionellen Formate gewonnen werden können, ohne die Ereigniskarte ziehen zu müssen. Gerade weil in der Literatur überwiegend Einigkeit herrscht und es um die Verwirklichung von Kunst, um die Erfüllung des öffentlichen Auftrags, um die Bedeutung von Kunst und Kultur im Alltag der Bevölkerung, um die Wertsteigerung des kulturellen Lebens und um die Darstellung des Eigenwerts von Kunst und Kultur geht58, muss dem Besucher wieder vermittelt werden, was beispielsweise die Kuratorin Sarah Bakewell erfährt, wenn sie Musik hört: „Wehmutsvolle Musik ist wehmütig; eine bezaubernde Melodie ist bezaubernd – diese Beschreibungen sind grundlegend für das, was Musik ist. Tatsächlich sprechen wir immer auf phänomenologische Weise über Musik. [...] Ich höre, wie die Noten eine unsichtbare Leiter oder Skala hinaufklettern. Ich erhebe mich fast von meinem Stuhl, während ich

57 Vgl. Berg (2007), S. 133. Die Autorin identifizierte sieben Typen des Kulturmanagers, der als (1) Kommerzialisierer, (2) als Institution, (3) als Dolmetscher, (4) als Inszenator, (5) als Ermöglicher, (6) als postheroischer Künstler sowie (7) als Forscher in Erscheinung tritt und auf die in der Literatur vielfach Bezug genommen wird, vgl. beispielsweise Föhl und Glogner-Pilz (2017), S. 44 sowie Lang (2015), S. 18. Hinzuweisen ist besonders auf den erstgenannten Typus des Kulturmanagers, da dieser in besonderer Weise die Nähe zur Betriebswirtschaft belegt als auch der an dritter Stelle Genannte, da diesem die Aufgabe des Vermittelns zwischen Kultur und Wirtschaft zukommt. 58 Vgl. Jobst und Borner (2013), S. 192 sowie Mandel (2005), S. 15 und Lang (2015), S. 16, ebenso Mandel (2009b), S. 15.

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Ralph Vaughan Williams’ ‚The Lark Ascending‘ höre. Meine Seele bekommt Flügel. Das bin nicht einfach nur ich: das ist die Musik [Hervorhebungen im Original, BJ].“59

Für Bakewell geht das Phänomen allein von der Musik aus. Sie erlebt die Aura Benjamins, die Kraft Menkes und ermöglicht Rosas Resonanz. Denn: „Die eigentliche Wesensart des Gegenstandes ist [..] nicht irgendwo hinter den Phänomen verborgen, sondern entfaltet sich gerade in ihnen [Hervorhebungen im Original, BJ].“60 Aus diesem Grund spricht Heidegger von einem Sich-an-ihmselbst-Zeigen, spricht er in Sein und Zeit von Phänomenen.61 Uecker verschließt sich nicht grundsätzlich gegen das Einbeziehen philosophischer Gedanken, dennoch sieht er in diesen eine Gefahr für das bestehende System: „Ich darf nur systemisch denken, darf aber nicht eine philosophische Grundfrage in das System mit hineindenken. Ich kann das philosophische Denken andocken, doch dann muss ich in der Spannung leben. Aber ich darf nicht dieses Denken praktisch einsetzen. Es wäre wie eine tödliche Krebszelle. Schritt für Schritt würde sie alles Taktische und Strategische auffressen.“62

An drei Stellen kann Uecker in diesem Punkt nicht gefolgt werden: Erstens sind die von ihm erwähnten Spannungen bereits heutzutage zu spüren, da durch die Verbindung rationaler Managementmethoden mit dem eigentlichen Gegenstand des Kulturmanagements philosophische Fragen wie Was ist Kunst? oder Was ist Kultur? oder Woher stammt die Aura? mitschwingen. Zweitens besteht gerade durch das Öffnen für neue Disziplinen und Ansätze für das Kulturmanagement die Möglichkeit, in jene vierte Phase einzutreten, in der die zunehmende Eigenständigkeit weiter voranschreiten kann. Und drittens wird durch das Einbeziehen neuer Disziplinen die Strategie als Fähigkeit geschult, da der Kulturstratege in die Lage versetzt wird, Eigenschaften fernab der herkömmlichen Disziplinen zu erwerben, die ihm ebenso das weitreichendere Blicken in das potenziell Seiende ermöglichen als auch das kritische Überprüfen des Naheliegenden.

59 Bakewell (2017), S. 58. 60 Zahavi (2018), S. 15. 61 Vgl. Heidegger (2018), S. 41f. 62 Experteninterview Uecker (2017), S. 267.

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Abbildung 4: Kulturmanager und Kulturstratege Grundstellung

Kulturmanager

Spezifizierung

Entwicklung und Ausbau der Fähigkeit Strategie durch Lernen und Schulen

Kulturstratege

= Ausprägung von Strategie

Quelle: Eigene Darstellung

Der folgenden Auflistung ist zu entnehmen, in welchen Kapiteln einzelne Punkte der bisherigen Anforderungen an die Entwicklung der Fähigkeit Strategie im Kulturmanagement beziehungsweise an den Kulturstrategen aufgegriffen und vertieft werden beziehungsweise wurden: 1. Der Kulturstratege weiß zu unterscheiden zwischen der

Fähigkeit Strategie und ihrem Resultat, dem strategischen Plan. 2. Der Kulturstratege weiß, dass Strategie geschult werden muss und nicht qua Amt zur Chefsache erhoben werden kann. 3. Der Kulturstratege ist in der Lage, einen strategischen Plan unter Berücksichtigung der Eigenschaften Dynamik und Umfang zu entwickeln. 4. Der Kulturstratege weiß um das potenziell Seiende und betritt dieses gedanklich ausgestattet mit Mut, Geduld, Entscheidungsweisheit und Kreativität. 5. Der Kulturstratege weiß, dass das Gestalten eines strategischen Plans zu einem veränderten Umgang mit der Zeit führt.

!

Kapitel 2

" Kapitel 8

" Kapitel 8

" Kapitel 6

" Kapitel 6

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6. Der Kulturstratege weiß, dass er sich von den Strategie-

verständnissen T der Betriebswirtschaft lösen kann, indem er diese in ihren vielen Facetten kennt. 7. Der Kulturstratege weiß um die besonderen und den Kontext des Kulturmanagements ausmachenden Eigengesetzlichkeiten des kulturellen Sektors. 8. Der Kulturstratege zieht andere Disziplinen als die bekannten primären und sekundären Bezugsdisziplinen des Kulturmanagements wie die Betriebswirtschaft, die Kulturwissenschaft und -soziologie oder die Kunstlehre für seine Überlegungen in Betracht – beispielsweise die Phänomenologie aufgrund ihres die Aura von Kunst und Kultur beschreibenden Wesens.

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Kapitel 5

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Kapitel 4

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Kapitel 8

3.4 ZUSAMMENFASSUNG, REFLEXION UND WEITERES VORGEHEN Das bisher Genannte bildet die Grundlage für weitergehende Überlegungen: Auf einer allgemeinen Ebene wurde der Kulturbegriff diskutiert und gezeigt, dass es sich bei Strategie um eine Fähigkeit handelt und dass sie – wie die Fähigkeit des Sprechens – als Hervorbringung der Kultur verstanden wird. In einer ersten Annäherung, die die allgemeine Ebene verließ, wurde der kulturmanageriale Kontext unter den Gesichtspunkten des Einflusses der Betriebswirtschaft und des Kulturmarketing beleuchtet, um die dort anzutreffenden Problemfelder zu identifizieren, die Auswirkungen auf das kulturmanageriale Strategieverständnis besitzen. Die Problemfelder sind: 1. Das Kulturmanagement erfährt trotz des Wunsches nach Eigenständigkeit eine

zu starke Begrenzung und für die Disziplin nicht förderliche Einengung durch die Betriebswirtschaft. 2. In der Literatur ist eine starke Fokussierung auf das Kulturmarketing anzutreffen. 3. Das Kulturmarketing erfährt aufgrund des entscheidenden Wesenszuges von Kunst und Kultur – der Autonomie des Inhalts – eine nicht unerhebliche Einschränkung. 4. Obwohl der Wunsch existiert, die ersten drei Problemfelder zugunsten der Eigenständigkeit zu beseitigen, ist die Loslösung von der Betriebswirtschaft aufgrund ihres Stands als primäre Bezugsdisziplin und ihrer Verwandtschaft über

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den Begriff Management zum Kulturmanagement nicht ausreichend fortgeschritten. In der Folge führt dies zu dem in diesem Kapitel 3 dargestellten Zirkelschluss. 5. Die Entwicklung hin zu einer Erlebnisgesellschaft unterstützt die zu spürende Dialektik, mit der das Kulturmanagement – eben auch durch den Zirkelschluss – konfrontiert ist: Einerseits steht der Inhalt über allem, andererseits wird die Öffnung zum Publikum gefordert und realisiert. Allerdings geschieht dies nicht selten auf Kosten gerade eines autonomen Inhalts durch eine überwiegende Orientierung an Erlebnis, Spaß und Unterhaltung als primäre Beweggründe des Publikums für einen Kulturbesuch. 6. Das Kulturmanagement umgeht infolgedessen die Hauptfrage nach der Herstellung von Resonanz mit dem Eigentlichen, mit dem Nichtabbildbaren und mit dem Wert von Kunst und Kultur; kurzum: Der Frage nach dem InsZentrum-Setzen. Bereits der Begriff Drumherum drückt aus, dass dieser nicht dorthin gelangen dürfte – doch dies ist, was im Kulturmanagement primär unternommen und kommuniziert wird. 7. Durch den Gebrauch des Begriffs Strategie T zeigt das Kulturmanagement erstens erneut die Nähe zur Betriebswirtschaft, damit verbunden zweitens die Übernahme ihrer Unklarheiten hinsichtlich des Verständnisses von Strategie T und drittens einen unreflektierten Einsatz des Begriffs Strategie T. 8. Mehr noch: Werden Kulturstrategien T veröffentlicht, so muss diagnostiziert werden, dass es sich bei diesen im Sinne der hier vertretenen Meinung nicht um Strategien beziehungsweise nicht um strategische Pläne handelt. Es geht somit darum, traditionellen – kontemplativen und bildenden – Formaten eine Hilfe zu sein und ein Gegengewicht zu installieren zu den vielfachen Publikationen, die am Ende betonen, dass das Interesse an Veranstaltungen dann am größten sei, wenn ungewöhnliche Orte bespielt würden, das Programm unterhaltsam sei, Speisen und Getränke verzehrt würden und der Dialog besonders durch die sozialen Medien hergestellt würde. So könnten die neuen Publikumsschichten erreicht werden.63 Doch womit werden diese wirklich erreicht? Mit den Inhalten? Mit den gezeigten Werken und Stücken? Es ist anzunehmen, dass es in erster Linie das Drumherum des Ereignisses ist, das das Publikum zum Besuch bewegt: „Indem Kulturveranstaltungen in ereignishaften Formen oder mit zusätzlichen stimulierenden Rahmenbedingungen verknüpft und präsentiert werden, gelingt es, ein größeres öffentliches Interesse bei Medien, Sponsoren

63 Vgl. Mandel (2013b), S. 154ff sowie Glogner-Pilz und Föhl (2011), S. 30 und Föhl und Glogner-Pilz (2017), S. 137f.

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und Publikum zu schaffen.“64 Bei diesem Zitat von Mandel ist auch auf die Reihenfolge der Nennungen hinzuweisen: Das Publikum wird an letzter Stelle genannt, nach den Medien und den Sponsoren – geht es tatsächlich in erster Linie um das Publikum? Infolgedessen kann der zu Beginn dieses Kapitels 3 angeführte Impuls für einen Richtungswechsel durchaus von dem hier vertretenen Strategieverständnis und der Sensibilisierung für den kulturmanagerialen Kontext ausgehen. Am Ende dieses Kapitels mag die Kritik aufkommen, dass der Charakter, in dem es geschrieben ist, ein elitär klingender ist oder es – anders als in Kapitel 1 angekündigt – doch um eine Kanonisierung der Hochkultur geht. Die Lesart mag entstehen, da Erlebnis, Spaß und Unterhaltung im Allgemeinen eher mit der Populär- als mit der Hochkultur in Verbindung gebracht werden. Allerdings muss an dieser Stelle erneut gesagt werden, dass es um ein Fürsprechen für den Inhalt geht – unabhängig davon, ob dieser hoch- oder populärkulturell geprägt ist. Ergänzt werden muss ebenso, dass es nicht darum geht, das Kulturpublikum zu degradieren oder in seiner Unmündigkeit verharren zu lassen, indem sich dafür ausgesprochen wurde, nicht jedem Bedürfnis – entgegen den Empfehlungen hin zu Öffnung, Dialog und Partizipation – nachzugeben. Das Gegenteil ist der Fall: Es geht darum, das Publikum gerade durch dessen Hinwenden zum Inhalt mündiger werden zu lassen; es durch dessen Rezeption der Aura und der Kraft dazu zu befähigen, sich aus einer neu gewonnen Position an den umfangreichen Diskussionen um Kunst und Kultur sowie der kulturpolitischen und gesellschaftlichen Themen zu beteiligen. Oder eben den Inhalt ob des Inhalts zu rezipieren, sich für diesen zu begeistern und in Resonanz zu treten. Da in diesem Kapitel 3 die Wichtigkeit des Inhalts betont wurde, geht es im folgenden Kapitel 4 um die nähere Darstellung der Eigengesetzlichkeiten des kulturellen Sektors, ausgehend von jenem Inhalt. Das bisher vermittelte und gewonnene Bild des kulturmanagerialen Kontextes von Strategie wird so komplettiert.

64 Mandel (2009b), S. 17.

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Der künstlerisch-kulturelle Inhalt als Zentrum der Eigengesetzlichkeiten des öffentlich getragenen Kultursektors

Die Entwicklung des Bildungsbürgertums und die Heiligsprechung musischer Klassiker ab der Mitte des 19. Jahrhunderts führten zur Etablierung der Hochkultur, deren Geburtsstunde gleichfalls die Geburtsstunde der öffentlichen Förderung von Kunst und Kultur sowie der Kulturpolitik ist. Deren heutiges Verständnis fußt auf den drei zwar autarken, aber sich gegenseitig bedingenden Einheiten Staat, Gesellschaft und Kunst. Historisch betrachtet ist dieses Verständnis von Kulturpolitik Ergebnis eines Emanzipationsprozesses von Kunst und Kultur, die sich loslösten von den Fürsten- und Königshöfen sowie von der Kirche. Voraussetzung für die Loslösung war eine gesellschaftliche und staatliche Legitimation der kulturellen Förderung. Diese Legitimation findet heutzutage Einzug in den von der Kulturpolitik vergebenen Kulturauftrag, der im Grundgesetz nur in Einzelaussagen vorzufinden ist – am ehesten in Artikel 5, Absatz 3: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.1

4.1 AUFBAU DES KAPITELS Entlang der folgenden Argumentationskette ist dieses Kapitel 4 aufgebaut. Drehund Angelpunkt ist der kulturell-künstlerische Inhalt als das Besondere und das die Eigengesetzlichkeiten des öffentlich getragenen Kultursektors Ausmachende:

1

Vgl. Wagner (2009), S. 27, 295 sowie Enquete-Kommission (2007), S. 71.

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 Künstlerisch-kulturelle und entsprechend wertvolle Güter werden als meritorische Güter definiert.  Einrichtungen, die diese Güter bewahren, sammeln und erforschen – und präsentieren – werden durch die öffentliche Hand mit einem entsprechenden Kulturauftrag versehen.  Gekoppelt an den Kulturauftrag ist der Fluss von Zuwendungen, damit diese Einrichtungen sich ihren Aufgaben widmen können.  Hauptziel ist infolgedessen die Rezeption des meritorischen Gutes, die Auseinandersetzung mit diesem und somit letzten Endes eine Investition der Zeit des Rezipienten in das meritorische Gut. " Um diesen Auftrag aus der Perspektive des Kulturmanagements gezielter zu erfüllen – zum Wohle des Einzelnen und der Gesellschaft – ist ein entsprechend kontextuales Verständnis für die Strategie erforderlich. Über qualitative und ästhetische Aspekte des Inhalts gibt später das Kapitel 7 Auskunft. An dieser Stelle ist es ausreichend, vielmehr die Aspekte zu untersuchen, die von dem Inhalt ausgehen und die zu den Eigengesetzlichkeiten des künstlerisch-kulturellen Kontextes führen. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Eigengesetzlichkeiten entstehen durch die Finanzierung mittels Zuwendungen auf der einen und durch die Rezeption des Inhalts auf der anderen Seite – dies zeigt die Abbildung 5. Dabei wird zu Beginn der öffentlich getragene Kultursektor beschrieben, um die Abgrenzung zum privatwirtschaftlichen Sektor zu verdeutlichen und um zu vertiefen, weshalb die Adaption betriebswirtschaftlicher Gedanken dem Kulturell-Künstlerischen nicht gerecht werden kann. Die Diskussion über die Kürzung von Zuwendungen nimmt entsprechenden Raum ein, da eine vordergründig und entsprechend dominant geführte Diskussion nicht selten eine über die Finanzierung und Wirtschaftlichkeit der Kultureinrichtungen ist. Ein Exkurs in den kommerziellen Kunstmarkt dient dem Aufzeigen von Unterschieden zwischen diesem und dem öffentlich getragenen Kultursektor und liefert so eine grundlegende Sensibilisierung für die ebenfalls in Kapitel 7 zu besprechenden Themen Qualität, Quantität und Objektivität. Am Ende wird der Schwerpunkt auf den Besucher von Kultureinrichtungen gelegt sowie dessen Rezeption und die in dem Kapitel 3 angesprochene Partizipation unter Bezugnahme auf die kulturelle Bildung beleuchtet. Ziel des Kapitels 4 ist somit die detaillierte und abrundende Beschreibung des Kontextes, in dem das Kulturmanagement beziehungsweise der Kulturstratege die Strategie einsetzt.

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Abbildung 5: Die zwei Perspektiven auf den Inhalt

Zuwendung

Inhalt / meritorisches Gut

Rezeption

Quelle: Eigene Darstellung

4.2 RAHMENBEDINGUNGEN DES KÜNSTLERISCH-KULTURELLEN INHALTS 4.2.1 Perspektive 1: Zuwendungen und Meritorik Die vom Bundestag eingesetzte Kommission Kultur in Deutschland arbeitete insgesamt vier Jahre an dem gleichnamigen Bericht, der 2007 vorgelegt wurde. In diesem umfangreichen Werk beschreibt die Kommission die Situation von Kunst und Kultur, wie sie sich zu jener Zeit in Deutschland zeigte. Die Eingliederung unterschiedlicher Kultureinrichtungen erfolgt ebendort mittels des auf dem Ersten Schweizerischen Kulturwirtschaftsbericht basierenden DreiSektoren-Modell, das in Abbildung 6 dargestellt ist.2 Das Kommissionsmitglied Scheytt wählt in seinem Buch Kulturstaat Deutschland eine allgemeinere Sicht auf die drei Sektoren, indem er unter dem Begriff Markt im zweiten, gewinnorientierten und privatwirtschaftlichen Sektor, die Existenz sämtlicher Unternehmen subsumiert und den Begriff privatwirtschaftliche Kulturwirtschaft, wie von

2

Vgl. Enquete-Kommission (2007), S. 196f.

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der Enquete-Kommission benutzt, auf diesem Wege erweitert.3 In diesem zweiten Sektor kommen die Theorien und Modelle als auch das Verständnis von Strategie T der Betriebswirtschaft zum Einsatz. Die Nachfrageorientierung rückt – anders als die im ersten Sektor verortete Besucherorientierung – verstärkt in den Vordergrund. Die ansässigen Unternehmen agieren erfolgsorientiert im Sinne der Gewinnerwirtschaftung. Staehle äußert, dass das „Formalziel Gewinnerzielung [..] überhaupt nicht zur Disposition steht“4. Kultureinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft wiederum sind im ersten Sektor zu finden. Gewinnabsichten dürfen hier – ebenso wie im dritten Sektor – keine Rolle spielen. Der Staat übernimmt zum Teil die finanzierende Aufgabe und fördert mittels Zuwendungen Institutionen, deren Güter er mit dem Prädikat wertvoll versieht als meritorische Güter. Nichtsdestoweniger können auch nichtstaatliche Einrichtungen des zweiten Sektors Zuwendungen erhalten, „um Zwecke in besonderem öffentlichen Interesse sicherzustellen“5. Dadurch rücken diese aufgrund ihres förderungswürdigen Inhalts und der damit verbundenen (Teil-)Finanzierung in die Nähe des ersten Sektors, sodass auch für privat geführte Kultureinrichtungen in der Schnittmenge zwischen erstem und zweiten Sektor die hier aufgeführten Gedanken teilweise übernommen werden können. Auch wenn besonders mittels der Kriterien Rechtsträgerschaft (öffentlich rechtlicher Bereich 1 privatrechtlicher Bereich), Rechtsformen (öffentlich rechtliche Kultureinrichtung 1 privatrechtlich gemeinnützige Kultureinrichtung 1 privatrechtlich kommerzielle Kultureinrichtung) oder Zielorientierung (Nonprofit-Bereich 1 Profit-Bereich) die Zuordnung von Kultureinrichtungen zu den Sektoren erfolgen kann6, scheint ihre Systematisierung innerhalb der einzelnen Sektoren weniger deutlich zu sein. Heinrichs spricht von generellen, „nicht unerheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten“7 zwischen Kultureinrichtungen. Diese können sich hinsichtlich ihrer Größe und ihrer inhaltlichen Ausrichtung – um weitere Kriterien der Systematisierung zu nennen – deutlich unterscheiden. Colbert beispielsweise bringt jene Kriterien zusammen und erläutert, dass sich unter dem von ihm verwendeten Begriff Kulturbetrieb im engen Sinn durchschnittlich betrachtet Einrichtungen kleinerer Größe sammeln, deren Inhalt die darstellen-

3

Vgl. Scheytt (2008), S. 9. Dass auch Einrichtungen des ersten Sektors am Marktgeschehen teilnehmen wird im weiteren Verlauf deutlich.

4

Staehle (1994), S. 414.

5

Gerlach-March (2010), S. 20.

6

Vgl. ebd., S. 9.

7

Heinrichs: Kulturmanagement. Eine praxisorientierte Einführung, Darmstadt, 1999, zit. nach Colbert (2011a), S. 12.

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den und bildenden Künste ebenso sind wie das Bibliotheks- und Archivwesen. Unter dem Begriff Kulturbetrieb im weiten Sinn befinden sich hingegen Einrichtungen der sogenannten Kulturindustrie in einer größeren Größenordnung: Filmund Tonträgerindustrie, Verlagswesen, angewandte Künste, Musicaltheater. Aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung agieren Einrichtungen der Kulturindustrie häufig multinational – ergänzt werden sollte das nationale Tun –, während die dem engen Sinne zugesprochenen Kultureinrichtungen Angebote unterhalten, die verstärkt am Standort der Einrichtung offeriert und wahrgenommen werden. So erklärt sich, dass sich in der Vielfalt der Kulturnation Deutschland am ehesten regionale Kultureinrichtungen in kleiner beziehungsweise mittlerer Größenordnung finden.8 Generell zeigen personalintensive Branchen wie der Kultursektor eine Besonderheit auf, die William J. Baumol bereits in den 1960er Jahren ausführlich beschrieben hat: In diesen Branchen ist allgemein ein Mangel an Produktivitätsfortschritt zu verzeichnen, sodass Kultureinrichtungen unter der von ihm identifizierten Kostenkrankheit zu leiden haben, da Lohnsteigerungen, die wiederum in anderen Branchen durch eine Steigerung der Produktivität aufgefangen werden, im Kultur- und Kunstsektor komplett kostenwirksam werden. Oder deutlicher: Als Mozart das Streichquartett in G-Dur „im Jahr 1782 [...] komponierte, waren vier Musiker erforderlich, um es zu spielen. Und 250 Jahre später werden immer noch genau vier Musiker dafür gebraucht“.9

8

Vgl. Colbert (1999), S. 6ff sowie Colbert (2011a), S. 13ff und Klein (2011e), S. 110.

9

Bregman (2017), S. 120f. Weiter heißt es dort: „Kaffeemaschinen können wir immer schneller und billiger erzeugen, aber ein Violinist kann ein Stück nicht schneller spielen, ohne es kaputtzumachen.“

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Abbildung 6: Das Drei-Sektoren-Modell Wirtschaft Privater Sektor Kulturwirtschaft im engen Sinne: Musikmarkt, Buch- und Pressemarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Darstellende Kunst • Kulturwirtschaft im weiten Sinne:
 Kultur- und Medienwirtschaft

Staat Öffentlicher Sektor Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft: • Konzerthäuser • Musiktheater • Sprechtheater • Museen



I. Sektor Erweiterung Verständnis von Strategie aufgrund kultureller Eigengesetzlichkeiten

II. Sektor

Künstler Kulturproduktion

Anwendung klassischer Strategie- 
 instrumente T

III. Sektor

Zivilgesellschaft Intermediärer Sektor • Vereine • Stiftungen = Nonprofit-Sektor = Profit-Sektor

Quelle: Erweiterte Darstellung nach Kulturwirtschaft in Berlin (2009)

Hinsichtlich der Förderung von Kultureinrichtungen durch die öffentliche Hand sind unterschiedliche Meinungen zu vernehmen: Kulturschaffende beanstanden den nicht ausreichenden Einsatz der öffentlichen Hand zur Aufrechterhaltung der kulturellen Grundversorgung. Immerhin liege die „Verantwortung für das ‚öffentliche Gut‘ Kultur [..] zunächst allein [beim] Staat“10. Des Weiteren wird die Abhängigkeit von der öffentlichen Hand durch ihr Mitspracherecht – basierend auf jenem Mittelzufluss – bei gleichzeitigem Wunsch nach Unabhängigkeit 10 Scheytt (2008), S. 277.

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durch mehr Mittelzufluss beanstandet.11 Zu guter Letzt gibt es Stimmen wie die von Klein, Dieter Haselbach, Pius Knüsel und Stephan Opitz – den Autoren des Buches Kulturinfarkt –, die verlauten lassen, die „meritorische Kulturförderung verzerr[e] die Märkte“12. Die Verzerrung resultiere aus dem Ungleichgewicht auf einem Markt als jenem Ort, auf dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Bei der meritorischen Kulturförderung geht es allerdings um die Unterstützung von Kunst und Kultur, die dem Bürger und der Gesellschaft zugänglich gemacht werden sollen. Würde man diese vollständig den Einflüssen des Marktes überlassen, so Scheytt am Beispiel Kunst verdeutlichend, „würde mit hoher Wahrscheinlichkeit angesichts der Eigengesetzlichkeiten von Kunst dies dazu führen, dass ohne eine öffentliche Förderung qualitätsvolle Kunst nicht immer die Chance der Realisierung und Vermittlung hätte“13. Wird allein der Musiksektor betrachtet, so zeigt sich, wie wichtig öffentliche Förderung ist, da sie stabilisierend auch auf den privatwirtschaftlichen Musikbereich wirkt. Öffentlich getragene Einrichtungen wie Orchester, Chöre, Musikvereine und Musikschulen sind Nachfrager bei privatwirtschaftlichen Anbietern, wie beispielsweise bei Verlagen oder dem Instrumentenhandel. Ebenso kommt die Ausbildung der Studierenden an den Musikhochschulen dem privatwirtschaftlichen Musiksektor zugute: Denn Veranstalter beider Sektoren bemühen sich um dieselben Künstler und Klangkörper und richten sich ebenso an dasselbe Publikum.14 Die Durchlässigkeit und Abhängigkeit zwischen den Sektoren – öffentlich getragener Musikbetrieb auf der einen, privatwirtschaftlicher Musikbetrieb auf der anderen Seite – ist nicht von der Hand zu weisen, sodass ein Reden über die Marktverzerrung allein in diesem betrachteten Segment zu eingeschränkt ist. Und schon stellt sich die Frage der Marktverzerrung auf eine neue Weise: Welcher Markt wird tatsächlich verzerrt?

11 Vgl. Grasskamp (2016), S. 20, 70. Auch Beyme betont, dass widersprüchliche Forderungen bestehen. Auf der einen Seite soll der Einfluss des Staates auf die Künste nicht vorhanden sein, auf der anderen Seite soll dieser deren Förderungen tragen. Das Verhältnis zwischen Politik und Kultur ist unklar definiert: Die Politik soll sich der Kultur demütig nähern, während die Kultur wiederum einen kritischem Abstand wahrt. Dieses Verhältnis, so Beyme, wird noch erschwert durch die zunehmende Vermarktung des kulturellen Sektors, vgl. Beyme (2012), S. 132f, 174. 12 Haselbach, et al. (2012), S. 147. 13 Scheytt (2008), S. 105. 14 Vgl. Heinrichs (1997), S. 7 sowie das Interview mit Heinrichs bei Tröndle (2011a), S. 347 und Mandel (2007), S. 13.

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Trotz aller Zuwendungen, die Kultureinrichtungen erhalten, existieren Finanzierungskrisen, die „die Fragilität der kulturellen Systeme am deutlichsten [machen], für die Mitarbeiter der Theater am spürbarsten und für die Öffentlichkeit am sichtbarsten“15. Doch diese Finanzierungskrisen – von Thomas Schmidt als vorübergehende Engpässe, chronische Unterfinanzierung und Fehlfinanzierung beschrieben – sind lediglich die in Erscheinung tretenden Symptome einer – ohne Frage mit ihnen in Verwandtschaft stehenden – Strukturkrise, deren Ursachen die folgenden sind: 1. Überkapazität entsteht, wenn das Angebot umfangreicher als die Nachfrage –

oder geeigneter: das Interesse – ist. 2. Interne Strukturen, veraltet und stark hierarchisch aufgebaut, unterstützen die in Kultureinrichtungen anzutreffende Schwierigkeit, die ihnen innewohnende und umfangreiche Komplexität handzuhaben. 3. Zuwendungen vermitteln Sicherheit und trüben somit den Blick auf Krisensituationen.16 Bei der Nennung des dritten Punktes können Befürworter der Minimierung von Zuwendungen auf den Plan treten. So formulieren die Autoren des Kulturinfarkt, „wer Wirtschaft sagt, selbst im Zusammenhang mit Kultur, sagt auch Markt“17. Jede auch öffentlich getragene Kultureinrichtung agiert als Marktteilnehmer, wie am Beispiel des Musiksektors verdeutlicht wurde; nur unter kulturspezifischen Eigengesetzlichkeiten, bei denen „die ökonomischen Argumente [nicht] tragen, sondern sie Kultur in eine Konkurrenz [stellen], deren Kriterien sie nicht erfüllen kann“18 – hier treten die in Kapitel 3 genannten Gründen einer Nichtübertragbarkeit der Betriebswirtschaft erneut hervor. Und obgleich die Autorengemeinschaft um die Spezifika der Baumol’schen Kostenkrankheit und um die Nichtübertragbarkeit weiß, stellt sie jene Kultureinrichtungen dennoch in Konkurrenz mit privatwirtschaftlichen Kultureinrichtungen: Dreh- und Angelpunkt in deren Diskussion um das Angebot und die Nachfrage von Kunst und Kultur ist der Fluss von Zuwendungen. Abgesehen von einer grundsätzlichen Reduzierung der Kultureinrichtungen auf einige Schlüsselhäuser ist für die Autoren der zu nutzende Ansatz die knappere Berechnung von Zuwendungen für weitere Häuser;

15 Schmidt (2017), S. 131. 16 Vgl. ebd., S. 103. 17 Haselbach, et al. (2012), S. 166. 18 Ebd., S. 170. Auf grundsätzliche Widersprüche und Verständnisprobleme im Kulturinfarkt weist auch T. E. Schmidt (2012) hin.

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obschon Klein als Mitautor des Kulturinfarkt auch in Der exzellente Kulturbetrieb betont, dass zu starke Rückgänge der Zuwendungen „unmittelbar die Existenz des ganzen Betriebes gefährde[n]“19. An dieser Stelle beginnt die schwere Verständlichkeit der Argumentation in manchen Veröffentlichungen zu den Themen Zuwendungen, Unternehmertum und Unantastbarkeit des Inhalts, wie sie unter anderem zu finden sind bei Klein oder generell dem Autorenteam des Kulturinfarkt:20 Szenario Kürzung der Zuwendungen Ein minimierter Zufluss von Zuwendungen hat für eine Kultureinrichtung zur Folge, dass das Marktgesetz stärker greift und der wirtschaftliche Druck wächst. Dies besitzt scheinbar positive Auswirkungen: Die Kultureinrichtung ist gezwungen, unternehmerisch zu handeln und die so gewonnene unternehmerische Freiheit sorgt für Innovationskraft. Gravierender klingt dies bei den Autoren des Kulturinfarkt selbst: „Das Existenzrisiko, welches die privaten Kulturbetriebe umtreibt, zwingt sie [die öffentlich getragenen Kultureinrichtungen, BJ] zur Aufmerksamkeit gegenüber Besuchern, zu ständiger Innovation.“21 Was ist damit gemeint? Veränderungen an dem Produkt selbst können – wie bereits in Kapitel 3 erläutert – nicht vorgenommen werden. Doch genau dies ist es, was die von Klein und seinem Autorenkreis gelobten privatwirtschaftlichen Kultureinrichtungen unternehmen. Und unternehmen müssen. Sie gestalten ihr „jeweiliges Produkt so [..], dass der Kunde es möglichst oft und umfangreich nachfragt“22 und diese Maßnahme schlussendlich zu

19 Klein (2011a), S. 208 sowie Haselbach, et al. (2012), S. 244. 20 Auch Mandel äußert sich zum Unternehmertum im Kultursektor: Es wird der klassische kulturmanageriale Kanon um die Themen unternehmerisches und strategisches Denken, Innovation und Risikobereitschaft ergänzt. Die Schwierigkeit, die hierbei entsteht, ist die folgende: Mandel zeigt in ihren Ausführungen, dass das Unternehmertum in der Kunst- und Kreativwirtschaft positiv sei, es infolgedessen zu Unternehmensgründungen im zweiten Sektor kommt, deren Leistungen wiederum auch von Einrichtungen des ersten Sektors nachgefragt werden; wenn allerdings von der Erweiterung des klassischen Kanons die Rede ist und ein Kulturmanager ebenso in öffentlich getragenen Einrichtungen tätig ist, kann die Erweiterung des Kanons um ein unternehmerisches Denken für diese nicht ohne Weiteres übernommen werden, wie das Szenario Kürzungen der Zuwendungen grundsätzlich zeigt, vgl. Mandel (2007) sowie Föhl und Glogner-Pilz (2017), S. 18f. 21 Haselbach, et al. (2012), S. 64. 22 Klein (2011a), S. 70. Dieser Umstand scheint Klein so wichtig, dass er den gesamten Absatz auf S. 111 wortwörtlich erneut anbringt. Auch Mandel beschreibt die notwen-

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Gewinn und Existenzsicherung führt. Jene Kultureinrichtungen handeln nachfrageorientiert und unternehmerisch. Die entstehenden Unklarheiten sind abermals auf die Grenzüberschreitungen zwischen Kultur und Management, zwischen Kulturmanagement und Betriebswirtschaft zurückzuführen:

 Der eingestellte Fluss von Zuwendungen befördert das unternehmerische Tun.  Das unternehmerische Tun setzt Kunden und Besucher im Rahmen einer Nachfrageorientierung und Gewinnerwirtschaftung in das Zentrum der Aktivitäten.  Der Inhalt im ersten Sektor ist indes nicht anpassbar. Diese Anpassung allerdings entspräche einer Nachfrageorientierung.  Statt einer Nachfrageorientierung steht dem öffentlich getragenen Kultursektor eine Orientierung am Besucher zur Verfügung.23 " Der Begriff Unternehmertum ist in dem Kontext öffentlicher Förderung nicht sinnstiftend. Aus einer zweiten Richtung argumentierend:

 Der eingestellte Fluss von Zuwendungen fördert ein „ ‚Unternehmertum‘ im Sinne von ‚schöpferischer Zerstörung, Invention, Innovation‘ “24.  Innovation jedoch dient als Element der Differenzierung und der Schaffung von – und in der Literatur mit entsprechendem Gewicht versehenen – Wettbewerbsvorteilen im privatwirtschaftlichen Sektor, wie das Kapitel 5 zeigen wird.

dige Produktanpassung im privatwirtschaftlichen Kultursektor, vgl. Mandel (2009b), S. 126. 23 Zur unklaren Begriffsverwendung: Klein weist beispielsweise darauf hin, dass öffentlich getragene Kultureinrichtungen gerade dann ihre Legitimation der öffentlichen Förderung verlören, würden sie sich an der Nachfrage orientieren. Als Mitautor des Kulturinfarkt wiederum formuliert er, ein gelungenes Programm entstünde an der „Schnittstelle zwischen Nachfrage und künstlerischer Ambition“. Vgl. Haselbach, et al. (2012), S. 140 sowie Klein (2011a), S. 112. Jedoch kann aufgrund des zuvor Gesagten nicht von Nachfrage gesprochen werden, vielmehr scheint das Interesse gemeint zu sein. Vgl. darüber hinaus weitere, teils sich widersprechende Begriffsverwendungen wie unter anderem zu finden bei Heinrichs (1997), S. 55 sowie Munkwitz (2008), S. 20f. 24 Klein (2011a), S. 57.

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 Im öffentlich getragenen Kultursektor hingegen ist die Notwendigkeit von Innovation weitaus geringer, auch wenn Mandel Kultureinrichtungen unter einem „permanentem Innovationsdruck“25 stehen sieht: Kunst und Kultur besitzen den Wert des Originals und anders als bei Verbrauchs- und Gebrauchsgegenständen muss das Alte nicht für das Neue weichen. Dies im Vorgriff auf die entsprechende Diskussion in Kapitel 7: Anders als beispielsweise ein Mobilfunktelefon der Generation 8, das besser zu sein scheint als das der Generation 1 und Letzteres entsprechend um die jeweils nachfolgenden Generationen ersetzt wird, ist Beethovens Pastorale – Sinfonie 6 – nicht besser als dessen Eroica – Sinfonie 3 – oder könnte diese sogar ersetzen.  Mehr noch: Die gebetsmühlenartige Erwähnung der schöpferischen Zerstörung – zurückgehend auf den Nationalökonomen Joseph Schumpeter – greift genau dann nicht, wenn sich die Studie als wahr erweist, nach der die Innovationskraft – wenigstens von Opernhäusern – zunimmt, gerade weil Zuwendungen fließen.26 " Der Begriff Unternehmertum ist in dem Kontext öffentlicher Förderung nicht sinnstiftend. Welche Folgen ergeben sich aus dem Gesagten? Es bedarf dieser Art des Drucks, des auf Zuwendungskürzungen basierenden Drucks, des im Unternehmertum mündenden Drucks nicht. Denn auch ohne diesen sollte eine Orientierung am Besucher Aufgabe der Kultureinrichtung sein – auch wenn die Orientierung nicht im Rahmen einer konsequenten Besucherorientierung erfolgen sollte, wie das Kapitel 3 zuvor aufzeigte. Gleichzeitig wird deutlich, wie missverständlich die Argumentation wird, wird der erste Sektor mit den Vorzeichen des zweiten betrachtet: Sie kann nicht gelingen, da unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, die zu einer Verquickung jener Vorzeichen – und zu dem beschriebenen

25 Mandel (2009b), S. 111. 26 Je höher der Finanzierungsanteil an öffentlichen Mitteln, desto innovativer ist das künstlerische Angebot. In der Studie ist zu lesen, dass die „Notwendigkeit, wirtschaftlich erfolgreich sein zu müssen, die Vielfalt und Innovation im künstlerischen Programm [hemmt]“. Rein quantitative Kennzahlen wurden zurate gezogen – Anzahl der Produktionen, Neuproduktionen sowie Raritäten je Spielzeit, vgl. Actori (2012). Auch Benz kommt zu dem Schluss, innovative Ideen seien erst durch Zuwendungen möglich in öffentlich getragenen Einrichtungen, vgl. Benz (2017), S. 44. Ergänzung muss der Schumpeter’sche Gedanke der Zerstörung auch erfahren durch die Tatsache, dass die Museen als Ort des Sammelns und Bewahrens das Gegenstück zur Zerstörung bilden, vgl. Grasskamp (2016), S. 15.

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Zirkelschluss – führen. Das Unternehmertum besitzt Wesenszüge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wie dessen Orientierung am erwerbswirtschaftlichen Prinzip, verstanden als die Deckung von Fremdbedarf mittels eingesetzten Kapitals zur Erzielung langfristig hoher Gewinne.27 Diese Wesenszüge sind charakteristisch für den zweiten Sektor und nicht als negativ zu interpretieren, wenn von einigen Auswüchsen abgesehen wird. Für den ersten Sektor sind die Wesenszüge indes nicht signifikant. Der Deutlichkeit halber muss nochmals erwähnt werden, dass mit diesen Gedanken nicht gemeint ist, eine Kultureinrichtung solle nicht wirtschaftlich handeln. Doch der Begriff Unternehmertum ist nicht gleichzusetzen mit Wirtschaftlichkeit und daher für das Kulturmanagement und dessen Wunsch nach Loslösung und Eigenständigkeit ungeeignet. Eine weitere zu erwartende Folge der Zuwendungskürzungen wäre aufgrund des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks eben doch jene konsequente Orientierung an dem Besucher: Das Drumherum erfährt eine Expansion, um durch das Erreichen einer möglichst breiten Öffentlichkeit finanzielle Mittel zu erwirtschaften und den noch umfangreicheren Fehlbedarf zu verringern; eventuell auch, um den Zuwendungsfluss alsbald wieder erhöhen zu können, da argumentiert werden könnte, den Zugang zu einem großen Kreis Interessierter erhalten zu haben und so die eigene Legitimation bekräftigen zu können. In aller Deutlichkeit definiert Klein jene konsequente Besucherorientierung: „Die jeweilige Kultureinrichtungen [unternimmt] tatsächlich alle Anstrengungen, das, was sie künstlerisch-ästhetisch produziert, einem größtmöglichen Kreis von Interessenten nahe zu bringen.“28 Das zu Beanstandende und zu Bedenkende verbirgt sich in diesem Zitat in den Worten alle Anstrengungen: Es besteht die Gefahr, dass Tür und Tor geöffnet werden für mannigfaltige und kritisch zu hinterfragende Maßnahmen, hinter denen Werk und Wert zurücktreten. Im Rückgriff auf das Kapitel 3: Entsprechend existieren Artikel und Buchpassagen, die kritisch und mahnend die Begriffe Erlebnispark, Warenhaus oder Disneyland in dem Zusammenhang der konsequenten Besucherorientierung auf der einen, der Zunah-

27 Vgl. Vahs und Schäfer-Kunz (2005), S. 7f. 28 Klein (2011a), S. 100. Bendixen nimmt Bezug auf den Kulturberater Kaltwasser und übt Kritik an dessen Entfernung vom kulturell-künstlerischen Gegenstand. Gleichzeitig untermauert das folgende Zitat den Dreiklang bestehend aus Gewinnerzielung – Unternehmertum – konsequente Nachfrageorientierung: „So wie sich dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip der Gewinnmaximierung unterworfene Unternehmen auf die Nachfrage und konsequent auf die Kunden ausrichten, ist auch die Kultur im Zuge der Professionalisierung und knapper Haushaltslage diesem Verhalten unterworfen.“ Vgl. Bendixen (2006), S. 116.

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me des Drumherums auf der anderen Seite verwenden.29 Gemein ist diesen wiederum, dass sie sich ohne Frage für eine Öffnung der Häuser aussprechen – diese Öffnung dürfe jedoch nicht auf Kosten des Inhalts erfolgen. Demnach ist es ein fragwürdiger Weg, die Besucherorientierung durch wirtschaftlichen Druck und durch die begrifflich schwierige Forderung nach Unternehmertum zu erzwingen. Dieses Szenario kann somit dahingehend beendet werden, als gesagt werden kann, dass es sich bei den in der Literatur angemerkten Gründen für eine Kürzung von Zuwendungen letzten Endes um keine tatsächlichen Gründe handelt. Szenario Veränderungen der Preisstruktur Eine mögliche Reaktion, der durch geringere Zuwendungen entstandenen Finanzierungslücke entgegenzutreten, ist die Anhebung der Preise – eine Anhebung von kulturpolitisch gewollten nichtrealistischen Preisen hin zu marktwirtschaftlich realistischen Preisen. Denn Zuwendungen beispielsweise im mittleren Segment der Deutsche Oper Berlin besitzen die positive Folge, eine Karte für 50 Euro statt 200 Euro, in der Berlinischen Galerie für 10 Euro statt 80 Euro anbieten zu können.30 Der Eigenfinanzierungsanteil könnte zwar erhöht werden, doch aufgrund der Baumol’schen Kostenkrankheit wäre eine Erzielung von Gewinnen weder möglich noch dürften sie im ersten Sektor erwirtschaftet werden – eine Finanzierungslücke bliebe weiterhin bestehen. Gleichzeitig bestünde die Gefahr, dass durch diese Maß-

29 Vgl. Schneede (2000) sowie Preiß (1990), S. 274 und Vitali (2000), S. 108. 30 Entsprechend der Gewinngleichung (Gewinn = Umsatz – Kosten) wird in diesem Szenario die Umsatzgleichung (Umsatz = Menge x Preis) beleuchtet, während die Kosten bei einem so hohen Anteil tariflich fixierter Kosten außer Acht gelassen werden. Auch Klein sieht zwar nicht als Ausweg, aber als Handlungsmöglichkeit auf die Baumol’sche Kostenkrankheit zwei Vorgehen: Erhöhung der Zuschüsse sowie Preiserhöhung, vgl. Klein (2011a), S. 29. Erstere soll bei der einen oder anderen Kultureinrichtungen seiner und der Meinung seiner Kollegen wie dargestellt eher minimiert denn erhöht werden, aber auch die Erhöhung der Preise besitzt ihm nach Grenzen, obgleich er empfiehlt, zu einer realistischeren Preisbildung zu gelangen, die auf betriebswirtschaftlichen und auf Marktpreisen basieren soll, vgl. Klein (2011a), S. 214. Zu den Beispielen der Ticketpreise vgl. Zawatka-Gerlach (2014). Pro zahlendem Zuschauer erhält das Deutsches Schauspielhaus Hamburg 250 Euro, während das Thalia Theater – aus unerforschlichen Gründen, wie Küveler schreibt – mit 70 Euro bezuschusst wird, vgl. Küveler (2016), S. 17. Inwiefern es sich um ein Nullsummenspiel im Kultursektor handelt, wie Colbert umschreibt, ist nicht zu sagen: Der Etat, der einer Einrichtung zugute kommt, fehlt einer anderen, vgl. Colbert (2011b), S. 587.

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nahme die gewünschte Erhöhung der Besuchszahlen erneut nicht erfolgt, da der Eintritt für Besuche in Kultureinrichtungen zu hochpreisig angeboten werden müsste und Besucher der Einrichtung fernblieben. Sozioökonomische Ziele würden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden, da der gestiegene Preis eine höhere Barriere aufbaut, die nicht jedermann finanziell zu überwinden in der Lage ist. Diese Hürde wird beispielsweise in vielen Münchner Museen sonntags aufgehoben, wenn die Einrichtungen ihre Ausstellungen für einen Eintrittspreis von einem Euro öffnen – ein gegen marktorientiertes Handeln und gegen eine betriebswirtschaftlich realistische Preisgestaltung erscheinendes Vorgehen. Einen Schritt weiter gehen Kunstmuseen europäischer Metropolen, die für den Besuch ihrer Dauerausstellungen generell keinen Eintritt erheben. Die gesammelten Erfahrungen waren durchweg positiv, so Rauterberg: die Besuchszahl verdreifachte sich und kunstferne Besucher fanden den Weg in die Museen. In der kostenlosen Öffnung der Museen sieht Merten gerade bei Einrichtungen, die mit einem Rückgang der Besuchszahlen konfrontiert sind, eine Antwort auf die Blockbuster-Ausstellungen. Er stellt die Frage, inwiefern Einrichtungen, die durch Steuergelder finanziert werden, nicht generell kostenlosen Eintritt gewähren sollten. Kulturpolitisch betrachtet kann eine Verdreifachung der Besuche eine gezieltere Aneignung der kulturellen Kompetenz bedeuten, mindestens aber eine Möglichkeit der Berührung mit Kunst und Kultur durch das Herabsetzen einer Einstiegshürde. Rauterberg und Merten blicken aus einer nicht wirtschaftlich motivierten Perspektive auf die Kultureinrichtungen und ihren Auftrag, doch Klein bezieht eine andere Position, indem er die Forderung nach kostenfreiem Eintritt als höchst unreflektiert bezeichnet.31 Dabei scheint die kostenlose Öffnung eine erste mögliche Maßnahme gegen den in Kapitel 3 erwähnten Dornröschenschlaf sowie eine Maßnahme ohne jedwedes Drumherum zu sein. Auch Schmidt ist bewusst, in welcher finanziellen Situation sich Kultureinrichtungen befinden und untersucht diese Situation am Beispiel deutscher Theater. Er schlägt eine Erhöhung der Eintrittspreise um zehn Prozent vor bei gleichzeitiger Absenkung der Zuwendungen um die Höhe der aus der Preissteigerung erzielten Summe. Doch im Unterschied zu anderen Autoren schaut er weniger absolut auf das Geschehen, indem er nicht alle Theater in Sippenhaft nimmt. Er sieht Unterschiede. Viele Theater können aus Gründen des Standorts eine entsprechende Erhöhung der Eintrittspreise nicht durchsetzen. Ebenso wenig aus sozialen Gründen. Würden diese Theater die Preise lediglich um fünf Prozent anheben, würde der Verwaltungsaufwand zu groß sein, als dass die erzielten

31 Vgl. Rauterberg (2015c), S. 68 und Merten (2017), S. 164 sowie Klein (2011a), S. 213.

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Einnahmen tatsächlich positiv der Einrichtung zugute kommen würden. Demnach schlägt er eine Preiserhöhung um zehn Prozent in den Metropolen vor, da die Preiselastizität dort entsprechend hoch sei – Näheres zur Preiselastizität im Exkurs Generische Strategietypen im öffentlich getragenen Kultursektor in Kapitel 5. Die bei den Metropoltheatern durch Eigenerwirtschaftung freiwerdenden Zuwendungen sollen wiederum den kleineren Theatern zukommen.32 Ein solcher Ansatz ist für die Diskussion förderlicher als grundlegende Pauschalisierungen wie die Forderung nach einer Steigerung der „Selbstfinanzierungsgrade von mindestens 33 Prozent“33. Zwischenfazit Für die Gewährleistung einer Qualität im künstlerischen Angebot und Inhalt sind Zuwendungen vonnöten. Statt sie streichen zu wollen, sollte ein erweitertes Denken in den Kultureinrichtungen – und dem Kulturmanagement – anzutreffen sein, das trotz der Zuwendungen einen realistischen Blick auf Krisen, Probleme und neue Gegebenheiten freigibt. Aus diesem Grund sind Stimmen zu hören, die beispielsweise mit der Begründung einer vermeintlich bei Intendanten anzutreffenden Realitätsferne die Abschaffung des Intendantentums fordern; oder die kritisieren, dass Kuratoren am ehesten für andere Kuratoren Ausstellungen konzipieren und „eher sich und ihre sehr persönlichen Beziehungen zu Kunstwerken [vermitteln] als diese selbst“34. Und es sind des Weiteren Stimmen zu vernehmen, die beanstanden, Steuergelder würden genutzt, um ohnehin gut situierten Personen den Eintritt in Kultureinrichtungen zu ermöglichen, an denen das Gros der Bevölkerung kein Interesse besitzt. Diese Stimmen mögen dann berechtigt sein, wenn beispielsweise bei den Bayreuther Festspiele oder Salzburger Festspiele, in deren Unterhalt erhebliche Zuwendungen für einen Festivalzeitraum nur weniger Wochen des Jahres fließen, die Karten den-

32 Vgl. Schmidt (2017), S. 132f. Den Gedanken Schmidts auf die Komische Oper Berlin angewendet bedeutet auf Grundlage der Spielzeit 2014 / 2015: Erhöhung des durchschnittlich gewichteten Kartenpreis von 48,60 Euro auf 53,46 Euro (+ 10%). Bei Einnahmen aus Kartenerlösen in der anberaumten Spielzeit in Höhe von 6.717.298 Euro würde dies bei gleichbleibender Besuchszahl von 138.216 Besuchen ein Einnahmenzuwachs von 671.730 Euro bedeuten (7.389.027 Euro). Dieses Plus entspricht einem Anteil von 0,1% der Betriebseinnahmen von 9.158.000 Euro (ohne Zuwendungen). Berechnung auf Grundlage der Theaterstatistik 2014 / 2015, vgl. Deutscher Bühnenverein (2016). 33 Haselbach, et al. (2012), S. 183. 34 Weisner (1990), S. 187f sowie Bendixen (2006), S. 103f, 113, 131 und Benz (2017), S. 10f, 67, ebenso Rauterberg (2015b), S. 94.

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noch mehrere Hundert Euro kosten können.35 Somit muss der Blick nicht aufgrund einer Marktverzerrung, jedoch zweifelsohne aufgrund der Angemessenheit und Gerechtigkeit des Zuwendungsflusses auf Förderung erhaltende Kultureinrichtungen ebenso gerichtet werden wie auf jenen Umgang mit den Zuwendungen. Sinn der Zuwendungen kann nicht ihre Funktion als „öffentliches Spielgeld für das Ausleben individueller künstlerischer Ambitionen“36 sein, schreibt Benz. Für ihn müssen die Einrichtungen mit dem ihnen anvertrauten Geld gewissenhaft umgehen, ihren Dienst an der Gesellschaft leisten und eben nicht für die Selbstverwirklichung und Selbstverliebtheit von Kulturschaffenden zur Verfügung stehen. Für das Kulturmanagement beziehungsweise für den Kulturstrategen und dessen Strategie konkretisieren die bisher angeführten Punkte den Kontext, in dem seine Strategie Anwendung findet. So muss er sich des Grenzverlaufs zwischen dem ersten und zweiten Sektor bewusst sein – eben als Gegengewicht gegenüber der immer noch als primäre Bezugsdisziplin geltende Betriebswirtschaft. Er weiß, dass das Unternehmertum in dem öffentlich getragenen Kultursektor keine Anwendung finden kann. Daher sind Zuwendungen wichtig; aber ebenso bedeutsam ist der pflichtbewusste Umgang mit diesen. Zu guter Letzt weiß er, dass eine Besucherorientierung vonnöten ist, eine konsequente Besucherorientierung dem Inhalt von Kunst und Kultur jedoch nicht hilfreich sein kann. Exkurs: Der kommerzielle Kunstmarkt In Die Aura des Wertvollen präsentiert der Kreativ- und Innovationsexperte Mario Pricken den Kreislauf des Kunstmarktes, der bei ihm eine marktwirtschaftliche und nicht kulturell-ideell geprägte Sicht besitzt. Der Zyklus im Detail: Der Künstler glaubt an sich, wird vom Mentor entdeckt und gefördert. Der Galerist entwickelt eine Vision und weckt die Begeisterung des Sammlers. Der Kurator inszeniert Ausstellungen, Experten interpretieren das Werk und veröffentlichen Publikationen über dieses und den Künstler. Auktionshäuser benennen den Wert der Kunst in Zahlen, Museen bekräftigen den Wert, in den Medien und von Kritikern wird der Wert der Kunst in der Öffentlichkeit bezeugt.37

35 Vgl. Sträßner (2011), S. 305. 36 Benz (2017), S.14. 37 Vgl. Pricken (2014), S. 230.

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Neben dem Zyklus an sich versetzen zwei Aspekte in Erstaunen: 1. „Sammlungen oder Museen bestätigen [..] kraft ihrer zweifelsfreien Reputati-

on den Wert [von Kunst, Hervorhebung BJ].“38 Gerade diese zweifelsfreie Reputation ist es, die Experten wie Rauterberg, Zepter oder Piroschka Dossi eben doch zweifeln lassen, da sie eben nicht zweifelsfrei ist. Letztere stellt in ihrem Buch Hype! einen fast identischen Zyklus vor, allerdings mit einem skeptischen Unterton, der sich gegen die Wertdefinition von Kunst durch den Markt ausspricht – eben weil beiden unterschiedliche Wertesysteme zugrunde liegen.39 Grundsätzlich üben die genannten Autoren konstruktive Kritik an den Kultureinrichtungen, im Speziellen an Museen und ihrer nicht spürbaren Rolle in der heutzutage notwendigen Diskussion, was Kunst sei und äußern sich kritisch gegenüber dem Markt und seinen Mechanismen. So schreibt Zepter auf der einen Seite zum Marktgeschehen, „Institutionen hängen am Tropf des Marktes und der Einflussreichen“40, auf der anderen Seite bemängelt sie, „die moderne Idee des Museums, eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Gesellschaft zu spielen, wird heute nicht eingelöst“41. 2. Der Betrachter von Kunst spielt in dem genannten Kreislauf keine Rolle. Zwar wird die „Öffentlichkeit, die das Werk und seinen Künstler durch Ehrfurcht und Anerkennung in seinem Wert bezeugen [soll, Hervorhebung BJ]“42 durch Medien informiert, doch eine wichtigere und gewichtigere – und vor allem die in der Literatur gewünschte aktive und den Inhalt beziehungsweise das Kunstwerk vollendende – Rolle kommt dem Besucher nicht zu. Eine aktive Rolle, die weit über das Erstarren in Ehrfurcht hinausgeht und die den Betrachter befähigt, Anerkennung auszusprechen, wenn diese verdient ist. Ist sie nicht verdient, kann der Betrachter auch sein Missfallen ausdrücken. Der Grundsatz der Aufklärung – Sapere aude!43 – wird durch den Kreislauf von

38 Pricken (2014), S. 230. 39 Vgl. Dossi (2007), S. 22f. 40 Zepter (2015), S. 26. 41 Ebd., S. 134. 42 Pricken (2014), S. 230. 43 Vgl. Kant (2017), S. 7. Kant führt aus: „Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.“ Doch gerade um die Mündigkeit und um das eigene Denken

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Pricken allerdings negiert. Ziel sollte jedoch das Mündigwerden des Betrachters sein. Doch Pricken ist nicht der Einzige, auf den das Faszinosum Kunstmarkt wirkt, wie das Beispiel des Künstlers Damien Hirst deutlich machen soll. Oder vielmehr seine Rolle in demselben. Ullrich prägt für Kunstwerke wie Hirsts in Formaldehyd eingelegten Hai den Begriff Siegerkunst. Sie erfährt ihre Existenz durch einen hohen Preis und durch eine Person, die die Bereitschaft zeigt, jenen hohen Preis zu zahlen. Siegerkunst wirkt oft spröde und kalt. Die Ursache dafür liegt nach Meinung von Ullrich in den Kunstfabriken, denen Künstler wie Ai Weiwei, Olafur Eliasson oder eben Hirst vorstehen und in denen angestellte Handwerker Skizzen erhalten, nach denen sie die Idee des Künstlers realisieren. Kritiker bescheinigen den zeitgenössischen Künstlern eine vom Fließband kommende Kunst, die anderer Natur zu sein scheint als die der Künstlerwerkstätten der Renaissance und des Barocks. Nun sind Skizzen nicht durch die wichtige Kreativitätsphase der Reifung gegangen, weswegen sie eben spröde und kalt erscheinen – die hier nicht weiter zu verfolgende Vermutung kann zugelassen werden, nach der mit fehlender Reife eventuell auch ein Mangel an Aura und Kraft der Werke einhergehe. Um der Siegerkunst ein Gegengewicht zu geben, spricht Ullrich den Kunstmuseen die wichtige Aufgabe zu, die Kunst davor zu bewahren, das Symbol für Macht, Reichtum und Maßlosigkeit zu werden. Denn im Gegensatz zur Siegerkunst ist museale Kunst eine oft von der öffentlichen Hand finanzierte und der Allgemeinheit dienende.44 Der Strategieexperte Martin Kupp greift ebenfalls auf das Beispiel Hirst zurück, um seine Studierenden durch Kunst zum Denken, zum innovativen Denken anzuregen – im Sinne einer Ausbildung zu guten Managern. Er lobt Hirst und dessen Vorgehen, den klassischen Weg über Galerien und Museen zu umgehen und stattdessen rund 230 seiner Werke direkt beim Auktionshaus Sotheby’s zu veräußern.45 Der mit Diamanten besetzte Totenschädel, ein Kunstwerk, das den Titel For the Love of God trägt, wechselte für 75 Millionen Euro den Besitzer – und zwar an Hirst selbst, der der Investorengruppe, die den Schädel ersteigerte, vorstand. Es mag erstaunen, wenn der Anbieter von Werken selbst zum Bieter wird, den Preis somit beeinflusst und schlussendlich den Zuschlag erhält. Weni-

geht es, sodass die Ausführungen von Pricken – und in Kapitel 7 von Koch – als Rückschritt gewertet werden können. 44 Vgl. Ullrich (2016b), S. 14f, 21, 104. So war der Manager Steven A. Cohen bereit, für besagten Hai zwölf Millionen Dollar zu zahlen. 45 Vgl. Braun (2011), S. 60.

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ger in Erstaunen versetzt es, dass Hirst von Kupp ebenso als brillanter Unternehmer denn als Künstler bezeichnet wird: Er erschloss einen neuen Vertriebsweg und revolutionierte so den Kunstmarkt; die Versteigerung seiner Kunstwerke erbrachten in der dreitägigen Auktion 140 Millionen Euro; und: der Künstler entließ wenige Monate nach der spektakulären Auktion die Hälfte seiner Angestellten – eine Schilderung, die bei Ullrich einen negativen Beigeschmack besitzt und Hirst gerade nicht als brillanten Unternehmer erscheinen lässt.46 Zwischenfazit Kunst und Wirtschaft liegen dicht beieinander, beide Welten könnten viel voneinander lernen, dieser Meinung ist Kupp.47 Wenn Kunst und Wirtschaft aber tatsächlich derart nahe beieinander zu liegen scheinen, die Wirtschaft sich allerdings – geht es nach Bendixen – „längst für den Vorrang des Geldes gegenüber den Inhalten entschieden [hat]“ 48, so nimmt es nicht Wunder, dass sich Entwicklungen zeigen, in denen Zahlen – eben auch in Form von Preisen – eine große Bedeutung beigemessen wird. So führt Hirst selbst aus, wichtiger als Rezensionen seien ihm die Preise seiner Kunstwerke.49 Kein Wunder: Je schwieriger die Qualitätsfrage – insbesondere bei zeitgenössischer Kunst – zu beantworten ist, desto mehr dient der Preis als Qualitätssiegel, so Tobias Meyer, Auktionator von Sotheby’s.50 Auch das konkurrierende Auktionshaus Christie’s kommt zu einem ähnlichen Schluss, wenn Dirk Boll hohe Preise über längere

46 Vgl. Ullrich (2016b), S. 115. 47 Vgl. Braun (2011), S. 60. Auch bei Schnurr wird genannt, dass „Kunst eine gefragte Inspirationsquelle für Innovation und Perspektivwechsel in der Wirtschaft [ist]“. Vgl. Schnurr (2016), S. 80ff. Zwar schreibt ebenso Heinrichs, „die Wirtschaft weiß sehr wohl, daß sie Teil der Kultur ist.“ Und dass die „Erfahrungen von Wirtschaftsmanagern im Umgang mit kulturbedingtem Verhalten und kulturbedingten Werten dem Kulturbetrieb nur gut tun [kann]; wie umgekehrt die Wirtschaft davon profitieren dürfte, wenn sie in den Diskurs um kulturelle Werte und Ziele frühzeitig eingebunden wird“. Vgl. Heinrichs (1997), S. 52f. Gerade in dem genannten Beispiel von Kupp und Hirst wird der Künstler gelobt nicht aufgrund seines künstlerisch-kulturellen Verhaltens als vielmehr aufgrund seines unternehmenrischen Tuns. Die Chance, unternehmensfremdes Denken in den managerialen Kontext zu übertragen, wurde vertan. Daher kann man sich des Eindrucks oft nicht erwehren, dass die Betrachtung zu einseitig und zwar zu einseitig durch das Primat der Wirtschaft ist. 48 Bendixen (2009), S. 114. 49 Vgl. Ullrich (2017b), S. 80. 50 Vgl. Merten (2017), S. 35.

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Zeiträume gleichsetzt mit hoher Qualität.51 Diesen Meinungen kann hier indes nicht gefolgt werden, da Aura, Kraft und Resonanz in Mitleidenschaft gezogen würden, würde die Annäherung eine zu große sein. Vielmehr sollten Kunst und Kultur sich ihres besonderen Status sicher sein und um die Grenzen zwischen den Disziplinen wissen; und lernen, dass Wertvolles nicht den finanziellen Interessen untergeordnet werden sollte. Oder mit den Worten Ullrichs: Kunst müsse mit Reinheit assoziiert werden.52 Auch die Wirtschaft sollte erkennen, an welchen Punkten die Grenze zu Kunst und Kultur tatsächlich verläuft. Denn die Bescheinigung Kupps, Hirst diene als Beispiel für Innovation – ungeachtet der Frage, ob der Begriff an dieser Stelle der richtige ist –, reduziert sich bei genauerer Betrachtung lediglich auf die Form, wie beispielsweise die entsprechend der Erlebnisgesellschaft als Event initiierte Auktion. Nicht aber auf seine Kunst. Dem Künstler bescheinigt Rauterberg nämlich trotz manch lobender Worte, er mache seit 20 Jahren dasselbe, ihm falle nichts Neues mehr ein.53 Und wird lediglich das oben angeführte Zitat von Bendixen als Gradmesser genommen, gilt Hirst tatsächlich eher als Unternehmer denn als Künstler und repräsentiert indes nicht die Disziplin Kunst als vielmehr die Disziplin Wirtschaft. Somit dient dieses Zwischenfazit dem Kulturmanagement und -strategen dahingehend, als diese sich selbstbewusst der Ullrich’schen Reinheit widmen müssen. 4.2.2 Perspektive 2: Rezeption, Partizipation und kulturelle Bildung Die Bedeutung, die der Aura, der Kraft und der Resonanz von Kunst und Kultur hier zugesprochen wird und die es – mittels der Fähigkeit Strategie – durch das Kulturmanagement zu unterstützen gilt, trat bereits in Kapitel 3 in der Diskussion des Drumherums in den Vordergrund. Um diese Bedeutung zu unterstreichen, widmen sich die folgenden Ausführungen den Themen Rezeption, Partizipation und Kulturelle Bildung, sehen doch viele Autoren den Kulturbürger in seiner Funktion als Rezipient eben als Vollender eines Kunstwerkes. Diesen

51 Vgl. Timm (2017). Kritisch beleuchtet Merten die negativen Seiten des kommerziellen Kunstmarktes, dessen Strippenzieher eben auch die Auktionshäuser sind: Er sieht Parallelen zwischen dem Agieren an der Börse und dem Agieren auf einer Auktion und kommt zu dem Schluss, dass das, „was Sotheby’s und die Konkurrenten da derzeit treiben, [..] hochriskant [ist]“. Vgl. Merten (2017), S. 159. 52 Vgl. Ullrich (2016b), S. 14. 53 Vgl. Rauterberg (2012). Auch Merten schreibt, Hirst gehöre mittlerweile zu den Marktverlieren mit eher schwachen Werken, vgl. Merten (2017), S. 124, 146.

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Grundgedanken findet man bei Umberto Eco, auf den in der kulturmanagerialen Literatur ebenso häufig Bezug genommen wird wie auf Schumpeter. In Das offene Kunstwerk schreibt Eco, „jede Rezeption ist so eine Interpretation und eine Realisation, da bei jeder Rezeption das Werk in einer originellen Perspektive neu auflebt [Hervorhebung im Original, BJ]“ 54 . Auch der Künstler Marcel Duchamp spricht dem Rezipienten zu, dem Kunstwerk erst durch sein Betrachten zu Lebendigkeit zu verhelfen.55 Dieser publikumsbasierten Theorie steht jedoch eine künstlerbasierte gegenüber. Auf erstere Theorie wird sich von Kulturmanagern aus kulturpolitischer Sicht sicherlich nicht zu Unrecht bezogen, allerdings vervollständigt die zweitgenannte Theorie den Blick auf die Beziehungen zwischen Künstler, Werk und Rezipient und erweitert indes den Verständnisraum in der Frage, was Kunst sei. Die Vertreter der künstlerbasierten Theorie wie beispielsweise Nick Zangwill schließen in der Debatte über das Wesen der Kunst das Publikum aus. Es ist nicht zwingend erforderlich – so Zangwill –, dass ein solches existiert, da ein Künstler ein Werk schafft, das sich durch signifikante Eigenschaften auszeichnet und von ihm als wertvoll erachtet wird, sodass er dieses Werk rational betrachtet schaffen muss. Dementsprechend formuliert der Komponist Arnold Schönberg in seinem 1910 erschienenen Aufsatz Probleme des Kunstunterrichts, er glaube, „Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen“56. An dieser Stelle ist zu erahnen – wenn man der Aussage Schönbergs folgt –, woher die Aura und die Kraft stammen, wenn es weiter über den Künstler heißt: „Er hat keinen Einfluß darauf, von seinem Willen hängt es nicht ab.“57 Nichtsdestoweniger fehlt der Blick auf das Publikum nicht völlig, da ein Künstler, der ein Werk kreiert und kreieren muss, ein Interesse an seiner Kunst gutheißen und es auch bejahen wird, würden die von ihm als signifikant erachteten Eigenschaften seines Werkes von einem Publikum erkannt werden. Die eigentliche Intention des Künstlers ist dieser Theorie nach jedoch das Werk. Das Verschieben des Fokus auf die Interessen des Publikums und auf den beruflichen Erfolg führte, folgt man Suzie Gablick, zu dem Verfall der visuellen Kunst im 20. Jahrhundert – ein interessanter Gedanke, der Hirsts Credo aus kunsttheoretischer Sicht erneut fragwürdig er-

54 Eco (2016), S. 30, ebenso Rauterberg (2015b), S. 160, Rauterberg (2015c), S. 19 sowie Gottschalk (2016), S. 104 und Klein (2011c), S. 8. 55 Vgl. Dossi (2007), S. 233. 56 Schönberg (1910). 57 Ebd.

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scheinen lässt, ebenso die Ausführungen zum Unternehmertum und zur konsequenten Besucherorientierung.58 Das Beispiel Vivian Maier Im Jahr 2008 ersteigerte Ron Slattery für 250 Dollar einen Koffer mit rund 1.200 nicht entwickelten Fotorollen. Schon auf den ersten Abzügen erkannte er die Besonderheit der Motive, die zu sehen waren. Nach umfangreichen Recherchen konnte er die fotografischen Arbeiten der kurz zuvor verstorbenen Maier zuordnen, die einer Tätigkeit als Kindermädchen nachging und in ihrer Freizeit Alltagssituationen im Amerika der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts festhielt. Nach weiteren Funden wurde deutlich, dass mehrere Tausend nicht entwickelter Fotos von Maier existierten. Mittlerweile läuft die komplette kommerzielle Vermarktung ihrer Arbeiten, Rechtsstreitigkeiten wurden ebenso geführt wie die Frage nach dem Wert ihrer Kunst.59 Dieses Beispiel soll die Fragen der publikums- und künstlerbasierten Theorie verdeutlichen unter der Prämisse, dass es sich bei Maiers Fotografien um Kunst handelt: Zu welchem Zeitpunkt wurden ihre Fotos Kunst? Erst als die Arbeiten entdeckt, entwickelt und einem Publikum zugänglich gemacht wurden? Vollendeten die Betrachter der Fotos – allen voran Slattery als Erstbetrachter – die künstlerischen Arbeiten von Maier? Oder waren sie selbst unentwickelt bereits Kunst zu dem Zeitpunkt, an dem Maier ihre Motive lediglich für sich fotografierte? Oder sie gar – im Sinne Schönbergs – fotografieren musste? Eine künstlerbasierte Theorie bezeichnet die „Rolle des Publikums als ein willkommenes Nebenprodukt“60. Dies wird mitnichten den Zielen der Kulturpolitik entsprechen, die den Kulturbürger ins Zentrum rückt, damit dieser unter anderem seiner gesellschaftlichen Aufgabe nachkommt. Diesem Verständnis nach – und aus der Sicht der öffentlich getragenen Kultureinrichtungen argumentiert – spielt das Publikum, der Kulturbürger eine andere als eine Nebenrolle. Ihm kommt eine Hauptrolle zu, die er spielen muss. Er soll als aktiver und mündiger Kulturbürger auftreten, der „Zeit und Geld durch Engagement und [..] Steuern“61 investiert. Nichtsdestoweniger zeigt die Realität sich von einer anderen Seite. Der Kulturbürger erscheint ermüdet und mutlos, so beschreiben Benz, Rauter-

58 Vgl. Zangwill (2013), S. 328f, 341. 59 Vgl. Maloof und Siskel (2014). 60 Zangwill (2013), S. 357. 61 Scheytt (2008), S. 71 sowie Rauterberg (2015c), S. 185, 210.

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berg und Zepter die Situation.62 Hier wird die in Kapitel 3 erwähnte Passivität deutlich, sodass erneut in Bezug auf die Partizipation zu fragen ist, ob ein passives Publikum zur aktiven Teilnahme beziehungsweise – wie in der Literatur gefordert – aktiven Mitgestaltung zu bewegen ist. Und eventuell noch gravierender: Es ist zu fragen, was mit dem Kultursektor und dessen Programmen geschähe, würden sich nur wenige Aktive einbringen. Der bereits diskutierte Kreislauf des kommerziellen Kunstmarktes bei Pricken und die in diesem fehlende Rolle des qualitätsurteilenden Rezipienten unterstützt die von Rauterberg hervorgebrachte Kritik, dass der Rezipient stillschweigend vor unbegreiflicher Kunst verharren solle.63 Doch wie kann dem entgegengewirkt werden? Wie kann dem Kulturbürger zum einen die Aufgabe des Beurteilers zukommen, zum anderen die Kompetenz vermittelt werden, diese Beurteilung vorzunehmen? Gerade die fehlende Einschätzung von Kunst und der nicht geführte Diskurs über sie sind es, die Zepter zu dem provokanten Titel Kunst hassen verleiteten. Sie vertritt die These, bildende Kunst sei aufgrund ihrer erkämpften Autonomie und des nicht gezwungenermaßen notwendigen handwerklichen Könnens in der Lage, selbst alles zur Kunst erheben zu dürfen und so nicht mehr angreifbar zu sein. Sie fordert, Kunst hassen zu dürfen – gerade weil man sie liebe. Denselben Standpunkt vertritt Jan Küveler in Bezug auf das Theater.64 Zwei Kunstsparten, zwei offensichtliche Bedürfnisse nach Veränderung – was sagen Veröffentlichungen dieser Art über die Kulturlandschaft aus, über den Kulturstaat Deutschland? Sie besagen, dass ein Umdenken notwendig ist und dass letzten Endes eine neue Generation kulturmanagerialen Denkens sich dieser Themen und Fragen annehmen sollte; ein Umdenken, das die aufgezeigten Altlasten, Folge- und Übertragungsfehler nicht nur erkennt, sondern – im Rahmen der in Kapitel 3 angesprochenen vierten Phase des Kulturmanagements – auch eliminiert. Was beschreiben jene Veröffentlichungen des Weiteren? Statt mündiger und aufgeklärter Kulturbürger findet man jene vor, die sich „eine subjektive Betrachtung, ein eigenes Urteil nicht zu[trauen], weil es als unqualifiziert gilt“65. Ein partizipatives Kulturmanagement kann indes nur gelingen, wenn die

62 Vgl. Rauterberg (2015b), S. 93 sowie Zepter (2015), S. 42. Dass der Kulturbürger mutlos erscheint, könnte unter anderem daran liegen, dass ihm immer weniger zugetraut wird, wie Benz ausführt: Im Theater wird dem Besucher durch immer realitätsnähere Bühnenbilder der Gebrauch der eigenen Phantasie abgenommen, vgl. Benz (2017), S. 68. 63 Vgl. Rauterberg (2015c), S. 92. 64 Vgl. Küveler (2016), S. 46. 65 Zepter (2015), S. 134.

