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German Pages 425 [426] Year 2022
Malte Wundenberg Europäisches Bankenaufsichtsrecht
Europäisches Bankenaufsichtsrecht Grundlagen des Single Rulebooks für Kreditinstitute in Europa
von
Malte Wundenberg
Mohr Siebeck
Malte Wundenberg, geboren 1979; Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg (Bucerius Law School) und New York (NYU); Studium der Betriebswirtschaftslehre in Mannheim und Hagen; 2011 Promotion; seit 2013 Lehr- und Forschungstätigkeiten an der Bucerius Law School und der LMU München; derzeit Rechtsanwalt in Frankfurt a.M.
ISBN 978-3-16-160146-0 / eISBN 978-3-16-160812-4 DOI 10.1628/978-3-16-160812-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Als Reaktion auf die globale Finanzkrise von 2007/2008 und die darauf folgende Eurokrise wurde die europäische Finanzmarktarchitektur auf eine neue Grundlage gestellt. Der europäische Gesetzgeber verfolgte dabei das Ziel, den rechtlichen Rahmen für Banken und Finanzdienstleister in einem einheitlichen Regelwerk (Single Rulebook) zu harmonisieren. Dieses ehrgeizige Projekt ist inzwischen weit vorangeschritten: Das Kernelement des Single Rulebooks bildet das im Jahre 2013 verabschiedete CRD-IV/CRR-Paket, mit dem das gesamte materielle Bankenaufsichtsrecht auf europäischer Ebene konsolidiert wurde. Es wurde durch etwa 100 Durchführungsrechtsakte sowie unzählige Verlautbarungen der europäischen Behörden (sowie inzwischen durch einzelne Gerichtsentscheidungen des EuGH) näher konkretisiert. Im Zuge der Umsetzung der Bankenunion – des „größten ordnungspolitischen Regelpaket[s] der Gegenwart“1 – wurden mit Wirkung zum 2. November 2014 zudem die wichtigsten Institute im Euroraum der unmittelbaren Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) unterstellt. Das Bankenaufsichtsrecht hat sich damit zu einem eigenständigen europäischen Rechtsgebiet entwickelt. Diese Entwicklung wurde durch das im April 2019 verabschiedete Bankenpaket (CRD V/CRR II) weiter vorangetrieben. In diesem Buch werden die Grundlagen des europäischen Bankenaufsichtsrechts systematisch dargestellt und dieses als eigenständiges Rechtsgebiet erfasst. Es soll Studenten, Praktikern und Wissenschaftlern den Zugang zu der immer komplexer werdenden Rechtsmaterie der Bankenregulierung erleichtern. Das Buch will damit zugleich einen Beitrag zur Diskussion über die Weiterentwicklung des Single Rulebooks im Finanzsektor leisten. Dieses Buch versteht sich als wissenschaftlich ausgerichtetes Lehrbuch für Studium, Wissenschaft und Praxis. Der Fokus liegt auf dem europäischen Recht. Denn weite Teile des Bankenaufsichtsrechts sind inzwischen unionsrechtlich harmonisiert und zum Teil als EU-Verordnungen unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Allerdings spielt auch das nationale Recht weiterhin eine Rolle. So müssen die Vorgaben der CRD-IV/V-Richtlinie von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Auch bestehen in den Mitgliedstaaten noch immer divergierende Rechts- und Verwaltungspraktiken. Schließlich gewährt das europäische Recht den Mitgliedstaaten sowie den nationalen Aufsichtsbehörden an verschiedenen Stellen Umsetzungsspielräume, Optionen und Wahlrechte. Es wird daher auch die Rechtslage in Deutschland sowie punktuell in weiteren ausgewählten EU-Mitgliedstaaten in den Blick genommen. 1
Grundmann, ZHR 179 (2015), 563, 566.
VI
Vorwort
Dieses Buch gliedert sich in sechs Teile. Im ersten Teil werden die Grundlagen und die wichtigsten Entwicklungen des europäischen Bankenaufsichtsrechts behandelt. Den Gegenstand des zweiten Teils bildet das europäische System der Aufsicht. Im Zentrum steht der einheitliche Aufsichtsmechanismus unter der Führung der EZB als erste Säule der Bankenunion. Im dritten Teil werden die Anforderungen an den Marktzugang und das Erlaubnisverfahren von Instituten erörtert. Gegenstand des vierten Teils sind die Anforderungen an die laufende Bankenaufsicht. Seit Basel II/III basieren die laufenden Anforderungen auf drei Säulen: Eigenmittelanforderungen, aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren, Markttransparenz. Im fünften Teil werden die Anforderungen an die Regulierung und Beaufsichtigung von Institutsgruppen erörtert. In einem sechsten Teil wird schließlich ein Resümee zum gegenwärtigen Stand des Single Rulebooks gezogen und es werden mögliche Reformansätze zur Diskussion gestellt. Einzelne Teile dieses Buches rekurrieren hierbei auf Erkenntnisse meiner im Mohr Siebeck Verlag erschienenen Dissertationsschrift („Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen“).2 Das Buch ist grundsätzlich auf dem Stand vom Juli 2021. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch die zitierten Onlinequellen letztmalig überprüft. Die vom europäischen Gesetzgeber in jüngerer Zeit verabschiedeten Reformen3 – zu nennen sind insbesondere das Bankenpaket vom April 2019 (CRD V/CRR II) nebst nationalem Umsetzungsgesetz vom November 2020 (Risikoreduzierungsgesetz), die Wertpapierrichtlinie/Wertpapierverordnung (IFD/IFR) vom November 2019 sowie die ESA-Änderungsverordnung vom Dezember 2019 – werden berücksichtigt. Soweit nicht anders vermerkt, wird das CRD/CRRRegime bzw. Kreditwesengesetz in der reformierten Fassung behandelt.4 Es konnte zudem der Kommissionsentwurf des Bankenpakets vom Oktober 2021 punktuell berücksichtigt werden, durch den u.a. die vereinbarten Basel III-Reformen in das europäische Recht umgesetzt werden sollen (CRD VI/CRR III). Seit Ausbruch der weltweiten Covid-19-Epidemie befindet sich der Bankensektor in einem Ausnahmezustand. Die nationalen und europäischen Akteure (Gesetzgeber, Aufsichtsbehörden, Standardsetzer) haben verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors zu sichern. Zugleich wird das System der Bankenregulierung, wie es durch die Post-Finanzkrise-Gesetzgebung geschaffen wurde, einer großen Belastungsprobe unterzogen. Es ist derzeit noch nicht absehbar, welche Auswirkungen die Covid-19-
Vgl. § 1 II–IV, § 2 I 1, § 15 I–II, § 16 II 2. Vgl. hierzu § 2 Rn. 51 ff. Die Anpassungen der CRR durch die CRR II sind im Wesentlichen ab dem 28.6.2021 anwendbar. Soweit nicht anders vermerkt, wird auf die ab dem 28.6.2021 geltende Fassung der CRR verwiesen. Die durch die CRD V vorgenommenen Anpassungen der CRD-IV-Richtlinie mussten überwiegend bis zum 28.12.2020 ins nationale Recht umgesetzt werden. Soweit nicht anders vermerkt, wird auf das Kreditwesengesetz in der Fassung vom Juli 2021 verwiesen. 2 3 4
Vorwort
VII
Epidemie in mittel- und langfristiger Sicht auf den europäischen Bankensektor und den regulatorischen Rechtsrahmen haben wird. Mein Dank gebührt Herrn Prof. Rüdiger Veil, an dessen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der LMU München weite Teile dieses Buches entstanden sind. Für das Lektorat und die Betreuung der Veröffentlichung beim Verlag Mohr Siebeck danke ich zudem Frau Dr. Julia Caroline Scherpe-Blessing. Frankfurt am Main, im Oktober 2021
Malte Wundenberg
Inhaltsübersicht
Vorwort . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . Abkürzungsverzeichnis Bibliografie . . . . . . .
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § § § §
1 2 3 4
Begriffe und Zielsetzung des Bankenaufsichtsrechts . Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzgebungskompetenzen und Grundfreiheiten . Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte (Single Rulebook) . . . . . . . .
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§ 5 Das europäische Finanzaufsichtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
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§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Abschnitt 1: Quantitative Anforderungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . 199
§ 8 Eigenmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 § 9 Liquidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 § 10 Großkredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Abschnitt 2: Governance-Anforderungen und Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . 251 § 11 Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens . . . . . 251 § 12 Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Abschnitt 3: Offenlegungsanforderungen und Markttransparenz . . . 289 § 13 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 § 14 Offenlegungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
X
Inhaltsübersicht
Teil 5: Gruppenaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 § 15 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 § 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Teil 6: Rückblende und Ausblick
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
§ 17 Resümee: Gegenwärtiger Stand des Single Rulebooks . . . . . . . . . . 344 § 18 Reformperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . Abkürzungsverzeichnis Bibliografie . . . . . . .
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I. Internationale Standardsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht . . . . . . . . . . . . .
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§ 1 Begriffe und Zielsetzung des Bankenaufsichtsrechts
I. Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertpapierfirmen, Versicherungen, Investmentgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bankenaufsicht und Bankenregulierung . . . . . . . . . . II. Funktionen von Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betragstransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristentransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Risikotransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründungsansätze für eine gesonderte Bankenregulierung . 1. Fragile Bilanzstruktur von Banken als Folge der Fristentransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bank Runs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systemische Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Regelungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einlegerschutz und Funktionenschutz . . . . . . . . . . . 2. Verwirklichung eines europäischen Bankenbinnenmarktes V. Aufsichts- und Regulierungsstrategien . . . . . . . . . . . . . 1. Präventive vs. protektive Ansätze . . . . . . . . . . . . . . a) Präventiv wirkende Instrumente . . . . . . . . . . . . . aa) Bankerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Laufende Bankenaufsicht . . . . . . . . . . . . . . b) Protektiv wirkende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mikro- vs. makroprudenzielle Aufsicht . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Rechtsentwicklung
XII
Inhaltsverzeichnis
a) Empfehlungen und Aufsichtsgrundsätze . . . . . . . . b) Basel II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Basel III und aktuelle Reformen . . . . . . . . . . . . . d) Konsolidiertes Rahmenwerk . . . . . . . . . . . . . . . 2. Financial Stability Board . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Phase: Rudimentäre Harmonisierung der Zulassungsanforderungen und der europäischen Aufsicht (1977–1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweite Phase: Etablierung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und Harmonisierung von Mindeststandards (1989–1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aktionsplan für Finanzdienstleistungen (1999) und Lamfalussy-Bericht (2000/2001) . . . . . . . . . . . . . . . 5. Dritte Phase: Konsolidierung des Regelungsbestandes und Umsetzung von Basel II (1999–2008) . . . . . . . . . . . . 6. Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik (2005) . . . . 7. Vierte Phase: Etablierung einer europäischen Bankenaufsicht und Neuordnung der Bankenregulierung (seit 2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der De-Larosière-Bericht (2009) und die Etablierung eines europäischen Finanzaufsichtssystems (2010) . . . b) Verabschiedung des CRD-IV/CRR-Regimes sowie Etablierung eines „Single Rulebooks“ (seit 2009) . . . c) Auf dem Weg zu einer europäischen Bankenunion (seit 2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Fünfte Phase: Konsolidierung der Post-FinanzkriseGesetzgebung und Vollendung der Bankenunion (seit 2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verabschiedung des Bankenpakets vom April 2019 (CRD V/CRR II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einführung eines eigenständigen prudenziellen Aufsichtsregimes für Wertpapierfirmen (IFD/IFR-Regime) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reform der europäischen Finanzaufsicht . . . . . . . . d) Ausblick: Umsetzung der Basel-III-Reformen vom Dezember 2017 und Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Auswirkungen der Covid-19-Epidemie . . . . . . . . . . . III. Entwicklung der Bankenaufsicht in Deutschland . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte (Single Rulebook) . . . . . . . . . . . .
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§ 3 Gesetzgebungskompetenzen und Grundfreiheiten I. Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kompetenznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Koordination für die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . 2. Verwirklichung des Binnenmarktes . . . . . . . 3. Übertragung von Kompetenzen auf die EZB . III. Instrumente der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 2. Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . .
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I. Entwicklung eines „Single Rulebooks“ . . . . . . . . . . II. Das europäische Rechtsetzungsverfahren . . . . . . . . 1. Stufe 1: Rahmenrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stufe 2: Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stufe 3: Leitlinien und Empfehlungen sowie weitere Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . . . b) Q&As und weitere Verlautbarungen der EBA . . c) Verlautbarungen der EZB . . . . . . . . . . . . . 4. Stufe 4: Kontrolle der mitgliedstaatlichen Rechtsumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bausteine des Single Rulebooks . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick über das CRD/CRR-Regime . . . . . . . 2. Rahmenrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) CRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) CRR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte (Stufe 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leitlinien und Empfehlungen; Soft Law (Stufe 3) . . IV. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbleibende Bedeutung des nationalen Rechts . . . 2. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Harmonisierungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertikale Dimension: Mindestharmonisierung vs. Vollharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mindestharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . .
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XIV
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b) Vollharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umsetzungsspielräume, Optionen und Wahlrechte . . . 2. Horizontale Dimension: Anwendungsbereich . . . . . . . . 3. Harmonisierungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Regulierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regel- vs. prinzipienbasierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung für das Single Rulebook . . . . . . . . . . . . aa) Basler Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . bb) Europäisches und nationales Recht . . . . . . . . . . 2. Proportionalitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Auslegungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methoden der Auslegung des Unionsrechts . . . . . . . . . 2. Klärung von Auslegungsfragen durch Leitlinien und Empfehlungen, Q&As und sonstige Soft-Law-Instrumente 3. Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 2: Institutioneller Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 5 Das europäische Finanzaufsichtssystem
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Makroebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mikroebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) . . . a) Binnenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung und Rechtsentwicklungen . . . . . b) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgaben und Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsetzungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . (1) Erarbeitung von Entwürfen für technische Regulierungs- und Durchführungsstandards (Stufe 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Leitlinien und Empfehlungen und sonstige Verlautbarungen (Stufe 3) . . . . . . . . . . bb) Koordinations- und Eingriffsbefugnisse . . . . (1) Verstöße gegen Unionsrecht . . . . . . . . .
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88 89 89 90 90 91 91 92
40 42 43 45 49 53 56 57
. . . . . . .
93
1
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. EZB als europäische Aufsichtsbehörde; Kompetenzfragen . 3. Regelungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich und Aufsichtszuständigkeiten . . . . . . . 1. Überblick: Der SSM als Verwaltungsverbund . . . . . . . . 2. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geografische Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sachlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufsichtskompetenzen und -befugnisse . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick: Zusammenarbeit innerhalb des SSM . . . . . . . 2. Abgrenzung von bedeutenden und weniger bedeutenden Instituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einstufungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Möglichkeit der „Herabstufung“ . . . . . . . . . . . . . . d) Selbsteintrittsrecht der EZB . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinsame Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Befugnisse im Rahmen der „direkten“ Aufsicht von bedeutenden Instituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befugnisse gegenüber bedeutenden Instituten und deren Geschäftsleitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befugnisse gegenüber den NCA . . . . . . . . . . . . . . 5. Befugnisse im Rahmen der „indirekten“ Aufsicht über weniger bedeutende Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befugnisse gegenüber den NCA . . . . . . . . . . . . . .
94 95 96 98 99 99 99 100 100 101 102 103 103
1 2 5 9 12 13 13 15 16 19 23 27 27
105 105 107 107 109 109
31 31 38 40 45 46
110
47
110 111
48 51
112 112
53 55
(2) Koordinations- und Streitentscheidungsbefugnisse . . . . cc) Aufsichtsfunktionen im Zusammenhang mit der Eigenmittelausstattung . . . . . dd) Besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung . . . . . . 3. Nationale Aufsichtsbehörden . . . . . . . . . . a) Aufsichtsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . aa) Institutioneller Ansatz . . . . . . . . . . bb) Integrierter Ansatz . . . . . . . . . . . . cc) Funktionaler Ansatz . . . . . . . . . . . b) Aufsicht in Deutschland . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
. . . . . . . .
. . . . . . . .
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. . . . . . . .
. . . . . . . .
XVI
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
Inhaltsverzeichnis
b) Befugnisse gegenüber den weniger bedeutenden Instituten sowie sonstigen Personen . . . . . . . . . . 6. Makroprudenzielle Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationsstruktur und institutionelle Rahmenvorgaben 1. Trennung von geldpolitischen Funktionen . . . . . . . . 2. Governance-Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufsichtsgremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Generaldirektion im Bereich Aufsicht . . . . . . bb) Gemeinsame Aufsichtsteams (JSTs) . . . . . . . . cc) EZB-Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Organe und Stellen . . . . . . . . . . . . . . Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrecht (Kategorie 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverbindliches nationales Recht (Kategorie 2) . . . a) Richtlinienumsetzendes Recht . . . . . . . . . . . . . b) Umsetzung von Wahlrechten . . . . . . . . . . . . . . aa) Nationale Wahlrechte . . . . . . . . . . . . . . . bb) Behördenwahlrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsnormen ohne Außenverbindlichkeit (Kategorie 3) Regelungs- und Handlungsinstrumente . . . . . . . . . . . 1. Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlüsse und Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonstige Instrumente und Soft Law . . . . . . . . . . . . a) Überblick und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompetenzrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Administrativer Überprüfungsausschuss . . . . . . . . . a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammensetzung und Status . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtlicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Taugliche Klagegegenstände . . . . . . . . . . . . bb) Persönliche Zulassungsvoraussetzungen und Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsschutz bei mehrstufigen Verfahren . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 113 114 114 114 114 116 116 117 117 118 119 119 119 121 122 122 123 123 124 124 126 126 127 127 128 129 129 130 130 131 132 133 133 134 134
58 60 61 61 63 63 68 69 72 73 76 78 80 80 87 88 91 93 95 96 100 105 107 108 108 112 115 116 117 119 121 124 127 127 132 132
. . . . .
. . . . .
135 135 136 136 138
135 137 138 140 145
XVII
Inhaltsverzeichnis
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Rn.
. . . . . . . . 139
1
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs . . . . . . . . . . . . 139
1
Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erlaubnispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick über die unionsrechtlichen Regelungsvorgaben a) Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertpapierfirmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulassungspflichtige Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreditinstitute (credit institutions) . . . . . . . . . . . . aa) CRR-Kreditinstitute (Unionsrecht) . . . . . . . . . (1) Einlagengeschäft (deposit business) . . . . . . . (2) Kreditgeschäft (credit business) . . . . . . . . . (3) Erweiterung der Begriffsdefinition durch die Wertpapierfirmen-Verordnung . . . . . . . . . bb) Weitere erlaubnispflichtige Bankgeschäfte in den Mitgliedstaaten (Kreditinstitute nach nationalem Recht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Weitere erlaubnispflichtige Bankgeschäfte in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anwendung des CRD/CRR-Regimes auf nationale Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . b) Wertpapierfirmen (investment firms) . . . . . . . . . . aa) Unionsrecht (MiFID II) . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erlaubnispflichtige Finanzdienstleistungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erlaubnispflichtige Tätigkeiten . . . . . . . . . (2) Finanzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulassungspflichten von Finanzholdinggesellschaften . d) Reformen durch das IFD/IFR-Regime . . . . . . . . . III. Erlaubnisverfahren und Erlaubnisvoraussetzungen . . . . . . 1. Voraussetzungen und Versagungsgründe . . . . . . . . . . a) Anspruch auf Erlaubniserteilung . . . . . . . . . . . . . b) Versagungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zwingende Versagungsgründe . . . . . . . . . . . . (1) Betriebsbezogene Anforderungen . . . . . . . . (2) Sonstige Anforderungen . . . . . . . . . . . . . bb) In das Ermessen der Aufsicht gestellte Versagungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erforderliche Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
140 142 142 142 145 145 146 146 146 150
1 6 6 7 15 16 18 19 20 27
. 151
29
. 151
30
. 151
30
. 154 . 154 . 155
31 33 34
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155 155 161 162 164 165 165 165 165 166 166 166
36 36 38 41 45 50 50 51 52 53 53 56
. . . . .
166 167 167 168 169
57 58 58 61 64
XVIII
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IV. Grenzüberschreitende Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formen des Marktzugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. EU-Pass: Notifizierungsverfahren und Herkunftslandkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Notifizierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zweigstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Notifizierung des Herkunftsmitgliedstaats . . . (2) Prüfung der Anzeige; Weiterleitung an den Aufnahmemitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . (3) Wartefrist, Aufnahme der Tätigkeit . . . . . . . (4) Kompetenzen der Aufnahmebehörde; Allgemeininteressen . . . . . . . . . . . . . . . (a) Allgemeininteressen . . . . . . . . . . . . . (b) Weitere bei der Aufnahmebehörde verbleibende Residualkompetenzen; Zusammenarbeit der Behörden . . . . . . . (5) Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . bb) Grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr . . cc) Rechtsfolgen im Falle der Nichtbeachtung des Anzeigeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Territorialprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Drittstaatregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Drittstaaten-Zweigstellen (Deutschland) . . . . . . . . c) Exkurs: Drittstaatenregime für Wertpapierfirmen gem. MiFID II/MiFIR . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grenzüberschreitende Wertpapierdienstleistungen bb) MiFID-Drittstaatenzweigstellen . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen (insbesondere: Freistellungen und reverse solicitation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freistellung gem. § 2 Abs. 5 KWG . . . . . . . . . . . b) Passive Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . V. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliche Regelungsvorgaben . . . . . . . . . . . . 2. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen . . . . . . b) Zivilrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn.
. 169 . 170
65 67
. . . . .
172 172 175 175 176
70 70 74 75 76
. 176 . 177
78 81
. 178 . 178
82 82
. 180 . 182 . 183
86 89 93
. . . . .
184 185 187 187 188
96 98 103 103 105
. 190 . 190 . 191
110 110 113
. . . . . . . . .
115 115 119 120 120 123 124 127 131
192 192 193 193 193 194 194 195 196
XIX
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Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung . . . . . . . . . . . . 199
1
. . . . . . . . . . . . . 199
1
§ 8 Eigenmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
1
Abschnitt 1: Quantitative Anforderungen
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsentwicklung und Bedeutung . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsziele, Regelungsstrategien, Zielkonflikte . . . II. Überblick über das Regelungssystem . . . . . . . . . . . . . III. Mindestkapitalanforderungen und Kapitalpuffer . . . . . . 1. Kapitalquoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammensetzung des regulatorischen Eigenkapitals . . a) Bilanzielles vs. regulatorisches Eigenkapital . . . . . . b) Hartes Kernkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Genehmigung durch die zuständige Behörde; EBA-Liste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Behandlung von Ergebnisabführungsverträgen . c) Zusätzliches Kernkapital . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergänzungskapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berechnung der Eigenmittel und das Konzept der Risikogewichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Risikokategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berechnung von Kreditrisiken . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz der Risikogewichtung . . . . . . . . . bb) Standardansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) IRB-Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Output Floor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kapitalpuffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitalerhaltungspuffer und antizyklischer Kapitalpuffer a) Kapitalerhaltungspuffer . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antizyklischer Kapitalpuffer . . . . . . . . . . . . . . 2. Puffer für Systemrisiken und systemrelevante Institute . a) Puffer für systemrelevante Institute . . . . . . . . . . aa) G-SRI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) A-SRI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systemrisikopuffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschüttungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . V. Verschuldungsquote (leverage ratio) . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick und Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . 2. Europäische Regelungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . a) Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. . . . . . . . . .
200 200 203 205 206 206 206 206 208 208
1 1 9 15 21 22 24 24 29 29
. . . .
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209 209 210 212
33 36 38 43
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212 212 212 214 214 216 216 217 218 221 221 221 222 222 223 223 224 225 227 227 228 228
44 44 47 53 54 59 62 66 70 75 76 77 81 81 83 84 85 91 95 95 99 99
. . . . . . . . . . . .
XX
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. . . 228 . . . 229
101 103
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104 107 111
§ 9 Liquidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
1
b) Melde- und Offenlegungspflicht . . . . . . . . . . . VI. Kapitalanforderungen nach Säule 2 . . . . . . . . . . . . . VII. Exkurs: Kapitalanforderungen im Zusammenhang mit der Abwicklung und Restrukturierung von Banken (TLAC und MREL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Liquiditätsdeckungskennziffer (LCR) . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Liquiditätspuffer (Zähler) . . . . . . . . . . . . c) Liquiditätsabflüsse (Nenner) . . . . . . . . . . 2. Strukturelle Liquiditätsquote (NSFR) . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfügbare stabile Refinanzierung (Zähler) . . c) Erforderliche stabile Refinanzierung (Nenner) d) Vereinfachte strukturelle Liquiditätsquote . . 3. Melde- und Offenlegungspflichten . . . . . . . . III. Anforderungen an das Liquiditätsrisikomanagement IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Großkredite
232 234 235 235 236 236 237 237 238 238 239 239 239 240
1 5 6 6 10 13 15 15 19 20 21 22 23 24
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
1
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Regelungsvorgaben . . . . . . 1. Begriff des Großkredits . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . b) Kunden und Kundengruppe . . . . . 2. Kreditobergrenzen . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unmittelbar geltende Ausnahmen bb) Fakultative Ausnahmen . . . . . (1) Art. 400 Abs. 2, Abs. 3 CRR (2) Art. 493 Abs. 3 CRR . . . . . 3. Organisatorische Anforderungen . . . . 4. Meldepflichten . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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241 243 244 244 244 245 245 247 247 248 248 249 249 250 250
1 5 9 9 12 16 16 20 21 23 23 27 28 30 31
XXI
Inhaltsverzeichnis
Seite
Rn.
Abschnitt 2: Governance-Anforderungen und Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens . . . . . . . . 251
1
§ 11 Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
1
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgrundlagen und Regelungskonzepte . . . . 1. Basler Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigenmittelbezogene Anforderungen . . . . . . . . 1. ICAAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. SREP und Kapitalzuschläge . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kapitalzuschläge und Säule-1-plus-Konzept IV. Governance-Anforderungen . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
251 252 252 253 254 255 255 255 255 256 257
1 5 5 8 10 11 11 13 13 16 18
§ 12 Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
1
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Traditioneller Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten der Banken-Governance . . . . . . . . 3. Governance-basierte Regulierung . . . . . . . . . . . . III. Regulatorische Rahmenvorgaben . . . . . . . . . . . . . . 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Struktur und Zusammensetzung der Leitungsorgane . a) Monistische vs. dualistische Board-Strukturen . . . b) Funktionstrennung; Bildung von Ausschüssen . . . aa) Trennung des Geschäftsführers und des Vorsitzenden des Leitungsorgans . . . . . . . . bb) Ausschussbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unabhängige Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . dd) Diversität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Persönliche und kollektive Anforderungen an die Leitungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeitliche Verfügbarkeit und Mandatsbegrenzungen b) Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen . . . . . c) Kollektive Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Qualifikation und Zuverlässigkeit von Inhabern von Schlüsselpositionen (key function holders) . . . 4. Aufgaben und Pflichten der Leitungsorgane . . . . . . 5. Überprüfung der Eignung der Leitungsorgane sowie Inhaber von Schlüsselpositionen . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensinterne Prüfung . . . . . . . . . . . .
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259 260 262 262 263 264 264 266 266 268
1 4 6 8 11 13 13 19 19 21
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268 268 270 272
21 22 27 34
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273 273 274 276
36 36 39 44
. . . 277 . . . 278
47 50
. . . 279 . . . 279
54 56
XXII
Inhaltsverzeichnis
Seite
Rn.
280 281 281 281 282 282 284 284 284 285 285 285
57 60 60 63 65 65 70 70 72 75 75 77
286 286 288
79 81 86
Abschnitt 3: Offenlegungsanforderungen und Markttransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
1
§ 13 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
1
b) Prüfung durch die zuständigen Behörden . . . . . . . . . IV. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Administrative Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zivilrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vergütungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anforderungen an die Vergütungsstrukturen . . . . . . . . a) Gebot der angemessenen Vergütungssysteme . . . . . . . b) Verhältnis zwischen fixer und variabler Vergütung . . . c) Proportionalitätsgrundsatz; besondere Anforderungen an „Risikoträger“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anpassungen durch CRD V . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Überblick: Anzeige- und Offenlegungsanforderungen II. Regelungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stärkung der Marktdisziplin . . . . . . . . . . . . . 2. Offenlegung und Informationseffizienz . . . . . .
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289 291 291 293
1 7 7 12
§ 14 Offenlegungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
1
I. Unionsrechtliche Regelungsvorgaben . . . . . . . . . . . II. Umfang der offenlegungspflichtigen Informationen . . 1. Grundsatz der Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Häufigkeit und Mittel der Offenlegung . . . . . . . 4. Zunehmende Harmonisierung der Anzeige- und Offenlegungspflichten durch Level-2-Gesetzgebung III. Einzelne Offenlegungsanforderungen (Überblick) . . . 1. Risikomanagementziele und -politik . . . . . . . . . 2. Eigenmittel und Eigenmittelanforderungen . . . . . 3. Antizyklischer Kapitalpuffer . . . . . . . . . . . . . . 4. Globale Systemrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verbriefungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vergütungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Offenlegung von Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsrisiken (ESG-Risiken) . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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294 294 294 296 296
1 3 3 7 8
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298 299 299 299 300 300 301 302 304
15 16 17 19 22 23 24 27 30
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32 33
XXIII
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Seite
Rn.
Teil 5: Gruppenaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
1
§ 15 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
1
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsentwicklung und Regelungskonzepte . . . . . . . . . 1. Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Basler Ausschuss für Bankenaufsicht . . . . . . . . . b) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mehrfachbelegung des haftenden Eigenkapitals . . . b) Gruppeninterne Ansteckungseffekte . . . . . . . . . . aa) Gesellschaftsrechtliches Trennungsprinzip . . . . bb) Ansteckungskanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Direkte Ansteckungseffekte . . . . . . . . . . (2) Indirekte Ansteckungseffekte . . . . . . . . . III. Verhältnis von Einzelinstitutsaufsicht und Gruppenaufsicht
308 308 308 308 310 311 311 312 313 314 314 316 317
1 4 4 4 7 10 10 12 14 16 17 20 24
§ 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . 319
1
I. Überblick über die unionsrechtlichen Regelungsvorgaben 1. Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konsolidierungskreis und Konsolidierungsverantwortung 1. Überblick: Aufsichtsrechtliche Gruppe . . . . . . . . . 2. Konsolidierungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mutterinstitute und Institutsgruppen . . . . . . . . aa) Konsolidierung auf Ebene des Mitgliedstaats . bb) Konsolidierung auf EWR-Ebene . . . . . . . . cc) Ergänzungen durch das nationale Recht . . . . b) Finanzholding-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konsolidierung auf Ebene des Mitgliedstaats . bb) Konsolidierung auf EWR-Ebene . . . . . . . . 3. Konsolidierungskreis und Konsolidierungsverfahren . a) Einbezogene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . b) Konsolidierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vollkonsolidierung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anteilsmäßige Konsolidierung . . . . . . . . . cc) Äquivalenzmethode . . . . . . . . . . . . . . . c) Mutter-Tochter-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . III. Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenmittelkonsolidierung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzernabschlussmethode . . . . . . . . . . . . . . b) Aggregationsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Compliance- und Risikomanagement . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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319 319 320 320 320 323 323 323 324 325 325 325 326 327 327 327 328 328 328 329 330 331 331 332 332 332
1 1 4 5 5 14 15 15 16 20 22 22 25 26 27 29 30 31 32 34 39 40 41 43 44 44
XXIV
Inhaltsverzeichnis
Seite
Rn.
. . 334 . . 334 . . 334
47 48 49
. . . .
334 335 335 335 337 338 338 339 340 341 342
49 50 50 51 56 58 58 60 62 64 65
Teil 6: Rückblende und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
1
. . 344
1
. . 344 . . 344
1 1
. . 345
5
b) Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Risikotragfähigkeit der Gruppe . . . . . . . . . . bb) Organisationsanforderungen . . . . . . . . . . . . (1) Formulierung einer Geschäfts- und Risikostrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einrichtung eines internen Kontrollsystems . (a) Anforderungen an die Ablauforganisation (b) Risikosteuerung und Risikocontrolling . . c) Reichweite der gruppenweiten Organisationspflichten 3. Durchsetzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . b) Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßnahmen der Risikosteuerung . . . . . . . . . . . IV. Waiver-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 17 Resümee: Gegenwärtiger Stand des Single Rulebooks I. Single Rulebook und Bankenunion . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick: Erreichtes und Unerreichtes . . . . . . . . . 2. Konzept des Single Rulebooks und Stand der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zunehmende Zentralisierung der Aufsicht und Rechtskontrolle im Anwendungsbereich des SSM; Rolle des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsdurchsetzung (insbesondere Rolle der EZB) . . . 3. Verhältnis der EBA und EZB; Bedeutung von Soft Law § 18 Reformperspektiven
. . . . . .
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. . . . . . . . . . .
346 346 346 347 348
7 8 8 10 11
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1
I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reformansätze des Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mix von Richtlinien- und Verordnungsrecht . . . . . . . 2. Abbau von Optionen und Wahlrechten . . . . . . . . . . 3. Harmonisierung der Erlaubnistatbestände . . . . . . . . . 4. Formalisierung des Prozesses der Gesetzeskonkretisierung auf Ebene von Stufe 3 und Stufe 4 . . . . . . . . . . . . . 5. Stärkung des Proportionalitätsprinzips . . . . . . . . . . . 6. Einheitlicher Aufsichtsmechanismus . . . . . . . . . . . . a) Kompetenzgrundlagen; Anwendungsbereich . . . . . . b) Rechtsetzungskompetenzen der EZB . . . . . . . . . .
. . . . .
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349 349 349 350 351
1 3 3 7 10
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352 353 355 356 356
13 15 21 22 24
XXV
Inhaltsverzeichnis
c) Rechtsdurchsetzungskompetenzen der EZB . . . . . . d) Rechtsschutz im einheitlichen Aufsichtsmechanismus . 7. FinTechs und Regulatory Sandboxes . . . . . . . . . . . . 8. Bankenregulierung und Nachhaltigkeit (Sustainable Finance) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Auswirkungen der Covid-19-Epidemie . . . . . . . . . . . III. Verabschiedung eines konsolidierten European Banking Act? 1. Umfang und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . 2. Granularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Harmonisierungsniveau; Verhältnis zum nationalen Recht 4. Proportionalitätsgrundsatz; Erleichterungen für kleine Institute (small banking box) . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite
Rn.
. 357 . 357 . 358
25 27 30
. . . . . .
359 361 362 362 363 363
30 39 42 43 46 48
. 364
50
Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. ABS AEUV AG
AGB AIFM-RL AL AktG AML Anh. Art. ASF A-SRI Aufl. BaFin BAKred Basel I–III Basler Ausschuss Begr. BGB BGH BGHZ BKR BR-Drucks. BRRD BT-Drucks. BVerfG BVerwG bzw. CDS CEBS CEIOPS
CESR CFO CLN Core Principles
andere Ansicht Amtsblatt Asset Backed Securities Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft / Die Aktiengesellschaft – Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen, für deutsches, europäisches und internationales Kapitalmarktrecht Allgemeine Geschäftsbedingungen Alternative Investment Fund Managers Directive (Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds) Aktualisierungslieferung Aktiengesetz Anti-Money Laundering (Geldwäschebekämpfung) Anhang Artikel Available Stable Funding (stabile Refinanzierung) Anderweitig systemrelevante Institute (other systemically important institutions) Auflage Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen Basler Eigenmittelakkord Basler Ausschuss für Bankenaufsicht Begründung/Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesrats-Drucksache Bank Recovery and Resolution Directive (Bankabwicklungs-Richtlinie) Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Credit Default Swap Committee of European Banking Supervisors (Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden) Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) Committee of European Securities Regulators (Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Wertpapierwesen) Chief Financial Officer Credit-Linked Notes Core Principles for Effective Banking Supervision
XXVIII CRD I–V CRR I/II De-Larosière-Bericht
Abkürzungsverzeichnis
Capital Requirements Directive (Eigenmittelrichtlinie) Capital Requirements Regulation (Eigenmittelverordnung) Bericht der High-Level Group on Financial Supervision in the EU vom 25.2.2009 DGSD Deposit Guarantee Scheme Directive (Richtlinie über Einlagensicherungssysteme) d. h. das heißt Durchführungs-RL Durchführungsrichtlinie EAD Exposure At Default (Ausfallkredithöhe) EBA European Banking Authority (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) EBOR European Business Organization Law Review ECB European Central Bank (Europäische Zentralbank) ECFR European Company and Financial Law Review EG Europäische Gemeinschaft Einlagensicherungs-RL Richtlinie über Einlagensicherungssysteme EinSiG Einlagensicherungsgesetz EIOPA European Insurance and Occupational Pensions Authority (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) endg. endgültig ESA European Supervisory Authorities (Europäische Finanzaufsichtsbehörden – EBA, EIOPA, ESMA) ESA-VO Verordnungen zur Errichtung der Europäischen Aufsichtsbehörden ESFS European System of Financial Supervision (Europäisches System für die Finanzaufsicht) ESG-Risiken Umwelt-, Sozial und Unternehmensführungsrisiken (environmental, social, and corporate governance risks) ESM Europäischer Stabilisierungsmechanismus ESMA European Securities and Markets Authority (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) ESRB European Systemic Risk Board (Europäischer Ausschuss für Systemrisiken) et al. et alii (und andere) etc. et cetera (und so weiter) EU Europäische Union EuG Gericht der Europäischen Union EuGH Europäischer Gerichtshof EUR Euro EUV; EU-Vertrag Vertrag über die Europäische Union EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWR Europäischer Wirtschaftsraum EZB Europäische Zentralbank f.; ff. folgende FCA Financial Conduct Authority FMA Österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde Fn Fußnote FS Festschrift FSA Financial Services Authority FSAP Financial Services Action Plan FSB Financial Stability Board FSF Financial Stability Forum
Abkürzungsverzeichnis
FSI FSMA G-10 G-20 GD gem. GG GmbH GroMiKV G-SRI Hdb. HGB HLEG HQLA Hrsg. IAS ICAAP IFD IFR IFRS ILAAP InstitutsVergV ITS i. V. m. J. Financ. Serv. Res. JIBLR JST JZ KAGB KWG LCR LGD lit. LSI MaComp MaRisk MiFID-I; MiFID II MiFIR Mio. Mrd. MREL m. w. N. NCA NJW NSFR OECD
XXIX
Financial Stability Institute Financial Services and Markets Act Staaten der Zehnergruppe Gruppe der Zwanzig General Directorate (Generaldirektion) gemäß Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Großkredit- und Millionenkreditverordnung Global systemrelevante Institute (global systemically important institutions) Handbuch Handelsgesetzbuch High-Level Expert Group on Sustainable Finance High Quality Liquid Assets (Liquiditätspuffer) Herausgeber International Accounting Standards Internal Capital Adequacy Assessment Process (bankinterner Einschätzungsprozess) Investment Firms Directive (Wertpapierfirmen-RL) Investment Firms Regulation (Wertpapierfirmen-VO) International Financial Reporting Standards Internal Liquidity Adequacy Assessment Process Institutsvergütungsverordnung Implementing Technical Standards (Technische Durchführungsstandards) in Verbindung mit Journal of Financial Services Research Journal of International Banking Law and Regulation Joint Supervisory Teams (Gemeinsame Aufsichtsteams) Juristenzeitung Kapitalanlagegesetzbuch Gesetz über das Kreditwesen Liquidity Coverage Ratio (Liquiditätsdeckungskennziffer) Loss Given Default (Verlustquote bei Ausfall) Litera (Buchstabe) Less Significant Institution (weniger bedeutendes Institut) Mindestanforderungen an Compliance Mindestanforderungen an das Risikomanagement Markets in Financial Instruments Directive (Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente) Markets in Financial Instruments Regulation (Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente) Millionen Milliarden Minimum Requirements for Eligible Liabilities (Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten) mit weiteren Nachweisen National Competent Authority (zuständige nationale Aufsichtsbehörde) Neue Juristische Wochenschrift Net Stable Funding Ratio (strukturelle Liquiditätsquote) Organisation for Economic Co-operation and Development
XXX OGAW
Abkürzungsverzeichnis
Richtlinie betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren ORDO Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft PD Probability of Default (Ausfallwahrscheinlichkeit) PRA Prudential Regulation Authority Q&A Question and Answers (Fragen und Antworten) RDG Rechtsdienstleistungsgesetz RechKredV Kreditinstituts-Rechnungslegungsverordnung RegBegr. Regierungsbegründung RL Richtlinie Rn Randnummer RSF Required Stable Funding (stabile Refinanzierung) RTS Regulatory Technical Standards (Technische Regulierungsstandards) RWA Risk-Weighted Asset S. Seite/Satz SAG Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen sog. sogenannte SI Significant Institution (bedeutendes Institut) Solvabilitäts-RL Richtlinie betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit SPV Special Purpose Vehicle (Zweckgesellschaft) SREP Supervisory Review and Evaluation Process (aufsichtsrechtlicher Überprüfungs- und Bewertungsprozess) SRF Single Resolution Fund (einheitlicher Abwicklungsfonds) SRM Single Resolution Mechanism (einheitlicher Abwicklungsmechanismus) SRM-VO Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus SRP Supervisory Review Process (aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren) SSM Single Supervisory Mechanism (einheitlicher Aufsichtsmechanismus) SSM-RVO SSM-Rahmenverordnung SSM-VO SSM-Verordnung zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank StGB Strafgesetzbuch SZW Schweizerische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht TLAC Total Loss Absorbing Capacity (Gesamtverlustabsorptionskapazität) u. a. unter anderem Unterabs. Unterabsatz VO Verordnung VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WACC Weighted Average Cost of Capital Wertpapierfirmen-RL Richtlinie über Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen Wertpapierfirmen-VO Verordnung über Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen WM Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WpHG Wertpapierhandelsgesetz WpIG Wertpapierinstitutsgesetz ZAG Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
Abkürzungsverzeichnis
ZGR z. T. ZHR
XXXI
Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht zum Teil Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
Bibliografie Annuß, Georg/Früh, Andreas/Hasse, Andreas, Institutsvergütungsverordnung, 2016. Armour, John et al., Principles of Financial Regulation, 2016. Assmann, Heinz-Dieter/Schneider, Uwe H./Mülbert, Peter O. (Hrsg.), Wertpapierhandelsrecht, Kommentar, 7. Aufl. 2019. Binder, Jens-Hinrich/Glos, Alexander/Riepe, Jan (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020. Beck, Heinz (Begr.)/Samm, Carl-Theodor/Kokemoor, Axel (Hrsg.), Kreditwesengesetz mit CRR – Kommentar, Loseblatt (216. Aktualisierung, 2020). Berger, Allen N./Molyneux, Phillip/Wilson, John O. S. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Banking, 2. Aufl. 2015. Boos, Karl-Heinz/Fischer, Reinfrid/Schulte-Mattler, Hermann (Hrsg.), Kommentar zu Kreditwesengesetz, VO (EU) Nr. 575/2013 (CRR) und Ausführungsvorschriften, 5. Aufl. 2016 (Band 1 und 2). Brummer, Chris, Soft Law and the Global Financial System: Rule Making in the 21st Century, 2. Aufl. 2015. Buscher, Arne Martin et al. (Hrsg.), Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten, 2. Aufl. 2018. Calliess, Christian/Ruffert, Matthias (Hrsg.), EUV/AEUV, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta – Kommentar, 5. Aufl. 2016. Chiti, Mario Pilade/Santoro, Vittorio (Hrsg.), The Palgrave Handbook of European Banking Union Law, 2019. Derleder, Peter/Knops, Kai-Oliver/Bamberger, Heinz-Georg (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 3. Aufl. 2017 (Band 1 und 2). Gleeson, Simon, Gleeson on the International Regulation of Banking, 3. Aufl. 2018. Grieser, Simon G./Heemann, Manfred (Hrsg.), Europäisches Bankaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020. Hachmeister, Dirk/Kahle, Holger/Mock, Sebastian/Schüppen, Matthias, Bilanzrecht: Handelsbilanz – Steuerbilanz – Prüfung – Offenlegung – Gesellschaftsrecht. Kommentar, 2. Aufl. 2020. Hartmann-Wendels, Thomas/Pfingsten, Andreas/Weber, Martin, Bankbetriebslehre, 7. Aufl. 2019. Hopt, Klaus J./Binder, Jens-Hinrich/Böcking, Hans-Joachim, Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020. Kern, Alexander, Principles of Banking Regulation, 2019. Lackhoff, Klaus, Single Supervisory Mechanism, 2017. Lutter, Marcus/Krieger, Gerd/Verse, Dirk (Hrsg.), Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020. Luz, Günther et al. (Hrsg.), KWG und CRR: Kommentar zu KWG, CRR, SolvV, WuSolv, GroMiKV, LiqV und weiteren aufsichtsrechtlichen Vorschriften, 3. Aufl. 2015. Moloney, Niamh, EU Securities and Financial Markets Regulation, 3. Aufl. 2014. Ohler, Christoph, Bankenaufsicht und Geldpolitik in der Währungsunion, 2015. Schimansky, Herbert/Bunte, Hermann-Josef/Lwowski, Hans-Jürgen (Hrsg.), BankrechtsHandbuch, 5. Aufl. 2017 (Band 1 und 2).
XXXIV
Bibliografie
Schwarze, Jürgen et al. (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019. Schwennicke, Andreas/Auerbach, Dirk (Hrsg.), Kreditwesengesetz (KWG) mit Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) und Finanzkonglomerate-Aufsichtsgesetz (FKAG), 4. Aufl. 2021. Staub, Hermann (Begr.), Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Band 10: Bankvertragsrecht Teil 1, 5. Aufl. 2015. Stelkens, Paul/Bonk, Heinz Joachim/Sachs, Michael, Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) – Kommentar, 9. Aufl. 2018. Theissen, Roel, EU Banking Supervision, 2013. Veil, Rüdiger (Hrsg.), European Capital Markets Law, 2. Aufl. 2017. Ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022. Vgl. zudem die in den einzelnen Kapiteln ausgewiesenen Literaturnachweise. Die in diesem Buch referenzierten Leitfäden, Berichte und sonstigen Papiere der EBA, EZB sowie des Basler Ausschusses sind, soweit nicht anders angegeben, abrufbar auf den jeweiligen Internetpräsenzen der EBA (https://www.eba.europa.eu), EZB (https://www. bankingsupervision.europa.eu/home/html/index.en.html) bzw. des Basler Ausschusses (https://www.bis.org/bcbs).
Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken § 1 Begriffe und Zielsetzung des Bankenaufsichtsrechts Literatur: Allen, Douglas/Gale, Franklin, Understanding Financial Crises, 2007; Bieg, Hartmut, Bankbilanzen und Bankenaufsicht, 1996; Binder, Jens-Hinrich, Bankeninsolvenzen im Spannungsfeld zwischen Bankaufsichts- und Insolvenzrecht, 2005; Bisias, Dimitrios et al., A Survey of Systemic Risk Analytics, Office of Financial Research Working Paper, 2012 (abrufbar unter: https://www.treasury.gov/initiatives/wsr/ofr/Documents/OFRwp0001 _BisiasFloodLoValavanis_ASurveyOfSystemicRiskAnalytics.pdf); Brüggemeier, Alexander, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018; Diamond, Douglas/Dybvig, Philip, Bank Runs, Deposit Insurance, and Liquidity, 91 Journal of Political Economy (1983), 401–419; Felsenfeld, Carl/Glass, David, Banking Regulation in the United States, 3. Aufl. 2011; Fest, Alexander, Ansätze und Effizienz der Regulierung von Banken, 2008; Freixas, Xavier/Rochet, Jean-Charles, Microeconomics of Banking, 2008; Hartmann-Wendels, Thomas et al., Arbeitsweise der Bankenaufsicht vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise, 2010; Hellwig, Martin, Systemische Risiken im Finanzsektor, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Beiheft 7, 1998, S. 123–151; Kaufhold, Ann-Katrin, Systemaufsicht, 2016; Kenç, Turalay, Macroprudential regulation: history, theory and policy, BIS Papier No 86, 2016 (abrufbar unter: https://www.bis.org/publ/bppdf/bispap86c.pdf); Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Aufl. 2002; Kohtamäki, Natalia, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012; Möschel, Wernhard, Das Wirtschaftsrecht der Banken, 1972; ders., Bankenrecht im Wandel, 2010; Roberts, Keith, The Origins of Business, Money, and Markets, 2011; Rochet, Jean-Charles, Why Are There So Many Banking Crises?, 2008.1
I. Begriffe Das Bankenaufsichtsrecht hat sich in Europa zu einem eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt.2 Eine einheitliche Begriffsdefinition existiert bis dato allerdings noch nicht.
Vgl. zudem die Literaturnachweise in der Bibliografie, die in den Literaturangaben der 1 Einzelkapitel nicht erneut aufgeführt werden (gilt für alle Abschnitte). Vgl. die Entwicklungsübersicht in § 2. 2
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
1. Banken 2
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Inhaltlich bezieht sich dieses Rechtsgebiet auf bestimmte Marktteilnehmer bzw. Intermediäre, nämlich Banken. Der Begriff „Bank“ geht auf das italienische Wort banco bzw. banca (Tisch) zurück.3 Gemeint ist der Tisch des Geldwechslers, der Einlagen entgegennimmt, um diese anderen Personen in Form von Krediten auszureichen.4 Diese beiden Tätigkeiten – Entgegennahme von Einlagen vom Publikum sowie Ausgabe von Krediten an Kreditnehmer – können bis heute als Kernfunktionen von Banken angesehen werden. Historisch lassen sich diese Bankentätigkeiten bis in die Antike zurückverfolgen.5 Auch die europäischen Definitionsvorschriften knüpfen an das Betreiben des Einlagen- und Kreditgeschäfts an. Der Zentralbegriff des europäischen Bankenaufsichtsrechts ist das „Kreditinstitut“. Dieses wird als Unternehmen definiert, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren.6 Vergleichbare Definitionen finden sich auch in anderen Rechtsordnungen, etwa den USA.7 Im nationalen Recht der Mitgliedstaaten, etwa in Deutschland, sind allerdings zum Teil weitergehende Definitionen des Kreditinstituts anzutreffen.8 2. Wertpapierfirmen, Versicherungen, Investmentgesellschaften
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Neben Banken hat sich auf den Finanzmärkten eine Vielzahl weiterer Finanzunternehmen etabliert, die bankähnliche Funktionen anbieten. In diesem Zusammenhang sind zunächst Wertpapierfirmen (investment firms) zu nennen. Wertpapierfirmen werden vom europäischen Gesetzgeber als natürliche oder juristische Personen definiert, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringen und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausüben.9 Bei den Wertpapierdienstleistungen handelt es sich um Tätigkeiten, die typischerweise dem Bereich „Investmentbanking“ zugerechnet werden, wie beispielsweise die Anlageberatung, die Finanzportfolioverwaltung oder die Vermittlung von Finanzinstrumenten.10 Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 2002, S. 89. Vgl. Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 275. Zur historischen Entwicklung ausführlich Roberts, The Origins of Business, Money, and Markets, 2011. Siehe ferner Alexander, Principles of Banking Regulation, 2019, Rn. 1.2 ff. Art. 4(1) Nr. 1 CRR. Ausführlich zu dieser Begriffsdefinition § 7 Rn. 18 ff. 6 Vgl. § 2(c) Bank Holding Company Act 1956 („An institution […] which both – (i) ac7 cepts demand deposits or deposits that the depositor may withdraw by check or similar means for payment to third parties or others; and (ii) is engaged in the business of making commercial loans“). Siehe hierzu Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 293; Felsenfels/ Glass, Banking Regulation in the United States, 3. Aufl. 2011, S. 2. Dazu ausführlich § 7 Rn. 30 ff. 8 Art. 4(1) Nr. 1 MiFID II. 9 10 Vgl. hierzu § 7 Rn. 36 ff. 3 4 5
§ 1 Begriffe und Zielsetzung des Bankenaufsichtsrechts
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Vor allem in Kontinentaleuropa werden Wertpapierdienstleistungen typischerweise von Universalbanken erbracht, weshalb Wertpapierfirmen oft auch als Kreditinstitute qualifizieren.11 Zwingend ist dies aber nicht. Insbesondere im angloamerikanischen Rechtsraum sind traditionell Finanzdienstleister (brokerdealer) tätig, die keine klassischen Bankgeschäfte (Einlagen- und Kreditgeschäft) erbringen. Die Unterscheidung zwischen Kreditinstituten und Wertpapierfirmen ist deshalb von Bedeutung, da für diese Unternehmen zum Teil unterschiedliche Rechtsregime gelten. Während das CRD/CRR-Regime12 ursprünglich13 im Grundsatz sowohl für Kreditinstitute als auch Wertpapierfirmen Anwendung fand, sind bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen die Anforderungen der MiFID II/MiFIR zu erfüllen.14 Demgegenüber unterstehen lediglich Kreditinstitute einer europäischen Aufsicht durch die EZB im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus.15 Mit Wirkung zum 26. Juni 2021 wurden auch bestimmte Unternehmen der Aufsicht der EZB unterstellt, die bislang als Wertpapierfirmen eingestuft wurden.16 Zudem wurde im Zuge der Verabschiedung des IFD/IFR-Pakets ein eigenständiges – in diesem Buch nicht näher behandeltes – prudenzielles Aufsichtsregime für bestimmte Wertpapierfirmen geschaffen (vgl. § 7 Rn. 45 ff.). Bankähnliche Tätigkeiten werden auch von Versicherungsunternehmen sowie Investmentgesellschaften erbracht. Für diese Marktteilnehmer wurden vom europäischen Gesetzgeber allerdings eigenständige Regime erlassen. So sind von europäischen Versicherungsunternehmen die Anforderungen der neugefassten Solvabilitätsrichtlinie17 zu beachten; die Regulierung von Investmentgesellschaften erfolgt durch die OGAW-Richtlinie18 bzw. die AIFM-RichtZu den Begriffsdefinitionen im Einzelnen § 7 Rn. 18 ff. Bestehend aus der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (CRD IV) sowie der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012 (CRR). Vgl. hierzu sowie zu den Anpassungen durch die CRD V/ CRR II noch unten (§ 4 Rn. 23 ff.). 13 Zu den Reformen durch die Wertpapierfirmen-VO bzw. Wertpapierfirmen-RL vgl. § 7 Rn. 45 ff. 14 Siehe hierzu § 2 Rn. 46. 15 Vgl. unten § 6. 16 Vgl. § 6 Rn. 20. 17 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvency II). 18 Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (OGAW V). 11 12
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linie19 nebst den jeweiligen Durchführungsverordnungen. Vom europäischen Gesetzgeber wurde insoweit ein sektoraler Ansatz gewählt. Dieser Regelungszugriff ist historisch bedingt.20 3. Bankenaufsicht und Bankenregulierung 7 8
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Typischerweise wird zwischen der „Bankenregulierung“ (banking regulation) und der „Bankenaufsicht“ (banking supervision) unterschieden.21 Nach traditionellem Verständnis bezeichnet die Bankenregulierung die materiell-rechtlichen Vorschriften und Standards, die von Banken beachtet werden müssen. Es geht hierbei daher um die Ebene der Rechtsetzung (rule-making). Die Hauptverantwortung für die Bankenregulierung im vorgenannten Sinne liegt bei den europäischen und nationalen Gesetzgebern. Allerdings kommt auch den internationalen Standardsetzern, insbesondere dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (im Folgenden: „Basler Ausschuss“) sowie den europäischen Aufsichtsbehörden, eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Bankenregulierung zu.22 Die Bankenaufsicht bezeichnet demgegenüber die institutionelle Überwachung und Durchsetzung der materiellen Vorschriften durch die Aufsichtsbehörden. Diese umfasst somit die Ebene der Rechtsdurchsetzung.23 Die Hauptverantwortung für die Bankenaufsicht liegt – abhängig von Art und Sitz des Instituts – bei den nationalen bzw. europäischen Aufsichtsbehörden.24 Bankenregulierung und Bankenaufsicht weisen Überschneidungen auf. Diese resultieren daraus, dass auch die Aufsichtsbehörden im Prozess der Normsetzung involviert sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die einschlägigen Rechtsnormen unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten oder den Behörden Ermessensspielräume gewähren. In diesen Fällen obliegt es den Behörden, diese Rechtsbegriffe – etwa durch Veröffentlichungen von Leitlinien und Verlautbarungen – mit „Leben zu füllen“. Die europäischen Aufsichtsbehörden sind zu-
19 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010. 20 Vgl. Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 133 und passim („patchwork of uneven regulation“). 21 In diesem Sinne etwa der Bericht der High-Level Group on Financial Supervision in the EU, 25.2.2009 (De-Larosière-Bericht), Rn. 38 (abrufbar unter: https://ec.europa.eu/economy_ finance/publications/pages/publication14527_en.pdf); House of Lords, Future of EU financial regulation and supervision, Rn. 21 („supervision has to do with monitoring and enforcement, and regulation with rule-making“). 22 Vgl. § 2 Rn. 2 ff. 23 Zum Teil wird begrifflich zwischen einer Aufsicht (supervision) und der Rechtsdurchsetzung (enforcement) getrennt, vgl. Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 595. 24 Vgl. § 6 und § 7.
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dem institutionell in das Rechtsetzungsverfahren eingebunden (vgl. hierzu im Einzelnen § 4 Rn. 5 ff.). Die Bankenregulierung und die Bankenaufsicht sind darüber hinaus funktional miteinander verbunden. Denn das Aufstellen von Regeln ist wirkungslos, wenn deren Einhaltung nicht von den Behörden überwacht wird. Im Gegenzug setzt eine wirkungsvolle Aufsicht voraus, dass Klarheit über die vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsziele besteht.25 Wegen dieser „symbiotischen Beziehung“ von Regulierung und Aufsicht (sowie aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung) werden beide Aspekte hier einheitlich unter dem Begriff der „Bankenaufsicht“ bzw. des „Bankenaufsichtsrechts“ zusammengefasst.
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II. Funktionen von Banken2626 Banken nehmen in der Volkswirtschaft eine zentrale Stellung ein. Es lassen sich im konkretisierenden Zugriff drei Kernfunktionen unterscheiden: die Betragstransformation, die Fristentransformation sowie die Risikotransformation.27
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1. Betragstransformation
Eine erste Funktion von Banken besteht darin, für einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Finanzierungsbedürfnissen der Marktteilnehmer (etwa Privatpersonen und Unternehmen) zu sorgen. Dies wird mit dem Begriff der Betragstransformation umschrieben.28 Banken refinanzieren sich idealtypisch durch Einlagen. Die Geldbeträge, die Privatpersonen den Banken im Rahmen von Spareinlagen zur Verfügung stellen, sind allerdings – verglichen mit dem Finanzierungsbedarf von Unternehmen – verhältnismäßig gering. Banken nehmen eine Mittlerstellung zwischen den unterschiedlichen Finanzierungsbedürfnissen der Kapitalnehmer und Kapitalgeber ein, indem sie die Liquidität von einer Vielzahl von Kapitalgebern (Einlegern) bündeln, um diese als Kredite an die Kapitalnehmer auszureichen.
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2. Fristentransformation
Banken sorgen zweitens für einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Fristen- bzw. Laufzeitinteressen zwischen den Kapitalgebern (Einlegern) und Ka25 Theissen, EU Banking Supervision, 2013, xiii: „A requirement without an effective method to ensure application has no impact; supervision without an underlying clear requirement to uphold is meaningless“. 26 Die Abschnitte § 1 II–IV basieren in Teilen auf Ausführungen bei Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 28–34 (einzelne Passagen sind wörtlich oder sinngemäß übernommen). 27 Aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum etwa Hartmann-Wendels et al., Bankbetriebslehre, 7. Aufl. 2019, S. 6 ff.; Freixas/Rochet, Microeconomics of Banking, 2008, S. 4. 28 Auch als Losgrößenfunktion (lot size transformation) bezeichnet.
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pitalnehmern (Kreditnehmern). Beispielsweise kann ein Wirtschaftsunternehmen einen langfristigen Finanzierungsbedarf haben, um ein bestimmtes Investitionsprojekt zu realisieren. Der einzelne Einleger wird dagegen oft nur bereit sein, kurzfristig abziehbare Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Banken nehmen hier eine für die Volkswirtschaft wichtige Intermediärsfunktion ein, indem diese im Aktivgeschäft typischerweise langfristige Kredite vergeben, sich auf der Passivseite jedoch durch kurzfristige Einlagen der Bankenkunden refinanzieren. Diese Funktion wird als Fristentransformation bezeichnet.29 3. Risikotransformation 15
Eine dritte wichtige Funktion von Banken besteht in der sog. Risikotransformation. Die Vergabe von Krediten ist wie jede andere Form der Kapitalüberlassung mit Risiken verbunden. Der einzelne Einleger wird typischerweise eine Präferenz haben, die Vermögenswerte mit einem verhältnismäßig geringen Risiko anzulegen. Da Banken die eingesammelten Vermögenswerte in verschiedene Anlageklassen und Kredite investieren, können diese das Risiko besser diversifizieren als ein Privatanleger. Hierdurch wird ein Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Risikopräferenzen zwischen den Marktteilnehmern (Kapitalgebern und Kapitalnehmern) ermöglicht.
III. Begründungsansätze für eine gesonderte Bankenregulierung 16
Die Gründe für eine gesonderte Bankenregulierung leiten sich aus den oben beschriebenen Eigenschaften und Funktionen von Banken ab.30 1. Fragile Bilanzstruktur von Banken als Folge der Fristentransformation
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Das Bankengeschäft ist, wie erläutert, dadurch gekennzeichnet, dass Institute Fristentransformation betreiben. Die Fristentransformation ist für Banken aber auch mit erheblichen Risiken verbunden.31 Denn um ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern, ist die Bank darauf angewiesen, die langfristig gebundenen Aktiva auf der Passivseite durch eine fortlaufende Anschlussfinanzierung sicherzustellen. Gelingt dies dem Institut nicht, etwa weil Einleger ihre Vermögenswerte abziehen, so droht die Zahlungsunfähigkeit und damit die Insolvenz der
29 Hellwig, Systemische Risiken im Finanzsektor, 1998, S. 123, 134 ff. Im Zusammenhang mit der Fristentransformation steht die sog. Liquiditätsfunktion, d. h. der Ausgleich zwischen den verschiedenen Liquiditätsinteressen der Marktteilnehmer. 30 Die traditionellen Regulierungsargumente zusammenfassend und kritisch bewertend Binder, Bankeninsolvenzen im Spannungsfeld zwischen Bankenaufsicht und Insolvenzrecht, 2015, S. 101 ff.; Fest, Regulierung von Banken, 2008, S. 39 ff. und passim; Möschel, Wirtschaftsrecht der Banken, 1972, S. 245 ff. 31 Ausführlich Bieg, Bankbilanzen und Bankenaufsicht, 1996, S. 8 ff.
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Bank.32 Diese „eigentümliche Fragilität“33 der Bilanzstruktur wird als Ursache der besonderen Insolvenzanfälligkeit von Banken angesehen.34 Das gegenüber Industrieunternehmen erhöhte Insolvenzrisiko stellt einen Rechtfertigungsansatz für einen besonderen Gläubigerschutz dar. Rechtstatsächliches Anschauungsmaterial für die mit der Fristentransformation verbundenen Risiken liefert die globale Finanzkrise von 2007 bis 2008: Die im Sommer 2007 eingetretenen Turbulenzen auf den globalen Finanzmärkten waren u. a. darauf zurückzuführen, dass Banken langfristige US-amerikanische Hypothekenforderungen über Zweckgesellschaften in sehr kurzfristige Wertpapiere (Asset-Backed Commercial Papers) transformiert hatten.35 Nach dem Austrocknen des Interbanken-Kreditmarktes als Folge der Insolvenz von Lehman Brothers wurde die Fristentransformation u. a. der deutschen Depfa-Bank zum Verhängnis.
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Zur Begrenzung der Risiken aus der Fristentransformation sieht das europäische Bankenaufsichtsrecht u. a. Mindestanforderungen an die Eigenmittel- und Liquiditätsausstattung der Institute vor (vgl. § 8 und § 9).
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2. Bank Runs
Ein zweites, auf der fragilen Bilanz- und Kapitalstruktur von Banken aufbauendes Argument für eine Bankenregulierung ist die Gefahr von „Bank Runs“.36 Hiermit wird das Phänomen beschrieben, dass Bankengläubiger aufgrund eines Vertrauensverlustes massenhaft Einlagen abziehen und der Bank damit schlagartig ihre Liquidität entziehen. Ein solcher „Run“ wird vor allem auf Informationsungleichgewichte zwischen der Geschäftsführung bzw. den Anteilseignern der Bank einerseits und den Bankengläubigern andererseits zurückgeführt:37 Erlangen Gläubiger Anhaltspunkte dafür, dass eine Bank sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, so haben diese einen Anreiz, ihre Einlagen abzuziehen, bevor andere Gläubiger ihnen zuvorkommen. Der Grund hierfür liegt darin, dass Einlagen nur bis zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ausgezahlt 32 Gefahren für die Liquidität eines Instituts bestehen nicht nur bei einem Abzug der Einlagen der Privateinleger, sondern auch dann, wenn institutionelle Anleger Liquidität abziehen oder diese der Bank nicht mehr gewähren. Dies hat sich beispielsweise beim Zusammenbruch der englischen Northern Rock Bank gezeigt. 33 Hellwig, Systemische Risiken im Finanzsektor, 1998, S. 123, 128. 34 Vgl. Fest, Regulierung von Banken, 2008, S. 59 m. w. N. Anschaulich ebenfalls Rochet, Why Are There So Many Banking Crises, 2008, S. 23 (intrinsically fragile). 35 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, S. 89. 36 Siehe hierzu aus dem juristischen Schrifttum Binder, Bankeninsolvenzen im Spannungsfeld zwischen Bankenaufsicht und Insolvenzrecht, 2005, S. 104 ff.; aus ökonomischer Perspektive die Erklärungsmodelle zusammenfassend Fest, Regulierung von Banken, 2008, S. 81 ff. Für eine formale Darstellung des Phänomens Allen/Gale, Understanding Financial Crises, 2009, S. 126 ff. 37 Hartmann-Wendels et al., Arbeitsweise der Bankenaufsicht vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise, 2010, S. 6 f.
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werden können. Da keiner der Gläubiger die wirtschaftliche Situation der Bank zuverlässig einschätzen kann, ist es aus Sicht jedes einzelnen Gläubigers rational, seine Einlage unter verhältnismäßig geringen Opportunitätskosten schnellstmöglich aufzulösen.38 Die Folge eines solchen Gläubigerverhaltens ist ein abrupter Liquiditätsverlust der Bank, der auch dann eintritt, wenn die den „Bank Run“ hervorgerufenen Gerüchte sich im Nachhinein als unzutreffend herausstellen.39 21
Wie anfällig Institute für einen solchen „Bank Run“ sein können, hat etwa der Beinahe-Zusammenbruch des britischen Baufinanzierers Northern Rock gezeigt.40 Obwohl die Bank nur geringfügig in Subprime-Kredite investiert hatte, zogen Kunden Mitte September 2007 massenweise Spareinlagen in Höhe von über EUR 4 Mrd. ab, nachdem Gerüchte über Refinanzierungsschwierigkeiten der Bank aufgekommen waren.41 Auch eine Garantie-Erklärung der britischen Regierung konnte den Abzug der Liquidität nicht vollständig stoppen.42
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Regulatorische Instrumente zur Verhinderung derartiger „Bank Runs“ sind neben den bereits angesprochenen Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften insbesondere Einlagensicherungssysteme, die Einlagen im Insolvenzfall bis zu einer bestimmten Höhe staatlich (oder durch eine privatrechtliche Sicherheitseinrichtung) garantieren. Zudem fungieren im Krisenfall typischerweise Zentralbanken – in Europa die Europäische Zentralbank – als „lender of last resort“, um durch Stützmaßnahmen den Zusammenbruch von in Schieflage geratenen Banken zu verhindern. 3. Systemische Risiken
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Als drittes und gleichzeitig wichtigstes Argument zur Rechtfertigung einer Bankenregulierung werden systemische Risiken im Finanzsektor genannt. All38 Aus ökonomischer Sicht befinden sich die Einleger und Gläubiger in einem GefangenenDilemma: Für alle Beteiligten wäre es profitabel, zu kooperieren und der Bank die Vermögenswerte zu belassen. Da Einlagen aber nur bis zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ausgezahlt werden, ist es für den einzelnen Anleger aus individueller Sicht rational, schnellstmöglich seine Einlagen abzuziehen. 39 Ob es zu rein „spekulativen“ Bank Runs (sog. Sunspot-Runs) kommen kann, ist in der Literatur umstritten. Grundlegend hierzu Diamond/Dybvig, 91 Journal of Political Economy (1983), 401 ff. 40 Zum Sachverhalt vgl. Hartmann-Wendels et al., Arbeitsweise der Bankenaufsicht vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise, 2010, S. 9 f. Siehe auch den ausführlichen Bericht der FSA, The supervision of Northern Rock: a lesson learnt review, März 2008 (abrufbar unter: https://www.fca.org.uk/publication/corporate/fsa-nr-report.pdf). 41 Hartmann-Wendels et al., Arbeitsweise der Bankenaufsicht vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise, 2010, S. 9. 42 Dass diese Argumentation nicht nur auf Privateinleger zutrifft, sondern auch auf institutionelle Liquiditätsgeber übertragen werden kann, zeigt die Krise der deutschen IKB Bank. Auch hier hatte der (Beinahe-)Zusammenbruch der Bank in letzter Konsequenz seine Ursache in dem durch einen Vertrauensverlust hervorgerufenen Liquiditätsentzug der Marktteilnehmer.
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gemein gesprochen handelt es sich hierbei um das Risiko, dass die Bestandsgefährdung eines systemrelevanten Instituts aufgrund seiner Größe, der Intensität der Interbankenverbindungen und ihrer sonstigen Verflechtungen erhebliche negative Folgeeffekte bei anderen Instituten oder sonstigen Unternehmen auslösen und eine Instabilität des Finanzsystems nach sich ziehen kann.43 Als Übertragungsmechanismen werden in der Literatur direkte und indirekte Ansteckungseffekte unterschieden. Direkte Ansteckungseffekte resultieren in erster Linie aus rechtsgeschäftlichen Verbindungen, insbesondere Kreditverflechtungen.44 Klassisches Beispiel hierfür ist der durch die Insolvenz eines Instituts hervorgerufene Abschreibungsbedarf von Interbankenforderungen, der auch andere Institute in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen kann. Indirekte Ansteckungseffekte ergeben sich dagegen nicht aus einer bestehenden rechtsgeschäftlichen Verbindung, sondern sind informations- und vertrauensbedingt. Ausgangspunkt kann etwa die durch einen „Bank Run“ hervorgerufene Krise einer Bank sein, die von Marktteilnehmern als Signal dafür gewertet wird, dass sich auch andere Institute in einer wirtschaftlichen Schieflage befinden. Aus ökonomischer Sicht stellen derartige systemische Risiken externe Effekte dar. Negative externe Effekte liegen vor, wenn die von einer Wirtschaftseinheit (also etwa einer Bank) verursachten Kosten nicht vollständig vom Verursacher getragen werden, sondern – unter Umgehung des Marktmechanismus – Dritten auferlegt werden.45 Da diese „sozialen Kosten“ von den Marktteilnehmern nicht eingepreist werden, verursachen externe Effekte ökonomische Fehlallokationen. Banken haben deshalb einen Handlungsanreiz, ihre Geschäftstätigkeit zu erweitern und aus wohlfahrtsökonomischer Sicht zu große Risiken einzugehen, da sie die gesamtwirtschaftlichen Kosten eines Bankenzusammenbruchs nur zum Teil tragen müssen, die Profite aber in voller Höhe einbehalten. Das systemische Risiko wird von der handelnden Bank in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsfindung somit nicht ausreichend berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund wird der rechtfertigende Kern der Bankenregulierung in der „Externalität“ gesehen, dass ein Bankenzusammenbruch sich über einen Dominoeffekt auf das gesamte Gewerbe ausdehnen kann.46 Die Bankenregulierung soll den beschriebenen Fehlanreizen entgegenwirken und damit zur Stabilität des Bankensektors beitragen. Zu den verschiedenen Definitionen von „systemrelevanten“ Instituten vgl. § 8 Rn. 83 ff. Die verschiedenen Facetten von Systemrisiken wurden im Nachgang der globalen Finanzkrise ausführlich von den Aufsichtsbehörden sowie dem wissenschaftlichen Schrifttum aufgearbeitet. Vgl. hierzu den De-Larosière-Bericht, Rn. 149; zusammenfassend aus ökonomischer Sicht Bisias et al., A Survey of Systemic Risk Analysis, Office of Financial Research Working Paper, 2012. Aus juristischer Sicht Kaufhold, Systemaufsicht, 2016, S. 26 ff., 149 ff. und passim. 45 Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 1, S. 643. 46 Möschel, Das Wirtschaftsrecht der Banken, 1972, S. 251 (Kettenreaktionsgefahr). Vgl. auch Hellwig, Systemische Risiken im Finanzsektor, 1998, S. 123, 125 ff.; Bieg, Bankbilanzen und Bankenaufsicht, 1996, S. 30 ff. 43 44
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IV. Regelungsziele 1. Einlegerschutz und Funktionenschutz 26
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Vor dem Hintergrund der oben erläuterten Sonderstellung von Instituten verfolgt das Bankenaufsichtsrecht im Kern zwei Ziele: Zum einen bezweckt dieses den Schutz der Bankengläubiger, zu denen insbesondere Kleinanleger gehören, die ihre privaten Ersparnisse der Bank anvertrauen (Einlegerschutz). Über diesen auch sozialpolitisch47 motivierten Gläubiger- und Einlegerschutz hinaus dient das Bankenaufsichtsrecht zum anderen dem Funktionsschutz, indem die Stabilität des Finanzsystems durch vertrauensbildende und gläubigerschützende Sondervorschriften gestärkt wird.48 Beide Ziele – Gläubigerschutz und Funktionsschutz – gehen ineinander über und bedingen einander.49 Im Zuge der Finanzkrise hat der zweite Aspekt (Sicherung der Stabilität des Finanzsystems) allerdings noch zusätzlich an Bedeutung gewonnen.50 Diese dualistische Zielkonzeption des Bankenaufsichtsrechts schlägt sich auch in den europäischen Regelungsvorgaben nieder. So werden in der CRR die Sicherstellung der „Finanzstabilität der Wirtschaftsteilnehmer an diesen Märkten“ sowie die Gewährleistung eines „hohen Grades an Anleger- und Einlegerschutz“ als gleichberechtigte Zielvorgaben genannt.51 Beide Aspekte werden auch in dem in Reaktion auf die Finanzkrise im Februar 2009 veröffentlichten „De-Larosière-Bericht“ betont.52 Zu den Regelungszielen der Finanzaufsicht führt der Expertenbericht aus: „Die Aufsicht soll in erster Linie eine ordnungsgemäße Anwendung der für den Finanzsektor geltenden Regeln gewährleisten, um die Stabilität des Finanzsystems zu erhalten und so für Vertrauen in das Finanzsystem insgesamt und für einen ausreichenden Kundenschutz zu sorgen“.53
47 Vgl. zu diesem sozialpolitischen Aspekt des Gläubigerschutzes aus Sicht des deutschen Rechts Bieg, Bankbilanzen und Bankenaufsicht, 1996, S. 26 f. (mit dem Hinweis, dass der sozialpolitische Aspekt nur den Schutz von Kleingläubigern, aber keinen allgemeinen Gläubigerschutz rechtfertigt). Allgemein zu den Zielen der europäischen Bankenaufsicht Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 146–173; Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 20–24. 48 Zu beiden Aspekten auch Basler Ausschuss, Core Principles, Grundsatz 1 Kriterium 2: „Das vorrangige Ziel der Bankenaufsicht ist die Förderung der Sicherheit und Solidität der Banken und des Bankensystems. Hat die Bankenaufsicht noch weitergehende Kompetenzen, so sind diese dem vorrangigen Ziel untergeordnet und stehen nicht in Konflikt dazu.“ 49 Vgl. Möschel, Bankenaufsicht im Wandel, 2010, S. 249 (zwei Seiten einer Medaille); Bieg, Bankbilanz und Bankenaufsicht, 1996, S. 36 f. 50 Vgl. dazu noch unten im Zusammenhang mit der makroprudenziellen Aufsicht (Rn. 41 ff.). 51 Erwägungsgrund (7) CRR. Ebenso Art. 1 Unterabs. 1 SSM-VO: Beitrag zur Sicherheit und Solidität von Kreditinstituten sowie zur Stabilität des Finanzsystems in der Union. 52 Vgl. § 2 Rn. 39 ff. 53 De-Larosière-Bericht, Rn. 149 (Hervorhebungen hinzugefügt).
§ 1 Begriffe und Zielsetzung des Bankenaufsichtsrechts
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Auch dem deutschen Kreditwesengesetz liegt eine dualistische Zielkonzeption zugrunde. Diese kommt etwa im Wortlaut von § 6 Abs. 2 KWG zum Ausdruck. Nach dieser Vorschrift hat die BaFin Missständen im Kredit- und Finanzdienstleistungswesen entgegenzuwirken, welche die Sicherheit der den Instituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden, die ordnungsmäßige Durchführung der Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft herbeiführen können. Diese Zielvorstellungen sind bei der Auslegung des Gesetzes zu berücksichtigen.
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2. Verwirklichung eines europäischen Bankenbinnenmarktes
Im unionsrechtlichen Kontext bezweckt die Bankenregulierung als weiteres Regelungsziel die Vertiefung des europäischen Binnenmarktes für Bank- und Finanzdienstleistungen.54 Die Errichtung eines Binnenmarktes ist eines der Kernziele der Europäischen Union.55 Historisch diente die europäische Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts der Verwirklichung eines Binnenmarktes für Bankdienstleistungen.56 Dahinter steht die gesetzgeberische Überzeugung, dass ein reibungsfreier Binnenmarkt einer Harmonisierung der Grundzüge der aufsichtsrechtlichen Anforderungen in den Mitgliedstaaten bedarf.57 Es sollen hierdurch u. a. die Transaktionskosten von grenzüberschreitend tätigen Instituten verringert werden.
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V. Aufsichts- und Regulierungsstrategien Um die oben genannten Regelungsziele umzusetzen, werden vom europäischen und nationalen Gesetzgeber verschiedene Aufsichts- und Regulierungsansätze eingesetzt. Das System des europäischen Bankenaufsichtsrechts wird in der nachfolgenden Abbildung überblicksartig dargestellt. Die einzelnen „Bausteine“ werden in den Folgekapiteln näher erläutert.
54 Das Ziel der Verwirklichung eines europäischen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen wird in nahezu allen bankaufsichtsrechtlichen Rechtsakten genannt. Vgl. etwa Erwägungsgründe (5) und (6) CRD IV; Erwägungsgründe (7) bis (9) CRR. In diesem Sinne auch der De-Larosière-Bericht, Rn. 100 ff. Im Zusammenhang mit dem europäischen Kapitalmarktrecht Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 2 Rn. 6 ff. Zu den Argumenten für eine EU-weite Bankenaufsicht Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 157–162. 55 Art. 3 Abs. 3 EUV. Im Zusammenhang mit dem Kapitalmarktrecht Brüggemeier, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 74 ff. 56 Dazu unten § 3. 57 Zu den Vorteilen und Nachteilen einer europäischen Harmonisierung Brüggemeier, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 19 ff. und 73 ff.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
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Institutioneller Rahmen – Einheitlicher Aufsichtsmechanismus (SSM) – System der europäischen Finanzaufsicht – Beaufsichtigung durch NCA
Drei Säulen der laufenden Bankenaufsicht
1. Quantitative Aufsicht – Mindestkapitalregeln – Liquiditätsvorschriften – Großkreditbegrenzungen – Verschuldungsobergrenzen
3. Offenlegung und Marktdisziplin
2. Qualitative Aufsicht – Aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren (SREP) – Governance Anforderungen – Compliance, Risikomanagement und Interne Revision
– Offenlegung und Reporting
Jeweils: Solo-Ebene und Gruppen-Ebene
Marktzugang und Erlaubnisverfahren Bankerlaubnis
Inhaberkontrolle
Fit-and-Proper Prüfungen
Einlagensicherung / Bankenabgabe / Abwicklungsregime
Abbildung 1: System des europäischen Bankenaufsichtsrechts.58
1. Präventive vs. protektive Ansätze 32
Hinsichtlich der Zielsetzung des Bankenaufsichtsrechts kann zwischen präventiven und protektiven Ansätzen unterschieden werden. Präventive Ansätze zielen darauf ab, das Risiko des Eintritts einer Bankenkrise ex ante zu begrenzen. Diese sollen also verhindern, dass es überhaupt zu einer wirtschaftlichen Schieflage eines Instituts kommt. Protektive Ansätze sollen dagegen die negativen Auswirkungen von bereits eingetretenen Krisen von Instituten ex post verringern. a) Präventiv wirkende Instrumente aa) Bankerlaubnis
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Zu den Kernbestandteilen der präventiv wirkenden Regulierung gehören zunächst die Marktzugangsregelungen. Hierzu zählt insbesondere die Notwendigkeit einer Bankerlaubnis zur Erbringung von regulierten Tätigkeiten (Konzessionsprinzip). Dadurch soll sichergestellt werden, dass nur solche Marktteilnehmer Bankdienstleistungen erbringen, die die hierfür erforderliche finanzielle 58 Soweit nicht anders vermerkt, handelt es sich bei den Abbildungen in diesem Buch jeweils um eigene Darstellungen.
§ 1 Begriffe und Zielsetzung des Bankenaufsichtsrechts
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Solidität sowie Eignung (fit and properness) aufweisen. Die europäischen Anforderungen an die Bankerlaubnis werden im dritten Teil (§ 7) erläutert. bb) Laufende Bankenaufsicht
Einen präventiven Ansatz verfolgen im Ausgangspunkt auch die Instrumente der laufenden Bankenaufsicht. Diese basiert auf drei Säulen59: Im Zentrum stehen traditionell die quantitativen Anforderungen an die Eigenmittel- und Liquiditätsausstattung der Institute. Diese sollen sicherstellen, dass die Institute auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten über ausreichende Eigenmittel verfügen, um eingetretene Verluste abfedern zu können. Die Eigenmittelanforderungen sollen u. a. die Insolvenzwahrscheinlichkeit der Institute verringern.60 Die europäischen Vorgaben an die quantitative Finanzausstattung werden im ersten Abschnitt des vierten Teils (§ 8–10) behandelt. Sie gehen maßgeblich auf Empfehlungen des Basler Ausschusses zurück.61 Daneben wurden vom europäischen Gesetzgeber in den vergangenen Jahren zunehmend qualitative Anforderungen an die Governance von Banken aufgestellt. Diese sollen die Qualität des Risikomanagements und der Corporate Governance verbessern und zu einer umsichtigen Unternehmensführung durch die Leitungsorgane beitragen. Die Governance-Anforderungen werden im zweiten Abschnitt des vierten Teils (§ 11 und § 12) behandelt. Schließlich sind von den Instituten verschiedene Offenlegungsanforderungen zu beachten. Diese sollen die Marktdisziplin stärken und der Bank und deren Geschäftsleitern einen Anreiz zur umsichtigen Geschäftsführung geben. Die Offenlegungsanforderungen werden im dritten Abschnitt des vierten Teils (§ 13 und § 14) behandelt.
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b) Protektiv wirkende Ansätze
Protektive Maßnahmen setzen an eine bereits eingetretene Krisensituation an. Sie sollen die negativen Auswirkungen einer Krise für die jeweiligen Gläubiger bzw. für die Stabilität des Finanzsystems soweit möglich reduzieren.62 Ein wichtiges Instrument sind hierfür Einlagensicherungssysteme, die die Ansprüche der Bankengläubiger auch im Insolvenzfall bis zu einem bestimmten Betrag garantieren.63 Hierdurch soll das Vertrauen der Einleger in die Sicherheit ihrer Finanzmittel gestärkt und die Gefahr von „Bank Runs“ gemindert werden.64 Grundlage des europäischen Einlagensicherungssystems bildet die Einlagensicherungsrichtlinie (Deposit Guarantee Scheme Directive – DGSD) vom Ausführlich zum Drei-Säulen-Konzept nach Basel II/III noch § 2 Rn. 7 ff. Der sog. going concern. Vgl. im Einzelnen unten § 8 Rn. 9. Vgl. unten § 2 Rn. 1 ff. Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 25–33. Die ersten Einlagensicherungssysteme entstanden nach der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Vgl. zur Rechtsentwicklung Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 29. 64 Vgl. Rn. 20 ff. 59 60 61 62 63
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
16. April 2014, die den gesicherten Betrag auf EUR 100.000 festlegt.65 Neben der gesetzlichen Einlagensicherung existieren in einzelnen Mitgliedstaaten wie Deutschland zudem auch private Einlagensicherungssysteme. Verantwortlich für die private Einlagensicherung für Privatbanken ist in Deutschland der Einlagensicherheitsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken.66 Ein weiteres protektiv wirkendes Instrument sind Insolvenz- und Abwicklungsregime. Diese sollen es im Krisenfall ermöglichen, dass Banken in einem geordneten Insolvenzverfahren abgewickelt werden können, ohne dass dies zu Verwerfungen auf den Finanzmärkten (sowie der Notwendigkeit von staatlichen Stützungsmaßnahmen) führt. Grundlage bildet der als Teil der Bankenunion eingeführte einheitliche Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism – SRM).67 2. Mikro- vs. makroprudenzielle Aufsicht
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Die europäische und internationale Finanzmarktregulierung ist traditionell durch einen mikroprudenziellen Ansatz geprägt.68 Hiermit ist gemeint, dass der Fokus der Regulierung und der Aufsicht auf der Sicherstellung der Solvenz der einzelnen Institute liegt. Dies beruht auf der Überlegung, dass die Stabilität des Finanzsystems dadurch am besten gewährleistet werden kann, indem wirtschaftliche Schieflagen der einzelnen Institute vermieden werden. Dieser mikroprudenzielle Ansatz prägt bis heute weite Teile des Aufsichtsrechts. In der Finanzkrise hat sich allerdings gezeigt, dass ein mikroprudenzieller Ansatz allein nicht ausreicht, um die Finanzstabilität zu gewährleisten.69 Aus diesem Grund wurden verschiedene Elemente in das europäische Bankenaufsichtsrecht eingeführt, die eine gesamtwirtschaftliche bzw. makroprudenzielle Zielsetzung verfolgen (sich also auf die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes beziehen).70 Auf Aufsichtsebene wurde ein Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) geschaffen, der für die Früherkennung, Prävention und Bekämpfung von systemischen Risiken innerhalb der EU verantwortlich ist (vgl. § 5 Rn. 4 ff.). Auf Regulierungsebene wur65 Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Einlagensicherungssysteme. 66 Im Rahmen der freiwilligen Einlagensicherung werden – abhängig vom Institut – mitunter deutlich höhere Beträge abgesichert als bei der gesetzlichen Einlagensicherung. 67 Dazu unten § 2 Rn. 47 ff. 68 Im Nachgang der Finanzkrise ist eine intensive rechtsökonomische Debatte um die Bedeutung von makroprudenziellen Ansätzen entbrannt. Vgl. für eine prägnante Darstellung der Debatte Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 409 ff. m. w. N. Vgl. ferner Kenc, Macroprudential regulation: history, theory and policy, BIS Papier No 86. 69 Vgl. etwa den De-Larosière-Bericht, Rn. 43 ff. und Rn. 145 ff. Monografisch aus juristischer Perspektive Kaufhold, Systemaufsicht, 2016, S. 39 ff., S. 161 ff. und passim. 70 ESRB, Handbook on Operationalising Macro-prudential Policy in the Banking Sector, April 2018, S. 7 („The ultimate objective of macro-prudential policy is to contribute to the safeguarding of the stability of the financial system as a whole“).
§ 1 Begriffe und Zielsetzung des Bankenaufsichtsrechts
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den durch Basel III als wichtige makroprudenzielle Maßnahme Kapitalpuffervorschriften eingeführt (vgl. § 8 Rn. 70 ff.). Es lassen sich drei Dimensionen von makroökonomischen Systemrisiken71 unterscheiden: dynamische bzw. zeitlaufbezogene Systemrisiken, sektorbezogene Systemrisiken sowie strukturelle Systemrisiken.72 Zeitlaufbezogene Systemrisiken ergeben sich daraus, dass im Konjunkturkreislauf Risiken systematisch über- bzw. unterbewertet werden.73 Dies lässt sich anhand der Praxis der Kreditvergaben illustrieren: In den vergangenen Bankenkrisen hat sich gezeigt, dass vor Eintritt der Krise die Kreditvergaben jeweils Höchststände erreichten (risk build-up) und es zu Überhitzungseffekten kam. In Krisenphasen wurden die Kreditengagements dagegen schlagartig zurückgefahren. Rein mikroökonomische Kapitalregeln können diesen Effekt noch verstärken (Problem der Prozyklizität von Kapitalregeln).74 Vor diesem Hintergrund wurden durch Basel III sog. „antizyklische Kapitalpuffer“ eingefügt (vgl. § 8 Rn. 77 ff.). Sektorbezogene Systemrisiken resultieren u. a. aus den weiter oben beschriebenen Ansteckungseffekten zwischen Instituten.75 Maßnahmen zur Eindämmung von sektorbezogenen Risiken bilden die Regelungen zur Begrenzung von Großkrediten sowie von Beteiligungserwerben an Nichtinstituten.76 Strukturelle Systemrisiken können sich aus ökonomischen Fehlanreizen ergeben (moral hazard). So kann etwa ein Handlungsanreiz geschaffen werden, übermäßige Risiken einzugehen, wenn die Marktteilnehmer davon ausgehen können, dass systemrelevante Banken im Krisenfall durch staatliche Stützungsmaßnahmen gerettet werden. Vor diesem Hintergrund wurden verschiedene Kapitalzuschläge für systemrelevante Institute sowie ein komplexes Abwicklungsregime für Banken eingeführt.77
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VI. Fazit Banken nehmen in der Volkswirtschaft eine Schlüsselstellung ein. Sie versorgen die Marktteilnehmer mit Liquidität und bringen die unterschiedlichen Finanzierungsinteressen von Kapitalgebern und Kapitalnehmern zum Ausgleich. Das Bankengeschäft ist allerdings mit Risiken verbunden. Eine Schieflage eines Instituts kann die Stabilität des gesamten Bankensystems gefährden und auch die Realwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Banken werden daher seit jeher intensiv reguliert. Das Bankenaufsichtsrecht verfolgt hierbei das Ziel, die Gläubiger (Einleger) zu schützen und die Stabilität des Finanzsystems zu stärken.
Die Literatur zu den verschiedenen Aspekten von Systemrisiken ist nicht mehr überschaubar. Zusammenfassend aus ökonomischer Sicht Bisias et al., A Survey of Systemic Risk Analysis, Office of Financial Research Working Paper, 2012 (abrufbar unter: http:// gcfp.mit.edu/wp-content/uploads/2013/08/A-Survey-of-Systemic-Risk.pdf). 72 In diesem Sinne FSB/BIS, Elements of Effective Macroprudential Policies, 2016, S. 4 (abrufbar unter: https://www.imf.org/external/np/g20/pdf/2016/083116.pdf); Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 411. Vgl. ferner Kaufhold, Systemaufsicht, 2016, S. 104 ff. 73 Kaufhold, Systemaufsicht, 2016, S. 111 ff. 74 Ausführlich hierzu § 8 Rn. 78. 75 Vgl. oben Rn. 23 ff. 76 Vgl. dazu § 10. 77 Zum Kapitalpuffer für Systemrisiken sowie systemrelevante Institute vgl. § 8 Rn. 81 ff. 71
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
Der Zentralbegriff des europäischen Bankenaufsichtsrechts ist das „Kreditinstitut“. Dieses wird als Unternehmen definiert, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren. Im nationalen Recht der Mitgliedstaaten (etwa in Deutschland) sind allerdings weitergehende Definitionen des Kreditinstituts anzutreffen.
§ 2 Rechtsentwicklung Literatur: Barth, Gerard/Caprio, James R./Levine, Ross, Rethinking Bank Regulation, 2005; Buchmüller, Patrik, Basel II, 2008; Emmenegger, Susan, The Basle Committee on Banking Supervision – a secretive club of giants?, in: Grote, Rainer/Marauhn, Thilo (Hrsg.), Regulation of International Financial Markets, 2009, S. 224–236; Ferran, Eilís, Crisis-driven regulatory reform: where in the world is the EU going?, in: dies et al. (Hrsg.), The Regulatory Aftermath of the Global Financial Crisis, 2012, S. 1–110; Ferrarini, Guido/ Recine, Fabio, The Single Rulebook and the SSM: Regulatory Polycentrism vs. Supervisory Centralization, in: Busch, Danny/Ferrarini, Guido (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Kapitel 5; Gadinis, Stavros, The Financial Stability Board, The New Politics of International Financial Regulation, 48 Texas International Law Review (2013), 157–175; Goodhart, Charles, The Basel Committee on Banking Supervision: The Early Years 1974– 1997, 2011; Grundmann, Stefan, Bankenunion und Privatrecht, ZHR 179 (2015), 563–600; Hopt, Klaus J., Corporate Governance von Banken: Überlegungen zu den Grundsätzen des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht vom Februar 2006, in: Habersack, Mathias et al. (Hrsg.), Festschrift für Gerd Nobbe, 2009, S. 853–882; Kohtamäki, Natalia, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012; Lutter, Markus, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1995; Möschel, Wernhard, Das Wirtschaftsrecht der Banken, 1972; Mülbert, Peter O., Bankenaufsicht und Corporate Governance – Neue Organisationsanforderungen im Finanzdienstleistungsbereich, BKR 2006, 349–360; ders., Regulierungstsunami im europäischen Kapitalmarktrecht, ZHR (176) 2012, 369; Römer, Monika, Harmonisierung der Bankenaufsicht in der Europäischen Gemeinschaft, 1977; Schenk, Catherine R./Mourlon-Druol, Emmanuel, Bank Regulation and Supervision, in: Cassis, Youssef et al. (Hrsg.), Oxford Handbook of Banking and Financial History, 2016, S. 395–419; Wundenberg, Malte, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012.
I. Internationale Standardsetzung Das Recht der Bankenaufsicht wurde maßgeblich durch die Arbeiten von internationalen Standardsetzern – insbesondere dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basler Ausschuss) – geprägt.1 Diese wurden in weiten Teilen vom europäischen Gesetzgeber aufgegriffen. Eine Kenntnis der vom Basler Ausschuss entwickelten Konzepte ist für das Verständnis des europäischen Bankenaufsichtsrechts daher unerlässlich. Im Folgenden werden die wichtigsten Empfehlungen und Papiere des Basler Ausschusses überblicksartig vorgestellt. Einzelheiten werden in den jeweiligen Fachabschnitten behandelt. Zum bestimmenden Einfluss des Basler Ausschusses auf die internationale Rechtsent1 wicklung im Bankensektor siehe Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 2.02 ff., 3.01 ff. Monografisch Goodhart, The Basel Committee on Banking Supervision: A history of the early years, 2011. Zur Bedeutung von Soft Law in der Finanzmarktregulierung auch Brummer, Soft Law and the Global Financial System: Rule Making in the 21st Century, 2. Aufl. 2015.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
1. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht22 2
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Der Basler Ausschuss wurde Ende 1974 als Komitee für Bankenregulierung und Aufsichtspraktiken von den Zentralbankvorsitzenden der Staaten der Zehnergruppe (G-10) gegründet.3 Seither tagt das Gremium in der Regel alle drei Monate bei der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in Basel, wo das ständige Sekretariat des Ausschusses seinen Sitz hat. Es setzt sich aus den leitenden Vertretern der Bankenaufsichtsbehörden und Zentralbanken der wichtigsten Industrienationen zusammen.4 Ziel des Ausschusses ist es, Aufsichtsstandards und Empfehlungen zu erarbeiten, die es den Staaten erlauben sollen, international tätige Banken vollständig und angemessen zu überwachen.5 Er leistet hierbei einen wichtigen Beitrag für die internationale Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts. Der Basler Ausschuss ist keine internationale Organisation mit supranationaler Aufsichtsautorität.6 Die von ihm verfassten Arbeitspapiere, Empfehlungen und Aufsichtsgrundsätze sind deshalb nicht rechtsverbindlich. Dennoch geht von den Veröffentlichungen des Basler Ausschusses eine enorme Strahlkraft aus: Zum einen wurden die von ihm erarbeiteten Aufsichtsgrundsätze bislang ganz überwiegend vom Unionsgesetzgeber bzw. den Parlamenten aufgegriffen und ins nationale Recht umgesetzt. Dessen Empfehlungen können daher bei der Gesetzesauslegung als Erkenntnisquelle herangezogen werden.7 Zum anderen haben die veröffentlichten Standards eine hohe faktische Bindungswirkung, da diese von Vertretern nationaler Zentralbanken und Aufsichtsinstitutionen erarDieser Abschnitt zum Basler Ausschuss für Bankenaufsicht übernimmt Ausführungen 2 aus Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 16–22. Die Gründung des Basler Ausschusses war eine Reaktion auf den Zusammenbruch der 3 deutschen Herstatt Bank. Siehe zum Folgenden auch Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 16 ff.; Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 87 ff. In den letzten Jahren hat sich der Mitgliederkreis erheblich erweitert. Während ursprüng4 lich die Mitgliedschaft lediglich den G-10-Staaten und Luxemburg vorbehalten war, sind inzwischen 28 Nationen und 45 Institutionen in dem Ausschuss vertreten. Vgl. die Übersicht bei https://www.bis.org/bcbs/membership.htm. Der Basler Ausschuss formuliert die Zielsetzung in seiner Basel Committee Charter wie 5 folgt: „The BCBS is the primary global standard setter for the prudential regulation of banks and provides a forum for cooperation on banking supervisory matters. Its mandate is to strengthen the regulation, supervision and practices of banks worldwide with the purpose of enhancing financial stability.“ (abrufbar unter: https://www.bis.org/bcbs/charter.htm). Monografisch zur Entwicklung des Basler Ausschusses Goodhart, The Basel Committee, 2011, S. 11 ff. Emmenegger, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), Regulation of International Financial Markets, 6 2009, S. 224 ff. Ohler, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Deutsches und europäisches Bank- und 7 Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Auf. 2017, § 90 Rn. 1. Die Erwägungsgründe des CRD/CRRRegimes nehmen an verschiedenen Stellen auf die Aufsichtsgrundsätze des Basler Ausschusses Bezug. Vgl. etwa Erwägungsgrund (79) CRD IV sowie Erwägungsgründe (1), (10), (41), (42), (82), (92) der CRR.
§ 2 Rechtsentwicklung
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beitet wurden und die Aufsichtsbehörden die Einhaltung der Standards von den Marktteilnehmern erwarten.8 Schließlich überwacht und berichtet der Basler Ausschuss den Wirtschaftsführern der G20-Gruppe über den Status der Umsetzung der von diesem erarbeiteten Standards in den jeweiligen Mitgliedstaaten.9 Wegen der hohen rechtstatsächlichen Bedeutung werden die „Grundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht“ (Core Principles for Effective Banking Supervision, kurz: „Core Principles“) auch als „Grundgesetz für die Kreditwirtschaft“ bezeichnet.10 a) Empfehlungen und Aufsichtsgrundsätze
Die vom Basler Ausschuss veröffentlichten Empfehlungen betreffen nahezu alle Bereiche der Bankenaufsicht.11 Im Zentrum standen zunächst Fragen der internationalen Verfahrensabstimmung – den Ausgangspunkt bildete das 1975 veröffentlichte Basler Konkordat12 – sowie die Formulierung von quantitativen Aufsichtsstandards, insbesondere Eigenkapitalanforderungen (Basel I–III sowie den dazu verabschiedeten Ergänzungen). Von fundamentaler Bedeutung war insbesondere die Basler Eigenkapitalvereinbarung von 1988 (Basel I), die
Vgl. Hopt, FS Nobbe, 2009, S. 853, 861. In Deutschland wurden die Empfehlungen des 8 Basler Ausschusses oft unmittelbar von der Bundesanstalt für Kreditwesen bzw. der BaFin durch Verwaltungsvorschriften auf untergesetzlicher Ebene „umgesetzt“. Der Einfluss des Basler Ausschusses ist nicht auf die in diesem Gremium vertretenen Staaten beschränkt, was sich besonders deutlich an den von ihm erarbeiteten Eigenmittelgrundsätzen (Basel I–III) zeigt: Diese Kapitalregeln wurden von nahezu allen Industrienationen übernommen und verbuchen inzwischen eine quasi weltweite Geltungswirkung. Hierzu Emmenegger, in: Grote/ Marauhn (Hrsg.), Regulation of International Financial Markets, 2009, S. 224, 234. Die zweite Fassung des Eigenmittelakkords (Basel II) wurde von 112 Ländern umgesetzt. Vgl. Financial Stability Institute, 2010 FSI Survey on the Implementation of the New Capital Adequacy Framework, August 2010. Zum Stand der Umsetzung von Basel III vgl. Basel Committee, Basel III Monitoring Report, März 2018. Vgl. im Zusammenhang mit der Umsetzung von Basel III Basler Ausschuss, Implemen9 tation of Basel standards, A report to G20 Leaders on implementation of the Basel III regulatory reforms, November 2018. 10 Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 2.02 („locus classicus“). Der bestimmende Einfluss des Basler Ausschusses für die Rechtsentwicklung ist vor dem Hintergrund der fehlenden demokratischen Legitimation nicht unproblematisch. Siehe hierzu Höfling, NJW Beilage 3/2010, 98, 99 (Zusammenfassung des Gutachtens zum 68. Deutschen Juristentag). Vgl. ferner die Überlegungen in dem Policy Paper des Europäischen Parlaments, The role of the Basel Committee on Banking Supervision (BCBS), Oktober 2017. 11 Neben den unten im Fließtext aufgeführten Regelungsbereichen hat der Basler Ausschuss zudem wichtige Impulse u. a. zur Beaufsichtigung von Finanzkonglomeraten, der Ausgestaltung von Einlagensicherungssystemen sowie zur Entwicklung des Abwicklungsregimes geliefert. Vgl. hierzu die Papiere Principles for Supervision of Financial Conglomerates (letzte Fassung vom September 2012); Core Principles for Effective Deposit Insurance Systems (Juni 2009); Guidelines for identifying and dealing with weak banks, Juli 2015. 12 Basler Ausschuss, Report to the Governors on the Supervision of Banks’ Foreign Establishment, Dezember 1975.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
erstmals harmonisierte Eigenmittelanforderungen in Höhe von 8 % für Kreditrisiken formulierte und von mehr als 100 Ländern übernommen wurde.13 Ausgehend von den ebenfalls 1988 veröffentlichten Grundsätzen zur „Verhütung des Missbrauchs des Bankensystems für die Geldwäsche“ wurde der ursprünglich auf quantitative Kapitalvorgaben ausgerichtete Fokus des Basler Ausschusses um Ansätze einer stärker „qualitativ“ ausgerichteten Aufsicht ergänzt. Einen wichtigen Schritt in dieser Entwicklung stellte die Veröffentlichung der „Grundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht“ vom September 1997 dar, die 2006 und 2012 jeweils in Teilen neu gefasst und durch die „Methodik der Grundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht“14 konkretisiert wurden. Diese Grundsätze decken ein breites Spektrum ab.15 Die „Grundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht“ werden durch zahlreiche weitere Papiere des Basler Ausschusses näher spezifiziert. Neben dem „Rahmenkonzept für Interne Kontrollsysteme in Bankinstituten“ vom September 199816 sowie den Empfehlungen zur „Compliance and the compliance function in banks“ vom April 2005 ist in diesem Zusammenhang das Papier zur „Verbesserung der Unternehmensführung in Banken“ zu nennen.17 Hierauf aufbauend wurden im Oktober 2010 und Juli 2015 Leitlinien zur Corporate Governance von Banken veröffentlicht, die Konsequenzen aus der Finanzkrise ziehen und die Diskussion um die Weiterentwicklung der Governance-Anforderungen maßgeblich geprägt haben.18 b) Basel II
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Einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklung des Bankenaufsichtsrechts markierte die Neufassung des Eigenmittelakkords von 1988 (im Folgenden: 13 Basler Ausschuss, Capital Requirements and Bank Behaviour: The Impact of the Basle Accord, April 1999. Basel I wurde im Jahre 1996 um Vorgaben an die Eigenmittelunterlegung von Marktrisiken ergänzt. Basel I wurde u. a. als Reaktion auf die lateinamerikanische Schuldenkrise von 1982 vereinbart, vgl. hierzu Schenk/Mourlon-Druol, Bank Regulation and Supervision, in: Cassis et al. (Hrsg.), Oxford Handbook of Banking and Financial History, 2016, S. 395, 415. 14 Vgl. Basler Ausschuss, Core Principles Methodology vom Oktober 1999 bzw. 2006. In der letzten Fassung der „Grundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht“ wurden die Grundsätze und die Methodologie in einem Dokument zusammengefasst. 15 In der Neufassung von 2013 wurden die Aufsichtsgrundsätze neu geordnet: Die Grundsätze 1 bis 13 behandeln die Befugnisse, Zuständigkeiten und Aufgaben der Aufsichtsinstanzen, die Grundsätze 14 bis 29 die Erwartungen der Aufsichtsinstanzen an die Banken (mit Betonung solider Führung- und Überwachungsstrukturen sowie Anforderungen an das Risikomanagement). 16 Basler Ausschuss, Rahmenkonzept für Interne Kontrollsysteme in Bankinstituten, September 1998. 17 Basler Ausschuss, Verbesserung der Unternehmensführung in Banken, September 1999 bzw. Februar 2006. Vgl. hierzu etwa Mülbert, BKR 2006, 349 ff.; Hopt, FS Nobbe, 2009, S. 853 ff. 18 Basler Ausschuss, Principles for enhancing corporate governance, Oktober 2010 sowie ders., Corporate governance principles for banks, Juli 2015.
§ 2 Rechtsentwicklung
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„Basel II“).19 Grundanliegen dieser Rahmenvereinbarung ist es, die Kapitalanforderungen der Banken möglichst weitgehend an den ökonomischen Risiken der Bankenaktivitäten auszurichten und damit die Stabilität des Finanzsystems zu erhöhen.20 Der Basler Ausschuss reagierte damit auf die im Zuge der Internationalisierung der Finanzmärkte immer lauter gewordene Kritik, dass die sehr pauschale Bewertung von Kreditrisiken durch Basel I das tatsächliche Risikoprofil der Banken nur sehr ungenau abbilde.21 Als Schwachstelle des Eigenmittelakkords von 1988 hatte sich zudem die Tatsache erwiesen, dass operationelle Risiken, die für die Zusammenbrüche der Barings- und der Herstatt-Bank verantwortlich waren, nicht berücksichtigt wurden.22 Um diese Defizite zu beheben, wurden die quantitativen Eigenmittelanforderungen um qualitative Elemente ergänzt. Das System der Bankenaufsicht nach Basel II beruht nunmehr auf drei gleichberechtigten, sich gegenseitig ergänzenden Säulen (Drei-Säulen-Modell): Die erste Säule bilden die von den Instituten zu beachtenden Mindestkapitalanforderungen.23 Die zweite Säule umfasst das sog. „aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren“.24 Dieses verlangt von den Instituten die Einrichtung eines „bankinternen Einschätzungsprozesses“ (Internal Capital Adequacy Assessment Process – ICAAP), der von den Aufsichtsbehörden im Rahmen eines „bankaufsichtsrechtlichen Evaluationsprozesses“ (Supervisory Review and Evaluation Process – SREP) überprüft wird.25 Die Anforderungen an das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren wurden im Rahmen der Ergänzungen des Basel-II-Rahmenkonzeptes vom Juni 2009 (zum Teil auch als Basel 2,5 bezeichnet) weiter ausgebaut.26 Die dritte Säule bilden die Offenlegungsanforderungen. 19 Basler Ausschuss, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Überarbeitete Rahmenvereinbarung, Juni 2006. Für eine ausführliche Darstellung der Entstehungsgeschichte siehe Buchmüller, Basel II, 2008, S. 37 ff. 20 Diese Hoffnung hat sich in der Finanzkrise freilich als trügerisch erwiesen. Zur Diskussion um den Beitrag von Basel II für die Entstehung und Verschärfung der Krise siehe den De-Larosière-Bericht, Rn. 53 ff.; Gutachten Wissenschaftlicher Beirat, Reform der Bankenregulierung, S. 18 ff.; differenzierend Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 2.46 ff. 21 Nach Basel I wurde zwischen vier Schuldnerkategorien (OECD-Staaten, Banken, Realkredite, sonstige Schuldner) unterschieden, die jeweils mit einem bestimmten Risikogewicht (0 %, 20 %, 50 % und 100 %) gewichtet wurden. Das tatsächliche Ausfallrisiko wurde nicht gesondert berücksichtigt. Aus diesem Grund bestand für Banken der Anreiz, innerhalb der jeweiligen Kategorie besonders risikoreiche Kredite zu vergeben, da die hierfür erzielten Risikoprämien nicht mit zusätzlichem Eigenkapital unterlegt werden mussten. Ausführlich zu diesem als „Rosinenpicken“ bezeichneten Phänomen Buchmüller, Basel II, S. 40. Ausführlich hierzu unten § 8 Rn. 55. 22 Barth/Caprio/Levine, Rethinking Bank Regulation, 2005, S. 68 (mit Hinweis auf die zunehmende Bedeutung von operationellen Risiken nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 in den USA). 23 Vgl. Basler Ausschuss, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Juni 2006, Rn. 40 ff. 24 Vgl. Basler Ausschuss, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Juni 2006, Rn. 719 ff. 25 Hierzu § 11. 26 Basler Ausschuss, Enhancements to the Basel II framework, Juli 2009, S. 9.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
Grafisch kann das Drei-Säulen-Modell nach Basel II wie folgt illustriert werden: I
Basel II
Säule 1: Mindestkapitalanforderungen
Säule 2: Aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren
t Kreditrisiko t Standardansatz t IRB Basisansatz t Fortgeschrittener IRB Ansatz t Marktrisiko t Standardansatz t Bankinterne Modelle t Operationelles Risiko t Basisindikatoransatz t Standardansatz t Fortgeschrittene Messansätze
t Bankinterner Einschätzungsprozess (ICAAP) t Angemessenheit der Eigenkapitalausstattung t Risikomanagement t Bankaufsichtsrechtlicher Evaluationsprozess (SREP) t Überprüfung der Prozesse und Verfahren durch die Aufsicht
Säule 3: Marktdisziplin / Offenlegung
t Offenlegungsanforderungen betreffend Säule 1 und 2
Abbildung 2.1: Drei-Säulen-Modell nach Basel II.
c) Basel III und aktuelle Reformen 10
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Als Reaktion auf die Finanzkrise wurden die Eigenkapital- und Liquiditätsstandards vom Basler Ausschuss grundlegend reformiert. Die Reformen zielten darauf ab, sowohl die Qualität als auch die Quantität des Eigenkapitals der Institute zu verbessern, um die Stabilität des Bankensystems zu erhöhen. Es sollten zudem die „prozyklischen“ Effekte der Bankenregulierung verringert werden.27 Der Basler Ausschuss hat zu diesem Zweck im Dezember 2010 nach umfangreicher Konsultation mit Vertretern der Unternehmenspraxis neugefasste Eigenkapital- und Liquiditätsstandards veröffentlicht (zusammen als „Basel III“ bezeichnet).28 Das Basel-III-Regelwerk wurde durch eine Reihe weiterer Papiere des Basler Ausschusses ergänzt.29 Es wurde inzwischen mit einzelnen Modifikationen in das europäische Recht umgesetzt.30 Vgl. dazu auch § 8 Rn. 78. Die Grundlage des Basel-III-Pakets bilden die beiden Papiere „Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähige Banken und Bankensysteme, Dezember 2010“ (aktualisierte Fassung: Juni 2011) sowie „Basel III: Internationale Rahmenvereinbarung über Messung, Standards und Überwachung in Bezug auf das Liquiditätsrisiko, Dezember 2010“. 29 Eine Kompilation der Dokumente des Basler Ausschusses ist abrufbar unter: https:// www.bis.org/bcbs/basel3/compilation.htm. 30 Zum globalen Stand der Umsetzung von Basel III vgl. Basler Ausschuss, Basel III Monitoring Report, März 2018. Für eine Übersicht über die Unterschiede zwischen dem Unions27 28
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§ 2 Rechtsentwicklung
Basel III baut auf der Basel-II-Rahmenvereinbarung auf.31 Es wurden im Zuge von Basel III insbesondere die Anforderungen an die erste Säule des Eigenmittelakkords verschärft.32 Die Grundstruktur des derzeit geltenden Systems lässt sich überblicksartig (und stark vereinfacht33) wie folgt illustrieren:
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Basel II / Basel III Säule 1: Quantitative Mindeststandards
Säule 2: Qualitative Anforderungen
t Mindestkapitalanforderungen t Kreditrisiko t Marktrisiko t Operationelles Risiko t Kapitalpuffer t Liquiditätsanforderungen t LCR (Liquidity Coverage Ratio) t NSFR (Net Stable Funding Ratio) t Verschuldungsquote t Im Zusammenhang mit dem Abwicklungsregime: t TLAC (Total Loss-Absorbing Capacity) t MREL (Mininum Requirements for Own Funds and Eligible Liabilities
t Bankinterner Einschätzungsprozess (ICAAP) t Bankaufsichtsrechtlicher Evaluationsprozess (SREP) t Säule 1-Plus-Kapitalanforderungen t Interne Governance t Risikomanagement, Compliance, Interne Revision, etc. t Weitergehende Governance Anforderungen
Säule 3: Marktdisziplin / Offenlegung t Offenlegungsanforderungen betreffend Säule 1 und 2
Abbildung 2.2: Weiterentwicklung des Drei-Säulen-Modells durch Basel III.
Die regulatorische Aufarbeitung der Finanzkrise ist bis dato noch nicht vollständig abgeschlossen. Im Dezember 2017 hat der Basler Ausschuss ein weiteres Paket zur Reform der Bankenaufsicht veröffentlicht, das zum Teil (missverrecht und den Vorgaben des Basler Ausschusses vgl. Bornemann, in: Beck/Samm/Kokemoor, 31 KWG mit CRR, Band 2, CRR Einführung, Rn. 16 ff. (177. AL, Februar 2015). 31 Vgl. Gleeson, International Regulation of Banking, 3. Aufl. 2018, Rn. 3.08 („Basel III is not a rewriting of Basel II, but a development of it“). 32 Für Einzelheiten unten § 8. 33 Im Zuge der zunehmenden Ausdifferenzierung des Systems der Bankenregulierung lassen sich die einzelnen Instrumente allerdings zum Teil nicht mehr eindeutig einer bestimmten Säule zuordnen. So ließen sich etwa die Anforderungen an die Verschuldungsquote sowie die Liquiditätsstandards auch als eigene Säule begreifen (vgl. hierzu § 8 und § 9). Zudem werden einzelne Maßnahmen wie etwa die SREP-Kapitalanforderungen zunehmend säulenübergreifend konzipiert (vgl. hierzu § 8 und § 11). Schließlich kommt es zu Überlagerungen zwischen dem Abwicklungs- und Eigenkapitalregime (vgl. die in § 8 adressierten TLAC- und MRELStandards).