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Gesprächspartner – eben die Kulturbürger – aufgrund eines entsprechenden Wissens über Mut verfügen, sich an den Diskursen über Kunst und Kultur, über Ästhetik und Qualität zu beteiligen. Der Kulturbürger besäße nämlich den Wunsch nach nachvollziehbaren Maßstäben, nach Beurteilung und Bewertung von Kunst und Kultur, so Rauterberg.66 Dieses Wissen über Kunst und Kultur kann im Rahmen der kulturellen Bildung vermittelt werden und somit erstens dazu führen, bei der Wahl zwischen diversen Freizeitalternativen zugunsten von Kunst und Kultur zu entscheiden; zweitens wird gleichzeitig die Hemmschwelle herabgesetzt, eine Kultureinrichtung aufzusuchen; und drittens kann ein auf Erkennen und Wissen basierendes Vertrautsein mit den verschiedensten Inhalten dazu führen, dass diese und ihre immanenten Werte allein schon ausreichend sind – es indes kein Drumherum größeren Ausmaßes geben muss. Kulturkompetenz ist darüber hinaus verzahnt mit dem Begriff Ästhetik – mit der Lehre des sinnlichen Wahrnehmens. Das Verständnis von und der selbständige Umgang mit Prozessen, Produkten und Phänomenen ästhetischer Natur macht bei Scheytt den Begriff Kulturkompetenz aus.67 In Kapitel 7 wird auf die Ästhetik unter anderem bei einer kurzen Betrachtung der Kunstphilosophie Bezug genommen. Kein Wunder also, dass die Entwicklung kultureller Kompetenz eines der wichtigsten kulturpolitischen Ziele und die Aneignung von Kulturkompetenz elementarer Bestandteil der allgemeinen Bildung ist. Orte dafür können Schulen einerseits, Kultureinrichtungen andererseits sein. Jedoch findet Uecker deutliche Worte für die Forderung nach kultureller Bildung, da er diese „für den größten Quatsch [hält], weil die Teilhabe gar nicht möglich ist, solange die Politik nicht die Grundlage der Bildung dafür schafft“68. Wenn auch der Deutsche Musikrat vor Entwicklungen warnt, wie beispielsweise vor einem Ausfall des Musikunterrichts an Grundschulen in 80 Prozent der Fälle69, ist das Zitat von Uecker dennoch mit Einschränkungen zu versehen: Die Stundentafeln auf der einen Seite als auch die Möglichkeiten der Lehrer, innerhalb des Rahmens, der auf den Stundentafeln basiert, einen musisch-künstlerischen Unterricht zu konzipieren, sind durchaus gegeben – sicher-

66 Vgl. Rauterberg (2015c), S. 66f. 67 Vgl. Scheytt (2008), S. 73f. 68 Experteninterview Uecker (2017), S. 268. Auch Bendixen stellt dar, dass „die neuere Entwicklung auf dem Bildungssektor [...] das Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu haben [scheint], indem den ästhetischen Fähigkeiten nun anscheinend gar keine besondere Bedeutung mehr zugemessen zu werden scheint, vgl. Bendixen (2006), S. 351. 69 Vgl. Gebert (2018).

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lich auch durch ein Nutzen diverser Programme zur kulturellen Bildung, die die Kultureinrichtungen anbieten.70 Der Ball wird mit der Aussage Ueckers somit nicht an die kulturpolitisch Verantwortlichen zurückgespielt: Vielmehr wird deutlich, dass die kulturelle Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die im Schulhaus, in der Kultureinrichtung sowie im Elternhaus zu verorten ist – insbesondere die Kulturaffinität der Eltern ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der eigenen Kulturaffinität.71 Auch in dieser Trias ist bedeutend, dass Inhalte der kulturellen Bildung nicht unter primär wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden dürfen. Dass eine derartige eingeschränkte Sicht jedoch bereits in der Elterngeneration vertreten sein kann, beobachtet Christian Höppner, Generalsekretär des Deutscher Musikrat: Um deren Kinder auf einen zukünftigen Arbeitsmarkt vorzubereiten, wird die Wichtigkeit eher in den „sogenannten harten Fächer[n gesehen] – und das andere ist dann einfach das berühmte Sahnehäubchen“72. Allerdings ist die Wichtigkeit des Anderen – eben der kulturellen Bildung – zu groß, ihr Zutun zum gesellschaftlichen Gesamtkontext zu bedeutend. Karl Ermert erläutert die Folgen einer Betrachtung des Unterrichts aus einer überwiegend wirtschaftlichen Perspektive so: „Bildungsinhalte, die nicht mit dieser ausdrücklichen Zielrichtung [der wirtschaftlichen Verwertbarkeit von Bildungsinhalten, BJ] vermittelt oder in den dafür explizit vorgesehenen Kontexten erworben werden, haben es schwer, abzulesen z.B. an der Randständigkeit der Schulfächer Kunst, Musik und Darstellendes Spiel.“73

Durchaus provokant formuliert werden kann: Wenn das Drumherum in Form von Erlebnis, Spaß und Unterhaltung weiter zunimmt, kann sich der Entwicklung der musischen Fächer hin zu einem Sahnehäubchen auch nicht verwehrt werden, da der Blick auf das eigentlich Wertvolle aus Aura, Kraft und Resonanz versperrt ist.

70 Vgl. Musikinformationszentrum (2008). 71 Vgl. Keuchel (2011), S. 84 sowie Gottschalk (2016), S. 221. 72 Gebert (2018). 73 Ermert (2009). Auch Weiß führt aus, dass es sich bei kultureller Bildung nicht um ein Luxusangebot handelt und unterstreicht die Gefahr, die von einer Marginalisierung künstlerischer Fächer ausgeht. Ihre Empfehlung: die Bedeutung der kulturellen Bildung müsse gehoben werden, vgl. Weiß (2017), S. 15f. Auch Bregman unterstreicht, dass die Bildung der Zukunft der Vorbereitung auf das Leben diene, nicht auf den Arbeitsmarkt, vgl. Bregman (2017), S. 170.

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4.3 ZUSAMMENFASSUNG, REFLEXION UND WEITERES VORGEHEN Die dargestellte Kanonisierung von Unternehmertum und privater Marktwirtschaft ist wenig hilfreich bei der Verbesserung der Situation von Kunst und Kultur in Deutschland. Der Kulturredakteur Thomas E. Schmidt stellt fest, „die Hoffnung, eine dem Marktdruck ausgesetzte Kultur würde bessere Kunst hervorbringen, ist abenteuerlich“74. Wenn allerdings bedacht wird, dass die Werke, die in Museen ausgestellt, Theatern gespielt und in Konzerthäusern gehört werden, mitunter zu Zeiten entstanden sind, in denen die Auftraggeber, wenn nicht über das Werk bestimmten, so es auf jeden Fall beeinflussten, so ist dies nur bedingt beziehungsweise mit dem Zusatz heutzutage korrekt. Denn anders als heute gaben Künstler des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks einem anders zu verstehenden kreativen und schöpferischen Impuls nach und agierten beauftragt von Kirche und Herrscher. Auch Theatergruppen wie die von Shakespeare traten bereits im 16. Jahrhundert marktorientiert auf, das heißt mit einem auf eine tatsächliche Nachfrage gerichteten Angebot. Die Einleitung zu diesem Kapitel 4 stellte es bereits dar: Klassiker, wie beispielsweise jene von Shakespeare und andere, mit einem auf die Nachfrage gerichteten Blick entstandene Werke, wurden heiliggesprochen und als meritorische Güter unter den Schutz der zur damaligen Zeit sich entwickelnden öffentlichen Förderung gestellt. Doch heutzutage diesem zu schützenden Angebot den Schutz zu entziehen, um so auf einem freien Markt ein Interesse für eben jenes Angebot zu wecken, das jedoch ohne den von der Förderung ausgehenden Schutz nicht existieren beziehungsweise ohne diesen allmählich aufgrund eines zu geringen Interesses von der Bildfläche verschwinden würde, ist der falsche Ansatz: Zuwendungen sind existenziell, nichtsdestoweniger gehen mit ihnen große Verantwortungen einher. Kultureinrichtungen und -managern kommen somit vier entscheidende Aufgaben zu, auch in Hinblick auf ihre Strategie und deren Resultat, dem strategischen Plan: 1. Kulturmanagement und -stratege müssen den Bürger für und durch den Inhalt

motivieren und ebenso begeistern, sich an den Diskursen über Kunst und Kultur zu beteiligen – so kann ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Kulturmanagement Bestand haben. Denn: Motivation, so erkannte auch das Kulturmanagement, ist der entscheidende Ansatzpunkt.75

74 T. E. Schmidt (2012). 75 Vgl. Jobst und Borner (2013), S. 216 sowie Colbert (1999), S. 86.

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2. Kulturmanagement und -stratege müssen sich an dem Besucher orientieren –

wenn auch nicht in aller Konsequenz – und ihn in seinem Mündigwerden unterstützen, durchaus auch beizeiten mit der Befriedigung seines – scheinbar – überwiegenden Bedürfnisses nach Erlebnis, Spaß und Unterhaltung. 3. Kulturmanagement und -stratege müssen ihm ebenso seine gesellschaftliche Verantwortung deutlich machen und ihn auf die Gefahr hinweisen, die an dem Punkt zu finden ist, an dem Schule, Ausbildung und andere Bereiche den Marktgrößen zum Opfer fallen und alles lediglich an wirtschaftlichen Leistungen bemessen wird.76 Der Kreis zum ersten Punkt schließt sich an dieser Stelle. 4. Kulturmanagement und -stratege selbst müssen diesen Marktgrößen zum gesellschaftlichen Wohle die Stirn bieten und ein Gegengewicht bilden. Damit, wie Carlo Strenger schreibt, nicht das „ökonomisch Messbare zum einzigen Wertmaßstab“77 wird – eine auch an die Auktionshäuser gerichtete Kritik. Andererseits – und das ist das Paradoxe – müssen Kultureinrichtungen zunächst selbst lernen, sich im Rahmen einer vierten Phase des Kulturmanagements von eben diesen Marktgrößen nicht in die Knie zwingen zu lassen. Daher ist mit alledem eine Pflicht und eine Verantwortung auch auf Seiten des Kulturbürgers verbunden, will er die Hauptrolle, die ihm zugesprochen wird, entsprechend spielen. Das Beleuchten der zwei Zuwendungsarten, die den Inhalt umgeben, wie die Abbildung 5 es zeigte – nämlich die finanzielle und die persönlich rezipierende – nahmen umfangreichen Raum in Anspruch. Dies war in diesem Ausmaße notwendig, um den kulturmanagerialen Kontext mit den Ausführungen dieses Kapitels 4 als auch des Kapitels 3 in einer entsprechenden Detailtiefe zu diskutieren. Allgemeine Äußerungen zu den in der Literatur besprochenen Themen sollten so auf ihre Gültigkeit überprüft werden mit dem Ziel, dem Kulturmanager beziehungsweise dem Kulturstrategen das Feld abzustecken, in dem er seine Fähigkeit Strategie schulen und anwenden kann. Das nächste Kapitel 5 führt zu den primären Bezügen des Strategiebegriffs T, zum Militär und zur Wirtschaft. Die dort vorgestellten Verständnisse dienen als Grundlage für die Entwicklung einer Strategietheorie auf der einen Seite; auf der anderen zeigt es gleichwohl die über den Strategiebegriff T kursierenden Unklar-

76 Vgl. Strenger (2017), S. 25ff. 77 Ebd., S. 40.

112 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

heiten, die Widersprüche, aber auch die Grenzen der Übertragung auf den öffentlich getragenen Kultursektor und eines dort zu etablierenden Strategieverständnisses auf.

5

Die militärische und wirtschaftliche Perspektive

Das Strategieinstitut der Boston Consulting Group blickt aus einer wirtschaftlich geprägten Perspektive auf die Arbeit von Clausewitz und verdeutlicht Parallelen zwischen dem Denken eines Militärstrategen und dem eines Ökonoms. Für das Institut stellt die Arbeit von Clausewitz „den umfassendsten, scharfsinnigsten und modernsten Beitrag zum politisch-militärischen Denken und zur gesamten Strategiediskussion dar“1. Diese Perspektive hinterfragt die Politologin Heuser skeptisch. Für sie führt die Ausweitung des Begriffes Strategie von der Politologie auf die Betriebswirtschaft und generell auf verschiedene Lebensbereiche zu einer uneinheitlichen Verwendung desselben, die „bedauert oder kritisiert oder aber als Tatsache hingenommen werden [kann]“2. Gerade die unvollständigen Bezüge, die die Betriebswirtschaft aus den Gedanken Clausewitz’ ableitet, münden bei Heuser jedoch in einem Unterton des Bedauerns, wenn sie äußert, „Clausewitz-Experten können das schnelle Geld verdienen, wenn sie für Betriebswirte schreiben“3.

5.1

AUFBAU DES KAPITELS

In diesem Kapitel 5 wird zunächst die militärische Perspektive auf den Begriff Strategie erläutert. Dies erfolgt anhand von sieben Attributen, die der Auseinandersetzung mit einer Vielzahl an Definitionen des Begriffs entspringen und die im Anhang zu finden sind. Es handelt sich bei diesen nicht ausschließlich um militärische Definitionen, sodass die Attribute ohne Umschweife auch der wirt1

Oetinger, Ghyczy und Bassford (2014), S. 14.

2

Heuser (2010), S. 50.

3

Ebd., S. 49 sowie Scheuss (2012), S. 69.

114 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

schaftlichen Perspektive zuzuordnen wären – die weiter oben erwähnten inhaltlichen Verquickungen zwischen den Disziplinen werden somit mitunter bekräftigt. Die Attribute finden daher im Unterkapitel 5.3 an entsprechenden Stellen Erwähnung. Letzten Endes dienen sie der allgemeingültigen Theorie, die im folgenden Kapitel 6 entwickelt wird. Bereits an dieser Stelle soll auf die Attribute Unsicherheit sowie Friktion und Zufall als auch Überraschung, Verborgenes und List hingewiesen werden, sind sie es doch, die das in Kapitel 2 beschriebene Mehr des strategischen Plans im Gegensatz zu einem statischen ausmachen und denen die bereits angesprochene Dynamik immanent ist. Die Analyse der Definitionen belegt durch eine Vielzahl an Nennungen dieser die Attribute ausmachenden Aspekte, dass dieses Mehr existiert. Auch wenn das Kapitel 5 prinzipiell der militärischen und der wirtschaftlichen Perspektive gewidmet ist, wird besonders im Unterkapitel 5.3 anhand zweier Exkurse der Bezug zum Kulturmanagement hergestellt und die herausgearbeiteten Grenzen zwischen den Disziplinen betont. Aber auch an anderen Stellen fließen bisher besprochene Aspekte ein. Die kritischen Würdigungen der aufgezeigten Strategieverständnisse T sollen dem Kulturmanager und -strategen helfen, diese differenziert betrachten zu können.

5.2 MILITÄRISCHE PERSPEKTIVE Attribut 1: Weitere Akteure Etymologisch betrachtet setzt sich der Begriff Strategie T aus den altgriechischen Worten stratēgía und ágein zusammen. Zu verstehen ist unter Ersterem die Heerführung, Letzteres bedeutet führen. Bei stratēgós handelt es sich um einen Feldherren; das Heer oder das Lager wird mit dem Wort stratós übersetzt.4 Deduktiv hergeleitet wirkt sich dies folgendermaßen aus:

$ Strategie T ist dem Kriegswesen zuzuordnen. $ Wo Krieg geführt wird, müssen mindestens zwei Akteure vorhanden sein, die gleiche oder ähnliche Ziele aus verschiedenen Perspektiven verfolgen. " Aufgrund dessen ist eine Strategie T ohne einen weiteren Akteur nicht denkbar. Dieses Attribut ist bei allen Militärstrategen – ob nun direkt oder indirekt – zu finden. So ist das gedankliche Zentrum in den Ausführungen von Clausewitz die

4

Vgl. Kluge (2011), S. 890.

Die militärische und wirtschaftliche Perspektive | 115

Existenz eines Gegners, der maßgeblichen Einfluss auf eine Strategie T besitzt. Auf der einen Seite finden sich hier die im Unterkapitel 5.3 zu beschreibenden Grundgedanken der Wettbewerbsstrategie, auf der anderen Seite wiederum die in Kapitel 3 genannten Vorbehalte Bendixens gegenüber der Übertragung von Strategie T auf den kulturmanagerialen Kontext. Der Autor Gunter Maier schreibt dem Clausewitz’schen Verständnis entsprechend, eine „Strategie ohne Antagonisten [sei] keine echte Strategie“5. Allerdings widerspricht er sich im Verlauf seiner Ausführungen: Er stellt mit dem von ihm gewählten Beispiel der Urlaubsplanung dar, wie eine Familie das Projekt Urlaubsplanung strategisch angeht. In einer Fußnote weist der Autor darauf hin, dass „nicht davon auszugehen ist, dass es in diesem Moment einen konkreten Antagonisten gibt, welcher versucht die Aktivitäten der Familie zu durchkreuzen“6. Somit gelingt es Maier, das hergeleitete Attribut der Existenz zweier sich gegenseitig beeinflussender Akteure selbst aufzuheben. Bei der Betrachtung der Konkurrenzverhältnisse in Kapitel 3 klang bereits an, dass in der hier zu entwickelnden Strategietheorie nicht die Existenz eines Gegners, sondern die auftretenden Dynamiken von Bedeutung sind. Attribut 2: Unsicherheit Die Existenz eines oder mehrerer weiterer Akteure führt zu einem Entstehen von Unsicherheit, begründet in der Tatsache, dass das Agieren anderer nicht vorhersagbar ist. Das Entscheidende ist jedoch nicht die Schwierigkeit, das Handeln zu antizipieren sondern vielmehr die „Folge von Unbestimmbarkeiten der Ereignisse, die von intelligenten und mit ausreichenden Mitteln ausgestatteten Gegenspielern verursacht werden“7. Laut Clausewitz ist die Unsicherheit keine „beiläufige Störung von außen [..], sondern ein notwendiger Begleiter jeder Strategie“8. Mit dieser Aussage zerschlägt er jedwede Hoffnung darauf, die zuvor gemachten Überlegungen – vermeintlich abgesichert durch Planung – in Gänze umsetzen zu können. In ihrem Buch Clausewitz – Strategie denken schlussfolgern Oetinger, Tiha von Ghyczy und Christopher Bassford entsprechend: „Der wirkliche Stratege klagt nicht über die Unsicherheit, sondern begrüßt sie als Quell der Inspiration.“9

5

Maier (2015), S. 56.

6

Ebd., S. 107.

7

Oetinger, Ghyczy und Bassford (2014), S. 29.

8

Ebd., S. 28.

9

Ebd., S. 29.

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Attribut 3: Friktion und Zufall Eng verwoben mit dem Begriff Unsicherheit ist in den Ausführungen von Clausewitz der Begriff Friktion. Unter dieser versteht er den „Einfluß unzähliger kleiner Umstände, die auf dem Papier nie gehörig in Betrachtung kommen können [...] und man bleibt weit hinter dem Ziel“10. Im Unterschied zur Unsicherheit, ausgelöst durch das Handeln eines Gegners, beruht die Friktion auf dem Zufall. Friktion ist mit Zufall jedoch nicht gleichzusetzen, vielmehr wird Erstere durch Letzteren ausgelöst, wie Clausewitz am Beispiel des Wetters verdeutlicht: „Hier verhindert der Nebel, daß der Feind zur gehörigen Zeit entdeckt wird, daß ein Geschütz zur rechten Zeit schießt, daß eine Meldung den kommandierenden Offizier findet.“11 Das Wetter kann dem Zufall als nicht beeinflussbarer Variable zugeschrieben werden, die Folge negativer Ereignisse, die aus diesem resultieren, wiederum der Friktion. Unsicherheit und Friktion sind Gründe, wegen derer die Strategie T keine statische Kontur annehmen kann und sich anpassungsfähig zeigen muss. Für einige Militärstrategen erwies sich in vergangenen Tagen der Zufall als ein negativer Begleiter des Krieges und der Strategie T. Heuser konkretisiert, ein Zufall könne sich nach Meinung einiger Autoren störend auf die Empfindlichkeit eines Plans auswirken. Den Zufall durch entsprechende Vorsorge nahezu auszuklammern war angestrebtes Ziel – hier zeigt sich ein historischer Beleg für das von Bendixen über Planung Gesagte, nach dem dieser jedweder Überraschungswert genommen werden soll. Zu jener Zeit sah man in ihm nichts Inspirierendes oder gar eine Chance. Erst Napoleon änderte diese Grundhaltung, wie unter anderem Clausewitz erkannte. Er bemerkte, dass Napoleon den Zufall nicht zu umgehen, sondern zu nutzen versuchte, um – gepaart mit Kühnheit und dem Moment der Überraschung – Erfolge zu erzielen. Der preußische General Gerhard Johann David von Scharnhorst erläutert, der Versuch des Ausschließens des Zufalls führe nicht zu einer Kontrolle des Geschehens als vielmehr zu einer Verstärkung der durch ihn verursachten Auswirkungen.12 Die Definition von Strategie T der Militärhistoriker Williamson Murray und Mark Grimsley fasst das Gesagte zusammen: „Strategie ist ein Prozess, eine andauernde Anpassung an sich verändernde Bedingungen und Umstände in einer

10 Clausewitz (2013), S. 49f. 11 Ebd., S. 50. 12 Vgl. Heuser (2010), S. 126, 149.

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Welt, in der Zufall, Unsicherheit und Unklarheit herrschen.“13 Aus Zufall und Friktion resultiert die Notwendigkeit der Flexibilität. Attribut 4: Überraschung, Verborgenes, List Das Werk Die Kunst des Krieges wird dem chinesischen Militärstrategen Sunzi zugeschrieben. Allerdings ist dessen Existenz nicht belegt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass mehrere Autoren an der Entstehung und Formulierung der Gedanken beteiligt waren, die heutzutage in dem Werk vorzufinden sind und eben jenem Sunzi zugeschrieben werden. Unabhängig davon äußert sich der Autor – ob nun fiktiv oder nicht – an verschiedenen Stellen des Werkes zur Rolle des Geheimen und der Überraschung. So auch in dem mit dem Titel Taktik überschriebenen vierten Kapitel, in dem er ausführt, „wahre Vortrefflichkeit ist es, insgeheim zu planen, sich heimlich zu bewegen, dem Feind einen Strich durch die Rechnung zu machen und seine Pläne zu vereiteln, so daß zumindest der Tag ohne einen Tropfen vergossenen Blutes gewonnen wird“14. An anderer Stelle betont er die Wichtigkeit der Täuschung und bezeichnet die Geheimhaltung jeder taktischen Entscheidung sogar als das höchste Ziel.15 Ähnlich steht es in Die 36 Strategeme des ehrenwerten Herrn Tan geschrieben. Ein Strategem ist eine Kriegslist, durch deren Einsatz das Herbeiführen eines Sieges als höchste Kunst angesehen wird – höher als ein Siegeszug durch Diplomatie oder Kriegskunst. Nicht von ungefähr wird die List daher als Teil des Krieges angesehen. Die Strategeme besitzen anschauliche Namen wie Den Tiger vom Berg in die Ebene locken oder Im Osten lärmen, im Westen angreifen. Der Sinologe Senger, auf den die Sammlung, Übersetzung und Deutung der 36 Strategeme von Tan Daoji zurückgeht, bezieht sich bei letztgenanntem Strategem auf einen Artikel der Zeitung Renmin Ribao. Dort beschreibt ein Reporter das Vorgehen Vietnams im Jahr 1978: Das Land kommunizierte eine permanente Bedrohung durch den Nachbarn China, mit dem eigentlichen Ziel, von den Entbehrungen des eigenen Volkes, verursacht durch das Aufrüsten der eigenen Armee für den bevorstehenden Feldzug gegen Kambodscha, abzulenken.16 Für Senger existieren in den 36 Strategemen jeweils zwei Seiten. Zum einen die

13 Murray und Grimsley: Introduction: Strategy, Cambridge, 1994, zit. nach Heuser (2010), S. 38f. 14 Sun Tsu (2015), S. 39f. Zur unklaren Existenz von Sunzi schreibt der Sinologe Mathieu. Er erläutert ebenso, dass der Name Sunzi den Namen Sun Tsu ablöst, da erstere Schreibweise einem modernen Chinesisch entspricht, vgl. Mathieu (2018), S. 76ff. 15 Vgl. Sun Tsu (2015), S. 21, 58. 16 Vgl. Senger (1996), S. 109.

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Seite des Sichtbaren, zum anderen die des Unsichtbaren. Er schreibt: „In den 36 Strategemen kommt diese Vorstellung [die des Yin und Yang, BJ] insbesondere zum Ausdruck in dem stets vorausgesetzten Zusammenspiel von Sichtbarem, weil im Hellen, und Unsichtbarem, weil im Dunkeln, im Geheimen vollzogenen Planen und Handeln.“17 Beachtenswert ist, dass das Zusammenspiel beider Seiten der Medaille einen grundsätzlichen, keinen beiläufigen Charakter besitzt – bei gleichzeitiger Betonung der angesprochenen Unsicherheit. Das Planen von Überraschendem oder einer List ist aus Sicht des Planenden ein aktiver und intendierter Vorgang, während aus Sicht des weiteren Akteurs es sich um eine passive Konfrontation – und infolgedessen um ein Momentum der Unsicherheit – handelt. Zufällige und somit nicht intendierte Vorgänge treffen alle Akteure jedoch in passiver Weise. Attribut 5: Fokussierung Zur Betonung der Wichtigkeit der Fokussierung auf das Wesentliche zur Erringung eines Sieges bezieht sich Clausewitz auf die Mechanik und beschreibt auf diese Weise das Konzept des Schwerpunktes: „So wie sich der Schwerpunkt immer da findet, wo die meiste Masse zusammen ist, und wie jeder Stoß gegen den Schwerpunkt der Last am wirksamsten ist, wie ferner der stärkste Stoß mit dem Schwerpunkt der Kraft erhalten wird, so ist es auch im Kriege.“18 Laut Heuser ist es nicht eindeutig erwiesen, ob das Konzept des Schwerpunktes auf Clausewitz oder auf den Offizier und Militärtheoretiker Antoine Henri de Jomini zurückgeführt werden kann. Sie stellt die Frage, ob beide unabhängig voneinander dieses Konzept in der Kriegsführung Napoleons entdeckt haben könnten.19 Die Ähnlichkeiten zwischen Clausewitz und Jomini, die Heuser dazu veranlasst, den unklaren Ursprung des Konzepts zu erwähnen, treten hervor, wenn das Konzept des Schwerpunktes von Clausewitz – der selber einräumt, keinen neuen Umgang entdeckt zu haben20 – verglichen wird mit den negativen Folgen, die aus der Vernachlässigung nur eines der drei grundsätzlichen strategischen Prinzipien von Jomini resultieren:21

17 Senger (1996), S. 26f. 18 Clausewitz (2013), S. 176. 19 Vgl. Heuser (2010), S. 24. 20 Vgl. Clausewitz (2013), S. 176. 21 Vgl. Eschenbach, Eschenbach und Kunesch (2008), S. 44 sowie Heuser (2010), S. 22.

Die militärische und wirtschaftliche Perspektive | 119

1. Am entscheidenden Punkt sind die eigenen Kräfte einzusetzen. 2. Durch gute Führung wird die konzentrierte Kraft gegen Teile des Gegners

mobilisiert. 3. Zum richtigen Zeitpunkt ist mit entsprechender Kraft gegen den Gegner vorzugehen. In ihrem Werk Den Krieg denken nimmt Heuser an zwei Stellen Bezug auf Sunzi, jedoch erwähnt sie dessen Ausführungen zum Schwerpunkt nicht. Dabei trägt das sechste Kapitel in Die Kunst des Krieges die Überschrift Schwache und starke Punkte und beginnt sogleich mit der Aufforderung, „die Wissenschaft der schwachen und starken Punkte [zu nutzen], damit der Vorsturm deiner Armee den Feind trifft, als würde ein Mahlstein auf ein Ei treffen“22. Unabhängig davon, auf wen die Entdeckung des Schwerpunktes zurückzuführen ist: Ausschlaggebend ist, die Konzentration auf entscheidende Punkte zu richten. Kurzum: den Fokus korrekt zu setzen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, nicht im Fokus liegende Aspekte weniger zu beachten; oder diese überhaupt nicht zu beachten. Die als Element des Strategierens in Kapitel 6 vorzustellende Tätigkeit des Entscheidens, die auch von den Vertretern der wirtschaftlichen Perspektive im folgenden Unterkapitel 5.3 hervorgehoben wird, kann indes auf die Konzepte der Schwerpunkte beziehungsweise der Fokussierung zurückgeführt werden. Attribut 6: Zweck, Mittel, Ziel Aufgrund der Analyse vergangener Feldzüge verdeutlicht sich für Clausewitz das Zusammenspiel von Zweck, Mittel und Ziel. Einher mit diesem geht die auf ihn zurückgehende und vielzitierte Aussage, der Krieg „sei eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“23. Diese wurde in der Vergangenheit häufig falsch wiedergegeben, wie Oetinger, Ghyczy und Bassford betonen. Sie wurde dahingehend interpretiert, als sei die Kriegsführung eine von vielen Möglichkeiten, politische Ziele zu erreichen und entspräche somit einem normalen Vorgehen.24 In der Gesinnung von Clausewitz kommt dem Krieg allerdings eine untergeordnete Rolle zu: Die Politik und somit der politische Zweck fällt die Entscheidung, ob und in welchem Ausmaß ein Krieg geführt wird. Das Militär ordnet sich der Politik unter, eine willkürliche Kriegsführung soll so nicht möglich sein. Im achten Band von Vom Kriege formuliert Clausewitz, „man [fange] kei-

22 Sun Tsu (2015), S. 53. 23 Clausewitz (2013), S. 22. 24 Vgl. Oetinger, Ghyczy und Bassford (2014), S. 195.

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nen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen will, das erstere ist der Zweck, das andere das Ziel“25. Ist beides definiert, stellt sich die Frage nach den Mitteln, mit Hilfe derer die auf dem Zweck fußenden Ziele erreicht werden sollen – der Krieg kann hierfür ein Mittel sein. Clausewitz’ Zutun zur Diskussion um das Wesen der Strategie T erfährt die Anerkennung von Heuser. Dennoch äußert sie sich skeptisch zu den Verdiensten, die ihm bezüglich der Verknüpfung von Politik und Krieg zugesprochen werden und die ihn so berühmt haben werden lassen.26 Auch der Althistoriker Johannes Kromayer artikuliert Kritik an dem Gedanken von Clausewitz, die Politik lege lediglich ein Ziel fest. In Abhängigkeit von Erfolg und Misserfolg würden die Ziele von Krieg und Politik und mit ihnen die Strategie T Änderungen erfahren, die es zu berücksichtigen gelte, die Clausewitz aber nicht zu bedenken scheine.27 Zwei Aspekte erweisen sich hierbei als unbeachtet: 1. Legt man Clausewitz’ Definition von Strategie T als den „Gebrauch des Ge-

fechts zum Zwecke des Krieges“28 zugrunde, so zeigt sich in ihr die strategieimmanente Flexibilität. Aufbauend auf dem Ausgang des Gefechts – ob Sieg oder Niederlage – muss die Strategie T dem politischen Zweck angepasst werden. Darüber hinaus erwächst aus Friktion und Unsicherheit die Notwendigkeit, dass „die Strategie mit ins Felde ziehen muß, um [...] für das Ganze die Modifikationen zu treffen“29. Hierbei geht es nicht um taktische Korrekturen im Gefecht, sondern um den Blick auf das Ganze, auf das entstehende Gesamtsystem, das als nächstes Attribut erläutert wird. 2. Clausewitz sieht die Notwendigkeit zur Anpassung von Zielen und Zwecken und schreibt: „Fragen wir zuerst nach dem Ziel, worauf der ganze Krieg gerichtet werden muß, um für den politischen Zweck das rechte Mittel zu sein, so werden wir dasselbe ebenso veränderlich finden, als der politische Zweck und die eigentümlichen Verhältnisse des Krieges es sind.“30 Für ihn sind Ziele, ebenso der politische Zweck und der Krieg, Veränderungen unterworfen.

25 Clausewitz (2013), S. 204. 26 Vgl. Heuser (2010), S. 18, 23, 34. 27 Vgl. Kromayer: Waren Hannibal und Friedrich der Große wirklich Ermüdungsstrategen?, Berlin, 1925, zit. nach Heuser (2010), S. 215. 28 Clausewitz (2013), S. 77. 29 Ebd. 30 Ebd., S. 23.

Die militärische und wirtschaftliche Perspektive | 121

Auch der Stratege Ralph Scheuss äußert sich zur Notwendigkeit der Ziel- und Zweckveränderung im Clausewitz’schen Sinne: „Ziele ändern sich im Verlauf immer wieder, der Zweck ist viel beständiger.“31 Zweifelsohne sieht er Unterschiede zwischen der Anpassung von Zielen und der eines Zwecks. Erstere erfahren häufiger als Letzterer eine Korrektur. Scheuss wählt bei der Beschreibung des Zwecks den Komparativ beständiger. Anders als der Positiv beständig – der Zweck ist beständig – bringt die Steigerungsform des Adjektivs zum Ausdruck, dass Veränderungen seltener anzutreffen sind als bei Zielen, ein Zweck jedoch nicht unveränderlich festgelegt sein muss. Attribut 7: Gesamtsystem Zu lesen ist bei Sunzi, dass aus der Strategie T ein Gesamtsieg entstehen kann. Abzuleiten ist demnach die Rolle, die ihr zukommt – sie dient etwas Größerem. Sunzi gibt eine Begründung, weshalb der Begriff Strategie schwer zu fassen ist oder sogar verwirrend sein kann. Mehr noch: Das folgende Zitat bekräftigt die hier vertretene These, nach der Strategie eine Fähigkeit ist; beziehungsweise wird die Beweisführung jener These, die auf der Prämisse fußt, Strategie als etwas Nichtsichtbares zu verstehen durch das Zitat bekräftigt: „Alle Menschen können die einzelnen Taktiken sehen, die eine Eroberung möglich machen, doch fast niemand kann die Strategie sehen, aus welcher der Gesamtsieg entwächst.“32 Dies ist der Grund, weswegen er nicht darlegt, was seinem Verständnis nach eine Strategie ist. Kennzeichnend ist – betrachtet man obiges Zitat genauer –, dass Strategie T aus einzelnen Taktiken besteht. In dem hier aufgezeigten Sinne heißt dies, der strategische Plan als Ergebnis von Strategie besteht aus einzelnen Taktiken, die wiederum in Kapitel 6 definiert werden als aus dem potenziell Seienden geschöpfte Maßnahmen, die in sich stimmig sind und somit den Weg weisen von einem Start- hin zu einem Zielpunkt. Anzunehmen ist, dass Sunzi aus diesem Grund der Taktik – ebenso den taktischen Varianten – je ein eigenes Kapitel widmet, nicht aber der Strategie T. Es verwundert diesbezüglich die Aussage des Sinologen Jean Levi, der als Übersetzer und Kommentator von Die Kunst des Krieges äußert, ein General bliebe für andere selbst undurchschaubar, wenn dieser die Dialektik des Sichtbaren und Unsichtbaren beherrsche, jedoch stünde „die Strategie des Feindes ihm glasklar vor Augen“33. Die Verwunderung entsteht, da zu hinterfragen ist, wieso der Sinologe das von Sunzi Gesagte nicht berücksichtigt, im Gegenteil sogar die Rede von einem glasklaren Blick auf die

31 Scheuss (2012), S. 71. 32 Sun Tsu (2015), S. 58. 33 Levi und Duru (2018), S. 3.

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Strategie T ist. Allerdings muss dem Wort fast in dem Zitat von Sunzi kurz Aufmerksamkeit geschenkt werden, sagt es doch aus, dass es Personen geben könnte, die die Strategie sehen könnten. Vor dem hier entwickelten Hintergrund kann der Aspekt jedoch aus folgenden zwei Gründen vernachlässigt werden: Erstens kann eine Strategie nicht sichtbar sein, wenn Unvorhergesehenes mitbedacht wird; und zweitens würde selbst in dem Fall, in dem der Aussage von Levi zugestimmt wird, die Strategie glasklar vor dem inneren Auge des Generals entstehen – und indes nicht sichtbar sein. Pathetisch formuliert Clausewitz die in einem Gesamtsystem mündende Verbundenheit der Elemente als „geräuschlose Harmonie des ganzen Handelns“34. Im seinem Denken wird der Begriff Strategie deutlich durch die Abgrenzung zum Begriff Taktik. Die Taktik ist seinem Verständnis nach „de[r] Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht“35. Aus diesem und der im Attribut 6 genannten Definition von Strategie T ergibt sich, dass im Aufeinandertreffen mit dem Gegner taktisches Agieren vonnöten ist, um auf diesen zu reagieren. Den Ausgang eines Gefechts lässt die Strategie T in weitere Überlegungen einfließen. Sie bestimmt „den Punkt, auf welchem, die Zeit, in welcher, und die Streitkräfte, mit welchen gefochten werden soll [Hervorhebungen im Original, BJ]“36. Die Abbildung 7 visualisiert die Zusammenhänge. Kennzeichnend ist, dass Strategie T bei ihm die gedanklichen Vorbereitungen trifft – immer in dem Wissen, dass Unsicherheit und Friktion noch so gründliche Überlegungen durchkreuzen können – ein elementarer Punkt für die Unterscheidung zwischen einem strategischen und einem statischen Plan.

34 Clausewitz (2013), S. 77. Für Clausewitz besteht eine Strategie T aus einzelnen Elementen, die er wie folgt gliedert: Moralische Elemente: Geistige Eigenschaften; physische Elemente: Größe der Streitkräfte, Zusammensetzung, das Verhältnis der Waffen; mathematische Elemente: konzentrische und exzentrische Bewegungen; geographische Elemente: Einfluss der Natur; statistische Elemente: Mittel des Unterhalts. Zur Schulung des Denkens empfiehlt er, diese zunächst getrennt voneinander zu betrachten, um deren stärkeren oder schwächeren Einfluss auf die Strategie T herauszuarbeiten. Gleichzeitig spricht er die Warnung aus, diese Elemente separat abzuhandeln, da sie in vielfältiger Weise miteinander verbunden sind, vgl. Clausewitz (2013), S. 79. 35 Ebd., S. 53f. 36 Ebd., S. 88.

Quelle: Eigene Darstellung

Gefecht X

Gefecht 2

Gefecht 1

Strategie

Erfolg – 
 = Niederlage

Erfolg + 
 = Sieg

Gefecht X

Gefecht 2

Gefecht 1

Strategie

Erfolg – 
 = Niederlage

Erfolg + 
 = Sieg

Zeit

Gefecht X

Gefecht 2

Gefecht 1

Strategie

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Abbildung 7: Das Verständnis von Strategie und Taktik bei Clausewitz

Taktik

Taktik

Taktik

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5.3 WIRTSCHAFTLICHE PERSPEKTIVE 5.3.1 Wettbewerbsstrategien Grundlegend für die Art des wettbewerbsorientierten Denkens als Repräsentant des Attributs 1 Weitere Akteure ist die Arbeit Wettbewerbsstrategie von Porter, die 1980 erschien. Im Zentrum steht der Blick auf den Wettbewerb innerhalb einer Branche. Diese nach außen gerichtete Sicht – auch marktorientierte Sicht genannt – geht der Frage nach, welche Position ein Unternehmen in einer Branche oder in einem Markt besetzen kann. Strukturanalyse, Branche und Generische Strategietypen Antworten auf jene Frage liefert das zentrale Instrument von Porters Strategiekonzept, das Fünf-Kräfte-Modell. Es dient der Strukturanalyse einer Branche und beschreibt deren Attraktivität anhand der Ausprägung der Rivalität zwischen den Wettbewerbern.37 Der Autor geht bei einer Branche von „einer Gruppe von Unternehmen aus, die Produkte herstellen, die sich gegenseitig nahezu ersetzen können“38. Über den Grenzverlauf einer Branche wurden viele Diskussionen geführt, die nicht selten in der Sorge begründet waren, den Wettbewerb falsch einzuschätzen und potenzielle Gefahren für Unternehmen zu übersehen. Porter führt aus, die Strukturanalyse helfe dabei, den „Wettbewerb als ein weites Phänomen [anzusehen], das über die bestehenden Konkurrenten in der Branche hinausgeht“39. Dieses Hinausgehen über die Branchengrenzen bedeutet ein Entscheiden, an welchen Schnittstellen die Grenzen verlaufen sollten. Ist die Branche definiert, sind deren Grenzen gezogen, gibt es laut Porter drei Möglichkeiten, den Wettbewerb innerhalb ihrer zu führen und die in den von ihm entwickelten Generischen Strategietypen zusammengefasst sind.40

37 Die fünf Wettbewerbskräfte sind: Gefahr des Markteintritts, Druck durch Substitutionsprodukte, Verhandlungsstärke der Abnehmer, Verhandlungsstärke der Lieferanten und Grad der Rivalität unter bestehenden Wettbewerbern. Die Reihenfolge der Wettbewerbskräfte wurde – anders als bei Porter zu finden – verändert zugunsten der Auswirkungen der Kräfte 1 bis 4 auf den Grad der Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern. Für detailliertere Ausführungen vgl. Porter (2013) sowie Johnson, Scholes und Whittington (2011) und Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), ebenso Eschenbach, Eschenbach und Kunesch (2008). 38 Porter (2013), S. 39. 39 Ebd., S. 71. 40 Vgl. ebd., S. 73.

Die militärische und wirtschaftliche Perspektive | 125

1. Branchenweite Kostenführerschaft – Für ein Unternehmen, das eine umfas-

sende Kostenführerschaft zum Ziel hat, werden „niedrigere Kosten im Verhältnis zu den Konkurrenten zum Roten Faden der gesamten Strategie“41. Im Fokus stehen Effektivität und Effizienz. Ursachen für niedrige Kosten können beispielsweise Lerneffekte sein. 2. Branchenweite Differenzierung – Basiert der Strategietyp der Kostenführerschaft auf einem Günstigersein als andere, gilt es bei der Differenzierung, besser oder anders zu sein als andere. Dieses Bessersein kann auf unterschiedlichen Merkmalen gründen, wie der Innovationsfähigkeit, einer hohen Qualität, einem ansprechenden Design oder einem kundennahen Service. Für dieses Mehr an Neuerung, Qualität und Service sind Kunden gewillt, „einen höheren Preis zu bezahlen [...], wenn ihre Bedürfnisse besonders gut befriedigt bzw. ganz neue Formen der Bedürfnisbefriedigung geboten werden“42. 3. Schwerpunktsetzung auf eine Nische – Die Verfolgung eines bestimmten Ziels innerhalb einer Nische, die beispielsweise durch Zielgruppen, durch Produktgruppen oder durch geografische Grenzen definiert sein kann, steht im Fokus der Unternehmung. Nur die Entscheidung für eine der drei Strategietypen – Kostenführerschaft, Differenzierung oder Schwerpunktsetzung – ist für Porter eine erfolgreiche Positionierung. Ist diese nicht eindeutig, spricht er von einer Position zwischen den Stühlen. Diese kann laut seiner Ausführungen nicht zu einer erfolgreichen Stellung am Markt führen. Er empfiehlt, sich „so eindeutig wie möglich zwischen den drei Alternativen [zu] entscheiden, um sich nicht zwischen den [...] inhärenten Widersprüchen unterschiedlicher Strategien zu verheddern“43. Kritische Würdigung der Wettbewerbsstrategien Eine Reinform der Generischen Strategietypen ist in der Praxis nur selten anzutreffen. Sogenannte Hybridstrategien T verbinden die Kostenführerschaft mit der Differenzierung und schaffen besonders erfolgreiche Unternehmen durch das Auflösen des Dilemmas zwischen den beiden Positionen. Zwei Ausprägungen werden hierbei unterschieden: die sequenzielle und die simultane Hybridstrategie T. Bei Ersterer folgt entweder eine Differenzierung auf eine Kostenführerschaft oder eine Kostenführerschaft auf eine Differenzierung. Es liegt eine zeitliche Entkopplung beider Strategietypen vor. Als Beispiel nennt Scheuss die Ein-

41 Porter (2013), S. 74. 42 Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 122. 43 Porter (2012), S. 16.

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führung des Walkman durch Sony: Zunächst wurde das Gerät hochpreisig, exklusiv und im Wettbewerb differenzierend positioniert, um zu einem späteren Zeitpunkt, als weitere Anbieter mit ihren Modellen des Walkman in Erscheinung traten, den Preis durch Optimierung der Kosten zu senken und so als Kostenführer den Markt zu dominieren.44 Der umgekehrte Weg, zunächst als Kostenführer aufzutreten und nach dem erfolgreichen Gewinnen von Marktanteilen differenzierend den Wettbewerb zu gestalten, ist ein geeignetes Vorgehen, um den Eintritt in einen bis dahin nicht erschlossenen Markt zu ermöglichen.45 Bei der simultanen Hybridstrategie T werden beide Strategietypen zeitgleich umgesetzt. Die Umsetzung ist besonders herausfordernd, da das Risiko besteht, in beiden Ausprägungen nur Mittelmaß zu erreichen.46 Dieser Spagat ist dem Möbelkonzert Ikea gelungen: In Bezug auf die Ausrichtung des Marketing, auf die Produktpalette oder auf das Betreiben der Einrichtungshäuser tritt der schwedische Möbelhersteller differenzierend auf. Kosteneinsparungen, die beispielsweise auf geringe Personalkosten zurückzuführen sind, da die Kunden von Ikea es akzeptieren, auf umfangreiche Beratung zu verzichten, die Möbel selbst aus dem Lager zu holen und nach Hause zu bringen, werden als niedrigere Preise an die Kunden weitergegeben. In dem in Kapitel 1 erwähnten und 1996 in der Harvard Business Review erstmals erschienen Artikel mit dem Titel Was ist Strategie? führt Porter selbst das Beispiel des Unternehmens Ikea an, jedoch nicht, um dessen strategische Arbeit als Hybridstrategie T zu beschreiben, sondern um die Weiterentwicklung der Generischen Strategietypen aufzuzeigen. 47 Eine seiner Thesen, die in dem Beitrag zu finden ist, besagt, Strategie T basiere auf Einzigartigkeit. Im Falle von Ikea bestünde diese Einzigartigkeit, wie er beschreibt, darin, dass es Tätigkeiten anders ausführt als konkurrierende Möbelhersteller, indem wenig Service, dafür aber preiswerte Möbel angeboten werden.48 Deutlich wird an dieser Stelle, dass die Einzigartigkeit von Ikea – folglich dessen Diffe-

44 Vgl. Scheuss (2012), S. 153. 45 Vgl. Johnson, Scholes und Whittington (2011), S. 286. 46 Vgl. Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 124. 47 Dreh- und Angelpunkt der Weiterentwicklung ist die Differenzierung: „Es kommt auf die Unterschiede im Leistungsangebot an, also auf die Differenzierung“, schreibt Porter und nennt drei Zugänge, die Unterscheidungen deutlicher herauszustellen. Produkt- oder Servicevarianten: Verzicht auf branchenübliche Merkmale von Produkten und Dienstleistungen. Kundenbedürfnisse: Befriedigung der meisten oder sogar aller Kundenbedürfnisse. Kundenzugang: Differenzierte Kommunikation mit Kunden trotz identischer Bedürfnisse, vgl. Porter (2012), S. 10f. 48 Vgl. Porter (2012), S. 8f.

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renzierung – auf der Minimierung von Kosten besteht, die in Form von geringeren Preisen an die Kunden weitergegeben werden. Porter selbst zeigt Möglichkeiten der Auflösung des Dilemmas des Zwischen-den-Stühlen-Sitzens, ohne zu realisieren, dass er seine Argumentation mit eigenen Ausführungen schwächt. Diese Ungenauigkeit widerfährt ihm selbst bei der Beschreibung der Schwerpunktsetzung auf eine Nische in Wettbewerbsstrategien: „Im Ergebnis erzielt das Unternehmen entweder eine Differenzierung [...] oder niedrigere Kosten bei der Verfolgung des Zieles – oder beides zusammen [Hervorhebung BJ].“49 Anscheinend ist ein Zwischen-den-Stühlen-Sitzen wenigstens in dem Generischen Strategietyp 3, in der Fokussierung auf Nischen, durchaus möglich. Grundsätzliche Kritik richtet sich auf einer allgemeinen Ebene auch gegen die Strukturanalyse von Porter, da ein ausreichend empirischer Nachweis über den Einfluss der Branchenstruktur auf die Rentabilität ebenso wie eine theoretische Fundierung zu fehlen scheinen. Das Modell besitzt des Weiteren einen statischen Charakter und lässt dynamische Entwicklungen, die durch ein von Wettbewerb geprägtes Umfeld mit diversen Akteuren entstehen, außen vor. Kognitive und damit subjektive Prozesse werden von ihm zugunsten einer objektiven Sicht auf die Branche in seinem Modell nicht berücksichtigt. Weiterhin wird kritisiert, dass der Einfluss des Staates in der Strukturanalyse nicht berücksichtigt wird.50 In dem Vorwort zur 10. Auflage seines Buches Wettbewerbsstrategie nimmt Porter zu diesem Punkt beziehungsweise zu der Forderung um eine Ergänzung seines Fünf-Kräfte-Modells um den Staat als eine sechste Kraft explizit Stellung, wenn er ausführt, „dass die Rolle von Staat oder Technologie nicht isoliert, jedoch mittels der fünf Kräfte verstanden werden kann“51. Dies wird deutlich in seinem Beitrag Wie die Kräfte des Wettbewerbs Strategien beeinflussen. Als Teil der auf den Wettbewerb einwirkenden fünf Kräfte sieht er die gesetzlichen Bestimmungen des Staates durch die Kraft Gefahr des Markteintritts definiert. Durch „spezielle Kontrollmechanismen [kann der Staat] den Eintritt in eine Branche beschränken oder Wettbewerber ausschließen“52. Oder im Rückblick auf das Kapitel 4: Im Falle des ersten Sektors können in diesem durch die Zuwendungen der öffentlichen Hand meritorische Güter geschützt werden.

49 Porter (2013), S. 78. 50 Vgl. Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 62 sowie Scheuss (2012), S. 149. 51 Porter (2013), S. 18. 52 Porter (2015), S. 26.

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Der Strategiebegriff bei Porter Die beschriebenen Möglichkeiten, in einem Wettbewerb zu agieren, bezeichnet Porter als Generische Strategietypen, nicht als Generische Strategien T. Dass eine Unterscheidung zwischen Strategietyp und Strategie T existiert, wird noch deutlicher durch seine Formulierung, es gäbe „drei erfolgversprechende Typen strategischer Ansätze“53. Gleichzeitig benutzen er und weitere Autoren wie Mintzberg an anderer Stelle in ihren Beschreibungen wiederum den Begriff Generische Strategien T und nicht Generische Strategietypen.54 Dies ist insofern verwunderlich, als Porter selbst ausführt, die „allgemeinen Strategietypen [müssen] in gezielte Strategien“55 überführt werden. Es liegt folglich ein Unterschied zwischen Strategietypen, die „konzeptionelle Unterschiede auf allgemeinster Ebene“56 beschreiben und ausgearbeiteten Strategien T vor. Nichtsdestoweniger ist in der Literatur der Begriff Strategietyp in dem der Strategie T aufgegangen beziehungsweise bleibt die Literatur nicht konsequent bei dieser deutlichen und wichtigen Unterscheidung. Wichtig ist diese, weil es sich bei einem Typus lediglich um eine Grundform handelt. Daher schlägt Porter zunächst eine dienliche Richtung ein, um Strategie T von einem Strategietypen zu unterscheiden. Jedoch bleibt er sich in letzter Konsequenz nicht treu. Dabei wäre es diese konsequente Differenzierung der Begriffe, die mehr Klarheit in die auch von ihm gestellte Frage bringen könnte, was Strategie sei. Handelt es sich bei Kostenführerschaft, Differenzierung und Fokussierung um Strategietypen, so entsteht nach Porter aus den strategischen Typen eine Strategie T durch eine „in sich stimmige Anordnung von Aktivitäten, die ein Unternehmen von seinen Konkurrenten unterscheidet“57. Das Attribut 1 Wettbewerb, das Attribut 5 Fokussierung, das Attribut 6 Zweck, Mittel, Ziel sowie das Attribut 7 Gesamtsystem zeigen sich in seiner Definition.

53 Porter (2015), S. 73. 54 Vgl. Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 144 sowie Porter (2012), S. 9. 55 Porter (2013), S. 73. 56 Ebd., S. 201. 57 Porter (2010), S. 15. In Porters Definition zeigt sich nicht nur durch den Begriff Unternehmen, dass der Weg zur Strategie T für Individuen versperrt bleibt – das differenzierende Moment spielt im persönlichen Alltag keine derartige Rolle, wie es dies im Kontext der Wettbewerbsstrategien tut.

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Exkurs: Generische Strategietypen im öffentlich getragenen Kultursektor Überträgt man Porters Konzept der Generischen Strategietypen auf den Kultursektor und stellt eine Verbindung zu dem Szenario Veränderungen der Preisstruktur des Kapitels 4 her, zeichnet sich folgendes Bild: Kostenführer ist diejenige Kultureinrichtung, die Reduzierungen auf Kostenseite in Form von geringeren Preisen an den Kunden weitergibt. Für diesen ist der Preis das ausschlaggebende Argument, seine Kaufentscheidung zwischen zwei Optionen zu realisieren. Es wird die These aufgestellt, dass die Kostenführerschaft im öffentlich getragenen Kultursektor keine derartige Rolle spielt. Auch wenn Gottschalk anmerkt, „der Preis [wurde] als Marketingfaktor bisher bei Kulturanbietern erst ansatzweise erkannt“58, spielt er vor dem Hintergrund dieser These eine sekundäre Rolle, da der öffentlich getragene, der Zuwendungen erhaltende Kultursektor mit nichtrealistischen Preisen operiert, sodass dieser – anders als in der Privatwirtschaft –, als Marketing- und Wettbewerbsfaktor eine untergeordnete Rolle spielt. Mehr noch: Kulturaffine Personen besitzen eine Unelastizität gegenüber dem Preis, solange dieser eine gewisse Grenze nicht überschreitet. Sie nehmen Mühen auf sich, um in den Kulturgenuss zu gelangen und gehen keine Kompromisse ein.59 Demnach sind zwei Arten von Alternativen zu unterscheiden, bei denen der an Kultur Interessierte sich kaum durch den Preis verleiten lassen wird:

58 Gottschalk (2016), S. 241. Der Vollständigkeit halber muss ergänzt werden, dass dieser Gedanke nur belastbar ist, wenn es sich beim Kulturnachfrager um eine Privatperson handelt. Ist zum Beispiel eine Organisation auf der Suche nach einem Veranstaltungsort, kann eine Kultureinrichtung aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Zuwendungen ihre Räumlichkeiten zu günstigeren Mietkonditionen als privatwirtschaftliche Mitbewerber anbieten, da sie von diesen Einnahmen nicht abhängig ist. Wird der Blick auf den privatwirtschaftlichen Sektor gerichtet, so ist durchaus zu konstatieren, dass beispielsweise Konzertveranstalter mitunter kostengünstigere Klangkörper buchen. So werden unter anderem Chöre aus dem Ausland engagiert, da diese nicht dem TVK unterliegen und kostengünstiger sind. 59 Vgl. Colbert (1999), S. 32, 144f, 155. Gestützt werden die Gedanken zur Rolle des Preises durch Folgendes: Wenn auch Befragungen ergeben, hohe Kartenpreise hielten von einem Kulturbesuch ab, so müssten beispielsweise kostengünstigere Formate wie die Live-Übertragung von Opern in Kinos ein höheres Besuchsaufkommen unter kulturaffinen und opernliebenden Personen auslösen – dies konnte jedoch nicht bestätigt werden, vgl. Reuband (2013), S. 236.

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1. Die Alternative zwischen unterschiedlichen Kultureinrichtungen und gleichen

Programmen. 2. Die Alternative zwischen unterschiedlichen Programmen innerhalb einer Kul-

tureinrichtung. Handelt es sich bei dem Genannten um eine Entscheidung für eines von zwei Programmen, erfährt der Gedanke auf der anderen Seite eine Komplettierung durch zwei weitere Aspekte: 3. Die Alternative zwischen Besuch und Nichtbesuch. 4. Die Alternative zwischen kostenlosem und kostenpflichtigem Eintritt.

Zu 1 Kommt ein bestimmtes Programm in zwei unterschiedlichen Einrichtungen zur Aufführung, wird der Interessent sich in den meisten Fällen nicht für die kostengünstigere Karte entscheiden. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle wie beispielsweise die Inszenierung, der Dirigent oder die Einrichtung selbst. Eine Ausnahme könnte sein, dass die Preise der zu vergleichenden Programme eine zu große Differenz aufzeigen. Diese wird jedoch durch grundsätzlich unrealistische Preise im kulturellen Sektor im nicht geringen Ausmaß aufgefangen. Zu 2 Auch hier wird ein Besucher aus selbigen Gründen wie im Fall 1 nicht das günstigere Programm innerhalb eines Hauses wählen, nur da der Preis ein geringerer ist. Zu 3 Sollte ein Preis grundsätzlich zu hoch sein, könnte ein Besuch ausbleiben. Eine Abwägung zwischen zwei Alternativen – wie in den Fällen 1 und 2 beschrieben – bliebe aus. Zu 4 Auch bei dieser Entscheidung handelt es sich um ein Abwägen zwischen einem Besuch bei kostenlosem und einem Nichtbesuch bei kostenpflichtigem Eintritt. Die sicher nicht seltenen, dennoch in diesem Zusammenhang besonderen Alternativen 3 und 4 sollen bei der Beleuchtung der These keine Rolle spielen, da es sich bei der Kostenführerschaft um eine Vergleichbarkeit zwischen tatsächlichen Alternativen handelt und nicht um ein Ganz-oder-gar-nicht. Die These konkretisiert sich demnach: Die Prämisse Porters, drei Generische Strategietypen stünden grundsätzlich zur Verfügung, reduziert sich im öffentlich getragenen Kultursektor aufgrund des Gesagten auf einen Strategietyp – auf den der Differenzie-

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rung. Die Beschränkung auf das differenzierende Moment wird noch belastbarer, wenn der Gedanke Mintzbergs zum Tragen kommt, interne Kostenreduktionen würden sich extern als Preisreduktionen niederschlagen und somit selbstredend ein Differenzierungsmerkmal sein.60 Demnach hätte diese These zur Folge, dass der Fokus von Kultureinrichtungen verstärkt auf der Differenzierung liegen müsste. Der Kritik, es gäbe „von allem [...] zu viel und nahezu überall das Gleiche“61 und eine dadurch ausgelöste Langeweile, immerzu „die ewig gleiche Ausstellungskultur [und] die ewig gleichen Sammlungen“62 zu erleben, müsste in dem Bewusstsein der These deutlich differenzierend entgegengewirkt werden. Das Angleichen und Ähnlicherwerden ist indes nicht auf den kulturellen Sektor begrenzt. Es ist zu grundsätzlich zu konstatieren – und die Ursache liegt in der auf die Segmentierung folgende immer stärker werdende Fragmentierung der Märkte –, dass „die Welt in Nachahmerprodukten [ertrinkt] und die Dienstleistungen und Services der Marken [..] sich einander immer schneller [angleichen]“63. Infolgedessen sind grundsätzliche Fragen zu stellen und Antworten zu finden: Kann Differenzierung dies im Kultursektor leisten? Was verbirgt sich hinter dem Begriff Differenzierung? Ist der Drang nach Einzigartigkeit, Individualismus und Innovation immer hilfreich? Und wie kann Innovation im Kulturbereich aussehen? Diesen Fragen widmet sich das Kapitel 7.

60 Vgl. Mintzberg (1999a), S. 73 sowie Multerer (2013), S. 85. 61 Haselbach, et al. (2012), S. 11. 62 Zepter (2015), S. 47. 63 Freitag (2015), S. 182.

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Abbildung 8: Gegenüberstellung diverser Interpretationen der Generischen Strategietypen Generische Strategietypen

Hybridstrategien

EntwederOder

Und

Fokus Differenzierung

E+

E–

D

K

D

K

D

= Bereich Zwischen-den-Stühlen = Für öffentlich-getragene Kultureinrichtungen nicht entscheidender Bereich E+ = Erfolg groß E– = Erfolg gering D = Differenzierung K = Kostenführerschaft

Quelle: Eigene Darstellung

K

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5.3.2 Ressourcenstrategien An der gedanklichen Ausrichtung der Vertreter der Wettbewerbsstrategien T üben die Vertreter der Ressourcenstrategien T deutliche Kritik; Grund ist die fehlende Nähe zur Realität. Ressourcenstrategien T stellen diese Realitätsnähe her, indem sie nicht sagen, „was Unternehmen tun sollten, sondern eher, was sie tatsächlich tun“64. Die Vertreter der Ressourcenstrategie T sehen in einer Organisation ein Bündel an Fähigkeiten und Ressourcen, das es durch Lernprozesse weiterzuentwickeln gilt, um auch zukünftig einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen.65 Ressourcen, Fähigkeiten und Kernkompetenzen Richtet die Wettbewerbsstrategie T ihren Blick auf externe Gegebenheiten, so betrachtet die Ressourcenstrategie T das Unternehmen selbst und sieht in den unternehmenseigenen Ressourcen die Wurzel für Wettbewerbsvorteile – die ressourcenorientierte Sicht, hier die Mittel des Attributs 6 Zweck, Mittel, Ziel widerspiegelnd. Insbesondere Hamel und Prahalad gingen über den Begriff der Ressource hinaus und prägten den der Kernkompetenz. Unterschiedliche Quellen zeigen jedoch unterschiedliche Definitionen der Begriffe Ressource und Kernkompetenz auf, ebenso des mit ihnen verwandten Begriffs der Fähigkeiten. Scheuss versteht unter einer Ressource „alle materiellen und immateriellen ‚Besitztümer‘ des Unternehmens, die zur Realisation von Strategien beitragen“66. Andere wiederum fassen den Begriff der Ressource weiter, indem sie auf deren Zutun zur Strategieumsetzung T verzichten und einzig die materiellen und immateriellen Güter erwähnen.67 Ob der Begriff in einer engen Definition mit Blick auf die Strategie T oder in einer weiten bestimmt wird – wichtig ist, dass eine Ressource nicht einer Kernkompetenz gleichzusetzen ist – auch wenn moderne Ansätze dies tun.68 Denn: Eine Kernkompetenz entsteht durch die Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten – dem Wissen und Können der Mitarbei-

64 Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 309. 65 Vgl. Hamel und Prahalad (1995), S. 307 sowie Scheuss (2012), S. 158. Als Beispiele für Kernkompetenzen nennen Hamel und Prahalad die Kernkompetenz von Canon bei Optik, Bildverarbeitung und Steuerung mit Mikroprozessoren sowie die Kernkompetenz für optische Speichermedien bei Philips, vgl. Hamel und Prahalad (2015), S. 39. 66 Scheuss (2012), S. 49. 67 Vgl. Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 37, 71. Materielle Ressourcen gliedern sich auf in finanzielle, physische und IT-basierte Ressourcen. 68 Vgl. Scheuss (2012), S. 158.

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ter –, sodass ein nicht imitierbarer Wettbewerbsvorteil entsteht.69 Folgt man der Gleichung, können auch letztere zwei Begriffe nicht synonym verwendet werden, da ein Teil der Ressourcen per definitionem immaterielle Güter sind, worunter die Fähigkeiten fallen. Die Gleichung würde sich somit reduzieren auf die Gleichsetzung einer Kernkompetenz mit einer Ressource. Dass Unklarheiten in den Begrifflichkeiten entstehen, ist insofern nicht verwunderlich. Der Ungenauigkeit kann entgegengewirkt werden, indem die Aufzählung der immateriellen Ressourcen neu bestimmt wird: Immaterielle Ressourcen sind Bestands-, Personal-, strukturelle und kulturelle Ressourcen70 und anstatt die Personalstrukturen zu integrieren, sollten diese als Fähigkeiten der Auflistung entnommen werden. Die wichtige Klarheit zwischen den Begriffen Kernkompetenz, Ressource und Fähigkeit kann so hergestellt und Kernkompetenzen als die Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten definiert werden. Allerdings müssen laut Hamel und Prahalad weitere Aspekte hinzugefügt werden, damit eine Kernkompetenz als solche gelten kann: „Eine Kernkompetenz muss einen überdurchschnittlichen Beitrag zu dem vom Kunden wahrgenommenen Wert leisten.“71 Somit rückt die Ressourcenstrategie T den Kunden deutlicher in den Fokus ihrer Überlegungen als es die Wettbewerbsstrategie T tut, zumal es eben der Kunde ist, der unter anderem entscheidet, ob es sich um eine Kernkompetenz handelt.72 Scheuss lässt die Diskussion um die Kernkompetenzen unklarer werden, wenn er schreibt, „nicht die Konkurrenz [entscheide] über das Sein oder Nichtsein [von Kernkompetenzen], sondern immer nur die Kunden [Hervorhebung BJ]“73. Das von ihm aufgezeigte Kernkompetenz-Portfolio – bereits der Name unterstützt die Unklarheit, da das Portfolio unterschiedliche Kompetenzarten neben der Kernkompetenz darstellt und somit strenggenommen KompetenzenPortfolio heißen müsste – ist eine Vierfeldermatrix, die auf der einen Achse bestimmt wird durch den Kundennutzen, auf der anderen durch die Kompetenzstärke im Wettbewerbsvergleich, jeweils in den Ausprägungen tief und hoch.74 Nur wenn Kundennutzen als auch Kompetenzstärke mit hoch zu bewerten sind,

69 Vgl. Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 83 sowie Johnson, Scholes und Whittington (2011), S. 132. 70 Vgl. Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 37, 70. 71 Hamel und Prahalad (1995), S. 309. 72 Vgl. Ebd., S. 312. 73 Scheuss (2012), S. 163. 74 Vgl. ebd., S. 164. Die vollständige Auflistung der Kompetenzarten umfasst: Basis-, Potenzial-, Schlüssel- und Kernkompetenz.

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handelt es sich um eine Kernkompetenz. Es ist ersichtlich, dass nur die Kombination beider Beurteilungen – die des Kunden und des Wettbewerbs – zu einer Kernkompetenz führen. Dies entspricht auch den Ausführungen von Hamel und Prahalad, die betonen, die Einschätzung einer Kernkompetenz geschähe nicht ausschließlich durch den Kunden, sondern ebenso durch die Konkurrenz. Viele Unternehmen, so die Autoren weiter, identifizieren diverse Fähigkeiten als Kernkompetenzen, obwohl diese in der Branche nahezu überall vorzufinden sind.75 Somit ist die Einzigartigkeit von Kernkompetenzen als zweiter Aspekt ebenfalls von großer Bedeutung. Sie ist es, die dem Unternehmen einen Schutz vor Wettbewerbern bietet, vorausgesetzt, sie kann durch die fehlende Möglichkeit des Imitierens und Kopierens der Kernkompetenz verteidigt werden. Dieser Schutz wird aufrechterhalten, indem in Kernkompetenzen nicht einzelne Fähigkeiten, sondern ein Bündel an Fähigkeiten gesehen werden und dieses kompetitiv entwickelt wird.76 Ein Bündel an vernetzten Kernkompetenzen, das für das Attribut 5 Fokussierung, das Attribut 6 Zweck, Mittel, Ziel und das Attribut 7 Gesamtsystem steht, ist schwieriger zu imitieren als einzelne Fähigkeiten. Es ist Scheuss, der durch seine Formulierung, ein Unternehmen sei „eine Kollektion von Ressourcen“77, erneut begriffliche Ungenauigkeiten aufkommen lässt. Ein dritter Aspekt zur Bestimmung einer Kernkompetenz beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern sie Zugang zu neuen Märkten schaffen. Kritische Würdigung der Ressourcenstrategien Dem Ansatz der Kernkompetenzen kommt auch im unternehmerischen Alltag eine der beachtenswertesten Rollen seit den Konzepten von Porter zu, so manche Autoren.78 Als Vertreter der Wettbewerbsstrategien T spricht dieser sich jedoch ausdrücklich gegen eine „Fokussierung auf Kernkompetenzen“79 aus und verweist auf die Suche nach strategischen Positionen T mit dem Argument, es sei anspruchsvoller, ein „System von zusammenhängenden strategischen Positionen und Geschäftsprozessen zu kopieren, als eine zentrale Kernaktivität zu imitieren“80. Dass das Konzept der Kernkompetenzen ebenfalls auf einer Verflechtung

75 Vgl. Hamel und Prahalad (1995), S. 312. 76 Vgl. ebd., S. 307 sowie Scheuss (2012), S. 163. 77 Scheuss (2012), S. 156. 78 Vgl. ebd., S. 157 sowie Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 37. 79 Eschenbach, Eschenbach und Kunesch (2008), S. 254. 80 Ebd., S. 254. Die industrieökonomische Sicht Porters macht es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, Ressourcen als Erfolgspotenziale zu identifizieren, vgl. Staehle (1994), S. 578.

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– eben einem Bündel – zum Schutz vor Wettbewerbern beruht, beachtet Porter nicht. Andersherum steht die Wettbewerbsstrategie T in der Kritik der Vertreter der ressourcenorientierten Sicht mit dem Vorwurf, es sei zum einen realitätsfern anzunehmen, Ressourcen seien jederzeit verfügbar und ein ausschließlich nach außen gerichteter Blick würde zum anderen „das Unternehmen selbst und seine Erfolgspotenziale vollkommen außer Acht lassen“81. Der Wettbewerb habe sich seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts verändert, so die Kritik weiter. Neue Regeln würden gelten. Auf diese neuen Wettbewerbsregeln könne nicht mit traditionellen und immer gleichen Instrumenten reagiert werden. Auch der Ansatz Porters, mittels der Kostenführerschaft oder der Differenzierung einen Wettbewerbsvorteil in einer Branche zu erzielen, gründet – denkt man diesen Ansatz weiter – auf Kernkompetenzen, Ressourcen und Fähigkeiten, die im Unternehmen vorzufinden sind, und die letzten Endes als nachzufragende Produkte auf dem Markt in Erscheinung treten. Entsprechend argumentieren auch Hamel und Prahalad, indem sie zeigen, dass aus Kernkompetenzen Kernprodukte und schlussendlich Endprodukte resultieren: Honda besitzt Kernkompetenzen bei der Entwicklung von Motoren, diese wiederum sind Kernprodukte des Unternehmens und werden in verschiedenartige Fahrzeugmodelle integriert.82 Jedoch ist unklar, inwieweit die Vertreter der Wettbewerbs- als auch der Ressourcenstrategien T sich bewusst sind, dass die eigene Perspektive nur in Zusammenhang mit der jeweils anderen zu Erfolg führen kann, gerade weil beide eine deutliche Unterscheidung voneinander und somit gleichzeitig eine Ergänzung aufzeigen.83 Neuere Ansätze kritisieren somit beide strategischen Ausrichtungen T aufgrund ihrer einseitigen Betrachtungen, entweder eine externe oder eine interne Perspektive einzunehmen. Hermann Simon argumentiert, attraktive Märkte ohne entsprechende Kompetenzen seien ebenso wenig erfolgversprechend wie herausragende Kompetenzen ohne entsprechende Nachfrage nach den erzeugten Produkten.84 Der Vorwurf, einseitig auf das Geschehen zu blicken, ist durch den dogmatischen Duktus, den manch ein Vertreter propagiert, nicht verwunderlich.

81 Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 37. 82 Vgl. Hamel und Prahalad (2015), S. 41. Bezüglich des Zusammenspiels von Kernkompetenzen, -produkten und Endprodukten nutzen Hamel und Prahalad das Bild eines Baumes: Kernkompetenzen entsprechen den Wurzeln, Kernprodukte dem Stamm, Endprodukte den Früchten. 83 Vgl. Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 38. 84 Vgl. H. Simon (2003a), S. 34.

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Der Strategiebegriff bei Hamel und Prahalad Eine eindeutige Definition, was unter Strategie T zu verstehen sei, liefern Hamel und Prahalad nicht. Vielmehr zeigen sie auf, was Strategie T nicht ist und fokussieren sich dabei – entsprechend dem Titel ihres Buches Wettlauf um die Zukunft – auf die Gestaltung der Zukunft. Für sie ist Strategie T nicht mit einer Ressourcenverteilung gleichzusetzen, die es ermöglichen soll, gesetzte Ziele zu erreichen. Es geht eher darum, fordernde Ziele zu finden und zu formulieren, die die Branche von morgen aufbauen. Um offen zu sein für die Zukunft empfehlen sie, Strategie T nicht nur als Lernen zu definieren, sondern ebenso als Vergessen. Das Vergessen von Bekanntem öffnet den vorausschauenden Blick für Neues. Es ist ihrer Meinung nach nicht ausreichend, Strategie T lediglich als ein Problem der Positionierung zu sehen, da diese Sichtweise impliziert, in bestehenden Branchen einen Platz zu besetzen und Weitsicht beweisende Wettbewerber zu verfolgen.85 Hamel spricht sich für einen neuen Blick auf die Strategie T aus, indem er diverse Forderungen an sie stellt. So heißt Strategie T für ihn, Spielregeln zu verändern und Trends zu gestalten – das Mehr der Strategie T tritt an dieser Stelle zum Vorschein –, indem neugierig und offen Einblicke in Märkte und Kunden gesucht werden. In dem von Hamel über Spielregeln Gesagten liegt der Ursprung der in Kapitel 6 weiter ausgeführten Begründung, nach der das Schachspiel kein strategisches Spiel sein kann. Auch wenn Bendixen durchaus strategische Klugheit bei diesem Spiel voraussetzt, unterstützt er indirekt die Begründung. Er schreibt: „Schachspieler [halten] sich an die ewig gleichen Regeln und [müssen] mit immer den gleichen Figuren spielen und [gewinnen] ihre Spiele nur unter diesen ehernen Bedingungen.“86 Anders der Unternehmer: Er ist Spieler und Regelgestalter in einer Person. Über die Veränderung von Spielregeln hinaus empfiehlt Hamel, die Strategie T mit der Innovation eng zu verknüpfen und sie in der gesamten Organisation zu verankern – nicht nur bei deren Führung. Für ihn ist Strategie T gleichzusetzen mit Schöpfung und Revolution und er schlägt drei Wege vor, entsprechende Strategien T zu entwerfen: Den Weg des Sprengens der Produktgrenzen, des Sprengens der Marktgrenzen sowie des Sprengens der Branchengrenzen.87

85 Vgl. Hamel und Prahalad (1995), S. 51ff, 77f. 86 Bendixen (2006), S. 57. 87 Erstgenanntes richtet den Blick auf den Kunden, indem eine Produktaufwertung gefunden wird, die dem Kunden entweder einen Mehrwert im Nutzen oder einen preisgünstigeren Nutzen liefert. Durch ein Weiterfassen der Zielgruppenbeschreibung erweitert sich bei Zweitgenanntem der Marktraum und wirkt so gegen die Tendenz,

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5.3.3 Der blaue Ozean als Strategie Mit ihrem Strategieansatz T üben wiederum Kim und Mauborgne Kritik an den Wettbewerbs- und Ressourcenstrategien T. Ihre Untersuchungen von Unternehmen zeigten weder einen durch die marktorientierte noch durch die ressourcenorientierte Sicht bestimmten langfristigen Erfolg und sie entwickelten ein Konzept, das auf der Unterscheidung zwischen blauen und roten Ozeanen basiert. Rote Ozeane sind geprägt durch einen Wettbewerb um Marktanteile und das Aufteilen einer vorhandenen Käuferschaft unter den etablierten Unternehmen. Die Branchengrenzen sind starr, die den Wettbewerb bestimmenden Spielregeln gesetzt. Gleichzeitig ist es diese Situation, die der Wettbewerbsansatz von Porter beschreibt – ein Ansatz des Besser-, Schneller-, Anders- oder Billigerseins, wie ihn Scheuss nennt und wie er von Kim und Mauborgne beanstandet wird.88 Denn: „In den blauen Ozeanen spielt der Wettbewerb keine Rolle, da die Spielregeln erst noch festgelegt werden müssen.“89 Erneut fällt der das Mehr unterstützende Begriff Spielregel im Kontext von Strategie T. Für Unternehmen, die einen blauen Ozean für sich erschließen wollen, geht es nicht um die Herstellung eines Wettbewerbsvorteils oder um das Kämpfen um Anteile in bekannten Märkten, sondern um die Entwicklung neuer Märkte. Es stehen der Kunde und das ihm gegebene Versprechen, einen höheren Nutzen zu bieten, im Zentrum der Überlegungen. Somit wird die „Nutzeninnovation [zu einem] neue[n] Konzept für Strategien, die zur Eroberung blauer Ozeane und zum Abschütteln der Konkurrenz führen“ 90 . Die Autoren zeigen anhand des klassischen Strategieansatzes T auf, inwiefern deren Konzept der Nutzeninnovation eine Umorientierung erfordert: In der Lehre von Porter galt es, eine Entweder-OderEntscheidung zu treffen, „entweder einen größeren Nutzen für die Kunden bei höheren Kosten oder einen annehmbaren Nutzen bei niedrigeren Kosten [zu] erzeugen“91. Und wiederum in die Terminologie von Porter übersetzt heißt dies, entweder kostenführend oder differenzierend in einer Branche oder Nische zu agieren. Bei dem Ansatz der blauen Ozeane geht es jedoch um ein Und: Kostenreduktion und Differenzierung. Zur Belegung ihrer These greifen Kim und

Märkte durch Differenzierung immer stärker zu fragmentieren. Beim Drittgenannten handelt es sich um eine Aufwertung des Gesamtangebots eines Unternehmens durch die Betrachtung branchennaher Unternehmen, vgl. Scheuss (2012), S. 348f. 88 Vgl. Scheuss (2012), S. 317. 89 Kim und Mauborgne (2005), S. 4. 90 Ebd., S. 12. 91 Ebd.

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Mauborgne ebenfalls auf das Beispiel Ikea zu. Auch Scheuss erläutert den Ansatz des blauen Ozeans anhand des Möbelhauses, wenn er ausführt, „Ikea [habe] den Möbelverkauf revolutioniert, indem es bewusst auf Transport und Montage der Möbel verzichtete“92. Der Verzicht auf sonst branchenübliche Faktoren ist Bestandteil der Technik, die die Autoren zur Entdeckung blauer Ozeane entwickelt haben.93 Auf diese Art und Weise gelang es beispielsweise dem Cirque du Soleil mit der Kombination von Zirkus und Theater, ebenso einen blauen Ozean zu erschaffen wie dem Unternehmen Nintendo mit der Entwicklung der Spielekonsole Wii.94 Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass andere Wissenschaftler gerade die Einführung der Wii für neue Zielgruppen – im Sinne der Strategie der blauen Ozeane – als Negativbeispiel anführen, da die klassischen Zielgruppen nicht mehr erreicht wurden.95 Kritische Würdigung der Strategie der blauen Ozeane Für die Suche nach blauen Ozeanen nutzen die Autoren das Instrument der strategischen Konturen T. Bei einer solchen handelt es sich um das Zusammenspiel von strategischen Profilen T, die wiederum das eigene Unternehmen und die direkten Wettbewerber anhand zuvor identifizierter Wettbewerbsfaktoren in verschiedenen Ausprägungen in einen Vergleich setzen. Dabei treten folgende Probleme zutage: 1. Unklarheit herrscht scheinbar selbst bei den Autoren hinsichtlich der Verwen-

dung der Begriffe strategische Kontur T, strategisches Profil T und letzten Endes Strategie T.96 2. Der Strategie der blauen Ozeane beziehungsweise deren Technik entsprechend gilt es, Wettbewerbsfaktoren zu eliminieren oder zu kreieren, sie zu minimieren oder zu maximieren. 3. Kim und Mauborgne zeigen anhand von vier Schritten die Visualisierung einer Strategie T auf.

92 Scheuss (2012), S. 319 sowie Kim und Mauborgne (2005), S. 122f. 93 Wettbewerbsfaktoren werden mittels strategischer Konturen des eigenen Unternehmens und des branchenüblichen Standards in den Ausprägungen gering und hoch – und entsprechenden Abstufungen – identifiziert. Am Ende werden diese Faktoren dahingehend geprüft, inwieweit einzelne eliminiert oder reduziert, kreiert oder gesteigert werden müssen, vgl. Kim und Mauborgne (2005), S. 22, 26. 94 Vgl. Kim und Mauborgne (2005), S 11ff sowie Scheuss (2012), S. 316f. 95 Vgl. Sargut und McGrath (2011), S. 26. 96 Vgl. Kim und Mauborgne (2005), S. 78.

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Zu 1 Es wird von strategischen Konturen T gesprochen, auch von Strategie T ist die Rede, ebenso von strategischen Profilen T – andernorts bezeichnen die Autoren Letztere wiederum als Nutzerkurve. Doch warum einmal diese, ein andermal jene Begrifflichkeit Anwendung findet, ist nicht klar. Im Gegenteil, der konsequente und für Trennschärfe sorgende Einsatz der Begrifflichkeiten hätte der Entwirrung um Strategie T und letzten Endes dem Verständnis der Methode gut getan. Zu 2 Bei der Technik – auch als Vier-Aktionen-Format bezeichnet – bleibt ein fünftes und wichtiges Format unbeachtet: Wettbewerbsfaktoren können als gut befunden werden – auch wenn die strategische Kontur T aufzeigt, dass Wettbewerber diesen Faktor auf dieselbe Art und Weise erfüllen und dieser daher eliminiert, reduziert oder gesteigert werden müsste. Allerdings kann ein solcher Faktor mitunter lediglich erhaltenswert sein. Doch die Erhaltung findet keine Erwähnung. Zu 3 Ist es Kim und Mauborgne doch gelungen, das Nichtsichtbare der Strategie sichtbar werden zu lassen? Nein, denn das, was schlussendlich dargestellt wird, sind die strategischen Konturen T des Status quo einerseits und die des anzustrebenden Zukunftsbildes andererseits. Letzten Endes jedoch ist die Darstellung eines Ist-Soll-Abgleichs – es soll das „derzeitige und künftige strategische Profil auf einer Seite nebeneinander [gestellt werden], um einen leichten Vergleich zu ermöglichen“97 – keine Strategie T. Vielmehr ist es ein weiterer Versuch, Nichtsichtbares sichtbar werden zu lassen – abermals in Form eines Dokuments. Schlussendlich wird erneut das Anwenden einer Methode, wie zuvor am Beispiel Ansoffs erläutert, zu einer Strategie T. Das im Jahr 2005 erschienene Werk Der blaue Ozean als Strategie greift streng betrachtet den Ansatz der Hybridstrategien T auf, der bereits in den 1990er Jahren diskutiert wurde, ohne diesen als solchen zu erwähnen. Und bereits im Jahr 1988 nahmen die Gedanken von Peters die von Kim und Mauborgne vorweg, wenn er schreibt, „anstatt sich ein größeres Stück vom Kuchen zu holen, müssen Sie einen größeren, oder besser noch, einen neuen Kuchen backen“98. Im Jahr 2003 wiederum beschreiben Philip Kotler und Fernando Trias de Bes ihr Vorge-

97 Kim und Mauborgne (2005), S. 78. 98 Peters (1988), S. 78. Auch in Bezug auf einen aussagekräftigen Slogan als Bestandteil einer Strategie T äußert Peters sich bereits mehr als 15 Jahre zuvor, vgl. Peters (1988), S. 161.

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hen des Lateralen Marketing. Parallelen zur Strategie des blauen Ozeans sind unübersehbar, wenn es heißt, „der große Vorteil dieser Methode [des lateralen Marketing beziehungsweise Denkens, BJ] liegt darin, dass diese Innovationen einen neuen Markt schaffen, anstatt einen Teil des bestehenden erobern zu wollen“99. Im Zentrum des Lateralen Marketing steht die Innovation, die Zugang zu neuen Märkten schaffen soll. Bezüglich der Technik, wie diese entwickelt werden sollten und des dahinterstehenden Gedankens veröffentlichten Kotler und de Bes dieselben Ideen wie Kim und Mauborgne. Die Autoren empfehlen, „das Produkt so [zu] veränder[n], dass es neue Bedürfnisse befriedigt oder für Personen und Situationen geeignet ist, die vorher außer Acht gelassen wurden“ 100. In ihren Ausführungen zeigen Kotler und de Bes auf, weshalb ein neues Denken notwendig ist und wieso nach neuen Märkten Ausschau gehalten werden muss: Die klassischen Marketinginstrumente Segmentierung und Positionierung führen – wie bereits zuvor erwähnt – zu einer immer feineren Fragmentierung des Marktes, auf dem für nahezu jeden Wunsch ein Angebot zur Befriedigung der Kundenwünsche existiert. Aus dieser Fragmentierung resultiert schlussendlich die Übersättigung des Marktes, der man nur mit einem Ausweichen auf neu gestaltete Märkte begegnen kann.101 Der Strategiebegriff bei Kim und Mauborgne Einen expliziten Strategiebegriff definieren Kim und Mauborgne nicht. Gute Strategien T weisen ihrer Meinung nach jedoch drei Kennzeichen auf. Das erste Kennzeichen ist der Fokus; gute Strategien T sind fokussiert, das heißt, nicht alle, sondern ausgewählte Schlüsselfaktoren des Wettbewerbs werden zur Erstellung eines Kundennutzens bedient. Das erste Kennzeichen inkludiert das Attribut 1 Weitere Akteure und das Attribut 5 Fokussierung. Das zweite Kennzeichen ist das der Divergenz; man orientiert sich an den Wettbewerbern und deren Profile. Nicht um diese als Anlass zur Nachahmung zu nehmen, sondern um Alternativen ausfindig zu machen, die zu Einzigartigkeit und so zu einem Wettbewerbsvorteil führen. Das dritte Kennzeichen ist die Existenz eines überzeugenden Slogans. Dieser soll eine klare Botschaft kommunizieren und das Angebot wahrheitsgemäß beschreiben. Ein Slogan, den Kim und Mauborgne nennen, ist der

99

Kotler und Trias de Bes (2005), S. 65.

100 Ebd. Die Produktveränderung kann erfolgen, indem Produkte und deren Eigenschaften anders verwendet, ins Gegenteil verkehrt, zusammengefügt, übertrieben, weggelassen oder anders zusammengefügt werden. Die Ähnlichkeit zum Ansatz der blauen Ozeane ist unverkennbar. 101 Vgl. ebd., S. 44, 48.

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der Fluggesellschaft Southwest Airlines: „Die Schnelligkeit des Flugzeugs zum Preis des Autos – immer, wenn Sie das brauchen.“102 Ob die Formel Fokus + Diversität + Slogan als Definition einer Strategie T ausreichend ist und entsprechende Klarheit in die Beantwortung der Frage bringt, was Strategie ist, ist zu bezweifeln. Exkurs: Blaue Ozeane im öffentlich getragenen Kultursektor Die Problematik beziehungsweise die Grenzen der Übertragbarkeit der Strategie der blauen Ozeane auf den Kultursektor sollen am Beispiel des Weinherstellers Yellow Tail gezeigt werden. Die Autoren Kim und Mauborgne schildern dessen Anwendung der Techniken zur Identifizierung neuer Märkte und zeigen, dass Yellow Tail ein strategisches Profil T entlang der Wettbewerbsfaktoren kreierte, das anders verläuft als das der zum Vergleich herangezogenen – und als Repräsentanten roter Ozeane stehenden – Hersteller von Premium- und Billigweinen. Das Ergebnis der Analyse ist ein zu entwickelnder Wein, an dem eine breite Masse Gefallen finden soll, indem auf fachkundige Beschreibungen verzichtet wird. Auch die Vielschichtigkeit des Weines soll ebenso wie die Vielfalt der Weine innerhalb der Produktpalette reduziert werden, sodass Genuss und Auswahl leicht fallen. Es sollen infolgedessen eine leichte Trinkbarkeit ebenso wie Spaß und Abenteuer ermöglicht werden.103 Durch das Konzept der Nutzeninnovation rückt der Weinhersteller Yellow Tail die Bedürfnisse potenzieller Verbraucher in seinen Fokus. Das Vorgehen ist aus privatwirtschaftlicher Sicht nicht zu beanstanden, geht es doch um die Existenzsicherung des Weinherstellers. Doch die Gefahr, die von der Nutzeninnovation und dem Vier-Aktionen-Format für den öffentlich getragenen Kultursektor ausgeht, wird offenkundig, gleichzeitig treten die Parallelen und Folgen des über die Erlebnisgesellschaft Gesagten hervor: Für den Weinkenner zu bewahrende Eigenschaften werden reduziert, Hintergrundwissen ist nicht vonnöten, der Genuss soll einfach sein und Spaß bringen. Dieses Rezept findet auch im Kulturmanagement und den Kultureinrichtungen Anwendung: Der Inhalt wird von dem Zwang nach Öffentlichkeitswirksamkeit und Besucherorientierung nicht selten in den Hintergrund gedrängt, auch Hintergrundwissen ist bei öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen selten erforderlich beziehungsweise wird selten gefördert, dafür stehen Erlebnis, Spaß und Unterhaltung im Vordergrund. Auch hier geht es um Einfachheit. So wie die spezifischen und vielschichtigen Eigenschaften des Weins geopfert wurden, fallen auch die Eigenschaften des künstle-

102 Kim und Mauborgne (2005), S. 36. 103 Vgl. ebd., S. 28ff.

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risch-kulturellen Inhalts diesen rationalen und vereinfachenden Instrumenten – oder vielleicht sogar: den hinter diesen stehenden gesellschaftlichen Grundannahmen – zum Opfer. Das Dargestellte ist gleichzeitig Beleg dafür, dass die Instrumente wie jene Strategie der blauen Ozeane – anders als von den Autoren zu Beginn der zweiten Auflage ihrer Veröffentlichung bescheinigt – eben nicht in dem Ausmaße für „die Kunst, für gemeinnützige Organisationen [und] für die öffentliche Hand“104 zur Verfügung stehen können. Mehr noch: Abschließend kann selbst aus der Perspektive der Wirtschaft konstatiert werden, dass der Ansatz des blauen Ozeans zwar „attraktiv, aber strategisch für die meisten Unternehmen nicht hinreichend [sei]“105. 5.3.4 Konfigurationsstrategie Den unterschiedlichen Strömungen bezüglich der Strategielehre T haben sich Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts Mintzberg, Ahlstrand und Lampel gewidmet. In ihrem Buch Strategy Safari – Der Wegweiser durch den Dschungel des strategischen Managements zeigen die Autoren insgesamt zehn Denkschulen auf. Die Wettbewerbsstrategie T trägt ebendort den Namen Positionierungsschule, und die Betonung des Lernens ist es, die der Ressourcenstrategie T den Namen Lernschule verleiht.106 Die Prämissen aller Denkschulen sind in der Konfigurationsschule enthalten, sodass sie einen umfassenderen Blick auf die Strategie T und deren Bildung ermögliche, so Mintzberg als wichtigster Vertreter dieser Ausrichtung.107 Im Zentrum der Betrachtung stehen Organisationen. Zum einen geht es um deren Konfigurationen und die Frage nach den Zuständen, in denen sie sich befinden. Zum anderen geht es um die Transformation dieser Zustände, sollten Organisationen den Anforderungen, vor denen sie stehen, nicht

104 Kim und Mauborgne (2016), S. XVIII. 105 Scheuss (2012), S. 324. 106 Vgl. Hamel und Prahalad (1995), S. 139. Die genaue Trennung zwischen der Lernschule und der ihr verwandten Kulturschule ist indes nicht eindeutig. Dies spiegelt sich in den Ausführungen von Scheuss wider, der zwar beiden Schulen den Aufbau von Kernkompetenzen zuspricht, aber der Kulturschule den zentralen Fokus auf die Kernkompetenzen bestätigt. Mintzberg hingegen sieht die Rolle von Hamel und Prahalad und den Kernkompetenzen in der Lernschule beheimatet. 107 Vgl. Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 425. Die zehn Denkschulen: Gestaltungsschule, Planungsschule, Positionierungsschule, Unternehmerschule, kognitive Schule, Lernschule, Machtschule, Kulturschule, Umfeldschule, Konfigurationsschule.

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mehr gerecht werden. Phasen der Stabilität wechseln sich mit Phasen der Veränderung ab. Entsprechend definieren Mintzberg und andere Autoren die Aufgabe der Strategie T als eine stabilisierende in Zeiten der Konfiguration, während die Rolle der Strategiebildung T während einer Phase der Transformation dafür Sorge zu tragen habe, dass die Organisation den Sprung in den nächsten Zustand, in eine neue Konfiguration schaffe – und somit erneut in einen Zustand der Stabilität.108 Dass die Konfigurationsstrategie T die Gedanken, Prämissen und Inhalte anderer Ausrichtungen aufgreift, ist an der sie widerspiegelnden Auflistung zu erkennen, die den Prozess der Strategiebildung T beschreibt als „konzeptuelle Gestaltung oder formale Planung [...], systematische Analyse oder visionäre Leadership, kooperatives Lernen oder konkurrierende Politik, Konzentration auf individuelle Kognition, kollektive Sozialisation oder einfache Reaktion auf die Kräfte des Umfelds“109 . Der Strategiebildungsprozess T muss dabei immer im zeitlichen und inhaltlichen Kontext betrachtet werden – nicht jedes Vorgehen ist zu jedem Zeitpunkt anwendbar. Verwirrung im Verständnis der Konfigurationsstrategie T entsteht durch die Äußerung von Mintzberg, Ahlstrand und Lampel, „die Welt als Konfiguration zu betrachten [sei] ebenfalls falsch“110. Der Strategiebegriff bei Mintzberg Für Mintzberg resultiert aus dem bisher Gesagten für den Strategiebegriff generell die Notwendigkeit einer multiplen Definition, wie sie in den von ihm entwickelten 5 Ps zu finden ist. Für ihn kann eine Strategie T ein Plan sein, eine Perspektive, ebenso eine Position, ein Muster oder eine List.111 Letzteres untermauert das gleichnamige Attribut 4 Überraschung, Verborgenes, List. Strategien T sind zukunftsgerichtet. Bei der Strategie T als Plan ebenso wie bei der als Muster handelt es sich demnach um vorausschauende Verhaltensweisen, allerdings mit dem Unterschied, dass eine Strategie T als Muster sich „aus dem längerfristigen Verhalten in einer retrospektiven Betrachtung“ 112 ergibt. Trotz der Fähigkeit zur gegenseitigen Ergänzung der 5 Ps gibt es inhaltliche Unterschiede zwischen ihnen, die Mintzberg in der notwendigen Deutlichkeit nicht nennt. Als Vorgehen sind drei der 5 Ps – Plan, Muster und List – zu bezeichnen.

108 Vgl. Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 419f. 109 Ebd., S. 424. 110 Ebd., S. 471. 111 Vgl. Mintzberg (1999b), S. 13ff. Der Begriff 5 Ps basiert auf den englischen Begriffen Plan, Perspective, Position, Pattern, Ploy. 112 Scheuss (2012), S. 35.

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Ein Plan, ein Muster oder eine List sind Vorgehensweisen, die eine Organisation wählen kann – ob bewusst oder unbewusst –, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Ziele wiederum können eine Position oder eine Perspektive sein. Somit handelt es sich bei den letzten zwei Ps um zu erreichende Zustände: Die Position von bestimmten Produkten in bestimmten Märkten sowie die Perspektive als „große Vision des Unternehmens“113, den Köpfen der Strategen entsprungen. Inwiefern eine Strategie T in einer dieser Formen erscheint, hängt für Mintzberg von weiteren Überlegungen ab, die er in fünf Strategien T darstellt. So entspricht (1) eine beabsichtigte Strategie T nicht automatisch (2) der realisierten Strategie T. Im Laufe der Zeit treten (3) emergente Strategien T auf, bei anderen handelt es sich (4) um nicht realisierte Strategien T, sodass (5) die bewusst verfolgte Strategie T eine sich aus diesen Gründen modifizierende ist und unter zeitlichen Aspekten gesehen zwischen der beabsichtigten und der realisierten Strategie T liegt. Einzeln betrachtet mag dies zum Teil sinnvoll erscheinen. Würden Kenntnisse über Strategie T, zurückgehend auf das Militärwesen stärker einbezogen werden, würde sich zeigen, dass eine beabsichtigte Strategie T a priori nicht der realisierten entsprechen kann, da durch jedwede Art von Friktion und Zufall – ob von einem weiteren Akteur ausgehend oder dem Umfeld an sich – Änderungen an der beabsichtigten Strategie T vorgenommen werden, eine Strategie T folglich Flexibilität aufweisen muss. Aufzufinden sind hier das Attribut 1 Weitere Akteure, das Attribut 2 Unsicherheit, das Attribut 3 Zufall und Friktion sowie das Attribut 4 Überraschung, Verborgenes, List. Aus den ersten drei Strategien T Mintzbergs – der beabsichtigten, bewussten und realisierten – wird unter Zunahme des zeitlichen Faktors vereinfachend eine Strategie T, die vom Zeitpunkt der Absichtserklärung hin zur Realisation in der Zukunft Veränderungen ausgesetzt ist und an der Modifikationen vorgenommen werden. Die von Mintzberg als emergent bezeichnete Strategie T sollte aus diesem Grund nicht die Bezeichnung Strategie tragen, sondern vielmehr deutlich machen, dass Fälle von Emergenz existieren, die Einfluss ausüben auf die Gestalt, die eine Strategie T im Laufe der Zeit annimmt. Die Emergenz ist Teil der Beschreibung des dynamischen Kerns in Kapitel 6. Kritische Würdigung der Konfigurationsstrategie Positiv zu erwähnen ist Mintzbergs Betonung des Zufälligen – Attribut 3 Zufall und Friktion –, ebenso die der Dynamik des Umfelds – Attribut 1 Weitere Akteure – und sein Widerstand gegen zu enggefasste Denkmuster und Modelle, kurzum: seine Offenheit für sich wandelnde Gegebenheiten und somit sich ver-

113 Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 30.

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ändernde Strategien T. Nichtsdestoweniger wäre das Verdeutlichen von Unterschieden zwischen der hohen Anzahl von Gedanken und Modellen, Strategien T und Definitionen, die er liefert, hilfreich, um nicht orientierungslos vor seinen Ausführungen zu stehen – oder aber eine Komprimierung all seiner Gedanken. Doch gerade diese Orientierungslosigkeit ist es, derer man sich nicht erwehren kann, wie das folgende Beispiel von Mintzberg verdeutlichen soll: Picassos Entscheidung, eine Zeit lang in Blau zu malen sei ebenso eine Strategie T wie die Entscheidung Fords, das Modell T ausschließlich in Schwarz anzubieten.114 Inhaltliche Unterschiede zwischen den Entscheidungen lässt Mintzberg an dieser Stelle außer Acht; wie den, dass die Ford Motor Company die Entscheidung für schwarz als einzig angebotener Farbe aus Gründen der Kostenreduktion fällte, um das Modell T für jedermann finanziell erschwinglich zu machen – anders als die persönlich künstlerischen Überlegungen Picassos. Diese inhaltlichen Unterschiede sollen an dieser Stelle nicht weiter ins Gewicht fallen, vielmehr soll darauf hingewiesen werden, dass der Autor wenige Seiten später abschließend die Frage stellt: „An army may plan to reduce the number of nails in its shoes, or a corporation may realize a pattern of marketing only products painted black, but these hardly meet the lofty label ‘strategy’. Or do they?“115 Zur Beantwortung seiner Frage führt er aus, dass Details wie ein Nagel im Schuh oder die Farbe von Autos in der Retrospektive als strategisch wichtig nachgewiesen werden können. Auf einen Unterschied ist hinzuweisen: Eingangs bezeichnet er die Entscheidungen Picassos oder Fords als Strategie T, später als strategisch. Das Adjektiv strategisch meint die Strategie betreffend, was in dem Kontext bedeutet, dass ein Detail wie die Farbe eines Autos zu einer Strategie T gehört – jedoch nicht mit einer Strategie T gleichzusetzen ist. Vielmehr widerspricht Mintzberg sich selbst und es entsteht der Eindruck, er würde es nicht schaffen, die Trennschärfe zwischen seinen Modellen und Definitionen beizubehalten. In dem Buch Strategische Konzepte fassen dessen Autoren die Arbeit Mintzbergs zusammen: Er liefert diverse Denkmodelle, die zwar situativ angewendet sinnvoll sein mögen, die sich dennoch sehr unübersichtlich präsentieren. Darüber hinaus führt er seine Gedanken nicht in einem Gesamtkonzept zusammen – anders als es die von ihm häufig kritisierten Vertreter anderer Strategieperspektiven taten. Obgleich er fordert, „im Rahmen des strategischen Managements [müssen] aber Analyse und Synthese, Denken und Handeln, Stabilität und Wandel miteinander kombiniert werden“116 , lässt er den Anwender allein bei der Be-

114 Vgl. Mintzberg (1999b), S. 14. 115 Ebd., S. 17. 116 Eschenbach, Eschenbach und Kunesch (2008), S. 212.

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antwortung der Frage nach dem Was der Strategie T und dem Wie des Strategiebildungsprozesses T.117 Durch seine Formulierungen und durch die sehr weit gefassten Betrachtungsweisen sorgt Mintzberg dafür, den Begriff Strategie T zu einem Alles und Nichts verfallen zu lassen, wie allein schon an der Vielzahl von Strategiearten T zu erkennen ist, die er in seinen Werken darstellt.118 Dabei sollte bezüglich der Strategie grundsätzlich gelten, was Paul Hoyningen-Huene in Hinblick auf die Emergenz fordert: „Der Emergenzbegriff darf nicht allumfassend sein, das heißt, es muss Fälle von Nichtemergenz geben.“119 Doch bezeichnet Mintzberg selbst die Entscheidung eines Kindes, über einen Zaun zu klettern, bereits als Strategie T – wenn auch in seiner Definition der Strategie T als Plan.120 Wenn aber alles Strategie T ist, wann liegt dann ein Fall von Nichtstrategie vor? Die Antwort lautet: Nichtstrategie existiert in der in Kapitel 6 dargestellten Domäne des Plans.

5.4 ZUSAMMENFASSUNG, REFLEXION UND WEITERES VORGEHEN Anhand des wiederholt auftretenden Beispiels Ikea wird ersichtlich, wie alter Wein in neue Schläuche gegossen wird: Zog Porter das Möbelhaus hinzu, um es als Beispiel der Differenzierung zu präsentieren, zeigte es sich bei Kim und Mauborgne als Entdecker eines blauen Ozeans in der Kombination aus Kostenführerschaft und Differenzierung – an anderer Stelle trägt diese Kombination den Überbegriff Hybridstrategie T. Ebenso wählten Hamel und Prahalad das Möbelhaus Ikea, um darzulegen, die Veränderung von Spielregeln zur Erschaffung neuer Märkte beruhe auf dem revolutionären Wesen, das der Strategie T innewohne. Mintzberg antwortet auf die Frage nach der erfolgreichsten Strategie T: „Die von Ikea.“121 Bei allen Ansätzen geht es schlussendlich um die Position des

117 Vgl. Eschenbach, Eschenbach und Kunesch (2008), S. 212, 222. 118 Vgl. Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 277f. Neben den 5 Ps und den fünf Strategien (beabsichtigte, bewusst verfolgte, realisierte, emergente und nicht realisierte) sprechen die Autoren unter anderem von geplanten, unternehmerischen, ideologischen, unverbundenen, angeordneten sowie den Schirm-, Prozess- und Konsensstrategien – um nur einige zu nennen. 119 Hoyningen-Huene (2014), S. 40. 120 Vgl. Mintzberg (1999b), S. 13. 121 Gillies (2003), S. 31.

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Unternehmens am Markt. Wenn so viele sich ähnelnde Konzepte für einen einzigen Sachverhalt existieren, verwundert es nicht, dass die Literatur zum Strategischen Management T, mit seinen Konzepten und Instrumenten, die Marke von einer Million Veröffentlichungen längst überschritten hat.122 Dabei sind seit dem Jahr 2000 entscheidende strategische Modelle T nicht entwickelt worden, stattdessen wurden Aspekte bekannter Modelle herausgegriffen und dogmatisiert, um die Sehnsucht der Unternehmensführer nach immerwährenden Erfolgs- und Patentrezepten zu stillen.123 Die Worte von Dörner bringen dies auf den Punkt: „Gelegentlich gehe ich in meiner Buchhandlung in die ManagementLiteraturecke: Das ist weit unterhaltsamer als das Regal mit den Witzbüchern. Ich kann mich köstlich über die halbjährlich wechselnden Moden amüsieren.“124 Es darf nicht übersehen werden, dass das über die Probleme der Adaption von der Betriebswirtschaft auf das Kulturmanagement Gesagte sich auch hier auf nicht unerhebliche Weise äußert. So sind sich erstens renommierte Manager uneins über das Wesen der Strategie T. Dies zeigt sich in ihren Verständnissen, aber auch anhand der Heranziehung des Beispiels Ikea, das für unterschiedlichste Interpretationen Pate stand. Zweitens – und dieser Umstand ist nachvollziehbar – dienen die vorgestellten Strategieansätze T der Privatwirtschaft, in der Marktanteile und das Besetzen von Märkten existenzsichernd wirken; entsprechend haben sie zum Inhalt die Suche nach Märkten, besonders nach neuen Märkten. Jedoch dürfen diese Punkte keine beziehungsweise nur geringe Geltung für das Kulturmanagement – besonders das im öffentlich getragenen Sektor agierende Kulturmanagement – besitzen, da erstens mit dem aus der Wirtschaft entliehenen unklaren Begriff Strategie T die Unklarheiten an die Disziplin Kulturmanagement vererbt wird. Zweitens kommt dem Finden neuer Märkte keine derart entscheidende Rolle für Kultureinrichtungen wie Opern, Museen und Theatern zu – vor allem nicht vor dem Hintergrund, dass insbesondere der Aspekt des Bewahrens in der Strategie der blauen Ozeane keine Rolle zu spielen scheint. Einzige Lösung für das Kulturmanagement kann demnach die explizite Gestaltung des eigenen Kontextes sein. Auch wenn nach den umfangreichen Ausführungen zum Kulturbegriff, dem Kulturmanagement und der Kulturstrategie dieses Kapitel 5 als ein Schritt in eine inhaltlich andere Richtung gewertet werden könnte, dient es dem Kulturmanager und -strategen zur thematischen Sensibilisierung, um das in Kapitel 3 er-

122 Vgl. Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 10. 123 Vgl. Nagel und Wimmer (2015), S. 48f. 124 Lotter (2006).

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wähnte und scheinbar vorausgesetzte Wissen über Strategie T, das allerdings auf einer aus kulturmanagerialer Sicht defizitären und oberflächlichen Darstellung beruht, mit mehr Detailtiefe anzureichern. Unabhängig davon, ob der These, Strategie als Fähigkeit zu definieren, zugestimmt wird, trägt dieses Kapitel 5 daher dazu bei, die Emanzipation des Kulturmanagements von einem primären Einfluss der Wirtschaft voranzutreiben. Darüber hinaus braucht Zukunft Herkunft, um mit Odo Marquardt zu sprechen. Um somit den Weg zu einem neuen Strategieverständnis zu bahnen, ist die Kenntnis über die Herkunft bisheriger Strategieauslegungen vonnöten. Im folgenden Kapitel 6 finden sich daher die sieben Attribute in der Entwicklung der Strategietheorie wider. Auf deren Basis als auch auf anderen Anforderungen, die in der bisherigen Diskussion zutage traten und die das Kapitel 6 einleiten, werden im Folgenden die Elemente erläutert, die in Zusammenhang mit der Hauptthese – Strategie ist eine Fähigkeit – die allgemeingültige Strategietheorie bilden.

6

Elemente der Strategietheorie

Für ein neues Verständnis von Strategie klangen im bisherigen Verlauf – mal deutlich, mal verborgen – diverse Anforderungen an, die es zu beachten gilt: (1) Eine allgemeingültige Strategietheorie muss den identifizierten Attributen Weitere Akteure, Unsicherheit, Friktion und Zufall, Überraschung, Fokussierung, Zweck, Mittel und Ziel sowie Gesamtsystem gerecht werden. (2) Eine allgemeingültige Theorie der Strategie darf nicht ausschließlich in Militär, Politik oder dem Unternehmens- und Organisationskontext Anwendung finden. (3) Statt für jede Situation eine Strategieart zu definieren, muss eine allgemeingültige Definition des Begriffes Strategie existieren. (4) Allgemeingültige Erkenntnisse zu Zielen – fernab von wirtschaftlichen Zwängen – müssen betrachtet werden. (5) Zu klären ist, was unter Aussagen zum Begriff Zeit im strategischen Kontext zu verstehen ist. (6) Dem Umfeld, dessen Akteuren und deren Agieren müssen in einer Strategietheorie entsprechende Rollen zukommen. (7) Gleichzeitig ist zu untersuchen, ob und inwiefern strategische Pläne existieren können, ohne dass Wettbewerb und Wettbewerber vorhanden sind. (8) Der strategische Plan muss in einer kompakten Darstellung der Dynamik sowie den zeitlichen, vernetzenden Entwicklungen – kurzum: dem Mehr – gerecht werden.

6.1 AUFBAU DES KAPITELS Grundsätzlich ist das Kapitel 6 entlang der Theorieelemente aufgebaut: Das Unterkapitel 6.2 widmet sich dem dynamischen Kern und beginnt mit der für die Theorie wichtigen Unterscheidung zwischen den Begriffen komplex und kompliziert. Die Komplexität ist es, aufgrund derer die Systemtheorie, die Kybernetik und die Emergenz diskutiert werden. Die Unterscheidung zwischen den genannten Begriffen komplex und kompliziert dient in Unterkapitel 6.3 ebenso der Unterscheidung zwischen einem statischen und einem strategischen Plan. Es wird

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direkt Bezug genommen auf die in Kapitel 2 beleuchteten Aussagen Eine Strategie ist ein Plan und Eine Strategie ist kein Plan. Die Ausführungen helfen dabei, Klarheit zu erlangen, ob eine Situation der Domäne der Strategie oder der Domäne des Plans zuzuordnen ist. Das für die Strategietheorie bedeutsame potenziell Seiende wird in Zusammenhang mit dem strategischen Gesamtbild und dem strategischen Rahmen im Unterkapitel 6.4 beschrieben. Die ersten vier Unterkapitel widmen sich infolgedessen den basalen Theorieelementen, während in dem Unterkapitel 6.5 und dem Unterkapitel 6.6 die steuernden Theorieelemente Zweck sowie Start, Maßnahmen und Ziele besprochen werden. Für das Verständnis des Unterkapitels 6.7 muss an das Kapitel 2 beziehungsweise an die These, Strategie ist eine Fähigkeit, erinnert werden, da es in diesem um die Beschreibung der Eigenschaften geht, die die Fähigkeit Strategie – oder das Strategieren – ausmachen. Die gesamten Theorieelemente werden in der Zusammenfassung des Unterkapitels 6.8 kurz und prägnant dargestellt.

6.2 DER DYNAMISCHE KERN 6.2.1 Komplexität und Kompliziertheit Unvorhersagbarkeit beziehungsweise Dynamik ist der Kern der Strategietheorie. Sie sorgt für das Mehr gegenüber einem statischen Plan und entsteht durch eine Vielzahl von miteinander vernetzten und mal stark, mal weniger stark in Abhängigkeit stehenden Variablen – basierend auf dem Umfeld und dessen Akteuren. Das Merkmal dieser Vielschichtigkeit, ausgelöst durch die Vernetztheit, wird der Komplexität zugesprochen.1 Werden die Begriffe komplex und kompliziert oft gleichbedeutend verwendet, ist dennoch eine Unterscheidung zwischen ihnen wichtig. In beiden Fällen findet man Situationen vor, in denen Variablen – als mögliche Aktionen und eventuell auf sie folgende Reaktionen – existieren. Jedoch sind die Variablen in komplexen Situationen im Gegensatz zu komplizierten nicht bekannt. Die unbekannten Variablen können zeitgleich oder zeitversetzt aufeinander reagieren, wenn auch die eigentliche Reaktion oder die Ergebnisse mitunter erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar sein können. Dies führt zu einer hohen Dynamik, Dörner spricht in diesem Zusammenhang von Neben- und Fernwirkungen.2 Sowohl komplizierten als auch komplexen Situationen liegt das Prinzip von Ursache und Wirkung zugrunde. Jedoch mit entschei-

1

Vgl. Dörner (2015), S. 58ff sowie Luhmann (2017), S. 226.

2

Vgl. Dörner (2015), S. 54.

Elemente der Strategietheorie | 153

denden Unterschieden: In komplizierten Situationen ist die Relation von Ursache und Wirkung klar und es führen ein oder mehrere Wege zu einem klaren, vorab eindeutigen Ziel. Komplexe Situationen besitzen kein klares Ziel, Ursache und Wirkung sind aufgrund der Vernetzung von Variablen nicht eindeutig zu definieren. Somit wird komplizierten Situationen linear-kausales Denken bescheinigt, komplexen hingegen nichtlinear-kausales und somit zyklisches Verhalten. Komplexe Situationen besitzen durch die hohe Dynamik und die hohe Vernetztheit eine hohe Intransparenz und sind nicht vorhersagbar – dies entspricht dem dynamischen Kern. Tabelle 3: Unterscheidung der Begriffe komplex und kompliziert Faktoren

Komplex

Kompliziert

Variablen

Unbekannt

Bekannt

Zeitverlauf

Simultan

Sequentiell

Systemeigenschaft

Nichtlinear

Linear

Zukunft

Nicht vorhersagbar

Vorhersagbar

Fokus

Synthese

Analyse

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Latour (2006) und Simon (2015)3

Wenn Oetinger in seinem Beitrag Zum Wesen der Strategie schreibt, dass sie nicht nach einer Verbesserung des Bestehenden verlangt, sondern „das wirklich Strategische das Unvorhergesehene, die Überraschung [sei]“4; wenn Hamel einen frischeren Ansatz postuliert, der zur heutigen Dynamik passt, indem er fordert, „Strategie muss offen für Überraschung und Veränderung sein“5, so wird in diesen Aussagen der Verlust des dynamischen Kerns und die starke Verkürzung der Strategie T deutlich. Der Kern ist verbunden mit eben jenem Faktor Dynamik, unter dem im Weiteren das Attribut 2 Unsicherheit, das Attribut 3 Zufall und 3

Simon verwendet in seinen Ausführungen die kybernetischen Begriffe trivial und nichttrivial.

4

Oetinger (1993) S. 16, 19 sowie Henderson (1993), S. 30.

5

Hamel: Leading the Revolution – How to Thrive in Turbulent Times by Making Innovation a Way of Life, Boston, 2002, zit. nach Scheuss (2012), S. 348.

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Friktion sowie das Attribut 4 Überraschung, Verborgenes, List subsumiert sind. Das Militärwesen wusste um den Kern und prägte das Verständnis von Unternehmensstrategien.6 Dennoch basiert die Verkürzung des Begriffs Strategie – so ist es anzunehmen – auf einer schwächeren Ausprägung der Dynamik im wirtschaftlichen Umfeld vor einigen Jahrzehnten, sodass die Wirtschaft auf diese Attribute verzichten konnte. Und eventuell wollte. Das Geschäftsmodell der Unternehmensberatungen als Anwender beispielsweise der Konzepte von Porter, Hamel und Prahalad, Kim und Mauborgne sowie von Mintzberg hätte mitnichten einen so großen Erfolg gehabt, wenn Unternehmen eine Beratungsleitung hätten in Anspruch nehmen müssen, in der Zufall und Unsicherheit – und durch sie Unvorhersagbarkeit – die entscheidenden Rollen gespielt hätten. Der Verkauf von Patentrezepten ist mit Sicherheit erfolgreicher. Rezepte, die „den Charakter von normativen Sollkonzepten [besitzen], deren lineare Befolgung unternehmerische Erfolge versprechen“7. Aus diesem Grunde entstand eine Vielzahl an Instrumenten, die Prognosen erleichtern und Sicherheit herstellen sollten. 6.2.2 Systemtheorie und Kybernetik Die Komplexitätstheorie als Teil der Systemtheorie und deren Ansätze auf die klassisch geprägte Strategieentwicklung T zu übertragen ist kein neuer Gedanke, handelt es sich doch auch bei Unternehmen um Systeme, die wechselseitig mit ihrer Umwelt korrespondieren.8 Ein System ist ohne seine Umwelt nicht denkbar. Das eine definiert die andere, das Ende der einen ist der Beginn des anderen. So beschreibt der Soziologe und Gesellschaftstheoretiker Luhmann zunächst ein System und ergänzt, dass unterschiedliche Systeme und Systemdefinitionen existieren – angefangen bei geschlossenen, über deterministische bis hin zu chaotischen Systemen. In seiner Systemtheorie sind jedoch nur die offenen Systeme von Belang, da sie es sind, die Wechselwirkungen zulassen. Wechselwirkungen eben zwischen Systemen und deren Umwelten.9 Des Weiteren zeigt ein System die Eigenschaft der Auto-

6

Vgl. Kim und Mauborgne (2015), S. 78.

7

Nagel und Wimmer (2015), S. 115f. Die Instrumente der Betriebs- und Volkswirtschaft waren traditionell linearer Natur und fußten auf kausaler Logik, vgl. Briggs und Peat (1993), S. 267.

8

Vgl. Malik (2008) sowie Kühl (2016).

9

Vgl. Luhmann (2017), S. 89f sowie Berghaus (2011), S. 32f. Luhmann führt in seinen Vorlesungen aus, dass die eine Systemtheorie nicht existiere, vgl. Luhmann (2017), S. 40.

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poiesis. Bei dieser handelt es sich um die Fähigkeit, sich selbst erhalten, wandeln und erneuern zu können.10 Aufgrund eines nichtlinearen Verständnisses und aufgrund eines Verständnisses von Zeit, das sich auszeichnet durch einen Zielzustand, der zu einem neuen Startzustand wird, der nach einem weiteren Zielzustand strebt, der wiederum zu einem neuen Startzustand wird, ist der Aspekt der Autopoiesis für einen strategischen Plan von Bedeutung, nimmt er doch Abstand von den starren Gebilden, die trotz der Betonung einer notwendigen Flexibilität häufig anzutreffen sind. Doch bei der Anwendung der Systemtheorie auf den Gegenstand Strategie kommt ein bereits angeführtes Manko erneut zum Tragen: Statt diese weiterführenden Gedanken – offene Systeme und Wechselwirkungen mit dem Umfeld führen zu Dynamik und unbekannten Variablen – durch eine allgemeine Perspektive auf den Begriff Strategie zu bündeln, wird dieser sogleich auf den wirtschaftlichen Kontext übertragen. Von diesem aus liefere „der systemische Strategieansatz kaum griffige Strategieempfehlungen, die in bestimmten Situationen zum Erfolg führen“11, wie Scheuss schreibt. Ein Fehlschluss wird hier gleich an drei Stellen sichtbar: 1. Da der Zustand der Unsicherheit nicht zu ertragen zu sein scheint, existiert der

Wunsch nach passenden, sicheren Empfehlungen. 2. Am Ende muss ein wie auch immer gearteter Erfolg stehen. Dies in Kombina-

tion mit dem ersten Aspekt bedeutet, Empfehlungen müssen in Erfolg münden. 3. Bleibt dieser Erfolg aus, wird die Erfüllung des Wunsches nach einem neuen Verständnis von Strategie nicht er- und wichtige Impulse zur Formulierung einer Strategietheorie verkannt. Dass der Erfolg ausbleiben kann, liegt daran – wenn der Blick auf die Wirtschaft und insbesondere auf die externe Unterstützung durch Unternehmensberatungen gerichtet wird –, dass für Letztere das zu beratende Unternehmen immer die Umwelt repräsentiert, da sie nicht Teil des zu beratenden Systems sind, sodass dieses für die Unternehmensberatung immer einen höheren Grad an Komplexität aufweisen muss.12 Um Herr über diese Komplexität zu werden – und das ist einleuchtend – können Standardvorgehen keine Anwendung finden.

10 Vgl. Luhmann (2017), S. 89f sowie Luhmann (2009), S. 20 und Ashby (2016), S. 68. 11 Scheuss (2012), S. 225. 12 Vgl. Luhmann (2017), S. 162.

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Die entscheidenden und notwendigen Impulse, die für ein erweitertes und kontextübergreifendes Strategieverständnis sorgen können, liefert die Systemtheorie; anders als die Spieltheorie, die zwar häufigere Erwähnung erfährt und der ein der Strategiediskussion bereicherndes Zutun zugesprochen wird.13 Für Reinhart Nagel und Rudolf Wimmer ist die Systemtheorie jedoch kein Allheilmittel. Durch diese Formulierung werden die Autoren der Dynamik gerecht und stellen sich gegen unseriöse Versprechungen wie den „SiebenSchritte-Plan zur optimalen Strategie [Hervorhebung BJ]“14. Gleichzeitig schaffen sie es durch ihren Ansatz, Organisationen aus einem rein wirtschaftlichen in einen gesellschaftlichen Kontext zu bewegen. Eine Strategie T, die nicht gekoppelt ist an ihre Umwelt und deren Dynamik, ist ihrer Meinung nach nicht entwickelbar.15 Doch offenbar hat es Strategien T dergestalt gegeben. Anders ist die Aussage der Autoren nicht zu interpretieren. Denkt man allerdings an die in den 1960er Jahren auftretende und sehr populäre SWOT-Analyse, so kann ihnen entgegengehalten werden, Organisationen betrachten seit den Anfängen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Strategie T ihr Umfeld – in jener Analyse dargestellt durch die Chancen (Opportunities) und Bedrohungen (Threats). Der Aspekt, der dabei jedoch in dem Ausmaße außer Acht gelassen wurde wie die Systemtheorie ihn betont, war der des dynamischen Beziehungsgeflechts zwischen einem System und dessen Umwelt: Die Dynamik nahm im Laufe der Jahrzehnte zu und ein stabiles Umfeld, bis dahin oft beherrschbar mittels linearer-kausaler Instrumente, wich einem instabileren. Der hinter dem Kausalismus stehende Reduktionismus – das Denken, dass ein System durch seine Einzelteile komplett bestimmbar ist – musste ebenso weichen.

13 Vgl. Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 155, 310 sowie Scheuss (2012), S. 288 und Nagel und Wimmer (2015), S. 27. Levitt und Dubner sagen jedoch über die Spieltheorie, dass man einmal dachte, „die Spieltheorie [übernähme] die Welt, indem sie helfe, alle möglichen wichtigen Ergebnisse zu formen oder vorherzusagen. Leider Gottes erwies sie sich als nicht annähernd so nützlich oder interessant wie verheißen. In den meisten Fällen ist die Welt zu kompliziert [den Ausführungen entsprechend muss hier der Begriff komplex Anwendung finden, BJ], als dass die Spieltheorie ihren vermeintlichen Zauber wirken könnte.“ Vgl. Levitt und Dubner (2016), S. 143. 14 Lafley, et al. (2017), S. 71. Des Weiteren stellt sich die Frage, wieso nicht alle Unternehmen erfolgreich sind, wenn es nur darum ginge, den erwähnten Sieben-SchrittePlan zu realisieren. Daher schreiben Levitt und Dubner: „Wer uns eine ‚perfekte‘ Lösung verkaufen will, denkt wohl auch, wir glauben an Märchen.“ Vgl. Levitt und Dubner (2016), S. 173. 15 Vgl. Nagel und Wimmer (2015), S. 11, 50.

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Konstruktivismus und die der Systemtheorie nahestehende Kybernetik nahmen neue Perspektiven ein. Ersterer betrachtet Menschen sowie deren Erkennen, Denken und Urteilen über Realitäten. Letztere untersucht die Beziehungen zwischen unterschiedlichen Objekten. Sie wird verstanden als die Lehre von der Regelung und Steuerung von Systemen. Die klassisch-lineare Betrachtungsweise brachen beide Disziplinen zugunsten einer zirkulär-vernetzten Betrachtung von Ursache und Wirkung auf. In komplexen Systemen – oder die entsprechende Begrifflichkeit der Kybernetik nutzend: bei nichttrivialen Maschinen16 – ist das Denken in schwacher und starker Kausalität – gleiche Ursachen besitzen gleiche Wirkungen beziehungsweise ähnliche Ursachen führen zu ähnlichen Wirkungen – nicht mehr anwendbar. Aus kleinen Ursachen können große Wirkungen resultieren. Dies führt zu einer Unvorhersagbarkeit der Systementwicklung. So kann es sein, dass „geradlinig-kausale Modelle oft nicht nur nicht zu den angestrebten Zielen führen [...] sondern paradoxe Effekte haben [Hervorhebung im Original, BJ]“17. Dies ist zurückzuführen auf die Vernetzung der Variablen und der zwischen ihnen auftretenden Rückkopplungen. Die Kybernetik unterscheidet zwei Arten: positive und negative Rückkopplungen. Komplexe dynamische Systeme zeigen zyklisches Verhalten. Und da das Vorzeichen der positiven Rückkopplung stets erhalten bleibt, tritt bei dieser Rückkopplung eine Signalverstärkung ein, bekannt aus der akustischen Rückkopplung, wenn ein Mikrofon zu nahe an dessen Verstärker gelangt. Anders bei der negativen Rückkopplung: Das Vorzeichen kehrt sich von Wiederholung zu Wiederholung um, auf ein positives Signal folgt ein negatives, auf dieses folgt erneut ein positives Signal. Es entsteht ein stabiler Zustand. Das Kapitel 7 verdeutlicht anhand eines kurzen Gedankenspiels, wie gegen eine kommunikative Reizüberflutung mittels kybernetischer Überlegungen gewirkt werden könnte. Zentral für die Kybernetik und zurückgehend auf Ashby ist das Gesetz der erforderlichen Vielfalt beziehungsweise Varietät. Es besagt, dass ein System die

16 Zur Ergänzung: Wenn nichttriviale Maschinen komplexen Systemen entsprechen, entsprechen triviale Maschinen komplizierten Systemen. Der Mitbegründer der kybernetischen Wissenschaft, Heinz von Foerster, unterscheidet beide Arten wie folgt: „Das auszeichnende Merkmal der trivialen Maschine ist Gehorsam, das der nichttrivialen Maschine augenscheinlich Ungehorsam.“ Vgl. Foerster (1993), S. 247. Oder mit dem Worten Luhmanns: „Nichttriviale Maschinen hingegen schalten immer ihren eigenen Zustand ein und stellen zwischendurch die Zwischenfragen, ‚Wer bin ich?‘, ‚Was habe ich eben getan?‘ [...], um erst dann den Output zu erzeugen.“ Vgl. Luhmann (2017), S. 94. 17 F. B. Simon (2015), S. 78.

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Komplexität eines anderen Systems nur dann wirkungsvoll beeinflussen kann, wenn es selbst über eine mindestens ebenso hohe Komplexität verfügt – folglich: über eine ebenso hohe Vielfalt an Handlungsalternativen. Ashby betrachtet die zwei Spieler R und D, die als Stellvertreter von Systemen und somit für soziale Systeme wie Organisationen stehen können: „Wenn R’s Zug keine Vielfalt zeigt, weil er immer denselben Zug macht, egal, was D vorlegt, dann wird die Vielfalt in den Ergebnissen genauso groß sein wie die Vielfalt in D’s Zügen. D bestimmt (steuert) in diesem Fall die Ergebnisse ganz und gar. [...] Nur Vielfalt in R’s Zügen kann die Vielfalt in den Ergebnissen senken [Hervorhebung im Original, BJ].“18

Die Varietät spiegelt schlussfolgernd den Grad der Komplexität wider. Nochmals: Einher mit einer hohen Varietät geht eine hohe Handlungsmöglichkeit, mittels der der komplexen Situation begegnet werden kann.19 Letzten Endes zeigt sich durch das Umgehen der in Kapitel 3 gestellten kulturmanagerialen Hauptfrage – wie gelangt der eigentliche Inhalt zu den Menschen, ohne dass dieser mit einem Drumherum aufgeladen werden muss? –, dass die im Kultursektor nicht selten anzutreffenden immer gleichen Maßnahmen und Lösungen Resultate einer Unterschätzung der Komplexität und infolgedessen eine Reduzierung der Varietät sind. Das im Unterkapitel 6.4 zu beschreibende potenziell Seiende dient als gedankliche Substanz für Varietät, parallel dazu erläutert das Kapitel 8, wie das potenziell Seiende gedanklich betreten werden kann. Die Übersetzung von Shakespeares Werken aus dem Englischen ins Deutsche ist mit einem Wortschatz, der lediglich 3.000 Worte umfasst, nicht möglich. Anhand dieses Beispiels für Varietät – zu finden bei Fredmund Malik – wird zwar deutlich, dass mit einfachen Maßnahmen keine komplexen Situationen gemeistert werden können.20 Jedoch ist der Begriff komplex, wie der Autor ihn in diesem Beispiel nutzt, seiner eigenen Definition entsprechend nicht richtig, nach der Komplexität auf eine Vielzahl an Zuständen und Konfigurationen abzielt – trotz aller Anschaulichkeit dieses als auch anderer bei ihm zu findenden Beispiele. Eine Übersetzung ins Deutsche ist ein kompliziertes, kein komplexes Unterfangen, wie Tabelle 4 es herleitet. Der Existenz zyklischen Verhaltens entsprechend ist daher – erstmals von Peter Gomez und Gilbert Probst benannt – die Fähigkeit des vernetzten Denkens

18 Ashby (2016), S. 299. 19 Vgl. Borgert (2015), S. 94 sowie Malik (2008), S. 92. 20 Vgl. Malik (2002), S. 9f sowie Malik (2008), S. 33.

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anzustreben.21 Daraus lässt sich ableiten, dass Strategie als Fähigkeit unter anderem dem Denken in kausalen Netzwerken entspricht – kurzum: in Komplexitäten. Die Verwandtschaft von Kybernetik und Mathematik darf jedoch nicht dazu verleiten, dem Glauben zu erliegen, Lösungen ließen sich mittels mathematischer Verfahren finden. Zwar untersucht die Kybernetik systemisches Verhalten in einfachen deterministischen Systemen, das heißt in solchen, die „vorausschaubaren und reproduzierbaren Abläufen folgen“22 – auch oder gerade durch Anwendung von auf mathematischen Gesetzen basierenden Simulationen –, dennoch gibt es nicht vorhersagbare Entwicklungen, so in einfachen deterministischen Systemen mit ihren chaotischen Wesensmerkmalen. Die starke Kausalität wird aufgehoben, auf ähnliche Anfangsbedingungen folgen völlig andere Wirkungen.23 6.2.3 Emergenz und Zufall Zwei Aspekte spielen neben den genannten für die Beschreibung des dynamischen Kerns eine weitere Rolle, sie sind teilweise mit ihnen verwandt und ansatzweise in Attribut 3 Zufall und Friktion erwähnt: Emergenz und Zufall. Emergenz wird mit der Aussage, das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile, in Verbindung gebracht. Sie ist Teil einer komplex-dynamischen Systemtheorie, ihre Merkmale sind Neuartigkeit, Unvorhersagbarkeit und Irreduzibilität.24 Diese Merkmale nehmen Gegenpositionen zu Reduktionismus und Determinismus ein und belegen, dass Emergenz einem strategischen Plan zugehörig ist. Wenn das Entstandene – ob nun zunächst neu oder unvorhersagbar – nicht mehr ohne Weiteres zu rekonstruieren ist, tritt besonders das Merkmal Irreduzibilität zutage. Gerade dieses ist es, das für den strategischen Kontext bedeutsam ist, sind es doch die einzelnen Taktiken, aus denen – im Rückgriff auf Sunzi – der Gesamtsieg resultiert. Aus diesem Grund ist die Konkurrenzanalyse von Porter im Rahmen seiner Strukturanalyse schwer anwendbar, wenn es in einer von

21 Vgl. Gomez und Probst (1999). 22 Ashby (2016), S. 46. 23 Vgl. Bossel (2004), S. 49 sowie Stephan (2014), S. 152. Als Beispiele für ein deterministisches Chaos seien hier die Voraussage der Wetterentwicklung im Allgemeinen und der Schmetterlingseffekt im Speziellen genannt. Letzterer besagt, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Wirbelsturm in Texas auslösen könne. 24 Vgl. Sawyer (2014), S. 188 sowie Blanchard (2014), S. 111. Beispiele für emergentes Verhalten sind die Eigenschaft von Wasser, die man nicht aus dessen einzelnen Molekülen ableiten kann sowie die Schwarmintelligenz.

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fünf Determinanten um die Beschreibung der Gegenwärtigen Strategie des Konkurrenten geht – wie will man diese identifizieren und beschreiben können?25 Die Gesamtheit des strategischen Plans ist nicht erkennbar, da er mehr ist als die Summe seiner taktischen Schritte. Mitunter ist er gar mehr als die Summe seiner Teile: mitunter ist „das Ganze [...] etwas völlig Anderes“26. Der strategische Plan besitzt Emergenz und infolgedessen die Eigenschaften Neuartigkeit, Unvorhersagbarkeit und Irreduzibilität. Dem zweiten Aspekt, dem mit der Emergenz eng verwandten Zufall, stehen unterschiedliche Disziplinen zwiegespalten gegenüber: Die Künste nutzen ihn als schöpferisches Element, Wirtschaftszweige wie die Lotterien oder Kasinos bauen ihr Geschäftsmodell auf ihm auf, jedoch wird er durch sein Planung verhinderndes und somit Orientierungslosigkeit verbreitendes Wesen nicht nur geschätzt.27 Wird ihm allerdings die Rolle zugesprochen, die ihm gebührt – immerhin ist er in einer komplexen und von Dynamik geprägten Welt nicht wegzudenken –, offenbaren sich zwei Gedankenstränge: 1. Der Zufall komplettiert die Betrachtung von Situationen. Sinnvolles Handeln

wird möglich, da die Anzahl optionaler Handlungsmöglichkeiten – im potenziell Seienden entdeckt – unter Einbezug und Akzeptanz seiner Existenz zunimmt. Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen. Diese Worte Friedrich Dürrenmatts aus Die Physiker verdeutlichen: Aus planmäßigem Vorgehen, ohne Berücksichtigung des Zufälligen, resultiert ein enger und labiler Lösungsweg. Das Befürworten des Zufälligen hingegen führt gezwungenermaßen zu einem breiteren und flexibleren Lösungsweg, der nicht labil auf den Zufall reagiert, da er diesen als seinen Bestandteil akzeptiert. Ihn zu bejahen und ihn nicht der „Zange von Kausalität und Finalität“28 zu überlassen, ist indes das Entscheidende. 2. Der Determinismus besagt, es gebe keinen Zufall, ihm nach ist alles eindeutig vorbestimmt. Es hat den Anschein, als würde das Bestätigen der Existenz von Zufälligem so ad absurdum geführt werden. Doch ist dies nicht korrekt. Sandra Mitchell wünscht ein neues Nachdenken und spricht sich für eine in-

25 Vgl. Porter (2013), S. 90. Aus diesem Grunde ist die bereits in Kapitel 5 erwähnte Aussage, die Strategie T des Feindes stünde einem erfolgreichen General glasklar vor Augen, nicht nachvollziehbar. 26 Bossel (2004), S. 112. 27 Vgl. Coy (2016), S. 34. 28 Balke (2016), S. 56.

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haltliche Erweiterung des Begriffs Determinismus aus. Ein solcher Determinismus, in dem auch der Zufall existieren darf und der emergentes Verhalten aufweist, ist zu finden in dem erwähnten deterministischen Chaos. Mitchell sieht im Umgang mit Komplexität die Notwendigkeit der Entwicklung komplexer Strategien T: „Wenn man in einer komplexen Welt zu einem gewünschten Ergebnis gelangen will, muß man für effiziente Interaktionen mit dieser Welt auch komplexere Strategien entwickeln.“29 Aufgrund der Beschreibung des dynamischen Kerns muss Mitchells Aussage eine Korrektur erfahren: Es geht nicht darum, komplexere Strategien T zu entwickeln, beziehungsweise komplexere strategische Pläne. Vielmehr ist es von Bedeutung, dem System und dessen Umfeld, in denen strategische Pläne existieren, ihre Komplexität und Dynamik zuzusprechen – mit allen beschriebenen und mitunter nicht kontrollierbaren Elementen. Es geht folglich darum, strategische Pläne mit entsprechender Varietät zu versehen, um einer komplexen Welt entgegenzutreten, sodass Ashbys Gesetz Entsprechung findet. Werden die Quellen von Dynamik, von Ungewissheit und Unvorhersagbarkeit nicht nur in dem Verhalten von gegnerischen Akteuren gesehen, sondern jene Quellen als existierende Elemente in komplexen Situationen erkannt, so kann eine Situation auch ohne einen Gegenspieler als strategisch gelten. Wenn auch es nach den Ausführungen zum Attribut 1 Weitere Akteure scheinbar nicht der Fall sein kann. Demnach ist es nicht entscheidend, dass ausschließlich weitere Akteure auf das eigene Handeln Einfluss ausüben. Von Bedeutung ist vielmehr die Tatsache, dass die Situation aufgrund der Anzahl und des Verhaltens der Variablen als komplex und dynamisch einzustufen ist. Ist dies der Fall, so kann eine Situation ohne Gegenspieler als strategisch gelten und das Thema Strategie öffnet sich – anders als es die Bedenken von Bendixen in Kapitel 3 gezeigt haben – auch für den Kultursektor und das Kulturmanagement. Die Existenz von Komplexität ermöglicht also auch Individuen außerhalb von Unternehmen und Organisationen und ohne gegnerische Akteure zu strategieren.

29 Mitchell (2008), S. 112.

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6.3 DER STRATEGISCHE PLAN 6.3.1 Unterscheidung zwischen statischen und strategischen Plänen Die Behauptung, Strategie T existiere auch ohne einen Gegenspieler, wirft ein neues Licht auf die zu Beginn des Kapitels 5 geäußerte Kritik an Maiers Beispiel der Urlaubsplanung. Korrigiert werden muss auf der einen Seite, dass sie trotz fehlenden Gegenspielers als strategisch gelten kann – auch wenn der grundsätzliche Widerspruch innerhalb Maiers Veröffentlichung dadurch nicht aufgehoben wird. Auf der anderen Seite ist die Planung dennoch nicht strategisch, da der Grad der Komplexität nicht hoch ist. Michael Faschingbauer drückt es salopper aus: „Man kann auch eine Reise nach Rom oder Tokio planen – das ist alles recht einfach.“30 Einfach ist es, da zum einen der Startpunkt klar ist, ebenso das Ziel und in einem gewissen Maß auch die Maßnahmen, die grundsätzlich zur Verfügung stehen, um an das Ziel zu gelangen. Er wählt das Verb planen und bringt somit zum Ausdruck – ob nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt –, dass die Einfachheit durch die Klarheit in Start, Maßnahmen und Ziel entsteht und diese Einfachheit einem Plan zugesprochen werden kann. Exakter formuliert: einem statischen Plan. Bei Dörner und dem Kulturpsychologen Norbert Groeben wird dieser Konfiguration der Begriff Aufgabe zugeführt: „Bei Aufgaben ist das zu erreichende Ziel klar definiert, die Mittel der Zielerreichung sind bekannt und werden ‚problemlos‘ beherrscht.“31 Aufgaben sind lediglich kompliziert. Im Gegensatz dazu zeigen Probleme komplexes Verhalten. Die erste Art von Problemen sind laut der Klassifizierung Dörners Interpolationsprobleme. Gemein hat diese Problemart mit einer Aufgabe, dass alle drei Elemente – Start, Maßnahmen und Ziel – bekannt sind, lediglich die Maßnahmenkombination noch unklar ist. Geht es nach Dörner, besitzen Interpolationsprobleme eine geringe Komplexität. Abweichend davon und aufgrund der engen Verwandtschaft zur Aufgabe wird einem Interpolationsproblem hier keine geringe Komplexität, sondern eine hohe Kompliziertheit zugesprochen, infolgedessen nicht von einer Problem- sondern von einer Aufgabenart gesprochen. Anders hingegen zeigt sich die Situation, in der mindestens eines der drei Elemente nicht klar definiert ist oder sein kann; wenn folglich die Transformation von einem Startzustand in einen Zielzustand – ein Problem ist nichts anderes als eine Abweichung zwischen einem tatsächlichen Ist- und einem Soll-Zustand – aufgrund von Unbekannten nicht ohne Wei-

30 Faschingbauer (2013), S. 31. 31 Groeben (2013), S. 76.

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teres zu vollziehen ist. Bei einem Syntheseproblem als Problemart mit geringer Komplexität geht es darum, Maßnahmen zur Zielerreichung zu finden. Ein hohes Maß an Komplexität besitzen in den Ausführungen Dörners und Groebens dialektische Probleme. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass weder Zielpunkt noch Maßnahmen zu deren Erreichung bekannt sind.32 Tabelle 4: Unterscheidung der Begriffe Aufgabe und Problem 1 Art

Probleme

Aufgaben

Start

Maß-

Ziel /

nahmen

Lösung

dialektische

ü

unbekannt

unbekannt

synthetische

ü

unbekannt

ü

interpolierende

ü

(ü)*

ü

einfache

ü

ü**

ü

Struktur komplex ++ komplex + kompliziert ++ kompliziert +

Quelle: Eigene Darstellung. Modifiziert nach Dörner (1976) und Groeben (2013) *) Maßnahmen sind bekannt, jedoch deren Auswahl und Kombination nicht **) Maßnahmen sind bekannt, ebenso deren Auswahl und Kombination ++ hoch / + gering

Als strategischer Plan gelten die Maßnahmen, die zur Lösung eines Problems und zur Erreichung entsprechender Ziele aus dem potenziell Seienden identifiziert wurden. Die einzelnen Maßnahmen entsprechen dabei den Taktiken, unter der Definition, dass Taktiken die in einem strategischen Plan gebündelten und stimmigen Maßnahmen sind. Strategie wiederum ist die Fähigkeit, über Probleme nachzudenken, die aus komplexen Situationen resultieren mit dem Ergebnis, einen strategischen Plan zu entwickeln. Je höher die Komplexitätsstufe, desto

32 Vgl. Dörner (1976), S. 13f sowie Groeben (2013), S. 76f. Eine andere Unterscheidung von Problemarten ist zu finden bei Gomez und Probst (1999), S. 14f. Auch hier ist ein Merkmal die Trennung zwischen den Begriffen komplex und kompliziert. Die dort anzutreffende Einordnung übertragen auf die Terminologie bei Dörner kann lauten: Einfache Probleme: Aufgabe. Komplizierte Probleme: Interpolationsproblem. Komplexe Probleme: Synthese- und Dialektikprobleme.

Domäne

Strategie

Strategie

Plan

Plan

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größer die Notwendigkeit, kreativ und produktiv zu sein. Es liegt auf der Hand, dass es beim Nachdenken über Probleme um die Reduktion der Komplexität durch Auflösen der Unbekannten geht mit der Folge, dass aus einem dialektischen ein synthetisches Problem werden kann. Dabei ist unter systemtheoretischen Aspekten die „Reduktion von Komplexität [..] Bedingung [zur] Steigerung von Komplexität“33. Dies klingt paradox und ist erklärungswürdig: Laut Luhmann tritt Komplexität in einer Differenz in Erscheinung, die durch Grenzziehung zwischen einem System und seiner Umwelt entsteht. Bei der Reduktion von Komplexität handelt es sich um eine systemexterne Reduzierung, da aus Sicht eines Systems die Umwelt immer komplexer erscheint als das eigene Sein – wie das Beispiel der Unternehmensberatungen zuvor verdeutlichte. Ein System kann nicht für jedes Element der Umweltkomplexität eine Eins-zu-EinsMaßnahme vorbringen. Es ist gezwungen, die außersystemische Komplexität zu reduzieren, indem die berücksichtigte Anzahl der von außen kommenden Impulse minimiert wird. Gleichzeitig wird aus systeminterner Sicht die Komplexität innerhalb des Systems erhöht und folglich Varietät erzeugt, die sich im strategischen Plan wiederfinden muss.34 Im Vergleich zu einem strategischen ist ein statischer Plan hingegen das Bearbeiten von Aufgaben, die aus komplizierten Situationen resultieren. Anders als der strategische Plan besitzt der statische Plan keinen dynamischen Kern. Er zeichnet sich nicht durch ein hohes Maß an Flexibilität und Einflussnahme aus. Dies im Rückgriff auf die in Kapitel 2 genannten Planarten: Ein Fahrplan muss nicht an einem Tag derartig, am anderen Tag andersartig sein; ein Haushaltsplan gilt für ein Haushaltsjahr; ein Spielplan ist aufgrund der Planbarkeit für Besucher sowie für Künstler auf Jahre hin angelegt; ein Stundenplan dient Lehrern und Schülern für ein halbes Jahr; und ein Stadt- oder Straßenplan ist über Jahre gültig. Ohne Frage gibt es Änderungen – Baustellen auf Straßen, finanzielle Korrekturen aufgrund ungesehener Ausgaben, krankheitsbedingte Ausfälle von Künstlern und Lehrern oder neu entstehende Stadtteile und Straßenzüge –, doch anders als der strategische Plan erfordert der statische Plan keine derart hohe Bereitschaft des Anpassens. Auch für Uecker ist klar, dass die Gestaltung eines

33 Luhmann (2017), S. 117. Zur Veranschaulichung wählt Luhmann unter anderem das Beispiel des Auges: Es reduziert das Spektrum der sichtbaren Farben und besitzt eine geringe Bandbreite von Empfindlichkeiten, sodass es keine Überforderung durch Außenreize gibt. Im Umkehrschluss entwickelte sich das Auge und mit ihm das Sehen zu einem komplexen Sinnesorgan. 34 Vgl. Luhmann (2008), S. 22ff.

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Spielplans so angelegt sein muss, „dass operativ gesehen keine Unsicherheiten mehr existieren“35. Aufgrund des dynamischen Kerns ist es daher nicht möglich, die Komplexität dahingehend zu reduzieren, aus einem synthetischen Problem eine interpolierende Aufgabe zu machen. Die Geschichte mit dem Sauerkrautfass Diese von Sebastian Eschenbach dargestellte Geschichte mit dem Sauerkrautfass soll einerseits darlegen, dass die Wahl des Begriffes Strategie, wie er in der Auslegung der Geschichte mal deutlicher, mal weniger deutlich Gebrauch findet, vor der hier vertretenen Auffassung nicht geeignet ist; andererseits soll sie den Unterschied zwischen einem strategischen und einen statischen Plan verdeutlichen. In der Geschichte geht es um eine Familie, deren Gesundheitszustand in der Winterzeit abhängig ist von dem im Sauerkraut enthaltenen Vitamin C, das jeden Sonntag auf den Tisch kommt. Die Familie stellt Sauerkraut her und handelt nach Aussage des Autors strategisch. Zu Beginn des Herbstes ist das Sauerkrautfass voll, der Familie droht keine Gefahr. Ende Februar ist der Vorrat an Sauerkraut fast zuneige, es reicht nur noch für eine Mahlzeit, „und niemandem wird bewusst, wie dramatisch sich unsere Lage zugespitzt hat“36. Folgender Umstand lässt erstaunen: Über mehrere Monate wird allsonntäglich Sauerkraut zubereitet. Der Vorrat schrumpft. Dennoch scheint die Familie trotz der Vorhersehbarkeit überrascht. Daher ist ebenso erstaunlich, wenn die beschriebene Situation in dem Kontext von Strategie T angesiedelt wird. Die in Kapitel 5 gestellte Frage aufgreifend: Wenn alles Strategie ist, wann liegt ein Fall von Nichtstrategie vor? Die Unterscheidung zwischen einem statischen Plan und einem strategischen Plan liefert die Antwort: Bei dem Beispiel handelt es sich um das Bewerkstelligen einer Aufgabe, um planvolles Vorgehen ebenso wie in dem von Mintzberg genannten Vorhaben eines Kindes, einen Zaun zu überklettern. Weder ist die Situation komplex noch vielschichtig oder gar ungewiss. Das Gegenteil ist der Fall, sie ist vorhersagbar und zeigt kein vielschichtiges Verhalten. „Pläne kann es nur für Resultate geben, die wir im Voraus beschreiben können, also für Bekanntes“37, schreiben Ruedi Müller-Beyeler und Heiner Butz und nennen das Beispiel eines Bauplans für ein Gebäude. Ein weite-

35 Experteninterview Uecker (2017), S. 266. 36 Eschenbach, Eschenbach und Kunesch (2008), S. 286ff. 37 Müller-Beyeler und Butz (2016), S. 87 sowie Briggs und Peat (1993), S. 242. Auch Borgert spricht der Baubranche klassisch lineares Vorgehen – eben Planen – zu, vgl. Borgert (2015), S. 126.

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res Beispiel eines Bauplans ist bei John Briggs und F. Davon Peat zu finden, die die Frage stellen, was passiere, würde sich der Plan aufgrund von Wetterschwankungen täglich ändern. Die Antwort ist einfach, der Gegenstand weniger: Wäre ein Plan in einem solch fragilen Kontext beheimatet, dann würde es sich nicht um einen Plan, sondern um einen strategischen Plan handeln. 6.3.2 Unterscheidung zwischen strategischem Plan und Taktik „Die Strategie des einen ist die Taktik des anderen – es kommt darauf an, von welcher Seite man es betrachtet“38, schreibt der Strategieforscher Richard Rumelt, ein Vertreter der Ressourcenstrategien T. Dem ersten Anschein nach mag diese Äußerung merkwürdig klingen, bei genauerem Betrachten jedoch durchaus gerechtfertigt sein: Ist eine Kultureinrichtung einmal im Jahr Initiator eines Festivals, so kann diese Tatsache für die Einrichtung selbst eine Taktik sein, ein Baustein des strategischen Plans zur Gestaltung des Gesamtbildes. Das Festival selbst kann zwar ein eigenes Profil besitzen, das mit dem der Einrichtung abgestimmt ist, dennoch kann es unabhängig agieren und strategieren. Entscheidend für die Unterscheidung zwischen dem strategischen Plan und der Taktik ist demnach der Grad der Auflösung beziehungsweise die Beantwortung der Frage, ab welchem Auflösungsgrad die zu betrachtende Einheit als in sich geschlossen gilt. Das bereits dargestellte Modell der Clausewitz’schen Definitionen von Strategie T und Taktik in der Abbildung 7 verdeutlicht den Sachverhalt und zeigt zum einen auf, wie beide sich gegenseitig durchdringen – dies gilt als Nachweis, dass je nach Auflösung die eine oder die andere in Erscheinung tritt –, zum anderen, wieso bei Clausewitz die Strategie T die Hand niemals vom Werke abziehen kann: Selbst bei taktischen Überlegungen durchzieht sie diese. Ist die Rede von der Taktik, so wird diesem Begriff eine unmoderne Anwendung im Sprachgebrauch nachgesagt, der zugunsten des Begriffs Operation weichen musste.39 Einige Autoren sehen – hierarchisch betrachtet – die Operation zwischen der Strategie T und der Taktik angesiedelt, folglich können ersterer und letzterer Begriff nicht synonym verwendet werden. Welcher Überlegung auch gefolgt wird, wieder zeigt die Diskussion die fehlende Klarheit in den begrifflichen Unterscheidungen, zusätzlich befördert durch zeitliche Argumente, die zur Trennung von Strategie T und Taktik genutzt werden: Bezugnehmend auf die

38 Richard Rumelt: Evaluation of Strategy: Theory and Modells, Boston, 1979, zit. nach Mintzberg (1995), S. 34. 39 Vgl. Eschenbach, Eschenbach und Kunesch (2008), S. 26.