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
ständlich) als „Basel 3,5“ bzw. „Basel IV“ bezeichnet wird.34 Kernpunkt ist u. a. die Begrenzung des Einsatzes von internen Modellen bei der Kapitalberechnung (vgl. unten § 8 Rn. 66 ff.). 14
Der Fortschritt der Umsetzung von Basel III in den einzelnen Mitgliedstaaten wird in regelmäßigen Berichten (Implementation Reports) dokumentiert.35 Der Basler Ausschuss berichtet den Wirtschaftsführern der G20-Gruppe zudem regelmäßig über den Fortschritt bei der Umsetzung dieser Kapitalstandards. Die Vorgaben von Basel III wurden inzwischen in über 100 Jurisdiktionen (zumindest teilweise) umgesetzt.36
d) Konsolidiertes Rahmenwerk 15
Im Dezember 2019 hatte der Basler Ausschuss verschiedene Dokumente in ein „konsolidiertes Rahmenwerk“ (consolidated framework) zusammengefügt. Dieses ist auf der Homepage des Basler Ausschusses abrufbar und wird laufend aktualisiert.37 Hierdurch sollen die veröffentlichten Empfehlungen und Aufsichtsstandards klarer geordnet und für den Rechtsanwender leichter zugänglich gemacht werden.38 Es sollen im Rahmen des konsolidierten Rahmenwerks keine zusätzlichen Anforderungen aufgestellt werden. 2. Financial Stability Board
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Neben dem Basler Ausschuss sind für die Entwicklung des Bankenaufsichtsrechts auch die Arbeiten von weiteren Standardsetzern von Bedeutung.39 Exemplarisch seien an dieser Stelle die Empfehlungen des Financial Stability Board (FSB) genannt.40 Der FSB wurde auf Initiative der G20-Staaten als Nachfolgeorganisation des Financial Stability Forum (FSF) gegründet.41 Ziel des FSB ist es, die Tätigkeiten der nationalen Aufsichtsbehörden und der internationalen Standardsetzer zu koordinieren. Es soll hierdurch ein Beitrag zur effektiven und einheitlichen Implementierung von Aufsichtsstandards geleistet werden.42 Zu diesem Zweck veröffentlicht der FSB ein „Kompendium von Standards“, in 34 Basler Ausschuss, Basel III: Finalising post-crisis reforms, December 2017. Der Basler Ausschuss betrachtet dieses Papier lediglich als „Vollendung“ der Post-Finanzkrise-Gesetzgebung. In diesem Buch wird daher nicht von einem gesonderten „Basel IV“-Regelwerk gesprochen, sondern das Papier von 2017 wird als Teil der Basel-III-Rahmenvereinbarung angesehen. 35 Bis dato wurden 18 „Implementation Reports“ veröffentlicht. Vgl. zuletzt Basler Ausschuss, Eighteenth progress report on adoption of the Basel regulatory framework, Juli 2020. 36 Basler Ausschuss, Implementation of Basel standards, A report to G20 Leaders on implementation of the Basel III regulatory reforms, November 2018. 37 Abrufbar unter: https://www.bis.org/basel_framework/index.htm. 38 Basler Ausschuss, Launch of the consolidated Basel Framework, Dezember 2019, S. 1. 39 Brummer, Soft Law and the Global Financial System, 2. Aufl. 2015, S. 62 ff. 40 Zur Bedeutung des FSB und dem Verhältnis zu anderen Standardsettern vgl. Gadinis, The Financial Stability Board, The New Politics of International Financial Regulation, 48 Texas International Law Review (2013), 157–175. 41 Für Einzelheiten vgl. Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 7 f. 42 Vgl. Art. 1 und 2 der Charter des FSB (Juni 2012).
§ 2 Rechtsentwicklung
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dem die Aufsichtsstandards verschiedener internationaler Standardsetter in einem Kompendium gebündelt werden.43
II. Unionsrecht Der frühe EWG-Vertrag enthielt keine expliziten Regelungen über ein europäisches Bankenaufsichtsrecht.44 Erste Rechtsakte zur Harmonisierung der europaweiten Aufsicht wurden erst zwanzig Jahre nach Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 erlassen. Die Harmonisierung erfolgte schrittweise45 und ging vielfach auf Impulse des Basler Ausschusses zurück. Im konkretisierenden Zugriff lassen sich fünf Etappen der europäischen Rechtsentwicklung unterscheiden.46 Diese Entwicklung soll im Folgenden reflektiert werden.
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1. Segré-Bericht von 1966; Entwurf eines „Europäischen Kreditwesengesetzes“ von 1972
Die Wurzeln der Bemühungen der Harmonisierung des europäischen Bankenaufsichtsrechts lassen sich bis in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückverfolgen. Den Ausgangspunkt der Entwicklung bildete der von der damaligen EWGKommission in Auftrag gegebene Bericht unabhängiger Sachverständiger zum Aufbau eines europäischen Kapitalmarktes aus dem Jahre 1966 unter dem Vorsitz von Claudio Segré.47 In diesem Bericht sollte „die Gesamtheit der Fragen […] [untersucht werden], die sich aus der Verwirklichung des Vertrags von Rom für die Funktionsfähigkeit der europäischen Kapitalmärkte ergeben“.48 Der Bericht wies auf strukturelle Probleme auf den europäischen Kapitalmärkten sowie 43 Das Kompendium ist abrufbar unter: http://www.fsb.org/what-we-do/about-the-com pendium-of-standards/. 44 Allerdings bildeten die im EWG-Vertrag normierten Grundfreiheiten – namentlich die Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit – die Grundlage der Entwicklung einer europäischen Bankenaufsicht. Siehe hierzu § 3 Rn. 20 ff. 45 Vgl. die Erwägungsgründe der Ersten Bankrechtskoordinierungs-RL: „Da diese Unterschiede [der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten] erheblich sind, können […] die für einen gemeinsamen Markt der Kreditinstitute erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen nicht durch eine einzige Richtlinie, sondern nur stufenweise geschaffen werden“. Vgl. hierzu auch Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 53: „Konzept der kleinen Schritte“. 46 Vgl. für eine Übersicht über die Rechtsentwicklung auch Ferrarini/Recine, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Rn. 5.04–5.16; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1995, S. 308 ff.; Ohler, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Auf. 2017, § 90 Rn. 5 ff.; Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Band 1, Einf. Rn. 25 ff. Vgl. ferner Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 53 ff. 47 Zur Bedeutung des Segré-Berichts für das europäische Kapitalmarktrecht Veil in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 2 ff. 48 Segré-Bericht, S. 11.
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auf ein Ungleichgewicht zwischen Kapitalangebot und Nachfrage hin.49 Die Empfehlungen des Segré-Berichts waren vor allem für die Entwicklung des europäischen Kapitalmarktrechts bedeutsam; es wurden allerdings auch Aspekte der Bankenregulierung adressiert. So monierte der Segré-Bericht, dass zwischen den Mitgliedstaaten Unterschiede hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der Überwachungen von Kreditinstituten bestanden.50 Aufbauend auf den Feststellungen des Segré-Berichts wurde von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft zunächst ein sehr ambitionierter Ansatz der Bankrechtsharmonisierung verfolgt. Dieser legte 1972 einen Richtlinienentwurf eines „Europäischen Kreditwesengesetzes“ vor.51 Der Veröffentlichung dieses Entwurfs waren mehrjährige Beratungen der zuständigen Arbeitsgruppe „Bankrechtsharmonisierung“ bei der EG-Kommission vorausgegangen.52 Die Harmonisierungsbestrebungen deckten ein weites Spektrum ab. Der Entwurf enthielt Vorgaben zu u. a. dem Anwendungsbereich, dem Zulassungsverfahren, der Errichtung von Zweigstellen, den Eigenmitteln und Solvenzregelungen, dem Meldewesen sowie dem Entzug der Zulassung. Dieser frühe Entwurf der EG-Kommission kann rückblickend als Ausgangspunkt der Bestrebung der Verwirklichung eines europäischen Single Rulebooks angesehen werden. Politisch hat sich das Projekt zum damaligen Zeitpunkt aber als nicht durchsetzbar erwiesen. Vor allem aus dem Vereinigten Königreich, das 1973 der Europäischen Gemeinschaft beitrat, wurden Bedenken gegen eine derart weitreichende Harmonisierung der Bankenregulierung geäußert. Der europäische Gesetzgeber entschied sich vor diesem Hintergrund zu einem Strategiewechsel; er verfolgte nunmehr eine Strategie der „kleinen Schritte“ und einer stufenweisen Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts. 1. Erste Phase: Rudimentäre Harmonisierung der Zulassungsanforderungen und der europäischen Aufsicht (1977–1988)
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Die erste Phase der Bankrechtsharmonisierung wurde mit der Ersten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie von 1977 eingeläutet.53 Diese Richtlinie regelte 49 Hierzu im Einzelnen die Analyse bei Veil in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 2 ff. 50 Segré-Bericht, S. 269 ff. (Kapitel 12: Disparities in the Working and Supervision of Financial Institutions). Zur frühen Phase der europäischen Bankrechtsharmonisierung Schenk/ Mourlon-Druol, in: Cassis et al. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Banking and Financial History, 2016, S. 395, 409 ff. 51 Der Text ist abgedruckt bei Römer, Harmonisierung der Bankenaufsicht in der Europäischen Gemeinschaft, 1977, S. 142 ff. 52 Ausführliche Darstellung der Rechtsentwicklung bei Römer, Harmonisierung der Bankenaufsicht in der Europäischen Gemeinschaft, 1977, S. 80 ff. 53 Erste Richtlinie des Rates vom 12.12.1977 zur Koordination der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (77/ 780/EWG). Die Erste Bankrechtskoordinierungs-RL führte in Deutschland allerdings nur zu einem geringen Umsetzungsbedarf. Denn die wesentlichen Vorgaben der Ersten Bankrechtskoordinierungs-RL waren im KWG bereits enthalten.
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allerdings im Wesentlichen nur die Voraussetzungen, unter denen ein Kreditinstitut erstmals zugelassen werden sowie in anderen Mitgliedstaaten Niederlassungen errichten kann. Anders als der recht weit gefasste Titel der Richtlinie vermuten lässt, wurde durch die Erste Bankrechtskoordinierungsrichtlinie nur ein Teilausschnitt des Bankenrechts (nämlich die Marktzugangskontrolle) koordiniert.54 Sie normierte das Konzessionsprinzip (Erfordernis einer Bankerlaubnis) und legte die Mindestanforderungen für die Zulassung von Kreditinstituten – ausreichendes Mindestkapital, Bestellung von mindestens zwei Geschäftsleitern (Vier-Augen-Prinzip) sowie ausreichende Zuverlässigkeit und Erfahrung der Geschäftsleiter – fest.55 Die Mindestanforderungen wurden in dieser Richtlinie allerdings noch recht vage formuliert. Konkrete Mindeststandards sah diese noch nicht vor. Eine weitere Etappe markierte die am 13. Juni 1983 verabschiedete Erste Konsolidierungsrichtlinie. Hiermit wurde der Grundsatz der konsolidierten Beaufsichtigung von Kreditinstituten europarechtlich verankert.56 Auch hier beschränkte sich der europäische Gesetzgeber allerdings noch darauf, die grundlegenden Prinzipien zu harmonisieren: Durch die Konsolidierung der „finanziellen Situation“ eines Mutterinstituts soll den Aufsichtsbehörden die Möglichkeit gegeben werden, die wirtschaftliche Gesamtsituation des Kreditinstituts fundiert zu beurteilen.57 Konkrete inhaltliche Anforderungen an das vom Mutterunternehmen durchzuführende Zusammenfassungsverfahren wurden erst durch die Konsolidierungsrichtlinie von 199258 sowie die Großkreditkonsolidierungsrichtlinie59 normiert.
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2. Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes (1985)
Ein weiterer Schritt in der Entwicklung des europäischen Bankenaufsichtsrechts erfolgte im Jahre 1985, in dem die Europäische Kommission ihr Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes veröffentlichte.60 In diesem Weißbuch wies die Kommission auf die Bedeutung der grenzüberschreitenden Bankund Finanzdienstleistungen für die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes hin.61 Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1995, S. 308. Art. 3 der Ersten Bankrechtskoordinierungs-RL. Richtlinie 83/350/EWG des Rates vom 13.6.1983 über die Beaufsichtigung der Kreditinstitute auf konsolidierter Basis. Vgl. zu den Einzelheiten Teil 5 (§ 15 f.). 57 Art. 3 und 4 der Konsolidierungs-RL von 1983. 58 Richtlinie 92/30/EWG des Rates vom 6.4.1992 über die Beaufsichtigung von Kreditinstituten auf konsolidierter Basis. 59 Richtlinie 92/121/EWG des Rates vom 21.12.1992 über die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten. 60 Kommission, Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM (85) 310 endg., v. 14.6.1985. Hierzu Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 7 f. 61 Kommission, Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM (85) 310 endg., v. 14.6.1985, Rn. 100 und 101. 54 55 56
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
Die Europäische Kommission forderte, dass die Überwachung der laufenden Tätigkeiten auf dem Grundsatz der Herkunftslandkontrolle basieren solle. Mit der Überwachung eines Finanzinstituts solle in erster Linie die zuständige Behörde in seinem Ursprungsland betraut werden.62 Hiermit wurde das für die europäische Bankenaufsicht zentrale Prinzip des „EU-Passes“ formuliert. Zugleich forderte die Kommission, dass ein „Mindestmaß an Harmonisierung der Überwachungsnormen“ erfolgen müsse.63 3. Zweite Phase: Etablierung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und Harmonisierung von Mindeststandards (1989–1999)
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Ausgehend von den Empfehlungen des Weißbuchs von 1986 wurde eine weitere Phase der europäischen Rechtsangleichung durch die Zweite Bankrechtskoordinationsrichtlinie von 1989 angestoßen.64 Hiermit wurden zwei für das europäische Bankenaufsichtsrecht grundlegende Prinzipien normiert: der Grundsatz der Herkunftslandkontrolle (home country supervision) sowie der damit in Verbindung stehende Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungsentscheidungen („Europäischer Pass“, siehe hierzu im Einzelnen § 7 Rn. 65 ff.). Die Einführung des EU-Passes setzte eine Mindestharmonisierung der wesentlichen Aufsichtsstandards voraus. Eine solche Mindestharmonisierung wurde neben der bereits angesprochenen zweiten Bankrechtskoordinationsrichtlinie von 1989 durch die im gleichen Jahr verabschiedete Eigenmittelrichtlinie65 sowie durch die Solvabilitätsrichtlinie66 verwirklicht. Diese Richtlinien setzten die Basler Eigenkapitalvereinbarungen von 1988 (Basel I) in das europäische Recht um.67 Ferner wurden die Mindestanforderungen bezüglich der Zulassung der Kreditinstitute konkretisiert und Notifizierungspflichten bei dem Erwerb von qualifizierten Beteiligungen in das europäische Recht eingeführt.68 Vor dem Hintergrund der hiermit erstmals erfolgten (Mindest-)Harmonisierung von wesentlichen Aufsichtsstandards wurde die Zweite Bankrechtskoordinationsrichtlinie von 1989 als „Magna Charta des Bankrechts“69 bezeichnet.70 Kommission, Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM (85) 310 endg., v. 14.6.1985, Rn. 100 und 103. 63 Kommission, Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM (85) 310 endg., v. 14.6.1985, Rn. 100 und 103. 64 Zweite Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG. 65 Richtlinie 89/299/EWG des Rates vom 17.4.1989 über die Eigenmittel von Kreditinstituten. 66 Richtlinie 89/647/EWG des Rates vom 18.12.1989 über einen Solvabilitätskoeffizienten für Kreditinstitute. 67 Ausführlich zu den Eigenmittelanforderungen § 8. 68 Art. 10 ff. der Zweiten Bankrechtskoordinierungs-RL. 69 Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1995, S. 308. 70 Diese wurden in das deutsche Recht durch die 4. KWG-Novelle umgesetzt. 62
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Dieser Prozess der Mindestharmonisierung wurde durch weitere Richtlinien vorangetrieben, namentlich die Zweite Konsolidierungsrichtlinie71, die Großkreditrichtlinie72 sowie die Kapitaladäquanzrichtlinie73. Durch die Kapitaladäquanzrichtlinie wurden die Eigenmittelanforderungen auch auf Wertpapierfirmen erstreckt. Durch die BCCI-Richtlinie74 wurde die Aufsicht über Unternehmensgruppen harmonisiert. Schließlich wurden durch die Einlagensicherungsrichtlinie75 die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Erlaubnis zum Betreiben des Kreditgeschäfts von der Zugehörigkeit zu einem Einlagensicherungssystem abhängig zu machen. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von 1993.76 Diese Richtlinie verlangte von den Mitgliedstaaten u. a. den Erlass bestimmter Wohlverhaltensregeln und normierte Anforderungen an die Unternehmensorganisation.77
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4. Aktionsplan für Finanzdienstleistungen (1999) und Lamfalussy-Bericht (2000/2001)
Weitere Impulse für die Rechtsvereinheitlichung gingen vom Aktionsplan für Finanzdienstleistungen der Kommission (Financial Services Action Plan – FSAP) aus dem Jahre 1999 aus.78 Die Kommission forderte vor dem Hintergrund der zunehmenden Verflechtungen von Banken, Wertpapierfirmen und Versicherungen eine stärker sektorenübergreifende Zusammenarbeit der Auf-
71 Richtlinie 92/30/EWG des Rates vom 6.4.1992 über die Beaufsichtigung von Kreditinstituten auf konsolidierter Basis. Hierzu im Zusammenhang mit der konsolidierten Aufsicht unten Teil 5 (§§ 15 und 16). 72 Richtlinie 92/121/EWG des Rates vom 21.12.1992 über die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten. 73 Richtlinie 93/6/EWG des Rates vom 15.3.1993 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten. 74 Richtlinie 95/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.6.1995 zur Änderung der Richtlinien 77/780/EWG und 89/646/EWG betreffend Kreditinstitute, der Richtlinien 73/239/EWG und 92/49/EWG betreffend Schadenversicherungen, der Richtlinien 79/ 267/EWG und 92/96/EWG betreffend Lebensversicherungen, der Richtlinie 93/22/EWG betreffend Wertpapierfirmen sowie der Richtlinie 85/611/EWG betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) zwecks verstärkter Beaufsichtigung dieser Finanzunternehmen. 75 Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.1994 über Einlagensicherungssysteme. 76 Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen. 77 Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 12. 78 Kommission, Finanzdienstleistungen: Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, Mitteilung der Kommission, KOM (1999), 232, 11.5.1999 (FSAP). Hierzu auch Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 13 ff.
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sichtsbehörden.79 Diese Überlegungen wurden in der ersten Finanzkonglomeraterichtlinie vom Gesetzgeber aufgegriffen.80 Ein Jahr später wurde vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister ein Ausschuss unter dem Vorsitz von Alexandre Lamfalussy eingesetzt.81 Dieser legte am 15. Februar 2001 seinen Abschlussbericht vor.82 Die Lamfalussy-Kommission schlug ein vierstufiges Verfahren vor, das eine effizientere Gesetzgebung ermöglichen sollte.83 Zwar bezogen sich die Vorschläge in dem Lamfalussy-Bericht auf die Kapitalmarktgesetzgebung. Das Lamfalussy-Verfahren kam allerdings auch bei den späteren bankenaufsichtsrechtlichen Regelungsvorhaben zum Einsatz (vgl. im Einzelnen § 4 Rn. 5 ff.). 5. Dritte Phase: Konsolidierung des Regelungsbestandes und Umsetzung von Basel II (1999–2008)
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Eine dritte Phase in der Entwicklung des europäischen Bankenaufsichtsrechts setzte zum 1. Januar 1999 mit der Einführung des Euro ein.84 Einen ersten Meilenstein markierte die Richtlinie 2000/12/EG über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit von Kreditinstituten.85 Hiermit wurden zentrale Aspekte des Bankenaufsichtsrechts in einem einheitlichen Regelungsakt konsolidiert. Diese Richtlinie enthielt zum Teil recht detaillierte Vorgaben an die Aufnahme der Tätigkeit der Kreditinstitute sowie zum Entzug der Bankerlaubnis (Art. 4 ff.), zu den Regelungen zum EU-Pass (Art. 18 ff.), den Grundsätzen der Koordination der nationalen Bankenaufsicht (Art. 26 ff.) sowie den Eigenmittel- und Großkreditvorgaben (Art. 34 ff.). Die Richtlinie war freilich weiterhin als Mindestharmonisierung konzipiert.86 Die Richtlinie 2000/12/EG wurde einige Jahre später durch die neugefasste Bankenrichtlinie von 2006 ersetzt, die zusammen mit der neugefassten Kapitaladäquanzrichtlinie kurz als „CRD I“ (Capital Requirement Directive) be-
Kommission, FSAP, S. 12 f. Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2002 über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 79/ 267/EWG, 92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und 93/22/EWG des Rates und der Richtlinien 98/78/EG und 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates. 81 Hierzu auch Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 16 ff. 82 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Reglementierung der europäischen Wertpapiermärkte v. 15.12.2001 (im Folgenden: „Schlussbericht“). 83 Schlussbericht, S. 26 ff. 84 Der Euro wurde am 1. Januar 1999 als Buchgeld, drei Jahre später (1. Januar 2002) als Bargeld eingeführt. 85 Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20.3.2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute. 86 Zu den verschiedenen Harmonisierungskonzepten § 4 Rn. 38 ff. 79 80
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zeichnet wird.87 Hiermit wurde mit gewissen Modifikationen der neugefasste Eigenmittelakkord (Basel II) des Basler Ausschusses in das Europarecht überführt. Die CRD I wurde als Konsequenz der Finanzkrise ergänzt und reformiert (CRD II bis CRD IV/V, s. u.). Zwei Jahre zuvor wurde 2004 zudem die Richtlinie für Märkte für Finanzinstrumente (MiFID)88 erlassen, die durch verschiedene Durchführungsrichtlinien konkretisiert wurde. Die MiFID ersetzte die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von 1993 und regelte u. a. den Marktzugang und die Verhaltenspflichten von Wertpapierfirmen.
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6. Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik (2005)
In ihrem Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik (2005) legte die Europäische Kommission einen Fokus auf die Vollendung des in den vorausgehenden Jahren angestoßenen Konsolidierungsprozesses.89 Die Kommission bekräftigte die Bedeutung des EU-Passes für Finanzdienstleistungen sowie einer effizienten grenzüberschreitenden Aufsicht.90 Sie setzte sich für mehr Transparenz hinsichtlich der von den Aufsichtsbehörden in dem Herkunfts- und Aufnahmemitgliedstaat wahrgenommenen Aufgaben ein.91 Einen weiteren Fokus bildete eine Verbesserung der Gesetzgebungspraxis („gute Gesetzgebung“). Als wichtige Maßnahme einer solchen „guten Gesetzgebung“ wurde von der Kommission eine fortlaufende Evaluation der bisherigen Gesetzgebungsmaßnahmen befürwortet.
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7. Vierte Phase: Etablierung einer europäischen Bankenaufsicht und Neuordnung der Bankenregulierung (seit 2009)
Eine vierte Phase wurde durch die globale Finanzkrise angestoßen, die ihren Ausgangspunkt im Jahre 2007 in dem Zusammenbruch des US-amerikanischen Marktes für verbriefte Subprime-Immobilienkredite hatte. Die Finanzkrise – die schwerste Krise seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 – hatte erhebliche Mängel in der globalen Finanzmarktarchitektur offenbart. Sie setzte einen Re87 Durch die Unterteilung in zwei Rechtsakte wurde die im Rahmen der Richtlinie 2000/12/ EG angestoßene (Teil-)Kodifikation wieder partiell aufgebrochen. Siehe dazu auch Grundmann, in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2016, Band 10 (Teilband 1), Rn. 34. 88 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates. 89 Weißbuch der Kommission vom 1. 12.2005 zur Finanzdienstleistungspolitik (2005–2010) KOM(2005) 629 endg., S. 5. 90 Diese Instrumente wurden in dem Weißbuch als „Herzstück des EG-Aufsichtswesens“ bezeichnet. 91 Weißbuch der Kommission vom 1.12.2005 zur Finanzdienstleistungspolitik (2005–2010) KOM(2005) 629 endg., S. 12.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
formprozess in Gang, der zu einer tiefgreifenden Neuausrichtung der Bankenaufsicht geführt hat. Die Reformentwicklungen lassen sich in drei eng miteinander verbundene Entwicklungsstränge unterteilen:92 erstens die Etablierung eines einheitlichen Regelwerks für Finanzdienstleister (Single Rulebook), zweitens die Errichtung einer reformierten europäischen Aufsicht und drittens die Verwirklichung der Bankenunion. Diese Entwicklungen sind im Folgenden überblicksartig nachzuzeichnen. a) Der De-Larosière-Bericht (2009) und die Etablierung eines europäischen Finanzaufsichtssystems (2010)
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Im Oktober 2008 beauftragte die Europäische Kommission eine Gruppe von Experten unter dem Vorsitz von Jacques de Larosière, Empfehlungen zur Reform der Beaufsichtigung und Regulierung der europäischen Finanzmärkte zu erarbeiten.93 Der Bericht dieser Expertenkommission (De-Larosière-Bericht) wurde im Februar 2009 veröffentlicht.94 Er bildete den konzeptionellen Ausgangspunkt der Post-Finanzkrise-Reformagenda und war für die weitere Rechtsentwicklung von fundamentaler Bedeutung.95
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Der De-Larosière-Bericht nannte fünf Ursachen der Finanzkrise: (i) makroökonomische Aspekte, insbesondere niedrige Zinsen und überschüssige Liquidität, die eine Blasenbildung auf den US-amerikanischen Immobilienmärkten begünstigten, (ii) Versäumnisse sowohl bei den Finanzunternehmen als auch den Regulierungs- und Aufsichtsbehörden bei der Risikobewertung und dem Risikomanagement; (iii) Unterschätzung von Ausfallrisiken durch die Rating-Agenturen, (iv) Versagen der Unternehmensführung sowie (v) ein Versagen von Regulierung, Aufsicht und Krisenmanagement, insbesondere hinsichtlich der Vernachlässigung von makroökonomischen Gefahren (Ansteckungsrisiken).96 Der De-Larosière-Bericht beklagte ferner das Fehlen eines kohärenten europäischen Regulierungsrahmens. Hierfür wurden insbesondere bestehende Umsetzungsspielräume bei der Implementierung der europäischen Richtlinien verantwortlich gemacht.97 Als Beispiel führten die Sachverständigen unterschiedliche Definitionen von zentralen Konzepten des Bankenaufsichtsrechts an, wie beispielsweise die Definition des Kreditinstituts bzw. des regulatorischen Kernkapitals.98 92 Weitere Reformansätze zielten auf die Organisation bzw. Struktur von Banken und Bankengruppen ab. Vgl. dazu den Bericht der Hochrangigen Expertengruppe für Strukturreformen im EU-Bankensektor unter dem Vorsitz von Erkki Liikanen vom 2.10.2012 (LiikanenBericht). 93 Vgl. Kommission, Aus der Finanzkrise in den Aufschwung: Ein Aktionsrahmen für Europa, KOM (2008) 706 end. Weitere Mitglieder dieser Expertenkommission waren Leszek Balcerowicz, Otmar Issing, Rainer Masera, Callum McCarthy, Lars Nyberg, José Pérez und Onno Ruding. 94 Vgl. oben § 1 Fn. 21. 95 In diesem Sinne auch Ferran, in: dies. et al. (Hrsg.), The Regulatory Aftermath of the Global Financial Crisis, 2012, S. 1, 62 („pivotal contribution“). 96 De-Larosière-Bericht, Rn. 6 ff. 97 De-Larosière-Bericht, Rn. 99 ff. 98 De-Larosière-Bericht, Rn. 105 (mit weiteren Beispielen).
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Es wurde von der Expertenkommission eine Reihe weitreichender Reformvorschläge unterbreitet. Zum einen forderten diese den europäischen Gesetzgeber dazu auf, die Regulierung der Finanzmärkte stärker zu harmonisieren.99 Zum anderen sah der Bericht eine Neuausrichtung des europäischen Finanzaufsichtssystems vor. So sollten nach den Vorschlägen des De-Larosière-Berichts die bisherigen Stufe-3-Ausschüsse (CEBS, CEIOPS und CESR) zu eigenen Behörden aufgewertet werden.100 Eine direkte Beaufsichtigung von Banken durch die EZB lehnte die Gruppe allerdings noch ab.101 Auf Grundlage des De-Larosière-Berichts beschloss die Kommission in einer Mitteilung vom 23. September 2009 ein umfangreiches Legislativpaket.102 Dieses sah die Schaffung eines Europäischen Systems für die Finanzaufsicht (ESFS) vor, die aus drei europäischen Behörden mit eigener Rechtspersönlichkeit bestehen sollte.103 Diese Pläne wurden Ende 2010 umgesetzt. So wurde neben einer Europäischen Aufsichtsbehörde für den Wertpapierhandel (ESMA) und einer Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde (EIOPA) auch eine Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) gegründet.104 Diese Behörden haben die Aufgabe, eine kohärente und wirksame Anwendung der europäischen Rechtsakte sicherzustellen. Auf makroprudenzieller Ebene wurde zudem ein Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) errichtet.105 Das System der europäischen Aufsicht wird im zweiten Teil (§ 5) erörtert.
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b) Verabschiedung des CRD-IV/CRR-Regimes sowie Etablierung eines „Single Rulebooks“ (seit 2009)
Als Reaktion auf die Finanzkrise wurde auch das materielle Aufsichtsrecht tiefgreifend reformiert. Den Ausgangspunkt bildete die Reform der Bankenrichtlinie von 2006 durch die sog. CRD-II-Richtlinie von 2009.106 Hierdurch wurden u. a. Aspekte der Koordination der nationalen Aufsichtsbehörden sowie die Anforderungen an die Anerkennung von Hybridkapital adressiert. Bereits kurze Zeit später, im November 2010, wurde die Bankenrichtlinie erneut refor-
Vgl. Erwägungsgrund (2) CRR. De-Larosière-Bericht, Rn. 53 ff. De-Larosière-Bericht, Rn. 172. Zu den Gründen noch unten § 6 Rn. 5 ff. Mitteilung der Kommission, Europäische Finanzaufsicht, 27.5.2009, KOM (2009), 252 endg. Vgl. hierzu Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 1 Rn. 36 ff. 103 Auf internationaler Ebene hat sich hierfür der Begriff „ESA“ (European Supervisory Authorities) etabliert. 104 Siehe unten § 5 Rn. 11 ff. 105 Siehe unten § 5 Rn. 4 ff. 106 Richtlinie 2009/111/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2007/64/EG hinsichtlich Zentralorganisationen zugeordneter Banken, bestimmter Eigenmittelbestandteile, Großkredite, Aufsichtsregelungen und Krisenmanagement (CRD II). 99 100 101 102
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miert (CRD III).107 Hiermit wurden die weiter oben angesprochenen ersten Reformen des Basel-II-Rahmenwerks (Basel 2,5) sowie aufsichtsrechtliche Anforderungen an das Vergütungsregime in das Unionsrecht überführt. Eine umfassende Neujustierung der europäischen Bankenregulierung erfolgte durch die am 26. Juni 2013 verabschiedete CRD-IV-Richtlinie108 sowie die – unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbare – CRR-Verordnung109 (zusammen als „CRD/CRR-Regime“ bezeichnet). Das CRD/CRR-Regime bildet bis heute den Kernbestandteil des Single Rulebooks im Bankensektor.110 Es setzte die vom Basler Ausschuss reformierten Eigenmittelstandards (Basel III) mit gewissen Modifikationen111 in das europäische Recht um. Zugleich führte das CRD/CRR-Regime weitreichende Governance-Anforderungen in das europäische Aufsichtsrecht ein. Das CRD/CRR-Regime trat (mit einigen Ausnahmen) zum 2. Januar 2014 in Kraft bzw. musste zu diesem Zeitpunkt von den Mitgliedstaaten in das nationale Recht umgesetzt werden. Das CRD/CRR-Regime wird durch etwa 100 Durchführungsrechtsakte sowie eine große Zahl von Leitlinien und Empfehlungen der EBA näher konkretisiert (vgl. hierzu noch § 4 Rn. 23 ff.). Neben dem CRD/CRR-Regime sind für Institute noch weitere europäische Rechtsakte relevant. Für Wertpapierfirmen ist insbesondere die im Mai 2014 beschlossene Überarbeitung der MiFID-I-Richtlinie112 von zentraler Bedeutung (MiFID-II/MiFIR-Paket). Das Regelwerk setzt sich aus einer reformierten Richtlinie (MiFID II)113 sowie einer direkt in den Mitgliedstaaten anwendbaren Verordnung (MiFIR) zusammen.114 Das MiFID-II/MiFIRRegime trat am 2. Januar 2018 in Kraft bzw. musste bis zu diesem Datum von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Es enthält u. a. umfassende Vorgaben an die Verhaltens- und Organisationspflichten von Wertpapierfirmen.
107 Richtlinie 2010/76/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Wiederverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik (CRD III). 108 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (CRD IV). 109 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012 (CRR). 110 Dazu unten § 4. 111 Vgl. hierzu Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 54 f.; Bornemann, in: Beck/ Samm/Kokemoor, KWG mit CRR, CRR Einführung, Rn. 16 ff. (177. AL, Februar 2015). 112 Vgl. zur MiFID I oben Rn. 35. 113 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/ EU (Neufassung) (MiFID II). 114 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (MiFIR).
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c) Auf dem Weg zu einer europäischen Bankenunion (seit 2012)
Der europäische Gesetzgeber ließ es nicht bei der oben skizzierten Reform der Finanzaufsicht bewenden. Für Mitgliedstaaten im Euroraum wurde das ehrgeizige Ziel der Schaffung einer europäischen Bankenunion (banking union) verfolgt.115 Die Bankenunion beruht auf drei Säulen: dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter der Führung der EZB (Single Supervisory Mechanism – SSM), einer einheitlichen Bankenabwicklung (Single Resolution Mechanism – SRM) sowie einheitlichen Rahmenbedingungen für die Einlagensicherung (Single Resolution Fund – SRF). Triebfeder der Entwicklung einer Bankenunion war die in Europa auf die Finanzkrise von 2007–2008 ab dem Jahre 2010 folgende europäische Schuldenkrise. Aus den Erfahrungen dieser Eurokrise hatte der europäische Gesetzgeber die Erkenntnis gezogen, dass aufgrund „spezifischer Risiken innerhalb des Euroraums“ eine bloße Koordination zwischen den Aufsichtsbehörden nicht ausreiche, um „wieder Vertrauen in den Euro“ zu schaffen.116 Es wurde daher eine Zentralisierung der Bankenaufsicht angestrebt – ein Novum im europäischen Finanzmarktrecht. Die Eckpunkte der Bankenunion wurden von der Kommission in ihrer Mitteilung vom 12. September 2012 zum „Fahrplan für eine Bankenunion“ beschrieben.117 Zeitgleich hatte die Kommission zwei Legislativvorschläge zur Etablierung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus sowie zur Anpassung der Verordnung der Europäischen Aufsichtsbehörde vorgelegt.118 Am 15. Oktober 2013 wurde schließlich die SSM-Verordnung verabschiedet, die durch die SSM-Rahmenverordnung näher konkretisiert wird.119 Hiermit wurde die rechtliche Grundlage für eine unmittelbare Beaufsichtigung von bedeutenden Kreditinstituten (significant institutions – SI) unter der Führung der EZB geschaffen. Der einheitliche Aufsichtsmechanismus nahm zum 2. November 2015 seine Arbeit auf. Einzelheiten werden in § 6 behandelt. 115 Vgl. zur Entwicklung der Bankenunion noch unten § 6. 116 Vgl. die Ausführungen in der Mitteilung der Kommission, Fahrplan für eine Banken-
union, 12.9.2012, COM (2012) 510 fin. 117 Vgl. die Ausführungen in der Mitteilung der Kommission, Fahrplan für eine Bankenunion, 12.9.2012, COM (2012) 510 fin. Vgl. auch die Gipfelerklärung der Mitglieder des EuroWährungsgebietes vom 29.6.2012. 118 Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, 12.9.2012, COM(2012) 511 final; Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) hinsichtlich ihrer Wechselwirkungen mit der Verordnung (EU) Nr. …/… des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, 12.9.2012, COM (2012) 512 final. 119 Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16.4.2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) (EZB/2014/17).
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Weitere Schritte zur Etablierung der Bankenunion waren die Verabschiedung der Bankenabwicklungsrichtlinie vom 15. Mai 2014 (BRRD)120 sowie der Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM-Verordnung) vom 15. Juli 2014, die die rechtlichen Rahmenbedingungen des einheitlichen Abwicklungsmechanismus regeln. Zudem wurde am 16. April 2014 eine reformierte Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (Deposit Guarantee Scheme Directive – DGSD) verabschiedet, welche Kernaspekte der Einlagensicherungssysteme harmonisiert.121
8. Fünfte Phase: Konsolidierung der Post-Finanzkrise-Gesetzgebung und Vollendung der Bankenunion (seit 2016) a) Verabschiedung des Bankenpakets vom April 2019 (CRD V/CRR II) 51
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Die im Zuge der Finanzkrise verabschiedeten Gesetzesreformen wurden in Teilen (erneut) überarbeitet. So hatte die Europäische Kommission am 23. November 2016 einen ersten Entwurf einer Überarbeitung des CRD/CRR-Pakets – bestehend aus einer CRD-Änderungsrichtlinie (CRD V)122 sowie einer CRRÄnderungsverordnung (CRR II)123 – veröffentlicht. Diese Gesetzesreformen wurden in Trilog-Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission verhandelt. Am 22./ 23. Mai 2018 hat die Präsidentschaft des Europäischen Rates einen Kompromissvorschlag (Presidency Compromise) eines reformierten CRD-V/CRR-IIPakets veröffentlicht.124 Am 30. November 2018 wurde in den Trilog-Verhand120 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/ 24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates. 121 Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Einlagensicherungssysteme. 122 Kommission, Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directive 2013/36/EU as regards exempted entities, financial holding companies, mixed financial holding companies, remuneration, supervisory measures and powers and capital conservation measures, COM/2016/0854 final – 2016/0364 (COD). 123 Kommission, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EU) No 575/2013 as regards the leverage ratio, the net stable funding ratio, requirements for own funds and eligible liabilities, counterparty credit risk, market risk, exposures to central counterparties, exposures to collective investment undertakings, large exposures, reporting and disclosure requirements and amending Regulation (EU) No 648/ 2012 COD. 124 Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directive 2013/36/EU as regards exempted entities, financial holding companies, mixed financial holding companies, remuneration, supervisory measures and powers and capital conservation measures (23.5.2018, 2016/0364 (COD)). Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EU) No 575/2013 as regards the leverage ratio, the net stable funding ratio, requirements for own funds and eligible liabilities, counterparty credit risk, market risk, exposures to central counterparties, exposures to collective investment undertakings, large exposures, reporting and disclosure requirements and amending Regulation (EU) No 648/2012 (22.5.2018, 2016/0360 (COD)).
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lungen eine allgemeine politische Einigung erzielt.125 Das europäische Bankenpaket (bestehend aus den Änderungsrechtsakten CRD V/CRR II sowie der BRRD II und SRM-II-VO) wurde am 16. April 2019 verabschiedet. Am 7. Juni 2019 wurde die finale Fassung der CRD V/CRR II in das Amtsblatt der Europäischen Union eingetragen.126 Die Vorgaben der CRD V mussten von den Mitgliedstaaten überwiegend bis zum 29. Dezember 2020 in das nationale Recht umgesetzt werden.127 Die Anforderungen der CRR II finden in weiten Teilen ab dem 28. Juni 2021 Anwendung.128 Wichtig ist, dass es sich bei dem europäischen Bankenpaket um Änderungsrechtsakte handelt. Im Gegensatz zur CRD IV wurde die Rechtslage nicht grundlegend neu gestaltet, sondern nur einzelne Bereiche der CRD IV/CRR punktuell reformiert und weiterentwickelt. Soweit nicht anders vermerkt, werden in diesem Band die Grundlagen der CRD/CRR in der durch CRD V/ CRR II angepassten Fassung dargestellt.
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b) Einführung eines eigenständigen prudenziellen Aufsichtsregimes für Wertpapierfirmen (IFD/IFR-Regime)
Im November 2019 hat der europäische Gesetzgeber eine WertpapierfirmenRichtlinie (investment firms directive – IFD) und eine Wertpapierfirmen-Verordnung (investment firms regulation – IFR) erlassen (zusammen auch als „IFD/IFR-Regime“ bezeichnet).129 Hierdurch wurde ein differenziertes Regime zur prudenziellen Aufsicht über Wertpapierfirmen geschaffen. Bestimmte kleinere Wertpapierfirmen unterliegen nicht mehr dem CRD/CRR-Regime, sondern einem eigenständigen Aufsichtsregime. Bestimmte große Unternehmen, die bislang als Wertpapierfirmen qualifiziert werden, unterliegen demge125 Rat der Europäischen Union, Brüssel 30.11.2018, 2016/0354. 126 Richtlinie (EU) 2019/878 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2019 zur
Änderung der Richtlinie 2013/36/EU im Hinblick auf von der Anwendung ausgenommene Unternehmen, Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften, Vergütung, Aufsichtsmaßnahmen und -befugnisse und Kapitalerhaltungsmaßnahmen (CRD V); Verordnung (EU) 2019/876 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 in Bezug auf die Verschuldungsquote, die strukturelle Liquiditätsquote, Anforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, das Gegenparteiausfallrisiko, das Marktrisiko, Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien, Risikopositionen gegenüber Organismen für gemeinsame Anlagen, Großkredite, Melde- und Offenlegungspflichten und der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (CRR II). 127 Art. 2 CRD V. 128 Einzelne Vorschriften der CRR II gelten bereits ab dem 27.6.2019. 129 Richtlinie (EU) 2019/2034 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 2002/87/ EG, 2009/65/EG, 2011/61/EU, 2013/36/EU, 2014/59/EU und 2014/65/EU (Wertpapierfirmen-RL); Verordnung (EU) 2019/2033 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 über Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010, (EU) Nr. 575/2013, (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 806/2014 (Wertpapierfirmen-VO).
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genüber inzwischen der unmittelbaren Beaufsichtigung der EZB. Die wesentlichen Regelungen sind ab dem 26. Juni 2021 anzuwenden. Die Einzelheiten des prudenziellen Aufsichtsregimes für Wertpapierfirmen gehen über den thematischen Umfang dieses Werkes hinaus und werden daher hier nicht näher behandelt (vgl. zu der vorgenommenen Klassifizierung noch unten § 6 Rn. 20 f. sowie § 7 Rn. 45 ff.). c) Reform der europäischen Finanzaufsicht 55
Durch die ESA-Änderungsverordnung vom 18. Dezember 2019 wurde die Architektur der europäischen Finanzaufsicht in Teilen reformiert.130 Hierdurch wurden der EBA u. a. zusätzliche Kompetenzen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geldwäsche eingeräumt. Zudem wurden eigene Rechtsgrundlagen zum Erlass von bestimmten Soft-Law-Instrumenten geschaffen (Q&As, Stellungnahmen, Schaffung eines Unionshandbuchs etc.). Eine konzeptionelle Neuausrichtung der europäischen Finanzaufsicht ist damit allerdings nicht verbunden (vgl. § 5). d) Ausblick: Umsetzung der Basel-III-Reformen vom Dezember 2017 und Kommissionsentwurf vom Oktober 2021
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Wie erwähnt hat der Basler Ausschuss im Dezember 2017 ein Paket zur Weiterentwicklung des Basel-III-Rahmenwerks verabschiedet (zum Teil missverständlich als Basel IV bezeichnet).131 Die vom Basler Ausschuss beschlossenen Anpassungen wurden bislang noch nicht vollständig in das Unionsrecht überführt. Dies gilt insbesondere für die Einführung eines sog. „Output Floors“, die rechtspolitisch außerordentlich kontrovers diskutiert wurde. Am 27. Oktober 2021 hat die Kommission den Entwurf eines Bankenpakets (CRD VI/CRR III) veröffentlicht. Hierdurch sollen v.a. die vorgenannten Basel-III-Reformen in das europäische Recht überführt werden. Gem. dem Kommissionsentwurf ist die stufenweise Einführung eines Output Floors ab dem Jahre 2025 geplant.132 Nach Umsetzung der oben beschriebenen Gesetzesvorhaben ist die Implementierung der internationalen und europäischen Post-Finanzkrise-Gesetzge130 Verordnung (EU) 2019/2175 des Europäischen Parlaments und Rates vom 18.12.2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente, der Verordnung (EU) 2016/1011 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und der Verordnung (EU) 2015/847 über die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers. Ein Parallel-Rechtsakt wurde zur Anpassung der ESMA-VO erlassen. 131 Vgl. oben Rn. 13. 132 Die Vorschläge sind abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission.
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bung im Wesentlichen abgeschlossen. Nachdem die letzte Dekade durch einen beispiellosen Regulierungseifer der Gesetzgeber und der internationalen Standardsetzer geprägt war133, besteht nun die begründete Hoffnung, dass das geschaffene System für die kommenden Jahre jedenfalls im Kern Bestand haben wird (zu den Auswirkungen der Covid-19-Epidemie aber noch sogleich).134 9. Auswirkungen der Covid-19-Epidemie
Seit Ausbruch der weltweiten Covid-19-Epidemie befindet sich der Bankensektor in einem Ausnahmezustand. Als kurzfristige Reaktion auf die Covid-19Epidemie wurden einzelne Bereiche der Finanzmarktregulierung punktuell reformiert. So hatte das europäische Parlament im Eilverfahren bestimmte Anpassungen des CRR-Regimes beschlossen, die kurz nach Ausbruch der Epidemie von der Kommission im April 2020 empfohlen wurden (sog. quick fix).135 Eine entsprechende Änderungsverordnung wurde inzwischen verabschiedet. Es ist derzeit noch nicht absehbar, welche Auswirkungen die Covid-19-Epidemie in mittel- und langfristiger Sicht auf den europäischen Bankensektor und den regulatorischen Rechtsrahmen hat.
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III. Entwicklung der Bankenaufsicht in Deutschland Eine allgemeine Aufsicht über Kreditinstitute existiert in Deutschland seit der Bankenkrise136 von 1931.137 Die Bankenkrise führte zu umfassenden Maßnahmen, die in dem Erlass des Reichsgesetzes über das Kreditwesen vom 5. Dezember 1934 mündeten.138 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden verschiedene Versuche unternommen, das Kreditwesengesetz zu reformieren. Am 10. Juli 1961 133 Mülbert, ZHR (176) 2012, 369 („Regulierungstsunami“). 134 In diesem Sinne etwa die Einschätzung von Gleeson, International Regulation of Ban-
king, 3. Aufl. 2018, Rn. 3.63 („current architecture is likely to remain in place in broadly its current form for at least the next decade or so“). Ähnlich Grundmann, in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2016, Band 10 (Teilband 1), Rn. 35 (bankaufsichtsrechtliche Architektur für „eine erhebliche Zeit“ neu angelegt). 135 Vgl. zusammenfassend unten § 18 Rn. 40. 136 Die Bankenkrise von 1931 wurde maßgeblich durch den Zusammenbruch der Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank) vom 31.7.1931 ausgelöst. Siehe hierzu Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Band 1, KWG Einf. 1 ff. 137 Instruktiv zur Entwicklungsgeschichte der Bankenaufsicht nach dem KWG die Darstellung von Möschel, Das Wirtschaftsrecht der Banken, 1972, S. 199 ff. sowie der Überblick bei Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Band 1, Einf. 1 ff. 138 Das Kreditwesengesetz von 1934 ging maßgeblich auf den Bericht der im Herbst 1933 einberufenen Enquetekommission zur Untersuchung des Bankwesens von 1933 zurück. Nicht nur hinsichtlich seiner rechtspolitischen Zielsetzung und des möglichen Einflusses nationalsozialistischen Gedankengutes wurde das Reichsgesetz von 1934 nach dem Zweiten Weltkrieg heftig kritisiert. Gleichwohl hatte das Kreditwesengesetz von 1961 wesentliche Grundgedanken des Reichsgesetzes von 1934 übernommen. Vgl. zur Rechtsentwicklung Möschel, Das Wirtschaftsrecht der Banken, 1972, S. 199 ff., 204 ff., 215 ff. und 240 f.
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wurde das Kreditwesengesetz von 1961 verabschiedet, das bis heute das primäre Regelwerk des deutschen Bankenaufsichtsrechts bildet. Die Aufsicht über Kreditinstitute wurde dem (vormaligen) Bundesaufsichtsamt über Kreditwesen übertragen. Seither wurde das Kreditwesengesetz immer wieder reformiert und ergänzt, um u. a. die Vorgaben des Unionsgesetzgebers ins nationale Recht umzusetzen.139 Eine grundlegende Reform der Aufsicht über Banken und Finanzdienstleister erfolgte durch das Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22. April 2002.140 Hierdurch wurden die bis dato selbstständigen Aufsichtsämter über das Kreditwesen, für die Versicherungswirtschaft und für den Wertpapierhandel in eine Behörde – die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als sog. Allfinanzaufsichtsbehörde – zusammengefasst. Die BaFin übt zusammen mit der Deutschen Bundesbank nunmehr die Aufsicht über Institute (Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute) aus, sofern die Aufsicht nicht der EZB zugewiesen ist.141 Die Vorgaben der CRD-IV-Richtlinie wurden in Deutschland durch das CRD-IV-Umsetzungsgesetz in das Kreditwesengesetz transformiert.142 Die Anforderungen des Kreditwesengesetzes werden durch verschiedene nationale Rechtsverordnungen sowie zahlreiche Verlautbarungen und Merkblätter der BaFin konkretisiert. Zu erwähnen sind exemplarisch die „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk), die die aufsichtsrechtlichen Erwartungen hinsichtlich der Geschäftsorganisation und Risikosteuerung der Institute normieren. Soweit die Vorgaben des europäischen Rechts (wie bei der CRR) als Verordnung erlassen wurden, gelten diese unmittelbar, müssen also nicht in das deutsche Recht umgesetzt werden. Am 29. Juli 2020 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung des Bankenpakets veröffentlicht (Risikoreduzierungsgesetz).143 Dieses Gesetz wurde im Dezember 2020 verkündet.144 Im Mai 2021 wurde zudem das Gesetz zur Umsetzung der
139 Vgl. den Überblick bei Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Band 1, KWG Einf. 11 ff. 140 Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht v. 22.4.2002, BGBl. I 2002, S. 1310. 141 Zur Aufsicht durch die EZB vgl. § 6. 142 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/…/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. …/2013 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen v. 3.9.2013 (CRD IV-Umsetzungsgesetz), BGBl I 2013, S. 3395. 143 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinien (EU) 2019/878 und (EU) 2019/879 zur Reduzierung von Risiken und zur Stärkung der Proportionalität im Bankensektor. 144 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinien (EU) 2019/878 und (EU) 2019/879 zur Reduzierung von Risiken und zur Stärkung der Proportionalität im Bankensektor v. 6.12.2020 (Risikoreduzierungsgesetz), BGBl I 2020, S. 2773.
§ 2 Rechtsentwicklung
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Richtlinie (EU) 2019/2034 über die Beaufsichtigung von Wertpapierinstituten verabschiedet.145 Neben dem Kreditwesengesetz sind von den Instituten noch weitere nationale Rechtsquellen zu beachten. Vorschriften zur Bankenabwicklung sind primär in dem Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen (SAG) geregelt. Die Vorgaben hinsichtlich der staatlichen Einlagensicherung sind in dem Einlagensicherungsgesetz (EinSiG) normiert. Von großer praktischer Bedeutung ist zudem die Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (InstitutsVergV).146 Für Wertpapierfirmen sind zudem die Vorgaben des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) zu beachten, in dem u. a. weite Teile der MiFID-II-Richtlinie umgesetzt wurden. Wie erwähnt, wurde mit Wirkung zum 26. Juni 2021 das Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG) verabschiedet. Hiermit wurde ein eigenes prudenzielles Aufsichtsregime für kleinere und mittlere Wertpapierfirmen geschaffen.147
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IV. Fazit Das europäische Bankenaufsichtsrecht hat eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen. Während der europäische Gesetzgeber in den frühen Harmonisierungsakten noch eine Strategie der „kleinen Schritte“ verfolgte, hat sich das Bankenaufsichtsrecht zunehmend zu einer genuinen europäischen Rechtsmaterie entwickelt. Die Entwicklung vollzog sich sowohl auf der Ebene der materiellen Bankenregulierung als auch auf der Ebene der Aufsicht. Auf materieller Ebene verfolgt der europäische Gesetzgeber das Ziel, den rechtlichen Rahmen von Banken und Finanzdienstleistern in einem einheitlichen Regelwerk (Single Rulebook) zu harmonisieren. Grundlage hierfür bildet vor allem das CRD/CRR-Regime, das inzwischen durch etwa 100 Durchführungsrechtsakte näher konkretisiert wurde. Einen Meilenstein in der Entwicklung des europäischen Bankenaufsichtsrechts stellte die Etablierung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter der Führung der EZB dar. Damit wurden bedeutende Kreditinstitute in den teilnehmenden Mitgliedstaaten erstmals einer direkten Aufsicht einer europäischen Aufsichtsbehörde unterstellt. Gleichwohl bleibt auch das nationale Recht weiterhin relevant.148 Das CRD/CRR-Regime wurde im Zuge der Verabschiedung des CRD-V/ CRR-II-Pakets erneut reformiert. Mit Umsetzung dieser Gesetzgebungsvorhaben ist die Implementierung der internationalen und europäischen Reformagenda im Wesentlichen abgeschlossen.149 Nachdem die letzte Dekade durch ei-
BGBl. I 2021, S. 990. Dazu § 12 Rn. 72 ff. Vgl. Rn. 54 und Fn. 145. Vgl. dazu noch § 4. Allerdings wurden einige Teile der Vereinbarung des Basler Ausschusses vom Dezember 2017 bislang noch nicht in das CRD-V/CRR-II-Paket übernommen (insbesondere die Empfehlungen zur Einführung eines sog. „Output Floors“). Dazu oben Rn. 56 ff. 145 146 147 148 149
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nen fortlaufenden Regulierungseifer der Gesetzgeber sowie der internationalen Standardsetzer geprägt war150, besteht die Hoffnung, dass das geschaffene System für die kommenden Jahre im Kern Bestand haben wird.151
150 Mülbert, ZHR (176) 2012, 369 („Regulierungstsunami“). 151 Hierzu auch die Einschätzungen in Fn. 134.
§ 3 Gesetzgebungskompetenzen und Grundfreiheiten Literatur: Vgl. § 1 und § 2.
I. Primärrecht Den Ausgangspunkt des europäischen Integrationsprozesses bildeten die 1957 geschlossenen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) (sog. Römische Verträge).1 Einen weiteren wichtigen Schritt in der europäischen Integration markierte der Vertrag über die Europäische Union (EU) vom 7. Februar 1992, der sog. Maastricht-Vertrag. Dieser Vertrag bildete das Dach über den weiter bestehenden Gesellschaften, nämlich die Europäische Gemeinschaft (zuvor Europäische Wirtschaftsgemeinschaft), die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und die Europäische Atomgemeinschaft.2 Während bei Abschluss der Römischen Verträge zunächst sieben Staaten Mitglieder der EWG waren (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und das Königreich der Niederlande), hat sich der Kreis der Mitgliedstaaten in den Folgejahren stetig erweitert.3 Um die Handlungsfähigkeit zu sichern, wurden politische Diskussionen zur Errichtung einer neuen gesetzlichen Verfassung der Gemeinschaft aufgenommen. Als Ergebnis dieser Debatte wurde am 1. Dezember 2009 von den Regierungen der Mitgliedstaaten der Vertrag von Lissabon unterzeichnet. Seitdem sind Grundlage der Europäischen Union der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
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II. Kompetenznormen Die europäischen Verträge enthalten verschiedene Kompetenznormen zum Erlass weiterführender Gesetzesakte (sog. Sekundärrecht). Die für das europäische Bankenaufsichtsrecht bedeutsamsten Rechtsgrundlagen sollen im Folgenden überblicksartig skizziert werden.
Zu den primärrechtlichen Grundlagen im Zusammenhang mit der Entwicklung des euro1 päischen Kapitalmarktrechts vgl. Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 1 ff. Einzelheiten bei Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 2 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 1 ff. Derzeit umfasst die Europäische Union – nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs 3 – 27 Mitglieder.
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1. Koordination für die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten 4
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Für die Entwicklung des europäischen Bankenaufsichtsrechts war zunächst die Kompetenz des Gesetzgebers von Bedeutung, Richtlinien über die Aufnahme und Ausübung von selbstständigen Tätigkeiten zu erlassen (Art. 53 Abs. 1 AEUV). Die Gesetzgebungskompetenz beschränkt sich nach dem Gesetzeswortlaut allerdings auf die „Koordination der Rechts- und Verwaltungsvorschriften“. Ob diese „Koordination“ eine vollständige Rechtsvereinheitlichung beinhalten darf oder ob – wie der Wortlaut zunächst nahelegt – diese lediglich eine Mindestharmonisierung erlaubt, ist umstritten.4 Die Kompetenzvorschrift setzt ferner voraus, dass der Harmonisierungsrechtsakt die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat erleichtert. Art. 53 Abs. 1 AEUV diente dem europäischen Gesetzgeber u. a. als Kompetenzgrundlage für den Erlass der CRD-IV/V sowie der Einlagensicherungsrichtlinie. 2. Verwirklichung des Binnenmarktes
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Der europäische Gesetzgeber hat sich bei der Bankrechtsharmonisierung – zu nennen sind insbesondere die CRR-Verordnung sowie die BRRD – zudem auf Art. 114 AEUV berufen. Diese Vorschrift ermöglicht es dem Europäischen Parlament und dem Rat, Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Diese Kompetenzgrundlage ermöglicht auch eine Vollharmonisierung. Der europäische Gesetzgeber darf aber nur tätig werden, wenn die Maßnahmen die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern. 3. Übertragung von Kompetenzen auf die EZB
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Für die Errichtung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus war die in Art. 127 Abs. 6 AEUV vorgesehene Möglichkeit des europäischen Gesetzgebers von Bedeutung, besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute mit Ausnahme von Versicherungsunternehmen der EZB zu übertragen. Diese Kompetenz wurde dem Rat im Zuge der Verabschiedung des Maastricht-Vertrags im Jahre 1992 eingeräumt. Allerdings erlaubt diese Rechtsgrundlage nur die Übertragung von „besonderen“ Aufsichtsaufgaben auf die EZB; eine vollständige Übertragung sämtlicher Aufsichtsbefugnisse ist durch Art. 127 Abs. 6 AEUV nicht gedeckt (vgl. hierzu im Einzelnen § 6 Rn. 8). Bejahend Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 53 AEUV Rn. 4, 4 11; verneinend Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 47 EGV Rn. 25.
§ 3 Gesetzgebungskompetenzen und Grundfreiheiten
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III. Instrumente der Rechtsetzung 1. Überblick
Den EU-Organen steht nach den europäischen Verträgen ein begrenzter Katalog an Instrumenten der Rechtsdurchsetzung zur Verfügung. Gem. Art. 288 Abs. 1 AEUV nehmen für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union deren Organe Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen an.5 Die vom Unionsgesetzgeber erlassenen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse stellen verbindliche Rechtsakte dar. Der AEUV unterscheidet systematisch zwischen zwei Kategorien von Rechtsakten, nämlich zum einen „Gesetzgebungsakten“ sowie „Rechtsakten ohne Gesetzescharakter“.6 Letztere werden wiederum in delegierte Rechtsakte (delegated acts) sowie Durchführungsrechtsakte (implementing acts) unterteilt.7 Gesetzgebungsakte sind solche Rechtsakte, die in einem Gesetzgebungsverfahren angenommen werden.8 Die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und sonstigen Rechtsakten richtet sich gem. der Systematik der europäischen Verträge somit nach dem anzuwendenden Verfahren (nämlich der Durchführung eines Gesetzgebungsverfahrens). Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren besteht gem. Art. 289 Abs. 1 AEUV in der gemeinsamen Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses durch das Europäische Parlament und den Rat auf Vorschlag der Kommission gem. dem in Art. 294 AEUV festgelegten Verfahren. Wie erwähnt unterscheidet der AEUV zwischen zwei Kategorien von Rechtsakten ohne Gesetzescharakter, nämlich delegierten Rechtsakten sowie Durchführungsrechtsakten. Delegierte Rechtsakte werden in Art. 290 AEUV adressiert. Hiernach kann der Kommission die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Wirkung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen.9 Die Ziele, der Inhalt, der Geltungsbereich und die Dauer der Befugnisübertragung müssen im Gesetzgebungsakt ausdrücklich festgelegt sein.10 Die „wesentlichen Aspekte“ eines Bereichs sind allerdings dem Gesetzgebungsakt vorbehalten, sodass eine Befugnisübertragung auf die Kommission insoweit ausgeschlossen ist.11 Durchführungsrechtsakte Art. 288(1) AEUV. Hierzu im Kontext der Kapitalmarktgesetzgebung mit weiteren Ein5 zelheiten Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 12 ff. Vgl. die Terminologie in Art. 289(3) AEUV und Art. 290(1) AEUV. Dazu Veil, in: ders. 6 (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 12 ff. Übersicht bei Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 4. 7 Art. 289(3) AEUV. 8 Art. 290(1) AEUV. 9 10 Art. 290(1) Unterabs. 2 Satz 1 AEUV. 11 Art. 290(1) Unterabs. 2 Satz 2 AEUV.
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werden in Art. 291 AEUV geregelt. Bedarf es einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union, so werden mit diesen Rechtsakten der Kommission oder ausnahmsweise dem Rat Durchführungsbefugnisse übertragen.12 Derartige Durchführungsrechtsakte können sowohl in der Form einer Richtlinie als auch einer Verordnung erlassen werden. Für das europäische Bankenaufsichtsrecht sind die oben erwähnten „Rechtsakte ohne Gesetzescharakter“ von überragender Bedeutung: Bis dato wurden zur Konkretisierung der CRD/CRR-Rahmenvorgaben insgesamt ca. 100 delegierte Rechtsakte bzw. Durchführungsrechtsakte (und zwar jeweils in der Form der unmittelbar geltenden Verordnung) erlassen.13 2. Verordnung
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Die Handlungsform der Verordnung wird in Art. 288 Unterabs. 2 AEUV wie folgt definiert: „Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“. Charakteristisch für die Verordnung sind demnach drei Merkmale. Erstens handelt es sich hierbei um abstrakt-generelle Rechtssätze, die – im Gegensatz zu einem Beschluss14 – grundsätzlich an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet sind.15 Zweitens sind Verordnungen in allen ihren Teilen verbindlich. Sie unterscheiden sich hierdurch sowohl von Richtlinien (die nur hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich sind) als auch von Empfehlungen und Stellungnahmen (die keine unmittelbare Rechtsbindung entfalten).16 Drittens gelten Verordnungen ohne mitgliedstaatlichen Umsetzungsakt unmittelbar, daher müssen diese (anders als Richtlinien) nicht von den Mitgliedstaaten in ihre nationalen Rechtsordnungen umgesetzt werden. Die Verordnung entfaltet Rechtswirkung, sobald sie in Kraft getreten ist. Nationales Recht, das der Verordnung entgegensteht, wird von der Verordnung verdrängt.17 In der frühen Phase der Bankrechtsharmonisierung hatte die Verordnung als Harmonisierungsinstrument noch keine bzw. nur geringe Bedeutung. Dies änderte sich allerdings nach der Finanzkrise. Inzwischen ist der Gesetzgeber bestrebt, soweit möglich unmittelbar geltende Verordnungen zu erlassen. Derzeit sind in der CRR weite Teile insbesondere der quantitativen Bankenregulierung (etwa hinsichtlich der Eigenmittel-, Liquiditäts- und Großkreditbestimmungen) sowie die Offenlegungsanforderungen in der Form der unmittelbar gelten-
Art. 290(2) AEUV. Vgl. § 4 Rn. 33. Art. 288 Unterabs. 4 AEUV. Für Einzelheiten vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 16 ff. 16 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 19. 17 Entgegenstehendes nationales Recht ist allerdings nicht nichtig, sondern wird aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht angewendet. 12 13 14 15
§ 3 Gesetzgebungskompetenzen und Grundfreiheiten
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den Verordnung geregelt.18 Auch zahlreiche weitere Rechtsakte wie beispielsweise die SSM-Verordnung und SSM-Rahmenverordnung sowie die Durchführungsakte zur CRD/CRR wurden in der Handlungsform der Verordnung erlassen.19 Der europäische Gesetzgeber verfolgt hiermit das Ziel, divergierende Umsetzungen in den Mitgliedstaaten zu verhindern.20 3. Richtlinie
Die Richtlinie ist „für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“.21 Anders als eine Verordnung ist die Richtlinie somit nur hinsichtlich des damit zu erreichenden Zieles verbindlich. Die Richtlinienvorgaben müssen in das Recht des jeweiligen Mitgliedstaats umgesetzt werden. Im Vergleich zur Verordnung bietet das Instrument der Richtlinie aus Sicht der Mitgliedstaaten ein höheres Maß an Flexibilität.22 Gleichwohl kann auch eine Richtlinie präzise und detaillierte Regelungen enthalten, die den Mitgliedstaaten keine bzw. nur geringe Handlungsspielräume belassen. Während die Bankrechtsharmonisierung in den frühen Phasen fast ausschließlich durch Richtlinienrecht erfolgte, ist dieses Instrument seit der Finanzkrise auf dem Rückgang. Die Handlungsform der Richtlinie wird vor allem in solchen Rechtsbereichen eingesetzt, in denen – wie etwa hinsichtlich des Erlaubnisverfahrens, der Corporate-Governance-Anforderungen oder des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens – nach Einschätzung des Gesetzgebers noch zu große nationale Unterschiede bestehen, als dass eine Harmonisierung per Verordnung möglich bzw. sinnvoll wäre.23 Im Gegensatz zur Verordnung richtet sich die Richtlinie an die Mitgliedstaaten und nicht unmittelbar an die Marktteilnehmer. Für die Mitgliedstaaten sind die Richtlinien verbindlich. Die EBA hat eine detaillierte Übersicht über den Stand der Umsetzung der CRD-IV in allen nationalen Mitgliedstaaten veröffentlicht.24
Vgl. unten § 4 Rn. 23 ff. Siehe hierzu § 4 Rn. 33 ff. Dazu im Einzelnen § 4. Art. 288(3) Satz 1 AEUV. Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 14. 23 Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 57 f. 24 Abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/supervisory-convergence/supervisory-dis closure/rules-and-guidance. 18 19 20 21 22
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IV. Grundfreiheiten 20
Historisch diente das europäische Bankenaufsichtsrecht der Verwirklichung des Binnenmarktes für Bankdienstleistungen.25 Grundlage für die Verwirklichung des Binnenmarktes für grenzüberschreitende Bankgeschäfte bilden die Grundfreiheiten der Europäischen Union, insbesondere die Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit.26 Diese Grundfreiheiten stellen insoweit den „inneren Kern“ des europäischen Bankenaufsichtsrechts dar, auf den wesentliche Prinzipien wie etwa der sog. EU-Pass aufbauen.27 Diese sind in den Grundzügen im Folgenden darzustellen. 1. Niederlassungsfreiheit
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Die Niederlassungsfreiheit ist in Art. 49 ff. AEUV geregelt. Hiernach sind Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats nach Maßgabe der Bestimmungen der AEUV verboten (Art. 49 Satz 1 AEUV). Das Gleiche gilt gem. Art. 49 Satz 2 AEUV für Beschränkungen der Gründung von Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind. Die Niederlassungsfreiheit umfasst die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.28 Sie bezieht sich zum einen auf die Gründung und Leitung von Gesellschaften (primäre Niederlassungsfreiheit). Sie erlaubt zum anderen aber auch die Gründung von rechtlich unselbstständigen Zweigniederlassungen sowie rechtlich selbstständigen Tochterunternehmen durch Personen, die im Hoheitsgebiet bereits ansässig sind (sekundäre Niederlassungsfreiheit, Art. 49
25 Ohler, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Aufl. 2017, § 90 Rn. 5. Vgl. im Zusammenhang mit der Entwicklung der europäischen Bankenaufsicht auch Römer, Harmonisierung der Bankenaufsicht in der Europäischen Gemeinschaft, 1977, S. 36 ff. 26 Vgl. in diesem Sinne auch Erwägungsgrund (5) CRD IV: „Diese Richtlinie sollte sowohl hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit als auch des freien Dienstleistungsverkehrs im Finanzdienstleistungssektor das wesentliche Instrument für die Verwirklichung des Binnenmarkts im Bereich der Kreditinstitute darstellen.“ Neben der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit ist auch die Kapitalverkehrsfreiheit betroffen. Nach der Rechtsprechung des EuGH geht bei der gewerbsmäßigen Kreditvergabe allerdings die Dienstleistungsfreiheit der Kapitalverkehrsfreiheit vor (EuGH, Urteil vom 6.10.2006, C-452/04, EuZW 2006, 689). Sofern dieses Urteil auf andere Geschäftsfelder von Banken übertragbar ist, bemisst sich die grenzüberschreitende Tätigkeit somit vorrangig an der Dienstleistungsfreiheit bzw. der Niederlassungsfreiheit. Siehe hierzu in Einzelnen Ohler, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Aufl. 2017, § 90 Rn. 5. 27 Vgl. § 7 Rn. 70 ff. 28 EuGH, Urteil vom 30.11.1995, C-55/94, Gebhardt, NJW 1996, 579; Ohler, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Aufl. 2017, § 90 Rn. 6.
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Satz 2 AEUV). Ausprägung der sekundären Niederlassungsfreiheit ist der sog. EU-Pass für Zweigniederlassungen (dazu § 7 Rn. 70 ff.).29 2. Dienstleistungsfreiheit
Durch die europäischen Verträge wird ferner die Niederlassungsfreiheit geschützt (Art. 56 ff. AEUV). Der AEUV definiert Dienstleistungen als grundsätzlich entgeltliche, wirtschaftliche Tätigkeiten, die vorübergehend erbracht werden. Ausprägung der Dienstleistungsfreiheit ist das Recht, Bankdienstleistungen grenzüberschreitend (daher ohne Errichtung einer physischen Präsenz) an Kunden in einem anderen Mitgliedstaat zu erbringen. Derartige Tätigkeiten können auf Basis des „cross-border“-EU-Passes erbracht werden (dazu § 7 Rn. 93 ff.).
29 Nach der Parodi-Entscheidung des EuGH folgt die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Zulassungsentscheidungen allerdings nicht bereits aus den primärrechtlichen Vorschriften, sondern hängt von dem jeweiligen Sekundärrecht ab. Vgl. EuGH, Urteil vom 9.7.1997, C-222/95, Parodi, Slg. 1997, I-3899 Rn. 22 ff.
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§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte (Single Rulebook) Literatur: Bassani, Giovanni, The Legal Framework Applicable to the Single Supervisory Mechanism, 2019; Brüggemeier, Alexander, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018; Ehrlich, Isaac/Posner, Richard A., An Economic Analysis of Legal Rulemaking, 3 Journal of Legal Studies (1974), 257–286; Grundmann, Stefan, Bankvertragsrecht, in: Staub (Begr.), Großkommentar Handelsgesetzbuch, 10. Band, Erster Teilband: Organisation und Kreditwesen, 5. Aufl. 2016; Kaplow, Louis, Rules versus Standards: An Economic Analysis, 42 Duke Law Journal (1992), 557–629; Kaufhold, Ann-Katrin, Einheit in Vielfalt durch umgekehrten Vollzug?, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85–110; Köhler, Lukas Philipp, Rulemaking in der Bankenunion, 2020; Lefterov, Asen, The Single Rulebook: legal issues and relevance in the SSM context, ECB Legal Working Paper Series, 2015 (abrufbar unter: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/ 154669/1/ecblwp15.pdf); Margerit, Alienor, Options and discretions (NODs) in EU banking regulation, Briefing Paper für das Europäische Parlament, 19. Januar 2017 (abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2016/574403/IPOL_BRI (2016)574403_EN.pdf); Mittwoch, Ann Christin, Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht, 2013; Moloney, Niamh, The 2013 Capital Requirements Directive IV and Capital Requirements Regulation: Implications and institutional effects, Zeitschrift für öffentliches Recht (2016), 385–423; Padoa-Schioppa, Tommaso, How to deal with emerging panEuropean financial institutions? (abrufbar unter: https://www.ecb.europa.eu/press/key/ date/2004/html/sp041103.en.html); v. Rijsbergen, Marloes, On the Enforceability of EU Agencies’ Soft Law at the National Level: The Case of the European Securities and Markets Authority, 10 Utrecht Law Review (2014), 116–131; Veil, Rüdiger, Europäische Kapitalmarktunion, ZGR 2014, 544–607; ders., Aufsichtskonvergenz durch „Questions and Answers“ der ESMA, ZBB 2018, 151–166; Wörner, Thorsten, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, 2017; Wundenberg, Malte, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012.
I. Entwicklung eines „Single Rulebooks“ 1
Als eine der zentralen Lehren aus der Finanzkrise verfolgt der europäische Gesetzgeber das Ziel, den rechtlichen Rahmen für Banken und Finanzdienstleister in einem einheitlichen Regelwerk (Single Rulebook) zu harmonisieren.1 Ein bestimmtes inhaltliches Konzept erschließt sich aus dem Schlagwort des „einheitlichen Regelwerkes“ allerdings noch nicht. Die EBA umschreibt dieses Konzept wie folgt:
Der englische Begriff „Single Rulebook“ wird auch in der deutschsprachigen Literatur 1 und Aufsichtspraxis verwendet. Dem wird hier gefolgt.
§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte
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„The Single Rulebook aims to provide a single set of harmonised prudential rules which institutions throughout the EU must respect. The term Single Rulebook was coined in 2009 by the European Council in order to refer to the aim of a unified regulatory framework for the EU financial sector that would complete the single market in financial services. This will ensure uniform application of Basel III in all Member States. It will close regulatory loopholes and will thus contribute to a more effective functioning of the Single Market.“2
Der europäische Gesetzgeber verfolgt mit dem Single Rulebook zwei Regelungsanliegen: Zum einen soll der für die Institute geltende Rechtsrahmen möglichst weitgehend auf europäischer Ebene harmonisiert werden. Zum anderen soll sichergestellt werden, dass dieser Rechtsrahmen innerhalb der EU in möglichst kohärenter Art und Weise angewendet und durchgesetzt wird.3 Zu diesem Zweck hat der europäische Gesetzgeber harmonisierte Rahmenrechtsakte erlassen, die zum Teil (wie die CRR) als Verordnung unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten. Die Rahmenrechtsakte werden auf den Stufen 2 und 3 des europäischen Gesetzgebungsprozesses durch Durchführungsverordnungen sowie Leitlinien und Empfehlungen näher konkretisiert (vgl. unten Rn. 10 ff.). Die konzeptionelle Grundlage für die Idee der Etablierung eines Single Rulebooks bildet der De-Larosière-Bericht.4 Die Wurzeln reichen freilich deutlich weiter zurück. Bereits im Jahre 1972 wurde von der Kommission die Verabschiedung eines harmonisierten „Europäischen Kreditwesengesetzbuches“ ins Spiel gebracht.5 Erstmals verwendet wurde das Schlagwort des „Single Rulebooks“ soweit ersichtlich im Jahre 2004 in einer Rede von Tommaso PadoaSchioppa, einem der Gründungsväter des Euro und seinerzeit Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank.6 Er verstand hierunter ein schlankes, harmonisiertes und flexibles regulatorisches Rahmenwerk innerhalb der Union („streamlined, uniform and flexible regulatory framework across the EU“). Die einzelnen Bausteine des Single Rulebooks werden in den nachfolgenden Kapiteln behandelt. Schon an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „einheitliches Regelwerk“ potenziell irreführend ist. Denn dieser suggeriert, dass die Finanzmarktregulierung in einem einzelnen Regelwerk normiert ist. Dem ist nicht der Fall.7 Es handelt sich bei dem Single Rulebook nach derzeitigem Stand um eine Kompilation von verschiedenen Regelwerken, die auf den jeweiligen Stufen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens näher ausgeVgl. https://eba.europa.eu/regulation-and-policy/single-rulebook. Vgl. etwa die Erwägungsgründe (9) und (10) CRD IV; Erwägungsgründe (2), (9) und (14) CRR; Erwägungsgründe (7), (11), (12), (30), (31), (32) und (87) SSM-VO; Erwägungsgrund (22) EBA-VO; Erwägungsgrund (58) MiFID II. Dazu § 2 Rn. 39 ff. Vgl. insbesondere Rn. 99 des De-Larosière-Berichts. 4 § 2 Rn. 20. 5 Tommaso Padoa-Schioppa, How to deal with emerging pan-European financial instituti6 ons? (abrufbar unter: https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2004/html/sp041103.en. html) (Rede anlässlich einer vom niederländischen Finanzministerium organisierten Konferenz zur „Supervisory Convergence“). Vgl. auch Kaufhold, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85, 94 7 („ein Single Rulebook wurde bislang nicht geschaffen“). 2 3
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
führt werden (vgl. unten Rn. 7 ff.).8 Das europäische Single Rulebook ist zudem bislang noch „unvollständig“, da es nicht alle Bereiche des Bankenaufsichtsrechts erfasst und zum Teil lediglich eine Mindestharmonisierung verfolgt wird (vgl. unten Rn. 38 ff.). Vor diesem Hintergrund sollte das Konzept des Single Rulebooks nicht als eine Zustandsbeschreibung des Status quo missverstanden werden, sondern im Sinne einer regulatorischen Leitidee bzw. einer rechtspolitischen Konzeptvorstellung.9
II. Das europäische Rechtsetzungsverfahren 5
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Die Rechtsetzung im Bereich der Finanzmarktregulierung erfolgt seit 2002 in einem vierstufigen Rechtsetzungsprozess, dem sog. Lamfalussy-Verfahren.10 Dieses Verfahren wurde im Zuge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon sowie der Neuordnung der europäischen Finanzmarktarchitektur reformiert (Lamfalussy II). Die zur Bankrechtsharmonisierung erlassenen Rechtsakte wurden im Lamfalussy-II-Verfahren verabschiedet. Es ist daher in den Grundzügen darzustellen.11 Das Grundanliegen des Lamfalussy-Verfahrens besteht darin, eine schnelle und flexible Rechtsetzung auf europäischer Ebene zu ermöglichen, um damit auf die dynamischen Entwicklungen in der Finanzwirtschaft reagieren zu können.12 Dies soll durch ein mehrstufiges Rechtsetzungsverfahren erreicht werden, an dem verschiedene Akteure beteiligt sind. 1. Stufe 1: Rahmenrechtsakte
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Auf der ersten Stufe werden Rahmenrechtsakte erlassen. Dies kann in der Form von Verordnungen oder Richtlinien erfolgen. Diese werden vom Europäischen Parlament und dem Rat im allgemeinen Gesetzgebungsverfahren basierend auf Vorschlägen der Kommission beschlossen. In der Praxis wird der finale Gesetzestext oft in informellen Abstimmungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission abgestimmt (sog. Trilog-Verhandlungen).13
Ähnlich Grundmann, in: Staub, 10. Band, Erster Teilband. 5. Aufl. 2016, Rn. 48. In diesem Sinne ebenfalls Lefterov, The Single Rulebook: legal issues and relevance in the SSM context, ECB Legal Working Paper Series, Oktober 2015, S. 45 (not a legal concept but rather a political one). 10 Vgl. den Schlussbericht der Weisen über die Reglementierung der europäischen Wertpapiermärkte (Final Report of the Committee of Wise Men on the Regulation of European Securities Markets) v. 15.2.2001 (im Folgenden: „Schlussbericht“). 11 Für Einzelheiten wird auf die umfangreiche einschlägige Literatur verwiesen. Vgl. etwa Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 4 Rn. 4 ff. 12 Veil, ZGR 2014, 544, 552 f. 13 Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 4 Rn. 8 ff. 8 9
§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte
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Die zentralen Rahmenrechtsakte für die europäische Bankenaufsicht bilden die im Jahre 2013 verabschiedete CRD-IV-Richtlinie und die CRR-Verordnung. Das CRD-IV/CRR-Regime wurde durch die am 16. April 2019 verabschiedete Änderungsrichtlinie bzw. Änderungsverordnung reformiert (CRD V/ CRR II).14 Die in der CRD V vorgesehenen Anpassungen mussten von den Mitgliedstaaten überwiegend bis zum 28. Dezember 2020 in das nationale Recht umgesetzt werden. Die Vorgaben der CRR II gelten (mit einigen Ausnahmen) ab dem 28. Juni 2021.15
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Nach der Konzeption des Lamfalussy-II-Verfahrens sollen sich die Rahmenrechtsakte auf Stufe 1 auf eine Normierung von grundlegenden Prinzipien beschränken. Die „detaillierten technischen Vorschriften“ sollten nach den Vorstellungen der Expertengruppe auf der Stufe 2 erlassen werden.16 Im Bereich der Finanzmarktregulierung ist der Gesetzgeber allerdings dazu übergegangen, schon auf der ersten Regelungsebene außerordentlich detaillierte Regelwerke zu erlassen.17 Dies zeigt sich besonders deutlich bei der CRR, die sehr granulare Vorgaben u. a. an die Eigenmittelanforderungen enthält. Beispielsweise werden im Zuge der Überarbeitung der Liquiditätsanforderungen die Vorgaben an die sog. „stabile Refinanzierung“ in insgesamt 46 (!) Paragraphen normiert.18
9
2. Stufe 2: Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte
Auf der zweiten Stufe werden die Rahmenrechtsakte näher konkretisiert. Rechtsetzungsakte auf Stufe 2 werden auf Basis von entsprechenden Ermächtigungen in den Rahmenrechtsakten entweder in der Form von delegierten Rechtsakten nach Art. 290 AEUV oder Durchführungsrechtsakten nach Art. 291 AEUV erlassen.19 Die Abgrenzung zwischen beiden Handlungsformen fällt mitunter allerdings schwer.20 Die delegierten Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte werden von der Kommission verabschiedet. Dies kann sowohl in der Form der Richtlinie oder – praktisch bedeutsamer – in der Handlungsform einer Verordnung erfolgen. Ferner können die Rahmenrechtsakte vorsehen, dass die auf Stufe 2 zu ergehenden Rechtsakte in der Form von technischen Regulierungsstandards (regulatory technical standards – RTS) bzw. technischen Durchführungsstandards (technical implementing standards – ITS) erlassen werden.21 In diesem Fall werden die Rechtsakte von den europäischen Aufsichtsbehörden – im Bereich der Vgl. § 2 Rn. 52. Einzelne Vorschriften sind bereits ab dem 28. Juni 2019 anwendbar, vgl. Art. 3 CRR II. Veil, ZGR 2014, 544, 576. Zu diesem Trend auch Grundmann, in: Staub, 10. Band, Erster Teilband., 5. Aufl. 2016, Rn. 44. Ähnlich Veil, ZGR 2014, 544, 576 („Verschiebungen zwischen Stufe 1 und Stufe 2 Maßnahmen“). 18 Art. 428a–428az CRR II. Vgl. § 9 Rn. 15 ff. 19 Siehe hierzu auch § 3 Rn. 11. 20 Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 4 Rn. 14. 21 Art. 10 bzw. Art. 15 EBA-VO. 14 15 16 17
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12
Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
Bankenaufsicht durch die EBA – inhaltlich ausgearbeitet. Die Entwürfe müssen von der Kommission bestätigt werden, damit diese Rechtswirkungen entfalten (sog. endorsement). Die RTS werden als delegierte Rechtsakte (Art. 290 AEUV) und die ITS als Durchführungsrechtsakte (Art. 291 Abs. 2 AEUV) entweder mittels Verordnung oder Beschluss angenommen.22 Der europäische Gesetzgeber hat die Kommission bzw. die EBA an zahlreichen Stellen zur Ausarbeitung von Rechtsakten auf Stufe 2 ermächtigt.23 Die auf dieser Stufe erlassenen Rechtsakte machen inzwischen den Kernbestandteil des harmonisierten Single Rulebooks aus. Es wurden inzwischen knapp 100 konkretisierende Rechtsakte – und zwar überwiegend in der Form von RTS und ITS – von der Kommission verabschiedet.24 3. Stufe 3: Leitlinien und Empfehlungen sowie weitere Instrumente a) Leitlinien und Empfehlungen
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Auf dritter Stufe werden von den ESAs Leitlinien und Empfehlungen erlassen (Art. 16 EBA-VO). Diese haben den Zweck, effiziente und wirksame Aufsichtspraktiken zu schaffen und eine gemeinsame, einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen.25 Die Verlautbarungen der EBA bzw. ESMA sind nicht unmittelbar rechtsverbindlich. Sie werden daher z. T. als „Soft Law“ qualifiziert.26 Gleichwohl geht von den Leitlinien und Empfehlungen eine hohe Strahlkraft aus: Zum einen müssen die zuständigen Behörden gegenüber der EBA bzw. ESMA erklären, falls sie eine Empfehlung oder Leitlinie nicht (bzw. nicht vollständig) befolgen wollen (comply-or-explain-Prinzip). Die Gründe werden von der EBA bzw. ESMA sodann veröffentlicht.27 Zum anderen haben diese auch deshalb eine hohe faktische Bindungswirkung, da diese sich nach ihrem Wortlaut oft direkt an Marktteilnehmer richten und deren Einhaltung von den europäischen Behörden erwartet wird. Schließlich werden die Leitlinien und Empfehlungen auch von den nationalen und europäischen Gerichten bei der Auslegung des Unionsrechts berücksichtigt (zu den Rechtswirkungen noch Rn. 77).28 Veil, ZGR 2014, 552. Für eine Übersicht der Ermächtigungsgrundlagen der CRR vgl. Bornemann, in: Beck/ Samm/Kokemmor, KWG mit CRR, Band 3, Erl. zur CRR Rn. 432 ff. (177. AL, Februar 2015). 24 Eine Übersicht ist abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/law/banking-prudentialrequirements-regulation-eu-no-575–2013/amending-and-supplementary-acts/implementingand-delegated-acts_en. 25 Art. 16(1) EBA-VO. 26 Die Rechtswirkungen sind allerdings im Einzelnen umstritten. Ausführlich dazu Brüggemeier, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 67 ff. und passim; Wörner, Weiche Verhaltenssteuerungsformen, 2017, S. 173 ff. und passim. 27 Art. 16(3) Unterabs. 3 EBA-VO. 28 Dies lässt sich aus der Grimaldi-Rechtsprechung des EuGH ableiten (EuGH, Urteil vom 13.12.1989, C-322/88, Salvatore Grimaldi/Fonds des maladies professionnelles, Slg. 1989, 4407). Hierzu ausführlich Wörner, Weiche Verhaltenssteuerungsformen, 2017, S. 173 ff. 22 23
§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte
55
Die praktische Bedeutung von Leitlinien und Empfehlungen für das Bankenaufsichtsrecht ist enorm. Die EBA hat eine große Zahl von Leitlinien und Empfehlungen veröffentlicht, die die Vorgaben der CRD/CRR konkretisieren. In der Rechtspraxis gehen die Leitlinien und Empfehlungen zudem oft über eine bloße „Feinsteuerung“ der in den Rechtsakten auf Ebene von Stufe 1 und Stufe 2 bereits angelegten Verhaltensanforderungen hinaus (diese enthalten daher „eigenständige“ materielle Regelungen).
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b) Q&As und weitere Verlautbarungen der EBA
Neben den Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 EBA-VO spielen in der europäischen Verwaltungs- und Rechtspraxis eine Vielzahl weiterer Soft-LawInstrumente eine wichtige Rolle.29 Von eminenter Bedeutung für die Rechtsanwendung sind die von der EBA veröffentlichten Questions and Answers (Q&As). Es handelt sich hierbei um Antworten der europäischen Aufsichtsbehörde auf konkrete von den Marktteilnehmern gestellte Anfragen, in denen die EBA ihre Verwaltungspraxis zur Auslegung des Unionsrechts wiedergibt. Derartige Q&As sind zwar nicht unmittelbar rechtsverbindlich. Faktisch geht von diesen allerdings eine hohe Bindungswirkung aus, da sich die Marktteilnehmer hieran orientieren und die Q&As von den Aufsichtsbehörden typischerweise in die nationale Verwaltungspraxis übernommen werden. Die Antworten der EBA sind in einem „Single Rulebook Q&A“-Tool auf der Homepage der EBA abrufbar.30 Es wurden bislang ca. 2.000 Q&As zu bankrechtlichen Aspekten veröffentlicht.
16
Q&As wurden im Sekundärrecht – anders als Leitlinien und Empfehlungen – lange Zeit nicht explizit erwähnt. Durch die ESA-Änderungsverordnung vom 20. November 201931 wurde mit Art. 16b EBA-VO nunmehr eine eigene Rechtsgrundlage für den Erlass von Q&As erlassen.32 Im Gegensatz zu Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 EBA-VO unterliegen die Q&As keinem comply-or-explain-Mechanismus und werden grundsätzlich vor der Veröffentlichung bislang nicht mit Marktteilnehmern konsultiert. Die Rechtsnatur der Q&As wurde bislang kaum untersucht.33 Von der EBA selbst wird der nicht rechtsverbindliche Charakter der Q&As betont. Zugleich besteht aus Sicht der EBA allerdings die Erwartungshaltung, dass die Q&As in die Verwaltungspraxis der zuständigen Behörden übernommen und deren Einhaltung überwacht werden („rigorously
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29 Q&As und die übrigen Soft-Law-Instrumente werden hier im Zusammenhang mit Leitlinien und Empfehlungen auf der dritten Stufe des Lamfalussy-Verfahrens dargestellt, da diese ebenfalls als „Bausteine“ des Single Rulebooks begriffen werden können (und funktional durchaus mit Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 EBA-VO vergleichbar sein können). Die Zuordnung ist allerdings nicht zwingend. Zum Teil werden Q&As der vierten Stufe des Lamfalussy-Verfahrens zugerechnet, vgl. Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 4 Rn. 28 ff. Mit der Einordnung sind keine weiteren rechtlichen Konsequenzen verbunden. 30 Abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/single-rule-book-qa. 31 Vgl. § 2 Rn. 55. 32 Art. 16b EBA-VO. 33 Vgl. aber Veil, ZBB 2018, 151, 166 sowie jüngst Köhler, Rulemaking in der Bankenunion, 2020, S. 173 ff.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
scrutinised and challenged“).34 In Deutschland hat die BaFin klargestellt, dass sie die Q&As der EU-Aufsichtsbehörden grundsätzlich in ihre Verwaltungspraxis übernimmt. Übernimmt die BaFin eine Q&A (ausnahmsweise) nicht, so erklärt sie dies ausdrücklich auf ihrer Homepage (sog. Negativliste).35 Den Q&As kommt vor diesem Hintergrund eine enorme Bedeutung zur Konkretisierung des Single Rulebooks zu. Vgl. hierzu noch § 5 Rn. 28.
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Neben den Q&As bedient sich die EBA zahlreicher weiterer Instrumente, die zu einer Vereinheitlichung der Verwaltungspraktiken beitragen sollen. So veröffentlicht die EBA Peer Reviews36, die divergierende Verwaltungspraktiken aufzeigen und „vorbildliche Vorgehensweisen“ (best practices) identifizieren sollen.37 Ferner veröffentlicht die EBA an die nationalen Behörden gerichtete Stellungnahmen (opinions)38 und erstellt Berichte (reports). Diese beschäftigen sich mit Anwendungsfragen zum geltenden Recht und können auch Gesetzgebungsempfehlungen beinhalten. Schließlich wurde die EBA mit der Ausarbeitung eines „Unionshandbuch“ betraut.39 Durch die ESA-Änderungsverordnung vom 18. Dezember 2019 wurde der Erlass von Stellungnahmen sowie die Entwicklung eines Unionshandbuches näher geregelt (vgl. dazu § 5 Rn. 31). c) Verlautbarungen der EZB
20
Im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus werden verschiedene konkretisierende Rundschreiben und Verlautbarungen auch von der EZB erlassen. So hat die EZB diverse Leitfäden und Aufsichtshandbücher zu bankrechtlichen Themen veröffentlicht, die die Rechtsanwendung vereinheitlichen sollen (dazu unten § 6). 4. Stufe 4: Kontrolle der mitgliedstaatlichen Rechtsumsetzung
21
22
Auf der letzten Stufe prüfen und evaluieren die ESAs gemeinsam mit der Kommission, inwieweit die unionsrechtlichen Regelungsvorgaben von den nationalen Aufsichtsbehörden eingehalten wurden.40 Zusammenfassend kann der Lamfalussy-II-Prozess wie folgt veranschaulicht werden:
34 EBA, Additional background and guidance for asking questions (abrufbar unter: https:// eba.europa.eu/documents/10180/210008/Annex-Single-Rulebook-Q-A.pdf/89814c51–744d497a-9263–099e03caa8f2). 35 Vgl. https://www.bafin.de/DE/RechtRegelungen/Leitlinien_und_Q_and_A_der_ESAs/ Leitlinien_und_Q_and_A_der_ESAs_node.html. 36 Art. 8(1) lit. e, 30 EBA-VO. 37 Art. 30(2) lit. c EBA-VO. 38 Art. 29(1) lit. a EBA-VO. 39 Vgl. § 5 Rn. 31. 40 Art. 17 EBA-VO.
§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte
57
41
Stufe 1
Stufe 2
Rechtsakte des Parlaments und des Rates (Art. 294 ff. AEUV)
Delegierte Rechtsakte der Kommission (Art. 290 AEUV)
Durchführungsrechtsakte der Kommission (Art. 291 AEUV)
Technische Regulierungsstandards (Art. 290 AEUV; Art. 10 EBA-VO)
Technische Durchführungsstandards (Art. 291 AEUV; Art. 15 EBA-VO)
Stufe 3
Empfehlungen und Leitlinien der EBA (Art. 16 EBA-VO)
Stufe 4
Kontrolle der Mitgliedstaaten durch EBA (Art. 17 EBA-VO)
Abbildung 4.1: Lamfalussy-II-Prozess.41
III. Bausteine des Single Rulebooks 1. Überblick über das CRD/CRR-Regime
Den Kernbestandteil des Single Rulebooks im Bankensektor bildet das CRD/ CRR-Regime.42 Es setzt sich aus zwei Rechtsakten zusammen: einer Richtlinie (CRD IV), die von den Mitgliedstaaten in das nationale Recht umgesetzt werden muss, sowie einer Verordnung (CRR), die unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt.43 Beide Rechtsakte sind als einheitliches Regelungspaket konzipiert. Sie basieren auf einem weitgehend identischen Definitionsapparat und haben denselben Anwendungsbereich. Ordnet man die Regelungsgegenstände in die Drei-Säulen-Architektur44 des Basler Rahmenwerks ein, ergibt sich die folgende Systematik: In der CRR werden überwiegend die quantitativen Anforderungen der ersten Säule adressiert (u. a. Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen, Großkreditregelungen). Ferner enthält die CRR die Offenlegungsanforderung gem. Säule 3. In der CRD werden u. a. – neben zahlreichen weiteren Bestimmungen 41 Eigene Darstellung in Anlehnung an Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2014, § 4 Rn. 24. 42 Moloney, Zeitschrift für öffentliches Recht (2016), 385: „backbone of the post-crisis prudential regulatory regime“. 43 Der ursprüngliche Kommissionsentwurf wurde im Juli 2011 veröffentlicht (COM (2011) 453 – CRD IV und COM (2011) 452 – CRR). In der ersten Lesung einigte sich das europäische Parlament auf eine Verhandlungsposition im Mai 2012 (A7–0170/2012, CRD IV und A7–0171–2012-CRR); im April 2013 folgten die Trilog-Verhandlungen. 44 Vgl. auch die Übersicht bei Bornemann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, Band 2, Einf. CRR Rn. 26 ff. (177. AL Februar 2015).
23
24
58
Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
– das Zulassungsverfahren, die Anforderungen an das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren (Säule 2) sowie die Governance-Anforderungen formuliert. 45
CRD
CRR
– – – –
– – – – –
Zulassungspflicht Inhaberkontrolle EU-Pass; gegenseitige Anerkennung Corporate Governance und Vergütungsanforderungen – Sanktionen – Konsolidierte Aufsicht und Aufsichtszuständigkeit
Eigenmittel und Eigenmittelanforderungen Großkreditobergrenzen Liquiditätsanforderungen Verschuldungsquote Offenlegungsanforderungen
– Kapitalpuffer – Aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren Abbildung 4.2: Systematik des CRD/CRR-Regimes.45
25
26
Die oben skizzierte Systematik des CRD/CRR-Regimes wird allerdings nicht stringent durchgehalten. So sind die durch Basel III eingeführten Kapitalpuffer – konzeptionell Bestandteil der ersten Säule des Basler Rahmenwerks – in der CRD umgesetzt worden.46 Umgekehrt enthalten die CRR Anforderungen, die systematisch der zweiten Säule zuzurechnen sind.47 Die Vorgaben der CRD IV/CRR wurden durch das Bankenpaket (CRD V/ CRR II) in Teilen ergänzt und reformiert.48 Wie bereits erläutert, handelt es sich hierbei jeweils um Änderungsrechtsakte, daher nicht um eine grundlegende Neufassung des Regelwerks. Soweit nicht anders erwähnt, wird im Folgenden das CRD/CRR-Regime in der durch CRD V/CRR II angepassten Fassung behandelt. 2. Rahmenrechtsakte a) CRD
27
Die CRD enthält insgesamt 11 Titel und 165 Artikel nebst Anhängen.
28
Titel I (Art. 1–3) behandelt den Gegenstand und Anwendungsbereich der Richtlinie. Dieser Teil enthält zudem einen Katalog der wichtigsten Begriffsbestimmungen (Art. 3), wobei zahlreiche Definitionen auf den Katalog der CRR verweisen. Titel II (Art. 4–7) behandelt die zuständigen Behörden. Titel III (Art. 8–27) behandelt die allgemeinen Voraussetzungen 45 Eigene Darstellung in Anlehnung an Bornemann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, Band 2, Einf. CRR Rn. 26 ff. (177. AL Februar 2015). 46 Vgl. § 8 Rn. 70 ff. 47 Hierzu Bornemann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, Band 2, Einf. CRR Rn. 26 ff. (177. AL Februar 2015) (mit Hinweis auf Art. 287(3) CRR). 48 Vgl. oben Rn. 8 sowie § 2 Rn. 51 ff.
§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte
59
des Marktzuganges, und zwar zum einen hinsichtlich des Zulassungsverfahrens (Art. 8–21) (siehe hierzu § 7) sowie hinsichtlich des Inhaberkontrollverfahrens (Art. 22–27). Titel IV (Art. 28–32) behandelte ursprünglich das Anfangskapital von Wertpapierfirmen. Dieser Abschnitt wurde im Zuge der Verabschiedung des IFD/IFR-Regimes allerdings aufgehoben.49 Titel V (Art. 33–46) behandelt die Bestimmungen über die freie Niederlassung und den freien Dienstleistungsverkehr (insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an den „EU-Pass“, vgl. § 7 Rn. 70 ff.). Titel VI erörtert die Beziehungen zu Drittländern (Art. 47– 48) (vgl. § 7 Rn. 103 ff.). Titel VII (Art. 49–142) ist mit der Überschrift „Beaufsichtigung“ umschrieben. Dieser Teil behandelt sehr unterschiedliche Regelungsbereiche. Er normiert u. a. die Grundlagen der Zusammenarbeit der Behörden, wenn Institute im Rahmen des EU-Passes grenzüberschreitend bzw. durch Gründung von Zweigniederlassungen in der EU agieren, sowie die Grundsätze des Informationsaustausches zwischen den Behörden. Ferner geht dieser Abschnitt auf Aufsichtsbefugnisse und Sanktionsbefugnisse ein. Zudem enthält dieser Titel einen Ausschnitt zu den „Regelungen, Verfahren und Mechanismen“ der Institute. Im Kern stehen hierbei die Vorgaben an das Risikomanagement (Art. 76 ff.) und die Corporate Governance der Institute (Art. 88–91), einschließlich der Vergütungssysteme (Art. 92–95) (vgl. § 12). Zudem werden die Grundsätze des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens normiert (Art. 97–101). Schließlich werden Kapitalpuffer behandelt (vgl. § 8 Rn. 70 ff.). Titel VIII (Art. 143–144) behandelt Bekanntmachungen der zuständigen Behörden. Titel IX (Art. 145–149) enthält zahlreiche Kompetenzzuweisungen zum Erlass von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten. Titel X enthält eine technische Anpassung der Richtlinie 2002/87/EG. Schließlich enthält Titel XI (Art. 151–165) Übergangs- und Schlussbestimmungen.
Eine Übersicht der Regelungssystematik der CRD – einschließlich der Umsetzung in Deutschland und den eingeräumten Wahlrechten – kann Anhang 1 entnommen werden.
29
b) CRR
Die CRR umfasst derzeit insgesamt 521 Artikel nebst Anhängen. Sie gliedert sich in insgesamt 11 Teile.
30
Teil 1 (Art. 1–24) normiert „allgemeine Bestimmungen“. Dieser enthält u. a. einen sehr umfangreichen Katalog an Begriffsbestimmungen, auf den auch die CRD sowie weitere Rechtsakte zurückgreifen. Ferner werden in diesem Abschnitt die Grundsätze der aufsichtsrechtlichen Konsolidierung normiert (vgl. § 15 und § 16). Teil 2 (Art. 25–91) normiert die Grundlagen der regulatorischen Eigenmittel (Bestandteile des Kern- und Ergänzungskapitals) (vgl. § 8 Rn. 24 ff.). Teil 3 (Art. 92–386) statuiert die Mindest-Eigenmittelanforderungen, und zwar hinsichtlich des Kreditrisikos, des operationellen Risikos und des Marktpreisrisikos (vgl. § 8 Rn. 53 ff.). Teil 4 (Art. 387–403) normiert die Anforderungen an die Großkredite (vgl. § 10). Teil 5 (Art. 404–410) normierte ursprünglich die Grundsätze des Verbriefungsregimes. Mit Wirkung zum 1. Januar 2019 wurden diese Anforderungen in ein eigenständiges Regelwerk für Verbriefungen überführt.50 Teil 6 behandelt die Liquiditäts-
31
Vgl. hierzu § 2 Rn. 54. Verordnung (EU) 2017/2402 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2017 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für Verbriefungen und zur Schaffung eines spezifischen Rahmens für einfache, transparente und standardisierte Verbriefung und zur Änderung der Richtlinien 2009/65/EG, 2009/138/EG, 2011/61/EU und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 648/2012. 49 50
60
Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
anforderungen (Art. 411–428) (vgl. § 9). Teil 7 (Art. 429–430) regelt die Anforderungen an die Verschuldung (vgl. § 8 Rn. 95 ff.). Teil 8 (Art. 431–455) statuiert die Grundlagen der Offenlegungsanforderungen (vgl. § 13 und § 14). Teil 9 (Art. 456–464) enthält Kompetenzzuweisungen zum Erlass von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten. Teil 10 (Art. 465–520) enthält u. a. Übergangsbestimmungen. Teil 11 (Art. 521) regelt die Schlussbestimmungen.
32
Als Verordnung gilt die CRR unmittelbar, diese muss von den Mitgliedstaaten also nicht in nationales Recht umgesetzt werden. Allerdings gewährt die CRR den Mitgliedstaaten bzw. den zuständigen Behörden zahlreiche Wahlrechte und Umsetzungsspielräume (siehe dazu noch unten Rn. 48 ff.). Für eine Darstellung der Systematik der CRR und der eingeräumten Wahlrechte wird auf Anhang 2 verwiesen. 3. Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte (Stufe 2)
33
Die Vorgaben der CRD/CRR werden durch zahlreiche delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte auf Stufe 2 des europäischen Gesetzgebungsprozesses konkretisiert.51 Bis dato wurden ca. 100 delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte veröffentlicht.52 Der Regelungsumfang ist gewaltig. Die wichtigsten Regelungen zur Konkretisierung des CRD/CRR-Regimes sind überblicksartig in den Anhängen 1 und 2 dargestellt. 4. Leitlinien und Empfehlungen; Soft Law (Stufe 3)
34
Schließlich hat die EBA auf Stufe 3 des europäischen Gesetzgebungsprozesses zahlreiche Leitlinien und Empfehlungen sowie weitere Verlautbarungen zur Konkretisierung des CRD/CRR-Regimes erlassen (vgl. oben Rn. 13 ff.). Auch den Verlautbarungen der EZB kommt im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus eine immer größere Bedeutung zu (vgl. Rn. 20).
IV. Nationales Recht 1. Verbleibende Bedeutung des nationalen Rechts 35
Auch das nationale Recht spielt weiterhin eine Rolle. Dies hat verschiedene Gründe. Erstens werden bislang nur Teilbereiche des Bankenaufsichtsrechts durch europäische Verordnungen geregelt. Soweit die Harmonisierung durch Richtlinienrecht erfolgt, muss dieses vom nationalen Gesetzgeber umgesetzt Vgl. Rn. 10 ff. Eine Auflistung der Durchführungsrechtsakte zur CRR ist abrufbar unter: https://ec.euro pa.eu/info/law/banking-prudential-requirements-regulation-eu-no-575–2013/amending-andsupplementary-acts/implementing-and-delegated-acts_en (Stand: 22.12.2020). Eine Auflistung der Durchführungsrechtsakte zur CRD ist abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/ law/banking-prudential-requirements-directive-2013–36-eu/amending-and-supplementaryacts/implementing-and-delegated-acts_en (Stand: 7.7.2019).
51 52
§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte
61
werden. Wie im Einzelnen noch erläutert wird, sind die Vorgaben der CRD/ CRR in Teilen als Mindestharmonisierung konzipiert.53 Bei einer Mindestharmonisierung ist es den Mitgliedstaaten im Ausgangspunkt unbenommen, weitergehende, über die unionsrechtlichen Rahmenvorgaben hinausgehende Anforderungen zu statuieren. Zweitens enthalten sowohl die CRD als auch die CRR verschiedene Optionen und Umsetzungsspielräume, die von den Mitgliedstaaten bzw. den zuständigen Aufsichtsbehörden ausgeübt werden können (vgl. hierzu Rn. 48 ff. sowie Anhang 1 und 2). Drittens sind die Sanktionen in weiten Teilen im Recht der Mitgliedstaaten beheimatet. Und schließlich wurden viertens bislang nur Teilbereiche des Bankenaufsichtsrechts vollständig harmonisiert. So finden die Vorgaben des CRD/CRR-Regimes im Ausgangspunkt lediglich für die Kreditinstitute im unionsrechtlichen Sinne Anwendung, die sowohl das Einlagen- als auch das Kreditgeschäft betreiben (CRR-Kreditinstitut).54 Für Kreditinstitute im nationalen Sinne sind die nationalen Mitgliedstaaten grundsätzlich frei, eigene Regelungsregime zu entwickeln.55 2. Deutschland
Zentrales Regelwerk in Deutschland ist das Gesetz über das Kreditwesen (KWG), in dem u. a. die Vorgaben der CRD umgesetzt werden. Das Kreditwesengesetz wird durch mehrere Rechtsverordnungen und verschiedene Merkblätter und Verlautbarungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) konkretisiert. Zu nennen sind etwa die „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk), die die Vorgaben an die Geschäftsorganisation und das institutsinterne Risikomanagement gem. § 25a KWG spezifizieren. Die Vorgaben der CRD-V-Änderungsrichtlinie wurden mit Wirkung zum 29. Dezember 2020 durch das Risikobegrenzungsgesetz in das KWG transformiert.56 Eine Übersicht zur Umsetzung der CRD IV in den nationalen Mitgliedstaaten wurde auf der Homepage der EBA veröffentlicht.57 Eine systematische Übersicht über die Umsetzung der Vorgaben der CRD/CRR ist Anhang 1 und Anhang 2 zu entnehmen.
36
37
V. Harmonisierungskonzepte Das europäische Bankenaufsichtsrecht ist auch unter der Ägide des Single Rulebooks von einem Zusammenspiel verschiedener Harmonisierungsstrate53 Zutreffend Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 22. 54 Art. 4(1) Nr. 1 CRR. 55 Vgl. für Einzelheiten § 7 (Marktzugang; Erlaubnisverfahren). 56 Vgl. § 2 Rn. 62. 57 https://www.eba.europa.eu/-/eba-provides-overview-of-competent-authorities-implemen tation-and-transposition-of-the-crd-iv-package.
38
62
Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
gien und einem Mix aus Mindest- und Vollharmonisierung geprägt.58 Im konkretisierenden Zugriff kann zwischen drei Dimensionen der europäischen Harmonisierung differenziert werden: erstens in vertikaler Hinsicht nach der bezweckten Regulierungsintensität (Mindest- vs. Vollharmonisierung), zweitens in horizontaler Hinsicht nach dem Anwendungsbereich der Harmonisierungsmaßnahmen sowie drittens nach der Harmonisierungstiefe.
Hohe Granularität
Hohe Granularität
Geringe Granularität
Geringe Granularität
Vollharmonisierung Anwendungsbereich: Weit
Mindestharmonisierung Anwendungsbereich: Eng
Mindestharmonisierung Anwendungsbereich: Weit
Vertikale Harmonisierung (Mindest- vs. Vollharmonisierung)
Vollharmonisierung Anwendungsbereich: Eng
Horizontale Harmonisierung (Anwendungsbereich)
Abbildung 4.3: Dimensionen der europäischen Harmonisierung – „Harmonisierungskubus“.
1. Vertikale Dimension: Mindestharmonisierung vs. Vollharmonisierung 39
In vertikaler Hinsicht kann zwischen einer Mindestharmonisierung und einer Vollharmonisierung unterschieden werden. a) Mindestharmonisierung
40
Bei einer Mindestharmonisierung werden vom Unionsgesetzgeber lediglich Minimalanforderungen statuiert. Die Mitgliedstaaten dürfen diese Anforderungen nicht unterschreiten. Es ist ihnen jedoch im Ausgangspunkt unbenommen, 58 Der Begriff der Harmonisierung wird im Schrifttum nicht einheitlich verwendet. Terminologisch wird zum Teil zwischen einer „Rechtsangleichung“ (im Sinne einer Annährung der Rechtsysteme) und einer „Rechtsvereinheitlichung“ (im Sinne eines vollständig vereinheitlichten Unionsrechts) unterschieden. Hier werden beide Begriffe (soweit nicht anders vermerkt) synonym verwendet.
§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte
63
weitergehende, über die unionsrechtlichen Rahmenvorgaben hinausgehende Anforderungen zu statuieren. Dies wird als „gold plating“ bezeichnet. Weite Teile der CRD sind als Mindestharmonisierung konzipiert.59 Auch andere bankenaufsichtsrechtliche Richtlinien – etwa die BRRD bezüglich des Abwicklungsregimes – statuieren im Ausgangspunkt lediglich Minimalanforderungen.60 Die bei einer solchen Mindestharmonisierung fortbestehende nationale Regelungsautonomie erfährt in grenzüberschreitenden Sachverhalten allerdings eine wichtige Einschränkung durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungsentscheidungen und das Konzept der Heimatstaataufsicht (sog. EU-Pass, vgl. § 7 Rn. 70 ff.). Den Mitgliedstaaten ist es grundsätzlich verwehrt, über die Mindestanforderungen hinausgehende Pflichten aufzustellen, wenn Institute mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs oder über Zweigniederlassungen in dem Aufnahmemitgliedstaat tätig werden.61
41
42
b) Vollharmonisierung
Unter einer Vollharmonisierung versteht man eine Harmonisierungsstrategie, bei der innerhalb des Anwendungsbereichs der Harmonisierung die Regelungsmaterie abschließend durch das Europarecht geregelt wird.62 Den Mitgliedstaaten sind insoweit keine abweichenden Regelungen gestattet. Insbesondere ist es dem nationalen Gesetzgeber verwehrt, strengere Anforderungen an die Marktteilnehmer aufzustellen, als dies unionsrechtlich vorgesehen ist. Eine Vollharmonisierung kann sowohl durch Verordnungen als auch durch Richtlinien erfolgen. Erfolgt die Rechtsangleichung durch das Instrument der Richtlinie, darf das nationale Recht, welches die Richtlinie umsetzt, nicht von der Richtlinie abweichen. Erfolgt die Rechtsangleichung durch Verordnung, gilt diese innerhalb ihres Anwendungsbereichs abschließend und unmittelbar. Ob ein Rechtsakt eine Vollharmonisierung bezweckt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Im Einzelfall kann es Schwierigkeiten bereiten, zu ermitteln, ob eine Mindest- oder Vollharmonisierung bezweckt ist.
43
Bedient sich der europäische Gesetzgeber der Handlungsform der Verordnung, so kann dies als Indiz gewertet werden, dass eine Vollharmonisierung bezweckt wird. Zwingend ist
45
59 Vgl. etwa Erwägungsgrund (15) CRD IV: „Die Harmonisierung sollte so weit gehen, wie es notwendig und ausreichend ist, um die gegenseitige Anerkennung der Zulassung und der Aufsichtssysteme sicherzustellen, damit eine einzige Zulassung für die gesamte Union gewährt und der Grundsatz der Beaufsichtigung durch den Herkunftsmitgliedstaat angewandt werden kann.“ 60 In der BRRD wird dies explizit in Erwägungsgrund (10) klargestellt („Mindestharmonisierungsregeln“). 61 Vgl. etwa Brüggemeier, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 10. Dazu im Einzelnen § 7 Rn. 65 ff. 62 Im Zusammenhang mit dem europäischen Kapitalmarktrecht Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2014, § 4 Rn. 29 bzw. Veil, in ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 20 ff.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
dies aber nicht.63 Auch eine Verordnung kann prinzipiell minimalharmonisierend konzipiert sein, was freilich der Zielsetzung einer Verordnung – Schaffung von Einheitsrecht – zuwiderläuft.
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Im Bereich der Bankenregulierung wird in weiten Teilen der CRR eine Vollharmonisierung bezweckt.64 Den Mitgliedstaaten und den nationalen Behörden werden an verschiedenen Stellen allerdings Optionen und Ermessensspielräume gewährt (vgl. unten Rn. 48 ff. sowie Anhang 2). Eine gewisse Durchbrechung des Prinzips der Vollharmonisierung erfährt die CRR hinsichtlich Makroaufsichts- oder Systemrisiken durch Art. 458 CRR. Diese Vorschrift sieht vor, dass die von den Mitgliedstaaten benannten Behörden unter bestimmten Voraussetzungen „strengere nationale Maßnahmen“65 erlassen dürften als in der CRR vorgesehen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind allerdings sehr streng. Die Behörde muss u. a. nachweisen, dass aufgrund einer Veränderung eines festgestellten Makroaufsichts- oder Systemrisikos schwere negative Auswirkungen für die Finanzwirtschaft oder die Realwirtschaft drohen und hierauf besser mit strengeren nationalen Maßnahmen reagiert werden kann. Diese Vorgaben wurden in Deutschland in § 48t Abs. 1 KWG implementiert. c) Umsetzungsspielräume, Optionen und Wahlrechte
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Auch bei vollharmonisierenden Rechtsakten können den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielräume sowie Optionen und Wahlrechte verbleiben. Derartige Gestaltungsspielräume spielen im CRD/CRR-Regime eine wichtige Rolle.
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Die Terminologie ist nicht einheitlich. Im konkretisierenden Zugriff kann zwischen „originären“ und „derivativen“ Gestaltungsspielräumen unterschieden werden.66 Originäre Spielräume ergeben sich dann, wenn die Harmonisierung (wie bei der CRD) durch eine Richtlinie erfolgt. Auch bei vollharmonisierenden Richtlinien verbleiben den Mitgliedstaaten notwendigerweise Spielräume bei der Umsetzung der Richtlinienvorgaben.67 Besonders deutlich wird dies, wenn der europäische Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe bzw. Generalklauseln verwendet, die von den Mitgliedstaaten ausgefüllt werden müssen.68 Derivative Spielräume sind solche, die dem Mitgliedstaat oder einer nationalen AufsichtsbeVeil, ZGR 2014, 544, 569. Vgl. Erwägungsgrund (11) CRR (einheitliche und in allen Mitgliedstaaten geltende Vorschriften). Erwägungsgrund (9) CRR spricht nicht eindeutig in diesem Zusammenhang von einer „größtmöglichen Harmonisierung“ durch „aufsichtliche Mindestvorschriften“. Dass die CRR grundsätzlich eine Vollharmonisierung intendiert, ergibt sich auch im Umkehrschluss aus Art. 458 CRR. 65 Art. 458(2) CRR. 66 Ähnlich Mittwoch, Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht, 2013, S. 34 ff. („originäre“ vs. „derivative“ Abweichungsmöglichkeiten). 67 Dies liegt in der Natur dieses Harmonisierungsinstruments. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, die Richtlinienvorgaben eins zu eins in das nationale Recht wortlautgetreu umzusetzen, sondern können diese entsprechend der nationalen Systematik und Terminologie anpassen. 68 Vgl. für Einzelbeispiele § 7 (im Zusammenhang mit dem Marktzugang) bzw. § 12 (im Zusammenhang mit den Governance-Anforderungen). 63 64
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hörde durch den Harmonisierungsrechtsakt (etwa der Richtlinie oder Verordnung) explizit eingeräumt werden. Im aufsichtsrechtlichen Kontext wird hierbei zwischen Optionen (options) sowie Ermessensspielräumen (discretions) differenziert. Im Falle einer Option werden dem Adressaten der Option verschiedene Handlungsvarianten eingeräumt. Der Adressat kann sodann entscheiden, welche der Optionen in das nationale Recht umgesetzt wird. Ermessensspielräume gewähren dem Adressaten dagegen ein Wahlrecht, eine bestimmte Vorschrift anzuwenden oder nicht anzuwenden.69
Ungeachtet des vom europäischen Gesetzgeber verfolgten Zieles, ein einheitliches Regelwerk zu etablieren, werden den Mitgliedstaaten und den zuständigen Behörden an zahlreichen Stellen Optionen und Wahlrechte eingeräumt (nach der Zählung der EZB enthält die CRD IV insgesamt 80 und die CRR insgesamt 155 derartige Optionen und Wahlrechte).70 Die Optionen und Wahlrechte können sich an die Mitgliedstaaten selbst oder aber an die zuständigen Behörden richten.71 Diese Unterscheidung ist vor allem innerhalb des Anwendungsbereichs des einheitlichen Aufsichtsmechanismus von großer Bedeutung, da die EZB für zahlreiche Behördenwahlrechte einheitliche Regelungen erlassen hat.72 Die einzelnen Optionen und Wahlrechte werden in den jeweiligen Fachabschnitten erörtert. Ein zusammenfassender Überblick kann Anhang 1 und Anhang 2 entnommen werden.