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Wirtschaftswissenschaften führt Maier beispielsweise aus, die operative Planung befasse sich mit Zeiträumen bis zu einem Jahr, die taktische Planung mit Zeiträumen von drei bis fünf Jahren sowie die strategische Planung mit Zeiträumen ab fünf Jahren40 – was aber geschieht im Zeitraum zwischen einem und drei Jahren? Dieser Frage wird am Ende dieses Kapitels 6 nachgegangen. Das autopoietische Wesen des strategischen Plans befördert das Denken in Zeithorizonten. Nichtsdestoweniger ist zunächst das Wissen entscheidend, dass ein strategischer Plan als Resultat von Strategie wiederum aufgrund der ihm immanenten Dynamik nur zu einem bestimmten Zeitpunkt Gültigkeit besitzen kann – anders als der statische Plan, der Gültigkeit besitzt über einen Zeitraum, wie die Beispiele Fahrplan, Haushaltsplan, Spielplan und Stundenplan verdeutlichten. Zeithorizonte entstehen erst durch die Betrachtung verschiedener Generationen strategischer Pläne und deren Weiterentwicklungen zwischen einzelnen Zeitpunkten. Ein Zielpunkt wird zu einem neuen Startpunkt, neue Situationen mit neuen Problemen verlangen nach einem immerwährenden Weiterfließen und Fortschreiten. Der monolithische Duktus, der sich hinter dem Begriff langfristig verbirgt, ist indes irreführend. Ob nun die Literatur zur Betriebswirtschaft oder zum Kulturmanagement – beide Disziplinen erwähnen die Notwendigkeit des Aktualisierens von Strategien T beziehungsweise von strategischen Plänen. Der entscheidende und gleichfalls zu kritisierende Punkt jedoch ist die Frequenz der Aktualisierung: Laut Peters muss die Strategie T einmal pro Jahr angepasst beziehungsweise erheblich modifiziert werden, für Colbert kann eine „exzellente Marketingstrategie [..] nach wenigen Jahren, ja schon in wenigen Monaten überholt erscheinen“41. Vor dem Hintergrund des dynamischen Kerns und des autopoietischen Wesens ist ein derartiges Verständnis der Aktualisierung nicht ausreichend. Denn auch statische Pläne wie die zuvor aufgeführten unterliegen rund einmal im Jahr einer Anpassung. Dennoch können sie nicht als Strategie T gelten. Schach Wohl wissend, mit der klassischen Sicht auf das „unbestreitbar zutiefst strategisch[e]“42 Schachspiel zu brechen, wird das Unbestreitbare zum Streitbaren erhoben, indem gesagt wird, Schach sei kein strategisches, sondern ein taktisches Spiel. Zunächst handelt es sich beim Schach um die Lösung einer Interpo-

40 Vgl. Maier (2015), S. 78. 41 Colbert (1999), S. 23 sowie Peters (1988), S. 160, 608. 42 Oetinger, Ghyczy und Bassford (2014), S. 33. Auch Malik bezieht sich auf das Schachspiel und bezeichnet es als ein strategisches Spiel, mit der Begründung, die Anzahl möglicher Züge beim Schach beliefe sich auf 10155, vgl. Malik (2002), S. 7 sowie Malik (2008), S. 168f.

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lationsaufgabe: Start- und Zielpunkt sind bekannt, ebenso die Maßnahmen in Form der einzelnen möglichen Züge und der hinter ihnen stehenden Regeln. Lediglich die Reihenfolge der Züge ist unbekannt – es handelt sich infolgedessen um eine erhöhte Kompliziertheit, nicht um eine komplexe Problemstellung. Schach besitzt nicht das für den strategischen Kontext wichtige Merkmal des Komplexen. Werden die Eigenschaften zur Unterscheidung komplexer und komplizierter Sachverhalte der Tabelle 3 als Richtschnur zurate gezogen, wird noch deutlicher, dass Schach ein kompliziertes, da linear und sukzessiv verlaufendes Spiel ist – der Zug des einen Spielers wirkt auf den des anderen, dessen Zug wird wiederum eine Wirkung auslösende Ursache für den darauffolgenden sein. Schach ist ein Spiel mit endlichen Zügen, es lässt sich – rein theoretisch – im Sinne der Spieltheorie ein optimales Vorgehen berechnen beziehungsweise planen. Da Schach nun ein taktisches Spiel ist und die Frage, inwiefern es sich beim Schachspiel um ein strategisches Spiel handeln könnte, mithilfe der Unterscheidung der Parameter kompliziert und komplex, das heißt durch die Unterscheidung der Domäne des Plans und der Domäne der Strategie, beantwortet wurde, stellt sich die weitere Frage, inwiefern Taktik folglich auch in der Domäne des Plans zu finden ist. Da es sich bei dem Schachspiel um eine Interpolationsaufgabe handelt und die Auswahl beziehungsweise die Reihenfolge der Maßnahmen zur Disposition steht, muss die Antwort lauten, dass Taktik genau dann auch zur Domäne des Plans gehörend ist, wenn es sich um eine Interpolationsaufgabe handelt mit einer hohen Kompliziertheit. Im Falle einer einfachen Aufgabe mit geringer Kompliziertheit kann die Rede hingegen nicht von Taktik sein. Fußball Ein Fußballspiel wiederum bezeichnet Stephanie Borgert als höchst komplex. Sie belegt ihre Aussage damit, dass eine hohe Dynamik innerhalb des Spielverlaufs auftritt, die unter anderem ihre Ursache in den 22 direkt Beteiligten besitzt. Des Weiteren ist eine Vorhersage des Spielendes aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Spielern nicht möglich.43 Ein Fußballspiel müsste infolge des beschriebenen komplexen Wesens – im Gegensatz zu einem Schachspiel – strategischer Natur sein. Andererseits liegt im Falle des Fußballspiels ebenfalls eine Interpolationsaufgabe vor: Start- und Zielpunkt, auch die Maßnahmen sind bekannt. Dieses Dilemma – auf der einen Seite Wesenszüge des Komplexen, der Domäne der Strategie, auf der anderen Seite Eigenschaften des Komplizierten, der Domäne des Plans – gilt es zu lösen. Wird dafür erneut die Unterscheidung der Begriffe komplex und kompliziert genutzt,

43 Vgl. Borgert (2015), S. 60.

Elemente der Strategietheorie | 169

so ist zu erkennen, dass es sich bei den 22 Beteiligten, die nach Lesart Borgerts die Funktion von Variablen besitzen, bei näherer Betrachtung nicht um unbekannte, sondern um bekannte Variablen handelt: 20 Feldspieler mit zwar unterschiedlichen, aber festgelegten Spielpositionen, zudem zwei Torwarte, deren Aktionen festgelegten Regeln folgen. Der Zeitverlauf ist sukzessiv, nicht simultan, da der Ball zu jedem Zeitpunkt nur bei einem der Beteiligten sein kann. Zwar kann er auch abgeben werden, aber nur zu jeweils einem anderen Beteiligten – der Spielverlauf zeigt lineare Züge. Selbst die Zukunft – das Spielende – ist im gewissen Maße aufgrund des Regelwerks vorhersagbar, im Gegensatz zu den Äußerungen von Borgert. Eine Mannschaft wird nach 90 oder 120 Minuten gewinnen, es sei denn, es gibt ein Unentschieden. Lediglich die Anzahl der gefallenen Tore ist nicht vorhersagbar. Und je fortgeschrittener ein Turnier, desto klarer auch die Regeln hinsichtlich eines zu erzwingenden Sieges: Zunächst Verlängerung, dann Elfmeterschießen – bis der Gewinner feststeht. Die genannten Parameter zeigen allesamt Eigenschaften des Komplizierten auf. Der Aussage von Borgert, das Fußballspiel sei höchst komplex, kann demnach nicht ohne Einschränkung zugestimmt werden: Aufgrund des Duktus einer interpolierenden Aufgabe ist es nicht komplex und somit nicht strategisch. Das Spiel weist überwiegend Elemente des Komplizierten auf. Trotz alledem kann dem Fußballspiel seine Dynamik nicht in Abrede gestellt werden. Eine Dynamik, die wiederum doch durch die 22 Beteiligten und deren Bewegungsabläufe entsteht; ebenso durch die Frage, welche Mannschaft am Ende des Spiels Sieger sein wird. Doch die Dynamik erfährt eine starke Begrenzung durch das definierende Regelwerk. Die Veränderung von Spielregeln als entscheidender Wesenszug des Attributs 4 Überraschung, Verborgenes, List ist nicht möglich.44 Innerhalb der Spielregeln mag es zu Überraschungen, zu nicht Vorhersagbarem kommen, doch das Verschieben von Grenzen kann nicht eintreten. Grund dafür ist das beim Fußball- wie beim Schachspiel vorzufindende, in sich geschlossene deterministische System. Der Determinismus ist es demnach, der selbst die dem System innewohnende Dynamik daran hindert, eine Komplexität im strategischen Sinne zu verursachen und die ein dynamisches Fußballspiel nur taktisch erscheinen lässt – zu vieles ist vorherbestimmt. Somit ist die Dynamik geringer als zunächst angenommen. In seinen Ausführungen zur Strategie T macht Lotter deutlich: „Ein Plan regelt die internen Abläufe, er ist für ein geschlossenes System erdacht und gemacht“45 – daher kann das Fußballspiel

44 Vgl. Scheuss (2012), S. 38 sowie Hamel und Prahalad (1995), S. 407 und Porter (2013), S. 209. 45 Lotter (2017).

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trotz vorhandener Dynamiken nur in der Domäne des Plans angesiedelt sein. Gleichwohl kann dieser Plan als Interpolationsaufgabe taktische Züge aufweisen, wie weiter oben erwähnt wurde. Wann aber wäre ein Fußballspiel strategisch? Es wäre genau dann strategisch, wenn es mindestens die Merkmale eines synthetischen Problems aufweisen würde, das heißt, wenn die Maßnahmen unbekannt wären. Sie aber sind aufgrund des vorgegebenen Regelwerks klar. Anders verhält es sich im Militärwesen. Auch hier stehen sich Parteien gegenüber. Doch im Gegensatz zum Sport ist die Dynamik höher. Zwar mögen auch im Gefecht Regeln existieren, doch sind diese bei weitem nicht so starr – wie man mit Bedauern bescheinigen muss. Grenzverschiebungen sind möglich. Die Gestalt eines komplexen Schachspiels wiederum beschreibt Dörner: Eine komplexe Handlungssituation gleicht einem Schachspiel, „welches sehr viele [...] Figuren aufweist, die mit Gummifäden aneinander hängen, sodass es ihm [dem Schachspieler, BJ] unmöglich ist, nur eine Figur zu bewegen. Außerdem bewegen sich seine und des Gegners Figuren auch von allein, nach Regeln, die er nicht genau kennt oder über die er falsche Annahmen hat. Und obendrein befindet sich ein Teil der eigenen und der fremden Figuren im Nebel und ist nicht oder nur ungenau zu erkennen.“46

Einem Schachspiel dieser komplexen Gestalt kann nur mit der Strategie als Fähigkeit begegnet werden. Wenn Rumelt und dessen Aussage eingangs zugestimmt wurde, müsste das Taktische des Fußball- und Schachspiels im Strategischen eine Ergänzung erfahren – je nach Auflösungsgrad. Dies ist jedoch nicht der Fall: Der Determinismus verhindert das Strategische in einfachen Systemen. Seiner Aussage kann somit nur zugestimmt werden in Situationen, deren Komplexität nicht Begrenzung erfährt durch eben jenen Determinismus. Dies ist beispielsweise der Fall in den komplexen Umfeldern der Gesellschaft wie in der Wirtschaft und der Politik. Die Forderung von Mitchell nach der Anwendung eines differenzierteren Be-

46 Dörner (2015), S. 66. Da Dörner sich nicht explizit mit dem Thema Strategie beschäftigt, sondern dessen Fokus auf psychologische Beobachtungen des Problemlösens gerichtet ist, bezeichnet er das Schachspiel auf Seite 240 nichtsdestoweniger als strategisches Spiel. Der Begrifflichkeit wird hier aufgrund der aufgezeigten Argumente nicht gefolgt.

Elemente der Strategietheorie | 171

griffs Determinismus aufgreifend wird deutlich, dass ein strategischer Plan nur in komplexen deterministischen Systemen existiert, in denen die Grenzen verschiebbar sind und die offen sind für Impulse von außen, für Zufall und für Überraschung – an deren Grenzen es zu Austauschprozessen mit anderen Systemen kommt.

6.4 STRATEGISCHER RAHMEN, STRATEGISCHES GESAMTBILD UND POTENZIELL SEIENDES Ein strategischer Rahmen und ein strategisches Gesamtbild müssen im Vorfeld in Form eines potenziell Seienden gedacht werden: Es ist die Summe aller möglichen Maßnahmen und Ziele, aller möglichen Folgen und Entwicklungen – auch das Überraschungsmoment ist ebenso in diesem verborgen wie ungeahnte Ideen. Die aus der Gesamtheit des potenziell Seienden zu einem gewissen Zeitpunkt am passendsten erscheinenden Maßnahmen und Möglichkeiten reduzieren jene Gesamtheit auf das potenziell Mögliche des strategischen Rahmens. Die Entscheidung für die in einer Situation tatsächlich passendsten Möglichkeiten wiederum zu genau jenem Zeitpunkt hat die Hervorbringung des strategischen Plans zur Folge. Wird der strategische Plan realisiert, werden seine aufeinander abgestimmten Bestandteile – die Taktiken – umgesetzt, so entspricht deren Sichtbarwerdung als realisiert Seiendes einem Teil des strategischen Gesamtbildes genau dann, wenn die erforderliche Passgenauigkeit zwischen Start- und Zielpunkt, zwischen Problem und Lösung hergestellt wurde. Der andere Teil des potenziell Seienden bleibt im Nichtsichtbaren verborgen und steht im Rahmen des nichtsichtbaren strategischen Gesamtbildes für andere Situationen zu anderen Zeiten zur Verfügung. Die Wichtigkeit des Entscheidens wird deutlich; ebenso die Tatsache, dass die Größe der Varietät im Verhältnis zur Größe des zu denkenden potenziell Seienden zunimmt. Zur Verdeutlichung wird erneut auf das Beispiel des Marmorblocks zugegriffen – ungeachtet der Unterscheidung zwischen dem Komplexen und dem Komplizierten: Das strategische Gesamtbild wäre nicht nur die schlussendlich herausgeschlagene Statue, sondern ebenso der weggeschlagene Marmor als Teil des potenziell Seienden, der zum einen dazu führte, dass die Statue als realisiert Seiendes dergestalt ist, die sie ist, der aber zum anderen hätte dazu führen können, dass sie anderer Gestalt hätte sein können. Das Ansetzen von Hammer und Meißel an genau jenen Stellen des Steins und nicht an anderen, das zur Form Statue führen wird, entspräche einzelnen Maßnahmen.

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Wird die Unterscheidung zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen, wie sie der Philosoph Henri Bergson in einem Aufsatz aus dem Jahr 1930 darlegt, zu dem aristotelischen Verständnis des potenziell Seienden hinzugefügt, so zeigt sich, dass in dem Beispiel des Marmorblocks dem Bildhauer die entscheidende Rolle zukommt: Das Mögliche scheint in seiner Gänze in dem Marmorblock bereits vorhanden zu sein. Und im Rückblick mag es den Anschein besitzen, als sei das Mögliche zu jeder Zeit möglich gewesen. Doch handele es sich um einen Irrtum. Erst die Wirklichkeit der Fähigkeit und des Handelns einer Person – eben auch des Strategens – zu einem rechten Zeitpunkt lasse das Mögliche auch in Form des Neuen in die Wirklichkeit treten. Seine Gedanken konkretisiert Bergson am Beispiel von Shakespeares Hamlet: Das Schreiben dieses Theaterstücks wäre zu jeder Zeit möglich gewesen. Aber um es zu schaffen, wäre es notwendig, „alles das zu denken, was Shakespeare denken wird, alles zu fühlen, was er fühlen wird, alles zu wissen, was jener wissen wird, alles wahrzunehmen, was er wahrnehmen wird, folglich den gleichen Punkt des Raumes und der Zeit einzunehmen, den gleichen Körper und die gleiche Seele zu haben, d. h. also, Shakespeare selbst zu sein“47 .

Aufgabe des Strategen ist es, mittels seiner Strategie den Blick durch die entlegensten Winkel des potenziell Seienden schweifen zu lassen auf der Suche nach den zum rechten Zeitpunkt notwendigen Maßnahmen, Ideen, Überraschungen und Entscheidungen. In die entlegensten Winkel des potenziell Seienden kann geblickt werden, indem nicht das Naheliegendste sogleich für gut befunden wird. Das Naheliegende hält sich in unmittelbarer Nähe der Ausgangssituation und -problematik auf, an den offenkundigen Ausgangspunkten des potenziell Seienden. Patentrezepte mit ihrem Versprechen auf zweifelhaften Erfolg fördern nicht nur das Naheliegende, vielmehr verhindern sie den tiefergehenden Blick in das potenziell Seiende. Patentrezepte und das von ihnen ausgehende Empfinden von Sicherheit unterbinden wichtige Teile des Nachdenkens und Reflektierens, weil wichtiges Denken scheinbar von den Verfassern jener Patentrezepte vorweggenommen, übernommen und abgenommen wurde. Infolgedessen stehen Rezepte dieser Art für eine oberflächliche Betrachtung, die letzten Endes lediglich ein oberflächliches Blicken in die Größe des potenziell Seienden zulassen. Aussagen wie Das haben wir immer schon so gemacht oder Damit waren wir auch in der Vergangenheit erfolgreich oder Auch die anderen fahren gut damit können, wenn nicht als Beweise, so doch als Belege geltend gemacht werden,

47 Bergson (2015), S. 122.

Elemente der Strategietheorie | 173

dass das potenziell Seiende gedanklich nicht ausreichend beleuchtet wurde. Zweifelsohne liegt das Gute oft nahe, wie auch die auf das Gedicht Erinnerung von Johann Wolfgang von Goethe zurückgehenden geflügelten Worte Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah verdeutlichen. Diese Einstellung verhindert allerdings herauszufinden, ob hinter dem naheliegenden Guten eventuell ein Besser existieren könnte. Das Bessere als Komparativ setzt allerdings die Betrachtung mindestens einer weiteren Idee, mindestens einer Vergleichsmöglichkeit voraus. Um diese ausfindig zu machen, muss der Stratege sich auf den gedanklichen Weg in das potenziell Seiende begeben. Eventuell kommt er dabei zu dem Schluss, dass es sich bei dem Naheliegenden tatsächlich um die bessere Alternative handelt; für diese Erkenntnis muss jedoch die Anstrengung der denkenden Bewegung auf sich genommen werden. Im Kontext von Strategie müssen die geflügelten Worte anders formuliert werden: Um das naheliegende Gute als das Bessere zu erkennen, muss in die Ferne geschweift werden. Der Begriff, der in diesem Zusammenhang ebenso fallen muss, ist der Begriff Kontingenz. Da sie eine Voraussetzung für sinnvolles Handeln ist, wie Wolfgang Coy schreibt, muss sie gleichermaßen mit der Strategie als Fähigkeit und dem Gesetz von Ashby in Zusammenhang gebracht werden, da „das Mögliche [..] nicht das einzig Mögliche sein [darf]; eine sinnvolle Wahl muß eine mögliche Wahl unter anderem Möglichen sein, das so einen faktischen Sinn erhält“48. Wie bei Clausewitz sich Strategie T und Taktik gegenseitig durchziehen, so existiert auch zwischen dem strategischen Plan, dem strategischen Rahmen und dem strategischen Gesamtbild eine Verbindung oder eine Verwandtschaft dahingehend, dass sich – ähnlich einer Matrjoschka-Puppe – das jeweils eine Element bereits in dem anderen befindet. Strategie als Fähigkeit bedeutet dabei, das potenziell Seiende und Mögliche umfangreich zu denken, es vorab zu sehen und einer seienden Realisierung entsprechend zu handeln. Dass der strategische Plan unmittelbar aus der Erschließung des potenziell Seienden resultiert, wird an dieser Stelle deutlich.

48 Coy (2016), S. 35.

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Abbildung 9: Das Zusammenspiel der Elemente der Strategietheorie 1 2 3 4 5

1 = Strategie 2 = Potenziell Seiendes des strategischen Gesamtbildes 3 = Potenziell Mögliches des strategischen Rahmens 4 = Realisiert Seiendes des strategischen Plans / = Sichtbarwerdung des strategischen 
 Gesamtbildes 5 = Dynamischer Kern

Quelle: Eigene Darstellung

In komplexen Umfeldern zu agieren bedeutet, auf Veränderungen zu reagieren oder aber Impulse aus dem eigenen System in das Umfeld zu geben. Infolgedessen ist es notwendig, den strategischen Rahmen im Verlauf der Zeit neu zu justieren mit der Folge, dass die Entscheidung für andere mögliche Maßnahmen und Ziele des potenziell Seienden innerhalb des Rahmens fallen muss; jedoch immer im Abgleich mit dem eigenen Zweck und mit Blick auf die anzustrebende Passgenauigkeit zwischen Start- und Zielpunkt, zwischen Problem und Lösung. Die Verschiebung des strategischen Rahmens in der Zeit zeigt, dass Strategie im Allgemeinen und ein strategischer Plan im Speziellen autopoietischen Charakter besitzen.

Elemente der Strategietheorie | 175

Abbildung 10: Die Verschiebung des strategischen Rahmens im Verlauf der Zeit Wechselwirkung dynamisches Umfeld

Potenziell Seiendes des strategischen Gesamtbildes

Potenziell Seiendes des strategischen Gesamtbildes

Zweck

Zweck

Wechselwirkung dynamisches Umfeld = Strategischer Rahmen = Potenziell Seiendes des strategischen Rahmens = Erreichte Lösungen / Neuer Status quo = Zunächst angestrebtes Ziel, danach Zielkorrektur = Strategisches Gesamtbild / Realisiert Seiendes / Verankerung im Zweck = Strategischer Plan mit Taktiken

Quelle: Eigene Darstellung

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6.5 DER ZWECK Zwei steuernde Theorieelemente besitzen Einfluss auf die basalen Elemente der Theorie: Es sind dies der Zweck sowie die Trias aus Start, Maßnahmen und Zielen. Die etymologische Betrachtung des Begriffs Zweck zeigt die Verwandtschaft zwischen diesem und einem Ziel auf, wenn die Zwecke, der Nagel oder der Pflock die Mitte einer Zielscheibe markieren.49 Die Handlungstheorie spricht dem Zweck einen mehrdeutigen Charakter zu. Erstens ist er gleichzusetzen mit einem Handlungsziel. Zweitens wird unter einem Zweck eine Funktion verstanden. Christoph Horn und Guido Löhrer ziehen das Beispiel des menschlichen Herzens hinzu, dessen Zweck es ist, Blut zu pumpen. Als Unterscheidungsmerkmal dieser zweiten Auslegung des Begriffs Zweck dient die Trennung zwischen intendiertem und nicht intendiertem Verhalten: Das Herz agiert auf natürliche und somit nicht intendierte Weise, während eine Person einer Sache in intendierter Weise eine Funktion, einen Zweck zusprechen kann. Drittens ist mit Zweck die Art und Weise des Gebrauchs von Gegenständen und Personen gemeint, die dem Zweck im Sinne der zweiten Auslegung entsprechen.50 Die erste Auslegung soll hier bei der Definition des Zwecks aufgrund ihrer Gleichsetzung mit einem Ziel keine Beachtung finden. Vielmehr soll der Zweck definiert werden als die Art und Weise, wie ein Gegenstand oder eine Person – oder eine Organisation – in intendierter Form gebraucht wird. Tabelle 5: Unterschiedliche Zweckbetrachtungen Zweck als... 1

Ausprägung

Nägel in die Wand

... Ziel

schlagen Intendiert

2

... Funktion Nicht intendiert

3

Beispiel

... Gebrauch

Person spricht Hammer eine Funktion zu Herz pumpt Blut

Person nutzt Hammer

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Horn und Löhrer (2010) 49 Vgl. Kluge (2011), S. 1019. 50 Vgl. Horn und Löhrer (2010), S. 11f.

Elemente der Strategietheorie | 177

Ursprung des Handelns sind Entscheidungen; Ursprung der Entscheidungen können Gründe, Wünsche, Ziele, Gefühle, Absichten, eben auch Zwecke sein. Vertreter des Kausalismus und Vertreter der Teleologie befinden sich in einem Streitfall in Bezug auf die Handlungen des Menschen: Sind diese anfangsursächlich oder endursächlich?51 Kausalisten vertreten die Auffassung, Handlungen resultieren aus ihrer Vorgeschichte – Gründe sind Ursachen, auf Ursachen folgen Wirkungen, Wirkungen können neue Ursachen darstellen. Die Konjunktion weil entspricht dieser Denkweise und spiegelt die Kausalität wider: Ich gehe ins Café, weil ich meine Freunde treffen will. Anders sehen es Teleologen. Für sie ist die Handlung nicht in ihrer Vorgeschichte begründet, sondern in ihrem Zweck. Das Konnektiv um zu verdeutlicht die zweck- und somit zukunftsorientierte Sicht: Ich gehe ins Café, um meine Freunde zu treffen. Letzteres ist der Zweck und da dieser in der Zukunft liegt, können laut teleologischer Vertreter Gründe keine Ursachen sein – die zeitliche Reihenfolge kann nicht eingehalten werden. Die Frage nach dem Zweck ist somit eine Frage nach dem Wozu, nicht des Warum. Alfred Mele hat beide Sichtweisen zu einen versucht. Sein Beispiel ist folgendes: „Ich gehe genau dann ins Café, um meine Freunde zu treffen, wenn [deutlicher: weil, BJ] der Wunsch, meine Freunde zu treffen, und die Überzeugung, meine Freunde im Café anzutreffen, verursacht, dass ich ins Café gehe.“52 Der Streitfall beider Denkweisen lässt sich – stark vereinfacht – auf eine Frage zeitlichen Bezugs minimieren. Liegt der Ursprung einer Handlung in ihrer Vergangenheit oder liegt er in der Zukunft? Es darf jedoch nicht fälschlicherweise vereinfachend gedacht werden, Ziele lägen in der Zukunft, die Begründung des Zwecks in der Vergangenheit. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass ein holistischer Ansatz weiterführend ist für eine Strategietheorie, da die Vergangenheit bei der Gestaltung einer Zukunft nicht außer Acht gelassen werden darf. Die folgende Abbildung 11 stellt diesen Sachverhalt dar. Dem Zweck wird in der Literatur Beachtung geschenkt – besonders durch die Betonung, dass ihm in der Praxis wenig Beachtung geschenkt wird. Für Andreas Freitag erhöht ein klar definierter Zweck die Erfolgschancen einer Organisation. Noch klarer führt er aus, eine Organisation, der kein klarer Zweck zugrunde liegt, besäße keinen Zweck. Doch eben dieser sei es, der ein Handeln erst möglich mache.53 Immerhin ist er es, der das potenziell Seiende durch sich selbst definiert. Es ist den Fragen nach dem Wozu und Warum weitestgehend immanent, dass sie das potenziell Seiende, das zu Denkende, inhaltlich flankieren.

51 Vgl. Kirchner und Michaëlis (2013), S. 658. 52 Löhrer (2011), S. 11. 53 Vgl. Freitag (2015), S. 22, 24, 72.

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Abbildung 11: Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Zwecks

Kausalismus

W

Teleologie

W

Holismus

W

Vergangenheit

Gegenwart

Zukunft

Frage

Warum?

Wozu?

Antwort

Weil

Um zu

Zweck

= Ursache für Handlung W = auf Entscheidung beruhende Wirkung in Gegenwart

Quelle: Eigene Darstellung

Elemente der Strategietheorie | 179

6.6 PROBLEME: START, MASSNAHMEN UND ZIELE Des Menschen Wunsch lautet nicht selten, für ein Problem eine sofortige Lösung parat zu haben, ja, haben zu müssen – er ist scheinbar Opfer der Evolution und darauf geeicht, existentielle Probleme wie Hunger oder Kälte auf der Stelle zu lösen. Das Auffinden passender Maßnahmen zur Problemlösung zeigt am Ende auch ein Entscheiden gegen Maßnahmen. Porter betont, „die Essenz der Strategie besteht darin zu entscheiden, was nicht zu tun ist [Hervorhebung BJ]“54 und zeigt die Wichtigkeit des strategischen Gesamtbildes auch durch eine Konzentration der Maßnahmen. Zur Wiederholung und Verdeutlichung: Der Gedanke Porters bedeutet im Sprachgebrauch der Strategietheorie, im potenziell Seienden Ausschau zu halten nach möglichen Maßnahmen. Diese definieren den aktuellen strategischen Rahmen, aus dem nach einer weiteren Entscheidungsfindung der strategische Plan entsteht. Nach dessen Umsetzung treten als realisiert Seiendes Komponenten des strategischen Gesamtbildes in Erscheinung – mitunter eben auch als erreichte Ziele. Ausgangspunkt für einen weiteren Gedankengang ist das Wort machbar im folgenden Zitat: „Machbare Ziele [...] lösen in der Regel sofort einen Suchprozess nach den zur Erreichung benötigten Mitteln aus.“55 Die Identifizierung eines Ziels, das ebenso als Lösung eines Problems verstanden werden kann, kann sehr schnell erfolgen aus dem Wunsch heraus, unsichere Zustände umgehen und aktiv werden zu können. Oft werden dabei zeitliche Weiterentwicklungen nach einer Zielerreichung nicht berücksichtigt, sondern lediglich ihre Auswirkungen in der nahen Zukunft. Ziele können daher schnell den Anschein besitzen, als handele es sich bei ihnen um tatsächlich prädestinierte und anzustrebende Ziele. Wird demnach ein Ziel vorschnell als machbar definiert, führt diese Einstufung dazu, andere, eventuell geeignetere Ziele, nicht zu beachten beziehungsweise überhaupt zu entdecken. In der Folge werden Maßnahmen, die mit passenderen Zielen verknüpft gewesen wären, ebenfalls nicht beachtet – das Naheliegende liegt eben nahe. Darüber hinaus sind Ziele Änderungen unterworfen: Das einst angestrebte Ziel verändert sich auf dem Weg zu dessen Erreichung und neue, zuvor nicht beachtete Ziele rücken in

54 Porter (2012), S. 14. An anderer Stelle schreibt er: „Erfolgreiche Strategien erfordern eine klare Entscheidung, andernfalls werden sie leicht imitiert.“ Vgl. Porter (2013), S. 16. Die sehr offen gehaltene Definition Druckers, bei einer Strategie T ginge es darum, die richtigen Dinge zu tun, greift die Fokussierung ebenfalls auf, die Kim und Mauborgne als erstes Kennzeichen einer guten Strategie nennen, vgl. Eschenbach, Eschenbach und Kunesch (2008), S. 91. 55 Faschingbauer (2013), S. 39.

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den Fokus – trotz der aufeinander abgestimmten Maßnahmen, wie im zweiten strategischen Rahmen in Abbildung 10 zu sehen. Diese Kurskorrektur erfordert Flexibilität und auch Mut. Zu Beginn eines Prozesses ist es daher entscheidend, sich ausreichend Zeit zu nehmen, um den Kontext zu verstehen und eine Lösungsorientierung zugunsten einer Problemorientierung aufzugeben. Diese von Walter Schönwandt und seinem Team verfasste Empfehlung widerspricht der Beratungs- und Managementpraxis, in der das Verstehen des tatsächlichen Problems nicht ausreichend betrachtet oder nicht selten sogar übersprungen wird und Entscheidungsträger so der Möglichkeit beraubt werden, Handlungsmöglichkeiten zu kreieren.56 Im Kern geht es infolgedessen um das Auffinden und Verstehen des tatsächlichen Problems und erst im Anschluss um die Suche nach den passenden Zielen. Dies wirft ein neues Licht auf die Unterscheidung zwischen Aufgaben und Problemen. Die Tabelle 4 bedarf einer Ergänzung um zwei weitere Problemarten, die im Folgenden den Terminus latent tragen: Die latent-synthetische und die latent-dialektische Problemart. Hintergrund ist die Überlegung, dass ein Startpunkt mitunter nicht eindeutig bestimmt ist – dies entspricht bei der latentdialektischen Problemart der höchsten Komplexitätsstufe und der höchsten Anforderung an die Strategie, da alle drei Elemente den Wesenszug des Unbekannten tragen.57

56 Vgl. Schönwandt, et al. (2013), S. 10, 17. 57 Vgl. Kühl (2016), S. 72. Unter einer Zweck-Mittel-Verdrehung versteht der Autor nicht die alleinige Suche nach Mitteln, wenn Zwecke bekannt sind – Zweck führt zu Mitteln –, sondern auch die Identifikation von Zwecken aufgrund vorhandener Mittel – Mittel führen zum Zweck. Dieser Fall ist denkbar beispielsweise durch den unerwarteten Erhalt einer finanziellen Zuwendung seitens Dritter und bringt folgenden Gedanken mit sich: Start- und Zielpunkt sind unbekannt, Maßnahmen waren es, sind es nunmehr allerdings nicht mehr. Ausgestattet mit einem entsprechenden Betrag stellt sich die Frage, wie dieser investiert werden kann. Es mag den Anschein besitzen, mit einer weiteren Problemart konfrontiert zu sein, jedoch ist dies nicht der Fall. Bei näherer Betrachtung wird das plötzliche Auftreten von Maßnahmen dazu führen, Start und Ziele zu beleuchten, die bereits existieren, deren Lösung und Verfolgung allerdings aufgrund fehlender Mittel und Ressourcen verschoben wurden. Infolgedessen deckt insbesondere die latent-synthetische Problemart diesen Fall ab.

Elemente der Strategietheorie | 181

Tabelle 6: Unterscheidung der Begriffe Aufgabe und Problem 2 Maß-

Ziel /

nahmen

Lösung

(ü)***

unbekannt

unbekannt

ü

unbekannt

unbekannt

(ü)***

unbekannt

ü

synthetische

ü

unbekannt

ü

interpolierende

ü

(ü)*

ü

einfache

ü

ü**

ü

Art latentdialektische dialektische

Start

Probleme

latentsynthetische

Aufgaben

Struktur komplex ++++ komplex +++ komplex ++ komplex + kompliziert ++ kompliziert +

*) Maßnahmen sind bekannt, jedoch deren Auswahl und Kombination nicht **) Maßnahmen sind bekannt, ebenso deren Auswahl und Kombination ***) Startpunkte scheinen bekannt, jedoch ist das tatsächliche Problem noch nicht identifiziert ++++ hoch / + gering Hellgrau markiert: Bereich der Taktik, wie anhand des Beispiels Schach dargestellt

In komplexen Situationen bedeutet die Beeinflussung eines Merkmals eine Beeinflussung der gesamten Situation, begründet in dem vernetzten Wesen der Vielschichtigkeit. Ausgehend von einem dialektischen Problem zeigt das Modell der Komplexität indes nichts anderes als durch das Erreichen von Klarheit über das anzustrebende Ziel die Komplexität verringert wird: Aus dem zuvor dialektischen resultiert ein Syntheseproblem. Start- und Zielpunkt stehen fest, unbekannt sind noch die Maßnahmen. Ziele fungieren demnach in der Komplexität richtungsweisend. Sie fordern dazu heraus, Entscheidungen zu treffen und infolgedessen Wege beziehungsweise neue strategische Rahmen zu betreten. Denn wie, so fragt Dörner, sollen Entscheidungen gefällt werden, „wenn nicht aufgrund von Zielen“58? Aus diesem Grund trägt das Theorieelement Start, Maßnahmen und Ziele den Zusatz steuernd; und auch der Zweck ist gerade wegen 58 Dörner (2015), S. 74.

Domäne

Strategie

Strategie

Strategie

Strategie

Plan

Plan

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seiner Verankerung in der Vergangenheit und durch das Zukünftige steuernd und richtungsweisend. Wichtig zu wissen ist an dieser Stelle, dass Unterschiede in Zielarten existieren: Wird das Ziel positiv formuliert, ist es nicht nur konkreter, sondern durch die Formulierung, etwas Bestimmtes erreichen zu wollen, hilfreicher als die negative Formulierung von Zielen, die zeigen, etwas Bestimmtes solle nicht erreicht werden. Ein solches Ziel erscheint weniger klar. An Klarheit mangelt es auch Zielen, die als Komparativ erscheinen. Das Ziel, eine Situation solle besser werden, zeugt davon, dass nicht ausreichend Zeit und Energie aufgewandt wurden, um das eigentliche Ziel zu ergründen. Oder anders ausgedrückt: ein positives Ziel zu formulieren. Neben weiteren Merkmalen ist die Unterscheidung zwischen expliziten und impliziten Zielen bedeutend. Von Letzteren ist nicht bekannt, dass sie existieren, dass sie angestrebt werden.59 Entsprechend dem Verhalten von komplexen Systemen kann aus einem impliziten ein explizites Ziel nach einem gewissen zeitlichen Ablauf werden; oder nachdem andere Ziele und Zielkomplexe erreicht wurden. Wieder ist es vonnöten, vernetzt beziehungsweise in Neben- und Fernwirkungen denken zu können. Hier zeigt sich die Begrenzung der Aussage des Wirtschaftswissenschaftlers Heribert Meffert, „bei widersprüchlichen Zielen liegt ein Denkfehler des Managements vor“60. Dies ist insofern nicht korrekt, als in komplexen Situationen kontradiktorische Ziele nahezu die Regel sind, eben weil das System einen hohen Grad an Komplexität aufweist. Die Komplexität nimmt weiter zu, wenn eines der sich widersprechenden Ziele ein implizites ist, das zum entsprechenden Zeitpunkt noch unbekannt ist.61 Ziele weisen in diesem Sinne eine entsprechende Flexibilität auf. Die dem Attribut 6 Zweck, Mittel, Ziel zugeordnete und in der Vergangenheit verankerte Kontinuität des Zwecks und die Beweglichkeit der Ziele finden hier ihre Begründung. In Bezug auf Zweck, Maßnahmen und Ziele sind in der Literatur unterschiedliche Perspektiven auf deren Rollen und deren Zusammenspiel im Kontext der Strategie T zu finden. Stefan Kühl legt dar, dass es „für ein tiefergehendes Verständnis von Strategien problematisch [ist], wenn der Begriff unkontrolliert mal für die Formulierung von Zwecken, mal für die Suche nach Mitteln und dann

59 Vgl. Dörner (2015), S. 68, 79. Für eine weitere Übersicht über Zielarten und deren Aufgabe vgl. Vahs und Schäfer-Kunz (2005), S. 34f sowie Meffert, Burmann und Kirchgeorg (2008), S. 242f. 60 Meffert, Burmann und Kirchgeorg (2008), S. 247. 61 Vgl. Dörner (2015), S. 97, 99.

Elemente der Strategietheorie | 183

wiederum für beides genutzt wird“62. Unklar ist bei Kühl zuallererst dessen Vereinheitlichung der Begriffe Zweck und Ziel. Er setzt einen Zweck mit einem Ziel, ein Ziel mit einem Zweck gleich und trennt beide Begriffe nicht voneinander ab. Diese Trennung ist es allerdings, die auf einer abstrakteren Ebene die Frage nach dem Zweck zu einer Frage nach der Existenz werden lässt, basierend auf dem holistischen Ansatz der Fragen Warum? und Wozu? Somit kann es nicht Zweck einer Unternehmung sein, eine Kostenreduzierung zu erreichen. Diese kann vielmehr ein Ziel sein. Dieses bei Kühl zu findende Beispiel ist gleichzeitig Indiz für die nicht vorhandene Trennung beider Begriffe. Des Weiteren führt er aus, dass der Zweck – die Kostenreduktion – erreicht wird, indem „die Ausschussquote im Fertigungsprozess von 1 auf 0,5 Prozent gesenkt werden soll“63. Dieses Vorgehen ist für ihn ein Mittel zur Erreichung eben jenen Zwecks – oder besser: des Ziels, denn wenige Worte später bezeichnet der Autor diesen Zweck selbst als Qualitätsziel. Für ihn ist das genannte Mittel Kostenreduktion ebenso eine Strategie T – ein weiterer Beleg für den Wunsch nach einem Sichtbarmachen von Strategie T und für die Tendenz, Managementinstrumente als Strategie T zu bezeichnen.

6.7 STRATEGIEREN Neben der Kenntnis um und dem Anwenden der basalen und steuernden Theorieelemente sind weitere Eigenschaften vonnöten, die der Fähigkeit Strategie und somit der Strategietheorie zuzuordnen sind. Es ist dies zunächst der Umgang mit Entscheidungen. Damit ist nicht gemeint, schnelle Entscheidungen herbeizuführen als vielmehr sich bewusst zu sein, welche Folgen aus ihnen resultieren. Des Weiteren sind es die Spielarten des Mutes: Der Stratege muss ohne Frage mutig sein, aber im selben Maße auch demütig. Zu warnen ist gleichzeitig vor dem Hoch- und dem Übermut – darauf wird im Kapitel 7 einzugehen sein, wenn der Kulturstratege in Theorie und Praxis näher beschrieben wird. Weitere Eigenschaften sind die der Kreativität und der Geduld – in Letzterer wird ebenso wie in den Ausführungen zur Entscheidungsfindung der zeitliche Aspekt deutlich, um den der Stratege umfangreicher wissen muss als es lediglich in der An- und Verwendung des Adjektivs langfristig zum Vorschein kommt. Die Worte Mi-

62 Kühl (2016), S. 25. 63 Ebd., S. 26.

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chelangelos Genius ist ewige Geduld formuliert Simon für den Kontext von Strategie T um: „Strategie ist ewige Geduld.“64 Entscheidungsfindung Das oftmals schnelle Entscheiden für eine Maßnahme führt zu Fehleinschätzungen der Situation. Zurückzuführen ist sie auf den nicht favorisierten Zustand der Unsicherheit, der entsteht, wenn Probleme eigentlich köcheln und Ideen reifen sollten. Klug könnte es sein, so Dörner, „sich ein halbes Jahr nur mit der Lösung einer einzigen Frage [zu] beschäftigen“65. Für manch einen entspräche dieser Umstand unter zeitlichen Gesichtspunkten einem begehrenswerten Zustand. Im selben Ausmaß, in dem Zeit zur Verfügung steht, kann die Unsicherheit jedoch parallel dazu permanenter Begleiter sein, der mitunter schnellstmöglich abgehängt werden soll – nicht selten auf Kosten der Qualität von Idee und Lösung. Kennzeichnend sind vier Dinge, die mitunter schon anklangen: 1. Naheliegende Lösungen können die besseren Lösungen sein. Dazu ist jedoch

ein Vergleich zwischen Alternativen – auch nicht naheliegenden – notwendig, die es zu entwickeln gilt. 2. Bei einer möglichen Lösung – ob nun naheliegend oder aber nicht – muss es sich nicht um die beste handeln: Die Annäherung an das Können, gute von schlechten Ideen zu unterscheiden, zeichnet das Strategieren aus. 3. Je Problem gibt es mehrere Lösungen, begründet in der Tatsache, dass Probleme diverse vernetzte Ursachen besitzen und es gefährlich wäre anzunehmen, dieser Komplexität im Sinne Ashbys mit nur einer Maßnahme und einem Ziel begegnen zu wollen und zu können.66 4. Lösungen des Problems können neue, mitunter größere Probleme nach sich ziehen: Was vorher die Lösung, ist nun das Problem – ein Appell an das zirkulär-kausale Denken in Netzwerken.67 Kreativität Nicht selten werden Lösungen erlangt durch den Einsatz der Fähigkeit Kreativität. In Ansätzen ist Kreativität in der traditionellen Literatur zum Thema Strategie zu finden, meistens erfährt sie dabei eine Reduzierung auf einen entsprechenden Hinweis dergestalt, dass es bei der Strategieentwicklung T

64 Simon (2003c), S. 23. 65 Lotter (2006). 66 Vgl. Schönwandt, et al. (2013), S. 44. 67 Vgl. Gomez und Probst (1999), S. 115f, 167.

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einer Ergänzung der analytischen Komponente um eine kreative bedarf.68 Einerseits ist zu attestieren, dass sie ein wesentlicher Bestandteil der Strategie als Fähigkeit ist, zum anderen, dass der Begriff sich durch seinen inflationären Gebrauch allmählich abnutzt. Kritiker wie Ullrich treten auf und zeigen sich weder einverstanden mit dem Degradieren der Kreativität zu einem Konsumartikel noch mit ihrem Fungieren als Motor für Innovationen unter Einfluss der Wirtschaft zum Erlangen von Wettbewerbsvorteilen.69 Umso wichtiger ist es, sie von den Elementen des Rummels, der um ihr Wesen gemacht wird, zu befreien und mit einem sachlicheren Blick auf sie und ihr Zutun zur Strategie zu sehen. Dieser Rummel zeigt sich unter anderem in der Flut an Publikationen beispielsweise zum Thema Design Thinking.70 Diese Publikationen, so die Kritik von Groeben, befassen sich am ehesten mit der Inkubationsphase – die zweite von fünf Kreativitätsphasen, in der es um die Suche nach Lösungen für Probleme geht und diese unterhalb der Wahrnehmung unbewusst bewegt werden. Zuvor findet die Phase der Präparation, danach die Phase der Inspiration statt. Seinen Abschluss erlangt der kreative Prozess in der Bewertung und der Elaboration, der Ausarbeitung – denn nicht alles, was kreativ erdacht wurde, ist tatsächlich anwendbar.71 Der kreative Prozess wiederum ist lediglich einer von vier Bereichen, in denen Kreativität stattfindet. Korrekter formuliert muss es heißen: Drei weitere Bereiche formen das ganzheitliche Bild der Kreativität. Es sind dies die Persönlichkeit, die den Prozess durchführt und durch ihr Denken, Fühlen und Handeln entsprechende Wesensmerkmale besitzt. Sie besitzt Eigenschaften, die Groeben als „paradoxale Verbindung der Gegensätze“72 bezeichnet: Es sind kreative Individuen offen und verschlossen, traditionell und modern sowie sicher und unsicher zugleich. Sie besitzen darüber hinaus die Fähigkeit, zwischen konvergie-

68 Vgl. Scheuss (2012), S. 13 sowie Maier (2015), S. 31 und Reisinger, Gattringer und Strehl (2013), S. 41, ebenso Porter (2010), S. 31. 69 Vgl. Ullrich (2016a), S. 32, 37. 70 Vgl. Erbeldinger und Ramge (2013) sowie Kelley und Kelley (2014) und Uebernickel, et al. (2015). Elemente des Design Thinking gehen auf Erkenntnisse der 1950er und 1960er Jahre zurück: Die Trennung von Produktions- und Bewertungsphase stammt von Osborn, die Beschreibung des divergenten und konvergenten Denkens von Guilford, auch wenn die Entwicklung der Methode in jüngster Zeit der Arbeit der Brüder Tom und David Kelley zugesprochen wird. 71 Vgl. Groeben (2013), S. 76f, 244 sowie Csikszentmihalyi (2014), S. 119f und J. Funke (2000), S. 288f. 72 Groeben (2013), S. 19.

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rendem und divergierendem Denken zu wechseln. Beide Denkweisen vereint in einem Und können zu gelungenen Resultaten führen, wenn Erstere das potenziell Seiende öffnet für eine Vielzahl an Ideen, Letztere die entsprechende Bewertung vornimmt und so die Basis für die Ausarbeitung schafft. Des Weiteren existiert das Umfeld, in dem diese Persönlichkeit agiert und das wiederum auf sie einwirkt und schlussendlich das Produkt, das aus dem kreativen Prozess resultiert.73 Kreativität umfasst demnach mehr als die im kreativen Prozess angesiedelte Phase der Inkubation durch Methoden wie dem Design Thinking und Techniken wie dem Brainstorming zu fördern. Für Ullrich zählen Techniken dieser Art beziehungsweise deren einseitige Sicht auf die Kreativität zu den „folgenreichsten Illusionen der Gegenwart“74. Er spricht sich gegen ähnliche Umstände aus wie die angemahnte Kritik am Umgang mit Strategie – gegen pauschalisierende und erfolgversprechende Blaupausen. Der Fokus, der sowohl auf die Kreativität als auch auf die Strategie T gelegt wird, ist ein zu enger, nur einzelne Aspekte finden Beachtung. Vielmehr handelt es sich bei beiden um ganzheitliche Arten des Denkens, die mehr Bereiche des Lebens und die Einstellung zum selben betreffen als einem in mancher Veröffentlichung Glauben gemacht wird. Soll die Persönlichkeit dahingehend geschult werden, mehr kreatives Potenzial zu besitzen, so die Empfehlung des Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi, müsse der kreative Mensch lernen, „seine Aufmerksamkeit in neue Bahnen zu lenken. Er muss lernen, andere Dinge wahrzunehmen und sie anders wahrzunehmen. Er muss lernen, auf neue Weise zu denken und zu fühlen“75. Erneut: Die Erweiterung des Sehens im potenziell Seienden. Um kreativ zu sein ist folglich mehr notwendig als das Treffen zu einem Brainstorming einzuberufen, in dem entscheidende Weichen gestellt werden sollen, um am Ende diese Weichen – wenn überhaupt – minimal bewegt zu haben. Die Praxis zeigt oft, dass ein Brainstorming schlussendlich keines ist und es sich bei den Ergebnissen aus demselben nur um das Naheliegende in Form des Bekannten handelt, das sich wiederum in Form des Bequemen zeigt. In Erstaunen versetzt diese Tatsache kaum, wird bedacht, dass das Gehirn in erster Linie Bekanntes zutage fördert und Abstraktes sowie weiter entfernt Liegendes unter

73 Die Aussage von Kotler und Trias de Bes, Kreativität sei kein Prozess, sondern ein Ergebnis, ist nicht nachvollziehbar. Da das Ergebnis aus einem Prozess resultieren muss, kann dieser nicht negiert werden, vgl. Kotler und Trias de Bes, (2005), S. 94. 74 Ullrich (2016a), S. 111. 75 Csikszentmihalyi (2014), S. 511.

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Umständen nicht.76 Notwendig ist vielmehr, die Kreativität als Ganzes zu sehen: Die Persönlichkeit und das Umfeld, nicht nur einen Teil des Prozesses mit dem dahinterstehenden Wunsch nach einem Produkt im weiten Sinne. Dabei ist Kreativität lediglich eine Vorstufe, ein Katalysator für das, was tatsächlich gewünscht wird: Die entscheidende Idee für die Lösung eines Problems. Mut Nichtsdestoweniger ist es nicht ausreichend, Lösungsideen lediglich zu besitzen. Mut ist ein weiterer Aspekt. Genaugenommen muss der Mut – das Überwinden von riskanten, unsicheren Situationen trotz des Zustandes der Furcht – sogar dreifach in Erscheinung treten. Einmal als Mut zum Entscheiden; einmal als Mut, das zuvor Entschiedene zu realisieren; einmal in Form von Demut – dem Mut, die eigene Bedeutung nicht über alles andere zu stellen. Für Aristoteles ist der Mut in der Mitte zwischen den Gemütszuständen Furcht und Zuversicht angesiedelt.77 Dieser aristotelische Aspekt beinhaltet, dass unsicheren Situationen trotz der Anwesenheit von Furcht mit Mut begegnet werden kann, gerade weil die Zuversicht existiert, die unsichere Situation zu den eigenen Gunsten zu entscheiden und zu verbessern. Zeit Im Umgang mit Komplexität sieht Borgert neben dem Mut in der Geduld eine weitere notwendige Eigenschaft.78 Ihr innewohnend ist die Zeit. Nichts anderes als eine Situation zu dulden, sie auszuhalten über einen gewissen Zeitraum im Zustand von Unsicherheit ist Geduld – dem Impuls nicht nachzugeben, in eine Situation aus Ungeduld einzugreifen. Es geht eher um aktives Warten denn um passives Ertragen. Ist von Strategie die Rede, ist auch die Rede von Zukunft, von der Zeit. Diese Tatsache drückt sich unter anderem darin aus, dass Lösungen von Problemen in einer nahen oder entfernten Zukunft liegen. Der zeitliche Aspekt ist in vielen Definitionen vorzufinden, am ehesten durch den Begriff langfristig. Die Zeit lediglich auf das genannte Adjektiv zu reduzieren führt zu Ungenauigkeiten. Eine Frage drängt sich auf: Wie ist der Begriff langfristig in unterschiedlichen Kontexten zu definieren? Zweifelsohne ist der Zeitbegriff in ITUnternehmen ein anderer als in der Forstwirtschaft, wenn es bei Letzterer darum geht, Bäume zu pflanzen, die erst in etlichen Jahren gewachsen sein werden. Würden IT-Unternehmen mit solch einer zeitlichen Definition des Begriffs langfristig arbeiten, würden entsprechende Unternehmen rasch vom Markt verschwinden. Und zu guter Letzt bedeuten derartige Auslegungen der Zeit für stra-

76 Vgl. Ahrens (2017), S. 126. 77 Vgl. Aristoteles (1985), S. 95. 78 Vgl. Borgert (2015), S. 105.

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tegierende Individuen, dass sie sich ausschließlich mit Inhalten und Situationen auseinandersetzen können beziehungsweise per definitionem dürfen, die sich einem zukünftigen Zeitpunkt in fünf Jahren widmen. Für das Reisebeispiel von Maier hätte dies zur Folge, dass es nicht um den Urlaub in diesem oder dem kommenden Jahr handelt, sondern um einen Urlaub in frühestens fünf Jahren. Trotzdem kann ihm in folgendem Punkt zugestimmt werden: Er empfiehlt, die Strategie beziehungsweise in seinen Worten „strategisches Denken und Handeln [...] am Gegenstand und nicht am zeitlichen Horizont [auszurichten]“ 79. Und somit relativiert sich sein Reisebeispiel auch unter zeitlicher Betrachtung. Wird der eigentliche Umfang der Frage nach dem Wesen der Zeit an dieser Stelle nicht berücksichtigt, vereinfacht sich die Diskussion auf die Minimierung der Zeit auf drei Elemente: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zwar implizieren diese drei ein Früher und ein Später, also eine sequenzielle, kausale Betrachtungsweise, dennoch handelt es sich bei ihnen um nicht-kausale und zyklische Zusammenhänge. Grund dafür ist der Verlauf der Zeit. Nahtlos sind die Übergänge von Zukunft in Gegenwart, von Gegenwart in Vergangenheit. Nur der Mensch setzt mit seinem Erleben die Markierungen, die zu der Unterscheidung der Begriffe Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft führen. Werden beispielsweise die Jahreszahlen 1800 und 1850 betrachtet, repräsentiert das Jahr 1800 die Vergangenheit für das Jahr 1850. Dennoch besitzt das Jahr 1850 Zukunftscharakter für das Jahr 1800, obwohl beide aus heutiger Sicht in der Vergangenheit liegen.80 Für eine Strategietheorie sind die drei Zeitelemente bedeutend. Im strategischen Rahmen findet die Zukunft ihre Entsprechungen in Zielen. Die Entsprechung der Gegenwart liegt in dem generellen Startpunkt der Überlegungen. Dieser kann eine aktuelle Situation oder ein aktuelles Problem sein, aber auch die im Verlauf der Zeit bereits erreichten und zum neuen Status quo gewordenen Ziele, die gekoppelt sind an den Zweck. Die Vergangenheit zeigt sich in der Differenz zwischen zwei Gegenwarten. Bei der Entwicklung der Zukunft darf die Vergangenheit nicht außer Acht gelassen werden, wie auch deutlich wurde in der Beschreibung des holistischen Zwecks. Die Zukunft aber allein auf Basis von Extrapolation zu entwickeln, ist nicht ausreichend, im Gegenteil. Dieses Vorgehen kann sich als gefährlich und hinderlich zeigen, besonders in kom-

79 Maier (2015), S. 81. 80 Heidegger drückt es unter anderem wie folgt aus: „Man wird darauf hinweisen, dass zur Zeit nicht nur das ‚es war‘ gehört, sondern auch das ‚es wird sein‘ und auch das ‚es ist jetzt‘.“ Vgl. Heidegger (2015), S. 63. Auch Luhmann äußert sich in ähnlicher Weise zum Thema Zeit, vgl. Luhmann (2017), S. 190ff.

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plexen Situationen. Denn Extrapolation ist nichts anderes als lineares Fortschreiben von Vergangenem. Erneut: Die Anwendung linearen Denkens in nichtlinearen, komplexen Kontexten ist nicht förderlich. Die Gegenwart zeigt sich als die aktuelle Situation, in der aktuelle Probleme auftreten. Aber auch – aus der Perspektive der Vergangenheit – als damals gegenwärtige Probleme und die in der Zukunft liegenden Lösungen und Ziele, die in der aktuellen Gegenwart gefunden und erreicht wurden. Als die große Unbekannte tritt die Zukunft auf, in der gegenwärtige Probleme wiederum gelöst, neue auftreten und veränderte Bedingungen existieren, da die Zukunft eben nicht allein in der Hand eines Einzelnen liegt, sondern zukünftige Ereignisse auf vielfache Art miteinander vernetzt sind. Doch ist es gefährlich, eine Zukunft dieser Gestalt kontrollieren zu wollen. Dies ist der Kritikpunkt an dem engen Zeitkorsett und an dogmatischen Standardrezepten. Und gleichzeitig ist es ein Appell für das Bejahen des dynamischen Kerns und der gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Zukünftigen unter dessen Berücksichtigung. Klar ist: Der Zeitverlauf ist irreversibel, durch das Handeln und Entscheiden diverser Akteure vielfach verzweigt und besonders durch die zunehmende Komplexität nicht vorhersagbar. Schwierigkeiten im Umgang mit der Zeit identifizierte Dörner in seinen umfangreichen Simulationsstudien Tanaland und Lohhausen. Die Schwierigkeiten liegen darin, dass die Teilnehmer der Studie die Zustände zu gewissen Zeitpunkten betrachteten statt in Zeitdifferenzen und Zeitentwicklungen. Sie erkannten ein Problem zu einem Zeitpunkt t1 und versuchten, es zu lösen. Sie ignorierten allerdings die Fern- und Nebenwirkungen, sodass sie zu einem weiteren Zeitpunkt t2 mit einer neuen und ungeahnten Situation konfrontiert waren. Erfolgt eine Wirkung zum Zeitpunkt t1 nicht ad hoc, werden weitere Maßnahmen initiiert, mit dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt t2 oder sogar später zu einem Zeitpunkt tp die Wirkungen mit größerer Wucht eintreffen können und neuartige Probleme entstehen. Gerade unter Zeitdruck beginnen Menschen, in einen Aktionismus zu verfallen, der zu einer – kybernetischen – Überdosierung von Maßnahmen führt. Die Probanden hätten gegensteuern können, indem sie die Entwicklung von t1 nach t2 oder tp in ihr Denken integriert hätten. Aus diesem Grunde spricht Dörner dem Status quo einer Situation zwar eine nicht unbedeutende Rolle zu – in Form einer Situationsanalyse, einem Sich-Bewusstmachen der Situation –, eine ent-

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scheidendere Rolle kommt seiner Meinung nach jedoch den Entwicklungen von Situationen zu.81 Zwei weitere Überlegungen über die Verwobenheit der Begriffe Strategie und Zeit, wie sie im wirtschaftlichen Zusammenhang zu finden sind, sind abschließend und vervollständigend zu nennen: 1. Die Strategie T dient der Verkürzung der Zeit, geht es nach den Ausführungen

der Strategen der Boston Consulting Group. Und da sich – so die Unternehmensberatung weiter – die Strategie T immer gegen Wettbewerber richtet, geht es bei der Zeitbeeinflussung um das Erreichen eines Wettbewerbsvorteils.82 Es ist indes die Unterscheidung zwischen dem, was die Zeit verkürzt und dem, was jene Verkürzung erfährt ebenso bedeutsam wie der hinter der Verkürzung stehende Grund. Das Erste ist die Strategie T, das Zweite ist der Weg zu den Zielen, die durch die Strategie T früher erreicht werden sollen als andere Akteure es können. Das Dritte ist ein zeitlicher Vorteil, der durch die vorzeitige Zielerreichung entsteht, wie der Vorsprung gegenüber Akteuren, der auf- und ausgebaut werden soll. Strategie T hilft, die Intervalle innerhalb der fließenden Zeit zu verringern und somit die Erreichung wichtiger Ziele vorzuziehen, wie die Abbildung 12 es zeigt – dies tut sie nicht nur im Wettbewerbsumfeld. 2. Unter spieltheoretischer Betrachtung liegt der Zeitpunkt, eine Strategie T aufzustellen, vor dem Spiel. Sie umfasst dabei alle denkbaren Züge und Reaktionen des Gegners.83 An diesem Punkt liegen vor dem hier Vertretenem zwei

81 Vgl. Dörner (2015), S. 50, 54. Bei Tanaland und Lohhausen handelt es sich um zwei ähnlich angelegte Experimente, in denen untersucht wurde, wie Personen in komplexen Situationen Entscheidungen fällen, vgl. Dörner, Kreuzig, et al. (1994). 82 Vgl. Oetinger (1993), S. 16, 47. Peters zitiert den Unternehmer McCracken, der sagt, „wenn wir es [das Entwickeln des Produkts] statt in drei Jahren in einem Jahr oder in neun Monaten schaffen, haben wir einen immensen Wettbewerbsvorteil“, vgl. Peters (1995), S. 306. 83 „Eine Strategie besteht aus der Planung einer bestimmten Folge von Spielzügen (von Handlungen), wobei in dem Plan für jeden Entscheidungsknoten spezifiziert ist, welche Handlung je nach den vorausgegangenen Zügen der Mitspieler und den eigenen Zügen ausgeführt werden soll. Die Strategie liefert also eine vollständige Beschreibung, welche Handlungen der Spieler auszuführen plant, und zwar für jedes Entscheidungsproblem, vor dem er im Verlauf des Spiels (vom Anfang bis zum Ende) steht.“ Vgl. Holler und Illing (2006), S. 34. Auch Maier beschreibt, dass dem heutigen Ver-

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begriffliche Irrtümer vor, als zum einen Strategie T erneut gleichgesetzt wird mit einem Plan, zum anderen es aufgrund des dynamischen Kerns nicht möglich ist, jede denkbare Situation vorwegzunehmen. Dies ist allenfalls in einfachen deterministischen Systemen wie dem des Schachspiels möglich, weswegen die theoretische Berechnung eines perfekten Spiels vorstellbar wäre, es aber wieder verdeutlicht wird, dass das Schachspiel nach den aufgezeigten Gedanken kein strategisches Spiel sein kann. Die Strategie T ist jederzeit am Werke – so erneut Clausewitz –, sie reagiert auf die Vielfältigkeit komplexer Situationen, sodass eine Strategie T vor den eigentlichen Aktionen nicht komplett sein kann. Aber was genau bedeutet das Wort vor in einem nicht spieltheoretischen Kontext, wenn es keinen offiziellen Zeitpunkt des Startes gibt? In dieser Art und Weise besitzt das Wort keine Berechtigung aufgrund der fehlenden Zeitbegrenzung wie sie ein Spiel aufweist. Und dies ist die noch offene Antwort auf die im Unterkapitel 6.3.2 gestellte Frage: Ein undefinierter Zeitraum zwischen den Jahren eins und drei ist nicht existent und es bedarf der Einteilung in unterschiedliche Zeiträume nicht. Denn das Wesen der Zeit im Allgemeinen und vor einem strategischen Hintergrund im Speziellen besitzt zyklisches und autopoietisches Verhalten, wie das Beispiel der unterschiedlichen Jahreszahlen es darstellte: Der in der Zukunft liegende Zeitpunkt wird zum neuen Status quo, Ziele werden zu neuen Mitteln, neue strategische Rahmen öffnen sich aufgrund zu fällender Entscheidungen und zeigen veränderte Richtungen auf – das gesamte System zeigt seine immerwährende Dynamik.

ständnis nach Strategie T und Taktik vor dem Handeln liegen, vgl. Maier (2015), S. 56.

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Abbildung 12: Die Verkürzung der Zeit Wettbewerber

Eigenes Unternehmen

Jahre

operativ

1

2 undefiniert

3

4 taktisch

5

6

7

8

9

10

strategisch

Vorverlegung des Ziels durch Strategie T zur Erreichung eines Vorteils. Wenn existent: Gegenüber einem Wettbewerber.

= Ziel = zeitlicher Vorteil

Quelle: Eigene Darstellung. Eingliederung der zeitlichen Dimensionen nach Maier (2015)

Elemente der Strategietheorie | 193

6.8 ZUSAMMENFASSUNG, REFLEXION UND WEITERES VORGEHEN Die Theorie im Überblick verhilft, das Zusammenspiel der Elemente zu verinnerlichen: Strategie als Fähigkeit Die Hauptthese der Ausführungen lautet: Strategie ist eine Fähigkeit – die Fähigkeit, komplexe Situationen durch ein entsprechendes Denken und Handeln zu meistern. Des Weiteren zeichnet sich die Strategie – das Strategieren – besonders durch die Eigenschaften Kreativität, Mut, Geduld sowie durch den Umgang mit Entscheidungen und Zeit aus. Komplexität / Problem Die entscheidende Weichenstellung – auch um Sicherheit zu erlangen in der Frage, ob es sich um die Domäne der Strategie oder um die Domäne des Plans handelt – ist zuallererst die Frage, ob es sich um eine komplexe oder eine komplizierte Situation handelt. Nur im ersten Fall findet Strategie Anwendung. Komplexe Situationen erfordern das Lösen von Problemen – im Gegensatz zum Bewerkstelligen von Aufgaben, die der Domäne des Plans und somit der Kompliziertheit zuzuordnen sind. Probleme zeichnen sich aus durch die für die Komplexität typischen Variablen, die in der Frage nach dem Startund Zielpunkt als auch in der nach den notwendigen Maßnahmen zu finden sind. Je höher die Anzahl an Variablen, desto höher der Grad der Komplexität und desto größer die Anforderungen an die Strategie. Steuernde Theorieelemente Von den Start- und Zielpunkten als auch den zu suchenden Maßnahmen, die ein Problem ausmachen, geht eine Mobilität aus, sodass dieses Element als ein steuerndes Element zu benennen ist. Das zweite Element dieser Art ist der Zweck. Ebenso wie bei Zielen findet sich in ihm Zukünftiges wieder. Doch im Unterschied zu ihnen zeigt er auch das Vergangene auf, sodass ein Zweck beständiger ist als Ziele es sind. Der Zweck flankiert das potenziell Seiende. Basale Theorieelemente Neben den steuernden existieren weiterhin die basalen Theorieelemente. Diese sind der dynamische Kern, das strategische Gesamtbild, der strategische Rahmen sowie der strategische Plan. Der dynamische Kern spiegelt das Unbekannte als entscheidendes Wesensmerkmal der Domäne Strategie wider und gilt gleichzeitig als Argument, nach dem die Domäne Strategie im Bereich der Komplexität angesiedelt ist. Das strategische Gesamtbild zeigt sich auf der einen Seite als die realisierten Möglichkeiten oder als das Erreichen

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von Zielen. Für Außenstehende ist dieses erkennbar. Allerdings besitzt das strategische Gesamtbild auch nichtsichtbare Eigenschaften. Diese äußern sich dadurch, dass in Betracht gezogene Maßnahmen durchaus dem strategischen Gesamtbild entsprechen könnten, diese allerdings zu einem gewissen Zeitpunkt aus bestimmten Gründen nicht realisiert und somit verworfen wurden. Diese Maßnahmen, die zur Erreichung eines Ziels zu einem gewissen Zeitpunkt in die nähere Auswahl gelangen, bilden den strategischen Rahmen. Die schlussendliche Entscheidung für die zu einem gewissen Zeitpunkt stimmigen Maßnahmen – die Taktiken – bilden den strategischen Plan. Dieser ist lediglich zu einem gewissen Zeitpunkt aktuell, da – und an dieser Stelle schließt sich der Kreis zum dynamischen Kern – Unvorhergesehenes und Überraschendes auftreten kann und den strategischen Plan zu Korrekturen zwingt – im Sinne des strategischen Gesamtbildes. Potenziell Seiendes Das potenziell Seiende ist die Summe alles innerhalb des Zwecks Möglichen, das es mittels der Strategie zu entdecken gilt. In diesem sind Maßnahmen und Ziele, Ideen und Überraschendes verborgen. Aufgabe des Strategens ist es, dieses potenziell Seiende gedanklich zu betreten. In Verbindung mit dem Vorangegangen wird deutlich, dass das potenziell Seiende die Gesamtheit des Möglichen ist, aus der das strategische Gesamtbild – sichtbar und nichtsichtbar als verworfene Ideen und Maßnahmen – resultiert, aus dem der strategische Rahmen – als in Betracht gezogene Maßnahmen zu einem gewissen Zeitpunkt – resultiert, aus dem der strategische Plan – die Entscheidung für jene und gegen andere Maßnahmen – resultiert. Am Ende dieses Kapitels 6 kann eingewendet werden, dass das neue Verständnis von Strategie, wie es hier vorgestellt wird, ein sehr abstraktes ist. Allerdings erscheint dies nur zu Beginn so; je mehr das Vertrautsein mit den Elementen der Strategietheorie zunimmt, desto selbstverständlicher und hilfreicher wird der Umgang mit ihnen – vor allem im praktischen Alltag. In dem folgenden Kapitel 7 werden die Elemente der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor Anwendung finden.

7

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor

So wichtig Kultur und Kunst für eine Gesellschaft sind, so kritisch werden ihre Einrichtungen mitunter betrachtet. Es wird ihnen vorgeworfen, zu unbeweglich, zu austauschbar, zu gleichartig, zu omnipräsent, zu wenig besonders und zu kostspielig zu sein. In dem Maße, in dem sie sich in ihrem Inneren als ideenlos präsentieren, nimmt auch das Drumherum zu. Es ist zu beobachten, wie erfolgreiche Programme lediglich kopiert statt selbst entwickelt werden. Dass Forderungen nach mehr Orientierung, nach der Aufhebung des Um-sich-selbstKreisens, nach einem deutlicheren Realitätsbezug und nach dem Führen offener Debatten gestellt werden, verwundert indes nicht.1

7.1 AUFBAU DES KAPITELS In Kombination mit dem folgenden Kapitel 8, das sich detailliert dem potenziell Seienden und dem strategischen Plan widmet, erläutert dieses Kapitel 7 die Übertragung der Strategietheorie auf den öffentlich getragenen Kultursektor – gleichzeitig fließen die basalen Theorieelemente an Ort und Stelle ein. Wiederum entlang der steuernden Theorieelemente Zweck und Ziel zeigt es, wie diese auf der einen Seite den kulturmanagerialen Kontext von Strategie definieren und wie diese auf der anderen Seite den sich zu einem Kulturstrategen entwickelnden Kulturmanager in die Lage versetzen, das potenziell Seiende in Gedanken zu betreten; eben weil er um die Eigengesetzlichkeiten seiner Disziplin weiß. Nach einer Beschreibung des kulturellen Zwecks – respektive des Kulturauftrags – erläutert das Unterkapitel 7.3 das aus den Elementen Differenzierung, Aufmerk1

Vgl. Rauterberg (2015c), S. 11, 14ff, 63, 99f. sowie Scheytt (2008), S. 169, 175 und Zepter (2015), S. 79.

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samkeit, Inhalt und Zeit bestehende Zielsystem. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Aufmerksamkeit erfolgt gemeinsam mit der Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit, da Aufmerksamkeit immer verbunden ist mit einer zeitlichen Investition. Die Diskussion der Differenzierung und mit ihr der Innovation erfolgt im Anschluss. Ihr wird dabei aus den folgenden Gründen ein größerer Umfang eingeräumt: • Differenzierung als auch Innovation sind gerade in der heutigen Gesellschaft

der Singularitäten gern gewählte und inflationär verwendete Begriffe, die gleichermaßen Anforderungen an die Strategie stellen – gerade wenn es Aufgabe des Strategens im kulturellen Sektor ist, den Zugang zum Inhalt und ein In-Bezug-Treten mit diesem zu ermöglichen. • Mit der Betriebswirtschaft als Bezugsdisziplin des Kulturmanagements erhielt auch der Begriff Strategie Einzug in das Kulturmanagement und mit diesem auch die in Kapitel 5 herausgearbeiteten Akzente auf Differenzierung und Innovation, basierend auf den dort anzutreffenden Strategieverständnissen T. • Die Generischen Strategietypen zielen auf Kostenführerschaft und Differenzierung ab; für den kulturmanagerialen Kontext reduzieren sich diese – so zeigte der Exkurs in Kapitel 5 – auf die Differenzierung. Zu guter Letzt erfolgt die Auseinandersetzung mit dem bedeutenden Ziel Inhalt, das sich wiederum aufgliedert in unterhaltende, soziale, bildende, ästhetische, qualitative und wirtschaftliche Unterziele. Bei der Diskussion des Inhalts wird der Fokus auf die ästhetischen und qualitativen Ziele mit der folgenden Begründung gelegt: Erstens sind die unterhaltenden und sozialen Unterziele bereits in der – durchaus kritischen – Beschreibung des Kulturmanagements in Kapitel 3 besprochen worden, ebenso klang das bildende Unterziel in Kapitel 4 an. Zweitens werden die hier im Fokus liegenden zwei Unterziele in der Literatur rudimentär dargestellt, sodass der Versuch unternommen wird, sich der Aura des Inhalts wenigstens zu nähern – wenn sie schon nicht abschließend beschrieben werden kann. Kurzum: Die Fokussierung auf die zwei Unterziele des Inhalts hat zur Absicht, diesen vom Drumherum zu entbinden und das Kulturmanagement mit seiner Erwähnung der Besonderheit des Inhalts auf die eigentliche Frage zu führen: der Hauptfrage nach der Bewahrung des Eigentlichen ohne Zunahme des Drumherums. Auch deshalb werden in einem historischen Rückblick verschiedene kunstphilosophische Standpunkte erwähnt, die das Verständnis der Rezeption – wie in Kapitel 4 aufgezeigt – vervollständigen. Und drittens sind wirtschaftliche Ziele als Teil der Betrachtung des Inhalts im selbigen Kapitel 4 dar-

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gestellt und überdies in der kulturmanagerialen Literatur umfangreich – und vollständiger als es hier möglich wäre – besprochen.

7.2 DER KULTURAUFTRAG ALS KULTURELLER ZWECK Ausgestattet mit einer Definitionskompetenz legt die Kulturpolitik diejenigen Aufgaben fest, die im Sinne der Kulturarbeit – bei Scheytt verstanden als der kulturelle Inhalt – wahrgenommen werden sollen. Kulturpolitik stellt Forderungen und Vorgaben an Kulturverwaltung und -management, damit diese jene Kulturarbeit konzipieren, betreuen und fördern. Ausgangspunkt des kulturpolitischen Handelns ist dabei der Kulturauftrag, mit dem unter anderem das Ziel der Vermittlung von Kulturkompetenz verfolgt wird, um die Rolle, die Kunst und Kultur für eine Gesellschaft spielen, an selbige vermitteln zu können und den Kulturbürger in die Lage zu versetzen, Kunst, Kultur und deren Werte als für sich bedeutsam einstufen zu können. Gleichwohl geht es um die Beachtung und Förderung der künstlerisch-kulturellen Belange der Kulturbürger. Das Hauptziel kann demgemäß nicht das Einsparen oder das Akquirieren von Geldern sein. Somit besitzt Kulturpolitik durch die Vorgabe von Zielen, durch das Gestalten zum einen von Recht – Kulturverfassungs- und Kulturverwaltungsrecht, Urheber- und Steuerrecht, Veranstaltungs- und Vertragsrecht – und zum anderen von sachlichen, finanziellen und personellen Ressourcen nicht geringen Einfluss auf die Gestaltung strategischer Gesamtbilder von Kultureinrichtungen.2 Nichtsdestoweniger sind auch ihre Begrenzungen bekannt: Beispielsweise dann, wenn Kulturpolitik auf eine Kulturförderung gerade in der Landes- und Kommunalpolitik reduziert wird; oder wenn eine geringe inhaltliche Gestaltungsmöglichkeit unter anderem wegen eines freiheitlichen Kunstbegriffs beziehungsweise eines nicht trennscharfen Verhältnisses zum Kulturmanagement – trotz der genannten Definitionskompetenz – erwähnt wird.3 Der Kulturauftrag im öffentlich getragenen Kultursektor entspricht indes dem Zweck einer Kultureinrichtung: Der Zweck als Grund der Existenz, als Summe von Vergangenheit und Zukunft, als die Fragen nach dem Warum und dem Wieso, als auf sie zu gebende Antworten mit den Worten weil und um zu beginnend. Jedoch führt ein Handeln ohne Zweck respektive ohne bewussten Kulturauftrag nach Rauterberg – und hier ist der Autor nahe dem von Freitag in Kapitel 6 Geäußerten – zu unüberlegten Aktionen, zu blindem Aktionismus, zu

2

Vgl. Scheytt (2008), S. 47, 68, 111ff.

3

Vgl. Fuchs (2010) sowie Mandel (2013d), S. 30.

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einer Expansion der Kultur mit einem Mehr in der Anzahl der Museen, der Anzahl der Besuche, der Anzahl der Galerien; und zu einem Mehr dessen, was Kunst und Kultur leisten sollen, da Kulturschaffende das Fehlen eines Zwecks mit einer Tendenz hin zu einem Nochmehr – oder im Sinne der hier vertretenen Meinung: hin zu einem Nochmehr des Drumherums – zu kompensieren versuchen. Inwiefern das Hauptziel, die Vermittlung von Kulturkompetenz, erreicht werden kann, ist dabei fraglich.4 Fehlt einer Kultureinrichtung der existenzielle Zweck, besitzt sie in dem Fehlen dieses Referenzwertes ein Defizit hinsichtlich ihres strategischen Gesamtbildes. Es mangelt ihr an einer Verankerung, um konsequent strategieren zu können. Die Frage nach dem Zweck wird zu einer Frage der Existenz. Heinrichs verdeutlicht den Charakter des Zwecks, auch in Abgrenzung zu einem Ziel: „So ist es die allgemeine Absicht (Zweck) eines Verlags, gute Bücher herauszubringen, aber mit dem konkreten Ziel, dadurch Gewinne zu erzielen.“5 Die Zweizeitlichkeit des Zwecks ist erkennbar: Der Verlag traf die Entscheidung, gute Bücher zu publizieren in der Vergangenheit, der Zweck wird jedoch auch in die Zukunft reichende Folgen haben. Die Tabelle 7 zeigt in ihrer Gegenüberstellung der Ansätze zur Detaillierung der Aufträge des Deutsches Schauspielhaus und des Thalia Theater die wortgenaue Übereinstimmung in den programmatischen Aufträgen, der anzusprechenden Publika und der bescheinigten Qualität der Jahre 2013 / 2014 sowie 2015 / 2016. Marginale Veränderungen sind auszumachen in der Kategorie der qualitativen Einordnung. Hier ändert sich der Duktus von führend für beide Häuser hin zu bedeutend und herausgehoben – unklar ist indessen, wie Bewertungen dieser Art erfolgen, wie sie belegt werden und von wem diese Bewertungen vorgenommen wurden – der weiter unten stehende Abschnitt Exzellenz, Einzigartigkeit und Einmaligkeit wird Äußerungen dieser Art kritisch zu hinterfragen wissen.

4

Vgl. Rauterberg (2015b), S. 91. Zwar schreibt Rauterberg, es mangele an Sinn und Zweck, seine fehlende Unterscheidung zwischen den zwei Begriffen soll hier jedoch nicht weiter ins Gewicht fallen.

5

Heinrichs (1997), S. 41.

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 199

Tabelle 7: Gegenüberstellung der Kulturaufträge des Deutschen Schauspielhauses und des Thalia Theaters Deutsches

Thalia

Deutsches

Thalia

Schauspielhaus

Theater

Schauspielhaus

Theater

Haushaltsjahre

2013 / 2014

2015 / 2016

Programmati-

• Breites Reper-

• Breites Reper-

• Breites Reper-

scher Auftrag

toire der ge-

toire der gesam-

toire der ge-

toire der ge-

beziehungsweise

samten dra-

ten dramatischen

samten dra-

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Angebot

matischen Li-

Literatur von der

matischen Li-

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teratur von

Antike bis zur

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teratur ein-

der Antike bis

Gegenwart

der Antike bis

schließlich der

zur Gegen-

Gegenwart

Breites Reper-

zur Gegenwart

wart

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Publika

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formate

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sieren sind

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200 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Qualitative

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Bedeutend im

Herausgehobe-

Einordnung

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Auf hohem

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künstlerischen

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Niveau

Niveau

Niveau

Niveau

Quelle: Eigene Darstellung nach Kulturbehörde Hamburg (2013) sowie Kulturbehörde Hamburg (2015)

Diese nahezu identischen Aufträge, diese sich dadurch fast gleichenden Identitäten zweier Theater, die einen Fußweg von nur 900 Metern entfernt liegen, stellen Fragen an die noch zu diskutierende Notwendigkeit der Differenzierung. Sie stellen aber auch Fragen an die Präzisierung von Kulturaufträgen, scheinen sie generell zu ungenau definiert – eben auch für diejenigen Personen, die diese mit Inhalt füllen müssen, wie es unter anderem Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen Hamburg, darstellt.6 Welcher Gestalt kann eine Präzisierung und Konkretisierung des Kulturauftrags sein? Scheytt empfiehlt, eine Präzisierung des Kulturauftrags beginne mit der Präzisierung des Begriffs Kultur.7 Sich bewusst zu werden, dass der Kulturbegriff ein pluralistischer Begriff ist und die Überlegungen anzustellen, welche Ausprägungen des Kulturbegriffs – hier wird auf das Kapitel 2 verwiesen – in welchem Maße angeboten werden sollen, ist ein entscheidender Schritt. Somit wird die Erfüllung des Kulturauftrags eine Aufgabe des Kulturstrategens und stellt Anforderung an dessen Strategie – insbesondere dann, wenn wie im Falle der Hamburger Sprechtheater die Rahmenbedingungen große Übereinstimmungen aufzeigen. Deutlich wird, wieso der Referenzwert des Strategierens im kulturpolitischen und somit kulturellen Kontext der Kulturauftrag respektive der Zweck ist: Er spiegelt das Dasein der Einrichtung wider. Und je konkreter diese ihre Existenz aus dem Auftrag ableitet, ihn im Innenverhältnis präzisiert und gestaltet, desto deutlicher und homogener tritt ihr strategisches Gesamtbild nach außen in Erscheinung. Allerdings muss die Kulturpolitik als Korrektiv zur Seite stehen, da das von Freitag bezüglich der privatwirtschaftlichen Unternehmen 6

Vgl. Zepter (2015), S. 100.

7

Vgl. Scheytt (2008), S. 129.

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 201

Bescheinigte – das Verfolgen des Selbstzwecks einiger handelnder Personen –, auch in Kultur- und Bildungseinrichtungen beobachtbar ist. Die augenscheinliche Legitimation zur Selbstzentriertheit wird nämlich ebenso mit dem Hinweis auf das Grundgesetz und die dort verortete Freiheit begründet. Allerdings ist die Freiheit eine vom Steuerzahler finanzierte, infolgedessen geht mit dem Erhalt der Zuwendungen große Verantwortung, ja, sogar Verpflichtung einher – im Sinne des öffentlichen Auftrags, im Sinne des Kulturbürgers. Der Leiter einer Kultureinrichtung ist eben Treuhänder. Hier liegt ein Grund für eine Verwässerung des Zwecks verborgen: „In einem Unternehmen, das seinen Zweck [seinen Existenzgrund, BJ] aus den Augen verloren hat und sich in erster Linie mit sich selbst beschäftigt, können einzelne Manager und Mitarbeiter durchaus Erfolge feiern [...] – mit einer Leistung, die einem Zweck dient, von dem wir alle etwas haben, hat das aber herzlich wenig zu tun.“8

So sind die in Kapitel 4 erwähnten Äußerungen zu erklären, Kuratoren würden für andere Kuratoren Ausstellungen konzipieren oder Zuwendungen würden als Spielgeld benutzt. Staehle formuliert: „Die Individualziele oder Motive eines Organisationsteilnehmers werden, wenn sie als Forderungen an die Organisationsleitung (Management) gerichtet sind, zu Zielen für die Organisation. Ziele für die Organisation werden zu Zielen der Organisation, wenn sie vom Management verbindlich festgelegt worden sind.“9

Die allesentscheidenden Fragen lauten allerdings: Was geschieht in dem Fall, in dem Individualziele verfolgt werden, ohne dass diese mit dem Management abgestimmt sind? Oder: Was geschieht in dem Fall, wenn das Management selbst Individualziele verfolgt und infolgedessen Steuergelder zu Spielgeldern werden? Die Eigenschaft Demut als erforderlicher Teil des Strategierens tritt zutage. Mithilfe der Strategietheorie ist zu erklären, wieso es dabei zu Irritationen des nach außen erscheinenden strategischen Gesamtbildes kommen muss: Ob nun die erwähnten Kuratoren bei Rauterberg, die Intendanten bei Benz oder die Manager und Mitarbeiter wie bei Freitag – der Mensch besitzt in unterschiedlichen Nuancierungen Strategie als Fähigkeit. Kommt es zum Verfolgen von Partikularinteressen, betrachten entsprechende Personen das potenziell Seiende ihres anzustrebenden Gesamtbildes und entwickeln ihren strategischen Plan – ohne

8

Freitag (2015), S. 111.

9

Staehle (1994), S. 413.

202 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Frage manches Mal mit einem hohen Grad an Strategie. Jedoch entsteht genau dann die in Organisationen wie eben Kultureinrichtungen oftmals anzutreffende Symptomatik, wenn das potenziell Seiende der Einzelpersonen außerhalb des maßgebenden potenziell Seienden der Einrichtung liegt. Und es liegt außerhalb des potenziell Seienden, weil die vom maßgebenden Zweck respektive dem maßgebenden Kulturauftrag gezogenen Grenzen zugunsten eines anderen, individuellen Zwecks überschritten werden – der verfolgte Zweck dient eben dem eigenen und nicht dem strategischen Gesamtbild der Organisation. Der strategische Rahmen führt sich und mit ihm den ihm immanenten strategischen Plan nach jenseits der Grenze. Das Gesagte beinhaltet, dass ein universales potenziell Seiendes existiert – das potenziell Ganze als Summe alles potenziell Seienden –, aus dem bedingt durch unterschiedliche Zwecke unterschiedlich potenziell Seiendes extrahiert wird, das indes nebeneinander existieren und durchaus auch Überschneidungen besitzen kann.

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 203

Abbildung 13: Das Verlassen des Zwecks

Individuell 
 potenziell Seiendes

Individueller Zweck

Individueller Zweck Organisationszweck

Potenziell Seiendes

An dieser Stelle fehlt die Verankerung im eigentlichen Zweck, da sie aufgrund des Verfolgens von Partikularinteressen und zugunsten eines anderen Zwecks aufgegeben wurde. Organisationszweck

Schematische Darstellung des Verfolgens eines persönlichen Zwecks. Der individuelle und der Organisationszweck können durchaus Überschneidungen des potenziell Seienden aufzeigen. Da in dieser Abbildung jedoch die Partikularinteressen im besonderen Fokus stehen und diese als Gründe genannt werden, weshalb strategische Gesamtbilder nicht immer deutlich zutage treten – eben aufgrund zu vieler individuell wirkender Kräfte –, wird zur Vereinfachung der Abbildung auf die Darstellung dieser Überschneidungen verzichtet. Die Legende ist identisch zu der der Abbildung 10.

7.3 KULTURELLES ZIELSYSTEM Einzig wirtschaftliche Ziele können im kulturellen Kontext nicht greifen, auch wenn die Aufgabe, betriebswirtschaftlich zu agieren berechtigt ist. Vielmehr handelt es sich um ein Zielsystem, das insgesamt aus vier aufeinander aufbauenden Oberzielen besteht. Deren Stufen drei und vier gleichen denen der Privatwirtschaft des zweiten Sektors, doch in den finalen zwei Zielen unterscheiden sie sich von ihr – eine entscheidende Komponente für die Strategie im kulturel-

204 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

len Kontext, gleichwohl ein Nachweis für die Besonderheit des kulturellkünstlerischen Inhalts. Tabelle 8: Zielsysteme öffentlich getragener Kultursektor und Privatwirtschaft Ziel

Kultursektor

Privatwirtschaft

4$

Differenzierung

Differenzierung

3$

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit

2$

Inhalt

Produkt

1 Finales Ziel

Zeit

Gewinn

Rückwärts argumentiert bedeutet dies, Interessierte dazu zu bewegen, ihre (1) Zeit in beziehungsweise mit dem (2) Inhalt einer Kultureinrichtung zu verbringen. Voraussetzung dafür ist, dass Kultureinrichtungen im kulturellen Umfeld und über dieses hinaus wahrgenommen werden, (3) Aufmerksamkeit auf sich ziehen in einer mannigfaltigen Angebotsbreite und einer immer umfangreicheren kommunikativen Reizüberflutung. Zur Erreichung der Aufmerksamkeit ist es vonnöten, sich als Kultureinrichtung von anderen zu unterscheiden, sich zu (4) differenzieren. Diese Abgrenzung erfolgt grundsätzlich durch den Inhalt im weitesten Sinne, sodass sich dieses Ziel wiederum in folgende Ziele unterteilt: 1. Unterhaltende Ziele 2. Soziale Ziele 3. Bildende Ziele 4. Ästhetische Ziele 5. Qualitative Ziele 6. Wirtschaftliche Ziele

Kulturpolitische Ziele knüpfen im Grunde an allen Zielen an. Es ist beispielsweise Anliegen kulturpolitischer Programme, den Bürger ins Zentrum zu rücken und ihm den Zugang zu kulturellen Angeboten zu ermöglichen; ihn inhaltlich und ästhetisch zu bilden; ihn sicherlich auch zu unterhalten; es ist ihr Anliegen, finanzielle Ressourcen durch wirtschaftliches Handeln optimal einzusetzen; sicher ist es auch im Sinne der Kulturpolitik, dass Entscheider die Verknüpfungen der Ziele erkennen, sie um diese als auch um die von ihnen ausgehenden Kom-

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 205

plexitäten wissen und ihnen entsprechend Strategie an den Tag legen; damit nicht der Anschein eines Flickwerks erweckt wird, das auf einem Sammelsurium10 mehr oder minder nicht aufeinander abgestimmter Maßnahmen basiert. Als Taktik können diese Maßnahmen nicht bezeichnet werden, da der Gebrauch dieses Begriffs impliziert, Teil des strategischen Plans zu sein und somit das Resultat von Strategie. Auch der Eindruck eines lediglich unmittelbaren Reagierens auf aktuelle Gegebenheiten soll nicht erweckt werden, sodass infolgedessen kein stimmiges Gesamtbild und keine Identität erkennbar wären. Die wirtschaftlichen Ziele sind hier als Bestandteil des Ziels Inhalt gewertet zum einen mit der Begründung, dass dieser Verantwortung trägt für den Fluss von Geldern – seien es Zuwendungen, Eintritts- oder Sponsorengelder. Zum anderen sind derartige Ziele dem Ziel Inhalt subsumiert, um anderen Zielen und schlussendlich dem eigentlichen Inhalt, der Kunst und der Kultur mehr Gewicht zu verleihen. Denn im Zentrum steht im weitesten Sinne die Verbindung Inhalt / Zeit und nicht die Verbindung Produkt / Gewinn. 7.3.1 Aufmerksamkeit und Zeit In gesättigten Märkten, so Vertreter der Aufmerksamkeitsökonomie, kommt der Aufmerksamkeit eine entscheidende, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle zu – ihr wird sogar zugesprochen, das Monetäre ersetzen zu können. Märkte dergestalt müssen ihren Fokus auf die Nachfrage richten. Damit Nachfrager wiederum ihre Aufmerksamkeit auf die anbietenden Akteure des Marktes lenken, entstand – unter der Hervorbringung der Massenmedien – der harsche Wettbewerb um die Aufmerksamkeit mit dem Ergebnis der Reizüberflutung und einer kognitiven Überforderung.11 Dieser Aussage ist indes nur eingeschränkt zuzustimmen. Es ist in der Tat so, dass neben finanziellen andere Ziele auf dem Markt existieren. Nichtsdestoweniger kann das Fortbestehen von privatwirtschaftlichen Unternehmen nur gewährleistet sein, wenn die hergestellten Produkte ihren Absatz finden – die

10 Ähnliches beschreiben Kim und Mauborgne: Für die Autoren besteht die Gefahr von zwar sinnvollen, aber nicht aufeinander abgestimmten Taktiken darin, dass sie „keine klare, einheitliche Richtung ergeben, durch die das Unternehmen sich von der Konkurrenz abheben würde“. Vgl. Kim und Mauborgne (2005), S. 75. 11 Vgl. Franck (1998), S. 51 sowie Berndt (2017), S. 16 und Barth (2017), S. 11. Den Massenmedien bescheinigt Nolte, sie hätten durch das Schaffen eines Überangebots an Möglichkeiten der Rezeption zu einer Verknappung der Aufmerksamkeitsressource geführt, vgl. Nolte (2005), S. 13.

206 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Kombination Produkt / Gewinn. Zu Zeiten der Angebotsmärkte war dies ohne Umwege über die heutzutage professionalisierte Aufmerksamkeitsindustrie möglich. Doch mit dem Wandel hin zu Nachfragemärkten in den 1960er Jahren entstand die Notwendigkeit, qua Aufmerksamkeit Nachfrage zu generieren. Doch am Ende des Umweges steht nach wie vor das Monetäre – trotz aller Betonungen von Aktivitäten, beispielsweise im Rahmen der Corporate Responsibility. Infolgedessen kann die Aufmerksamkeit das Monetäre nicht ersetzen – Erstere ist Bedingung für Letzteres. In zwei weiteren Punkten kann der Aufmerksamkeitsökonomie nicht vollends beigepflichtet werden beziehungsweise zeigt sie sich unvollständig: 1. Die Aufmerksamkeitsökonomie schenkt dem Aspekt Zeit keine explizite Be-

achtung. 2. Der Begriff Aufmerksamkeit ist unter wahrnehmungspsychologischer Betrach-

tung unzureichend. Zu 1 Die Betrachtung von Aufmerksamkeit ist streng genommen ebenso eine Betrachtung von Zeit. Der Moment des Aufmerksamkeitgebens – und mag er noch zu kurz sein – ist immer auch ein Geben von Zeit. Des einen Sein erfährt in dem des anderen seine Vervollständigung. Das Verbringen von Zeit ohne Aufmerksamkeit ist ebenso wertlos wie das Erhalten von Aufmerksamkeit ohne eine folgende zeitliche Aktion. Franck, der die enorme Rolle beschreibt, die der Aufmerksamkeit in der heutigen Gesellschaft zukommt, vollzieht diesen Schritt nur indirekt, indem er ausführt, die Aufmerksamkeit eröffnet „Zugang zu anderen Erlebnissphären“12. Jedwede Aktivität – von einem Kulturbesuch über ein Gespräch bis hin zu einer Recherche im Internet – kann zu einem Erlebnis werden, muss erlebt werden, bedarf folglich einer zeitlichen Investition; einer Investition der eigenen Lebenszeit. Zeit, so schreibt Michael R. Solomon, ist für „viele Konsumenten das kostbarste Gut“13. Doch obgleich den meisten Menschen heutzutage freie Zeit in größerem Umfang zur Verfügung steht als noch vor Jahrzehnten, nimmt der subjektiv gefühlte Zeitdruck zu. Dies liegt weniger an der hohen Stundenzahl, die ein jeder täglich in seine Arbeit investiert oder investieren muss als vielmehr an einem wachsenden Angebot und mit diesem einhergehend die ausufernde Informationsflut mit der Folge, dass jedermann dazu gezwungen ist, seine Aufmerksamkeit – und letztlich seine Zeit – wohl zu dosieren. An dieser Stelle laufen diverse Stränge zuvor gesagter Argumente zusam-

12 Franck (1998), S. 12f. 13 Solomon (2013), S. 347.

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 207

men: Da sind erstens die in der kulturmanagerialen Literatur zu findenden Konkurrenzverhältnisse. In ihrer am stärksten ausgeprägten Erscheinung als Freizeitkonkurrenz treten Kultureinrichtungen um den Aspekt der Zeitinvestition in Konkurrenz; da ist zweitens das von Opaschowski, Schulze und Wagner zur Entwicklung der Freizeit und des Feierabends Genannte; da ist drittens das Risiko der Zunahme des Drumherums – auch um Aufmerksamkeit zu erlangen. Diese gewachsenen Ansprüche an den Umgang mit dem individuellen Zeitkontingent scheint die Journalistin Kathrin Werner nicht einzubeziehen. Sie kritisiert die Gewohnheit der Deutschen, auf Rolltreppen rechts zu stehen, während der New Yorker links vorbeidrängelt; sie klingt verwundert über den Mindesturlaubsanspruch von 24 Tagen; sie attestiert dem Deutschen ein so reich gefülltes Zeitkonto, dass er sogar an roten Ampeln stehenbleibt, obgleich sich kein Auto zu nähern scheint; kurzum: sie fordert Beschleunigung statt Entschleunigung, da sie in ihr den Motor der Marktwirtschaft sieht.14 Doch bei alledem scheint sie die Gefahren auszublenden, die auftreten, wenn Werte und Wertvolles der Beschleunigung zum Opfer fallen. Es ist irrtümlich zu glauben, der Mensch besäße heutzutage mehr Freiräume, auch zeitliche: Wer schneller agiert, der hat mehr Zeit, so ist ihr Artikel zu lesen. In jener Beschleunigung sieht Rosa eben jene Gefahr der Entfremdung, wenn es nicht mehr gelingt, in Resonanz zu treten. Er schreibt: „Die Orte, an die wir reisen, berühren uns nicht, die Menschen, denen wir begegnen, bleiben uns fremd, was wir lesen oder hören, sagt uns nichts.“15 Für Kultureinrichtungen geht es demnach mit Blick auf den Besucher um die Ermöglichung des In-Resonanz-Tretens und infolgedessen um die Investition seines kostbarsten Guts, da das Unwiederbringliche im Wesen der Zeit dazu auffordert, zwischen möglichen Alternativen für die persönliche Zeitgestaltung abzuwägen. Sich als Entscheider in Kultureinrichtungen auseinanderzusetzen mit der Zeitinvestition als solcher – gerade auch weil das Denken der Zeit in diversen Facetten Teil der Strategie als Fähigkeit ist, wie in Kapitel 6 beschrieben – und ein Bewusstsein zu entwickeln über die Bedeutung, die die Zeit für den Besucher besitzt, ist demnach ein entscheidender Gedankenschritt, der sich schlussendlich im zweiten Ziel des Systems – dem Inhalt – niederschlagen muss. Der Direktor des Metropolitan Museum of Art hat diesen Aspekt verinnerlicht. Daniel Weiss bedankt sich bei den Besuchern und äußert: „Wir fühlen uns ge-

14 Vgl. Werner (2013). 15 Rosa (2018), S. 30 sowie Rosa (2017).

208 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

ehrt, dass so viele Menschen sich in diesem Jahr entschieden haben, mit uns ihre Zeit zu verbringen."16 Zu 2 In den Ansätzen der Aufmerksamkeitsökonomie ist in erster Linie von Aufmerksamkeit erhaschenden kommunikativen Impulsen die Rede, ausgelöst eben durch Kommunikation und Werbung.17 Dabei handelt es sich bei der Aufmerksamkeit streng genommen lediglich um den zweiten Schritt eines dreiteiligen Wahrnehmungsprozesses. In diesem geht es darum, Reize in dem Fokus der menschlichen Sinne zu platzieren (Exposition), sodass diese in das Bewusstsein rücken (Aufmerksamkeit) und schlussendlich eine Bewertung erfahren (Interpretation).18 Dies zeigt Abbildung 14. In den Veröffentlichungen zur Ökonomie der Aufmerksamkeit wird der Schritt zur Interpretation nicht vollzogen. Doch erst die Interpretation gibt darüber Auskunft, inwiefern eine Situation oder ein Inhalt als interessant oder uninteressant, als langweilig oder spannend, als niveauvoll oder niveaulos, als sehenswert oder nicht sehenswert und ein Produkt als kaufenswert oder als nicht kaufenswert eingestuft wird. Somit zeichnet der Begriff Wahrnehmung ein vollständigeres und für das hier Entwickelte geeigneteres Bild als der Begriff Aufmerksamkeit und wird weiterführend Verwendung finden. Infolgedessen ist es nicht ausreichend, als Kultureinrichtung lediglich Aufmerksamkeit zu erhalten. Ebenso wichtig ist, dass die Institution für deren Geber so wahrgenommen wird, dass dieser seine Zeit in der Einrichtung verbringen will und wird. Der Prozess der Wahrnehmung muss demnach in einer Aktion münden. Diese wird in der Aufmerksamkeitsökonomie durch ihren Fokus auf die Kommunikation wenig beachtet, obschon die bereits im Jahr 1925 entwickelte AIDA-Formel darauf abzielte, die zu Beginn gewonnene Aufmerksamkeit in eine entsprechende Handlung zu überführen.19 Eine solche Aktion kann einer fi-

16 dpa (2017). Auch das Thalia Theater in Hamburg hat den Aspekt Zeit in seiner Abonnementkampagne aufgegriffen und diesen in Zusammenhang gebracht mit den Aspekten Unterhaltung und Qualität. So wird kommuniziert, im Thalia Theater verbringe man „Qualitätszeit. [Denn] eine Spielzeit bietet bessere Unterhaltung als das größte Datenvolumen“, vgl. Thalia Theater (2017). Die Interviewpartner Uecker und Hoffmann unterstreichen diesen Aspekt, vgl. Experteninterview Uecker (2017), S. 273 sowie Experteninterview Hoffmann (2017), S. 290. 17 Vgl. Franck (1998) sowie Franck (2003) und Nolte (2005). 18 Vgl. Solomon (2013), S. 66, 76ff. 19 Vgl. Mandel (2009b), S. 61 sowie Colbert (1999), S. 189. Die AIDA-Formel besteht aus den vier Elementen Attention, Interest, Desire, Action und geht auf den Werbe-

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nanziellen Investition, aber auch einer zeitlichen entsprechen. Somit wird die Zeitinvestition des Besuchers in öffentlich getragenen Kultureinrichtungen zum Äquivalent des Monetären des Privatwirtschaftlichen. Gerade in Kunst und Kultur geht es um zeitliche und wahrnehmende Zuwendung zum Inhalt. Das folgende Beispiel Wahrnehmung und Zeit konkretisiert diesen Zusammenhang. Abbildung 14: Die drei Stufen der Wahrnehmung Wahrnehmung

Exposition

Aufmerksamkeit

Interpretation

Reiz

Bewusstsein

Bewertung

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Solomon (2013)

Wahrnehmung und Zeit Der Kulturbürger nimmt in seiner Umwelt eine Kommunikationsmaßnahme in Form einer Programmankündigung wahr und interpretiert sie als für sich interessant. Der Zeitaufwand der Wahrnehmung ist gering. Bleibt an dieser Stelle eine Aktion in Form eines Besuchs aus, so ist dies auf Dauer für eine Kultureinrichtung nicht ausreichend, trotz positiver Wahrnehmung der Kommunikationsmaßnahme – Fall 3 der Tabelle 9. Erst der Besuch des entsprechenden Programms inklusive des erhöhten Zeitaufwands macht ein erfolgreiches Wahrnehmen der Kommunikationsmaßnahme aus. Bei diesem Besuch muss allerdings die Wahrnehmung des Kulturbürgers ebenso gegeben sein. Zeit und Wahrnehmung bilden eine Einheit, ein erfolgreiches Tun aus Sicht einer Kultureinrichtung – Fall 1. Der gegenteilige Fall liegt vor, wenn beispielsweise eine Schulklasse die Einrichtung aufsucht und die Schüler ihre Zeit investieren müssen, da der Lehrer die Programmankündigung als positiv wahrnimmt. Doch statt dem Besuch ihre Wahrnehmung zuteil werden zu lassen, sind einige fachmann Strong zurück. Dabei ist der letzte Schritt der entscheidende: „Der potenzielle Käufer muss seinen Wunsch in die Tat umsetzen (Action), denn erst durch den Vollzug der Kaufhandlung wird das eigentliche Werbeziel erreicht.“ Vgl. Vahs und Schäfer-Kunz (2005), S. 457.

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Schüler nur aufgrund einer Verpflichtung anwesend. Zeit und Wahrnehmung bilden keine Einheit – Fall 2. Vollständigkeit erfährt das Beispiel in der Tatsache, dass auch eine kommunikative Maßnahme von vornherein als negativ und uninteressant wahrgenommen wird, und eine Aktion auch hier nicht stattfinden wird – Fall 4.20 Tabelle 9: Wahrnehmung und Zeit Fall

WK

Aktion

WA

1

Positiv

Positiv

Positiv

2

Positiv

Positiv

Negativ

3

Positiv

Negativ

4

Negativ

Zeitinvestition Zeit A und Zeit WA: Einheit Zeit A und Zeit WA: keine Einheit Zeit A und Zeit WA: keine Einheit

Erfolg +/+/+

+/+/–

+/–



WK = Wahrnehmung Kommunikationsmaßnahme. Zeitaufwand ist gering. WA = Wahrnehmung innerhalb einer Aktion. Zeitaufwand reicht von gering bis hoch. Zeit A = Zeitinvestition Aktion Zeit WA = Zeitinvestition Wahrnehmung innerhalb einer Aktion Positiv beziehungsweise negativ bedeutet eine entsprechende Interpretation in der dritten Stufe des Wahrnehmungsprozesses. Bei den Aktionen spiegeln stattfindende beziehungsweise nicht stattfindende Handlungen das Positive und Negative wider.

20 Hier liegt ein Grund für die zu kritisierende Fixierung auf Besuchszahlen. Sie geben nicht Auskunft darüber, wie Besucher das Programm der Kultureinrichtung wahrgenommen haben. Dabei geht es nicht um positive Äußerungen; auch kritisierende und negative Momente sind dienlich. Wichtig ist lediglich, dass die Einrichtung qualitativ von den Besuchern eingestuft wird. Es werden die Grenzen der Quantifizierung deutlich. Demnach ist der bei Franck und Nolte zu findende Gradmesser der Aufmerksamkeit unvollständig, der Auskunft gibt über Besuche, Einschaltquoten, Auflagenhöhe oder Klicks im Internet, da er nicht darlegt, wie das zu Betrachtende betrachtet, wie das zu Betrachtende wahrgenommen wurde, vgl. Franck (2003) S. 4 sowie Nolte (2005), S. 51, 87.

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Es geht folglich darum, die Wahrnehmung zu erhalten, die einem Inhalt und einem Werk jedweder Art zukommt. Dass der Begriff Wahrnehmung vorteilhafter ist, zeigt sich auch hier: Das Werk nur aufmerksam zu betrachten oder es zu hören, reicht nicht aus, folgt man kulturpolitischen und kunsttheoretischen Gedanken. Man muss es deuten, man muss sich über es austauschen, man muss durch es lernen. Kurzum: Man muss es interpretieren. Aus diesem Grund muss die Wahrnehmung beispielsweise innerhalb einer Ausstellung gelenkt und gefördert werden. Wahrnehmung und Rezeption Diverse Erhebungen zeigen unterschiedliche Daten hinsichtlich der Betrachtungsdauer von Kunstwerken: Das Metropolitan Museum of Art ermittelte, die durchschnittliche Dauer liege bei 17 Sekunden, bei besonderen Ausstellungsstücken bei 27 Sekunden. Hingegen reiche – so wiederum eine Untersuchung der Tate Gallery – die Dauer der Betrachtung zeitgenössischer Werke von lediglich fünf Sekunden im Durchschnitt bis hin zu mehreren Minuten. Die Dauer stünde dabei in Abhängigkeit zum Bekanntheitsgrad des Künstlers. Eine weitere Studie zeigt, die durchschnittliche Betrachtungsdauer eines Kunstwerks im Museum liege bei nur elf Sekunden. Des Weiteren macht sie deutlich, dass zusätzliche Reize die Aufmerksamkeit mindern. Reize, die von Audioguides, von Touchscreens, von lauten Videoinstallationen und von großen Skulpturen, die sich den Raum mit kleinformatigeren Kunstwerken teilen, ausgehen.21 Die Reizüberflutung, in der man sich außerhalb der Einrichtung als Einrichtung behaupten muss, um den Besucher zu bewegen, setzt sich für diesen scheinbar in der Ausstellung fort. Ist die Anzahl der Erfahrungen pro Zeiteinheit allerdings zu umfangreich, verlieren sie an Qualität. Aus diesem Grund gingen die Museen zu einer sparsameren Präsentation über: Die White-Cubes etablierten sich vielerorts als bevorzugtes, da reizarmes Raumkonzept für Museen. Doch

21 Vgl. Vanderbilt (2016), S. 147f sowie Rauterberg (2012b), S. 94f. Allerdings gibt es auch Befürworter einer vielfältigen Sinnesansprache. Das Argument: Personen lernen am meisten beziehungsweise verlieren am wenigsten ihre Konzentration, gerade weil viele Sinne beteiligt sind. Die Reduzierung auf lediglich eine rein innerliche Wahrnehmung – wie ein kontemplatives Versinken in ein Werk es mit sich bringt – sorgt umgekehrt für eine fehlende Konzentration auf ein Werk, vgl. Mandel (2013b), S. 148. Mandel bezieht sich hierbei auf weniger im Umgang mit Kunst und Kultur geübte Personen. Es könnte demnach auch argumentiert werden, dass es notwendig sei, ihnen Übung zu ermöglichen, um Zugang zu finden und dabei den Blick auf das Wesentliche zu halten – ohne zusätzliche Ablenkungen.

212 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

auch sie steuern dazu bei, dass sich Museen stark ähneln.22 Gegensätzlich zu dieser Argumentation verläuft die Zunahme des Drumherums. Müssten Museen dem Gesagten nach nicht vielmehr kleiner und reizärmer – also leerer – werden? Die Leere kann sich dabei theoretisch auch auf den Besucherstrom beziehen. Die Kultureinrichtung befindet sich in einem dialektischen Dilemma mit der Frage einerseits nach einem Mehr an Besuchern je Ausstellung bei einem gleichzeitigen Weniger an Wahrnehmung eines jeden Einzelnen und andererseits einem Weniger an Besuchern je Ausstellung bei einem gleichzeitigem Mehr an Wahrnehmung. Ein Weniger an Besuchern und ein Mehr an Wahrnehmung entspräche einer These, die gegen den Trend des Höher, Schneller, Weiter oder eben des – quantitativen – Mehr spricht. Ist es demnach hilfreich – auch aus kulturpolitischer Sicht –, wenn ein Museum weniger Besuche im Allgemeinen oder einen Besuchsrückgang wie im Falle der Neue Nationalgalerie positiv auslegt?23 Wäre das „Stiefkind Dauerausstellung“24 unter Aspekten der Wahrnehmung eine geeignete Ausstellung, da zu vermuten ist, dass in dieser wenige Besucher zu verzeichnen sind? Schenkt man der These Glauben, dann ja – wenn auch der Besuchsstrom in manchen Fällen vermutlich dennoch zu hoch sein wird, um von einer optimalen Leere in den Ausstellungsräumen sprechen zu können, die eine intensivere Auseinandersetzung mit den Werken ermöglicht. Lenkt man hingegen den Blick wieder auf gesellschaftliche, wirtschaftliche oder kulturpolitische Ziele der Quantifizierung, dann ist der Besuchsrückgang keineswegs positiv auszulegen. Die These des Weniger ist mehr ist vor dem Hintergrund des Zeitgeistes eines Höher, Schneller, Weiter eine gewagte. Ebenso wie dieser Gedanke steht der folgende im Zusammenhang mit der Fähigkeit Strategie im kulturmanagerialen Kontext: Das Kapitel 3 und besonders die Ausführungen zum Kulturmarketing brachten unter anderem die Frage zutage, inwiefern von Kultureinrichtungen zu wählende Maßnahmen sich auf über-

22 Zepter schreibt: „Dazu ein kleines Experiment: Schlägt man ein beliebiges Kunstmagazin in einer Galerie auf und hält das Foto einer Ausstellung hoch, gleichen sich der Raum, in dem man sich befindet, und das Bild bis auf wenige Details. [...] Eine Ausstellungsfläche in einem Museum sieht aus wie eine Ausstellungsfläche in einer Galerie sieht aus wie eine Ausstellungsfläche auf einer Messe sieht aus wie eine Ausstellungsfläche auf einer Biennale.“ Vgl. Zepter (2015), S. 46f. 23 Der Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erklärte einen umbaubedingten Rückgang der Besuchszahlen in der Neue Nationalgalerie um zehn Prozent als ein positives Ergebnis. Entsprechende Kritik wurde in den Berichterstattungen laut, vgl. Rieger und Schaper (2015). 24 Wegner (2015).

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 213

wiegend kommunikative reduzieren – das erwähnte P für Promotion. Da der Handlungsspielraum sich nahezu auf diese zu beschränken scheint, entsteht ein kybernetischer, von positiven Rückkopplungen definierter Kreislauf. Das dauerhaft positive Vorzeichen führt zu einem dauerhaften Mehr: Kultureinrichtungen stehen vor dem Problem, die Aufmerksamkeit von interessierten und eventuell interessierten Personen zu erlangen – mit der auf sie folgenden notwendigen Zeitinvestition – und kommunizieren dementsprechend ihre Inhalte. Dabei werden die Personen mit immer mehr Kommunikationsbotschaften konfrontiert; Botschaften, die das ihre zur einer Reizüberflutung beisteuern.25 Vor dem Aufmerksamkeitsproblem stehen weitere Kultureinrichtungen, die aus Gründen der Gewinnung von Aufmerksamkeit noch mehr, noch auffälliger kommunizieren, um wahrgenommen zu werden. Auf diese Flut wird erneut kommunikativ reagiert, sie nimmt weiter zu. Das Ergebnis ist erstens die Gefährdung der Kommunikation durch ihren eigenen Zuwachs und zweitens die Immunisierung der Menschen gegenüber der Kommunikation. Drittens wiederum soll gegen diese Immunisierung durch die Effekthascherei eines Jetzt noch besser! und Verpassen Sie nicht! sowie durch die Illusion eines Jetzt neu! gewirkt werden.26 Der Kreislauf beginnt von Neuem. Die Kybernetik zeigt, dass ein solcher Zyklus durch mindestens eine, jedoch auf jeden Fall durch eine ungerade Anzahl an negativen Rückkopplungen durchbrochen werden kann. Es folgt das in Kapitel 6 angekündigte kybernetische Gedankenspiel: Was geschähe, wenn eine Kultureinrichtung nicht mehr oder stark eingeschränkt, dafür pointierter kommunizieren würde? Würde ihr ohne beziehungsweise durch weniger Kommunikation eine größere Aufmerksamkeit zuteil werden als durch Kommunikation? Oder mit den Worten Luhmanns: „Die Frage ist, ob ein System über Bremsmechanismen verfügt oder ob es nur katastrophenartige Entwicklungen geben kann, die ein einmal eingeführtes positives Feedback, eine einmal eingeführte Tendenz zur

25 So spricht Kotler von rund 1.500 Werbebotschaften, die täglich auf die Menschen einströmen, vgl. Kotler, Armstrong und Wong (2011), S. 292. Andere sprechen sogar von einer täglichen Dosis von 14.000 Botschaften, vgl. Berndt und Henkel (2014), S. 11. Solomon hingegen beziffert die Höhe auf durchschnittlich 3.500 Werbebotschaften pro Tag. Vor rund 30 Jahren lag der Wert bei circa 550 täglichen Botschaften, vgl. Solomon (2013), S. 80. Mandel wiederum spricht von 6.000 Werbekontakten, vgl. Mandel (2009b), S. 60. Colbert führt detaillierter aus, dass ein Konsument im Durchschnitt mit 250 bis 3.000 Botschaften konfrontiert ist, von denen 75 tatsächlich wahrgenommen und circa zwölf behalten werden, vgl. Colbert (1999), S. 189. 26 Vgl. Kotler und Trias de Bes (2005), S. 27ff.

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Abweichungsverstärkung blockieren.“27 Die Antwort findet sich in dem folgenden Abschnitt: Zwischenfazit Für den Kulturstrategen zeigt sich die Wichtigkeit, zwischen Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zu unterscheiden. Es zeigt sich ebenso, dass die Wahrnehmung gelenkt werden, sie nicht durch ein Drumherum einer Vielzahl an – nicht immer notwendigen – Reizen abgelenkt werden sollte. Es wurde deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit auch eine Auseinandersetzung mit zeitlichen Bezügen ist. Durch das Wissen um und das Anwenden von kybernetischen Gedanken ist es dem Kulturstrategen möglich, sich gegen Trends auszusprechen. Und mehr noch: Durch das gedankliche oder tatsächliche Nichtverfolgen von Trends und Moden gelangt er in Bereiche des potenziell Seienden, in denen sich andere Kulturstrategen und -einrichtungen nicht aufhalten; sie bewegen sich vielmehr in den Bereichen des Naheliegenden respektive der etablierten Gepflogenheiten. Er schafft so Möglichkeiten, die Kultureinrichtung differenzierend auftreten zu lassen – eben auch, weil er durch das Durchbrechen der Gepflogenheiten im Bereich von Kommunikation und Werbung das im Rahmen von Strategie erwähnte Verändern von Spielregeln vollzieht. 7.3.2 Differenzierung Geht es um Differenzierung, geht es insbesondere in der betriebswirtschaftlichen, aber auch in der soziologischen und der kulturmanagerialen Literatur um die Adjektive gut, besser, anders, einzigartig, einmalig oder besonders, gleichzeitig um unterschiedliche Anwendungen dieser: Freitag betont, wichtiger als gut zu sein sei es, besonders zu sein; auch wenn die Anstrengung unternommen werden sollte, sich um ein Besserwerden zu bemühen. Wenn viele Einrichtungen sich jedoch auf den Weg der Exzellenz – oder um mit Klein zu sprechen: auf den Weg zu einem exzellenten Kulturbetrieb – begeben haben und somit schon die oberste Güte erreicht zu haben scheinen – wie kann in diesem Fall eine Verbesserung des Guten eintreten? Für Hamel und Prahalad hingegen ist selbst ein Bessersein – Kotler bezeichnet das Bessersein als einen Grundgedanken des Marketing – nicht ausreichend, vielmehr geht es um ein Anderssein. Für andere Autoren ist selbst das Anderssein nicht ausreichend. Für sie ist von Bedeutung einzigartig oder einmalig zu sein. So sieht Mintzberg in der Einzigartigkeit die Wurzel des strategischen Vorteils, Porter führt aus, ein Unternehmen müsse

27 Luhmann (2017), S. 54.

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mindestens in einem Punkt einmalig sein. Einen umfangreichen Beitrag zum Thema liefert Andreas Reckwitz. Gerade hinter dem Streben nach der Einzigartigkeit, nach dem Außergewöhnlichen und dem Besonderen sieht der Soziologe eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, die nicht nur positiv zu bewerten ist, da dem singulären Objekt ein Wert zugesprochen wird, der einem anderen, sollte es nicht singulär sein, abgesprochen wird. Nichtsdestoweniger bescheinigt Pricken der Einzigartigkeit, sie sei die höchste Form der Individualität, ohne zu beachten, dass Individualität per se keinen Wert besitzt, wie Freitag in diesem Zusammenhang betont.28 Es ist trotz unterschiedlicher Anwendung der genannten Adjektive festzuhalten, dass es bei der Differenzierung um das Anderssein geht. Eigenschaften wie gut, besser oder einzigartig sind dem Anderssein unterzuordnen. Ist nicht das Bessersein eine Spielart des Andersseins? Etwas ist anders, weil es besser ist. Ebenso sind Einzigartigkeit und Einmaligkeit der Andersartigkeit zu subsumieren: Anders ist etwas, weil es einzigartig oder weil es einmalig ist. Und selbst das Adjektiv gut wird zu einem Anders nämlich dort, wo die eigene Güte deutlich in Erscheinung tritt, weil ein anderer nicht dieselbe Güte besitzt – aus diesem Gut wird so wieder ein Besser und somit ein Anders. Die genannten Adjektive sind kontextual zu betrachten und müssen Auskunft geben, worin eine Einrichtung einmalig, gut oder besser ist, kurzum: worin sie sich differenziert. In den sich immer ähnlicher werdenden Angeboten und einer entsprechenden Suche nach Wettbewerbsvorteilen sehen Befürworter der Differenzierung ihre Notwendigkeit. Entsprechend geprägt ist deren Verständnis von Strategie T, wie das Kapitel 5 darlegte. Allerdings beschränkt sich die Differenzierung nicht nur auf Produkteigenschaften. Bei Porter ist sie überall möglich: In Management-

28 Vgl. Freitag (2015), S. 86, 139, ebenso Hamel und Prahalad (1995), S. 40f, 395, Kotler, Armstrong und Wong (2011), S. 490, 522, Mintzberg, Ahlstrand und Lampel (2012), S. 384 sowie Porter (2010), S. 41, Reckwitz (2017), S. 9, 16f und Pricken (2014), S. 212. Umfangreich ist Reckwitz’ Beitrag, da er mittels dreier Kategorien das Besondere unterscheidet. Erstens existiert das Allgemein-Besondere, verstanden als ein Exemplar eines allgemeinen Begriffs: Ein Postbote in der Gruppe Mensch. Zweitens bestehen als Idiosynkrasien bezeichnete Eigentümlichkeiten besonderer Exemplare eines allgemeinen Begriffs, die in diesen jedoch nicht hineinpassen oder sich diesem widersetzen: Der Computer-Nerd, ebenfalls in der Gruppe Mensch. Und drittens identifiziert er die Singularitäten als kulturell fabrizierte Einzigartigkeiten. Gleichzeitig weist der Autor darauf hin, dass Wechsel vonstatten gehen können, wenn beispielsweise ein Nerd gesellschaftlich akzeptiert ist und infolgedessen als das Allgemein-Besondere gelten kann, vgl. Reckwitz (2017), S. 48f.

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strukturen, dem Kundenservice, dem Design, dem Image und der Qualität29 – oder in der geografischen Lage. Differenzierung wird an dieser Stelle entsprechend in einem größeren Umfang und nicht ausschließlich als Produkteigenschaft verstanden. Jedoch ist es nicht ausreichend, lediglich anders zu sein. Anders zu sein, um anders zu sein, ist ebenso wertlos wie eine lediglich um der Individualität willen gelebte Individualität. Demnach muss das Anderssein einen spezifischen Wert als Gewicht erhalten, um so zu verhindern, dass das Anderssein zum Selbstzweck wird. Nicht nur die Kombination Anders / Wert ist entscheidend. Auch die Betrachtung der Kombination Neu / Wert liefert schlussendlich einen wichtigen Beitrag zu den Überlegungen zur Differenzierung: Das Gegengewicht Wert ist Bestandteil einer Information, die sich aus diesem und dem Charakteristikum Neuigkeit zusammensetzt.30 Wert und Neuigkeit führen zu Wahrnehmung, diese wiederum ist Voraussetzung für Differenzierung. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Ist eine Botschaft neu, aber nicht wertvoll, wird ihr zwar Aufmerksamkeit zuteil, es erfolgt jedoch eine negative Interpretation der Botschaft – sie ist eben nur eine neue und keine wertvolle Information. Das Adjektiv neu und das mit ihm verwandte Adjektiv innovativ komplettieren somit die Unterkategorie des Andersseins: Etwas ist anders, weil es neu ist; es muss allerdings nicht neu sein, um anders zu sein.

29 Vgl. Porter (2010), S. 63. 30 Vgl. Franck (1998), S. 61f.

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Abbildung 15: Die Spielarten des Andersseins Anders

Einzigartig

Gut

Einmalig

Besser

Neu

Besonders

Innovativ

Quelle: Eigene Darstellung

Doch objektiv Neues existiert nicht – oder nicht mehr. Ob etwas als neu eingestuft wird, hängt von dem Gesamtkontext ebenso ab wie von dem Betrachter. Er erkennt das Neue in der Unterscheidung, in der Differenzierung zum Alten. Gäbe es das Alte nicht, wäre das Neue lediglich fremd, schreibt Andreas Dorschel.31 Das Alte wiederum im Schein des Neuen zeigt seine Andersartigkeit und wird nicht als fremdartig empfunden wie etwas rein Neues. Das Neue benötigt das Alte. In Über das Neue führt Boris Groys aus, dass es keinen Ausweg aus der Suche nach dem Neuen gibt. Selbst wenn entschieden würde, ausschließlich beim Alten zu verharren, würde das Nichtbefolgen des Strebens nach dem Neuen etwas Neues sein.32 Neuem kann wiederum nur mit Neuem begegnet werden, mit jedem Neuem wächst das Verlangen nach weiterem Neuen. In seinem Aufsatz Das Erhabene und die Avantgarde sieht der Philosoph Jean-François Lyotard in der Innovation die Antwort auf die Enttäuschung über die Tatsache, dass keine Ereignisse eintreten, dass nichts mehr geschieht. Er argumentiert wie folgt: Der positiven Beantwortung der Frage nach dem Geschehen – Geschieht es? – muss immer zunächst ein Ereignis – Es geschieht! – vorausgehen. Die Möglichkeit des Nicht31 Vgl. Dorschel (2010), S. 153 sowie Gatterburg (2016), S. 126ff. 32 Vgl. Groys (1992), S. 12.

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geschehens strahlt eine Angst aus. Eine Angst, zurückzuführen auf fehlende Ereignisse und folglich auf die Beantwortung der Frage nach dem Geschehen mit einem Nein. Um dieser Angst zu entfliehen – und das ist eine beachtenswerte Parallele zu dem Aushalten von Unsicherheit im Umgang mit dem dynamischen Kern –, tritt ein permanentes Erneuern zutage, das die Frage Geschieht es? mit einem erleichterten Es geschieht! beantwortbar macht. 33 Gleichermaßen beschreibt die Frage Geschieht es? einen Teil der erlebnisgesellschaftlichen Konstitution und belegt die vom Kulturmanagement nicht selten gegebene Antwort Es geschieht! – auch wenn das Geschehen und die hinter diesem stehenden Maßnahmen nicht immer dem Eigentlichen dienlich sind. Die Gebrüder Grimm beschreiben in ihrem Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Deutsches Wörterbuch den Begriff Neugier einerseits als die Gier, eine Neuerung zu machen, andererseits als die Gier, etwas Neues um des Neuen willen kennenzulernen.34 Die Verwendung des Wortbestandteils Gier ist offensichtlich – es geht weniger um Vergnügen oder Freude oder Lust als vielmehr um das Gieren nach dem Neuen. Heutzutage ist auffällig, dass die Intervalle zwischen dem einst Neuen und dem aktuell Neuen kürzer werden. Wie kann daher das Dilemma aufgelöst werden zwischen der Notwendigkeit des Neuen, seinem Emporschrauben sowie seiner Tendenz zur Reizüberflutung und Abstumpfung auf der einen und der Zunahme des Drumherums auf der anderen Seite? Die Frage nach dem Wert des Neuen führt automatisch zu einer Dosierung des Neuen, denn Wert ist immer auch verbunden mit dem Raren. Dies macht auch vor dem Gedanken von Susanne Keuschel Sinn. Sie beschreibt die Sehnsucht nach dem Besonderen, das in leibhaftig zu erfahrenden Veranstaltungen entstehen kann. Zum Schutze des Besonderen – und hier ist das Besondere eben differenzierend auszulegen – empfiehlt sie, „gelungene Konzertaktionen nicht zu häufig zu wiederholen, da sie sonst den Reiz des Besonderen verlieren“35. Dem Original als dem wirklich Wertvollen kommt damit eine besondere Stellung zu. In dieser Argumentation bewahrheitet sich, dass Kultureinrichtungen gerade durch das Nichtbefolgen aktueller und mit einer geringen Halbwertszeit ausgestatteten Trends Neues kreieren könnten und exakt an dem Punkt eines entsprechenden Entscheidens einen möglichen Ursprung von Differenzierung auftun.

33 Vgl. Lyotard (1984), S. 152f, 164. 34 Vgl. Grimm und Grimm (1971) sowie Felsch (2018a), S. 50f. 35 Keuchel (2011), S. 93.

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Exzellenz, Einmaligkeit und Einzigartigkeit Die Zahl an Superlativen, die viele Kultureinrichtungen wählen, um sich von anderen zu differenzieren ist eine Folge des Wunsches nach Wahrnehmung und ebenso ein Beleg für den vom Kulturmarketing – gezwungenermaßen – gesetzten Fokus auf die Kommunikation. Dass ein Anderssein durch die gewählten Superlative zu einem Gleichsein führt, ist sehr einleuchtend: Es ist schlichtweg unmöglich, sich zu unterscheiden, wenn nahezu jeder Künstler und Musiker einer der einflussreichsten, nahezu jede Sammlung eine der bedeutendsten, nahezu jede Kultureinrichtung eine der führendsten – oder als Spitze der Erhabenheit – eine exzellente ist. Wird jedoch ein Blick auf den Begriff exzellent geworfen, zeigt er seinen Ursprung in dem lateinischen Wort culmen, das mit Gipfel übersetzt wird und somit die Bedeutung von exzellent als herausragend unterstreicht36 – wie kann eine Einrichtung jedoch unter anderen herausragen, wenn alle herausragend zu sein scheinen? Insbesondere dann, wenn der Aussage von Steffen Mau gefolgt wird, nach der Rankings die „neuen Konsekrationsinstanzen zur Verleihung symbolischen Kapitals“37 seien, diese Ranglisten jedoch – geht es um Exzellenz – scheinbar nur von Erstplatzierten angeführt werden? Prädikate dieser Art werden sich darüber hinaus häufig selbst verliehen, obgleich diese nur von außen bestätigt werden könnten. Zepter schreibt nüchtern: „Selbstkritik ist selten. Eigenlob dagegen Stilmittel.“ 38 Motiviert durch den Wunsch, auf Ranglisten eine entscheidende Rolle zu spielen, führt dieser im Umkehrschluss genau zu eben jener Selbstverleihung von Exzellenz: Wenn schon andere diese nicht erkennen, wird sie sich eben selbst ausgestellt und verliehen. Und war eine Auszeichnung der Exzellenz für Berndt „früher ein Gütesiegel [..], hat [die Auszeichnung, BJ] heute ungefähr die Differenzierungskraft eines Preisschilds im Ein-Euro-Laden“39. Statt hohe Qualität zu bescheinigen, tritt das Gegenteil ein: Der Zusammenhang zum Ramsch wird hergestellt. Dabei könnte es sich „wie von einer zu engen Krawatte befreit [anfühlen], wenn wir als Kultureinrichtungen uns aus der Exzellenzfalle herausbewegen, die in vielen Fällen einfach eine

36 Vgl. Kluge (2011), S. 268. 37 Mau (2017), S. 82. Auch Gaukroger sieht die rasche Ausbreitung von Ranglisten skeptisch, da sie „Wesentliches an der Überprüfungs- und Zielsetzungskultur [zeigt], nämlich die Art und Weise, wie das Vertrauen auf statistische Rohinformationen, die ohne angemessene Berücksichtigung der jeweiligen Materie gesammelt wurde [!], eine standardisierende und tatsächlich auch vereinheitlichende Wirkung auf Informationen hat“. Vgl. Gaukroger (2017), S. 95. 38 Zepter (2015), S. 98. 39 Berndt (2017), S. 20.

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Exzellenzlüge ist“40, so Hoffmann. Diese Lüge wird allerdings aufrechterhalten aus mehreren Gründen: 1. Das Publikum fordert oder ist daran gewöhnt, Teil einer Exzellenz zu sein.

„Wir wollen uns Dinge ansehen, auf denen draufsteht, es sei das Beste. Mit dem Zweitbesten geben wir uns nicht zufrieden.“41 Das lediglich Zweitbeste besitzt scheinbar mangelnde Qualität. Die zu Beginn dieses Kapitels 7 erwähnte Behauptung von Reckwitz, nichtsingulären Objekten würde zugunsten von singulären Objekten ihr Wert aberkannt, findet an dieser Stelle ihre Entsprechung. 2. Das Verlangen nach dem Besten und nach Exzellenz zwingt Kultureinrichtungen einerseits dazu, eben jene Exzellenz zu kommunizieren, auch wenn dies bedeuten mag, eine Nichtwahrheit zu kommunizieren. Andererseits sind sie im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie gezwungen, diese Nichtwahrheit aus Gründen des Marketing aufrechtzuerhalten. Positive Rückkopplungen verstärken sich aus kybernetischer Sicht weiter. 3. Zu vermuten ist, dass eine fehlende Quantifizierbarkeit von Kunst und Kultur dazu führt, dieses gefühlte Defizit durch Superlative auszugleichen und so die eigene Legitimation zu festigen. 4. In kommerziellen und kommodifizierenden Anpreisungen wie „Lass dich überwältigen von den virtuosesten Musikern und prägnantesten Stimmen der Welt (in einem der schönsten Opernhäuser Europas) [Hervorhebungen im Original, BJ]“42 ist die Absicht versteckt, Resonanzwirkungen verfügbar und vor allem beherrschbar zu machen. Unter geografischen Gesichtspunkten ist die Staatsoper Hamburg beispielsweise einzigartig und einmalig– sie ist die einzige ihrer Art in Hamburg und existiert nur einmal in der Hansestadt. Wird der geografische Maßstab erweitert, bleibt die Staatsoper Hamburg nach wie vor einmalig in der Hansestadt, jedoch ist sie

40 Experteninterview Hoffmann (2017), S. 288. 41 Experteninterview Ullmer (2017), S. 301. Auch Uecker bescheinigt dem Publikum indirekt sein Zutun zur Existenz der Exzellenz: „Sehe ich als Zuschauer das Maximum, bin ich für den Moment auch Teil dieses Maximums.“ Vgl. Experteninterview Uecker (2017), S. 271. 42 Rosa (2017), S. 620. Rosa führt auch aus, dass mit Aussagen wie Lassen Sie sich von einer gigantischen Lightshow und beeindruckenden audiovisuellen Effekten überwältigen nicht nur eine Verletzung der Resonanz einhergeht, sondern auch die Kraft der Kunst der Gewalt der Unterhaltungstechnik weichen muss, vgl. Rosa (2017), S. 498.

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bundesweit gesehen nicht die einzige ihrer Art. Wird der geografische Radius nicht, wohl aber das Konkurrenzverhältnis erweitert, so handelt die Staatsoper Hamburg im Zentrum des Modells – der Kernkonkurrenz – nach wie vor außer Konkurrenz. Spätestens im Bereich der Spartenkonkurrenz sieht sie sich allerdings in Konkurrenz mit anderen Veranstaltern von Musiktheater und ist somit aus diesem Blickwinkel weder einmalig noch einzigartig. Ebenso die Opernhäuser Berlins: Weder sind sie einzigartig – immerhin gibt es drei ihrer Art in der Hauptstadt –, noch sind sie einmalig. Dieser Umstand scheint schwer zu wiegen, wenn sich der falschen Bedeutung von Einzigartigkeit und Einmaligkeit als Differenzierungs- und Erfolgsfaktor hingegeben wird. Da jedoch in der Kunst und Kultur das Angebot oft orts- und zeitgebunden ist, können sie per se etwas ihr Eigen nennen, was sie von anderen unterscheidet: Das Original. Gerhard Richters Gemälde Tante Marianne kann ausschließlich in Dresden als Original betrachtet, das Programm der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle nur an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort besucht werden. Jedes einzelne Kunstwerk ist infolgedessen einmalig, da es sich immer um ein Original handelt, demnach nur einmal als solches existiert. Und somit wird die Komische Oper Berlin doch einmalig, wenn beispielsweise die Inszenierung der Zauberflöte von der britischen Theatergruppe 1927 betrachtet wird – wenn auch sie nicht automatisch einzigartig ist. Entscheidend sind demnach auch hier der Kontext und der Auflösungsgrad, in denen die Begrifflichkeiten Verwendung finden.43 In Musik und Theater, in denen das Original zwar aufgeführt wird, es dieses aber als solches nicht gibt, nehmen Ort, Zeit, Orchester, Dirigent, Ensemble und Regisseur die Rolle des Originals ein. Nichtsdestoweniger wird der Versuch unternommen, die Gebundenheit an einen Ort und eine Zeit zu umgehen und schlussendlich in andere Konkurrenzverhältnisse zu treten. Sei es durch den Verkauf von Audioaufnahmen, Ausstellungskatalogen oder Drucken von Gemälden; sei es durch die Etablierung von Formaten wie der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker; sei es durch die Übertragung von Opernaufführun-

43 Auch Reckwitz betont, dass Einzigartigkeit keine Voraussetzung für Einmaligkeit ist und umgekehrt. Am Beispiel des Rituals, dessen immanente Eigenschaft die Wiederholbarkeit ist, zeigt er, dass etwas nicht Einmaliges einzigartig sein kann. Andersherum kann ein Film – er nennt Kubicks Clockwork Orange – einzigartig sein, trotzdem er der Art Film zuzuordnen ist, vgl. Reckwitz (2017), S. 51, 58, 61. An dieser Stelle wird hier – wie in dem Beispiel der Zauberflöte – an dem Begriff einmalig festgehalten. Spannenderweise benutzt Benjamin das Wort Einzigkeit – die Frage, ob es sich um etwas Einmaliges oder Einzigartiges handelt, umgeht er durch das Weglassen der jeweiligen Wortmitte, vgl. Benjamin (2011), S. 19.

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gen der Metropolitan Opera in Kinos – eine Maßnahme, die weiter unten als Beispiel für die Innovationsgrade dient. All diese Schritte dienen der Stärkung des Images und der Ansprache diverser Publika, die außerhalb des typischen Einzugsgebiets der Kultureinrichtung liegen.44 Im Sinne der Ausweitung des örtlichen Radius und des Zugangs können auch die Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt, gewertet werden. Peter Weibel vertritt in seinem Essay Das Museum im Zeitalter von Web 2.0 den Standpunkt, für Kultureinrichtungen sei es gar ein Muss, sich im Second Life zu präsentieren, um somit jene Orts- und Zeitgebundenheit zu umgehen.45 Allerdings wird ein virtuelles Abbild niemals das Original ersetzen können. Die Aura wird geschwächt, Resonanzverhältnisse können nicht entstehen, da lediglich die Verfügbarkeit noch keine Kunst ausmacht. Mehr noch: Rosa stellt dar, dass die Vermehrung von Zugängen und Ressourcen kein besseres oder gelungeneres Leben ermöglicht, auf das – wie die Erforschung der Freizeit- und der Erlebnisgesellschaft zeigte und die Kulturpolitik es zu ermöglichen versucht – hingestrebt wird. Das Gegenteil ist der Fall: Die Zunahme an Optionen schwächt das In-Beziehung-Treten mit jeder einzelnen.46 Als Argument für eine Präsenz im Second Life dient Weibel des Weiteren die Tatsache, dass Besucher des virtuellen Museums in diesem ihre eigenen Werke ausstellen und so zum Künstler und Kurator werden könnten – dieses Angebot wird vom Autor ebenfalls als ein Muss bezeichnet. Zwar könnte dessen Grundgedanke als Nachweis für eine Partizipation des Kulturbürgers geltend gemacht werden und den einen oder anderen Kulturmanager und kulturmanagerialen Autor zufriedenstellen; gleichwohl belegt der Grundgedanke ein weiteres Mal eine Abkehr vom Eigentlichen: Muss ein Museum eine Plattform für jedweden Künstler – und solche, die sich als ein solcher sehen – bieten? Strenggenommen besitzt die grundsätzlich positive Einmaligkeit den negativen Aspekt des eingeschränkten Zugangs zu den Inhalten; dass das P des Place, wie in Kapitel 3 dargestellt, trotz der Reproduzierbarkeit des Kunstwerks, um mit Benjamin zu sprechen, ein eingeschränkter Baustein des Marketing ist, zeigt sich hier. Es wird mittels der genannten Maßnahmen der Versuch unternommen, die – überspitzt formuliert – Einmaligkeit ein stückweit aufzugeben und weitere

44 Vgl. Koch (2014), S. 281. Inwiefern wirtschaftliche Ziele eine primäre Rolle beim Ergreifen dieser Maßnahmen stehen, ist unklar. Im Falle der Digital Concert Hall haben wirtschaftliche Ziele gegenüber inhaltlichen und musikwissenschaftlichen Zielen das Nachsehen, so der Autor. 45 Vgl. Weibel (2007), S. 6. 46 Vgl. Rosa (2017), S. 15, 52f.

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Möglichkeiten zu kreieren, um einen Zugang zu ermöglichen – wohlwissend, dass das Original ein Original bleibt, das nur vor Ort als solches erlebbar ist. Oder mit den Worten Rauterbergs, die gleichzeitig die Begrenzung der Ausführungen Weibels widerspiegeln: „Das Original bietet mehr als die Reproduktion.“47 Notwendigkeit der Differenzierung Müssen Kultureinrichtungen sich vor diesem Hintergrund der kritischen Betrachtung der Differenzierung überhaupt unterscheiden? Und wenn ja, an welchen Punkten und in welchem Ausmaß sollten sie sich unterscheiden? Die Antwort ist zunächst einfach: Natürlich müssen sie sich unterscheiden. Würden sie es nicht tun, würde der Kultursektor geprägt sein von Austauschbarem mit der Folge der Beliebigkeit, der Langeweile und der Nachahmung – gerade vor der Nachahmung als Gegenteil der Unterscheidung wird gewarnt.48 Allerdings begann dieses Kapitel 7 mit einer kurzen Erwähnung eben jener Langeweile, jener Ähnlichkeit oder jenes Austauschbaren. Es muss daher angenommen werden, dass – trotz aller Betonung der Individualität, des Strebens nach Alleinstellungsmerkmalen, nach Einzigartigkeit und Einmaligkeit, kurz: nach Differenzierung – keine nachhaltige und erkennbare Differenzierung erfolgt. Für ein berechtigtes Differenzieren müssen folgende Aspekte berücksichtigt werden: 1. Das Differenzieren sollte dosiert sein, es sollte nicht Selbstzweck sein. 2. Differenzierung besteht aus den Elementen Andersartigkeit und Wert. Letzte-

rer muss in Kombination mit dem Punkt 1 fokussiert werden. 3. Das Differenzieren sollte mit Blick auf den Zweck und das Selbstverständnis

erfolgen. 4. Differenzieren bedeutet nicht zwangsläufig innovieren.

Wie kommt es nun zu den Ähnlichkeiten und dem Austauschbaren zwischen Kultureinrichtungen trotz des Wunsches und des – teilweise identifizierbaren Drucks – nach Differenzierung? Der Grund für die Ähnlichkeiten liegt im Zweck verborgen. Da dieser die Grenzen des potenziell Seienden zieht, folgt der Schluss, dass sich ähnelnde Zwecke zu ähnlichem potenziell Seiendem führen. Allerdings muss es dadurch nicht zwangsläufig zu Ähnlichkeiten kommen. Die-

47 Rauterberg (2015c), S. 216. 48 Vgl. Küveler (2016), S. 99 sowie Zepter (2015), S, 133. Eine Warnung vor dem Kopieren spricht auch Scheytt hinsichtlich der Vermittlungsarbeit von Kultureinrichtungen aus, vgl. Scheytt (2008), S. 54.

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se entstehen nur, weil sich innerhalb des Zwecks und indessen innerhalb des potenziell Seienden die strategischen Rahmen und in ihnen sich die Taktiken des strategischen Plans identisch zeigen. Dies ist der Grund, aus dem der Stratege die Kreativität als Eigenschaft des Strategierens besitzen muss: Er verhindert so, dass – eben auch in den erwähnten Brainstormings – nur das Naheliegende in den Fokus rückt: Es ist, als würde jeder Kultureinrichtung je ein Marmorblock gegeben werden und sie alle schlügen die gleiche Statue aus dem potenziell Seienden heraus, das sich über die Statue hinaus in dem Marmorblock befindet. Gelingt es, in die entlegensten Winkel des potenziell Seienden – trotz des Grenzverlaufs durch den Zweck – zu blicken und gelingt es dem Strategen, weiteres Mögliches zu entdecken, kann das strategische Gesamtbild sich von denen anderer Kultureinrichtungen unterscheiden. Somit ist ohne Frage auch hier ein Differenzieren angebracht; jedoch ein Differenzieren, das aus den vielfachen Möglichkeiten des potenziell Seienden schöpft. Wie die Möglichkeiten aufgetan werden, zeigt das Kapitel 8 unter Zuhilfenahme der in der kulturmanagerialen Literatur zu findenden und umzudeutenden Hinweise. Dabei scheint im öffentlich getragenen Kultursektor das Instrumentarium der Differenzierung eine große Rolle zu spielen, da die Position des Kostenführers nahezu irrelevant ist, wie der Exkurs im Kapitel 5 zeigte. Allerdings reduziert sich die Differenzierung weiter, weil wahre Unterscheidung erst zum Einsatz kommt, wenn das Anderssein wie aufgezeigt um einen Wert ergänzt wird. Der Empfehlung von Kim und Mauborgne, funktional orientierte Branchen sollten ihren Wert durch Emotionalität, emotional orientierte Branchen wiederum durch Funktionalität ergänzen, steht die Aussage von Hansen gegenüber: Je größer der Vorrat an Zeichen einer Kultur, desto höher ist ihr Entwicklungsstand. Doch der Zeichenvorrat explodiert. Schuld habe daran seiner Meinung nach die Wirtschaft, die ihre Produkte über den materiellen – oder mit Kim und Mauborgne sprechend: über den funktionalen – Wert hinaus mit Zeichen versehen, in der Folge, dass diese Produkte zu einem Kulturgegenstand würden. Die Wirtschaft greife in den Prozess der Kultur ein, indem ein Automobil nicht nur zum Fahren gebaut werde, sondern, um Freude am Fahren zu vermitteln – ein Beispiel auch für eine Veränderung des Zwecks. Anfang der 2000er Jahre rief Hansen aus: „Das einzige, was noch verschont blieb, sind Standardwerkzeuge wie Hammer, Zange und Schraubenzieher, doch wer weiß!“49 Rund ein Jahrzehnt später sind diese Standards ebenso mit emotionalen Zeichen aufgeladen und blieben nicht mehr verschont, wie das Beispiel des Baumarktes Hornbach zeigt: Aus einem BMP-1 Schützenpanzer fertigte das Unternehmen 7.000 limitierte Hämmer. Die-

49 Hansen (2003), S. 61.

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se waren innerhalb von drei Tagen ausverkauft und wurden in Internetauktionen mit fast 700 Euro gehandelt. 50 Für Kultureinrichtungen, die bekanntermaßen emotionale Inhalte präsentieren, würde die Empfehlung von Kim und Mauborgne zur Folge haben, diese um funktionale Werte zu erweitern. Aber lenken diese nicht wieder zu sehr von dem eigentlichen Geschehen ab, sodass Hansen mit seiner Kritik schlussendlich recht behielte? Die Argumentation kann ebenso als Erklärung gelten, dass – aufgrund der erklärten Tatsache der Reduzierung des Marketinginstrumentariums auf wenige Ps – eine Akzentsetzung auf die Rahmenbedingungen wie Service, Gastronomie und Garderobe erfolgt – eben auf Funktionales. Grenzen der Innovation im öffentlich getragenen Kultursektor Ein düsteres Zukunftsbild der Kultur malt Klaus Georg Koch. Er spricht von Niedergang oder Abgrund, in dem beziehungsweise vor dem sich die Kultur befinde. Um diese Zukunft abzuwenden, seien Innovationen vonnöten – Innovation von ihm verstanden als die Kombination von Neuheit und Wert, die gleichwohl die Verwandtschaft von Innovation und Differenzierung aufzeigt. Wie das Szenario Kürzungen der Zuwendungen in Kapitel 4 erläuterte, gibt es weitere Autoren, die einerseits in der Suche nach und der Umsetzung von Innovationen eine entscheidende Tätigkeit sehen, andererseits ebenso düster über die Gegenwart und Zukunft sprechen, sollte Letztere lediglich die Extrapolation der Ersteren sein. Viele Definitionen des Begriffs Innovation zeigen ihre Abhängigkeit vom Markt. Prägnant formuliert es Pricken: „Deshalb spreche ich immer erst dann von einer Innovation, wenn der Markt jubelt und zugreift. Punkt!“51 Seine Äußerung ist nicht nur deutlich, sondern auch einseitig durch seinen Blick auf das Monetäre, wenn er wenige Zeilen später ausführt, „beinahe jeder [sei] bereit, ei-

50 Vgl. Kim und Mauborgne (2005), S. 64 sowie Hansen (2003), S. 60f. Für MüllerBeyeler und Butz ist das Aufladen von Produkten zur Erhöhung der Leidenschaft für Marken und zur Darstellung des sozialen Status ein Muss, vgl. Müller-Beyeler und Butz (2016), S. 71. Dass BMW das Thema Freude besetzt, während das Thema des Konkurrenten Mercedes Komfort lautet, dient bei Brandtner als Beispiel für das Herausarbeiten entscheidender Vorteile, gleichzeitig sogar als Schlüssel zum dauerhaften Erfolg, vgl. Brandtner (2005), S. 18ff. 51 Pricken (2014), S. 212. Weitere Definitionen von Innovation sowie Arten von Innovationen – evolutionäre, revolutionäre und disruptive – sind zu finden bei Vahs und Schäfer-Kunz (2005), S. 319f sowie Weyrich (2003), S.128 und Christensen (1997).

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nen mehr als angemessenen Preis zu entrichten“52, sobald es gelungen ist, ein Produkt von Wert kreiert zu haben. Zum wiederholten Male zeigt sich, dass Argumentationen dieser Art, die dem Primat der Wirtschaft folgen, für den kulturmanagerialen Kontext als nicht passend erscheinen: Die Überschreitung der Grenze vom zweiten auf den ersten Sektor führt zu einem Ausblenden der Spezifika des ersten Sektors. Demnach ist bei Pricken und anderen Autoren ein enger Blick auf die Innovation beziehungsweise auf den Markt zu finden, der wie folgt hinterfragt werden muss: Gibt es Innovationen, die keine Reaktion des Marktes hervorrufen und dennoch Innovationen sind? Gibt es Innovationen, die nicht nach einem monetären Wert fragen, weil dieser den eigentlichen Wert ohnehin nicht abbilden könnte, wie auch die Situation des kommerziellen Kunstmarktes zeigt? Es gibt sie. Jedoch setzen auch sie ein definitorisches Umdenken voraus: So ist beispielsweise die Entwicklung der Zwölftontechnik durch Schönberg innovativ, da sie aus seiner Kreativleistung heraus etwas Neues, ja, sogar Revolutionäres hervorbrachte, weswegen nach Csikszentmihalyi dem Komponisten ohne Frage eine kreativ-brillante Leistung und eine Veränderung der Domäne Musik, wenn nicht sogar der Domäne Kunst zuzusprechen wäre.53 Doch für den monetären Markt war diese neue Art des Komponierens und der Musik zunächst nicht ausschlaggebend. Für die Gesellschaft hingegen schon, wenn auch zeitversetzt, wie die Geschichte zeigt: Erfolge neuer Ausdrucksformen treten mit einer Verzögerung auf. Ein Künstler kreiert eine neue Bild- oder Tonsprache, das Neue in ihr ist dabei das für den Rezipienten Ungewohnte, nicht selten auch Verstörende. Gewinnt der Rezipient an Kompetenz, die es ihm ermöglicht, die neue Ausdrucksform zu verstehen, setzt mitunter der Erfolg ein, wird das, was zunächst aufreibend wirkte, toleriert oder sogar gewürdigt. Gleichzeitig könnte jene Ausdrucksform Anstoß für einen gesellschaftlichen Diskurs sein. Zeitgenössische Kunst, weiß Zepter, „bildet etwas ab, was sich hier und heute nicht beurteilen lässt. Erst im Rückblick auf vergangene Zeit lässt sie sich einordnen“54 – und behauptet so nach Ablauf der Zeit eventuell ihren Wert, um die in Kapitel 3 gezeigte Argumentation von Franck hinzuzuziehen. Dass der Kulturstratege einen besonderen Bezug zur und ein besonderes Verständnis von Zeit

52 Pricken (2014), S. 212. 53 Vgl. Csikszentmihalyi (2014), S. 43f. Der Autor bezeichnet Personen, die nichts von bleibendem Wert erschaffen als brillant, nicht als kreativ. Persönlich kreativ sind Personen, die mitunter ungewöhnliche Entdeckungen machen, diese jedoch nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Kreativ im eigentlichen Sinne sind daher Personen, deren Arbeiten eine wichtige Domäne verändert haben und somit öffentlich sind. 54 Zepter (2015), S. 25.