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2. Horizontale Dimension: Anwendungsbereich
Von der Frage der Harmonisierungsintensität ist in „horizontaler“ Sicht der Anwendungsbereich der Harmonisierungsmaßnahme zu unterscheiden.73 Hierbei geht es darum, welche Sachverhalte in sachlicher, persönlicher oder geografischer Sicht von dem europäischen Rechtsakt erfasst werden.74 Außerhalb des Anwendungsbereichs können die Mitgliedstaaten auch bei einem vollharmonisierenden Rechtsakt eigenständige nationale Regelungen treffen. Im Einzelfall können (ebenso wie bei der Abgrenzung der Voll- und Mindestharmonisierung) allerdings Abgrenzungsschwierigkeiten auftreten.
69 So der Sprachgebrauch der EZB. Vgl. EZB, Public consultation: on a draft Regulation and Guide of the European Central Bank on the exercise of options and discretions available in Union law, Explanatory memorandum, Ziffer 1.1.1. (abrufbar unter: https://www.banking supervision.europa.eu/legalframework/publiccons/pdf/reporting/pub_con_explanatory_me morandum_options_discretions.en.pdf?bf95087a9a34cd3d654446e5bb462c8a). 70 Vgl. die Übersicht in den Anhängen 1 und 2. 71 Zu den Optionen und Wahlrechten auch Margerit, National options and discretions (NODs) in EU banking regulation, 19.1.2017. Hierzu ebenfalls Bassani, The Legal Framework Applicable to the Single Supervisory Mechanism, 2019, § 4.03. 72 Dazu unten § 6 Rn. 87 ff. 73 Vgl. Brüggemeier, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 5. 74 Brüggemeier, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 6.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
Der Anwendungsbereich des CRD/CRR-Regimes wird im Ausgangspunkt durch den Begriff des „Instituts“ definiert.75 Es gilt primär für Kreditinstitute im europarechtlichen Sinne. Als CRR-Kreditinstitut werden Unternehmen bezeichnet, deren Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren.76 Unternehmen, die lediglich das Einlagengeschäft oder das Kreditgeschäft betreiben, werden vom CRD/CRR-Regime prinzipiell nicht erfasst. Allerdings hat der europäische Gesetzgeber in den Erwägungsgründen der CRR klargestellt, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, „gleichwertige Anforderungen“ an Unternehmen zu stellen, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen.77 Der deutsche Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, dass die Anforderungen der CRD/CRR grundsätzlich auch für solche „nationalen“ Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute gelten, die keine CRR-Institute im unionsrechtlichen Sinne sind.78 In anderen Mitgliedstaaten wurde für solche nationalen Institute ein eigenes Regime geschaffen (vgl. unten § 7 Rn. 31 f.). Mit dem Argument des beschränkten Anwendungsbereichs der CRR lässt sich rechtfertigen, dass die nationalen Gesetzgeber an verschiedenen Stellen Regelungen geschaffen haben, die für sich genommen nicht in der CRR vorgesehen sind.79 Im Einzelfall kann es schwierig sein, zu beurteilen, ob der nationale Gesetzgeber noch eine Gestaltungskompetenz hinsichtlich der in der CRR adressierten Rechtsbereiche hat.
3. Harmonisierungstiefe 57
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Eine dritte Dimension betrifft die Harmonisierungstiefe (Granularität). Es sind verschiedene Ansätze denkbar. Auf der einen Seite des Spektrums steht ein Regelungsmodell, bei dem lediglich die abstrakten Grundsätze durch den europäischen Gesetzgeber festgelegt werden.80 Auf der anderen Seite des Spektrums steht eine Harmonisierungsstrategie, bei der auf europäischer Ebene die einzelnen Anforderungen granular ausgeformt werden.81 Wie erwähnt, hat die Granularität des Single Rulebooks im Bankensektor in den letzten Jahren enorm zugenommen. Gleichwohl existieren weiterhin verschiedene Bereiche, in denen die Anforderungen vom europäischen GesetzgeArt. 4(1) Nr. 1 CRR. Zu den Instituten gem. Art. 4(1) Nr. 3 CRR zählten bislang neben Kreditinstituten auch Wertpapierfirmen i. S. d. Art. 4(1) Nr. 2 CRR. Allerdings gilt für „einfache“ Wertpapierfirmen nach Inkrafttreten der IFD/IFR ein eigenständiges Regime. Vgl. hierzu § 7 Rn. 45 ff. 76 Art. 4(1) Nr. 1 CRR. 77 Erwägungsgrund (24) CRR. 78 § 1a KWG. 79 Beispiel hierfür sind etwa die Beschlussanforderungen bezüglich Organkrediten. 80 Es stellt sich bei einem solchen Modell dann die Frage, inwieweit die Mitgliedstaaten und die nationalen Behörden eine Kompetenz zur Konkretisierung der europäischen Grundsätze haben. 81 Zu dem damit zusammenhängenden Konzept der regel- vs. prinzipienbasierten Regulierung unten Rn. 59 ff. 75
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ber nur generalklauselartig vorgegeben werden (mit der Folge, dass unterschiedliche Auslegungen und Verwaltungspraktiken in den Mitgliedstaaten bestehen).82
VI. Regulierungsansätze 1. Regel- vs. prinzipienbasierte Ansätze a) Überblick
Hinsichtlich der Regelungstechnik lassen sich zwei grundsätzliche Regulierungsstrategien unterscheiden: ein regel- und ein prinzipienbasierter Ansatz.83 Als regelorientierte Regulierung lässt sich eine Regelungstechnik bezeichnen, die durch klar gefasste Tatbestände und präzise formulierte Verhaltensanweisungen gekennzeichnet ist. Sie zielt darauf ab, die regulierungsbedürftigen Sachverhalte möglichst vollständig durch ein kasuistisch ausgerichtetes Regelwerk zu erfassen. Als Vorteil eines solchen Zugriffs werden Rechtssicherheit und eine effektive Sanktionierbarkeit von Normverstößen genannt.84 Als prinzipienorientierte Regulierung lässt sich demgegenüber eine Regulierungstechnik beschreiben, die im Wesentlichen auf abstrakten und ausfüllungsbedürftigen Grundsätzen bzw. Zielvorgaben beruht. Diese geben den Marktteilnehmern lediglich die Regulierungsziele vor, überlassen ihnen im Übrigen aber einen breiten Umsetzungsspielraum. Der prinzipienorientierte Regelungsansatz basiert auf der Überzeugung, dass die Marktteilnehmer besser als der Gesetzgeber dazu in der Lage sind, effiziente Strategien zur Verwirklichung der verfolgten Regelungsziele zu entwickeln. Als Vorteil dieses Regelungsansatzes werden neben Effizienzgewinnen die höhere Anpassungsfähigkeit und Beständigkeit von Prinzipien angeführt.
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Die verschiedenen Ansätze lassen sich plastisch anhand von Beispielen aus dem Straßenverkehrsrecht illustrieren. So ist eine Vorschrift, wonach „die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften 50 km/h“ beträgt, eine Regel. Das Gebot, nur so schnell zu fahren, wie dies den Umständen nach „angemessen“ ist, wäre demgegenüber ein Prinzip.85 Der maßgebliche Unterschied zwischen beiden Vorschriften besteht darin, ob das Handlungsprogramm bereits vom Normgeber eindeutig determiniert wird (Höchstgeschwindigkeit 50 km/h) oder aber ob dieses situationsgebunden vom Pflichtenadressaten ermittelt werden muss („angemessene“ Geschwindigkeit).
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Der prinzipienorientierte Regelungsansatz manifestiert sich in seiner idealtypischen Form auf zwei Ebenen: der Ebene der Rechtsetzung und der Ebene der
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Vgl. hierzu die Beispiele in Fn. 68. Monografisch zum Konzept der prinzipienorientierten Regulierung Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 34 ff. und passim. 84 Vgl. etwa Ehrlich/Posner, 3 Journal of Legal Studies (1974), 257, 262. 85 Vgl. zu diesem oder ähnlichen Beispielen aus dem Straßenverkehrsrecht Ehrlich/Posner, 3 Journal of Legal Studies (1974), 257; Kaplow, 42 Duke Law Journal (1992), 557 (jeweils zur Abgrenzung von „rules“ und „standards“). 82 83
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
Rechtsdurchsetzung. Rechtsdogmatisch lassen sich Prinzipien als Zielnormen mit einem relativ hohen Generalitätsgrad einordnen.86 Diese Zielvorgaben werden von den Aufsichtsbehörden in Abstimmung mit den Marktteilnehmern „mit Leben gefüllt“ und kontinuierlich an neue Entwicklungen angepasst. Prinzipienorientierte Regelungsstrategien können vor diesem Hintergrund als Sinnbild einer Finanzaufsicht angesehen werden, bei der die „Spielregeln“ des Marktes nicht einseitig vom Gesetzgeber diktiert, sondern in Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden und der Marktteilnehmer auf Grund von konkretisierungsbedürftigen Prinzipien schrittweise entwickelt werden. b) Bedeutung für das Single Rulebook aa) Basler Rahmenvereinbarungen 64
Seit Einführung der Drei-Säulen-Architektur durch Basel II ist die Bankenregulierung durch ein Zusammenspiel von regel- und prinzipiengeleiteten Ansätzen geprägt: Die Mindestkapitalanforderungen gem. Säule 1 sind regelbasiert ausgestaltet und geben im Ausgangspunkt eindeutig quantifizierbare Kapitalanforderungen vor.87 Die zweite Säule (aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren) ist nach der Vorstellung des Basler Ausschusses dagegen prinzipienorientiert konzipiert (vgl. hierzu im Einzelnen § 11). bb) Europäisches und nationales Recht
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Das europäische Recht hat das Drei-Säulen-Konzept des Basler Akkords übernommen. Im Ausgangspunkt ist daher auch das europäische Bankenaufsichtsrecht durch einen regelbasierten Zugriff auf Ebene von Säule 1 und einen prinzipienbasierten Ansatz auf Ebene von Säule 2 geprägt. Allerdings ist auf europäischer Ebene eine zunehmende „Formalisierung“ der qualitativen Anforderungen der zweiten Säule und damit ein Rückgang der Bedeutung der prinzipienbasierten Regulierung zu erkennen (dazu im Einzelnen § 11 Rn. 7 ff.). Im Recht der Mitgliedstaaten spielen prinzipienorientierte Regulierungsansätze zum Teil weiterhin eine wichtige Rolle. Vor allem das Finanzmarktrecht des Vereinigten Königreichs ist traditionell durch einen prinzipienorientierten Ansatz geprägt (principles-based approach). In Deutschland hat sich die BaFin im Bereich der Anforderungen an das Risikomanagement zu einem prinzipienorientierten Ansatz bekannt.88 86 Anders als verhaltensbezogene Regeln bestehen Prinzipien typischerweise nicht aus einem Tatbestand und einer Rechtsfolge, sondern aus einer allgemein gehaltenen Zielvorgabe und einer nur grob umrissenen Verhaltens- und Organisationsvorgabe. 87 Dies gilt jedenfalls bei Berechnung der Eigenmittelanforderungen nach dem Standardansatz. Durch die Möglichkeit des Einsatzes fortgeschrittener Berechnungsmethoden wurden Elemente der prinzipienorientierten Regulierung auch hinsichtlich der Kapitalanforderungen gem. Säule 1 eingeführt. Hierzu im Einzelnen Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 72 ff. sowie unten § 8 Rn. 53 ff. 88 Vgl. etwa BaFin, Rundschreiben 10/2021 v. 16.8.2021 („MaRisk“) AT 1 Ziffer 3: „prinzipienorientierter Aufbau der MaRisk“. Ausführlich hierzu Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 35 ff.
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Als „Erfinder“ der prinzipienorientierten Regulierung kann die vormalige Financial Services Authority (FSA) – inzwischen ersetzt durch die Financial Conduct Authority (FCA) und die Prudential Regulation Authority (PRA) – genannt werden. Diese war bestrebt, das Regelwerk zunehmend auf wenigen „high-level standards“ aufzubauen, die lediglich die Regelungsziele vorgeben (outcomes-based approach) und den beaufsichtigten Unternehmen einen möglichst weiten Umsetzungsspielraum belassen.89 Eine wichtige Rolle bei der prinzipienorientierten Rechtsetzung spielen die „Principles for Businesses“, die an der Spitze des FSA Handbooks standen. Bei den Principles handelt es sich um elf grundlegende Verhaltens- und Organisationspflichten, die von allen von der FSA regulierten Unternehmen (firms) beachtet werden müssen. Diese Prinzipien finden sich heute auch im FCA Handbook90 sowie im Bereich der prudenziellen Aufsicht im PRA Handbook91 wieder (dort als „Fundamental Rules“ bezeichnet). Im Zuge der Finanzkrise ist der prinzipienorientierte Regelungszugriff der FSA in die Kritik geraten. In der Sache halten allerdings auch die Nachfolgeorganisationen (FCA und PRA) weiterhin an diesem Ansatz fest.
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2. Proportionalitätsgrundsatz
Ein weiteres Strukturmerkmal der europäischen Bankenregulierung ist das Proportionalitätsprinzip. Das Proportionalitätsprinzip ist in verschiedenen Vorschriften der CRD/CRR verankert.92 Beispielsweise stellt der europäische Gesetzgeber hinsichtlich der Anforderungen an die bankinterne Governance klar, dass die in der CRD genannten Regelungen und Verfahren „dem Umfang und der Komplexität der dem Geschäftsmodell innewohnenden Risiken und den Geschäften des Kreditinstituts angemessen“ sein sollen. Die EBA konkretisiert diesen Grundsatz wie folgt: „Die Institute sollten ihre Größe und interne Organisation sowie die Art, den Umfang und die Komplexität ihrer Geschäfte bei der Erarbeitung und Umsetzung interner Governanceregelungen berücksichtigen. Institute von erheblicher Bedeutung sollten über ausdifferenziertere Governanceregelungen verfügen, während kleine und weniger komplexe Institute einfachere Governanceregelungen einführen können.“93
89 FSA, Principles-based regulation, S. 4: „Principles-based regulation means, where possible, moving away from dictating through detailed, prescriptive rules and supervisory actions how firms should operate their business. We want to give firms the responsibility to decide how best to align their business objectives and processes with the regulatory outcomes we have specified.“ sowie S. 6: „Principles-based regulation means placing greater reliance on principles and outcome-focused, high-level rules as a means to drive at the regulatory aims we want to achieve, and less reliance on prescriptive rules“. 90 PRIN 2.1. des FCA Handbooks (abrufbar unter: https://www.handbook.fca.org.uk/ handbook/PRIN/2/?view=chapter). 91 Vgl. Nr. 2 der Fundamental Rules (abrufbar unter: http://www.prarulebook.co.uk/rule book/Content/Part/211136/25–10–2018). 92 Vgl. etwa Art. 74(2) CRD; Art. 94(1) lit. l, m sowie lit. o CRD; Art. 94(4) CRD (zum aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahren). 93 EBA, Leitlinien zur internen Governance, EBA/GL/2017/11, 15.3.2018, Rn. 18. Der Proportionalitätsgrundsatz wird auch in den überarbeiteten Leitlinien vom Juli 2021 betont, vgl. EBA, Final Report on Guidelines on internal governance under Directive 2013/36/EU, EBA/GL/2021/05, 2.7.2021, S. 18 ff.
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Durch den Grundsatz der Proportionalität wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Institute innerhalb der Union (etwa hinsichtlich ihrer Größe, der Art der Geschäftstätigkeit und des Risikoprofils) erhebliche Unterschiede aufweisen. Bei sachgerechter Anwendung kann dieser Grundsatz dazu beitragen, eine übermäßige regulatorische Belastung insbesondere von kleineren Instituten zu vermeiden und eine möglichst effiziente Umsetzung der Organisationsvorgaben zu ermöglichen. Es stellt sich vor dem Hintergrund der zunehmenden Granularität der regulatorischen Anforderungen die Frage, welcher Spielraum für die Anwendung des Proportionalitätsprinzips verbleibt (vgl. im Einzelnen hierzu § 18 Rn. 15 ff.). Im Zuge der Umsetzung des Bankenpakets wurde der Proportionalitäsgrundsatz in bestimmten Bereichen der Bankenregulierung allerdings wieder gestärkt (vgl. im Zusammenhang mit den Offenlegungsanforderungen § 14 Rn. 10 ff.). Der Proportionalitätsgrundsatz hat neben der angesprochenen materiellrechtlichen Komponente auch eine aufsichtsrechtliche Facette. Im Zusammenhang mit dem „aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahren“ ist vom Grundsatz der „doppelten Proportionalität“ die Rede.94 Hiermit ist gemeint, dass sowohl die Anforderungen an das bankinterne Risikomanagement als auch die Intensität der Überwachung durch die Aufsichtsbehörden vom Risikoprofil und der Geschäftstätigkeit des Instituts abhängen.95
VII. Auslegungsfragen 1. Methoden der Auslegung des Unionsrechts 71
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Bei der Anwendung des Single Rulebooks sind die Auslegungsgrundsätze des europäischen Rechts zu beachten.96 Soweit die Anforderungen wie bei der CRR unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten, dürfen die nationalen Gerichte und Aufsichtsbehörden im Ausgangspunkt nicht auf die zum nationalen Recht entwickelten Auslegungsmethoden zurückgreifen. Vielmehr haben diese die Auslegungsgrundsätze des europäischen Rechts zu beachten. Es gilt insoweit der Grundsatz der autonomen Auslegung. Soweit der europäische Gesetzgeber Richtlinien erlassen hat, müssen diese von den Mitgliedstaaten (wie etwa bei der CRD) in das nationale Recht umgesetzt werden. Die nationalen Behörden und Gerichte legen das richtlinienumsetzende Recht im Ausgangspunkt nach den jeweiligen nationalen Auslegungs-
Zum aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahren im Einzelnen § 11. Zum Grundsatz der „doppelten Proportionalität“ weiterführend Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 85 ff. 96 Zur Auslegung im Kontext des Kapitalmarktrechts vgl. Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 5 Rn. 14 ff. Im strafrechtlichen Kontext Spoerr, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Kommentar zum WpHG, 7. Aufl. 2019, Vor § 119 Rn. 46 ff. 94 95
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methoden aus.97 Bei der Auslegung ist jedoch zu beachten, ob das nationale Recht mit den Vorgaben der Richtlinie vereinbar ist (richtlinienkonforme Auslegung). Bei Zweifeln über die Auslegung des Unionsrechts ist die Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen.98 Fallbeispiel: In der Rechtssache Khorassani hatte der EuGH in einem Urteil vom 14. Juni 2017 darüber zu entscheiden, ob die Vermittlung von Portfolioverwaltungsverträgen eine erlaubnispflichtige Anlagevermittlung (Annahme und Übermittlung von Aufträgen über Finanzinstrumente) darstellt.99 Die Beklagte, die nicht über eine Erlaubnis zur Erbringung von Finanzdienstleistungen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG verfügte, vermittelte dem Kläger einen Vermögensverwaltungsvertrag mit in Liechtenstein ansässigen Gesellschaften, der die Anschaffung, Veräußerung und Verwaltung von Finanzinstrumenten zum Gegenstand hatte. Der Kläger begehrte Rückzahlung seiner unter dem Vertrag gezahlten Beträge und machte Schadensersatzansprüche geltend. Er argumentierte, dass die Beklagte eine erlaubnispflichtige Anlagevermittlung im Sinne von § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG betrieben hat. Der BGH kam zum Schluss, dass die Rechtsfrage von der Auslegung des europäischen Rechts abhängt, und legte dem EuGH die Rechtsfrage vor. Der EuGH entschied, dass das Kataloggeschäft nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Anhang I Abschnitt A Nr. 1 MiFID I/II (das durch § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG in das deutsche Recht transformiert wurde) nur Aufträge erfasse, die bereits unmittelbar auf ein bestimmtes Finanzinstrument bezogen seien. Dies sei bei der Vermittlung eines Vermögensverwaltungsvertrags nicht der Fall.100
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Weiteres Fallbeispiel: In der Rechtssache Massimo und Paolo Romanelli hatte der EuGH über die Auslegung des Einlagentatbestandes zu entscheiden.101 Im Jahre 1994 und 1995 stellten Massimo und Paolo Romanelli treuhänderisch Wertpapiere aus, die sich auf den Verkauf einer verbrieften Forderung an Dritte, deren gleichzeitigen Rückkauf zu einem um die vereinbarten Zinsen erhöhten Preis und Bezugsrechte zum Erwerb von Obligationen der Romanelli Finanzaria SpA bezogen. Das Tribunale civile e penale Florenz hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob sich der Begriff „rückzahlbare Gelder“ im Sinne der unionsrechtlichen Definition des Kreditinstituts „nur auf Finanzierungsinstrumente bezieht, deren Wesensmerkmal die Rückzahlbarkeit ist, oder auch auf Finanzierungsinstrumente, die dieses Wesensmerkmal nicht besitzen und bei denen die Rückzahlung des eingezahlten Betrags vertraglich vereinbart wird“.102 Massimo und Paolo Romanelli hatten argumentiert, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Einlagengeschäfts nur bei „wesensmäßig“ rückzahlbaren Geldern erfüllt seien. Dem ist der EuGH jedoch nicht gefolgt. Es genüge, wenn die Rückzahlung der eingezahlten Gelder vertraglich vereinbart wird.
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Besondere Herausforderungen ergeben sich im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (dazu § 6). Denn hier ist die EZB dazu verpflichtet, nationales Recht anzuwenden, soweit dieses auf Unionsrecht ba-
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97 Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 5 Rn. 14 ff. 98 Art. 267 AEUV. 99 EuGH, Urteil vom 14.6.2017, C-678/15, BKR 2017, 475. 100 Vgl. § 7 Rn. 35. 101 EuGH, Urteil vom 11.2.1999, C-366/97, Slg. 1999, 855. Siehe hierzu § 7 Rn. 26. 102 Vgl. Rn. 8 der Entscheidung.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
siert.103 Wendet die EZB nach dieser Maßgabe nationales Recht an, kann (und muss) diese auch die jeweiligen nationalen Auslegungsmethoden berücksichtigen (freilich unter Beachtung der Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung).104 2. Klärung von Auslegungsfragen durch Leitlinien und Empfehlungen, Q&As und sonstige Soft-Law-Instrumente 76
77
Für die Auslegung spielen ferner die Verlautbarungen der nationalen und europäischen Behörden eine wichtige Rolle.105 Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die bestehenden Auslegungsspielräume durch die auf Stufe 2 des europäischen Rechtsetzungsverfahrens erlassenen Rechtsakte eingeengt werden (vgl. oben Rn. 10 ff.). Die EBA hat ihre Auslegungspraxis zudem auf Stufe 3 des europäischen Rechtsetzungsverfahrens in zahlreichen Leitlinien und Empfehlungen sowie Q&As niedergelegt (vgl. oben Rn. 13 ff.). Im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus sind zudem die Verlautbarungen der EZB zu beachten. Auch wenn diese für die Gerichte nicht unmittelbar rechtsverbindlich sind, kommt diesen Verlautbarungen für die praktische Rechtsanwendung eine herausragende Rolle zu.106 Die Rechtsnatur und Rechtswirkungen der auf Stufe 3 erlassenen Verlautbarungen sind im Einzelnen umstritten.107 Jedenfalls bei den von der EBA erlassenen Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 Abs. 3 EBA-VO werden die europäischen und nationalen Gerichte diese bei der Entscheidungsfindung zumindest „berücksichtigen“ müssen. Dies lässt sich aus der Grimaldi-Rechtsprechung des EuGH ableiten.108 Zudem können die zuständigen Aufsichtsbehörden nur aus berechtigten Gründen von den Leitlinien und Empfehlungen abweichen.109 Schließlich können sich für die Marktteilnehmer aus Leitlinien und Empfehlungen Haftungsfreiräume ergeben: Wenn sich die Institute bzw. deren Geschäftsleiter an den Verlautbarungen der Behörden orientieren, wird diesen 103 Hierzu im Einzelnen unten § 6 Rn. 76 ff. 104 Vgl. § 6 Rn. 76 ff. 105 Zu den Parallelproblemen im Kapitalmarktrecht Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und
deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 5 Rn. 18. 106 Vgl. oben Rn. 13 ff. 107 Vgl. bereits oben Rn. 13 ff. sowie zum SSM § 6 Rn. 93 ff. 108 EuGH, Urteil vom 13.12.1989, C-322/88, Salvatore Grimaldi/Fonds des maladies professionnelles, Slg. 1989, 4407. In dieser Entscheidung hat der EuGH bezüglich Empfehlungen der Kommission klargestellt, dass die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet seien, bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten die Empfehlungen zu berücksichtigen (insbesondere dann, wenn diese Aufschluss über die Auslegung von zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen). Hierzu ausführlich Wörner, Weiche Verhaltenssteuerungsformen, 2017, S. 173 ff.; Veil, ZGR 2014, 544, 594. 109 Weiterführend Brüggemeier, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 64 ff.; Veil, ZGR 2014, 544, 594. Im Kontext des einheitlichen Aufsichtsmechanismus Köhler, Rulemaking in der Bankenunion, 2020, S. 156 ff.
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im Regelfall kein Vorwurf gemacht werden können, wenn ein Gericht ex post eine andere, von der Behörde abweichende Rechtsposition vertritt. Die Marktteilnehmer werden sich dann auf einen unvermeidbaren Rechts- bzw. Verbotsirrtum berufen können.110 Das Unionsrecht macht den Mitgliedstaaten keine näheren Vorgaben, auf welche Art und Weise die Leitlinien und Empfehlungen in die nationale Rechtspraxis umzusetzen sind (zur Erklärungspflicht im Falle eines beabsichtigten Abweichens oben Rn. 14). Die Praxis in den Mitgliedstaaten divergiert.111 In einigen Mitgliedstaaten wird auf die akzeptierten Leitlinien und Empfehlungen verwiesen, ohne dass diese explizit durch gesonderte Rundschreiben o. ä. in die nationale Verwaltungspraxis überführt werden.112 In anderen Mitgliedstaaten werden die Leitlinien und Empfehlungen in die bestehenden nationalen Verlautbarungen eingepflegt.113 In Deutschland sieht § 7b Abs. 1 Satz 4 KWG vor, dass die BaFin die Leitlinien und Empfehlungen der EBA „im Einklang“ mit Art. 16 EBA-VO anwendet. Die BaFin hat erklärt, „im Interesse der europäischen Harmonisierung des Aufsichtsrechts“ grundsätzlich sämtliche der von den europäischen Aufsichtsbehörden erlassenen Leitlinien und Empfehlungen sowie Q&As in die Verwaltungspraxis zu übernehmen (vgl. oben Rn. 18). Die BaFin ist dazu übergegangen, die übernommenen Leitlinien der EBA durch eine Anpassung der BaFin-Rundschreiben „umzusetzen“.114 Allerdings ist die Rechtspraxis in Deutschland hinsichtlich der Methode der Übernahme der europäischen Verlautbarungen nicht ganz einheitlich.115
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Für die praktische Rechtsanwendung sind ebenfalls die von der EBA veröffentlichten Q&As von großer Bedeutung. Ob Q&As ebenso wie Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 EBA-VO eine Berücksichtigungspflicht von nationalen Gerichten und Behörden begründen, ist bislang nicht geklärt. Gegen eine solche Berücksichtigungspflicht spricht, dass anders als bei den Leitlinien und Empfehlungen bei Q&As kein comply-or-explain-Mechanismus sekundärrechtlich verankert wurde und diese zudem nicht in alle Amtssprachen übersetzt werden.116 Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Q&As eine
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110 Hierzu zuletzt BGH, Urteil vom 10.7.2018, VI 263/17, BKR 2018, 510. 111 Rijsbergen, 10 Utrecht Law Review (2014), 116, 125 ff.; Wörner, Weiche Verhaltenssteue-
rungsformen, 2017, S. 244 ff. 112 So etwa die Praxis in Österreich. Dazu Wörner, Weiche Verhaltenssteuerungsformen,
2017, S. 245 f. 113 So etwa die bisherige Praxis der FCA im Vereinigten Königreich, vgl. Rijsbergen, 10 Utrecht Law Review (2014), 116, 127. 114 Vgl. etwa das Rundschreiben 14/2018 zur „Umsetzung“ der EBA-Leitlinien zu verbundenen Kunden (vgl. dazu § 10 Rn. 15) sowie das im Dezember 2020 angepasste Merkblatt zu den „Geschäftsleitern gemäß KWG, ZAG und KAGB“ (vgl. dazu § 12). 115 Verschiedene Merkblätter wurden bislang noch nicht vollständig an die Vorgaben der Leitlinien und Empfehlungen der EBA angepasst. Zudem erfolgt eine etwaige Anpassung von nationalen Verlautbarungen mitunter mit zeitlicher Verzögerung. Die nationalen Verlautbarungen sind daher nicht immer vollständig mit den europäischen Leitlinien abgestimmt. 116 Gegen eine solche Berücksichtigungspflicht Veil, ZBB 2018, 151, 163. Für die Annahme einer „Richtigkeitsvermutung“ der Q&As Köhler, Rulemaking in der Bankenunion, 2020, S. 181 f.
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Teil 1: Grundlagen der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken
erhebliche Steuerungswirkung entfalten, zumal die EBA grundsätzlich deren Umsetzung erwartet (vgl. oben Rn. 16 ff.). 3. Auslegungsgrundsätze 81
Zur Auslegung des Unionsrechts hat sich eine eigene unionsrechtliche Interpretationslehre herausgebildet.117 Diese ist für die Auslegung der bankenaufsichtsrechtlichen Rechtsakte maßgeblich. Die Auslegung wird allerdings durch handwerkliche Ungenauigkeiten im Gesetzestext und abweichende Sprachfassungen erschwert.118 a) Wortlaut
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Den Ausgangspunkt der Auslegung bildet der Wortlaut der Vorschrift. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die EU-Sprachen gleichrangig sind. Für die Auslegung genügt es daher nicht, lediglich eine der Sprachfassungen zu konsultieren. Aufgrund der Vielzahl der Amtssprachen in der Union wird der Wortlaut oft zu keinen eindeutigen Auslegungsergebnissen führen.119 b) Systematik
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Ferner werden vom EuGH systematische Erwägungen bei der Auslegung berücksichtigt. Diese spielten auch bei den zum Bank- und Finanzmarktrecht ergangenen Entscheidungen eine Rolle. So berücksichtigte der EuGH in der erwähnten Khorassani-Entscheidung bei der Auslegung des Begriffs „Auftrag“ das systematische Verhältnis der einzelnen Katalogtatbestände der MiFID.120 c) Historische Auslegung
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Von Bedeutung ist ferner eine historische Auslegung. Zwar werden – anders als bei nationalen Parlamentsgesetzen – vom europäischen Gesetzgeber keine offiziellen Gesetzesbegründungen verfasst. Hinweise zu den vom Gesetzgeber verfolgten Regelungszielen können allerdings den Erwägungsgründen entnommen werden, die den europäischen Normtexten vorangestellt sind. Zudem werden von der Kommission zu den einzelnen Rahmenrechtsakten jeweils Entwürfe veröffentlicht. Diese Entwürfe enthalten ausführliche Begründungen zu den jeweiligen Rechtsakten. Diese können bei der Auslegung herangezogen werden. Soweit die unionsrechtlichen Anforderungen auf Vorgaben des Basler Ausschusses zurückgehen, können auch diese bei der Auslegung berücksichtigt
117 Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 5 Rn. 28 ff. 118 Hierzu bereits Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 2 (suboptimale Systematik). 119 Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 5 Rn. 29 m. w. N. 120 Vgl. Rn. 73.
§ 4 Rechtsquellen, Rechtsetzungsverfahren und zentrale Regelungskonzepte
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werden.121 Dies ergibt sich daraus, dass der europäische Gesetzgeber auf die Arbeiten des Basler Ausschusses in den Erwägungsgründen Bezug nimmt und weite Teile des Basler Akkords in das europäische Recht überführt wurden. d) Teleologische Auslegung
In der Auslegungspraxis des EuGH nimmt die teleologische Auslegung eine zentrale Rolle ein (Ermittlung von Sinn und Zweck einer Vorschrift).122 Zur Ermittlung des mit einer Vorschrift verfolgten Sinn und Zwecks wird vor allem auf die Erwägungsgründe rekurriert. Zudem wendet der EuGH bei der teleologischen Auslegung des Europarechts den effet-utile-Grundsatz an.123 Hiernach ist eine Vorschrift so auszulegen, dass sie eine möglichst große praktische Wirksamkeit entfaltet. Im Kapitalmarkt- und Bankenaufsichtsrecht hat dieser Grundsatz allerdings bislang noch keine maßgebliche Bedeutung gespielt.
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VIII. Fazit Der europäische Gesetzgeber ist bestrebt, ein einheitliches europäisches Regelwerk für Banken und sonstige Finanzdienstleister zu schaffen (Single Rulebook). Den Kernbestandteil des Single Rulebooks im Bankensektor bildet das CRD/CRR-Regime, welches durch das Bankenpaket vom 16. April 2019 in Teilen ergänzt und reformiert wurde. Das CRD/CRR-Regime wird auf Ebene von Stufe 2 und Stufe 3 des europäischen Rechtsetzungsverfahrens durch zahlreiche Durchführungsverordnungen, Leitlinien und Empfehlungen sowie durch weitere Verlautbarungen der EBA und der EZB konkretisiert. Inzwischen ist der Harmonisierungsprozess weit vorangeschritten. Allerdings spielt auch das nationale Recht weiterhin eine wichtige Rolle. Für den Rechtsanwender führt dies dazu, dass eine Vielzahl von Regelungsebenen beachtet werden muss (europäische Verordnungen auf Stufe von 1 und 2 des europäischen Rechtsetzungsverfahrens, richtlinienumsetzendes und sonstiges nationales Recht, Verlautbarungen der EBA sowie der EZB, Merkblätter der nationalen Aufsichtsbehörden). Insgesamt ist festzustellen, dass der Umfang der von den Instituten zu beachtenden aufsichtsrechtlichen Anforderungen seit der Finanzkrise beständig zugenommen hat. Hiermit hat sich die Komplexität der Rechtsanwendung erhöht.
121 Vgl. dazu bereits oben § 2 Rn. 3. 122 Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 5
Rn. 40. 123 Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Veil, in: ders. (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 5 Rn. 40 f.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen Die Bankenaufsicht in Europa ist durch ein Zusammenspiel von mehreren Institutionen auf nationaler und europäischer Ebene geprägt. Als Reaktion auf die Finanzkrise wurde ein neues System der europäischen Finanzaufsicht geschaffen (dazu § 5). Dieses wird hinsichtlich der Aufsicht über Kreditinstitute in den teilnehmenden Mitgliedstaaten seit November 2014 durch den sog. einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) überlagert (dazu § 6).
§ 5 Das europäische Finanzaufsichtssystem Literatur: Achtelik, Olaf/Mohn, Alexandra, Die Reform der europäischen Finanzaufsichtsstruktur: Auswirkungen auf die Europäischen Aufsichtsbehörden im Banken- und Kapitalmarktbereich, WM 2019, 2339–2345; Avgouleas, Emilios, Governance of Global Financial Markets, 2012; Brüggemeier, Alexander, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018; Calvo, Daniel et al., Financial supervisory architecture: what has changed in the financial crisis, FSI Working Paper, 2018 (abrufbar unter: https:// www.bis.org/fsi/publ/insights8.htm); Ferran, Eilís, The Existential Search of the European Banking Authority, European Business Organization Law Review (EBOR) (2016), 285– 317; dies./Alexander, Kern, Can Soft Law Bodies be Effective? Soft Systemic Risk Oversight Bodies and the Special Case of the European Systemic Risk Board, SSRN Working Paper, 2011 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1676140); Godwin, Andrew/Howse, Timothy/Ramsay, Ian, A Jurisdictional Comparison of the Twin Peaks Model of Financial Regulation, 18 Journal of Banking Regulation (2017), 103– 131; Kohtamäki, Natalia, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012; Ruppel, Nadine, Finanzdienstleistungsaufsicht in der Europäischen Union, 2015; Veil, Rüdiger, Aufsichtskonvergenz durch „Questions and Answers“ der ESMA, ZBB 2018, 151–166; Wymeersch, Eddy, The Structure of Financial Supervision in Europe: About single, twin peaks and multiple financial supervisors, SSRN Working Paper, 2006 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=946695). Vgl. auch die Literaturangaben zu § 6.
I. Einleitung Das Konzept des europäischen Finanzaufsichtssystems geht maßgeblich auf die Empfehlungen des De-Larosière-Berichts zurück.1 Dessen Vorschläge wurden von der Kommission in einem Legislativpaket aus dem Jahre 2009 aufgegriffen.2 Diese wurden im Jahre 2010 vom Europäischen Parlament mit gewissen Ände1
Vgl. oben § 2 Rn. 39 ff.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
rungen gebilligt. Die neue europäische Aufsichtsstruktur wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2011 errichtet. Das europäische System der Finanzaufsicht (European System of Financial Supervision – ESFS) beruht auf zwei Säulen: dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken auf Makroebene sowie drei neugeschaffenen europäischen Aufsichtsbehörden auf Mikroebene.3 Das Aufsichtssystem lässt sich wie folgt veranschaulichen:4
Europäisches Finanzaufsichtssystem
Makroprudenzielle Aufsicht – European Systemic Risk Board (ESRB) (Frankfurt a.M.)
Mikroprudenzielle Aufsicht – European Banking Authority (EBA) (Paris) – European Insurance and Occupational Pension Authority (EIPOA) (Frankfurt a.M.) – European Securites and Markets Authority (ESMA) (Paris) Nationale Aufsichtsbehörden
Abbildung 5: Das System der europäischen Aufsicht (ohne SSM).4
II. Makroebene 4
Auf Makroebene wurde ein Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) etabliert.5 Der ESRB ist nach der Konzeption des Unionsgesetzgebers „für die Makroaufsicht über das Finanzsystem in der Union zuständig, um einen Beitrag zur Abwendung oder Eindämmung von Kommission, KOM (2009) 499 endg.; KOM (2009) 500 endg.; KOM (2009) 501 endg.; 2 KOM(2009) 502; KOM (2009) 503 endg. Vgl. ferner die Mitteilung der Kommission vom 37.5.2009, KOM (2009) 252 endg. Vgl. hierzu auch Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 47 ff. Ausführliche Darstellung bei Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 115 ff. Eigene Darstellung in Anlehnung an Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der 4 Europäischen Union, 2012, S. 116. Dies erfolgte durch die Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments 5 und des Rates vom 24.11.2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB-VO).
§ 5 Das europäische Finanzaufsichtssystem
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Systemrisiken für die Finanzstabilität in der Union zu leisten, die aus Entwicklungen innerhalb des Finanzsystems erwachsen“.6 Der ESRB ist in Frankfurt am Main bei der EZB angesiedelt.7 Er verfügt allerdings über keine eigene Rechtspersönlichkeit; er ist weder Organ der EU noch eine EU-Aufsichtsbehörde.8 Der ESRB ist als Kooperationsgremium konzipiert.9 Er verfügt über einen Verwaltungsrat, einen Lenkungsausschuss, ein Sekretariat, einen beratenden wissenschaftlichen Ausschuss sowie einen beratenden Fachausschuss.10 Der ESRB wird nach außen von seinem Vorsitzenden vertreten.11 Die Kompetenzen des ESRB sind allerdings begrenzt. Diesem wurde die Kompetenz verliehen, Warnungen zu sich abzeichnenden Systemrisiken sowie Empfehlungen zu Maßnahmen zu deren Bekämpfung abzugeben.12 Er verfügt aber über keine rechtsverbindlichen Eingriffs- oder Rechtsetzungsbefugnisse. Richten sich die Empfehlungen an einen konkreten Adressaten (Europäische Kommission, einzelne Mitgliedstaaten, eine der europäischen Aufsichtsbehörden bzw. eine nationale Aufsichtsbehörde), so muss der Adressat dem ESRB mitteilen, welche Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen wurden, bzw. begründen, wieso die Empfehlungen nicht umgesetzt wurden (comply-or-explainPrinzip).13 Eine aktive Rolle kommt dem ESRB zudem bei der Festsetzung von Kapitalpuffern zu.14 Ausgangspunkt der Etablierung des ESRB war der Befund, dass das europäische System der Finanzaufsicht vor der Finanzkrise zu sehr auf die Überwachung der einzelnen Institute fokussiert war. Systemrisiken wurden nicht frühzeitig erkannt.15 Dass die traditionelle mikroprudenzielle Aufsicht durch makroprudenzielle Elemente ergänzt wird, ist daher zu begrüßen. Noch nicht abschließend beurteilen lässt sich, ob der ESRB die ihm zugewiesenen Aufgaben wirksam erfüllen kann.16 Grundsätzlich positiv zu beurteilen ist, dass der ESRB an der EZB angesiedelt ist; dies ermöglicht einen effektiven Informations- und IdeArt. 3(1) ESRB-VO. Art. 1(1) ESRB-VO. Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 121. Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 50. 10 Art. 4(1) ESRB-VO. 11 Art. 4(8) ESRB-VO. 12 Art. 15 ff. ESRB-VO. Hierzu Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 50; Avgouleas, Governance of Global Financial Markets, 2012, S. 306 ff.; Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 129 ff. Vgl. ferner Ferran/Alexander, Can Soft Law Bodies be Effective? Soft Systemic Risk Oversight Bodies and the Special Case of the European Systemic Risk Board, SSRN Working Paper, 2011, S. 17 ff. 13 Art. 17(1) ESRB-VO. 14 Vgl. § 8 Rn. 70 ff. 15 De-Larosière-Bericht, Rn. 153 und passim. Zum Begriff des Systemrisikos § 1 Rn. 43. 16 Für eine vorläufige Bewertung Ferran/Alexander, Can Soft Law Bodies be Effective? Soft Systemic Risk Oversight Bodies and the Special Case of the European Systemic Risk Board, SSRN Working Paper, 2011, S. 17 ff. 6 7 8 9
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
enaustausch mit der EZB, die für die direkte Aufsicht der bedeutenden (und damit potenziell besonders „systemrelevanten“) Institute im Euroraum verantwortlich ist.
III. Mikroebene 1. Überblick 8
Auf Mikroebene hat der europäische Gesetzgeber drei europäische Behörden geschaffen, die über eine eigene Rechtspersönlichkeit17 verfügen.18 Es handelt sich hierbei um die Europäische Bankenaufsichtsbehörde mit Sitz in Paris (European Banking Authority – EBA)19, die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde mit Sitz in Frankfurt am Main (European Insurance and Occupational Pension Authority – EIOPA)20 sowie die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA)21 mit Sitz in Paris (zusammen die ESAs). Die drei ESAs sind als jeweils eigenständige Behörden konzipiert. Rechtstechnisch handelt es sich um europäische Agenturen.22
9
Dass die ESAs geografisch in verschiedenen Ländern verteilt sind, ist kritisiert worden.23 In der Tat würde die Ansiedlung der Agenturen an einem Ort die Arbeitsabläufe und den Informationsaustausch vereinfachen. Derartige Forderungen haben sich aber als politisch nicht durchsetzbar erwiesen. Dass der Sitz der Agenturen eine politische Dimension aufweist, hat sich zuletzt bei den Debatten im Zuge der Verlegung des Sitzes der EBA von London nach Paris gezeigt.
10
Hinsichtlich ihres Aufgaben- und Kompetenzspektrums lassen sich zwei Aufgabenfelder differenzieren: Zum einen stehen den ESAs wichtige RechtsetVgl. etwa Art. 5(1) EBA-VO. Hierzu im Zusammenhang mit der Kapitalmarktaufsicht in Europa Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 51 ff. Vgl. ferner Avgouleas, Governance of Global Financial Markets, 2012, S. 310 ff.; Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 140 ff. 19 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission. 20 Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission. 21 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 24.11. 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission. 22 Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 51 m. w. N. 23 Vgl. Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 143 f. 17 18
§ 5 Das europäische Finanzaufsichtssystem
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zungskompetenzen zu. Zum anderen verfügen die ESAs auch über gewisse Aufsichts- und Eingriffsbefugnisse. Gleichwohl bleibt – zumindest außerhalb des Anwendungsbereichs des einheitlichen Aufsichtsmechanismus – der Schwerpunkt der Aufsicht weiter auf der nationalen Ebene. Es wird in diesem Zusammenhang von einem watch-the-watchers-Modell gesprochen.24 2. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA)
Die EBA wurde als Nachfolgerin des früheren Committee of European Banking Supervisors (CEBS) errichtet.25 Sie hatte ursprünglich ihren Sitz in London. Als Konsequenz des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (Brexit) wurde der Sitz nach Paris verlegt.
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a) Binnenorganisation aa) Überblick
Die EBA setzt sich aus einem Rat der Aufseher (Board of Supervisors), einem Verwaltungsrat (Management Board), einem Vorsitzenden (Chair), einem Exekutivdirektor (Executive Director) sowie einem Beschwerdeausschuss (Board of Appeal) zusammen.26 Das Hauptentscheidungsgremium der EBA ist der Rat der Aufseher.27 Er besteht aus dem Vorsitzenden der EBA und hochrangigen Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden sowie weiteren stimmrechtslosen Mitgliedern (Vertreter der Kommission, der EZB, des ESRB sowie der ESMA und EIOPA).28 Der Rat gibt u. a. die Leitlinien für die Arbeit der Behörde vor und erlässt die in Kapitel II der EBA-VO genannten Beschlüsse. Grundsätzlich werden Beschlüsse mit einfacher Stimmrechtsmehrheit getroffen. Für bestimmte Maßnahmen wie beispielsweise Abstimmungen über technische Regulierungsstandards bzw. Leitlinien und Empfehlungen ist allerdings eine Beschlussfassung in qualifizierter Mehrheit vorgesehen.29 Neben dem Rat der Aufseher existiert mit dem Verwaltungsrat (Management Board) noch ein weiteres kollegiales Gremium innerhalb der EBA. Er setzt sich aus dem Vorsitzenden der EBA und sechs weiteren Mitgliedern30 zuZur Kapitalmarktaufsicht Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 51. 25 Der Gesetzgeber hat sich als Kompetenzgrundlage auf Art. 114 AEUV gestützt. Im Schrifttum ist vereinzelt bezweifelt worden, ob diese Grundlage tragfähig ist. Für Einzelheiten vgl. etwa Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 157 ff. Siehe ferner Ferran, The Existential Search of the European Banking Authority, EBOR (2016), 285–317 (zur Rolle der EBA nach Etablierung des SSM). 26 Art. 6 EBA-VO. 27 Erwägungsgrund (52) EBA-VO. 28 Art. 40(1) EBA-VO. 29 Art. 44(2) EBA-VO. 30 Die derzeitige Besetzung ist abrufbar unter: http://www.eba.europa.eu/about-us/organi sation/management-board/members. 24
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
sammen, die von den stimmberechtigten Mitgliedern des Rates der Aufseher gewählt werden.31 Der Verwaltungsrat hat u. a. die Befugnis, das Jahres- und Mehrjahresprogramm vorzuschlagen und bestimmte Haushaltsbefugnisse auszuüben.32 Er ist damit für organisatorische Entscheidungen zuständig.33 Die EBA verfügt über einen hauptamtlichen Vorsitzenden (Chair), der die EBA nach außen vertritt.34 Amtierender Vorsitzender ist seit März 2019 José Manuel Campa. Der Vorsitzende leitet die Sitzungen des Rates der Aufseher sowie die Sitzungen des Verwaltungsrates.35 Von dem Rat der Aufseher wird ferner ein Exekutivdirektor (Executive Director) bestellt. Er ist nach der Konzeption der EBA-VO für die „Leitung der Behörde“ verantwortlich und bereitet die Arbeiten des Verwaltungsrates vor.36 Ihm obliegt damit letztlich das „Tagesgeschäft“ der Aufsichtstätigkeit der EBA.37 Im Zuge der Reform der europäischen Aufsichtsbehörden wurde bei der EBA zudem ein interner Ausschuss für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eingerichtet. Dieser Ausschuss soll die Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche koordinieren und entsprechende Beschlüsse des Rats der Aufseher vorbereiten.38 Damit die EBA wirksam und effizient ihre Aufgaben erfüllen kann, sieht die EBA-VO vor, dass eine „Interessengruppe Bankensektor“ (Banking Stakeholder Group) eingesetzt wird. Diese setzt sich aus insgesamt 30 Mitgliedern zusammen, zu denen u. a. Interessenvertreter der Kreditinstitute sowie Vertreter der Verbraucherverbände sowie Wissenschaftler gehören.39 bb) Bewertung und Rechtsentwicklungen
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Die Governance-Struktur ist von verschiedenen Seiten kritisiert worden. Die Kritik bezieht sich u. a. auf den starken Einfluss, den die nationalen Aufsichtsbehörden auf die Entscheidungsfindung innerhalb der EBA ausüben. Dieser resultiert daraus, dass sich die stimmberechtigten Mitglieder des Rates der Aufseher aus Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden zusammensetzen.40 Diese institutionelle Struktur birgt die Gefahr, dass Anreizstrukturen gesetzt werden, Art. 45(1) EBA-VO. Die einzelnen Aufgaben sind in Art. 47 EBA-VO aufgeführt. Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 166. Art. 48 EBA-VO. Art. 48(1) Unterabs. 2 und 3 EBA-VO. Art. 53 EBA-VO. Im Zusammenhang mit der ESMA Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 63. 38 Art. 9a(7) EBA-VO (in der durch die ESA-Änderungsverordnung angepassten Fassung). 39 Die Liste der Mitglieder ist abrufbar unter: http://www.eba.europa.eu/about-us/organi sation/banking-stakeholder-group/members. 40 Siehe oben Rn. 13. Die übrigen vertretenen Institutionen sind lediglich stimmrechtslose Teilnehmer. Im Zuge der Reform der EBA-VO wurde dem Vorsitzenden ein Stimmrecht gewährt (vgl. unten Rn. 20). 31 32 33 34 35 36 37
§ 5 Das europäische Finanzaufsichtssystem
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die der Zielsetzung der EBA41 – der Gewährleistung einer kohärenten Anwendung des Unionsrechts sowie der Fortentwicklung des Single Rulebooks – zuwiderlaufen. Die Europäische Kommission fasste diese Gefahren in der Begründung der Reformvorschläge der ESAs vom September 2017 wie folgt zusammen: „The incentive structure in the decision-making process of the ESAs as it stands today leads to the absence of decisions in particular in the area of regulatory convergence and supervisory convergence, or promotes decisions that are predominantly oriented towards national instead of broader EU interests. This reflects, to some extent, an inherent tension between the European mandate of the ESAs and the national mandate of the competent authorities that are members of the ESA Boards.“42
Die ursprünglichen Reformvorschläge der Kommission sahen vor, dass der Verwaltungsrat durch einen unabhängigen „Executive Board“ ersetzt wird, dessen Mitglieder in Vollzeit in dieser Funktion tätig sind. Zudem sollte die Zusammensetzung des Rates der Aufseher angepasst werden. Diese Vorschläge wurden im Rahmen der Trilog-Verhandlungen zwischen der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament allerdings weitgehend verworfen.43 Im Zentrum der verabschiedeten Reformen stand letztlich die Stärkung der Kompetenzen der EBA hinsichtlich der Überwachung von Geldwäscherisiken.44 In Bezug auf die Governance wurde die Position des EBA-Vorsitzenden dadurch gestärkt, dass dieser ein Stimmrecht im Rat der Aufseher erhielt.45 Es bleibt allerdings dabei, dass die nationalen Aufsichtsbehörden (weiterhin) einen starken Einfluss auf die Entscheidungsfindung innerhalb der EBA ausüben.
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b) Zielsetzung
Die übergeordnete Zielsetzung der EBA wird in Art. 1 Abs. 5 EBA-VO formuliert. Hiernach besteht das Ziel der Behörde darin, das öffentliche Interesse zu schützen, indem sie zur kurz-, mittel- und langfristigen Stabilität und Effektivität des Finanzsystems beiträgt.46 Konkret soll die EBA zur Erreichung folgender Ziele beitragen: – der Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarkts, insbesondere mittels einer soliden, wirksamen und kohärenten Regulierung und Überwachung; Dazu noch unten Rn. 21 ff. Kommission, Brüssel, 20.9.2017, COM (2017) 536 final, S. 3. Vgl. hierzu auch Achtelik/Mohn, WM 2019, 2339, 2342. Eine Zusammenfassung der Maßnahmen ist abrufbar unter: https://europa.eu/rapid/ press-release_IP-19–2130_en.htm?locale=en. 45 Dieses Stimmrecht wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass sich der Vorsitzende nicht an Abstimmungen über technische Standards bzw. Leitlinien und Empfehlungen beteiligen darf (vgl. Art. 44(1) Unterabs. 2 EBA-VO). 46 Zu den Zielen der EBA vgl. auch Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 173. 41 42 43 44
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– der Gewährleistung der Integrität, Transparenz, Effizienz und des ordnungsgemäßen Funktionierens der Finanzmärkte; – dem Ausbau der internationalen Koordinierung der Aufsicht; – der Verhinderung von Aufsichtsarbitrage und Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen; – der Gewährleistung, dass die Übernahme von Kredit- und anderen Risiken angemessen reguliert und beaufsichtigt wird; – der Verbesserung des Kunden- und Verbraucherschutzes; – der Verbesserung der Angleichung der Aufsicht im gesamten Binnenmarkt; sowie – der Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung.47 22
Zu diesen Zwecken soll die Behörde einen „Beitrag zur Gewährleistung der kohärenten, effizienten und wirksamen Anwendung“ des Unionsrechts leisten, die Angleichung der Aufsicht fördern sowie Stellungnahmen für das Europäische Parlament, den Rat und die Kommission abgeben.48 c) Aufgaben und Kompetenzen
23
Der EBA werden verschiedene Aufgaben und Kompetenzen zugewiesen. Von besonderer Bedeutung sind deren Rechtsetzungsbefugnisse. Die EBA verfügt ferner über bestimmte Eingriffsbefugnisse bzw. Koordinations- und Streitentscheidungsbefugnisse. Ihr obliegen ferner gewisse Aufgaben im Zusammenhang mit den Eigenkapitalregelungen sowie der Geldwäschebekämpfung. aa) Rechtsetzungsbefugnisse
24
Die Rechtsetzungskompetenzen der EBA auf Stufe 2 und Stufe 3 des Lamfalussy-Verfahrens wurden bereits in § 4 angesprochen. (1) Erarbeitung von Entwürfen für technische Regulierungs- und Durchführungsstandards (Stufe 2)
25
Die EBA erarbeitet technische Regulierungs- und Durchführungsstandards, die von der Kommission als delegierte Rechtsakte gem. Art. 290 AEUV oder als Durchführungsrechtsakte gem. Art. 291 AEUV angenommen werden. Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards regeln fachspezifische Fragen49 und beinhalten nach den primärrechtlichen Grundlagen keine strategischen oder politischen Entscheidungen.50
Art. 1(5) EBA-VO. Art. 1(5) Unterabs. 2 EBA-VO. So ausdrücklich Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 179. 50 Art. 10(1) Unterabs. 2 EBA-VO; Art. 15(1) Unterabs. 1 EBA-VO. 47 48 49
§ 5 Das europäische Finanzaufsichtssystem
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Obgleich das Legislativrecht für den Erlass der technischen Standards bei der Kommission liegt51, nimmt die EBA bei der Ausarbeitung eine zentrale Rolle ein: Sowohl bei den technischen Regulierungsstandards als auch bei den technischen Durchführungsstandards kommt der EBA eine federführende Funktion zu.52 Denn die Kommission darf die Entwürfe der EBA nur unter bestimmten Voraussetzungen abändern bzw. zurückweisen.53 Die Einzelheiten wurden in § 4 erörtert.
26
(2) Leitlinien und Empfehlungen und sonstige Verlautbarungen (Stufe 3)
Die EBA ist ferner befugt, auf Stufe 3 des Lamfalussy-Verfahrens Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 EBA-VO zu erlassen. Diesen Leitlinien und Empfehlungen kommt eine wichtige Bedeutung für die Vereinheitlichung der Aufsichtspraktiken in der Union zu.54 Neben Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 EBA-VO spielen in der Rechtspraxis zahlreiche weitere Soft-Law-Instrumente der EBA eine wichtige Rolle. Diese sollen eine einheitliche und konsistente Rechtsanwendung und Aufsichtspraxis innerhalb der Union sicherstellen.55 Von eminenter praktischer Bedeutung sind die von der EBA veröffentlichten „Questions and Answers“, in denen die Behörde ihre Auslegungspraxis auf eine konkrete von einem Marktteilnehmer gestellte Frage schildert. Derartige Q&As sind zwar rechtlich nicht bindend. Faktisch geht von diesen allerdings eine hohe Wirkungsmacht aus, da sich sowohl Marktteilnehmer als auch Aufsichtsbehörden an diesen orientieren (vgl. § 4 Rn. 16 bzw. Rn. 80). Die Antworten der EBA sind in einem „Single Rulebook Q&A“ auf der Homepage der EBA abrufbar.56
27
Durch die ESA-Änderungsverordnung wurde mit Art. 16b EBA-VO nunmehr eine eigene Rechtsgrundlage für den Erlass von Q&As erlassen. Das Unionsrecht stellt klar, dass derartige Q&As rechtlich nicht bindend sind.57 Die praktische Bedeutung der Q&As dürfte in Zukunft allerdings noch weiter zunehmen, zumal diese durch die EBA-Änderungsverordnung nun ausdrücklich als Konvergenzinstrument anerkannt wurden. Auch der Erlass von Stellungnahmen (opinions, siehe unten Rn. 30) ist nun in Art. 16a EBA-VO geregelt. Diese Stellungnahmen sind an das Europäische Parlament, den Rat bzw. die Kommission gerichtet.58
29
51 Daher der Erlass der technischen Standards entweder durch Billigung (bei technischen Regulierungsstandards nach Art. 10(1) Unterabs. 1 Satz 2 EBA-VO) bzw. durch Zustimmung (bei technischen Durchführungsstandards nach Art. 15(1) Unterabs. 1 Satz 3 EBA-VO). 52 Vgl. auch Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2014, § 11 Rn. 65 zur ESMA („geistiger Urheber“). 53 Dies gilt jedenfalls für die technischen Regulierungsstandards. 54 Vgl. auch § 4 Rn. 13 ff. 55 Allgemein zur Bedeutung von Soft Law für die Finanzmarktregulierung vgl. Brummer, Soft Law and the Global Financial System, 2. Aufl. 2015. 56 Abrufbar unter: http://www.eba.europa.eu/single-rule-book-qa. 57 Art. 16b(2) EBA-VO in der Fassung der ESA-Änderungsverordnung. 58 Art. 16a(2) EBA-VO in der Fassung der ESA-Änderungsverordnung.
28
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
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Als weitere Konvergenzinstrumente der EBA sind peer reviews59 zu nennen, in denen unterschiedliche Verwaltungspraktiken in den Mitgliedstaaten aufgezeigt und best practices identifiziert werden.60 Die EBA verfasst ferner Stellungnahmen (opinions) und ist mit der Erarbeitung eines „Unionshandbuchs“ betraut (vgl. Rn. 31).61 Es werden von der EBA zudem verschiedene Listen geführt (etwa hinsichtlich der Kapitalinstrumente, die die Anforderungen des „harten Kernkapitals“ erfüllen), die für die praktische Rechtsanwendung von großer Bedeutung sind.
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Durch die ESA-Änderungsverordnung wurde der EBA die Aufgabe zugewiesen, ein „Unionshandbuch“ (union supervisory handbook) zu entwickeln und laufend zu pflegen. Dieses soll „bewährte Aufsichtspraktiken und besonders erfolgreiche Methoden und Verfahren“ enthalten.62 Dieses Unionshandbuch bleibt hinter den ursprünglichen Vorschlägen der Kommission hinsichtlich der Fortentwicklung eines umfassenden „supervisory handbooks“ zurück.63 Welche Form das Unionshandbuch konkret annehmen wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.
bb) Koordinations- und Eingriffsbefugnisse 32
Wie bei den Schwesterbehörden ESMA und EIOPA wurden der EBA im Grundsatz keine direkten Eingriffsbefugnisse gegenüber den Instituten und sonstigen Marktteilnehmern zugewiesen.64 Die laufende Aufsicht verbleibt daher bei den nationalen Aufsichtsbehörden bzw. im Anwendungsbereich des SSM bei der EZB. Allerdings kommt der EBA eine wichtige Überwachungsund Koordinationsfunktion hinsichtlich der Tätigkeiten der nationalen Aufsichtsbehörden zu.65 (1) Verstöße gegen Unionsrecht
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Die EBA soll die einheitliche Anwendung des europäischen Bankenaufsichtsrechts gewährleisten. Hierzu wurden der EBA bestimmte Durchsetzungskompetenzen für den Fall zugewiesen, dass nationale Aufsichtsbehörden europäische Rechtsakte nicht bzw. nicht ordnungsgemäß anwenden.66 Art. 17 EBA-VO sieht in diesem Fall einen Drei-Stufen-Mechanismus vor. Die EBA ist entweder aus eigener Initiative oder auf Ersuchen einer Behörde, des Europäischen Parlaments, des Rates, der Kommission oder der Interessengruppe Bankensektor nach Unterrichtung der betroffenen zuständigen Behörde befugt, eine Untersuchung der angeblichen Verletzung oder der NichtanArt. 8(1) lit. e, 30 EBA-VO. Hierzu Brüggemeier, Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 70. 61 Vgl. u. a. Art. 1(5) Unterabs. 2, Art. 8(1) lit. a EBA-VO. 62 Art. 8(1) lit. aa) EBA-VO. 63 Hierzu Achtelik/Mohn, WM 2019, 2339, 2341. 64 Vgl. zur Schwesterbehörde ESMA auch Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 52 ff. 65 Vgl. dazu im Zusammenhang mit dem EU-Pass § 7 Rn. 70 ff. 66 Art. 17 EBA-VO. 59 60
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wendung des Unionsrechts durchzuführen.67 Spätestens zwei Monate nach Beginn der Nachforschungen kann die Behörde eine Empfehlung an die nationale Aufsichtsbehörde richten, um den Rechtsverstoß abzuhelfen (Stufe 1).68 Kommt die nationale Aufsichtsbehörde dieser Empfehlung binnen Monatsfrist nicht nach, kann die Europäische Kommission auf Ersuchen der EBA oder aus Eigeninitiative eine förmliche Stellungnahme abgeben, in der die zuständige Behörde aufgefordert wird, Maßnahmen zur Einhaltung des Unionsrechts zu vereinbaren (Stufe 2).69 Werden die in der förmlichen Stellungnahme vorgesehenen Maßnahmen nicht fristgemäß umgesetzt, kann die EBA einen Beschluss gegenüber dem Finanzinstitut aussprechen.70 Dieser Beschluss verpflichtet das Institut, die Pflichten gem. Unionsrecht zu erfüllen (Stufe 3). Durch diesen Mechanismus kann sich die EBA über die nationalen Aufsichtsbehörden hinwegsetzen und sich auf letzter Stufe direkt an einzelne Finanzinstitute wenden. Die Ausübung dieser Kompetenz soll allerdings auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben.71 (2) Koordinations- und Streitentscheidungsbefugnisse
Der EBA kommt ferner eine wichtige Funktion bei der Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den zuständigen Behörden in grenzübergreifenden Sachverhalten zu.72 Außerhalb des Anwendungsbereichs des SSM73 verbleibt die direkte Aufsichtskompetenz grundsätzlich bei den nationalen Aufsichtsbehörden. Vor diesem Hintergrund normiert Art. 19 EBA-VO einen Streitentscheidungsmechanismus bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörden in verschiedenen Mitgliedstaaten. Dieser kommt allerdings nur zur Anwendung, wenn ein solches Verfahren in der CRD/CRR oder einem anderen in Art. 1 Abs. 2 EBAVO genannten Rechtsakt vorgesehen ist. Die EBA kann in diesen Fällen gem. Art. 19 Abs. 3 und Abs. 4 EBA-VO zur Streitentscheidung verbindliche Beschlüsse gegenüber einer nationalen Behörde bzw. einem Finanzinstitut erlassen. Zuvor soll die EBA allerdings als Vermittlerin zwischen den Behörden agieren74 und den Behörden eine Frist zur Schlichtung der Meinungsverschiedenheit gewähren.75 Bedeutung kommt den oben skizzierten Koordinations- und Streitentscheidungsbefugnissen insbesondere im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Bankdienstleistungen im Rahmen des EU-Passes zu (entweder im 67 68 69 70 71 72 73 74 75
Art. 17(2) EBA-VO. Art. 17(3) EBA-VO. Art. 17(4) EBA-VO. Art. 17(6) EBA-VO. Erwägungsgrund (29) EBA-VO. Vgl. Art. 19 EBA-VO. Vgl. unten § 6. Art. 19(2) Satz 2 EBA-VO. Art. 19(2) Satz 1 EBA-VO.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
Rahmen der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung oder durch Errichtung einer EU-Zweigniederlassung, vgl. § 7 Rn. 70 ff.). So können die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats die Angelegenheit an die EBA verweisen, wenn sie der Ansicht sind, dass die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats den ihnen obliegenden Pflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen (vgl. u. a. Art. 41 Abs. 2, 50 Abs. 4 CRD – siehe hierzu § 7 Rn. 70 ff.). Über vergleichbare Kompetenzen verfügt die EBA auch bei der Koordination der Aufsichtstätigkeit der zuständigen Behörden in Fragen der konsolidierten Aufsicht (Art. 112 Abs. 2 CRD). cc) Aufsichtsfunktionen im Zusammenhang mit der Eigenmittelausstattung 39
Weitere Aufsichtsfunktionen kommen der EBA hinsichtlich der Überprüfung der Eigenmittelanforderungen zu. So überwacht die EBA gem. Art. 80 CRR die „Qualität von Eigenmittelinstrumenten und Instrumenten berücksichtigungsfähiger Verbindlichkeiten, die Institute in der gesamten Union“ begeben. Die Behörde veröffentlicht gem. Art. 26 Abs. 3 Unterabs. 4 CRR ferner eine Liste der anerkannten Instrumente des harten Kernkapitals (vgl. § 8 Rn. 33 ff.). dd) Besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung
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Im Zuge der Überarbeitung der EBA-VO vom November 2019 wurden der Behörde zudem besondere Koordinationsaufgaben im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zugewiesen.76 Zu diesem Zweck kommt der EBA die Aufgabe zu, Informationen bei den zuständigen Behörden bezüglich möglicher Verstöße von Wirtschaftsbeteiligten gegen Anti-Geldwäschebestimmungen zu sammeln.77 Liegen der EBA Hinweise auf wesentliche Verstöße gegen Vorschriften zur Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusbekämpfung vor, kann sie die zuständigen Behörden dazu auffordern, entsprechende Untersuchungen einzuleiten.78 Kommt die zuständige Behörde dieser Aufforderung nicht nach, findet das oben beschriebene Verfahren zur Abstellung von Verstößen gegen das Unionsrecht Anwendung.79
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Kommt die zuständige Behörde der Aufforderung nicht nach, kann die EBA unter den oben beschriebenen Voraussetzungen im Einzelfall selbst einen Beschluss gegenüber dem jeweiligen Finanzinstitut oder einem anderen Wirtschaftsbeteiligten des Finanzsektors erlassen, um Verstöße gegen das Geldwäscherecht abzustellen. Zu diesem Zweck wendet die EBA die einschlägigen Rechtsvorschriften der Union und, sofern dieses Unionsrecht aus Richtlinien besteht, die nationalen Rechtsvorschriften an, die diese Richtlinien umset-
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Art. 9a und 9b EBA-VO (in der Fassung der EBA-Änderungsverordnung). Art. 9a(1) EBA-VO (in der Fassung der EBA-Änderungsverordnung). Art. 9b EBA-VO (in der Fassung der EBA-Änderungsverordnung). Art. 17 EBA-VO. Vgl. Rn. 33 ff.
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zen.80 Werden in einschlägigen Verordnungen den Mitgliedstaaten Optionen eingeräumt, so wendet die EBA außerdem nationale Rechtsvorschriften an, soweit diese Optionen ausgeübt werden.81 Dass eine europäische Behörde nationale Rechtsvorschriften vollzieht, ist äußerst ungewöhnlich. Eine Anwendung des nationalen Rechts durch eine europäische Behörde war bislang nur im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus vorgesehen (zu den damit verbundenen Rechtsproblemen § 6 Rn. 80 ff.). Eine Anwendung des nationalen Rechts dürfte die EBA vor große Herausforderungen stellen, zumal die nationalen AntiGeldwäscheregime noch immer erhebliche Unterschiede aufweisen.82
3. Nationale Aufsichtsbehörden
Auch nach Einführung des europäischen Systems der Finanzaufsicht sind für die direkte Aufsicht der Institute grundsätzlich weiterhin die zuständigen nationalen Behörden verantwortlich (in Deutschland: die BaFin in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank). Dies gilt jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des SSM, in dem die Verantwortung der direkten Aufsicht über bedeutende Kreditinstitute der EZB zugewiesen ist (vgl. § 6).
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a) Aufsichtsmodelle
Die in den Mitgliedstaaten anzutreffenden Aufsichtsmodelle unterscheiden sich erheblich.83 Es lassen sich als Grundformen der Finanzaufsicht ein institutioneller Ansatz (institutional approach), ein integrierter Ansatz (integrated approach) sowie ein funktionaler Ansatz (functional approach) unterscheiden. Als wichtige Unterform des funktionalen Ansatzes hat sich in einzelnen Mitgliedstaaten das sog. Twin-Peaks-Modell etabliert.84 In der Rechtspraxis haben sich verschiedene Mischformen herausgebildet.85 Im Folgenden werden die verschiedenen Ansätze überblicksartig dargestellt. Die in den einzelnen Mitgliedstaaten verfolgten Modelle werden (mit 80 Art. 17(6) Unterabs. 2 Satz 3 EBA-VO (in der Fassung der EBA-Änderungsverordnung). Gleiches gilt gem. Art. 19(4) Unterabs. 2 Satz 2 EBA-VO bei Meinungsverschiedenheiten zwischen zuständigen Behörden in grenzüberschreitenden Fällen. 81 Art. 17(6) Unterabs. 2 Satz 3 EBA-VO bzw. Art. 19(4) Unterabs. 2 Satz 2 EBA-VO (in der Fassung der EBA-Änderungsverordnung). 82 EBA, Report on the future AML/CFT framework in the EU, EBA/REP/2020/25. Die EBA hat vor diesem Hintergrund die Etablierung eines Single Rulebooks für die Anti-Geldwäsche-Regeln empfohlen. 83 Zur Kapitalmarktaufsicht vgl. Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 5 ff.; Ruppel, Finanzdienstleistungsaufsicht in der Europäischen Union, 2015, S. 19 ff. Aus dem internationalen Schrifttum Godwin/Howse/Ramsay, A Jurisdictional Comparison of the Twin Peaks Model of Financial Regulation, 18 Journal of Banking Regulation (2017), 103–131; Calvo et al., Financial supervisory architecture: what has changed in the financial crisis, April 2018, FSI Working Paper. 84 Ausführlich zu den jeweiligen Modellen Wymeersch, The Structure of Financial Supervision in Europe: About single, twin peaks and multiple financial supervisors, SSRN Working Paper, 2007, S. 10 ff.; Godwin/Howse/Ramsay, A Jurisdictional Comparison of the Twin Peaks Model of Financial Regulation, 18 Journal of Banking Regulation (2017), 103–131. 85 Beispiele für Mischformen finden sich etwa in Bulgarien oder Luxemburg.
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Angabe der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden) im Anhang 3 tabellarisch zusammengefasst. aa) Institutioneller Ansatz 45
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Bei einem institutionellen Ansatz werden Banken, Wertpapierfirmen und Versicherungsunternehmen jeweils gesondert durch eigene Behörden beaufsichtigt. Es wird insoweit auch von einem sektoralen Ansatz gesprochen.86 Das institutionelle Modell stellt die „traditionelle“ Form der Finanzaufsicht dar. Es wird u. a. in Bulgarien87, Griechenland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Portugal, Slowenien, Rumänien und Spanien verfolgt.88 Auch das europäische Aufsichtssystem liegt grundsätzlich einem institutionellen Ansatz zugrunde, da für die Sektoren Banken (EBA), Wertpapierfirmen (ESMA) und Versicherungen (EIOPA) eigene Behörden geschaffen wurden. Auch im Anwendungsbereich der SSM ist die Zuständigkeit der EZB sektoral auf die Aufsicht von Kreditinstituten beschränkt. Als Vorteil des sektoralen Ansatzes wird genannt, dass die jeweiligen Behörden eine besondere Expertise in ihrem Überwachungsbereich aufbauen können. Auch werden Interessenkonflikte zwischen den einzelnen Sektoren durch die behördliche Trennung weitgehend vermieden. Dem steht als Nachteil die Gefahr eines „Silo-Denkens“ gegenüber. Sektorübergreifende Risiken werden durch einen institutionellen Aufsichtsansatz unter Umständen nur unzureichend erkannt. bb) Integrierter Ansatz
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Bei einem integrierten Ansatz wird die Aufsicht über Banken, Wertpapierfirmen und Versicherungen von einer einzigen Behörde – ggf. hinsichtlich der Bankenaufsicht in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Zentralbank – durchgeführt. Es wird insoweit auch von einem „Allfinanzmodell“ gesprochen. Das Allfinanzmodell hatte um die Jahrtausendwende an Bedeutung gewonnen.89 Schweden und Dänemark hatten sich früh für den integrativen Ansatz entschieden.90 Hintergrund war, dass sich auf dem Markt zunehmend sog. Finanzkonglomerate gebildet haben, die innerhalb einer Unternehmensgruppe sowohl Banken- als auch Wertpapier- und Versicherungsdienstleistungen anbieten. Im Jahre 1997 hatte auch das Vereinigte Königreich mit der Financial Services Authority eine Allfinanzbehörde errichtet. Auch Deutschland folgt 86 Wymeersch, The Structure of Financial Supervision in Europe, SSRN Working Paper, 2007, S. 15 ff. 87 Allerdings in einer Mischform (Wertpapieraufsicht und Versicherungsaufsicht werden durch eine Behörde wahrgenommen). 88 Vgl. die Tabelle in Anhang 3. 89 Calvo et al., Financial supervisory architecture: what has changed in the financial crisis, April 2018, FSI Working Paper, S. 4 („first wave of substantial reforms“). 90 Hierzu Walla, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 24.
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seit dem Jahre 2002 mit der Gründung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) diesem Modell.91 Im Zuge der Finanzkrise haben einige Mitgliedstaaten das zuvor bestehende Allfinanzmodell allerdings reformiert bzw. aufgegeben. So hat etwa das Vereinigte Königreich das Aufsichtssystem in ein Twin-Peaks-Modell überführt. Derzeit kommt ein integrierter Ansatz prinzipiell in Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Irland, Lettland, Litauen, Malta, Österreich, Polen, Slowakei, Schweden sowie Ungarn zum Einsatz (wobei zum Teil die Zentralbanken – wie in Deutschland – in die Solvenzaufsicht der Banken eingebunden sind).
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cc) Funktionaler Ansatz
Bei dem funktionalen Ansatz erfolgt die Aufteilung der Aufsicht nach den von der Behörde wahrgenommenen Funktionen. Eine wichtige Unterform stellt das sog. Twin-Peaks-Modell dar. Hierbei erfolgt eine funktionale Trennung zwischen der prudentiellen Aufsicht über Banken, Wertpapierfirmen und Versicherungsunternehmen einerseits und der allgemeinen Marktaufsicht über die Finanzteilnehmer andererseits. Der Twin-Peaks-Ansatz wurde zunächst in Australien im Jahre 1997 eingeführt. In Europa liegt dieses Modell dem Aufsichtssystem von Belgien, Frankreich, Niederlande und dem Vereinigten Königreich zugrunde. Der Grundgedanke dieses Ansatzes besteht in der Überlegung, dass die Solvenzaufsicht und die allgemeine Marktaufsicht jeweils Unterschiede aufweisen. Durch die organisatorische Trennung werden Interessenkonflikte zwischen beiden Funktionen weitgehend vermieden. Dies wird mit dem Nachteil erkauft, dass bei der Aufsicht eines Unternehmens durch mehrere Behörden Ineffizienzen entstehen können, zumal sich die Bereiche der Solvenz- und Marktaufsicht nicht immer eindeutig voneinander abgrenzen lassen.
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b) Aufsicht in Deutschland
In Deutschland wird die Bankenaufsicht von der BaFin in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank wahrgenommen. Hierbei werden Aufsichtsmaßnahmen und Sanktionen von der BaFin erlassen. Es handelt sich bei der BaFin um die zuständige Verwaltungsbehörde im Sinne des Art. 4 Abs. 1 CRD. Die Deutsche Bundesbank ist u. a. für die laufende Überwachung der Institute zuständig, sofern diese hinsichtlich bedeutender Kreditinstitute nicht von der EZB wahrgenommen wird.92 Einzelheiten hinsichtlich der Zusammenarbeit beider Behörden wurden in der sog. Aufsichtsrichtlinie konkretisiert.93 91 Die BaFin hat die vormals bestehenden Aufsichtsämter für das Wertpapierwesen, für das Kreditwesen und für das Versicherungswesen ersetzt. 92 Vgl. § 7(1) KWG. 93 Richtlinie zur Durchführung und Qualitätssicherung der laufenden Überwachung der Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute durch die Deutsche Bundesbank (Aufsichtsrichtlinie).
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
IV. Fazit 57
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Als Folge der Finanzkrise wurde ein europäisches System für die Finanzaufsicht geschaffen. Es basiert auf zwei Säulen: dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken auf Makroebene und drei europäischen Aufsichtsbehörden auf Mikroebene. Als Teil des europäischen Systems für die Finanzaufsicht wurde die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) als Agentur mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen. Der EBA kommen vor allem Rechtsetzungsbefugnisse zu. Sie erarbeitet die Entwürfe der technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards auf Stufe 2 des europäischen Gesetzgebungsprozesses und erlässt auf Stufe 3 Leitlinien und Empfehlungen. Diese Aufgaben der EBA sind für die Weiterentwicklung des Single Rulebooks von zentraler Bedeutung. Die EBA verfügt im Grundsatz über keine unmittelbaren direkten Aufsichtsund Eingriffskompetenzen. Die Verantwortung für die unmittelbare Aufsicht verbleibt somit bei den nationalen Aufsichtsbehörden (in Deutschland der BaFin in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank), sofern die Aufsicht im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus nicht der EZB überantwortet ist (dazu sogleich § 6).
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) Literatur: Almhofer, Martina, Die Haftung der Europäischen Zentralbank für rechtswidrige Bankenaufsicht, 2018; Annunziata, Filippo, European Banking Supervision in the Age of the ECB. Landeskreditbank Baden-Württemberg – Förderbank v. ECB, SSRN Working Paper, 2018 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3139567); Arons, Tomas M., Judicial Protection of Supervised Credit Institutions in the European Banking Union, in: Busch, Danny/Ferrarini, Guido (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Kapitel 3; Bassani, Giovanni, The Legal Framework Applicable to the Single Supervisory Mechanism – Tapestry or Patchwork?, 2019; Berger, Henning, Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) – Bankenaufsicht im europäischen Verbund, WM 2015, 501– 506; Binder, Jens-Hinrich, The European Banking Union – Rationale and Key Policy Issues, in: ders./Gortsos, Christos (Hrsg.), The European Banking Union, 2016, S. 1–15; Carmassi, Jacopo/Luchetti, Elisabetta/Micossi, Stedano, Overcoming Too-Big-to-Fail: A Regulatory Framework to Limit Moral Hazard and Free Riding in the Financial Sector, CEPS Task Force Reports, 2010 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers. cfm?abstract_id=1610214); Ferran, Eilís, The Existential Search of the European Banking Authority, European Business Organization Law Review (EBOR) (2016), 285–317; dies./ Babis, Valia, The European Single Supervisory Mechanism, SSRN Working Paper, 2013 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2224538); Glos, Alexander/Benzing, Markus, Institutioneller Rahmen: SSM, EZB und nationale Aufsichtsbehörden, in: Binder, Jens-Hinrich/Glos, Alexander/Riepe, Jan (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3; Grundmann, Stefan, Bankenunion und Privatrecht, ZHR 179 (2015), 563–600; Gurlit, Elke, Handlungsformen der Finanzmarktaufsicht, ZHR 177 (2013), 862–902; dies., Die Entwicklung des Banken- und Kapitalmarktaufsichtsrechts seit 2017, WM 2020, 57–75 (Teil I) bzw. WM 2020, 105–115 (Teil II); Herdegen, Matthias, Europäische Bankenunion: Wege zu einer einheitlichen Bankenaufsicht, WM 2012, 1889– 1898; Ipsen, Nils/Röh, Lars, Der lange Weg zur Rechtssicherheit: Das erste Urteil zum SSM, WM 2017, 2228–2234; Kämmerer, Jörn Axel, Rechtsschutz in der Bankenunion (SSM, SRM), WM 2016, 1–11; ders., Tektonische Verwerfungen im Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) der Bankenunion – Kritische Betrachtungen aus Anlass der L-Bank-Entscheidung des EuG, ZBB 2017, 317–325; Kaufhold, Ann-Katrin, Systemaufsicht, 2016; dies., Instrumente und gerichtliche Kontrolle der Finanzaufsicht, Die Verwaltung 49 (2016), 339–368; dies., Einheit in Vielfalt durch umgekehrten Vollzug?, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85–110; Kern, Alexander, The European Central Bank and Banking Supervision: The Regulatory Limits of the Single Supervisory Mechanism, ECFR 2016, 467–494; Köhler, Lukas Philipp, Rulemaking in der Bankenunion, 2020; Kohtamäki, Natalia, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012; Lackhoff, Klaus, Single Supervisory Mechanism, 2017; Lehmann, Matthias, Single Supervisory Mechanism without Regulatory Harmonization? Introducing a European Banking Act and a ‚CRR Light‘ for Smaller Institutions, SSRN Working Paper, 2017 ( abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2912166); Morra, Concetta / Smits, René/Magliari, Andrea, The Administrative Board of Review of the European Central Bank: Experience After 2 Years, European Business Organization Law Review (EBOR) (2017), 567–589; Müller-Graff, Peter-Christian, Rechtsschutz von Kreditinstituten in der
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
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I. Grundlagen 1
Als Reaktion auf die Finanz- und Eurokrise wurde vom europäischen Gesetzgeber mit Wirkung zum 4. November 2014 ein „einheitlicher Aufsichtsmechanismus“ unter der Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) geschaffen (Single Supervisory Mechanism – SSM). Hiermit wurde eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Aufsichtsarchitektur vollzogen. Denn bis zum Jahre 2014 waren im Wesentlichen die nach nationalem Recht zuständigen Behörden für die Bankenaufsicht verantwortlich.1 Im Zuge der Errichtung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus wurden bedeutende Kreditinstitute im Euroraum erstmals einer unmittelbaren europäischen Aufsicht unterstellt. Der SSM bildet das Herzstück der Bankenunion, einem der „größten ordnungspolitischen Regelungspakete der unmittelbaren Gegenwart“.2
Dazu § 5. Grundmann, ZHR 179 (2015), 563, 566. Zur historischen Bedeutung der Errichtung des SSM Wymeersch, The Single Supervisory Mechanism, SSRN Working Paper, 2014, S. 1 („landmark“, „game changing decision“, „momentous step“). 1 2
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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1. Entwicklung
Erste Überlegungen zur Zentralisierung der Finanzaufsicht wurden bereits vor mehreren Jahrzehnten angestellt.3 Seit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht4 im Jahre 1992 sah Art. 105 Abs. 6 EUV (nun: Art. 127 Abs. 6 AEUV) die Möglichkeit vor, bestimmte Kompetenzen im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die EZB zu übertragen.5 In einer Entschließung vom 13. April 2000 rief das Europäische Parlament dazu auf, eine stärkere Zentralisierung der Aufsicht anzustreben.6 Gleichwohl blieb die Zuständigkeit der Bankenaufsicht zunächst bei den nationalen Aufsichtsbehörden. Auch nach Einführung des Europäischen Systems der Finanzaufsicht im Jahre 2011 blieben die Mitgliedstaaten im Grundsatz weiterhin für die Aufsicht verantwortlich.7 Ein Umdenken erfolgte erst im Hinblick auf die ab dem Jahre 2010 einsetzende europäische Staatsschuldenkrise (Eurokrise).8 Aus den Erfahrungen dieser Eurokrise zog der europäische Gesetzgeber die Erkenntnis, dass aufgrund „spezifischer Risiken innerhalb des Euroraums“ eine bloße Koordination zwischen den Aufsichtsbehörden nicht ausreiche, um „wieder Vertrauen in den Euro“ zu schaffen.9 Die politische Entscheidung für die Etablierung einer europäischen Bankenunion wurde von den Staats- und Regierungschefs der Euro-Mitgliedstaaten beim Gipfeltreffen vom 29. Juni 2012 getroffen. In den Schlusserklärungen des Gipfels sprachen sich die Staats- und Regierungschefs für die Errichtung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter der Führung der EZB auf Grundlage von Art. 127 Abs. 6 AEUV aus.10 Bereits drei Monate später, am 12. September 2012, veröffentlichte die Europäische Kommission den Entwurf einer Verordnung zur Übertragung von Aufsichtsaufgaben an die EZB sowie eine Mitteilung für einen „Fahrplan einer Bankenunion“.11 Am 15. Oktober 2013 wurde die Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 „zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht Vgl. etwa Padoa-Schioppa, EMU and banking supervision, 1999, Rn. 19. Vgl. § 3 Rn. 1. Vgl. Rn. 8. Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission „Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan“, KOM (1999) 232 + C5–0114/1999 + 1999/2117 (COS), Rn. 26 („Maßnahmen betreffend Aufsichtsregeln und Überwachung“). Dazu § 5. 7 Zur Rechtsentwicklung Binder, in: Binder/Gortsos (Hrsg.), The European Banking 8 Union, 2016, S. 2 ff.; Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 1 ff.; Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 7 ff. Mitteilung der Kommission, Fahrplan für eine Bankenunion, 12.9.2012, COM (2012) 510 9 fin. 10 Eine Zusammenstellung der relevanten Schlussanträge ist abrufbar unter: https://www. consilium.europa.eu/media/21548/20141020-banking_union_-_relevant_ec_conclusions.pdf. 11 Kommission, COM (2012) 511 final 2012/0242 (CNS) bzw. Kommission, COM (2012) 510 final. 3 4 5 6
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank“ (SSM-VO) vom Europäischen Rat angenommen. Die EZB nahm am 4. November 2014 ihre Aufsichtstätigkeit unter dem SSM auf.12 Diese ist seither für die direkte Beaufsichtigung von knapp 130 bedeutenden Bankengruppen – die zusammen etwa 80 % der Vermögensaktiva der Banken im Euroraum halten – verantwortlich.13 2. EZB als europäische Aufsichtsbehörde; Kompetenzfragen 5
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Dass die Europäische Zentralbank als Aufsichtsbehörde gewählt wurde, war keineswegs selbstverständlich. Der De-Larosière-Bericht hatte sich gegen eine Übernahme von Aufsichtsfunktionen durch die EZB ausgesprochen.14 Es wurden von der Expertenkommission verschiedene Bedenken angeführt. Erstens wurde angemahnt, dass die EZB primär für die Sicherung der Geldmarktstabilität verantwortlich ist. Eine Übertragung von Aufsichtsfunktionen könnte sich, so die Befürchtungen, negativ auf das eigentliche Mandat der EZB (Sicherung der Geldmarktstabilität) auswirken. Zweitens wurde die Einbeziehung der EZB in das System der europäischen Bankenaufsicht als zu komplex erachtet, zumal diese noch keine Erfahrung in Aufsichtsfragen hatte. Schließlich wurde drittens angemahnt, dass die EZB gem. den europäischen Verträgen keine Kompetenz für die Aufsicht über Versicherungsunternehmen hat.15 Eine bei Ausklammerung von Versicherungsunternehmen resultierende Fragmentierung der Aufsicht sollte nach Ansicht der De-Larosière-Kommission vermieden werden. Dass der europäische Gesetzgeber sich trotz der geäußerten Bedenken für die EZB als Aufsichtsbehörde entschieden hat, dürfte auf pragmatische Erwägungen zurückzuführen sein.16 Insbesondere sah Art. 127 Abs. 6 AEUV bereits eine Kompetenzgrundlage zur Übertragung „besonderer Aufgaben“ auf die EZB vor.17 Die denkbaren Alternativen – etwa die Gründung einer neuen EUAgentur oder die Übertragung von zusätzlichen Aufsichtskompetenzen auf die EBA18 – sahen sich kompetenzrechtlichen Bedenken ausgesetzt und wären auch politisch nicht durchsetzbar gewesen. Kompetenzrechtliche Bedenken hinsichtlich einer Übertragung von Aufsichtskompetenzen auf eine neugeschaffene EU-Agentur bzw. auf die EBA resultieren aus der Meroni-
Art. 33(2) AEUV. Die Liste der bedeutenden Institute ist abrufbar unter: https://www.bankingsupervision. europa.eu/banking/list/who/html/index.en.html. 14 De-Larosière-Bericht, Rn. 171 (hinsichtlich der Übertragung der Mikroaufsicht). 15 Vgl. Art. 127(6) AEUV. Dazu noch unten Rn. 8. 16 In diesen Sinne Ferran/Babis, The Single Supervisory Mechanism, SSRN Working Paper, 2013, S. 2 („logic that has been driven by pragmatism and realpolitik rather than abstract principles“). 17 Vgl. oben Rn. 2 sowie unten Rn. 8. 18 Ein entsprechender Vorschlag wurde im Jahre 2010 unterbreitet von Carmassi/Luchetti/ Micossi, Overcoming Too-Big-to-Fail: A Regulatory Framework to Limit Moral Hazard and Free Riding in the Financial Sector, 2010, S. 74. 12 13
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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Doktrin des EuGH.19 In zwei im Jahre 1958 ergangenen Entscheidungen konkretisierte der EuGH die Grenzen der Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf externe Einrichtungen.20 Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen nur solche Befugnisse übertragen werden, die „genau umrissen“ sind.21 Die Übertragung von Befugnissen „mit Ermessensspielräumen“ wurde für unzulässig gehalten.22 Die Meroni-Grundsätze wurden in der ESMA-Entscheidung vom 22. Januar 2014 näher konkretisiert.23 Gegenstand dieser Entscheidung war eine Nichtigkeitsklage des Vereinigten Königreichs gegen die der ESMA eingeräumte Kompetenz zum Erlass von Produktverboten bezüglich bestimmter Leerverkäufe (vgl. Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 236/2012). Die Klage stützte sich u. a. auf eine behauptete Verletzung der Meroni-Prinzipien.24 Der EuGH ist dem nicht gefolgt. Er kam zu dem Schluss, dass „verschiedene Kriterien und Bedingungen […] den Handlungsspielraum der ESMA begrenzen“ und diese Behörde daher kein „weites Ermessen“ im Sinne der Meroni-Doktrin besitzt.25 Dies wurde im Schrifttum zum Teil als Einschränkung der Meroni-Rechtsprechung gedeutet.26 Es ist allerdings weiterhin ungeklärt, in welchem Umfang Befugnisse der Bankenaufsicht auf eine EU-Agentur übertragen werden dürfen.
Im Schrifttum wird kontrovers diskutiert, ob Art. 127 Abs. 6 AEUV eine tragfähige Kompetenzgrundlage für die Errichtung des SSM bildet.27 Nach dieser Vorschrift kann der Rat der EZB „besondere Aufgaben“ („specific tasks“, „missions spécifiques“) im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute mit Ausnahme von Versicherungsunternehmen übertragen. Eine Übertragung sämtlicher Aufsichtsaufgaben auf die EZB wäre von dieser Vorschrift nicht gedeckt. Insgesamt dürften die der EZB übertragenen Kompetenzen noch mit Art. 127 Abs. 6 AEUV vereinbar sein. Hierfür spricht, dass bei den nationalen Aufsichtsbehörden trotz der weitreichenden Kompetenzübertragung auf die EZB noch substanzielle Aufsichtsbefugnisse verbleiben.28 Die SSM-VO bewegt sich allerdings am „äußeren Rand“29 des geMonografisch Simoncini, Administrative Regulation Beyond the Non-Delegation Doctrine, 2018, Kapitel 1 B. und passim. 20 EuGH, Urteil vom 13.6.1958, C-9/56, Meroni/Hohe Behörde I, Slg. 1958, 11 sowie EuGH v. 16.6.1958, C-10/56, Meroni/Hohe Behörde II, Slg. 1958, 53. 21 EuGH, Urteil vom 13.6.1958, C-9/56, Slg. 1958, 11, 44. 22 EuGH, Urteil vom 13.6.1958, C-9/56, Slg. 1958, 11, 44. 23 EuGH, Urteil vom 22.1.2014, C-270/12, NJW 2014, 1359. 24 EuGH, Urteil vom 22.1.2014, C-270/12, NJW 2014, 1359, Rn. 27 ff. 25 Rn. 45 der ESMA-Entscheidung. 26 Für eine Analyse dieser Entscheidung vgl. Schemmel, Europäische Finanzverwaltung, 2018, S. 351 ff. 27 Die Diskussion zusammenfassend Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 48 ff. sowie Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 9 m. w. N. Im englischsprachigen Schrifttum werden die kompetenzrechtlichen Aspekte weniger kritisch gesehen, vgl. etwa Wymeersch, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Rn. 4.34. Für eine Übersicht über den Diskussionsstand vgl. auch Almhofer, Die Haftung der Europäischen Zentralbank für rechtswidrige Bankenaufsicht, 2018, S. 73 ff.; Kaufhold, Systemaufsicht, 2016, S. 284 ff. 28 In diesem Sinne auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 9; Ruthig, ZHR 178 (2014), 443, 451 ff. 29 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 22. 19
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setzlich Zulässigen. Die kompetenzrechtlichen Beschränkungen sind bei der Auslegung zu berücksichtigen. Sie sprechen prima facie für eine restriktive Auslegung der der EZB übertragenen Befugnisse.30 Das BVerfG hat inzwischen entschieden, dass die Regelungen zur europäischen Bankenunion bei strikter Auslegung nicht kompetenzwidrig sind.31 3. Regelungsziele 9
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Die übergeordneten Regelungsziele des SSM werden in Art. 1 der SSM-VO formuliert. Hiernach sollen der EZB besondere Aufsichtsaufgaben übertragen werden, um „Aufsichtsarbitrage“ zu verhindern. Hierdurch soll ein Beitrag zur Sicherheit und Solidität der Kreditinstitute und zur Stabilität des Finanzsystems in der Union sowie in jedem einzelnen Mitgliedstaat geleistet werden.32 Durch die Zentralisierung der Aufsicht soll ferner gewährleistet werden, dass das europäische Regelwerk für Finanzdienstleistungen in allen betroffenen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt und „kohärent und wirksam“ umgesetzt wird.33 Der europäische Gesetzgeber reagierte damit auf die in der Finanz- und Eurokrise offenbar gewordenen Abstimmungsprobleme zwischen den einzelnen nationalen Aufsichtsbehörden. Die Erwägungsgründe der SSM-VO erläutern dies wie folgt: „Für die Beaufsichtigung der einzelnen Kreditinstitute in der Union sind nach wie vor im Wesentlichen die nationalen Behörden zuständig. Die Abstimmung zwischen den Aufsichtsbehörden ist zwar entscheidend, aber die Krise hat gezeigt, dass Abstimmung allein insbesondere im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Währung nicht ausreicht. Um die Finanzstabilität in der Union zu erhalten und die positiven Auswirkungen der Marktintegration auf Wachstum und Wohlstand zu fördern, sollte die Integration der aufsichtlichen Verantwortlichkeiten stärker vorangetrieben werden. Dies ist von besonderer Bedeutung, damit stets ein genauer Überblick über ganze Bankengruppen und deren Solidität gewährleistet ist, und würde auch das Risiko von Diskrepanzen bei der Bewertung und widersprüchlichen Entscheidungen auf Ebene der einzelnen Unternehmen verringern.“34
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Aus politischer Sicht war die Etablierung des SSM eine Reaktion auf die europäische Schuldenkrise.35 Die Zentralisierung der Aufsicht durch die EZB war 30 In diesem Sinne Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 9; Annunziata, European Banking Supervision in the Age of the ECB, Bocconi Legal Studies Research Paper Series, 2018, S. 21 („SSM Regulation should be narrowly interpreted“). 31 BVerfG vom 30.7.2019, 2 BvR 1685/14 bzw. 2 BvR 2631/14, NJW 2019, 3204. Hierzu im Zusammenhang mit der L-Bank-Entscheidung des EuGH noch unten Rn. 41 ff. 32 Art. 1 Unterabs. 1 SSM-VO. Nach dem Leitfaden der EZB zur Bankenaufsicht vom September 2014 verfolgt der SSM drei Hauptziele: (i) Gewährung der Sicherheit und Solidität des europäischen Bankensystems; (ii) Verbesserung der finanziellen Integration und Stabilität sowie (iii) Gewährleistung einer konsistenten Aufsicht (vgl. S. 3 des EZB-Leitfadens). 33 Erwägungsgrund (12) SSM-VO. 34 Erwägungsgrund (5) SSM-VO. 35 Erwägungsgrund (6) SSM-VO. Vgl. oben Rn. 2 f.
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eine Grundbedingung dafür, dass Banken direkt durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus rekapitalisiert werden können.36 4. Rechtsgrundlagen
Zentrale Rechtsgrundlage des SSM ist die SSM-Verordnung (SSM-VO).37 Diese bildet allerdings keine abschließende Regelung, sondern ermächtigt die EZB an verschiedenen Stellen, konkretisierende Durchführungsrechtsakte zu erlassen. Von besonderer Bedeutung ist die von der EZB verabschiedete „SSM-Rahmenverordnung“ vom 16. April 2014 (SSM-RVO).38 Diese konkretisiert die Organisation und Arbeitsweise des SSM und regelt die Details zur Bestimmung der bedeutenden Institute. Die von der EZB erlassenen Rechtstexte (Verordnungen, Leitlinien, Beschlüsse etc.) sind auf der Homepage der EZB abrufbar.39
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II. Anwendungsbereich und Aufsichtszuständigkeiten 1. Überblick: Der SSM als Verwaltungsverbund
Der einheitliche Aufsichtsmechanismus basiert auf einem komplexen Zusammenspiel zwischen der EZB in ihrer Funktion als europäische Aufsichtsbehörde sowie den zuständigen Aufsichtsbehörden in den jeweiligen Mitgliedstaaten (national competent authorities – NCA). Der SSM besteht gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 SSM-VO aus „der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden“. Es handelt sich hierbei um einen Verwaltungsverbund40 bzw. in der Terminologie der SSM-VO um ein „Finanzaufsichtssystem“.41 Dem SSM kommt keine Rechtspersönlichkeit zu. Im Gegensatz zu den drei europäischen Aufsichtsbehörden (EBA, ESMA, EIOPA) handelt es sich hierbei um keine EU-Agentur. Da der SSM keine Rechtspersönlichkeit aufweist, können diesem keine Aufsichtsbefugnisse übertragen werden. Er kann selbst keine Beschlüsse fassen. Vielmehr werden diese Befugnisse der EZB (auf Grundlage von Art. 127 Abs. 6 Erwägungsgrund (12) SSM-VO. Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15.10.2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (SSM-VO). 38 Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16.4.2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-RVO). Die SSM-RVO wurde von der EZB auf Grundlage von Art. 4(3), Art. 6(7) sowie Art. 33(2) SSM-VO erlassen. 39 Abrufbar unter: https://www.bankingsupervision.europa.eu/legalframework/ecblegal/ framework/html/index.en.html. 40 Vgl. Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 9 („Verwaltungsverbund“); Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 64 („Verbundverwaltung“); Ruthig, ZHR 178 (2014), 443, 472 („extrem komplexer Verwaltungsverbund“). 41 Art. 2 Nr. 9 SSM-VO. 36 37
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AEUV, s. o.) übertragen. Es gilt insoweit das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung: Sofern die SSM-VO bestimmte Kompetenzen nicht ausdrücklich auf die EZB überträgt, verbleiben diese bei den nationalen Aufsichtsbehörden. 2. Zuständigkeit 15
Die Zuständigkeit der EZB ist in geografischer, persönlicher sowie sachlicher Hinsicht begrenzt. a) Geografische Zuständigkeit
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Die Zuständigkeit der EZB erstreckt sich auf Kreditinstitute in den „teilnehmenden Mitgliedstaaten“.42 Es handelt sich hierbei um die 19 Euro-Mitgliedstaaten. Für Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraumes ist die EZB grundsätzlich nicht zuständig.43 Für Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, besteht allerdings die Möglichkeit, dem SSM beizutreten. Voraussetzung für ein solches „opt-in“ ist allerdings, dass zwischen der EZB und der zuständigen nationalen Behörde des betreffenden EU-Mitgliedstaats eine „enge Zusammenarbeit“ eingegangen worden ist.44 Am 10. Juli 2020 hat der EZB-Rat auf Gesuch der Republiken Bulgarien sowie Kroatien jeweils Beschlüsse zur Eingehung einer engen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und der Bulgarischen Nationalbank (Българска народна банка) bzw. der Kroatischen Zentralbank (Hrvatska narodna banka) erlassen.45 Die EZB ist mit Wirkung zum 1. Oktober 2020 für die direkte Aufsicht für bedeutende Institute mit Sitz in Bulgarien sowie Kroatien zuständig. Die EZB verfügt grundsätzlich über keine Aufsichtszuständigkeit über Kreditinstitute in Drittstaaten, die in der Union eine Zweigstelle errichtet haben oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs tätig werden.46 Hinsichtlich der Zweigstellen, die von bedeutenden Kreditinstituten mit Sitz innerhalb des SSM in nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten errichtet werden, übernimmt die EZB die Rolle der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats.47 Umgekehrt übernimmt die EZB die Funktion der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats, wenn ein Kreditinstitut aus einem nicht teilnehmenden Mitgliedstaat in einem Euro-Mitgliedstaat eine ZweigniederlasDieser Begriff wird in Art. 2 Nr. 1 SSM-VO definiert. Siehe hierzu auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 19 ff. 44 Art. 7 SSM-VO. 45 Beschluss (EU) 2020/1015 der EZB zur Eingehung einer engen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und der Българска народна банка (Bulgarische Nationalbank) (EZB/2020/30); Beschluss (EU) 2020/1016 der EZB vom 24.6.2020 zur Eingehung einer engen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und der Hrvatska narodna banka (EZB/2020/31). 46 Erwägungsgrund (28) der SSM-VO. 47 Art. 4(1) lit. b SSM-VO; Art. 17(1) SSM-RVO. 42 43
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sung gründet bzw. im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs tätig wird.48 b) Persönliche Zuständigkeit
In persönlicher Hinsicht beschränkt sich die Zuständigkeit der EZB im Ausgangspunkt auf Kreditinstitute im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 CRR (CRR-Kreditinstitute). Erfasst werden somit lediglich Kreditinstitute im „europäischen Sinne“.49 Institute, die zwar nach dem jeweiligen nationalen Recht als Kreditinstitute50 angesehen werden, aber keine CRR-Kreditinstitute im vorgenannten Sinne sind, unterfallen somit nicht dem Anwendungsbereich der SSM-VO.51 Auch Wertpapierfirmen unterstehen nicht der Aufsicht der EZB, sofern diese nicht zugleich als CRR-Kreditinstitute qualifizieren. Ebenfalls nicht erfasst werden sonstige Finanzdienstleister wie etwa Investmentgesellschaften oder Versicherungsunternehmen. Im Zuge der Verabschiedung der Wertpapierfirmen-VO (Investment Firms Regulation – IFR) wurden mit Wirkung zum 26. Juni 2021 auch bestimmte bislang als Wertpapierfirmen geltende Unternehmen dem SSM unterstellt.52 Wertpapierfirmen, die den Eigenhandel bzw. die Emission von Finanzinstrumenten mit Übernahmepflicht betreiben und deren konsolidierte Bilanzsumme EUR 30 Mrd. übersteigt, gelten inzwischen als CRR-Kreditinstitute i. S. v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 CRR (sog. „Klasse-1-Wertpapierfirmen“, vgl. hierzu noch § 7 Rn. 45 ff.).53 Sofern die EZB im Rahmen der konsolidierten Aufsicht54 tätig wird, ist diese auch für die Überwachung von Finanzholdinggesellschaften und gemischten Finanzholdinggesellschaften verantwortlich.55 Zusammen werden die in den Zuständigkeitsbereich der EZB fallenden Gesellschaften als „beaufsichtigte Unternehmen“ bezeichnet.56 Hinsichtlich der Aufsichtszuständigkeit ist ferner zwischen „bedeutenden“ (significant institutions – SI) sowie „weniger bedeutenden“ Instituten (less significant institutions – LSI) zu unterscheiden. Die direkte Aufsicht übt die EZB
Art. 4(2) SSM-VO; Art. 14(1) SSM-RVO. Hierzu auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/ Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 20. 49 Es handelt sich hierbei um Unternehmen, die Einlagen entgegennehmen und das Kreditgeschäft betreiben. Ausführlich hierzu § 7 Rn. 19 ff. 50 Daher beispielsweise Unternehmen, die lediglich das Kreditgeschäft oder das Einlagengeschäft betreiben (aber nicht beide Tätigkeiten). 51 In diesem Sinne Erwägungsgrund (28) SSM-VO. Ebenfalls ausgeschlossen sind gem. Art. 1(2) Satz 1 die in Art. 2(5) CRD genannten Institutionen. 52 Vgl. § 2 Rn. 54. 53 Vgl. Art. 4(1) Nr. 1 lit. b CRR – eingeführt durch Art. 62 der Verordnung (EU) 2019/ 2033. Hierzu auch Gurlit, WM 2020, 57, 60. 54 Siehe § 15 und § 16. 55 Art. 4(1) lit. g SSM-VO. 56 Art. 2(20) SSM-RVO. 48
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nur hinsichtlich der bedeutenden Institute aus.57 Für weniger bedeutende Institute bleiben grundsätzlich die nationalen Aufsichtsbehörden zuständig.58 c) Sachlich 23
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In sachlicher Hinsicht beschränkt sich die Zuständigkeit der EZB im Ausgangspunkt auf den in Art. 4 Abs. 1 SSM-VO genannten Aufgabenkatalog.59 Dieser deckt freilich sämtliche Kernbereiche des materiellen Bankenaufsichtsrechts ab. Im Einzelnen wird der EZB eine Aufsichtskompetenz für die folgenden Bereiche zugewiesen: (i) die Erteilung sowie der Entzug der Bankerlaubnis;60 (ii) die Wahrnehmung der Aufgaben der zuständigen Behörde des Herkunftsstaats in grenzüberschreitenden Sachverhalten;61 (iii) die Durchführung von Inhaberkontrollverfahren; (iv) die Überwachung der Einhaltung der Eigenmittel-, Liquiditäts- und Großkreditanforderungen sowie der aufsichtsrechtlichen Transparenzpflichten;62 (v) die Überwachung der Einhaltung der Corporate-Governance-Anforderungen (einschließlich der fit-and-proper-Prüfungen der Geschäftsleiter);63 (vi) die Durchführung von aufsichtsrechtlichen Überprüfungen sowie Stresstests;64 (vii) die Beaufsichtigung auf Gruppenebene (konsolidierte Aufsicht);65 (viii) die Mitwirkung bei der zusätzlichen Beaufsichtigung von Finanzkonglomeraten;66 sowie (ix) die Wahrnehmung von Aufsichtsaufgaben in Bezug auf Sanierungspläne und frühzeitiges Eingreifen.67
25
Hinsichtlich der vorgenannten Aufgaben verfügt die EZB grundsätzlich über eine ausschließliche Zuständigkeit. Von diesem Grundsatz macht Art. 6 Abs. 4 Vgl. unten Rn. 31 ff. Vgl. unten Rn. 27 ff., Rn. 53 ff. Es ist im Schrifttum umstritten, ob der Katalog gem. Art. 4(1) SSM-VO abschließend ist. Hierfür spricht neben dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung auch der Gesetzeswortlaut („ist […] ausschließlich für die Wahrnehmung der folgenden Aufgaben […] zuständig“, „shall […] be exclusively competent to carry out […] the following tasks“). In diesem Sinne auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 16 m. w. N. in Fn. 53; Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 124. Für eine weitergehende Zuständigkeit der EZB unter Berücksichtigung von teleologischen Aspekten Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 131 ff. 60 Vgl. § 7. 61 Vgl. § 7 Rn. 65 ff. 62 Vgl. Teil 4 Abschnitte 1 und 3. 63 Vgl. Teil 4 Abschnitt 2. 64 Vgl. Teil 4 Abschnitt 2. 65 Vgl. Teil 5. 66 Vgl. Teil 5. 67 Vgl. die Übersicht in § 2 Rn. 50. 57 58 59
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SSM-VO allerdings eine wichtige „Rückausnahme“. Denn mit Ausnahme der oben unter (i) und (iii) genannten Tätigkeiten – der Erteilung und dem Entzug der Bankerlaubnis sowie der Durchführung von Inhaberkontrollverfahren – bleiben die nationalen Behörden für die direkte Aufsicht über „weniger bedeutende Institute“ zuständig (siehe hierzu im Einzelnen unten Rn. 27 ff.). Die in Art. 4 SSM-VO aufgeführten Zuständigkeitsbereiche sind grundsätzlich abschließend. Diese können daher nicht einseitig von der EZB erweitert werden. Die EZB verfügt daher grundsätzlich über keine Kompetenz zur Überwachung der kapitalmarktrechtlichen Wohlverhaltensregeln (MiFID II/MiFIR), der Verhinderung des Marktmissbrauchs oder der Durchsetzung von geldwäscherechtlichen Anforderungen.68 Hierfür verbleibt die Zuständigkeit bei den nationalen Aufsichtsbehörden.69
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III. Aufsichtskompetenzen und -befugnisse 1. Überblick: Zusammenarbeit innerhalb des SSM
Die Zuständigkeitsverteilung innerhalb des SSM ist komplex. Die EZB ist grundsätzlich für sämtliche in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute hinsichtlich der in der SSM-VO aufgeführten Aufgaben zuständig.70 Die Kompetenzen der EZB werden allerdings dahingehend eingeschränkt, dass die EZB die direkte Aufsicht im Regelfall nur gegenüber den bedeutenden Instituten ausübt.71 Gegenüber den weniger bedeutenden Instituten bleiben mit einigen Ausnahmen (Bankenzulassung, Inhaberkontrollverfahren) grundsätzlich die nationalen Aufsichtsbehörden für die direkte Aufsicht zuständig. Allerdings stehen auch die weniger bedeutenden Institute unter der Systemaufsicht der EZB. Diese gibt (etwa durch Erlass von Verordnungen, Leitlinien bzw. Anweisungen) den aufsichtsrechtlichen Rahmen vor.
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Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag sah vor, dass der EZB eine direkte Aufsichtskompetenz für sämtliche Kreditinstitute innerhalb der teilnehmenden Mitgliedstaaten zukommen sollte.72 Die im weiteren Gesetzgebungsverfahren vereinbarte Differenzierung zwischen bedeutenden und weniger bedeutenden Instituten dürfte neben pragmatischen Erwägungen (beschränkte personelle und sachliche Ressourcen der EZB) den kompetenzrechtlichen Beschränkungen gem. Art. 127 Abs. 6 AEUV („besondere Aufgaben“) geschuldet sein.73 Allerdings wird in der geltenden Fassung die genaue Zuständigkeitsverteilung
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68 Weiterführend Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 17; Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 124. 69 Geteilte Zuständigkeiten bestehen hinsichtlich der makroprudenziellen Aufsicht, vgl. Art. 5 SSM-VO. 70 Art. 4(1) SSM-VO. 71 Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Art. 4(1), Art. 6(4) sowie Art. 6(6) SSMVO. Die Regelungssystematik ist allerdings missglückt, vgl. unten Rn. 31. 72 Art. 4 des Kommissionsentwurfs. 73 Vgl. oben Rn. 8.
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zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden nicht eindeutig geregelt. Grund hierfür sind unklare Gesetzesformulierungen in der SSM-VO:74 Einerseits ist die EZB gem. Art. 4 Abs. 1 SSM-VO „ausschließlich“ für „sämtliche“ in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Institute zuständig. Andererseits werden der EZB Aufgaben „im Rahmen des Art. 6“ der SSM-VO zugewiesen (der zwischen einer Aufsicht über bedeutende bzw. weniger bedeutende Institute differenziert).75 Vor diesem Hintergrund wird unterschiedlich beurteilt, welche eigenständigen Kompetenzen den nationalen Behörden im Anwendungsbereich des SSM verbleiben. Siehe hierzu die Erläuterungen unten im Zusammenhang mit der L-Bank-Entscheidung des EuGH (Rn. 41 ff.).
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Gem. Art. 9 Abs. 1 SSM-VO gilt die EZB zum Zweck der Wahrnehmung der ihr durch die SSM-VO übertragenen Aufgaben nach Maßgabe des einschlägigen Unionsrechts als die „zuständige Behörde“. Ihr kommt innerhalb des SSM ferner die Leitungsverantwortung dafür zu, dass der Aufsichtsmechanismus „wirksam und einheitlich“ funktioniert.76 Die EZB ist hierbei auf eine Kooperation mit den nationalen Aufsichtsbehörden angewiesen. Die SSM-VO bringt dies dadurch zum Ausdruck, dass sowohl die EZB als auch die nationalen zuständigen Behörden „der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und zum Informationsaustausch“ unterliegen.77 Überblicksartig kann die Aufgabenverteilung zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden wie folgt illustriert werden:
74 Sehr kritisch hierzu Kämmerer, ZBB 2017, 317, 321: „Die Art. 4 ff. SSM-VO mit ihrem unübersichtlichen Verweisungsmechanismus, ihren Ausnahmen und Gegenausnahmen nähren einen noch schlimmeren Verdacht: Dass hier Normen bewusst unklar formuliert worden sind, mit dem Ziel zu verbrämen, dass über die Primärrechtskonformität eines rechtspolitisch zumindest im Kern für sinnvoll gehaltenen Regelungsansatzes keine Einigkeit bestand oder womöglich sogar Einigkeit darüber, dass das Primärrecht ihn nicht zu stützen vermochte“. 75 Art. 4(1) SSM-VO. 76 Art. 6(1) Satz 2 SSM-VO. Vgl. auch Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 65; Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 25. 77 Art. 6(2) Unterabs. 1 SSM-VO.
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EZB
NCA
Bedeutende Institute (SI)
Weniger bedeutende Institute (LSI)
Direkte Aufsicht
Indirekte Aufsicht
– Einzelaufsicht sowie konsolidierte Aufsicht über SI mit Sitz in einem teilnehmenden Mitgliedstaat – Umfang: Prudenzielle Aufsicht (d. h. nicht: MiFID-II/MiFIRAnforderungen, Geldwäsche, Verbraucherschutz etc.)
– Erlass von Verordnungen, Leitlinien, Weisungen und Empfehlungen gegenüber den NCA – In Ausnahmefällen „Selbsteintrittsrecht“ gegenüber LSI – Allgemeine Systemaufsicht – Direkte Zuständigkeit bei gemeinsamen Verfahren
Unterstützung
Direkte Aufsicht
– Teilnahme an den Gemeinsamen Aufsichtsteams (JST) – Unterstützung der EZB bei der Aufsicht – Durchsetzung von EZB-Beschlüssen nach Anweisung – Direkte Aufsicht für die nicht vom SSM erfassten Institute bzw. Aufsichtsbereiche
– Einzelaufsicht sowie ggf. konsolidierte Aufsicht – Modalitäten abhängig vom nationalen Recht
Abbildung 6.1: Kompetenzen der EZB und der nationalen Aufsichtsbehörden.78
2. Abgrenzung von bedeutenden und weniger bedeutenden Instituten a) Abgrenzungskriterien
Eine zentrale Bedeutung kommt der Abgrenzung von bedeutenden und weniger bedeutenden Instituten zu. Ausgangspunkt ist Art. 6 Abs. 4 SSM-VO. Der Wortlaut ist rechtstechnisch allerdings missglückt.79 Erst in der Zusammenschau mit den konkretisierenden Vorgaben der SSM-RVO werden die einzelnen Kriterien verständlich.80 Hiernach ist die Abgrenzung von bedeutenden und weniger bedeutenden Instituten anhand von fünf alternativen Kriterien vorzunehmen:
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(i) Größe: Ein Kreditinstitut gilt als bedeutend, wenn der Gesamtwert seiner Aktiva bei konsolidierter Betrachtung EUR 30 Mrd. übersteigt.81 Grundlage der Berechnung ist die nach dem geltenden Recht erstellte konsolidierte Jahres-
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78 Eigene Darstellung in Anlehnung an Wiggins/Wedow/Metrick, The Single Supervisory Mechanism, SSRN Working Paper, 2014, S. 7. 79 So auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 28 („misslungen“); Zagouras, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., 5. Aufl. 2017, § 124b Rn. 31 („kryptisch formuliert“). Sehr kritisch auch Kämmerer, ZBB 2017, 317, 321. 80 Art. 39(3) sowie Art. 50 ff. SSM-RVO. 81 Art. 6(4) Unterabs. 2 lit. i SSM-VO; Art. 39(3) lit. a und Art. 50–55 SSM-RVO.