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haben muss, wird auch an dieser Stelle deutlich. Eine Frage an seine Strategie und an seinen Blick in das potenziell Seiende wäre somit, wie die zeitgenössische Kunst – die nach den vorangegangenen Ausführungen im Allgemeinen und vor dem Hintergrund der schwierigen Beurteilung zeitgenössischer Inhalte im Speziellen vor nicht unbekannten Herausforderungen steht –, vermittelt werden könnte. Auch hier erfolgt der Verweis auf das zusammenfassende Kapitel 8. Den Begriff Markt nutzt auch Koch, der sich in seinem Buch Innovation in Kulturorganisationen kulturnah präsentiert, dessen Argumentationen dennoch auf einem stark marktwirtschaftlich geprägten Verständnis beruhen. Seiner Meinung nach müssen sich Innovationen ebenso auf einem Markt behaupten, wenn auch er diesen – im Unterschied zu Pricken – nicht monetär definiert, sondern als einen Ort, an dem sich Kunden und Besucher sowie weitere Kulturanbieter und Anbieter von Substituten finden.55 Nichtsdestoweniger wäre es allgemein betrachtet und im Falle Kochs im Besonderen dienlicher gewesen, statt des Begriffes Markt den Begriff Gesellschaft zu verwenden und so eine allumfassendere Perspektive einzunehmen – auch Csikszentmihalyi benutzt den geeigneteren Begriff Öffentlichkeit. Denn bei dem Markt selber handelt es sich um eine innovative Hervorbringung der Wirtschaft, sodass dieser demnach nicht ohne Einschränkung als Quelle von Innovation gelten kann, so die Argumentation von Groys.56 Und ungeachtet der Details der Luhmann-Habermas-Kontroverse57 mit ihrer Frage, inwiefern es sich bei der Gesellschaft um ein System handelt, das aus den Teilsystemen Wirtschaft, Politik und Kultur besteht (Luhmann) oder aber die Gesellschaft geformt ist aus den Systemen Wirtschaft und Politik auf der einen sowie aus den Lebenswelten Kultur, Öffentlichkeit und Privatsphäre auf der anderen Seite (Jürgen Habermas) – eine Akzentuierung der Wirtschaft ist

55 Vgl. Koch (2014), S. 18, 179, 190. Die Wahl des Begriffs Markt ist allerdings nicht der einzige Punkt, an dem Koch kontextual betrachtet kritische Begriffe nutzt. Ein Kunstwerk als Ressource zu bezeichnen, das der Produktgestaltung Konzert oder Ausstellung oder der Marktbearbeitung dient und bei dem es sich nicht selten um ein Original handelt, wird Widerstand erzeugen – und zwar bei den Kulturschaffenden, die Koch selbst als anti-ökonomisch bezeichnet, vgl. Koch (2014), S. 258, 281. Seine Ausführungen dienen gleichzeitig als ein Beleg für das Nichtlossagen des Kulturmanagements von der betriebswirtschaftlichen Disziplin: Trotz vieler kritischer Hinweise aus den eigenen Reihen finden bei Autoren des Kulturmanagements selbst jene angemahnten Begriffe Verwendung. 56 Vgl. Groys (1992), S. 16. 57 Über die Luhmann-Habermas-Kontroverse ist unter anderem zu lesen bei Berghaus (2011), S 20ff.

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zu einseitig genau dann, wenn die Wirtschaft und mit ihr der Markt nicht als Teil der Gesellschaft angesehen werden und die Wirtschaft sich über die Gesellschaft erhebt. „Alles wirtschaftliche Handeln ist soziales Handeln, daher ist alle Wirtschaft immer auch Vollzug von Gesellschaft“58, schreibt Luhmann. Warum also gerade in einer nicht primär auf monetäres Sinnen abzielenden Diskussion um Kultur und deren Einrichtungen nicht gesellschaftlich argumentieren? An die Stelle einer gedanklichen Enge träte eine gedankliche Weite. Abbildung 16: Die Luhmann-Habermas-Kontroverse Gesellschaft

Privat-
 sphäre Kultur

Politik

Wirtschaft Kultur Politik Öffentlichkeit

Wirtschaft

Niklas Luhmann

Jürgen Habermas

= System = Lebenswelt

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Berghaus (2011)

58 Luhmann (1994), S. 8 sowie Luhmann (2008), S. 13.

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 229

In Bezug auf das Verständnis von Kultur, wie es in Kapitel 2 erläutert wurde, muss an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass Luhmann und Habermas in einem Punkt nicht gefolgt werden kann. Und das ist jener, an dem die Kultur neben anderen Bereichen besteht, diese jedoch nicht als apriorische Hervorbringung der Kultur verstanden werden. Denn so wie der Markt eine Hervorbringung der Gesellschaft ist, ist selbige eine Hervorbringung der Kultur – ebenso die Wirtschaft, die Politik, die Öffentlichkeit, die Privatsphäre. Dies stellten letzten Endes die Abbildungen 2 und 3 dar. Wann aber ist eine Innovation eine Innovation? Ist es tatsächlich eine Innovation, Eintrittskarten zu Hause auszudrucken? Ist es tatsächlich eine Innovation, Konzertmitschnitte auf DVD anzubieten? Ist es tatsächlich eine Innovation im Finanziellen, Praktikanten oder ehrenamtlich Engagierte zur Reduzierung von Kosten in Ensembles zu beschäftigen?59 An diesem Punkt stellt sich der Begriff Gesellschaft und das ihm innewohnende Soziale deutlich über die Begriffe Wirtschaft und Markt, um parallel dazu das in der Innovation mitklingende und das sie selbst Überhöhende zu enttarnen. Die resultierende Grundsatzfrage lautet demnach, wann Neues wirklich neu, wann Wertvolles wirklich wertvoll ist. Diese Frage wird noch brisanter, wenn Koch eine Erfindung als Neuheit ohne Wert definiert – sie erlangt das Siegel wertvoll erst in dem Moment, in dem Resonanz seitens eines Marktes entsteht und indessen zur Innovation wird. Um das Beispiel Schönberg weiterzuführen: Er wäre zunächst ein erfinderischer, kein innovativer Geist gewesen, da der Wert seiner Kompositionstechnik nicht erkannt wurde. Dass er nicht erkannt wurde, zeigt die Uraufführung seiner Variationen für Orchester im Jahr 1928, von Schönberg selbst als Skandal bezeichnet. Deren Verständnis fordert eine „angestrengte und ununterbrochene Aufmerksamkeit und Geistesgegenwart“60 seitens des Publikums, um die Musik nicht als Chaos zu deuten – ein Appell an eine entsprechende kulturelle Bildung, ebenso an eine Minimierung ablenkender Sinneseindrücke, an die Abnahme des Drumherums. Des Weiteren wären innovative Leistungen unter Umständen keine kreativen, da Kreativität nach Koch kein zwingendes Muss für Innovation ist – trotz der definitorischen Verwandtschaft auch der Begriffe Kreativität und Innovation, Erstere ebenso definiert durch die Eigenschaften neu und brauchbar.61 Wie aber entsteht Neues ohne Kreativität? Durch Zufall? Durch Weiterentwicklung?

59 Vgl. Koch (2014). S. 190, 327. 60 Dahlhaus (1968), S. 4. 61 Vgl. Groeben (2013), S. 37.

230 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Weiterentwicklung wäre im Grunde eine Spielart des Lernens. Doch das Lernen ist ihm nach wie die Kreativität ebenfalls keine Notwendigkeit der Innovation. Koch selbst scheint an der einen oder anderen Stelle unsicher zu sein, wenn er darlegt, neue oder in Vergessenheit geratene Kompositionen in das Programm zu integrieren sei nicht per se eine Innovation, um später zu formulieren, die Entscheidung des Konzerthaus Berlin, insbesondere Stücke des 17. und 18. Jahrhunderts ins Repertoire aufzunehmen sei innovativ. Unklar bleibt, wieso es sich an dieser Stelle um eine Innovation handeln soll. Und so erscheint der Begriff Innovation bei Koch als Sammelbecken für mannigfaltige Maßnahmen und bestätigt einen unbedarften Gebrauch des Begriffs.62 Um Innovationen zu definieren, setzt die Innovationsforschung ihren Fokus auf Produkte und Dienstleistungen und unterscheidet vier Innovationgrade: (1) Ist dieses komplett neu oder entscheidend verändert? (2) Ist es deutlich verbessert? (3) Liefert es neue oder verbesserte Zusatzleistungen? (4) Handelt es sich um eine Produkt- oder Dienstleistungsdifferenzierung?63 Es wird dabei außer Acht gelassen, wer über das Neue oder Verbesserte entscheidet – es fehlt folglich am kontextualen Zusammenhang. Man findet sich an den Anfang der Diskussion zurückversetzt: Was ist neu und wann ist Neues neu? Anhand des Beispiels Opernübertragung in Kinos werden – anders als in der Innovationsforschung in der Tabelle 10 – drei Innovationsgrade dargestellt, die auf einer kontextualen Betrachtung fußen und die die Frage beantworten, wann eine Innovation eine Innovation ist.

62 Vgl. Koch (2014), S. 202, 233 sowie Lotter (2018), S. 44. Der Begriff Innovation wird nicht mehr Ernst genommen, so Lotter. In seinen gesamten Ausführungen beschreibt er jedoch, was Innovation seiner Meinung nach alles ist: Sie ist Hoffnung auf Besseres, Störung, Differenzierung, Systemsteuerung, Problemlösen als auch eine Führungsaufgabe, eine soziale Kraft und ein Verändern des Denkens. Darüberhinaus schafft sie Möglichkeiten und Freiräume und spiegelt Wünsche wider. Es hat den Anschein, dass Lotter mit diesen vielfältigen Eigenschaften der Innovation selbst dazu beiträgt, den Begriff nicht mehr Ernst nehmen zu können, da ihn dasselbe Schicksal ereilt wie den der Kultur: Innovation wird zu einem Allheilmittel. 63 Vgl. Reineke und Bock (2007), S. 176.

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 231

Tabelle 10: Innovationsgrade Innovation

Beschreibung und Kontext

Beispiel

Ersten Grades

Einführung einer grundsätzli-

Entwicklung des Films bezie-

chen Neuerung. Sie ist gleichzu-

hungsweise der Übertragungs-

setzen mit einer Veränderung

möglichkeiten und Etablierung

der Domäne oder Erweiterung

von Kinos.

der Spielregeln des gesamten Sektors. Zweiten Grades

Einführung einer in anderen Be-

Live-Übertragung von Opern in

reichen außerhalb des Heimat-

Kinos, erstmals 2006, initiiert

sektors etablierten Neuerung,

durch die Metropolitan Opera.

gegebenenfalls mit Anpassungen an den Heimatsektor. Dritten Grades

Einführung einer im Heimatsek-

Nachahmung des Konzepts der

tor bereits etablierten Neuerung.

Live-Übertragung von Opern in

Die Neuerung bezieht sich al-

Kinos durch die English Natio-

lein auf den Kontext desjenigen,

nal Opera oder der Mailänder

der diese einführt beziehungs-

Scala.

weise auf sich überträgt. Ergänzend muss geschildert werden, dass die Innovationsgrade nach außen wirken. Natürlich gibt es auch Innovatives, das in die Welt gebracht wird und nur bei der schöpferischen Einzelperson bliebe, wie im hypothetischen Falle, hätte Schönberg die Zwölftontechnik entwickelt, aber nicht verbreitet. Dass es in diesem Fall der Innovation folglich auch nicht zu einer Veränderung der Domäne kommen kann, ist nachvollziehbar – trotz eines hohen Innovationspotenzials.

In der permanenten Erneuerung sieht Koch ein zwingendes Muss, eben um die erwähnte düstere Zukunft abzuwenden. Das Produkt Konzertabend – um seiner wirtschaftlichen Terminologie treu zu bleiben – kann grundsätzlich dem „Imperativ ständiger Erneuerung“64 unterworfen werden – eine Formulierung, die bei ihm einen positiven Klang besitzt. Doch Kritiker zeigen auf, dass ein Zuviel des Neuen existiert. So ist der „Imperativ permanenter Innovation“65 bei Reckwitz negativ konnotiert und auch die Ausführungen in Rosas Resonanzkritik zeigten die innewohnenden Gefahren. Deutliche Worte findet Ullmer: „Mir geht es auf 64 Koch (2014), S. 258. 65 Reckwitz (2014), S. 11.

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die Nerven, dass man das Rad immer neu erfinden muss.“66 Weiter führt sie aus, das Auftun des Neuen sei verbunden mit einem dauerhaften Druck. Das Problem auf den Punkt gebracht: „Wird nur noch von Innovation geredet, ist das ein sicheres Zeichen für den Niedergang. Und heute redet jeder von Innovation.“67 Und obgleich jeder von Innovation spricht, werden heutzutage Entwicklungen und Technologien als Innovationen oder gar als Weltneuheit angepriesen, die im Grunde weder die eine noch die andere sind: Vor über einhundert Jahren beispielsweise fuhren viele elektrisch betriebene Verkehrsmittel durch Berlin – heute als absolutes Novum unter anderem von dem Unternehmen Tesla kommuniziert.68 Es ist demnach erforderlich, den Begriff Innovation im entsprechenden Kontext anzuwenden, wie die Tabelle 10 es darstellt. Zwischenfazit Festzuhalten ist, dass Differenzierung wichtig ist. Diese darf jedoch weder auf einer Exzellenz als fadenscheinigem Unterscheidungskriterium beruhen noch zu einem Differenzierungs- und letzten Endes auch Innovationswahn führen. Somit müssen selbst die ähnlich formulierten Kulturaufträge und die sich ähnelnden Identitäten der eingangs genannten Hamburger Theater in unmittelbarer Nachbarschaft nicht zu einer falschen Vorstellung von Differenzierung führen: Die Originale im weiten Sinne, den Inhalt gut in Szene zu setzen, dabei den Versuch zu unternehmen, als Einrichtung positiv wahrgenommen zu werde, all das ist ausreichend. Die Existenz eines Originals muss dabei – nüchtern betrachtet – nicht mithilfe von superlativschwangeren Formulierungen aufgebläht werden. Im Gegenteil: Auch im Privatleben umgibt man sich nicht gerne mit Personen, die von sich ausschließlich in Superlativen sprechen. Wird es nicht als angenehmer und authentischer empfunden, wenn Superlative mehr und mehr aus dem Vokabular gestrichen werden beziehungsweise sparsam und ehrlich eingesetzt würden? Und sind es in Theater, Literatur, Oper und Film nicht die Antihelden, die gerade nicht mit Superlativen aufwarten können, das Publikum aber dennoch begeistern? Wichtiger als Heldentum ist Authentizität. Dieses Bewusstsein ist jedoch in Kultureinrichtungen nicht immer anzutreffen; auch, weil individuelle und nicht mit dem eigentlichen Zweck abgestimmte strategische Pläne zu einem unscharfen strategischen Gesamtbild beisteuern, wie zu Beginn dieses Kapitels 7 gezeigt. Und zu guter Letzt ist der folgende Gedanke

66 Experteninterview Ullmer (2017), S. 298. 67 Zuboff (2013), zit. nach Welzer (2014), S. 18. Bregman spricht sich sogar gegen das Innovieren aus: „Tatsächlich zahlt es sich inzwischen aus, auf Innovation zu verzichten.“ Vgl. Bregman (2017), S. 166. 68 Vgl. Felsch (2018b), S. 53.

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 233

ein wichtiger – er zeigt, inwiefern die Innovationen genutzt werden können im Rahmen des hier zugrunde liegenden Verständnisses von Strategie. Der Gedanke kann des Weiteren dem Kulturstrategen und dem Kulturmanagement neue Impulse liefern: Wird der Argumentation gefolgt, Kultureinrichtungen stünden unter Innovationszwang (Mandel, Klein) und das der Innovation immanente Neue gelange durch Fragen in die Welt (Charles Sanders Peirce), so kann dies nur bedeuten, dass der Kulturstratege zu einem gewissen Teil Philosoph werden muss, da jene Fragen als Teil des Problemlösens Teil der Philosophie sind (Karl Popper). Gleichwohl beruhen jene Fragen auf Zweifeln.69 Zweifel, die ermöglichen, das potenziell Seiende zu betreten, da sie beseitigt werden sollen, indem Lösungen – mitunter eben neue – gefunden werden. Auch aus diesen Gründen kann Uecker in der Diskussion um philosophische Aspekte nicht gefolgt werden, sodass gesagt werden kann, dass philosophische Auseinandersetzungen durchaus im kulturmanagerialen Alltag vertreten sein müssen; auch wenn argumentiert werden könnte, dass es im kulturmanagerialen Alltag keine Zeit für eine derartige Auseinandersetzung gebe. Allerdings zeigten insbesondere die Ausführungen zu den Themen Zeit und Entscheidung, dass es gerade gewinnbringend sein kann, sich mit zeitintensiven Fragen zu beschäftigen. 7.3.3 Ästhetik und Qualität Ästhetik umfasst in einem weiten Sinne das Nachdenken über das Schöne und die Künste, in einem engen Sinne das Philosophieren über Kunst und die ästhetischen Kompetenzen, die die Menschen besitzen. Dreierlei verdeutlicht diese bei Stefan Majetschak zu findende Einteilung.70 Erstens eine Unterstreichung der Tatsache, dass Kulturkompetenz und Ästhetik eine Einheit bilden – hier schließt sich der Kreis zu der in Kapitel 4 dargestellten Verbindung zwischen Kulturpolitik, kultureller Bildung und Ästhetik –, zweitens deren Verbindung zu den Künsten und drittens, dass man sich der Ästhetik denkend nähert. Eben nicht oder nicht ausschließlich emotional, wie man es in Geschmacksfragen vermuten würde, vor allem wenn es heißt: De gustibus et coloribus non est disputandum. Denn über Geschmäcke und Farben kann man sehr wohl streiten; man muss es sogar, wenn die hier gewünschte Auseinandersetzung über die Künste erfolgen soll. Doch für diese Auseinandersetzung und um über etwas nachdenken zu können,

69 Für die Ausführungen zu Peirce und Popper vgl. Freudenberger (2008), S. 110, 112ff, zu der Notwendigkeit von Innovationen im Kultursektor vgl. stellvertretend für weitere Mandel (2009b), S. 111 und Klein (2011a), S. 53. 70 Vgl. Majetschak (2007), S. 9.

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ist Wissen notwendig – und auch hier entsteht der Bezug zur Kulturkompetenz. Auch wenn die Ästhetik erst seit dem 18. Jahrhundert Teil der Philosophie ist – zurückgehend auf das Werk Aesthetica des Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten, dessen Inhalt die ästhetische Erziehung der menschlichen Sinne ist –, beschäftigten sich dennoch die Denker der Jahrhunderte zuvor mit dem Wesen der Kunst, der Rolle der Schönheit und der Frage, ob aus beiden normative Gesetze abzuleiten wären. Kunstphilosophie Sie in einem weiteren Staccato darzustellen hilft zum einen, die Bandbreite der Diskussion um die Ästhetik und die Schönheit zu verstehen und die dahinterstehende Notwendigkeit, dem Kulturbürger dieses Handwerkszeug näherzubringen. Zum anderen erfährt das Verständnis des Verhaltens und Redens von Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen eine entsprechende Hilfestellung durch einen geschichtlichen Rückblick, der zweifelsohne bei Platon und Aristoteles beginnen könnte, hier jedoch mit der Rolle der Kunst und des Künstlers im Mittelalter beginnt. • In der Epoche des Mittelalters war die Kunst fest in der Hand der Kirche als

ihrem Auftraggeber. Sie war mehr Kunsthandwerk als freie Kunst, entsprechend trat der Künstler hinter seinem Werk zurück. Ästhetik im Mittelalter, so Thomas von Aquin, umfasste die Unversehrtheit, das geeignete Maßverhältnis sowie Klarheit und die strahlende Farbigkeit von künstlerischen Gegenständen. • Das Selbstverständnis des Künstlers war in der Renaissance ein neues. Er verließ die Anonymität, indem er begann, die Schönheit der Natur nicht getreu nachzuahmen, sondern selbst schöpferisch tätig zu werden und seine eigenen Gedanken in wiederum seine Schöpfung einfließen zu lassen – mit dem Ergebnis, dass der Künstler als Schöpfer eine Quasi-Göttlichkeit erhält, wie Michael Hauskeller es formuliert. Wichtig dabei ist – und das widerspricht dem Geniekult, wie er in späteren Zeiten vorzufinden war und mitunter auch heute noch betont wird –, dass der Künstler der Renaissance sich nicht über andere Menschen erhebt. Vielmehr betont er durch sein Können die generellen Fähigkeiten des Menschen und unterstreicht insofern dessen Würde. Die Wahrnehmung des Schönen in jener Zeit bedeutete, innere Strukturen zu erkennen, die eine Erscheinung in sich trägt. Werden diese nicht erkannt, so heißt dies nicht, der Betrachter habe keinen Geschmack, sondern er besitze nicht das notwendige Wissen, um diese Strukturen zu beleuchten. Bereits in dieser Epoche ist das Erkennen von Schönheit vom Wissen abhängig.

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 235

• In der Lehre von Kant ist die Schönheit frei von jedwedem persönlichen Inte-









resse, anders als die Wertschätzung und das Vergnügen es sind. Ein Urteil ohne ein Interesse – dies trägt bei Kant den Namen Geschmacksurteil – zu fällen ist dennoch ein rein subjektives Urteil, da Wohlgefallen oder Missfallen bei der Betrachtung eines Gegenstandes ein persönliches Gefühl bei dem Betrachter hervorrufen. Gleichzeitig ist Schönheit allgemeingültig – eben weil sie interesselos betrachtet wird. Anders als zu anderen Zeiten können für Kant keine Regeln und Gesetze in Bezug auf den Begriff Schönheit gelten. Nichtsdestoweniger ist er nicht losgelöst von der klassischen Betrachtung der Schönheit, wenn er zwei Voraussetzungen benennt, über die man verfügen muss, um Schönheit zu erkennen. Es ist dies erstens die Einbildungskraft, die vonnöten ist, um die Vielfalt eines mit Schönheit bedachten Gegenstandes zusammenzusetzen und zweitens der Verstand, der in der Vielfalt eine Einheit erkennen lässt. Der heutige Gebrauch des Begriffs Ästhetik als Wissenschaft der schönen Künste ist zurückzuführen auf die Gedanken Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Er argumentiert, der Zweck der Kunst sei, die Realität zu verklären und durch das Aufzeigen des Schönen ebenso Wahrheit aufzuzeigen – Hässlichkeit entspricht der Unwahrheit und hat somit in der Kunst, die eben Wahrheit ist, keinen Platz. Dem widerspricht Karl Rosenkranz. Für ihn bedarf es eines Kontrasts, um als schön und wahr zu gelten. Und dies kann nur das Hässliche und Unwahre sein. Der Widerspruch ist jedoch nur bedingt, da Rosenkranz das Schöne als wesentliches Merkmal der Kunst nicht infrage stellt und in dem Hässlichen nur die Notwendigkeit sieht, die vonnöten ist, um das Schöne strahlen zu lassen. Dass das Hässliche Teil der Kunst sein muss, betont auch Adorno. Es ist notwendig zur Ehre der gebrochenen Schönheit. Ihm nach muss Kunst traurig und grausam sein, um die Wahrheit des Chaos, das die Welt bereithält, aufzudecken. Das Unterhaltende an ihr, das im Rahmen der Kommerzialisierung immer mehr Gewicht erhielt, sorgt für Ablenkung von einer Welt, wie er sie nach dem Zweiten Weltkrieg vorgefunden hat und entbindet den Rezipienten von Kunst vom Denken. Er geht so weit, dass er den Genuss von Kunst kritisiert. Doch die Entbindung vom Denken darf seiner Meinung nach nicht geschehen. Denn Denken, Wissen und kritisches Betrachten sind Voraussetzungen für ästhetische Erfahrungen. Den Gedanken Kants aufgreifend, es existiere neben dem Schönen auch das Erhabene, formuliert Lyotard, die Darstellung des Erhabenen führe zur Auflösung der Form und des Darstellbaren. Neben dem Direkten des Gegenständli-

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chen und Naturalistischen wird so indirekt Anderes – Höheres, Transzendentales – sichtbar. Dies kann die Erklärung für den Weg der Künste in die Moderne und ihren Weg hin zum abstrakten Erscheinen sein. • Entsprechend dieser Autonomie der Künste schlägt Goodman vor, die Frage Was ist Kunst? zu ersetzen durch die Frage Wann ist Kunst?, da die Rolle der Kunst in einem zeitlichen und kulturellen Kontext gesehen werden müsse. Der neu gezogene Grenzverlauf der Künste, der dafür sorgt, dass ein Urinal in einem Museum zur Kunst erhoben wird – Duchamps Fountain aus dem Jahr 1917 – oder aber ein Musikstück ohne Musik und Klänge auskommt – 4ʹ33ʺ von John Cage aus dem Jahr 1952 – zeigt, dass Kunst kontextabhängig ist – zu anderen Zeiten hätten Werke wie die genannten nicht als Kunst gegolten. • Die Gedanken von Danto führen aus, inwiefern Gegenstände, die im Alltag Gebrauchsgegenstände sind wie die Brillo Boxes von Andy Warhol oder eben Duchamps Fountain die Weihung zu Kunstwerken erfahren können. Kunstwerke, so Danto, seien immer über etwas, liefern eine andere Perspektive der Wahrnehmung, bieten einen anderen Kontext. Somit wird Kunst durch deren Interpretation zur Kunst. Es „verlangt nichts weniger als das: eine Atmosphäre der Kunsttheorie, eine Kenntnis der Kunstgeschichte“71, um etwas interpretieren und als Kunst sehen zu können.72 Die kurze Beschreibung der Entwicklung der philosophischen Betrachtung von Kunst lässt zweierlei erkennen: Da ist zum einen die Frage, was Kunst zur Kunst mache. Ist es die Person des Künstlers? Ist es dessen Beherrschung des Handwerks – auch wenn dieses sich nicht immer eindeutig zu erkennen geben muss? Ist es die hinter der Kunst stehende Idee des Künstlers? Ist es die Institution, die die Kunst zur Kunst werden lässt? Sind es die unterschiedlichsten Rezipienten, vom Laien bis zum Experten? Oder sind es gar die Auktionshäuser? Und da ist zum anderen die Tatsache, dass Fragen dieser Art bis ins antike Griechenland zurückgehen und dennoch nicht beantwortet sind beziehungsweise beantwortet werden konnten. Umso bedeutender ist das Aufrechterhalten dieser Fragen für

71 Danto (2014), S. 207. 72 Vgl. Hauskeller (2013) sowie Majetschak (2007). Beide Autoren bieten einen chronologischen Überblick über die unterschiedlichen kunstphilosophischen Strömungen. Die Ausführungen zu Kant betreffend vgl. Kulenkampff (2012). Das Beispiel Duchamp greift auch Groys auf, um grundsätzlich zu zeigen, dass Innovationen in der Verschiebung des Grenzverlaufs zwischen dem Profanen – dem Urinal – und dem Valorisierten – der Kontextualisierung des Urinals im kulturellen Raum – verläuft, vgl. Groys (1992), S. 73f.

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die weitere Suche nach Antworten. Weiter unten werden diese Fragen aufgegriffen. Die Debatte über Ästhetik ist ebenso eine Debatte über Qualität, denn: „Es gibt nichts Leichteres, als Kunst zu produzieren, die als solche eindeutig identifiziert werden kann, und diese wird in der Tat ständig produziert.“73 Dieser Überzeugung ist Groys. Ihm nach handelt es sich bei Kunst dieser Art um Kitsch. Dass etwas Kunst sei, sagt demnach noch nichts darüber aus, ob es sich um gute Kunst handele. Doch Qualitätsmerkmale zu finden, sich über sie auszutauschen, ist nicht nur ein mühevoller, mit gedanklichen Anstrengungen verbundener Prozess. Er ist auch ein Prozess, der die Beteiligten dazu führt, einen Blick auf die Realität zu werfen. Eine Realität, in der nicht nur Exzellenz als Qualitätsmerkmal oberster Güte oder Superlative existieren; eine Realität, in der ein kulturelles Angebot auch nur gut oder sogar nicht gut sein kann. Die Realität zeigt jedoch auch, dass die Büchse der Pandora nicht geöffnet werden sollte, ginge es nach der einen oder anderen der an einer solchen Debatte beteiligten Personen. Um sie unter Verschluss zu halten scheint es mancherorts zu heißen, einem jeden sei ohnehin bewusst, was unter Qualität zu verstehen sei. Dass dem nicht so ist zeigt das Beispiel der Künstlerin Rachel Whiteread, die im Jahr 1993 den begehrten und mit 20.000 Pfund dotierten Turner Prize erhielt, im selben Jahr jedoch auch den Anti-Turner Prize, der den Schlechtesten Künstler des Jahres kürt und mit 40.000 Pfund die doppelte Summe der eigentlichen Siegerprämie besitzt.74 Auch die von Koch geführten Interviews bescheinigen die Schwierigkeit, bei Diskussionen über Qualität denselben Maßstab zugrunde zu legen beziehungsweise zugrunde legen zu können. Er schreibt, dass die „Leiter des Konzerthauses Berlin und der Philharmonie Luxemburg betonen, die Steigerung der (von ihnen diffus definierten) Qualität des Angebots sei unabdingbar“75. Dass mit einer Aussage, die die Eindeutigkeit des Qualitätsbegriffs betont, eine Diskussion nur unterbunden wird, verwundert nicht. Wundernimmt sie allerdings, wenn einbezogen wird, dass diverse Auslegungen des Begriffs Qualität existieren und der Begriff nicht so klar zu sein scheint. Für Kotler kann Qualität beispielsweise zum Gebrauch geeignet oder erfüllt die Anforderungen oder ist frei von zufälligen Veränderungen bedeuten.76

73 Groys (1992), S. 76. 74 Vgl. Osgerby (2016), S. 556ff. 75 Koch (2014), S. 311. 76 Vgl. Kotler, Armstrong und Wong (2011), S. 427.

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Doch gerade jene zufälligen Veränderungen können dazu führen, dass beispielsweise ein Orchester über sich hinauswächst und eine musikalische Atmosphäre schafft, die weit über den Erwartungen liegt und das Erlebnis so zu einem besonderen wird. In der unter dem Titel Das Konzert herausgegebenen Sammlung von Aufsätzen wird eine Welt beschrieben, in der Musik allzeit über Streamingdienste zu hören ist – oder besser: zu konsumieren ist, da die akustische Dauerbeschallung zu einer fehlenden Unterscheidung zwischen den Fähigkeiten hören und zuhören führt; eine Welt, in der alles und jeder jederzeit mittels neuer Technologien zu erreichen ist. In einer solchen Welt sehnen sich die Konzertbesucher nach dem Realen, dem Besonderen, nach Ereignisreichen im Sinne des Es geschieht!, das sich auszeichnet durch die Möglichkeit des Unperfekten. Die Sopranistin Edita Gruberova beschreibt die Überraschungsmomente und die Spannung, die in Konzerten entstehen, eben weil man nicht im Vorfeld weiß, ob die nächste Passage gelingen wird, ob jeder Ton dergestalt ist, wie man ihn selbst erwartet und formen möchte – trotz allen Übens. Jedoch geht es nicht um eine Freude am Scheitern, sondern um ein Mitbangen und Dabeisein aus Sicht der Besucher – eben um Reales.77 Sowohl die definitorischen Unklarheiten als auch die Attraktivität des Unperfekten werfen ein neues Licht auf die Qualität und negieren die Aussage, einem jeden sei bewusst, was unter Qualität zu verstehen sei. Kultureinrichtungen und -management kommt der umfangreiche Auftrag zu, die Frage nach der Qualität immer wieder auf das Tableau zu heben, dem Kulturbürger in deren Beantwortung zur Seite zu stehen und das eigene Sein zu legitimieren. Ihnen obliegt auch die Aufgabe, Entwicklungen kritisch zu hinterfragen, denen eine Gesellschaft gegenübersteht. Doch werden sie von Titeln wie Die perfekte Ausstellung78 oder die bei Benz zu findende Prophezeiung, „Perfektion in allen Bereichen ist einer der Schlüssel zum Erfolg“79 eher in die Irre geführt. In einer Fußnote erwähnt wiederum Koch, dass die Frage nach Qualität durch verpflichtete Stars beantwortet wird, da sie für eben diese garantieren. Allein das ist schon zweifelhaft. Noch zweifelhafter wird es, wenn er den eigentlich mündig werden sollenden und sich an den Diskussionen um Kunst und Kultur beteiligenden Bürger entmündigt, indem er schreibt, eben jene Stars „entlasten den Besucher von den Anforderungen eines sachkundigen Urteils“80. An dieser Stelle wird der

77 Vgl. Schulze (2011), S. 49 sowie Sträßner (2011), S. 312 und Roselt (2011), S. 119. 78 Vgl. Alder und den Brok (2013). 79 Benz (2017), S. 56. 80 Koch (2014), S. 312. Die Tatsache, dass die Kulturindustrie durch die von Adorno und Horkheimer als unverschämt betitelte Frage, was der Mensch haben wolle, dem

Spezifizierung der Strategietheorie im öffentlich getragenen Kultursektor | 239

Bezug zu den zuvor gestellten Fragen bezüglich der Kunstphilosophie und zu dem Kreislauf von Pricken hergestellt; ebenso zur Forderung Rauterbergs, Mündigkeit zu fördern. Gleichzeitig kann die Äußerung Kochs als Absage an jede kulturpolitische und kulturpädagogische und letzten Endes gesellschaftliche Aufgabe gewertet werden. Ein Gegengewicht zu Kochs Gedanken liefert Uecker, wenn er kritisch sagt, es sei scheinbar nur noch Anna Netrebko gut, „für alles Restliche [werde] der Bewertungsrahmen diskreditiert“81. Zu guter Letzt entstehen weitere Zweifel, wenn Klein schreibt, dass zwar andere als wirtschaftliche Faktoren für die Zukunftsfähigkeit von Kultureinrichtungen von Bedeutung seien – so auch die Qualität –, um dann wiederum zu formulieren, dass die „notwendige Qualität eigentlich auch nicht das Kernproblem der meisten öffentlichen Kultureinrichtungen [sei], deren Leitung in aller Regel [...] für sehr gute Qualität garantiert [Hervorhebung BJ]“82. Im Zuge dessen setzt er auf Begriffe wie Spitzenleistung und hochwertig. Dass diese leicht über die Lippen gehen ist naheliegend vor dem Hintergrund, dass es sich bei kaum hinterfragter, dafür sehr guter Qualität in den Kultureinrichtungen um einen Normalzustand zu handeln scheint. Nicht nur die fehlende Qualitätsdebatte trägt dazu bei, der Quantität einen größeren Stellenwert zuzusprechen. Es ist a priori auch einfacher und politisch wirksamer, quantitative Maßstäbe an Kunst und Kultur anzulegen. So erklären sich die Zahlenverliebtheit von Hirst, das Schielen auf den Markt und die Auktionshäuser als Indikatoren von Preisen und die in Zielvereinbarungen fixierten Kennzahlen – dazu mehr im anschließenden Exkurs Besucher und Besuche sowie der Zusammenfassung am Ende dieses Kapitels 7. Gut ist, was messbar ist.

Menschen vormache, ihn als denkendes Subjekt zu sehen, um ihn im Anschluss durch die kulturindustriellen Massenangebote seine Subjektivität zu nehmen, belegt darüber hinaus die Wichtigkeit der Subjektivität, die dem Menschen weder von der Kulturindustrie noch von Kulturverantwortlichen oder Kulturschaffenden abgesprochen werden darf, vgl. Horkheimer und Adorno (2015), S. 41f. 81 Experteninterview Uecker (2017), S. 271. Auch an anderer Stelle entsteht mindestens ein Beigeschmack der Diskreditierung, ebenfalls ausgehend von dem Begriff Exzellenz: Koch argumentiert, die Exzellenz der Berliner Philharmoniker zöge ein exzellentes Publikum an, in der Folge resultieren daraus hohe Gagen im internationalen Geschäft sowie eine Attraktivität für Sponsoren, die ebenfalls monetär zu Buche schlüge. Die Liquidität des exzellenten Orchesters könne wiederum für „soziale Grenzüberschreitungen und Experimente mit nicht-exzellenten Publika [Hervorhebung BJ]“ genutzt werden, vgl. Koch (2014), S. 275. 82 Klein (2011a), S. 118, ebenso S. 59.

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Und was messbar ist, ist kontrollierbar. Am Ende geht es scheinbar wieder um das fehlende Aushalten der Dynamik, des Ungewissen. Rauterbergs Diagnose lautet: „Quantität wird zum Inbegriff von Qualität.“83 Im Umgang mit der Quantität – der numerischen, tabellarischen oder grafischen Darstellung von Sachverhalten – liegen allerdings vier Irrtümer vor: 1. Quantität wird mit Objektivität gleichgesetzt. 2. Objektivität wiederum wird mit Neutralität gleichgesetzt. 3. Objektivität ist nicht Wahrheit und demnach keine absolute Größe. 4. Objektivität und Neutralität – und infolgedessen Quantität – entbinden auf-

grund ihres vermeintlichen sachlichen Wesens von persönlichen Urteilen; zu fällende Entscheidungen basieren auf einem für sich selbst sprechenden Zahlenwerk; der Entscheider tritt hinter Quantität, Objektivität und Neutralität zurück und ist von der Übernahme von Verantwortung entbunden.84 Deutlich wird, dass gerade der Irrtum 4 im kulturpolitischen Zusammenhang, in der Entscheidung für und gegen Fördergelder, für und gegen Schließungen mitunter verheerende Folgen haben kann. Nichtsdestoweniger heißt es nicht, es sollten keine Zahlen erhoben werden, sie sollten nicht zurate gezogen werden. Vielmehr heißt es, sich der Begrenzung des Zahlenwerks bewusst zu sein: Was sagt es über die Qualität des Kulturbesuchs eines Einzelnen aus, wenn in der Hauptsache die Gesamtheit der Besuche, die hinter ihnen stehende Zahl im rechten Licht erscheint? Hoffmann geht sogar so weit, die „Objektivität von Evaluation und von Besucherbefragungen [als] ein Lügen in die eigene Tasche“85 zu bezeichnen und in einem Dokumentationszwang ein Hindernis im Kontext der Strategie zu sehen. Ohne Frage spricht er sich jedoch für die unterstützende Funktion von Zahlen und Erhebungen aus, sieht aber deutlich deren Grenzen in ihrem reduzierenden Wesen. Bei allem Verständnis, Erfolg wiegen, messen und zählen zu wollen, schreibt auch Grasskamp, es werde „die Besucherfrequenz der Museen nie zuverlässig Auskunft über eine geglückte Kulturaneignung geben

83 Rauterberg (2015c), S. 35, ebenso S. 62. Dieser Meinung ist auch Bregman. Er schreibt, „langsam, aber sicher wird Qualität durch Quantität ersetzt“. Vgl. Bregman (2017), S. 23. 84 Vgl. Gaukroger (2017), S. 86ff, 91, 96f. Foerster äußert sich zu vermeintlicher Objektivität: „Objektivität ist die Wahnvorstellung eines Subjekts, dass es beobachten könnte ohne sich selbst.“ Zit. nach Glaserfeld (2016), S. 30. 85 Experteninterview Hoffmann (2017), S. 293.

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können, denn die Quote ist von allen kulturpolitischen Kriterien die dümmste“86. Es sagt die Kennzahl nicht aus, wie viele Besucher mit einem erfahrenen Mehrwert die Ausstellung verlassen, der in Tabelle 9 dargestellte und anzustrebende Fall 1. Nichtsdestoweniger wird diese Kennzahl kulturpolitisch genutzt, um Häuser und Sparten bei einer zu geringen Besuchsfrequenz zu schließen.87 Oder mit den Worten Zepters: „Wenn der Erfolg gemessen wird, bleibt die Frage nach der Qualität der Kunst unbeantwortet, weil sie gar nicht erst gestellt wird.“88 Wenn jedoch derartige Kennzahlen derartiges Gewicht erhalten und gleichzeitig niemals so objektiv sind, wie sie Glauben machen wollen oder sollen, dann sind Kulturverantwortliche gezwungen, anscheinend einfallsreiche Lösungen an den Tag zu legen, um sich den Kennzahlen anzunähern. Der auf Besuchszahlen schielende Blick baut dabei einen Erwartungsdruck auf, der „innovative Experimente in der Ausstellungspolitik“89 einengt – und dass gerade trotz der vielerorts geforderten Bereitschaft zur Innovation. Das Paradoxe: Gerade das Wiegen und Messen, so Lotter, trübe den Blick für Ideen und Innovationen.90 Oder anders: Der Wunsch nach Zahlen verhindert die Erfüllung der Forderung nach Neuem – die kulturpolitischen und kulturmanagerialen Ansprüche stehen sich im gewissen Maße selbst im Weg. Bei der Quantifizierung handelt es sich zusammenfassend um einen unnötigen Kunstgriff, wenn man sich dafür entscheiden würde zu akzeptieren, dass Kunst und Kultur nicht in dem Maße quantifizierbar sind und stattdessen die Diskussion über Qualität aufnehmen und den Kulturbürger darin schulen würde, sich an dieser zu beteiligen.91 Nur so könnte die erhoffte und angestrebte Exzellenz bescheinigt werden. Diese Entscheidung muss auf Seiten der Einrichtung, aber auch auf Seiten der Politik gefällt werden. Schaut eine Kultureinrichtung ehrlich und nüchtern auf das eigene Selbst, wird sie an der einen oder anderen

86 Grasskamp (2016), S. 91. 87 Vgl. Schmidt (2017), S. 104 sowie Beyme (2012), S. 232. 88 Zepter (2015), S. 98. 89 Beyme (2012), S. 232. 90 Vgl. Lotter (2018), S. 90. 91 So bescheinigt die Enquete-Kommission, dass „eine reine Quotenorientierung [..] gerade im Bereich der Kultur nicht angemessen ist“. Quoten geben keine Auskunft über Relevanz und deren Messung ist bis zu einem gewissen Grad zu ungenau, wie die Kommission anhand der Diskussion um die Kulturaufträge der öffentlich rechtlichen Sendeanstalten darstellt, vgl. Enquete-Kommission (2007), S. 155.

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Stelle erkennen, dass sie bereits das besitzt, was insbesondere die Wirtschaft und deren Definitionen von Strategie T fordern: Einmaligkeit und Einzigartigkeit.92 Exkurs: Die Unterscheidung zwischen Besuchen und Besuchern Ein weiterer Grund für die einseitige Aussagekraft der Kennzahl mag der an Trennschärfe vermissende Umgang mit den Begriffen Anzahl der Besucher und Anzahl der Besuche sein. Würde der Begriff Besuche Gebrauch finden, würde er beinhalten, dass einzelne Besucher auch mehrmals eine Ausstellung aufgesucht haben könnten – die Interpretation würde entsprechend verändert ausfallen; anders beim Begriff Besucher, auszulegen als tatsächlich unterschiedliche Besucher. Aus diesem Grunde basiert das Negieren der Krise, die der klassischen Musik immer wieder konstatiert wird, bei Markus Hinterhäuser zuallererst auf einer begrifflichen Ungenauigkeit: In Deutschland, so der Intendant der Salzburger Festspiele, gäbe es 32 Millionen Konzertbesucher. Seinem Verständnis nach wäre somit rund jeder dritte Deutsche ein Besucher klassischer Konzerte. Es ist anzunehmen, dass Hinterhäuser sich auf den Spartenbericht des Statistisches Bundesamt bezieht, da die Zahl 32 Millionen auch dort zu finden ist, jedoch zum einen in den Ausführungen Musikfestivals und -spiele, zum anderen in dem Kapitel Privatwirtschaftlicher Musiksektor. Dies hat zur Folge, dass in jener Zahl ebenso Rock- und Popfestivals inkludiert sind93 und Hinterhäusers Aussage damit noch kritischer zu betrachten ist. Dass Kennzahlen mit Bedacht interpretiert werden müssen und ihre Aussagekraft hinterfragt werden muss, ist keine neue Erkenntnis und bedürfte im Grunde keiner Erwähnung. Erwähnenswert ist zur Verdeutlichung jedoch die Stellungnahme von Gerald Mertens, Geschäftsführers der Deutsche Orchestervereinigung, wenn dieser fordert, die Klassik müsse jenes Image erhalten, das sie verdiene, immerhin könne das Klassiksegment 18,2 Millionen Besuche –

92 Gerade die Vertreter der Aufmerksamkeitsökonomie belegen, dass es immerzu schwieriger wird, einzigartige Eigenschaften zu identifizieren, mit denen Mitbewerber nicht auch auftreten, vgl. Berndt (2017), S. 102f. Nolte führt sogar aus, dass es gewissermaßen kein Produkt gibt, das einen einzigartigen Nutzen liefert, den nicht auch ein anderes Produkt bedienen könnte, vgl. Nolte (2005), S. 105. Um sich abzugrenzen und ein Alleinstellungsmerkmal zu besitzen, entwickeln „Unternehmen den Ehrgeiz, Werte [...] für sich zu finden, die noch kein anderes Unternehmen beansprucht“. Aus diesem Grund wird der Begriff Wert heutzutage für nahezu alles angewendet: beispielsweise für Wasser, glatte Haut oder Stille. Jedoch bleibt dabei nicht selten der Begriff ebenso inhaltsleer, vgl. Ullrich (2017a), S. 8, 29. 93 Vgl. Hagedorn (2017) sowie Statistisches Bundesamt (2017), S. 66.

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Mertens nutzt den richtigen Begriff – im Jahr 2016 verbuchen.94 Seine Forderung kann als Emanzipation der Kultur im Allgemeinen und der Musik im Speziellen verstanden werden. Doch leider wird wenige Zeilen später der Vergleich mit der 1. Bundesliga des deutschen Fußballs hergestellt, die 13,2 Millionen Besuche in der Saison 2016 / 2017 verzeichnete. Derartige Vergleiche helfen kaum, im Gegenteil: Sie sind zuallererst unvollständig, da wichtige Relationen wie Anzahl der Veranstaltungen außer Acht gelassen werden. Während die Bundesliga eine Gesamtzahl von etwas mehr als einhundert Spiele umfasste, bespielten allein die öffentlich getragenen Orchester in Deutschland rund 13.000 Veranstaltungen im selbigen Zeitraum.95 Kontraproduktiv sind Aussagen dieser Art auch, da sie die Kultur in einen Kontext gesellen, von dem sie sich eigentlich emanzipieren sollte. Das von Mertens geforderte Imagebewusstsein kann nicht existieren, wenn dessen Etablierung fußen soll auf einem Aber andere, als beliebter geltende Veranstaltungen, verzeichnen weniger Besuche als die Kunst und Kultur. Über Beweise dieser Art schreibt Volker Hagedorn: „Wer [sie] sammelt, hat erst recht verloren, der begibt sich nämlich in die Legitimierungsdruckkammer“96 – und aus dieser sollten Kultureinrichtungen und Kulturmanagement heraus.

7.4 ZUSAMMENFASSUNG, REFLEXION UND WEITERES VORGEHEN In einer Beschreibung des kulturell-kontextualen Zielsystems muss zusammenfassend auch das Steuerungsinstrument der Zielvereinbarungen erwähnt werden, da an diesem diverse der in diesem Kapitel 7 vorgestellten Aspekte einfließen: Kulturpolitische Ziele, die den Finanzfluss von Zuwendungen legitimieren sollen, werden in Form einer zwischen öffentlicher Hand und Kultureinrichtung schriftlich fixierten und für einen Zeitraum von einigen Jahren gültigen Zielvereinbarung geschlossen. Auch Klein äußert sich zur Wichtigkeit von Zielvereinbarungen und formuliert den an sie gestellten Anspruch, detailliert und verbindlich sowie im vereinbarten Zeitraum strikt einzuhalten zu sein.97 Ausführungen dieser Art zeugen von einem Übersehen von dynamischen Entwicklungen: Wie konnte der Flüchtlingsstrom, der Deutschland im Sommer 2015 erreichte, vor-

94 Vgl. Mertens (2017). 95 Vgl. Statistisches Bundesamt (2017), S. 21. 96 Hagedorn (2015). 97 Vgl. Klein (2011a), S. 62f.

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hergesehen werden oder die vielfältigen Programme der Kultureinrichtungen, Flüchtlinge mit der europäischen Kultur in Berührung zu bringen und sie willkommen zu heißen, in Zielvereinbarungen festgehalten werden? Oder die finanziellen Aufwendungen, die dazu notwendig waren? Die Steuerung von Kultureinrichtungen ist vonnöten, doch der Wunsch nach Kontrolle, wie Klein ihn durch einen Mess- und Datenerhebungseifer an den Tag legt, ist kritisch zu hinterfragen. Zwar bezeichnet er die Aussage, Kunst und Kultur seien weder messnoch quantifizierbar als eine Schutzbehauptung seitens der Verantwortlichen, allerdings gibt er auch zu, dass, „Kunst und Kultur [zu] ‚bewerten‘ und [zu] ‚beurteilen‘ zugegebenermaßen auch ein bisschen schwieriger [sei] als in anderen Bereichen gesellschaftlichen Handelns [Hervorhebung BJ]“98. Wieso setzen sich dann die Philosophen aller Zeiten mit der Frage auseinander, was Kunst, was Ästhetik sei, wie der Absatz zur Kunstphilosophie deutlich machte? Wieso diskutieren Kommissionen, angefangen bei den Eignungsprüfungen an Kunst- und Musikhochschulen bis hin zu den Jurys in entsprechenden Wettbewerben über die dargebotene Qualität? Wieso gibt es Ausführungen wie jene von Rauterberg, Dossi und Küveler, die geschrieben wurden, eben weil die Diskussion um die Bewertung von Kunst und Kultur nicht ohne Weiteres geschieht? Wieso hinterlässt es einen Beigeschmack, wenn Auktionshäuser lediglich den Preis als Richtschnur für Qualitätsaussagen ins Feld führen? Die Antwort zeigt erneut das ideelle Verständnis, das den hier aufgezeigten Gedanken zugrunde liegt: Weil Kunst und Kultur eben nicht ohne Weiteres mess- und quantifizierbar sind; weil sie mehr sind; weil sie eine Aura besitzen, die es zu präsentieren, zu entdecken, zu interpretieren gilt. Somit bedarf es der erwähnten Schutzbehauptung nicht. Jedoch darf aufgrund der fehlenden Quantifizierbarkeit nicht auch die Qualität als Äquivalent zur Quantität per se außen vor gelassen werden. Aus diesem Grund ist in der Debatte um Zielvereinbarungen und -erreichungen das Bewer-

98 Klein (2011a), S. 299. Klein erliegt hier einem begrifflichen Fehler. Er führt aus, dass es sich bei der Aussage, Kunst und Kultur ließen sich nicht messen oder quantifizieren, um eine Schutzbehauptung handele, immerhin würden Kritiker Kulturangebote in den Zeitungen besprechen oder eine Jury in Musikwettbewerben über die Teilnehmer urteilen. Bei einer Kritik oder eine künstlerischen Wertung handelt es sich nicht um ein Messen oder Quantifizieren. Klein kommt wenige Sätze später in dem oben genannten Zitat selbst darauf, wenn er die Begriffe bewerten oder beurteilen nutzt. Nichtsdestoweniger startet seine Argumentation mit den Begriffen messen und quantifizieren und endet in der Formulierung, „jedes Kunstwerk besitze seinen taxierbaren Marktwert“. Doch wie nicht ausreichend aussagekräftig dieser ist, zeigten die Beschreibungen des kommerziellen Kunstmarktes.

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tende und Beurteilende hilfreich, nicht nur das Messbare und in Zahlen Abbildbare. Vorsicht ist dennoch geboten bei der Diskussion um Qualität. Schnell geraten Kultureinrichtungen durch Gebrauch und Kommunikation hyperbolischer Ausdrücke in die Exzellenzfalle. Auch die Kulturpolitik ist vor dieser nicht gefeit, wie Hoffmann weiß. Er nutzt den Begriff Exzellenzbrille, die in den Sehschärfen nicht ausreichend sei: „Doch es ist leider die Brille, die kulturpolitisch das präferierte Instrument von Wirkungsmessung ist.“99 Den Blick durch jene Brille unterstützt auch Der exzellente Kulturbetrieb – nicht zuletzt durch die Wahl des Titels –, in dem ein Standardvorgehen herauszulesen ist, das Klein als notwendige Grundlage für Zielvereinbarungen sieht – trotz der wiederholt auftretenden Hinweise des Autors, die Zukunft hielte Überraschungen parat, Rahmenbedingungen würden Veränderung erfahren, Umfelder würden rasante Entwicklungen verzeichnen:100 1. Die Kultureinrichtung muss sich im Klaren sein über die eigene Mission und

über visionäre Ziele. 2. In einem von allen Mitarbeitern gemeinsam entwickelten und getragenen stra-

tegischen Leitbild T werden diese fixiert. 3. All dies fließt in die Zielvereinbarung ein. 4. Auf Basis der Zielvereinbarung erfolgt eine strikte Umsetzung und Wirkungs-

kontrolle. 5. Als Ergebnis steht der exzellente Kulturbetrieb am Ende des Prozesses.

Dies im Rückgriff auf die Diskussion der Differenzierung und dem Prädikat Exzellenz: Wenn alle Einrichtungen sich auf den Weg zur Exzellenz begeben, sich nun alle Einrichtungen an jene Klein’sche Rezeptur halten – wer ist in der Folge wirklich exzellent, wenn alle es sind? Nun soll Kultureinrichtungen nicht untersagt werden, an ihrem Besserwerden zu arbeiten. Dabei mögen Instrumente wie die von Klein genannten sicherlich auch unterstützen. Doch der dogmatische Duktus, das Darstellen eines Wie ohne tatsächliches Benennen eines Wie – wie wird Strategie geschult, wie wird ein strategischer Plan entwickelt, wie bindet man alle Mitarbeiter ein, wie kann ein gemeinsames Tragen des Entwickelten im weiteren Vorgehen realisiert werden? –, all dies ist zu kritisieren hinsichtlich des dynamischen Kerns und des Wesens der Zukunft. Statische Zielvereinbarungen

99

Experteninterview Hoffmann (2017), S. 289.

100 Vgl. Klein (2011a), S. 63, 68f, 319. Gerade die Wirkung von Leitbildern wird in der Literatur kritisch hinterfragt, vgl. hierzu Borgert (2015), S. 52f sowie MüllerBeyeler und Butz (2016), S. 80.

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jedoch verhindern ein Schauen abseits der Wegstrecke, die zur Realisierung von Zielen notwendigen gedanklichen Alternativen finden nicht Einzug in das enge Korsett der Zielvereinbarungen. Dabei könnten sinnvolle Ziele, die sich erst im Laufe der Zeit herauskristallisieren, außerhalb des strategischen Rahmens im potenziell Seienden in Erscheinung treten. Die dafür erforderliche Flexibilität zwingt den strategischen Rahmen – wie in Abbildung 10 gezeigt – in Kombination mit dem zeitlichen Verlauf zur Mobilität. Was wäre jedoch, würde eine neue Form der Zielvereinbarungen existieren? Eine Form, nach der dynamische Prozesse berücksichtigt werden könnten und die nicht lineare, dafür nichtlineare Grundzüge aufzeigt? Und die Fern- und Nebenwirkungen gedanklich berücksichtigt? Um eine neue Generation von Zielvereinbarungen zu ersinnen, müsste zunächst deutlicher erkannt werden, dass ein starres Vorgehen wie das von Klein Beschriebene gegen die in der Praxis, in den Systemen, in der Umwelt und generell in der Welt anzutreffende Vielschichtigkeit spricht: Dynamiken können nicht ausgeblendet werden; Kennzahlen sind nicht per se belastbar – vor allem dann nicht, wenn unklare Termini genutzt werden; die Aura und die Kraft des Inhalts darf Kennzahlen nicht zum Opfer fallen; Superlative sowie Differenzierung um der Differenzierung willen helfen nicht; Wissen über Unterschiede in den Zielarten muss bekannt sein – um nur Einiges zu nennen. Aus Sicht der in der Praxis mit Zielvereinbarungen Arbeitenden wird die Gestaltung eines flexibleren Zielvereinbarungsprozesses sicherlich als ein utopischer Wunsch gehandelt werden – doch bereits in Kapitel 1 wurde erwähnt, dass Utopien mit kleinen Experimenten beginnen. Das Nachsinnen über Zielvereinbarungen könnte als ein weiteres Experiment gewertet werden. Das folgende und abschließende Kapitel 8 zeigt durch allgemeine Äußerungen zur Strategietheorie und durch die Empfehlungen zur Entwicklung eines strategischen Plans Gedanken auf, die in eine Neuentwicklung von Zielvereinbarungen einfließen können.

8

Theoretisch-praktische Anwendung

Soll ein Musikinstrument erlernt werden, erfolgt nach der Wahl des eigentlichen Instrumentes der Kauf desselben. Neben diesem werden eventuell Schulen und Noten erworben, die es einem Anfänger ermöglichen, die ersten Versuche an dem Instrument zu unternehmen. Möglich ist, dass diese ersten Versuche mit Hilfe eines Lehrers erfolgen, der dem Übenden zur Seite steht und dessen Technik und dessen musikalischen Ausdruck – kurzum: seine Fähigkeit zu Musizieren – schult. Dem Übenden und dem Lehrenden ist bewusst, dass es erstens eine nicht kurze Zeit dauern wird, bis das Instrument beherrscht werden wird. Und zweitens ist beiden bewusst, dass das Üben beinhaltet, Fehler zu machen und den Zustand des Stillstandes und der Frustration auszuhalten, ehe er überwunden wird und der Übende das Gefühl hat, auf einem neuen musikalischen Niveau angekommen zu sein. Denn was ist das Üben anderes als das permanente Aufhalten an den Punkten, die nicht beherrscht werden? Würde der Übende ausnahmslos die Stücke spielen, von denen er selber denkt, sie müssten nicht verbessert werden, so wäre dies kein Üben.

8.1 AUFBAU DES KAPITELS Die praktisch-theoretische Anwendung, wie sie in diesem Kapitel 8 näher erläutert wird, fasst wichtige Aspekte der gesamten Diskussionen zusammen. In Kombination mit dem vorherigen Kapitel 7 zeichnet es ein umfangreiches Bild der Strategietheorie im kulturmanagerialen Kontext und bietet Hilfestellung für den praktischen Einsatz von Strategie. Das Unterkapitel 8.2 beginnt mit einer Verdeutlichung des Schulens einer Fähigkeit anhand der Parallele zum Erlernen eines Instruments. Es schließt mit acht Theoremen, die die Strategietheorie prägnant auf den Punkt bringen. Anhand der Ausführungen zur Beratungspraxis werden Zusammenhänge durch Rückgriffe auf andere Kapitel deutlich. Zweige-

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teilt wiederum ist das Unterkapitel 8.3: Es zeigt zunächst, wie das potenziell Seiende im Sinne eines in sich stimmigen strategischen Gesamtbildes erschlossen werden kann, ehe es sich der konkreten Entwicklung eines strategischen Plans zuwendet. Das abschließende Unterkapitel 8.4 beendet nicht nur dieses Kapitel 8 sondern die gesamten Ausführungen, indem über diese pointiert reflektiert und ein Ausblick für nachfolgende Forschungen gegeben wird.

8.2 EMPFEHLUNGEN MITTELS ACHT THEOREMEN Bei der Strategie scheint ein Vorgehen wie beim Erlernen eines Musikinstruments nicht erforderlich zu sein – ein Vorgehen, das eine Zeitinvestition für ein Besserwerden und ein bewusstes Scheitern beinhaltet. In der Domäne der Strategie fühlt sich anscheinend jeder zu Hause, der in einem Unternehmen, einer Organisation oder eben einer Kultureinrichtung die Geschicke derselben mitlenken darf. Erneut: Dies ist zu erkennen unter anderem in dem Gebrauch des Begriffs Strategie und den entstehenden begrifflichen Verquickungen. Ohne Frage werden auch Experten in Form von Beratungsleistungen ins Haus geholt, die bei der Entwicklung einer Strategie T und eines strategischen Plans unterstützen sollen. Nichtsdestoweniger treten hier erneut bereits erwähnte Schwierigkeiten auf: 1. Die zu beratende Einrichtung ist aus Sicht der Berater die

komplexe Umwelt, deren Komplexität sie zum eigenen Verständnis reduzieren müssen. 2. Insbesondere das Managementinstrumentarium der Berater ist nicht selten ein linear geprägtes und für nichtlineare Situationen nicht geeignet. 3. Die Berater müssen Erfolg versprechen, da ansonsten weitere Beratungsleistungen eventuell nicht in Anspruch genommen werden. 4. Durch die Prägung der Wirtschaft besitzen Berater ein kontextuales Strategieverständnis T, das für eine Übertragung auf den Kultursektor aufgrund der eigenen kontextualen Vorzeichen nicht ohne Weiteres geeignet ist.1

1

§ Kapitel 6 § Kapitel 6 § Kapitel 6 § Kapitel 5

Bendixen schreibt dazu: „Man war und ist weiterhin von den Kompetenzen derer überzeugt, die sich in der Wirtschaft selbst einen Namen gemacht haben und denen man zutraut, ähnliche Wirkungen auch in der Not leidenden Kultur erzielen zu können. Dass sich die Erwartungen nicht immer erfüllten, ist weniger ein Zeichen für

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5. Aus Sicht der zu beratenden Einrichtung – und hier seien ex-

plizit Kultureinrichtungen und deren Ressentiments gegenüber dem Außen und ihre teilweise selbst auferlegte Haltung des Abschirmens erwähnt – können selbst gute Ergebnisse, die aus den Punkten 1 bis 4 resultieren, in Abrede gestellt werden, wenn die Resultate nicht die gewünschten sind; entweder weil die Berater die Besonderheiten der eigenen Einrichtung nicht korrekt erfasst und wiedergegeben haben – wie unter Punkt 1 geschildert – oder weil individuelle Interessen und Ansichten wie in Abbildung 13 gezeigt andere Wege vorgeben.

§ Kapitel 7

Kulturverantwortliche, die öffentlich getragene Einrichtungen führen und die sich auf eine nicht geschulte Strategie verlassen, sind es allerdings, die gesellschaftlich wertvollen Einrichtungen vorstehen, die wiederum mit Steuergeldern finanziert werden. Daher ist es an der Zeit – im Rahmen einer vierten Phase des Kulturmanagements –, die Schulung der Strategie auf ein ähnliches Fundament zu stellen wie das Schulen anderer Fähigkeiten. Jedoch muss auf der einen Seite die an Kulturverantwortliche gerichtete Kritik abgeschwächt werden: Für die Schulung der Strategie gibt es wenig Möglichkeiten und Hilfestellungen – anders als beim Erlernen eines Instruments. Auf der anderen Seite wiederum verhärtet sich die Kritik erneut an dem Punkt, an dem Kulturverantwortliche – und natürlich andere, sich mit Strategie und strategischen Plänen Befassende – die Dynamik und die Unsicherheit ausblenden zugunsten von fingierter Statik und Sicherheit; der Punkt, an dem der Glaube besteht, mittels Patentrezepten Erfolg garantieren zu können; und an dem Publikationen veröffentlicht werden, die sich dem Inhalt Strategie T widmen, bei denen jedoch unklar ist – selbst wenn das eigene Verständnis von Strategie ein anderes ist als das hier vorgestellte – was unter einer Strategie zu verstehen ist. Erinnert sei hier an synonym verwendete Begriffe wie roter Faden, Programm, Konzept oder Strategiekonzept. Zwar ist Strategie als Fähigkeit in jedem Individuum angelegt, dennoch verschärft sich die Kritik über das Gesagte hinaus an einem weiteren Punkt: An dem Punkt, an dem außer Acht gelassen wird, dass individuelle Unterschiede in den Ausprägungen dieser Fähigkeit bestehen. Demnach ist es zu vereinfachend, wenn Strategie zur Chefsache erhoben wird – ein erneuter Beleg für das Glanzvolle und

mangelnde Managementkunst der Berater als ein Menetekel für eine zum Teil amateurhafte Fehleinschätzung der Übertragbarkeit von Praktiken der Geschäftswelt auf den Kulturbereich.“ Vgl. Bendixen (2006), S. 45.

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das Mehr, das der Strategie innezuwohnen scheint – und jener Chef dem Irrtum erliegt, qua Amt mit der Fähigkeit der Strategie ausgestattet zu sein und dass diese nicht geschult werden müsse. Um dem entgegenzuwirken, werden in einem ersten Schritt insgesamt acht Theoreme die allgemeingültige Strategietheorie pointieren. Doch verhält es sich mit diesen wie mit der Musik und den Noten: Allein der Erwerb des Notentextes ist nicht ausreichend. Er ersetzt nicht das Üben. Dies muss der Musik- beziehungsweise der Strategiebegeisterte übernehmen. Und dies erfordert Zeit; ebenso das Eingeständnis, Strategie noch nicht ausreichend zu besitzen und anwenden zu können und somit das Vertrauen, dass andere sie besser beherrschen und unterstützen können bei dem Prozess des Ausbaus der Fähigkeit. Das Problem: In der Praxis ist das Üben nicht ohne Weiteres möglich. Entscheidungen müssen gefällt werden. Politisch Verantwortliche und Interessengruppen hegen Erwartungen. Es ist – um das Bild des Instruments nochmals zu bemühen –, als müsse der Übende immerzu auf der Bühne eines ausverkauften Saals üben und dabei vielmehr konzertieren. Somit richtet sich final die Kritik nicht nur an die Leitung mancher Kultureinrichtungen, sondern ist vielmehr auch als ein Appell zu verstehen, Möglichkeiten zu schaffen, Strategie zu schulen und diese Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Die acht Theoreme: T1 T2 T3 T4

T5 T6 T7 T8

Strategie ist eine Fähigkeit des Denkens und Handelns in komplexen Situationen, der strategische Plan ihr Resultat. Strategie richtet offen ihren Blick auf das potenziell Seiende bei der Suche nach dem potenziell Möglichen zu einem gewissen Zeitpunkt. Strategie vergrößert durch ihren offenen Blick in das potenziell Seiende die Handlungsspielräume. Strategie lotet die durch den Zweck gegebenen Grenzen des potenziell Seienden aus, um die Stimmigkeit des strategischen Plans durch das außerhalb vom Zweck Liegende nicht zu gefährden. Strategie erfordert Mut und Entscheidungsfähigkeit für und gegen Potenzielles um das Mögliche in das realisierte Sein zu bringen. Strategie ist das Denken in permanent fließender Zeit und Entwicklung. Strategie als auch der strategische Plan berücksichtigen immer das Dynamische. Ein strategischer Plan besitzt Gültigkeit immer nur zu einem gewissen Zeitpunkt und entwickelt sich in Generationen.

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8.3 PRAKTISCHES VORGEHEN 8.3.1 Erschließung des potenziell Seienden des strategischen Gesamtbildes Eine komplexe Situation, bestehend aus einer oder mehreren Unbekannten eines Problems im Zusammenspiel von Start, Maßnahmen und Lösungen, erfordert Strategie mit dem Ziel der Entwicklung eines strategischen Plans (T1). Dazu ist es erforderlich, in das potenziell Seiende innerhalb des Zwecks zu blicken, auch in die entlegensten Winkel des potenziell Seienden (T2 bis T4). Doch wie gelangt man in die entlegensten Winkel, wie kann man in die Ferne schweifen, um eventuell auch zu erkennen, dass das Gute das in der Nähe Liegende ist? Anders als in manchen Kreativseminaren, in denen die Empfehlung ausgesprochen wird, offen zu denken und es versichert wird, es gäbe keine Vorgaben, sind es genau diese Vorgaben, diese Grenzen und Restriktionen, die im potenziell Seienden hinter das Naheliegende in die entlegensten Winkel blicken lassen. In seinen an der Harvard University in den Jahren 1939 und 1940 gehaltenen Vorlesungen betont der Komponist Igor Strawinsky genau jene Grenzen und Restriktionen, die er benötigt, gerade weil er kreativ tätig ist: „Meine Freiheit wird umso größer und umfassender sein, je enger ich mein Aktionsfeld abstecke und je mehr Hindernisse ich ringsum aufrichte. [...] Je mehr Zwang man sich auferlegt, um so mehr befreit man sich von den Ketten, die den Geist fesseln.“2 Offenes Denken ohne Restriktionen führt allerdings nicht selten zu dem Naheliegenden, das wiederum im Künstlerisch-Kulturellen mit seinen nicht immer leicht zugänglichen Inhalten und Programmen zu einem Mehr des Drumherums führt: 1. So sind auch die oft zu hörenden Empfehlungen für einen professionelleren

Einsatz digitaler und sozialer Medien kritisch zu beäugen, da diese zwar das Drumherum fördern, selten jedoch den eigentlichen Inhalt unterstützen: Unter der Überschrift Hauptsache, gelikt übt Kikol beispielsweise Kritik an vielen Social-Media-Maßnahmen deutscher Museen, bei denen „eine persönliche Beziehung zwischen Mensch und Kunst ohne Smartphone [..] fast schon unerwünscht scheint“3.

2

Strawinsky (1983), S. 213.

3

Kikol (2017). Weitere Beispiele folgen: Über das erste, von Laien per Twitter geschriebene Libretto berichtet Deutschlandfunk Kultur, dass die Aufmerksamkeit hoch, die Qualität eher gering war und dass hingegen „Opern, an denen drei Monate lang mit ungeheurem Aufwand geprobt und gearbeitet wird, oft nur zwei, drei Kritiken be-

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2. So ist auch der Marketingfokus kritisch zu beäugen, wie er von Musikern wie

Lang Lang, Netrebko, Cameron Carpenter oder David Garrett repräsentiert wird, da der Inhalt nicht selten hinter der Person und dem Image zurücktritt. Folgt man Mandel, ist dieser gesetzte Fokus nicht verwunderlich: „Auffällig ist [..] die Tendenz, sich auch in der klassischen Musik den Vermarktungsstrategien der Popmusik anzunähern.“4 3. So sind auch jene Formate kritisch zu beäugen, die der folgenden Formel entspringen: A meets B; oder mit den entsprechenden Buchstaben der Kunstsparte Musik: E meets U – und umgekehrt; oder ganz konkret: Classic meets Pop, Classic meets Hip Hop, Pop meets Classic oder Pop meets Jazz – und all ihren anderen Ausprägungen. Sie können interpretiert werden als die Verbindung von Zugänglichem und weniger Zugänglichem mit dem Ziel, Letzteres durch Ersteres erfahrbar werden zu lassen. In ihrer auch heute noch mitunter zeitgemäßen Kritik an der Massenkultur lässt sich für Adorno und Horkheimer dieser „Gegensatz am wenigsten versöhnen [..], indem man die leichte in die ernste [gemeint ist die Kunst, BJ] aufnimmt oder umgekehrt. Das aber versucht die Kulturindustrie.“5

kommen. Der kleine, schnelle Twitter-Spaß löste in der ganzen Welt Aufmerksamkeit aus“. Vgl. Deutschlandfunk Kultur (2009). Es scheinen sich die Relationen ins Gegenteil zu verkehren. Frank führt aus, dass „das Blogging [..] mobiler und damit noch schneller [wird], wie bereits Twitter gezeigt hat: Einen Theaterbesuch wird man nicht mehr am Abend danach, sondern noch während der Vorstellung oder in der Pause mit Bild, Ton und Video kommentieren [Hervorhebung BJ]“, vgl. Frank (2011), S. 580. Vor dem Hintergrund eines Kulturerlebnisses, bei dem es um ein In-Resonanz-Treten mit dem Inhalt geht, ist diese Äußerung ebenso fragwürdig wie unter Einbezug des Urheberrechts. Koch wiederum beschreibt ein Ideal des Alltags im Leben der Menschen, das sich auszeichnet durch „die Zugänglichmachung der eigenen Musikproduktion ‚überall und jederzeit‘ über eine Internet-Plattform“. Vgl. Koch (2014), S. 345. Dass die hier erwähnten Entwicklungen Resonanzräume schmälern können oder eine fehlende Unterscheidung zwischen dem Hören und dem Zuhören oder dem Sehen und Zusehen befördern, ist zu erwarten, sollten derartige, fast schon kanonisierte Maßnahmen in ihrem Einsatz nicht stärker reflektiert werden. 4

Mandel (2009b), S. 144. Wird beispielsweise an den Teufelsgeiger Paganini gedacht, scheint der Umstand nicht neu zu sein. Neu ist vielmehr die Überbetonung des Marketingfokus, der als weitere Verquickung der Vorzeichen zwischen den Sektoren 1 und 2 zu nennen ist.

5

Horkheimer und Adorno (2015), S. 28.

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Allerdings sind Versuche dieser Art grundsätzlich nicht schädlich, wie insgesamt dargestellt wurde. Schädlich können sie jedoch sein, wenn erstens ausschließlich derartige Lösungen angeboten werden würden und zweitens, wenn diese Lösungen widerspiegeln, dass das potenziell Seiende nicht ausreichend durchdacht wurde auf der Suche nach Lösungen, einen nicht leicht zugänglichen Inhalt vor einem breiteren Publikum zu öffnen. Somit lauten in diesem Fall die Hauptrestriktionen beim gedanklichen Betreten des potenziell Seienden: 1. Der Inhalt – ob ein leicht zugänglicher oder weniger leicht zugänglicher –

bleibt das Primäre. 2. Zugunsten des Inhalts, dessen Aura und dessen Kraft soll auf ein Drumherum

verzichtet werden, wenn dieses verhindert, Resonanzräume zu schaffen. 3. Als Motive für die Gestaltung von Programmen müssen daher andere Beweg-

gründe als die primäre Befriedigung von Erlebnis, Spaß und Unterhaltung ins Feld geführt werden. Aufgabe des Strategens ist es, das potenziell Seiende gedanklich zu öffnen; auch um die Entscheidung für das Naheliegende und für das Drumherum argumentativ zu verteidigen (T5) – gerade weil der Blick ein weitreichender war bis hin zu kontemplativen Alternativen. Die gewünschte Hauptfrage des Kulturmanagements würde in einem solchen Fall gestellt werden: Wie gelangt der eigentliche Inhalt mit seinem Besonderen zu den Menschen und wie wird dieses Besondere auch zum Besonderen für die Menschen? Gerade in der kulturmanagerialen Literatur, die sich mit dem Kulturpublikum befasst, sind ausreichende Hinweise zu finden. Hinweise, die mit einer entsprechenden Interpretation versehen als Restriktionen verstanden werden können und die das potenziell Seiende zu betreten ermöglichen. Hier seien stellvertretend zwei Beispiele genannt: 1. Mandel beschreibt die Angst mancher Menschen, Kunst sei anstrengend und

nicht zu verstehen.6 Hieraus formuliert sich die folgende Restriktion: Es muss vermittelt werden, dass Kunst nicht anstrengend sein muss und beim Verstehen derselben muss geholfen werden. Hier schließt sich der Kreis zum Kapitel 3 und zu der Hilfestellung, die Weisner beschrieben hat. Doch Vorsicht ist geboten: Die Verlockung, mit Erlebnis, Spaß und Unterhaltung gegen das vermutete Anstrengende zu agieren, ist groß. Allerdings greifen an dieser Stelle die drei Hauptrestriktionen, sodass Angebote wie Yoga im Museum oder Ko-

6

Vgl. Mandel (2013a), S. 21.