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meldung oder, falls diese nicht vorliegt, der letzte geprüfte Jahresabschluss.82 Das Größenkriterium ist in der Praxis das wichtigste Kriterium zur Bestimmung der bedeutenden Institute. (ii) Wirtschaftliche Relevanz: Bedeutend sind ferner Kreditinstitute, bei denen das Verhältnis der Aktiva des Instituts zum Bruttoinlandsprodukt des teilnehmenden Mitgliedstaats 20 % übersteigt und der Gesamtwert der Aktiva nicht unter EUR 5 Mrd. liegt.83 Als bedeutend kann die EZB ferner auch sonstige Kreditinstitute einstufen, die aus anderen Gründen als bedeutend für die Wirtschaft der Union bzw. eines teilnehmenden Mitgliedstaats angesehen werden (etwa aufgrund von besonderen Verflechtungen im Finanzsystem).84 (iii) Grenzüberschreitende Tätigkeit: Die EZB kann ein Kreditinstitut zudem dann als bedeutend einstufen, wenn es Tochterunternehmen in mehr als einem teilnehmenden Mitgliedstaat errichtet hat und das grenzüberschreitende Geschäft einen wesentlichen Teil des Gesamtgeschäftes begründet.85 Die EZB hat dies dahingehend konkretisiert, dass der Anteil der grenzüberschreitenden Geschäfte mehr als 20 % der Aktiva und Passiva betragen muss und der Gesamtwert der Aktiva nicht unter EUR 5 Mrd. liegen darf.86 (iv) ESM-Unterstützung: Als bedeutend qualifizieren ferner sämtliche Institute, die eine direkte öffentliche finanzielle Unterstützung durch den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) beantragt oder erhalten haben.87 (v) Bedeutung für den Mitgliedstaat: Schließlich unterstehen die drei bedeutendsten Kreditinstitute im jeweiligen teilnehmenden Mitgliedstaat der direkten Aufsicht der EZB.88 Soweit ein Institut in eine Gruppe eingebunden ist, sind die vorgenannten Kriterien auf der obersten aufsichtsrechtlichen Konsolidierungsebene innerhalb der teilnehmenden Mitgliedstaaten zu prüfen.89 Wenn ein Institut nach diesen Kriterien als bedeutend gilt, so qualifizieren auch die übrigen gruppenangehörigen Tochterinstitute als bedeutende Unternehmen, und zwar unabhängig davon, ob diese für sich genommen bei Einzelbetrachtung die vorgenannten Kriterien erfüllen.90
Art. 51(4) bzw. Art. 51(2) SSM-RVO. Art. 6(4) Unterabs. 2 lit. ii SSM-VO, Art. 39(3) lit. b und Art. 56–58 SSM-RVO. Art. 57 und Art. 58 SSM-RVO. Art. 6(4) Unterabs. 3 SSM-VO; Art. 39(3) lit. c und Art. 59–60 SSM-RVO. Art. 59(2) SSM-RVO. Art. 6(4) Unterabs. 4 SSM-VO; Art. 39(3) lit. d; Art. 61–64 SSM-RVO. Art. 6(4) Unterabs. 5 SSM-VO. Maßgeblich ist der Gesamtwert der Bilanzaktiva des Instituts. 89 Art. 40(1) SSM-RVO; Art. 39(3) lit. c und Art. 65 f. SSM-RVO. 90 Art. 40(2) SSM-RVO. 82 83 84 85 86 87 88
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b) Einstufungsverfahren
Die Einordnung als „bedeutendes“ Institut erfolgt durch Beschluss der EZB.91 Dieser hat konstitutive Wirkung.92 Vor Erlass des Beschlusses gilt das Institut qua Gesetz (ipso jure) als „weniger bedeutend“. Dies dient der Rechtssicherheit: Aufgrund der weitreichenden Auswirkungen, die mit der Einstufung als bedeutendes Institut verbunden sind, soll jedes Institut zweifelsfrei erkennen können, ob es der direkten Aufsicht der EZB unterliegt. Die EZB veröffentlicht auf ihrer Homepage eine fortlaufend aktualisierte Liste der bedeutenden Institute.93 Die EZB überprüft mindestens jährlich, ob ein bedeutendes beaufsichtigtes Unternehmen oder eine bedeutende beaufsichtigte Gruppe weiterhin die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 SSM-VO erfüllt. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, so stellt die EZB dies durch Beschluss fest. Allerdings setzt der Erlass eines solchen Beschlusses grundsätzlich voraus, dass die Voraussetzungen für die Einstufung als bedeutendes Unternehmen in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren nicht mehr gegeben waren.94
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c) Möglichkeit der „Herabstufung“
Als Ausgleich für die verhältnismäßig starren Schwellenwerte zur Bestimmung der bedeutenden Institute sieht Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 SSM-VO vor, dass ein Kreditinstitut bei Vorliegen von „besonderen Umständen“ als „weniger bedeutend“ eingestuft werden kann, obwohl dieses nach den oben dargestellten Kriterien (Rn. 31 ff.) an sich als „bedeutendes“ Institut einzustufen wäre (sog. downgrading). Der unbestimmte Rechtsbegriff „besondere Umstände“ wird in Art. 70–72 SSM-RVO näher konkretisiert. Hiernach liegen besondere Umstände dann vor, wenn „spezifische und tatsächliche Umstände vorliegen, aufgrund derer die Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als bedeutend unter Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der SSM-Verordnung und insbesondere des Erfordernisses der Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards unangemessen ist“.95 Art. 70 Abs. 2 SSM-VO stellt klar, dass der Ausdruck „besondere Umstände“ eng auszulegen ist.96
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Fallbeispiel (L-Bank-Entscheidung): Unter welchen Voraussetzungen „besondere Umstände“ im vorgenannten Sinne vorliegen, war Gegenstand der Entscheidung des EuG hinsichtlich der Einstufung der Landeskreditbank Baden-Württemberg („L-Bank“), eine För-
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Art. 39(1) und (2) SSM-RVO. Vgl. den Wortlaut des Art. 39(1) und (2) SSM-RVO („gilt“ als bedeutendes beaufsichtigtes Unternehmen). So auch Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 150. 93 Abrufbar unter: https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.list_of_ supervised_entities_201802.en.pdf. 94 Art. 47(1), (3) SSM-RVO. Hierdurch soll eine gewisse Beständigkeit in der Einstufung von Instituten als „bedeutend“ gewährleistet werden. 95 Art. 70(1) SSM-VO. 96 Ob Art. 70 SSM-RVO mit Art. 6(4) SSM-VO vereinbar ist, ist umstritten. Zweifelnd Ipsen/Röh, WM 2017, 2229 f. Der EuG hatte dies in seiner L-Bank-Entscheidung offengelassen. 91 92
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derbank des Bundeslandes Baden-Württemberg.97 Es handelt sich hierbei um eine der ersten zum SSM ergangenen Leitentscheidungen, deren Bedeutung weit über den konkreten Einzelfall98 hinausreicht.99 Anlass des Klageverfahrens war die Entscheidung der EZB, die L-Bank als bedeutendes Institut im Sinne von Art. 6 Abs. 4 SSM-VO einzustufen. Die Bilanzsumme der L-Bank betrug ca. EUR 70 Mrd., überstieg die Größenschwelle von EUR 30 Mrd. somit deutlich. Gegen diese Einstufung ist die L-Bank im Rahmen einer Nichtigkeitsklage vor dem EuG gem. Art. 256 Abs. 1 AEUV vorgegangen. Sie hat u. a. geltend gemacht, dass die EZB bei der Relevanzeinstufung eine Ausnahme gem. Art. 6 Abs. 4 SSM-VO wegen „besonderer Umstände“ hätte zulassen müssen. Aufgrund des Risikoprofils der Bank sei eine nationale Aufsicht über die L-Bank ausreichend.100 Der EuG ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Eine Ausnahme von der Einstufung als bedeutendes Unternehmen käme nur in Betracht, wenn es Hinweise dafür gibt, dass eine direkte Beaufsichtigung durch eine nationale Behörde besser geeignet wäre, die Ziele der SSM-VO, insbesondere die Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards, zu erreichen.101 Von allgemeiner Bedeutung sind die Ausführungen des EuG zur Kompetenzverteilung zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden.102 Nach der Interpretation des EuG wurde der EZB durch Art. 4 und Art. 6 SSM-VO die ausschließliche Zuständigkeit in allen Belangen der mikroprudenziellen Bankenaufsicht zugewiesen, und zwar grundsätzlich auch gegenüber weniger bedeutenden Instituten. Bezüglich der weniger bedeutenden Instituten wurden den nationalen Aufsichtsbehörden lediglich die „Durchführung“ der in der SSM-VO genannten Aufgaben übertragen. Der EuG leitet dies aus der Zielvorgabe der SSM-VO ab, für eine „möglichst kohärente Anwendung hoher Aufsichtsstandards zu sorgen“.103 Die Auslegung des EuG führt dazu, dass den nationalen Aufsichtsbehörden letztlich (und zwar auch bei weniger bedeutenden Instituten) im Anwendungsbereich der Art. 4 und Art. 6 AEUV keine originären Befugnisse verbleiben. Der EuGH ist der Position des EuG gefolgt.104 Er bestätigt in diesem Zusammenhang auch die Interpretation des EuG zur Kompetenzverteilung zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden. Gem. der Auslegung des EuGH hat der europäische Gesetzgeber gem. Art. 4 und Art. 6 SSM-VO „der EZB eine ausschließliche Zuständigkeit übertragen, deren dezentralisierte Ausübung durch die nationalen Behörden im Rahmen des ESM und unter Aufsicht der EZB bei den weniger bedeutenden Kreditinstituten im Sinne 97 EuG, Urteil vom 16.5.2017, T122/15 (Landeskreditbank Baden-Württemberg – Förderbank/EZB), EuZW 2017, 461 (mit Anmerkungen von Tröger). Hierzu auch Ipsen/Röh, WM 2017, 2228. 98 Im Zuge der Verabschiedung des Bankenpakets wurden die L-Bank sowie verschiedene weitere Förderbanken vom Anwendungsbereich des CRD/CRR ausgenommen, vgl. Art. 2(5) Nr. 5 CRD (in der durch CRD V angepassten Fassung). Sie unterliegen nicht mehr dem SSMRegime. 99 Die Bedeutung dieser Entscheidung wurde von verschiedenen Autoren betont, vgl. etwa Annunziata, European Banking Supervision in the Age of the ECB. Landeskreditbank BadenWürttemberg, SSRN Working Paper, 2018, S. 3 („in all likelihood be remembered for a long time as a landmark for EU banking and financial jurisprudence“). 100 Vgl. Rn. 17 ff. der Entscheidung. 101 Vgl. Rn. 80 der Entscheidung. 102 Nicht einheitlich beurteilt wird, ob die Ausführungen des EuG zur Kompetenzabgrenzung zwischen der EZB und den NCA im vorliegenden Fall entscheidungserheblich war. Vgl. Hanten/Bracht, ZBB 2017, 236, 240 einerseits (obiter dictum) und Kämmerer, ZBB 2017, 317, 320 Fn. 30 andererseits (Vorfrage für die Reichweite der Subsidiaritätsprüfung). 103 Rn. 31 und 71 der Entscheidung. Vgl. auch Erwägungsgründe (12), (15), (87) SSM-VO. 104 EuGH, Urteil vom 8.5.2019, C-450/17 P, EuZW 2019, 559.
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von Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 SSM-VO hinsichtlich einiger dieser Aufgaben durch Art. 6 SSM-VO gestattet wird, wobei der EZB die ausschließliche Befugnis eingeräumt wird, den Inhalt des Begriffs ‚besondere Umstände‘ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 der SSMVO zu bestimmen“.105 Die von den europäischen Gerichten in dem L-Bank-Urteil vorgenommene Auslegung ist im Schrifttum zu Recht kritisiert worden.106 Die These der ausschließlichen Zuständigkeit der EZB für die Beaufsichtigung sämtlicher Institute bewirkt eine Zentralisierung der Aufsichtskompetenzen auch gegenüber weniger bedeutenden Instituten, die in der SSMVO nicht angelegt ist. Sie stößt zudem auf primärrechtliche Bedenken. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Bankenunion festgestellt, dass eine Übertragung der „gesamten Bankenaufsicht“ auf die EZB nicht mit den primärrechtlichen Vorgaben gem. Art. 127 Abs. 6 AEUV vereinbar wäre und dies eine unzulässige Kompetenzüberschreitung begründen würde (Ultra-vires-Akt).107 Nicht ohne Grund wurden im Schrifttum Zweifel geäußert, ob die vom EuGH vorgenommene Auslegung dem vom BVerfG gesetzten Maßstab gerecht wird.108
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d) Selbsteintrittsrecht der EZB
Gem. Art. 6 Abs. 5 lit. b SSM-VO kann die EZB jederzeit von sich aus beschließen, direkte Aufsichtsbefugnisse über weniger bedeutende Institute zu übernehmen, sofern dies „zur Sicherstellung einer kohärenten Aufsichtspraxis erforderlich“ ist. Die Anforderungen dieses Selbsteintrittsrechts der EZB werden in Art. 67–69 SSM-VO konkretisiert. Vor dem Hintergrund der gem. Art. 127 Abs. 6 AEUV beschränkten Kompetenzgrundlage (vgl. oben Rn. 8) ist dieses Selbsteintrittsrecht nicht unproblematisch. Die EZB darf hiervon daher nur als ultima-ratio-Maßnahme Gebrauch machen.109
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3. Gemeinsame Verfahren
Bei den sog. „gemeinsamen Verfahren“ (common procedures) ist die EZB für sämtliche Kreditinstitute in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zuständig (sowohl für bedeutende als auch weniger bedeutende Institute). Allerdings sind die nationalen Aufsichtsbehörden in diese gemeinsamen Verfahren intensiv eingebunden.110 Bei den gemeinsamen Verfahren handelt es sich zum einen um die Zulassung eines Kreditinstituts (bzw. den Entzug der Zulassung), zum anderen 105 Rn. 49 der Entscheidung des EuGH. 106 Tröger/Tönningsen, ZBB 2020, 77, 84 ff.; Glos/Benzig, in: Binder/Glos/Benzig, Hand-
buch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 86 ff. 107 BVerfG, Urteil vom 30.7.2019, 2 BvR 1685/14, NJW 2019, 3204 (Rn. 194). 108 In diesem Sinne Tröger/Tönningsen, ZBB 2020, 77, 84 ff.; Glos/Benzig, in: Binder/Glos/ Benzig (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 86 ff. Das BVerfG hielt eine Interpretation der SSM-VO, wonach der EZB eine originäre Aufsichtskompetenz für die gesamte Bankenaufsicht zugewiesen würde, als „methodisch nicht vertretbar“ (Rn. 188, 192, 194 der Entscheidung). 109 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 159. 110 Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 700 („hybrid procedures“); Glos/ Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 121 („besonders verschränkt“).
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
um die Beurteilung des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung (sog. Inhaberkontrollverfahren). Einzelheiten werden in § 7 erörtert. 4. Befugnisse im Rahmen der „direkten“ Aufsicht von bedeutenden Instituten 47
Hinsichtlich der Befugnisse der EZB ist zwischen der Aufsicht über bedeutende und weniger bedeutende Institute zu differenzieren. a) Befugnisse gegenüber bedeutenden Instituten und deren Geschäftsleitern
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Gegenüber bedeutenden Instituten übt die EZB eine direkte Aufsicht aus. Hiermit ist gemeint, dass die EZB für solche Institute selbst die laufende Bankenaufsicht wahrnimmt und gegenüber den Kreditinstituten Beschlüsse erlässt.111 Es besteht hier also ein unmittelbares Rechtsverhältnis zwischen der EZB und den beaufsichtigten Unternehmen. Die nationalen Aufsichtsbehörden können von der EZB allerdings dazu angewiesen werden, diese bei der Aufsicht zu unterstützen.112 Zur Wahrnehmung ihrer Aufsichtsaufgaben verfügt die EZB über verschiedene Aufsichts- und Untersuchungsbefugnisse.113 Hierzu gehören insbesondere die Untersuchungsbefugnisse gem. Art. 10–13 SSM-VO, die besonderen Aufsichtsbefugnisse gem. Art. 16 SSM-VO sowie die Befugnis zur Verhängung von Verwaltungssanktionen gem. Art. 18 SSM-VO. Zudem kann die EZB Mitglieder des Leitungsorgans von Kreditinstituten unter den Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 lit. m SSM-VO abberufen. Darüber hinaus hat die EZB gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 SSM-VO „sämtliche Befugnisse und Pflichten, die zuständige und benannte Behörden nach dem einschlägigen Unionsrecht haben, sofern [die SSM-VO] nichts anderes vorsieht“.114 Der Verweis in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 SSM-VO auf das „einschlägige Unionsrecht“115 wirft schwierige Auslegungsprobleme auf. Was unter dem einschlägigen Unionsrecht zu verstehen ist, geht aus dieser Vorschrift nicht hervor. Unzweifelhaft dürfte sein, dass die EZB zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf diejenigen Befugnisse zurückgreifen kann, die den nationalen zuständigen Behörden aufgrund unmittelbar geltender Verordnungen (etwa der CRR nebst Durchführungsverordnungen) zustehen. Sofern diese Befugnisse in Richtlinien (etwa der CRD) normiert sind, kann sich die EZB ferner auf die Befugnisse in den nationalen Rechtsordnungen stützen, die diese Richtlinien umsetzen.116 Auf rein nationale Befugnisnormen, die nicht auf europäischem Recht beruhen (sog. „autono111 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 32 und 141. 112 Art. 6(3) SSM-VO. Vgl. Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 141. 113 Zum Aufsichtsprozess über bedeutende Institute aus Behördensicht vgl. EZB, SSM-Auf-
sichtshandbuch, März 2018, S. 70 ff. 114 Vgl. für Einzelheiten Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 35 ff. 115 Zur Problematik des anwendbaren Rechts noch unten Rn. 76 ff. 116 Dies ergibt sich aus Art. 4(3) Unterabs. 1 Satz 2 SSM-VO.
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111
mes Recht“), kann die EZB dagegen grundsätzlich nicht zurückgreifen.117 Umstritten ist, ob sich die EZB auf die Generalklausel des Art. 64 Abs. 1 CRD stützen kann, wonach die Mitgliedstaaten die „zuständigen Behörden […] mit allen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Aufsichtsbefugnissen auszustatten [haben], die ihnen ein Eingreifen in die Tätigkeiten von Instituten ermöglichen“. Die Abgrenzung zwischen autonomem nationalem Recht und richtlinienumsetzendem Recht wirft insbesondere bei Generalklauseln schwierige Abgrenzungsprobleme auf (dazu noch Rn. 76 ff.). Nach Ansicht der EZB kann sie nationale Befugnisnormen dann anwenden, wenn (i) die nationale Vorschrift in den Bereich der der EZB gem. Art. 4 und Art. 5 SSM-VO übertragenen Aufgaben fällt und (ii) diese eine im Unionsrecht vorgesehene Aufsichtsfunktion stärkt bzw. stützt („underpin a supervisory function under Union law“).118 Der Aufsichtspraxis der EZB liegt damit ein sehr weitgehendes Verständnis des anwendbaren Rechts zugrunde.
b) Befugnisse gegenüber den NCA
Die nationalen zuständigen Aufsichtsbehörden sind dafür verantwortlich, die EZB bei der Vorbereitung und Durchführung der EZB-Rechtsakte zu unterstützen (Kooperations- und Unterstützungsverantwortung der NCA).119 Einzelheiten werden in der SSM-RVO konkretisiert.120 Ferner ist die EZB befugt, die nationalen Behörden durch Anweisungen121 aufzufordern, von ihren Befugnissen gem. den im nationalen Recht festgelegten Bedingungen Gebrauch zu machen, soweit dies für die Wahrnehmung der ihr durch die SSM-VO übertragenen Aufgaben erforderlich ist und sofern die SSM-VO der EZB die entsprechenden Befugnisse nicht übertragen hat.122 Hierdurch soll die „Ausübung einer umfassenden und wirksamen Beaufsichtigung innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus“ sichergestellt werden.123 Es handelt sich dabei um solche Konstellationen, in denen ein Mitgliedstaat durch nationales Recht den Behörden bestimmte Befugnisse übertragen hat, die von der EZB nicht selbst ausgeübt werden dürfen (vgl. Rn. 50 und Rn. 76 ff.). Voraussetzung für die Erteilung einer Anweisung ist allerdings, dass diese zur Wahrnehmung der der EZB übertragenen Aufgaben „erforderlich“ ist.124 Es ist von der EZB somit der Proportionalitätsgrundsatz zu beachten. Die Anord-
117 Siehe hierzu Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 59 m. w. N. 118 Schreiben der EZB vom 31.3.2017 „Additional clarification regarding the ECB’s competence to exercise supervisory powers granted under national law“ (ECB-Public, SSM/2017/ 0140), S. 2. Vgl. ferner Kommission, Commission Staff Working Document vom 11.10.2017 SWD(2017) 336 final, S. 26 unter „reliance on national law“ m. w. N. in Fn. 77 und 78. Hierzu auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 59. 119 Art. 6(3) Satz 1 SSM-VO. Vgl. ferner Erwägungsgrund (37) SSM-VO. 120 Art. 90 ff. SSM-RVO. 121 Art. 90(2) SSM-RVO. 122 Art. 22(1) SSM-RVO (in Konkretisierung von Art. 6(3) Satz 2 SSM-VO). 123 Erwägungsgrund (35) SSM-VO. 124 Art. 22(1) SSM-RVO.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
nungskompetenzen sind vor diesem Hintergrund grundsätzlich restriktiv auszulegen.125 5. Befugnisse im Rahmen der „indirekten“ Aufsicht über weniger bedeutende Institute 53
Hinsichtlich der weniger bedeutenden Institute bleiben im Grundsatz die nationalen Behörden für die direkte Aufsicht verantwortlich.126 Die nationalen Behörden stehen allerdings unter der „Systemaufsicht“ der EZB.127 Es kann insoweit von einer indirekten Aufsicht bzw. einem watch-the-watchers-Modell gesprochen werden. Die Befugnisse der EZB hinsichtlich der indirekten Aufsicht über weniger bedeutende Institute sind in Art. 6 Abs. 5 SSM-VO normiert.
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Nach zutreffender Ansicht handelt es sich bei der Aufsicht der NCAs über weniger bedeutende Institute weiterhin um eine originäre Kompetenz der Mitgliedstaaten.128 Diese wurde durch die SSM-VO nicht auf die EZB übertragen. Vgl. demgegenüber allerdings die Erläuterungen zur Auslegung des EuGH hinsichtlich der Kompetenzabgrenzung im einheitlichen Aufsichtsmechanismus im Kontext der L-Bank-Entscheidung (Rn. 40 ff.).
a) Befugnisse gegenüber den NCA 55
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Die EZB ist auch hinsichtlich der weniger bedeutenden Institute dafür verantwortlich, dass der einheitliche Aufsichtsmechanismus „wirksam und einheitlich“ funktioniert.129 Es stehen der EZB zu diesem Zweck verschiedene Instrumente zur Verfügung. So kann die EZB gegenüber den nationalen Behörden Verordnungen, Leitlinien oder allgemeine Weisungen erlassen (dazu noch unten Rn. 95 ff.).130 Die EZB kann ferner nicht rechtsverbindliche Empfehlungen gegenüber den nationalen Behörden aussprechen.131 In Ausnahmefällen kann die EZB unter bestimmten Voraussetzungen beschließen, die direkte Aufsicht auch über ein weniger bedeutendes Institut zu übernehmen (vgl. oben Rn. 45). Um der EZB die Systemaufsicht über weniger bedeutende Institute zu ermöglichen, sieht die SSM-RVO verschiedene Kooperations- und Informati-
125 So auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht,
2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 78. 126 Vgl. oben Rn. 27 ff. Dies ergibt sich aus den (rechtstechnisch wenig geglückten) Regelun-
gen in Art. 6(4) und Art. 6(6) SSM-VO. 127 Art. 6(5) lit. c SSM-VO. Für Einzelheiten vgl. Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 84 ff.; Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 153 ff. 128 So nun auch BVerfG, Urteil vom 30.7.2019, 2BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, NJW 2019, 3204 (Rn. 183 ff.). In diesem Sinne ebenfalls Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 86 m. w. N. in Fn. 176. 129 Art. 6(1) Satz 2 SSM-VO. 130 Art. 6(5) lit. a Unterabs. 1 SSM-VO. 131 Vgl. unten Rn. 107.
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onspflichten der zuständigen nationalen Behörden vor.132 Einzelheiten sind in Art. 96 ff. SSM-RVO normiert. Beispielsweise sind die nationalen Behörden zur Übermittlung von Anzeigen und wesentlichen Aufsichtsbeschlussentwürfen verpflichtet (vgl. Art. 97 und 98 SSM-RVO). Zudem kann die EZB die zuständigen nationalen Behörden ersuchen, ihr regelmäßig über die von ihnen ergriffenen Maßnahmen Bericht zu erstatten (Art. 99 SSM-RVO).133 b) Befugnisse gegenüber den weniger bedeutenden Instituten sowie sonstigen Personen
Gegenüber den weniger bedeutenden Instituten stehen der EZB lediglich stark begrenzte direkte Aufsichtsbefugnisse zu. Sie kann im Grundsatz lediglich die in Art. 10 bis 13 der SSM-VO geregelten Untersuchungsbefugnisse ausüben (siehe oben Rn. 49).134 Die übrigen in Art. 9 ff. SSM-VO normierten Befugnisse stehen der EZB gegenüber den weniger bedeutenden Instituten dagegen nicht zu. Sie ist hier auf die allgemeinen Instrumente der indirekten Aufsicht (Erlass von Verordnungen, Leitlinien, allgemeine Weisungen) beschränkt.135 Eine Ausnahme bilden die in Art. 4 lit. a und c SSM-VO sowie in Art. 73 ff. SSM-RVO erwähnten „gemeinsamen Verfahren“ (common procedures, s. o.). Die EZB ist demnach auch hinsichtlich weniger bedeutender Institute für die Zulassung bzw. den Entzug der Zulassung von Kreditinstituten in den teilnehmenden Mitgliedstaaten verantwortlich.136 Ferner ist die EZB für die Inhaberkontrollverfahren verantwortlich.137
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6. Makroprudenzielle Aufsicht
Art. 5 SSM-VO belässt die Entscheidungen hinsichtlich der makroprudenziellen Aufsicht, insbesondere die Festlegung der Kapitalpuffer138, bei den zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden.139 Unter bestimmten Voraussetzungen kann die EZB allerdings strengere Kapitalpuffer festsetzen als von den zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden vorgesehen.140
132 Vgl. Art. 6(7) lit. c SSM-VO. 133 Ausführlich zu den einzelnen Berichts- und sonstigen Pflichten der NCA Glos/Benzing,
in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 108 ff. 134 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 157. 135 Vgl. Rn. 56. 136 Art. 4(1) lit. a SSM-VO i. V. m. Art. 6(4) SSM-VO; Art. 73 ff. SSM-RVO (Antrag auf Zulassung) sowie Art. 80 ff. SSM-RVO (Entzug der Zulassung). 137 Art. 4(1) lit. c SSM-VO i. V. m. Art. 6(4) SSM-VO. Art. 85 ff. SSM-RVO. 138 Zu den Kapitalpuffern ausführlich § 8 Rn. 70 ff. 139 Art. 5(1) SSM-VO. Kritisch zu den begrenzten makroökonomischen Kompetenzen Kern, ECFR 2016, 467, 481–485. 140 Art. 5(2), (4) und (5) SSM-VO.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
IV. Organisationsstruktur und institutionelle Rahmenvorgaben 1. Trennung von geldpolitischen Funktionen 61
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Bei der Integration des SSM in die existierenden Aufsichtsstrukturen stand der europäische Gesetzgeber vor einem Dilemma.141 Einerseits sollte der SSM auf bereits bestehende Strukturen aufsetzen, um Synergieeffekte zu generieren. Andererseits musste sichergestellt werden, dass Interessenkonflikte zwischen der Geldpolitik und der Bankenaufsicht durch die EZB so weit wie möglich vermieden werden.142 Vor dem Hintergrund möglicher Interessenkonflikte zwischen den aufsichtsrechtlichen und geldpolitischen Zielen sieht Art. 25 Abs. 2 SSM-VO vor, dass die EZB „die ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben unbeschadet und getrennt von ihren Aufgaben im Bereich der Geldpolitik“ wahrnimmt. Hiermit wird das Trennungsprinzip angesprochen. Dieses hat eine organisatorische und eine personelle Dimension. In organisatorischer Hinsicht wurde zur Ausführung von Aufsichtsfunktionen innerhalb des SSM als neues Organ der EZB das sog. Aufsichtsgremium (Supervisory Board) geschaffen.143 In personeller Hinsicht sollen die mit Aufsichtsaufgaben bei der EZB betrauten Personen grundsätzlich nicht mit sonstigen Aufgaben betraut werden.144 2. Governance-Struktur a) Aufsichtsgremium
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Zur Wahrnehmung der Aufsichtsfunktionen wurde innerhalb der EZB das sog. Aufsichtsgremium (Supervisory Board) als neues Organ geschaffen.145 Gem. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 SSM-VO handelt es sich hierbei um ein internes Organ der EZB, das „uneingeschränkt“ für die Planung und Ausführung der der EZB übertragenen Aufgaben zuständig ist. Es setzt sich aus dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden, vier ernannten Vertretern der EZB und jeweils einem Vertreter der einzelnen nationalen Aufsichtsbehörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten zusammen.146 Das Aufsichtsgremium wird von einem Lenkausschuss unterstützt, der die Sitzungen vorbereitet.147 Entscheidungen 141 Zagouras, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 124b
Rn. 9. 142 Zu möglichen Interessenkonflikten zwischen der Geldpolitik einerseits und der Banken-
aufsicht andererseits bereits oben Rn. 5. Ausführlich zu den möglichen Zielkonflikten Tönningsen, Grenzüberschreitende Bankenaufsicht, 2018, S. 129 ff. 143 Vgl. Rn. 63 ff. 144 Art. 25(2) Unterabs. 2 SSM-VO. 145 Hierzu auch Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 35 ff. 146 Art. 26(1) Satz 1 SSM-VO. Die Vertreter der NCA verfügen gegenüber den Vertretern der EZB somit über eine „Kontrollmehrheit“. Aufgrund der Organisationsstruktur üben die NCA auch innerhalb des SSM weiterhin einen bedeutenden Einfluss auf die Entscheidungsfindung aus. 147 Art. 26(10) SSM-VO.
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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werden innerhalb des Aufsichtsgremiums in der Regel mit einfacher Stimmenmehrheit getroffen.148 Das Aufsichtsgremium ist primärrechtlich nicht vorgesehen. Es handelt sich daher um kein Entscheidungsgremium im rechtstechnischen Sinne. Gleichwohl kommt dem Aufsichtsgremium bei der Entscheidungsbildung eine zentrale Rolle zu (dazu sogleich Rn. 66).149
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Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag der SSM-VO sah noch vor, dass der EZB-Rat klar definierte Aufsichtsaufgaben an das Aufsichtsgremium delegieren konnte.150 Der Juristische Dienst des Rates hielt eine derart weitreichende Delegation von Entscheidungskompetenzen auf das Aufsichtsgremium nicht mit Art. 127 Abs. 6 AEUV vereinbar.151 Dies hätte nach Ansicht des Juristischen Dienstes einer Änderung des Primärrechts (d. h. der AEUV bzw. der ESZB-Satzung) bedurft.
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Vor dem Hintergrund der kompetenzrechtlichen Erwägungen sieht Art. 26 Abs. 8 SSM-VO ein komplexes Verfahren der „impliziten Zustimmung“ vor (non-objection procedure).152 Hiernach schlägt das Aufsichtsgremium nach einem in der Geschäftsordnung der EZB näher konkretisierten Verfahren153 dem EZB-Rat „fertige Beschlussentwürfe“ zur Annahme vor.154 Die Beschlussentwürfe werden gleichzeitig den zuständigen Aufsichtsbehörden in den betroffenen Mitgliedstaaten übermittelt.155 Der Beschluss gilt als angenommen, wenn der EZB-Rat nicht innerhalb einer Frist, die höchstens 10 Arbeitstage betragen darf, widerspricht.156 Die Gestaltungsoptionen des EZB-Rates sind hierbei begrenzt: Er kann den Entwurf des Aufsichtsgremiums lediglich vollständig ablehnen oder annehmen, nicht aber modifizieren.
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Gem. dem Beschluss vom 16. November 2016 (EU 2017/933) kann der EZB-Rat bestimmte Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf aufsichtliche Rechtsinstrumente auf Leiter von Arbeitseinheiten der EZB übertragen.157 Dadurch soll der EZB-Rat von Routineentscheidungen entlastet werden. Erste Ermächtigungsbeschlüsse wurden im Zusammenhang mit den
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148 Ausführlich hierzu Wymeersch, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Rn. 4.104 ff. 149 Vgl. auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 136 (Aufsichtsgremium und EZB stehen an der „Spitze“ des Entscheidungsprozesses). 150 Art. 19(3) des Kommissionsentwurfs der SSM-VO. 151 Hierzu Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 131 m. w. N. in Fn. 265. 152 Vgl. hierzu EZB, SSM Supervisory Manual, März 2018, Ziffer 13. 153 Art. 13g bis Art. 13i EZB-GO. 154 Art. 28(8) Satz 1 SSM-VO. 155 Art. 28(8) Satz 2 SSM-VO. 156 Art. 28(8) Satz 3 SSM-VO. In Ausnahmesituationen beträgt die Frist höchstens 48 Stunden (vgl. Art. 28(8) Satz 5 SSM-VO). 157 Beschluss (EU) 2017/933 der Europäischen Zentralbank vom 16.11.2016 über einen allgemeinen Rahmen für die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen in Bezug auf Rechtsinstrumente im Zusammenhang mit Aufsichtsaufgaben (EZB/2016/40).
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
fit-and-proper-Verfahren erlassen.158 Eine Einbindung des Aufsichtsgremiums bzw. des EZB-Rates ist im Rahmen der erteilten Ermächtigungen nicht mehr erforderlich.
aa) Generaldirektion im Bereich Aufsicht 68
Die EZB hat vier Generaldirektionen (General Directorate – GD) eingerichtet, um die an die EZB übertragenen Aufsichtsaufgaben in Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden wahrzunehmen. Diese sind dem Aufsichtsgremium funktional zugeordnet.159 Die Generaldirektionen Mikroprudenzielle Aufsicht I und II sind für die laufende, direkte Aufsicht über bedeutende Institute verantwortlich. Die Generaldirektion Mikroprudenzielle Aufsicht III überwacht die Beaufsichtigung von weniger bedeutenden Instituten durch die nationalen zuständigen Aufsichtsbehörden. Die Generaldirektion Mikroprudenzielle Aufsicht IV übernimmt Querschnitts- und Expertenaufgaben. bb) Gemeinsame Aufsichtsteams (JSTs)
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Für die Beaufsichtigung jedes einzelnen bedeutenden beaufsichtigten Unternehmens bzw. jeder einzelnen bedeutenden Gruppe in den teilnehmenden Mitgliedstaaten wird ein gemeinsames Aufsichtsteam (Joint Supervisory Team – JST) eingerichtet.160 Es setzt sich aus Mitarbeitern der EZB und der nationalen Aufsichtsbehörden zusammen.161 Das JST ist für die laufende Beaufsichtigung des Instituts bzw. der Gruppe verantwortlich. Es soll eine effiziente Kommunikation zwischen den Aufsichtsbehörden und den beaufsichtigten Unternehmen sicherstellen. Das JST wird von einem Koordinator aus der EZB (der in der Regel über eine andere Nationalität verfügt als das beaufsichtigte Institut) geleitet.162 Das JST bildet die zentrale Kontakt- und Anlaufstelle für die Institute. Zu dessen wesentlichen Aufgaben gehört die Durchführung des aufsichtsrechtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses (Supervisory Review and Evaluation Process – SREP)163 sowie die Erarbeitung eines „aufsichtsrechtlichen Prüfungsprogramms“ für die jeweiligen Institute (Supervisory Examination Programme).164 Das JST soll zudem für einen effizienten Informationsaustausch zwischen den beaufsichtigten Instituten, den nationalen Aufsichtsbehörden und der EZB sorgen. 158 Beschluss (EU) 2017/935 der Europäischen Zentralbank vom 16.11.2016 zur Übertragung der Befugnis zum Erlass von Beschlüssen über die Eignungsprüfung und zur Prüfung der Eignungsanforderungen (EZB/2016/42); Beschluss (EU) 2017/936 der Europäischen Zentralbank vom 23.5.2017 zur Ernennung von Leitern von Arbeitseinheiten für den Erlass von delegierten Beschlüssen über die Eignungsprüfung (EZB/2017/16). 159 EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014, S. 15 ff. (Rn. 16 ff.). 160 Art. 3(1) Satz 1 SSM-RVO. 161 Art. 3(1) Satz 2 SSM-RVO. 162 EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014, S. 15 ff. Zu den Aufgaben des JSTKoordinators siehe Art. 6 SSM-RVO. 163 Hierzu ausführlich § 11. 164 Art. 3(2) SSM-RVO. Zum aufsichtsrechtlichen Prüfungsprogramm vgl. EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014, S. 32 (Rn. 56).
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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Bei den JSTs handelt es sich um ein in dieser Form im europäischen Finanzaufsichtsrecht bislang unbekanntes Kooperationsgremium zwischen der EZB und den nationalen Behörden.165 Sie spielen für das Funktionieren der laufenden Aufsicht eine zentrale Rolle. Die Beteiligung von Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden bei der Beaufsichtigung von bedeutenden Instituten soll sicherstellen, dass die bei den nationalen Behörden vorhandene Expertise und Marktkenntnis in den Aufsichtsprozess eingebracht wird.166 Der Aufbau der JSTs wurde als (weiterhin andauernder) „learning-by-doing“-Prozess beschrieben.167 Die Arbeitsabläufe der JSTs sind bislang noch verhältnismäßig wenig formalisiert.
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cc) EZB-Rat
Der EZB-Rat ist das oberste Beschlussorgan der EZB.168 Wie bereits ausgeführt, kommt dem EZB-Rat innerhalb des SSM allerdings eine eher formale Rolle zu, da die Beschlüsse umfassend von dem Aufsichtsgremium vorbereitet werden. Die Gestaltungsmöglichkeiten des EZB-Rates sind aufgrund des Verfahrens der impliziten Zustimmung stark beschränkt (vgl. oben Rn. 66).
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b) Weitere Organe und Stellen
Das Direktorium ist das Exekutivorgan der EZB.169 Es besteht aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern.170 Das Direktorium führt die laufenden Geschäfte der EZB.171 Art. 24 SSM-VO sieht vor, dass die EZB einen administrativen Überprüfungsausschuss (Administrative Board of Review) einrichtet. Dieser ist für die interne Überprüfung der von der EZB erlassenen Beschlüsse zuständig (vgl. unten Rn. 115 ff.). Art. 25 Abs. 5 SSM-VO ordnet ferner an, dass die EZB eine Schlichtungsstelle einrichtet. Diese soll Meinungsverschiedenheiten der zuständigen Behörden der betroffenen teilnehmenden Mitgliedstaaten bei Einwänden des EZB-Rates gegen einen Beschlussentwurf des Aufsichtsgremiums beilegen. Das Aufsichtsgremium wird bei seiner Tätigkeit von einem Sekretariat auf Vollzeitbasis unterstützt, das auch die Sitzungen vorbereitet.172
165 Vgl. Kommission, Report from the Commission to the European Parliament and the Council on the Single Supervisory Mechanism established pursuant to Regulation (EU) No 1024/201, 11.10.2017, COM (2017) 591 final („Assessment-Bericht 2017“), S. 9: „genuine form of supervisory cooperation“. 166 Assessment-Bericht 2017 (Fn. 165), S. 9: „they [the JSTs] constitute a tool whereby the ECB leverages on the expertise of NCA staff for performing its direct supervisory responsibilities towards SIs.“ 167 Assessment-Bericht 2017 (Fn. 165), S. 9. 168 Vgl. Art. 129(1) AEUV. 169 Art. 283(1) und (2) AEUV; Art. 11 der EZSB/EZB Satzung. 170 Art. 283(2) AEUV. 171 Art. 11.6 der EZSB/EZB Satzung. 172 Art. 26(9) SSM-VO. Für Einzelheiten Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 156 f.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
V. Anwendbares Recht 76
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Zur Wahrnehmung der ihr durch die SSM-VO übertragenen Aufgaben wendet die EZB das „einschlägige Unionsrecht“ an (Art. 4 Abs. 3 SSM-VO). Diese Vorschrift wirft außerordentlich komplexe rechtsdogmatische und rechtspraktische Fragen auf. Diese resultieren daraus, dass im Anwendungsbereich des SSM zwar die Aufsicht zentralisiert ist, bis dato aber noch kein umfassend vereinheitlichtes Regelwerk existiert.173 Die Frage des anwendbaren Rechts hat zwei Facetten. Zum einen geht es darum, auf welche Kompetenzvorschriften sich die EZB stützen kann.174 Zum anderen hängt hiervon ab, welche Rechtsvorschriften die EZB bei der Wahrnehmung ihrer Aufsichtsfunktionen zwingend beachten muss (also nicht nur anwenden darf). Zur Strukturierung der Problematik ist es zweckmäßig, die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften wie folgt zu systematisieren: Kategorie
Verbindlichkeit
Beschreibung
Von der EZB anzuwenden?
Kategorie 1 Unionsrecht
Hard Law
Primärrecht, Sekundärrecht, Tertiärrecht
(+)
Katea gorie 2
Hard Law
Richtlinienumsetzendes nationales Recht
(+)
Sonderproblem: Generalklauseln, Gold Plating
(+) (str.)
Nationale Wahlrechte
(+)
Behördenwahlrechte
Grds. (-) (–)
b
c Katea gorie 3 b
Typ
Nationales Recht
Nationales Recht
Hard Law
Nationales Recht
Hard Law
Autonomes Recht
Unionsrecht
Soft Law
Leitlinien, Empfehlungen, Aufsichts- Abhängig vom handbücher Instrument
Nationales Recht
Soft Law
Rundschreiben etc.
Grds. (–) Ggf. für die Auslegung zu berücksichtigen
Abbildung 6.2: Anwendbares Recht.
173 Vgl. § 4. Zu diesem Grundproblem auch Lehmann, Single Supervisory Mechanism without Regulatory Harmonization? Introducing a European Banking Act and a ‚CRR Light‘ for Smaller Institutions, SSRN Working Paper, 2017, S. 4 ff.; Peukert, JZ 2014, 764, 766 f. 174 Dazu bereits Rn. 50.
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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1. Unionsrecht (Kategorie 1)
Zum anwendbaren Recht gehört zunächst das „einschlägige Unionsrecht“.175 Zu dem von der EZB anzuwendenden Unionsrecht zählt das europarechtliche Primärrecht, also insbesondere die Bestimmungen der AEUV sowie der ESZB-Satzung. Die EZB ist beispielsweise an die europäischen Grundfreiheiten wie etwa die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gebunden.176 Sie hat ferner die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie beispielsweise den europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen.177 Die EZB ist ferner an das unmittelbar geltende Sekundär- und Tertiärrecht gebunden. Zum Sekundärrecht zählen insbesondere Verordnungen gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV (CRR, SSM-VO etc.).178 Das Tertiärrecht besteht aus Rechtsakten, die auf Grundlage von delegierten Rechtsetzungsbefugnissen geschaffen wurden. Hierzu zählen die auf Stufe 2 des Lamfalussy-Verfahrens erlassenen technischen Regulierungsstandards sowie die technischen Durchführungsstandards.179
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2. Rechtsverbindliches nationales Recht (Kategorie 2) a) Richtlinienumsetzendes Recht
Die EZB hat gem. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 1 SSM-VO bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auch die nationalen Rechtsvorschriften anzuwenden, mit denen europäische Richtlinien umgesetzt werden (richtlinienumsetzendes Recht, Kategorie 2a).180 Hierzu zählt beispielsweise das nationale Recht, das von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung des CRD-Regimes erlassen wurde. Nationales Recht, das nicht auf europäischen Vorgaben beruht, ist von der EZB dagegen nicht anzuwenden (autonomes Recht, Kategorie 2c). Für die Durchsetzung dieses autonomen Rechts bleiben die nationalen Aufsichtsbehörden zuständig.
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Dass eine europäische Behörde nationale Rechtsvorschriften vollzieht, ist äußerst ungewöhnlich. Es fand sich hierfür im geltenden Unionsrecht bis vor kurzem181 kein Regelungs-
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175 Art. 4(3) Unterabs. 2 SSM-VO. Zur Unterscheidung von Rechtsakten mit und ohne Gesetzescharakter vgl. § 3 Rn. 9 ff. 176 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 166 f. Zu den Grundfreiheiten § 3 Rn. 20 ff. 177 Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 421; Glos/Benzing, in: Binder/Glos/ Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 173; Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 165 ff. 178 Anders als bei Verordnungen kommt eine unmittelbare Anwendung von Richtlinien nur in Ausnahmekonstellationen in Betracht, die im europäischen Aufsichtsrecht nicht erfüllt sein dürften. Hierzu Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 174 ff. In der Rechtspraxis der EZB werden die einschlägigen Vorschriften der CRD allerdings regelmäßig in den Beschlüssen zitiert. 179 Vgl. § 4 Rn. 10 ff. 180 Art. 4(3) Unterabs. 1 Satz 2 SSM-VO. Vgl. auch Erwägungsgrund (34) SSM-VO. 181 Vgl. im Zusammenhang mit der Erweiterung der Kompetenzen der EBA bezüglich der Geldwäschebekämpfung oben § 5 Rn. 41.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
vorbild.182 Bislang zählte es zu den etablierten Grundsätzen des europäischen Verwaltungsrechts, dass die europäischen Behörden ausschließlich Unionsrecht anwenden und durchsetzen.183 Mit diesem Grundsatz wurde mit Einführung des SSM insoweit gebrochen, als die EZB auch bestimmte nationale Rechtsvorschriften anwendet. In der Literatur hat sich für diese Konstruktion der Begriff des „umgekehrten Vollzugs“ eingebürgert.184 Die Anwendung des nationalen Rechts durch die EZB wirft verfassungsrechtliche Probleme auf.185 Sie stellt die EZB zudem vor praktische Herausforderungen. Denn die Konstruktion führt dazu, dass die Mitarbeiter der EZB im Anwendungsbereich des SSM das nationale Recht aller teilnehmenden Mitgliedstaaten kennen und anwenden müssen.
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Die Abgrenzung des richtlinienumsetzenden Rechts vom autonomen nationalen Recht kann Schwierigkeiten bereiten. Zum einen enthalten die Vorgaben des CRD-Regimes zum Teil ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe und Generalklauseln, die den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum belassen.186 Zum anderen sind einige Mitgliedstaaten wie etwa Deutschland bei der Umsetzung bestimmter Vorgaben der CRD über die europäischen Anforderungen hinausgegangen. Es stellt sich die Frage, ob die EZB auch solches „richtlinienüberschießendes Recht“ (sog. gold-plating) anzuwenden hat. Es sind drei Positionen denkbar: Nach einer strengen Ansicht ist die EZB ausschließlich zur Anwendung solcher Rechtsvorschriften berechtigt und verpflichtet, die sich unmittelbar aus dem Unionsrecht ergeben. Bei einem goldplating wäre der „überschießende“ Teil der nationalen Rechtsvorschrift folglich von den nationalen Behörden durchzusetzen. Nach einer weitergehenden Ansicht ist die EZB auch zur Durchsetzung des richtlinienüberschießenden Rechts befugt.187 Nach einer noch weitergehenden Position, zu der die EZB zu tendieren scheint, ist sie auch zur Anwendung sonstiger nationaler Vorschriften befugt, wenn diese in den Bereich der der EZB gem. Art. 4 und Art. 5 SSM-VO übertragenen Aufgaben fallen.188 Für die erstgenannte strenge Ansicht könnte der Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 SSM-VO sprechen („umgesetzt wurden“). Eine solche Auslegung erscheint allerdings nicht praktikabel. Denn in der praktischen Rechtsanwendung lässt sich oft nicht bestimmen, ob eine Vorschrift lediglich Vorga182 Kaufhold, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85, 87 (Neuerfindung des europäischen Bankenaufsichtsrechts). 183 Ähnliches gilt auch in anderen föderal strukturierten Mehrebenensystemen. So bildet in Deutschland nach der Rechtsprechung des BVerfG die Gesetzgebungskompetenz des Bundes die „äußerste Grenze“ seiner Verwaltungskompetenz (BVerfGE 12, 205, 229). 184 Kaufhold, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85, 87. 185 Hierzu Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 180; Peukert, JZ 2014, 764, 767 f. 186 Dazu bereits oben Rn. 50. 187 So etwa Berger, WM 2016, 2325, 2333; Kaufhold, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85, 88 f. 188 Vgl. oben Rn. 50 m. w. N. in Fn. 118. In diesem Sinne auch Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 429 sowie wohl ebenfalls Bassani, The Legal Framework Applicable to the Single Supervisory Mechanism – Tapestry or Patchwork?, 2019, § 3.01–3.07 (mit Diskussion von Einzelbeispielen).
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
121
ben des Unionsgesetzgebers umsetzt oder darüber hinaus weitergehende Regelungen enthält. Richtigerweise ist die EZB daher auch zur Anwendung des „richtlinienüberschießenden“ nationalen Rechts berechtigt und verpflichtet.189 Gleiches gilt für nationale Vorschriften, die die Vorgaben des CRD-Regimes näher konkretisieren. Beispiel: In Deutschland wurden die Anforderungen an die Geschäftsleiter sowie des Verwaltungs- und Aufsichtsorgans in § 25c KWG sowie § 25d KWG umgesetzt. Hierdurch wurden die allgemeinen Vorgaben von Art. 76 sowie Art. 91 CRD näher konkretisiert. Diese Vorschriften sind von der EZB anzuwenden. Die nationalen Vorschriften gehen insoweit abweichenden Anforderungen in den Leitlinien und Empfehlungen der EBA bzw. der EZB vor.190
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Ob die EZB darüber hinaus auch zur Anwendung des sonstigen nationalen Rechts, das einen inhaltlichen Bezug zum europäischen Bankenaufsichtsrecht hat, befugt ist, erscheint dagegen zweifelhaft. Für eine solche Auslegung spricht zwar, dass eine Aufspaltung der Aufsichtszuständigkeit die Gefahr einer Verantwortungsdiffusion zwischen nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden begründet. Mit dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 SSMVO und dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung wäre eine solche weitgehende Kompetenz der EZB allerdings kaum vereinbar.191 Rechtspolitisch ist de lege ferenda eine Erweiterung der Anwendungs- und Durchsetzungsbefugnisse der EZB zu erwägen.192
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b) Umsetzung von Wahlrechten
Die EZB wendet gem. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 SSM-VO ferner nationale Vorschriften an, mit denen ausdrücklich eingeräumte Wahlrechte ausgeübt werden.193 Es ist hier allerdings zwischen den Wahlrechten, die sich an die Mitgliedstaaten richten (nationale Wahlrechte), und solchen, die sich an die zuständigen Behörden richten (Behördenwahlrechte), zu differenzieren.
189 So auch die in Fn. 187 genannten Autoren. Die erstgenannte Ansicht hätte zudem zur Folge, dass dieselbe Vorschrift von zwei unterschiedlichen Behörden durchgesetzt würde (die EZB hinsichtlich des richtlinienumsetzenden Teils, die nationalen Behörden hinsichtlich des richtlinienüberschießenden Teils). Dies erscheint nicht praktikabel. 190 Vgl. § 12. 191 So im Ergebnis auch Kaufhold, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85, 88 f. sowie Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 184. 192 Als Argument hierfür könnte angeführt werden, dass die derzeitige „Aufspaltung“ der prudenziellen Aufsichtskompetenzen zwischen der EZB (Unionsrecht) und den nationalen Behörden (nationales Recht) unbefriedigend ist. Primärrechtlich wäre es wohl zulässig, wenn der EZB eine Befugnis zur Anwendung des „allgemeinen“ nationalen Rechts übertragen würde, vgl. dazu Kaufhold, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85, 88 ff., 99 ff. 193 Zu den einzelnen Wahlrechten siehe § 4 Rn. 48 ff.
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aa) Nationale Wahlrechte 88
Macht ein Mitgliedstaat von einem Wahlrecht Gebrauch, so ist die EZB hieran gebunden. Dies gilt über den Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 SSM-VO hinaus unabhängig davon, ob das Wahlrecht dem Mitgliedstaat in einer Verordnung oder in einer Richtlinie eingeräumt wird.
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Beispiel: Gem. Art. 493 Abs. 3 CRR wird den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht eingeräumt, bestimmte Risikopositionen für die Zwecke der Berechnung der Großkreditgrenzen auszunehmen (vgl. § 10 Rn. 27). Der deutsche Gesetzgeber hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht. § 2 der deutschen Großkredit- und Millionenkreditverordnung (GroMiKV) sieht sehr praxisrelevante Erleichterungen für Risikopositionen gegenüber gruppenangehörigen Unternehmen vor. Diese Entscheidung des nationalen Gesetzgebers ist von der EZB zu respektieren. Sie muss die Vorgaben in § 2 der Großkredit- und Millionenkreditverordnung anwenden.
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Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Ausübung von Wahlrechten im Anwendungsbereich des SSM beschränkt wird.194 So hat die EZB die Ansicht vertreten, dass „im Hinblick auf den Grundsatz des Unionsrechts und ihren Status als unabhängiges Organ […] die EZB nicht durch staatliche Verordnungen oder vergleichbare Maßnahmen gebunden [ist], die ihre Unabhängigkeit oder das reibungslose Funktionieren des SSM beeinträchtigen“.195 Sie erwartet, dass die teilnehmenden Mitgliedstaaten davon „Kenntnis nehmen, dass seit Einführung des SSM die neuen Befugnisse der EZB bei Erlass künftiger Bank- und Aufsichtsvorschriften angemessen berücksichtigt werden müssen, um die Harmonisierung aufsichtsrechtlicher Praktiken in der Bankenunion zu erleichtern“.196 Eine solche Einschränkung der nationalen Umsetzungs- und Konkretisierungskompetenzen ist jedoch abzulehnen. Denn Unterschiede in den nationalen Regelungsregimen wurden vom europäischen Gesetzgeber in Kauf genommen, indem dieser den Mitgliedstaaten entsprechende Wahlrechte gewährte. Diese gesetzgeberische Entscheidung wird auch durch die Etablierung des SSM nicht in Frage gestellt. bb) Behördenwahlrechte
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Soweit Wahlrechte von den zuständigen Behörden auszuüben sind, obliegt die Ausübungskompetenz grundsätzlich der EZB.197 Der Grund hierfür ist, dass im Anwendungsbereich des SSM die EZB zum Zwecke der Wahrnehmung der ihr
194 Dies in Betracht ziehend Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 424. 195 Stellungnahme der EZB vom 2.9.2015 zur Bankenabwicklung (VON/2015/31), Ziffer
3.1.8. (zur Einführung des § 25a(4) KWG und einer möglichen Überführung der MaRisk in eine Rechtsverordnung). Zuvor bereits die Ausführungen der EZB in dem Schreiben vom 26.6.2015 betreffend die öffentliche Anhörung vor dem Deutschen Bundestag am 1.7.2014 zum Entwurf des Abwicklungsmechanismusgesetzes. 196 Stellungnahme der EZB vom 2.9.2015 zur Bankenabwicklung (VON/2015/31), Ziffer 3.1.4. 197 Erwägungsgrund (34) SSM-VO.
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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übertragenen Befugnisse die „zuständige Behörde“ ist.198 Die EZB hat eine Verordnung199 sowie einen Leitfaden200 hinsichtlich der Ausübung der Behördenwahlrechte bezüglich bedeutender Institute erlassen. Sie hat ferner eine Leitlinie201 sowie eine Empfehlung202 an die nationalen Aufsichtsbehörden hinsichtlich der Ausübung von Behördenwahlrechten bezüglich weniger bedeutender Kreditinstitute verabschiedet. Beispiel: Art. 400 Abs. 2 und 3 CRR sehen vor, dass die zuständigen Behörden bestimmte Positionen bei der Berechnung der Großkreditgrenzen ausnehmen können. Die EZB hat dieses Wahlrecht in Art. 9 der VO 2016/455 einheitlich für alle bedeutenden Kreditinstitute ausgeübt (siehe hierzu § 10 Rn. 21 ff.).
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3. Rechtsnormen ohne Außenverbindlichkeit (Kategorie 3)
Ferner hat die EZB auch bestimmte Rechtsnormen ohne Außenverbindlichkeit zu berücksichtigen (sog. Soft Law). So sieht Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 2 SSM-VO vor, dass die EZB den Vorgaben von Art. 16 der EBA-VO unterliegt und das von der EBA ausgearbeitete „Europäische Aufsichtshandbuch“ zu beachten hat. Dies wird dahingehend auszulegen sein, dass die EZB sich hinsichtlich der von der EBA veröffentlichten Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 Abs. 3 der EBA-VO erklären muss, ob die EZB diese Verlautbarungen in ihre Aufsichtspraxis übernimmt.203 An die von nationalen Behörden veröffentlichten Leitfäden und Rundschreiben ist die EZB nicht gebunden. Es steht ihr allerdings frei, diese als Auslegungshilfe zu berücksichtigen.
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VI. Regelungs- und Handlungsinstrumente Der EZB stehen zur Erfüllung ihrer Aufgaben verschiedene Regelungs- und Handlungsinstrumente zur Verfügung. Art. 132 Abs. 1 AEUV nennt in diesem Zusammenhang die Instrumente der Verordnung, des Beschlusses sowie Empfehlungen und Stellungnahmen. Allerdings sind die Rechtsetzungskompeten198 Art. 9(1) Unterabs. 1 SSM-VO. 199 Verordnung (EU) 2016/445 der Europäischen Zentralbank vom 14.3.2016 über die Nut-
zung der im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräume (EZB/2016/4). 200 Leitfaden der EZB zu im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräumen, November 2016 (abrufbar unter: https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ ond_guide_consolidated.de.pdf). 201 Leitlinie (EU) 2017/697 der Europäischen Zentralbank vom 4.4.2017 über die Nutzung der im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräume durch die nationalen zuständigen Behörden bei weniger bedeutenden Instituten (EZB/2017/9). 202 Empfehlung der Europäischen Zentralbank vom 4.3.2017 zu einheitlichen Kriterien für die Nutzung einiger im Unionsrecht eröffneter Optionen und Ermessensspielräume durch die nationalen zuständigen Behörden bei weniger bedeutenden Instituten (EZB/2017/10). 203 In diesem Sinne auch Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 428. Vgl. hierzu nunmehr auch Köhler, Rulemaking in der Bankenunion, 2020, S. 157 ff.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
zen der EZB nach den Vorgaben der SSM-VO begrenzt (vgl. Rn. 96 ff.).204 Die einzelnen Instrumente sind in Anhang 4 zusammengefasst. 1. Verordnungen 96
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Die SSM-VO ermächtigt die EZB zum Erlass von Verordnungen (regulations). Voraussetzung ist allerdings, dass der Erlass solcher Verordnungen für „die Gestaltung oder Festlegung der Modalitäten zur Wahrnehmung der durch die [SSM-VO] übertragenen Aufgaben“ erforderlich ist.205 Die Verordnungskompetenz beschränkt sich somit primär auf den Erlass von Bestimmungen, die die Organisation und den Ablauf innerhalb des SSM regeln.206 Die EZB verfügt nach derzeitiger Rechtslage über keine Kompetenz zur Setzung eigenständiger materieller Aufsichtsstandards.207 Soweit die EZB Verordnungen erlassen hat, gehen diese dem nationalen Recht vor. Dies gilt allerdings nur insoweit, wie die EZB zum Erlass der Verordnung befugt war und den Verordnungen nicht andere europäische Rechtsakte entgegenstehen. Die wichtigste von der EZB erlassene Verordnung ist die SSM-Rahmenverordnung vom 16. April 2014 (SSM-RVO). Hierdurch wird u. a. die Organisation und die Arbeitsweise des SSM konkretisiert.208 Beim Erlass von Verordnungen sind besondere Verfahrensbestimmungen zu beachten. So sind die Zustimmungsbeschlüsse vom Aufsichtsgremium mit einer qualifizierten Mehrheit zu verfassen.209 Vor Erlass einer Verordnung ist grundsätzlich eine öffentliche Anhörung sowie eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen.210
2. Beschlüsse und Weisungen 100
Ferner ist die EZB befugt, Beschlüsse (decisions) zu erlassen.211 Diese sind gem. Art. 288 Abs. 4 AEUV „in allen ihren Teilen verbindlich“. Soweit diese an einen bestimmten Adressaten gerichtet sind, sind sie für diesen Adressaten verbindlich.212 204 Vgl. Art. 4(3) Unterabs. 2 SSM-VO bzw. Art. 6(5) lit. a SSM-VO. Vgl. zu den einzelnen Handlungsinstrumenten nunmehr auch Köhler, Rulemaking in der Bankenunion, 2020, S. 185 ff. 205 Art. 4(3) Unterabs. 2 Satz 3 SSM-VO. Dazu Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 185. 206 So auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 220 ff. 207 Siehe auch Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 438. Vgl. hierzu nunmehr auch Köhler, Rulemaking in der Bankenunion, 2020, S. 185 ff. 208 Dazu oben Rn. 12. 209 Art. 26(7) SSM-VO. 210 Art. 4(3) Unterabs. 3 SSM-VO. 211 Art. 4(3) Unterabs. 2 SSM-VO. 212 Allgemein zur Handlungsform des Beschlusses Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, Rn. 77 f.
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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Im Rahmen der laufenden Aufsicht werden von der EZB sog. EZB-Aufsichtsbeschlüsse erlassen. Diese werden in der SSM-RVO als Rechtsakt definiert, der „von der EZB im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben und Ausübung ihrer Befugnisse, die ihr durch die SSM-Verordnung übertragen wurden, erlassen wurde, der die Form eines Beschlusses der EZB annimmt und sich an ein oder mehrere beaufsichtigte Unternehmen oder beaufsichtigte Gruppen oder an eine oder mehrere Personen richtet und kein allgemeingültiger Rechtsakt ist“.213 Diese EZB-Aufsichtsbeschlüsse zeichnen sich somit dadurch aus, dass sie gegenüber den beaufsichtigten Unternehmen im Rahmen der laufenden Aufsicht erlassen werden. Sie sind funktional mit einem Verwaltungsakt im Sinne des deutschen Verwaltungsrechts vergleichbar. Die EZB kann zudem Beschlüsse gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden erlassen.214
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Die EZB-Aufsichtsbeschlüsse sind grundsätzlich zu begründen215 und dem Adressaten nach Maßgabe von Art. 35 SSM-RVO bekanntzugeben. Dem Adressaten ist hinsichtlich solcher Beschlüsse, die die Rechte des Adressaten beeinträchtigen, rechtliches Gehör zu gewähren.216 EZB-Aufsichtsbeschlüsse können mit Nebenbestimmungen (ancillary provisions) wie beispielsweise zeitlichen Befristungen (time limits), Bedingungen (conditions), Auflagen (obligations) oder nicht rechtsverbindlichen Empfehlungen (non-binding recommendations) ergehen.217 Der Erlass von Bedingungen macht die Wirksamkeit des Beschlusses von dem Eintritt (oder dem Ausbleiben) besonderer Ereignisse abhängig. Auflagen verpflichten den Adressaten zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen, ohne dass hiervon die Wirksamkeit des Beschlusses abhängt.
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Neben den vorgenannten adressatenbezogenen Aufsichtsbeschlüssen kann die EZB ferner adressatenlose Beschlüsse erlassen. Anders als bei EZB-Aufsichtsbeschlüssen handelt es sich hierbei um einen „allgemeingültigen“ Rechtsakt. Derartige adressatenlose Beschlüsse dienen etwa dazu, die Binnenverfassung der EZB auszugestalten.218 Soweit diese normative Regelungen enthalten, sind adressatenlose Beschlüsse funktional mit Rechtsverordnungen vergleichbar.219 Zudem sieht die SSM-VO die Möglichkeit vor, dass die EZB gegenüber den nationalen Behörden Anweisungen im Einzelfall (im Rahmen der direkten
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213 Art. 2 Nr. 26 SSM-RVO. 214 Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl.
2020, § 2 Rn. 213 Fn. 387 für Einzelbeispiele. 215 Art. 33 SSM-RVO. 216 Art. 31 SSM-RVO. In der Praxis erfolgt dies typischerweise dadurch, dass dem Adressaten zunächst ein Entwurf des Beschlusses zugestellt wird (verbunden mit dem Hinweis, Einwände innerhalb einer bestimmten Frist geltend zu machen). 217 EZB, SSM Supervisory Manual, März 2018, S. 19. 218 Vgl. etwa Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 450 („organizational measures“). Vgl. exemplarisch den Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 19.2.2004 zur Verabschiedung der Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank (EZB/2004/2) (2004/257/EG) nebst zahlreichen Änderungsbeschlüssen vom 19.3.2009, 22.1.2014, 12.2.2015 und 21.9.2016. 219 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 188; Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 451.
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Aufsicht)220 bzw. allgemeine Weisungen (im Rahmen der indirekten Aufsicht)221 erlassen kann. Derartige Weisungen sind für die jeweilige nationale Behörde rechtsverbindlich. Die dogmatische Einordnung ist umstritten. Richtigerweise dürften diese als Beschlüsse im Sinne von Art. 288 Abs. 4 Satz 2 AEUV zu qualifizieren sein.222 3. Leitlinien 105
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Die SSM-VO sieht ferner vor, dass die EZB Leitlinien (guidelines) annimmt.223 Es handelt sich hierbei um ein verwaltungsinternes Rechtsinstrument der EZB. Die von der EZB veröffentlichten Leitlinien unterscheiden sich allerdings in verschiedener Hinsicht von den Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 EBA-VO.224 Zum einen richten sich diese ausschließlich an die nationalen Behörden bzw. die EZB selbst, nicht aber an die beaufsichtigten Institute. Zum anderen sind die von der EZB erlassenen Leitlinien für die nationalen Behörden, an die sich die Leitlinien richten, grundsätzlich rechtsverbindlich.225 Demgegenüber sieht Art. 16 Abs. 3 EBA-VO bei Leitlinien und Empfehlungen einen comply-or-explain-Mechanismus vor (dazu § 4 Rn. 13 ff.). Die Abgrenzung der „Leitlinie“ von den übrigen Handlungsformen der EZB (insbesondere den allgemeinen Weisungen gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden) ist nicht klar geregelt. Im Gegensatz zu den Anweisungen sind Leitlinien typischerweise abstrakt-genereller Natur.226 Nach dem Verständnis der EZB zeichnen sich Leitlinien zudem dadurch aus, dass diese zwar hinsichtlich der damit verfolgten Zielsetzung verbindlich sind, den zuständigen Behörden aber Flexibilität hinsichtlich der konkreten Umsetzung belassen.227 Ein Beispiel für eine sehr praxisrelevante Leitlinie ist die Leitlinie (EU) 2017/697 zur Ausübung der im Unionsrecht eröffneten Optionen.228 4. Empfehlungen
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Empfehlungen werden primärrechtlich in Art. 288 Abs. 5 AEUV als Handlungsform erwähnt. Diese sind zwar rechtlich unverbindlich, legen dem Adres220 Vgl. etwa Art. 6(3), 7(1) Unterabs. 2 und (4) Unterabs. 1 SSM-VO; Art. 9(1) Unterabs. 3 Satz 1 SSM-VO; Art. 18(5) Unterabs. 1 SSM-VO. 221 Art. 6(5) lit. a) SSM-VO. 222 In diesem Sinne auch Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 454. Vgl. ebenfalls Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 881. 223 Vgl. Art. 4(3) Unterabs. 2 Satz 1 SSM-VO. Erwägungsgrund (34) SSM-VO. Vgl. ferner Art. 108(1) und (8) SSM-RVO; Art. 117(2) SSM-RVO. 224 Dazu § 4 Rn. 13 ff. 225 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 190; Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 445 (S. 103). Der Begriff „Leitlinie“ erscheint daher missverständlich. 226 Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 190. 227 EZB, SSM Supervisory Manual, März 2018, S. 21. 228 Vgl. Rn. 91.
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saten aber ein bestimmtes Verhalten nahe.229 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Empfehlungen von den nationalen Gerichten zudem bei der Auslegung zu berücksichtigen.230 Ein wichtiges Beispiel einer solchen Empfehlung ist die bereits genannte Empfehlung der EZB vom 4. April 2017 zu den Kriterien der Ausübung von Optionen und Ermessensspielräumen bei weniger bedeutenden Instituten.231 Die EZB hat auch im Zuge der Covid-19-Krise verschiedene Empfehlungen erlassen.232 5. Sonstige Instrumente und Soft Law a) Überblick und Rechtsnatur
In der Praxis bedient sich die EZB neben den in der SSM-VO ausdrücklich erwähnten Handlungsformen zahlreicher weiterer Instrumente. Diese sind zwar rechtlich nicht verbindlich, haben für die Rechtspraxis aber eine sehr große Bedeutung.233 In diesem Zusammenhang sind zunächst die von der EZB veröffentlichten Leitfäden und Aufsichtshandbücher zu nennen. So hat die EZB etwa einen „Leitfaden zur Bankenaufsicht“234 sowie ein SSM-Aufsichtshandbuch235 veröffentlicht. Die EZB hat zudem zahlreiche Leitfäden zu diversen Einzelaspekten der Bankenaufsicht verfasst.236 Die EZB hat ferner aufsichtsrechtliche Erwartungen (supervisory expectations)237 sowie gemeinsame Aufsichtsstandards (joint supervisory standards)238 und Stellungnahmen (supervisory statements)239 erlassen. Schließlich hat die EZB verschiedene Listen (etwa zu den als bedeutend eingestuften beaufsichtigten Unternehmen) veröffentlicht.240 229 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 96. 230 Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV,
5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 95 Fn. 363. 231 Empfehlung der Europäischen Zentralbank vom 4.4.2017 zu einheitlichen Kriterien für die Nutzung einiger im Unionsrecht eröffneter Optionen und Ermessensspielräume durch die nationalen zuständigen Behörden bei weniger bedeutenden Instituten (EZB/2017/10). 232 Vgl. etwa EZB, Recommendation of 27 March 2020 on dividend distributions during the COVID-19 pandemic and repealing recommendation ECB/2020/1 (ECB/2020/19). 233 Vgl. die Übersicht bei Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 229. 234 EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014. 235 EZB, SSM Supervisory Manual, European banking supervision: functioning of the SSM and supervisory approach, März 2018 (deutsche Fassung: SSM-Aufsichtshandbuch: Funktionsweise des SSM und aufsichtlicher Ansatz). 236 Vgl. etwa den Leitfaden zu den fit-and-proper-Prüfungen (vgl. § 12 Rn. 15) bzw. den Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen (vgl. § 7 Rn. 12). 237 Vgl. etwa EZB, Supervisory expectations on booking models, August 2018. 238 Zu den Joint Supervisory Standards EZB, SSM-Aufsichshandbuch, März 2018, S. 13 (Ziffer 1.2.3). 239 Vgl. etwa EZB, SSM supervisory statement on governance and risk appetite, Juni 2016. 240 EZB, List of supervised entities (abrufbar unter: https://www.bankingsupervision.europa. eu/ecb/pub/pdf/ssm.list_of_supervised_entities_201802.en.pdf).
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Die Rechtsnatur der oben erwähnten Verlautbarungen wurde bislang noch nicht näher untersucht. Die EZB weist darauf hin, dass diese Instrumente nicht rechtsverbindlich sind.241 Die EZB hat allerdings klargestellt, dass sie selbst an die Leitfäden und Aufsichtshandbücher grundsätzlich gebunden ist und nur in begründeten Ausnahmefällen von diesen abweichen darf.242 Eine beschränkte rechtliche Bindungswirkung von Leitlinien, die von europäischen Behörden erlassen wurden, wurde auch vom EuGH anerkannt. So hat der EuGH in Bezug auf von der Verwaltung erlassene interne Maßnahmen entschieden, „dass sie zwar nicht als Rechtsnorm qualifiziert werden können, die die Verwaltung auf jeden Fall zu beachten hat, dass sie jedoch eine Verhaltensnorm darstellen, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen abweichen kann, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind. Solche Maßnahmen stellen somit Handlungen allgemeinen Charakters dar, deren Rechtswidrigkeit die betroffenen Beamten und Bediensteten zur Begründung einer Klage gegen auf ihrer Grundlage erlassene Einzelentscheidungen geltend machen können“.243 b) Kompetenzrechtliche Aspekte
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Der Erlass von Soft-Law-Instrumenten durch die EZB wirft kompetenzrechtliche Probleme auf. Aus Sicht der Praxis ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die EZB ihre Verwaltungspraxis in der Form von Verlautbarungen veröffentlicht, da dies Transparenz bei den Marktteilnehmern schafft. Allerdings kann die Veröffentlichung von Soft Law mit den begrenzten Rechtsetzungskompetenzen der EZB in Konflikt treten.
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Kompetenzrechtliche Aspekte wurden im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Leitlinien der EZB zum Umgang mit notleidenden Krediten (non-performing loans) kontrovers diskutiert.244 In einem Rechtsgutachten vom 8. November 2017 vertrat der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments die Rechtsansicht, dass die EZB keine Kompetenz für den Erlass dieser Leitlinien hat.245 Als Begründung führt das Gutachten aus, dass die Leitfäden in materieller Hinsicht zusätzliche Eigenmittelanforderungen statuieren. Über eine solche Befugnis zur Anordnung zusätzlicher Eigenmittelanforderungen verfüge die EZB jedoch nicht.
241 Vgl. etwa EZB, SSM-Aufsichtshandbuch, März 2018, S. 3 („kein rechtsverbindliches Instrument“). 242 EZB, SSM-Aufsichtshandbuch, März 2018, S. 3. 243 EuGH, Urteil vom 28.6.2005 in den verbundenen Rechtssachen C-189/02, C-202/02, C205/02 bis C-208/02 und C-213/02, Rn. 209. 244 EZB, Guidance to banks on non-performing loans, März 2017; EZB, Addendum to the ECB Guidance to banks on nonperforming loans: Prudential provisioning backstop for nonperforming exposures, Oktober 2017. 245 Europäisches Parlament, Legal Opinion, Addendum to the ECB Guidance to banks on non-performing loans – Legal effects – Competence of the ECB to adopt such Addendum, Rn. 56 und passim.
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Wie weit die Kompetenz der EZB zur Veröffentlichung von Leitlinien oder ähnlichem Soft Law im Einzelnen reicht, ist bislang nicht geklärt. Grundsätzlich dürfte es zulässig sein, wenn die EZB ihre Verwaltungspraxis in der Form von Verlautbarungen, Leitfäden oder ähnlichen Dokumenten konkretisiert. Die Veröffentlichung von solchen Verlautbarungen ist als „Annexbefugnis“ von der allgemeinen Aufgabenzuweisung durch die SSM-VO abgedeckt.246 Über eine Kompetenz zum Aufstellen eigener aufsichtsrechtlicher Standards verfügt die EZB dagegen nicht. Die Rechtsetzungs- und Konkretisierungsbefugnisse sind insoweit im Kern der EBA zugewiesen.247
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VII. Rechtsschutz Der Rechtsschutz von Kreditinstituten innerhalb des SSM wirft komplexe Fragestellungen auf.248 Die SSM-VO sieht ein zweigleisiges Rechtsschutzsystem vor: zum einen eine Kontrolle von Beschlüssen durch den administrativen Überprüfungsausschuss, zum anderen den Rechtsschutz vor staatlichen bzw. europäischen Gerichten.
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1. Administrativer Überprüfungsausschuss
Gem. Art. 24 SSM-VO richtet die EZB einen administrativen Überprüfungsausschuss (Administrative Board of Review) ein, der eine interne administrative Überprüfung der Beschlüsse vornimmt, die die EZB im Rahmen der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse erlassen hat.249 Der administrative Überprüfungsausschuss soll natürlichen und juristischen Personen einen verfahrensökonomischen Rechtsschutz ermöglichen.250 Es handelt sich hierbei um einen fa-
246 Ähnlich wie hier Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2018, § 2 Rn. 252. 247 Zum potenziellen Kompetenzkonflikt zwischen der EBA und der EZB vgl. Ferran, European Business Organization Law Review (2016), 285–317. Im Zusammenhang mit non-performing loans Gurlit, WM 2020, 57, 64. 248 Zum Rechtsschutz im SSM etwa Arons, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Rn. 3.01 ff.; Berger, WM 2015, 504; Glos/Benzing, in: Binder/Glos/ Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 233 ff.; Kämmerer, WM 2016, 1; Ruthig, ZHR 178 (2014), 443, 480 ff.; Köhler, Rulemaking in der Bankenunion, 2020, S. 227 ff.; Lackhoff, Single Supervisiory Mechanism, 2017, Rn. 1009 ff.; Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 249 ff.; Müller/Fischer, WM 2015, 1505; Müller-Graff, EuZW 2018, 101; Roth, Indirekte Bankenaufsicht, 2018, S. 157 ff.; Vossen, Rechtsschutz in der europäischen Bankenaufsicht, 2020. Vgl. ferner den von der Banca D’Italia herausgegebenen Sammelband, Judicial review in the Banking Union and the EU financial architecture, Conference jointly organized by Banca d’Italia and the European Banking Institute, No 84, Juni 2018. 249 Art. 24(1) SSM-VO. Ausführlich zum administrativen Überprüfungsausschuss Morra/ Smits/Magliari, European Business Organization Law Review (2017), 567, 577 f. 250 Vgl. Erwägungsgrund (64) SSM-VO (Gründe der Verfahrensökonomie).
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kultativen Rechtsbehelf.251 Diesem kommt keine aufschiebende Wirkung zu.252 Anders als etwa das Widerspruchsverfahren in Deutschland253 ist die Kontrolle des Beschlusses durch den administrativen Überprüfungsausschuss keine Voraussetzung für die Einlegung des gerichtlichen Rechtsschutzes. a) Zulässigkeit 117
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Der administrative Überprüfungsausschuss ist zuständig für die Überprüfung von Beschlüssen, die die EZB in Ausübung der ihr durch die SSM-VO übertragenen Befugnisse erlassen hat.254 Sonstige Rechtsakte der EZB, wie beispielsweise Verordnungen, Empfehlungen oder Leitlinien, können nicht vom administrativen Überprüfungsausschuss überprüft werden. Antragsbefugt sind sowohl natürliche als auch juristische Personen. Die Antragsteller müssen entweder Adressaten des Beschlusses oder unmittelbar individuell von diesem betroffen sein.255 Der Antrag auf Überprüfung muss schriftlich mit einer Begründung gestellt werden.256 Er ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses bzw. nach dessen Kenntnisnahme einzureichen.257 b) Begründetheit
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Gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 2 SSM-VO erstreckt sich die administrative Überprüfung auf die „verfahrensmäßige und materielle Übereinstimmung“ der Beschlüsse mit der SSM-VO. Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens wird somit die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des Beschlusses anhand des von der EZB anzuwendenden Rechts überprüft (einschließlich des auf Grundlage von Art. 4 Abs. 3 SSM-VO von der EZB anzuwendenden nationalen Rechts).258 In den Erwägungsgründen der SSM-VO wird betont, dass der administrative Überprüfungsausschuss die Ermessensspielräume der EZB zu achten hat.259 Hieraus kann gefolgert werden, dass der Überprüfungsausschuss – anders als
251 So ausdrücklich Erwägungsgrund (3) des Beschlusses der EZB vom 14.4.2014 zur Einrichtung eines administrativen Überprüfungsausschusses und zur Festlegung der Vorschriften für seine Arbeitsweise, EZB/2014/16. 252 Art. 24(8) Satz 1 SSM-VO. Vgl. ferner Art. 9 des EZB Beschlusses vom 14.4.2014 zur Einrichtung eines administrativen Überprüfungsausschusses und zur Festlegung der Vorschriften für seine Arbeitsweise, EZB/2014/16. 253 § 68 VwGO. 254 Art. 24(1) Satz 1 SSM-VO. 255 Art. 24(5) Satz 1 SSM-VO. Zum Maßstab des „unmittelbaren Betroffenseins“ noch unten Rn. 132 ff. 256 Für Einzelheiten vgl. den Beschluss der EZB zum administrativen Überprüfungsausschuss (Fn. 251), Art. 7(4) und (5). 257 Art. 24(6) SSM-VO. 258 In diesem Sinne auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 236; Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 249. Der Wortlaut des Art. 24(1) S. 2 SSM-VO ist insoweit irreführend, als er auf eine Übereinstimmung der Beschlüsse mit der SSM-VO rekurriert. 259 Erwägungsgrund (64) SSM-VO.
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die Widerspruchsbehörde im deutschen Verwaltungsverfahren260 – nicht die Zweckmäßigkeit des Beschlusses überprüft. Dies wird von der EZB bzw. dem administrativen Überprüfungsausschuss dahingehend interpretiert, dass die Überprüfung bei bestehenden Ermessensspielräumen darauf beschränkt ist, ob der jeweilige Beschluss wegen offenkundiger Fehler oder Amtsmissbrauch Mängel aufweist bzw. ob die Grenzen des Ermessensspielraums der EZB eindeutig überschritten wurden. Der Ausschuss prüft ferner, ob die einschlägigen Verfahrensregeln eingehalten wurden.261 c) Verfahren
Das Verfahren wurde in einem von der EZB erlassenen Beschluss zur Arbeitsweise des administrativen Überprüfungsausschusses näher konkretisiert.262 Hiernach wird zunächst ein Berichterstatter für das jeweilige Verfahren bestimmt.263 Der Ausschuss kann eine mündliche Anhörung anberaumen, wenn er dies für notwendig erachtet.264 Ansonsten ergehen die Entscheidungen des Ausschusses im schriftlichen Verfahren.265 Der administrative Überprüfungsausschuss gibt innerhalb einer Frist, die der Dringlichkeit der Angelegenheit angemessen ist, spätestens jedoch zwei Monate nach Eingang des Antrags, eine Stellungnahme ab und überweist den Fall zwecks Ausarbeitung eines neuen Beschlussentwurfes an das Aufsichtsgremium.266 In der Stellungnahme schlägt der administrative Überprüfungsausschuss entweder vor, den ursprünglichen Beschluss aufzuheben, ihn durch einen Beschluss desselben Inhaltes zu ersetzen oder ihn durch einen geänderten Beschluss zu ersetzen.267 Das Aufsichtsgremium ist nicht an den Vorschlag des Überprüfungsausschusses gebunden. Er muss diesen allerdings berücksichtigen.268 Das Aufsichtsgre260 Art. 68(1) Satz 1 VwGO. 261 EZB-Jahresbericht zur Aufsichtstätigkeit, 2015, S. 17 f. Vgl. ebenfalls Morra/Smits/Mag-
liari, European Business Organization Law Review (2017), 567, 577 f. (die Autoren Morra und Smits sind derzeit Mitglieder des Überprüfungsausschusses). 262 Vgl. oben Fn. 251. 263 Art. 8 Satz 1 des Beschlusses der EZB zum administrativen Überprüfungsausschuss (Fn. 251). 264 Art. 14(1) Satz 1 des Beschlusses der EZB zum administrativen Überprüfungsausschuss (Fn. 251). 265 Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 249. 266 Art. 24(7) Satz 1 SSM-VO. Vgl. ferner Art. 16(1) des Beschlusses der EZB zum administrativen Überprüfungsausschuss (Fn. 251). Je nach Dringlichkeit ist eine kürzere Frist festzusetzen. 267 Art. 16(2) des Beschlusses der EZB zum administrativen Überprüfungsausschuss (Fn. 251). 268 In der deutschen Sprachfassung des Art. 24(7) Satz 2 SSM-VO heißt es, dass der Beschlussentwurf des Aufsichtsgremiums den Vorschlägen des Überprüfungsausschusses „Rechnung trägt“. Die englische Sprachfassung ist zurückhaltender formuliert („take into account“). Vgl. auch Art. 17 des Beschlusses der EZB zum administrativen Überprüfungsausschuss (Fn. 251), der formuliert, dass das Aufsichtsgremium die Stellungnahme des Überprüfungsausschusses „prüft“.
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mium muss dem EZB-Rat unverzüglich einen neuen Beschlussentwurf unterbreiten.269 Der neue Beschlussentwurf gilt als angenommen, wenn der EZB-Rat nicht innerhalb eines Zeitraums von zehn Arbeitstagen widerspricht.270 d) Zusammensetzung und Status 124
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Der administrative Überprüfungsausschuss besteht aus insgesamt fünf Personen.271 Diese sollen – so die Vorgabe der SSM-VO – ein hohes Ansehen genießen, aus den Mitgliedstaaten stammen und nachweislich über einschlägige Kenntnisse und berufliche Erfahrungen verfügen. Die Mitglieder sollen ferner nicht zum aktuellen Personal der EZB oder sonstigen europäischen Behörden gehören.272 Dies soll die Unabhängigkeit des administrativen Überprüfungsausschusses gewährleisten. Funktional nimmt der administrative Überprüfungsausschuss eine Hybridstellung ein.273 Einerseits handeln die Mitglieder dieses Ausschusses „unabhängig“ und im „öffentlichen Interesse“. Andererseits handelt es sich um ein verwaltungsinternes Verfahren. Die Stellungnahmen des Ausschusses sind – anders als beispielsweise die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses der europäischen ESAs – nicht rechtsverbindlich. Der administrative Überprüfungsausschuss verfügt somit über keine eigenständigen judikativen Entscheidungskompetenzen.274 Beschwerde- und Überprüfungsausschüsse gewinnen im europäischen Verwaltungsrecht zunehmend an Bedeutung.275 Konzeptionelles Vorbild dürfte das Tribunalwesen im Vereinigten Königreich sein. Die Tribunale spielen dort im Bereich der Finanzaufsicht seit jeher eine wichtige Rolle.276 In Deutschland sind Tribunale dagegen bislang noch weitgehend unbekannt.
269 Art. 24(7) Satz 2 SSM-VO. 270 Art. 24(7) Satz 4 SSM-VO. 271 Die aktuelle Zusammensetzung des Überprüfungsausschusses ist abrufbar unter: https://
www.bankingsupervision.europa.eu/organisation/whoiswho/administrativeboardofreview/ html/index.de.html. 272 Art. 24(2) Satz 2 SSM-VO. 273 Plastisch Jean-Paul Redouin, derzeitiger Vorsitzender des administrativen Überprüfungsausschusses: „We are not advisors to the Governing Council. But we are not a judge either“. Zur Funktion und Stellung des Überprüfungsausschusses auch Morra/Smits/Magliari, European Business Organization Law Review (2017), 567, 569 f. 274 Vgl. auch Kaufhold, Die Verwaltung 49 (2016), 339, 361 f., (die auf Unterschiede hinsichtlich der Ausgestaltung des verwaltungsinternen Rechtsschutzes hinweist). 275 Vgl. den Überblick bei Morra/Smits/Magliari, European Business Organization Law Review (2017), 567, 569 f. 276 Bis 2010 wurden Entscheidungen der damaligen FSA von dem Financial Services and Markets Tribunal (FSA Tribunal) überprüft. Im April 2010 wurde das FSA Tribunal allerdings abgeschafft und die Kompetenzen auf das Upper Tribunal übertragen.
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2. Gerichtlicher Rechtsschutz a) Grundlagen
Der gerichtliche Rechtsschutz innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus folgt dem prozessualen Trennungsprinzip.277 Rechtsschutz ist hiernach vor dem Gericht desjenigen Hoheitsträgers zu suchen, dessen Behörde den Rechtsakt erlassen bzw. unterlassen hat. Zur Überprüfung der von der EZB erlassenen Rechtsakte sind demnach grundsätzlich die europäischen Gerichte (EuG/EuGH) zuständig. Werden die nationalen Aufsichtsbehörden tätig, ist der Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten zu suchen. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts wirft allerdings bei verschiedenen Konstellationen Probleme auf.278 So stellt sich etwa die Frage, welche Gerichte zuständig sind, wenn die EZB im Rahmen des Art. 4 Abs. 3 SSM-VO nationales Recht anwendet.279 Richtigerweise sind auch in diesem Fall die europäischen Gerichte zuständig. Soweit die EZB zur Erfüllung ihrer Aufgaben nationales Recht anwendet, überprüft der EuG/EuGH auch die korrekte Anwendung des nationalen Rechts durch die EZB.280
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Der Umstand, dass die europäischen Gerichte bei der Überprüfung von Rechtsakten der EZB auch nationales Recht anwenden müssen, ist äußerst ungewöhnlich. Denn mit dem Trennungsprinzip korrespondierte bislang der Grundsatz, dass europäische Behörden lediglich das Unionsrecht anwenden und nationales Recht allein von den nationalen Hoheitsträgern angewendet und durchgesetzt wird.281 Die Konstruktion des SSM hat zur Konsequenz, dass verschiedene Gerichte zur Auslegung derselben Vorschrift berufen sein können: Wird die EZB tätig, sind die europäischen Gerichte zuständig. Werden die Maßnahmen demgegenüber von nationalen Aufsichtsbehörden erlassen – etwa gegenüber weniger bedeutenden Instituten, für die die Vorgaben der CRD/CRR ebenfalls Anwendung finden –, ist Rechtsschutz im Grundsatz vor nationalen Gerichten zu suchen. Es wurde vor diesem Hintergrund vorgeschlagen, de lege ferenda ein „umgekehrtes Vorabentscheidungsverfahren“ einzuführen.282
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277 Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen Grundsatz des europäischen Verwaltungsrechts, vgl. Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 246. 278 Hierzu Kämmerer, WM 2016, 1, 3 ff.; Kaufhold, Die Verwaltung 49 (2016), 339, 364 ff.; Müller/Fischer, WM 2015, 1505 (zur Erteilung und Entziehung der Bankerlaubnis). 279 Vgl. oben Rn. 76 ff. 280 Vgl. Kämmerer, WM 2016, 1, 4. 281 Kaufhold, Die Verwaltung 49 (2016), 339, 364 ff. 282 Kaufhold, Die Verwaltung 49 (2016), 339, 366 f. Hierauf aufbauend Vossen, Rechtsschutz in der europäischen Bankenaufsicht, 2020, S. 259 ff. Ein solches Verfahren würde die EZB verpflichten, die mitgliedschaftlichen Gerichte zu fragen, wie nationale Regelungen zu interpretieren sind, die Richtlinien umsetzen. Ein Anwendungsbereich wäre hierfür eröffnet, wenn die Richtlinien den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielräume belassen (wie etwa bei der Umsetzung von Optionen und Wahlrechten). Soweit nationale Vorschriften unionsrechtlich determiniert sind (und keine Umsetzungsspielräume bestehen), entscheidet der EuGH schon auf Basis der derzeitigen Rechtslage gem. Art. 267 AEUV letztverbindlich über die Interpretation der Vorschriften.
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Besondere Probleme resultieren aus dem Umstand, dass den Beschlüssen der EZB unter Umständen vorbereitende Maßnahmen der nationalen Aufsichtsbehörden vorausgehen.283 Auch hier bestimmt sich der Rechtsschutz im Ausgangspunkt nach dem Trennungsprinzip. Die von der EZB erlassenen Rechtsakte können somit grundsätzlich (nur) von den europäischen Gerichten überprüft werden. Abhängig vom nationalen Recht können die vorbereitenden Beschlussentwürfe der nationalen Aufsichtsbehörden allerdings ggf. eigenständig vor den nationalen Gerichten angefochten werden (dazu unten Rn. 140 ff.). Für Klagen von natürlichen und juristischen Personen gegen die Maßnahmen der EZB ist in erster Instanz der EuG zuständig.284 Gegen Urteile des EuG ist ein Rechtsmittel zum EuGH zulässig.285 b) Nichtigkeitsklage aa) Taugliche Klagegegenstände
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Der in der Praxis wichtigste Rechtsbehelf ist die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV. Nach dieser Vorschrift kann jede natürliche oder juristische Person unter den Voraussetzungen des Art. 263 Abs. 1 und 2 AEUV gegen die „an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben“. Klagegegenstand der Nichtigkeitsklage sind „Handlungen“ der EZB.286 Im Gegensatz zum administrativen Überprüfungsverfahren ist der gerichtliche Rechtsschutz daher nicht auf die Kontrolle von EZB-Beschlüssen beschränkt. Auch sonstige Rechtsakte der EZB können mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden, sofern diese rechtliche Außenwirkung erzeugen. Keine tauglichen Gegenstände sind nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings schlichtes Verwaltungshandeln sowie Realakte.287 Nach dem Wortlaut des Art. 263 Abs. 1 AEUV können rechtlich unverbindliche Empfehlungen oder Stellungnahmen ebenfalls kein Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein. Gleiches gilt gem. der überwiegend vertretenen Ansicht nach derzeitiger Rechtslage für sonstige nicht unmittelbar rechtsverbindliche Verlautbarungen wie beispielsweise von der
283 Besonders deutlich wird dies bei den common-procedure-Verfahren, insbesondere im Erlaubnisverfahren (vgl. § 7 Rn. 58 ff.). Hier werden von den NCAs eigene Beschlussentwürfe vorgelegt, die nach zutreffender Ansicht in Deutschland eigenständig von den nationalen Gerichten überprüft werden können (vgl. Rn. 140 ff.). 284 Art. 256(1) Satz 1 AEUV i. V. m. Art. 56 f. der EZB-Satzung. 285 Art. 256(1) Unterabs. 2 AEUV i. V. m. Art. 56 f. der EuGH-Satzung. Hierzu Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 260. 286 Roth, Indirekte Bankenaufsicht, 2018, S. 164 ff. 287 Vgl. die Nachweise bei Roth, Indirekte Bankenaufsicht, 2018, S. 164; Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 266 ff.
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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EZB veröffentlichte Empfehlungen und Aufsichtsstandards.288 Der EuGH hat jüngst in einem Urteil vom 15. Juli 2021 entschieden, dass Leitlinien und Empfehlungen der EBA i. S. v. Art. 16 EBA-VO (im konkreten Fall die EBA-Leitlinien zur internen Governance) grundsätzlich nicht mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen werden können. Das Gericht bestätigte allerdings, dass Leitlinien und Empfehlungen Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV sein können. In der Sache stellte das Gericht fest, dass der Erlass der angegriffenen EBA-Leitlinien zur internen Governance noch von der Kompetenz der europäischen Aufsichtsbehörde gedeckt ist.289 Dass Realakte wie beispielsweise von der EZB veröffentlichte Mitteilungen oder Warnungen nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegen, ist im Schrifttum zu Recht kritisiert worden.290 Denn Kreditinstitute können von solchen Maßnahmen in ähnlich schwerwiegender Art und Weise beeinträchtigt werden wie beim Erlass eines formalen Beschlusses. De lege ferenda ist daher zu erwägen, die Rechtsschutzmöglichkeiten der Kreditinstitute im Anwendungsbereich des SSM auszudehnen.291
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bb) Persönliche Zulassungsvoraussetzungen und Klagefrist
Als Kläger kommt gem. Art. 264 Abs. 4 AEUV grundsätzlich jede natürliche oder juristische Person in Betracht. Als „nicht privilegierte“ Kläger gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV können die Kreditinstitute nur solche Handlungen anfechten, die an sie gerichtet sind oder sie unmittelbar und individuell betreffen.292 Die Klagebefugnis liegt unproblematisch vor, wenn das Institut Adressat der Maßnahme ist. Die Nichtigkeitsklage ist binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe der Handlung zu erheben.293 Die Frist wird durch einen Antrag auf Überprüfung eines Beschlusses im administrativen Überprüfungsverfahren nicht gehemmt. Umgekehrt hängt das Rechtsschutzinteresse nicht davon ab, ob der Kläger vor Erhebung der Klage den administrativen Überprüfungsausschuss angerufen hat.294
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cc) Prüfungsmaßstab
Der Prüfungsmaßstab ergibt sich aus Art. 263 Abs. 2 AEUV. Gerügt werden kann hiernach die Unzuständigkeit der EZB, die Verletzung wesentlicher Formvorschriften, eine Verletzung der Verträge oder einer bei seiner Durchführung 288 Zum Diskussionsstand Köhler, Rulemaking in der Bankenunion, 2020, S. 227 ff., S. 236 ff. (EBA-Verlautbarungen) bzw. S. 244 ff. (EZB-Verlautbarungen). 289 EuGH, Urteil vom 15.7.2021, C-911/19, ECLI:EU:C:2021:599. 290 Kaufhold, Die Verwaltung 49 (2016), 339, 363 f. 291 Vgl. zu Vorschlägen zur Ausdehnung des Rechtsschutzinteresses Arons, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Rn. 3.96 (Etablierung eines „Tribunal of Financial Supervisory and Resolution Affair“). 292 Zum Kriterium der „unmittelbaren und individuellen Betroffenheit“ Roth, Indirekte Bankenaufsicht, 2018, S. 166 f. m. w. N. 293 Art. 263(6) AEUV. Hinzu kommt eine „Entfernungsfrist“ von 10 Tagen, vgl. Art. 45(1) der EuGH-Satzung i. V. m. Art. 102 EuG-VerfO. 294 Dies erwägend (aber ablehnend) Kämmerer, WM 2016, 1.
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
anzuwendenden Rechtsnorm sowie ein Ermessensmissbrauch.295 Soweit die EZB im Rahmen des Art. 4 Abs. 3 SSM-VO nationales Recht anzuwenden hat, kann sich der Kläger auch auf eine Verletzung des nationalen Rechts stützen.296 Dies ist mit Art. 263 Abs. 2 AEUV vereinbar („einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm“). Der Wortlaut setzt nicht voraus, dass es sich bei der zugrundeliegenden Rechtsnorm um eine solche des Unionsrechts handelt.297 c) Weitere Rechtsbehelfe 138
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Als weitere Rechtsbehelfe kennt das Unionsrecht die Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV) sowie die Möglichkeit, gem. Art. 268 und Art. 340 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV Schadensersatz zu verlangen. Der EuG kann ferner gem. Art. 278 und 279 AEUV die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen. Eine allgemeine Leistungs- bzw. Verpflichtungsklage kennt das Unionsrecht dagegen nicht. In Verpflichtungskonstellationen kann (im beschränkten Umfang) Rechtsschutz über die Nichtigkeitsklage erlangt werden: Wird eine Maßnahme von den europäischen Gerichten für nichtig erklärt, muss die EZB die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen ergreifen.298 Wurde von der EZB beispielsweise ein Antrag der Kläger abgelehnt, muss die EZB bei Erfolg der Nichtigkeitsklage über den gestellten Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheiden.299 d) Rechtsschutz bei mehrstufigen Verfahren
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Besondere Herausforderungen ergeben sich hinsichtlich der Bestimmung der Rechtsschutzmöglichkeiten bei „mehrstufigen Verfahren“, in denen die nationalen Aufsichtsbehörden vorbereitende Maßnahmen treffen bzw. Beschlussentwürfe vorbereiten. Von praktischer Bedeutung ist dies insbesondere bei gemeinsamen Verfahren (common procedures), also bei der Erteilung einer Bankerlaubnis bzw. bei Inhaberkontrollverfahren.300 Im Zusammenhang mit dem Inhaberkontrollverfahren hat der EuGH in der Rechtssache Berlusconi inzwischen entschieden, dass die europäischen Gerichte ausschließlich für die im Inhaberkontrollverfahren erlassenen Beschlüsse zuständig sind. Eine Überprüfung der von den nationalen Behörden gem. Art. 15 Abs. 2 SSM-VO bzw. Art. 86 SSM-RVO erlassenen vorbereitenden Beschlüssen vor den nationalen Behörden scheidet nach Ansicht des EuGH aus. 295 Ausführlich hierzu im Zusammenhang mit der Nichtigkeitsklage gegen Maßnahmen der EZB Glos/Benzing, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 273. 296 Zu den hiermit verbundenen verfassungsrechtlichen Problemen Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 180. 297 Kämmerer, WM 2016, 1, 4; Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 5 Rn. 180. 298 Art. 266 AEUV. 299 Roth, Indirekte Bankenaufsicht, 2018, S. 177. Vgl. auch Glos/Benzing, in: Binder/Glos/ Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 260. 300 Zum Rechtsschutz bei Erteilung und Entziehung von Erlaubnissen von Kreditinstituten Müller/Fischer, WM 2015, 1505.
§ 6 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)
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Fallbeispiel (Berlusconi-Entscheidung):301 Der Entscheidung lag folgender (vereinfachter) Sachverhalt zugrunde. Silvio Berlusconi, der vormalige Ministerpräsident von Italien, hielt über eine Holding-Gesellschaft (Fininvest) eine qualifizierte Beteiligung von ca. 30 % an einem italienischen Kreditinstitut. Im Rahmen der Übernahme des Instituts wurde ein Inhaberkontrollverfahren eingeleitet. In ihrem Beschlussvorschlag gem. Art. 15 Abs. 2 SSM-VO bzw. Art. 86 Abs. 1 SSM-VO empfahl die italienische Aufsichtsbehörde (Banca d’Italia), den Erwerb abzulehnen. Die Banca d’Italia vertrat die Ansicht, dass u. a. aufgrund der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit von Herrn Berlusconi bestünden. Dieser Ansicht schloss sich die EZB an, die mit Beschluss vom 25. Oktober 2016 den Erwerb ablehnte. Herr Berlusconi erhob daraufhin gegen den Beschluss der EZB Nichtigkeitsklage vor dem EuG. Gleichzeitig griff er vor dem italienischen Staatsrat die Handlungen der Banca d’Italia an. Auf Vorlage entschied der EuGH, dass im Ausgangspunkt ausschließlich die europäischen Gerichte zur Überprüfung der Entscheidung zuständig sind (den nationalen Gerichten also keine Zuständigkeit für die Überprüfung der vorbereitenden Beschlussvorschläge verbleibt). Dies gilt jedenfalls dann, sofern die EZB die endgültige Entscheidung eigenverantwortlich ausübt, also nicht an die vorbereitenden Handlungen der nationalen Entscheidungen gebunden ist.302 Der EuGH wies in diesem Zusammenhang auf die Gefahr von unterschiedlichen Beurteilungen durch die nationalen Gerichte einerseits und die europäischen Gerichte andererseits hin.303
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Die Berlusconi-Entscheidung bestärkt den bereits durch die L-Bank-Entscheidung eingeschlagenen Trend hin zu einer stärkeren Zentralisierung der Aufsicht und der Rechtskontrolle im Anwendungsbereich des SSM.304 Ob diese Entscheidung auf weitere Fallkonstellationen, in denen nationale Aufsichtsbehörden vorbereitende Beschlüsse treffen, anwendbar ist, ist bislang noch nicht geklärt. Diese Frage stellt sich insbesondere hinsichtlich des Rechtsschutzes bei der Erteilung einer Zulassung von Instituten (bzw. dem Widerruf der Zulassung). Hierbei ist zu beachten, dass der Antrag in einer ersten Stufe von der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörde geprüft wird.305 Gem. Art. 14 Abs. 2 Satz 3 SSM-VO bzw. Art. 75 SSM-RVO lehnen die nationalen zuständigen Behörden einen Antrag ab, sofern „dieser die im einschlägigen nationalen Recht festgelegten Zulassungsbedingungen nicht erfüllt“. Die EZB ist insoweit an die Entscheidung der nationalen Behörden gebunden. Lehnt die nationale Behörde den Antrag auf Zulassung gem. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 SSM-VO ab, sprechen auch nach der Berlusconi-Entscheidung weiterhin gewichtige Argumente dafür, dass die Institute je nach Vorgaben des nationalen Rechts vor den nationalen Gerichten Rechtsschutz beantragen können. In Deutschland kommt in solchen Konstellationen die Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage306 bzw. Ver-
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EuGH, Urteil vom 19.12.2018, C-219/17, EuZW 2019, 128. Vgl. Rn. 43 der Entscheidung. Vgl. Rn. 50 der Entscheidung. Hierzu auch Gurlit, WM 2020, 57, 66. Vgl. § 7 Rn. 61 ff. So Berger, WM 2015, 501, 505 (Begründung: Maßnahme von Art. 14(2) Satz 2 SSM-VO sei kein Verwaltungsakt).
301 302 303 304 305 306
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Teil 2: Institutioneller Rahmen
pflichtungsklage307 in Betracht. Lehnt die EZB den Antrag ab, sind demgegenüber die europäischen Gerichte zuständig.308
VIII. Fazit 145
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Als Reaktion auf die Finanz- und Eurokrise wurde vom europäischen Gesetzgeber mit Wirkung zum 4. November 2014 ein „einheitlicher Aufsichtsmechanismus“ (Single Supervisory Mechanism – SSM) unter der Führung der EZB geschaffen. Hiermit wurde eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Aufsichtsarchitektur vollzogen. Denn erstmals wurden bedeutende Kreditinstitute im Euroraum einer unmittelbaren europäischen Aufsicht unterstellt. Der SSM bildet das Herzstück der Bankenunion, einem der „größten ordnungspolitischen Regelungspakete der unmittelbaren Gegenwart“.309 Mit der Errichtung des SSM hat der europäische Gesetzgeber Neuland betreten. Insgesamt ist das System durch eine „Arbeitsteilung“ zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und der EZB geprägt. Zur Wahrnehmung der ihr durch die SSM-VO übertragenen Aufgaben hat die EZB das „einschlägige Unionsrecht“ anzuwenden (einschließlich des richtlinienumsetzenden nationalen Rechts). Daraus ergeben sich erhebliche Herausforderungen, da im Anwendungsbereich des SSM zwar die Aufsicht zentralisiert ist, aber bis dato noch kein umfassend vereinheitlichtes Regelwerk existiert. Für eine abschließende Bewertung des SSM ist es noch zu früh. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Etablierung einer einheitlichen Aufsicht zu einer weiteren Harmonisierung der Aufsichtspraktiken bei den teilnehmenden Mitgliedstaaten beigetragen hat.310 Allerdings ergeben sich im derzeitigen Aufsichtssystem noch einzelne konstruktionsbedingte Unstimmigkeiten und ungeklärte Rechtsfragen, etwa hinsichtlich des Rechtsschutzes der Kreditinstitute sowie der Anwendung des nationalen Rechts durch die EZB.311 In der rechtspolitischen Diskussion wird zu ergründen sein, ob sich bei einzelnen Punkten (etwa hinsichtlich der Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten) eine Reform des einheitlichen Aufsichtsmechanismus empfiehlt.312
307 Roth, Indirekte Bankenaufsicht, 2018, S. 178 f. 308 Das Unionsrecht sieht allerdings keinen Rechtsbehelf vor, mit dem das Unternehmen die
EZB positiv auf Erteilung der Zulassung verklagen könnte. Es kann lediglich gegen den Ablehnungsbescheid mit der Nichtigkeitsklage vorgehen (s. o.). Bei Erfolg hat die EZB über den gestellten Antrag erneut zu bescheiden, vgl. oben Rn. 139. Dazu auch Roth, Indirekte Bankenaufsicht, 2018, S. 177. 309 Grundmann, ZHR 179 (2015), 563, 566. 310 Grundsätzlich positive Beurteilung im Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes, Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus – Guter Auftakt, doch bedarf es weiterer Verbesserungen, 2016 (abrufbar unter: https://www.eca.europa.eu/de/Pages/DocItem.aspx?did=39744). 311 Vgl. oben Rn. 76 ff. und Rn. 127 ff. 312 Vgl. unten § 18 Rn. 21 ff.
Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren § 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs Literatur: Badenhoop, Nikolai, Europäische Bankenregulierung und private Haftung, 2020; Barth, Gerard/Caprio, James R./Levine, Ross, Rethinking Bank Regulation, 2005; Behrens, Alexander/Schadtle, Kai, Erlaubnispflichten für Bank- und Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit Kryptowerten nach Umsetzung der Fünften EU-Geldwäscherichtlinie, WM 2019, 2099–2104; Binder, Jens-Hinrich, Vom offenen zum regulierten Markt: Finanzintermediation, EU-Wirtschaftsverfassung und der Individualschutz der Kapitalanbieter, ZEuP 2017, 569–599; Cartwright, Peter, Risks and returns of prior approval by licensing: The case of banking, 7 Journal of Banking Regulation (2006), 298–309; Hanten, Mathias/Sacarcelik, Osman, Die Auswirkungen des Brexit auf den Marktzugang von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, WM 2018, 1872–1882; Hemraj, Mohammed B., The Regulatory Failure: The Saga of BCCI, (2005) Journal of Money Laundering Control, 346–353; Kohtamäki, Natalia, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012; Lange, Dirk-Fabian, Die Regulatory Sandbox für FinTechs, in: Brömmelmeyer, Christoph/Ebers, Martin/Sauer, Mirko (Hrsg.), Festschrift für Hans-Peter Schwintowski, 2017, S. 331–334; Pistor, Katharina, Host’s Dilemma: Rethinking EU Banking Regulation in Light of the Global Crisis, SSRN Working Paper, 2010 (abrufbar unter: https://papers. ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1631940); Rögner, Herbert, Zur „Auslegung“ des Inlandsbegriffs des § 32 KWG durch die Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, WM 2006, 745–752; Schuster, Gunnar/Pitz, Sebastian/Matzen, Friedrich-Asmusen, Brexit, MiFIR und MiFID II: Grenzüberschreitende Wertpapierdienstleistungen durch Drittfirmen und die anwendbaren Organisations- und Wohlverhaltenspflichten, ZBB 2018, 197–208; Seebach, Daniel, Die Reichweite des Marktortprinzips im Inlandsmerkmal des § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG – zugleich methodische Anmerkungen zu BVerwG WM 2009, 1553, WM 2010, 733–739; Sethe, Rolf, Das Drittstaatenregime von MiFIR und MiFID II, SZW/RSDA 2014, 615–631; Tröger, Tobias, Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) – Allheilmittel oder quacksalberische Bankenregulierung?, ZBB 2013, 373–400; Veil, Rüdiger/Wundenberg, Malte, Prospektbefreiung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 WpPG bei Unternehmensübernahmen, WM 2008, 1285–1295; Verdier, PierreHugues, Mutual Recognition in International Finance, 52 Harvard International Law Journal (2011), 56–108; Verse, Dirk, Organhaftung bei unklarer Rechtslage – Raum für eine Legal Judgment Rule?, ZGR 2017, 174–195; Wenzel, Jens, Bankerlaubnispflicht und Haftung der Geschäftsführer bei Stehenlassen so genannter „Winzergelder“, NZG 2013, 814–817; White, Lawrence H., Free Banking in History and Theory, SSRN Working Paper, 2014 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2435536); Zetzsche, Dirk A. et al., Regulating a Revolution: From Regulatory Sandboxes to Smart Regulation, SSRN Working Paper, 2018 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm? abstract_id=3018534).
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
I. Grundlagen 1
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3
Es gehört zu den etablierten Grundsätzen der internationalen Bankenregulierung, dass Unternehmen, die Bank- und Finanzdienstleistungen erbringen wollen, vor Aufnahme des Geschäftsbetriebs ein behördliches Genehmigungsverfahren1 durchlaufen müssen (Konzessionsprinzip).2 Das Zulassungsverfahren wurde europarechtlich bereits im Rahmen der Ersten Bankrechtkoordinierungsrichtlinie von 1977 adressiert.3 Diese Richtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten, vorzusehen, dass die Kreditinstitute vor Aufnahme ihrer Tätigkeit von der zuständigen Behörde eine Zulassung erhalten müssen.4 Sie statuierte ferner bestimmte – allerdings noch weitgehend abstrakt gehaltene – Mindestanforderungen an die Eigenmittelausstattung und Organisation des Instituts, die im Rahmen des Zulassungsverfahrens von der zuständigen Behörde zu prüfen sind.5 Das Erfordernis einer behördlichen Zulassung nimmt im System der Bankenregulierung und -aufsicht eine zentrale Bedeutung ein.6 Die Zulassung soll sicherstellen, dass nur solche Unternehmen regulierte Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen erbringen, die über eine hinreichende Solidität und Zuverlässigkeit verfügen und zudem die rechtlichen Mindestanforderungen an die Aufnahme von Banktätigkeiten einhalten. Das Erlaubnisverfahren dient damit sowohl dem Einleger- als auch dem Funktionenschutz.7 Zugleich wird durch den Kreis der erlaubnispflichtigen Geschäfte auch der Anwendungsbereich der laufenden Bankenaufsicht bestimmt (vgl. Teil 4).8 Funktional nehmen die Aufsichtsbehörden – im Geltungsbereich des SSM die EZB (s. u.) – im Rahmen des Erlaubnisverfahrens eine „Wächterrolle“ ein. Es soll nur solchen Unternehmen ein Marktzugang gewährt werden, die die geforderten Mindestvoraussetzungen hinsichtlich der Geschäftsorganisation und Die Begriffe „Genehmigung“ und „Zulassung“ werden in diesem Abschnitt synonym 1 verwendet. Der europäische Gesetzgeber verwendet den Terminus „Zulassung“ (vgl. Art. 8 CRD), das deutsche KWG spricht demgegenüber von einer „Erlaubnis“ (§ 32 KWG). Ein Zulassungsverfahren ist quasi in allen Industrienationen weltweit vorgesehen. Vgl. 2 die empirische Auswertung von Barth/Caprio/Levine, Rethinking Bank Regulation, 2005, S. 110 ff. Erste Richtlinie 77/780/EWG des Rates vom 12.12.1977 zur Koordinierung der Rechts3 und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute. Zur Rechtsentwicklung § 2 Rn. 22 ff. Vgl. Art. 3 der Richtlinie 77/780/EWG. 4 Art. 3(2) Richtlinie 77/780/EWG (ausreichendes Mindestkapital, mindestens zwei Ge5 schäftsleiter, notwendige Zuverlässigkeit und angemessene Erfahrung der Geschäftsleiter); Art. 3(4) der Richtlinie 77/780/EWG (Geschäftsplan). Auf die zentrale Bedeutung des Zulassungsverfahrens hinweisend EZB, Leitfaden zur 6 Beurteilung von Zulassungsanträgen, Januar 2019, S. 2. Vgl. aus dem Schrifttum Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 204 ff.; Binder, in: 7 Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 2. Dazu auch Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 8 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 2.
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
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der Kapitalausstattung erfüllen.9 Zugleich übt die Möglichkeit, dass die zuständigen Behörden im Falle von Gesetzesverletzungen als ultima-ratio-Maßnahme die Erlaubnis entziehen können, einen erheblichen Sanktionsdruck aus. Die Bankerlaubnis hat damit neben der präventiv wirkenden Zugangskontrolle auch eine verhaltenssteuernde, disziplinierende Funktion. Rechtspolitisch ist heute anerkannt, dass eine effektive Bankenaufsicht einer Lizenzierungs- bzw. Genehmigungspflicht bedarf.10 Es sollte allerdings nicht verkannt werden, dass das Aufstellen von Erlaubnispflichten wettbewerbshemmende Effekte haben und Innovationspotentiale im Finanzsektor hemmen kann. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit einer Erlaubnispflicht zur Sicherung des Einleger- und Funktionsschutzes einerseits und der Vermeidung von prohibitiven, innovationshemmenden Marktzugangsbarrieren andererseits. Besonders deutlich wird diese Problematik bei FinTech-Unternehmen. Hier wurde von verschiedenen Seiten gefordert, jungen Innovationsunternehmen gewisse regulatorische Erleichterungen zu gewähren. Verschiedene Aufsichtsbehörden haben in diesem Zusammenhang sog. „regulatorische Sandkästen“ (regulatory sandboxes) entwickelt, die jungen Unternehmen in Wachstumsmärkten die Möglichkeit geben sollen (teils unter partieller Befreiung von Erlaubnispflichten), innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln.11 Das europäische Recht sieht bislang kein Sonderrecht für Wachstumsunternehmen im Finanzbereich vor.12 Die Europäische Kommission hat allerdings im März 2018 einen Aktionsplan für FinTechs veröffentlicht, wodurch innovative Geschäftsmodelle durch „klare und konsistente Zulassungsregeln“ gefördert werden sollen.13 Zudem hat die EBA in einer „FinTech Roadmap“ die gegenwärtigen Ansätze in den verschiedenen Jurisdiktionen analysiert und einen Strategieplan für
Vgl. EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen, Januar 2019, S. 6 (Ziffer 9 3.1.) („Gatekeeper-Funktion“). 10 Zur rechtspolitischen Diskussion vgl. die Rede des vormaligen Exekutivdirektors der EZB Padoa-Schioppa vom 24.9.1999, Licensing banks: Still necessary (abrufbar unter: https:// www.ecb.europa.eu/press/key/date/1999/html/sp990924_1.en.html); Cartwright, 7 Journal of Banking Regulation (2006), 298 ff. Historisch gab es Phasen, in denen keine Genehmigungspflicht bestand. Zum Konzept und zur Bewertung des sog. „free bankings“ White, Free Banking in History and Theory, George Mason University Department of Economics Working Paper, 2014. 11 Pionier war die britische Financial Conduct Authority (FCA). Vgl. die Übersicht bei https://www.fca.org.uk/firms/regulatory-sandbox. Siehe in diesem Zusammenhang auch EBA, Discussion Paper on the EBA’s approach to financial technology (FinTech), 4.8.2017, EBA/DP/2017/02 (mit einer ausführlichen Analyse der in verschiedenen Jurisdiktionen anzutreffenden Marktpraktiken sowie regulatorischen Ansätzen). Zur „Regulatory Roadmap“ der EBA noch unten Fn. 14. Aus dem wissenschaftlichen Schrifttum etwa Zetzsche et al., Regulating a Revolution: From Regulatory Sandboxes to Smart Regulation, EBI Working Paper Series, 2017, No. 11 (mit einer Übersicht über die in den verschiedenen Jurisdiktionen entwickelten Regelungstechniken); Lange, FS Schwintowski, 2017, S. 331–334. 12 Die EZB hat allerdings ein gesondertes Merkblatt für die Beurteilung der Zulassungsanträge von FinTech-Kreditinstituten erlassen, vgl. EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Anträgen auf Zulassung als FinTech-Kreditinstitut, März 2018 (abrufbar unter: https://www.ban kingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.201803_guide_assessment_fintech_credit_inst_ licensing.de.pdf?27b2002c87bed6f84e45433dc820ec2a). 13 Kommission, FinTech-Aktionsplan: Für einen wettbewerbsfähigeren und innovativeren EU-Finanzsektor, 8.3.2018, COM(2018) 109 final.
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
FinTechs vorgelegt.14 Der Strategieplan sieht den Aufbau eines Kompetenzzentrums vor (EBA FinTech Knowledge Hub).15
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Die Zuständigkeit für die Erteilung der Bankerlaubnis lag ursprünglich bei den jeweils zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden (in Deutschland also bei der BaFin in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank). Im Geltungsbereich des SSM obliegt nunmehr der EZB im weiten Umfang die Entscheidung hinsichtlich der Erteilung (und des Entzugs) der Zulassung (vgl. unten Rn. 58 ff.). Es handelt sich um ein sog. gemeinsames Verfahren, für das die EZB auch bei „weniger bedeutenden“ Instituten verantwortlich ist. Gleichwohl weisen die Anforderungen und Verwaltungspraktiken in den Mitgliedstaaten weiterhin erhebliche Unterschiede auf.16
II. Erlaubnispflicht 1. Überblick über die unionsrechtlichen Regelungsvorgaben 6
Die unionsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Zulassung von Kreditinstituten17 sind in der CRD geregelt. Die Erlaubnispflicht von Wertpapierdienstleistungen ist demgegenüber in der MiFID II normiert. a) Kreditinstitute
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Die Anforderungen an die aufsichtsrechtliche Zulassung von Kreditinstituten werden nur recht rudimentär in Titel III der CRD (Art. 8–27) vorgegeben.18 Das Unionsrecht stellt in diesem Bereich lediglich Mindestanforderungen auf. Es handelt sich grundsätzlich um eine Mindestharmonisierung (zu den hieraus resultierenden Folgeproblemen vgl. unten Rn. 58 ff.).19 Das allgemeine Grundprinzip wird in Art. 8 Abs. 1 CRD formuliert: Hiernach sehen die Mitgliedstaaten vor, dass Kreditinstitute vor Aufnahme ihrer Tätigkeit eine Zulassung erhalten müssen. Die Mitgliedstaaten untersagen Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind, die Tätigkeit der Entge-
14 EBA, EBA’s Fintech Roadmap, 15.3.2018 (abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/ documents/10180/1919160/EBA+FinTech+Roadmap.pdf). Zuvor hatte die EBA ein Diskussionspapier zu FinTechs vorgelegt, vgl. EBA, Discussion Paper on the EBA’s approach to financial technology (FinTech), 4.8.2017, EBA/DP/2017/02. 15 EBA, EBA’s Fintech Roadmap, 15.3.2018, Rn. 96 ff. 16 Dies wird auch von der EZB selbst anerkannt. Vgl. EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen, Januar 2019, S. 4 f. (Nr. 2.2): Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen können dazu führen, dass Zulassungsanträge in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich behandelt werden. 17 Zum Begriff unten Rn. 18 ff. 18 Ähnlich Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 204 („partially harmonised“). 19 In diesem Sinne auch EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen, Januar 2019, S. 4 (unter Nr. 2.2).
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
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gennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums gewerbsmäßig zu betreiben.20 Das Unionsrecht sieht ferner vor, dass dem Zulassungsantrag ein Geschäftsplan (programme of operations) beizufügen ist, aus dem die Art der geplanten Geschäfte und der organisatorische Aufbau des Kreditinstituts hervorgeht.21 Es statuiert ferner quantitative und qualitative Mindestanforderungen, die im Rahmen des Erlaubnisverfahrens von der zuständigen Aufsichtsbehörde zu prüfen22 sind: So müssen Kreditinstitute grundsätzlich über ein Anfangskapital von mindestens EUR 5 Mio. verfügen.23 Ferner müssen Kreditinstitute als Ausprägung des aufsichtsrechtlichen Vier-Augen-Prinzips über mindestens zwei Geschäftsleiter verfügen, die eine ausreichende Erfahrung und Expertise aufweisen müssen (fit-and-proper-Anforderungen, vgl. ausführlich § 12). Zudem haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass sich die Hauptverwaltung des Instituts in demselben Mitgliedstaat befindet wie dessen Satzungssitz.24 Hierdurch sollen Umgehungsanreizen entgegengewirkt und Aufsichtslücken vermieden werden. Die Erwägungsgründe der CRD führen in diesem Zusammenhang aus: „Die Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung und der Beaufsichtigung durch den Herkunftsmitgliedstaat machen es erforderlich, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Zulassung verweigern oder entziehen sollten, wenn aus Elementen wie dem Inhalt des Geschäftsplans, dem geografischen Tätigkeitsbereich oder der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit unzweifelhaft hervorgeht, dass das Kreditinstitut die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats gewählt hat, um sich den strengeren Anforderungen eines anderen Mitgliedstaats zu entziehen, in dem es den überwiegenden Teil seiner Tätigkeit auszuüben beabsichtigt oder ausübt“.25 Hintergrund sind die Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Bank of Credit and Commerce International (BCCI). Die BCCI hatte ihre Hauptniederlassung in Luxemburg, das überwiegende Geschäfte (seinerzeit noch weitgehend unbeaufsichtigt) wurde dagegen aus Großbritannien und Drittstaaten heraus betrieben. Diese Aufsichtslücke wurde als Mitursache der Insolvenz der BCCI im Jahre 1991 verantwortlich gemacht.26 Als Reaktion hatte der europäische Gesetzgeber in der BCCIRichtlinie angeordnet, dass die Geschäftsleitung am Ort der Hauptverwaltung zu erfolgen hat (vgl. Art. 13 CRD, s. o.). Gleichwohl sind vor dem Hintergrund des bislang nicht vollArt. 9(1) CRD. Art. 10 CRD. Rechtstechnisch sind diese Anforderungen als Versagungsgründe konzipiert. Daher darf die Erlaubnis nicht erteilt werden, wenn die Mindestvoraussetzungen nicht erfüllt sind. 23 Art. 12(1) CRD. Das Anfangskapital muss sich hierbei aus den in Art. 26(1) lit. a bis e CRR genannten Posten des harten Kernkapitals zusammensetzen. Für bestimmte Kategorien von Kreditinstituten können die Mitgliedstaaten ein Mindest-Anfangskapital von EUR 1 Mio. festlegen (Art. 12(4) CRD). Die Mitgliedstaaten müssen in diesem Fall der Kommission und der EBA mitteilen, aus welchen Gründen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde. 24 Art. 13(2) CRD. Diese Vorschrift geht auf die BCCI-Richtlinie zurück (vgl. § 2 Rn. 28). 25 Erwägungsgrund (16) CRD IV. 26 Hierzu im Brexit-Kontext Hanten/Sacarcelik, WM 2018, 1872, 1875. Ausführlich zum Zusammenbruch des BCCI Konzerns Hemraj, The Regulatory Failure: The Saga of BCCI, (2005) Journal of Money Laundering Control, 346–353. 20 21 22
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ständig harmonisierten Regelungsregimes noch immer Gestaltungsvarianten denkbar, in denen Institute unter Ausnutzung des EU-Passes den für sie günstigen Gesellschaftssitz auswählen. Die Aufsicht stellt vor diesem Hintergrund Substanzanforderungen auf, die einer umfassenden Verlagerung von Geschäftstätigkeiten auf andere Jurisdiktionen Grenzen setzen.
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Das Unionsrecht sieht ferner vor, dass die zuständigen Behörden die Zulassung verweigern, wenn sie nicht davon überzeugt sind, dass die Anteilseigner oder Gesellschafter den im Interesse der Gewährleistung einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts zu stellenden Ansprüchen genügen.27 Gegenstand des Erlaubnisverfahrens ist damit zugleich eine Inhaberkontrolle der Anteilseigner des Instituts. In der Rechtspraxis handelt es sich bei der Genehmigung von Kreditinstituten um ein außerordentlich komplexes und zeit- und ressourcenintensives Verfahren. Das Verfahren sowie die einzuhaltenden Anforderungen unterscheiden sich in den Mitgliedstaaten z. T. noch deutlich. Eine Annäherung der Aufsichtsmodalitäten ist im Zuge der Veröffentlichung der gem. Art. 8 Abs. 2 CRD von der EBA zu erarbeitenden technischen Regulierungsstandards betreffend u. a. die Anforderungen an den Geschäftsplan sowie an die Anteilseigner und Gesellschafter mit qualifizierten Beteiligungen zu erwarten.28 Entwürfe dieser RTS bzw. ITS hat die EBA im Juli 2017 veröffentlicht.29 Für Institute im Anwendungsbereich des SSM wurden die Eckpunkte des Zulassungsverfahrens zudem durch Art. 73 bis 79 der SSM-RVO sowie den von der EZB veröffentlichten Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen30 konkretisiert. Einzelheiten zur Zulassungserteilung werden in Deutschland in §§ 32 ff. KWG normiert. Die einzelnen Anforderungen werden weiter unten erläutert (vgl. Rn. 50 ff.). Durch die CRD V wurden die aufsichtsrechtlichen Zulassungsanforderungen in Teilen ergänzt und präzisiert. Neben der Erlaubnispflicht von bestimmten Finanzholding-Gesellschaften (dazu unten Rn. 41 ff.) sieht die CRD V explizit vor, dass der Zulassungsantrag eine ausführliche Darstellung der MechaArt. 14(2) CRD. Ferner soll die EBA Entwürfe für technische Durchführungsstandards gem. Art. 8(3) CRD für Standardformulare bereitstellen. 29 EBA, Final Report, Draft Regulatory Technical Standards under Article 8(2) of Directive 2013/36/EU on the information to be provided for the authorisation of credit institutions, the requirements applicable to shareholders and members with qualifying holdings and obstacles which may prevent the effective exercise of supervisory powers; Draft Implementing Technical Standards under Article 8(3) of Directive 2013/36/EU on standard forms, templates and procedures for the provision of the information required for the authorisation of credit institutions 14.7.2017 (EBA/RTS/2017/08; EBA/ITS/2017/05) (abrufbar unter: https://www.eba. europa.eu/documents/10180/1907331/Draft+RTS+and+ITS+on+Authorisation+of+Credit+ Institutions+%28EBA-RTS-2017–08+EBA-ITS-2017–05%29.pdf/de9abe89–7be5–4fea-aaf8 –43bd4e67d71e). 30 EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen, Januar 2019; EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Anträgen auf Zulassung als FinTech-Kreditinstitut, März 2018. 27 28
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nismen des Risikomanagements gem. Art. 74 CRD enthalten muss.31 Um eine stärkere Harmonisierung der Aufsichtspraktiken zu gewährleisten, ordnet Art. 8 Abs. 5 CRD nunmehr an, dass die EBA Leitlinien für die zuständigen Behörden herausgibt. Diese soll gemeinsame Bewertungsmethoden für die Erteilung von Zulassungen festlegen. b) Wertpapierfirmen
Für Wertpapierfirmen32 ergeben sich die unionsrechtlichen Zulassungsvorgaben aus Titel II der MiFID II. Kernvorschrift ist Art. 5 MiFID II. Hiernach schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen33 und/oder Anlagetätigkeiten als übliche berufliche oder gewerbliche Tätigkeit der vorherigen Zustimmung der zuständigen Behörden bedarf.34 Das Unionsrecht schreibt ferner vor, dass die Mitgliedstaaten sämtliche Wertpapierfirmen registrieren, wobei dieses Register öffentlich zugänglich sein soll. Diese Informationen sind inzwischen auch auf einer von der ESMA bereitgestellten Unternehmensdatenbank („one-stop-shop“) abrufbar.35
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2. Zulassungspflichtige Tätigkeiten
Die Zulassungspflicht knüpft an bestimmte erlaubnispflichtige Tätigkeiten bzw. Geschäfte an. Unionsrechtlich wird eine Erlaubnispflicht für Kreditinstitute lediglich für das kumulativ betriebene Einlagen- und Kreditgeschäft verlangt. Der Kreis der erlaubnispflichtigen Tätigkeiten wurde durch die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von 199336 (als Vorläuferin der MiFID I/II) auch auf verschiedene Wertpapierdienstleistungen erstreckt. Die europarechtlichen Erlaubnistatbestände sind bislang im Sinne einer Mindestharmonisierung konzipiert. In den Mitgliedstaaten wird der Kreis der erlaubnispflichtigen Tatbestände z. T. deutlich weiter gefasst. Zudem werden die unionsrechtlichen Anknüpfungstatbestände in unterschiedlicher Art und Weise in den jeweiligen nationalen Jurisdiktionen umgesetzt und ausgelegt.37 Vor dem 31 Art. 10 CRD (in der durch CRD V angepassten Fassung). Dies entspricht in Deutschland der bereits zuvor geltenden Aufsichts- und Gesetzespraxis. 32 Vgl. Rn. 33 ff. 33 Vgl. unten Rn. 33 ff. 34 Art. 5(1) Satz 1 MiFID II. 35 Abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/press-news/esma-news/esma-providesone-stop-company-portal. 36 Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen. 37 Vgl. etwa EBA, Report to the European Commission on the perimeter of credit institutions established in the Member State, 27.11.2014, Rn. 9 (abrufbar unter: https://www.eba.eu ropa.eu/documents/10180/534414/2014+11+27+-+EBA+Report+-+Credit+institutions.pdf). Vgl. ebenfalls den Befund der EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen, Januar 2019, S. 10 (Rn. 4.1.), mit dem Hinweis, wonach „die fehlenden Definitionen […] dazu geführt [haben], dass in den EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Auffassungen darüber herrschen, welche Unternehmen als Kreditinstitute einzustufen sind“.
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Hintergrund der bislang noch fortbestehenden Rechtszersplitterung wurde eine weitergehende Harmonisierung der unionsrechtlichen Anknüpfungstatbestände gefordert.38 a) Kreditinstitute (credit institutions) 18
Der zentrale Definitionstatbestand der Bankenregulierung ist der Begriff des „Kreditinstituts“. Diese Definition hat für das europäische Bankenaufsichtsrecht eine grundlegende Bedeutung. Zum einen wird hierdurch der Kreis der erlaubnispflichtigen Bankgeschäfte definiert, die nur mit entsprechender Zulassung erbracht werden dürfen. Zum anderen wird durch den Begriff des Kreditinstituts der Anwendungsbereich der aufsichtsrechtlichen Folgepflichten festgelegt.39 Schließlich bestimmt diese Definition die Reichweite der Aufsichtskompetenzen der EZB innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus. Denn über eine Aufsichtskompetenz verfügt die EZB grundsätzlich nur für CRR-Kreditinstitute mit Sitz in einem teilnehmenden Mitgliedstaat.40 aa) CRR-Kreditinstitute (Unionsrecht)
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Kreditinstitut i. S. d. CRR ist „ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren“.41 Ein CRR-Kreditinstitut ist somit durch zwei – kumulativ zu erfüllende – Merkmale definiert. Zum einen nimmt es Einlagen vom Publikum entgegen. Zum anderen gewährt es für eigene Rechnung Kredite an Unternehmen bzw. natürliche Personen. (1) Einlagengeschäft (deposit business)
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Die einzelnen Tatbestände des Einlagengeschäfts („Einlagen“, „andere rückzahlbare Gelder“, „des Publikums“, „entgegennehmen“) werden im Unionsrecht42 bislang nicht näher definiert. In der Praxis wirft der Einlagentatbestand komplexe Auslegungsprobleme auf. In den Mitgliedstaaten wurde dieser Tatbestand in unEBA, Opinion of the EBA on matters relating to the perimeter of credit institutions, 27.11.2014, EBA/Op/2014/12 („[…] in the EBA’s opinion the fact that there is a risk that the term could be interpreted in an inconsistent way contradicts the very foundation of the single rulebook. In particular, this poses a risk to the consistent application of critical legally binding Union acts intended to protect consumers and investors, enhance financial stability and rebuild trust in the financial system. For this reason the EBA urges the Commission to give consideration to possible clarifications to the definition of ‚credit institution‘.“ (Hervorhebungen im Original). 39 Dazu §§ 8 ff. 40 Vgl. dazu § 6. 41 Art. 4(1) Nr. 1 CRR. Diese Definition geht auf die frühe Phase der Bankrechtsharmonisierung zurück und findet sich in unveränderter Form bereits in Art. 1 der Richtlinie 77/780/ EWG. 42 In anderen Teilrechtsbereichen sind im Detail abweichende Definitionen anzutreffen. Vgl. insbesondere im Kontext der Einlagensicherung die Definition von Einlagen (deposits) gem. Art. 2(1) Nr. 3 der Richtlinie 2014/49/EU. Siehe ferner die Definition in Ziffer 5.79 der Verordnung (EU) Nr. 549/2013. 38
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terschiedlicher Art und Weise umgesetzt. Dies hat zur Folge, dass die Reichweite des Einlagengeschäfts in den einzelnen Jurisdiktionen abweichen kann.43 In Deutschland wird das Einlagengeschäft als Annahme fremder Gelder als Einlagen oder anderer unbedingt rückzahlbarer Gelder des Publikums definiert, sofern der Rückzahlungsanspruch nicht in Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen verbrieft wird, ohne Rücksicht darauf, ob Zinsen vergütet werden.44 Das Einlagengeschäft löst eine Erlaubnispflicht gem. § 32 Abs. 1 KWG aus (anders als in der Definition der CRR vorgesehen, muss das Einlagengeschäft also nicht zusammen mit dem Kreditgeschäft durchgeführt werden).45 Einzelheiten werden in einem Merkblatt der BaFin zum Einlagengeschäft46 sowie in der umfangreichen Kommentarliteratur47 konkretisiert. „Rückzahlbar“ sind Gelder nach Auffassung der BaFin dann, wenn ein zivilrechtlicher Anspruch auf ihre Rückzahlung besteht oder bei dem Geldgeber jedenfalls der Anschein eines solchen Anspruchs erweckt wird.48 Für die Einordnung als „unbedingt“ rückzahlbare Gelder sind nach deutscher Verwaltungspraxis insbesondere die dem Kunden angebotenen Bedingungen der Gebrauchsüberlassung, der sich hieraus ergebende tatsächliche Gehalt der Geldüberlassung sowie das werbende Auftreten des Geldannehmenden und die hierdurch beim Geldgeber bezweckte Vorstellung von der getätigten Geldanlage zu berücksichtigen.49 Die Unbedingtheit der Rückzahlbarkeit scheidet nach Ansicht der BaFin bei Vereinbarung eines sog. qualifizierten Rangrücktritts aus.50 Dies wurde vom BGH allerdings dahingehend eingeschränkt, dass dies nur dann gilt, wenn die entsprechende Rangrücktrittsvereinbarung (ggf. auch AGB-rechtlich) wirksam ist.51 Erlaubnisfrei bleibt nach der Legaldefinition des deutschen Rechts ferner die Annahme von Geldern gegen die Ausgabe von Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen. Als ungeschriebene Ausnahme erkennt die BaFin ferner bestimmte banktypische Sicherheiten an, „die unter Berücksichtigung des normativen Zwecks den Tatbestand des Einlagengeschäfts ausschließen“ können.52 Vgl. den Bericht der EBA oben (Fn. 37), Rn. 14 ff. § 1(1) Satz 2 Nr. 1 KWG. Bankgeschäfte bzw. Finanzdienstleistungen lösen allerdings nur dann eine Erlaubnispflicht aus, wenn diese gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, betrieben werden (vgl. § 32(1) KWG). 46 BaFin, Merkblatt Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, 11.3.2014. 47 Vgl. etwa die Kommentierung von Schäfer in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 1 KWG Rn. 35–49. 48 BaFin, Merkblatt Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, 11.3.2014 unter Ziffer I.4. 49 BaFin, Merkblatt Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, 11.3.2014 unter Ziffer I.5. 50 BaFin, Merkblatt Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, 11.3.2014 unter Ziffer I.5. 51 BGH, Urteil vom 10.7.2018, VI ZR 263/17 (Leitsatz b). 52 Vgl. für eine prägnante Kurzdarstellung Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 21 ff. 43 44 45
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
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Im Einzelfall kann es schwierig zu beurteilen sein, ob ein Einlagengeschäft im beschriebenen Sinne vorliegt. Dies zeigen die folgenden Beispiele aus der deutschen Gerichtspraxis:
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Fallbeispiel („Winzer-Fall“)53: Der Kläger war Mitglied einer Winzergemeinschaft. Die Erzeuger aus der Winzergenossenschaft lieferten Weintrauben an eine Weinkellerei (Gesellschaft). In ständiger Geschäftspraxis ließ eine Vielzahl der Erzeuger aus der Winzergemeinschaft einen Teil des Entgelts für die Anlieferung ihrer Trauben als jederzeit abrufbare „Einlage“ gegen Verzinsung stehen, damit die Gesellschaft mit dem Kapital wirtschaften konnte. Auf diese Weise hatten die Erzeuger „Winzergeld“ in Höhe von insgesamt EUR 2,5 Mio. ohne bankübliche Sicherheiten bei der Gesellschaft eingezahlt, ohne dass diese über eine Bankerlaubnis verfügte. Zwischen der Winzergemeinschaft und der Gesellschaft bestand eine Abnahmevereinbarung. Diese wurde um eine Regelung ergänzt, dass für den Fall, wenn ein Mitglied der Winzergemeinschaft (Erzeuger) einen Teil oder den Gesamterlös seiner Ernte bei der Gesellschaft stehen lässt, dieser Betrag mit 5 % verzinst wird und der Zinssatz mit steigendem und fallendem Kreditzins gleitend sein soll. Nach Ansicht des BGH hat die Gesellschaft mit dem Belassen der „Winzergelder“ erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft betrieben. Mit dem Stehenlassen von Teilbeträgen des ihnen für die Ablieferung ihrer Trauben zustehenden Entgelts hätten die Winzer der Gesellschaft ihre Gelder zur späteren Rückzahlung und damit als Darlehen belassen. Umgekehrt seien die „Winzergelder“ als „Einlagen“ zu qualifizieren. Nach Ansicht des Gerichts habe es sich bei den stehen gelassenen „Winzergeldern“ nicht lediglich um Vorschüsse auf den endgültigen Kaufpreis für die Lieferung der Trauben gehandelt, sondern um bereits mit der Endabrechnung fällig gewordene Beträge. Der BGH bejahte auf dieser Basis die von dem Kläger gegen die Beklagten geltend gemachten Schadensersatzansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 32 Abs. 1, 54 Abs. 2 KWG. Vgl. zu den zivilrechtlichen Konsequenzen noch unten (Rn. 127 ff.).
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Weiteres Fallbeispiel („Lebensversicherungs-Fall“)54: Der Kläger forderte von der Beklagten – dem alleinigen Aktionär und Verwaltungsratmitglied der in der Schweiz ansässigen, in Deutschland tätigen – S-AG Schadensersatz (zu den zivilrechtlichen Folgen von Verstößen gegen das Zulassungserfordernis unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzverletzung gem. § 823 Abs. 2 BGB noch unten Rn. 127 ff.). Die S-AG bot ein als „Cashselect“ bezeichnetes Anlagemodell an. Danach sollten Anleger ihre Ansprüche aus Versicherungen, Bausparverträgen und ähnlichen Kapitalanlagen an die S-AG abtreten, diese sollte die Verträge kündigen und die Auszahlungen vereinnahmen. Die Höhe des von der S-AG an den jeweiligen Anleger zu zahlenden Kaufpreises hing u. a. vom jeweils erzielten Rückkaufswert ab. Die Gewinne sollten durch Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien erwirtschaftet werden. Die S-AG verfügte über keine Bankerlaubnis gem. § 32 Abs. 1 KWG (und war auch keine registrierte Person im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG)). In dem zwischen dem Kläger und der S-AG geschlossenen Kaufund Abtretungsvertrag wurde ein formularmäßiger qualifizierter Rangrücktritt vereinbart. Die Klägerin vertrat die Ansicht, dass die Abtretung der Rechte aus den Lebensversicherungen als eine „Annahme von Geldern“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG und damit als erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft qualifiziert. Dem ist der BGH im Grundsatz gefolgt: Eine „Annahme von Geldern“ im vorgenannten Sinne läge auch dann vor, wenn die 53 BGH, Urteil vom 19.3.2013, VI ZR 56/12, NZG 2013, 582–585. Vgl. hierzu die Entscheidungsbesprechung von Wenzel, NZG 2013, 814. 54 BGH, Urteil vom 10.7.2018, VI ZR 263/17, ZIP 2018, 1678.
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Anleger nicht unmittelbar Bar- oder Buchgeld an gehaltene Kapitallebensversicherungen abträten, Zweck dieser Rechtsübertragung aber die Vereinnahmung des Rückkaufswertes durch den Kapitalnehmer zu Investitionszwecken ist und den Anlegern das den Rückkaufswert betreffende Auszahlungsrisiko nach den vertraglichen Vereinbarungen verbleibt.55 Ein vereinbarter Rangrücktritt stünde dem nach Ansicht des BGH nur dann entgegen, wenn dieser AGB-rechtlich wirksam vereinbart wurde.56 Allerdings scheiterte ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 32 Abs. 1, § 54 KWG im konkreten Fall am Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 StGB), da die Beklagte unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwaltes bei der BaFin unter Offenlegung des Sachverhaltes (und Vorlage der Verträge) anfragte, ob das Vorhaben Erlaubnispflichten unter dem KWG auslöse, was von der BaFin verneint wurde. In Betracht kamen nach Ansicht des Gerichts demgegenüber Ansprüche wegen Verstößen gegen das RDG (Einziehung von Ansprüchen aus der Lebensversicherung als registrierungspflichtige Inkassodienstleistung gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG).
Wie die vorgenannten Beispiele aus der nationalen Aufsichts- und Rechtsprechungspraxis zeigen, werden die Erlaubnistatbestände in Deutschland mitunter sehr weit ausgelegt. Dies ist zu Recht kritisiert worden.57 Insbesondere der Tatbestand des Kreditgeschäfts hat zunehmend an Konturen verloren (vgl. dazu noch unten Rn. 27 f.). Es wäre wünschenswert, wenn die nationalen Aufsichtsbehörden und die deutsche Gerichtspraxis der Tendenz einer uferlosen Ausdehnung der Erlaubnistatbestände entgegenträten. Maßgabe sollte eine stärker schutzzweckorientierte Interpretation der Erlaubnistatbestände (Gefahr für den Einleger- und Funktionenschutz) unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (Erfassung von „banktypischen“ Geschäften) sein.58 Ein ähnlicher Vorschlag liegt auch den Empfehlungen der EBA zur Konturierung des Einlagen- und Kreditgeschäfts zugrunde.59
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Weiteres Fallbeispiel („Massimo/Paolo Romanelli“): Die Auslegung des Einlagentatbestandes hat auch den EuGH in einem Urteil vom 11. Februar 1999 in der Rechtssache Massimo und Paolo Romanelli beschäftigt.60 Massimo und Paolo Romanelli stellten treuhänderisch Wertpapiere aus, die sich auf den Verkauf einer verbrieften Forderung an Dritte, deren gleichzeitigen Rückkauf zu einem um die vereinbarten Zinsen erhöhten Preis und um Bezugsrechte zum Erwerb von Obligationen der Romanelli Finanzaria SpA bezogen. Das tribunale civile e penale (Florenz) hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob sich der Begriff „rückzahlbare Gelder“ im Sinne der unionsrechtlichen Definition des Kreditinstituts „nur auf Finanzierungsinstrumente bezieht, deren Wesensmerkmal die Rückzahlbarkeit ist, oder auch auf Finanzierungsinstrumente, die dieses Wesensmerkmal nicht besitzen und bei de-
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Leitsatz a der Entscheidung. Ob der Rangrücktritt im konkreten Fall zulässig war, wurde vom Gericht wegen des Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (s. u.) offengelassen. 57 Vgl. Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 17 („Verfolgung von bedeutungslosen Bagatellfällen“). 58 In diesem Sinne wohl auch Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 17. 59 EBA (Fn. 37), Rn. 31 und passim (schutzzweckorientierte Auslegung der einzelnen Tatbestände des Einlagengeschäfts). 60 EuGH, Urteil vom 11.2.1999, C-366/97, Slg 1999, 855. 55 56
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nen die Rückzahlung des eingezahlten Betrags vertraglich vereinbart wird“.61 Massimo und Paolo Romanelli hatten argumentiert, dass dies nur bei Annahme von „wesensmäßig“ rückzahlbaren Geldern der Fall sei. Dem ist der EuGH jedoch nicht gefolgt. Es genüge, wenn die Rückzahlung der eingezahlten Gelder vertraglich vereinbart wird.
(2) Kreditgeschäft (credit business) 27
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Wie beim Einlagengeschäft werden auch hinsichtlich des Kreditgeschäfts die einzelnen Tatbestände („Kredit“, „für eigene Rechnung“, „gewähren“) vom Unionsgesetzgeber nicht näher definiert.62 Nach der Definition der CRR löst das Betreiben des Kreditgeschäfts für sich genommen noch keine Erlaubnispflicht aus.63 Vielmehr muss das Institut sowohl das Einlagen- als auch das Kreditgeschäft betreiben (etwa indem es die Einlagen dazu verwendet, Aktiva in Form von Krediten auszugeben). Einen solchen „Konnex“ zwischen dem Kredit- und Einlagengeschäft sieht etwa das französische, kroatische oder britische Recht vor.64 In Deutschland qualifiziert dagegen bereits das isoliert betriebene Kreditgeschäft als ein erlaubnispflichtiges Bankengeschäft.65 Das Kreditgeschäft wird vom deutschen Gesetzgeber als „Gewährung von Gelddarlehen und Akzeptkrediten“ definiert.66 Es wird durch ein Merkblatt der BaFin näher konkretisiert.67 Von großer praktischer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Behandlung des Erwerbs von Kreditforderungen. Die BaFin hat in ihrem Merkblatt klargestellt, dass ein solcher Erwerb (unabhängig davon, ob dieser rechtstechnisch in der Form der Abtretung, der Vertragsübernahme, der Einräumung einer Unterbeteiligung oder im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bei Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz erfolgt) für den Erwerber kein erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft darstellt.68 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Erwerber eine sog. „Kreditentscheidung“ trifft.69 Vgl. Rn. 8 der Entscheidung. Der Tatbestand des Kreditgeschäfts wird von den Aufsichtsbehörden im Ausgangspunkt sehr weitgehend verstanden Vgl. den Bericht der EBA, Report to the European Commission on the perimeter of credit institutions established in the Member States, 27.11.2014, Rn. 28 ff. 63 Vgl. oben Rn. 19. 64 EBA, Report to the European Commission on the perimeter of credit institutions established in the Member States, 27.11.2014, Rn. 34. 65 Es kommt also nach deutschem Recht nicht darauf an, ob die Kreditmittel durch Einlagen oder auf sonstige Art und Weise refinanziert werden. Vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 25.6.1980, I C 13.74, GewArch 1981, 70. 66 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG. 67 BaFin, Merkblatt Kreditgeschäft, 8.1.2009 (geändert am 2.5.2016). 68 BaFin, Merkblatt Kreditgeschäft, 8.1.2009 (geändert am 2.5.2016) unter Ziffer 1 a) bb) Nr. 4. Dies wird damit begründet, dass der Erwerber kein Darlehen „gewährt“ (sondern die Kreditgewährung von dem ausreichenden Institut erfolgt). 69 BaFin, Merkblatt Kreditgeschäft, 8.1.2009 (geändert am 2.5.2016) unter Ziffer 1 a) bb) Nr. 4. Als Beispiel für Kreditentscheidungen werden von der BaFin u. a. sog. Kreditprolongationen genannt, sofern diese nicht bereits in dem ursprünglichen Kreditvertrag angelegt sind. Im Einzelfall kann die Bestimmung, ob eine „Kreditentscheidung“ vorliegt, allerdings Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfen. 61 62
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
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(3) Erweiterung der Begriffsdefinition durch die WertpapierfirmenVerordnung
Der Begriff des Kreditinstituts wurde durch die Wertpapierfirmen-Verordnung vom November 2019 ergänzt.70 Mit Wirkung zum 26. Juni 2021 gelten bestimmte bislang als Wertpapierfirmen qualifizierte Unternehmen als CRR-Kreditinstitute, die eine der in Anhang I Abschnitt A Nummern 3 und 6 der MiFID II erwähnten Tätigkeiten ausüben (Handel für eigene Rechnung bzw. das Emissionsgeschäft), sofern die konsolidierte Bilanzsumme mindestens EUR 30 Mrd. beträgt.71 Diese Institute unterliegen zukünftig innerhalb des Anwendungsbereichs des einheitlichen Aufsichtsmechanismus der unmittelbaren Aufsicht der EZB (vgl. unten Rn. 45 ff.).72
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bb) Weitere erlaubnispflichtige Bankgeschäfte in den Mitgliedstaaten (Kreditinstitute nach nationalem Recht) (1) Weitere erlaubnispflichtige Bankgeschäfte in Deutschland
In den Mitgliedstaaten werden neben dem Einlagen- und Kreditgeschäft zum Teil auch weitere „banktypische“ Tätigkeiten einem Erlaubnisvorbehalt unterstellt. In Deutschland werden die erlaubnispflichtigen Bankgeschäfte in § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG definiert. Diese werden in der nachfolgenden Abbildung überblicksartig dargestellt.73 Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Einlagengeschäft
§ 1(1) S. 2 Nr. 1
Annahme fremder Gelder als Einlagen oder anderer unbedingt rückzahlbarer Gelder des Publikums, sofern der Rückzahlungsanspruch nicht in Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen verbrieft wird, ohne Rücksicht darauf, ob Zinsen vergütet werden
Art. 4(1) Nr. 1 1. Alt. CRR
Merkblatt Einlagengeschäft (Stand: 11.3. 2014, geändert am 20.8.2021)73
Art. 4(1) Nr. 1 CRR in der durch Art. 62(3) Wertpapierfirmen-VO geänderten Fassung. Für Einzelheiten vgl. Art. 4(1) lit. b Nr. 1–3 CRR in der durch Art. 62(3) Wertpapierfirmen-VO geänderten Fassung. Hiernach ist der Schwellenwert von EUR 30 Mrd. entweder auf individueller Ebene oder auf konsolidierter Ebene (typengleiche Wertpapierfirmen innerhalb der Gruppe) zu erfüllen. 72 Vgl. dazu § 6 Rn. 20. 73 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_140311_tatbestand_einlagengeschaeft.html. 70 71
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren 77 78 79
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Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Pfandbriefgeschäft
§ 1(1) S. 2 Nr. 1a
Die in § 1(1) S. 2 des Pfandbriefgesetzes bezeichneten Geschäfte (Ausgabe von Pfandbriefen)
N/A
Merkblatt Pfandbriefgeschäft (Stand: 6.1.2009, geändert am: 14.9.2015) 74
Kreditgeschäft
§ 1(1) S. 2
Gewährung von Gelddarlehen und Akzeptkrediten
Art. 4(1) Nr. 1 2. Alt. CRR
Merkblatt Kreditgeschäft (Stand: 8.1. 2009, geändert am: 2.5.2016)75
Diskontgeschäft
§ 1(1) S. 3
Ankauf von Wechseln und Schecks
N/A
Ankauf von Wechseln und Schecks (Stand: 6.1.2009)76
Finanzkommissionsgeschäft
§ 1(1) S. 4
Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten im eigenen Namen für fremde Rechnung
Ggf. Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 1 MiFID II
Merkblatt Finanzkommissionsgeschäft (Stand: Mai 2017)77
Depotgeschäft
§ 1(1) S. 5
Verwahrung und die Verwaltung von Wertpapieren für andere
N/A78
Merkblatt Depotgeschäft (Stand: 6.1. 2009, geändert am: 17.2.2014)79
Zentralverwahrer
§ 1(1) S. 6
Tätigkeit als Zentralverwahrer gem. § 1(6) bzw. Art. 2(1) Nr. 1 VO (EU) Nr. 909/2014
VO (EU) Nr. 909/2014
ESMALeitlinien80
74 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090106_tatbestand_pfandbriefgeschaeft.html. 75 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090108_tatbestand_kreditgeschaeft.html. 76 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090106_tatbestand_diskontgeschaeft.html. 77 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_100318_tatbestand_finanzkommgeschaeft.html. 78 Gem. Anhang I Abschnitt B MiFID II grundsätzlich nur Nebendienstleistung. 79 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090106_tatbestand_depotgeschaeft.html. https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2018/mel 80 Vgl. dung_180405_zentralverwahrer.html.
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
153
81 82 83 84 85
Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Revolvinggeschäft
§ 1(1) S. 7
Eingehung der Verpflichtung, zuvor veräußerte Darlehensforderungen vor Fälligkeit zurückzuerwerben
N/A
Merkblatt Darlehensrückkaufgeschäft (Stand: 7.1.2009) 81
Garantiegeschäft
§ 1(1) S. 8
Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen für andere
Ggf. Zahlungsdienstleistung im Sinne der Zahldienstrichtlinie
Merkblatt Garantiegeschäft (Stand: 8.1.2009) 82
Scheckund Wechseleinzugsgeschäft, Reisescheckgeschäft
§ 1(1) S. 9
Durchführung des bargeldlosen Scheckeinzugs (Scheckeinzugsgeschäft), des Wechseleinzugs (Wechseleinzugsgeschäft) und die Ausgabe von Reiseschecks (Reisescheckgeschäft)
Ggf. Zahlungsdienstleistung im Sinne der Zahldienstrichtlinie
Merkblatt Scheck- und Wechseleinzugsgeschäft, Reisescheckgeschäft (Stand: 6.1.2010) 83
Emissionsgeschäft
§ 1(1) S. 10
Übernahme von Finanzinstrumenten für eigenes Risiko zur Platzierung oder die Übernahme gleichwertiger Garantien
Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 6 MiFID II (Wertpapierdienstleistung)
Merkblatt Emissionsgeschäft (Stand: 7.1. 2009, geändert am: 24.7.2013) 84
Zentrale Gegenpartei
§ 1(1) S. 12
Tätigkeit als zentrale Gegenpartei im Sinne von § 1 (31) bzw. Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012
Art. 14 Verordnung (EU) Nr. 648/2012
Merkblatt zentrale Gegenpartei (Stand: 12.8.2013, geändert am: 19.9.2013) 85
Abbildung 7.1: Erlaubnispflichtige Bankgeschäfte in Deutschland.
81 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090107_tatbestand_darlehenrueckkaufgeschaeft.html. 82 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090108_tatbestand_garantiegeschaeft.html. 83 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_100106_scheck_wechselgeschaeft.html. 84 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090107_tatbestand_emissionsgeschaeft.html. 85 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_130812_tatbestand_zentrale_gegenpartei.html.
154
Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
(2) Anwendung des CRD/CRR-Regimes auf nationale Kreditinstitute 31
32
Der europäische Gesetzgeber hat in den Erwägungsgründen der CRR klargestellt, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, „gleichwertige Anforderungen“ an Unternehmen zu stellen, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen.86 In den Mitgliedstaaten sind verschiedene Regelungskonzepte anzutreffen: Einige Mitgliedstaaten wie beispielsweise Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien sowie die Niederlande ordnen an, dass die Vorgaben der CRR – zum Teil mit Modifikationen – auch für „nationale“ Kreditinstitute gelten.87 In anderen Mitgliedstaaten – namentlich Dänemark, Spanien, Ungarn, Irland, Polen und das Vereinigte Königreich – kommt für solche nationalen Kreditinstitute ein eigenes (nationales) Aufsichtsregime zur Anwendung.88 Die Rechtslage ist insoweit nicht einheitlich.89 Rechtspolitisch ist die oben beschriebene Rechtszersplitterung hinsichtlich der Erlaubnistatbestände nicht unproblematisch. Die in den Mitgliedstaaten abweichenden Definitionen des Kreditinstituts wurden bereits im De-LarosièreBericht kritisiert.90 Zwar bestehen in den jeweiligen lokalen Bankenmärkten noch länderspezifische Besonderheiten, die spezifische nationale Erlaubnistatbestände erforderlich machen können. Die bislang nur holzschnittartige Harmonisierung der Anknüpfungstatbestände steht jedoch mit dem Leitgedanken der Etablierung eines Single Rulebooks sowie der Vereinheitlichung der nationalen Aufsichtspraktiken im Konflikt. Auch besteht ein „Ungleichgewicht“ zwischen den nur generalklauselartig vorgegebenen Erlaubnistatbeständen einerseits und den immer granularer ausgeformten aufsichtsrechtlichen Folgepflichten andererseits. b) Wertpapierfirmen (investment firms)
33
Eine behördliche Zulassung sieht die MiFID II auch bei der Erbringung verschiedener Wertpapierdienstleistungen vor. Ähnlich wie bei den Bankgeschäften sind die Erlaubnistatbestände zum Teil recht vage formuliert. Eine ausführliche Erörterung der erlaubnispflichtigen Tätigkeiten für Wertpapierfirmen geht über den Gegenstand dieses Buches hinaus. Es soll genügen, die jeweiligen Erlaubnistatbestände überblicksartig darzustellen.
Erwägungsgrund (24) CRR. EBA, Report to the European Commission on the perimeter of credit institutions established in the Member States, 27.11.2014, Rn. 54. Vgl. in Deutschland § 1a(1) KWG. 88 EBA, Report to the European Commission on the perimeter of credit institutions established in the Member States, 27.11.2014, Rn. 54. 89 EBA, Report to the European Commission on the perimeter of credit institutions established in the Member States, 27.11.2014, Rn. 54 („wide variation as regard the scope of the requirements imposed in each Member State“). 90 De-Larosière-Bericht, Rn. 105. 86 87
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
155
aa) Unionsrecht (MiFID II)
Gem. Art. 5 Abs. 1 MiFID II schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und/oder die Ausübung von Anlagetätigkeiten als übliche berufliche oder gewerbliche Tätigkeit der vorherigen Zulassung bedarf. Die jeweiligen Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten sind in Anhang I Abschnitt A MiFID II aufgeführt. Eine Erlaubnispflicht wird jeweils nur dann ausgelöst, wenn sich diese Tätigkeiten auf Finanzinstrumente beziehen (Anhang I Abschnitt C MiFID II).
34
Fallbeispiel („Khorassani“): Im Einzelfall kann die Beurteilung, ob eine bestimmte Tätigkeit als eine erlaubnispflichtige Wertpapierdienstleistung qualifiziert, Schwierigkeiten aufwerfen. So hatte der EuGH in einem Urteil vom 14. Juni 2017 in der Rechtssache Khorassani darüber zu entscheiden, ob die Vermittlung von Portfolioverwaltungsverträgen eine erlaubnispflichtige „Annahme und Übermittlung von Aufträgen über Finanzinstrumente“ darstellt.91 Die Beklagte, die nicht über eine Erlaubnis zur Erbringung von Finanzdienstleistungen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG verfügte, vermittelte dem Kläger einen Vermögensverwaltungsvertrag mit in Liechtenstein ansässigen Gesellschaften, der die Anschaffung, Veräußerung und Verwaltung von Finanzinstrumenten zum Gegenstand hatte. Der Kläger begehrte Rückzahlung der gezahlten Beträge sowie die Zahlung von Schadensersatz (gestützt auf eine Schutzgesetzverletzung gem. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 32 Abs. 1 KWG, s. u.). Er argumentierte, dass die Beklagte erlaubnispflichtige Anlagevermittlung gem. § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG betrieben hat (wodurch der in Anhang 1, Abschnitt A (1) MiFID II genannte Tatbestand ins nationale Recht umgesetzt wurde). Der Kläger berief sich dabei auf das von der BaFin veröffentlichte Merkblatt zur Anlagevermittlung, wonach sich die Vermittlung von Vermögensverwaltungsverträgen grundsätzlich als erlaubnispflichtige Wertpapierdienstleistung qualifiziert. Dem trat das KG Berlin mit dem Argument entgegen, dass sich der Vermögensverwaltungsvertrag auf die Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten bezieht, dieser selbst aber kein Finanzinstrument sei. Auf Vorlage des BGH entschied der EuGH, dass das Kataloggeschäft nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Anhang I Abschnitt A Nr. 1 MiFID nur Aufträge erfasse, die sich unmittelbar auf ein bestimmtes Finanzinstrument beziehen. Dies sei bei der Vermittlung eines Vermögensverwaltungsvertrags nicht der Fall.
35
bb) Erlaubnispflichtige Finanzdienstleistungen in Deutschland (1) Erlaubnispflichtige Tätigkeiten
Die Erlaubnispflichten müssen in das nationale Recht umgesetzt werden. In Deutschland ist der Katalog der erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistungen in § 1 Abs. 1a KWG definiert. Die Erlaubnistatbestände werden durch zahlreiche Merkblätter der BaFin konkretisiert. Die Reichweite der Erlaubnistatbestände geht in Deutschland zum Teil über die unionsrechtlichen Vorgaben der MiFID II hinaus.92 EuGH, Urteil vom 14.6.2017, C-678/15, BKR 2017, 475. Vgl. für Einzelheiten zu den einzelnen Finanzdienstleistungen gem. § 1(1a) KWG Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 1 KWG Rn. 129 ff. Vgl. auch die Übersicht bei Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 53 ff. 91 92
36
156 37
Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
Der Begriff der Finanzdienstleistung (bzw. des Finanzdienstleistungsinstituts) geht auf die 6. KWG-Novelle von 1997 zurück. Bei dem Katalog von Finanzdienstleistungen handelt es sich zum Teil um Wertpapierdienstleistungen im Sinne der MiFID II. Ähnlich wie bei Bankgeschäften enthält das Kreditwesengesetz verschiedene Erlaubnistatbestände, die vom Unionsgesetzgeber nicht vorgesehen bzw. gefordert sind. Finanzdienstleistungsinstitute werden Kreditinstituten gleichgestellt und im Kreditwesengesetz einheitlich als „Institute“ definiert.93 Allerdings sieht das KWG für Finanzdienstleistungen bestimmte Ausnahmetatbestände sowie Erleichterungen vor.94 95 96 Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Anlagevermittlung
§ 1(1a) S. 2 Nr. 1
Vermittlung von Geschäften über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten
Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 1 MiFID II
Merkblatt Anlagevermittlung (Stand: 17.5. 2011, geändert am: 13.7. 2017) 95
Anlageberatung
§ 1(1a) S. 2 Nr. 1a
Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden oder deren Vertreter, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen, sofern die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird
Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 5 MiFID II
Gemeinsames Informationsblatt der BaFin und der Deutschen Bundesbank zum Tatbestand der Anlageberatung (Stand: 13.5.2011, geändert am: 15.11.2017) 96
§ 1 Abs. 1b KWG. Vgl. u. a. die Ausnahmetatbestände in § 2 Abs. 6–12 KWG. Für eine Übersicht über die von den verschiedenen „Typen“ von Finanzdienstleistungen einzuhaltenden Anzeige- und Meldepflichten vgl. die Tabelle der Deutschen Bundesbank, abrufbar unter: https://www.bun desbank.de/resource/blob/597940/87179e6495d44530bb85ff4a5cfcf356/mL/anzeige-meldevor schriften-fdi-data.pdf. 95 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_091204_tatbestand_anlagevermittlung.html. 96 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_ 110513_anlageberatung_neu.html. 93 94
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
157
97 98
Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Betrieb eines multilateralen Handelssystems
§ 1(1a) S. 2 Nr. 1b
Betrieb eines multilateralen Systems, das die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach festgelegten Bestimmungen in einer Weise zusammenbringt, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt
Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 8 MiFID II
Merkblatt multilaterales Handelssystem (Stand: 7.12.2009, geändert am: 25.7.2013)
Platzierungsgeschäft
§ 1(1a) S. 2 Nr. 1c
Platzieren von Finanzinstrumenten ohne feste Übernahmeverpflichtung
Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 7 MiFID II
Merkblatt Platzierungsgeschäft (Stand: 10.12.2009, geändert am: 25.7.2013) 97
Betrieb eines organisierten Handelssystems
§ 1(1a) S. 2 Nr. 1d
Betrieb eines multilateralen Systems, bei dem es sich nicht um einen organisierten Markt oder ein multilaterales Handelssystem handelt und das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Schuldverschreibungen, strukturierten Finanzprodukten, Emissionszertifikaten oder Derivaten innerhalb des Systems auf eine Weise zusammenführt, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt
Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 9 MiFID II
Abschlussvermittlung
§ 1(1a) S. 2 Nr. 2
Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten im fremden Namen für fremde Rechnung
Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 2 MiFID II
Merkblatt Abschlussvermittlung (Stand: 7.12.2009, geändert am: 11.9.2014) 98
97 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_091211_tatbestand_platzierungsgeschaeft.html. 98 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_091207_tatbestand_abschlussvermittlung.html.
158
Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
99 100 101 102
Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Finanzportfolioverwaltung
§ 1(1a) S. 2 Nr. 3
Verwaltung einzelner in Finanzinstrumenten angelegter Vermögen für andere mit Entscheidungsspielraum
Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 4 MiFID II
Hinweise zum Tatbestand der Finanzportfolioverwaltung (Stand: 3.1.2011, geändert am: 25.7.2018) 99
Eigenhandel
§ 1(1a) S. 2 Nr. 4
Anschaffen oder Veräußern von Finanzinstrumenten für eigene Rechnung als Dienstleistung für andere (sowie weitere Tatbestände)
Art. 4 Abs. 1 Nr. 6 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 3 MiFID II
Hinweise zu den Tatbeständen des Eigenhandels und des Eigengeschäfts (Stand: 22.3.2011, geändert am: 15.5.2018) 100
Drittstaateneinlagenvermittlung
§ 1(1a) S. 2 Nr. 5
Vermittlung von Einlagengeschäften mit Unternehmen mit Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums
N/A
Merkblatt Drittstaateneinlagenvermittlung (Stand: 8.12. 2009)101
Kryptoverwahrgeschäft
§ 1(1a) S. 2 Nr. 6
Verwahrung, Verwaltung und Sicherung von Kryptowerten oder privaten kryptografischen Schlüsseln, die dazu dienen, Kryptowerte zu halten, zu speichern oder zu übertragen, für andere
N/A
Merkblatt Kryptoverwahrgeschäft (Stand: 2.3.2020)102
99 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_091208_tatbestand_finanzportfolioverwaltung.html. 100 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_091204_tatbestand_drittstaateneinlagenvermittlung.html. 101 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_091204_tatbestand_drittstaateneinlagenvermittlung.html. 102 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_200302_kryptoverwahrgeschaeft.html.
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs 103 104
159
105
Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Sortengeschäft
§ 1(1a) S. 2 Nr. 7
Handel mit Sorten
N/A
Merkblatt – Hinweise zum Angebot von Banknoten und Münzen im Internet (Stand: 24.7.2007, geändert am: 7.2.2018)103
Factoring
§ 1(1a) S. 2 Nr. 9
Laufender Ankauf von Forderungen auf der Grundlage von Rahmenverträgen mit oder ohne Rückgriff
N/A
Merkblatt Factoring (Stand: 5.1.2009)104 Gem. § 2(7a) KWG finden auf Factorgesellschaften verschiedene Vorschriften des KWG und der CRR keine Anwendung
Finanzierungsleasing
§ 1(1a) S. 2 Nr. 10
Abschluss von Finanzierungsleasingverträgen als Leasinggeber und die Verwaltung von Objektgesellschaften im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 1 Nummer 17 außerhalb der Verwaltung eines Investmentvermögens im Sinne des § 1 Abs. 1 des Kapitalanlagegesetzbuchs
N/A
Merkblatt Finanzierungsleasing (Stand: 19.1.2009)105 Gem. § 2(7a) KWG finden auf Finanzierungsleasing verschiedene Vorschriften des KWG und der CRR keine Anwendung
103 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_070724_banknoten.html. 104 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090105_tatbestand_factoring.html. 105 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_090119_tatbestand_finanzierungsleasing.html.
160
Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
106 107 108 109
Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Anlageverwaltung
§ 1(1a) S. 2 Nr. 11
Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten außerhalb der Verwaltung eines Investmentvermögens im Sinne des § 1 Abs. 1 des Kapitalanlagegesetzbuchs für eine Gemeinschaft von Anlegern, die natürliche Personen sind, mit Entscheidungsspielraum bei der Auswahl der Finanzinstrumente, sofern dies ein Schwerpunkt des angebotenen Produktes ist und zu dem Zweck erfolgt, dass diese Anleger an der Wertentwicklung der erworbenen Finanzinstrumente teilnehmen
N/A106
Merkblatt Anlageverwaltung (Stand: 13.10.2011, geändert am: 26.7.2013) 107
Eingeschränktes Verwahrgeschäft
§ 1(1a) S. 2 Nr. 12
Verwahrung und die Verwaltung von Wertpapieren ausschließlich für alternative Investmentfonds (AIF) im Sinne des § 1 Abs. 3 des Kapitalanlagegesetzbuchs
N/A108
Merkblatt Verwahrgeschäft (Stand: 17.7.2013) 109
106 Abhängig von der Ausgestaltung ggf. eine Wertpapierdienstleistung i. S. d. MiFID II. 107 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/
mb_140226_tatbestand_anlageverwaltung.html. 108 Unterfall des Depotgeschäfts (Nebendienstleistung gem. Anhang I Abschnitt B MiFID II). 109 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_130717_tatbestand_verwahrgeschaeft.html.
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
161
110 111
Tatbestand
Vorschrift (KWG)
Definition
Unionsrecht
Merkblatt (BaFin)
Eigengeschäft
§ 1(1a) S. 3 und 4 § 32(1a)110
Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten für eigene Rechnung, die nicht Eigenhandel im Sinne des § 1 Abs. 1a Satz 2 Nummer 4 KWG sind. Betreiben des Eigengeschäfts als Mitglied oder Teilnehmer eines organisierten Marktes oder eines multilateralen Handelssystems oder mit einem direkten elektronischen Zugang zu einem Handelsplatz oder mit Warenderivaten, Emissionszertifikaten oder Derivaten auf Emissionszertifikaten.
Art. 4 Abs. 1 Nr. 6 2 i. V. m. Anhang I Abschnitt A Nr. 3 MiFID II Ausnahmen in Art. 2(1) lit. d MiFID II
Hinweise zu den Tatbeständen des Eigenhandels und des Eigengeschäfts (Stand: 22.3.2011, geändert am: 15.5.2018) 111
Abbildung 7.2: Erlaubnispflichtige Finanzdienstleistungen in Deutschland.
(2) Finanzinstrumente
Entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben lösen die vorgenannten Finanzdienstleistungen nur dann eine Erlaubnispflicht aus, wenn sich diese auf Finanzinstrumente beziehen. Dieser Begriff ist in § 1 Abs. 11 KWG definiert; er geht in Teilen über die Vorgaben des Unionsrechts hinaus. Die „paradigmatische“ Form eines Finanzinstruments sind „Wertpapiere“ im Sinne des § 1 Abs. 11 Nr. 1 KWG (vgl. Anhang 1, Abschnitt C(1) MiFID II).112 Diese umfassen Aktien und andere Anteile an in- oder ausländischen juristischen Personen, Personengesellschaften und sonstigen Unternehmen, soweit sie mit Aktien vergleichbar sind, sowie Hinterlegungsscheine, die Aktien oder mit Aktien vergleichbare Anteile vertreten. Es sind daneben auch weitere Instrumente von der Definition des Finanzinstruments erfasst wie beispielsweise 110 Zu den Übergangsvorschriften für das Eigengeschäft gem. § 32(1a) KWG vgl. das Informationsblatt für die Teilnehmer und Mitglieder der deutschen Börse zur Erlaubnispflicht des Eigengeschäfts und die Anwendung des § 64x Abs. 8 Satz 1 KWG ab 3. Januar 2018 (bisher § 64v Abs. 8 Satz 1 KWG-Neu), abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroef fentlichungen/DE/Anlage/171205_Informationsblatt_Erlaubnispflicht_grenzueberschreitende Ge.html. 111 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/ mb_110322_eigenhandel_eigengeschaeft_neu.html. 112 Vgl. hierzu BaFin, Hinweise zu Finanzinstrumenten nach § 1 Abs. 11 Sätze 1 bis 3 KWG (Aktien, Vermögensanlagen, Schuldtitel, sonstige Rechte, Anteile an Investmentvermögen, Geldmarktinstrumente, Devisen, Rechnungseinheiten und Emissionszertifikate), Stand: 20.12.2011, geändert am: 26.2.2020, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroef fentlichungen/DE/Merkblatt/mb_111220_finanzinstrumente.html.
38
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162
40
Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
bestimmte Schuldtitel113, Optionsscheine114, Anteile am Investmentvermögen115, Geldmarktinstrumente116, Devisen oder Rechnungseinheiten117 sowie Derivate.118 Ebenfalls als Finanzinstrument qualifizieren bestimmte Vermögensanlagen gem. § 1 Abs. 2 Vermögensanlagengesetz.119 Kontrovers diskutiert wurde, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Kryptowährungen wie beispielsweise Bitcoins als Finanzinstrumente im Sinne des KWG zu qualifizieren sind. In Deutschland vertrat die BaFin die Auffassung, dass Bitcoins und andere digitale Zahlungsmittel „Rechnungseinheiten“ und damit Finanzinstrumente im Sinne von § 1 Abs. 11 Nr. 7 KWG sind. Dem ist das KG Berlin mit Urteil vom 25. September 2018 entgegengetreten.120 Der deutsche Gesetzgeber hat mit Wirkung zum 1. Januar 2020 den Tatbestand des erlaubnispflichtigen Kryptoverwahrgeschäfts eingeführt.121 Zugleich wurde der Katalog der Finanzinstrumente um „Kryptowerte“ erweitert.122 Hiermit wurde die Rechtsauffassung der BaFin vom nationalen Gesetzgeber bestätigt. Unionsrechtlich ist die Behandlung von Kryptowerten bislang nicht harmonisiert. c) Zulassungspflichten von Finanzholdinggesellschaften
41
42
Nach bisheriger Rechtslage trifft die Erlaubnispflicht das jeweilige Kreditinstitut bzw. die Wertpapierfirma. Für Finanzholdinggesellschaften sah weder das Unionsrecht noch das deutsche Kreditwesengesetz eine Zulassungspflicht vor.123 Mit Verabschiedung der CRD V hat der europäische Gesetzgeber erstmals eine Pflicht zur Zulassung von bestimmten (gemischten) FinanzholdinggesellVgl. § 1 Abs. 11 Nr. 3 KWG. Vgl. § 1 Abs. 11 Nr. 4 KWG. Vgl. § 1 Abs. 11 Nr. 5 KWG. Vgl. § 1 Abs. 11 Nr. 6 KWG. Vgl. § 1 Abs. 11 Nr. 7 KWG. Vgl. § 1 Abs. 11 Nr. 8 KWG. Dieser Verweis auf § 1(2) Vermögensanlagengesetz in § 1 Abs. 11 Nr. 2 KWG wirft zahlreiche Auslegungsprobleme auf. Als Vermögensanlagen werden dort als Auffangtatbestand „sonstige Anlagen“ genannt, die „eine Verzinsung und Rückzahlung oder einen vermögenswerten Barausgleich im Austausch für die zeitweise Überlassung von Geld gewähren oder in Aussicht stellen“. Hierunter könnten nach dem Gesetzeswortlaut auch einfache Kredite subsumiert werden. Dies wäre mit dem Sinn und Zweck des Begriffs des Finanzinstruments aber nicht vereinbar. Der Verweis auf § 1(2) Vermögensanlagengesetz ist daher einschränkend dahingehend auszulegen, dass einfache Kreditforderungen nicht tatbestandlich erfasst werden. 120 KG Berlin, Urteil vom 25.9.2018, (4) 161 Ss 28/18 (35/18) –, juris. 121 Vgl. § 1(1a) Satz 2 Nr. 6 KWG. Zu den Praxisproblemen Behrens/Schadtle, WM 2019, 2099. 122 § 1(11) Satz 1 Nr. 10 KWG. Kryptowerte werden definiert als „digitale Darstellungen eines Wertes, der von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzt, aber von natürlichen oder juristischen Personen aufgrund einer Vereinbarung oder tatsächlichen Übung als Tausch- oder Zahlungsmittel akzeptiert wird oder Anlagezwecken dient und der auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden kann“ (§ 1(11) Satz 3 KWG). 123 Zum Begriff der Finanzholdinggesellschaft § 16 Rn. 7 und 22 ff. 113 114 115 116 117 118 119
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
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schaften angeordnet.124 Mit der Zulassungspflicht geht eine Konsolidierungsverantwortung der Finanzholdinggesellschaften einher. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Gruppenaufsicht gesellschaftsrechtlich umgesetzt werden können (vgl. dazu im Einzelnen § 15 und § 16).125 Die Vorgaben des europäischen Gesetzgebers wurden durch das Risikoreduzierungsgesetz in das KWG umgesetzt.126 Sie sind von den betreffenden Gesellschaften ab dem 28. Dezember 2020 zu erfüllen.127 Hiernach bedürfen (gemischte) Mutterfinanzholdinggesellschaften128, die an der Spitze einer Gruppe stehen, die von der Aufsichtsbehörde auf zusammengefasster Basis beaufsichtigt wird, der schriftlichen Zulassung durch die Aufsichtsbehörde. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Finanzholdinggesellschaften von der Zulassungspflicht ausgenommen.129 Eine Zulassung ist insbesondere dann nicht erforderlich, wenn die Finanzholdinggesellschaft nicht an der Führung der Geschäfte auf Gruppenebene beteiligt ist (d. h. diese keine operativen Managementaufgaben übernimmt).130 Mit dieser Zulassungspflicht von Finanzholdinggesellschaften (sowie der daran anknüpfenden Konsolidierungsverantwortung) hat der europäische Gesetzgeber Neuland betreten. Diese Neuregelung hat auch Auswirkungen auf die Corporate Governance innerhalb der Finanzholding-Gruppe. So müssen zulassungspflichtige Finanzholdinggesellschaften (ebenso wie Kreditinstitute) nunmehr über mindestens zwei Geschäftsleiter verfügen.131 Es ist zu erwarten, dass die Erwartungen der Aufsichtsbehörden an die Qualifikation und Zuverlässigkeit der Geschäftsleiter von zulassungspflichtigen Finanzholdinggesellschaften steigen werden.132 Es werden vom europäischen Gesetzgeber zudem Anforderungen an die ordnungsgemäße Gruppenorganisation und Gruppensteuerung durch die Finanzholdinggesellschaft aufgestellt. So setzt die Zulassung voraus, dass es angemessene und geeignete „interne Vereinbarungen“ innerhalb der Gruppe gibt, alle Tochterunternehmen zu steuern und die festgesetzten Strategien innerhalb der Gruppe durchzusetzen.133 Der europäische Gesetzgeber setzt damit den Trend fort, den übergeordneten Unternehmen eine aufsichtsrechtliche Steuerungsverantwortung für die gruppenangehörigen Unternehmen aufzuerlegen, die über die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Anforderungen hinausgeht.134 124 Art. 21a CRD (in der durch CRD V ergänzten Fassung). Keine Zulassungspflicht wird ausgelöst, wenn die kumulativen Voraussetzungen des Art. 21a(4) CRD erfüllt sind. 125 Erwägungsgrund (3) CRD V. 126 § 2f KWG in der Fassung des Risikoreduzierungsgesetzes. In Anlehnung an die Terminologie der CRD V verwendet das KWG hier den Begriff „Zulassung“ (und nicht wie in § 32 KWG den Begriff „Erlaubnis“). 127 Für Finanzholdinggesellschaften, die von der Regelung des § 2f KWG betroffen sind und die bereits am 29.6.2019 bestanden, sieht § 64a(1) KWG vor, dass diese bis zum 28.6.2021 einen Antrag stellen. 128 Zum aufsichtsrechtlichen Gruppenbegriff vgl. § 16 Rn. 5 ff. 129 Vgl. Art. 21a(4) CRD (in der durch CRD V ergänzten Fassung); § 2f(4) KWG. 130 § 2f(4) Satz 1 Nr. 4 KWG. Hierdurch wird Art. 21a(4) lit. d CRD V umgesetzt. 131 § 2f (3) Satz 1 Nr. 3 KWG. Hierdurch wird Art. 21a(2) lit. b CRD V umgesetzt. 132 Zu diesen fit-and-properness-Anforderungen vgl. § 12 Rn. 36 ff. 133 § 2f(3) Satz 1 Nr. 3 KWG (in Umsetzung von Art. 21a(3) CRD V). 134 Vgl. hierzu im Einzelnen § 16 Rn. 44 ff.
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d) Reformen durch das IFD/IFR-Regime 45
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Bislang mussten neben Kreditinstituten prinzipiell auch Wertpapierfirmen die Anforderungen des CRD/CRR-Regimes – einschließlich der in Teil 4 behandelten Vorgaben an die laufende Aufsicht – einhalten. Im Zuge der Verabschiedung des IFD/IFR-Regimes wurde die Rechtslage mit Wirkung zum 26. Juni 2021 reformiert.135 Es wurden vom europäischen Gesetzgeber vier Kategorien von Wertpapierfirmen eingeführt. Eine erste Kategorie bilden die bereits behandelten „systemrelevanten“ Wertpapierfirmen mit einer konsolidierten Bilanzsumme von EUR 30 Mrd.136 Diese unterliegen wie bislang dem CRD/CRR-Regime und qualifizieren zukünftig als Kreditinstitute im Sinne der CRR. Sie sind im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus der direkten Aufsicht der EZB unterstellt. Eine zweite Kategorie von Wertpapierfirmen bilden Unternehmen, die auch weiterhin dem CRD/CRR-Regime unterliegen (aber nicht der Aufsicht der EZB unterworfen sind). Es handelt sich hierbei um Wertpapierfirmen, die den Handel für eigene Rechnung bzw. das Emissionsgeschäft ausüben und über eine Bilanzsumme von mindestens EUR 15 Mrd. verfügen.137 Die zuständigen Behörden können zudem unter bestimmten Voraussetzungen per Beschluss bestimmen, dass Wertpapierfirmen dem CRD/CRR-Regime unterliegen, sofern diese über eine Bilanzsumme von mindestens EUR 5 Mrd. verfügen.138 Schließlich können die zuständigen Behörden einer Wertpapierfirma auf Antrag gestatten, weiterhin das CRD/CRR-Regime anzuwenden.139 Die dritte und vierte Kategorie von Wertpapierfirmen sind nunmehr nicht mehr dem CRD/CRR-Regime unterworfen, sondern unterliegen einem eigenständigen (abgespeckten) Aufsichtsregime für Wertpapierfirmen. Das neue Aufsichtsregime unter der Ägide der Wertpapierfirmen-Richtlinie bzw. Wertpapierfirmen-Verordnung weicht deutlich vom CRD/CRR-Regime ab. So sind die Kapitalanforderungen weitgehend durch sog. K-Faktoren zu bestimmen. Diese hängen u. a. vom Volumen der verwalteten Assets ab. Der neue Regelungszugriff des europäischen Gesetzgebers hinsichtlich der prudenziellen Regulierung von Wertpapierfirmen ist bemerkenswert. Er ist erkennbar von dem Bestreben geprägt, das Proportionalitätsprinzip im Aufsichtsrecht zu stärken.140 Der differenzierte Regulierungsansatz für Wertpapierfirmen trägt dem Umstand Rechnung, dass das vom Basler Ausschuss konzipierte Regime vorwiegend auf große Banken zugeschnitten ist. Die von Wertpapierfirmen ausgehenden Risiken unterscheiden sich allerdings typischerweise von denen einer traditionellen Bank.141 135 Vgl. hierzu bereits § 2 Rn. 55. 136 Hierzu § 6 Rn. 20. 137 Art. 1(2) lit. a bzw. lit. b Wertpapierfirmen-VO bzw. Art. 2(2) Wertpapierfirmen-VO.
Der Schwellenwert von EUR 15 Mrd. ist entweder individuell oder zusammengefasst auf konsolidierter Ebene zu erfüllen (typengleiche Wertpapierfirmen innerhalb der Gruppe). 138 Art. 1(2) lit. c Wertpapierfirmen-VO i. V. m. Art. 5(1) der Wertpapierfirmen-RL. 139 Art. 1(5) Wertpapierfirmen-VO. 140 Hierzu noch § 18 Rn. 15 ff. 141 Zu diesem Regelungsmotiv Erwägungsgrund (5) Wertpapierfirmen-VO.
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III. Erlaubnisverfahren und Erlaubnisvoraussetzungen 1. Voraussetzungen und Versagungsgründe
Die einzelnen Voraussetzungen und Versagungsgründe werden vom Unionsgesetzgeber nur grob umrissen. Die folgenden Ausführungen illustrieren überblicksartig die Anforderungen im deutschen Recht.
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a) Anspruch auf Erlaubniserteilung
Einer Erlaubnis gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG der zuständigen Aufsichtsbehörde142 bedarf, wer gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen im Inland143 erbringen will. Als Ausprägung der Gewerbefreiheit hat der Antragstellende grundsätzlich einen Anspruch auf Erlaubniserteilung, wenn keiner der in § 33 Abs. 1 und Abs. 2 KWG aufgeführten Versagungsgründe vorliegt.144 Das Kreditwesengesetz sieht vor, dass die BaFin145 dem Antragsteller binnen sechs Monaten nach Einreichung der vollständigen Unterlagen für einen Erlaubnisantrag mitteilt, ob eine Erlaubnis erteilt oder versagt wird.146 In der Praxis nehmen Erlaubnisverfahren jedoch oft eine deutlich längere Bearbeitungszeit in Anspruch.
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b) Versagungsgründe
Die Versagungsgründe sind im deutschen Recht insbesondere in § 33 Abs. 1 und 2 KWG normiert.147 Das Gesetz unterscheidet zwischen zwingenden Versagungsgründen, bei deren Vorliegen die Erlaubnis nicht erteilt werden darf (vgl. § 33 Abs. 1 KWG), sowie den in § 33 Abs. 2 KWG normierten, in das Ermessen der Aufsichtsbehörde gestellten Versagungsgründen. Zu den zwingenden Versagungsgründen gehören sowohl qualitative als auch quantitative Anforderungen. Es lassen sich betriebsbezogene Anforderungen einerseits sowie persönliche Anforderungen an den Antragsteller, den Inhaber bzw. die Geschäftsleiter des Instituts andererseits unterscheiden.148
142 Dazu unten Rn. 58 ff. 143 Zur Erbringung von Bankgeschäften „im Inland“ in grenzüberschreitenden Sachverhal-
ten vgl. unten Rn. 103 ff. 144 § 33(3) KWG. Vgl. hierzu auch Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 66. 145 Zur Kompetenzfrage noch unten Rn. 58 ff. 146 § 33(4) KWG. 147 Ausführlich dazu u. a. die Kommentierung von Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/SchulteMattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 33. Übersichtliche Kurzdarstellung bei Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 67 ff. 148 Zu dieser Einteilung Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 33 Rn. 5 ff., 25 ff.
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aa) Zwingende Versagungsgründe (1) Betriebsbezogene Anforderungen 53
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Zu den betriebsbezogenen Anforderungen zählen zunächst die Vorgaben an das Anfangskapital.149 Bei CRR-Kreditinstituten beträgt das Mindestkapital EUR 5 Mio.150 Für Finanzdienstleistungsinstitute sind die Mindestkapitalanforderungen abhängig von den erbrachten Dienstleistungen reduziert.151 Die Eigenmittel müssen sich jeweils aus Bestandteilen des harten Kernkapitals (siehe § 8 Rn. 29 ff.) zusammensetzen. Weitere Erlaubnisvoraussetzung ist, dass die Hauptverwaltung des Instituts ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat.152 Hierdurch wird die weiter oben angesprochene Vorgabe aus Art. 13 Abs. 2 CRD umgesetzt.153 Schließlich setzt die Erlaubniserteilung voraus, dass das Institut bereit und in der Lage ist, die „erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen“ zum ordnungsgemäßen Betreiben der Geschäfte, für die es die Erlaubnis beantragt, zu schaffen.154 Die Organisationsanforderungen werden in § 12 behandelt. (2) Sonstige Anforderungen
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Weitere Anforderungen knüpfen u. a. an die persönliche Zuverlässigkeit des Antragstellers sowie an die Zuverlässigkeit und fachliche Eignung des Inhabers bzw. der Geschäftsleiter des Antragstellers an.155 Ebenfalls überprüft wird, ob Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die Geschäftsleiter nicht über ausreichend Zeit zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben verfügen bzw. gegen die in § 25c Abs. 2 KWG normierten Mandatsbegrenzungen verstoßen.156 Versagungsgründe können sich schließlich aus einer Unzulässigkeit der Anteilseigner ergeben.157 bb) In das Ermessen der Aufsicht gestellte Versagungsgründe
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Die Erlaubnis kann ferner versagt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine wirksame Aufsicht über das Institut beeinträchtigt wird.158 Als Beispiel dafür werden vom deutschen Gesetzgeber intransparente § 33(1) Satz 1 Nr. 1 KWG. § 33(1) Satz 1 Nr. 1 lit. d KWG. Vgl. im Einzelnen § 33(1) Satz 1 Nr. 1 lit. a–g KWG. § 33(1) Satz 1 Nr. 6 KWG. Siehe oben Rn. 9 f. § 33(1) Satz 1 Nr. 7 KWG. § 33(1) Satz 1 Nr. 2 und 4 KWG. § 33(1) Satz 1 Nr. 4a und 4b KWG. Hiermit wird Art. 13(1) Unterabs. 2 CRD umgesetzt. Ausführlich zu den fit-and-proper-Anforderungen § 12 Rn. 36 ff. 157 § 33(1) Satz 1 Nr. 3 KWG. Kritisch hierzu Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/SchulteMattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 33 Rn. 64 (mit dem zutreffenden Hinweis, dass eine bereits ab 10 % greifende Beteiligungskontrolle vor dem Hintergrund des damit verbundenen bürokratischen Aufwandes ein faktisches Investitionshindernis für Kapitalgeber aus weiten Teilen der Welt bedeutet). 158 § 33(2) Satz 1 KWG. 149 150 151 152 153 154 155 156
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Konzernstrukturen genannt. Eine Beeinträchtigung der Aufsicht liegt nach den Vorgaben des KWG insbesondere dann vor, wenn das Institut mit anderen Personen in einem Unternehmensverbund eingebunden ist oder in einer engen Verbindung159 zu einem solchen steht, der durch die Struktur der Beteiligungsgeflechte oder durch mangelhafte wirtschaftliche Transparenz eine wirksame Aufsicht beeinträchtigt.160 Als weiterer Versagungsgrund werden etwaige Rechts- und Verwaltungsvorschriften von Drittstaaten genannt, die eine wirksame Aufsicht über das Institut beeinträchtigen können.161 Gleiches gilt, wenn der Antragsteller ein Tochterunternehmen eines ausländischen Mutterinstituts ist, das einer unzureichenden oder unkooperativen Aufsicht in seinem Sitzstaat unterliegt.162 2. Zuständigkeit und Verfahren a) Kompetenzverteilung
Die Zuständigkeit für die Erteilung der Zulassung ist gespalten: Im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus ist die EZB für die Zulassungserteilung (sowie deren Entzug) für CRR-Kreditinstitute zuständig.163 Als common-procedure-Maßnahme gilt dies unabhängig davon, ob es sich um ein bedeutendes Institut handelt oder nicht. Für sonstige Institute bleibt die Zuständigkeit im Ausgangspunkt bei der BaFin. Der Wortlaut des Art. 14 SSM-VO bzw. Art. 78 Abs. 5 SSM-RVO könnte dahingehend interpretiert werden, dass sich die Kompetenz der EZB nur auf das Einlagen- bzw. Kreditgeschäft bezieht.164 Für sonstige Erlaubnistatbestände (etwa weitergehende Erlaubnistatbestände nach nationalem Recht bzw. Erlaubnispflichten gem. MiFID II) würde die Zulassungskompetenz hiernach bei den nationalen Aufsichtsbehörden (in Deutschland bei der BaFin bzw. der Deutschen Bundesbank) verbleiben. Dies entspricht auch der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers.165 Die EZB geht dagegen von einer deutlich weitergehen-
159 Vgl. Art. 4(1) Nr. 38 CRR (direktes oder indirektes Halten von mindestens 20 % der Anteile). 160 § 33(2) Satz 2 Nr. 1 KWG. 161 § 33(2) Satz 2 Nr. 2 KWG. 162 § 33(2) Satz 2 Nr. 3 KWG. Hierzu Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 33 Rn. 74. 163 Vgl. Art. 14 SSM-VO sowie Art. 73 ff. SSM-RVO. 164 Art. 14(1) SSM-VO (Aufnahme eines Kreditinstituts). Zu diesem Problemkreis auch Glos/Benzig, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 124; Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 701 ff. 165 BT-Drucks. 18/2575, S. 196: „Die Zuständigkeit der EZB beschränkt sich auf die Zulassung zum Betreiben des Einlagen- und Kreditgeschäfts (§ 1 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 und 2 KWG). Für alle anderen Institute und alle sonstigen Erlaubnistatbestände in § 1 Absatz 1 und Absatz 1a KWG oder in Spezialgesetzen verbleibt diese Zuständigkeit bei der Bundesanstalt“.
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den Kompetenz aus.166 Diese soll sich jedenfalls auf diejenigen Tätigkeiten beziehen, die in Anhang I der CRD genannt werden (also die vom „Europäischen Pass“ umfassten Tätigkeiten, s. u.). Darüber hinaus erstreckt sich die Kompetenz der EZB nach deren Ansicht auch auf sonstige Zulassungen für Tätigkeiten, die durch nationales Recht begründet werden.167 60
Rechtspolitisch ist die von der EZB verfolgte Zielsetzung, eine „Aufspaltung“ von Zulassungskompetenzen für CRR-Institute zu vermeiden, nachvollziehbar und im Sinne der Verfahrenseffizienz zu begrüßen. Vor dem Hintergrund der beschränkten Kompetenzübertragung erscheint es allerdings fraglich, ob das extensive Verständnis der EZB mit dem geltenden Unionsrecht vereinbar ist.168
b) Verfahrensablauf 61
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Auch bei Zuständigkeit der EZB innerhalb des SSM ist der Zulassungsantrag an die nationalen Aufsichtsbehörden des Mitgliedstaates (in Deutschland: die BaFin sowie die Deutsche Bundesbank) zu richten, in dem das Kreditinstitut seinen Sitz haben soll.169 Das Verfahren ist durch eine Arbeitsteilung zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden geprägt:170 Letztere informieren die EZB innerhalb von 15 Arbeitstagen über den Eingang des Antrags.171 Die zuständige nationale Aufsichtsbehörde teilt der EZB zudem die Frist mit, innerhalb derer ein Beschluss über den Antrag zu fassen und dem Antragsteller nach dem einschlägigen nationalen Recht zu bescheiden ist.172 In der ersten Phase des Zulassungsverfahrens wird der Antrag von der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörde daraufhin geprüft, ob der Antragsteller alle im einschlägigen Recht des Mitgliedstaats der jeweiligen Behörde festgelegten Zulassungsbedingungen erfüllt.173 Ist dem nicht der Fall, lehnt die nationale Aufsichtsbehörde (und nicht die EZB) den Antrag ab.174 Erfüllt der Antrag nach Auffassung der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörde alle im einschlägigen nationalen Recht festgelegten Zulassungsbedingungen, arbeitet diese einen Be166 EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungen, März 2018, Ziffer 4.3; ECB, Additional clarification regarding ECB’s competence to excercise supervisory powers granted under national law, 31.3.2017, Annex II. 167 EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungen, März 2018, Ziffer 4.3 (mit der Einschränkung, dass diese „Tätigkeiten gemäß Unionsrecht einer Aufsichtsfunktion unterliegen“). Auch nach der weiten Kompetenzauslegung der EZB setzt deren Zuständigkeit freilich voraus, dass die Zulassung als CRR-Kreditinstitut beantragt wird. Für eine noch weitergehende Zuständigkeit der EZB für sämtliche prudenzielle Erlaubnispflichten Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 701 ff. 168 Kritisch hierzu auch Glos/Benzig, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 124. 169 Art. 14(1) SSM-VO. 170 Ähnlich Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 700 (hybrid procedures). 171 Art. 73(1) SSM-RVO. 172 Art. 73(2) SSM-RVO. 173 Art. 74 SSM-RVO. 174 Art. 75 SSM-RVO.
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schlussentwurf aus, mit dem der EZB die Erteilung der Zulassung zur Aufnahme der Tätigkeit als Kreditinstitut vorgeschlagen wird.175 In der zweiten Phase des Zulassungsverfahrens prüft die EZB den Antrag auf Grundlage der im einschlägigen Unionsrecht festgelegten Zulassungsbedingungen.176 Der Beschlussentwurf gilt als von der EZB angenommen, wenn sie nicht innerhalb eines Zeitraums von höchstens zehn Arbeitstagen (einmalig verlängerbar um maximal zehn weitere Arbeitstage) widerspricht.177
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c) Erforderliche Unterlagen
Die vom Antragsteller im Rahmen des Zulassungsverfahrens einzureichenden Unterlagen sind außerordentlich umfangreich. Die Mindestanforderungen an den Erlaubnisantrag werden in Deutschland in § 32 Abs. 1 Satz 2 KWG umrissen; diese Vorschrift wird durch § 14 der Anzeigeverordnung sowie zwei Merkblätter der Deutschen Bundesbank bzw. der BaFin näher konkretisiert.178 Zudem hat die EZB Leitfäden herausgegeben, die die Anforderungen an das Zulassungsverfahren konkretisieren.179
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IV. Grenzüberschreitende Sachverhalte Eine besondere Bedeutung für den Marktzugang haben grenzüberschreitende Sachverhalte. Im Zuge der Zweiten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie von 1989 wurden mit dem Grundsatz der Herkunftskontrolle sowie dem damit im Zusammenhang stehenden Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungsentscheidungen (EU-Passport bzw. Single-License-Prinzip) wesentliche Strukturprinzipien des europäischen Bankenaufsichtsrechts normiert.180 Diese dienen der Verwirklichung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit.181 Vergleichbare Regelungen finden auch für Wertpapierfirmen182, Zahlungs175 Art. 76(1) SSM-RVO. Vgl. zum Beschlussentwurf in Deutschland auch § 32(7) KWG. Der Entwurf des Zulassungsbeschlusses ist der EZB und dem Antragsteller spätestens 20 Arbeitstage vor dem Ende der nach einschlägigem nationalem Recht für die Prüfung eines Zulassungsbeschlusses vorgesehenen Frist zu übermitteln, vgl. Art. 76(2) SSM-RVO. 176 Art. 77(1) SSM-RVO. 177 Art. 14(3) Satz 1 SSM-VO. 178 Deutsche Bundesbank/BaFin, Merkblatt über die Erteilung einer Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften gemäß § 32 Abs. 1 KWG, Stand: 31.12.2007; Deutsche Bundesbank, Merkblatt über die Erteilung einer Erlaubnis zum Erbringen von Finanzdienstleistungen gemäß § 32 Abs. 1 KWG, Stand: 25.6.2020. 179 EZB, Leitfäden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen, Januar 2019. 180 Zur Rechtsentwicklung oben § 2 Rn. 26 ff. Allgemein zum EU-Pass auch Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 228 ff.; Ohler, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Auf. 2017, § 90 Rn. 11 ff.; Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 84 ff.; Binder, ZEuP 2017, 569, 576 ff. Monografisch Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 60 ff. 181 Vgl. § 3 Rn. 20 ff. 182 Vgl. Art. 39 ff. MiFID II.
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dienstleister183, Versicherungsunternehmen184 sowie Investmentfonds185 Anwendung. Nach dem Prinzip der Herkunftslandkontrolle erfolgt die Aufsicht grundsätzlich durch die zuständige Behörde im Herkunftsland (home state), in dem das jeweilige Institut seinen Sitz hat.186 Im Ausgangspunkt erstreckt sich die Aufsichtsverantwortung der zuständigen Behörde im Herkunftsland auf die Gesamttätigkeit des jeweiligen Instituts, unabhängig davon, ob die Aktivitäten im Herkunftsstaat oder einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden.187 Den Aufnahmemitgliedstaaten stehen insoweit nur begrenzte Residualbefugnisse zu.188 Nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (mutual recognition) von Zulassungsentscheidungen ist ein Institut berechtigt, die von der gegenseitigen Anerkennung erfassten Tätigkeiten ohne erneute Zulassung in anderen Mitgliedstaaten zu erbringen.189 Diese Grundsätze wurden durch die Zweite Bankrechtskoordinationsrichtlinie von 1989 etabliert. Der europäische Gesetzgeber verband hiermit die Hoffnung, den grenzüberschreitenden Austausch von Bank- und Finanzdienstleistungen im europäischen Binnenmarkt zu fördern und damit zur Integration des europäischen Bankensektors beizutragen.190 1. Formen des Marktzugangs
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Es lassen sich drei Grundformen des grenzüberschreitenden Marktzugangs unterscheiden: die Gründung einer Tochtergesellschaft (subsidiary) in einem anderen Mitgliedstaat, die Errichtung von Zweigstellen (branch)191 sowie die 183 Vgl. Art. 28 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/ 65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (Zahlungsdienstleistungs-RL). 184 Vgl. Art. 145 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II)). 185 Vgl. die Übersicht der Passporting-Möglichkeiten unter der OGAW-RL bzw. der AIFMRL auf der Homepage der ESMA (abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/regulation/ fund-management). 186 Vgl. insbesondere Art. 49(1) 1. Halbsatz CRD. 187 Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 61. 188 Siehe unten Rn. 86 ff. 189 Für Einzelheiten unten Rn. 69. 190 Vgl. hierzu auch Binder, ZEuP 2017, 569, 578 f.; Kohtamäki, Die Reform der Bankenaufsicht in der Europäischen Union, 2012, S. 61. 191 Zur Terminologie: Der Begriff der Zweigstelle (branch) wird vom europäischen Gesetzgeber verwendet, vgl. Art. 4(1) Nr. 17 CRR. Der deutsche Gesetzgeber weicht von diesem Sprachgebrauch insoweit ab, als er im Falle von Zweigstellen von Unternehmen mit Sitz in einem anderen EWR-Staat durchweg von „Zweigniederlassungen“ spricht (vgl. § 53b KWG). Der Begriff der „Zweigniederlassung“ wird auch in der deutschen Sprachfassung der MiFID II verwendet (vgl. Art. 4(1) Nr. 30 MiFID II).
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Erbringung von Bank- bzw. Finanzdienstleistungen im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs. Während bei der Gründung von Tochtergesellschaften bzw. Zweigstellen eine physische Präsenz in dem Aufnahmemitgliedstaat errichtet wird, werden bei einem grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr regulierte Tätigkeiten durch Mittel der Fernkommunikation (Telefon, Telefax, Internet etc.) erbracht.192 Zweigstellen werden vom europäischen Gesetzgeber als Betriebsstellen definiert, die einen rechtlich unselbstständigen Teil eines Instituts bilden und sämtliche Geschäfte oder einen Teil der Geschäfte, die mit der Tätigkeit eines Instituts verbunden sind, unmittelbar betreiben.193 Kennzeichnend für eine Zweigstelle sind somit zwei Aspekte: Erstens sind Zweigstellen rechtlich nicht verselbstständigt. Anders als Tochtergesellschaften sind Zweigstellen aus zivilrechtlicher Sicht nicht Träger von Rechten und Pflichten; die Vermögenswerte sind vielmehr dem jeweiligen Institut zugeordnet. Hieraus folgt ein Spannungsverhältnis zwischen der zivilrechtlichen Unselbstständigkeit einerseits und der aus regulatorischer Sicht in bestimmten Bereichen vorgesehenen Verselbstständigung der Zweigstelle andererseits (siehe zur Institutsfiktion bei Drittstaatenzweigstellen noch unten Rn. 105 ff.). Zweitens setzt die Zweigstelle die Existenz einer „Betriebsstelle“ voraus, was eine dauerhafte physische Präsenz in dem jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat impliziert. Im Einzelfall kann es schwierig zu beurteilen sein, ob eine physische Präsenz in einem Mitgliedstaat (und damit eine Zweigstelle im aufsichtsrechtlichen Sinne) gegeben ist.194
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Gründet ein Institut in einem anderen Mitgliedstaat eine (rechtlich selbstständige) Tochtergesellschaft, obliegt sowohl die Zulassung als auch die laufende Aufsicht der Tochtergesellschaft grundsätzlich der zuständigen Behörde des
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192 Für eine Abgrenzung der Marktzugangsformen aus der Perspektive des deutschen Rechts Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53 Rn. 1 ff. 193 Art. 4(1) Nr. 17 CRR. Eine ähnliche Definition findet sich für Wertpapierfirmen in Art. 4(1) Nr. 30 MiFID II (dort in der deutschen Sprachfassung als „Zweigniederlassung“ bezeichnet). 194 Eine Definition des Begriffs findet sich im Unionsrecht nicht. Vgl. hierzu die Mitteilung der Kommission, Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie, 20.6.1997, SEK(97) 1193 endg. In dieser Mitteilung geht die Kommission insbesondere auf die Einordnung von gebundenen Finanzmittlern ein. Nach Ansicht der Kommission müssen drei kumulative Kriterien erfüllt sein, damit die Inanspruchnahme des Vermittlers eventuell zu einer Unterwerfung des Kreditinstituts unter das Niederlassungsrecht führt (und damit die Durchführung eines Notifizierungsverfahrens verlangt): (i) Der Vermittler muss mit einem dauerhaften Mandat ausgestattet sein, (ii) der Vermittler muss der Leitung und der Kontrolle des Kreditinstituts unterliegen und (iii) der Vermittler muss das Kreditinstitut verpflichten können. Wohl noch weitergehend für das deutsche Recht zum Tatbestand der Drittstaateneinlagenvermittlung die Position der BaFin auf Basis der Teilakttheorie im Merkblatt zur Drittstaateneinlagenvermittlung (bezüglich Drittstaaten-Zweigstellen) vom 8.12.2009 unter Ziffer 2 (Abgrenzung zur Zweigstelle gem. § 53 KWG). Allgemein wird im deutschen Recht angenommen, dass zur Bestimmung einer aufsichtsrechtlichen Zweigstelle auf die im Gewerberecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Vgl. die Kommentierung von Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53 Rn. 21 ff.
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
Mitgliedstaats, in dem die Tochtergesellschaft ihren Sitz hat.195 Das SingleLicense-Prinzip gilt insoweit nicht. Demgegenüber ist bei der Errichtung einer Zweigstelle in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich keine gesonderte Erlaubnis dieser Zweigstelle in dem Aufnahmemitgliedstaat erforderlich. Vielmehr muss das Institut lediglich ein sog. Notifizierungsverfahren durchlaufen.196 Die in einem Mitgliedstaat erteilte Zulassung eines Instituts gilt insoweit unionsweit197 und bindet Behörden und Gerichte auch in anderen Mitgliedstaaten.198 Insbesondere ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, für Zweigstellen eine erneute Zulassung oder das Vorhalten von Dotationskapital199 zu verlangen.200 Diese Grundsätze gelten für die in Anhang I der CRD aufgeführten Tätigkeiten, für die die gegenseitige Anerkennung (mutual recognition) gilt. Die laufende Aufsicht verbleibt hinsichtlich dieser Tätigkeiten grundsätzlich beim Herkunftsmitgliedstaat201 (Grundsatz der Herkunftslandkontrolle).202 Diese Prinzipien gelten auch für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr. Sie sind Ausfluss der europäischen Grundfreiheiten, namentlich der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 f. AEUV).203 2. EU-Pass: Notifizierungsverfahren und Herkunftslandkontrolle a) Überblick 70
Damit sich Kreditinstitute auf den EU-Pass berufen können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.204 So müssen die Tätigkeiten, die im Aufnahmemitgliedstaat erbracht werden sollen, von der Zulassung im Herkunftsmitgliedstaat abgedeckt sein und dem Katalog der Tätigkeiten gem. Anhang I der CRD 195 Art. 8(1), 49(1) CRD. Auf konsolidierter Ebene erfolgt die Aufsicht grundsätzlich durch die zuständige Aufsichtsbehörde des Mutterinstituts, vgl. Art. 111(1) CRD. 196 Vgl. unten Rn. 70 ff. 197 Vgl. in diesem Zusammenhang Erwägungsgrund (15) CRD IV: „eine einzige Zulassung für die gesamte Union“. 198 Ohler, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Auf. 2017, § 90 Rn. 11. 199 Zum Begriff Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53 Rn. 82 ff. 200 Art. 17 CRD. 201 Dies ist gem. Art. 4(1) Nr. 43 CRR der Mitgliedstaat, in dem die Zulassung erfolgte. Vgl. hierzu auch Ohler, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Auf. 2017, § 90 Rn. 11. 202 Besonders deutlich Art. 49(1) 1. Halbsatz CRD: „Die Beaufsichtigung eines Instituts, einschließlich der Tätigkeiten, die es im Einklang mit den Artikeln 3 und 34 ausübt [freie Niederlassung und freier Dienstleistungsverkehr], obliegt den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats“. 203 Hierzu im Zusammenhang mit § 53b KWG im deutschen Recht Vahldiek, in: Boos/ Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 5. 204 Vgl. hierzu Ohler, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Auf. 2017, § 90 Rn. 11 f.
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unterfallen. Zudem muss das Kreditinstitut gem. Art. 35 Abs. 1 bzw. Art. 39 Abs. 1 CRD dem Aufnahmemitgliedstaat seine Absicht mitteilen, erstmalig eine solche Tätigkeit auszuüben (s. u.). Der Kreis der Tätigkeiten, für die die gegenseitige Anerkennung gilt, wird für Kreditinstitute in Anhang I der CRD normiert. Der Katalog umfasst neben dem Einlagen- und Kreditgeschäft zahlreiche weitere Tätigkeiten. Im Einzelnen werden folgende Tätigkeiten erfasst: (i) Entgegennahme von Einlagen und sonstigen rückzahlbaren Geldern, (ii) Darlehensgeschäfte, insbesondere Konsumentenkredite, Kreditverträge im Zusammenhang mit Immobilien, Factoring mit und ohne Rückgriff, Handelsfinanzierung (einschließlich Forfaitierung), (iii) Finanzierungsleasing. (iv) Zahlungsdienste, (v) Ausgabe und Verwaltung anderer Zahlungsmittel, (vi) Bürgschaften und Kreditzusagen, (vii) Handel für eigene Rechnung oder im Kundenauftrag mit u. a. Geldmarktinstrumenten, Devisen, Finanzterminkontrakten und Optionen, Wechselkurs- und Zinssatzinstrumenten und Wertpapieren, (viii) Teilnahme an Wertpapieremissionen und Bereitstellung einschlägiger Dienstleistungen, (ix) Beratung von Unternehmen über Kapitalstruktur, industrielle Strategie und damit verbundene Fragen sowie Beratung und Dienstleistungen im Zusammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen und -übernahmen, (x) Geldmaklergeschäfte, (xi) Portfolioverwaltung und -beratung, (xii) Wertpapieraufbewahrung und -verwaltung, (xiii) Handelsauskünfte, (xiv) Schließfachverwaltungsdienste sowie (xv) Ausgabe von E-Geld. Ferner unterliegen die Dienstleistungen und Tätigkeiten nach Anhang I im Abschnitt A der MiFID I/II, die sich auf Finanzinstrumente gem. Anhang I Abschnitt C der MiFID I/II beziehen (siehe oben Rn. 38 ff.), ebenfalls der gegenseitigen Anerkennung gem. der CRD.
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Der Grundsatz der Herkunftslandkontrolle lässt sich konzeptionell bis auf das Basler Konkordat zurückverfolgen.205 Zusammen mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Zulassungsentscheidungen206 hat dieser einen wesentlichen Beitrag zur Integration des europäischen Bankensektors geleistet.207 Aus regulatorischer Sicht führt das Single-License-Prinzip allerdings zu Koordinationsproblemen zwischen den jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden des Aufnahmestaats einerseits und des Heimatstaats andererseits. Soweit die Behörden in den Aufnahmemitgliedstaaten über keine eigenen Aufsichtsbefugnisse verfügen, sind diese darauf angewiesen, dass die Behörde im Heimatland ihre Aufsicht effektiv ausübt. Dies birgt die Gefahr von Interessenkonflikten sowie ineffektiven Verantwortungszuweisungen, und zwar insbesondere dann, wenn ein signifikanter Teil der Geschäftsaktivitäten der Bank außerhalb des Heimatstaats erbracht wird.208 In der Finanzkrise haben
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205 Siehe hierzu Pistor, Host’s Dilemma: Rethinking EU Banking Regulation in Light of the
Global Crisis, SSRN Working Paper, 2010, S. 2. 206 Allgemein zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als Regulierungsstrategie Ver-
dier, 52 Harvard International Law Journal (2011), 56–108. 207 Vgl. auch Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 235 (crucial invention that managed to create a cross-border market for banks). 208 Allgemein zu dieser Problematik Pistor, Host’s Dilemma: Rethinking EU Banking Regulation in Light of the Global Crisis, SSRN Working Paper, 2010 (mit dem Vorschlag, als Alternativmodell der Heimataufsicht stärker auf die tatsächlichen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit abzustellen). Vgl. hierzu auch die Ausführungen im De-Larosière-Bericht, Rn. 155 ff. (mit dem Hinweis auf die Krise der Northern Rock Bank, IKB und der Fortis Bank).
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
sich Abstimmungsprobleme zwischen den europäischen Institutionen offenbart. Das Unionsrecht hat vor diesem Hintergrund verschiedene Kooperationsmechanismen zwischen den Behörden des Heimatstaats und des Aufnahmemitgliedstaats (sowie im Streitfall Entscheidungskompetenzen der EBA) eingeführt und den Behörden der Aufnahmemitgliedstaaten gewisse Residualbefugnisse gewährt (siehe unten Rn. 86 ff. sowie § 5 Rn. 32 ff.). Im Geltungsbereich des SSM sind die beschriebenen Koordinationsprobleme deutlich entschärft, da die EZB die Rolle der zuständigen Behörde einnimmt (vgl. § 6 Rn. 29). Die Zuständigkeitsverteilung lässt sich überblicksartig wie folgt illustrieren: 209 210 211 212 213
Marktzugangsform
Herkunftsstaat
Aufnahmestaat
Kompetenzen EBA
Kompetenzen EZB (SSM)
Gründung einer Tochtergesellschaft
– Zulassung und laufende Überwachung des Mutterinstituts109 – Konsolidierte Aufsicht über die Gruppe210
– Zulassung und laufende Überwachung der Tochtergesellschaft211 – Mitwirkung bei der konsolidierten Aufsicht212
– Bindende Entscheidung der EBA gem. Art. 19 EBA-VO in den Fällen gem. Art. 112(2) CRD
– Zulassung des Mutter- und Tochterinstituts (soweit Sitz im SSM) – Laufende Überwachung des Mutter- und Tochterinstituts (soweit Sitz im SSM)
EU-Pass (Zweigstelle)
– Zulassung und laufende Überwachung des Instituts (einschließlich der Zweigstelle)213 – Grundsatz: Prinzip der Heimatstaataufsicht
– Gewisse Residualkompetenzen des Aufnahmestaats – Stärkere Zusammenarbeit bei bedeutenden Zweigstellen (Art. 51 CRD)
– Ggf. bindende Entscheidung der EBA gem. Art. 19 EBA-VO
Kompetenzen der Heimatstaat- bzw. Aufnahmestaatbehörde
209 210 211 212 213
Art. 8(1), 49(1) CRD. Art. 49(2), Art. 111(1) CRD. Art. 49(2), Art. 111(1) CRD. Art. 113 (1) und (2) CRD. Art. 49(2), Art. 111(1) CRD.
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214 215
Marktzugangsform
Herkunftsstaat
Aufnahmestaat
Kompetenzen EBA
Kompetenzen EZB (SSM)
EU-Pass (grenzüberschreitende Dienstleistungen)
– Zulassung und laufende Überwachung des Instituts (einschließlich der im Aufnahmestaat erbrachten Tätigkeiten)214
– Grundsatz: Prinzip der Heimatstaataufsicht – Gewisse Residualkompetenzen des Aufnahmestaats
– Ggf. bindende Entscheidung der EBA gem. Art. 19 EBA-VO
Kompetenzen der Heimatstaat- bzw. Aufnahmestaatbehörde
Abbildung 7.3: Zuständigkeitsverteilung in grenzüberschreitenden Sachverhalten.215
b) Notifizierungsverfahren
Das Unionsrecht differenziert zwischen den Mitteilungspflichten im Falle der Errichtung einer Zweigstelle einerseits und der Aufnahme des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs in einem anderen Mitgliedstaat andererseits. Die Vorgaben der CRD werden im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus durch die SSM-VO zum Teil modifiziert216 und überlagert.217
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aa) Zweigstellen
Das Grundmodell des Notifizierungsverfahrens kann grafisch wie folgt illustriert werden:
NCA
NCA
Heimatstaat
Aufnahmestaat
Schritt 2 Prüfung Übermittlung an Aufnahmestaat
Schritt 3 Mitteilung von Bedingungen aus Allgemeinwohlbelangen
Schritt 1 Notifizierung
Geschäftsaufnahme
Kreditinstitut
Zweigniederl.
Mitgliedstaat A
Mitgliedstaat B
Abbildung 7.4: Grundmodell des Notifizierungsverfahrens (vereinfacht). 214 Art. 49(2), Art. 111(1) CRD. 215 Eigene Darstellung in Anlehnung an Tröger, ZBB 2013, 373, 378. 216 Vgl. Art. 4(1) lit. b und Art. 4(2) SSM-VO i. V. m. Art. 11–16 SSM-RVO. Siehe hierzu auch
Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 90. 217 Diese Darstellung konzentriert sich im Wesentlichen auf die Notifizierungsanforderungen von Kreditinstituten. Für Wertpapierfirmen (MiFID-II-Regime) gelten im Kern identische Grundsätze.
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
(1) Notifizierung des Herkunftsmitgliedstaats 76
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Ein Kreditinstitut, das eine Zweigstelle im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats errichten möchte, zeigt dies in einem ersten Schritt den zuständigen Behörden seines Herkunftsmitgliedstaats an.218 Der Inhalt der Anzeige wird durch das Unionsrecht vorgegeben. Die Anzeige muss insbesondere die folgenden Informationen enthalten: (i) den Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet es eine Zweigstelle errichten möchte; (ii) einen Geschäftsplan, in dem u. a. die Art der vorgesehenen Geschäfte und die Organisationsstruktur der Zweigstelle angegeben ist; (iii) die Anschrift, unter der im Aufnahmemitgliedstaat Unterlagen angefordert werden können; sowie (iv) die Namen der Personen, die die Geschäfte der Zweigstellen führen sollen.219 Die EBA hat Entwürfe der technischen Regulierungsstandards bzw. technischen Durchführungsstandards hinsichtlich der im Rahmen des Notifizierungsverfahrens beizubringenden Informationen (mit entsprechenden Standardformularen) ausgearbeitet, die inzwischen von der Kommission erlassen wurden.220 Die Mitteilungspflichten sind durch Level-2-Gesetzgebung weitgehend harmonisiert. (2) Prüfung der Anzeige; Weiterleitung an den Aufnahmemitgliedstaat
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In einem zweiten Schritt werden die Unterlagen von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats221 geprüft. Besteht kein Grund, in Anbetracht der geplanten Tätigkeiten die Angemessenheit der Verwaltungsstrukturen und Finanzlage des betreffenden Instituts anzuzweifeln, übermittelt die Herkunftsstaatbehörde die Anzeige den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats und teilt dies dem Kreditinstitut mit.222 218 Art. 35(1) CRD. 219 Art. 35(2) CRD. Vgl. in Deutschland § 24a(1) KWG (für die Errichtung einer Zweignie-
derlassung eines deutschen Kreditinstituts in einem anderen Mitgliedstaat der EWR). 220 Durchführungs-Verordnung (EU) Nr. 926/2014 der Kommission vom 27.8.2014 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf Standardformulare, -meldebögen und -verfahren für Notifizierungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates; Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1151/2014 der Kommission vom 4.6.2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards, in denen festgelegt wird, welche Angaben bei Ausübung des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs zu übermitteln sind. Im Juli 2020 hat die EBA überarbeitete Entwürfe dieser Standards veröffentlicht. Vgl. EBA, Final draft amending Regulatory Technical Standards and Implementing Technical Standards on Passport Notifications under Articles 35, 36 and 39 of Directive 2013/ 36/EU, 18.7.2020. 221 Im Fall von Kreditinstituten mit Sitz im SSM ist die Anzeige ebenfalls an die NCA des Herkunftsstaats des Instituts zu richten. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Institut um ein bedeutendes Kreditinstitut handelt, das der direkten Aufsicht der EZB unterliegt (vgl. Art. 11(1) der SSM-VO). Allerdings informiert die NCA in diesem Fall die EZB unmittelbar von der Mitteilung. Das Anzeigeverfahren wird dadurch erheblich abgekürzt. 222 Art. 35(3) CRD. Einzelheiten werden durch Art. 5 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 926/2014 näher konkretisiert.
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Eine Weiterleitung der Anzeige kann die Behörde des Aufnahmemitgliedstaats nach dem Wortlaut des Art. 35 Abs. 3 CRD nur dann verweigern, wenn diese „Zweifel“ hinsichtlich der Angemessenheit der Verwaltungsstrukturen bzw. der Finanzlage hat. Welche Umstände derartige „Zweifel“ begründen können, wird im Unionsrecht nicht näher bestimmt.223 Die CRD führt lediglich aus, dass die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats dem Kreditinstitut innerhalb von drei Monaten nach Eingang sämtlicher Angaben die Gründe mitteilen, wenn diese die Übermittlung der Anzeige an den Aufnahmemitgliedstaat verweigern.224 Das Unionsrecht stellt ferner klar, dass im Falle der Ablehnung oder bei Nichtäußerung die Gerichte des Herkunftsmitgliedstaats angerufen werden können.225 In der Rechtspraxis kommt dies allerdings bislang nur vereinzelt vor.226 Im Einzelnen hängen die Modalitäten der Weiterleitung von den folgenden Faktoren227 ab:
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– Grundsätzlich sieht Art. 35 CRD vor, dass die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats die Mitteilung innerhalb von drei Monaten an die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats weiterleitet.228 – Im Falle von bedeutenden CRR-Instituten, die der direkten Aufsicht der EZB unterliegen, unterrichtet die zuständige nationale Aufsichtsbehörde die EZB „unverzüglich“ über den Eingang der Anzeige.229 Die vom Unionsrecht gem. Art. 35 Abs. 3 CRD an sich vorgesehene Dreimonatsfrist wird in diesen Fällen deutlich verkürzt. – Handelt es sich bei dem Institut um ein Kreditinstitut mit Sitz in einem nicht am SSM teilnehmenden Mitgliedstaat, welches innerhalb des SSM eine Zweigstelle gründen möchte, findet Art. 13 SSM-RVO Anwendung. Hiernach leitet die Behörde des Herkunftsmitgliedstaats die Mitteilung nach Maßgabe von Art. 35 Abs. 3 CRD innerhalb von drei Monaten an die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats weiter. Diese Behörde informiert sodann die EZB unverzüglich über den Eingang der Anzeige. (3) Wartefrist, Aufnahme der Tätigkeit
In einem dritten Schritt bereitet sich die für die Überwachung im Aufnahmemitgliedstaat zuständige Behörde auf die Beaufsichtigung der Zweigstelle vor. Auch hier ist zu differenzieren: 223 Hierzu auch Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 90. 224 Art. 35(4) Unterabs. 1 CRD. 225 Art. 35(4) Unterabs. 2 CRD. 226 EBA, Report in the peer review of the RTS on passport notification, 10.7.2018 (lediglich zwei Fälle in der Berichtsperiode zwischen 1.7.2016 bis 30.6.2017). 227 Hierzu aus der Perspektive des deutschen Rechts Vahldiek, in: Boos/Fischer/SchulteMattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 84. 228 Entsprechendes gilt gem. Art. 35(3) MiFID auch für Wertpapierfirmen, vgl. in Deutschland § 24a(2) KWG. 229 Art. 11(1) Satz 3 SSM-RVO.
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– Grundsätzlich sieht Art. 36 Abs. 1 CRD vor, dass die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats nach Eingang der Mitteilung über zwei Monate Zeit verfügen, um sich auf die Beaufsichtigung des Instituts (verbleibende Residualkompetenzen, s. u.) vorzubereiten und dem Institut die Bedingungen zu nennen, die aus Gründen des Allgemeininteresses für die Ausübung dieser Tätigkeiten im Aufnahmemitgliedstaat gelten.230 Nach Eingang der Mitteilung der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats bzw. dem Ablauf der Zweimonatsfrist kann die Zweigstelle errichtet werden und ihre Tätigkeit aufnehmen.231 Entsprechende Grundsätze gelten gem. Art. 35 Abs. 6 MiFID II auch für Wertpapierfirmen. – Hinsichtlich CRR-Kreditinstituten mit Sitz in einem am SSM teilnehmenden Mitgliedstaat, die die Errichtung einer Zweigstelle im Hoheitsgebiet in einem anderen teilnehmenden Mitgliedstaat anstreben, kann die Zweigstelle nach Ablauf von zwei Monaten ihre Tätigkeit aufnehmen, sofern die EZB232 bzw. die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats233 keinen gegenteiligen Beschluss erlassen.234 – Handelt es sich bei dem Institut um ein Kreditinstitut mit Sitz in einem nicht am SSM teilnehmenden Mitgliedstaat, das innerhalb des SSM eine Zweigstelle gründen möchte, bereitet sich die EZB (falls es sich um eine „bedeutende“ Zweigstelle gem. Art. 6 SSM-VO handelt) bzw. die zuständige nationale Behörde des Aufnahmemitgliedstaats (falls es sich um eine „weniger bedeutende“ Zweigstelle handelt) innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Anzeige auf die Beaufsichtigung der Zweigstelle vor und teilt dem Institut die Bedingungen mit, unter denen die Zweigstelle im Interesse des Allgemeinwohls ihre Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausüben darf.235 (4) Kompetenzen der Aufnahmebehörde; Allgemeininteressen (a) Allgemeininteressen 82
Im Ausgangspunkt bleibt die zuständige Behörde des Heimatstaats für die Überwachung der Zweigstelle verantwortlich (Herkunftslandprinzip, s. o.).236 In den Erwägungsgründen der CRD heißt es hierzu, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten sollen, dass die Tätigkeiten, für die die gegenseitige Anerkennung gilt, ohne Behinderung in derselben Weise wie im Herkunftsmitgliedstaat ausgeübt werden können, sofern sie den im Aufnahmemitgliedstaat geltenden gesetzlichen Bestimmungen „zum Schutz des Allgemeininteresses“ nicht zuwi-
230 231 232 233 234 235 236
Vgl. in Deutschland § 53b(2) KWG. Art. 36(2) CRD. Vgl. in Deutschland § 53b(2) Satz 2 KWG. Bei bedeutenden beaufsichtigten Unternehmen, vgl. Art. 11(1), (3) SSM-RVO. Bei weniger bedeutenden beaufsichtigten Unternehmen, vgl. Art. 11(2), (4) SSM-RVO. Art. 11(3) und (9) SSM-RVO. Art. 13(2) und (3) SSM-RVO. Vgl. Art. 49(1) 1. Halbsatz CRD.
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derlaufen.237 Grundsätzlich dürfen die Mitgliedstaaten bzw. deren Behörden zusätzliche nationale Anforderungen somit nur zum Schutze von Allgemeininteressen238 anordnen. Welche „Allgemeininteressen“ das Aufstellen von zusätzlichen Anforderungen rechtfertigen, wird vom Unionsgesetzgeber nicht näher bestimmt. Zur Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs können die vom EuGH entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze zur Einschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit aus Gründen des Gemeinwohls herangezogen werden.239 Auf Basis der EuGH-Rechtsprechung, insbesondere der zur Niederlassungsfreiheit ergangenen Entscheidung in der Rechtssache Gebhardt240, wurden von der Kommission sechs kumulativ zu erfüllende Kriterien formuliert, die bei der Anordnung von zusätzlichen Bestimmungen im Aufnahmemitgliedstaat berücksichtigt werden müssen.241 Im Einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Kriterien: (i) Keine Diskriminierung: Es dürfen ausländischen Kreditinstituten aus anderen Mitgliedstaaten bzw. deren Zweigstellen grundsätzlich keine strengeren Maßnahmen vorgeschrieben werden als inländischen Instituten. (ii) Keine unionsrechtliche Harmonisierung: Nach Auffassung der Kommission definieren europarechtliche Vorgaben, soweit diese nicht inzwischen ohnehin als Vollharmonisierung konzipiert sind, ein „Mindestniveau des gemeinschaftlichen Allgemeininteresses“.242 Ein Mitgliedstaat kann hiernach auf seinem Gebiet im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung tätigen Kreditinstituten keine strengeren Regelungen auferlegen, als dies in dem jeweiligen europäischen Rechtsakt vorgesehen ist.243 Hinsichtlich der inländischen Institute verbleibt im Bereich der Mindestharmonisierung die Möglichkeit des Aufstellens von strengeren Vorschriften (gold plating).244 237 Erwägungsgrund (2) CRD. 238 Bzw. in der Formulierung von Art. 36(1) CRD: „Gründen des Allgemeininteresses“
(interest of the general good) bzw. den „Interessen des Allgemeinwohls“ (Art. 13(3) SSMRVO – in der englischen Fassung ebenfalls „interest of the general good“). 239 In diesem Sinne auch die Mitteilung der Kommission, Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie, 20.6.1997, mit Rechtsprechungsnachweisen (insbesondere EuGH, Urteil vom 30.11.1995, C-55/94, Gebhardt, NJW 1996, 579). 240 EuGH, Urteil vom 30.11.1995, C-55/94, Gebhardt, NJW 1996, 579. 241 Kommission, Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie, 20.6.1997, S. 20 ff. Vgl. hierzu auch Vahldieck, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 118 ff. 242 Kommission, Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie, 20.6.1997, S. 22 (mit Rechtsprechungsnachweisen). 243 Dies gilt namentlich für die in der CRD/CRR normierten Regelungsbereiche. In der Mitteilung der Kommission wird zudem auf harmonisierte Regelungen bezüglich „spezieller Banktätigkeiten“ wie beispielsweise die Regelungen bezüglich Verbraucherkrediten verwiesen. 244 Zu den Harmonisierungsstrategien § 4 Rn. 38 ff.