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chen im Museum zunächst nicht erdacht würden. Mehr noch: Das potenziell Seiende würde sich weiter öffnen, wenn die Frage mitbedacht werden würde, wie es vermittelt werden könnte, dass auch das Erklimmen eines Gipfels mit Anstrengungen verbunden sei – und die Belohnung mehrfach ausfallen würde, sei es durch den Ausblick, der sich bietet, sei es durch die persönliche Erfahrung eines Geschafft! oder sei es durch ein körperliches Wohlbefinden. Und selbst wenn ein Inhalt schwer verständlich ist – die Erfahrung, sich diesem gestellt zu haben, dessen Symbole interpretiert zu haben, mit diesem trotz seines sperrigeren Wesens in Resonanz getreten zu sein und – phänomenologisch gesprochen – das in ihm verborgene Phänomen entdeckt zu haben, kann einer Erfahrung entsprechen wie jener auf dem Gipfel. 2. Die Ausführung von Glogner-Pilz und Föhl, der Kulturinteressierte tue sich schwer, seinen Kulturbesuch zeitlich im Voraus planen zu wollen, birgt eine weitere Restriktion in sich:7 Das potenziell Seiende wird geöffnet, indem die Frage beleuchtet, ja, vielleicht sogar mit ihr gerungen wird, wie entweder die Planung für den Kulturinteressierten vereinfacht werden oder aber wie es ihm vermittelt werden kann, dass er sich nicht spontaner für oder gegen einen Besuch entscheiden könne, die Entscheidung für den Besuch mit entsprechendem zeitlichen Vorlauf allerdings lohnenswert sei. Die Empfehlung kann abschließend daher nur lauten, sich die vielfältigen und eloquenten Ergebnisse von Besucherbefragungen und ebenso die in der kulturmanagerialen Literatur anzutreffenden Themen zu Nutze zu machen, um für das Betreten des potenziell Seienden Restriktionen aufzutun. Diese richtig angewendet können dazu führen, mehr Vielfalt statt der angemahnten Einheit und Langeweile an den Tag zu legen. Sie können auch dazu führen, den Kulturbürger an der Diskussion um inhaltliche und künstlerische Fragen zu beteiligen, ohne dass dessen Partizipation lediglich auf die besprochenen Fragen nach dem Service, der Gastronomie oder auf dessen Zutun als Sprachrohr via der digitalen Medien hinausläuft. All dies ist Aufgabe des Kulturstrategens. 8.3.2 Konkrete Entwicklung des strategischen Plans Zur Erarbeitung eines strategischen Plans in seiner kompakten Darstellung muss in einem nächsten Schritt – nach dem Prozess des Verstehens der Problematik, nach dem Blick in das potenziell Seiende auf der Suche nach Lösungen und nach dem Entscheiden für Maßnahmen – unterschieden werden zwischen Zielen und

7

Vgl. Glogner-Pilz und Föhl (2011), S. 30.

Theoretisch-praktische Anwendung | 255

Maßnahmen. Jedoch ist dies nur ein Teil des Schlüssels zur Erstellung eines strategischen Plans. Denn: Faschingbauer zeigt, dass „jedes Ziel, wenn man es von einer höheren Ebene aus betrachtet, wieder zum Mittel [wird]“8, sodass das Unterscheiden zwischen Zielen und Maßnahmen aufgrund mangelnder Klarheit erschwert werden kann. Zwar ist in der Literatur die Unterscheidung zwischen Maßnahmen auf einer horizontalen Ebene vorzufinden – qualitative oder quantitative Maßnahmen, Maßnahmen des Marketing oder der Finanzierung –, nicht jedoch auf einer vertikalen Ebene. Jedoch ist es diese vertikale Ebene, die den Doppelcharakter von Maßnahmen beziehungsweise Zielen ausmacht: Aus Sicht einer untergeordneten Ebene ist die Maßnahme der darüberliegenden Ebene das Ziel. Aufgabe des Strategens ist es, diese Unterscheidungen vornehmen zu können, da die vertikale Ebene bei der Entwicklung eines strategischen Plans vonnöten ist – die Tabelle 11 stellt die Zusammenhänge beispielhaft dar: Ausgehend von einer komplexen Situation, die es zu meistern gilt, wird der Lösungs- beziehungsweise Zielkomplex beschrieben. Von dort aus werden die aus dem potenziell Seienden identifizierten Maßnahmen vertikal sortiert. Deduktiv argumentiert führt die Frage nach dem Wie immer tiefer die detaillierten operativen Ebenen hinab. Auch der andere Weg, die induktive Argumentation mit ihrer Frage nach dem Wozu ist denkbar und führt vom Detaillierten immer weiter hinauf zum Abstrakten. Lediglich die in den zwei Ebenen unterhalb des Ziel- und Lösungskomplexes liegenden Maßnahmen fließen in die Entwicklung des strategischen Plans ein. Die wiederum unter diesen liegenden werden dem operativen Maßnahmenkatalog zugeführt. Hintergrund ist, dass durch die Trennung der vertikalen Ebenen der Maßnahmen verhindert wird, dass deren Anzahl – und infolgedessen handeln die Verantwortlichen der Stadt Bern korrekt, wenn sie ihre Kulturstrategie T und ihren Maßnahmenkatalog getrennt betrachten und veröffentlichen – überschaubar bleibt und in erster Linie der inhaltliche Grundgedanke, der sich im strategischen Plan äußert, in selbigen einfließt. Die Maßnahmen der Ebene 1 und 2 können prägnant und kompakt auf wenigen der weiter oben genannten Schreibmaschinenseiten zum Ausdruck gebracht werden. Um zu vermeiden, dass ein strategischer Plan dieser Gestalt mit der Formulierung Strategischer Plan der kommenden X Jahre versehen wird, ist es bedeutsam zu artikulieren, dass es sich um den Strategischer Plan zum Zeitpunkt X handelt. Auf diese Weise wird dem dynamischen Kern Rechnung getragen. Durch Veränderungen, die unmittelbaren Einfluss auf den strategischen Plan besitzen mit der Folge, dass dieser Änderungen unterworfen ist, kann es zu einem anderen, eventuell sogar in naher Zukunft liegenden Zeitpunkt zu einer neuen Gestalt des stra-

8

Faschingbauer (2013), S. 49.

256 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

tegischen Plans kommen, der wiederum bezeichnet werden muss als Strategischer Plan zum Zeitpunkt Y. Dieser wäre infolgedessen die zweite Generation des strategischen Plans. Abschließend muss der Versuch unternommen werden, gedanklich die Folgen – oder in den Worten Dörners: die Neben- und Fernwirkungen einzelner Maßnahmen – vorwegzunehmen, sie in einen zeitlichen Bezug zu setzen und somit die durch die Komplexität entstehende Nichtlinearität zum Ausdruck zu bringen. Am Ende wird der strategische Plan derart verbalisiert der Vielschichtigkeit und der Vernetzung der Komplexität gerecht (T6 bis T8). Tabelle 11: Vereinfachte Darstellung unterschiedlicher Maßnahmenebenen Beispiel Problem

Besuchsrückgang

Lösungs-

Etablierung

komplex

neuer Konzertreihen

Maßnahme Ebene 1

Induktive

Frage

Frage

$Wie?

Folge

Zeit

"Was?

IWann?

$Wie?

#Wozu?

"Was?

IWann?

$Wie?

#Wozu?

"Was?

IWann?

$Wie?

#Wozu?

"Was?

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$Wie?

#Wozu?

"Was?

IWann?

$Wie?

#Wozu?

"Was?

IWann?

#Wozu?

"Was?

IWann?

Bestimmung der programmatischen Ausrichtung

Maßnahme

Etablierung eines musi-

Ebene 2

kalischen Beirats

Maßnahme Ebene 3

Kontaktaufnahme zu infrage kommenden Personen

Maßnahme Ebene 4

Recherche bezüglich infrage kommender Personen

Maßnahme Ebene X

Deduktive

Anmerkung: Der Realität komplexer Situationen eher entsprechend, existieren auf jeder Ebene diverse unter dem Lösungskomplex sich befindende Maßnahmen, die auf vielfältige Weise miteinander in Verbindung stehen. Aus Gründen der Einfachheit erfolgt die Darstellung hier mit nur je einer Maßnahme pro Ebene.

Theoretisch-praktische Anwendung | 257

8.4 ALLGEMEINE REFLEXION UND AUSBLICK Dieses Buch zeigte mit seiner Hauptthese, Strategie ist eine Fähigkeit, ein neues Verständnis von Strategie auf. Es zeigte ebenso, welche Elemente zu einer entsprechenden Theorie der Strategie gehören, die den Anspruch hat, allgemeingültig zu sein, das heißt nicht nur Unternehmen und Organisationen, sondern auch Individuen zur Verfügung zu stehen. Aufgrund der Schwerpunktsetzung auf den öffentlich getragenen Kultursektor wurde nicht nur dieser Sektor umfangreich beschrieben, nein, aus dessen Beschreibung wurden darüberhinaus Anforderungen an den Kulturmanager gestellt, der sich – entsprechend der Hauptthese – durch Schulung seiner Fähigkeit zu einem Kulturstrategen entwickeln kann. Das hier erörterte und vertretene Strategieverständnis bietet den Vorzug, die in der kulturmanagerialen Literatur anzutreffende Forderung nach Loslösung von der Betriebswirtschaft voranzutreiben, da – wie bereits mit Clausewitz zu Beginn gesagt wurde – „das erste Geschäft einer jeden Theorie [..] das Aufräumen der durcheinander geworfenen und [...] sehr in einander verworrenen Begriffe und Vorstellungen [sei]“9. Das Aufräumen erfolgte im Verlauf der gesamten Diskussion. Darüber hinaus wurde eine vierte Phase des Kulturmanagements gedanklich vorgestellt, die sich auszeichnet durch jene Loslösung einerseits, aber auch durch ein stärkeres Selbstverständnis andererseits, das – dem hier verfolgten Ansatz entsprechend – verstärkt vom künstlerisch-kulturellen Inhalt auszugehen hat. Diesen gilt es zu bewahren, diesen gilt es so aufzubereiten, dass Resonanzräume entstehen können; allerdings ohne – und auch dies ist ein weiterer Ansatz – immerzu das Drumherum zu fördern, da das Phänomen im Inhalt verborgen liegt. Ohne Frage mögen auch in Erlebnis, Spaß und Unterhaltung Phänomene verborgen liegen. Jedoch sind dies andere als die sich in dem künstlerischkulturellen Inhalt befindenden, sodass das Kulturmanagement sich stärker gewahr werden muss, dass dessen vordergründliche Aufgabe die Hinführung zum Phänomen des Inhalts, nicht zu dem des Erlebnisses ist. Das Richten des primären Blicks auf das Erlebnis bei gleichzeitigem Argumentieren, der Kulturbürger wünsche dieses, ist schlussendlich nicht ausreichend, da er nicht ausreichend für jene Nachhaltigkeit Sorge tragen kann, die für Kunst und Kultur entscheidend ist – und infolgedessen für das Kulturmanagement. Die Kritik, die hier anzutreffen ist, ist allerdings eine in viele Richtungen gelenkte Kritik, ohne den einen oder anderen Adressaten zu diskreditieren. Oder anders formuliert: Es werden Kunst und Kultur nicht über die Betriebswirtschaft gestellt; es werden Künstler nicht über Kulturmanager gestellt; es werden nicht

9

Clausewitz (2013), S. 55.

258 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Kulturmanager über den Kulturbürger oder Kulturpolitiker gestellt; vielmehr geht es darum, dass der Erhalt des kulturellen Erbes auf viele Schultern verteilt ist, jede mit ihren eigenen spezifischen Aufgaben und Verantwortungen betraut, die vom Umgang mit den anvertrauten Geldern (Kulturmanager) über eine achtsame Handhabung mit Kennzahlen (Kulturpolitiker) bis hin zum Interesse am eigentlichen Inhalt (Kulturbürger) reichen – um nur wenige Beispiele zu nennen. Entsprechend der vierten Phase des Kulturmanagements wird indes die – ebenfalls in der kulturmanagerialen Literatur anzutreffenden – Frage nach den Curricula in entsprechenden Studiengängen aufgegriffen: Wird in diesen ein sehr starker Fokus auf die Betriebswirtschaftslehre gelegt – und in nicht geringem Umfang auf das Kulturmarketing –, sollten diese im Sinne des erwähnten Gegengewichts Ergänzung erfahren um Disziplinen, die einerseits stärker das Künstlerisch-Kulturelle zum Inhalt haben wie beispielsweise die Kunstphilosophie oder die Musikästhetik und andererseits Disziplinen wie beispielsweise die Philosophie einbeziehen. Denn: Wenn Heidegger schreibt, „man meint, was Kunst sei, lasse sich durch eine vergleichende Betrachtung der vorhandenen Kunstwerke an diesen abnehmen“10, so sieht man sich sehr schnell an die Familienähnlichkeit bei Wittgenstein erinnert. In den Philosophischen Untersuchungen fragt er, was unterschiedlichen Spielen wie Brettspielen, Kartenspielen, Ballspielen oder Kampfspielen gemeinsam ist: „Sag nicht: ‚Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ‚Spiele‘ ‘ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist [Hervorhebungen im Original, BJ].“11 Dieses Schauen und dieses Suchen nach dem Wesen dessen, was Kunst ist – und im gewissen Sinne auch Kultur – gilt es einerseits durch entsprechende Curricula an die zukünftigen Kulturmanager und andererseits schlussendlich an die Kulturbürger zu vermitteln. Ein Thema für weitere Forschungen könnte sein, die sprachphilosophische Herleitung der Hauptthese mittels der Instrumente der Psychologie empirisch zu untersuchen: Es könnte so ermittelt werden, wie unterschiedlich ausgeprägt die Strategie bei entsprechenden Probanden ist. Die so identifizierten Unterschiede können als Beleg ins Feld geführt werden, dass das Vorgehen, Strategie qua Amt zur Chefsache zu erheben, mit einem nicht geringen Risiko verbunden ist. Für entsprechende Untersuchungen können sicherlich Dörners Studien Tanaland und Lohhausen inspirierend wirken, die in Kapitel 6 erwähnt wurden.

10 Heidegger (2012), S. 2. 11 Wittgenstein (2016a), S. 277.

Theoretisch-praktische Anwendung | 259

Diese Überlegungen und Folgerungen mögen den Anschein von Utopien erwecken. Doch auch dies wurde bereits zu Beginn betont: Sie mögen utopische Züge aufweisen. Allerdings sind es genau diese Züge, die die in der kulturmanagerialen Literatur anzutreffenden Konjunktivformulierungen wie beispielsweise Man sollte, Man könnte oder Man müsste durch die Tatsache, dass sie trotz des Utopischen durchaus Konkretes aufzeigen, eben konkret werden lassen – wie bereits das erwähnte Aufräumen der Begriffe verdeutlichte. Es ist wünschenswert, dass sich die Zukunftsfähigkeit des Kultursektors durch die hier aufgezeigten Gedanken nicht derart düster darstellt, wie einige Autoren sie beschreiben. Für die Gestaltung der kulturellen Zukunft müssen sich viele Akteure viele Fragen stellen und Antworten finden – allein in diesem Satz schwingen diverse Elemente der Strategietheorie mit, sei es der Mut des Strategierens, sei es das strategische Gesamtbild, das einer Einrichtung ein deutlicheres Profil zu geben vermag oder sei es das potenziell Seiende, das in seiner Gesamtheit auch die Gesamtheit der Fragen ist. Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen von Strategie erfolgte indes: Sie ist eine allgemeine Fähigkeit. Mit ihr ausgestattet und sie weiter ausbauend kann das Kulturmanagement des öffentlich getragenen Kultursektors dafür sorgen, dass es sich selbst mittels ihrer emanzipiert und mit einem hohen Realitätsbezug die Beantwortung der Fragen nach der Zukunft für sich und die Gesellschaft auf ein neues Niveau hebt.

Anhang

INTERVIEW GERD UECKER Wir sitzen gemeinsam in einem Zug. In wenigen Minuten müssen Sie diesen verlassen und aussteigen – können Sie mir die Strategie der Semperoper zu Zeiten Ihrer Intendanz in den verbleibenden Minuten unserer Zugfahrt erläutern? GU: Man muss unterscheiden, auf was sich die Strategie bezog. Bezog sich auf eine Strategie der Programmplanung? Oder bezog sie sich auf eine Strategie des Auskommens mit dem Ministerium, also mit dem Träger? Oder auf eine sonstige, um ein Ziel zu erreichen? Das waren natürlich drei verschiedene Strategien. In der Programmgestaltung habe ich ein sehr klares Konzept gehabt. Es ging von der Prämisse aus, ein großes Haus benötige eine Garantie, dass es bis zu einem gewissen Teil durchschnittlich gefüllt ist. Das heißt, ich muss – auch laut meines Vertrages – die Breite des Musiktheaters im Spielplan abbilden. Dafür habe ich mir fünf Parameter überlegt. Der erste Parameter lautete Italienische Oper. In der Vergangenheit kam diese an der Semperoper zu kurz. Es gab viel Nachholbedarf. Der Bezug zu Dresden war der zweite Parameter: Welche Opern hatten in Dresden ihre Uraufführung und sind am Rande ins Repertoire gegangen? Eine Uraufführung pro Jahr sowie eine selten gespielte Oper aus dem Repertoire waren die Parameter drei und vier. Der fünfte Parameter bezog sich auf etwas Heiteres, sei es eine Operette oder eine unterhaltende Spieloper – jedenfalls etwas durchaus Unterhaltsames. Das waren die fünf Säulen. Von ihnen wusste ich, sie werden unterschiedlich besucht. Und letztlich ist alles aufgegangen. Eine Strategie in Personalfragen konnte ich und brauchte ich nicht zu entwickeln. Es gab Vorschriften, die ich umsetzen musste. Eher schon war es notwendig, den psychologischen Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Mitarbeiter

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konstruktiv und positiv zu begegnen; da musste man schon strategischdifferenziert vorgehen. Eine andere Strategie war der Vertrieb. Das war auch noch ein Relikt aus der DDR–Zeit. Überhaupt erfolgte der Wandel an der Semperoper verspätet, erst 20 Jahre nach der Wende. Mein Vorgänger hat es gehalten wie es war und hat nichts geändert. Mir fiel die Aufgabe zu, alles zu durchforsten. Der Vertrieb zeichnete sich damals aus durch die Mentalität der Mangelverwaltung – man ist froh, wenn man überhaupt eine Karte bekommt; ein internationales Publikum war gar nicht erwünscht; man bediente Dresden und Umgebung; man war froh, wenn ein paar Fans dennoch aus den Ecken der Welt kamen, die Devisen brachten. Eine einheitliche Linie war jedoch nicht existent. So haben wir ein Konzept entwickelt, wie man den Tourismus weg vom ehemals Billigtourismus hin zu Individualreisen, Städtereisen und Kulturreisen, sogar Opernreisen spezifizieren und spezialisieren kann. Ziel war, so den internationalen Anspruch aufzubauen mit Blick auf Nordamerika, Japan sowie die europäischen Länder, die eine gewisse Opernaffinität und eine touristische Präsenz besitzen wie Italien, Schweiz, Österreich oder Spanien. Diese Strategie wird mit verschiedenen Instrumenten bis heute erfolgreich fortgesetzt. Daher würde ich hier wieder den Begriff Strategie verwenden. Das war die Strategie der Semperoper. In München hatte ich nicht diese Freiheit als Operndirektor, denn es gab ja noch den Intendanten. Hinsichtlich der Programmgestaltung habe ich aus der zweiten Reihe beratend gewirkt. Zwar habe ich sehr viel durchsetzen können – oder besser noch: bewirken können, weil man mir freie Hand ließ –, aber es war nicht in dem Sinne eine Strategie. Insofern würde ich den Begriff für meine Münchner Tätigkeit nicht anwenden. Wie haben Sie in Ihrer Dresdner Zeit die Strategien erarbeitet? Welche Rolle spielten Analyse und Kreativität? GU: Für mich war klar, wenn die Semperoper ein internationales Institut sein soll, muss sie auch international wahrgenommen werden und internationales Publikum anziehen. Das ist bisher noch keine besondere gedankliche Leistung. Daher stellt sich die Frage, wer potenziell überhaupt infrage kommen könnte. Es sind sehr genaue Recherchen gemacht worden beispielsweise über die Tourismusfrequenzen oder die Kulturaffinität der Touristen. Es gab Zeiten, in denen hauptsächlich Touristen aus Russland kamen. Es stellte sich heraus, dass sie in Prager Hotels übernachteten, in der Früh mit dem Bus nach Dresden zum Shoppen kamen und um 20.00 Uhr wieder nach Prag zurückfuhren – die wenigsten gingen in die Oper. Wir merkten, von denen kommt nichts, um sie müssen wir

Anhang | 263

uns nicht groß bemühen. Zu dieser Zeit entwickelte sich sehr stark der asiatische Markt, aber eben auch die genannten europäischen Länder blieben im Fokus. Als Grundlegung der Entscheidungen war die analytische Arbeit auf jeden Fall gerade in dem Sektor notwendig. Anders hingegen die Programmgestaltung: Hier schaute ich, wie das Repertoire bisher zusammengesetzt war und welche persönlichen Neigungen ich selbst besitze. Dies war eine eher kreative Arbeit. Analytisch musste man nicht tätig werden. Aber ich würde sagen, dass dies doch eine Strategie war. Immerhin ging die Entwicklung des Spielplanes über fünf Jahre. Dementsprechend war eine Bestandsaufnahme natürlich auch notwendig unter den Fragen: Was war?, Was war noch nie? und Wie werden die Stücke sich auf die Auslastung und die Einnahmen auswirken? Bei der Spielplangestaltung wurde natürlich auch auf die Ressourcen geschaut. Beispielsweise kann einem Chor nicht zugemutet werden, fünf Choropern in drei Fremdsprachen innerhalb eines Jahres einzustudieren. Das geht nicht. Parameter dieser Art muss man einfach beachten, jedoch würde ich nicht von Strategieumsetzung sprechen als vielmehr von einer Analyse der Möglichkeiten mit Blick auf die Ziele. Die Theorie nochmals auf den Punkt gebracht als die wichtige Unterscheidung zwischen Komplexität und Kompliziertheit, zwischen Strategie und Plan. Und Strategie eben verstanden als Problemlösen, bestehend aus Klarheit in Start, Zielen und Mitteln in komplexen Situationen zur Zukunftsgestaltung. Würden Sie die Theorie in Ihrer Praxis anwenden? GU: Als erstes würde ich einen philosophischen Einwand bringen. Unsicherheit bezieht sich auf Unsicherheit in der Zukunft. Inwieweit können wir überhaupt mit unseren rationalen Möglichkeiten Zukünftiges in den Bereich des sicheren Eintretens bringen? Wenn ich Sie richtig verstehe, ist dies nicht eine Frage nach einem Tritt dies ein? oder Tritt das ein? Denn in dem Moment, in dem etwas in der Zukunft liegt, kann ich mir unendlich viele Möglichkeiten als Alternativen ausdenken. Das Operieren mit dem Begriff der Unsicherheit, der sich in die Zukunft erstreckt, erscheint mir von vornherein problematisch, wenn man davon ausgeht, das alles, was in der Zukunft liegt, uns letztlich keine Sicherheit bietet, nicht einmal graduell. Ich kann nur von Erfahrungswerten und Wahrscheinlichkeiten ausgehen. Aber über die Ungewissheit beziehungsweise die Unsicherheit komme ich nie hinweg.

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[Vorstellung der Verschiebung des strategischen Rahmens zur Verdeutlichung des Attributs Unsicherheit]1 GU: Das ist sehr einleuchtend. Kern des Modells ist die Unsicherheit – können Sie das nachvollziehen und wie gehen Sie mit Unsicherheiten und Dynamiken um? GU: Es handelt sich hierbei um eine Mischung aus Erfahrung und Recherche. Niemand konnte damals die Ölkrise vorhersehen. Sie ist einfach hereingebrochen. Die Umwelt hat sich verändert. Damit wurde manches zunichte, was man vorher angestrebt hat, weil es gar nicht mehr umsetzbar sein konnte. Dies ist die eine Kategorie, jene, in der Einflüsse von außen existieren, die aber nicht vorhersehbar sind. Neben dieser Kategorie steht natürlich ein Vertrauen in Erfahrungswerte. Als einfaches Beispiel: Wenn ich die Oper A spiele, weiß ich, dass ich mehr Publikum erreiche als spielte ich Oper B – Erfahrungswerte, die meine Unsicherheit minimierten. Aber natürlich weiß ich auch, wenn ich Die lustige Witwe schlecht inszeniere oder sogar einen Flop lande, nützt mir meine ganze Strategie nichts. Mit der Dynamik im Umfeld in dieser historischen Zeit bin ich reaktiv umgegangen. Ich persönlich kenne keinen Kulturbetrieb, der sich vorausblickend schon verändern will, ohne zu wissen, wie die Reaktion auf dieses neue Ziel oder Angebot ist. Vielleicht denke ich falsch. Ich bin so veranlagt, dass ich sage, Unsicherheit kann ich ohnehin nie ausklammern. Ich kann nur Prozesse nach ihrer Wahrscheinlichkeit in die Zukunft hinein verlängern und daraus meine Schlüsse ziehen. Das ist aber so viel wie Gottvertrauen. Innere Prozesse beispielsweise in einem Betrieb kann man leichter vorhersehen als die äußeren. Man kennt bestimmte Trägheitsmomente, die eine schnelle Änderung von heute auf morgen nicht zulassen. So gesehen würde ich mir auf diesem Trampelpfad eine gewisse Zukunftswahrscheinlichkeit zurechtlegen. Ich würde aber nie den Begriff des Unsicheren oder des Zukünftigen aus meinen Überlegungen herauslassen. Umgekehrt kann man aber auch dialektisch sagen: Da ich die Zukunft nicht weiß, versuche ich sie zu gestalten durch meine Ideen, um so die Zukunft schon in gewisse Bahnen zu lenken, damit ich entsprechende Dinge erreiche. Das halte ich aber für eine gewisse Hybris. Ich bin ziemlich streng im Denken, was Zukunft angeht; weil es für mich eigentlich bedeutet, dass sich unser existenzielles Leben nur im Jetzt ereignet. Und auch nicht in der Vergangenheit. Ich

1

Vgl. hierzu Abbildung 10.

Anhang | 265

kann nicht in der Vergangenheit etwas ändern. Aber ich kann auch für die Zukunft nichts ändern. Und ich bin in dem Spalt des Jetzt der Gegenwart existenziell ontologisch so gefangen, dass mir jede menschliche Möglichkeit, in die Zukunft hinein zu „wirken“ (zu wollen), vom Kern her unangemessen erscheint man kann nur planen und projektieren und wünschen und hoffen, aber nicht „wirken“. Nichtsdestoweniger waren Sie als Intendant gezwungen, den Blick in die Zukunft zu richten. GU: Das ist das existenzielle Problem des Menschen. Er kann nicht ohne diese Sorge, diese Vorsorge, wie Martin Heidegger sagt, auskommen. Das liegt in der Natur des Zukünftigen. Wenn der Mensch sich der Natur des Zukünftigen als ein Nichts bewusst wird, entwickelt er zunächst einmal Angst und später Sorge, wie er in dem, was er nicht vorhersehen kann, in Zukunft leben will. Vielleicht sagen Sie, dies ist alles sehr philosophisch. Aber bei dem Grad der Abstraktion, wie Sie ihn mit Ihrer Theorie vor mir ausbreiten, kann ich mich nicht von dieser philosophischen Sicht befreien. Das Dialektische auf der einen Seite ist das Erkennen der Zukunft, auf der anderen Seite deren Negation. Und hier lande ich wieder bei dem Begriff des Nichts, da Zukunft eigentlich – wenn ich sie nicht theologisch oder religiös interpretiere – erst einmal für mich ein Nichts ist. Es ist gar nichts da. Und Sicherheit und Unsicherheit sind für mich zwei Begriffe, die mit dem Futurzustand für mich direkt zusammenhängen. Wenn ich die Unsicherheit betrachte, kann sie sich nur auf Zukünftiges beziehen. Zwar kann ich sagen, dass ich mir sicher bin, eine Person trug gestern einen roten Pulli. Doch das ist nicht die Sicherheit beziehungsweise Unsicherheit, über die wir sprechen. Und in dieser Dialektik habe ich rein materialistisch gedacht. Ansonsten käme ich an einen Abgrund, was das Planen insgesamt heiß. Das heißt, ich habe mich operativ reduziert auf eine ganz materialistische und mit rationalen Mitteln zugängliche Prognose, habe Abwägungen zwischen Wahrscheinlichkeit und Nichtwahrscheinlichkeit mit einbezogen, habe mich immun gestellt gegen Außenwirkungen, die unvorhersehbar sind und habe auf der rein materialistischen Schiene Entscheidungen getroffen, Ziele formuliert und den Spielplan gestaltet. Daraus ergab sich natürlich eine fruchtbare Spannung zur philosophischen Seite der Begriffe Zukunft und „Sicherheit“. Es ist auch spannend, dass es Spielplan heißt und nicht Spielstrategie.

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GU: In der Tat. Es ist dabei genau der Punkt der Unsicherheit weg. Wenn ich einen Spielplan mache, so baue ich ihn so, dass operativ gesehen keine Unsicherheiten mehr existieren. Ich beugte mich dieser Reduktion, weil anders ein Betrieb nicht zu führen wäre. Bei Managern vermisse ich oft, dass sie nicht zu einer Zusammenschau beider Sphären fähig sind, sondern überwiegend die Komplexität reduzierende, auf Plänen beruhende Formulierung von Wegen als Erreichung von Zielen betrachten. Ist das Jonglieren mit der Dialektik eine weitere Kompetenz, die das ganzheitliche Bild des neuen strategischen Denkens – eben des Strategierens –, nicht nur bei Managern abrunden sollte? GU: Ja, das wäre sinnvoll. Ist der Begriff Unsicherheit, wie ich ihn verwende, für Sie negativ konnotiert? GU: Ja. Und er trifft nicht den Kern. Zunächst einmal sollte die Frage untersucht werden, was für den Menschen grundsätzlich sicher sein kann. Was gäbe es, dessen er sicher sein könnte? Das einzige, dessen er sicher sein kann, ist, dass er ist. Ich würde die Frage so stellen. Der Begriff Unsicherheit scheint etwas zu verharmlosen. Er weist nicht auf etwas Fundamentales hin. Wie stufen Sie nach dem bisher Gesagten über Unsicherheit und gerade mit Blick auf die von Ihnen beschriebene Dialektik die derzeitige Praxis der Zielvereinbarungen ein? GU: Eine gute Frage. Zielvereinbarungen würde ich genauso sehen, nämlich als eine operative, rein materialistische Konsensfindung zwischen einem Träger und einem Institut, um in einer gesellschaftspolitischen Entwicklung das für mich meiner Meinung nach Zuträglichste für die Gesellschaft zu erreichen. Dabei erwarte ich dasselbe von der anderen Seite, vom Ministerium zum Beispiel. Dass es dabei Probleme gibt, was das Wichtige oder weniger Wichtige ist, das ist Tagespolitik. Das wäre jedoch für mich der Sinn einer Zielvereinbarung. Dabei versuche ich, ganz materialistisch, handwerklich, operativ die Zielvereinbarungen umzusetzen und eben die Ziele, die man vereinbart hat, zu erreichen. Bewusst bin ich mir, dass ich ein Manko besitze, mich in einer Bringschuld befinde, wenn ich die Vorgaben nicht erreiche. Ich komme dabei auf Niklas Luhmann: es ist alles systemisch bedingt und systemintern. Das Interessante bei Luhmann ist, er wird eigentlich im radikalen Sinne nie philosophisch. Was ich

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jedoch als Resultat seines (für mich doch) philosophischen Denkens erkenne – was er aber an keinem Punkt so artikuliert hat –, ist, dass er durch die Systemtheorie genau die ontologische Seite des Philosophischen aus der Betrachtung des Gesamtgesellschaftlichen außen vorlässt. Weil Luhmann erkannt hat, dass alles zusammenfiele, nähme er diese Seiten in seiner Systemtheorie auf. Luhmann hat mich sehr beeinflusst. Wenn ich das Ganze intrinsisch, systemisch betrachte, kann ich operativ betrachtet gut mit den eigenen Instrumenten, mit Planungen und mit Zielvereinbarungen etwas erreichen. Ich darf nur systemisch denken, darf aber nicht eine philosophische Grundfrage in das System mit hineindenken. Ich kann das philosophische Denken andocken, doch dann muss ich in der Spannung leben. Aber ich darf nicht dieses Denken praktisch einsetzen. Es wäre wie eine tödliche Krebszelle. Schritt für Schritt würde sie alles Taktische und Strategische auffressen. Gibt es Ihrer Meinung nach Änderungsbedarf in den Zielvereinbarungen, um auch nicht materialistische Elemente abbilden zu können? Wuchert nicht sogar die Krebszelle, von der Sie sprachen, in den Zielvereinbarungen? Und zwar dann, wenn aus einem operativen Papier ein strategisches Papier wird? GU: In dem Moment, in dem Parteipolitik eine Rolle spielt – und das tut sie ganz stark –, kann man von Objektivität ohnehin nicht mehr reden. Wenn Sie beispielsweise nach Schleswig-Holstein schauen, korrigiert die neue Landesregierung den Kurs der abgewählten Landesregierung. Nach dem Flächenschaden, den die SPD in diesem Bundesland mit ihrer Bildungspolitik (z.B. Inklusion, G8) eingeleitet hat, kommt nun die CDU und dämmt diesen ein. Diese Entscheidungen sind ideologisch und politisch gefallen. Zielvereinbarungen können für sich daher nie einen objektiven Grund aufweisen. Das heißt, in dem Moment, in dem Politik mitwirkt, sind Zielvereinbarungen lediglich temporär. Wenn das Politische in dem System integriert ist – was es ja immer ist –, habe ich solche changierenden Entwicklungen als normal zu betrachten. Quantitative Aussagen spielen – eben auch in den Zielvereinbarungen – keine geringe Rolle. „Das Schleswig-Holstein Musik Festival steuert auf einen neuen Besucherrekord zu. Zur Halbzeit von Deutschlands größtem Klassikfestival seien bereits 160.000 der 190.000 verfügbaren Plätze belegt, sagte eine Sprecherin am Freitag. Das entspreche einer Auslastung von 84 Prozent.“ Wann ist Erfolg ein Erfolg?

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GU: Zur Beantwortung dieser Fragen gibt es zwei Standpunkte. Meinen subjektiven Standpunkt, der jedoch nicht immer mit den objektivierbaren Außenerfolgen übereinstimmt. Zum Beispiel habe ich ein schlechtes Stück, sehe aber, dass es bei dem Publikum sehr gute Resonanz findet und ich es weitere zwanzigmal spielen lassen könnte. In diesem Moment freue ich mich natürlich über das Geklingel in der Kasse und setzte das Stück deswegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht ab. Ich selber bin eventuell verbittert, wenn ich bemerke, dass Qualität keine Rolle zu spielen scheint. Verschiedene Kulturschaffende fordern allerdings, dass die Diskussion über die Qualität von Kunst wieder vermehrt geführt werden muss – auch unter Einbindung des Kulturbürgers. Wie aber werden Qualitätsfragen beantwortet und auch in Zielvereinbarungen abgebildet? GU: Da bin ich ganz radikal in der Antwort. Es ist leeres Getöne, reine Rhetorik, so etwas zu verlangen, solange man nicht die Bildungspolitik hier im Land auf eine Breite stellt, sondern sie immer weiter nur zusammenschmelzen lässt. Die Teilhabe des Bürgers an Kultur scheitert schon einmal an dem allgemeinen Boden der ästhetischen und der allgemeinen Bildung überhaupt. Das ist das erste, woran es scheitert. Das zweite ist, dass die, die so reden und dies politisch fordern und ebenso vertreten, schon zu der Generation gehören, die gar nicht mehr wirklich in ihrem Elternhaus vermittelt bekommen oder erfahren haben, was sie fordern. Das heißt, sie reden über Dinge, an denen es ihnen selbst mangelt. Der dritte Punkt ist, dass sich gerade in einer solchen Gemengelage des prozessualen Veränderns vor allem der Kunstbegriff ändert. Die Politiker haben in diesem Punkt keine Ahnung, dass sich der Kunstbegriff von 1920 zu 1950 zu 1980 zu 2000 und bis heute in einem permanenten Wandel befindet. Ich halte die Forderung für den größten Quatsch, weil die Teilhabe gar nicht möglich ist, solange die Politik nicht die Grundlagen der Bildung dafür schafft. Wünschen Sie sich demnach mehr Bildung? Oder wünschen Sie sich, dass es ein Ende der Debatte um die Teilhabe gibt? GU: Die Debatte darf sein, wenn man aus dieser den Schluss zieht, dass etwas an unserem Bildungssystem geändert werden muss. Wenn Sie sich den heutigen Wandel in der Museumslandschaft anschauen, bemerken Sie, wie problematisch es in dieser zugeht. Es geht nicht mehr um die Kunstwerke, die in einem Kunstmuseum ausgestellt sind, sondern es geht um Entertainment. Es geht um die Frage Wie kann ich selber malen?, Wie kann ich die Mona Lisa nachmalen?

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oder Wie kann ich mit interaktiven Geräten an der Ausstellung teilnehmen? Es geht überhaupt nicht mehr um den Kern. Und wenn dies so ist, so sage ich mir, ist die Funktion des Museums – eben auch in Bezug auf die Exponate – eine andere. Und es schließt die Frage an, was die Museen tatsächlich sammeln. Ist es der rein historische Bestand, der in den Museen angehäuft wird? Für mich befinden wir uns an dieser Stelle in einer sehr großen Krise, ausgelöst vor allen Dingen durch eine politische Ignoranz, besonders durch die SPD, die Grünen und Die Linke. Diese Parteien gehen von einer harmonischen und einer kulturell entwickelten Gesellschaft aus, ohne jedoch den Begriff Kunst einmal für sich zu definieren. Wenn sie diesen nun leninistisch oder marxistisch definieren – auch das wäre gut. Hauptsache ist, dass sie es wenigstens tun. Aber so ist die Forderung nach Qualität und Teilhabe des Bürgers lediglich eine leere Worthülse, eine politisch-ideologische Rhetorik, der überhaupt nichts an Hintergrund anhaftet. Auf eine solche wie die von Ihnen gestellte Frage kann ich nur so strikt antworten. [Vorstellung der Zitate zur Dialektik der Kultur]2 Könnte es sein, dass das Verständnis von Strategie und dem neuen Denken, wie ich es dargestellt habe, dabei hilft, mit dem dialektischen Problem der Kultur umzugehen? GU: Dies ist eine sehr komplizierte Frage. Ich muss das abstufen. Die Aussagen, wie sie hier gegenübergestellt werden, halte ich nicht für hilfreich. Man kann dies zwar so tun, aber ich halte das nicht für hilfreich. Denn: Kunstbetriebe setzen eine ökonomische Basis voraus, die überhaupt die Institutionalisierung erst ermöglicht. Demnach ist es ein dummer Ausspruch, Ökonomie solle für Kunst keine Rolle spielen – im radikalen Sinne gesprochen. Nur die Konzerte, in denen 20 Zuhörer – sogar Elitezuhörer – sind, seien gute Konzerte; nur das Orchester ist das tollste, das nur unbekannte und unpopuläre Werke spiele – all das halte ich für Unsinn. Zumal Kultur eben nicht nur aus elitärer Kunst besteht, sondern unter dieser ein großer und breiter Sockel zugänglicher Werke existiert. Und unter diesem Sockel gibt es darüber hinaus eine weitere breite Schicht anderer Kulturen wie die der Popkultur, Offszene oder der Undergroundszene – all das ist auch Kultur. Den Kulturbegriff muss man pyramidal denken. Und die Spitze der Pyramide ist eben eine sehr spezifische Spitze, unter der es eben weitere Kulturarten gibt. Ihre Darstellung bezieht sich nur auf diese genannte Spitze. Das ist

2

Zu den Themen Nachfrageorientierung, Eventisierung, Besuchszahlen und Sponsoring wurden je zwei gegenläufige Meinungen aus der Fachliteratur zitiert.

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verfehlt, man muss alles im Blick haben. Man muss ebenso Popkultur fördern wie auch Kulturinstitutionen, die nicht nur nach ökonomischen Gesichtspunkten arbeiten. Ein Opernhaus ist nicht zu gründen, wenn man damit Geld verdienen will. Das ist ein Widerspruch. Aber Opernaufführungen sind nur zu inszenieren, wenn eine entsprechende Basis vorhanden ist. Nochmals: Ich halte es für verfehlt, die Positionen gegeneinander auszuspielen. Denn im Umkehrschluss könnte man auch sagen, es sollen eher Kindergärten gebaut werden. Ein Kindergarten entspräche zwei Konzerten oder einem Altersheim. Ich gehe davon aus, dass Kultur eine Gesamtheit ist. Sie geht durch die gesamte Gesellschaft hindurch. Bei einem Festakt vor einigen Jahren habe ich Herrn MP Milbrandt in Chemnitz gesagt, dass man in der Politik sehr häufig von Kulturpolitik spreche. Jedoch gäbe es keine Kulturpolitik. Denn selbst Politik sei ein Ausfluss von Kultur. Insofern halte ich diese Diskussion vom Kern her für verfehlt. Ich muss gerade das fördern, was sonst nicht existieren würde – oben an der pyramidalen Spitze. Ein Popkonzert muss nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, da es sich ohnehin trägt. Ich muss nichts finanzieren, was sich von selbst trägt. Aber das, was es sonst nicht gäbe, muss aus öffentlicher Hand unterstützt werden. Armin Klein würde sicherlich entgegnen, öffentlich-getragene Institutionen sollen Zuwendung gekürzt werden, um wirtschaftlichen Druck zu erhöhen und somit die Institution innovationsfähiger werden zu lassen. GU: Diese Argumentation ist falsch, dazu braucht man nur die bundesdeutsche Geschichte anzuschauen. Ab circa 1960 ist kein Theater oder kein Orchester besser geworden, wenn man ihnen die Mittel gekürzt hat. Das ist das schlagende Argument. Anders verhält es sich in totalitären Staaten oder Gesellschaften. Natürlich wurde in der DDR an der Semperoper ein Drittel Personal mehr beschäftigt als notwendig. Aber die Gründe dafür waren eben ganz andere. In unserer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft ist der Bezug zwischen Kultur und Ökonomie eigentlich ein ganz einfacher. Man kann es auch so formulieren: Reine Ökonomie ist nicht ausreichend. Aber ohne Ökonomie ist es auch nicht ausreichend. Es gilt, die Zusammenhänge zu sehen. Somit muss sich die Gegenüberstellung auch dialektisch kritisieren. Immer, auch auf der ideellen Seite, setzt diese Gegenüberstellung das Materielle, das Ökonomische voraus. Ein Beispiel: Es ist nicht möglich zu sagen, man sei Atheist. Durch das Negieren eines Gottes bin ich dialektisch an das Phänomen Gott gebunden. „Einer der bedeutendsten Maler. Das weltbeste Orchester. Studieren an einer der renommiertesten Hochschulen. Einer der besten Konzertsäle der Welt. Die er-

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folgreichste Ausstellung des Jahres. Oder wie in der kulturmanagerialen Literatur: Der exzellente Kulturbetrieb. Die perfekte Ausstellung.“ Immer wieder ist die Rede von Exzellenz und Superlativen – sind diese Ihrer Meinung nach nicht vielmehr hinderlich? GU: Derartige Äußerungen sind nur für das Marketing notwendig, für den Hype, für den Bekanntheitsgrad. Rankings gab es schon immer. Man muss immer wieder Superlative erfinden, um den Leuten vorzugaukeln, sie müssen das dahinter Stehende gesehen haben. Eigentlich ist es eine versteckte Teilhabe, die Sehnsucht des Menschen am Absoluten. Sehe ich als Zuschauer das Maximum, bin ich für den Moment auch Teil dieses Maximums. Für mich ist das alles dummes Geschwätz, jedoch kann man es auch nicht ausrotten. Es gibt es nicht – das Perfekte, das Schönste. Vor allem im Kulturbetrieb diskreditieren Aussagen dieser Art alles andere. Denn das lediglich nur einen Meter tiefer Liegende ist bereits nicht mehr gut. Es ist nur noch Anna Netrebko gut. Für alles Restliche wird der Bewertungsrahmen diskreditiert. Sage ich jedoch beispielsweise, die für mich persönlich schönste Ausstellung Deutschlands im Mai war die Ausstellung X, so ist das eine berechtigte Aussage. Oft entsteht der Eindruck, Kultureinrichtungen würden auf Trends aufspringen, sodass das Überall-Gleiche, wie mancherorts identifiziert, bestätigt wird. Dabei heißt Strategie auch zu entscheiden, was nicht getan wird – haben Sie das Gefühl, Kultureinrichtungen fokussieren zu wenig und tanzen auf zu vielen Hochzeiten? GU: Bei Museen, Theatern und Orchestern ist es überwiegend die regionale Profilierung. In der Region, in der sie sich geographisch befinden, gilt es diese flächendeckend zu bespielen. Ob das in einer anderen Region ebenso gemacht wird, spielt für die Bürger dieser Region keine Rolle. Wenn La Bohème in Hamburg oder in München gespielt wird, handelt es sich nicht um eine Verdoppelung, denn kein Hamburger fährt wegen der Münchner Aufführung extra dorthin. Der regionale Gedanke der Kulturversorgung ist für mich der wichtigste. Kultur ist ebenso nicht aufzuteilen in beliebige Facetten. So kann man beispielsweise nicht sagen, in Norddeutschland solle man überwiegend italienische Opern spielen, während im Süden eher Opern von Richard Wagner gespielt werden sollten. Ehrlich gesagt hielt ich das für Schwachsinn. Ein Skandal hingegen ist es für mich, dass in München die drei Sinfonieorchester – die Münchner Philharmoniker, das Münchner Rundfunkorchester und das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks – immer den gleichen Brei spielen. Drei Riesenorchester

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in einer Stadt. Und ebenso war es bis vor fünf Jahren in Berlin mit Blick auf die drei Opernhäuser. Der Schließtag zweier Opern fiel auf denselben Tag. Und die Zauberflöte wurde von der Komischen Oper und der Deutschen Oper ebenfalls am selben Tag gespielt. Das sind technische Fehler. Wenn das mit der Aussage des Überall-Gleichen und des Zu-Vielen meint, dann ist das sicherlich richtig. Die wenigsten Menschen aber sind so aufgestellt wie Feuilleton-Journalisten, die durch die Bundesrepublik reisen und kulturelle Programme von Hamburg bis München besuchen können / müssen. [Vorstellung der Zitate zu Differenzierung und Innovation]3 Strategie, so die Wirtschaft, ist mehrheitlich Differenzierung – welche Möglichkeiten der Differenzierung gibt es im kulturellen Sektor? Eng verwoben mit der Differenzierung ist die Innovation. Wo kann Ihrer Meinung nach „tatsächliche“ Innovation im Kulturbetrieb erfolgen? GU: Wenn es einem gelingt, eine Marke zu gründen, die im Vergleich zu anderen unverwechselbar ist, handelt es sich bereits um eine Form der Differenzierung. Für den Kulturbetrieb ist die Frage nach Innovation und damit automatisch die Frage nach Differenzierung ein ganz wesentliches Element. Wir haben im 20. Jahrhundert einen gesellschaftlichen und kulturellen Trend entwickelt, der hinführt zum Nachschöpferischen als auf das Innovative und Eigenschöpferische. Für die Malerei mag diese Aussage nicht in dem Umfang gelten wie für die Musik und das Musiktheater. Vor 1900 war jede Musik, die aufgeführt wurde, zeitgenössische Musik. Nach 1950 gab es nur noch Neuauflagen von bereits bestehenden Werken, jedenfalls zu 90 oder sogar mehr Prozent. Natürlich gab es auch einen kleinen Teil der neuen Kompositionen, aber dieser fristete, wie wir wissen, ein Schattendasein, über Jahrzehnte hinweg. Diese Tatsache unterscheidet unsere Zeit kulturell sehr gravierend von den Jahrhunderten davor. Kulturanthropologisch müsste die Frage anschließen, wieso diese Entwicklung so vollzogen wurde. Meiner Meinung nach fehlt es an einem Nährboden für den kulturell innovativen Sektor. Es wurde bis zu Beginn der Postmoderne in den achtziger Jahren geprägt von dem dynamischen Motor des Selbstanspruchs der Moderne, der nur auf Innovation beruht. Es muss immer Neues entstehen. Wenn es nicht mehr neu ist, ist es auch nicht modern. Dieses Denken durchzieht viele Bereiche der Gesellschaft. Unser Leben in einer postmodernen Gesellschaft hat zur Folge, dass die Innovationskräfte erlahmen. Unter diesen Gesamtaspekten muss

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Je drei Zitate zum Thema Differenzierung beziehungsweise Innovation wurden vorgestellt, jeweils aus dem Kontext der Wirtschaft beziehungsweise dem der Kultur.

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man die Frage auch nach der Innovation in Kulturinstitutionen stellen. Diese können nicht aus einem Gesamtzusammenhang herausspringen und behaupten, sie seien innovativ. Innovativ heißt ja nicht, etwas zu machen, was keine Verbindung zum Bisherigen besitzt. Sondern innovativ zu sein bedeutet, aus Vorhandenem eine Entwicklung abzuleiten, die Neues hervorbringt. Das ist das Problem der Multi-Kulti-Ästhetik. Sie ist zwar reizvoll, aber letztlich begegnet sich das tiefe kulturelle Verständnis des einen und des anderen nur an der Oberfläche. Dass Kunst innovativ sein muss, ist unbenommen. Doch geht es in der Literatur zum Kulturmanagement um Innovation, geht es um Innovation im Managementprozess. Als ein Beispiel von Innovation wird das Ausdrucken der Eintrittskarten am heimischen Rechner genannt. Jedoch noch einmal an Sie deutlicher die Frage: Müssen sich Kultureinrichtungen nach außen als dauerhaft innovativ und neu präsentieren? GU: Sich als Kulturinstitutionen gegen technische Errungenschaften zu stellen halte ich für nicht sinnvoll. Aber ich würde so etwas nicht unbedingt als Innovation bezeichnen. Wenn es beispielsweise bei den Alten Meistern Kindergartenführungen gibt – unabhängig von der Frage, welchen Erfolg diese haben – ist dies nichts Neues. Anbieten sollen Kultureinrichtungen dies durchaus, aber nochmals: als innovativ würde ich dies nicht bezeichnen. „Wir fühlen uns geehrt, dass so viele Menschen sich in diesem Jahr entschieden haben, mit uns ihre Zeit zu verbringen“, sagte der Direktor des New Yorker Metropolitan Museum. Liege ich richtig bei der These, die Zeit ist das für die Kultur wichtigste Gut, noch vor der reinen Aufmerksamkeit und dem Monetären? GU: Da ist schon was dran, würde ich sagen. Denn die Zeitwahrnehmung und die Zeitbedeutung für den Menschen hat sich in den letzten 50 Jahren deutlich verändert und verschoben. Der Begriff Freizeit ist zunehmend mit Leere verbunden, wenn man krampfhaft Animateure oder Programme sucht, die einem von außen sagen, was in der Freizeit anzustellen ist. Ich kenne kaum Personen, die ihre Freizeit mit sich selbst verbringen können. Nein, sie brauchen Animateure, Programme, Veranstaltungen. Das halte ich für ein kulturelles Defizit unserer Gesellschaft. Und sehr enttäuscht bin ich von dem Wandel eines anthropologischen Gesellschaftsbildes, weil ich glaube, dass nicht alle Werte, die über einen Zeitraum von 3.000 Jahren entwickelt wurden, relativiert werden können. Das in weiten Schichten der Gesellschaft zu beobachtende Abhandenkommen

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ureigener, auf die eigene Person und auf das Ich-Sein bezogene Kompetenzen, halte ich für einen Kulturverlust – eben dass man selbst etwas mit sich anfangen kann und man sich nicht ausgesetzt fühlt, wenn um einen herum nicht irgendeine Form der Ablenkung und der Anregung und der Beeinflussung vorhanden ist. Und daher finde ich die von Ihnen zitierte Aussage sehr sensibel und sehr gut. Welches Resümee ziehen Sie aus der Diskussion in Hinblick auf die Theorie der Strategie? GU: Ich weiß nicht, ob meine Antwort für Sie befriedigend ausfällt. Aber ich glaube, wenn ich mich als leitende Figur im Kulturbetrieb bewege, ich mein Amt entsprechend ernst nehme und auch etwas hervorbringen möchte, dann muss man die abstrakten Überlegungen von Ihnen sehr wohl, aber differenziert von Fall zu Fall auf das Führen von Kulturinstituten anwenden. Ich sehe das als ein intrinsisch-systemisches Wirken. Es folgt zweckgesetzten Zielen, und es wäre für mich ein Problem, über diese Abschließung, die ich als Manager durchaus bejahen muss, tiefer zu reflektieren. Ich sollte aber zumindest die Fähigkeit besitzen, das eigene, systemisch-begrenzte, strukturierte, operative, durchdachte Handeln auch von einem Standpunkt aus zu betrachten, der außerhalb dieses Handelns liegt. Es geht also um die Frage nach dem Sinn, wenn ich als Intendant morgens in das Opernhaus gehe. Was hat diese Tätigkeit eigentlich mit mir zu tun? Diese ganz existenziellen Fragen, zu denen uns die Religion und die Künste hinführen, darf ich nicht hineinlassen in mein Tun. Ich binde mir die Krawatte um und funktioniere. Das Funktionieren ist dann zwar nicht alles, aber kann an sich schon etwas Gutes sein. Aber ist es nicht fast schon bedauerlich, tiefere Gedanken und tieferes Wissen außen vor zu lassen, damit das System weiterhin funktioniert? GU: Wissen Sie, ich habe mich damit abgefunden. Für mich ist es eine Realität geworden, dass ich den Begriff des Gesellschaftlichen leider auch in dieser partiellen Begrenzung auffassen muss. Aber das darf mich nicht daran hindern, über diese Dinge auch existenziell zu reflektieren, dieses System auch von einem Punkt meines eigenen Daseins zu sehen, an dem es ganz bestimmte Fragen gibt, die ich damit nicht beantworten kann. Für mich wäre beispielsweise Ihr Schritt, in ein Kloster zu gehen, mit einer gewissen Sehnsucht verbunden. Aber durchaus kann ich mir selbst bestätigen, ein gesellschaftliches Gut durch mein Funktionieren in diesem System hervorgebracht zu haben. Ich habe sinnvolle Dinge für die Gesellschaft getan, herbeigeführt und möglich gemacht. Ich persönlich – und das

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sehen andere sicherlich anders – brauche aber auch immer diese Reflexion von außen. Wenn ich diese Reflexionen habe, relativiert sich der „Betrieb“ auf eine gesunde Weise, gleichwohl ich diesen dann zwölf Stunden am Tag mit viel Energie, mit viel Wollen und mit wichtigen Entscheidungen durchziehe. Das ist kein Widerspruch. Das ist die dialektische Haltung, von der wir schon sprachen. Ich habe den Eindruck, dass mir mit dieser Haltung bei aller Hektik das Denken und Handeln in diesem System gelassener gelingt. Nochmal gefragt: Wäre es nicht sinnvoll, existenzielle Gedanken als weiteren Teil der strategischen Kompetenzen zu benennen, gerade um einen weiteren Mehrwert für die Gesellschaft, gerade mit Blick auf die Bildung der Bürger, zu erzielen? GU: Bildung heute: bei allen wirklichen Verdiensten der Popkultur hat sie doch auch zu einer ganz allgemeinen Verflachung von Bildung geführt. Sie hat die Sprache beeinflusst; sie hat das soziale Verhalten beeinflusst; sie hat die Erziehung beeinflusst; sie hat die Einbindung junger Menschen in größere Zusammenhänge beeinflusst – und dies nicht nur positiv –, und sie hat irgendwo die fatale Konsequenz gehabt, dass gesagt wird, etwas sei gut, wenn es nur vielen Menschen gefällt. Und was ihnen nicht gefällt sei schlecht: der berühmte Daumen bei Facebook. Ich bin ein Verfechter und Befürworter der populären Musik und Kunst, aber dies ist der Preis, den wir zahlen. Und darin sehe ich ein Manko.

INTERVIEW ANDREAS HOFFMANN Wir sitzen gemeinsam in einem Zug. In wenigen Minuten müssen Sie diesen verlassen und aussteigen – können Sie mir die Strategie der Bucerius Kunst Forum in den verbleibenden Minuten unserer Zugfahrt erläutern? AH: Das Spannende am Bucerius Kunst Forum ist, dass wir uns im Moment in einer Phase der räumlichen Veränderung befinden. Deswegen ist die Frage, wie das Bucerius Kunst Forum in den kommenden Jahren aussehen wird, eine Frage, die uns ständig beschäftigt. Wir werden umziehen in Räumlichkeiten, die uns die Möglichkeit geben, auf 1.000 Quadratmetern mehr an Fläche im Wesentlichen zwei Säulen unserer Programmarbeit zu realisieren. Auf der einen Seite sind es die Ausstellungen, auf der anderen Seite das große interdisziplinäre Veranstaltungsprogramm. Wir haben diesen räumlichen Umzug auch zum Anlass genommen, uns seit dem letzten Jahr über die Strategie des Hauses viele Gedanken

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zu machen. Strategiemeetings im ganzen Team fanden in einem betreuten Prozess statt, und in einer Analysephase haben wir uns zunächst gefragt, wofür das Bucerius Kunst Forum heute steht. Aber auch, wohin es sich bewegen soll. Parallel zu einem Umzug in ein neues Gebäude haben sich auch einige Positionen personell verändert. Seit einem Jahr hat das Haus einen neuen Direktor und eine neue Kuratorin. Diese beiden Personen prägen die Konzeption des Ausstellungsprogramms neben der Geschäftsführung und dem Vorstand der Stiftung im Wesentlichen. Die Analyse war also der erste Schritt. Der zweite Schritt war die Formulierung eines Mission Statements für das neue Haus. Das war sehr wichtig, weil es sich unterscheiden wird von dem, was unser Mission Statement bisher ausgemacht hat. Nur wenige Punkte möchte ich benennen: In einer Architektur, die sehr viel urbaner, sehr viel moderner sein wird und die von GMP gebaut wird; mit einem Ausstellungsprogramm, das die zeitgenössische Kunst sehr viel stärker einbezieht als wir es bisher getan haben; mit einem Interesse an der Beantwortung grundsätzlicher gesellschaftlicher Fragen wie Was ist Kunst? oder Welche Bedeutung hat Kunst für unsere Gesellschaft heute? oder Was sind die zentralen Fragen der Gesellschaft?; auf all das müssen wir in Zukunft in einem derartigen Ausstellungs- und Veranstaltungsforum stärker reagieren. Daher definierten wir den Begriff Inhalt und ebenso den Begriff Forum neu. Für uns war dies ein ganzheitlicher Prozess der strategischen Neuausrichtung des Hauses, der sich uns in einer solchen Situation als Chance angeboten hat. Eben weil sich alle Rahmenbedingungen ändern. Wir bezogen weitere Fragen in diesen Prozess mit ein, wie beispielsweise die Frage Wie sieht ein künftiger, idealer Museumsshop für ein solches Haus aus? Wir verstehen den Shop als eine räumlich angesagte Architektenbuchhandlung, die aber inhaltlich eine sehr anspruchsvolle Kunstbuchhandlung sein soll, die auf ein breites Spektrum an Themen Antworten geben soll. Wir haben auch die Chance, eine neue Gastronomie zu etablieren, einen neuen Pächter zu finden. Der Neubau eines Bucerius Kunst Forum bietet daher die Chance, geradezu idealtypisch einen Strategieprozess zu vollziehen, wie man es sonst in einem bestehenden Gebäude, einem bestehenden Betrieb, mit schon festgelegten Akteuren oft nicht tun kann. Alles wird neu, von einem neuen Corporate Design bis hin zu einer neuen inhaltlichen Ausrichtung. Steht für Sie dabei das Neue für Strategie? Ist Strategie immer etwas Neues? AH: Nein. Überhaupt nicht. Aber für uns in dieser konkreten Situation ist die Chance und die Herausforderung, als Bucerius Kunst Forum neue Räumlichkei-

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ten zu bespielen, viel mehr als einfach nur ein Umzug in größere Räume. In unserem Fall ist der Umzug sogar verbunden mit der Chance, am Ende sogar jeden Arbeitsbereich des Bucerius Kunst Forum neu zu hinterfragen: Was zeichnet uns jetzt in unserer Arbeit aus? Wo sind unsere Alleinstellungsmerkmale? Wo haben wir Defizite? Wo haben wir aber auch Chancen, die wir nutzen können, um uns im Rahmen des Umzugs strategisch neu auszurichten? Natürlich können die Anlässe für strategisches Denken im Kulturbetrieb unterschiedlich sein. Man tut gut daran tut, in einem Kulturbetrieb immer sehr strategisch zu arbeiten. Viele öffentliche Häuser müssen das wahrscheinlich tun, weil von vornherein die finanziellen Ressourcen sehr begrenzt sind. Wenn ich einen Blumenstrauß von zehn schönen Ideen habe, muss ich mich, weil ich vermutlich finanziell nur zwei realisieren kann, immer fragen, wie sich ein Projekt, eine noch so kleine Veranstaltung in einen finanziellen begrenzten Raum einfügt. Strategie beginnt letzten Endes bei jedem kleinen Projekt und umfasst alle Bereiche der Arbeit. Für einen strategischen Umgang mit Themen ist auch immer wichtig, Zeit zu haben. Viele Kultureinrichtungen besitzen das Problem, im operativen Kleinklein, in der Realisierung von schon bestehenden Projekten, gebunden zu sein. Und da ist der Freiraum für Kreativität, die sicherlich eine wichtige Voraussetzung für strategisches Arbeiten ist, kaum gegeben. Im Zuge Ihres strategischen Prozesses haben Sie sich im Team getroffen und den Status quo analysiert. Wie wurde die Analyse durchgeführt? AH: Im Bucerius Kunst Forum spielen seit einigen Jahren Besucherbefragungen eine zentrale Rolle. Wir haben zwei ganzjährige Monitorings durchgeführt. 2013 zum ersten, 2016 zum zweiten Mal und zwar ganz bewusst mit Blick auf die räumlichen Veränderungen 2018. Bei diesem zweiten Monitoring führten wir Besucherbefragungen zu allen Ausstellungen durch, aber auch zum ersten Mal systematisch zu unseren Veranstaltungsprogrammen. Die Befragungen haben wir an mehreren Terminen im gesamten Team ausgewertet und das Veranstaltungsprogramm für die nächsten Jahre, auch für die Ausstellungen im neuen Haus, angepasst. Das war deshalb so wichtig, weil es dazu keine vergleichbaren Daten gibt. Nun ist die Struktur dieses Hauses auch eine besondere. Es gibt kaum Museen und Ausstellungshäuser, die ein so breit gefächertes, ein so anspruchsvolles Veranstaltungsprogramm anbieten. Das liegt daran, dass die Zeit-Stiftung eigene Veranstaltungsreihen hier im Hause realisiert und das Forum als Schaufenster der Stiftungsarbeit nutzt, die sich nicht nur auf die Kunst beschränkt. Daher war es mir sehr wichtig, einen auf sehr konkreten Daten basierenden Analyseprozess

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durchzuführen. Wenn man Veränderungen will, tut man gut daran, gut zu evaluieren. Das geht natürlich nur mit entsprechenden Befragungen, die auch entsprechend Geld kosten. Aber es lohnt sich. 90 Prozent der Strategien bleiben scheinbar in der Schublade oder landen im Papierkorb. Grund dafür ist die mangelnde Kommunikation der Inhalte. Nun höre ich bei Ihnen heraus, dass es keinen Mangel an Kommunikation gab. Glauben Sie, dass Ihre Strategie nicht zu den 90 Prozent gehören wird? AH: Natürlich hofft das jeder Verantwortliche in einem Kulturbetrieb. Es ist immer schwer, aus der Perspektive der Leitung eines solchen Hauses zu beurteilen, wo man wirklich steht. Das Bucerius Kunst Forum gehört zu den Häusern, das aufgrund der Überschaubarkeit des Betriebes als ein kleines Ausstellungshaus, wie ein Lotsenboot auf der Elbe zwischen den großen Tankern wendig manövrieren kann. Wir haben 11,5 Mitarbeiter im Team ohne die vielen freien Mitarbeiter. An und für sich haben wir eine sehr schlanke und überschaubare Struktur, die Kommunikation befördert. Ganz bewusst haben wir in dem Strategieprozess nicht nur unser festes Kernteam integriert, sondern eben auch die Pächterin des Museumsshops. Dass unsere Zusammenarbeit sich mit ihr weiter fortführen wird, war von vornherein klar. Auch ich denke, dass Kommunikation 90 Prozent des Erfolges ausmacht und sehr zentral ist und hoffe, dass bei uns die vielen Anstöße zur Veränderung nicht im Papierkorb landen werden. Unser kleines Team und unsere Struktur haben einen Nachteil nicht, den häufig große Museen haben: dort ist es häufig so, dass es verschiedene wissenschaftliche Abteilungen gibt: die Sammlung Alter Meister, das Kupferstichkabinett oder die Sammlung Klassische Moderne. Und alle streiten sich um die großen Sonderausstellungsräume des Museums im kommenden Jahr. Es gibt viel Streit über die Wertigkeit der einzelnen Abteilungen im Gesamtgefüge. Das ist hier im Bucerius Kunst Forum ganz anders. Wir haben ein Team, das vier Ausstellungen im Jahr immer mit denselben Personen realisiert. Hinzu kommen natürlich Gastkuratoren mit einer Spezialexpertise für ein Ausstellungsthema. Aber im Grunde genommen gibt es dadurch wenig teamimmanente Konkurrenz. Das heißt, wir haben ein engagiertes, junges Team und das hilft, viele Ideen, die es gibt, auch umzusetzen. Wenn man in klassischen Bildern der Personalführung denkt und sich anschaut, welche Rollen im Team es gibt, besitzen wir eine ausgewogene Mischung. Diese Mischung trägt gut zum Funktionieren bei. Des Weiteren kommt hinzu, dass das Ausstellungshaus ein relativ junges ist. Gerade in diesen Tagen wird es 15 Jahre alt.

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Würden Sie als Unternehmensberater uns von außen kritisch unter die Lupe nehmen, würden Sie trotz dieser Stärken natürlich auch Dinge finden, die auf der Strecke bleiben. Der Workload ist immens hoch. Vier Ausstellungen im Jahr zu realisieren – jetzt auch in einer Phase mit einer neuen Kuratorin, einem neuen Direktor – ist sicherlich auch problematisch: Der Vorlauf von drei, vier oder fünf Jahren, den man normalerweise hat, ist aufgrund dessen für die ersten Projekte viel kürzer. Nichtsdestoweniger haben wir in der Zeit der alten Direktorin und mir versucht, für viele Projekte Dinge zu fixieren, beispielsweise das Engagieren von Gastkuratoren. Es braucht entsprechende Zeit, bis der Vorlauf von drei bis fünf Jahren sich wieder gefestigt hat und alles wieder ganz ruhig seinen Gang geht. An diesem Punkt sind wir aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen natürlich aktuell nicht. Die Theorie nochmals auf den Punkt gebracht als die wichtige Unterscheidung zwischen Komplexität und Kompliziertheit, zwischen Strategie und Plan. Und Strategie eben verstanden als Problemlösen, bestehend aus Klarheit in Start, Zielen und Mitteln in komplexen Situationen zur Zukunftsgestaltung. Würden Sie die Theorie in Ihrer Praxis anwenden? AH: Elemente wie Gesamtsystem, Zweck, Mittel, Ziele oder Fokussierung haben Sie in meiner Beschreibung des Strategieprozesses des Bucerius Kunst Forum bereits gefunden. Sie haben auch viele Begriffe, die sich rund um das Strategieren finden, nämlich die Frage nach Ideen, nach Entscheidungen oder die Kreativität als wichtiges Element ebenso gefunden. Manche Ihrer Elemente habe ich bisher noch nicht beschrieben, möchte das jetzt aber stärker tun. Sehr interessant in Ihrer Darstellung finde ich das Thema Mut. Jede Entscheidung, wie bei Perikles als großen Strategen des fünften Jahrhunderts vor Christus zu finden, erfordert auch Mut. Dieser Gedanke ist in der Literatur zum Thema Strategie, wie ich sie kenne, unterrepräsentiert. Es täte dem Thema allerdings gut, diesen Gedanken stärker hervorzuheben. Mit Mut verbunden ist am Ende auch das Strategieren: Entscheidungen zu treffen, Ideen zu realisieren, Kreativität einzusetzen und Mut zu haben bedeutet am Ende auch, das Risiko zu besitzen, die falsche Entscheidung zu treffen und zu scheitern. Eben weil Mut und Entscheidungen korrespondieren. Ein Feld, das ich ebenfalls sehr interessant finde, ist das Thema Geduld. Es greift im Grunde genommen unsere Phase von Herbst 2016 bis Herbst 2018 wieder auf, in der wir zu Beginn versucht haben, unseren Strategieprozess zu fokussieren. Diese Phase haben wir als eine Phase des Experimentierens für uns definiert. Das bedeutet, dass derjenige, der strategiert, der Entscheidungen trifft,

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der neue Ideen umsetzt, sich zugestehen muss, Geduld zu besitzen, um die Wirkungen und das Reifen der Dinge zu beobachten. Das alles erfordert auch Durchhaltevermögen. Der Begriff Geduld gefällt mir beim Strategieren sehr gut, weil auch er ein Begriff ist, der unterrepräsentiert ist. Wenn man sich mit dem Thema Strategie auseinandersetzt, sollte man davor warnen, dass strategische Weichenstellungen immer unmittelbar auch Wirkungen zeigen müssen. Das ist ein Bereich, in dem ich zugegebenermaßen recht schlecht bin. Gerade gestern Abend gab es eine Veranstaltung bei uns im Haus zur aktuellen Ausstellung, die sich mit dem Thema Kunstmarkt beschäftigt. Die Ausstellung wurde als historische Analogie zum heutigen Kunstmarkt gedacht, sodass wir eine Podiumsdiskussion mit unserem neuen Direktor Franz Wilhelm Kaiser, Wolfgang Ullrich, Dirk Boll und Stefan Koldehoff durchführen konnten. Die Veranstaltung war schlecht gebucht. Wir haben versucht, dem entgegenzuwirken, und am Ende waren rund 100 Besucher anwesend, von denen 50 Besucher eine Freikarte besaßen. Für einen ungeduldigen Geschäftsführer wie mich spiegelt diese Situation eine Phase extremer Unzufriedenheit und Unsicherheit wider. Aber am Ende war die Veranstaltung ein großer Erfolg. Wir haben die Evaluation der Veranstaltung heute Morgen systematisch nachbesprochen, und ich habe für mich mitgenommen, dass man einem solchen Format die Zeit zum Wachsen und zum Reifen geben muss. Denn diese Veranstaltung steht im Grunde genommen auch sinnbildlich für das, was das neue Haus ausmachen wird. Nochmals: Geduld ist ein zentrales Thema, das mir in dem strategischen Zusammenhang sehr gut gefällt. Die folgende Frage passt an diesem Punkt sehr gut, auch wenn wir das Thema Strategie kurz verlassen. Sie sprachen eingangs davon, dass sich das Bucerius Kunst Forum zukünftig noch stärker der Frage Was ist Kunst? widmen wird. Mit den Vertretern Wolfgang Ullrich und Dirk Boll in Ihrer gestrigen Podiumsdiskussion haben Sie zwei Redner eingeladen, die unterschiedlich über die Qualität von Kunst debattiert haben und somit auch unterschiedlich die Frage nach dem Wesen der Kunst beantworten. Welche Positionen wurden gestern vertreten? AH: Zunächst einmal möchte ich erläutern, was uns an der Frage Was ist Kunst? interessiert. Sie beschäftigt uns auf ganz verschiedenen Ebenen. In der aktuellen Ausstellung beleuchten wir die Frage mit Blick auf den Markt und das Funktionieren eines Marktes, auch eines Kunstmarktes. Für die Qualitätsfrage ist das 17. Jahrhundert ein sehr spannendes, weil sich in dieser Zeit die künstlerische Qualität und somit der Preis noch in handwerklichem Können zeigte. Die Künstler zu jener Zeit waren sehr stark eingebunden in ein Gildenwesen. Maler, also die

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Künstler und Anstreicher waren in derselben Gilde. Damals galten ganz banale Kriterien. Kriterien wie der Zeitaufwand oder der materielle Aufwand – beispielsweise die Frage nach der Größe der Leinwand – hatten unmittelbare Auswirkungen auf die Bewertung des Werkes. Rembrandt beschrieb in einem Brief, dass er sich von den rein objektiven Kriterien, die über seine Kunst und letztlich auch den Preis bestimmten, lösen möchte. Natürlich war gestern Abend auch Thema, dass solche Kriterien nach wie vor eine Rolle spielen. Dirk Boll beispielsweise sagte, ein großes Bild von Gerhard Richter sei teurer als ein kleines von Gerhard Richter. Oder ein singuläres Werk – da sind wir auf der Ebene der Kreativität – ist teurer, als wäre das Werk Bestandteil einer Edition. Wir leben in einer Zeit, in der vieles perversiert wird. Und in der vieles umgekehrt wird, wenn beispielsweise Künstler wie Yves Klein dasselbe sehr oft machen und den Preis mittels Marketinginstrumente modifizieren. Es ist natürlich sehr spannend zu sehen, dass sich auf dem Kunstmarkt gerade sehr viel verändert. Wenn wir uns mit der Frage Was ist Kunst? beschäftigen, so tun wir das auch mit Blick auf Gattung wie die Fotografie. Und in der Rückschau auf eineinhalb Jahrhunderte dieser Gattung kann man sehr schön sehen, wie sich die Fotografie als Kunstgattung etabliert hat. Und mithilfe welcher Mechanismen so etwas geschieht. Diese Fragen beschäftigen uns sehr stark und erweitern unseren Horizont. Denn eigentlich sind wir von einem sehr traditionellen Themenspektrum geprägt, nämlich von der Kunst der Antike bis zur Klassischen Moderne. Natürlich hat diese Prägung auch damit zu tun, wie man sich hier in Hamburg auf einem Markt positioniert, der in Bezug auf die Fotografie und die zeitgenössische Kunst durch die Deichtorhallen sehr viel stärker besetzt ist als im Bereich der Alten Meister. Wir haben ganz bewusst Antikenausstellungen in unser Programm integriert, weil wir wussten, dass diese Kunst sonst in Hamburg kaum angeboten wird. Das Museum für Kunst und Gewerbe, das sonst für diese Ausstellung stand, macht in diesem Bereich sehr viel weniger. Das heißt, wir suchen auch nach Nischen. Viele Indikatoren sind meist rein quantitativer Natur. So auch die Beantwortung der Frage nach der Qualität von Kunst mittels des Preises. Kann Quantität tatsächlich für die Bestimmung von künstlerischer Qualität ausreichen? AH: Was man versuchen kann, ist, dem Besucher möglichst viele Kriterien zur Beantwortung der Frage nach Qualität an die Hand zu geben, damit er letztlich selbst entscheiden kann. Und natürlich wurde gestern Abend auch über die Frage gesprochen, wie sich ein Künstler etabliert. Dies ist ein sehr komplexer Prozess, an dem Galeristen beteiligt sind und Personen mitwirken, die Entscheidungen für und gegen Künstler fällen. Vermarktung spielt dabei eine große Rolle und

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die Kriterien, die in diesem Prozess mithineinspielen, haben nicht immer alle mit Qualität zu tun. Wenn Sie durch unsere aktuelle Ausstellung gehen, werden Sie bemerken, wie auch gesellschaftliche Veränderungen den Kunstmarkt prägen. Im 17. Jahrhundert existiert weder der Adel noch die Kirche als alleinige Auftraggeber von Kunst. Gleichzeitig entfalteten die Niederlande in dieser Zeit eine ungeheure Wirtschaftskraft und erlangten damit Wohlstand. Eine ganz neue Mittelschicht wird in die Lage versetzt, sich erstmals Kunst leisten zu können. Es entwickelt sich ein Markt, auf dem eine bürgerliche Gesellschaft aktiv wird und auf dem allein in Amsterdam 350 Künstler zu einer wahren Kunstexplosion beitragen. Das führt zu interessanten Marktmechanismen, da der Markt gesättigt war, und jeder Maler gezwungen war, seine Nische zu besetzen und letztlich auch sein Markenzeichen zu erarbeiten. Der eine malt Hasen, der andere malt Gebirgsbäche, der dritte malt Rinder. Und diese historische Entwicklung ist natürlich für Kulturmanager sehr interessant, um eben ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie dieser Markt auf spezifische gesellschaftliche Situationen reagiert. In Teilen gibt die Historie Antworten auf die sehr komplexe Frage Was ist Kunst? Ich glaube, man kann dem Besucher immer nur Fragen stellen, und ihm letzten Endes ein Vergrößerungsglas in die Hand zu geben und ihn auffordern, durchzuschauen. Und durch dieses Vergrößerungsglas findet er Teile der Antwort auf die Frage nach der Kunst. Dem Besucher bei seiner Suche behilflich zu sein, gelingt uns mal gut, mal weniger gut. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer Ausstellung existiert ein großer Spagat. Momentan sind wir ein Haus, das Fragen stellt, mit einem Team, das Fragen hat, die es eventuell sogar missionarisch beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist ein wesentlicher Impetus des Hauses. Nach diesem Exkurs widmen wir uns nun wieder dem Thema Strategie. Sie wollten noch einige Anmerkungen zum Begriff Strategieren anfügen. AH: Wie gesagt, die Begriffe Mut und Geduld sind bei mir hängengeblieben, weil ich sie gerade für mich in Ihrem Modell neu entdecke. Was mich als Archäologen ebenfalls beschäftigt ist der Begriff Feldherr. Was ich spannend und neu finde ist das Begriffskonvolut, bestehend aus Überraschung, Gegner, Unsicherheit, Zufall und Friktion. Auf den ersten Blick ist es natürlich sehr militärisch. Aber es ist sicherlich hilfreich, sich dies noch einmal vor Augen zu führen: Ein Gegner ist heutzutage natürlich auch immer der Mitbewerber am Markt. Gleichzeitig birgt jede neue strategische Neuausrichtung auch Unsicherheit. All die Begriffe dieses Konvoluts sind letzten Endes Faktoren, die der Stratege mög-

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lichst einzuschränken versuchen muss. Und jeder dieser Faktoren ist auch ein Faktor, den man mit bestimmten Instrumenten begegnen kann. Es wird versucht, den Gegner mit seinem Überraschungspotenzial, mit dem, was er für uns an Unsicherheit bedeutet und dem, was er an Zufall impliziert, durch eigene Beobachtungen im Vorfeld einzuschätzen. Der gesamte Bereich der genannten Begriffe ist ein Bereich, den man noch viel stärker im Strategieprozess nutzen sollte. Und nutzen kann. Wenn man im Kamingespräch über den Begriff Strategie spricht, so ist man sehr schnell in den bekannten Bereich von Mitteln und Zielen. Aber der Bereich, über den wir gerade sprachen, wird außen vorgelassen. Doch gerade dieser Bereich ist es, der Ihre Arbeit sehr stark werden lässt, weil ich ihn auch als einen zentralen Punkt sehe. Wir investieren oftmals zu wenig Zeit in die Betrachtung unserer Gegner, unserer Unsicherheit, des Überraschungsmoments und des Zufalls. Der eigene Angriff wird wahrscheinlich umso erfolgreicher, je mehr Momente der Überraschung er besitzt. Und übertragen auf unseren Kontext: Das Haus, dessen Programm sich in einem Bereich auftut, mit dem man nicht gerechnet hat, sorgt natürlich für Überraschung. Und eventuell für Erfolg. Für mich persönlich sind das alles sehr starke Begriffe. Damit die Theorie der Strategie, wie ich sie erarbeitet habe, nicht zu sehr geprägt ist vom Militärischen, bin ich dazu übergegangen, das grundsätzliche Umfeld als das Feld anzusehen, in dem Dynamik herrscht – die Dynamik, die im Ursprungsverständnis von Strategie von einem Gegner ausging. Somit habe ich die Dynamik ins Zentrum der Betrachtung gesetzt und nicht den Gegner, den Wettbewerber. Dynamik, nicht nur verstanden als negative Einflüsse von außen. Sondern eben auch positive. AH: Mir fällt da spontan die Redewendung Der Zufall spielte mir in die Hände ein und dass er eben auch zur Strategie gehört. Eben den richtigen Geistesblitz zu haben, wenn der Zufall einem die Tür öffnet, die ansonsten vielleicht nie wieder geöffnet wird. Eine Geschichte dazu, die mir sehr stark vor Augen ist: Im Museum für Kunst und Gewerbe, in dem meine Museumslaufbahn begonnen hat, hat der damalige Museumsdirektor Wilhelm Hornbostel erzählt, wie die Tutanchamun-Ausstellung, die 1981 die erfolgreichste Ausstellung in der Geschichte des Hauses war, überhaupt nach Hamburg gekommen ist. Es war der ägyptische Kultusminister, der in einer Pressekonferenz über die drei bis vier Ausstellungsorte in Deutschland sprach, und der fälschlicherweise statt Hannover die Hansestadt Hamburg nannte. Im Museum für Kunst und Gewerbe nutzte man sofort diese Chance, aufgrund der kommunizierten Aussage Die Ausstel-

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lung findet in Hamburg statt diese tatsächlich nach Hamburg zu holen, indem man jede Art von politischem Druck aufbaute. Der Zufall öffnete eine Tür, die man sofort genutzt hat, sodass neben Hannover auch Hamburg Ausstellungsort der Tutanchamun-Ausstellung wurde. Ebenso ist Ihre Geschichte ein gutes Beispiel dafür, wie in etwas Geplantem durch die Komponente der Dynamik – oder eben des Zufalls – das Wesen der Strategie zutage tritt. AH: Da bin ich ganz bei Ihnen. Diese Grundunterscheidung sehe ich auch. Ich hadere ein wenig mit der Unterscheidung an dem Punkt des Wirtschaftsplans. Natürlich ist er kompliziert, er ist auch linear. Aber nichtsdestotrotz birgt er auch immer das Unsichere. Sie planen in diesem Besuchszahlen für vier Ausstellungen pro Jahr, und plötzlich merken Sie, dass sich etwas in Ihren Planungen so maßgeblich verändert – wird dann aus der Planung ein strategischer Prozess Ihrem Verständnis nach? Denn diese Situation gibt es immer wieder. Ein Beispiel: Ich glaube, es war im Sommer 2006. Eine große Picasso-Ausstellung zeigte die Staatsgalerie Stuttgart. Es war die letzte große Ausstellung des damals scheidenden Direktors Christian von Holst, und jeder erwartete einen immensen Erfolg, einen immensen Besuchsandrang. Und plötzlich bemerkte man, dass im Sommer 2006 kein Interesse an einer Picasso–Ausstellung existierte – aus welchen Gründen auch immer. Sicher haben Sie in dieser Planung etwas Kompliziertes. Doch die Frage ist, wie die Abgrenzung in Ihrem Modell in diesem speziellen Beispiel erfolgt. Vermutlich kann man zwischen den Bereichen exakt differenzieren. Allerdings denke ich, dass in besonderen, in extremen Phasen der Wirtschaftsplanung – wenn alles wirklich so ganz anders wird, als man es geplant hat – plötzlich Dimensionen entstehen, die ich dann mit Begriffen wie Nichtlinearität, Ungewissheit und Komplexität verbinde. [Vorstellung der Zitate zur Dialektik der Kultur]4 Viele der Besucher des Bucerius Kunst Forum begrüßen es, dass die Ausstellungen innerhalb einer Stunde komplett betrachtet werden können und es keine Reiz- und Informationsüberflutung gibt wie in anderen Häusern. Dies entspricht auch einer Studie, die besagt, je reizärmer die Ausstellung, desto intensiver das Besuchserlebnis. In Ihrem zukünftigen Haus wird die Ausstellungsfläche größer

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Zu den Themen Nachfrageorientierung, Eventisierung, Besuchszahlen und Sponsoring wurden je zwei gegenläufige Darstellungen aus der Literatur zitiert.