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(iii) Verfolgung eines Zieles des Allgemeininteresses: Die von einem Mitgliedstaat auferlegten Beschränkungen müssen durch „vordringliche Gründe des Allgemeininteresses“ gerechtfertigt sein. Als Beispiel eines solchen „Allgemeininteresses“ werden u. a. Verbraucherschutzerwägungen angeführt.245 (iv) Allgemeininteressen nicht bereits im Herkunftsland Rechnung getragen: Ferner ist zu prüfen, ob das Institut nicht etwa durch Rechtsprechung seines Herkunftsmitgliedstaats bereits vergleichbaren Vorschriften zum Schutz von Allgemeinwohlbelangen unterliegt. Nach Ansicht der Kommission kommt diesem Kriterium bei der Bestimmung der Residualkompetenzen der Aufnahmebehörde eine besondere Bedeutung zu.246 (v) Geeignetheit der Maßnahme: Die Europäische Kommission betont, dass Maßnahmen im Allgemeininteresse geeignet und erforderlich sein müssen, um die damit bezweckten Gemeinwohlbelange zu schützen. (vi) Verhältnismäßigkeit im engen Sinne: Eng mit dem vorgenannten Kriterium im Zusammenhang steht das Erfordernis, dass die vom Aufnahmemitgliedstaat auferlegten Maßnahmen verhältnismäßig und angemessen sein müssen. Dies setzt eine Einzelfallprüfung voraus. 85
Insgesamt kann festgehalten werden, dass den Mitgliedstaaten nur sehr begrenzte Möglichkeiten verbleiben, auf Basis des Allgemeinwohlvorbehaltes zusätzliche Anforderungen an die EU-Zweigstellen zu stellen. Die Rechtspraxis zeigt allerdings, dass diese Kriterien vom Gesetzgeber bzw. den nationalen Aufsichtsbehörden nicht vollständig beachtet werden (vgl. dazu im Zusammenhang mit der Umsetzung in Deutschland unten Rn. 89 ff.). (b) Weitere bei der Aufnahmebehörde verbleibende Residualkompetenzen; Zusammenarbeit der Behörden
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Daneben verbleibt den Aufnahmemitgliedstaaten in einzelnen Bereichen die Aufsichtskompetenz kraft ausdrücklicher Aufgabenzuweisung.247 So waren die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats bislang für die Überwachung der Liquidität von Zweigstellen eines Kreditinstituts zuständig.248 Eine eigene Aufsichtskompetenz verbleibt den Aufnahmebehörden weiterhin hinsichtlich geldwäscherechtlicher Anforderungen. Da die Aufsichtszuständigkeit im Übrigen bei der zuständigen Behörde des Heimatstaats verbleibt, bedarf es Regelungen zur Koordination und des Infor245 Kommission, Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie, 20.6.1997, S. 23. 246 Kommission, Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Bankenrichtlinie, 20.6.1997, S. 23. 247 Art. 49(1) 2. Halbsatz CRD. Vgl. hierzu im Zusammenhang mit der Rechtslage in Deutschland unten Rn. 89 ff. 248 Art. 156 CRD. Hintergrund war, dass vor Umsetzung von Basel III noch keine harmonisierten Liquiditätsstandards existierten. Inzwischen gilt auch für die Liquiditätsanforderungen prinzipiell der Grundsatz der Heimatstaataufsicht. Der Verweis auf § 11 KWG wurde in § 53b(3) Satz 1 Nr. 2 KWG gestrichen.
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mationsaustausches zwischen den Behörden des Heimat- und Aufnahmestaats. Art. 50 Abs. 1 CRD statuiert in diesem Zusammenhang eine Kooperationsund Informationsaustauschpflicht. Diese wird auf Ebene der Level-2-Gesetzgebung durch eine Delegierte Verordnung249 sowie eine Durchführungsverordnung250 näher konkretisiert. Von Bedeutung ist die Koordination der einzelnen Behörden namentlich bei mutmaßlichen Rechtsverstößen gegen das Aufsichtsrecht. Hier sieht das Unionsrecht vor, dass der Aufnahmemitgliedstaat die zuständigen Behörden des Herkunftsstaats über den möglichen Verstoß informiert; der Herkunftsmitgliedstaatsbehörde kommt sodann ein Erstentscheidungsrecht zu.251 Sind die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats mit den von den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ergriffenen Maßnahmen nicht einverstanden, können sie die Angelegenheit gem. Art. 19 EBA-VO an die EBA verweisen.252 Die EBA tritt in solchen Fällen als Schlichtungsinstanz auf.253 Wird zwischen den Behörden keine Einigung erzielt, kann die EBA die Behörden des Herkunftsstaats kraft Beschluss dazu verpflichten, bestimmte Maßnahmen zu treffen (vgl. § 5 Rn. 32 ff.).254 Die Vorgaben bezüglich der europäischen Kooperationsverantwortung sind eine Reaktion auf die Finanzkrise. Der Kooperationsaustausch zwischen den einzelnen Instanzen hat sich hier als Problemstelle erwiesen.255 Im De-Larosière-Bericht wurde zudem auf die (seit dem Zusammenbruch des BCCI-Konzerns) bekannten Risiken hingewiesen, die sich in Fällen mangelnder Kooperation insbesondere für die Aufnahmemitgliedstaaten ergeben können.256 Es wird sich noch zeigen müssen, ob die reformierten Kooperationsverpflichtungen im Rahmen des Systems der europäischen Finanzaufsicht im Krisenfall einem Praxistest standhalten. Im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus sind die Koordinationsprobleme durch die Zentralisierung der Aufsicht bei der EZB allerdings erheblich entschärft.
249 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 524/2014 der Kommission vom 12.3.2014 zur Ergän-
zung der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards, in denen festgelegt wird, welche Informationen die zuständigen Behörden von Herkunfts- und Aufnahmemitgliedstaaten einander zur Verfügung stellen müssen. 250 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 620/2014 der Kommission vom 4.6.2014 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf den Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden von Herkunfts- und Aufnahmemitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates. 251 Vgl. hierzu auch Vahldieck, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 118 ff. 252 Art. 50(4) Unterabs. 2 CRD. 253 Art. 19(2) EBA-VO. 254 Art. 50(4) Unterabs. 2 Satz 2 CRD; Art. 19(3) EBA-VO. 255 Dies wurde vom De-Larosière-Bericht moniert (Rn. 156 ff.), insbesondere hinsichtlich der „fehlenden Offenheit und Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden“. 256 Als Beispiel führte der De-Larosière-Bericht die wirtschaftlichen Probleme der isländischen Banken im Zuge der Finanzkrise an (vgl. Rn. 156 des Berichts).
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In Deutschland wurden die Anforderungen an das Notifizierungsverfahren in § 24a KWG257 („Outbound“: Errichtung eines deutschen CRR-Kreditinstituts in einem anderen EWR-Mitgliedstaat) bzw. § 53b KWG umgesetzt („Inbound“: Errichtung einer Zweigniederlassung258 eines CRR-Kreditinstituts in Deutschland mit Sitz in einem anderen EWR-Mitgliedstaat). Die Umsetzung ist allerdings wenig geglückt. So ordnet etwa § 53b Abs. 3 Satz 1 KWG an, dass verschiedene Vorschriften des KWG auf EWR-Zweigniederlassungen in Deutschland anwendbar sind.259 Es soll sich hierbei um die Bedingungen handeln, die aus „Gründen des Allgemeininteresses“ gelten.260 Dies ist missverständlich. Der Katalog gem. § 53b Abs. 3 Satz 1 KWG enthält eine Reihe von Vorschriften, bei denen sich die Zuständigkeit der BaFin bereits aus den europäischen Richtlinien ergibt.261 Von den in § 53b Abs. 3 Satz 1 KWG aufgeführten Vorschriften dürfte es sich lediglich bei § 3 KWG (verbotene Geschäfte), § 23 KWG (Werbung), § 24c KWG (automatisierter Abruf von Kundeninformationen) sowie § 49 KWG (Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit von Maßnahmen) um Regelungen im Allgemeininteresse handeln.262 Für die Aufsicht und Durchsetzung dieser Vorschriften ist die BaFin somit allein verantwortlich (sofern nicht die EZB im Anwendungsbereich des SSM für die Aufsicht zuständig ist). Allerdings dürfen in europarechtskonformer Auslegung aufsichtsrechtliche Maßnahmen nur dann auf diese Vorschriften gestützt werden, wenn die vorgenannten Kriterien erfüllt sind (vgl. oben Rn. 82 ff.). Insbesondere ist einzelfallbezogen zu prüfen, ob die Maßnahmen vor dem Hintergrund der verfolgten Allgemeinwohlbelange verhältnismäßig sind.263 Auch die weiter oben erläuterten Kooperationspflichten und Anordnungskompetenzen des Aufnahmemitgliedstaats sind in § 53b Abs. 4 und 5 KWG un-
257 Regelungen zum Zweigstellen-Notifizierungsverfahren finden sich in § 24a(1) und (2) KWG. Die Anforderungen finden nach Maßgabe des § 24a(3) KWG grundsätzlich entsprechend für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr Anwendung. 258 Der deutsche Gesetzgeber differenziert terminologisch zwischen „Zweigniederlassungen“ von EU-Instituten gem. § 53b KWG (die auf Basis des EU-Passes errichtet werden) sowie „Zweigstellen“ gem. § 53 KWG von Drittstaatenunternehmen. 259 Auf eine Darstellung der einzelnen in § 53b(3) Satz 1 KWG genannten Vorschriften wird verzichtet. Es wird auf die instruktive Darstellung bei Vahldiek, in: Boos/Fischer/SchulteMatter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 131 ff. verwiesen. 260 Vgl. § 53b(2) Satz 1 KWG: „[…] die nach Absatz 3 Satz 1 für die Ausübung der von der Zweigniederlassung geplanten Tätigkeiten aus Gründen des Allgemeininteresses gelten“. 261 Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 122. 262 Brocker, in: Schwennicke/Auerbach 4. Aufl. 2021, § 53b Rn. 41; Vahldiek, in: Boos/ Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 131 ff. 263 Zudem ist der Katalog nicht vollständig, da noch weitere Vorschriften im Allgemeininteresse Anwendung finden können. Vgl. die instruktive Gesamtdarstellung bei Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 155 ff.
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genau umgesetzt worden.264 So sieht § 53b Abs. 4 KWG vor, dass die Aufsichtsbehörde (BaFin bzw. EZB) unverzüglich die zuständigen Stellen im Herkunftsmitgliedstaat unterrichtet, wenn die Aufsichtsbehörde feststellt, dass das jeweilige Institut seinen Pflichten gem. § 53b Abs. 3 KWG bzw. der CRR nicht nachkommt bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nachkommen wird. Nach der Konzeption des Unionsrechts knüpft die Unterrichtungspflicht an einen Verstoß gegen die CRD (entsprechend der Umsetzung im nationalen Recht) bzw. der CRR an (Art. 41 Abs. 1 CRD). Demgegenüber verweist § 53b Abs. 4 KWG auf eine Verletzung der in § 53b Abs. 3 KWG genannten Pflichten. Dies ist einerseits zu eng, da diese Vorschrift nur einen kleinen Ausschnitt der von den Instituten bzw. deren Zweigstellen gem. der CRD zu beachtenden Pflichten adressiert. Andererseits geht dieser Verweis zu weit, da in § 53b Abs. 3 KWG nach dem Verständnis des deutschen Gesetzgebers solche Pflichten aufgeführt werden, die im „Allgemeininteresse“ Anwendung finden sollen; für die Überwachung der im Allgemeininteresse aufgestellten nationalen Anforderungen sind aber ausschließlich die deutschen Behörden zuständig. Eine „Kooperationspflicht“ mit den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats besteht insoweit nicht.265 In der Praxis erfolgt in Deutschland die vom Unionsrecht geforderte Mitteilung der im Allgemeininteresse geltenden Vorschriften durch Übermittlung eines sog. „Welcome Letter“. Dieser enthält einen Überblick über die wichtigsten von den Zweigniederlassungen zu beachtenden Rechtsvorschriften (also nicht nur die im „Allgemeininteresse“ geltenden Bedingungen).
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bb) Grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr
Die oben beschriebenen Grundsätze gelten im Ausgangspunkt auch für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr. Das Anzeigeverfahren bemisst sich hier nach den Vorgaben des Art. 39 CRD.266 Die Anzeige ist wiederum an die zuständige nationale Behörde im Herkunftsland zu richten. Die Frist für die Weiterleitung der Angaben durch die Behörden des Herkunftsstaats an die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats beträgt gem. Art. 39 Abs. 2 CRD267 einen Monat.
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Handelt es sich bei dem Unternehmen um ein bedeutendes CRR-Kreditinstitut mit Sitz im einheitlichen Aufsichtsmechanismus, sind die Vorgaben des Art. 12 Abs. 1 SSM-RVO zu beachten, die die Rahmenvorgaben der CRD insoweit überlagern. Hiernach hat die nationale zuständige Behörde des Herkunftsstaats die EZB „unverzüglich“ über den Eingang der Anzeige zu informieren. Bei weniger bedeutenden CRR-Kreditinstituten mit Sitz im
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264 Kritisch in diesem Zusammenhang Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 169 ff. 265 Zu dieser Problematik auch Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 172. 266 Bzw. für Wertpapierfirmen Art. 34 MiFID II. Im Anwendungsbereich des SSM ist Art. 12 SSM-RVO zu beachten. 267 Bzw. für Wertpapierfirmen Art. 34(3) MiFID II.
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
einheitlichen Aufsichtsmechanismus ist die Anzeige gem. Art. 12 Abs. 2 SSM-RVO von der zuständigen Herkunftslandsbehörde an die EZB und die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats weiterzuleiten.268
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Details hinsichtlich des Inhalts der Mitteilung werden durch eine Delegierte Verordnung269 bzw. eine Durchführungsordnung270 konkretisiert.271 Im Vergleich zur Errichtung einer Zweigstelle sind die Mitteilungspflichten bei der Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen erheblich herabgesetzt. In Deutschland hat die BaFin entsprechende Formulare auf ihrer Homepage bereitgestellt.272 cc) Rechtsfolgen im Falle der Nichtbeachtung des Anzeigeverfahrens
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Werden die oben behandelten Anzeigepflichten von dem Institut nicht beachtet, führt dies nach zutreffender Ansicht nicht dazu, dass die erbrachten Tätigkeiten in dem Aufnahmemitgliedstaat als unzulässiges Bankgeschäft zu qualifizieren wären.273 Dies gilt jedenfalls dann, wenn die entsprechenden Tätigkeiten der gegenseitigen Anerkennung unterfallen274 und die Dienstleistungen von der Zulassung der Heimatbehörde umfasst sind.275 Im Grundsatz obliegt es der Verantwortung der zuständigen Behörde des Heimatstaats, Verstöße gegen Anzeigepflichten zu ahnden. Bei bedeutenden CRR-Kreditinstituten mit Sitz in einem Euro-Mitgliedstaat können Verstöße eine Befugnis der EZB begründen, gem. Art. 122 lit. a SSM-RVO in Verbindung mit Art. 18 Abs. 7 SSM-VO Verwaltungssanktionen zu verhängen.276 Ein Ver268 Ob ebenso wie bei Art. 12(1) SSM-RVO die Anzeige „unverzüglich“ weiterzuleiten ist (oder die „gewöhnliche“ Ein-Monat-Frist gilt), lässt der Wortlaut offen. Vgl. auch Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 102. 269 Delegierte Verordnung (EU) 1151/2014 der Kommission vom 4.6.2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards, in denen festgelegt wird, welche Angaben bei Ausübung des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs zu übermitteln sind. 270 Durchführungsverordnung (EU) 926/2014 vom 27.8.2014 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf Standardformulare, -meldebögen und -verfahren für Notifizierungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates. 271 Im Juli 2020 hat die EBA überarbeitete Entwürfe dieser Standards veröffentlicht. Vgl. EBA, Final draft amending Regulatory Technical Standards and Implementing Technical Standards on Passport Notifications under Articles 35, 36 and 39 of Directive 2013/36/EU, 18.7.2020. 272 Abrufbar unter: https://www.bafin.de. 273 In diesem Sinne ebenfalls Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 107 ff.; Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 98. 274 Es sich also um eine Tätigkeit gem. Annex 1 der CRD handelt. 275 In diesem Sinne in Deutschland § 53b(1) Satz 1 KWG. 276 Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 110 ff.
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stoß führt nicht zur zivilrechtlichen Unwirksamkeit von abgeschlossenen Rechtsgeschäften. Nach zutreffender Ansicht lösen Verstöße gegen die Anzeigepflichten grundsätzlich auch keine Schadensersatzansprüche wegen Verstoß gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB) aus.277 3. Territorialprinzip
Im Unionsrecht findet sich bislang keine Kollisionsregelung, welche bei grenzüberschreitenden Sachverhalten das einschlägige Aufsichtsregime bestimmt.278 Im Ausgangspunkt gilt daher nach allgemeinen verwaltungs- und völkerrechtlichen Grundsätzen das Territorialprinzip.279 Damit bleibt freilich die Frage unbeantwortet, nach welchen Kriterien ein Inlandsbezug zu ermitteln ist. Dies bemisst sich nach dem jeweiligen nationalen Aufsichtsrecht. In Deutschland sieht § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG vor, dass die Erlaubnispflichten dann eingreifen, wenn „im Inland“ gewerbsmäßig Bankgeschäfte „betrieben“ oder Finanzdienstleistungen „erbracht“ werden. Der hiermit angesprochene Inlandsbezug ist unproblematisch dann erfüllt, wenn der Dienstleistungserbringer seinen Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (die regulierten Tätigkeiten also über eine physische Präsenz in Deutschland erbracht werden). Nicht einheitlich beurteilt wird, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten regulierte Tätigkeiten im Inland erbracht werden. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass eine Erlaubnispflicht im Inland nur dann ausgelöst wird, wenn eine wie auch immer geartete physische Präsenz den Geschäftsabschluss im Inland zumindest befördert (sog. „institutsbezogener Ansatz“).280 Von der BaFin wird der Inlandsbezug dagegen in einem sehr viel weitergehenden Sinne interpretiert: Von einem „Betreiben von Bankgeschäften oder Erbringen von Finanzdienstleistungen im Inland“ geht die Aufsicht nach ständiger Verwaltungspraxis nicht nur dann aus, wenn der Erbringer der Dienstleistung seinen Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, sondern auch dann, wenn der Erbringer der Dienstleistung seinen Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat und sich im Inland „zielgerichtet“ an den Markt wendet, um Dienstleistungen gegenüber Unternehmen und/oder Personen, die ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt
277 Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53b Rn. 115. 278 Allgemein zum Territorialprinzip aus verwaltungsrechtlicher Perspektive Wolff/Bachof/ Stober/Kluth-Stober, Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 11. Im Kontext der Zulassungspflichten Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 56; Rögner, WM 2006, 745, 748 ff. (allerdings auf die lex fori abstellend). 279 Vgl. die Nachweise in Fn. 278. Differenzierend Rögner, WM 2006, 745, 748. 280 Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 19 (diese als „wohl noch herrschende Meinung“ bezeichnend); Schwennicke, in: Schwennicke/Auerbach, KWG, 4. Aufl. 2021, § 32 Rn. 14.
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in Deutschland haben, anzubieten.281 Es ist insoweit von einem „vertriebsbezogenen Ansatz“ der BaFin die Rede. 100
Fallbeispiel: Die Rechtsprechung ist dem vertriebsbezogenen Ansatz der BaFin im Ergebnis gefolgt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dies anhand des folgenden Sachverhalts entschieden282: Die Fidium Finanz AG, eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz, gewährte seit 1987 Kleinkredite, wobei diese im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs gegenüber in Deutschland ansässigen Kunden tätig wurde. Zur Kundenansprache bediente sich die Gesellschaft u. a. einer deutschsprachigen Internetseite, auf der sich potenzielle Kreditnehmer ein Antragsformular herunterladen konnten. Alternativ war eine Kreditanbahnung über einen Kreditvermittler im Inland möglich. Die BaFin untersagte der Gesellschaft im Jahre 2003 das Geschäftsmodell. Die hiergegen gerichtete Klage der Gesellschaft hatte im Ergebnis keinen Erfolg. Nach Ansicht des Gerichts wird ein Bankgeschäft i. S. d. § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG im Inland auch dann betrieben, wenn ein Kreditinstitut bankgeschäftliche Leistungen dort ohne eigene physische Präsenz im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs erbringt.283 Es stellte ferner fest, dass das Betreiben eines Bankgeschäfts i. S. d. § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG nicht nur rechtsgeschäftliches Handeln, sondern „alle wesentlichen zum Vertragsschluss hinführenden Schritte umfasst“.284 Dem Urteil war eine Vorlage beim EuGH vorausgegangen. Der EuGH hatte mit Urteil vom 3. Oktober 2006285 festgestellt, dass sich Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat nicht auf die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 49 EG (heute Art. 56 AEUV) berufen können.
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Die Unternehmenspraxis orientiert sich an den von der BaFin entwickelten Kriterien. Der weite, vertriebsbezogene Ansatz dürfte auf Schutzzwecküberlegungen zurückzuführen sein.286 Es sollte allerdings nicht verkannt werden, dass die Interpretation der BaFin den Kreis der erlaubnispflichtigen Tätigkeiten in grenzüberschreitenden Konstellationen erheblich erweitert und zudem komplexe Abgrenzungsprobleme aufwirft. Denn nach der Verwaltungspraxis können auch Tätigkeiten im Vorfeld der eigentlichen Kundenansprache eine Erlaubnispflicht begründen. Es bestehen Grenzfälle, bei denen auf Grundlage des vertriebsbezogenen Ansatzes der BaFin nur mit großen Schwierigkeiten beurteilt werden kann, ob eine Erlaubnispflicht besteht. Hinzu kommt, dass die Er281 BaFin, Merkblatt zur Erlaubnispflicht von grenzüberschreitend betriebenen Geschäften, 1.4.2005 (abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merk blatt/mb_050401_grenzueberschreitend.html). Die Erteilung einer Erlaubnis gem. § 32 KWG setzt allerdings eine physische Präsenz im Inland voraus. Sofern dem Unternehmen keine Freistellung gem. § 2(5) KWG erteilt wird (s. u.), sind Unternehmen folglich darauf angewiesen, in Deutschland eine Zweigstelle bzw. Tochtergesellschaft zu gründen, sofern diese sich nicht auf den EU-Pass berufen können (etwa hinsichtlich Drittstaaten-Unternehmen). 282 BVerwG, Urteil vom 22.4.2009, 8 C 2.09, WM 2009, 1553. Hierzu etwa Seebach, WM 2010, 733 (mit ausführlicher Urteilsanalyse). 283 Leitsatz 3 der Entscheidung. 284 Leitsatz 2 der Entscheidung. 285 EuGH, Urteil vom 3.10.2016, C-452/04, Slg. 2006, 9562. 286 Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn zwischen dem Heimat- und Zielstaat (Deutschland) ein „regulatorisches Gefälle“ besteht, etwa weil die Tätigkeit zwar in Deutschland, nicht aber in dem Heimatstaat reguliert ist.
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teilung einer Erlaubnis eine Präsenz in Deutschland voraussetzt. Eine „crossborder“-Erlaubnis (wie sie in einzelnen Mitgliedstaaten anzutreffen ist) existiert in Deutschland nicht. Die Verwaltungspraxis wurde in einem Merkblatt von 2005 zur Erlaubnispflicht von grenzüberschreitend betriebenen Geschäften konkretisiert.287 Dieses Merkblatt hat für die praktische Rechtsanwendung bis heute eine herausragende Bedeutung.
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4. Drittstaatregime a) Überblick
Institute aus Drittstaaten – also Institute, die ihren Sitz nicht in einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat haben – können sich im Gegensatz zu EWR-Instituten nicht auf die Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit berufen. Sie können insbesondere nicht die Erleichterungen des EU-Passes in Anspruch nehmen. Drittstaateninstitute müssen somit eine Zulassung beantragen und, soweit nach nationalem Recht erforderlich, eine physische Präsenz in dem Mitgliedstaat errichten, in dem diese regulierte Tätigkeiten ausüben wollen. Das Drittstaatenregime ist für Kreditinstitute bislang nur rudimentär harmonisiert. Die Erwägungsgründe der CRD sehen vor, dass die Vorschriften für Zweigstellen von Kreditinstituten mit Sitz in einem Drittstaat in allen Mitgliedstaaten gleich sein sollen.288 Insbesondere dürfen die für Drittstaateninstitute geltenden Vorschriften nicht günstiger sein als die für Zweigstellen von Kreditinstituten aus einem anderen Mitgliedstaat anwendbaren Vorschriften.289 Die Europäische Union kann in Abkommen, die mit einem Drittstaat geschlossen werden, die Anwendung von Bestimmungen vereinbaren, die den Zweigstellen eines Kreditinstituts mit Sitz in einem Drittstaat die gleiche Behandlung im Unionsgebiet einräumen.290 Im Übrigen sieht das Unionsrecht bislang keine konkreten Vorgaben hinsichtlich des Marktzugangs durch Drittstaaten-Institute vor. Die Drittstaaten-Regime weisen in den einzelnen Mitgliedstaaten daher erhebliche Unterschiede auf.291 Die Kommissionsvorschläge vom Oktober 2021 sehen allerdings eine Mindestharmonisierung des Drittstaatenregimes vor. Die nachstehenden Erörterungen fokussieren sich auf die derzeitige Rechtslage in Deutschland. Vgl. oben Fn. 281. Erwägungsgrund (23) CRD IV. Erwägungsgrund (23) CRD IV sowie Art. 47(1) CRD. Art. 47(3) CRD. Die Unterschiede beziehen sich u. a. auf (i) die Tätigkeiten, die Erlaubnispflichten auslösen; (ii) die Erlaubnisanforderungen für Zweigstellen sowie (iii) etwaige Erleichterungen und Befreiungsmöglichkeiten. Vgl. hierzu aus Praktikersicht der von verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien veröffentlichte Newsletter vom Juni 2016 zum Brexit/Drittstaatenregime (abrufbar unter: https://www.hengeler.com/fileadmin/medien/broschueren/BREXIT_-_Third_ Country_Rules.pdf).
287 288 289 290 291
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b) Drittstaaten-Zweigstellen (Deutschland) 105
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Will ein Drittstaaten-Institut in Deutschland regulierte Bankengeschäfte oder Finanzdienstleistungen mit Präsenz im Inland erbringen, stehen diesem grundsätzlich zwei Möglichkeiten292 zur Verfügung: die Gründung einer rechtlich selbstständigen Tochtergesellschaft oder die Errichtung einer Zweigstelle gem. § 53 KWG. Die Drittstaaten-Zweigstelle gem. § 53 KWG weicht erheblich von einer auf Basis des EU-Passes errichteten Zweigniederlassung eines EWR-Instituts ab. Kennzeichnendes Element ist die Institutsfiktion: Unterhält ein Unternehmen mit Sitz im Ausland eine Zweigstelle im Inland, die Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt, so „gilt“ die Zweigstelle für aufsichtsrechtliche Zwecke als Kreditinstitut bzw. Finanzdienstleistungsinstitut.293 Im Ausgangspunkt finden auf Drittstaaten-Zweigstellen sämtliche Regelungen Anwendung, die für ein (gedachtes) rechtlich selbstständiges Institut gelten würden. Die Zweigstelle ist insbesondere denselben Erlaubnispflichten gem. § 32 KWG unterworfen wie eine rechtlich selbstständige Tochtergesellschaft.294 Allerdings handelt es sich bei der Zweigstelle um kein „CRR-Kreditinstitut“ im Rechtssinne. Diese kann sich insbesondere nicht auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit und die Privilegien des EU-Passes berufen.295 Die auf die Zweigstelle anzuwendenden Vorschriften werden im Kreditwesengesetz näher konkretisiert:296 Das Unternehmen muss mindestens zwei Personen im Inland bestellen, die für den Geschäftsbereich des Instituts zur Geschäftsführung und Vertretung befugt sind.297 Diese Personen gelten für die Zwecke des Aufsichtsrechts als Geschäftsleiter.298 Die Zweigstelle ist ferner verpflichtet, über die von ihr betriebenen Geschäfte und das ihrem Geschäftsbetrieb dienende Vermögen gesondert Buch zu führen und gegenüber der BaFin und der Deutschen Bundesbank Rechnung zu legen.299 Zudem hat die Zweigstelle die regulatorischen Eigenmittelanforderungen zu erfüllen.300 Im Zusammenhang mit der Institutsfiktion steht die Vorgabe, dass die Bestimmungen des 292 Im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr besteht unter Umständen zudem die Möglichkeit einer Freistellung gem. § 2(5) KWG. 293 § 53(1) Satz 1 CRD. 294 Das Zulassungsverfahren bei einer Zweigstelle gem. § 53 KWG ist ähnlich aufwendig wie bei Gründung eines rechtlich selbstständigen Instituts. 295 Vahldiek, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53 Rn. 38. 296 § 53(2) Nr. 1–7 KWG. 297 § 53(2) Satz 1 Nr. 1 KWG. 298 Es kann von einer „doppelten Fiktion“ gesprochen werden, da die „Geschäftsleiterfiktion“ gem. § 53(2) Nr. 1 Satz 2 KWG an die „Institutsfunktion“ gem. § 53(1) Satz 1 KWG anknüpft. Das Gesellschaftsrecht kennt freilich keine derartige auf die Zweigstelle bezogene Organstellung der Zweigstellen-Geschäftsleiter. Aus aufsichtsrechtlicher Sicht finden die Vorschriften für Geschäftsleiter Anwendung, einschließlich der fit-and-proper-Anforderungen sowie die Anforderungen an die zeitliche Verfügbarkeit. Dazu im Einzelnen § 12. 299 § 53(2) Satz 1 Nr. 2 KWG. 300 Dies ergibt sich aus der Institutsfiktion gem. § 53(1) Satz 1 KWG. Vgl. auch Auerbach, in: Schwennicke/Auerbach, 4. Aufl. 2021, § 53 Rn. 48.
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Kreditwesengesetzes, die daran anknüpfen, dass ein Institut Tochterunternehmen eines Unternehmens mit Sitz im Ausland ist, auch für Drittstaaten-Zweigstellen Anwendung finden.301 Durch diese „Tochterunternehmensfiktion“ wird ein Gleichklang der Anwendung der Vorschriften des KWG auf (rechtlich selbstständige) Tochterunternehmen und (rechtlich unselbstständige) Zweigstellen bezweckt.302 Die Zweigstelle gem. § 53 KWG wirft komplexe rechtsdogmatische Fragen auf. Diese resultieren daraus, dass die Zweigstelle einerseits wegen der rechtlichen Unselbstständigkeit aus zivilrechtlicher Sicht selbst nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Vermögensrechtlich verfügt die Zweigstelle über kein Eigenkapital. Andererseits wird diese kraft der aufsichtsrechtlichen Institutsfiktion als eigenständiges Institut behandelt. Als „Eigenmittel“ der Zweigstelle gilt gem. § 53 Abs. 2 Nr. 4 KWG die Summe der Beträge, die in den Finanzinformationen gem. § 25 KWG als der Zweigstelle von dem ausländischen Unternehmen zur Verfügung gestelltes Betriebskapital (das sog. „Dotationskapital“) und ihr zur Verstärkung der eigenen Mittel belassenen Betriebsüberschüsse ausgewiesen werden.303
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Gem. § 53c KWG wird das Bundesministerium für Finanzen unter bestimmten Voraussetzungen dazu ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Anwendung der Vorschriften des § 53b KWG (Erleichterungen des EU-Passes) unter vollständiger oder teilweiser Freistellung von den Vorschriften des § 53 KWG auf Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat anzuordnen.304 Entsprechende Vereinbarungen wurden bislang hinsichtlich Zweigniederlassungen von Kreditinstituten mit Sitz in den USA, Japan sowie Australien geschlossen.305 Diese stellen diese Zweigstellen von bestimmten Anforderungen des Kreditwesengesetzes bzw. den Eigenkapital- und Großkreditanforderungen gem. CRR frei.306
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301 § 53(2a) KWG. 302 Auerbach, in: Schwennicke/Auerbach, 4. Aufl. 2021, § 53 Rn. 55. Es finden somit auch
die Vorgaben der Inhaberkontrolle Anwendung. Eine bedeutende Beteiligung an dem ausländischen Unternehmen wird von der Aufsicht als mittelbare Beteiligung an der Zweigstelle angesehen. Hierzu Vahldieck, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53 Rn. 120. 303 In der Rechtspraxis sind Zweigstellen gem. § 53 KWG verhältnismäßig selten anzutreffen. Allerdings hat die Zahl der Drittstaaten-Zweigstellen in den letzten Jahren zugenommen. Derzeit sind ausweislich der BaFin-Unternehmensdatenbank 34 Drittstaaten-Zweigniederlassungen in Deutschland zugelassen (einschließlich Zweigniederlassungen von Finanzdienstleistungsinstituten). 304 Vgl. § 53c Nr. 2 KWG. Voraussetzung hierfür ist, dass (i) die Gegenseitigkeit gewährt ist, (ii) die Unternehmen in ihrem Sitzstaat in den von der Freistellung betroffenen Bereichen nach international anerkannten Grundsätzen beaufsichtigt werden, (iii) den Zweigniederlassungen der entsprechenden Unternehmen mit Sitz im Inland in diesem Staat gleichwertige Erleichterungen eingeräumt werden (Prinzip der Reziprozität) und (iv) die zuständigen Behörden des Sitzstaats zu einer befriedigenden Zusammenarbeit mit der BaFin bereit sind und dies auf der Grundlage einer zwischenstaatlichen Vereinbarung sichergestellt ist. 305 Vgl. die Nachweise bei Vahldieck, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 53c Rn. 7. 306 Vgl. im Einzelnen Brocker, in: Schwennicke/Auerbach, 4. Aufl. 2021, § 53c Rn. 7 ff.
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c) Exkurs: Drittstaatenregime für Wertpapierfirmen gem. MiFID II/MiFIR aa) Grenzüberschreitende Wertpapierdienstleistungen 110
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Nach Art. 46 ff. MiFIR können Drittlandfirmen unter bestimmten Voraussetzungen ohne Zulassung in der Union im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs (ohne Errichtung einer Zweigstelle innerhalb der EU) regulierte Wertpapierdienstleistungen in der Union erbringen.307 Diese Erleichterungen gelten allerdings nur für Wertpapierdienstleistungen, die gegenüber „geborenen“ professionellen Kunden308 und geeigneten Gegenparteien erbracht werden. Um einen Marktzugang nach der MiFIR zu erlangen, muss sich die Drittlandfirma in ein von der ESMA geführtes Register für Drittlandfirmen eintragen lassen.309 Die Eintragung setzt den Erlass eines sog. Gleichwertigkeitsbeschlusses der Kommission hinsichtlich des betreffenden Drittstaats voraus.310 Die Drittlandfirma muss nach den Vorschriften des Drittstaats zudem befugt sein, die jeweiligen Wertpapierdienstleistungen innerhalb der Union zu erbringen, und muss einer wirksamen Beaufsichtigung in dem Drittstaat unterliegen.311 Es muss zudem ein Kooperationsabkommen zwischen der ESMA und der zuständigen Aufsichtsbehörde im Drittstaat geschlossen worden sein.312 Im Zuge des Erlasses des Gleichwertigkeitsbeschlusses wird geprüft, ob die Rechts- und Aufsichtsvereinbarungen in dem Drittstaat mit den Anforderungen der MiFID II/MiFIR sowie der CRD „gleichwertig“ sind.313 Bis dato liegt noch kein entsprechender Beschluss vor. Die Erfahrungen hinsichtlich der
307 Art. 46 ff. MiFIR. Hierzu Sethe, SZW/RSDA 2014, 615; Schuster/Pitz/Matzen, ZBB 2018, 197. 308 Abschnitt 1 Anhang II MiFID II. Als „geborene“ professionelle Kunden werden solche Kunden angesehen, die über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügen, um ihre Anlageentscheidungen selbst treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen zu können. Dies wird etwa bei Wertpapierfirmen, Kreditinstituten, sonstigen beaufsichtigten Finanzinstituten sowie bei den übrigen in Abschnitt 1 Anhang II MiFID II genannten Marktteilnehmern angenommen. Sie grenzen sich von den „gekorenen“ professionellen Kunden gem. Abschnitt 2 Anhang II MiFID II ab, die unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag als professionelle Kunden behandelt werden dürfen. 309 Art. 46(1), 48 MiFIR. Das Register ist auf der Homepage der ESMA abrufbar. Vgl. https:// registers.esma.europa.eu/publication/. 310 Art. 46(2) lit. a MiFIR. 311 Art. 46(2) lit. b MiFIR. 312 Art. 46(2) lit. c MiFIR. Mit Wirkung zum 26.6.2021 wurden die Anforderungen durch die Wertpapierfirmen-VO weiter verschärft. Art. 46 MiFIR n. F. sieht u. a. erweiterte Berichtspflichten der Drittstaatenfirmen gegenüber der ESMA vor. Die ESMA hat im September 2020 überarbeitete Entwürfe für Regulierungsstandards zum Drittstaatenregime erlassen. Vgl. ESMA, Final Report: Draft technical standards on the provision of investment services and activities in the Union by third-country firms under MiFID II and MiFIR, ESMA35–43– 2424, 28.9.2020. 313 Zur Gleichwertigkeitsprüfung in einem anderen Zusammenhang Veil/Wundenberg, WM 2008, 1285–1295.
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Äquivalenzprüfung im Investmentrecht314 lassen allerdings erwarten, dass die europäischen Behörden strenge Anforderungen an die Gleichwertigkeit stellen werden und das Prüfungsverfahren eine erhebliche Zeit in Anspruch nehmen wird. bb) MiFID-Drittstaatenzweigstellen
Gegenüber Privatkunden sowie „gekorenen“ professionellen Kunden315 findet das vorgenannte Drittstaatenregime gem. MiFIR keine Anwendung. Art. 39 ff. MiFID II eröffnet den Mitgliedstaaten hier ein Wahlrecht: Der Mitgliedstaat kann den Drittlandfirmen vorschreiben, eine Zweigniederlassung im Hoheitsgebiet zu errichten, wenn diese regulierte Wertpapierdienstleistungen gegenüber Privatkunden bzw. gekorenen professionellen Kunden erbringen wollen. In diesem Fall sieht die MiFID II nähere Regelungen an das Zulassungsverfahren und die Drittstaatenfirmen vor.316 Übt der Mitgliedstaat diese Option aus, ordnet Art. 41 Abs. 2 Unterabs. 2 MiFID II an, dass die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb der Zweigniederlassung in den von der MiFID II erfassten Bereichen vorsehen; bei Optionsausübung sind diese Regelungen somit als Vollharmonisierung ausgestaltet.317 Schreibt der Mitgliedstaat dagegen keine Zweigniederlassung vor, legt dieser selbst die geltenden Rahmenvorgaben für Drittstaatenfirmen fest. Die Mitgliedstaaten behalten in diesem Fall ihre Gestaltungsautonomie. In Deutschland hat sich der Gesetzgeber gegen die Übernahme des MiFIDII-Drittstaatenzweigstellen-Regimes entschieden. Für Drittstaatenunternehmen, die in Deutschland Wertpapierdienstleistungen erbringen wollen, bleibt (während der Übergangszeit318) ggf. die Möglichkeit der Beantragung einer Freistellung gem. § 2 Abs. 5 KWG (bei grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung, siehe sogleich).319 Im Übrigen sind die Unternehmen auf die Errichtung einer Drittstaaten-Zweigstelle gem. § 53 KWG (vgl. oben Rn. 105 ff.) bzw. die Gründung einer Tochtergesellschaft angewiesen.
314 Vgl. für eine Übersicht Europäisches Parlament, Third country equivalence in EU banking and financial regulation, August 2019 (abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/ RegData/etudes/IDAN/2018/614495/IPOL_IDA(2018)614495_EN.pdf). 315 Vgl. Anhang II Nr. 2 MiFID II (Kunden, die auf Antrag als professionelle Kunden behandelt werden können). 316 Vgl. für Einzelheiten Sethe, Das Drittstaatenregime von MiFIR und MiFID II, SZW/ RSDA 2014, 615, 628 f. 317 Zutreffend Sethe, Das Drittstaatenregime von MiFIR und MiFID II, SZW/RSDA 2014, 615, 630. 318 Art. 54(1) MiFIR. 319 § 2(5) KWG.
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
5. Ausnahmen (insbesondere: Freistellungen und reverse solicitation) a) Freistellung gem. § 2 Abs. 5 KWG 115
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In den nationalen Mitgliedstaaten sind verschiedene Befreiungs- und Freistellungsmöglichkeiten von den Erlaubnispflichten anzutreffen.320 In Deutschland besteht im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer Freistellung gem. § 2 Abs. 5 KWG. Hiernach kann die BaFin vorbehaltlich der Vorgaben zu dem Drittstaatenzugang gem. MiFIR321 beschließen, dass bestimmte Vorschriften des Kreditwesengesetzes – einschließlich der Erlaubnispflicht gem. § 32 KWG – nicht anzuwenden sind, „solange das Unternehmen wegen der Art der von ihm betriebenen Geschäfte insoweit der Aufsicht nicht bedarf“. Nach der Verwaltungspraxis sind diese Voraussetzungen erfüllt, wenn die Drittstaatenfirma in ihrem Herkunftsstaat effektiv nach den internationalen Standards beaufsichtigt wird und die zuständige Behörde des Herkunftsstaats mit der BaFin befriedigend zusammenarbeitet.322 Die Drittstaatenfirma hat zudem eine Bescheinigung der zuständigen Aufsichtsbehörde des Drittstaats vorzulegen.323 Auf Basis der Freistellung können institutionelle Anleger324 im Rahmen des grenzüberschreitenden Verkehrs direkt angesprochen werden. Hinsichtlich Privatkunden muss die Kundenanbahnung dagegen durch ein sog. „Anbahnungsinstitut“ erfolgen. Als Anbahnungsinstitut kommt ein Institut mit Sitz im EWR-Raum (bzw. eine auf Basis des EU-Passes in Deutschland operierende Zweigniederlassung) in Betracht. Nach erfolgter Anbahnung der Kundenbeziehung durch das Anbahnungsinstitut kann sich das Institut im Rahmen des grenzüberschreitenden Geschäfts direkt an Kunden mit Sitz in Deutschland wenden.325 Die Erteilung der Freistellung liegt grundsätzlich im Ermessen der BaFin. Sie wurde bislang vor allem für Drittstaatenfirmen in der Schweiz erteilt.326 Auch an US-amerikanische Unternehmen sowie Institute aus dem asiatischen Rechtsraum wurden Freistellungen gem. § 2 Abs. 5 KWG erteilt.
320 Eine unionsrechtliche Grundlage besteht hierfür allerdings nicht. Vgl. zur „reverse soli-
citation“ im Kontext der Errichtung einer Zweigniederlassung nunmehr Art. 41 MiFID II. 321 Vgl. hierzu Art. 46 ff. MiFIR. 322 BaFin, Merkblatt zur Erlaubnispflicht von grenzüberschreitend betriebenen Geschäften,
April 2005, Ziffer 2 Nr. 2. 323 BaFin, Merkblatt zur Erlaubnispflicht von grenzüberschreitend betriebenen Geschäften, April 2005, Ziffer 2 Nr. 2. Die vorzulegenden Unterlagen sind in dem Merkblatt unter Ziffer 2 und 3 näher aufgeführt. 324 Der Kreis der institutionellen Anleger wird im Merkblatt anders definiert als der Begriff des professionellen Kunden im Sinne der MiFID, vgl. Ziffer 2 Nr. 2 des Merkblatts. 325 BaFin, Merkblatt zur Erlaubnispflicht von grenzüberschreitend betriebenen Geschäften, April 2005, Ziffer 2 Nr. 2. 326 Vgl. die Nachweise auf der Unternehmensdatenbank der BaFin, vgl. https://portal.mvp. bafin.de/database/InstInfo/sucheForm.do.
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
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Die Möglichkeit der Freistellung von Drittstaateninstituten geht auf das bereits erwähnte Merkblatt der BaFin zur Erlaubnispflicht von grenzüberschreitend betriebenen Geschäften von April 2005 zurück.327 Diese wurde seinerzeit auf die Generalklausel gem. § 2 Abs. 4 KWG a. F. gestützt. Sie kann als „Gegengewicht“ zu der sehr extensiven Inlandsinterpretation der BaFin angesehen werden (vgl. oben Rn. 98 ff.). Die Verwaltungspraxis wurde mit Wirkung zum 2. Januar 2018 im Zuge der MiFID-II-Umsetzungsgesetzgebung in § 2 Abs. 5 KWG kodifiziert. Hinsichtlich der Wohlverhaltenspflichten gem. MiFID II ordnet § 91 WpHG bestimmte Befreiungsmöglichkeiten an. Ferner wurde für Institute mit Sitz in der Schweiz die Möglichkeit einer sog. „vereinfachten“ Freistellung etabliert.328 Diese „Erleichterungen“ bei der „vereinfachten“ Freistellung beziehen sich darauf, dass eine Kundenansprache hinsichtlich Privatkunden direkt (also ohne Einschaltung eines Anbahnungsinstituts) erfolgen kann. Im Gegenzug muss das Institut allerdings zusätzliche nationale Vorschriften einhalten.329
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b) Passive Dienstleistungsfreiheit
Für die praktische Rechtsanwendung spielt ferner das Institut der passiven Dienstleistungsfreiheit eine wichtige Rolle. Diese wurde von der BaFin in dem erwähnten Merkblatt zum grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr verankert.330 Hiernach lösen Geschäfte mit im Inland ansässigen Personen und Unternehmen, die aus „eigener Initiative“ des Kunden zustande gekommen sind, keine Erlaubnispflicht gem. § 32 KWG aus.331 Die BaFin leitet dies aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ab. Das Konzept der passiven Dienstleistungsfreiheit (im internationalen Kontext als „reverse solicitation“ bezeichnet) findet sich inzwischen in Art. 42 MiFID II auch im Unionsrecht.
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V. Sanktionen 1. Unionsrechtliche Regelungsvorgaben
In der CRD werden Mindestanforderungen normiert, die von den Mitgliedstaaten bei Verletzungen der Erlaubnispflichten verhängt werden können. So müssen die Mitgliedstaaten in ihren Rechts- und Verwaltungsvorschriften Sanktionen und andere Verwaltungsmaßnahmen für den Fall vorsehen, dass ein Kreditinstitut ohne entsprechende Zulassung seine Tätigkeit aufnimmt.332
327 BaFin, Merkblatt zur Erlaubnispflicht von grenzüberschreitend betriebenen Geschäften, 2005 (zuletzt geändert am 11.3.2019). 328 Vgl. hierzu FINMA, Vereinfachtes Freistellungsverfahren für Schweizer Banken bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten im Finanzbereich in Deutschland, FINMA-Mitteilung 54 (2014), 6.1.2014 sowie das Memorandum zu verfahrensrechtlichen Aspekten grenzüberschreitender Tätigkeiten im Finanzbereich (abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/officialcompilation/2013/3677.pdf). 329 Hierzu zählen namentlich die deutschen Verbraucherschutz- und Geldwäschebekämpfungsregeln. 330 Vgl. oben Fn. 327. 331 Vgl. S. 1 des Merkblatts. 332 Art. 66(1) lit. b CRD.
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
Die Mitgliedstaaten müssen mindestens die folgenden Maßnahmen vorsehen: (i) die öffentliche Bekanntmachung des Namens der natürlichen Person bzw. der Firma des Instituts, der Finanzholdinggesellschaft oder gemischten Finanzholdinggesellschaft, die für den Verstoß verantwortlich ist, und der Art des Verstoßes, (ii) eine Anordnung, wonach die verantwortliche natürliche oder juristische Person die Verhaltensweise einzustellen und von einer Wiederholung abzusehen hat, (iii) im Falle einer juristischen Person Bußgelder von bis zu 10 % des jährlichen Gesamtnettoumsatzes, (iv) im Falle einer natürlichen Person Bußgelder von bis zu EUR 5 Mio., (v) Bußgelder in zweifacher Höhe des aus dem Verstoß gezogenen Nutzens, soweit sich dieser beziffern lässt, sowie (vi) Aussetzung der Stimmrechte des oder der Anteilseigner, dem bzw. denen die Verstöße gegen die Zulassungspflichten vorgeworfen werden.333 Darüber hinaus obliegt die Ausgestaltung des Sanktionsregimes der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten. Insbesondere schreibt das Unionsrecht nicht die Verhängung von Kriminalstrafen vor. Auch zu etwaigen zivilrechtlichen Sanktionen äußert sich das Unionsrecht nicht. 2. Deutschland
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In Deutschland löst das Betreiben von regulierten Bankengeschäften ohne entsprechende Zulassung gem. § 32 KWG strafrechtliche, verwaltungsrechtliche sowie zivilrechtliche Sanktionen aus. a) Straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen
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Als Strafsanktion ist eine Freiheitstrafe von bis zu fünf Jahren (bei fahrlässiger Begehung bis zu drei Jahren) oder eine Geldstrafe vorgesehen.334 Adressat der Strafvorschrift sind nach der Konzeption des deutschen Strafrechts, das anders als beispielsweise das US-amerikanische Recht bislang kein Unternehmensstrafrecht kennt, lediglich natürliche Personen. Eine strafrechtliche Verantwortung trifft hiernach primär diejenigen Personen, die in organschaftlicher Stellung für die juristische Person tätig sind (bei Aktiengesellschaften etwa den Vorstand).335 Die Strafdrohung kann sich aber auch an Mitglieder der unteren Leitungsebenen richten, wenn diese mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet sind.336 Daneben kann auch das Unternehmen, in dem nicht erlaubnispflichtige Geschäfte betrieben werden, nach dem Ordnungswidrigkeitsrecht selbst gem. § 30 OWiG in Verbindung mit § 59 KWG mit einer Geldbuße von bis zu EUR 10 Mio. (bei fahrlässiger Begehung EUR 5 Mio.) belangt werden. 333 Art. 66(2) CRD. Bei der Wahrnehmung von Sanktionsbefugnissen sind die in Art. 70 CRD normierten Kriterien zu berücksichtigen. 334 § 54(1) und (2) KWG. 335 Vgl. § 14 StGB. Hierzu im Zusammenhang mit § 54 KWG Lindemann, in: Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 54 Rn. 23. 336 Lindemann, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 54 Rn. 23.
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
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Schließlich kann die BaFin die sofortige Einstellung des Geschäftsbetriebes und die unverzügliche Abwicklung dieser Geschäfte gegenüber dem Unternehmen und den Mitgliedern seiner Organe gem. § 37 KWG anordnen. Die Aufsichtsbehörde kann zudem nach § 17 FinDAG ihre Verfügungen mithilfe der allgemeinen im Verwaltungsvollstreckungsgesetz vorgesehenen Zwangsmittel durchsetzen.337
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b) Zivilrechtliche Folgen
Von erheblicher Bedeutung sind zudem die zivilrechtlichen Sanktionen. Hinsichtlich der zivilrechtlichen Konsequenzen ist zu differenzieren: Weitgehend anerkannt ist, dass unerlaubt betriebene Bankgeschäfte zivilrechtlich grundsätzlich wirksam sind.338 Zwar handelt es sich bei der Erlaubnispflicht gem. § 32 KWG aufgrund der hieran anknüpfenden Strafsanktion um ein „gesetzliches Verbot“ im Sinne des § 134 BGB. Allerdings richtet sich das Verbot in der Regel nur an das jeweilige Institut, nicht dagegen an den jeweiligen Geschäftspartner.339 Eine zivilrechtliche Unwirksamkeit kommt ausnahmsweise in solchen Fällen in Betracht, in denen ein Festhalten am Vertrag eine Schädigung oder Gefährdung der anderen Partei aufrechterhalten würde, die mit dem Verbot des § 32 KWG abgewendet werden soll.340 Eine Gesamtnichtigkeit wird vor diesem Hintergrund vereinzelt für das verbotswidrig betriebene Einlagengeschäft bejaht.341 Zum Teil wird in solchen Konstellationen eine Teilnichtigkeit der jeweiligen Fälligkeitsabrede angenommen.342 Von der Rechtsprechung wird die Erlaubnispflicht gem. § 32 KWG und die hieran anknüpfende strafrechtliche Sanktionsnorm (§ 54 KWG) als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB qualifiziert.343 Anleger können daher ggf. Rückabwicklung des Vertrags im Wege des Schadensersatzes verlangen. 337 Dazu Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 108. 338 Schwennicke, in: Schwennicke/Auerbach, KWG, 4. Aufl. 2021, § 32 Rn. 91 ff. mit zahlreichen Nachweisen. Monografisch zu den zivilrechtlichen Sanktionen im System der Bankenregulierung Badenhoop, Europäische Bankenregulierung und private Haftung, 2020, S. 226 und passim (eine Ausdehnung der privaten Haftung im europäischen Bankenaufsichtsrecht befürwortend). 339 Zu § 32 KWG Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 29. 340 Schwennicke, in: Schwennicke/Auerbach, KWG, 4. Aufl. 2021, § 32 Rn. 92 mit Rechtsprechungsnachweisen. 341 Für eine Gesamtnichtigkeit in solchen Fällen Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 109. 342 Vgl. die von Binder, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 3 Rn. 109 Fn. 298 zitierten Nachweise. 343 Vgl. den bereits erörterten „Winzerfall“ (BGH, Urteil vom 19.3.2013, VI ZR 56/12, NZG 2013, 582 Rn. 15) sowie den „Lebensversicherungsfall“ BGH, Urteil vom 10.7.2018, VI ZR 263/17, ZIP 2018, 1678). Dies entspricht der heute wohl überwiegenden Literaturauffassung, vgl. Fischer/Müller, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 31 m. w. N. in Fn. 63.
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Teil 3: Marktzugang und Erlaubnisverfahren
Praktisches Anschauungsmaterial liefert der weiter oben behandelte „Winzerfall“ sowie der „Lebensversicherungs-Fall“. In den Fällen, in denen das Unternehmen – wie im Lebensversicherungs-Fall – auf Auskünfte der BaFin bzw. der in Merkblättern normierten Verwaltungspraxis vertraut, kommt ein (unvermeidbarer) Verbotsirrtums in Betracht. Nach der Rechtsprechung des BGH sind in diesem Zusammenhang die strafrechtlichen Grundsätze des unvermeidbaren Verbotsirrtums gem. § 17 StGB anzuwenden (also nicht die zivilrechtlichen Grundsätze des Rechtsirrtums). Dies hat praktische Auswirkung auf die Rechtsanwendung, da die strafrechtlichen Grundsätze zum Teil strenger344, zum Teil aber großzügiger345 sind als deren zivilrechtliches Pendant.
VI. Fazit 131
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Es gehört zu den etablierten Grundsätzen der internationalen Bankenregulierung, dass Unternehmen, die Bank- und Finanzdienstleistungen erbringen wollen, vor Aufnahme des Geschäftsbetriebes ein behördliches Erlaubnisverfahren durchlaufen müssen (Konzessionsprinzip). Hierdurch soll sichergestellt werden, dass nur solche Unternehmen regulierte Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen erbringen, die über eine hinreichende Solidität und Zuverlässigkeit verfügen. Das Erlaubnisverfahren dient sowohl dem Einleger- als auch dem Funktionsschutz. Das Zulassungsverfahren wurde bereits in der frühen Phase der europäischen Bankrechtsharmonisierung adressiert. Allerdings sind die Erlaubnistatbestände und das Zulassungsverfahren bis heute nur in den Grundzügen harmonisiert. Insbesondere weisen die Definitionen des „Kreditinstituts“ in den einzelnen Mitgliedstaaten Unterschiede auf. Ein echtes „Single Rulebook“ der Marktzugangskontrolle existiert daher bislang noch nicht. Im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus ist die EZB für die Erteilung sowie den Entzug der Zulassung verantwortlich. Die EZB hat dabei allerdings die Vorgaben des nationalen Rechts zu berücksichtigen. Das Zulassungsverfahren von CRR-Kreditinstituten mit Sitz in den teilnehmenden Mitgliedstaaten ist durch eine komplexe Arbeitsteilung zwischen den nationalen Behörden und der EZB geprägt. In grenzüberschreitenden Sachverhalten kommt dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungsentscheidungen (EU-Pass) sowie dem Prinzip der Heimatlandkontrolle eine wichtige Bedeutung zu. Hiernach müssen Institute, die durch eine Zweigniederlassung bzw. im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden wollen, in dem Aufnahmemitgliedstaat keine erneute Bankerlaubnis beantragen. 344 Strenger insoweit, als bei der zivilrechtlichen Delikthaftung ein Rechtsirrtum grundsätzlich den Vorsatz entfallen lässt, während dieser gem. § 17 StGB erst auf Schuldebene zu berücksichtigen ist. Der praktische Unterschied dürfte allerdings in der Regel gering sein, da im Zivilrecht zumeist bereits eine Fahrlässigkeit Schadensersatzpflichten auslöst. 345 Großzügiger insoweit, als die Maßstäbe der „Unvermeidbarkeit“ in der Gesamtschau weniger rigide sind als die äußerst strengen Kriterien des zivilrechtlichen Rechtsirrtums. Vgl. hierzu Verse, ZGR 2017, 174, 181.
§ 7 Bankerlaubnis und Grundsätze des grenzüberschreitenden Marktzugangs
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Das Konzept des EU-Passes hat wesentlich zur Integration des europäischen Bankenmarktes beigetragen, aber auch zu Koordinationsproblemen zwischen den einzelnen nationalen Aufsichtsbehörden geführt. Diese Koordinationsprobleme werden im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus entschärft, da die EZB hier als zuständige Behörde des Aufnahme- und Heimatstaats auftritt.
Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung Abschnitt 1: Quantitative Anforderungen § 8 Eigenmittel Literatur: Admati, Anat/Hellwig, Martin, The Bankers’ New Clothes, 2013; Aiyar, Shekhar et al., Bank Capital Regulation: Theory, Empirics, and Policy, 63 International Monetary Fund (2015), 955–983; Alexander, Kern, The Role of Capital in Supporting Banking Stability, in: Moloney, Niamh/Ferran, Eilís/Payne, Jennifer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Financial Regulation, 2015, Teil 4; Avgouleas, Emilios, Governance of Global Financial Markets, 2012; ders., Bank Leverage Ratios and Financial Stability: A Micro- and Macroprudential Perspective, SSRN Working Paper, 2015 (abrufbar unter: https://papers. ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2682675); Buchmüller, Patrik, Basel II, 2008; Cahn, Andreas/Kenadian, Patrick, Contingent Convertible Securities: From Theory to CRD IV, in: Bush, Danny/Ferrarini, Guido (Hrsg.), European Banking Union, 2015, Kapitel 8; Fritz-Aßmus, Dieter/Tuchtfelt, Egon, Basel II als internationaler Standard zur Regulierung von Banken, in: 54 Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (ORDO) (2003), S. 269–288; Haldane, Andrew G., The dog and the frisbee, Rede bei der Federal Reserve Bank of Kansas City’s 366th economic policy symposium (abrufbar unter: https:// www.bis.org/review/r120905a.pdf); Hartmann-Wendels, Thomas et al., Arbeitsweise der Bankenaufsicht vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise, 2010; Herring, Richard J., The Evolving Complexity of Capital Regulation, 53 Journal of Financial Services Research (2018), 183–205; Modigliani, Franco/Miller, Merton H., The Cost of Capital, Corporation Finance and the Theory of Investment and Dividend Policy, Growth and the Valuation of Shares, 48 American Economic Review (1958), S. 261–297 (abrufbar unter: https://gvpesquisa.fgv.br/sites/gvpesquisa.fgv.br/files/arquivos/terra_-_the_cost_of_capital_corporation_ finance.pdf); Moloney, Niamh, The 2013 Capital Requirements Directive IV and Capital Requirements Regulation: implications and institutional effects, 71 Zeitschrift für öffentliches Recht (2016), 385–423; Moosa, Imad A., Basel II as a Casualty of the Global Financial Crisis, Journal of Banking Regulation (2010), 95–114; Power, Michael, Organized uncertainty, 2016; Schenk, Catherine R./Mourlon-Druol, Emmanuel, Bank Regulation and Supervision, in: Cassis et al. (Hrsg.), Oxford Handbook of Banking and Financial History, 2016, S. 395–419; Walther, Stefan, Dämpfung der prozyklischen Wirkung von Kapitalanforderungen in Basel III?, 2012, Deutsches Institut für Bankwirtschaft (abrufbar unter: https://deutsches-institut-bankwirtschaft.de/publikationen/Walter%20Prozyklizitaet%20 von%20Kapitalanforderungen.pdf); Wundenberg, Malte, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012.
200 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
I. Grundlagen 1. Rechtsentwicklung und Bedeutung 1
2
Die Eigenmittelregulierung bildet den „harten Kern“ des Bankenaufsichtsrechts.1 Die rechtlichen Vorgaben gehen überwiegend auf die Vorarbeiten des Basler Ausschusses2 zurück, die mit gewissen Modifikationen in das Unionsrecht überführt wurden.3 Den Ausgangspunkt der Harmonisierungsbestrebungen bildete die Basler Eigenkapitalvereinbarung von 1988 (Basel I). Diese formulierte erstmalig harmonisierte Eigenmittelanforderungen in Höhe von 8 % für Kreditrisiken. Die Vereinbarung wurde von mehr als 100 Ländern übernommen.4 Basel I sah ein verhältnismäßig einfaches Verfahren zur Ermittlung der zu unterlegenden Eigenmittel5 vor: Hiernach sollte die Eigenmittelausstattung der von Kreditinstituten übernommenen Kreditrisiken mindestens 8 % der „risikogewichteten Aktiva“6 betragen (Cooke-Ratio).7 Dies bedeutet, dass die gewichteten Kreditforderungen höchstens das 12,5-Fache der Eigenmittel ausmachen dürfen. Der erste Eigenmittelakkord erwies sich allerdings in verschiedener Hinsicht als zu grobkörnig. Zum einen wurde kritisiert, dass die pauschale Bewertung von Kreditrisiken durch Basel I das tatsächliche Risikoprofil der Banken nur sehr ungenau abbilde.8 Als Schwachstelle des Eigenmittelakkords von 1988 wurde zudem der Umstand angesehen, dass dieser nur einen Teilbereich der bankenaufsichtsrechtlich relevanten Risiken – nämlich sog. Allgemein zur Bedeutung von Kapitalanforderungen Adamati/Hellwig, The Bankers’ 1 New Clothes, 2013, S. 93 („main instrument of banking regulation“); Alexander, in: Moloney/ Ferran/Payne (Hrsg.), The Oxford Handbook of Financial Regulation, 2015, S. 334 („talismanic significance“); Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 290 ff.; Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 287 („core plank of prudential supervision“). Zur ökonomischen Grundsatzdebatte um die Bedeutung der Kapitalanforderungen Admati/Hellwig, The Bankers’ New Clothes, 2013, S. 100 („key question of banking regulation“). Die Bedeutung der Basler Eigenmittelvereinbarungen (Basel I–III) wird vielfach betont. 2 Vgl. etwa Alexander, in: Moloney/Ferran/Payne (Hrsg.), The Oxford Handbook of Financial Regulation, 2015, S. 341 („most important international financial regulation agreement“). Für eine Gegenüberstellung der Vorgaben von Basel III sowie der Umsetzung durch das 3 CRD-IV-Paket vgl. Bornemann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, Einf. CRR Rn. 14 ff. (177 AL, Februar 2015) (mit Hinweis auf Abweichungen). Zur Entwicklung bereits § 2 Rn. 32 ff. Basler Ausschuss, Capital Requirements and Bank Behaviour: The Impact of the Basle 4 Accord, April 1999. Basel I wurde 1996 um Vorgaben an die Eigenmittelunterlegung von Marktrisiken ergänzt. Basel I wurde u. a. als Reaktion auf die lateinamerikanische Schuldenkrise von 1982 vereinbart, vgl. hierzu Schenk/Mourlon-Druol, in: Cassis et al. (Hrsg.), Oxford Handbook of Banking and Financial History, 2016, S. 395, 415. Für eine eingehende ökonomische Analyse der Entwicklung der Eigenmittelanforderun5 gen von Basel I bis zu Basel III (insbesondere vor dem Hintergrund der Zunahme an Komplexität) vgl. Herring, 53 Journal of Financial Services Research (2018), 183, 184 und passim. Zum Begriff unten Rn. 44 ff. 6 Benannt nach Peter Cooke, vormaliger Direktor der Bank of England und erster Vorsit7 zender des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht. Vgl. unten Rn. 54 ff. 8
§ 8 Eigenmittel
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„Kreditrisiken“ – adressierte und operationelle Risiken, die für die Zusammenbrüche der Barings- und der Herstatt-Bank verantwortlich waren, nicht berücksichtigte.9 Um diese Schwachstellen zu beheben, wurde im Jahre 1996 in Ergänzung von Basel I die Eigenmittelunterlegungspflicht für sog. Marktpreisrisiken erweitert.10 Zudem wurde es den Instituten für Marktpreisrisiken ermöglicht, die geforderten Eigenmittel nicht nur anhand eines für alle Banken einheitlichen „Standardansatzes“ zu ermitteln, sondern ebenfalls mithilfe von bankeigenen Risikosteuerungsmethoden.
3
Die Zulassung von institutsinternen Risikomodellen zur Berechnung der aufsichtsrechtlich geforderten Eigenmittel für Marktpreisrisiken stellte einen bedeutenden Wendepunkt in der Entwicklung des Bankenaufsichtsrechts dar.11 Anstelle von relativ einfachen (weil für alle Banken einheitlich geltenden) Regeln konnte das aufsichtsrechtliche Mindestkapital nun anhand von hochkomplexen und von den Instituten selbst entwickelten Risiko-Modellen ermittelt werden. Die hierzu verwendeten Modelle müssen ihrerseits von der Bankenaufsicht genehmigt werden, was an bestimmte Qualitätskriterien geknüpft ist. Hierdurch soll erreicht werden, dass die Eigenmittel möglichst treffgenau und institutsspezifisch mit Blick auf die jeweilige Risikostruktur des Unternehmens ermittelt werden können. Freilich birgt dieser Ansatz auch Risiken: Zum einen müssen die Aufsichtsbehörden bei der Zulassung der Modelle komplexe Einzelfallentscheidungen treffen, was die Transparenz und Vergleichbarkeit der Eigenmittelanforderungen reduziert. Zum anderen besteht aufseiten der Institute beim Einsatz von internen Risikomodellen naturgemäß der Anreiz, durch Einsatz von internen Berechnungsmodellen die Eigenmittelanforderungen so weit wie möglich bzw. zulässig zu reduzieren.12 Vor diesem Hintergrund wurde im Zuge der letzten Reformen von Basel III im Dezember 2017 eine Begrenzung des Einsatzes von internen Risikomodellen (Output Floors) beschlossen (siehe dazu noch unten Rn. 66 ff.).
4
Diese Entwicklung wurde durch die 2006 veröffentlichte Neufassung des Eigenmittelakkords (Basel II) weitergeführt.13 Grundanliegen dieser Rahmenvereinbarung war es, die Kapitalanforderungen der Banken möglichst weitgehend an die ökonomischen Risiken zu koppeln und dadurch die Stabilität des Finanzsystems
5
Fritz-Aßmus/Tuchtfeld, ORDO 54 (2003) 269 ff. Basler Ausschuss, Änderung der Eigenkapitalvereinbarung zur Einbeziehung von Marktpreisrisiken, November 2005. Vgl. hierzu § 2 Rn. 2 ff. 11 Plastisch Haldane, The dog and the frisbee, Rede bei der Federal Reserve Bank of Kansas City’s 366th economic policy symposium, „The changing policy landscape“, Jackson Hole, Wyoming, 31.8.2012, S. 6 f. (abrufbar unter: https://www.bis.org/review/r120905a.pdf): „A regulatory rubicon had been crossed“. Hierzu auch Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 74 f. 12 Kritische Analyse der Risikogewichtung bei Admati/Hellwig, The Bankers’ New Clothes, 2013, S. 183 (mit dem Hinweis, dass dieser Ansatz extrem komplex ist und Systemrisiken birgt). 13 Basler Ausschuss, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Überarbeitete Rahmenvereinbarung, Juni 2006. Für eine ausführliche Darstellung der Entstehungsgeschichte Buchmüller, Basel II, 2008, S. 37 ff. Vgl. ferner Herring, 53 Journal of Financial Services Research (2018), 183, 188 ff. 9 10
202 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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zu erhöhen.14 Basel II führte die – im Grundsatz bis heute fortbestehende – DreiSäulen-Struktur der laufenden Bankenregulierung und Bankenaufsicht ein.15 Das System der Kapitalregulierung wurde als Konsequenz aus der Finanzkrise umfassend reformiert. Die Reformen gingen maßgeblich auf die Vereinbarungen des Basler Ausschusses (Basel III sowie Folgereformen) zurück.16 Diese zielten darauf ab, die Qualität und Quantität des Eigenkapitals der Institute zu stärken. Basel III baut auf dem von Basel II entwickelten Drei-Säulen-Konzept auf.17 Es wurden allerdings auch neue Konzepte eingeführt, wie etwa „anreizbasierte“ Kapitalpuffer18, eine risikounabhängige Verschuldungsquote (leverage ratio)19 sowie harmonisierte Liquiditätsanforderungen.20 Insgesamt soll hierdurch die „Zyklizität“ der Kapitalregelungen verringert werden21. Es werden zudem in deutlich stärkerem Maße als bislang makroökonomische Aspekte bei der Kapitalausstattung berücksichtigt. Unter dem Schlagwort „Basel III“ werden verschiedene Dokumente des Basler Ausschusses zusammengefasst.22 Die Grundlage des Basel-III-Pakets bilden die beiden Papiere „Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähigere Banken und Bankensysteme“ vom Dezember 201023 sowie „Basel III: Internationale Rahmenvereinbarung über Messung, Standards und Überwachung in Bezug auf das Liquiditätsrisiko“ vom Dezember 2010. Seitdem wurde das Basel-III-Rahmenwerk durch zahlreiche weitere Papiere ergänzt.24 Zu nennen sind u. a. die Arbeiten zu der Verschuldungsquote (leverage ratio)25, den Governance-Anforderungen26, den Offenlegungspflichten27 und VerbriefungsanfordeFritz-Aßmus/Tuchtfeld, ORDO 54 (2003), 269 ff. Diese Hoffnung hat sich in der Finanzkrise freilich als trügerisch erwiesen. Zur Diskussion um den Beitrag von Basel II für die Entstehung und Verschärfung der Krise siehe den De-Larosière-Bericht, Rn. 53 ff.; Gutachten Wissenschaftlicher Beirat, Reform der Bankenregulierung, S. 18 ff.; Moosa, 11 Journal of Banking Regulation (2010), 95 ff. 15 Hierzu bereits § 2 Rn. 7 ff. 16 Vgl. zur Rechtsentwicklung im Einzelnen bereits § 2 Rn. 10 ff. 17 Siehe § 2 Rn. 12. Treffend hierzu die Analyse von Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 3.08: „It is important to understand that the Committee’s starting point was that it absolutely did not accept that the crisis had revealed weaknesses in the fundamental basis of the capital regulatory system. Rather, it had demonstrated that the existing system, although coherent, had been incomplete. Basel III is therefore not a rewriting of Basel II, but a development of it. The fundamental II architecture remains in place, and is supplemented rather than restructured by the Basel III changes“. 18 Vgl. Rn. 70 ff. 19 Vgl. Rn. 95 ff. 20 Vgl. § 9. 21 Vgl. Rn. 72 bzw. 78. 22 Vgl. Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 3.15 („term with curiously vague meaning“, „process of reforms“). 23 Eine aktualisierte Fassung wurde im Juni 2011 veröffentlicht. 24 Eine Kompilation der relevanten Dokumente des Basler Ausschusses ist abrufbar unter: https://www.bis.org/bcbs/basel3/compilation.htm. 25 Vgl. Rn. 95 ff. 26 Vgl. § 12. 27 Vgl. § 13 und § 14. 14
§ 8 Eigenmittel
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rungen28. Durch die Reformen von Dezember 2017 („Basel III: Finalising post-crisis reforms“) – zum Teil missverständlich als „Basel IV“ bezeichnet – kam dieser Prozess zu einem vorläufigen Abschluss. Für eine abschließende rechtspolitische Bewertung der Reformvorhaben dürfte es – auch etwa zehn Jahre seit Verabschiedung der ursprünglichen Basel-III-Vereinbarung – noch zu früh sein. Weitgehend unbestritten ist, dass die reformierten Kapitalvorgaben dazu geführt haben, dass Banken heute insgesamt über eine stärkere Kapitalbasis verfügen. Dies kommt dem Bankensystem in der aktuellen globalen Covid-19-Krise zugute. Deutlich zugenommen hat die Komplexität dieser Rechtsmaterie: Während der Umfang von Basel I noch etwa 30 Seiten betrug, hatte Basel II einen Umfang von ca. 300 Seiten und Basel III einen Umfang von über 600 Seiten. Der Regelungsumfang29 hat sich also mehr als verzwanzigfacht.30 Auch hinsichtlich der tatsächlichen Rechtsanwendung hat die Komplexität der Eigenmittelberechnung insbesondere bei Einsatz interner Risikobewertungsmodelle deutlich zugenommen.31
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2. Regelungsziele, Regelungsstrategien, Zielkonflikte
Die Regulierung der Eigenmittelausstattung der Institute dient verschiedenen Zielen.32 Im Vordergrund steht erstens die Puffer- und Verlustausgleichsfunktion: Die regulatorischen Eigenmittel sollen sicherstellen, dass die Institute in Krisensituationen laufende Verluste bzw. eine Abwertung von Aktiva abfedern können, um damit die Insolvenzanfälligkeit der Institute zu verringern (Sicherstellung des laufenden Geschäftsbetriebs – going concern). Es soll zudem gewährleistet werden, dass vorhandene Eigenmittel im Insolvenzfall verwendet werden können, um Ansprüche von Einlegern und den übrigen Gläubigern zu befriedigen (gone concern).
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Beide Aspekte – der going concern und der gone concern – werden im System der europäischen Kapitalregulierung adressiert. Der Sicherung des going concern dienen die Instrumente des „harten Kernkapitals“ (vgl. Rn. 29 ff.). Bei dem „Ergänzungskapital“ steht der Gesichtspunkt des gone concern im Vordergrund (vgl. Rn. 43 ff.).
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Vgl. § 14 Rn. 24 ff. In der konsolidierten Fassung (Basel II, Basel 2,5, Basel III). Hierauf hinweisend Haldane in der vielzitierten Rede, The dog and the Frisbee, gehalten vor der Federal Reserve Bank of Kansas City’s 366th economic policy symposium, „The changing policy landscape“, Jackson Hole, Wyoming, 31.8.2012, S. 6 f. (abrufbar unter: https:// www.bis.org/review/r120905a.pdf). Vgl. ebenfalls Herring, 53 J. Financ. Serv. Res. (2018), 183, 188 ff. 31 Haldane (Fn. 30): „The length of the Basel rulebook, if anything, understates its complexity. The move to internal models, and from broad asset classes to individual loan exposures, has resulted in a ballooning in the number of estimated risk weights. For a large, complex bank, this has meant a rise in the number of calculations required from single figures a generation ago to several million today“. 32 Vgl. zu den regulatorischen Zielsetzungen auch Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 290 ff.; Alexander, in: Moloney/Ferran/Payne (Hrsg.), The Oxford Handbook of Financial Regulation, 2015, S. 336 f.; Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2016, Rn. 4.01 ff. Aus dem ökonomischen Schrifttum Aiyar et al., Bank Capital Regulation: Theory, Empirics, and Policy, 63 International Monetary Fund (2015), 955 ff. 28 29 30
204 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 11
Die regulatorischen Kapitalanforderungen haben zweitens eine Risikobegrenzungsfunktion, da die Eigenmittel den Umfang der jeweils zulässigen risikogewichteten Aktivpositionen des Instituts (etwa dessen Kreditforderungen) bestimmen. Schließlich haben die Kapitalanforderungen drittens eine vertrauensbildende Funktion. Die Gläubiger sollen sich darauf verlassen können, dass jedes Institut über bestimmte Mindestkapitalquoten verfügt und die Einhaltung dieser Quoten von den Behörden überwacht wird.
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Zur Terminologie: Im bankenaufsichtsrechtlichen Kontext ist – anders als im Gesellschaftsund Bilanzrecht – typischerweise nicht von „Eigenkapital“ (equity), sondern von „Eigenmitteln“ (own funds) die Rede.33 Hintergrund ist, dass der bankenaufsichtsrechtliche Eigenkapitalbegriff z. T. weiter gefasst ist als der des Gesellschafts- und Bilanzrechts.
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Dass die Anforderungen an die Eigenmittel der Institute reguliert werden, ist keineswegs selbstverständlich. In Deutschland verlangt das Gesellschaftsrecht nur gewisse Mindestanforderungen an die Kapitalaufbringung bei der Gesellschaftsgründung. Ohne bindende rechtliche Vorgaben werden sich die Geschäftsleiter von ökonomischen Überlegungen der Unternehmensfinanzierung leiten lassen.34 Die Theorie der Unternehmensfinanzierung ist außerordentlich komplex. Allgemein gilt, dass die Aufnahme von Eigenkapital für das Unternehmen typischerweise mit höheren Kosten verbunden ist als die Aufnahme von Fremdkapital. Die Ursache hierfür ist u. a. in dem höheren Risiko der Eigenkapitalgeber zu sehen.35 Allerdings steigen mit zunehmender Fremdfinanzierung und Verschuldungsgrad die (marginalen) Fremdkapitalkosten. Aus Sicht des einzelnen Unternehmens ergibt sich die optimale Kapitalzusammensetzung aus dem jeweiligen Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital, das die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (weighted average cost of capital – WACC) minimiert. Dass der Gesetzgeber die Kapitalausstattung von Banken intensiv reguliert, ist auf die mit Bankenzusammenbrüchen verbundenen negativen externen Effekten zurückzuführen (systemische Ansteckungseffekte, Auswirkungen auf die Realwirtschaft, Belastung des Steuerzahlers etc.).36 Die Institute werden verpflichtet, eine höhere Eigenmittelbasis vorzuhalten, als dies aus Sicht des einzel-
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33 So auch der Sprachgebrauch des europäischen Gesetzgebers, vgl. Teil 2 der CRR („Eigenmittel“). 34 Die Theorie der Unternehmensfinanzierung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem einflussreichen und hochkomplexen Forschungsgebiet der Finanzwirtschaft entwickelt. Vgl. etwa die Gesamtdarstellung bei Tirole, Theory of Corporate Finance, 2006. Als „Geburtsstunde“ kann der grundlegende Beitrag von Modigliani/Miller aus dem Jahre 1958 angesehen werden. Vgl. Modigliani/Miller, The Cost of Capital, Corporation Finance and the Theory of Investment and Dividend Policy, Growth and the Valuation of Shares, 48 American Economic Review (1958), S. 261–297. 35 Das höhere Risiko ergibt sich insbesondere aus der Nachrangigkeit der Eigenkapitalgeber im Insolvenzfall gegenüber den Fremdkapitalgebern. 36 Siehe hierzu allgemein bereits oben § 1 Rn. 25. Zur ökonomischen Grundlagendebatte Admati/Hellwig, The Bankers’ New Clothes, 2013, S. 15 ff., 93 ff.
§ 8 Eigenmittel
205
nen Instituts gewinnmaximierend wäre. Dies dient der Systemstabilität. Für die Institute sind höhere Kapitalanforderungen aber mit Kosten verbunden37 und begrenzen deren Kreditvergabemöglichkeiten.38 Aus Sicht des Gesetzgebers besteht ein Zielkonflikt: Einerseits soll das System durch Kapitalanforderungen widerstandsfähiger und stabiler gemacht werden. Andererseits soll eine übermäßige Belastung der Institute verhindert werden. Ob dieser Zielkonflikt im Rahmen der Post-Finanzkrise-Gesetzgebung in sinnvoller Art und Weise aufgelöst wurde, wird sehr unterschiedlich beurteilt.39
II. Überblick über das Regelungssystem Die Mindestkapitalanforderungen gem. Säule 1 sind überwiegend in den Teilen 2 und 3 der CRR (Art. 25–386) geregelt. Sie gelten unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Die Vorgaben der CRR werden durch zahlreiche Durchführungsrechtsakte näher konkretisiert. Die bisherigen nationalen Regelungen wurden insoweit durch Unionsrecht ersetzt. Im Zusammenhang mit den Mindestkapitalanforderungen stehen die Anforderungen an die Verschuldungsquote40 sowie die Liquidität.41 Auch diese Vorgaben sind in der CRR geregelt. Systematisch wenig überzeugend42 sind die Vorgaben an die Kapitalpuffer nicht in der CRR, sondern in Art. 128 ff. CRD geregelt. Von den Mindestkapitalanforderungen unterscheiden sich die Kapitalpuffervorgaben dadurch, dass ein Unterschreiten keine unmittelbaren Sanktionen nach sich zieht, sondern in erster Linie zu Ausschüttungsbeschränkungen führt.43 Die Pufferanforderungen müssen von den Mitgliedstaaten ins nationale Recht umgesetzt werden. In Deutschland waren die Kapitalvorgaben vor Umsetzung des CRD/CRRRegimes vor allem in § 10 KWG und der Solvabilitätsverordnung normiert. Diese wurde weitgehend durch die Vorgaben der CRR ersetzt. Die Kapitalpufferregelungen sind in § 10c–§ 10i KWG normiert. Ebenfalls ins nationale Recht umzusetzen sind die Kapitalanforderungen gem. Säule 2.44 Die SREP-Anforderungen werden durch Verlautbarungen der EBA sowie der EZB konkretisiert.45 Die Mindestkapitalanforderungen gem. Säule 1 sind im Ausgangspunkt als Vollharmonisierung ausgestaltet. Den Mitgliedstaaten und deren Aufsichtsbe37 Kosten resultieren namentlich aus den höheren Finanzierungskosten des Eigenkapitals, vgl. oben Rn. 13. Vgl. zur Debatte Admati/Hellwig, The Bankers’ New Clothes, 2013, S. 95 ff. 38 Zur Risikobegrenzungsfunktion der Eigenmittelanforderungen oben Rn. 11. 39 Kritisch Admati/Hellwig, The Bankers’ New Clothes, 2013, S. 15 ff., 93 ff. und passim. 40 Dazu unten Rn. 95 ff. 41 Dazu § 9. 42 Kritisch dazu noch unten Rn. 73. 43 Vgl. unten Rn. 70 ff. 44 Dazu § 11. 45 Im Einzelnen § 11 Rn. 11 ff.
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206 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung hörden verbleiben insbesondere hinsichtlich der Festsetzung der Kapitalpuffer allerdings weiterhin gewisse Gestaltungsspielräume.46
III. Mindestkapitalanforderungen und Kapitalpuffer 21
Im Zusammenhang mit den Kapitalanforderungen sind vier Problemkreise zu unterscheiden:47 (i) Welche Kapitalquoten sind von den Instituten zu erfüllen? (ii) Welche Kapitalbestandteile werden als Eigenmittel im regulatorischen Sinne anerkannt? (iii) Welche Risiken sind mit Eigenmitteln zu unterlegen? (iv) Wie sind die Eigenmittel zu berechnen und die Risiken zu gewichten? 1. Kapitalquoten
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Gem. Art. 92 CRR müssen Institute zu jedem Zeitpunkt folgende Eigenmittelanforderungen erfüllen:48 – – – –
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eine harte Kernkapitalquote von 4,5 %, eine Kernkapitalquote von 6,0 %, eine Gesamtkapitalquote von 8,0 %, ab Juni 2021 zudem eine Verschuldungsquote49 von 3,0 %.
Die tatsächlich von den Instituten zu erfüllenden Kapitalanforderungen gehen allerdings in der Regel über die in Art. 92 CRR genannte Gesamtkapitalquote von 8,0 % hinaus. Zum einen übersteigen die Kapitalanforderungen gem. Säule 2 typischerweise die Mindestkapitalanforderungen gem. Säule 1.50 Zum anderen sind von den Instituten bestimmte Kapitalpuffer vorzuhalten (Kapitalerhaltungspuffer, antizyklischer Puffer, Puffer für Systemrisiken – vgl. hierzu im Einzelnen Rn. 70 ff.).51 2. Zusammensetzung des regulatorischen Eigenkapitals a) Bilanzielles vs. regulatorisches Eigenkapital
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Der regulatorische Eigenkapitalbegriff weicht vom gesellschafts- bzw. bilanzrechtlichen Eigenkapitalbegriff ab.52 Als bilanzielles Eigenkapital gelten die je Vgl. unten Rn. 76 ff. Für eine Problemübersicht vgl. Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 296 f. 48 Entsprechende Regelungen finden sich in Rn. 50 der Basel-III-Vereinbarung, vgl. Basler Ausschuss, Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähige Banken und Bankensysteme, Dezember 2010 (rev. Juni 2011), Rn. 95 ff. 49 Siehe unten Rn. 95 ff. Vgl. Art. 92(1) lit. d CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 50 Vgl. § 11. 51 Vgl. unten Rn. 70 ff. 52 Es handelt sich hierbei um eine relativ neue Entwicklung. Vgl. Hartmann-Wendels et al., Bankbetriebslehre, 7. Aufl. 2019, S. 364 (mit dem Hinweis, dass bis 1993 das haftende Eigenkapital im Wesentlichen dem bilanziellen Eigenkapital entsprach). 46 47
207
§ 8 Eigenmittel
nach einschlägigen Rechnungslegungsvorschriften formal als „Eigenkapital“ ausgewiesenen Finanzmittel (gezeichnete Kapitalanteile, Kapitalrücklagen sowie Gewinnrücklagen).53 Das regulatorische Eigenkapital geht über das bilanzrechtliche Eigenkapital hinaus. Die einzelnen Bestandteile ergeben sich aus Art. 25 ff. CRR. Oberbegriff ist der Begriff der Eigenmittel (own funds).54 Die Eigenmittel eines Instituts setzen sich aus der Summe des Kernkapitals (Tier 1 Capital)55 und des Ergänzungskapitals (Tier 2 Capital)56 zusammen.57 Das Kernkapital besteht wiederum aus dem harten Kernkapital (Core Equity Tier 1 – CET 1) sowie dem zusätzlichen Kernkapital (Additional Equity Tier 1 – AT 1).58 Grafisch kann dies wie folgt veranschaulicht werden:
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Eigenmittel (own funds)
Hartes Kernkapital (Core Tier 1 Capital)
Kernkapital
Ergänzungskapital
(Tier 1 Capital)
(Tier 2 Capital)
Zusätzliches Kernkapital (Additional Tier 1 Capital)
Abbildung 8.1: Zusammensetzung der Eigenmittel.
Bei dem harten Kernkapital handelt es sich um das Eigenkapital der höchsten Qualitätsstufe. Es umfasst im Wesentlichen diejenigen Instrumente, die auch bilanzrechtlich als Eigenkapital qualifizieren. Demgegenüber umfasst das Ergänzungskapital auch solche Instrumente, die bilanzrechtlich – wie beispielsweise nachrangige Darlehen – als Fremdkapital zu qualifizieren wären. Damit diese als regulatorische Eigenmittel anerkannt werden, müssen die Instrumente verschiedene Voraussetzungen erfüllen.59 Dem regulatorischen Eigenkapital liegt ein rechtsformneutraler und prinzipienorientierter Ansatz zugrunde.60 Damit Finanzinstrumente als Eigenmittel anerVgl. in Deutschland die unter Nr. 12 auf der Passivseite von Formblatt 1 zur Kreditinstituts-Rechnungslegungsverordnung (RechKredV) ausgewiesenen Positionen. 54 Vgl. die Überschrift des 2. Teils der CRR. 55 Art. 25–61 CRR. 56 Art. 62–71 CRR. 57 Art. 72 CRR. 58 Art. 25 CRR. 59 Siehe unten Rn. 29 ff. 60 Vgl. dazu noch unten Rn. 32. 53
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208 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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kannt werden, müssen im Wesentlichen vier Grundsätze erfüllt sein: (i) eine uneingeschränkte Verlustteilnahme und Nachrangigkeit der Inhaber, (ii) die Dauerhaftigkeit der Kapitalüberlassung, (iii) eine ausreichende Flexibilität des Instituts hinsichtlich etwaiger Ausschüttungen sowie (iv) die Effektivität der Kapitalaufbringung. Je nach Kategorie (hartes Kernkapital, zusätzliches Kernkapital, Ergänzungskapital) sind die einzelnen Aspekte unterschiedlich stark ausgeprägt. Eine Gegenüberstellung der einzelnen Kapitalkategorien kann Anhang 5 entnommen werden. b) Hartes Kernkapital aa) Kriterien
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Die strengsten Anforderungen sind hinsichtlich des harten Kernkapitals (Art. 25–50 CRR) zu beachten. Konzeptionell orientieren sich diese Anforderungen an dem Leitbild einer Stammaktie einer Aktiengesellschaft. Sie sind allerdings rechtsformneutral formuliert.61 Die Bedeutung des harten Kernkapitals hat im Zuge der Umsetzung der Basel-III-Vereinbarung deutlich zugenommen. Die Institute müssen eine Kernkapitalquote von nunmehr 4,5 % erfüllen. Zudem sind die Kapitalpufferanforderungen, die zu den Mindestkapitalanforderungen hinzutreten, ebenfalls vollständig mit hartem Kernkapital abzudecken.62 Die Posten des harten Kernkapitals sind in Art. 26 Abs. 1 CRR enumerativ aufgeführt. Hiernach sind (ausschließlich) die folgenden Positionen63 erfasst: (i) Kapitalinstrumente, die die Voraussetzung des Art. 28 bzw. ggf. Art. 29 CRR erfüllen (vgl. dazu noch unten); (ii) das mit den vorgenannten Instrumenten verbundene Agio; (iii) einbehaltene Gewinne; (iv) das kumulierte sonstige Ergebnis; (v) sonstige Rücklagen; sowie (vi) der Fonds für allgemeine Bankrisiken.
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Die Kapitalinstrumente müssen die in Art. 28 CRR genannten Kriterien erfüllen. Die Anforderungen gehen in der Sache auf die vom Basler Ausschuss64 entwickelten Kriterien zurück. Sie sind allerdings rechtsformneutral formu-
61 Bornemann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, Band 2, Einf. CRR Rn. 162, 166 (177. AL, Februar 2015). 62 Vgl. noch unten Rn. 70 ff. Siehe hierzu auch Bornemann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, Band 2, Einf. CRR Rn. 161 (177. AL, Februar 2015). 63 Die unter lit. c und lit. f genannten Posten werden nur dann als hartes Kernkapital anerkannt, wenn sie dem Institut uneingeschränkt und unmittelbar zur sofortigen Deckung von Risiken oder Verlusten zur Verfügung stehen, vgl. Art. 26(1) Satz 2 CRR. Auch die Kapitalabzüge sind nunmehr vorrangig vom harten Kernkapital vorzunehmen. 64 Basler Ausschuss, Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähige Banken und Bankensysteme, Dezember 2010 (rev. Juni 2011), Rn. 49.
§ 8 Eigenmittel
209
liert.65 Diesen liegt ein prinzipienbasierter Ansatz zugrunde. Ob ein Instrument als hartes Kernkapital anerkannt wird, hängt somit im Ausgangspunkt nicht von der formalen Zuordnung zu einem bestimmten Typus von Kapitalinstrument ab, sondern von der Erfüllung der in Art. 28 Abs. 1 CRR genannten qualitativen Kriterien. Die einzelnen Kriterien sind in Anhang 5 überblicksartig dargestellt. bb) Genehmigung durch die zuständige Behörde; EBA-Liste
Die zuständigen Behörden bewerten, ob die Emission von Finanzinstrumenten die vorgenannten Anforderungen erfüllt.66 Damit die Kapitalinstrumente als Instrumente des harten Kernkapitals eingestuft werden können, müssen die Institute vorab eine Anrechnungserlaubnis einholen.67 Diese wird von der zuständigen Behörde erteilt. Art. 26 Abs. 3 Unterabs. 4 CRR sieht vor, dass die EBA auf Grundlage der Angaben der zuständigen nationalen Behörden ein Verzeichnis sämtlicher Arten von Kapitalinstrumenten in jedem Mitgliedstaat führt, die als Instrumente des harten Kernkapitals akzeptiert werden. Diese Liste ist auf der Homepage der EBA abrufbar. Sie wird laufend aktualisiert.68 Die Liste enthält u. a. den Namen des Instruments, dessen Rechtsgrundlage sowie die Angabe, ob das Instrument gem. Art. 28 und 29 CRR anerkannt wird. Die EBA kann Kapitalinstrumente aus dem Verzeichnis streichen, wenn diese nach Einschätzung der EBA die Kriterien gem. Art. 28 f. CRR nicht erfüllen.69
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cc) Behandlung von Ergebnisabführungsverträgen
Die EBA hatte im Rahmen des Q&A-Prozesses die Anerkennung von Instrumenten des harten Kernkapitals bei Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrags in Frage gestellt.70 In Fällen, in denen eine Tochtergesellschaft Kapitalinstrumente emittiert hat, die vollständig von dem Mutterunternehmen gehalten werden, und zugleich einen Ergebnisabführungsvertrag mit dem Mutterunternehmen unterhält, sind nach Auffassung der EBA die Anforderungen von Art. 28 lit. h Ziffer 5 (keine Ausschüttungspflicht, volle Ermessensfreiheit) nicht er65 Das Basel III Papier (vgl. Fn. 64), Rn. 53 nennt im Zusammenhang mit dem Kernkapital zunächst lediglich Stammaktien als Instrumente des harten Kernkapitals. Fn. 12 des Basel-IIIPapiers sieht allerdings vor, dass die vom Basler Ausschuss entwickelten Kriterien auch für Nichtaktiengesellschaften entsprechend gelten sollen. 66 Art. 26(3) Satz 1 CRR. 67 Art. 26(3) Satz 2 CRR. Vgl. hierzu aus der Perspektive des deutschen Rechts BaFin, Antrag auf Einstufung von Kapitalinstrumenten als Instrumente des harten Kernkapitals gemäß Art. 26(3) CRR, 1.6.2018 (abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Eigenmittel_BA/dl_180601_Antrag_Einstufung_Kapitalinstrumenten.htmlFin). 68 Abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/eba-updates-list-cet1-instruments. 69 Art. 26(3) Unterabs. 5 CRR. Hierzu auch Konesny/Glaser, in: Boos/Fischer/SchulteMattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Art. 26 Rn. 21. 70 EBA, Q&A 2013_408 und 2013_541 sowie 2013_543. Siehe zu dieser Problematik auch Konesny/Glaser, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Art. 28 CRR, Rn. 81 ff.
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210 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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füllt.71 Diese Auslegung ist zu Recht kritisiert worden und wurde in Deutschland von der BaFin nicht übernommen.72 Im Zuge der Anpassung der Regelungen durch die CRR II wurde nunmehr ausdrücklich geregelt, unter welchen Voraussetzungen die Anforderungen an das harte Kernkapital auch bei Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrags erfüllt sind.73 Voraussetzung ist u. a., dass die Muttergesellschaft mindestens 90 % der Kapital- und Stimmrechte der Tochtergesellschaft hält, Mutter- und Tochtergesellschaft in demselben Mitgliedstaat niedergelassen sind, der Vertrag zu rechtmäßigen Steuerzwecken geschlossen wurde und die Tochtergesellschaft einen Ermessensspielraum dahingehend behält, ihren Gewinn ganz oder teilweise in die eigenen Rücklagen bzw. den Fonds für allgemeine Bankrisiken einzustellen.74 c) Zusätzliches Kernkapital
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Zum Kernkapital im aufsichtsrechtlichen Sinne zählt zudem das „zusätzliche“ Kernkapital gem. Art. 51 ff. CRR. In der Sache handelt es sich hierbei um Hybridkapital: Es verbindet klassische Eigenschaften des Eigenkapitals mit solchen des Fremdkapitals. Das zusätzliche Kernkapital besteht aus Instrumenten, die die Kriterien gem. Art. 52 CRR erfüllen. Die grundlegenden Prinzipien, die die Instrumente zur regulatorischen Anerkennung aufweisen müssen – Verlustteilnahme, dauerhafte Kapitalüberlassung, Flexibilität hinsichtlich Ausschüttungen, effektive Kapitalaufbringung –, entsprechen im Kern den Kriterien für das harte Kernkapital. Sie sind allerdings weniger streng ausgestaltet.75 Eine besondere Bedeutung kommt dem aufsichtsrechtlichen Herabschreibungs- und Wandlungsmechanismus zu (vgl. zu den sog. CoCo-Bonds noch Rn. 41 f.).76 Die Anforderungen sind in Anhang 5 überblicksartig dargestellt. Im Unterschied zum harten Kernkapital ist die Vereinbarung eines (festen oder variablen) Zinssatzes nicht ausgeschlossen.77 Allerdings sieht die CRR vor, dass bestimmte Auslösungsereignisse (Trigger-Events) vereinbart werden müssen, bei deren Eintritt entweder das Kapital herabgeschrieben oder dieses in Instrumente des harten Kernkapitals umgewandelt wird. 71 Vgl. Konesny/Glaser, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Art. 28 CRR, Rn. 81 ff. 72 Vgl. die Übersicht der nicht von der BaFin übernommenen Q&As, abrufbar unter: https://www.bafin.de/DE/RechtRegelungen/Leitlinien_und_Q_and_A_der_ESAs/Nicht_ uebernommene_Q_and_A/nicht_uebernommene_Q_and_A_artikel.html. 73 Art. 28(3) Unterabs. 2 CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 74 Art. 28(3) Unterabs. 2 lit. a bis f CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 75 Konesny/Glaser, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Art. 28 CRR, Rn. 1. 76 Ausführlich zu CoCo-Bonds Cahn/Kenadian, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2015, S. 217 ff. 77 Konesny/Glaser, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Art. 28 CRR, Rn. 17.
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Im Rahmen der Verabschiedung des Basel-III-Rahmenwerks wurde die Anerkennung von sog. CoCo-Bonds (Contingent Convertible Securities) als Instrument des zusätzlichen Kernkapitals intensiv diskutiert.78 Diese wurden von namhaften Wissenschaftlern und Vertretern von Aufsichtsbehörden als wichtiges Instrument angesehen, um Banken in zukünftigen Krisen widerstandsfähiger zu machen. Einflussreich waren die Vorschläge der Squam-Lake-Arbeitsgruppe, eines Zusammenschlusses von führenden Wissenschaftlern.79 Aus Sicht der Befürworter von CoCo-Bonds als regulatorisches Kapitalinstrument haben diese mehrere Vorteile: Erstens können Banken hierdurch ihre Kapitalbasis auch in solchen Zeiten stärken, in denen Eigenkapital (verstanden als hartes Kernkapital) von den Investoren nicht bzw. nur zu hohen Kosten zu erhalten wäre. Zweitens soll hierdurch gewährleistet werden, dass im Krisenfall vorerst die Gläubiger zur Stützung des Instituts herangezogen werden (und nicht die Allgemeinheit bzw. der Staat), indem in Fällen einer wirtschaftlichen Schieflage die Kapitalbeteiligungen in harte Eigenmittel (etwa Aktien) umgewandelt werden; ein „bail-out“ durch den Staat soll dadurch vermieden werden. Schließlich sollen drittens positive Handlungs- und Kontrollanreize geschaffen werden, da Investoren im Falle von CoCo-Bonds ein besonderes Interesse daran haben, die Geschäftsleitung zu überwachen und das Eingehen von übermäßigen Risiken (und damit potenziell die Auslösung eines Trigger-Events) zu verhindern. Diesen Vorteilen stehen allerdings verschiedene Nachteile gegenüber. So wurden Bedenken hinsichtlich der Komplexität von CoCo-Bonds angeführt.80 Zudem steht die Anerkennung von derartigen Hybridkapitalinstrumenten mit dem rechtspolitischen Anliegen in Konflikt, primär das „harte“ Kernkapital zu stärken.
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Als Kompromiss wurden in Basel III CoCo-Bonds bei entsprechender Ausgestaltung als zusätzliches Kernkapital zugelassen, die Bedeutung dieses Instruments für die regulatorische Kapitalausstattung allerdings in verschiedener Hinsicht begrenzt. So können Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals lediglich in Höhe von 1,5 % zum Kernkapital angerechnet werden. Das Auslösungsereignis81 wurde vom Gesetzgeber – den Vorgaben von Basel III folgend – auf ein Unterschreiten einer harten Kernkapitalquote von mindestens 5,125 % festgesetzt.82
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78 Die Debatte nachzeichnend Cahn/Kenadian, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2015, S. 217 ff.; Avgouleas, Governance of Global Financial Markets, 2012, S. 360 ff. Vgl. Auch Greene, Understanding CoCos: What Operational Concerns & Global Trends Mean for U. S. Policymakers, Juni 2016, M-RCBG Associate Working Paper (abrufbar unter: https://www.hks.harvard.edu/sites/default/files/centers/mrcbg/files/CoCo_Greene_ Public_Final.pdf). 79 Squam Lake Working Group on Financial Regulation, An Expedited Resolution Mechanism for Distressed Financial Firms: Regulatory Hybrid Securities, April 2009 (abrufbar unter: https://www.cfr.org/report/expedited-resolution-mechanism-distressed-financial-firms). 80 Vgl. aus dem Vereinigten Königreich FCA, Temporary product intervention rules, Restrictions in relation to retail distribution of contingent convertible instruments, August 2014. 81 Die Ausgestaltung des Trigger-Events wird im rechtsökonomischen Schrifttum kontrovers diskutiert. Vgl. zusammenfassend Cahn/Kenadian, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2015, S. 217, 236 f. 82 Art. 54(1) lit. a CRR. Es handelt sich hierbei um eine Mindestquote, daher können die Institute AT-1 Anleihen mit höheren Trigger-Events vorsehen. Rechtspolitisch wurde dieser (relativ niedrig) bemessene Wert kritisiert. Weiterführend Cahn/Kenadian, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2015, S. 217, 238 f.
212 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung d) Ergänzungskapital 43
Eigenkapital im regulatorischen Sinne ist schließlich das sog. Ergänzungskapital (Art. 62 ff. CRR). Konzeptionell soll dieses für den Fall des gone concern zur Verfügung stehen.83 Die zum Ergänzungskapital zählenden Positionen sind deutlich weiter gefasst als die des Kernkapitals. Auch nachrangige Darlehen können als Ergänzungskapital qualifizieren. Die Voraussetzungen für die Anerkennung des Ergänzungskapitals sind in Art. 63 CRR normiert. Die Anforderungen sind in Anhang 5 überblicksartig dargestellt. 3. Berechnung der Eigenmittel und das Konzept der Risikogewichtung a) Grundlagen
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Die Mindestkapitalanforderungen gem. Säule 1 ergeben sich aus dem Produkt aus den jeweiligen risikogewichteten Risikopositionen und der Gesamtkapitalquote (8 %).84 Daraus leitet sich die folgende Berechnungsformel ab: Eigenmittel (Mindestanforderungen)
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= (Risikoposition × Risikogewicht ×
Gesamtkapitalquote (8 %))
Alternativ lässt sich diese Gleichung als Quotient ausdrücken, wobei die Eigenmittel den Zähler und die risikogewichteten Risikopositionen den Nenner bilden: Eigenmittel (Zähler) Gesamtkapitalquote (mind. 8 %) = --------------------------------------------------------------------------------------------------- (Risikoposition × Risikogewicht) (Nenner)
46
Die Ermittlung der Eigenmittel (des Zählers) wurde in den vorstehenden Randnummern erörtert. Nachfolgend werden die Grundsätze der Bestimmung der risikogewichteten Risikopositionen (des Nenners) illustriert. b) Risikokategorien
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Die Mindestkapitalanforderungen beziehen sich im Kern auf drei Risikokategorien: Kreditrisiken (credit risk), Marktpreisrisiken (market risk) und operationelle Risiken (operational risk). Im Fokus der Harmonisierungsbemühungen standen zunächst die Eigenmittelanforderungen für Kreditrisiken (auch als Adressenausfallrisiko85 bezeich-
Siehe oben Rn. 9. Art. 92 CRR. Der Begriff „Kreditrisiko“ ist missverständlich. Diese Risikokategorie ist nicht auf die Vergabe von „Krediten“ (im zivilrechtlichen Sinne) beschränkt, sondern umfasst sämtliche Ausfallrisiken.
83 84 85
§ 8 Eigenmittel
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net).86 Kreditrisiken stellen für Banken traditionell die bedeutendste Risikokategorie dar87 und werden im Unionsrecht besonders ausführlich geregelt.88 Allgemein lässt sich das Kreditrisiko als die Möglichkeit des Eintritts von Verlusten umschreiben, die darauf zurückzuführen sind, dass ein Vertragspartner seinen Verpflichtungen nicht, nicht zeitgerecht oder nicht im vollen Umfang nachkommt.89 Lange Zeit war die Rechtsharmonisierung auf die Eigenmittelunterlegung von Kreditrisiken beschränkt. Im Zuge der Ausdehnung der InvestmentBanking-Aktivitäten von Banken90 gerieten auch Marktpreisrisiken in den Fokus der internationalen Standardsetzer und der Gesetzgeber.91 Unter dem Marktpreisrisiko wird allgemein das Risiko des Eintritts von Verlusten infolge einer Änderung von Marktpreisen verstanden.92 Als Unterkategorien des Marktpreisrisikos wird vom europäischen Gesetzgeber zwischen dem Positionsrisiko (etwa dem Risiko der Veränderungen von Zinsen oder Aktienkursen), dem Fremdwährungsrisiko sowie dem sog. Warenpositionsrisiko unterschieden.93
49
Das Rahmenwerk für die Eigenmittelunterlegung von Marktpreisrisiken wurde vom Basler Ausschuss in Basel III und den nachfolgenden Veröffentlichungen grundlegend reformiert (insbesondere in dem überarbeiteten Rahmenwerk von Januar 201694, inzwischen ersetzt durch modifizierte Grundsätze vom Januar 201995). Diese Vorgaben wurden durch CRR II (in Teilen) ins europäische Recht überführt.96
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Die dritte zentrale Risikokategorie bilden die operationellen Risiken. Es handelt sich nach der vom europäischen Gesetzgeber übernommenen Definition des Basler Ausschusses hierbei um „die Gefahr von Verlusten, die in Folge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Prozessen, Menschen und Systemen oder in Folge von externen Ereignissen eintreten“, was auch Rechts-
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Vgl. oben (zu Basel I). Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 297 f. Vgl. Teil 3 Titel 2 der CRR (Art. 107 bis 311 CRR). Vgl. Basler Ausschuss, Principles for the Management of Credit Risk, September 2002, Rn. 2: „Credit risk is most simply defined as the potential that a bank borrower or counterparty will fail to meet its obligations in accordance with agreed terms.“ Die CRR differenziert weiter zwischen (i) Kredit- und Verwässerungsrisiken (einschließlich Vorleistungsrisiken) und (ii) Gegenparteirisiken des Handelsbuches (Art. 92 (3) lit. a und f CRR). 90 Zu dieser Entwicklung Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 297 f. 91 Basler Ausschuss, Minimum capital requirements for market risk, Januar 2019 (abrufbar unter: https://www.bis.org/bcbs/publ/d457.pdf). 92 Basler Ausschuss, Minimum capital requirements for market risk, Januar 2016, S. 5 („Market risk is defined as the risk of losses arising from movements in market prices.“). 93 Art. 325–377 CRR. 94 Basler Ausschuss, Minimum capital requirements for market risk, Januar 2016 (abrufbar unter: https://www.bis.org/bcbs/publ/d352.pdf). 95 Basler Ausschuss, Minimum capital requirements for market risk, Januar 2019 (abrufbar unter: https://www.bis.org/bcbs/publ/d457.pdf). 96 Vgl. Erwägungsgrund (40) CRR II und Art. 325 ff. CRR. 86 87 88 89
214 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung risiken mit einschließt.97 In jüngerer Zeit sind zudem Risiken im Zusammenhang mit neuen technologischen Entwicklungen – etwa IT- und Cyber-Risiken – in den Fokus der Aufsicht gerückt.98 52
Derartigen operationellen Risiken kann nur bedingt durch Stärkung der Eigenkapitalbasis begegnet werden.99 Es wurden verschiedene aufsichtsrechtliche Instrumente zur Erfassung und Begrenzung derartiger „weicher“ operationeller Risiken entwickelt. Neben dem aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahren (vgl. § 11) können in diesem Zusammenhang die Anforderungen an die Corporate Governance der Institute genannt werden, die eine umsichtige Geschäftsführung fördern sollen (vgl. § 12).100
c) Berechnung von Kreditrisiken 53
Die Berechnung und Risikogewichtung der jeweiligen Risikopositionen unterscheidet sich je nach Risikokategorie. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf eine Erörterung der Grundsätze der Ermittlung der Eigenmittelanforderungen für Kreditrisiken.101 aa) Grundsatz der Risikogewichtung
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Ein zentrales Konzept bei der Ermittlung der regulatorischen Eigenmittel ist der Grundsatz der Risikogewichtung. Die Grundidee des Konzeptes der Risikogewichtung besteht darin, eine möglichst risikoadäquate Eigenmittelunterlegung zu gewährleisten. Zu diesem Zweck werden die Risikoaktiva (etwa ein vergebener Kredit) abhängig von der gewählten Methode mit einem bestimmten Faktor bewertet.
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Dass die Risikopositionen mit einem bestimmten Risikogewicht versehen werden, ist nicht selbstverständlich. Konzeptionell wäre es denkbar, für die Eigenmittelbewertung pauschal auf die in der Bilanz ausgewiesenen Buchwerte abzustellen (also ein Risikogewicht von Basler Ausschuss, Management operationeller Risiken, Februar 2003, S. 2 (in der Sache übernommen in Art. 4(1) Nr. 52 CRR). Ausführlich zur Regulierung von operationellen Risiken Power, Organized uncertainty, 2016, S. 104 ff. In der CRR sind die Kapitalanforderungen für operationelle Risiken in Teil 3 Titel 3 CRR geregelt. 98 Vgl. BaFin, Rundschreiben 10/2017 (BA) in der Fassung vom 14.9.2018, Bankaufsichtliche Anforderungen an die IT (BAIT). 99 Vgl. Rudolph, WISU 1991, 596, 599 f., wonach „Ziel- und Organisationsrisiken“ nur unzureichend durch quantitative Eigenkapitalnormen begrenzbar seien. 100 Besonders deutlich Erwägungsgrund (29) Solvency-II-Richtlinie, die auf der Drei-Säulen-Struktur von Basel II aufbaut und eine gewisse Vorbildfunktion für das Bankenwesen hat: „Manche Risiken werden möglicherweise nicht durch die in der Solvenzkapitalanforderung zum Ausdruck kommenden quantitativen Anforderungen, sondern nur durch GovernanceAnforderungen hinreichend angesprochen. Ein wirksames Governance-System ist daher sowohl für das angemessene Management eines Versicherungsunternehmens als auch für das Regulierungssystem unerlässlich.“ 101 Für eine Darstellung der Eigenmittelanforderungen für Marktpreis- und operationelle Risiken vgl. etwa Henseler/Hoffmann/Keese, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 202 ff. (Marktrisiken) bzw. Hater/Kronbichler, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 430 ff. (operationelle Risiken); Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, § 7 ff. 97
§ 8 Eigenmittel
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100 % zugrunde zu legen).102 Ein solcher Ansatz hätte den Vorteil, dass die Eigenmittelanforderungen verhältnismäßig einfach (und für Marktteilnehmer transparent) ermittelt werden können. Allerdings würden bei einer solchen „starren“ Bewertung die tatsächlich mit dem Engagement für das Institut verbundenen Risiken nicht adäquat abgebildet und zudem potenzielle Fehlanreize geschaffen werden. So ist evident, dass ein unbesichertes Darlehen an Privatpersonen oder ein neu gegründetes Start-up-Unternehmen ein höheres Ausfallrisiko aufweist als ein Kredit an einen Staat mit hoher Bonitätsbeurteilung (was durch einen höheren Zins ausgeglichen wird). Ohne Berücksichtigung einer Risikogewichtung bestünde aus Sicht der Banken ein Anreiz, in potenziell riskante Kreditengagements zu investieren, da hierfür jeweils die gleichen Eigenmittelanforderungen anfallen würden (aber für riskantere Kredite höhere Zinserträge generiert werden können, sog. Problem des „Rosinenpickens“). Vor diesem Hintergrund wurde mit Basel I das Konzept der Risikogewichtung eingeführt. Der erste Eigenmittelakkord sah allerdings bewusst noch eine verhältnismäßig starre Risikogewichtung von Forderungen vor. Diese sollte, so der Basler Ausschuss, „so einfach wie möglich“103 gehalten werden.104 Im Rahmen von Basel II wurde das Konzept der Risikogewichtung erheblich ausdifferenziert – eine Entwicklung, die im Rahmen der letzten Überarbeitung von Basel III vom Dezember 2017 in Teilen durch die Einführung von sog. „Output Floors“ wieder eingeschränkt wurde (vgl. im Einzelnen unten). Der Grundgedanke der Risikogewichtung liegt in der Gewährleistung einer möglichst risikoadäquaten – „kongruenten“ – Eigenmittelunterlegung. Dem liegt ein allgemeines Problem der Regulierung zugrunde. Jede Norm, die für eine Vielzahl von Anwendungsfällen Geltungswirkung beansprucht, trifft Verallgemeinerungen. Bezogen auf die Eigenmittelanforderungen bedeutet dies, dass jeweils die Gefahr besteht, dass starre Eigenkapitalregeln hinsichtlich der tatsächlichen Risikostruktur entweder zu hoch oder zu gering sind. Durch eine Risikogewichtung soll erreicht werden, dass die Höhe der geforderten Eigenmittelunterlegung möglichst weitgehend dem tatsächlichen Risikoprofil entspricht. Allerdings ist dieser Ansatz auch mit Nachteilen verbunden: Zum einen steigt durch die Risikogewichtung von Positionen die Komplexität, insbesondere bei fortgeschrittenen Bewertungsmethoden. Zum anderen birgt dieser Ansatz aufseiten der Institute ihrerseits Anreize, möglichst „geringe“ Risikogewichte anzusetzen, sofern diese Bewertung im Rahmen der fortgeschrittenen Methoden auf Basis institutsinterner Bewertungssysteme erfolgt.
Die Risikogewichtung hängt von dem vom Institut gewählten Bewertungsverfahren ab. Es ist zwischen dem Standardansatz, dem IRB-Ansatz sowie dem fortgeschrittenen IRB-Ansatz zu unterscheiden.
102 Dieser Logik folgt grundsätzlich die Verschuldungsquote (leverage ratio), vgl. unten Rn. 95 ff. 103 Basel I, Rn. 29. Vgl. für Einzelheiten Anlagen 2 und 3 des Basel-I-Eigenmittelakkords. 104 Nach Basel I wurde zwischen vier Schuldnerkategorien (OECD-Staaten, Banken, Realkredite, sonstige Schuldner) unterschieden, die jeweils mit einem bestimmten Risikogewicht (0 %, 20 %, 50 % und 100 %) gewichtet wurden. Das tatsächliche Ausfallrisiko wurde nicht gesondert berücksichtigt. Aus diesem Grund bestand für Banken der Anreiz, innerhalb der jeweiligen Kategorie besonders risikoreiche Kredite zu vergeben, da die hierfür erzielten Risikoprämien nicht mit zusätzlichem Eigenkapital unterlegt werden mussten. Ausführlich zu diesem als „Rosinenpicken“ bezeichneten Phänomen Buchmüller, Basel II, 2008, S. 40; Hartmann-Wendels et al., Arbeitsweise der Bankenaufsicht vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise, 2010, S. 128.
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216 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung bb) Standardansatz 59
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Das einfachste Verfahren zur Berechnung der Kapitalanforderungen für Kreditrisiken ist der Standardansatz.105 Die erforderlichen Eigenmittel ergeben sich im Ausgangspunkt aus dem Produkt des Kreditvolumens (Positionswert106), dem Risikogewicht und der Gesamtkapitalquote. Die Risikogewichtung richtet sich primär nach der Schuldnerklasse, wobei u. a. zwischen Staaten, Instituten, Unternehmen und sonstigen Schuldnern differenziert wird. Insgesamt wird zwischen 17 verschiedenen Forderungs- bzw. Risikoklassen unterschieden.107 Anders als im ursprünglichen Eigenmittelakkord (Basel I) sind die jeweiligen Risikogewichte nicht starr vorgegeben, sondern hängen von der individuellen Bewertung des Kreditnehmers durch eine externe Ratingagentur ab.108 Abhängig von der Bewertung erhalten die Forderungen ein Risikogewicht von 0 %, 20 %, 35 %, 50 %, 100 % bzw. 150 %.109 Für bestimmte Risikopositionen – insbesondere Kreditforderungen gegenüber EU-Mitgliedstaaten sowie gegenüber der EZB – wird eine Risikogewichtung von 0 % zugewiesen (Nullgewichtung).110 Für derartige Positionen müssen daher keine Eigenmittel unterlegt werden. Die einzelnen Risikogewichte wurden durch die Überarbeitung von Basel III im Dezember 2017 zum Teil neu kalibriert; diese wurden noch nicht ins Unionsrecht umgesetzt. Allerdings wurden die Risikogewichte im Standardansatz bereits durch CRR II im Detail angepasst.111 Der Kommissionsvorschlag vom Oktober 2021 sieht weitere Anpassungen vor. cc) IRB-Ansätze
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Neben dem Standardansatz kann der auf internen Einstufungen basierende Ansatz (IRB-Ansatz) eingesetzt werden.112 Im Unterschied zum Standardansatz, bei dem 105 Art. 111–141 CRR. 106 Gem. Art. 111 CRR ist der Risikopositionswert einer Aktivposition der verbleibende
Buchwert nach Abzug von spezifischen Risikoanpassungen, zusätzlichen Wertberichtungen gem. den Art. 34 und Art. 110 CRR sowie weiteren mit der Aktivposition verknüpften Verringerung der Eigenmittel. 107 Art. 112 CRR. Es handelt sich hierbei um (i) Zentralstaaten und Zentralbanken, (ii) regionale oder lokale Gebietskörperschaften, (iii) öffentliche Stellen, (iv) multilaterale Entwicklungsbanken, (v) internationale Organisationen, (vi) Institute, (vii) Unternehmen, (viii) Positionen aus dem Mengengeschäft, (ix) durch Immobilien besicherte Risikopositionen, (x) ausgefallene Positionen, (xi) mit besonders hohem Risiko verbundene Positionen, (xii) gedeckte Schuldverschreibungen, (xiii) Verbriefungspositionen, (xiv) Institute und Unternehmen mit kurzfristiger Bonitätsbeurteilung, (xv) Risikopositionen in Form von Anteilen an Organismen für Gemeinsame Anlagen, (xvi) Beteiligungspositionen sowie (xvii) sonstige Positionen. 108 Art. 113 CRR. 109 Art. 114 ff. (für die jeweiligen Forderungskategorien). 110 Art. 114(3) und (4) CRR. 111 Die privilegierte Risikogewichtung von 35 % für Wohnimmobilien und 50 % für Gewerbeimmobilien sind gem. Art. 124(2) CRR intensiver von den zuständigen Behörden zu überprüfen. 112 Art. 142 ff. CRR.
§ 8 Eigenmittel
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die Eigenmittelunterlegung maßgeblich von dem externen Rating des Schuldners abhängt, wird das Kreditrisiko im IRB-Ansatz auf Basis von internen Bewertungen ermittelt (also Ratings, die von den Instituten selbst berechnet werden). Wie im Standardansatz ergibt sich der risikogewichtete Forderungsbetrag (risk-weighted asset – RWA) aus dem Produkt von dem Risikopositionswert und dem Risikogewicht. Im Gegensatz zum Standardansatz ist das Risikogewicht vom Institut selbst zu quantifizieren.113 Dieses hängt hierbei u. a. von den folgenden Faktoren ab: der Ausfallwahrscheinlichkeit (probability of default – PD)114, der Verlustquote bei Ausfall (loss given default – LGD)115 und der Ausfallkredithöhe (exposure at default – EAD).116 Der IRB-Basissatz zeichnet sich dadurch aus, dass die Bank die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Schuldners anhand von internen Ratings selbst ermitteln kann. Die anderen Faktoren, insbesondere die Verlustquote bei Ausfall und Ausfallkredithöhe, werden weiterhin pauschal vorgegeben und hängen u. a. von den gestellten Sicherheiten ab. Noch einen Schritt weiter geht der fortgeschrittene IRB-Ansatz, bei dem auch die übrigen Faktoren vom Institut mithilfe eigener statistischer Verfahren ermittelt werden. Bevor die Institute die IRB-Ansätze verwenden dürfen, müssen diese von der zuständigen Behörde genehmigt werden.117 Im Rahmen dieses – in der Praxis außerordentlich umfangreichen – Zulassungsverfahrens wird geprüft, ob die qualitativen Mindestanforderungen hinsichtlich der bankinternen Berechnungsverfahren erfüllt sind.118 Insbesondere wird verlangt, dass die Ratingsysteme des Instituts eine „aussagekräftige Beurteilung der Merkmale von Schuldner und Geschäft, eine aussagekräftige Risikodifferenzierung sowie genaue und einheitliche quantitative Risikoschätzungen“ liefern.119 Das Aufsichtsrecht schreibt in diesem Zusammenhang verschiedene organisatorische Mindestvorgaben beim Einsatz der internen Bewertungssysteme vor.120
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d) Output Floor
Als einer der zentralen Aspekte der Reformen des Basel-III-Pakets vom Dezember 2017 wurde die Einführung eines „Output Floors“ vereinbart.121 Hier113 Einzelheiten sind sehr komplex. Vgl. hierzu Kämmler/Kleppe, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 114 ff.; Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 7.04 ff. 114 Vgl. Art. 4(1) Nr. 54 CRR. 115 Vgl. Art. 4(1) Nr. 55 CRR. 116 Vgl. Art. 261(1) CRR („Forderungshöhe sämtlicher auf den i-ten Schuldner bezogener Risikopositionen“). 117 Art. 143 CRR. 118 Art. 144 CRR. 119 Art. 144(1) lit. a CRR. 120 Vgl. etwa Art. 144(1) lit. c CRR, wonach das Institut über eine Stelle für die Kreditrisikoüberwachung verfügt, und diese hinreichend unabhängig ist und vor „ungebührlicher Einflussnahme“ geschützt ist. 121 Basler Ausschuss, Basel III: Finalising post-crisis reforms, Dezember 2017, S. 137 ff.
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218 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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bei sollen bei Einsatz von IRB-Ansätzen die Eigenmittel ab 2027 mindestens 72,5 % der anhand des Standardansatzes ermittelten risikogewichteten Aktiva betragen.122 In der Sache wird hiermit eine „Untergrenze“ formuliert, die auch bei Einsatz von internen Bewertungsmethoden nicht unterschritten werden darf (Backstop-Funktion). Nach der Konzeption des Basler Ausschusses soll durch den Output Floor einer „exzessiven Variabilität der risikogewichteten Aktiva“ entgegengewirkt werden. Es soll zudem die Vergleichbarkeit der Kapitalunterlegung gefördert werden.123 Zur Vermeidung von „Klippeneffekten“ sind weitreichende Übergangsvorschriften vorgesehen. Die Einführung des Output Floors ist rechtspolitisch außerordentlich umstritten.124 Hauptmotivation der Einführung dieses Floors dürfte der Umstand gewesen sein, dass die (nicht risikogewichteten) Eigenmittel infolge des Einsatzes von fortgeschrittenen Messansätzen zum Teil deutlich gesunken sind. Es wurde ferner kritisiert, dass bei den nationalen Zulassungspraktiken Unterschiede bestehen, was zu Wettbewerbsverzerrungen und Aufsichtsarbitrage führen kann. Bis dato wurden die Vorschläge des Basler Ausschusses zur Einführung eines Output Floors noch nicht in das Unionsrecht überführt. CRR II enthält noch keine entsprechende Verpflichtung. Es ist derzeit noch nicht absehbar, ob der Vorschlag des Basler Ausschusses vom europäischen Gesetzgeber übernommen wird.125 Der Kommissionsentwurf vom 27. Oktober 2021 sieht die stufenweise Einführung eines Output Floors ab dem Jahre 2025 für bestimmte Institute vor.126
IV. Kapitalpuffer Neben den soeben erörterten Mindestkapitalvorgaben sind von den Instituten Kapitalpufferanforderungen zu beachten. Es handelt sich hierbei um eine der zentralen Neuerungen von Basel III. Kapitalpuffer unterscheiden sich von Mindestkapitalanforderungen konzeptionell hinsichtlich der Rechtsfolgen: Während eine Nichtbeachtung der Mindestkapitalanforderungen verschiedene Sanktionen bis hin zum Entzug der Bankerlaubnis nach sich ziehen kann, greifen bei einem Unterschreiten der Kapitalpufferanforderungen zunächst (lediglich) Ausschüttungsbeschränkungen.127 Das System der Kapitalpufferregelungen ist komplex: Basierend auf den Vorgaben von Basel III128 differenziert das Unionsrecht zwischen dem sog. Kapitalerhaltungspuffer (Capital Conservation Buffer), dem antizyklischen Kapital122 Basler Ausschuss, Basel III: Finalising post-crisis reforms, Dezember 2017, S. 137. 123 Basler Ausschuss, Basel III: Finalising post-crisis reforms, Dezember 2017, S. 137 Nr. 1. 124 Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 5.43 (most controversial
feature of the final Basel III package). Vgl. zur bisherigen Untergrenze (Basel 1 Floor) Art. 500 CRR. Vgl. Art. 92(3)–(4) CRR in der Fassung des Kommissionsentwurfs. Art. 141 f. CRD. Basler Ausschuss, Basel III, Rn. 129 ff.
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§ 8 Eigenmittel
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puffer (Counter-Cyclical Capital Buffer) sowie einem Puffer für systemrelevante Institute (Buffer for Systematically Important Institutions). Über Basel III hinaus sieht das europäische Recht zudem noch die Bildung eines Systemrisikopuffers (Systemic Risk Buffer) vor. Die Puffer unterscheiden sich hinsichtlich ihres zeitlichen, persönlichen oder geografischen Anwendungsbereichs: Während der Kapitalerhaltungspuffer zeitlich unbeschränkt für sämtliche Institute129 gilt, soll der antizyklische Kapitalpuffer lediglich zu bestimmten Zeiten, der Puffer für systemrelevante Institute dagegen nur für bestimmte Institute Anwendung finden (nämlich solche, die eine „Systemrelevanz“ aufweisen).130 Die Einführung der Kapitalpuffer ist eine Reaktion auf die Finanzkrise. Ausgangspunkt bildete die Kritik, dass die Kapitalvorgaben nach Basel II prozyklische Effekte haben und das Entstehen von Finanzkrisen unter Umständen sogar begünstigen können.131 Dem liegt der historische Befund zugrunde, dass einem wirtschaftlichen Abschwung oft eine Phase des exzessiven Kreditwachstums vorausgeht, während in Krisenzeiten die Institute eine übermäßig restriktive Kreditvergabe praktizieren.132 Dieses Verhaltensmuster kann u. a. darauf beruhen, dass in wirtschaftlichen Boomphasen die Kreditvergabe für die Institute „günstiger“ ist, da wegen des in diesen Zeiten typischerweise besseren Ratings weniger Eigenmittel (wegen der Risikogewichtung) aufgebracht werden müssen. Die Kapitalpuffer sollen diesen zyklischen Effekten entgegenwirken (vgl. noch unten Rn. 77 ff.). Hiermit geht sogleich eine Akzentverschiebung hinsichtlich der Bedeutung der regulatorischen Kapitalvorschriften einher. Während diese traditionell primär die Solvenz des einzelnen Instituts sichern sollen, haben die Kapitalpuffer auch eine wichtige makroprudenzielle Funktion. Die Bedeutung der Kapitalpuffer als regulatorisches Steuerungsinstrument hat sich auch in der Covid-19-Krise gezeigt.133
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Systematisch sind die Kapitalpuffer nicht wie die übrigen Eigenmittelanforderungen in der CRR, sondern (wenig überzeugend) in Art. 128 ff. CRD in einer Richtlinie geregelt. Diese müssten somit von den Mitgliedstaaten in das nationale Recht umgesetzt werden. Hinsichtlich der Kapitalpuffer werden den Mitgliedstaaten bzw. den nationalen Behörden zum Teil recht weitreichende Gestaltungsspielräume eingeräumt. Das Konzept des Single Rulebooks wird insoweit aufgeweicht.134 In Deutschland sind die Anforderungen an die Kapitalpuffer in §§ 10c–10i KWG geregelt. Überblicksartig kann das System wie folgt dargestellt werden:
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129 Art. 129(2) CRD sieht allerdings eine Befreiungsmöglichkeit für kleine und mittlere Wertpapierfirmen vor. 130 Vgl. hierzu auch Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 306 ff. 131 Ausführlich hierzu die Ausführungen des Basler Ausschusses, Basel III, Rn. 18 ff. (Verringerung der Prozyklizität und Förderung antizyklischer Polster). 132 Vgl. etwa Walther, Dämpfung der prozyklischen Wirkung von Kapitalanforderungen in Basel III?, 2012, Deutsches Institut für Bankwirtschaft; Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 307. 133 Die EZB stellte klar, dass die Banken im Zeichen der Covid-19-Krise die Kapital- und Liquiditätspuffer vollständig ausnutzen können. Die von der EZB veröffentlichten Verlautbarungen sind abrufbar unter: https://www.bankingsupervision.europa.eu/press/pr/date/2020/ html/ssm.pr200320_FAQs~a4ac38e3ef.en.html. 134 Dazu auch Moloney, Zeitschrift für öffentliches Recht (2016), 385–423.
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Art. 130 CRD Art. 135–140 CRD § 10d KWG
0 %–2,5 %1,3
Art. 129 CRD § 10c KWG
2,5% 1,2
1 %–3,5 %1
Global systemrelevante Institute (G-SRI) § 10f KWG
Je nach Festsetzung 1,6
Anderweitig systemrelevante Institute (A-SRI) § 10g KWG
Art. 131 CRD
Kapitalpuffer für systemrelevante Institute
Solange neben einem Kapitalpuffer für G-SRI auch ein A-SRI auf konsolidierter Ebene besteht, ist nur der höhere der beiden Kapitalpuffer anzuwenden (§ 10h(1) KWG). Besteht neben einem Kapitalpuffer für G-SRI / A-SRI auch ein Systemrisikopuffer, so sind diese Puffer nach Neufassung (CRD V) kumulativ zu erfüllen.
Je nach Festsetzung4
Art. 133, Art. 134 CRD § 10e KWG
Systemrisikopuffer
135 Darstellung in Anlehnung an Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 6/2013, S. 69 (auf die aktuelle Rechtslage aktualisiert).
Abbildung 8.2: Kapitalpuffer-Anforderungen.135
1 In % des Gesamtrisikobetrags 2 Kann gem. Art. 458 CRR auf nationaler Ebene erhöht werden 3 Kann auch höher sein; grenzüberschreitende Reziprozität grundsätzlich entsprechend 2,5 % Pufferquote 4 Festsetzung durch NCA optional. Ursprünglich bei Festsetzung mind. 1 %. In Folge von CRD V zusätzliche Flexibilität 5 Ist ein A-SRI Tochterunternehmen entweder eines G-SRI oder eines A-SRI mit Sitz im Ausland, das einem Kapitalpuffer für A-SRI auf konsolidierter Ebene unterliegt, so darf der Kapitalpuffer für A-SRI auf konsolidierter Ebene für dieses Tochterunternehmen maximal 1 % betragen 6 Urspr. Begrenzung auf 2 % durch CRD V aufgehoben. Ab 3 % Zustimmung der Europäischen Kommission erforderlich
Anmerkungen:
Antizyklischer Kapitalpuffer
Kapitalerhaltungspuffer
Kombinierte Kapitalpuffer-Anforderungen
220 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 135
135 Darstellung in Anlehnung an Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 6/2013, S. 69 (auf die aktuelle Rechtslage aktualisiert).
§ 8 Eigenmittel
221
1. Kapitalerhaltungspuffer und antizyklischer Kapitalpuffer
Der Kapitalerhaltungspuffer und der antizyklische Kapitalpuffer wurden eingeführt, um das Problem der Prozyklizität der Kapitalregulierung zu begrenzen.136 Sie verfolgen einen makroökonomischen Ansatz.137
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a) Kapitalerhaltungspuffer
Die Mitgliedstaaten verlangen gem. Art. 129(1) CRD von Instituten, zusätzlich zum harten Kernkapital einen aus hartem Kernkapital bestehenden Kapitalpuffer vorzuhalten, der 2,5 % ihres Gesamtrisikobetrags entspricht. Der Kapitalerhaltungspuffer soll nach der Vorstellung des Basler Ausschusses sicherstellen, dass Banken „außerhalb von Stressphasen Kapitalpolster aufbauen, auf die im Verlustfall zurückgegriffen werden kann.“138 Dahinter steht der Befund, dass Banken in Krisenzeiten ihr Kreditengagement oft zurückfahren, um die regulatorischen Kapitalquoten zu erfüllen, was den wirtschaftlichen Abschwung zusätzlich verstärkt.139 Der Aufbau von Kapitalpuffern soll es den Instituten ermöglichen, auch in Krisenzeiten den Umfang der gehaltenen Aktiva konstant zu halten. In Deutschland sind die Anforderungen an die Kapitalerhaltungspuffer in § 10c KWG geregelt.
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b) Antizyklischer Kapitalpuffer
Art. 130 Abs. 1 CRD sieht vor, dass die Mitgliedstaaten von den Instituten verlangen, einen institutsspezifischen140 antizyklischen Kapitalpuffer vorzuhalten. Die Höhe wird von dem jeweiligen Mitgliedstaat ganzheitlich (also nicht für einzelne Institute) festgelegt und soll grundsätzlich zwischen einem Betrag von 0 % bis 2,5 % festgelegt werden.141 Der konkrete Betrag soll sich anhand des Kreditwachstums (in Relation zum BIP-Wachstum) ausrichten.142 Ähnlich wie der Kapitalerhaltungspuffer wurde der antizyklische Kapitalpuffer eingeführt, um die oben beschriebenen prozyklischen Effekte im Bankensektor abzumildern.143 Der antizyklische Kapitalpuffer zielt auf eine Begrenzung von Systemrisiken ab, die durch exzessive Kreditvergabe hervorge136 Vgl. Erwägungsgrund (80) CRD IV. 137 Ausführlich zu den Instrumenten der makroökonomischen Regulierung EBA, Opinion
on the macroprudential rules in CRR/CRD, EBA/Op/2014/06, 30.6.2014. 138 Basler Ausschuss, Basel III, Rn. 122. 139 Allgemein hierzu Basler Ausschuss, Basel III, Rn. 18 ff. (Verringerung der Prozyklizität und Förderung antizyklischer Polster). 140 Der Begriff „institutsspezifischer“ antizyklischer Kapitalpuffer ist missverständlich. Eine institutsspezifische Komponente erhält diese (nur) dadurch, dass ein Institut alle Engagements in den jeweiligen Mitgliedstaaten berücksichtigen muss. 141 Zur Festlegung der Quoten vgl. Art. 136 CRD; in Ausnahmefällen ist auch die Festsetzung eines höheren Wertes möglich (Art. 136(4), 137 CRD). 142 Art. 135 f. CRD. 143 Ausführlich zur Bedeutung des antizyklischen Kapitalpuffers für die makroprudenzielle Regulierung siehe ESRB, Handbook on Operationalising Macro-prudential Policy in the Banking Sector, Section 2, Chapter 2: The countercyclical capital puffer.
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222 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung rufen werden können.144 Der Basler Ausschuss beschreibt diese Zielsetzung wie folgt: „Mit dem antizyklischen Kapitalpolster sollen die Kapitalanforderungen für den Bankensektor das globale Finanzumfeld berücksichtigen, in dem die Banken tätig sind. Das Polster wird von einzelnen Ländern eingeführt, wenn sich die Ansicht durchsetzt, dass exzessives Kreditwachstum mit einem Anstieg systemweiter Risiken verbunden ist: So soll sichergestellt werden, dass das Bankensystem über ein Kapitalpolster zur Abschirmung gegen potenziell eintretende Verluste verfügt.“
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Der antizyklische Kapitalpuffer wird von den jeweiligen Mitgliedstaaten festgelegt. Diese haben – trotz der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Vollharmonisierung – ein gewisses Maß an Flexibilität, um die geltenden Kapitalanforderungen an die nationalen Konjunkturverhältnisse anzupassen.145 In Deutschland sind die Anforderungen an den antizyklischen Kapitalpuffer in § 10d KWG normiert.
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Die in den jeweiligen Mitgliedstaaten anwendbaren Beträge sind auf der Homepage der ESRB abrufbar.146 Vom Basler Ausschuss wurde eine Übersicht über die festgesetzten Kapitalpuffer in zahlreichen außereuropäischen Nationen veröffentlicht.147 Im Zuge der Covid-19-Krise wurde der antizyklische Kapitalerhaltungspuffer in den meisten Staaten auf 0 % gesetzt.
2. Puffer für Systemrisiken und systemrelevante Institute a) Puffer für systemrelevante Institute 81
Art. 131 CRD sieht die Einführung von Kapitalpuffern für bestimmte systemrelevante Institute vor.148 Das Aufstellen von besonderen Kapitalanforderungen für systemrelevante Institute stellt ein Novum in der europäischen Kapitalregulierung dar. Hierdurch soll nach der Vorstellung des europäischen Gesetzgebers „das höhere Risiko, das G-SRI für das Finanzsystem darstellen“ ausgeglichen werden.149 Die Vorgaben an die Puffer für systemrelevante Institute sind in Deutschland in §§ 10f, 10g KWG normiert.
144 Vgl. Erwägungsgrund (81) CRD IV. 145 Aus deutscher Perspektive vgl. Deutsche Bundesbank, Der antizyklische Kapitalpuffer in
Deutschland, November 2015 (abrufbar unter: https://www.bundesbank.de/resource/blob/ 598690/e627e8ef7407a27adf5d001bfafb4e92/mL/der-antizyklische-kapitalpuffer-data.pdf). 146 Abrufbar unter: https://www.esrb.europa.eu/national_policy/ccb/applicable/html/index. en.html. 147 Abrufbar unter: https://www.bis.org/bcbs/ccyb/. 148 Erwägungsgrund (90) CRD IV. 149 Erwägungsgrund (1) der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1222/2014 der Kommission vom 8.10.2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards zur Festlegung der Methode zur Bestimmung global systemrelevanter Institute und zur Festlegung der Teilkategorien global systemrelevanter Institute.
§ 8 Eigenmittel
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Der Basler Ausschuss beschreibt die Zielsetzung wie folgt:
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„Es ist weithin anerkannt, dass Institute, die wegen ihrer Grösse, Verflechtung, Komplexität, mangelnden Ersetzbarkeit oder globalen Reichweite als systemrelevant (‚too big to fail‘ – zu gross, um scheitern zu dürfen) eingestuft werden, negative externe Effekte aussenden können. Einzelne Finanzinstitute können im Zuge der eigenen Gewinnmaximierung rationale Ziele festlegen, die jedoch aus der Sicht des Gesamtsystems nicht optimal sind, da sie solche Externalitäten nicht berücksichtigen. Desgleichen können die Fehlanreize, die sich aus der Erwartung staatlicher Hilfe ergeben (was einer impliziten Garantie entspricht), nicht nur die Risikobereitschaft erhöhen und die Marktdisziplin verschlechtern, sondern auch zu Wettbewerbsverzerrungen führen und die Wahrscheinlichkeit weiterer Verwerfungen in der Zukunft erhöhen. Letztlich kommen die Kosten dieses Moral Hazard zu den direkten Unterstützungskosten hinzu, die die Steuerzahler möglicherweise zu tragen haben.“150
aa) G-SRI
Die strengsten Anforderungen gelten für „global systemrelevante Institute“ (global systematically important institutions – G-SRI).151 Der Puffer für G-SRI beträgt – je nach Systemrelevanz – zwischen 1 % und 3,5 %. Die betroffenen Institute werden auf Basis der vom Basler Ausschuss bzw. dem FSB entwickelten Kriterien ermittelt.152 Die Methode zur Ermittlung von G-SRI basiert auf den folgenden Kriterien: (i) der Größe der Gruppe, (ii) den Verflechtungen der Gruppe mit dem Finanzsystem, (iii) der Ersetzbarkeit der von der Gruppe erbrachten Dienstleistungen oder zur Verfügung gestellten Finanzinfrastruktur, (iv) der Komplexität der Gruppe sowie (v) der grenzüberschreitenden Tätigkeit der Gruppe.153 Einzelheiten werden durch eine Delegierte Verordnung konkretisiert.154 Eine Liste der global systemrelevanten Institute ist auf der Homepage der FSB abrufbar.155 Von den deutschen Instituten wurde derzeit nur die Deutsche Bank (Unterkategorie 2, Puffer von 1,5 %) als G-SRI qualifiziert.
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bb) A-SRI
Das Unionsrecht sieht ferner vor, dass die zuständige Behörde einen Puffer für anderweitig systemrelevante Institute (other systemically important institutions) festsetzen kann. Dieser war ursprünglich auf einen Betrag von bis zu 2 % des Gesamtrisikobetrags begrenzt. Diese Beschränkung wurde im Zuge der Umset150 Basler Ausschuss, Globale systemrelevante Banken, Aktualisierte Bewertungsmethodik und Anforderungen an die höhere Verlustabsorptionsfähigkeit, Juli 2013, Rn. 3. 151 Art. 131(1)–(4) CRD. 152 Basler Ausschuss, Globale systemrelevante Banken, Aktualisierte Bewertungsmethodik und Anforderungen an die höhere Verlustabsorptionsfähigkeit, Juli 2013. 153 Art. 131(2) CRD bzw. § 10f KWG. 154 Delegierte Verordnung (EU) Nr 1222/2014 der Kommission vom 8.10.2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards zur Festlegung der Methode zur Bestimmung global systemrelevanter Institute und zur Festlegung der Teilkategorien global systemrelevanter Institute. 155 Abrufbar unter: https://www.fsb.org/2020/11/2020-list-of-global-systemically-impor tant-banks-g-sibs/.
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224 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung zung des Bankenpakets aufgehoben. Allerdings kann ein Puffer für A-SRI von mehr als 3 % nur mit Zustimmung der Kommission festgesetzt werden.156 Die Systemrelevanz wird auf Grundlage mindestens eines der folgenden Kriterien ermittelt: (i) die Größe, (ii) die Relevanz für die Wirtschaft der Union oder des betreffenden Mitgliedstaats, (iii) die Bedeutung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten sowie (iv) die Verflechtungen des Instituts oder der Gruppe mit dem Finanzsystem.157 b) Systemrisikopuffer 85
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Art. 133 und 134 CRD sehen zudem vor, dass die Mitgliedstaaten bzw. die von den Mitgliedstaaten benannten Behörden158 einen Systemrisikopuffer (systemic risk buffer) einführen können.159 Er zielt darauf ab, „langfristige nicht-zyklische Systemrisiken oder Makroaufsichtsrisiken im Sinne eines Risikos einer Störung des Finanzsystems mit möglichen ernsthaften nachteiligen Auswirkungen auf das Finanzsystem und die Realwirtschaft in einem spezifischen Mitgliedstaat zu vermeiden und zu mindern“.160 Anders als die vorgenannten Puffer geht der Systemrisikopuffer nicht auf Empfehlungen von internationalen Standardsetzern zurück, sondern basiert auf der Initiative des europäischen Gesetzgebers. Es sollen den Mitgliedstaaten hiermit Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Festsetzung von Systemrisikopuffern eingeräumt werden. Er kann sowohl für alle Institute in dem jeweiligen Mitgliedstaat oder für eine bestimmte Gruppe von Instituten angeordnet werden. Durch die CRR II haben die zuständigen nationalen Behörden zusätzliche Flexibilität hinsichtlich der Festsetzung der Systemrisikopuffer erhalten.161 Die Höhe kann von der benannten Behörde (in Deutschland: der BaFin) grundsätzlich eigenständig festgesetzt werden. Allerdings ist die Festsetzung des Systemrisikopuffers an verschiedene materielle und prozedurale Bedingungen geknüpft. In materieller Hinsicht kann der Kapitalpuffer angeordnet werden, um systemische oder makroprudenzielle Risiken zu vermindern oder abzuwehren.162 Voraussetzung ist, dass diese Risiken zu einer Störung mit „schwerwiegenden negativen Auswirkungen“ auf das nationale Finanzsystem und die Realwirtschaft in einem spezifischen Mitgliedstaat führen können.163 Ferner dürfen die Risiken nicht bereits durch die CRR bzw. die übrigen Kapitalpuffer abgedeckt § 10g(1a) KWG. Art. 131(3) CRD bzw. § 10g KWG. Im Folgenden als „benannte Behörde“ bezeichnet. Vgl. in Deutschland § 10e KWG. Art. 133(1) CRD. Zusammenfassend Deusche Bundesbank, Monatsbericht Juni 2019, S. 40 ff. Der Begriff „makroprudenzielle Risiken“ wird vom deutschen Gesetzgeber verwendet. Vgl. § 10e(2) Satz 1 Nr. 1 KWG (in Umsetzung von Art. 133(1) CRD – „Makroaufsichtsrisiken“). 163 § 10e(2) Satz 1 Nr. 2 KWG. 156 157 158 159 160 161 162
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werden.164 Schließlich darf der Systemrisikopuffer zu keiner unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Finanzsystems eines anderen Mitgliedstaats führen.165 Die zuständige Behörde muss den Systemrisikopuffer alle zwei Jahre überprüfen.166 In Deutschland wurden die Vorgaben an den Systemrisikopuffer in § 10e KWG umgesetzt. Aus der Perspektive des europäischen Single Rulebooks erscheint die Möglichkeit der Anordnung eines nationalen Systempuffers als ein Fremdkörper. Ähnliches gilt für die mit dem Systemrisikopuffer konzeptionell verwandten nationalen Anordnungskompetenzen gem. Art. 458 CRR (sog. „Flexibility Package“). Vor diesem Hintergrund wurde die Einführung dieser Maßnahmen bei der Verabschiedung des CRD IV/CRR-Pakets kontrovers diskutiert. Die oben beschriebenen – recht strengen – Hürden an das Aufstellen von Systemrisikopuffern sind das Ergebnis eines Kompromisses, der von der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament in den Trilog-Verhandlungen gefunden wurde.167
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In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist vorgesehen, dass bei Festsetzung einer Systemrisikopufferquote von bis zu 3 % dies dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) angezeigt wird.168 Bei der Festsetzung eines Systemrisikopuffers von 3 % bis 5 % sind zusätzliche Mitteilungspflichten und verfahrensrechtliche Anforderungen zu beachten.169 Ein Systemrisikopuffer von über 5 % kann grundsätzlich nur mit Erlaubnis der Kommission erfolgen.170 Die von den Mitgliedstaaten bzw. den benannten Behörden angeordneten Kapitalpuffer für systemische Risiken sind auf der Homepage des ESRB abrufbar.171 Die BaFin hat bis dato noch keinen derartigen Puffer erlassen.
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3. Ausschüttungsbeschränkungen
Von den Mindestkapitalanforderungen unterscheiden sich die Kapitalpufferregelungen hinsichtlich der Rechtsfolgen bei Nichterfüllung: Während eine Verletzung der Mindestkapitalvorgaben verschiedene aufsichtsrechtliche Sanktionen bis hin zum Entzug der Bankerlaubnis haben kann, sehen Art. 141 und 142 CRD bei Unterschreiten der kombinierten Kapitalpufferanforderungen ledig-
Art. 133(1) CRD IV. Art. 133(10) lit. a CRD. In Deutschland umgesetzt in § 10e(2) Satz 2 KWG. Art. 133(10) lit. b CRD. In Deutschland umgesetzt in § 10e(2) Satz 4 KWG. Vgl. hierzu Ortgies, in: Boos/Fischer/Schulte-Matter, KWG CRR, 5. Aufl. 2016, § 10e Rn. 2. 168 Vgl. im Einzelnen Art. 133(9)–(12) CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung); § 10e(3) KWG. 169 Vgl. im Einzelnen Art. 133(11) CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung); § 10e(4) KWG. 170 Art. 133(12) CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung); § 10e(5) KWG. 171 Abrufbar unter: https://www.esrb.europa.eu/national_policy/systemic/html/index.en. html. 164 165 166 167
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226 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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lich Ausschüttungsbeschränkungen vor.172 Hierdurch soll den Instituten die Möglichkeit gegeben werden, entsprechende Kapitalpuffer selbst wieder aufzubauen.173 Im Einzelnen gilt Folgendes: Gem. Art. 141 Abs. 1 CRD untersagen die Mitgliedstaaten den Instituten, eine Ausschüttung im Zusammenhang mit hartem Kernkapital vorzunehmen, durch die ihr hartes Kernkapital so stark absinken würde, dass die kombinierte Kapitalpufferanforderung nicht länger erfüllt wären. Die Mitgliedstaaten verlangen ferner von Instituten, die die kombinierte Kapitalpufferanforderung nicht erfüllen, den ausschüttungsfähigen Höchstbetrag gem. Art. 141 Abs. 4 CRD zu berechnen und diesen der zuständigen Behörde zu melden.174 In diesen Konstellationen untersagen die Mitgliedstaaten den Instituten, vor der Berechnung des ausschüttungsfähigen Höchstbetrags eine der folgenden Maßnahmen zu ergreifen: (i) eine Ausschüttung im Zusammenhang mit hartem Kernkapital vorzunehmen; (ii) eine Verpflichtung zur Zahlung einer variablen Vergütung oder freiwilliger Altersvorsorgeleistung zu schaffen oder eine variable Vergütung zu zahlen, wenn die entsprechende Verpflichtung zu einer Zeit geschaffen wurde, in der das Institut die kombinierten Kapitalpufferanforderungen nicht erfüllte; oder (iii) Zahlungen in Bezug auf zusätzliche Kernkapitalinstrumente vorzunehmen.175 Das Institut hat einen Kapitalerhaltungsplan zu erstellen, wenn es die kombinierten Kapitalpufferanforderungen nicht erfüllt. Dieser Kapitalerhaltungsplan ist von der zuständigen Behörde zu bewerten. Sie billigt diesen nur dann, wenn sie der Auffassung ist, dass durch die Umsetzung des Plans wahrscheinlich genügend Kapital erhalten oder aufgenommen wird, damit das Institut die kombinierten Kapitalpufferanforderungen innerhalb des von der zuständigen Behörde als angemessen definierten Zeitraums erfüllen kann.176 Billigt die zuständige Behörde den Kapitalerhaltungsplan nicht, so verlangt sie von dem Institut entweder, seine Eigenmittel innerhalb eines bestimmten Zeitraums auf eine bestimmte Höhe aufzustocken, oder verhängt weitergehende Ausschüttungsbegrenzungen.177 In Deutschland wurden die Vorgaben an die Ausschüttungsbeschränkungen in § 10i KWG umgesetzt. Im Zuge der Verabschiedung von CRD V wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2023 ferner Ausschüttungsbegrenzungen für den Fall der Nichterfüllung der Verschuldenspuffer-Anforderungen (leverage ratio buffer requirements) von Instituten eingeführt, die als G-SRI eingestuft wurden.178 Diese Anforderungen werden in Deutschland in § 10j KWG umgesetzt werden. 172 Vgl. bereits oben Rn. 70 ff. 173 In der Sache handelt es sich bei den Kapitalpuffern um eine Form einer „anreizbasierten“
Regulierung. 174 Die Berechnung ist komplex. Vgl. im Einzelnen Art. 141(4)–(6) CRD. 175 Art. 141(2) Unterabs. 2 CRD. 176 Art. 142(3) CRD. 177 Art. 142(4) CRD. 178 Art. 141b und Art. 141c CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung).
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V. Verschuldungsquote (leverage ratio) 1. Überblick und Rechtsentwicklung
Als Konsequenz aus der Finanzkrise wurde eine Verschuldungsquote (leverage ratio) eingeführt. Den Ausgangspunkt der Rechtsentwicklung bildete die Feststellung des Basler Ausschusses, dass im Vorfeld der Finanzkrise „Banken einen exzessiven Verschuldensgrad erreicht [hatten], während sie noch starke risikobasierte Eigenkapitalquoten auswiesen“.179 Vor diesem Hintergrund schlug der Basler Ausschluss vor, das System der risikobasierten Eigenmittelberechnung um eine einfache, transparente und nicht risikobasierte Höchstverschuldunsquote zu ergänzen. Diese sollte nach der Konzeption des Basler Ausschusses zunächst in einem Beobachtungszeitraum (1. Januar 2013 bis zum 1. Januar 2017) mit einem Betrag von 3 % angesetzt werden. Die Basel-Vereinbarung vom Dezember 2017 sieht die Einführung einer dauerhaften Verschuldungsquote in Höhe von 3 % ab dem 1. Januar 2018 vor. Auf europäischer Ebene wird die Verschuldungsquote in Teil 7 der CRR (Art. 429–430) adressiert.180 Art. 429 CRR regelt hiernach die Berechnung dieser Verschuldungsquote. Art. 430 CRR sieht eine Meldepflicht gegenüber den zuständigen Behörden und Art. 451 eine detaillierte Offenlegungspflicht gegenüber den Marktteilnehmern vor. Bislang wurde auf europäischer Ebene allerdings noch keine verbindliche Verschuldungsquote normiert. Erst im Zuge der Verabschiedung der CRR II wurden eine verpflichtende Verschuldungsquote von 3 %181 sowie ein Puffer für global systemrelevante Institute182 eingeführt. Diese Anforderungen gelten grundsätzlich ab dem 21. Juni 2021. Im Zuge der Covid-19-Epidemie wurde die Einführung des Puffers für systemrelevante Institute allerdings auf den 1. Januar 2023 verschoben.183
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Rechtspolitisch wurde die Einführung der Leverage Ratio in Höhe von 3 % aus verschiedenen Gründen kritisiert.184 Vonseiten der Marktteilnehmer wurde die Befürchtung geäußert, dass diese Quote bei risikoarmen, aber großvolumigen Geschäftsmodellen – wie sie etwa von Hypothekenbanken betrieben werden – die eigentlich bindende Kapitalquote darstellt (und damit der risikobasierte Ansatz der Mindestkapitalanforderungen faktisch verdrängt wird). Nach den von der Deutschen Bundesbank vorgelegten Ergebnissen des „Basel III Monitorings“ betrug die tatsächliche Verschuldungsquote von den acht größten
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179 Basler Ausschuss, Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähigere Banken und Bankensystem, 2010, Rn. 151. 180 Art. 429 CRR wurde durch die Verordnung (EU) 2015/62 vom 10.10.2014 überarbeitet. 181 Art. 92(1) lit. d CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 182 Art. 92(1a) CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). Wenig überzeugend sind die Kapitalpuffer damit zum Teil in der CRD und zum Teil (wie beim Puffer der Verschuldungsquote für G-SRI) in der CRR geregelt. 183 Vgl. die Nachweise unten (§ 18 Rn. 40). 184 Zur rechtspolitischen Debatte Avgouleas, Bank Leverage Ratios and Financial Stability: A Micro- and Macroprudential Perspective, SSRN Working Paper, 2015.
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228 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung Kreditinstituten im Jahre 2013 durchschnittlich 2,2 %. Diese Quote hat sich in den letzten Jahren gem. den Feststellungen der Deutschen Bundesbank allerdings leicht erhöht.185 Von namhaften Ökonomen wurde vorgebracht, dass die vorgesehene Verschuldungsquote von 3 % aus wohlfahrtsökonomischer Sicht zu gering bemessen sei.186
2. Europäische Regelungsvorgaben a) Berechnung 99
Art. 429 Abs. 2 CRR formuliert die grundlegenden Anforderungen an die Berechnung der Verschuldungsquote. Hiernach ist diese der Quotient aus der „Kapitalbemessungsgröße“ eines Instituts und seiner „Gesamtrisikopositionsbemessungsgröße“. Kapitalmessgröße = Kernkapital (Zähler) Verschuldungsquote (mind. 3 %) = -----------------------------------------------------------------------------------------------------------Gesamtrisikomessgröße = Bilanzielle Positionen + Außerbilanzielle Position (Nenner)
100
Die Kapitalmessgröße (der Zähler) entspricht dem Kernkapital.187 Die Gesamtrisikomessgröße (der Nenner) umfasst sowohl die in der Bilanz aufgeführten Vermögenswerte als auch verschiedene außerbilanzrechtliche Positionen. Im Zuge der Verabschiedung der CRR II wurden diese Berechnungsvorschriften im Detail angepasst.188 b) Melde- und Offenlegungspflicht
101
Das Meldeintervall und die Meldeinhalte sind bislang in zwei Durchführungsverordnungen geregelt.189 Im Zuge der Verabschiedung der CRR II wurden zusätzliche Meldepflichten eingeführt. Große Institute190 müssen zukünftig zusätzlich zu den allgemeinen Meldungen auch spezifische Bestandteile dieser Verschuldungsquote sowie die zur Berechnung der Durchschnittswerte verwendeten Daten melden.191 Die EBA wurde zur Erarbeitung von technischen Durchführungsstandards zur näheren Ausgestaltung der Meldungen für u. a. 185 Vgl. Deutsche Bundesbank, Bericht zum Basel III-Monitoring für deutsche Institute, Stichtag: 31.12.2017, S. 7 ff. (abrufbar unter: https://www.bundesbank.de/resource/blob/ 762928/b0817e7a7482ae7c1a4630398115a77e/mL/2017–12-basel3-monitoring-deutsche-insti tute-data.pdf). 186 Vgl. zur Debatte Admati/Hellwig, The Bankers’ New Clothes, 2013. 187 Art. 429(3) CRR. Es werden bei der Berechnung neben dem harten Kernkapital auch Positionen des zusätzlichen Kernkapitals (etwa bestimmte Formen des Hybridkapitals) mit einbezogen. Nicht berücksichtigt werden darf dagegen das Ergänzungskapital. 188 Art. 429 ff. CRR. Erleichterungen sind u. a. für Förderbanken sowie Bausparkassen vorgesehen. 189 Vgl. dazu Periskic, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 8 Rn. 44 ff. 190 Vgl. Art. 4(1) Nr. 145 CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 191 Art. 430(2) CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung).
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229
die Verschuldunsquoten mandatiert.192 Eine entsprechende Durchführungsverordnung wurde inzwischen verabschiedet.193 Ferner trifft die Institute gem. Art. 451 CRR eine detaillierte Offenlegungspflicht. Es sind neben der Verschuldungsquote selbst auch die einzelnen Bestandteile der Gesamtrisikogröße in granularer Art und Weise offenzulegen. Die Offenlegungspflichten wurden im Zuge der Verabschiedung der CRR II mit Wirkung zum 28. Juni 2021 in Teilen reformiert.194 Die Offenlegungsanforderungen wurden inzwischen durch eine Durchführungsverordnung näher konkretisiert (vgl. hierzu § 14 Rn. 30).
102
VI. Kapitalanforderungen nach Säule 2 Neben den Mindestkapitalanforderungen gem. Säule 1 sind von den Instituten auch die Kapitalanforderungen gem. Säule 2 zu beachten. Auf diese Anforderungen wird in § 11 eingegangen.
103
VII. Exkurs: Kapitalanforderungen im Zusammenhang mit der Abwicklung und Restrukturierung von Banken (TLAC und MREL) Als eine der Lehren aus der Finanzkrise wurde auf europäischer Ebene ein neues Abwicklungsregime für Banken eingeführt.195 Dieses soll sicherstellen, dass systemrelevante Institute geordnet abgewickelt werden können, ohne dass hierdurch die Finanzstabilität gefährdet wird oder der Staat für Verluste aufkommen muss. Ein zentrales Element des Abwicklungsrahmens bildet das Konzept des sog. „Bail-in“. Hierdurch sollen im Krisenfall neben den Anteilseignern auch bestimmte Fremdkapitalgeber außerhalb des Insolvenzverfahrens zum Ausgleich von Verlusten des Instituts herangezogen werden können. Im Zuge der Verabschiedung des Bankenpakets wurden in diesem Zusammenhang neue Mindestanforderungen an die Gesamtverlustabsorptionsfähigkeit von global systemrelevanten Banken eingeführt (Total Loss Absorbing Capacity – TLAC).196 Bereits zuvor hatte die BRRD Mindestanforderungen an berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten für EU-Institute (Minimum Requirements for Eligible Liabilities – MREL) normiert. Die TLAC-Anforderungen wurden durch die CRR II in das europäische Recht eingeführt. Sie gelten für als „Abwicklungseinheiten“ eingestufte InstiArt. 430(8) CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). Vgl. § 14 Rn. 15. Hierzu auch § 14 Rn. 30 f. Zu den Rechtsgrundlagen § 2 Rn. 47 ff. Das Konzept wurde maßgeblich vom FSB in einem Papier vom November 2015 entwickelt. Vgl. FSB, Principles on Loss-absorbing and Recapitalisation Capacity of G-SIBs in Resolution, Total Loss-absorbing Capacity (TLAC) Term Sheet, November 2015 (abrufbar unter: https://www.fsb.org/wp-content/uploads/TLAC-Principles-and-Term-Sheet-for-publi cation-final.pdf). 192 193 194 195 196
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tute, bei denen es sich um G-SRI oder um Teile von G-SRI handelt.197 Diese müssen nach Ablauf einer dreijährigen Übergangsphase eine risikobasierte TLAC-Quote von 18 % sowie eine nicht-risikobasierte Quote von 6,75 % erfüllen.198 Es werden hierbei die Eigenmittel in Relation zu den „berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten“ (loss absorbing capital) gesetzt. Die berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten werden in einem eigenen Abschnitt der CRR näher definiert.199 Die MREL-Anforderungen werden weiterhin institutsindividuell festgelegt. Sie gelten anders als die TLAC-Anforderungen nicht nur für G-SRI, sondern für sonstige Institute. Die Anforderungen sind auf europäischer Ebene überwiegend in der BRRD bzw. in Deutschland im Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) geregelt.
VIII. Sanktionen 107
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Bei Verletzungen von Mindestkapitalanforderungen sieht das europäische Recht als ultima-ratio-Maßnahme die Möglichkeit des Entzugs der Bankerlaubnis vor.200 Dies wurde in Deutschland in § 35 Abs. 2 Nr. 8 KWG umgesetzt. Ein Unterschreiten der Kapitalanforderungen kann verschiedene weitere Sanktionen auslösen. Allgemein sieht Art. 102 Abs. 1 CRD vor, dass die zuständigen Behörden ein Institut verpflichten, frühzeitig die „erforderlichen Abhilfemaßnahmen“ zu treffen, wenn dieses nicht die im CRD/CRR-Regime aufgestellten Anforderungen erfüllt. Art. 104 CRD enthält einen ausführlichen Katalog von Mindestaufsichtsbefugnissen, die den zuständigen Behörden zur Durchsetzung der Anforderungen der CRD/CRR eingeräumt werden müssen. In Deutschland räumt § 45 KWG der BaFin (bzw. bei bedeutenden Kreditinstituten der EZB) die Befugnis zum Erlass von weitreichenden Maßnahmen zur Verbesserung der Eigenmittelausstattung und der Liquidität ein, wenn die Institute nicht über ausreichende Eigenmittel verfügen. In diesem Sachzusammenhang sind auch die Maßnahmen der Frühintervention gem. § 36 SAG zu nennen.201 Bei einem Unterschreiten der Kapitalpuffer greifen Ausschüttungsbegrenzungen ein.202
197 Art. 92a CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 198 Zur Berechnung Art. 92a(1) lit. a und lit. b CRR (in der durch CRR II angepassten Fas-
sung). 199 Teil 2 Kapitel 1 Kapitel 5a CRR (Art. 72a ff. in der durch CRR II angepassten Fassung). 200 Art. 18 lit. d CRD. 201 Diese gehen auf Umsetzung von Art. 27 BRRD zurück. 202 Vgl. oben Rn. 91 ff.
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IX. Fazit Die Eigenmittelregulierung bildet den „harten Kern“ des Bankenaufsichtsrechts. Im Zuge der Finanzkrise wurden die Anforderungen an die Eigenmittelausstattung deutlich erhöht. Die Vorgaben des Basler Ausschusses (Basel III) wurden mit geringen Modifikationen in das Unionsrecht überführt. Das System von Basel III baut auf dem von Basel II entwickelten Drei-Säulen-Modell auf. Als wesentliche Neuerung wurde der bisherige institutsbezogene Ansatz durch makroprudenzielle Aspekte (insbesondere durch die Einführung von Kapitalpuffern) ergänzt. Seit Inkrafttreten der CRR sind die Mindestkapitalvorgaben unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Die Kapitalpufferregelungen sind dagegen in der CRD normiert und müssen von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Rechtssystematisch wäre es vorzugswürdig gewesen, beide Regelungsmaterien in einem Rechtsakt (also der CRR) zu erfassen. Die Kapitalanforderungen sind prinzipiell als Vollharmonisierung konzipiert und weisen überwiegend eine sehr hohe Granularität auf. Allerdings gewähren insbesondere die Kapitalpufferregelungen (etwa hinsichtlich der Anordnung eines Systemrisikopuffers) den Mitgliedstaaten weiterhin einen Gestaltungsspielraum. Im Zuge der Verabschiedung der CRD V/CRR II wurden die Kapitalanforderungen in Teilen ergänzt und reformiert. Von Bedeutung ist insbesondere die Einführung einer (nicht-risikoadjustierten) Verschuldungsquote (leverage ratio). Die im Dezember 2017 vom Basler Bankenausschuss verabschiedeten Vorschläge wurden allerdings noch nicht vollständig ins Europarecht überführt. Die Kommission hat im Oktober 2021 einen Regelungsvorschlag zur Umsetzung dieser Basel-Vorgaben vom Dezember 2017 vorgelegt.
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115
§ 9 Liquidität Literatur: Bosshardt, Joshua/Kakhbod, Ali, Liquidity Regulation, Bank Complexity and Policy: GFC vs COVID-19 Crisis, SSRN Working Paper, 2020 (abrufbar unter: https:// papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3632162); Curfman, Christopher J./Kandrac, John, The Costs and Benefits of Liquidity Regulations: Lessons from An Idle Monetary Policy Tool, SSRN Working Paper, 2020 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/ papers.cfm?abstract_id=3273580); Davies, Paul, Liquidity Safety Nets for Banks, 13 Journal of Corporate Law Studies (2013), 285–318; Goodhart, Charles, The Basel Committee on Banking Supervision, 2011; Roberts, Daniel/Sarkar, Asani/Shachar, Or, Bank Liquidity Creation, Systemic Risk, and Basel Liquidity Regulations, SSRN Working Paper, 2019 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3199876). Vgl. auch die Literaturangaben zu § 8.
I. Einführung 1
Liquidität beschreibt die Fähigkeit eines Instituts, kurzfristige Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen und sich zu angemessenen Konditionen kurzfristig refinanzieren zu können.1 Es lassen sich drei Facetten2 des Liquiditätsrisikos differenzieren: (i) das Zahlungsunfähigkeitsrisiko, d. h. das Risiko, dass ein Institut seinen kurzfristigen Verbindlichkeiten nicht nachkommen kann; (ii) das Refinanzierungsrisiko, d. h. das Risiko, dass ein Institut die benötigte Refinanzierung nicht oder nur zu ungünstigen Konditionen auf dem Markt erhält; (iii) das Marktliquiditätsrisiko, d. h. das Risiko, dass Aktiva nicht oder nur mit Preisabschlägen veräußert werden können.
2
Die Regulierung von Liquiditätsrisiken ist vergleichsweise spät in den Fokus der Harmonisierungsbemühungen gerückt.3 Dieser Bereich war lange Zeit der Basler Ausschuss, Principles for Sound Liquidity Risk Management and Supervision, September 2008 „Liquidity is the ability of a bank to fund increases in assets and meet obligations as they come due, without incurring unacceptable losses“. Vgl. auch Laufenberg, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2 2. Aufl. 2020, § 9 Rn. 3. Zur Bedeutung der Liquiditätsregulierung in Zeiten der Covid-19Krise Bosshardt/Kakhbod, Liquidity Regulation, Bank Complexity and Policy: GFC vs COVID-19 Crisis, SSRN Working Paper, 2020. Dies gilt zumindest hinsichtlich der quantitativen Anforderungen. Die Bedeutung der 3 Steuerung von qualitativen Liquiditätsrisiken wurde bereits frühzeitig vom Basler Ausschuss erkannt. Vgl. die Darstellung bei Goodhart, The Basel Committee on Banking Supervision, 2011, S. 317 ff. (zur Frühphase des Basler Ausschusses). Allgemein zum Regelungszweck der Regulierung der Liquidität von Banken Davies, 13 Journal of Corporate Law Studies (2013), 1
§ 9 Liquidität
233
Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten überlassen. Erst infolge der Finanzkrise wurde ein Richtungswechsel eingeschlagen: Liquiditätsprobleme waren einer der Auslöser der Verwerfungen auf den US-amerikanischen SubprimeKreditmärkten, die zur globalen Finanzkrise führten.4 Die Ursachenanalysen hatten Schwachstellen in dem Liquiditätsmanagement der Institute offenbart. Der europäische Gesetzgeber fasst diese Entwicklungen wie folgt zusammen: „Während der frühen ‚Liquiditätsphase‘ der 2007 einsetzenden Krise sahen sich zahlreiche Kreditinstitute trotz angemessener Eigenkapitalausstattung mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert, da sie kein sorgfältiges Liquiditätsrisikomanagement betrieben hatten. Einige Kreditinstitute wurden übermäßig von kurzfristigen Finanzierungen abhängig, die beim Ausbruch der Krise schnell versiegten. Die betreffenden Kreditinstitute stießen auf Probleme bei der Deckung des Liquiditätsbedarfs, da sie nicht über ausreichende Mengen an liquiden Aktiva verfügten, um dem Wunsch nach Mittelabzügen (Abflüssen) in der Stressphase zu entsprechen. Diese Kreditinstitute waren gezwungen, Aktiva in Sofortverkäufen unter Wert zu liquidieren, was einen sich selbst verstärkenden Abwärtsdruck auf die Preise und das Vertrauen der Märkte erzeugte und damit eine Solvenzkrise auslöste. Letztlich gerieten viele Kreditinstitute in eine übermäßig starke Abhängigkeit von der Liquiditätsversorgung durch die Zentralbanken und mussten durch massive Finanzspritzen aus der Staatskasse gerettet werden. Dies machte die Notwendigkeit deutlich, eine detaillierte Liquiditätsdeckungsanforderung zur Vermeidung dieses Risikos auszuarbeiten, indem die Abhängigkeit der Kreditinstitute von kurzfristigen Finanzierungen und der Liquiditätsversorgung durch die Zentralbanken sowie ihre Anfälligkeit für plötzliche Liquiditätsschocks verringert würden“.5
Die Bedeutung von Liquiditätsrisiken für Banken ergibt sich aus der im ersten Kapitel erörterten Liquiditätsinkongruenz (liquidity mismatch) zwischen den von Instituten gehaltenen Vermögenswerten (Aktiva) einerseits und deren Refinanzierung (Passiva) andererseits.6 Banken refinanzieren sich typischerweise durch kurzfristig abziehbare Einlagen bzw. andere kurzfristige Refinanzierungsquellen. Sie sind daher strukturellen Liquiditätsrisiken ausgesetzt.7 In Krisensituationen haben Einleger einen Handlungsanreiz, Einlagen abzuziehen und der Bank damit schlagartig ihre Liquidität zu entziehen.8 Ein derartiger Bank Run kann auch bei an sich stabiler Kapitalausstattung des Instituts eintreten. Ähnlich wie bei dem regulatorischen Eigenkapital besteht auch hinsichtlich der Liquiditätsausstattung für die Institute ein Verhaltensanreiz, einen – bezogen auf den im Krisenfall drohenden gesamtgesellschaftlichen Schaden (soziale 4285. Es handelt sich um einen zentralen Eckpunkt der Post-Finanzkrise-Gesetzgebung, vgl.
Basler Ausschuss, Basel III: The Liquidity Coverage Ratio and liquidity risk monitoring tool, Januar 2013, Rn. 1: „key reforms to develop a more resilient banking sector“. Die frühe Phase der Finanzkrise (2007–2008) wird daher auch als Liquiditätskrise be4 zeichnet. Erwägungsgrund (1) der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. 5 Siehe § 1 Rn. 13 ff. Vgl. auch EBA, Report on the Net Stable Funding Requirements un6 der Article 510 of the CRR, 15.12.2015, Rn. 27. Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 21.01 („banks are structu7 rally illiquid“). Siehe § 1 Rn. 20 ff. 8
3
234 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung Kosten) – zu niedrigen Liquiditätspuffer vorzuhalten. Der Basler Ausschuss formuliert dies wie folgt: „Maturity transformation performed by banks is a crucial part of financial intermediation that contributes to efficient resource allocation and credit creation. However, private incentives to limit excessive reliance on unstable funding of core (often illiquid) assets are weak. Just as banks may have private incentives to increase leverage, incentives arise for banks to expand their balance sheets, often very quickly, relying on relatively cheap and abundant short-term wholesale funding. Rapid balance sheet growth can weaken the ability of individual banks to respond to liquidity (and solvency) shocks when they occur, and can have systemic implications when banks fail to internalise the costs associated with large funding gaps. A highly interconnected financial system tends to exacerbate these spillovers.“9
4
Als Reaktion auf die Erfahrungen der Finanzkrise hat der Basler Ausschuss die Einführung von zwei Liquiditätskennzahlen vorgeschlagen: die Liquiditätsdeckungskennziffer (Liquidity Coverage Ratio – LCR) sowie die strukturelle Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio – NSFR).10 Während die Liquiditätsdeckungskennziffer sicherstellen soll, dass ein Institut kurzfristige Liquiditätsschocks überstehen kann11, zielt die NSFR auf ein ausgewogenes Verhältnis der Laufzeiten der Forderungen und Verbindlichkeiten der Institute ab. Die Vorgaben hinsichtlich der LCR wurden bereits weitgehend vom europäischen Gesetzgeber übernommen. Hinsichtlich der NSFR sah das Aufsichtsrecht ursprünglich lediglich eine Mitteilungspflicht bezüglich der einzelnen Bestandteile dieser Quote vor. Eine verbindliche strukturelle Liquiditätsquote wurde im Zuge der Verabschiedung der CRR II mit Wirkung zum 28. Juni 2021 eingeführt.12
II. Rechtsrahmen 5
Die Anforderungen an die Liquiditätsausstattung sind in Teil 6 der CRR geregelt.13 In den Art. 411–426 CRR werden die Liquiditätsdeckungsanforderungen (LCR-Quote) normiert. Bestimmungen zur stabilen Refinanzierung (NSFR-Quote) finden sich in Art. 427–428 CRR. Der Kommission wurde die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte zur Präzisierung der Liquiditätsdeckungsanforderungen zu erlassen.14 Dieser Aufforderung kam die Kommission Basler Ausschuss, Basel III: the net stable funding ratio, Oktober 2014, Rn. 2. Basler Ausschuss, Basel III: the net stable funding ratio, Oktober 2014. Überlegungen zur Harmonisierung von Liquiditätsquoten lassen sich bis in die Mitte der 70er Jahre zurückverfolgen. Vgl. hierzu Goodhart, The Basel Committee on Banking Supervision, 2011, S. 312 ff. 11 Die LCR zielt somit auf Begrenzung der oben geschilderten Zahlungsunfähigkeitsrisiken ab. 12 Siehe unten Rn. 17. 13 Art. 411–428 CRR. 14 Art. 460 CRR. 9 10
§ 9 Liquidität
235
mit Erlass der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61 nach.15 Im Zuge der Ergänzung der Liquiditätsanforderungen durch die CRR II wurden außerordentlich detaillierte Regelungen zu den Anforderungen an die stabile Refinanzierung eingeführt.16 1. Liquiditätsdeckungskennziffer (LCR) a) Überblick
Das aufsichtsrechtliche Grundprinzip wird in Art. 412 Abs. 1 CRR normiert. Hiernach müssen Institute „über liquide Aktiva [verfügen], deren Gesamtwert die Liquiditätsabflüsse abzüglich der Liquiditätszuflüsse unter Stressbedingungen abdeckt, damit gewährleistet wird, dass sie über angemessene Liquiditätspuffer verfügen, um sich einem möglichen Ungleichgewicht zwischen Liquiditätszuflüssen und -abflüssen unter erheblichen Stressbedingungen während 30 Tagen stellen zu können“. Zur Berechnung der LCR werden demnach die liquiden Vermögenswerte mit hoher Qualität (Liquiditätspuffer) ins Verhältnis zu den Nettoabflüssen innerhalb von 30 Kalendertagen gesetzt. Grundgedanke ist, dass die bei den Instituten vorhandenen liquiden Geldmittel (bzw. kurzfristig liquidierbare Vermögensgegenstände) ausreichen sollen, um Zahlungsverpflichtungen auch in Krisenzeiten (etwa bei einem unvorhergesehenen Abzug von Liquidität) in den nächsten 30 Kalendertagen erfüllen zu können.17 Die Liquiditätsdeckungskennziffer berechnet sich wie folgt:
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8
Liquiditätspuffer (liquide Vermögenswerte) LCR = --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 100 % Netto-Liquiditätsabflüsse während einer Stressphase von 30 Tagen
Die LCR-Quote muss mindestens 100 % betragen.18 In Krisenphasen ist es den Instituten allerdings gestattet, ihre liquiden Vermögenswerte zur Kompensation von Liquiditätsabflüssen zu verwenden. Die Anforderungen an die Liquiditätsdeckungskennziffer sind somit als Puffer konzipiert.19 Bei Unterschreiten 15 Delegierte Verordnung (EU) 2015/61 der Kommission vom 10.10.2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Liquiditätsdeckungsanforderung an Kreditinstitute. Diese Verordnung wurde durch die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1620 vom 13.7.2018 angepasst. 16 Art. 428a–428az CRR (in der durch CRR II geänderten Fassung). 17 Vgl. zur Ratio auch Hartmann-Wendels et al., Bankbetriebswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2019, S. 401 ff. Für eine ökonomische Bewertung vgl. Curfman/Kandrac, The Costs and Benefits of Liquidity Regulations: Lessons from An Idle Monetary Policy Tool, SSRN Working Paper, 2020; Roberts/Sarkar/Shachar, Bank Liquidity Creation, Systemic Risk, and Basel Liquidity Regulations, SSRN Working Paper, 2019. 18 Art. 4(2) VO 2015/61. 19 Zum Konzept von Puffern oben im Zusammenhang mit den Kapitalanforderungen § 8 Rn. 70 ff.
9
236 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung einer LCR-Quote von 100 % hat das Institut dies der zuständigen Aufsichtsbehörde zu melden und einen Plan zur möglichst zeitnahen Einhaltung dieser Liquiditätsanforderungen aufzustellen.20 b) Liquiditätspuffer (Zähler) 10
11
12
Der „Liquiditätspuffer“ (High Quality Liquid Assets – HQLA) – also der Zähler der Liquiditätsdeckungskennziffer – setzt sich im Wesentlichen aus Barmitteln, Forderungen gegenüber Zentralbanken und Staaten sowie bestimmten Wertpapieren zusammen.21 Kennzeichnend für diese Aktiva ist, dass diese entweder Barmittel sind oder ohne zeitlichen Aufwand liquidiert werden können. Um als liquide Vermögenswerte zu gelten, müssen diese bestimmte – in der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61 im Einzelnen näher konkretisierte – Anforderungen erfüllen.22 So dürfen diese Vermögenswerte nicht mit Rechten Dritter belastet sein, die das Kreditinstitut daran hindern, diese zu veräußern.23 Zudem dürfen die Vermögenswerte grundsätzlich nicht von Kreditinstituten oder sonstigen Unternehmen der Finanzbranche emittiert worden sein.24 Schließlich sind die Vermögenswerte durch eine zentrale Liquiditätsmanagementstelle zu koordinieren.25 Die Marktliquidität der entsprechenden Vermögenswerte muss von dem Institut (etwa durch stichprobenartige Veräußerung der jeweiligen Vermögensaktiva) überprüft werden.26 Hinsichtlich der Zusammensetzung des Liquiditätspuffers wird zwischen drei „Qualitätsstufen“ der Vermögenswerte unterschieden (Stufe 1, Stufe 2A und Stufe 2B), wobei liquide Aktiva der Stufe 1 mindestens 60 % des Liquiditätspuffers ausmachen müssen.27 c) Liquiditätsabflüsse (Nenner)
13
Die verfügbaren liquiden Vermögenswerte werden den „Netto-Liquiditätsabflüssen“28 im Bewertungszeitraum (30 Kalendertage) gegenübergestellt. Diese ergeben sich aus der Differenz der Liquiditätszuflüsse und Liquiditätsabflüsse, Art. 414 CRR. Dazu auch Laufenberg, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 9 Rn. 40 ff. 21 Art. 6 i. V. m. Art. 10 ff. der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. 22 Art. 6 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2015/61. Für eine Analyse vgl. Andrae, in: Grieser/Heemann (Hrsg.), Europäisches Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, S. 733, 742 ff.; Laufenberg, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 9 Rn. 43 ff. Zu den Anforderungen an die LCR nach Basel III Davies, (2013) 13 Journal of Corporate Law Studies 285, 298–300. 23 Art. 7(2) der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. 24 Art. 416(2) lit. c CRR; Art. 7(4) der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. 25 Art. 8(3) der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. 26 Art. 8(4) der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. 27 Vgl. zur Zusammensetzung des Liquiditätspuffers die tabellarische Darstellung bei Andrae, in: Grieser/Heemann (Hrsg.), Europäisches Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, S. 733, 742 f. 28 Zur Bestimmung des Begriffs „Netto-Liquiditätsabflüsse“ vgl. Art. 20 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. 20
§ 9 Liquidität
237
wobei Zahlungsmittelzuflüsse grundsätzlich nur in Höhe von 75 % der Abflüsse angerechnet werden können.29 Die Netto-Liquiditätsabflüsse berechnen sich im Grundsatz wie folgt: Netto-Liquiditätsabflüsse = Abflüsse – min [Zuflüsse; 75 % der Abflüsse]
Die Bestimmung der Liquiditätsabflüsse ist außerordentlich komplex.30 Im Ausgangspunkt umfassen Liquiditätsabflüsse solche Abflüsse, die innerhalb von 30 Kalendertagen auftreten können.31 Um die Wahrscheinlichkeit eines solchen Liquiditätsabflusses in diesem Zeitraum abzubilden, werden für verschiedene Passivwerte unterschiedliche „Abschlussfaktoren“ festgesetzt, die die erwartete Wahrscheinlichkeit eines Vermögensabzugs widerspiegeln sollen. Beispielsweise wurde der Abschlussfaktor für „stabile Privatkundeneinlagen“32, für die ein Einlagenabzug im Referenzzeitraum verhältnismäßig unwahrscheinlich ist, mit einem Wert von (nur) 5 % festgesetzt. Gekündigte Einlagen mit einer Restlaufzeit von weniger als 30 Kalendertagen erhalten dagegen einen Abschlussfaktor von 100 %.33
14
2. Strukturelle Liquiditätsquote (NSFR) a) Überblick
Die Empfehlungen des Basler Ausschusses sehen ferner die Einführung einer strukturellen Liquiditätsquote vor.34 Diese unterscheidet sich von der LCR dadurch, dass sie als langfristige Liquiditätsanforderung konzipiert ist. Sie soll exzessive Formen von Liquiditätsinkongruenzen begrenzen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Laufzeiten der Vermögenswerte auf der Aktivseite der Bilanz (sowie ggf. außerbilanziellen Positionen) sowie den zur Refinanzierung aufgenommenen Passivpositionen sicherstellen. Im Gegensatz zu der LCR (die Zahlungsflüsse im Blick hat) liegt der NSFR primär eine bilanzorientierte Betrachtung zugrunde. Die NSFR ist definiert als der Betrag der Positionen, die eine stabile Refinanzierung bieten im Verhältnis zu dem Betrag der Positionen, die eine stabile Refinanzierung erfordern. Sie berechnet35 sich wie folgt:
Art. 33(1) der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. Vgl. Art. 22 ff. der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. Laufenberg, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 9 Rn. 66. 32 Art. 24 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. Es handelt sich hierbei um solche Einlagen von Privatkunden, die von der gesetzlichen Einlagensicherung gedeckt sind. 33 Art. 25(4) Satz 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61. 34 Vgl. die Nachweise oben Rn. 3. 35 Art. 428b(1) CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). Vgl. ebenfalls Basler Ausschuss, Basel III: the net stable funding ratio, Oktober 2014, Rn. 9. 29 30 31
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16
238 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung Verfügbare Positionen mit stabiler Refinanzierung NSFR = --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Erforderliche Positionen mit stabiler Refinanzierung
17
Ursprünglich sah das europäische Recht lediglich eine Mitteilungspflicht der einzelnen Bestandteile der Liquiditätsdeckungskennziffer vor.36 Auf Grundlage der Empfehlungen des Basler Ausschusses bzw. der EBA37 wurde im Zuge der Verabschiedung der CRR II mit Wirkung zum 28. Juni 2021 erstmals auf europäischer Ebene eine verbindliche NSFR-Quote eingeführt.
18
Beispiele für „strukturelle“ Liquiditätsrisiken zeigten sich in der Finanzkrise hinsichtlich der Refinanzierung des Erwerbs von verbrieften Kreditforderungen (in der Regel über SPV-Strukturen) durch die Emission von kurzfristigen Geldmarktpapieren (commercial papers). Aus regulatorischer Sicht ist die Festsetzung einer verbindlichen strukturellen Liquiditätsquote allerdings nicht unproblematisch. Denn diese schränkt die Möglichkeit der Erbringung der (volkswirtschaftlich sinnvollen) Fristen- und Liquiditätstransformation durch Banken ein.38 Der Gesetzgeber muss einen Ausgleich zwischen der Reduzierung von „strukturellen“ Liquiditätsrisiken zur Sicherung der Finanzstabilität einerseits und der Ermöglichung der Fristen- und Liquiditätstransformation durch Banken andererseits schaffen. Zum derzeitigen Zeitpunkt lässt sich noch nicht einschätzen, inwieweit der gewählte Ansatz einen sinnvollen Ausgleich ermöglicht.
b) Verfügbare stabile Refinanzierung (Zähler) 19
Die Positionen, die eine stabile Refinanzierung bieten (Available Stable Funding – ASF), setzen sich aus den Verbindlichkeiten und den Eigenmitteln zusammen, von denen erwartet wird, dass sie über den relevanten Zeitraum von einem Jahr zur Verfügung stehen (Positionen auf der Passivseite der Bilanz). Um diesen Betrag zu berechnen, werden die Positionen (Buchwerte) mit einem bestimmten Faktor (dem Available-Stable-Funding-Faktor bzw. ASF-Faktor) gewichtet.39 Dieser Faktor soll die Stabilität der Finanzierungsmittel widerspiegeln. So werden beispielsweise Instrumente des harten Kernkapitals grundsätzlich mit einem Faktor von 100 % (also als relativ „stabil“) gewichtet.40 Verbindlichkeiten ohne feste Laufzeit werden demgegenüber grundsätzlich mit 0 % (also als „instabil“) gewichtet und können nicht für die Zwecke der NSFR-Berechnung berücksichtigt werden.41 c) Erforderliche stabile Refinanzierung (Nenner)
20
Die Positionen, die eine stabile Refinanzierung erfordern (Required Stable Funding – RSF), setzen sich aus den Vermögenswerten und außerbilanziellen PosiVgl. Art. 427 und 428 CRR. EBA, Report on Net Stable Funding Requirements under Article 510 of the CRR, EBA/ Op/2015/22, 15.12.2015. 38 Siehe dazu § 1 Rn. 12 ff. 39 Art. 428i ff. CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 40 Art. 428o CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 41 Art. 428k CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 36 37
§ 9 Liquidität
239
tionen zusammen (Positionen auf der Aktivseite der Bilanz). Auch hier werden die jeweiligen Vermögenswerte mit einem bestimmten Faktor (dem RequiredStable-Funding-Faktor bzw. RSF-Faktor) gewichtet. Dieser hängt u. a. von der vertraglichen Restlaufzeit sowie von etwaigen Belastungen des Vermögenswertes ab. So werden beispielsweise unbelastete, hochliquide Aktiva wie Geldguthaben oder Zentralbankforderungen mit einem Faktor von 0 % gewichtet (diese müssen bei der Berechnung im Nenner der NSFR-Quote daher nicht berücksichtigt werden).42 Aktiva, die für eine Laufzeit von mehr als einem Jahr belastet sind (und daher in diesem Zeithorizont nicht ohne weiteres veräußert werden können), wird demgegenüber ein Faktor von 100 % zugewiesen (diese müssen bei der Berechnung im Nenner der NSFR-Quote daher voll berücksichtigt werden). d) Vereinfachte strukturelle Liquiditätsquote
Kleine und nicht komplexe Institute43 können mit Erlaubnis der zuständigen Behörde eine vereinfachte strukturelle Liquiditätsquote ermitteln.44 Im Gegensatz zur herkömmlichen NSFR-Quote sind die einzelnen Gewichtungsfaktoren der jeweiligen Positionen weniger stark ausdifferenziert.45 Durch die Einräumung von Erleichterungen für kleinere und nicht komplexe Institute soll dem Proportionalitätsgrundsatz Rechnung getragen werden.
21
3. Melde- und Offenlegungspflichten
Es wurden vom europäischen Gesetzgeber zahlreiche Melde- und Offenlegungspflichten statuiert. Die behördlichen Meldepflichten für die LCR/NSFRQuoten wurden in Durchführungsverordnungen näher konkretisiert.46 Die Liquiditätsausstattung ist zudem Gegenstand der „Säule 3“-Berichterstattung (vgl. dazu noch unten § 14).
22
III. Anforderungen an das Liquiditätsrisikomanagement Neben den oben erörterten quantitativen Anforderungen an die Liquiditätsausstattung sind von den Instituten auch die Vorgaben an das qualitative LiquidiArt. 428r CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). § 14 Rn. 12. Art. 428ai CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). Vgl. Andrae, in: Grieser/Heemann (Hrsg.), Europäisches Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, S. 738, 784 ff. 46 Durchführungsverordnung (EU) 2016/322 der Kommission vom 10.2.2016 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 680/2014 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die aufsichtlichen Meldungen der Institute in Bezug auf die Liquiditätsdeckungsanforderung (LCR). Meldepflichten hinsichtlich der NSFR ergeben sich derzeit aus der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 680/2014 der Kommission vom 16.4.2014 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die aufsichtlichen Meldungen der Institute gemäß der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates. 42 43 44 45
23
240 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung tätsmanagement zu beachten. Diese werden von den zuständigen Aufsichtsbehörden im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens (SREP) überprüft. In den Leitlinien der EBA werden Vorgaben für die Verfahren zur Beurteilung der Angemessenheit der internen Liquidität (Internal Liquidity Adequacy Assessment Process – ILAAP) formuliert, die die quantitativen Liquiditätsanforderungen auf Ebene der „Säule 2“ ergänzen. Auf das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren wird in § 11 eingegangen.
IV. Fazit 24
Im Zuge der Basler Reformen (Basel III) wurden erstmals international geltende Anforderungen an die Liquiditätsausstattung der Institute formuliert. Der Basler Ausschuss schlug die Einführung von zwei Liquiditätskennzahlen vor: die Liquiditätsdeckungskennziffer (Liquidity Coverage Ratio – LCR) sowie die strukturelle Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio – NSFR). Während die LCR sicherstellen soll, dass ein Institut kurzfristige Liquiditätsschocks überstehen kann, zielt die NSFR auf ein ausgewogenes Verhältnis der Laufzeiten der Forderungen und Verbindlichkeiten der Institute ab. Hinsichtlich der NSFR bestand ursprünglich lediglich eine Mitteilungspflicht bezüglich der einzelnen Bestandteile dieser Quote. Im Zuge der Verabschiedung von CRR II wurde mit Wirkung zum 28. Juni 2021 eine verbindliche strukturelle Liquiditätsquote eingeführt.
§ 10 Großkredite Literatur: Bassani, Giovanni, The Legal Framework Applicable to the Single Supervisory Mechanism, 2019; Fleischer, Holger, Verantwortlichkeit von Bankgeschäftsleitern und Finanzmarktkrise. zugleich Besprechung von OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2009, NJW 2010, 1537, NJW 2010, 1504–1506; ders./Schmolke, Klaus Ulrich, Klumpenrisiken im Bankaufsichts-, Investment- und Aktienrecht, ZHR 173 (2009), 649–688; Lechnowitsch, Johannes, Klumpenrisiken im Gesellschafts- und Konzernrecht vor dem Hintergrund des Aufsichtsrechts, 2019. Vgl. auch die Literaturangaben zu § 8.
I. Einleitung Die aufsichtsrechtlichen Vorschriften zur Begrenzung von Großkrediten (large exposures)1 dienen der Eindämmung von Klumpen- bzw. Konzentrationsrisiken.2 Es wird typischerweise zwischen zwei Formen von Konzentrationsrisiken unterschieden.3 Im Fokus der Großkreditregelungen stehen sog. Adressenrisikokonzentrationen (name concentration risk), also Ausfallfallrisiken bezüglich einzelner besonders wichtiger Kreditnehmer bzw. wirtschaftlich eng miteinander verbundener Kreditnehmergruppen. Daneben sind Institute mit Sektorrisikokonzentrationen (sectoral concentration risk) konfrontiert. Hiermit sind besondere Ausfallrisiken gemeint, die sich aus Konzentrationen von Krediten oder sonstigen Vermögenspositionen hinsichtlich bestimmter Sektoren, Regionen oder Industrien ergeben. Das Eingehen von Risikokonzentrationen war historisch für die Zusammenbrüche verschiedener Banken verantwortlich.4 Erste Vorschläge zur Harmonisierung der Messung und Überwachung von Großkrediten wurden vom Basler Ausschuss bereits im Jahre 1991 unterbreitet.5 In den Mitgliedstaaten wurden zum Teil bereits seit geraumer Zeit Kreditbegrenzungs- und Diversifikations-
Zur Terminologie: Vom deutschen Gesetzgeber wird der Begriff „Großkredit“ verwen1 det. Die CRR spricht (in der Sache passender) nicht vom Kredit, sondern von einer Risikoposition (large exposure). Zum Klumpenrisiko aus gesellschafts- und aufsichtsrechtlicher Perspektive Fleischer/ 2 Schmolke, ZHR 173 (2009), 649–688. Monografisch Lechnowitsch, Klumpenrisiken im Gesellschafts- und Konzernrecht vor dem Hintergrund des Aufsichtsrechts, 2019. Fleischer/Schmolke, NJW 2010, 1504, 1505. Vgl. auch Basler Ausschuss, Rahmenregelung 3 für die Messung und Begrenzung von Grosskrediten, April 2014, Rn. 1 und 8. Vgl. die Beispielsfälle bei Basler Ausschuss, Rahmenregelung für die Messung und Be4 grenzung von Großkrediten, April 2014, Rn. 1. Ein weiteres Anschauungsbeispiel lieferte in Deutschland die Schieflage der IKB in der Finanzkrise. Basler Ausschuss, Messung und Überwachung von Großkrediten, Januar 1991. 5
1
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242 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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vorschriften eingeführt.6 Auf europäischer Ebene wurden die Vorgaben zur Begrenzung von Großkrediten erstmals mit der Großkreditrichtlinie von 1992 harmonisiert.7 Die europäischen Vorgaben wurden mehrfach reformiert und sind nunmehr in Art. 387–403 CRR (sowie verschiedenen Durchführungsverordnungen) enthalten. Den Mitgliedstaaten wird allerdings weiterhin eine Reihe von Gestaltungsspielräumen und Wahlrechten eingeräumt.8 Die Regulierung von Großkrediten verfolgt den Zweck, den maximalen Verlust eines Instituts im Falle eines unerwarteten Ausfalls eines Kunden oder einer Gruppe von Kunden auf ein solches Niveau zu begrenzen, welches den Fortbestand des Instituts nicht gefährdet.9 Das Großkreditregime ergänzt damit die Anforderungen an die Kapitalausstattung der Institute, die im Ausgangspunkt keine Konzentrationsrisiken berücksichtigen.10 Als Reaktion auf die Finanzkrise wurde die ursprünglich primär mikroprudenzielle Zielrichtung der Großkreditregelungen (Vermeidung von Klumpenrisiken bei den einzelnen Instituten) um makroprudenzielle Aspekte erweitert.11 So hat der Basler Ausschuss Vorschläge für die Einführung von strengeren Großkreditgrenzen für systemrelevante Institute erarbeitet, die die Ansteckungsrisiken zwischen den Instituten begrenzen sollen.12 Diese Vorschläge wurden vom europäischen Gesetzgeber im Zuge der Verabschiedung der CRR II umgesetzt. Die europäischen Großkreditregelungen stehen im Zusammenhang mit weiteren Regelungsinstrumenten, die Konzentrationsrisiken bei Kreditinstituten begrenzen sollen. Neben den Beschränkungen hinsichtlich qualifizierter Beteiligungen außerhalb des Finanzsektors13 sind vor allem die Anforderungen an das qualitative Risikomanagement zu nennen, die die Geschäftsleitung der Institute zu einer umsichtigen Risikodiversifikation verpflichten.14 Auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht kann sich aus dem nationalen Recht der MitSo beschränkte in Deutschland bereits das Reichsgesetz über das Kreditwesen von 1939 6 die Höhe der Kreditvergabe an einen einzelnen Kreditnehmer auf zunächst 10 % (später 15 %) des haftenden Eigenkapitals eines Kreditinstituts. Richtlinie 92/121/EWG des Rates vom 21.12.1992 über die Überwachung und Kontrolle 7 der Großkredite von Kreditinstituten. Dazu unten Rn. 20 ff. 8 Basler Ausschuss, Rahmenregelung für die Messung und Begrenzung von Grosskrediten, 9 April 2014, Rn. 2. 10 Dies gilt jedenfalls hinsichtlich der Kapitalanforderungen gem. Säule 1. Die Mindestkapitalanforderungen gehen implizit von der Fiktion einer vollständigen Granularität des Portfolios aus (Risikokonzentrationen werden also nicht bei der Risikogewichtung berücksichtigt), vgl. auch Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 20.01. Auf Ebene der Säule 2 können bzw. müssen Konzentrationsrisiken berücksichtigt werden. 11 Zu diesem Aspekt auch Lackhoff/Heinz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 10 Rn. 5. Dazu noch unten Rn. 18 (im Zusammenhang mit den Anforderungen an G-SRIs). 12 Basler Ausschuss, Rahmenregelung für die Messung und Begrenzung von Grosskrediten, April 2014, Rn. 95 ff. 13 Art. 89 CRR. 14 Vgl. § 11.
§ 10 Großkredite
243
gliedstaaten eine Pflicht zur Begrenzung von übermäßigen Klumpenrisiken ergeben.15
II. Europäische Regelungsvorgaben Die Anforderungen an Großkredite sind im Unionsrecht in Teil 4 der CRR normiert.16 Es handelt sich hierbei um unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltendes Recht. Die Vorgaben der CRR werden vor allem bezüglich der Meldepflichten durch verschiedene Durchführungsverordnungen konkretisiert. Die EBA hat zudem auf Stufe 3 des Lamfalussy-Verfahrens eine Reihe von Leitlinien und Empfehlungen zur Konkretisierung des Großkreditregimes veröffentlicht.17 Das Unionsrecht gewährt den nationalen Mitgliedstaaten zum Teil recht weitgehende Wahlrechte und Gestaltungsoptionen.18 Der deutsche Gesetzgeber hat von den eingeräumten Wahlrechten (etwa in Bezug auf Ausnahmen von den Kreditobergrenzen gem. Art. 493 Abs. 3 CRR) Gebrauch gemacht.19 Zudem finden sich in den nationalen Mitgliedstaaten wie in Deutschland zum Teil über die CRR hinausgehende Beschluss- und Meldevorschriften.20 Hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs gelten die Anforderungen der CRR für Institute im Sinne der CRR.21 In einigen Mitgliedstaaten wie etwa Deutschland sind diese Vorschriften allerdings auch für weitere Institute (also solche, die nicht als Kreditinstitute im unionsrechtlichen Sinne qualifizieren) anwendbar.22 Im Zuge der Verabschiedung der CRR II wurden die Großkreditbestimmungen in Teilen ergänzt und reformiert.23 Diese Reformen sind im Wesentlichen ab dem 28. Juni 2021 anwendbar. Das Grundprinzip der europäischen Regelungsvorgaben lässt sich wie folgt skizzieren: Sämtliche Großkredite sind der zuständigen Behörde zu melden.24 Darüber hinaus sind vom Institut bestimmte Kreditobergrenzen einzuhalten.25 Für bestimmte Vermögenspositionen sieht die CRR obligatorische oder fakultative Ausnahmen vor.26 15 Vgl. hierzu in Deutschland etwa die IKB-Entscheidung des OLG Düsseldorf, Urteil vom 9.12.2009, 6 W 45/09, NJW 2010, 1537. 16 Art. 387–403 CRR. 17 Eine Übersicht der Durchführungsverordnungen sowie der Leitlinien und Empfehlungen ist abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/regulation-and-policy/large-exposures. 18 Vgl. unten Rn. 20 ff. 19 Vgl. §§ 1, 2 der Groß- und Millionenkreditverordnung (GroMiKV). 20 Vgl. hierzu im deutschen Recht die Vorschriften zur Beschlussfassung bei Vergabe von Großkrediten (§ 13(2), (3) KWG i. V. m. §§ 3, 4 GroMiKV). 21 Art. 387, 388 CRR. 22 Hierzu allgemein § 7 Rn. 31 ff. 23 Vgl. unten Rn. 20 ff. 24 Art. 394 CRR. 25 Art. 395 CRR. 26 Art. 400 CRR.
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244 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 1. Begriff des Großkredits a) Grundsätze 9
Von zentraler Bedeutung ist die Definition des Großkredits (large exposure). Gem. Art. 392 CRR handelt es sich hierbei um eine (i) Risikoposition eines Instituts an (ii) einen Kunden oder eine Gruppe verbundener Kunden, wenn sein (iii) Wert 10 % des Kernkapitals (bis zum 27. Juni 2021: 10 % der anrechenbaren Eigenmittel) des Instituts erreicht oder übersteigt.
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Der im deutschsprachigen Rechtsraum (und auch in der deutschen Sprachfassung der CRR) verwendete Begriff des „Großkredits“ ist missverständlich. Anders als dieser Terminus suggeriert, zielt das Regime nicht nur auf die Begrenzung von „Krediten“ im zivilrechtlichen Sinne ab, sondern bezieht sich auf jede „Risikoposition“ (vgl. unten).
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Ein Großkredit wird hiernach anhand des Verhältnisses der „Risikopositionen“ und des Kernkapitals27 definiert.28 Der Begriff der Risikoposition umfasst alle Aktiva und außerbilanzielle Positionen im Sinne von Teil 3 Titel 2 Kapitel 2 der CRR (also dem Standardansatz zur Ermittlung von Eigenmittelanforderungen für das Kreditrisiko, Art. 111–141 CRR), allerdings ohne Anwendung der Risikogewichte und -grade.29 Die bei der Berechnung der Großkredite zu berücksichtigenden Vermögenswerte sind in einem weiten Sinne zu verstehen. Diese gehen deutlich über „Kredite“ im zivilrechtlichen Sinne hinaus. Einzelheiten hinsichtlich der Ermittlung der Risikopositionen können in der praktischen Rechtsanwendung sehr komplex sein.30 b) Kunden und Kundengruppe
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Der Begriff „Kunde“ wird in der CRR nicht näher definiert. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um die jeweilige Gegenpartei (etwa den Kreditnehmer), gegenüber der die Risikoposition besteht. Im Einzelfall können allerdings Abgrenzungsschwierigkeiten dahingehend auftreten, wer als Kunde im Sinne der Großkreditvorschriften anzusehen ist.31
Zum Kernkapital § 8 Rn. 29 ff. Nach bisheriger Rechtslage stellte das europäische Recht auf das Verhältnis der Risikopositionen und der „anrechenbaren Eigenmittel“ ab. Bei den anrechenbaren Eigenmitteln handelte es sich um die Summe des Kernkapitals im Sinne des Art. 25 CRR und des Ergänzungskapitals im Sinne des Art. 71 CRR in Höhe von höchstens einem Drittel des Kernkapitals. Durch die CRR II wurde die Definition des Großkredits dahingehend angepasst, dass der maßgebliche Bezugspunkt für die Großkreditgrenzen das Kernkapital (und nicht wie bislang die anrechenbaren Eigenmittel einschließlich des Ergänzungskapitals) bildet. Die Anforderungen des Großkreditregimes werden damit verschärft. 29 Art. 389 CRR. Ein Grund dafür, dass die Risikogewichte keine Anwendung finden, wird vom Gesetzgeber darin gesehen, dass Großkredite naturgemäß nicht diversifiziert sind. Vgl. Erwägungsgrund (55) CRR. 30 Für Einzelbeispiele Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 2.05 ff. 31 Anschauungsbeispiele bei Lackhoff/Heinz, Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 10 Rn. 39 f. (zu Factoringkonstellationen). 27 28
§ 10 Großkredite
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Einzelne Kunden können aus wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen (etwa im Falle von Konzernbeziehungen) eng miteinander verbunden sein. In diesen Fällen besteht die Gefahr, dass der Ausfall eines Kunden auch einen Zahlungsausfall der übrigen verbundenen Kundengruppen nach sich ziehen kann. Eine rein an den Einzelkunden orientierte Betrachtung würde der tatsächlichen Risikosituation nicht gerecht. Aus diesem Grund werden für die Zwecke der Großkreditberechnung Risikopositionen gegenüber einer „Gruppe verbundener Kunden“ zusammengerechnet. Diese werden so behandelt, als ob es sich bei der Gruppe um einen einzigen Kunden handelt.32 Der Begriff der Kundengruppe (Gruppe verbundener Kunden) ist in Art. 4 Abs. 1 Nr. 39 CRR definiert. Hiernach besteht eine solche Gruppe von Kunden aus zwei oder mehr juristischen oder natürlichen Personen, die als eine Einheit anzusehen sind, da
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(i) eine dieser Personen über direkte oder indirekte Kontrolle über die andere/n verfügt, sofern nicht das Gegenteil nachgewiesen wird (Kontrollverhältnis)33; oder (ii) zwischen ihnen Abhängigkeiten bestehen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass bei finanziellen Schwierigkeiten, insbesondere Finanzierungsoder Rückzahlungsschwierigkeiten, einer dieser Kunden bzw. alle anderen auf Finanzierungs- oder Rückzahlungsschwierigkeiten stoßen (wirtschaftliche Abhängigkeit).34 Beide Tatbestände – Kontrollverhältnis und wirtschaftliche Abhängigkeit – werden durch Leitlinien der EBA näher konkretisiert.35 Diese wurden in Deutschland von der BaFin in ihrem Rundschreiben vom Oktober 2018 in die nationale Verwaltungspraxis überführt.36
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2. Kreditobergrenzen a) Grundsatz
Zur Vermeidung von übermäßigen Konzentrationsrisiken werden in Art. 395 CRR Obergrenzen für Großkredite statuiert. Hiernach darf ein Institut gegenüber einem Kunden oder einer Gruppe verbundener Kunden im Grundsatz Art. 390(5) CRR. Art. 4(1) Nr. 39 lit. a CRR. Durch die CRR II wurde diese Definition dahingehend ergänzt, dass „zwei oder mehr natürliche oder juristische Personen, die die unter Buchstabe a oder b genannten Bedingungen aufgrund ihrer direkten Risikoposition gegenüber derselben ZGP zu Zwecken von Clearingtätigkeiten erfüllen, nicht als Gruppe betrachtet [werden], die eine Gruppe verbundener Kunden bildet“. 35 EBA, Leitlinien zu verbundenen Kunden gemäß Artikel 4 Absatz 1 Nummer 39 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013, EBA/GL/2017/15, 23.2.2018. 36 BaFin, Rundschreiben 14/2018 – Rundschreiben zur Umsetzung der EBA-Leitlinien zu verbundenen Kunden gemäß Art. 4 Absatz 1 Nummer 39 der Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013, 31.10.2018. 32 33 34
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246 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung keine Risikopositionen halten, deren Wert 25 % seines Kernkapitals (bis zum 27. Juni 2021: seiner anrechenbaren Eigenmittel) übersteigt.37 Die Großkreditobergrenzen sind vom Institut grundsätzlich „jederzeit“ einzuhalten.38 Werden diese Grenzwerte dennoch überschritten, so hat das Institut den Forderungswert unverzüglich den zuständigen Behörden zu melden. Diese können, „sofern es die Umstände rechtfertigen“, dem Institut eine „begrenzte Frist“ einräumen, bis zu deren Ablauf die Obergrenzen wieder eingehalten werden müssen.39 17
Das Unionsrecht gewährt den zuständigen Behörden hinsichtlich der Modalitäten der Behebung von Überschreitungen von Großkreditbegrenzungen eine gewisse Flexibilität, die – aus Perspektive des deutschen Verwaltungsrechts wohl nicht ganz präzise40 – von der EZB als Ermessensspielräume der zuständigen Behörden interpretiert werden.41 Für Kreditinstitute, die der direkten Aufsicht der EZB unterfallen, wurden die Voraussetzungen, unter denen die EZB bereit ist, eine begrenzte Frist für eine alsbaldige Wiedereinhaltung der Kreditgrenzen zu gewähren, in dem Leitfaden der EZB zu den im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräumen näher konkretisiert.42 Hiernach kommt dies u. a. dann in Betracht, wenn die Überschreitung nicht 100 % der anrechenbaren Eigenmittel übersteigt und die Überschreitung nicht auf der „üblichen Politik“ des Instituts beruht.
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Im Zuge der CRR II wurden besondere Großkreditanforderungen für global systemrelevante Institute (G-SRI) eingeführt. Hiernach beträgt die Kreditobergrenze der von G-SRI gehaltenen Risikopositionen gegenüber weiteren G-SRI 15 % von deren Kernkapital.43 Hierdurch sollen gem. den Erwägungsgründen „systemische Risiken im Zusammenhang mit den zwischen großen Instituten bestehenden Verbindungen [gesenkt] und die Auswirkungen [verringert werden], die der Ausfall von Gegenparteien, bei denen es sich um G-SRIs handelt, auf die Finanzstabilität haben könnte.“44 Besonderheiten sind bei Großkrediten an sog. „Schattenbanken“ zu beachten, die außerhalb des aufsichtsrechtlichen Regelungsrahmens bankähnliche Tätigkeiten ausüben.45 Hinsichtlich der Kredite an Schattenbanken wurde die EBA dazu beauftragt, Leitlinien zur Konkretisierung der einschlägigen Obergrenzen zu erarbeiten. Als Schattenbanken werden in den EBA-Leitlinien Unternehmen qualifiziert, die bankähnliche Tätigkeiten betreiben, aber keine re-
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Art. 395(1) Satz 1 CRR. Art. 395(3) CRR. Art. 396(1) CRR. In der Sache dürfte es sich eher um Flexibilitätsspielräume auf Tatbestandsseite handeln (daher um kein „Ermessen“ aufseiten der Rechtsfolge). 41 EZB, Leitfaden der EZB zu im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräumen, November 2016, Abschnitt I, Kapitel 5 Rn. 3 (Großkredite). 42 EZB, Leitfaden der EZB zu im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräumen, November 2016, Abschnitt I, Kapitel 5 Rn. 3 (Großkredite). 43 Vgl. Art. 395(1) Unterabs. 4 CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 44 Erwägungsgrund (43) CRR II. 45 Art. 395(2) CRR. Ausführlich dazu Lackhoff/Heinz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 10 Rn. 120 ff. 37 38 39 40
§ 10 Großkredite
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gulierten Kreditinstitute oder Wertpapierfirmen sind.46 Bei bankähnlichen Tätigkeiten handelt es sich insbesondere um solche Tätigkeiten, die eine Fristenoder Liquiditätstransformation beinhalten.47 b) Ausnahmen
Die CRR sieht verschiedene Ausnahmen und Anrechnungserleichterungen vor. Diese ergeben sich zum Teil unmittelbar aus der CRR. Zum Teil sind diese als fakultative Erleichterungen ausgestaltet48, die von den Mitgliedstaaten bzw. den zuständigen Behörden ausgeübt werden können (fakultative Ausnahmen).49
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aa) Unmittelbar geltende Ausnahmen
Art. 400 Abs. 1 CRR normiert verschiedene Fallkonstellationen, in denen Risikopositionen für die Zwecke der Berechnung der Großkreditobergrenzen ausgenommen sind. Diese umfassen u. a. Forderungen (wie beispielsweise solche an Zentralstaaten oder Zentralbanken), denen nach dem Standardansatz für das Kreditrisiko ein Risikogewicht von 0 % (Nullgewichtung) zugewiesen würde.50 Ebenfalls ausgenommen werden unter bestimmten Voraussetzungen Forderungen gegenüber Gruppenunternehmen.51
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Gerade die letztgenannte Ausnahme (Intergruppenforderungen) ist im hohen Maße praxisrelevant, da die Liquiditätssteuerung im Gruppenverbund oft zentral auf Konzernebene erfolgt. Eine Ausnahme kommt gem. Art. 400 Abs. 1 lit. f i. V. m. Art. 113 Abs. 6 und Abs. 7 CRR allerdings nur unter restriktiven Voraussetzungen in Betracht. Verlangt wird namentlich, dass die Gegenpartei (i) ein Institut, eine (gemischte) Finanzholdinggesellschaft, ein Finanzinstitut, eine Vermögensverwaltungsgesellschaft oder ein Anbieter von Nebendienstleistungen ist und angemessenen Aufsichtsstandards unterliegt, (ii) in denselben Konsolidierungskreis (Vollkonsolidierung) einbezogen ist wie das Institut, (iii) den gleichen Risikobewertungs-, Risikomess- und Risikokontrollverfahren wie das Institut unterliegt, (iv) seinen Sitz in demselben Mitgliedstaat wie das Institut hat sowie (v) kein wesentliches tatsächliches oder rechtliches Hindernis für die unverzügliche Übertragung von Eigenmitteln von der Gegenpartei auf das Institut oder die Rückzahlung von Verbindlichkeiten an das Institut durch die Gegenpartei vorhanden oder abzusehen ist.52 Sind diese
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46 EBA, Leitlinien – Obergrenzen für Risikopositionen gegenüber Schattenbankunternehmen, die außerhalb eines Regelungsrahmens Banktätigkeiten ausüben, EBA/GL/2015/20, 3.6.2016. 47 EBA, Leitlinien – Obergrenzen für Risikopositionen gegenüber Schattenbankunternehmen, die außerhalb eines Regelungsrahmens Banktätigkeiten ausüben, EBA/GL/2015/20, 3.6.2016, S. 5 f. (mit einem umfangreichen Katalog der „ausgenommenen Unternehmen“). 48 Art. 400(1) CRR. 49 Art. 400(2) CRR bzw. Art. 493(3) CRR. 50 Art. 400(1) lit. a–f CRR. 51 Art. 400(1) lit. f i. V. m. Art. 113(6) und (7) CRR. 52 Der Wortlaut des Art. 400 (1) lit. f CRR deutet darauf hin, dass es für die Zwecke der Großkreditgrenzen nicht zwingend erforderlich ist, dass die zuständige Behörde die Genehmigung zur Festsetzung der Nullgewichtung tatsächlich erteilt hat („Risikogewicht von 0 % zugewiesen würde“). So auch Lackhoff/Heinz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 10 Rn. 135.
248 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt unter Umständen eine fakultative Ausnahme gem. Art. 400 Abs. 2 lit. c CRR in Betracht (s. u.).53
bb) Fakultative Ausnahmen (1) Art. 400 Abs. 2, Abs. 3 CRR 23
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Die zuständigen Behörden können die in Art. 400 Abs. 2 CRR genannten Positionen ganz oder teilweise für die Zwecke der Großkreditbegrenzungen ausnehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass (i) das Risiko der Forderung durch die besondere Art der Forderung, der Gegenpartei oder der Beziehung zwischen dem Institut und der Gegenpartei beseitigt oder verringert wird und (ii) das gegebenenfalls verbleibende Konzentrationsrisiko durch andere, gleichermaßen wirksame Mittel wie die Regelungen, Verfahren und Mechanismen nach Art. 81 CRD aufgefangen werden kann.54 Art. 81 CRD sieht hierbei vor, dass Konzentrationsrisiken im Rahmen des Risikomanagements u. a. mittels schriftlicher Grundsätze und Verfahren erfasst und gesteuert werden. Zu dem Katalog der ausnahmefähigen Risikopositionen zählen u. a. die oben bereits erwähnten Forderungen gegenüber Gruppenunternehmen.55 Diese können, sofern die zuständige Behörde von der Ausnahmemöglichkeit Gebrauch macht, unter weniger restriktiven Voraussetzungen befreit werden als in Art. 400 Abs. 1 lit. f. CRR vorgesehen (also der unmittelbar geltenden Ausnahme, s. o.).56 Für bedeutende Institute im Anwendungsbereich des SSM ist die EZB zur Ausübung der durch Art. 400 Abs. 2 CRR eingeräumten Optionen und Ermessensspielräume befugt.57 Diese Befugnis hat die EZB für alle Institute einheitlich58 in Art. 9 der Verordnung (EU) 2016/445 konkretisiert.59 Diese Vorgaben gelten allerdings nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten nicht von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, bestimmte Risikopositionen gem. Art. 493 Abs. 3 CRR vollständig oder teilweise auszunehmen.60 Für weniger bedeutende Institute bleiben im Grundsatz die jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden für die Ausübung der Optionen und Ermessensspielräume zuständig. Allerdings hat die EZB (gestützt auf ihre allgemeinen 53 Vgl. für die weiteren in Art. 400(1) CRR genannten Ausnahmen Lackhoff/Heinz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 10 Rn. 132 ff. 54 Art. 400(3) CRR. 55 Art. 400(2) lit. c CRR. 56 Voraussetzung für die Anwendung dieser Erleichterung ist, dass die jeweiligen Gruppenunternehmen in die Vollkonsolidierung einbezogen sind. 57 Vgl. § 6 Rn. 87 ff. 58 Die Wahlrechte werden von der EZB also nicht einzelfall- und institutsbezogen konkretisiert, sondern einheitlich für alle Institute im Verordnungswege. Kritisch zu diesem Ansatz Bassani, The Legal Framework Applicable to the Single Supervisory Mechanism, 2019, § 4.04; Lackhoff/Heinz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 10 Rn. 142. 59 Verordnung (EU) 2016/445 der Europäischen Zentralbank vom 14.3.2016 über die Nutzung der im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräume (EZB/2016/4). 60 Art. 9(7) der Verordnung (EU) 2016/445.
§ 10 Großkredite
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Aufsichts- und Überwachungskompetenzen für weniger bedeutende Institute) Leitlinien über die Nutzung der im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräume durch die nationalen zuständigen Behörden erlassen.61 Diese enthalten auch Vorgaben hinsichtlich der Ausnahmen gem. Art. 400 Abs. 2 CRR von den Großkreditgrenzen. Die EZB verfolgt hiermit das Ziel, gleiche Bedingungen für Kreditinstitute in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zu schaffen und Konzentrationsrisiken aufgrund bestimmter Risikopositionen zu beschränken.62 (2) Art. 493 Abs. 3 CRR
Den Mitgliedstaaten wurde darüber hinaus für eine Übergangszeit die Möglichkeit eingeräumt, abweichend von Art. 400 Abs. 2 und Abs. 3 CRR bestimmte Risikopositionen vollständig oder teilweise für die Zwecke der Berechnung der Großkreditgrenzen auszunehmen. Von dieser Ausnahmeregelung haben die Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Umfang Gebrauch gemacht. Ausnahmen finden sich in Deutschland etwa in § 2 der Großkredit- und Millionenkreditverordnung (GroMiKV) hinsichtlich Intergruppenforderungen.
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3. Organisatorische Anforderungen
Art. 393 CRR verpflichtet die Institute zur Einrichtung von organisatorischen Vorkehrungen zur Ermittlung und Verwaltung von Großkrediten. Die Institute müssen hiernach über ordnungsgemäße Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren sowie angemessene interne Kontrollmechanismen zur Ermittlung, Verwaltung, Überwachung, Erfassung und Meldung aller Großkredite verfügen. Einzelheiten regelt das Unionsrecht allerdings nicht. In den Mitgliedstaaten werden zum Teil deutlich weitergehende Anforderungen normiert. So sieht in Deutschland das Kreditwesengesetz vor, dass Großkredite grundsätzlich nur auf Grund eines einstimmigen Beschlusses sämtlicher Geschäftsleiter gewährt werden dürfen.63 Ist dies im Einzelfall wegen der Eilbedürftigkeit des Geschäfts nicht möglich, ist der Beschluss unverzüglich nachzuholen.64 Das Kreditwesengesetz greift insoweit in die Entscheidungsund Organisationsautonomie der Institute ein. Diese haben die zuständigen Aufsichtsbehörden zu unterrichten, falls ein Großkredit ohne entsprechenden Geschäftsleiterbeschluss vergeben und dieser Beschluss nicht innerhalb eines Monats nachgeholt wurde.65 61 EZB, Leitlinie (EU) 2017/697 der EZB vom 4.4.2017 über die Nutzung der im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräume durch die nationalen zuständigen Behörden bei weniger bedeutenden Instituten (EZB/2017/9). Vgl. hierzu unten § 6 Rn. 91 f. 62 Erwägungsgrund (7) der Leitlinie (EU) 2017/697 der EZB. Zur Rechtsnatur von Leitlinien § 6 Rn. 105 f. 63 § 13(2) KWG. 64 In §§ 3, 4 GroMiKV werden weitere Ausnahmen normiert. 65 § 13(2) Satz 2–5 KWG.
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250 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 4. Meldepflichten 30
Sämtliche Großkredite sind vom Institut der zuständigen Behörde zu melden.66 Ferner hat das Institut den zuständigen Behörden seine zehn größten Kredite auf konsolidierter Basis gegenüber (anderen) Instituten sowie seine zehn größten Kredite auf konsolidierter Basis gegenüber Schattenbankunternehmen67 zu melden.68 Der Inhalt der Meldung wird jeweils in Art. 394 CRR sowie in Durchführungsverordnungen näher konkretisiert.69
III. Fazit 31
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Neben den Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen bildet das Großkreditregime den dritten zentralen Baustein der quantitativen Bankenaufsicht. Die Großkreditregelungen zielen darauf ab, Risikokonzentrationen zu begrenzen. Die Anforderungen an Großkredite sind in der CRR normiert und damit unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Allerdings räumt das Regime den Mitgliedstaaten zum Teil recht weitreichende Optionen und Gestaltungsspielräume ein (insbesondere hinsichtlich der Ausnahmeregelungen und Anrechnungserleichterungen). Im deutschen Recht sind besondere Meldepflichten und Beschlussanforderungen bei der Vergabe von Großkrediten zu beachten. Das nationale Recht spielt insoweit weiterhin eine wichtige Rolle. Hieran hat auch die Anpassung des Großkreditregimes durch die CRR II nichts geändert.
66 Art. 394(1) CRR. Die Meldepflicht ist unabhängig davon, ob der Großkredit von der Anwendung der Obergrenze gem. Art. 395 CRR ausgenommen ist. 67 Der Begriff „Schattenbankunternehmen“ wurde durch die CRR II in Art. 394(2) CRR eingeführt. Er ersetzt den bisherigen Begriff „nicht beaufsichtigtes Finanzunternehmen“. Zum Begriff der „Schattenbank“ oben Rn. 19. 68 Art. 394(2) CRR (in der durch CRR II geänderten Fassung). 69 Vgl. § 14 Rn. 15 ff.
Abschnitt 2: Governance-Anforderungen und Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens § 11 Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens Literatur: Mülbert, Peter O., Bankenaufsicht und Corporate Governance – Neue Organisationsanforderungen im Finanzdienstleistungsbereich, BKR 2006, 349–360; Wundenberg, Malte, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012. Vgl. auch die Literaturangaben zu § 12.
I. Einführung Das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren (Supervisory Review Process – SRP) bildet die zweite Säule des Basler Eigenmittelakkords. Es hat die unternehmensinternen Verfahren und Prozesse der Risikosteuerung zum Gegenstand. Das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren verfolgt nach der Konzeption des Basler Ausschusses zwei Ziele: Zum einen soll es sicherstellen, dass die Institute für alle Risiken, die mit ihrem Geschäft verbunden sind, über angemessenes Eigenkapital verfügen. Und zum anderen sollen die Institute darin bestärkt werden, bessere Risikomanagement-Verfahren für die Überwachung und Handhabung ihrer Risiken zu entwickeln und anzuwenden.1 Das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren besteht aus zwei Komponenten: dem von den Banken einzurichtenden „bankinternen Einschätzungsprozess“ (Internal Capital Adequacy Assessment Process – ICAAP) und dem von den Aufsichtsbehörden durchzuführenden „bankaufsichtsrechtlichen Evaluationsprozess“ (Supervisory Review and Evaluation Process – SREP). Gegenstand des ICAAP sind die bankinternen Strategien und Verfahren, mit denen die Unternehmen die Höhe und Zusammensetzung der vorgehaltenen
Basler Ausschuss, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapi1 talanforderungen, Juni 2006, Rn. 725. Die zweite Säule geht auf Basel II zurück und wurde durch Basel III nur hinsichtlich einiger Teilaspekte reformiert. Die Vorgaben von Basel II haben insoweit weiter Bestand. Den aktuellen Stand zusammenfassend Basler Ausschuss, Overview of Pillar 2 supervisory review practices and approaches, Juni 2019 (abrufbar unter: https:// www.bis.org/bcbs/publ/d465.pdf).
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252 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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Eigenmittel überprüfen.2 Der ICAAP steht in enger Verbindung mit den Eigenmittelanforderungen der ersten Säule von Basel II. Diese stellen nach der Konzeption des Basler Ausschusses lediglich Mindestanforderungen auf, die den tatsächlichen Eigenmittelbedarf der Bank selbst bei der Verwendung von fortgeschrittenen Messansätzen nur ungenau abbilden. Die von den Instituten einzurichtenden Leitungs-, Steuerungs- und Kontrollprozesse haben in diesem Zusammenhang die Funktion, fortlaufend zu überprüfen, ob alle wesentlichen Risiken – unabhängig von der Risikokategorie und deren Entstehung – mit entsprechenden Eigenmitteln unterlegt sind. Ist dies nicht der Fall, müssen die Banken über die aufsichtsrechtlich normierten Mindestkapitalanforderungen hinaus eine angemessene Eigenkapitalausstattung gewährleisten.3 Die im Rahmen des „bankinternen Einschätzungsprozesses“ geforderten Risikosteuerungssysteme ergänzen somit die regelorientierten Mindestkapitalanforderungen der ersten Säule des Basler Eigenmittelakkords. Die Anforderungen der zweiten Säule haben zwei Facetten („janusköpfige Zielrichtung“ des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens).4 Die erste Facette zielt auf eine angemessene Eigenmittelausstattung ab (s. o.). Darüber hinaus umfasst die zweite Säule die organisatorischen Anforderungen, die eine angemessene Risikosteuerung durch das Institut gewährleisten sollen. Hierzu zählen insbesondere die aufsichtsrechtlichen Governance-Anforderungen.5
II. Rechtsgrundlagen und Regelungskonzepte 1. Basler Ausschuss 5
Die Grundsätze des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens wurden durch Basel II eingeführt. Der Basler Ausschuss hat in diesem Zusammenhang Anders als der missverständliche Begriff des „aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfah2 rens“ suggeriert, stellt der SRP nicht lediglich eine bestimmte verfahrensrechtliche Methode der Bankenaufsicht dar. Vielmehr werden im Rahmen des ICAAP auch materiell-rechtliche Organisationsanforderungen normiert, die von den Banken und deren Geschäftsleitern beachtet werden müssen. Vgl. Mülbert, BKR 2006, 349, 351 f. Nach Ansicht des Basler Ausschusses gibt es drei Hauptbereiche, in denen das aufsichts3 rechtliche Überprüfungsverfahren Anwendung findet: erstens Risiken, die von Säule 1 betrachtet werden, aber nicht vollständig erfasst werden, wie zum Beispiel Kreditrisiko-Konzentrationen; zweitens Risiken, die in Säule 1 nicht berücksichtigt werden, wie Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch, Betriebsrisiken und strategische Risiken. Auch Reputationsrisiken können in diesem Zusammenhang als Beispielsfall genannt werden; und drittens Einflüsse, die außerhalb des Einflussbereichs der Bank liegen, wie zum Beispiel Auswirkungen von Konjunkturzyklen. Vgl. Basler Ausschuss, Overview of Pillar 2 supervisory review practices and approaches, Juni 2019, S. 12. Ebenso bereits Basler Ausschuss, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Juni 2006, Rn. 724. Zur Doppelfunktion Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über 4 Bankengruppen, 2012, S. 81. Zur Corporate Governance vgl. § 12. 5
§ 11 Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens
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vier zentrale Grundsätze der aufsichtsrechtlichen Überprüfung formuliert.6 Diese haben weiterhin Bestand.7 Die vier zentralen Grundsätze der aufsichtsrechtlichen Überprüfung wurden vom Basler Ausschuss wie folgt formuliert: „(i) Banks should have a process for assessing their overall capital adequacy in relation to their risk profile and a strategy for maintaining their capital levels; (ii) Supervisors should review and evaluate banks’ internal capital adequacy assessments and strategies, as well as their ability to monitor and ensure their compliance with regulatory capital ratios. Supervisors should take appropriate supervisory action if they are not satisfied with the result of this process; (iii) Supervisors should expect banks to operate above the minimum regulatory capital ratios and should have the ability to require banks to hold capital in excess of the minimum; (iv) Supervisors should seek to intervene at an early stage to prevent capital from falling below the minimum levels required to support the risk characteristics of a particular bank and should require rapid remedial action if capital is not maintained or restored.“8
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Die Anforderungen an das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren wurden vom Basler Ausschuss prinzipienorientiert ausgestaltet. Es werden vom Basler Ausschuss lediglich aufsichtsrechtliche Zielvorgaben formuliert. Anders als bei den Mindestkapitalanforderungen gem. Säule 1 besteht für die Institute insoweit ein Umsetzungsspielraum.9
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2. Unionsrecht
Die Grundsätze des Basler Ausschusses wurden vom Unionsgesetzgeber mit gewissen Modifikationen in das europäische Recht überführt. Die Vorgaben an den bankinternen Einschätzungsprozess sind in Art. 73 CRD geregelt. Hiernach verfügen die Institute über „solide, wirksame und umfassende Strategien und Verfahren, mit denen sie die Höhe, die Arten und die Verteilung des internen Kapitals, das sie zur quantitativen und qualitativen Absicherung ihrer aktuellen und etwaigen künftigen Risiken für angemessen halten, kontinuierlich bewerten und auf einem ausreichend hohen Stand halten können“. Die Anforderungen an den bankaufsichtsrechtlichen Evaluationsprozess sind in Art. 97 ff. CRD normiert. Diese wurden im Zuge der Verabschiedung von CRD V in Teilen ergänzt bzw. konkretisiert.10
Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmes6 sung und Eigenkapitalanforderungen, Juni 2006, Rn. 725 ff. Diese Grundsätze werden vom Basler Ausschuss in einem Papier von 2019 wieder aufge7 griffen. Vgl. Basler Ausschuss, Overview of Pillar 2 supervisory review practices and approaches, Juni 2019, S. 3. Basler Ausschuss, Overview of Pillar 2 supervisory review practices and approaches, Juni 8 2019, S. 3. Der Umsetzungsspielraum wird allerdings durch zahlreiche Verlautbarungen der natio9 nalen und europäischen Behörden eingeschränkt, vgl. unten Rn. 8 f. 10 Vgl. unten Rn. 17.
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254 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 9
Die Grundsätze des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens werden durch verschiedene Leitlinien der europäischen Aufsichtsbehörden näher ausgeformt. Hinsichtlich der ICAAP-Anforderungen hat die EBA im November 2016 umfangreiche Leitlinien veröffentlicht.11 Zur SREP-Methodik hat die EBA im Juli 2018 überarbeitete Leitlinien erlassen.12 Auch die EZB hat im November 2018 einen Leitfaden zu den ICAAP-Prinzipien13 und im August 2020 einen Bericht zu ICAAP-Praktiken veröffentlicht.14 Die EZB hat ferner eine Broschüre zur SREP-Methodik für bedeutende Institute15 sowie für weniger bedeutende Institute16 erarbeitet. 3. Nationales Recht
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In Deutschland sind die ICAAP-Anforderungen als Teil der allgemeinen Anforderungen an die Geschäftsorganisation in § 25a KWG normiert. Gem. § 25a Abs. 1 Satz 1 KWG muss ein Institut „über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen, die die Einhaltung der vom Institut zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen und der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten gewährleistet“. Als Teil der ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation müssen Institute über ein angemessenes und wirksames Risikomanagement verfügen, auf dessen Basis diese laufend die „Risikotragfähigkeit“ sicherzustellen haben.17 Das Risikotragfähigkeitskonzept wurde von der BaFin in den „Mindestanfor-
11 EBA, Final Report, Guidelines on ICAAP and ILAAP information collected for SREP purposes, EBA/GL/2016/10, 3.11.2016. Abrufbar unter: https://eba.europa.eu/documents/ 10180/1645611/Final+report+on+Guidelines+on+ICAAP+ILAAP+%28EBA-GL-2016–10% 29.pdf/6fa080b6–059d-4b41–95c7–9c5edb8cba81. 12 EBA, Guidelines on the revised common procedures and methodologies for the supervisory review and evaluation process (SREP) and supervisory stress testing, EBA/GL/2018/03, 19.7.2018. Abrufbar unter: https://eba.europa.eu/documents/10180/2282666/Revised+Guide lines+on+SREP+%28EBA-GL-2018–03%29.pdf). Diese ergänzen die Leitlinien aus dem Jahre 2014. Vgl. EBA, Leitlinien zu gemeinsamen Verfahren und Methoden für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP), 2014 (abrufbar unter: https://eba. europa.eu/documents/10180/1051392/EBA-GL-2014 –13+GL+on+Pillar+2+%28SREP% 29%20-+DE.pdf). Für das Jahr 2020 hat die EBA vor dem Hintergrund der Covid-19-Krise gesonderte Leitlinien veröffentlicht. Vgl. EBA, Guidelines on the pragmatic 2020 supervisory review and evaluation process in light of the COVID-19 crisis, EBA/GL/2020/10, 23.7.2020. Vgl. zu diesen EBA-Leitlinien Laufenberg/Petersen, in: Grieser/Heemann (Hrsg.), Europäisches Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, S. 314 ff. 13 EZB, ECB Guide to the internal capital adequacy assessment process (ICAAP), November 2018 (abrufbar unter: https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm. icaap_guide_201811.en.pdf). 14 EZB, Report on banks’ ICAAP practices, August 2020 (abrufbar unter: https:// www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.reportbanksicaappractices202007~fc93 bf05d9.en.pdf). 15 Ausgabe 2017. 16 Ausgabe 2018. 17 § 25a(1) Satz 3 KWG bzw. § 25a(1) Satz 3 Nr. 2 KWG.