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sein. Wird das Positive des Überschaubaren, das die Besucher betonen, dennoch weiterhin bestehen? AH: Sie beziehen sich hierbei auf das Emotion-Projekt von Martin Tröndle. Aus methodischer Sicht finde ich dieses Projekt schwierig. Es arbeitet mit einem Datenhandschuh, der die Bewegung des Besuchers durch die Ausstellungsräume verfolgt und aufzeichnet. Schwierig dabei finde ich, dass ein zentrales Instrument in dieser Methode nicht eingesetzt wird: Wenn man in der Wahrnehmungspsychologie bei Goldstein und anderen nachliest, weiß man, wie wichtig Fixationsprozesse, also Augenbewegungen sind. Auf der einen Seite gibt es die Frage, wo ich stehenbleibe beziehungsweise wo ich nicht stehenbleibe – das ist die Linie von Tröndle. Auf der anderen Seite existiert die Frage, was ich mit meinen Blicken an einem gewählten Standort mache. Dieser zweite Weg ist etwas, was leider in seinem Projekt keine Rolle spielt. Ich selbst habe mich in der Klassischen Archäologie mit Zuschreibungsfragen bei griechischen Vasen beschäftigt. Dabei wird die Frage untersucht, wie ein Maler beispielsweise die Augen gemalt hat. Diese Zuschreibung ist auch bei Gemälden von zentraler Bedeutung. Wenn man sich also fragt, was ein Besucher in einer Ausstellung tut, darf man sich nicht nur mit der Frage beschäftigen, wo er stehen bleibt und wo nicht, und wie er sich im Raum bewegt und wie nicht. Vielmehr muss man untersuchen, was der Besucher mit seinen Augen macht; wie lange betrachtet er Bereiche eines Gemäldes; welche Bereiche betrachtet er; nimmt er Strukturen der Besucherführung wahr oder zeigt er vielmehr hektische Augenbewegungen, weil er hilflos die Orientierung im Ausstellungsraum verliert oder nicht findet? Aus diesen Gründen finde ich die Methodik hinter diesem Projekt nicht gelungen und möchte auf den ersten Teil Ihrer Frage antworten. Das Erfolgsgeheimnis des Bucerius Kunst Forum ist das Konzept des konzentrierten Blicks auf einer relativ überschaubaren Fläche, heutzutage 620 Quadratmeter. Zukünftig wird es mit einer Ausstellungsfläche von 1.000 Quadratmetern nicht extrem viel mehr Ausstellungsfläche geben, weil ein großer Teil dieser Fläche für Konzerte und Literaturveranstaltungen genutzt werden wird. Das Alleinstellungsmerkmal bleibt also bestehen. Was im Bucerius Kunst Forum bereits vor meiner Zeit gelungen ist – ich bin seit 2007 hier am Hause, 2002 wurde es gegründet –, ist, dass man eine Größe gefunden hat, um in den Ausstellungen Geschichten zu erzählen, die ausreichend komplex sind und zugleich mit einer überschaubaren Zahl an Leihgaben auskommen, sodass dieses Konzept auch wirtschaftlich interessant ist. Dieses Konzept wurde später vom Hubertus-WaldForum der Hamburger Kunsthalle imitiert. Ich glaube, dass die Lösung nicht die sein kann, geringere Komplexität zu fordern.

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Wenn Sie nach dem kuratorischen Konzept unserer Ausstellungen, gleichzeitig nach unseren Erfolgsgeheimnissen und nach den Ausstellungen fragen, in denen unsere Bemühungen aufgegangen sind, so würde ich Ihnen zum Beispiel unsere Paula Modersohn-Becker–Ausstellung nennen, die in 87 Tagen Laufzeit 98.000 Besuche hatte. Das bedeutet mehr als 1.000 Besuche pro Tag. Gerne hätten wir eine längere Laufzeit für diese Ausstellung gehabt, aber aufgrund der Leihgaben war das nicht möglich. Die Ausstellung selbst zeichnete sich dadurch aus, dass auf einer primären Ebene ein Marktinteresse bedient wurde, sie gleichzeitig eine Künstlerin zeigte, die in mehreren Ausstellungen in Norddeutschland extrem erfolgreich und in Hamburg eine sehr lange Zeit nicht zu sehen war. Gerade im Jahr zuvor feierte sie in Paris eine internationale Wiederentdeckung. Die Ausstellung zeigte die Sehnsucht, aber auch die Erwartung der Besucher nach diesem Provinziellen, nach dem Worpswede, nach dem Moorigen, nach den Genrefiguren und nach den vielen Bildern mit Müttern und ihren Kindern. Das alles ist die eine Ebene der primären Erwartung, die man natürlich auch befriedigen muss. Was aber unser Gastkurator Uwe Schneede auf einer sekundären Ebene eigentlich zeigen wollte war die Modernität der Arbeiten von Paula Modersohn-Becker; deren Abstraktheit und wie besonders in den späteren Arbeiten das Maskenhafte hervortritt und Themen verarbeitet werden, die sie aus ihrer Zeit in Paris beschäftigten. All das haben wir auch gezeigt und es hat dazu geführt, dass in unserem Besucherbuch Äußerung zu finden waren wie Tolle Ausstellung aber diese abstrakten Texte, all das Kunsthistorische, das war zu viel. All diese Elemente aus der sekundären Ebene wollte der Besucher eigentlich gar nicht. Für mich ist das der ideale Fall. Man nimmt ein Primärinteresse des Besuchers auf – in einem gewissen Sinne bedient man es auch –, man will aber noch mehr, man will ein neues Bild von Paula Modersohn-Becker vermitteln. Und die These von Uwe Schneede war, dass Paula Modersohn-Becker sehr modern ist. Dies ist sozusagen eine Neubewertung ihrer Position. Das hat mit Unterkomplexität nichts zu tun. Vielmehr hat es damit zu tun, dass man eine neue Interpretation einer Werkschau progressiv und wissenschaftlich fundiert aufbereitet und diese Werkschau in einem räumlichen Kontext präsentiert, in dem keine 300 Werke benötigt werden oder eine große Retrospektive veranstaltet werden muss. Es existiert somit die Chance, ein Thema so zu fokussieren, sodass man sich am Ende sogar an diesem reiben kann. Wenn uns das gelingt, ist es genau das, was uns hier im Haus auszeichnet. Die Dialektik, die Sie beschreiben, ist eine sehr spannende. Auch sie kann einen Aspekt widerspiegeln in strategischen Fragen. Man tut gut daran, aufzuzeigen, dass jede Prädisposition, etwa in Fragen der Finanzierung, natürlich gewisse Chancen, aber auch gewisse Gefahren birgt. Wenn man sich beispielswei-

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se die These des Kulturinfarkts anguckt, muss jedes ausreichend finanzierte Haus sich bewusst sein, dass eine solche Finanzierung zu einer Saturiertheit, zu einer Bequemlichkeit führen kann. In der Folge befindet man sich nicht mehr in dem von Ihnen genannten Bereich des Strategierens – im Bereich Mut, Geduld, Kreativität und Überraschung. Andererseits heißt es aber nicht, dass jedes Haus, das diese Sicherheit nicht besitzt, automatisch in den Bereichen stark ist. Auf die Ebene, auf die Sie in Ihrer Arbeit kommen können, ist die, dass man demjenigen, der strategische Entscheidungen zu treffen hat, die Prädisposition und deren Wirkung vor Augen führt. Und ihn einlädt, sich selbst damit zu beschäftigen. Denn machen wir uns nichts vor: Ein Haus, das wie ein amerikanisches Museum sehr viel stärker gezwungen ist, Fundraising zu betreiben und sich über Drittmittel zu finanzieren, besitzt viel mehr Unsicherheiten. Das kann gute Seiten besitzen, aber eben auch schwierige. Daher ist es ratsam, um die Stärken und Schwächen des eigenen Kontextes zu wissen. „Einer der bedeutendsten Maler. Das weltbeste Orchester. Studieren an einer der renommiertesten Hochschulen. Einer der besten Konzertsäle der Welt. Die erfolgreichste Ausstellung des Jahres. Oder wie in der kulturmanagerialen Literatur: Der exzellente Kulturbetrieb. Die perfekte Ausstellung.“ Immer wieder ist die Rede von Exzellenz und Superlativen. Ich selber habe diese Beobachtung als Exzellenzfalle bezeichnet. Aber handelt es sich dabei um reine Marketingfloskeln? Und was macht der Gebrauch des Begriffes Exzellenz mit dem Qualitätsverständnis des Kulturbürgers? AH: Ich bin ganz bei Ihnen, dass es die Exzellenzfalle gibt. Ich sehe wie Sie die inflationäre Verwendung des Begriffes, die vermutlich niemandem guttut. Ich sehe, dass dort, wo eine Exzellenzüberflutung des Besuchers, des Nutzers von Kulturangeboten stattfindet, der nicht-exzellente Kulturbetrieb ins Hintertreffen geraten kann, wenn man sich dieser Marketingfloskeln nicht bedient. Ich sehe, dass der Exzellenzbegriff sehr stark die Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Produktportfolio einschränkt. Und zwar dort, wo das Produktportfolio, nämlich die Arbeit einer Kulturinstitution, einer sehr heterogenen Masse an unterschiedlichen Bezugsgruppen gegenübersteht. Aber natürlich würde ich sagen, das Bucerius Kunst Forum ist ein exzellentes Ausstellungshaus. Und ich würde, wie andere Ausstellungshäuser und Museen auch, behaupten, dass es für diese These objektive Maßstäbe gibt. Wenn Sie in die Gesamtstatistik der Museums- und Ausstellungshäuser blicken, jährlich herausgegeben vom Institut für Museumskunde, erkennen Sie, welche Häuser dort hervorgehoben werden. Und der Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forum

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blickt dann natürlich mit stolz geschwellter Brust darauf, dass auch sein Haus fast jedes Jahr unter den erfolgreichen Ausstellungshäusern ganz vorne genannt wird – neben der Kunsthalle München und in guten Jahren auch neben den Deichtorhallen Hamburg. Die Exzellenzfalle bedeutet auch, dass Verantwortliche in Kulturbetrieben sich schnell selbst belügen. Und viele müssen vielleicht auch den Exzellenzbegriff ubiquitär verwenden, weil sie sich in einem Kommunikationsraum bewegen, in dem sie auf andere Kultureinrichtungen in einem direkten Wettbewerb treffen, in dem der Exzellenztopos nicht fehlen darf, um als Kulturschaffender oder als Kulturbetrieb bestehen zu können. Aber eigentlich geht es um viel mehr und um anderes. Für mich ist ein Modell viel spannender, in dem man für jedes Produkt, in jedem Teilprodukt die Frage an sich stellt, für welche unserer Stakeholder dies ein gutes Produkt, für welche es kein gutes Produkt ist, und wo das Produkt seine Grenzen besitzt. Denn nur aus dem Bewusstwerden der eigenen Grenzen kann man lernen. Wenig halte ich von einer Selbsteuphorisierung des Kulturbetriebes. Ich sehe, dass wir einem Publikum gegenüberstehen, dem wir eine Sensation immer weniger als Sensation verkaufen können, wenn es nicht eine solche ist. Für mich ein gutes Beispiel ist meine erste Ausstellung, die ich als Volontär im Museum für Kunst und Gewerbe hatte. Eine Ausstellung mit Modellen von Pyramiden des Alten und Neuen Reiches, für die das Haus damals auch überlegt hatte, sie auf eine Sensationsebene zu bringen. Natürlich: Es war das Jahr 2001 und die ersten Billigfluglinien hatten sich etabliert. Man begegnete einem Publikum, das aufgrund der Flugmöglichkeiten viel gesehen hat. Und dem man nicht erzählen kann, dass diese Ausstellung etwas einzigartig Tolles, eben Exzellentes ist. Heute tut man gut daran, auch um aus dieser Exzellenzfalle herauszukommen, sich zu überlegen, was das inhaltlich Neue ist, das gezeigt werden soll. Und wenn Sie mich nach einer exzellenten Ausstellung fragen, ist mir die Gründungsausstellung des Deutschen Historischen Museum in Berlin in Erinnerung. Sie versuchte, die Meilensteine deutscher Geschichte zu zeigen, ohne mit exzellenten Leihgaben ausgestattet zu sein. In dieser Ausstellung wurden neuralgischen Punkte deutscher Geschichte herausgearbeitet und in vielen Facetten akzentuiert, sodass ich das Besondere in dieser Ausstellung spüren konnte. Das hatte nicht nur mit Exzellenz zu tun, sondern mit einer sehr intensiven Arbeit an Konzepten. Wie von einer zu engen Krawatte befreit könnte das Gefühl sein, wenn wir als Kultureinrichtungen uns aus der Exzellenzfalle herausbewegen, die in vielen Fällen einfach eine Exzellenzlüge ist. Natürlich muss man sich auch fragen, wie die Kulturpolitik die Kultureinrichtungen selbst, deren Arbeit und Qualität durch diese Exzellenzbrille betrach-

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tet. Denn sie ist eine Brille, die letztlich in ihren Sehschärfen nicht ausreicht. Sie hat einfach zu geringe Dioptrien und vieles bleibt im Nebel. Doch es ist leider die Brille, die kulturpolitisch das präferierte Instrument von Wirkungsmessung ist. Strategie, so die Wirtschaft, ist mehrheitlich Differenzierung – welche Möglichkeiten der Differenzierung gibt es im kulturellen Sektor? Welche Möglichkeit der Differenzierung gibt es tatsächlich im Kultursektor? AH: Natürlich bringen wir das Instrument der Differenzierung auch zur Anwendung. Ein ganz einfaches Beispiel: Bei einer Ausstellungsplanung für ein beliebiges Jahr differenzieren wir die Projekte unter Gesichtspunkten der Kosten. Da gibt es die Ausstellung A, die die teuerste ist, gleichzeitig aber auch die höchste Besuchererwartung hat. Es gibt die Ausstellung B, die ein sehr viel günstigeres Projekt in den Sommermonaten ist. Und die Ausstellung C, eine Themenausstellung. Auf den Punkt gebracht: Eine ideale Differenzierung ist die große teure monographische Ausstellung im Herbst oder im Frühjahr, also zu den besucherintensivsten Zeiten. Dann eine kostengünstigere Sommerausstellung und als drittes eine Themenausstellung, die in der Besuchererwartung geringer ist und zwischen der ersten und zweiten liegt, die aber auch teuer sein darf. Und so differenzieren wir in der Dramaturgie und der Programmierung sehr bewusst. Das tun wir, um ein gewisses Maß an Breite zu haben und ein großes Spektrum an Zielgruppen zu erreichen. Diese Differenzierung kann man anhand unterschiedlichster Kriterien anwenden. Da gibt es den Preis, da gibt es Ausstellungsthemen, da gibt es Zielgruppen. Das ist unser tägliches Brot. Das Thema Differenzierung ist ein schöner Schlüssel, um zu verstehen, was wir im Bucerius Kunst Forum tun. Auch die Eintrittspreise differenzieren, wenn man unterscheidet zwischen einen kostenfreien Eintritt für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren und den regulären Zahlern. Auch eine zeitliche Differenzierung gibt es. Montags gibt es ermäßigten Eintritt für alle. Die Differenzierung, wie Sie sie beschreiben, ist eine Differenzierung innerhalb Ihres Hauses. Erweitere ich den Begriff, so geht es auch um die Differenzierung zu Ihren Wettbewerbern, gerade wenn es um Aufmerksamkeit geht – Aufmerksamkeit als die neue Währung. AH: Wir sind ein junges Haus. Daher haben wir anders als die Kunsthalle Hamburg oder das Museum für Kunst und Gewerbe nicht das Problem, dass wir seit dem ausgehenden 19. oder frühen 20. Jahrhundert bestehen. Vor der Gründung

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des Hauses wurden Machbarkeitsstudien erstellt, die sich sehr bewusst auseinandersetzt haben mit der Frage der Differenzierung. Die Überlegung war, ein Haus zu etablieren, das internationale Ausstellungen in Hamburg mit einem Themenspektrum von der Klassischen Antike bis in die Klassische Moderne auf einer begrenzten Fläche zeigt. Dies war der Versuch, eine Nische zu finden, die thematisch gesehen sehr bewusst auf die Wettbewerbssituation reagiert hat. Also kein Haus der Fotografie, der zeitgenössischen Kunst, der Avantgarde. Mit den Deichtorhallen, mit dem Haus der Fotografie, mit dem Kunstverein, mit der Galerie der Gegenwart erleben wir Zeugen eines Booms von Neugründungen in dem Jahrzehnt zuvor, die unseren Wettbewerb prägten. Es war demnach unser Versuch, uns in den Bereichen der Kunstgeschichte zu etablieren, die unserer Meinung nach unterrepräsentiert schienen im Ausstellungskatalog Hamburgs. Es war eine bewusste Entscheidung: Wir machen etwas, was die anderen so nicht machen. Das berühmteste etruskische Grab war natürlich im Bucerius Kunst Forum zu sehen. Und die Gräber von Paestum, die in Deutschland so noch nie gezeigt wurden, waren natürlich hier zu sehen. Ein pompejisches Wohnhaus wurde restauriert bei uns gezeigt. Durch Themensetzung, durch Fokussierung, aber eben auch durch Kommunikation des Besonderen wird der Versuch unternommen, Nischen zu besetzen. „Wir fühlen uns geehrt, dass so viele Menschen sich in diesem Jahr entschieden haben, mit uns ihre Zeit zu verbringen", sagte der Direktor des New Yorker Metropolitan Museum. Liege ich richtig bei der These, die Zeit ist das für die Kultur wichtigste Gut, noch vor der reinen Aufmerksamkeit und dem Monetären? AH: Dieses Zitat habe ich auch gelesen, und es hat mich sehr beschäftigt. Monetäres und Besitz spielen immer weniger eine Rolle, wie Studien des Deutschen Zukunftsinstituts Frankfurt belegen. Diese Tatsache findet sich genauso in dem Zitat wieder. Und genau das ist auch meine Erfahrung. Wenn Sie mich nach meinem höchsten Gut fragen, dann ist es die Zeit. Viele aus meiner Generation stehen in der Hochphase ihres beruflichen Lebens und leben in einem Land, dem es – wirtschaftlich betrachtet – gut geht. Gleichzeitig merken sie, dass ein Gut immer weniger existiert. Und das ist die Zeit. Vor diesem Hintergrund ist die Fokussierung auf das Thema Zeit wie in dem Zitat ein gelungenes Statement. Ein Statement, das sich auch beziehen kann auf viele Dinge, die wir tun. Der von Exxon geförderte jährliche Kindertag, an dem wir die Ausstellung bei freiem Eintritt für alle Besucher speziell für Kinder mit einem riesigen Angebot öffnen, lockt rund 2.500 bis 4.000 Besucher. Das ist das erfolgreichste Angebot für junge Besucher in der Hamburger Museumslandschaft. Spannende

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Dinge kann man an diesem Tag beobachten. Es kommen Familien, die einen ganzen Tag bei uns verbringen und die vieles von unserem Angebot wahrnehmen. Man kann beobachten, wie sie gemeinsam ihre Zeit verbringen. Daher finde ich dieses Zitat und die dahinterstehende Aussage hervorragend. Im Strategischen ist dieser Aspekt wie die bereits genannten ebenfalls unterrepräsentiert. Dieser Aspekt kann jedoch für das Strategische ein wichtiger Zukunftspunkt sein. Wie stufen Sie nach dem bisher Gesagten über Unsicherheit und gerade mit Blick auf die von Ihnen beschriebene Dialektik die derzeitige Praxis der Zielvereinbarungen ein? AH: Das Bucerius Kunst Forum besitzt Zielvereinbarungen, wenn nicht mit der Kulturpolitik, so doch mit der Stiftung, die als Gesellschafterin – das Bucerius Kunst Forum ist eine gGmbH – klar formulierte Erwartungen beispielsweise in meinem Arbeitsvertrag in Bezug auf die Besuchszahlen benennt. Eine Zahl, die festgelegt ist und bei deren Überschreiten bestimmte Anteile meines Salärs gezahlt werden oder eben nicht. Eine ganz entscheidende Maßgabe für uns ist die Besuchszahl von 200.000 Personen. Ähnliche Zahlen sind auch definiert für Katalogverkäufe und weitere Dinge. In solchen Zielvereinbarungen – ob nun in den von Ihnen erwähnten oder aber auch in denen mit der Kulturpolitik beschlossenen – werden zum einen unterschiedliche Zielarten, wie sie die Psychologie zeigt, zum anderen aber auch das Element der Unsicherheit, wie wir es besprochen haben, nicht abgebildet. Ist das ein Problem? AH: Ein sehr guter Punkt. Ich wähle ein Beispiel, auch wenn es nur eine bestimmte Zielart oder ein Teilziel repräsentiert. Bei Zielvereinbarungen, wie ich sie schließe oder sie mit mir geschlossen werden, mit konkreten Zahlen und konkreten Folgen, findet eine völlige Reduktion auf das Ziel Besucherzahl statt. Dem Vorstand der Stiftung, der dieses Ziel mit mir beschlossen hat, ist völlig bewusst, dass diese Zahl eine Reduzierung bedeutet, dass sie unterkomplex ist. Das heißt nicht, dass Zielvereinbarungen wirkungslos sind. Für uns, für mich, ist dies ein zentraler Punkt. Wichtig ist, zu verstehen, dass ein erfolgreiches Bucerius Kunst Forum nicht bedeuten kann, dass es ein leeres Bucerius Kunst Forum ist. Damit sind viele Teilziele nicht abgedeckt. Wie zum Beispiel Aussagen über den qualitativen Anspruch unserer Projekte, über den innovativen Charakter unserer Projekte, über die Vielfalt unserer Programmgestaltung. Wenn es aber ge-

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lingt, einen zentralen Faktor, ein zentrales Teilziel, in einer Zielvereinbarung zu bearbeiten, kann es trotzdem Wirkung zeigen. Und ich finde gut, dass wir es genauso machen. Es ist klug. Im Vorstand der Stiftung hat man sich überlegt, das Kunstforum, das inhaltlich weit weg ist von der eigentlichen operativen Stiftungsarbeit, mittels einer solchen Zahl, eines solchen Ziels, in seiner Wirtschaftlichkeit transparent zu machen. Und diese Idee wird der damit beauftragte Geschäftsführer so gut er kann durchsetzen gegen die wissenschaftliche Abteilung, gegen den Direktor und die Kuratoren, die natürlich allesamt nichts anderes wollen als spannende, teilweise auch überkomplexe Ausstellungen im Hause zu realisieren. Er wird immer nach der Besuchererwartung eines jeden einzelnen Projektes fragen: „Können wir mit dem, was Sie inhaltlich vorschlagen für das nächste Jahr, die 200.000 Besucher erreichen?“ Und das ist eine kluge Überlegung seitens des Vorstands. Denn viele andere Ziele, die ein Haus mitbestimmen und die künstlerischer Natur sind, verfolgt die künstlerische Abteilung ohnehin. Die muss ich nicht in einer Zielvereinbarung fixieren. Ich vereinbare als Vorstand das Ziel, das eventuell gegen diese künstlerischen Interessen steht. Und wenn das so gelingt, ist es von Vorteil. Eingangs sprachen wir – auch in Bezug auf Ullrich und Boll – über die Qualitätsfrage. Mein Gedanke ist immer wieder, eben auch um der Exzellenzfalle zu entgehen, quantitative Zielvereinbarungen durch qualitative Aspekte zu ergänzen. Wie sehen Sie das? AH: Diese Frage ist generell sehr schwer zu beurteilen Und zu beantworten. Ich glaube, dass ich sie für dieses Haus allerdings klar beantworten kann. Das kann ich jedoch nur tun, weil bestimmte Rahmenbedingungen sehr gut sind. Dazu gehört, dass es zwischen dem Träger des Hauses als dem größten Zuwendungsgeber – wir bekommen in etwa 60 Prozent des Gesamtbudgets im Jahr von der Stiftung, aber auch nicht mehr – und dem Hause selbst ein Grundeinvernehmen gibt. Anders als in einer Kulturbehörde, in der viel Wandel und Wechsel existiert, vielleicht auch Dissens zwischen der Behörde und ihrer Exekutive besteht, hat der gesamte Vorstand einen Wertekanon formuliert, der darlegt, ob eine Ausstellung eine gute oder eine schlechte ist. Auch dann, wenn sie eine schlechtbesuchte ist, obwohl sie eine gute ist. Manchmal aber auch, wenn sie eine gutbesuchte ist, obwohl sie eine schlechte Ausstellung ist. Wenn ich in einer Kulturbehörde sitzend gezwungen bin, auf irgendeine Art und Weise die Qualität meines Angebotes messbar zu machen, wird es sehr schnell schwierig. Wenn dann ein Grundkonsens nicht mehr da ist, wird der gesamte Themenkomplex einer Zielvereinbarung schwer steuerbar. Das ist natürlich eine Situation, die ich

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aufgrund unserer Verortung in der Stiftung hier nicht vorfinde. Ganz klassisch versuche ich alle unsere Projekte bei der Realisierung zu unterstützen. Und ich muss mich wenig mit der Dokumentation von Evaluationsarbeit aufhalten, die letztlich nicht zielorientiert ist. Bei der Durchführung der Besucherbefragung 2016 gab es keine Rechenschaftspflicht gegenüber der Stiftung. Die Ergebnisse dienten allein den Lehren, die wir aus der Befragung zogen. Der Dokumentationszwang ist durchaus ein Problem. Wer Ziele vereinbart, muss auch Ziele messen und muss das Erreichen von Zielen messen. Das ist ein Problem, weil diese Sicht immer sehr eingeschränkt ist. Meines Erachtens liegt der Wert Ihrer Arbeit darin, dass sie Kriterien neu bewertet und denjenigen, die sich in den Institutionen mit Strategie beschäftigen, neue Handlungsempfehlungen des strategischen Denkens und Handelns aufzeigt. Die Objektivität von Evaluation und von Besucherbefragungen ist ein Lügen in die eigene Tasche. Das strategische Arbeiten bringt dann Erfolg, wenn der Dokumentationszwang nicht da ist. Meine Überlegung ist, die Dialektik nicht in einem Schwarz-Weiß-Denken zu lösen, sondern in einem Grau, in einem Und. AH: Manchmal ist leider das Grau ein Luxus, das das von der Kulturpolitik eingesetzte, erwartete und erforderte Schwarz-Weiß-Denken nur bedingt bedient. Das ist sicher ein Problem. Natürlich geht es auch hier im Haus um Quantitäten, die schwarze Null am Jahresende. Die Zeiten, in denen ein von einer Stiftung finanzierter Kulturbetrieb ohne Weiteres bei schlechtem Haushalten um weitere Finanzierung bitten kann, sind vorbei. Nichtsdestotrotz ist das Schöne in der Stiftung, dass es den Wunsch gibt, im Grau zu denken. Dass komplexer an die Bewertung von Phänomenen herangegangen wird

INTERVIEW KONSTANZE ULLMER Ganz allgemein: Was ist Strategie für Sie? KU: Strategie richtet sich nach den Gegebenheiten. Auf den Theaterbereich heruntergebrochen: Es gibt große Theater, es gibt kleine Theater. Wir sind ein kleines Theater und erhalten eine Zweijahresförderung. Demnach verfolgen wir eine ganz andere Strategie als große Theater, die eine Vierjahresförderung bekommen. Danach richtet sich unser gesamtes Zukunftsmodell. Wir denken zwei Jahre im Voraus, die anderen denken vier Jahre im Voraus. Das ist etwas ganz an-

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deres. Natürlich haben wir auch eine Idee, was wir in zehn Jahren erreicht haben wollen. Aber ob wir das schaffen, hängt von äußeren Faktoren ab, die wir nicht beeinflussen können. Wir sitzen gemeinsam in einem Zug. In wenigen Minuten müssen Sie diesen verlassen und aussteigen – können Sie mir die Strategie des Sprechwerks in den verbleibenden Minuten unserer Zugfahrt erläutern? KU: Ich kann innerhalb von zwei Minuten erklären, was das Sprechwerk ist. Aber was die Strategie ist, das ist eine gute Frage. Unser Ziel ist es zu wachsen. So groß zu werden, dass man an uns nicht mehr vorbeikommt. Je größer man ist, desto einfacher ist es, an Gelder zu kommen, einzigartig zu sein. Wir versuchen eigentlich immer, größer zu werden. Das haben wir geschafft, wenn auch wir es viel zu langsam geschafft haben. Was verstehen Sie unter größer? Meinen Sie damit die Anzahl der Veranstaltungen? Die Anzahl der Besuche? Die Anzahl der unterschiedlichen Inszenierungen? KU: Größer zu werden bedeutet einmal, hochwertigere Räumlichkeiten zu besitzen. Mein Kompagnon arbeitet an einer Sache, die sich bereits sehr lange hinzieht. Wir versuchen, an die Burgstraße in einen Neubau umzuziehen. Ich erinnere mich daran, dass er ungefähr im Jahr 2010 sagte, das Sprechwerk würde 2012 garantiert umziehen. Durch die neuen Räumlichkeiten können wir höherpreisige Künstler engagieren, die wiederum mehr Geld reinbringen, was im Endeffekt für uns bedeutet, dass wir mehr Mitarbeiter beschäftigen können, wir nicht alles selber machen müssen. Und dass wir uns selber einmal vernünftig bezahlen. Damit meine ich nicht nur uns in der Leitung. Sondern auch alle Mitarbeiter, die wirklich wenig Geld verdienen. Das bedeutet aber, dass Sie sich nicht mit Ihrem Team zusammensetzen und gemeinsam eine tatsächliche Strategie erarbeiten? KU: Letzten Endes ist dies unsere Strategie: Wenn wir in die Burgstraße ziehen können. Doch das hängt momentan an den Streitigkeiten zwischen den Investoren, die fast nichts investieren wollen und dem Theater, das gewisse Voraussetzungen benötigt, denn ohne diese könnte man in dem Neubau kein Theater machen. Aber ob das etwas wird? Was soll ich da für eine Strategie entwickeln? Denn die ändert sich. Sie wird sich nämlich dann ändern, wenn Andreas (Lüb-

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bers, Gründer des Sprechwerk, BJ) zu mir kommt und sagt: „Das wird nichts.“ Dann ändert sich unsere Strategie sofort in: „Wir bleiben in dem Haus mit den Löchern im Dach.“ Natürlich mache ich mir Gedanken über den Umzug. Wie bekomme ich die Einnahmen, um die Kosten für eine höhere Miete zu decken? Was für Veranstaltungen muss ich anbieten? Wie lange brauche ich, bis die Zuschauer sich daran gewöhnt haben, dass wir nicht mehr hier in der Klaus-Groth-Straße sind, sondern drüben? Kann ich mit den Künstlern, die ich jetzt hier habe, da drüben überhaupt Programm machen? Denn die Miete, die ich in der Burgstraße verlangen muss, können externe Künstler wahrscheinlich gar nicht bezahlen. Doch all die Gedanken kann ich sofort wegschmeißen, wenn Andreas zu mir kommt und sagt: „Das wird nichts.“ Viele Kunst- und Kulturschaffende wähnen den Begriff Strategie im Klammergriff der Wirtschaftswissenschaften und scheinen aus diesem Grund abgeschreckt zu sein vom strategischen Denken. Wie sehen Sie das? KU: Ich habe nichts gegen die Wirtschaft. Wir sind ein Privattheater. Mir geht es nicht nur um die hehre Kunst. Natürlich habe ich einen Teil, bei dem es mir um die hehre Kunst geht, aber bei dem anderen Teil bin ich absolut käuflich. Weil es lebensnotwendig ist. Wir sind ein Unternehmen. Das ist etwas ganz anderes als die Leute im Stadttheater, die sagen können: „Zeig’ mir mal das tolle Bühnenbild. Bau das mal alles auf. Weißt du was? Das gefällt mir nicht. Schmeiß es weg. Ich will ein anderes.“ Das kommt bei uns nicht infrage. Unsere Strategie – das klingt jetzt ein wenig dramatisch, wenn ich sage, dass es ums Überleben geht – ändert sich ganz fix, wenn sich die Gegebenheiten ändern. Innerhalb kürzester Zeit. Gestern habe ich mit unserem technischen Leiter darüber gesprochen, wo wir neue Räumlichkeiten finden, wenn es in der Burgstraße nicht klappt. Geistig sind wir jedoch seit Jahren in der Burgstraße. Wenn der Umzug jetzt allerdings nicht klappt, müssen wir weitersehen. Die Halle hier bricht ein. Wir brauchen definitiv ein neues Gebäude, wissen allerdings auch nur zu gut, wie schwierig es ist, eines zu finden. Wir haben ein befreundetes Theater, das auch bereits seit zwei Jahren neue Räumlichkeiten sucht. Es ist ausgezogen, hat entsprechende Gelder, aber keine Räumlichkeiten. Die Theorie nochmals auf den Punkt gebracht als die wichtige Unterscheidung zwischen Komplexität und Kompliziertheit, zwischen Strategie und Plan. Und Strategie eben verstanden als Problemlösen, bestehend aus Klarheit in Start, Zie-

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len und Mitteln in komplexen Situationen zur Zukunftsgestaltung. Würden Sie die Theorie in Ihrer Praxis anwenden? KU: Inwieweit soll ich dieses Modell in der Praxis anwenden? Tue ich das nicht automatisch? Strategiere ich nicht automatisch? Natürlich gibt es auch Pläne. Unsere Mitarbeiter sind zum Beispiel fest angestellt. Das ist natürlich etwas, was keinen Variablen unterliegt. Inwieweit kann mir Ihr Modell nun helfen? Indem im ersten Schritt eine Sensibilisierung erfolgt, in der Unterscheidung zwischen komplizierten und komplexen Sachverhalten, zwischen Aufgaben und Problemen, zwischen Plänen und Strategien. KU: Ich glaube, das tue ich automatisch. Jedenfalls sollte man dies tun. Das Modell kann einem ja nur helfen, wenn man es noch nicht tut. Aber ich habe das Gefühl, dass es uns ohne dieses automatisch angewendete Denken überhaupt nicht mehr geben würde. Das ist einfach etwas anderes, als würde man in einem öffentlich-finanzierten Hause arbeiten. Dort mag diese Art des Denkens eventuell nicht automatisch gegeben sein. Aber wir haben uns ja wirklich von null heraufgearbeitet, und wenn dies nicht funktionieren würde, so gäbe es uns schon gar nicht mehr. Wir wären schon längst gestorben. Ich glaube, vieles ist mit Intuition geschehen. Sie erwähnten bereits die Unsicherheit, gerade die Unsicherheit in Bezug auf den Neubau in der Burgstraße. Wie gehen Sie ganz konkret mit den Unsicherheiten im Umfeld um? Wie halten Sie sie aus? Wie üben Sie sich in Geduld? KU: Wie bei jedem Selbständigen, der eine Planungsunsicherheit hat bezüglich seiner finanziellen Möglichkeiten, ist es eine Frage der Übung, sie auszuhalten. Wir haben ja eine relative Sicherheit. Ich bin seit 2006 selbstständig und mache mir darüber keine Gedanken mehr. Wenn der Laden zumacht, muss ich zusehen. Aber ich bin da sehr zuversichtlich. Ich kann mir vorstellen, dass man zu einem gewissen Zeitpunkt Dinge einfach ausblendet, um weiter nach vorne sehen zu können. Und eben nicht ängstlich zu gucken, was in der Zukunft alles passieren könnte. Welche Eigenschaften würden Ihrer Meinung nach das Verb strategieren komplettieren?

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KU: Ich spiele kein Schach. Aber ich stelle mir das Spiel so vor, dass man im Kopf mehrere Möglichkeiten abwägt und bis zu einem gewissen Punkt durchdenkt, um einen anderen Weg zu wählen, wenn man merkt, dass der zuerst eingeschlagene nicht hilfreich ist. Allerdings finde ich für diese Art des Denkens keinen Begriff. Perspektivisches Denken? KU: Flexibel eher. Die Kulturbehörde hat irgendwann begonnen, das Sprechwerk finanziell zu unterstützen. Der ausschlaggebende Grund dafür – so in den Medien nachzulesen – war eine gewisse Anzahl an Veranstaltungen, die sie nachweisen konnten. Basiert die Finanzierung demnach allein auf quantitativen Indikatoren? KU: Die Kulturbehörde schaut natürlich auch auf Qualitäten. Damals war es so, dass die Privattheater evaluiert wurden. Um das zu verdeutlichen, muss man ein wenig in der Geschichte zurückgehen. Jahrzehntelang ist eine gewisse Anzahl an Privattheatern gefördert worden. Irgendwann wurde die Frage laut, wieso diese Privattheater Förderungen erhalten, Privattheater allerdings, die in der Zwischenzeit entstanden sind, jedoch keine Förderungen beziehen. Die Antwort war eine einfache: „Der Topf ist eben nicht größer.“ Dies wurde als ungerecht empfunden. Ein Intendant eines großen geförderten Theaters in Hamburg hat zu einem ebenso großen Theater ohne Förderung gewechselt. De facto ist der infolgedessen von einer Million Euro auf null Euro herabgestuft worden. Daraufhin hat er gesagt, es könne ja nicht sein, dass seine Kunst, wenn sie in Pöseldorf gezeigt wird, eine Million Euro Wert ist, wird sie hingegen auf St. Pauli gezeigt, null Euro Wert ist. Die Kulturbehörde zeigte sich einsichtig, und hat sich überlegt, die eigenen Förderpraktiken neu zu überdenken. Es wurde eine Jury eingesetzt, die ein Jahr lang die einzelnen Theater begutachtet hat. Alle Privattheater konnten sich bewerben. Ursprünglich gefördert wurden zehn Privattheater, doch in den letzten 20 Jahren zum damaligen Zeitpunkt sind neue Theater hinzugekommen, die sich wiederum um eine Förderung bemüht haben und somit auch von der Jury gesichtet wurden. Sie legte unterschiedliche Kriterien zugrunde. Sie schaute zunächst, um was für ein Theater es sich handelt. Amateurtheater wird nämlich nicht gefördert. Des Weiteren wurde von einem Jurymitglied geschaut, wie wir mit unseren Finanzen umgehen. Es hat sich unsere Bücher zeigen lassen, es hat geschaut, ob wir überhaupt Bücher führen. Im Anschluss hat die Jury eine Empfehlung abgegeben, die zu 98 Prozent umgesetzt wurde. Erstaunlicherweise.

298 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Die damalige Kultursenatorin Karin von Welck hat es auch tatsächlich geschafft, noch mehr Gelder locker zu machen. Sie folgte der Empfehlung der Jury, die vorhersagte, würde es beim aktuellen Budget bleiben, würden die Privattheater nach und nach sterben. Die Preise steigen, die Kosten steigen, wenn allerdings das Budget nicht steigt, wird es irgendwann weniger Theater geben. In dem Zuge haben wir eine Förderung bekommen, ich glaube, das war zwei Jahre nach unserer Gründung. Voraussetzung für eine Förderung ist eine ausreichend große Anzahl an Zuschauern. Die Auslastung schwebt eigentlich als Damoklesschwert über den kleinen Theatern. Wenn die Auslastung geringer ist als 50 Prozent, argumentiert die Politik: „Wenn keiner zum Gucken kommt – warum sollen wir euch fördern?“ Sie sagten, die Jury hätte sich auch die Qualität der Häuser angeschaut, nannten jetzt jedoch zahlenbasierte Indikatoren wie den Blick in die Bücher oder die Auslastungszahl. Aber wie wurde die Qualität in der Evaluation der Privattheater abgebildet? KU: Ähnlich wie bei Förderanträgen für einzelne Stücke, da wir aus eigenen Mitteln keine aufführen können, sitzt eine Jury in der Vorstellung und entscheidet über die vermutliche Qualität des Stückes: Ist das etwas, was Hamburg noch zusätzlich braucht? Wie fühlt sich dies für Sie an? KU: Mir geht es auf die Nerven, dass man das Rad immer neu erfinden muss. Es ist nicht ausreichend, nur gutes Theater zu machen. Natürlich verstehe ich, dass die Kulturbehörde argumentiert, etwas aufzuführen, was die Stadttheater auch schon aufführen, sei nicht nötig. Das gibt es ja schon. Und vermutlich auch besser. Und das stimmt. Es sind bessere Schauspieler, ein größeres Bühnenbild oder eine größere Bühne. Wenn ich das Käthchen von Heilbronn sehen will, muss sich nicht ins Sprechwerk kommen. Das sehe ich im Schauspielhaus vermutlich besser. Für eine solche Inszenierung kriegen wir kein Geld. Wir müssen uns etwas ausdenken, was neu ist. Wir stehen unter dem Druck, ständig etwas Neues machen zu müssen. Kleinere Theater, wie das unsere, sind dabei noch nicht unter einem derartigen Druck wie die freie Szene. Zu uns ins Sprechwerk kommen sehr viele Personen aus der freien Szene, die uns mitteilen, sie möchten einen Antrag für ein Projekt einreichen und dafür einen Spielstättennachweis von uns bräuchten. Ist das Projekt zu konventionell, kann ich ihnen bereits im Vorfeld

Anhang | 299

sagen, dass der Antrag gar nicht erst gestellt werden muss, da er keine Aussicht auf Erfolg besitzt. Viele Schauspieler wollen einfach nur gutes Theater machen. Doch das ist nicht mehr ausreichend. Man muss Neues zeigen, möglichst viele andere Medien einbinden, nicht mehr im Theater spielen, sondern in der Mönckebergstraße im Hafen oder im Flüchtlingsheim. Gerade jetzt, da die Flüchtlingsproblematik überall präsent ist, bekommt man viel Geld, wenn man sich dem Thema Flüchtlinge annimmt. Dagegen habe ich natürlich nichts, aber ich finde es fragwürdig, wenn Kultur jedem Hype hinterherlaufen muss. Theater hat es vor 2.000 Jahren schon gegeben, und Theater wird es auch in 2.000 Jahren noch geben. Man muss nicht immer auf den neuesten Zug aufspringen. Aufmerksamkeit, so heißt es, sei die neue Währung. Geht es daher nicht weniger um das nachhaltig Gute als um das permanent Neue? KU: Natürlich fragt sich die Stadt Hamburg, wofür die Gelder ausgegeben werden sollen. Die Stadt will gesehen werden. Sie will einen guten Ruf. Hamburg soll als Stadt mit sehr vielen guten und tollen Privattheatern gelten. Doch damit ist nicht die gute Basis gemeint, sondern nur die Spitzen. Dafür gibt es den Elbkulturfond. Für die Highlights. Das steht extra drin. Ich habe nichts dagegen, Neues zu erdenken. Unsere Reihe Wortgefechterei, die wir aus der Taufe gehoben haben, beschäftigt sich mit gesellschaftspolitisch interessanten Themen. Weil diese Themen uns auch interessieren. Aber ich finde nicht, dass es Zwang sein darf. Was würden Sie sich seitens der Politik wünschen? Weniger Zwang, mehr Vertrauen selbst da, wo auch mal nichts Neues entsteht? KU: Das würde ich mir natürlich wünschen. Doch sind wir dann auch ratzfatz beim Stadttheater. Und natürlich würde mehr Vertrauen auch zu mehr Geldern führen. Das Vertrauen erarbeiten wir uns seit Jahren. Aber ich wünschte mir, es würde schneller gehen. Einige Autoren fordern, dass Kultureinrichtungen den Kräften des Marktes ausgeliefert sein sollten, um somit den aus ihrer Sicht positiven Druck des ständigen Innovierens zu gewährleisten beziehungsweise zu erhöhen. Wenn ich Sie jedoch richtig verstehe, interpretieren Sie den Druck nicht als einen positiven.

300 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

KU: Selbst wenn ich mich nicht selber in diesem Druck befinden würde, fände ich ihn nicht gut. Ich finde es toll, dass es den öffentlich-finanzierten Kulturbetrieb gibt. Man muss an den Stellen gegensteuern, an denen es in die falsche Richtung geht. Es gibt ja Länder, die kaum Subventionen für die Kultur bereitstellen. Ist es aber besser dort? Das wage ich zu bezweifeln. Die Einrichtungen müssen sich immer nach der Decke strecken. Sie sind nicht frei in ihrem Denken, sie sind nicht frei in ihren Entscheidungen. Denn entweder entscheiden sie so, weil ein Mäzen ihnen etwas gibt und die Richtung bestimmt. Will man das? Oder man entscheidet sich aufgrund der Frage, ob man mit etwas Geld verdient. Die Theater in Hamburg, die wenige Subventionen bekommen, obwohl sie recht groß sind, sind die Boulevardtheater. Ich mag auch Boulevard. Nur diese Theater müssen ihr Programm so machen, weil sie sonst nicht existieren könnten. Das fände ich für uns nicht schön. Einen gewissen Anteil an öffentlichen Subventionen für Kultur finde ich sehr, sehr nützlich. [Vorstellung der Zitate zur Dialektik der Kultur]5 Kommt die vorgestellte Dialektik bei Ihnen zum Tragen? Und wenn ja, wie gehen Sie mit dieser um? KU: Wir versuchen alle, das richtige Mittelmaß zu finden. Ich fände weder das eine, noch das andere wünschenswert. Es ist durchaus gut, wenn man sich nach den Interessen der Zuschauer richten muss. Aber es darf nicht das Einzige sein, wonach man sich richtet. Man sollte ihnen auch unverdauliche Häppchen anbieten und sie zum Nachdenken anregen. Das ist ja auch das, wozu Kunst und Kultur da sind: Den Leuten neue Wege im Kopf zu zeigen. Wir verkaufen keine Backsteine oder Zapfsäulen. Und das ist der Gedanke hinter der Förderung durch die Kulturbehörde: die Verknüpfung der Finanzierung der freien Szene mit dem Neuen, mit den Dingen, die es noch nicht gegeben hat. Ich verstehe das. Aber als Theatermacherin ärgert es mich manchmal, dass es für die Förderung nicht ausreicht, einfach nur gute Kunst zu machen. Hinsichtlich der Dialektik kann ich keine Entscheidung fällen, weil ich beide Seiten verstehen kann. Und das macht es schwierig. „Einer der bedeutendsten Maler. Das weltbeste Orchester. Studieren an einer der renommiertesten Hochschulen. Einer der besten Konzertsäle der Welt. Die er5

Zu den Themen Nachfrageorientierung, Eventisierung, Besuchszahlen und Sponsoring wurden je zwei gegenläufige Darstellungen aus der Literatur zitiert.



Anhang | 301

folgreichste Ausstellung des Jahres. Oder wie in der kulturmanagerialen Literatur: Der exzellente Kulturbetrieb. Die perfekte Ausstellung.“ Immer wieder ist die Rede von Exzellenz und Superlativen – was machen diese Aussagen mit dem Qualitätsverständnis der Zuschauer oder aber in Ihrem Fall auch mit einer Jury, die das Sprechwerk evaluiert? KU: Das ist Marketing. Es geht darum zu überlegen, wie man etwas am besten verpacken kann, wie man es den Leuten am schmackhaftesten machen kann. Die Jury besteht aus Mitgliedern, die hier in Hamburg bereits seit zehn oder zwanzig Jahren in der Kultur aktiv sind. Denen ist es relativ egal, ob in den Prospekten von Exzellenz geschrieben steht. Die richten sich nach anderen Gesichtspunkten. Ich glaube, dass die Jurys schon gute Entscheidung treffen. Auch wenn es nicht immer uns trifft. Dann sind andere eben besser. Auf Ihre Frage, was die Exzellenz und das Perfekte mit uns machen, auch mit uns als Zuschauer, kann ich nur sagen, dass dies ja von uns kommt: Wir wollen uns Dinge ansehen, auf denen draufsteht, es sei das Beste. Mit dem Zweitbesten geben wir uns nicht zufrieden. Und deswegen sind die Kultureinrichtungen gezwungen zu kommunizieren, dass die Veranstaltung die beste sei, die der Zuschauer je gesehen hat. Wenn alle exzellent sind, wer ist dann wirklich exzellent? KU: Jeder will exzellent sein. Das ist in allen Bereichen zu beobachten. Beispielsweise in der Schule: schauen Sie, wie viele Kinder vor 20 oder 30 Jahren Abitur machten, und wie viele es heute sind. Könnten die undichten Decken des Sprechwerks ein Differenzierungsmerkmal sein? KU: Von einem befreundeten Marketingexperten haben wir vor einigen Jahren gehört, die einzige Chance, uns hervorzuheben, ist der Versuch, uns zum Kult zu machen. Das hängt dann sehr mit den einzelnen Persönlichkeiten zusammen. Ich habe mich daraufhin bei Facebook angemeldet. Da man einem Unternehmen nur dann ein Profil geben kann, wenn man auch ein Privatprofil besitzt, habe ich mich auch als Privatperson bei Facebook angemeldet. Nun kann ich möglichst kultige Nachrichten auf meiner privaten Seite schreiben. Momentan dümpelt es ein wenig vor sich hin. Aber eine Zeit lang habe ich diese private Seite mehr gepflegt als die Unternehmensseite. Ich hatte das Gefühl, die Leute kommen in das Haus, in dem die Ullmer ist.

302 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Oder nehmen Sie das Schiff, das Sie vor unserem Eingangsbereich gesehen haben. Es gehört dem Vermieter, und wir können nichts dagegen machen. Es liegt einfach dort. Es ist kein Requisit und auch kein Teil des Bühnenbildes, aber wir nutzen es als Alleinstellungsmerkmal. Wir haben nur die Möglichkeit, unsere Unperfektheit zum Kult zu stilisieren. Und dazu gehören natürlich auch die Decken, durch die es ab und zu mal durchregnet. Trotz einzelner Personen, die das Unperfekte mögen, wollen die meisten jedoch das Ambiente. Und darum müssen wir hier raus. Unser Foyer ist zu klein. Entstand das Gespräch mit dem Marketingexperten, von dem Sie sprachen, aufgrund von strategischen Gedanken? KU: Ja, durchaus. Mit den Marketingexperten war es eine Art win-winSituation. Er wünschte sich, Schauspielerfahrung zu sammeln und bot an, uns im Marketing zu helfen, wenn wir ihm wiederum dabei helfen. Wir bauten ihn tatsächlich als Laiendarsteller in eine Inszenierung ein, und er führte mit uns ein mehrstündiges Gespräch, in dem er Fragen stellte zum Sprechwerk, und ich eben diese Aussage rausgezogen habe, wir müssten Kult werden. Denn nur so, so seine Empfehlung, könnten wir uns aus der Masse der 40 Theater in Hamburg herausheben. Letzten Endes wurden die Gespräche nie zu Ende geführt. Nehmen wir einmal an, er hätte die Marketingstrategie zu Ende gebracht – was hätten Sie erwartet, am Ende in den Händen zu halten? Stichwort: Was ist Strategie? KU: Befürchtet habe ich, irgendeine Grafik zu bekommen, die ich in der täglichen Praxis wahrscheinlich nicht anwenden könnte, weil immer irgendetwas lauter schreit. Erhofft aber habe ich mir neue Ideen. Eine neue Idee, wie wir erfolgreich sein können. Und den Gedanken, zum Kult zu werden, den ich aus den Gesprächen herausziehen konnte, war schon ziemlich gut. Wann ist für Sie ein Erfolg ein Erfolg? KU: Als ich noch Schauspielerin war, habe ich es einmal für mich definiert. Es geht ja oft um die Frage, ob man berühmt werden will. Für mich habe ich die Frage so beantwortet: Ruhm interessiert mich nicht. Ich möchte Erfolg haben. Und Erfolg bedeutet für mich, von Leuten hochgeachtet zu werden, die ich bewundere. Das galt nun für mich als Schauspielerin. Und auch für das Sprechwerk hat es teilweise noch etwas davon. Ich möchte, dass die Leute, die von der

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Materie Ahnung haben wie Intendanten oder die Theaterbranche sagen: „Ihr macht tolle Arbeit.“ Aber ich möchte natürlich auch, dass die Hütte voll ist. Und dass wir in der Zeitung stehen. Ich möchte, dass dort geschrieben steht, dass dort Beweise sind, dass wir tolle Arbeit machen. Der Kulturbürger muss seine Zeit zwischen verschiedenen Angeboten aufteilen. Sie sprachen eingangs davon, dass die Anzahl der Privattheater zugenommen hat. Hat sich die Konkurrenzsituation um die Zeit des Kulturbürgers intensiviert? KU: Konkurrenz unter den Theatern gibt es nicht. Die Hamburger Theater haben sich irgendwann zusammengeschlossen. Der Ursprung war die Theaternacht. Mittlerweile existiert sogar der Verein Hamburger Theater. Man geht sehr freundschaftlich mit einander um, weil jeder im Grunde genommen auch seine Nische gefunden hat. Also wir nehmen uns gegenseitig wenig weg. Selbst bei Ähnlichkeiten sind die Theater trotzdem etwas anders, weil sie vielleicht kleiner sind. Wir beispielsweise sind recht groß. Das bedeutet, dass wir die großen freien Tanztheatergruppen beherbergen. Das kann sonst keiner außer Kampnagel. Oder die anderen Theater sitzen in anderen Stadtteilen. Wenn uns beispielsweise ein Scheinwerfer fehlt, kann ich auch in einem anderen Theater anrufen, und nachfragen, ob mir dieser ausgeliehen wird. Die Solidarität ist größer als die Konkurrenz. Jedenfalls habe ich das immer so empfunden. Nichtsdestotrotz ist es natürlich wichtig, Aufmerksamkeit zu erzeugen, damit man zu uns kommt und eben nicht in ein großes Haus geht. Natürlich haben diese Häuser viel mehr Werbemittel. Daher wissen die Leute auch viel mehr, was an anderen Häusern läuft.

304 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

ÜBERSICHT DER UNTERSUCHTEN DEFINITIONEN Die untenstehenden Definitionen wurden auf Gemeinsamkeiten hin untersucht. Es kristallisierte sich heraus, dass sich die aufgelisteten Schwerpunkte mal ausgeprägter, mal weniger ausgeprägt als Themencluster herausbildeten. Die Auswahl der wichtigsten Cluster und Inhalte führte zu den in Kapitel 5 genannten Attributen. Der Inhalt Führung beispielsweise wurde nicht berücksichtigt, da dieser zu unternehmens- und militärspezifisch ist und ein durch ihn entstandenes Strategieverständnis das Individuum nicht ausreichend beachtet.

Cluster und Inhalt

Nennungen gesamt

Umfeld 1

Veränderung Umfeld

15

Reaktion und Aktion 2

Gegner

21

Zufall Überraschung 3

12 Im Verborgenen Friktion Zeit allgemein

4

Zeit vorbereitend

15

Zeit zukünftig Ziel Zielerreichung 5

Gesamtbild Differenzierung Vorteile

43

Anhang | 305

6

Zweck

4

7

Maßnahme

24

8

Ressource

9

9

Kreation

9

10

Führung

8

11

Plan

7

12

Regel

1

13

Perspektive

1

14

Schwerpunkt

3

Definition beziehungsweise Beschreibung6 Strategie ist eine in sich stimmige Anordnung von Ak1

Autor Michael E. Porter

tivitäten, die ein Unternehmen von seinen Konkurrenten unterscheidet.

2

Strategie ist eine grundsätzliche, langfristige Verhal-

Martin Welge /

tensweise der Unternehmung und relevanter Teilberei-

Andreas Al- Laham

che gegenüber ihrer Umwelt zur Verwirklichung langfristiger Ziele.

3

4

Strategien sind Maßnahmen zur Sicherung des lang-

Franz Xaver Bea /

fristigen Erfolgs eines Unternehmens.

Jürgen Haas

Strategy can be defined as the determination of the ba-

Alfred Chandler

sic long-term goals and objectives of an enterprise, and the adoption of courses of action and the allocation of resources necessary for carrying out these goals.

6

Die aufgelisteten Definitionen und Beschreibungen entstammen der im Literaturverzeichnis genannten Werke und sind unter anderem nach diesen wiedergegeben.

306 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

5

Strategie bedeutet ein Muster für Ziele, Zwecke, wich-

Kenneth R.

tigere Handlungsweisen oder Pläne, um diese Ziele zu

Andrews

erreichen. Sie definiert, in welchem Bereich die Firma tätig ist bzw. tätig sein sollte und wie die Firma selbst ist bzw. sein sollte. Strategie kann dabei generell verstanden werden als

Gabler Lexikon

die umfassende Ausrichtung eines Unternehmens oder 6

von Teilen desselben auf die optimale Verfolgung eines Unternehmensziels in einem bestehenden bzw. zu erwarteten Umfeld. Unter Unternehmensstrategie werden „die langfristig-

Georg Schreyögg

orientierte(n) Entscheidung(en) darüber verstanden, in welcher oder in welchen Domänen (Branchen, Märk7

te) eine Unternehmung tätig sein soll, und welche Handlungsweisen und Ressourcenverwendungen zu wählen sind, um eine vorteilhafte Wettbewerbssituation zu erreichen.“ Strategie ist die langfristige, nicht unmittelbar erkenn-

Bruce D. Henderson

bare Führung eines Systems über längere Zeiträume. Das wirklich Strategische ist das Unvorhergesehene, 8

die Überraschung. Dabei richtet sich Strategie immer gegen Wettbewerber. Strategie verkürzt die Zeit. Doch gerade diese Wechselbeziehung bestimmter Wettbewerber im Kampf um notwendige, aber knappe Ressourcen macht das Wesen der Strategie aus.

9

10

Strategy is a set of decision-making rules for guidance

Harry Igor Ansoff

of organizational behavior. The purpose of strategy is to provide directional cues

Dan Schendel /

to the organization that permit it to achieve its objecti-

Charles Hofer

ves, while responding to the opportunities and threats in its environment. A strategy is a unified, comprehensive, and integrated

11

plan relating the strategic advantages of the firm to the challenges of the environment. It is designed to ensure that the basic objectives of the enterprise are achieved.

William F. Glueck

Anhang | 307

A strategy is the pattern or plan that integrates an or-

James Brian Quinn

ganization’s major goals, policies, and action sequences into a cohesive whole. [It] helps to marshal 12

and allocate an organization’s resources into a unique and viable posture based on its relative internal competencies and shortcomings, anticipated changes in the environment, and contingent moves by intelligent opponents. Strategy is the means by which individuals or orga-

Robert M. Grant

nizations achieve their objectives. By ‚means‘ I am re13

ferring not to detailed action but to the plans, policies, and principles that guide and unify a number of specific actions.

14

Conventionally, strategy researchers assume that stra-

Gerry Johnson /

tegy is something organizations have. We take a diffe-

Ann Langley

rent perspective: strategy is something that people do. Strategie ist die Bestimmung der grundsätzlichen Vor-

Hans Ulrich

gehensweise zur Erreichung unternehmenspolitischer Ziele. Der Zielbildungsprozess und die unternehmens15

politischen Ziele sind damit keine Bestandteile der Strategie. Die Strategie ist ein Schritt in der Konkretisierung der Unternehmensziele, wobei das verfügbare Leistungspotenzial berücksichtigt werden muss. Strategie ist die Suche, der Aufbau und die Erhaltung

16

Aloys Gälweiler

hinreichend hoher und sicherer Erfolgspotenziale unter Berücksichtigung der damit verbundenen langfristigen Liquiditätswirkung. Kennzeichnend für die Strategie ist es, Gelände, plötzliche Unternehmungen und verschiedene Listen zur Täuschung des Feindes zu gebrauchen – was auch ohne eine Feldschlacht möglich ist, um das Ziel zu er-

17

langen. [...] Typisch für die Taktik ist aber, wenn das Heer in Ordnung und Abstimmung in vielfältiger Weise und sicher Kämpfe und Unternehmungen im Krieg durchführt, sich nicht nur vor den Listen der Gegnern schützt, sondern auch gegen sie solche ersinnt.

Maurikios

308 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Die Wissenschaft der kriegerischen Bewegung, außer-

Heinrich von Bülow

halb des gegenseitigen Gesichtskreises zweier mit einander kriegführender Heere, oder [...] außerhalb des Wirkungskreises des groben Geschützes, außerhalb 18

des Kanonenschusses usw. ist Strategie. Die Wissenschaft der kriegerischen Bewegungen in Gegenwart des Feindes, sodass sie von demselben gesehen werden können, oder [...] von da an, wo der Wirkungskreis des groben Geschützes aufhört, ist Taktik.

19

Strategie ist die Marschkunst, Taktik die Kamp-

Georg Heinrich von

feskunst.

Berenhorst

Strategie ist Kriegswissenschaft. Sie entwirft den Plan,

Erzherzog Karl

umfasst und bestimmt den Gang kriegerischer Unternehmungen; sie ist die eigenthümliche [!] Wissen20

schaft des oberen Feldherrn. Taktik ist Kriegskunst. Sie lehrt die Art, nach welcher strategische Entwürfe ausgeführt werden sollen, sie ist die unerlässliche Kunst eines jeden Truppenanführers.

21

Strategie als die allgemeinen Bewegungen, die außer-

Antoine Henri Ba-

halb der Sichtweise des Feindes und vor der Schlacht

ron de Jomini

ausgeführt werden, während Taktik die Wissenschaft von Manövern ist.

22

Strategie als die Kunst, die entscheidenden Stellen des

Duc de Raguse

Kriegsschauplatzes zu bestimmen sowie die allgemei-

Marmont

nen Linien und Marschwege, entlang derer sich Truppen bewegen müssen, um dorthin zu gelangen.

23

24

Die Strategie ist die Lehre von den Verbindungen, die

Louis-Edouard Graf

Lehre vom Schlagen ist die Taktik.

Bouet Willaumez

Strategie als Kunst, die massierten Truppen richtig zu

Wilhelm von

den Zielen des Feldzugs zu leiten. Der Kriegsschau-

Willisen

platz ist der Bereich der Strategie, das Schlachtfeld ist der Bereich der Taktik. Sir Edward Hamley /

25

Strategie ist die Kunst, Überlegungen anzustellen,

General J.F.

Taktik die Wissenschaft der Ausführung.

Maurice / G.F.R. Henderson

Anhang | 309

Allgemein gesprochen befasst sich Strategie also mit

General Bonnal

der Bewegung von Truppen, noch bevor diese tatsäch26

lich auf den Gegner treffen, während sich die Taktik mit der Truppenführung im Gefecht befasst, oder wenn das Gefecht unmittelbar bevorsteht. Strategie ist Krieg aus dem Blickwinken dessen, der

Walter James

ein Ziel zu erreichen hat, d.h. des Planers; und [...] Taktik ist Krieg aus dem Blickwinkel des Ausführen27

den; die Unterscheidung ist ähnlich wie zwischen Architekt und Baumeister, Dramaturg und Schauspieler. [...] Strategie ist der Gedanke, der für sich ein Mittel zur Ausführung sucht, und Taktik ist das Mittel, die Wünsche des Gedankens zur Ausführung zu bringen.

28

29

Strategie ist die Kunst, militärische Mittel zum Zweck

William McCarthy

der Politik einzusetzen.

Little

Kriegsstrategie ist jener Teil der Militärkunst, der die

Basil Henry

Prinzipien der Vorbereitung des Krieges und die

Liddell Hart

Kriegsführung und die Kampagnen in ihrer Gesamtheit bestimmt. Strategie als die allgemeinen Bewegungen, die außer-

30

Nikolai Orgakow

halb der Sichtweise des Feindes und vor der Schlacht ausgeführt werden, während Taktik die Wissenschaft von Manövern ist. Strategisches Denken, oder meinetwegen auch strategische "Theorie", ist ganz und gar pragmatisch. Strategie ist eine Untersuchung zur richtigen Vorgehensweise, ein Ratgeber, wie man etwas erreicht und effizient vorgeht. Wie in vielen anderen Bereichen der Politik geht es bei Strategie um die Frage: Wird die Idee funktionieren? Noch wichtiger ist die Frage, ob

31

zu erwarten ist, dass unter den besonderen Umständen, unter denen sie als nächstes erprobt werden wird, funktioniert. Diese Umstände wird man wahrscheinlich erst kurz vor dem Zeitpunkt des Erprobens erkennen [...] können, obgleich die Ungewissheit selbst ein Faktor ist, mit dem man bei seiner strategischen Doktrin rechnen muss. Strategische Theorie ist vor allem eine auf das Handeln ausgerichtete Theorie.

Bernard Brodie

310 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

Strategie ist die Art und Weise, wie militärische 32

John Garnett

Macht von Regierungen zur Verfolgung ihrer Interessen genutzt wird oder werden könnte. Strategie ist die Entwicklung und der Einsatz aller

33

Michael Handel

Ressourcen in Frieden und Krieg zur Unterstützung der Staatspolitik, um den Sieg zu erringen. Strategie ist die Brücke, die militärische Macht mit

Colin Gray

politischem Zweck verbindet; sie ist weder militäri34

sche Macht als solche noch politischer Zweck. Strategie ist der Gebrauch, der von Gewalt gemacht wird und die Androhung von Gewalt für politische Ziele. Die Strategie könne kaum mehr als eine solche Brücke

35

Richard Betts

sein, da jede weiterführende Verschmelzung von Politik und (militärischen) Operationen ein Rezept für zivil-militärische Spannungen ist. Strategie ist die Kunst der Dialektik der Kräfte, oder,

36

André Beaufre

genauer, die Kunst der Dialektik der Willen, die sich der Macht zur Lösung ihres Konflikts bedienen.

37

Strategie ist ein Prozess, eine andauernde Anpassung

Williamson Murray,

an sich verändernde Bedingungen und Umstände in

Mark Grimsley

einer Welt, in der Zufall, Unsicherheit und Unklarheit herrschen. Strategie im Krieg sei ein Prozess, der in Anbetracht

Hew Strachan

des Feindverhaltens kontinuierlich angepasst werden 38

müsse und es erforderlich mache, die Politik ständig neu zu überdenken und neu zu entwickeln, woran die politische Führung, militärische Führer und sonstige Experten beteiligt seien. Strategie ist Einsatz jeglicher verfügbarer Mittel, vor allem des Mittels der Streitkräfte, zu politischen Zwe-

39

cken, mit dem Ziel, dem Gegner die eigene Politik und den eigenen Willen aufzuzwingen, bzw. seinem Willen zu widerstehen

Beatrice Heuser

Anhang | 311

Diese Kriegskunst im engeren Sinn zerfällt nun wieder

Carl von Clausewitz

selbst in Taktik und Strategie. Jene beschäftigt sich mit der Gestalt des einzelnen Gefechts, diese mit seinem Gebrauch. Beide berühren die Zustände 40

von Märschen, Lagern und Quartieren nur durch das Gefecht, und diese Gegenstände werden also taktisch oder strategisch, je nachdem sie sich auf die Gestalt oder auf die Bedeutung des Gefechts beziehen. Strategie bemüht sich um eine übergreifende Idee und

John Hattendorf

spiegelt das gesamtheitliche Begreifen eines Kriegs wider. Während Strategie die konzeptuelle Dimension beinhaltet, ist sie zugleich die umfassende und tatsäch41

liche Ausrichtung nationaler Stärke, einschließlich Waffengewalt, zur Erreichung eines gewissen Maßes an Kontrolle über einen Gegner, und, mittels dieser Kontrolle, bestimmter praktischer und politischer Ziele. Taktik ist, zu wissen, was zu tun ist, wenn es etwas zu

42

tun gibt. Strategie ist, zu wissen, was zu tun ist, wenn es nichts zu tun gibt.

Savielly Tartakower

Quellenverzeichnis

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314 | Strategie und Kultur – Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor

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Kulturmanagement Patrick S. Föhl, Patrick Glogner-Pilz

Kulturmanagement als Wissenschaft Grundlagen – Entwicklungen – Perspektiven. Einführung für Studium und Praxis 2017, 174 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-1164-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-1164-3

Birgit Mandel (Hg.)

Teilhabeorientierte Kulturvermittlung Diskurse und Konzepte für eine Neuausrichtung des öffentlich geförderten Kulturlebens 2016, 288 S., kart. 27,99 € (DE), 978-3-8376-3561-4 E-Book: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3561-8

Oliver Scheytt, Simone Raskob, Gabriele Willems (Hg.)

Die Kulturimmobilie Planen – Bauen – Betreiben. Beispiele und Erfolgskonzepte 2016, 384 S., kart., zahlr. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-2981-1 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2981-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kulturmanagement Armin Klein, Yvonne Pröbstle, Thomas Schmidt-Ott (Hg.)

Kulturtourismus für alle? Neue Strategien für einen Wachstumsmarkt 2017, 352 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3528-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3528-1

Maren Ziese, Caroline Gritschke (Hg.)

Geflüchtete und Kulturelle Bildung Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld 2016, 440 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3453-2 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3453-6

Steffen Höhne, Martin Tröndle (Hg.)

Zeitschrift für Kulturmanagement: Kunst, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Jg. 3, Heft 2: Evaluation im Kulturbereich II 2017, 228 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3825-7 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3825-1

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