§ 11 Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens
255
derungen an das Risikomanagement“18 (MaRisk) sowie dem im Mai 2018 überarbeiteten „Risikotragfähigkeitsleitfaden“ konkretisiert.19
III. Eigenmittelbezogene Anforderungen 1. ICAAP
Übergeordnete Zielsetzung des ICAAP ist die Sicherstellung der sog. „Risikotragfähigkeit“.20 Gem. den MaRisk ist Risikotragfähigkeit gegeben, wenn auf Grundlage des Gesamtrisikoprofils gewährleistet ist, dass die wesentlichen Risiken durch das Risikodeckungspotential laufend abgedeckt sind.21 Als Risikoarten, die grundsätzlich als wesentlich einzustufen sind, nennen die MaRisk Adressenausfallrisiken, Marktpreisrisiken, Liquiditätsrisiken und operationelle Risiken.22 Diese Auflistung ist allerdings weder vollständig noch verbindlich. Es müssen insoweit ggf. auch andere Risikokategorien wie Reputations- und strategische Risiken berücksichtigt werden. Die BaFin hat ihre aufsichtsrechtlichen Erwartungen in dem Risikotragfähigkeitsleitfaden niedergelegt.23 Hiernach liegt der Risikotragfähigkeit eine „normative“ und eine „ökonomische“ Perspektive zugrunde.24 Ein konkretes Verfahren zur Ermittlung der ICAAP-Kapitalanforderungen wird von der BaFin allerdings nicht vorgegeben. Es gilt der Grundsatz der Methodenfreiheit.25 Die Verantwortung liegt insoweit bei den Geschäftsleitern des Instituts.26
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12
2. SREP und Kapitalzuschläge a) Grundsätze
Im Rahmen des bankaufsichtsrechtlichen Evaluationsprozesses prüfen die nationalen bzw. europäischen Aufsichtsbehörden, welchen Risiken die Institute ausgesetzt sind und ob die Eigenmittelausstattung angemessen ist, um die institutsspezifischen Risiken abzudecken. Gem. den EBA-Leitlinien27 stehen bei dem SREP vier Aspekte im Vordergrund: (i) die Tragfähigkeit des GeschäftsMaRisk AT 4.1. BaFin, Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung („ICAAP“) – Neuausrichtung, 24.5.2018 (abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Anlage/dl_ 180524_rtf-leitfaden_veroeffentlichung.html?nn=9021442). 20 Vgl. § 25a(1) Satz 3 KWG; MaRisk AT 4.1; BaFin, Risikotragfähigkeitsleitfaden (Fn. 19), Rn. 15. 21 MaRisk AT 4.1. Rn. 1. 22 MaRisk AT 2.2. Rn. 1 Satz 4. 23 Dazu bereits oben Rn. 10. 24 Vgl. BaFin, Risikotragfähigkeitsleitfaden (Fn. 19), Rn. 22 ff. (normative Perspektive) bzw. Rn. 37 ff. (ökonomische Perspektive). 25 BaFin, Risikotragfähigkeitsleitfaden (Fn. 19), Rn. 6. 26 § 25a(1) Satz 2 KWG; BaFin, Risikotragfähigkeitsleitfaden (Fn. 19), Rn. 14. 27 Vgl. oben Fn. 12. 18 19
13
256 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
14
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modells, (ii) die Überprüfung der Governance und des Risikomanagements, (iii) die Kapitaladäquanz und (iv) die Liquidität des Instituts.28 Die Häufigkeit und Intensität der Durchführung des SREP hängt von der konkreten Risikostruktur des Instituts ab.29 Sie berücksichtigt dabei die Größe, Struktur, interne Organisation sowie Art, Umfang und Komplexität der betriebenen Geschäfte.30 Die EBA differenziert zwischen vier Kategorien von Instituten. Die EBA nimmt folgende Kategorisierung vor: (i) Kategorie 1: global systemrelevante Institute (G-SRI) und andere systemrelevante Institute (A-SRI); (ii) Kategorie 2: alle anderen nicht unter Kategorie 1 fallenden mittleren und großen Institute, die im Inland tätig sind oder bedeutende grenzüberschreitende Geschäfte tätigen, die in mehreren Geschäftsfeldern operieren; (iii) Kategorie 3: kleine bis mittlere Institute, die nicht in Kategorie 1 oder 2 einzustufen sind, die im Inland tätig sind oder keine bedeutenden grenzüberschreitenden Geschäfte tätigen, die in mehreren Geschäftsfeldern operieren; (iv) Kategorie 4: alle übrigen kleinen inländischen Institute ohne komplexe Strukturen, die nicht unter die Kategorien 1 bis 3 fallen.31 Abhängig von der Kategorisierung werden die SREP-Elemente jährlich (Kategorie 1), alle zwei Jahre (Kategorie 2) bzw. alle drei Jahre (Kategorie 3 und 4) durchgeführt.
b) Kapitalzuschläge und Säule-1-plus-Konzept 16
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Im Zuge der Einführung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus werden von den zuständigen Aufsichtsbehörden32 standardmäßig im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens SREP-Kapitalzuschläge verhängt sowie Säule-2-Empfehlungen erlassen. Hierfür hat sich in der Aufsichtspraxis der Begriff des „Säule-1-plus“-Konzeptes (pillar 1-plus approach) eingebürgert.33 Die Anordnung von Kapitalzuschlägen wurde im Zuge der Verabschiedung der CRD V formalisiert und auf eine normative Grundlage gestellt. Art. 104a bzw. Art. 104b CRD V sehen nunmehr ausdrücklich vor, dass die zuständigen Behörden unter den dort genannten Voraussetzungen „zusätzliche Eigenmittelanforderungen“ vorschreiben bzw. „Empfehlungen“ für zusätzliche Eigenmittel tätigen können.34 Der europäische Gesetzgeber hat zudem das Verhältnis der SREP-Zuschläge zu den Instrumenten der makroprudenziellen Aufsicht (insbesondere den Kapitalpuffern) präzisiert: Die Kapitalzuschläge sollen nur für die Zwecke der Abdeckung von Risiken angeordnet werden, denen die Ins28 Die EBA-Leitlinien werden auch von der EZB berücksichtigt. Die von der EZB zugrunde gelegten Prozesse und Instrumente des SREP weichen allerdings zum Teil deutlich von den Verfahren der BaFin/Deutschen Bundesbank ab. 29 Dies ist Ausdruck des Proportionalitätsgedankens. Dazu § 4 Rn. 68 ff. 30 EBA, SREP-Leitlinien (Fn. 12), S. 13. 31 EBA, SREP-Leitlinien (Fn. 12), S. 13. 32 D. h. von der EZB bei bedeutenden Kreditinstituten, von der BaFin bei weniger bedeutenden Kreditinstituten. 33 Vgl. dazu etwa Buchmüller/Engelbach/Elbracht/Beekmann/Puppe, in: Binder/Glos/ Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2018, § 7 Rn. 17 ff. 34 Umgesetzt in Deutschland in § 6d KWG bzw. § 6e KWG.
§ 11 Grundzüge des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens
257
titute aufgrund ihrer Tätigkeit ausgesetzt sind.35 Die Kapitalzuschläge sollen nicht verwendet werden, um makroprudenzielle bzw. systemische Risiken abzudecken.36 Diese Vorgaben wurden in Deutschland in § 6b bzw. § 6c KWG umgesetzt.37
IV. Governance-Anforderungen Neben den eigenmittelbezogenen Anforderungen des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens sind von den Instituten Anforderungen an die Governance und das Compliance- und Risikomanagement zu beachten. Die aufsichtsrechtlichen Vorgaben an die Corporate Governance der Institute werden im nächsten Kapitel erörtert.38
35 Art. 104a(1) Unterabs. 2 CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung); § 6c(1) Satz 2 KWG. 36 Erwägungsgrund (14) CRD V. 37 §§ 6b, 6c KWG. 38 Zu den Compliance-Anforderungen von Wertpapierfirmen vgl. Wundenberg, in Veil (Hrsg.), European Capital Markets Law, 2. Aufl. 2017, § 32 und 33 bzw. ders., in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 32 und 33.
18
§ 12 Corporate Governance Literatur: Annuß, Georg/Früh, Andreas/Hasse, Andreas, Institutsvergütungsverordnung, 2016; Baums, Theodor, Unabhängige Aufsichtsratsmitglieder, ZHR 180 (2016), 697– 707; Bazley, Stuart/Haynes, Andrew, Financial Services Authority and Risk-based Compliance, 2. Aufl. 2009; Binder, Jens-Hinrich, Organisationspflichten und das Finanzdienstleistungs-Unternehmensrecht: Bestandsaufnahme, Probleme, Konsequenzen, ZGR 2015, 667–708; ders., Governance of Investment Firms under MiFID II, in: Bush, Danny/ Ferrarini, Guido (Hrsg.), Regulation of EU-Financial Markets, 2017, S. 49–83; ders., Der Aufsichtsrat von Kreditinstituten drei Jahre nach dem „Regulierungstsunami“ – eine Bestandsaufnahme, ZGR 2018, 88–125; Buscher, Arne Martin et al., Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten, 2. Aufl. 2018; Cadbury, Adrian, Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance, 1992; Chiu, Iris H.-Y., Corporate Governance and Risk Management in Banks and Financial Institutions, in: dies./McKee, Michael (Hrsg.), The Law on Corporate Governance in Banks, 2015, S. 169–195; dies., Regulating (From) The Inside, 2015; Duplois, Marcel, Die Beeinflussung aktienrechtlicher Corporate Governance durch das Bankenaufsichtsrecht, 2017; Enriques, Luca/Zetsche, Dirk, Quack Corporate Governance, Round III? Bank Board Regulation Under the New European Capital Requirement Directive, 16 Theoretical Inquiries in Law (2015), 211–244; Henning, Peter/Gissing, Evgenia, Die neuen Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde zur internen Governance von Instituten und der Eignungsprüfung, AG 2018, 93–101; Hopt, Klaus J., Corporate Governance after the Financial Crisis, in: Wymeersch, Eddy et al. (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision, 2012, S. 337–367; ders., Better Governance of Financial Institutions, SSRN Working Paper, 2013 (abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=1918851); ders., The German Law of and Experience with the Supervisory Board, SSRN Working Paper, 2016 (abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=2722702); Jayaraman, Narayanan et al., Does Combining the CEO and Chair Roles Cause Poor Firm Governance?, SSRN Working Paper, 2015 (abrufbar unter: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2690281&download=yes); Jungmann, Carsten, The Effectiveness of Corporate Governance in One-Tier and TwoTier Board Systems, ECFR 2006, 426–474; Kokkinis, Andeas, A Primer on Corporate Governance in Banks and Financial Institutions: Are Banks Special?, in: Chiu, Iris H./McKee, Michael (Hrsg.), The Law on Corporate Governance in Banks, 2015, S. 1–41; Langenbucher, Katja, Bausteine eines Bankgesellschaftsrechts, ZHR 176 (2012), 652–668; Marcey, Jonathan/O’Hara, Maureen, Bank Corporate Governance: A Proposal for the Post-Crisis World, Working Paper, 2016 (abrufbar unter: https://www.newyorkfed.org/research/epr/ 2016/medialibrary/c15c943b06884586acf0b656b29b8f03.ashx); Miller, Geoffrey Parsons, The Law of Governance, Risk Management and Compliance, 2014; Mülbert, Peter O./ Wilhelm, Alexander, CRD IV Framework for Banks’ Corporate Governance, in: Busch, Danny/Ferrarini, Guido (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, S. 223–280; Negenborn, David, Bankgesellschaftsrecht und Sonderkonzernrecht: Der Einfluss des Aufsichtsrechts auf die interne Corporate Governance von Banken- und Versicherungsgruppen, 2020; Schneider, Uwe. H./Schneider, Sven H., Der Aufsichtsrat der Kreditinstitute zwischen gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und aufsichtsrechtlichen Anforderungen, ZGR 2016, 41–47; Smith, Adam, An Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations,
§ 12 Corporate Governance
259
1776; Staake, Marco, Arbeitnehmervertreter als unabhängige Aufsichtsratsmitglieder?, NZG 2016, 853–857; Veil, Rüdiger, Europäische Kapitalmarktunion, ZGR 2014, 544–607; Verse, Dirk A., Besonderheiten des Aufsichtsrats in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen, in: Lutter, Marcus/Krieger, Gerd/Verse, Dirk (Hrsg.), Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, § 21; Winter, Jaap, The Financial Crisis: Does Good Corporate Governance Matter and How to Achieve It?, in: Wymeersch, Eddy et al. (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision, 2012, S. 368–388; Wundenberg, Malte, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012; ders., Perspektiven der privaten Rechtsdurchsetzung im europäischen Kapitalmarktrecht, ZGR 2015, 125–160; ders., Fit and Proper Assessments of Board Members of Banks and Investment Firms: A European Perspective, 33 JIBLR (2018), 191–199.
I. Einführung Das Thema Corporate Governance von Banken ist „en vogue“.1 Nach klassischer Definition bezeichnet dieser Begriff das System der Unternehmensleitung und Unternehmenskontrolle.2 Auf dieser Linie liegt auch das Begriffsverständnis der Kommission, wonach die Corporate Governance das Verhältnis zwischen der Geschäftsleitung, den Kontrollorganen, den Anteilseignern sowie weiteren Stakeholdern des Unternehmens umfasst.3 Die Regulierung und Beaufsichtigung der unternehmensinternen Governance von Banken und Wertpapierfirmen hat in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen. Traditionell wurden die Anforderungen an die Corporate Governance4 durch das jeweilige nationale GeEine Parallelfassung dieses Kapitels zur Corporate Governance von Wertpapierfirmen 1 erscheint in der 3. Aufl. des von Rüdiger Veil herausgegebenen Bandes zum „Europäischen und deutschen Kapitalmarktrecht“ (§ 34). Vgl. ferner Miller, The Law of Governance, Risk Management, and Compliance, 2014, S. 1: „Governance, risk management, and compliance […] are in vogue“. In diesem Sinne die klassische Definition der Cadbury-Kommission aus dem Jahre 1992, 2 Cadbury, Report of the Committee on the Financial Aspect of Corporate Governance, Rn. 2.5 („the system by which companies are directed and controlled“). Es gibt zahlreiche weitere Definitionsversuche. Vgl. etwa Basler Ausschuss, Corporate governance principles for banks, Juli 2015, S. 3: „Corporate governance determines the allocation of authority and responsibilities by which the business and affairs of a bank are carried out by its board and senior management“. Vgl. auch Miller, The Law of Governance, Risk Management, and Compliance, 2014, S. 1: „the processes by which decisions relative to risk management and compliance are made within an organization“. Für einen Überblick über die Corporate-Governance-Diskussion bei Finanzunternehmen Hopt, in: Wymeersch et al. (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision, 2012, Rn. 11.01. Kommission, Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspo3 litik, COM(2010) 284 final, S. 3. Eine ähnliche Definition liegt den Corporate-GovernancePrinzipien der OECD zugrunde, vgl. G20/OECD Principles of Corporate Governance, 2015. Der Begriff „Corporate Governance“ in diesem Kapitel bezieht sich auf die sog. „interne“ Governance (daher nicht auf die „externe“ Corporate Governance, die etwa durch Abschlussprüfer oder Rating-Agenturen ausgeübt wird). Im Vereinigten Königreich ist die unternehmensinterne Steuerung und Überwachung da4 gegen schon seit geraumer Zeit Gegenstand einer gesonderten aufsichtsrechtlichen Überwachung. Vgl. Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 141 ff.
1
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260 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
3
sellschaftsrecht – in Deutschland für Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft etwa durch das Aktiengesetz – geregelt.5 In jüngerer Zeit ist die interne Governance von Finanzinstituten zunehmend in den Fokus des Aufsichtsrechts geraten. Maßgebliche Impulse für diese Entwicklungen gingen vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht aus. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Papier zur „Verbesserung der Corporate Governance“, das erstmals im September 1999 veröffentlicht und in den Jahren 2010 und 2015 umfassend reformiert und erweitert wurde.6 Auf europäischer Ebene hatte die Bankenrichtlinie von 2006 (CRD I) qualitative Vorgaben an die Unternehmenssteuerung in das Unionsrecht eingeführt.7 Durch die MiFID I wurden zudem die Anforderungen an die Compliance, das Risikomanagement und die Interne Revision für Wertpapierfirmen harmonisiert. Eine weitreichende Harmonisierung der Governance-Anforderungen von Banken erfolgte im Zuge der Verabschiedung des CRD-IV/CRR-Regimes. Diese Organisationspflichten wurden durch das MiFID-II-Rahmenwerk in das Recht der Wertpapierfirmen inkorporiert und zum Teil erweitert.8 Die Governance-Anforderungen wurden im Zuge der Verabschiedung der CRD-V/CRRII-Änderungsrechtsakte im Detail angepasst. Der Kommissionsvorschlag vom Oktober 2021 sieht weitere Ergänzungen des Governance-Regimes vor. Die Ausführungen in diesem Kapitel fokussieren sich auf die Governance-Anforderungen von Kreditinstituten gem. Art. 88 und 91 CRD (bzw. deren Umsetzung im deutschen Recht). Es wird ferner auf die Vergütungsanforderungen gem. Art. 92 und 94 CRD eingegangen.
II. Regelungskonzepte 4
Der verstärkte Fokus auf die Governance von Finanzinstituten ist eine Reaktion auf die Finanzkrise. In den Erwägungsgründen der CRD IV sowie MiFID II werden Schwachstellen in den unternehmensinternen GovernanceStrukturen als Faktoren genannt, die zum Entstehen der Finanzkrise beigetraIn Deutschland spielt in diesem Zusammenhang der Corporate Governance Kodex eine 5 wichtige Rolle (abrufbar unter: https://www.dcgk.de/de/). Vergleichbare untergesetzliche Regelwerke finden sich in vielen weiteren Jurisdiktionen. Vgl. etwa im Vereinigten Königreich der UK Corporate Governance Code (abrufbar unter: www.frc.org.uk/Our-Work/CodesStandards/Corporate-governance/UK-Corporate-Governance-Code.aspx). Basler Ausschuss, Corporate governance principles (Fn. 2). Siehe zur Rechtsentwicklung 6 bereits oben § 2 Rn. 2 ff. Vgl. insbesondere Art. 22, 123 und 124 der Richtlinie 2006/48/EG (CRD I). Zum auf7 sichtsrechtlichen Überprüfungsverfahren siehe § 11. Art. 9 MiFID II verlangt, dass die zuständigen Behörden, die die Zulassung erteilen, da8 für sorgen, dass Wertpapierfirmen und ihre Leitungsorgane die Art. 88 und 91 CRD einhalten. Siehe hierzu auch Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation, 3. Aufl. 2014, S. 357: „roots of the 2014 MiFID II governance reform are in the reforms made to governance in the banking sector“.
§ 12 Corporate Governance
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gen haben.9 Der europäische Gesetzgeber verfolgt vor diesem Hintergrund das Ziel, die Anforderungen an die Unternehmenskontrolle zu verschärfen. Die Governance-Anforderungen sollen „die Rolle der Leitungsorgane […] stärken, um eine solide und umsichtige Führung von Wertpapierfirmen zu gewährleisten und die Marktintegrität und das Interesse der Anleger zu fördern“.10 Diese gesetzgeberische Intention wird in den Erwägungsgründen wie folgt beschrieben: „Unter Regulierungsstellen auf internationaler Ebene besteht Einigkeit darüber, dass Schwächen in der Unternehmensführung und -kontrolle von mehreren Finanzinstituten, darunter das Fehlen wirksamer institutsinterner Kontrollen, einer der Faktoren waren, die zur Finanzkrise beigetragen haben. Die übermäßige und unvorsichtige Übernahme von Risiken kann auf mitgliedstaatlicher und globaler Ebene zum Ausfall einzelner Finanzinstitute und zu Systemproblemen führen. Das Fehlverhalten von Firmen, die Dienstleistungen für Kunden erbringen, kann zu Nachteilen für die Anleger und einem Vertrauensverlust führen. Um der potenziell schädigenden Wirkung dieser Schwächen bei den Unternehmensführungsregelungen entgegenzuwirken, sollte die Richtlinie 2004/39/EG um detailliertere Grundsätze und Mindeststandards ergänzt werden. Diese Grundsätze und Standards sollten der Art, dem Umfang und der Komplexität von Wertpapierfirmen Rechnung tragen.“11
Ausweislich der Erwägungsgründe verfolgen die aufsichtsrechtlichen Governance-Anforderungen zwei Regelungsziele: Zum einen soll eine „übermäßige und unvorsichtige Übernahme von Risiken“ verhindert werden.12 Zum anderen sollen die Governance-Anforderungen die Marktintegrität stärken. Diese Zielvorgaben gehen im Ausgangspunkt über den traditionellen gesellschaftsrechtlichen Ansatz der Corporate Governance hinaus (siehe unten Rn. 6 ff.).13
Erwägungsgrund (53) CRD IV; Erwägungsgrund (5) MiFID II. Im empirischen Schrift9 tum wird bezweifelt, ob Defizite bei der Corporate Governance tatsächlich für die Finanzkrise mitursächlich waren, vgl. etwa die Nachweise bei Hopt, ZGR 2017, 438, 440 Fn. 6 mit Hinweis auf EBA, Final Report, Guidelines on internal governance under Directive 2013/36/ EU, EBA/GL/2017/11, 26.9.2017, Rn. 2 („not a direct trigger for the financial crisis“). Siehe ebenfalls Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 370 und passim. 10 Erwägungsgrund (53) MiFID II. Diese Ausführungen beziehen sich auf die Leitungsorgane von Wertpapierfirmen. In der Sache sind sie jedoch auch auf Kreditinstitute übertragbar. 11 Erwägungsgrund (5) MiFID II. Vgl. ebenfalls Erwägungsgrund (53) CRD IV. 12 Eingehend zu den von der MiFID II im Zusammenhang mit den Governance-Anforderungen verfolgten Regelungszielen Binder, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), Regulation of EU Financial Markets, 2017, Rn. 3.04 ff. 13 Es existiert eine Vielzahl von Untersuchungen, die sich mit den Besonderheiten der Corporate Governance bei Banken auseinandersetzen. Vgl. Hopt, in: Wymeersch et al. (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision, 2012, Rn. 11.01 ff. m. w. N.; Kokkinis, in: Chiu/Donavan (Hrsg.), Corporate Governance in Banks, 2015, Rn. 1.01 ff.; Armour et al., Principles of Financial Regulation, 2016, S. 370–390. Siehe ferner Marcey/O’Hara, Bank Corporate Governance: A Proposal for the Post-Crisis World, SSRN Working Paper, 2016. Umfassend hierzu auch das von Hopt/Binder/Böcking herausgegebene Handbuch zur Corporate Governance von Banken und Versicherungen (2. Aufl. 2020).
5
262 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 1. Traditioneller Regelungsansatz 6
Die nationale und internationale Literatur zur Corporate Governance ist nicht mehr überschaubar. Den konzeptionellen Ausgangspunkt der Debatte bildet die ökonomische Prinzipal-Agenten-Theorie.14 In der Corporate-Governance-Diskussion steht traditionell der Interessenkonflikt zwischen den Anteilseignern des Unternehmens (den „Prinzipalen“) und dessen Leitungsorganen (den „Agenten“) im Vordergrund.15 Das System der unternehmensinternen Corporate Governance soll nach traditionellem Verständnis sicherstellen, dass die Leitungsorgane ihr Handeln an dem Unternehmensinteresse ausrichten und nicht eigene – möglicherweise vom Unternehmensinteresse abweichende – Individualinteressen verfolgen (equity governance).
7
Diese Grundproblematik wurde bereits 1776 von Adam Smith wie folgt beschrieben: „The directors of such companies, however, being the managers rather of other people’s money than of their own, it cannot well be expected that they should watch over it with the same anxious vigilance with which the partners in a private copartnery frequently watch over their own […]. Negligence and profusion, therefore, must always prevail, more or less, in the management of the affairs of such a company“.16
2. Besonderheiten der Banken-Governance 8
Die Corporate Governance von Banken weist gegenüber Industrieunternehmen Besonderheiten auf: Erstens sind Banken im hohen Maße fremdfinanziert.17 Den Einleger- bzw. Gläubigerbelangen kommt rechtspolitisch eine besondere Bedeutung zu.18 Zweitens führen Schwächen bei der Corporate Governance aufgrund der im ersten Kapitel beschriebenen Ansteckungseffekte typischerweise zu höheren gesamtgesellschaftlichen Kosten als bei Industrieunternehmen. Und drittens kann der Umstand, dass insbesondere bei systemrelevanten Instituten im Krisenfall Unterstützungsmaßnahmen des Staats bzw. der Zentralbanken erfolgen, zu Fehlanreizen des Managements führen.
14 Aus der umfangreichen Literatur vgl. etwa v. Werder, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 3, 6 ff.; Langenbucher, in: Hopt/Binder/ Böcking, Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020, § 13 Rn. 1 ff. 15 Vgl. etwa Duplois, Die Beeinflussung aktienrechtlicher Corporate Governance durch das Bankenaufsichtsrecht, 2017, S. 107 ff. Weitere Agentenkonflikte beziehen sich auf das Verhältnis zwischen den Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern sowie das Verhältnis der Anteilseigner und Kreditgeber. 16 Smith, An Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, Book V, Chapter 1 (abrufbar unter: http://media.bloomsbury.com/rep/files/primary-source-93-adam-smiththe-wealth-of-nations-on-joint-stock-companies.pdf). Ebenfalls zitiert bei Duplois, Die Beeinflussung aktienrechtlicher Corporate Governance durch das Bankenaufsichtsrecht, 2017, S. 110. 17 § 1 Rn. 17 ff. 18 § 1 Rn. 26 ff.
§ 12 Corporate Governance
263
Der Basler Ausschuss fasst die besondere Bedeutung der Corporate Governance bei Finanzinstituten wie folgt zusammen:
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„Effective corporate governance is critical to the proper functioning of the banking sector and the economy as a whole. Banks perform a crucial role in the economy by intermediating funds from savers and depositors to activities that support enterprise and help drive economic growth. Banks’ safety and soundness are key to financial stability, and the manner in which they conduct their business, therefore, is central to economic health. Governance weaknesses at banks that play a significant role in the financial system can result in the transmission of problems across the banking sector and the economy as a whole.“19
Vor diesem Hintergrund wurde in der wissenschaftlichen Diskussion die Ansicht vertreten, dass das Modell der Corporate Governance im Bankensektor stärker auf die Berücksichtigung von Gläubigerinteressen bzw. Systembelangen ausgerichtet sein sollte (debt governance).20 Ähnliche Überlegungen finden sich in den Papieren des Basler Ausschusses zur Verbesserung der Corporate Governance. Hiernach sollen im Konfliktfall die Interessen der Einleger den Anteilseignerinteressen vorgehen. In den Worten des Basler Ausschusses: „The primary objective of corporate governance should be safeguarding stakeholders’ interest in conformity with public interest on a sustainable basis. Among stakeholders, particularly with respect to retail banks, shareholders’ interest would be secondary to depositors’ interest.“21 Welche Auswirkungen dies für die konkrete Ausgestaltung der Banken-Governance und die Pflichten der Leitungsorgane hat, ist bislang allerdings im Einzelnen noch ungeklärt.22
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3. Governance-basierte Regulierung
Die beschriebenen Besonderheiten der Banken-Governance liefern einen Erklärungsansatz dafür, weshalb die Leitungs- und Kontrollstrukturen bei den Instituten gesondert reguliert und die Einhaltung der Governance-Anforderungen von Aufsichtsbehörden überwacht werden. Es kann von einer „governance-basierten“ Regulierung gesprochen werden.23 Charakteristisch ist eine „Verzahnung“ der unternehmensinternen Kontrolle mit den Instrumenten der staatlichen Aufsicht: Den Unternehmen werden Governance- und Leitungsanforderungen auferlegt, die diese dazu verpflichten, selbst für die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Regelungsvorgaben zu sorgen. Die Systeme der Corporate
Basler Ausschuss, Corporate Governance Principles for Banks, Juli 2015, Rn. 1. Für eine Übersicht über die Debatte Hopt, ZGR 2017, 438, 441 ff. Zusammenfassend auch Negenborn, Bankgesellschaftsrecht und Sonderkonzernrecht, 2020, S. 67 ff.; Theissen, EU Banking Supervision, 2013, S. 601–603 („corporate governance in the interest of the state?“). 21 Basler Ausschuss, Corporate Governance Principles for Banks, Juli 2015, Rn. 2. 22 Siehe hierzu unten im Zusammenhang mit den Sanktionen noch Rn. 60 ff. 23 Hierzu auch Binder, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), Regulation of EU Financial Markets, 2017, Rn. 3.04 ff. 19 20
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264 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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Governance werden dabei für aufsichtsrechtliche Zwecke vereinnahmt und in den Dienst des Gläubiger- und Funktionenschutzes gestellt. Diese Entwicklung ist bemerkenswert. Denn hierdurch wird eine Regelungsmaterie, die traditionell durch das jeweilige nationale Gesellschaftsrecht (in Deutschland etwa das Aktiengesetz bei Bank-Aktiengesellschaften) geprägt war, zunehmend durch das unionsrechtlich determinierte Aufsichtsrecht überlagert. Es kann von einem „Aufsichtsgesellschaftsrecht“ gesprochen werden.24 Ähnliche Tendenzen sind auch bei der Regulierung von Gruppenkonstellationen zu beobachten (vgl. §§ 15, 16). Diese Entwicklungen haben für die Institute und deren Geschäftsleiter erhebliche Konsequenzen. Denn die aufsichtsrechtlichen Leitungs- und Governance-Anforderungen gehen tendenziell über die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben hinaus. Die Governance-Anforderungen können zudem Auswirkungen auf die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder der Leitungsorgane haben (dazu im Einzelnen Rn. 53 und 63 f.).
III. Regulatorische Rahmenvorgaben 1. Übersicht 13
Die zentralen Governance-Anforderungen für Institute sind in Art. 88 und Art. 91 CRD normiert. Gem. Art. 88 Abs. 1 CRD stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass das Leitungsorgan25 Regelungen für die Unternehmensführung und -kontrolle festlegt, die die wirksame und umsichtige Führung des Instituts gewährleisten. Art. 91 CRD sieht ferner u. a. vor, dass i. die Mitglieder des Leitungsorgans allzeit ausreichend gut beleumundet sind und ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben besitzen; ii. alle Mitglieder des Leitungsorgans ausreichend Zeit für die Erfüllung ihrer Aufgaben in dem Institut aufwenden, wobei die Anzahl der ausgeübten Mandate einen bestimmten Schwellenwert nicht überschreiten darf; iii. das Leitungsorgan kollektiv über die zum Verständnis der Tätigkeiten des Instituts samt seiner Hauptrisiken notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt; iv. die Zusammensetzung des Leitungsorgans insgesamt ein angemessen „breites Spektrum an Erfahrung“ widerspiegelt; v. jedes Mitglied des Leitungsorgans „aufrichtig, integer und unvoreingenommen“ handelt sowie vi. das Institut bei der Berufung von Mitgliedern in das Leitungsorgan auf eine „große Bandbreite von Eigenschaften und Fähigkeiten“ achtet und zu dieWeiterführend Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 10 und passim. Vgl. auch Langenbucher, ZHR 176 (2012), 652, 662 („Bankgesellschaftsrecht“). Monografisch hierzu zuletzt Negenborn, Bankgesellschaftsrecht und Sonderkonzernrecht, 2020, S. 13 ff. 25 Zur Terminologie der CRD vgl. unten (Rn. 20). 24
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sem Zweck eine Politik der „Förderung von Diversität“ innerhalb des Leitungsorgans verfolgt. Die Anforderungen gelten grundsätzlich für die Leitungsorgane von Instituten.26 Durch CRD V wurde der Anwendungsbereich auch auf Finanzholdinggesellschaften und gemischte Finanzholdinggesellschaften erstreckt.27 Diese aufsichtsrechtlichen Governance-Anforderungen zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus. Die ESMA und EBA wurden beauftragt, konkretisierende Leitlinien zu erlassen.28 Die europäischen Behörden haben nach umfangreicher Konsultation mit den Marktteilnehmern und weiteren Stakeholdern am 21. März 2018 die finale Fassung ihrer Leitlinien „zur Bewertung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und Inhabern von Schlüsselpositionen“ veröffentlicht („Joint Guidelines“ bzw. „Gemeinsame Leitlinien“).29 Kurz zuvor hatte die EBA Leitlinien zur internen Governance verabschiedet.30 Beide Leitlinien wurden in Deutschland von der BaFin mit wenigen Ausnahmen in die nationale Aufsichtspraxis übernommen.31 Für bedeutende Institute unter direkter Aufsicht der EZB ist zudem der „Guide to fit and proper assessments“ zu beachten, der im Mai 2017 veröffentlicht und im Mai 2018 aktualisiert wurde.32 Im Juni 2020 haben ESMA und EBA eine Konsultation zur Überarbeitung ihrer Gemeinsamen Leitlinien eingeleitet.33 Die überarbeiteten Gemeinsamen Leitlinien wurden am 2. Juli 2021 ver-
Zum Institutsbegriff § 7 Rn. 18 ff. Art. 91(1) CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung). Art. 91(11) CRD bzw. Art. 9(1) Unterabs. 2 MiFID II. ESMA/EBA, Leitlinien zur Bewertung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und Inhabern von Schlüsselpositionen, EBA/GL/2017/12, 21.3.2018. Am 26.9.2017 wurde der Final Report der ESMA/EBA veröffentlicht, der zusätzliche Erwägungsgründe sowie ein Impact Assessment nebst einer Zusammenfassung der im Konsultationsprozess eingegangenen Stellungnahmen enthält, vgl. ESMA/EBA, Final Report, Joint ESMA and EBA Guidelines on the assessment of the suitability of members of the management body and key function holders under Directive 2013/36/EU and Directive 2014/65/EU, EBA/GL/2017/12. Siehe hierzu Wundenberg, 33 JIBLR (2018), 191–199. 30 EBA, Leitlinien zur internen Governance, EBA/GL/2017/12, 21.3.2018. Vgl. hierzu auch den „Final Report“ vom 26.9.2017 (EBA/GL/2017/11). Am 2.7.2021 wurden überarbeitete Leitlinien veröffentlicht, vgl. EBA, Final report on internal governance under Directive 2013/ 36/EU, EBA/GL/2021/05, 2.7.2021. 31 Vgl. hierzu den auf der Homepage der ESMA/EBA veröffentlichten „ComplianceTable“, vgl. ESMA/EBA, Guidelines compliance, ESMA35–43–1215 (letzter Stand: 24.2.2021). Zu den Ausnahmen unten Rn. 32 (unabhängige Aufsichtsratsmitglieder) und Rn. 49 (Eignungsprüfung von Inhabern von Schlüsselpositionen). 32 EZB, Guide to fit and proper assessments, Mai 2018 (abrufbar unter: https://www.ban kingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.fap_guide_201705_rev_201805.en.pdf). 33 ESMA/EBA, Consultation Paper on draft joint ESMA and EBA Guidelines on the assessment of the suitability of members of the management body and key function holders under Directive 2013/36/EU and Directive 2014/65/EU, EBA/GL/2020/19 und ESMA-43– 2464. 26 27 28 29
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abschiedet und finden ab dem 31. Dezember 2021 Anwendung („überarbeitete Gemeinsame Leitlinien“).34 Die unionsrechtlichen Vorgaben wurden in Deutschland u. a. in § 25c und § 25d KWG sowie § 81 WpHG umgesetzt. Die BaFin hat zudem zahlreiche Merkblätter veröffentlicht, die die Organisationsanforderungen näher konkretisieren.
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Von besonderer Bedeutung sind in Deutschland die „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk), die in Konkretisierung der § 25a KWG und § 25b KWG den Rahmen für die Ausgestaltung des Risikomanagements von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten vorgeben.35 Ferner hat die BaFin Merkblätter zu den Anforderungen an Geschäftsleiter36 sowie an Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen veröffentlicht.37 Diese Merkblätter wurden im Dezember 2020 aktualisiert. Hierdurch wurden die Gemeinsamen Leitlinien der europäischen Aufsichtsbehörden in die nationale Aufsichtspraxis überführt. Weitere Merkblätter betreffen die IT-Sicherheit.38
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Die aufsichtsrechtlichen Corporate-Governance-Anforderungen decken ein weites Spektrum ab. Sie betreffen die Struktur und Zusammensetzung der Leitungsorgane (dazu unten 2.), die Anforderungen an die persönliche und kollektive Eignung der Leitungsorgane (dazu unten 3.) sowie die allgemeinen Geschäftsleiterpflichten (dazu unten 4.). Es werden zudem prozedurale Aspekte der Überprüfung der Eignung der Geschäftsleiter adressiert (dazu unten 5.). 2. Struktur und Zusammensetzung der Leitungsorgane a) Monistische vs. dualistische Board-Strukturen
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Grundsätzlich können zwei Modelle der Organisationsverfassung39 unterschieden werden: In einem monistischen System (one-tier board model), wie es etwa im Vereinigten Königreich sowie in zahlreichen weiteren JurisdiktioESMA/EBA, Final report on joint ESMA and EBA Guidelines on the assessment of the suitability of members of the management body and key function holders under Directive 2013/36/EU and Directive 2014/65, EBA/GL/2021/06, 2.7.2021. 35 Rundschreiben 10/2021 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk (16.8.2021). Die MaRisk setzen u. a. die Vorgaben von internationalen Standardsetzern (insbesondere des Basler Ausschusses) in die nationale Aufsichtspraxis um. Für die Unternehmenspraxis sind die MaRisk weiterhin von zentraler Bedeutung. Die EZB ist an die Vorgaben dieses Rundschreibens allerdings nicht gebunden (vgl. § 6 Rn. 93). 36 BaFin, Merkblatt zu den Geschäftsleitern gemäß KWG, ZAG und KAGB, 4.1.2016 (zuletzt geändert am 29.12.2020) (abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffent lichungen/DE/Merkblatt/mb_geschaeftsleiter_KWG_ZAG_KAGB.html). 37 BaFin, Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB, 4.1.2016 (zuletzt geändert am 29.12.2019) (abrufbar unter: https:// www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/mb_verwaltungs-aufsichts organe_KWG_KAGB.html). 38 BaFin, Rundschreiben 10/2017 (BA), Bankaufsichtliche Anforderungen an die IT (BAIT), 6.11.2017 (zuletzt geändert am 14.9.2018) (abrufbar unter: https://www.bafin.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Rundschreiben/dl_rs_1710_ba_BAIT.htm). 39 Weiterführend Jungmann, ECFR 2006, 426–474. 34
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nen international anzutreffen ist, wird die Geschäftsführung und Unternehmenskontrolle institutionell innerhalb desselben Organs (board of directors) wahrgenommen. In einem dualistischen System (two-tier board model), dem etwa das Recht in Deutschland, Italien und den Niederlanden folgt, wird die Geschäftsführung und Unternehmensüberwachung in getrennten Organen ausgeübt (beispielsweise in Deutschland durch die funktionale Trennung des Vorstands und Aufsichtsrats).40 Nach den Erwägungsgründen der CRD ist das Unionsrecht hinsichtlich der Organisationsverfassung grundsätzlich „neutral“, es soll also keiner bestimmten Struktur der Vorzug gegeben werden.41 Der Definition des Begriffs „Leitungsorgan“ im Sinne des Unionsrechts liegt ein funktionaler Ansatz zugrunde. Dieses wird als „das Organ oder die Organe eines Instituts“ definiert, „das (die) nach nationalem Recht bestellt wurde (wurden) und befugt ist (sind), Strategie, Ziele und Gesamtpolitik des Instituts festzulegen und die Entscheidungen der Geschäftsleitung zu kontrollieren und zu überwachen, und dem die Personen angehören, die die Geschäfte des Instituts tatsächlich führen“.42 Mit wenigen Ausnahmen knüpft das Unionsrecht generisch an das „Leitungsorgan“ an, ohne näher zu spezifizieren, ob die Pflichten in einem dualistischen Modell von der Geschäftsleitung (etwa dem deutschen Vorstand oder dem französischen directoire) oder dem Aufsichtsorgan (etwa dem deutschen Aufsichtsrat oder dem französischen conseil de surveillance) zu erfüllen sind. Die Mitgliedstaaten sind insoweit frei darin, zu entscheiden, wie die aufsichtsrechtlichen Verantwortlichkeiten innerhalb der jeweiligen Organisationsverfassung umgesetzt werden (und welche Pflichten jeweils den Vorstand bzw. den Aufsichtsrat treffen).43 Ungeachtet des in den Erwägungsgründen betonten „neutralen“ Regelungsansatzes sind die unionsrechtlichen Vorgaben ersichtlich auf das Leitbild einer monistischen Unternehmensverfassung aus-
40 Es existieren auch verschiedene hybride Governance-Strukturen. So folgen einige Staaten wie beispielsweise die Schweiz und Belgien zwar grundsätzlich dem monistischen System, für Banken wird jedoch eine organisatorische Trennung beider Unternehmensfunktionen (also die Implementierung eines dualistischen Systems) verlangt. In Frankreich haben Unternehmen grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen einer monistischen oder dualistischen Governance-Struktur. Vgl. in diesem Zusammenhang Hopt, in: Wymeersch et al. (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision, 2012, Rn. 11.42. 41 Erwägungsgrund (55) CRD IV: „In den Mitgliedstaaten sind unterschiedliche Unternehmensführungsstrukturen üblich. Dabei handelt es sich meistens um eine monistische oder eine dualistische Unternehmensverfassung. Mit den Begriffsbestimmungen dieser Richtlinie sollen sämtliche vorhandene Leitungsstrukturen erfasst werden, ohne jedoch einer bestimmten Struktur den Vorzug zu geben. Sie haben lediglich funktionalen Charakter, um Vorschriften für einen bestimmten Zweck festlegen zu können, ungeachtet des nationalen Gesellschaftsrechts, das für ein Institut in dem jeweiligen Mitgliedstaat gilt. Die Begriffsbestimmungen sollten daher nicht die allgemeine Kompetenzverteilung nach dem nationalen Gesellschaftsrecht berühren“. 42 Art. 3(1) Nr. 7 CRD; Art. 4(1) Nr. 36 MiFID II. 43 Art. 3(2) CRD; Art. 4(1) Nr. 36 MiFID II.
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268 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung gerichtet.44 Dies führt zu einer Reihe von Abstimmungsproblemen und Inkonsistenzen, auf die unten näher eingegangen wird. b) Funktionstrennung; Bildung von Ausschüssen aa) Trennung des Geschäftsführers und des Vorsitzenden des Leitungsorgans 21
Gem. Art. 88 Abs. 1 lit. e CRD darf der Vorsitzende des Leitungsorgans eines Instituts in seiner Aufsichtsfunktion in diesem Institut nicht gleichzeitig die Funktion des Geschäftsführers wahrnehmen, es sei denn, dies wird von dem Institut begründet und von den zuständigen Behörden genehmigt. Die hiermit vorgesehene Trennung des CEO und des „chairman of the board“ – die ersichtlich auf ein monistisches System zugeschnitten ist – entspricht den CorporateGovernance-Grundsätzen der OECD45 sowie den Empfehlungen des Basler Ausschusses.46 Sie zielt auf eine Stärkung der persönlichen Verantwortlichkeit der einzelnen Board-Mitglieder ab und soll einseitige Machtkonzentrationen innerhalb des Gremiums verhindern. In der rechtsökonomischen Literatur wurde diese Vorschrift kritisiert.47 In Deutschland kommt dieser Vorgabe aufgrund des dualistischen Governance-Systems keine wesentliche Bedeutung zu, da die Trennung des Vorstands und Aufsichtsrats institutionell verankert ist. bb) Ausschussbildung
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Die CRD IV/MiFID II sehen vor, dass Institute, die aufgrund ihrer Größe, ihrer internen Organisation und der Art, des Umfangs und der Komplexität ihrer Geschäfte von „erheblicher Bedeutung“ sind, zusätzliche organisatorische Anforderungen beachten müssen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die weitreichenden Vorgaben an die Ausschussbildung zu nennen (namentlich die Pflicht zur Bildung eines Risikoausschusses, Nominierungsausschusses sowie eines Vergütungsausschusses).48 In Deutschland wurden diese Anforderungen in § 25d Abs. 7–12 KWG umgesetzt. Sie finden nur dann Anwendung, wenn das Institut über einen Aufsichtsrat verfügt. Die Bildung von Ausschüssen entsprach bereits vor Inkrafttreten der CRD IV/MiFID II der „best practice“ in vielen Mitgliedstaaten und wurde auch vom Basler Ausschuss empfohlen.49 Die Aufgaben werden in den Leitlinien der EBA in einer recht kleinteiligen und granularen Art und Weise umschrieben. 44 Hierzu bereits Mülbert/Wilhelm, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, § 6.46 ff. (zur Definition des „senior management“). 45 OECD Principles (Fn. 3), S. 51. 46 Basler Ausschuss, Corporate governance principles (Fn. 2), Principle 3 Rn. 62. 47 Vgl. etwa Enriques/Zetsche, 16 Theoretical Inquiries in Law (2015), 232 ff. 48 Art. 76(3), 88(2) sowie 95(1) CRD. Die Vorgaben werden durch EBA-Leitlinien konkretisiert, vgl. EBA, Leitlinien zur internen Governance (Fn. 30), Rn. 39–66. 49 Basler Ausschuss, Corporate governance principles (Fn. 2), Principle 3 Rn. 63 ff.
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Aufgabe des Nominierungsausschusses ist es u. a., geeignete Kandidaten bei Neubestellungen von Leitungsorganen zu identifizieren und regelmäßig die Struktur und Zusammensetzung des Leitungsorgans zu bewerten.50 Der Risikoausschuss soll das Leitungsorgan zur aktuellen und künftigen Gesamtrisikobereitschaft und -strategie des Instituts beraten und dabei helfen, die Umsetzung dieser Strategie durch die Geschäftsleitung zu beaufsichtigen.51 Die Institute müssen zudem grundsätzlich einen Prüfungsausschuss einrichten, der u. a. die Wirksamkeit der unternehmensinternen Prozesse hinsichtlich der Finanzberichterstattung sowie der hierauf bezogenen Kontrollsysteme überwacht.52 Die zuständigen Behörden können einem „nicht bedeutenden“ Institut gestatten, den Risiko- und Prüfungsausschuss miteinander zu kombinieren.53 Weder die CRD IV noch MiFID II definieren, welche Institute „bedeutend“ im vorgenannten Sinne sind. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die jeweiligen Anknüpfungsschwellen zu definieren, unter denen die strengeren GovernanceAnforderungen für bedeutende Institute Anwendung finden. In Deutschland werden Institute als „bedeutend“ angesehen, wenn deren Bilanzsumme in den letzten vier Geschäftsjahren EUR 15 Mrd. überschritten hat.54 Zudem gelten Institute als bedeutend, die der direkten Aufsicht der EZB unterliegen oder von der zuständigen Aufsichtsbehörde als „potenziell systemrelevant“55 eingestuft wurden.56 Das Vereinigte Königreich verfolgt dagegen ein stärker ausdifferenziertes Regelungskonzept. Ein Institut wird hier bislang57 als „bedeutend“ angesehen, wenn zumindest eine der folgenden Anforderungen erfüllt ist: (i) Das Gesamtvermögen (total assets) beträgt mindestens £ 530 Mio., (ii) die Gesamtverbindlichkeiten (total liabilities) betragen mindestens £ 380 Mio., (iii) die Vergütung, die das Institut für die Erbringung von regulierten Tätigkeiten erhält, beträgt mindestens £ 160 Mio. in dem jeweiligen Geschäftsjahr, (iv) das Institut hält Kundengelder (client money) im Umfang 50 Art. 88(2) Unterabs. 2 lit. a–d CRD. Zu den Unabhängigkeits- und Qualifikationsanforderungen des Nominierungsausschusses vgl. EBA, Leitlinien zur internen Governance (Fn. 30), Rn. 51 ff. Vgl. in Deutschland § 25d(11) KWG. Hierzu Henning/Gissing, AG 2018, 93, 96–98. 51 Art. 76(3) CRD. Vgl. auch Basler Ausschuss, Corporate governance principles (Fn. 2), Principle 3 Rn. 71. Die Aufgaben des Risikoausschusses wurden von der EBA in den Leitlinien zur internen Governance (Fn. 30), Rn. 60–63 in sehr granularer Art und Weise konkretisiert. 52 Vgl. Art. 41 der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates; EBA, Leitlinien zur internen Governance (Fn. 30), Rn. 63. Vgl. in Deutschland § 25d(11) KWG. 53 Art. 76(3) Unterabs. 4 CRD. Hierzu auch EBA, Leitlinien zur internen Governance (Fn. 30), Rn. 64–66. 54 § 1(1c) Satz 1 KWG (in der durch das Risikoreduzierungsgesetz angepassten Fassung). 55 Vgl. § 12 KWG. Hiervon sind namentlich G-SRI und A-SRI erfasst. 56 § 1(1c) Satz 2 KWG (in der durch das Risikoreduzierungsgesetz angepassten Fassung). 57 Daher vor Wirksamwerden etwaiger Anpassungen des UK-Regimes im Zuge des Brexit.
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270 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung von mindestens £ 425 Mio. oder (v) das Vermögen, das im Auftrag der Kunden im Zusammenhang mit der Erbringung von regulierten Tätigkeiten gehalten bzw. verwaltet wird, beträgt mindestens £ 7,8 Mrd.58 cc) Unabhängige Aufsichtsratsmitglieder 27
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Eine wichtige Rolle in der Governance-Diskussion spielt die Frage, ob bzw. in welchem Umfang Unternehmen „unabhängige“ Board- bzw. Aufsichtsratsmitglieder berufen sollen.59 Die Bestellung einer ausreichenden Zahl von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern wird als Bestandteil einer „guten Governance“ angesehen.60 Eine explizite gesetzliche Pflicht sieht allerdings weder das CRD/ CRR-Regime noch die MiFID II vor.61 Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die ESMA/EBA in ihren Gemeinsamen Leitlinien vorsehen, dass CRD-Institute von erheblicher Bedeutung bzw. börsennotierte Institute über ein Leitungsorgan in seiner Aufsichtsfunktion verfügen soll, das eine ausreichende Anzahl von unabhängigen Mitgliedern beinhaltet.62 CRD-Institute, die weder von erheblicher Bedeutung noch börsennotiert sind, sollten nach Ansicht der europäischen Behörden zumindest ein unabhängiges Mitglied im Leitungsorgan in seiner Aufsichtsfunktion aufweisen.63 Ein Aufsichtsratsmitglied ist nach der Konzeption der ESMA/EBA unabhängig, wenn dieses „keine aktuellen oder früheren Beziehungen oder Verbindungen jedweder Art zum CRD-Institut oder seiner Geschäftsleitung hat bzw. hatte, die das objektive und ausgewogene Urteil des Mitglieds beeinflussen könnten und die Fähigkeit des Mitglieds, Entscheidungen unabhängig zu treffen, beeinträchtigen könnten“.64 Es wird vermutet, dass ein Mitglied nicht unabhängig im vorgenannten Sinne ist, wenn es bei einem Unternehmen im Konsolidierungskreis des Instituts angestellt ist.65 Das Konzept der „Unabhängigkeit“ (being independent) einzelner Mitglieder der Leitungsorgane ist von der Anforderung der „Unvoreingenommenheit“ (independence of mind) gem. Art. 91 Abs. 8 CRD zu unterscheiden. Das Konzept der Unabhängigkeit beIFPRU 1.2.3 FCA Handbook. Hierzu mit Hinweisen auf das ökonomische Schrifttum Hopt, ZGR 2017, 438, 451. Vgl. etwa Basler Ausschuss, Corporate governance principles for Banks (2015), Rn. 47. Der Deutsche Corporate Governance Kodex sieht in Ziffer 5.4.2. vor, dass „dem Aufsichtsrat […] eine nach seiner Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören“ sollen. 61 Art. 91(8) CRD verlangt lediglich, dass die Leitungsorgane unvoreingenommen sind, s. u. (act with independence of mind). 62 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 89 bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 88. 63 Vgl. zu den Ausnahmen ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 89 lit. b. 64 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 81 bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 80. 65 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 91 lit. e. bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 89 lit. e. 58 59 60
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zieht sich auf die strukturelle Zusammensetzung des Leitungsorgans in seiner Aufsichtsfunktion (in Deutschland: des Aufsichtsrats), das nach Ansicht der ESMA/EBA eine bestimmte Anzahl von „unabhängigen“ Mitgliedern aufweisen muss. Demgegenüber ist die Anforderung der „Unvoreingenommenheit“ von sämtlichen Mitgliedern des Leitungsorgans zu erfüllen. Dieses Merkmal umschreibt die persönliche Fähigkeit der Mitglieder der Leitungsorgane zur eigenständigen und unabhängigen Urteilsbildung.66
Dieses Unabhängigkeitskriterium ist aus einer Reihe von Gründen problematisch: Den unionsrechtlichen Regelungsvorgaben lässt sich keine gesetzliche Pflicht zur Bestellung von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern entnehmen. Art. 39 der EU-Abschlussprüferrichtlinie67 sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass Mitgliedstaaten auf die Statuierung von Unabhängigkeitserfordernissen verzichten können.68 Auch aus rechtspolitischer Sicht erscheint der Ansatz der ESMA/EBA bedenklich. Denn empirische Befunde im rechtsökonomischen Schrifttum deuten darauf hin, dass die Unabhängigkeit des Board bzw. der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder kein entscheidendes Qualitätskriterium der Corporate Governance von Banken ist.69 Vor diesem Hintergrund liegt es in der Gestaltungsmacht der nationalen Mitgliedstaaten, strengere Unabhängigkeitsanforderungen an die Aufsichtsorgane zu statuieren, als dies in der Richtlinie 2006/34 vorgesehen ist. In Deutschland hat die BaFin erklärt, die Vorgaben der ESMA/EBA hinsichtlich der Berufung von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern nicht in die nationale Verwaltungspraxis zu übernehmen.70
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Ein weiterer kontrovers diskutierter Aspekt betrifft die Frage, ob Arbeitnehmervertreter als unabhängige Aufsichtsrats- bzw. Board-Mitglieder angesehen werden können.71 In der finalen Fassung der Gemeinsamen Leitlinien wurde klargestellt, dass die vorgenannte Vermutung72 keine Anwendung findet, wenn das Mitglied „im Zusammenhang mit einem System der Mitarbeitervertretung in die Aufsichtsfunktion gewählt [wurde] und das nationale Recht […] einen angemessenen Schutz vor missbräuchlicher Entlassung und sons-
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Vgl. auch Langenbucher, in: Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020, § 13 Rn. 37. 67 Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates (Abschlussprüfer-RL). 68 Gem. Art. 39(5) der Abschlussprüfer-RL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Kreditinstitute einen Prüfungsausschuss haben, wobei die Mehrheit der Mitglieder des Prüfungsausschusses von dem geprüften Unternehmen unabhängig sein soll. Sind alle Mitglieder des Prüfungsausschusses Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens, kann gem. Art. 39(5) der Mitgliedstaat vorsehen, dass der Prüfungsausschuss von den Unabhängigkeitsanforderungen befreit wird. 69 Hopt, ZGR 2017, 438, 451 m. w. N. in Fn. 75. 70 EBA/ESMA, Guidelines Compliance Table, EBA/GL/2017/12, 18.12.2019 (ESMA71– 99–598). 71 Vgl. hierzu Baums, ZHR 180 (2016), 697, 703–705; Staake, NZG 2016, 853. 72 Vgl. Rn. 29 (daher die Vermutung, dass Personen, die bei einem Unternehmen im Konsolidierungskreis angestellt sind, grundsätzlich als „nicht unabhängig“ angesehen werden). 66
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272 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung tiger ungerechtfertigter Behandlung“ vorsieht.73 Vor diesem Hintergrund sind Arbeitnehmervertreter grundsätzlich als „unabhängige“ Aufsichtsrats- bzw. Board-Mitglieder anzusehen.74
dd) Diversität 34
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Ein weiterer kontrovers diskutierter Aspekt, der erheblichen Einfluss auf die Besetzung der Leitungsorgane hat, betrifft die unionsrechtlichen Vorgaben an die Diversität des Leitungsorgans.75 Gem. Art. 91 Abs. 10 CRD verlangen die Mitgliedstaaten bzw. die zuständigen Behörden von den Instituten und deren Nominierungsausschüssen, dass sie bei der Berufung von Mitgliedern in das Leitungsorgan auf eine große Bandbreite von Eigenschaften und Fähigkeiten achten und zu diesem Zweck eine Politik der Förderung von Diversität innerhalb des Leitungsorgans verfolgen. Diese Diversitätsanforderungen sollen einem Gruppendenken (groupthink) entgegenwirken.76 Dies basiert auf der Annahme, dass divers besetzte Leitungsorgane zu einer umsichtigen Unternehmensleitung und -kontrolle beitragen und der Begründung von exzessiven Risiken entgegenwirken.77 Dem Kriterium der Diversität liegt ein mehrdimensionales Regelungskonzept zugrunde. Als Kriterien, die bei der Bewertung der Diversität zu berücksichtigen sind, werden u. a. das Alter, das Geschlecht, die geografische Herkunft, die Ausbildung und der berufliche Hintergrund der jeweiligen Mitglieder des Leitungsorgans genannt.78 Einzelheiten werden in den Gemeinsamen Leitlinien der ESMA/EBA konkretisiert.79
73 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 91 lit. e (i) und (ii) bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 89 lit. e (i) und (ii). Dies entspricht den Empfehlungen der Kommission, vgl. Annex II 1b der „Commission Recommendation of 15 February 2005 on the role of non-executive or supervisory directors of listed companies and on the committees of the (supervisory) board“ (2005/162/EC [2005] OJ L52/51). 74 Im deutschsprachigen Schrifttum ist umstritten, ob Arbeitnehmer als unabhängige Aufsichtsratsmitglieder im Sinne von § 100(5) AktG a. F. bzw. Ziffer 5.4.2 DCGK angesehen werden können. Weiterführend Baums, ZHR 180 (2016), 697, 703–705; Staake, NZG 2016, 853, 855. 75 Für eine kritische Analyse Enriques/Zetsche, 16 Theoretical Inquiries in Law (2015), 232. Siehe ferner Chiu, Regulating (From) the Inside, 2015, S. 190 ff. Zu den Diversitätsanforderungen vgl. ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 104–109 bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 102–108. 76 Erwägungsgrund (53) MiFID II: „To avoid group thinking and facilitate independent opinions and critical challenge, management bodies should therefore be sufficiently diverse as regards age, gender, geographic provenance and educational and professional background to present a variety of views and experiences“. 77 Die Bedeutung von „Diversität“ wird auch vom Basler Ausschuss betont. Vgl. Basler Ausschuss, Corporate governance principles (Fn. 2), Rn. 13. 78 Erwägungsgrund (53) MiFID II. 79 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 103–109. In den überarbeiteten Gemeinsamen Leitlinien (Fn. 34) werden die Anforderungen an die Diversität verschärft (vgl. Rn. 102 zur Förderung der Vertretung des unterrepräsentierten Geschlechts).
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3. Persönliche und kollektive Anforderungen an die Leitungsorgane a) Zeitliche Verfügbarkeit und Mandatsbegrenzungen
Von großer praktischer Bedeutung sind die aufsichtsrechtlichen Vorgaben an die zeitliche Verfügbarkeit der Leitungsorgane sowie an die hiermit im Zusammenhang stehenden Vorgaben an die Mandatsbegrenzungen. Allgemein gilt, dass die Mitglieder des Leitungsorgans für die Erfüllung ihrer Aufgaben in dem Institut ausreichend Zeit aufwenden müssen.80 Ohne konkrete zeitliche Schwellenwerte zu definieren, haben ESMA/EBA insgesamt 11 Kriterien81 identifiziert, die von den Instituten bei der Überprüfung des erforderlichen Zeitaufwands berücksichtigt werden sollen.82 Die Gemeinsamen Leitlinien sehen zudem umfangreiche Dokumentations- und Kontrollvorgaben hinsichtlich des bankinternen Überprüfungsprozesses vor.83 Im Zusammenhang mit den qualitativ ausgerichteten Vorgaben an die zeitliche Verfügbarkeit stehen die aufsichtsrechtlichen Mandatsbegrenzungen. Grundsätzlich darf ein Mitglied des Leitungsorgans eines Instituts von erheblicher Bedeutung nicht mehr als (i) ein Leitungsmandat mit zwei Aufsichtsmandaten oder alternativ (ii) vier Aufsichtsmandate innehaben.84 Die zuständigen Behörden können den Mitgliedern des Leitungsorgans erlauben, ein weiteres Aufsichtsmandat zu bekleiden.85 Mandate innerhalb einer Gruppe werden grundsätzlich als ein einzelnes Mandat gezählt (sog. Gruppenprivileg).86 Die Vorgaben der CRD bezüglich der Mandatsbegrenzungen werfen schwierige Auslegungsfragen auf, insbesondere hinsichtlich der Reichweite des vorgenannten Gruppenprivilegs.87 Von den europäischen Aufsichtsbehörden wird das Gruppenprivileg tendenziell weit ausgelegt. So sehen die Gemeinsamen Leitlinien vor, dass zur Bestimmung der „Gruppe“ auf den bilanzrechtlichen Konsolidierungskreis abgestellt werden kann.88 Diese Auslegung geht im AusArt. 91(2) CRD. Zu den relevanten Kriterien zählen beispielsweise die Anzahl der wahrgenommenen Mandate, die konkrete Position und Verantwortlichkeiten sowie die Anzahl der geplanten Sitzungen. 82 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 43 bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 41. 83 Wundenberg, 33 JIBLR (2018), 191, 198 f. 84 Art. 91(3) CRD. 85 Art. 91(6) CRD; Art. 9(2) MiFID II. 86 Art. 91(4)(a) CRD. Dies gilt ebenfalls für Institute, die (i) Mitglieder desselben institutsbezogenen Sicherungssystems sind, sofern die Voraussetzungen des Artikels 113(7) erfüllt sind, oder (ii) Unternehmen (einschließlich Nichtfinanzunternehmen), an denen das Institut eine qualifizierte Beteiligung hält. Vgl. zur Auslegung von Art. 91(4)(b)(ii) CRD die EBA Q&A 2014_1595, 13.11.2015, abrufbar unter: www.eba.europa.eu/single-rule-book-qa/-/ qna/view/publicId/2014_1595. 87 Zu den Einzelproblemen Wundenberg, 33 JIBLR (2018), 191, 198 f. 88 Vgl. die Definition der Gruppe auf S. 6 der Gemeinsamen Leitlinien (Verweis auf die Richtlinie 2013/34/EU). In diesem Sinne nun auch die Definition der „Gruppe“ in Art. 4(1) Nr. 138 CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 80 81
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274 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung gangspunkt weiter als der bisherige Regelungszugriff des deutschen Kreditwesengesetzes. Dieses sah bislang vor, dass grundsätzlich nur Mandate innerhalb des (engeren) aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreises (derselben Institutsgruppe bzw. Finanzholding-Gruppe) für das Gruppenprivileg berücksichtigt werden können.89 Im Zuge der Verabschiedung des Risikoreduzierungsgesetzes wurde vom deutschen Gesetzgeber anerkannt, dass für die Zwecke des Gruppenprivilegs auf den bilanzrechtlichen Gruppenbegriff abzustellen ist.90 In diesem Zusammenhang hat der deutsche Gesetzgeber zudem klargestellt, dass entgegen der bisherigen nationalen Aufsichtspraxis zum Zwecke der „Harmonisierung innerhalb des SSM“91 eine sog. „Überkreuzzusammenrechnung“ von Geschäftsleiter- und Aufsichtsratsmandaten innerhalb der Gruppe zulässig ist.92 Hiermit wird eine Konstellation umschrieben, in der innerhalb einer Gruppe von einem Mitglied des Leitungsorgans sowohl (mehrere) Geschäftsleitermandate als auch Aufsichtsratsmandate gehalten werden. Im Einklang mit den Leitlinien der EZB93 können diese nunmehr zusammen als ein Geschäftsleitermandat gewertet werden. b) Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen 39
Die vom Unionsgesetzgeber von den Mitgliedern der Leitungsorgane geforderten „Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen“ wurden von ESMA/EBA in einer prinzipienbasierten Art und Weise konkretisiert. Allgemein gilt, dass die Mitglieder des Leitungsorgans ein „aktuelles Verständnis von dem Geschäft des Instituts und seinen Risiken entsprechend ihren Verantwortlichkeiten besitzen sollen“.94 Dies beinhaltet auch ein Verständnis von denjenigen Bereichen, für die das einzelne Mitglied nach der Geschäftsorganisation nicht unmittelbar verantwortlich ist.95 Die Gemeinsamen Leitlinien enthalten eine Liste von insgesamt 16 (nicht abschließenden) Kriterien, die die Institute nach Auffassung der ESMA/EBA heranziehen sollen, um die Fähigkeit der Mitglieder des Leitungsorgans zu bewerten.96 Hierzu zählen schwer greifbare Faktoren wie die „Au§§ 25c(2) Satz 3 KWG, 25d(3) Satz 2 KWG. § 25c(2) Satz 3 Nr. 1 KWG bzw. § 25d(3) Satz 3 Nr. 1 KWG i. V. m. Art. 4(1) Nr. 138 CRR (der auf den Gruppenbegriff in der Bilanz-RL verweist). Diese Anpassung wurde in den überarbeiteten Leitlinien der BaFin zu den Geschäftsleiterpflichten vom Dezember 2020 noch nicht berücksichtigt. Zum aufsichtsrechtlichen Gruppenbegriff noch §§ 15, 16. 91 So die Gesetzesbegründung zu § 25c(2) Satz 4 und 5 KWG n. F. Vgl. die BT-Drucks. 19/ 22786, S. 161. 92 § 25c(2) Satz 4 und 5 KWG n. F. bzw. § 25d(3) Satz 4 und 5 KWG n. F. 93 EZB-Leitlinien (Fn. 32), S. 19 f. 94 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 58 bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 56. 95 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 58 bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 56. Diese Anforderungen dürften sich allerdings schon aus allgemeinen gesellschafts- und aufsichtsrechtlichen Grundsätzen (Gesamtverantwortung der Geschäftsleitung) ergeben. 96 Anhang II der Gemeinsamen Leitlinien (Fn. 29) bzw. der überarbeiteten Gemeinsamen Leitlinien (Fn. 34). 89 90
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thentizität“, „Entschlossenheit“, „Loyalität“, „äußeres Bewusstsein“, „strategischer Scharfsinn“ sowie das „Verantwortungsgefühl“ der Mitglieder. In der Praxis sind diese Kriterien mitunter schwer handhabbar. Dies gilt umso mehr, als eine Reihe dieser Kriterien wie beispielsweise die „Authentizität“ oder „Loyalität“ persönliche Charaktereigenschaften sind, die sich einer objektiven Bewertung entziehen. Zu Recht wurde in diesem Zusammenhang auf die Gefahr einer „overemphasis on character“97 hingewiesen. Es zeichnet sich ab, dass die oben genannten qualitativen Kriterien in den Prüfungsprozessen durch formale Scoring-Modelle abgebildet werden. Dies birgt die Gefahr, dass die unternehmensinterne Bewertung zu einem mechanischen „tick-the-box“-Ansatz verkommt (was der eigentlichen gesetzgeberischen Intention widerspricht). Bezüglich der geforderten praktischen Erfahrungen statuieren weder die europäischen Regelungsvorgaben noch die Gemeinsamen Leitlinien der ESMA/ EBA feste Schwellenwerte, ab denen von einer ausreichenden Erfahrung eines Mitglieds eines Leitungsorgans ausgegangen werden kann. Dagegen verfolgen die EZB-Leitlinien (anwendbar für bedeutende Institute unter der direkten Aufsicht der EZB) einen zweistufigen Prüfungsansatz („two-stage approach“98): In einem ersten Schritt wird die Erfahrung anhand festgelegter Schwellenwerte bewertet, bei denen eine ausreichende Erfahrung vermutet wird. Beispielsweise geht die EZB davon aus, dass für eine CEO-Position eine ausreichende Erfahrung jedenfalls dann besteht, wenn der Kandidat praktische Erfahrung von 10 Jahren in den Bereichen des Banken- bzw. Finanzsektors aufweist, wobei ein erheblicher Anteil davon in leitender Position (senior management positions) ausgeübt worden sein muss. Dieser Regelungszugriff der EZB weicht von der derzeitigen Verwaltungspraxis in zahlreichen Mitgliedstaaten – einschließlich Deutschland – ab. Nach deutschem Recht wird eine fachliche Eignung regelmäßig dann angenommen, wenn eine dreijährige leitende Tätigkeit bei einem Institut von vergleichbarer Größe und Geschäftsart nachgewiesen wird.99 Die vorgenannten Schwellenwerte der EZB sollten daher keine Anwendung finden, wenn diese nicht mit dem nationalen Aufsichtsrecht in dem betreffenden Mitgliedstaat im Einklang stehen. In der praktischen Rechtsanwendung ist zu beobachten, dass sich die Verwaltungspraktiken bezüglich der Eignungsprüfung sowohl hinsichtlich des Verfahrens als auch der geforderten fachlichen Eignung100 in den Mitgliedstaaten noch unterscheiden.101 In Deutschland wird bei Banken von der Mülbert/Wilhelm, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, § 6.79 ff. 98 EZB-Leitlinien (Fn. 32), Rn. 4.1. 99 § 25c(1) Satz 3 KWG. 100 Dies gilt insbesondere hinsichtlich der geforderten praktischen Kenntnisse der Geschäftsleiter. 101 Zu den Verfahrensmodalitäten unten Rn. 54 ff. 97
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276 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung BaFin traditionell ein starker Fokus auf die Kreditkompetenz der potenziellen Geschäftsleiter gelegt.102 c) Kollektive Eignung 44
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Die vorgenannten Anforderungen an die fachliche und persönliche Eignung sind im Ausgangspunkt von jedem Mitglied des Leitungsorgans zu erfüllen. Es werden vom europäischen Gesetzgeber allerdings auch Vorgaben an die kollektive Eignung des gesamten Leitungsorgans aufgestellt. So soll die Zusammensetzung des Leitungsorgans nach den unionsrechtlichen Vorgaben kollektiv über die „zum Verständnis der Tätigkeiten des Instituts samt seiner Hauptrisiken notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung“ verfügen.103 Es soll zudem „insgesamt“ ein angemessen breites Spektrum an Erfahrung widerspiegeln.104 Konzeptionell stehen die Anforderungen an die kollektive Eignung im Zusammenhang mit den Diversitätsanforderungen, die jeweils einem Gruppendenken (groupthink) innerhalb des Leitungsorgans entgegenwirken sollen. Diese Anforderungen an die kollektive Eignung der Geschäftsleitung wurden vom deutschen Gesetzgeber im Zuge der Umsetzung des Bankenpakets ausdrücklich im KWG verankert.105 Die konkreten Anforderungen der kollektiven Eignung werden vom europäischen Gesetzgeber nicht näher spezifiziert. Zur Konkretisierung der Qualifikations- und Zuverlässigkeitsanforderungen haben die ESMA/EBA eine außerordentlich detaillierte Vorlage für eine „Matrix zur Beurteilung der kollektiven Kompetenzen von Mitgliedern des Leitungsorgans“ erarbeitet. Diese soll den Instituten als „Selbsteinschätzungstool“ zur Überprüfung der kollektiven Eignung der Mitglieder des Leitungsorgans dienen.106 Dieser Ansatz erscheint aus mehreren Gründen bedenklich. Zunächst ist bemerkenswert, dass die Matrix von der ESMA/EBA einerseits als Selbsteinschätzungstool konzipiert ist, die Aufsichtsbehörden aber gleichsam erwarten, dass die Ergebnisse dieses Einschätzungsprozesses den Behörden mitgeteilt werden.107 Hierfür ist keine Rechtsgrundlage in der CRD/CRR ersichtlich. Die Matrix führt zudem zu einem erheblichen bürokratischen Prüfungsund Dokumentationsaufwand, der jedenfalls für kleinere Institute nicht gerechtfertigt ist.
102 Vgl. BaFin, Merkblatt zu den Geschäftsleitern gemäß KWG, ZAG und KAGB, 29.12.2020, Rn. 101 (Berufserfahrung im Kreditgeschäft in aller Regel unverzichtbar). Zu Recht kritisch hierzu Schuster, in: Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 19 ff. und Rn. 31. 103 Art. 91(7) Satz 1 CRD. 104 Art. 91(7) Satz 2 CRD. 105 § 25c(1a) KWG (in der Fassung des Risikobegrenzungsgesetzes). 106 Annex I der Gemeinsamen Leitlinien (Fn. 29) bzw. der überarbeiteten Gemeinsamen Leitlinien (Fn. 34). 107 Wundenberg, 33 JIBLR (2018), 191, 198.
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d) Qualifikation und Zuverlässigkeit von Inhabern von Schlüsselpositionen (key function holders)
Die unionsrechtlichen Anforderungen an die Qualifikation und Zuverlässigkeit richten sich an die Mitglieder des „Leitungsorgans“, d. h. in einem dualistischen Modell wie in Deutschland an die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats. Demgegenüber sollen nach den Leitlinien der ESMA/EBA diese Anforderungen auch für bestimmte Personen mit Schlüsselfunktionen („key function holders“) unterhalb der Organebene Anwendung finden. Insbesondere soll die Eignung der Leiter von internen Kontrollfunktionen sowie des CFOs von der zuständigen Behörde geprüft werden, auch wenn diese Personen nicht zum Leitungsorgan gehören.108 Dieser Regelungszugriff der ESMA/EBA ist bemerkenswert. Während in einzelnen Jurisdiktionen wie etwa dem Vereinigten Königreich schon seit langer Zeit bestimmte „approved persons“ unterhalb der Leitungsebene einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle unterliegen, werden in Deutschland von den Eignungsanforderungen im Ausgangspunkt nur Organmitglieder erfasst.109 Auch wenn eine Ausdehnung der fit-and-proper-Anforderungen auf bestimmte „key function holders“ rechtspolitisch sinnvoll sein mag, ist hierfür derzeit keine gesetzliche Grundlage im Unionsrecht ersichtlich. Es scheint daher zweifelhaft, ob die Gemeinsamen Leitlinien noch von dem der EBA in Art. 91 Abs. 12 CRD eingeräumten Mandat gedeckt sind. Eine aufsichtsrechtliche Eignungsprüfung von Inhabern von Schlüsselpositionen sollte deshalb nur dann Anwendung finden, wenn dies im nationalen Recht vorgesehen ist. In Deutschland hat die BaFin erklärt, die Vorgaben der ESMA/EBA hinsichtlich der behördlichen Eignungsprüfung von „key function holders“ unterhalb der Organebene nicht in die Verwaltungspraxis zu übernehmen.110 Etwas anderes gilt allerdings für die interne Prüfung der Eignung dieser Personen durch das jeweilige Institut. Im Zuge der Überarbeitung der BaFin-Leitlinien im Dezember 2020 wurde nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Eignung von Inhabern von Schlüsselpositionen vom Institut zu prüfen ist.111 Der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 sieht die Einführung von Regelungen hinsichtlich der internen und be108 ESMA/EBA, Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 171 und passim bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 172 und passim. 109 Gewisse Ausnahmen gelten für bestimmte Funktionen wie den Compliance Officer. Vgl. dazu Wundenberg, in: Veil (Hrsg.), European Capital Markets Law, 2. Aufl. 2017, § 33 Rn. 47 ff. bzw. ders., in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 33 Rn. 40 f. 110 ESMA/EBA, Compliance Table (Fn. 70), S. 5. Allerdings sieht das im Juli 2021 verabschiedete Wertpapierinstitutsgesetz nunmehr eine gesetzliche behördliche Anzeigepflicht der Absicht der Besetzung einer Schlüsselposition bei sog. „großen Wertpapierfirmen“ vor. Vgl. § 65 des neuen Wertpapierinstitutsgesetzes (WpIG). 111 BaFin, Merkblatt zu den Geschäftsleitern gemäß KWG, ZAG und KAGB, 29.12.2020, Rn. 192 ff. Rechtsdogmatisch verortet die BaFin dies unter dem Gesichtspunkt der angemessenen personellen Ausstattung des Instituts (§ 25a(1) Satz 3 Nr. 4 KWG).
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278 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung hördlichen Eignungsprüfung von Inhabern von Schlüsselpositionen in das CRD-Regime vor. 4. Aufgaben und Pflichten der Leitungsorgane 50
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Das Unionsrecht normiert verschiedene Aufgaben und Pflichten der Leitungsorgane. So sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass „das Leitungsorgan die Regelungen für die Unternehmensführung und -kontrolle, die die wirksame und umsichtige Führung des Instituts gewährleisten und u. a. eine Aufgabentrennung in der Organisation und die Vorbeugung von Interessenkonflikten vorsehen, festlegt, ihre Anwendung überwacht und dafür verantwortlich ist“.112 Bezüglich Wertpapierfirmen ordnet Art. 9 Abs. 3 MiFID II an, dass dies auf eine Weise zu erfolgen hat, „durch die die Integrität des Markts und die Interessen von Kunden gefördert werden“. Diese Grundsätze werden durch Art. 88 Abs. 1 Unterabs. 2 CRD näher spezifiziert, wonach das Leitungsorgan (i) die Umsetzung der strategischen Ziele, der Risikostrategie und der internen Führung und Kontrolle des Instituts genehmigen und überwachen, (ii) die Zuverlässigkeit der Systeme für Rechnungsführung und -legung sicherstellen, (iii) die Offenlegung und die Kommunikation überwachen sowie (iv) für die wirksame Überwachung der „Geschäftsleitung“ (senior management) verantwortlich sein soll.113 Für Wertpapierfirmen werden in Art. 9 Abs. 3 Unterabs. 2 MiFID II die Anforderungen der Leitungsorgane weiter spezifiziert. Hiernach soll diese Regelung gewährleisten, dass das Leitungsorgan für die Festlegung, die Annahme und die Überwachung u. a. der Firmenorganisation zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen sorgt. Schließlich verlangt Art. 91 Abs. 8 CRD, dass jedes Mitglied des Leitungsorgans aufrichtig, integer und „unvoreingenommen“ handelt, um die Entscheidungen der Geschäftsleitung wirksam zu beurteilen und erforderlichenfalls in Frage zu stellen und die Entscheidungsfindung der Geschäftsleitung wirksam zu kontrollieren und zu überwachen. In der Sache wird hiermit ein aufsichtsrechtlicher Sorgfaltsstandard (standard of care) für die Leitungsorgane formuliert.114 Der Regelungsansatz des europäischen Gesetzgebers ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert: Zum einen sind die vorgenannten Pflichten Bestandteil des Aufsichtsrechts. Die Einhaltung dieser Leitungspflichten wird folglich von den zuständigen Aufsichtsbehörden überwacht. Verstöße kön112 Art. 88(1) CRD sowie Art. 9(3) MiFID II. 113 Die letztgenannte Anforderung gem. Art. 88(1) Unterabs. 2 CRD ist ersichtlich auf mo-
nistische Systeme zugeschnitten. Dazu auch Mülbert/Wilhelm, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, § 6.46 ff. 114 Vgl. Binder, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), Regulation of EU Financial Markets, 2017, Rn. 3.33. Kritisch Enriques/Zetsche, 16 Theoretical Inquiries in Law (2015), 218, 228. Der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 sieht darüber hinausgehend vor, dass die Leitungsorgane die kurz-, mittel- und langfristigen ESG-Ziele berücksichtigen (vgl. Art. 87a bzw. Art. 91(4) CRD in der Fassung des Kommissionsentwurfs).
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nen mit Bußgeldern oder sonstigen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen geahndet werden.115 Die Governance-Anforderungen können zudem Auswirkungen auf die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder der Leitungsorgane haben.116 Zum anderen geht die Zielsetzung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen über die gesellschaftsrechtlichen Regelungen hinaus.117 Hiermit geht potenziell eine Verschärfung der Governance-Anforderungen der Institute einher.118 5. Überprüfung der Eignung der Leitungsorgane sowie Inhaber von Schlüsselpositionen
Das Verfahren, mit dem die Eignung der Leitungsorgane und ggf. Inhaber von Schlüsselpositionen von den Aufsichtsbehörden überprüft wird, ist bislang nur im Ansatz harmonisiert.119 Die Verwaltungspraxis weist in den Mitgliedstaaten deutliche Unterschiede auf. Es lassen sich zwei Grundmodelle unterscheiden: Während in einigen Mitgliedstaaten die Eignung ex ante festgestellt werden muss, bevor ein Leitungsorgan gesellschaftsrechtlich bestellt werden kann, wird in anderen Mitgliedstaaten die Eignung ex post nach Bestellung geprüft (zur Rechtslage in Deutschland vgl. Rn. 59).120 Wie erläutert, bestehen zudem Unterschiede hinsichtlich des personellen Anwendungsbereichs (Überprüfung nur von Mitgliedern der Leitungsorgane oder auch von sonstigen Inhabern von Schlüsselpositionen).121
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a) Unternehmensinterne Prüfung
Die primäre Verantwortung für die Prüfung der Eignung auf individueller und kollektiver Ebene liegt bei dem Institut selbst.122 Dies wurde vom europäischen Gesetzgeber im Zuge der Verabschiedung der CRD V ausdrücklich klargestellt.123 Eine solche Prüfung soll gem. den Gemeinsamen Leitlinien bei „wesentlichen Veränderungen“ der Zusammensetzung des Leitungsorgans erfolgen, 115 Hopt, in: Wymeersch et al. (Hrsg.), Financial Regulation and Supervision, 2012, Rn. 11.50: „most important enforcement dimension that is lacking for corporate governance of firms generally“. Vgl. auch Rn. 60 ff. 116 Vgl. unten Rn. 63 f. 117 Erwägungsgrund (53) CRD IV. Vgl. ebenfalls Art. 9(3) MiFID II, wonach „die Integrität des Markts und die Interessen von Kunden gefördert werden“ sollen. 118 Zum Verhältnis der aufsichtsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Governance-Anforderungen etwa Binder, ZGR 2018, 88–125. 119 Weiterführend Wundenberg, 33 JIBLR (2018), 191, 198. 120 Impact Assessment der Gemeinsamen Leitlinien (Fn. 29), S. 72 ff. Zur Rechtslage in Deutschland vgl. unten Rn. 59. 121 Übersicht der Unterschiede in dem Impact Assessment der Gemeinsamen Leitlinien (Fn. 29), S. 78–81. 122 Dies wird in den ESMA/EBA Guidelines besonders betont, vgl. Gemeinsame Leitlinien (Fn. 29), Rn. 24–40, 135–169 bzw. überarbeitete Gemeinsame Leitlinien (Fn. 34), Rn. 22–38, 134–170. Ebenfalls EZB-Leitlinien (Fn. 32), Ziffer 3 (principle 1). 123 Art. 91(1) CRD (in der durch CRD V angepassten Fassung).
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280 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung insbesondere bei der Bestellung neuer Mitglieder. Nach Ansicht der ESMA/EBA soll die Eignung auf individueller und kollektiver Ebene zudem periodisch und anlassunabhängig durchgeführt werden, wobei zumindest bei „bedeutenden“ Instituten eine jährliche Selbstüberprüfung erwartet wird. b) Prüfung durch die zuständigen Behörden 57
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Der ursprüngliche Entwurf der Gemeinsamen Leitlinien sah eine umfassende Harmonisierung des behördlichen Überprüfungsverfahrens vor. Die behördliche Eignungsprüfung sollte zwingend auf einer Ex-ante-Basis, also vor der gesellschaftsrechtlichen Bestellung des Leitungsorgans, erfolgen. Dieser Ansatz wurde zu Recht von verschiedenen Stakeholdern im Konsultationsprozess kritisiert, da im Unionsrecht derzeit keine Grundlage für eine derart weitreichende Harmonisierung der Aufsichtsprozesse ersichtlich ist. Die finale Fassung der Gemeinsamen Leitlinien verfolgt nunmehr einen „neutralen“ Ansatz. Es liegt damit weiterhin in der Entscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten bzw. der nationalen Aufsichtsbehörden, ob die Eignung auf Exante- oder Ex-post-Basis überprüft werden soll. Der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 sieht die Einführung einer zwingenden behördlichen Ex-anteBeurteilung der Leitungsorgane von bestimmten (großen) Instituten vor (vgl. Art. 91b Abs. 8 CRD in der Fassung des Kommissionsentwurfs). In Deutschland hängt das Verfahren davon ab, ob Mitglieder der Geschäftsleitung (Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer etc.) oder Mitglieder des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans (insbesondere Aufsichtsratsmitglieder) bestellt werden. Die Absicht der Bestellung eines Geschäftsleiters ist „unverzüglich“ anzuzeigen.124 Auch wenn dies nicht ausdrücklich im Kreditwesengesetz normiert ist, erwarten die nationalen Aufsichtsbehörden, dass die Geschäftsleiterbestellung erst nach Freigabe durch die zuständige Behörde wirksam wird (Exante-Prinzip). Die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern ist der zuständigen Behörde unverzüglich nach Wirksamwerden der Bestellung anzuzeigen (Ex-post-Prinzip).125 In beiden Fällen sind die Tatsachen, die zur Beurteilung ihrer Zuverlässigkeit, Sachkunde und der ausreichenden zeitlichen Verfügbarkeit für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendig sind, der Anzeige beizufügen. Die Formulare sind auf der Homepage der BaFin abrufbar.126
124 § 24(1) Nr. 1 KWG. Für Wertpapierinstitute wurde die Rechtslage durch das im Juli 2021 verabschiedete Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG) umgestaltet. Gem. § 64 WpIG ist der Vollzug der Bestellung eines Geschäftsleiters oder eines Mitglieds des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans anzuzeigen (Ex-post-Prinzip). Das neue prudenzielle Regime von Wertpapierfirmen geht über den Gegenstand dieses Buches hinaus. 125 § 24(1) Nr. 15 KWG. 126 Für die Geschäftsleiterbestellung abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/ Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/mb_geschaeftsleiter_KWG_ZAG_KAGB.html; für die Bestellung der Aufsichtsorgane abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroef fentlichungen/DE/Merkblatt/mb_verwaltungs-aufsichtsorgane_KWG_KAGB.html.
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IV. Sanktionen 1. Administrative Sanktionen
Als Konsequenz der Finanzkrise wurde das behördliche Sanktionsregime erheblich gestärkt.127 Sowohl die CRD IV als auch MiFID II enthalten jeweils einen eigenen Abschnitt, der sich mit den Sanktions- und Durchsetzungskompetenzen der zuständigen Behörden befasst.128 Das Unionsrecht sieht vor, dass die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen bestimmte Governance-Anforderungen (neben weiteren Sanktionen) Geldbußen von mindestens bis zu 10 % des jährlichen Gesamtumsatzes bei juristischen Personen bzw. EUR 5 Mio. bei natürlichen Personen verhängen können.129 Dies betrifft etwa eine Konstellation, in der Personen als Mitglied des Leitungsorgans berufen wurden, die nicht die weiter oben erläuterten Eignungsanforderungen gem. Art. 91 CRD erfüllen.130 In diesen Fällen sind die zuständigen Behörden zudem befugt, das betreffende Mitglied des Leitungsorgans abzuberufen.131 In Deutschland ergibt sich ein Recht zur Abberufung bzw. der Aussprache eines Tätigkeitsverbots von Geschäftsleitern bzw. Mitgliedern des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans aus § 36 KWG. Ferner kann als Ultima-ratio-Maßnahme dem Institut dessen Bankerlaubnis entzogen werden.132
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2. Zivilrechtliche Sanktionen
Von den administrativen Sanktionen sind zivilrechtliche Sanktionen (etwa Schadensersatzansprüche) zu unterscheiden, die gegen das Institut oder deren Leitungsorgane verhängt werden. Das Unionsrecht enthält keine Vorgaben an die zivilrechtliche Verantwortlichkeit. Nichtdestotrotz können sich die aufsichtsrechtlichen Governance-Anforderungen auf die zivilrechtliche Haftung der Leitungsorgane auswirken. Beispielsweise ist es in Mitgliedstaaten wie etwa Deutschland anerkannt, dass Verstöße gegen regulatorische Anforderungen im Außenverhältnis gleichzeitig eine Pflichtverletzung im organschaftlichen Binnenverhältnis begründen (sog. Legalitätsprinzip).133 Derartige Pflichtverletzungen im
127 Vgl. dazu den De-Larosière-Bericht, insbesondere Rn. 83 ff. 128 Art. 64–72 CRD; Art. 56–78 MiFID II. 129 Art. 67(1) lit. d CRD (Regelungen für die Unternehmensführung gem. Art. 74 CRD),
Art. 67(1) lit. d CRD (Anforderungen gem. Art. 91 CRD) i. V. m. Art. 67(2) lit. e und f CRD. 130 Art. 67(1) lit. p CRD i. V. m. Art. 67(2) lit. e und f CRD. 131 Art. 91(1) Unterabs. 2 CRD (in der durch CRD V reformierten Fassung). 132 Art. 67(1) lit. d CRD (Regelungen für die Unternehmensführung gem. Art. 74 CRD), Art. 67(1) lit. d CRD (Anforderungen gem. Art. 91 CRD) i. V. m. Art. 67(2) lit. c CRD. 133 Sog. externe Legalitätspflicht, vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2019, § 93 Rn. 28 ff.
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282 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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Innenverhältnis können u. a. Schadensersatzansprüche des Instituts gegenüber dem Geschäftsleiter auslösen (§§ 93 Abs. 2 AktG, 43 Abs. 2 GmbHG).134 Inwieweit Verstöße gegen die oben erörterten persönlichen Anforderungen der Geschäftsleiter Auswirkungen auf die Wirksamkeit der zivilrechtlichen Organbestellung haben, ist eine Frage des jeweiligen nationalen Rechts. In Deutschland führen Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Mandatsbegrenzungen nach zutreffender Ansicht weder zur Nichtigkeit noch zur Anfechtbarkeit der Organbestellung. Hierfür spricht, dass § 36 Abs. 3 KWG auch bei Verletzung der aufsichtsrechtlichen Inkompatibilitätsregelung von einer wirksamen Bestellung des Organmitglieds ausgeht. Denn ansonsten bedürfte es keiner Abberufung des Leitungsorgans durch die Aufsichtsbehörde.135 Die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Mandatsbegrenzungen ist zudem ausreichend durch die administrativen Sanktionen abgesichert (vgl. Rn. 60).
V. Vergütungsanforderungen 1. Überblick 65
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Die Vergütungsstrukturen im Bankensektor wurden im Nachgang der Finanzkrise von verschiedenen Seiten kritisiert.136 Der Vorwurf lautete, dass die seinerzeit bestehenden Vergütungssysteme zum Eingehen von „übermäßigen Risiken animiert“ sowie „kurzfristiges Denken“ gefördert haben.137 Ferner wurde kritisiert, dass die Mitarbeiter von Instituten im Erfolgsfall zum Teil sehr hohe Boni erhielten, bei Misserfolg aber nicht in gleicher Weise Nachteile hinzunehmen hatten.138 Der De-Larosière-Bericht zog daraus den Schluss, dass „vergütungsbezogene Anreize besser mit den Aktionärsinteressen und der langfristigen Rentabilität des Gesamtunternehmens in Einklang gebracht werden müssen“.139 Vom Financial Stability Board (FSB) wurden im April bzw. September 2009 Prinzipien für solide Vergütungspraktiken (Principles for Sound Compensation
134 Inwieweit sich die Leitungsorgane auf die Grundsätze der Business Judgment Rule beru-
fen können, ist bislang ungeklärt. Dazu Mülbert/Wilhelm, in: Bush/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, § 6.68 ff. 135 In diesem Sinne auch Verse, in: Lutter/Krieger/Verse (Hrsg.), Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, § 21 Rn. 1501 (mit Hinweis auf die Gegenansichten). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der aufsichtsrechtliche Verstoß zugleich eine Verletzung von § 105(1) AktG begründet, was analog § 250(1) Nr. 4 AktG nach herrschender Ansicht zur Nichtigkeit der Bestellung führt. 136 Vgl. etwa den De-Larosière-Bericht, Rn. 24, 117 ff.; Financial Stability Forum, FSF Principles for Sound Compensation Practices, 2.5.2009, S. 1 (abrufbar unter: https://www.fsb.org/ wp-content/uploads/r_0904b.pdf). Siehe ferner Erwägungsgrund (1) CRD III. 137 De-Larosière-Bericht, Rn. 117. 138 Zu diesem Aspekt der „asymmetrischen“ Chancen- und Risikoverteilung Glasow, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 12 Rn. 5 m. w. N. 139 De-Larosière-Bericht, Empfehlung 11 (S. 36).
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Practices)140 sowie Umsetzungsstandards (Implementation Standards)141 erarbeitet. Diese wurden durch eine Verlautbarung im Jahre 2018 ergänzt.142 Die vom FSB entwickelten Standards bilden bis heute den konzeptionellen Rahmen für das aufsichtsrechtliche Vergütungsregime.143 Der FSB hat ferner eine umfassende Übersicht144 über die in den verschiedenen Jurisdiktionen anzutreffenden rechtlichen Vorgaben und Aufsichtsgrundsätze hinsichtlich der Vergütung veröffentlicht.145 Die Anforderungen an die Vergütung wurden in das Unionsrecht durch die am 24. November 2010 verabschiedete CRD III eingeführt.146 Diese wurden im Zuge der Implementierung des CRD-IV-Pakets weiterentwickelt und ergänzt. Durch die CRD V wurden weitere Anpassungen an das aufsichtsrechtliche Vergütungsregime vorgenommen.147 Zudem wurde für Wertpapierfirmen, die zukünftig nicht mehr dem Anwendungsbereich der CRD/CRR unterliegen, ein eigenständiges (hier nicht näher behandeltes) Vergütungsregime geschaffen (vgl. Art. 30 ff. Wertpapierfirmen-Richtlinie; § 46 WpIG). Die Vergütung der Organmitglieder (Geschäftsleiter und ggf. Aufsichtsräte) wird nicht nur durch das Aufsichtsrecht, sondern auch durch das je nach Gesellschaftsform einschlägige Gesellschaftsrecht sowie das Arbeitsrecht reguliert.148 Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen gehen allerdings über die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben hinaus und überlagern diese.149 Zudem richtet sich das Aufsichtsrecht nicht nur an die Organmitglieder der Institute, sondern auch an Mitarbeiter nachgeordneter Hierarchieebenen.150 Insgesamt hat sich das Vergütungsregime zu einer außerordentlich komplexen Spezialmaterie entwickelt. Im Folgenden können lediglich die Grundzüge erörtert werden.151 Die vergütungsbezogenen Offenlegungsanforderungen werden in § 14 Rn. 27 ff. behandelt. 140 FSB Principles for Sound Compensation Practices, 2.5.2009 (abrufbar unter: https:// www.fsb.org/wp-content/uploads/r_0904b.pdf). 141 FSB Principles for Sound Compensation Practices – Implementation Standards, 25.9.2009 (abrufbar unter: https://www.fsb.org/wp-content/uploads/r_090925c.pdf). 142 Supplementary Guidance to the FSB Principles and Standards on Sound Compensation Practices (abrufbar unter: https://www.fsb.org/wp-content/uploads/P090318–1.pdf). 143 Ähnlich Glasow, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 12 Rn. 2 („internationaler Referenzpunkt“). 144 De-Larosière-Bericht, Empfehlung 11 (S. 36). 145 Diese ist abrufbar unter: https://www.fsb.org/wp-content/uploads/P170619–2.pdf. 146 Vgl. dazu § 2 Rn. 43 ff. 147 Siehe unten Rn. 81 ff. 148 Vgl. in Deutschland insbesondere § 87 AktG. 149 Zum Verhältnis der gesellschafts- und aufsichtsrechtlichen Vergütungsregeln Duplois, Die Beeinflussung aktienrechtlicher Corporate Governance durch das Bankenaufsichtsrecht, 2017, S. 177 ff. 150 Vgl. unten Rn. 75 ff. 151 Für Einzelheiten vgl. etwa Buscher et al., Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten, 2. Aufl. 2018; Annuß/Früh/Hasse, Institutsvergütungsverordnung, 2016; Glasow, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 12.
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284 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 2. Rechtsgrundlagen a) Unionsrecht 70
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Die Anforderungen an die Vergütung sind in Art. 92 ff. CRD normiert. Sie werden durch verschiedene Stufe-2-Maßnahmen152 sowie durch Verlautbarungen der EBA153 auf Stufe 3 des europäischen Gesetzgebungsprozesses konkretisiert. Neben den allgemeinen Anforderungen an die Vergütung der Mitarbeiter der Institute enthält das Unionsrecht zudem „verhaltensbezogene“ Vergütungsanforderungen im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen (insbesondere hinsichtlich der Gewährung von Zuwendungen, sog. inducements). Diese sind in der MiFID II sowie einer Delegierten Verordnung geregelt.154 In Deutschland wurden die verhaltensbezogenen Vergütungsanforderungen in § 70 WpHG umgesetzt und von der BaFin in den MaComp näher konkretisiert.155 b) Nationales Recht
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Das europäische Recht überlässt den Mitgliedstaaten einen erheblichen Umsetzungsspielraum. Die Vergütungsregime weisen in den Mitgliedstaaten signifikante Unterschiede auf.156 Die folgenden Erörterungen fokussieren sich auf die Umsetzung in Deutschland. Die aufsichtsrechtlichen Vorgaben an die Vergütung sind in Deutschland zum einen in § 25a KWG157 umgesetzt; es handelt sich insoweit um einen Bestandteil des institutsinternen Risikomanagements. Auf Basis von § 25a Abs. 6 KWG wurde vom Bundesministerium der Finanzen ferner die Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV) erlassen. Diese wird durch Auslegungshinweise der BaFin näher ausgeführt.158 152 Vgl. hierzu § 14 Rn. 28. 153 Vgl. insbesondere EBA, Leitlinien an eine solide Vergütungspolitik, EBA/GL/2015/22,
12.12.2015. Am 2.7.2021 hat die EBA überarbeitete Leitlinien veröffentlicht, vgl. EBA, Guidelines on sound remuneration policies under Directive 2013/36/EU, EBA/GL/2021/04, 2.7.2021. 154 Vgl. Art. 40 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565. 155 BaFin, Rundschreiben 05/2018 (WA) – Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten – MaComp, BT 10 (zum Aufwendungsverzeichnis). 156 Vgl. im Zusammenhang mit der Umsetzung des Proportionalitätsprinzips bei den Vergütungsanforderungen EBA, Review of the Application of the Principle of Proportionality to the Remuneration Provisions in Directive 2013/36/EU, EBA-Op-2016–20 (abrufbar unter: https://eba.europa.eu/documents/10180/1667706/EBA+Opinion+on+the+application+of+ the+principle+of+proportionality+to+the+remuneration+provisions+in+Dir+2013+36+EU+ %28EBA-2016-Op-20%29.pdf). Dazu auch Glasow, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 12 Rn. 18. 157 § 25a(1) Satz 3 Nr. 6 KWG bzw. § 25a(5)–(5c) KWG. 158 BaFin, Auslegungshilfe zur Institutsvergütungsverordnung (Stand: 15.2.2018), abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Auslegungsentscheidung/dl_180216 _ae_institutsv.pdf?__blob=publicationFile&v=2.
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Die Vergütungssysteme werden zudem durch das einschlägige Gesellschaftsrecht erfasst. Für Banken-Aktiengesellschaften sind namentlich die Vorgaben gem. § 87 Abs. 1 AktG zu beachten.
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3. Anforderungen an die Vergütungsstrukturen a) Gebot der angemessenen Vergütungssysteme
Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütung sind Bestandteil des institutsinternen Risikomanagements. Im Unionsrecht wird dies dahingehend konkretisiert, dass die Vergütungspolitik mit einem „soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar“ sein muss und nicht zur Übernahme von Risiken ermutigen soll, die „über das von dem Institut tolerierte Maß hinausgehen“.159 Die Vergütungspolitik muss ferner mit den Geschäftsstrategien, den Zielen, Werten und langfristigen Interessen des Instituts im Einklang stehen und Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten beinhalten.160 Vom deutschen Gesetzgeber wurde dieses vergütungsrechtliche Grundprinzip dahingehend konkretisiert, dass das Risikomanagement der Institute über „angemessene, transparente und auf eine nachhaltige Entwicklung des Instituts ausgerichtete Vergütungssysteme für Geschäftsleiter und Mitarbeiter“ verfügen muss.161 Einzelheiten werden u. a. in § 4 und § 5 der InstitutsVergV geregelt.
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b) Verhältnis zwischen fixer und variabler Vergütung
Einen zentralen Baustein der Vergütungsanforderungen bilden die Anforderungen, die das Verhältnis der fixen und variablen Vergütung regeln. Dieser Komplex hat verschiedene Facetten. Besteht die Vergütung aus einer variablen und einer fixen Vergütung, müssen diese in einem „angemessenen Verhältnis“ zueinander stehen. Diese Grundregel wird vom europäischen Gesetzgeber dahingehend konkretisiert, dass der variable Bestandteil 100 % des festen Bestandteils der Gesamtvergütung für jede einzelne Person nicht überschreiten darf, wobei die Mitgliedstaaten einen niedrigeren Höchstsatz festlegen können.162 Das Unionsrecht gewährt den Mitgliedstaaten ferner ein Wahlrecht, den Anteilseignern des Instituts zu gestatten, einen höheren Höchstwert für das Verhältnis zwischen dem festen und dem variablen Bestandteil der Vergütung zu billigen, sofern der variable Bestandteil insgesamt 200 % des festen Bestandteils der Gesamtvergütung für jede einzelne Person nicht überschreitet („Bonus Cap“).163 Der deutsche Gesetzgeber hat dieses Wahlrecht in § 25a Abs. 5 KWG dahingehend ausgeübt, dass die variable Vergütung jeweils 100 % der fixen Vergütung für jeden einzelnen Geschäftsleiter nicht überschreiten darf; mit Beschluss können die Anteilseigner eine vari159 160 161 162 163
Art. 92(2) lit. a CRD. Art. 92(2) lit. b CRD. § 25a(1) Satz 3 Nr. 5 KWG. Allgemein zu Optionen und Wahlrechten im Single Rulebook § 4 Rn. 48 ff. Art. 94(1) lit. g Ziffer (i) und (ii) CRD.
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286 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung able Vergütung von bis zu 200 % der fixen Vergütung billigen.164 Mit den Mitgliedern des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans dürfen demgegenüber keine variablen Vergütungsbestandteile vereinbart werden.165 c) Proportionalitätsgrundsatz; besondere Anforderungen an „Risikoträger“ 79
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Neben den grundsätzlich für alle Institute166 geltenden allgemeinen Anforderungen sind für die Vergütungssysteme von Risikoträgern in „bedeutenden Instituten“ besondere Anforderungen zu beachten (vgl. §§ 18 bis 26 InstitutsVergV). Die Definition eines „bedeutenden Instituts“ ergibt sich seit Umsetzung des Risikobegrenzungsgesetzes nunmehr im Ausgangspunkt für das gesamte Kreditwesengesetz einheitlich aus § 1 Abs. 3c KWG (vgl. Rn. 26). Hinsichtlich der variablen Vergütung von sog. „Risikoträgern“ (hierzu Rn. 83 f. sowie § 14 Rn. 28 ff.) von bedeutenden Instituten muss ein gewisser Teil (mindestens 40 %) über einen Zurückbehaltungszeitraum von mindestens drei Jahren (nach Umsetzung von CRD V: mindestens vier Jahren) gestreckt werden.167 Ergibt eine nachträgliche Prüfung, dass die ursprüngliche Ermittlung der variablen Vergütung rückblickend nicht mehr als zutreffend erscheint, so ist die zurückbehaltene variable Vergütung entsprechend zu reduzieren (Malus-Regelung). Noch einen Schritt weiter geht die in § 18 Abs. 6 InstitutsVergV vorgesehene Möglichkeit von Rückforderungen von Teilen der Vergütung (Clawback): In den Fällen des § 18 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und 2 InstitutsVergV hat das Institut auf „Grundlage entsprechender Vereinbarungen mit den Risikoträgern eine bereits ausgezahlte variable Vergütung zurückzufordern und Ansprüche auf die Auszahlung variabler Vergütung zum Erlöschen zu bringen“. Eine solche Rückforderung von gewährten Vergütungen kommt nach den Auslegungshinweisen der BaFin allerdings in der Regel nur bei nachweisbar besonders schwerwiegenden persönlichen Verfehlungen und Fehlentscheidungen des Risikoträgers in Betracht.168 d) Anpassungen durch CRD V
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Das Vergütungsregime wurde durch die CRD V reformiert. Die Reformen verfolgen im Kern zwei Ziele. Zum einen sollen die bislang in den Mitgliedstaaten bestehenden Umsetzungsspielräume begrenzt werden, um die Aufsichtskonvergenz zu stärken.169 Zum anderen soll das Proportionalitätsprinzip bei der Regulierung der Institutsvergütung stärker betont werden.170 Den Mitgliedstaaten wird im begrenzten Umfang allerdings auch weiterhin die Möglichkeit ein164 § 25a(5) Satz 5 KWG. 165 § 25d(5) Satz 4 KWG. 166 § 1(1) InstitutsVergV. § 1(2) InstitutsVergV sieht bestimmte Ausnahmen für Kreditinsti-
tute nach nationalem Recht vor (also solche Institute, die keine CRR-Institute sind). 167 § 20(1) InstitutsVergV. 168 BaFin, Auslegungshinweise zur InstitutsVergV, § 20 (S. 65). 169 Erwägungsgrund (8) CRD V. 170 Erwägungsgrund (7) CRD V.
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geräumt, strengere Anforderungen aufzustellen, als dies unionsrechtlich vorgegeben ist.171 Es wird vom europäischen Gesetzgeber daher im Ausgangspunkt weiterhin ein Konzept der Mindestharmonisierung verfolgt. Die Reformen setzen an verschiedenen Stellschrauben an. Zum einen wurden vom europäischen Gesetzgeber die Voraussetzungen konkretisiert, unter denen Befreiungen von bestimmten „besonderen“ Anforderungen hinsichtlich der variablen Vergütung möglich sind. So sind solche Unternehmen von den Anforderungen an die Zurückbehaltung der variablen Vergütung sowie den Malus- und Clawback-Regelungen ausgenommen, die keine „großen Institute“ im Sinne der CRR sind172 und deren Vermögenswerte sich auf höchstens EUR 5 Mrd. belaufen. Gleiches gilt für Mitarbeiter, deren jährliche variable Vergütung nicht über EUR 50.000 hinausgeht und nicht mehr als ein Drittel der Gesamtvergütung des Mitarbeiters ausmacht.173 Allerdings können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen die vorgenannte Schwelle herabsetzen oder anheben, wobei der festgesetzte Schwellenwert einen Betrag von EUR 15 Mrd. nicht übersteigen darf.174 Das Unionsrecht sieht zudem vor, dass in allen CRR-Instituten (unabhängig von deren Größe oder Bedeutung) bei bestimmten Mitarbeiterkategorien zwingend eine Risikoträgereigenschaft anzunehmen ist.175 Den Mitgliedstaaten werden damit zusätzliche „Leitplanken“ bei der Ausgestaltung des nationalen Vergütungsregimes aufgestellt. Die neuen Regelungen hinsichtlich der Risikoträger wurden in Deutschland in § 25a Abs. 5a KWG umgesetzt. Diese stellen gegenüber der bisherigen Rechtslage eine deutliche Verschärfung dar, da die hieran anknüpfenden Regelungen nunmehr von allen CRR-Instituten zu erfüllen sind (und nicht nur wie nach bisheriger Rechtslage von bedeutenden Unternehmen). Zwingend als Risikoträger gelten nach Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben nunmehr die folgenden Personengruppen: (i) Geschäftsleiter und Mitglieder des Aufsichtsorgans; (ii) Mitarbeiter der unmittelbar der Geschäftsleitung nachgelagerten Führungsebene; (iii) Mitarbeiter mit Managementverantwortung für die Kontrollfunktionen oder die wesentlichen Geschäftsbereiche des Instituts; sowie (iv) Mitarbeiter, die im oder für das vorhergehende Geschäftsjahr Anspruch auf eine Vergütung in Höhe von mindestens EUR 500.000 hatten, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.176 Darüber hinaus haben bedeutende Institute auf Grundlage einer Risikoanalyse eigenverantwortlich alle weiteren Risikoträger zu ermitteln.177
171 Erwägungsgrund (8) CRD V. 172 Art. 4(1) Nr. 146 CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). Siehe zu diesem Be-
griffskonzept auch § 14 Rn. 10 ff. 173 Art. 94(3) CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung). 174 Art. 94(4) CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung). 175 Art. 94(3) CRD (in der durch CRD V geänderten Fassung). In Deutschland wurde dies in Abs. 25a(4b) KWG umgesetzt. 176 § 1(21) KWG und § 25a(5b) Satz 1 KWG (in der Fassung des Risikoreduzierungsgesetzes). 177 § 25a(5b) Satz 2 KWG.
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288 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 85
Die Vorgaben der CRD V lösen Anpassungsbedarf an der Institutsvergütungsverordnung aus. Die am 25. September 2021 in Kraft getretene überarbeitete InstitutsVergV sieht vor, dass hinsichtlich des vorgenannten Schwellenwerts für die Anwendung bestimmter Vergütungsanforderungen (vgl. Rn. 82) der zulässige Maximalbetrag beibehalten werden (EUR 15 Mrd.). Es werden auf Grundlage des Unionsrechts nunmehr allerdings auch verschiedene „qualifizierte“ nicht bedeutende Institute erfasst.178
VI. Fazit 86
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Als Reaktion auf die Finanzkrise wurde durch CRD IV/MiFID II ein umfassendes aufsichtsrechtliches Corporate-Governance-Regime für Banken und Finanzdienstleistungsinstitute eingeführt. Das aufsichtsrechtliche Regime hat Auswirkungen auf die Pflichten der Geschäftsleiter. Die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorgaben werden hierdurch aufsichtsrechtlich überlagert. Es hat sich ein „Aufsichtsgesellschaftsrecht“ für Banken etabliert, dessen Einhaltung von den Behörden überwacht wird. Das Governance-Regime ist weitgehend als Mindestharmonisierung konzipiert. Die aufsichtsrechtlichen Vorgaben zeichnen sich durch ein hohes Maß an tatbestandlicher Unbestimmtheit aus. Vor diesem Hintergrund kommt den von der ESMA/EBA erlassenen Gemeinsamen Leitlinien eine überragende Bedeutung zu. Das von den europäischen Aufsichtsbehörden verfolgte Ziel, die Verwaltungspraktiken im Zusammenhang mit den Governance-Anforderungen stärker zu harmonisieren, ist grundsätzlich zu begrüßen. Der von der ESMA/ EBA gewählte Regelungsansatz erscheint allerdings nicht unproblematisch. Zum einen führen die sehr granularen Einzelvorgaben zu einem hohen Dokumentations- und Prüfungsaufwand, der gerade kleinere Institute überfordern kann. Zum anderen gehen die in den Gemeinsamen Leitlinien normierten Anforderungen zum Teil – wie etwa hinsichtlich der Vorgaben an unabhängige Aufsichtsratsmitglieder bzw. an das behördliche Zulassungsverfahren von key function holders – über den unionsrechtlichen Rechtsrahmen hinaus. Eine weitere Rechtsvereinheitlichung sollte in diesen zentralen Bereichen dem europäischen Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Mit der Veröffentlichung des Kommissionsentwurfs vom Oktober 2021 wurden Schritte zur weitergehenden Harmonisierung des aufsichtsrechtlichen Governance-Regimes eingeleitet.
178 Art. 1(3) der Dritten Verordnung zur Änderung der Institutsvergütungsverordnung vom 24.9.2021 (BGBl. I 2021, S. 4308).
Abschnitt 3: Offenlegungsanforderungen und Markttransparenz § 13 Grundlagen Literatur: Bliss, Robert, Market Discipline in Financial Markets, in: Berger, Allen N. et al. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Banking, 2. Aufl. 2015, S. 568–588; Gilson, Ronald J./ Kraakman, Reinier H., The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Virginia Law Review (1984), 549–644; Parwardara, Jerry et al., The Impact of Pillar 3 Disclosure on Asymmetric Information and Liquidity in Bank Stocks: Multi-Country Evidence, Working Paper, 2015 (abrufbar unter: https://apo.org.au/node/67356); Stephanou, Constantinos, Rethinking Market Discipline in Banking, World Bank Policy Research Paper, 2010 (abrufbar unter: https://elibrary.worldbank.org/doi/abs/10.1596/1813–9450–5227).
I. Überblick: Anzeige- und Offenlegungsanforderungen Institute unterliegen verschiedenen aufsichtsrechtlichen Informationsanforderungen.1 Es kann zwischen Anzeige- bzw. Meldepflichten einerseits und regulatorischen Offenlegungsanforderungen andererseits unterschieden werden. Anzeige- bzw. Meldepflichten
1
Offenlegungspflichten
Adressat
Aufsichtsbehörden
Primär Marktteilnehmer
Zweck
Informationsversorgung der Aufsicht
Förderung der Marktdisziplin
Natur
Periodisch oder anlassbezogen
Überwiegend periodisch
Abbildung 13.1: Anzeigepflichten vs. Offenlegungspflichten.
Anzeige- bzw. Meldepflichten2 richten sich primär an die Aufsichtsbehörden. Die von den Instituten in Erfüllung dieser Meldepflichten übermittelten Daten bilden für die Behörden eine wichtige Informationsquelle.3 Die Meldepflichten können periodischer oder anlassbezogener Natur sein. Periodische Hinzu kommen die allgemeinen Offenlegungspflichten nach dem einschlägigen Bilanz1 und Kapitalmarktrecht. Zur Terminologie: Der europäische Gesetzgeber (CRR) spricht überwiegend von „Mel2 dungen“, der deutsche Gesetzgeber (KWG) dagegen von „Anzeigen“. Eine Alternative zur Übermittlung von Meldungen durch die Institute wäre es, dass sich 3 die Aufsichtsbehörde die benötigten Informationen – etwa durch Vor-Ort-Besuche – selbst verschafft. Dies wäre ökonomisch ineffizient und würde zu erheblich höheren Kosten der Informationsbeschaffung führen (Institute als „cheapest cost providers“).
2
290 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung Meldepflichten wie beispielsweise die Einreichung von Finanzinformationen4 sind von den Instituten in regelmäßigen Zeitabständen (etwa monatlich, quartalsweise oder halbjährlich) einzureichen. Anlassbezogene Anzeigepflichten knüpfen dagegen an den Eintritt eines bestimmten Ereignisses wie etwa die Unterschreitung von Kapitalziffern, die Vergabe von Großkrediten, die Absicht des Erwerbs einer bedeutenden Beteiligung oder aber die Bestellung oder Abberufung von Geschäftsleitern an.5 3
Kaum ein anderer Wirtschaftszweig dürfte mit einem derart umfangreichen Meldewesen konfrontiert sein wie das Kreditgewerbe. Das bankaufsichtsrechtliche Meldewesen ist bislang nur zum Teil harmonisiert. In Deutschland sind zahlreiche der anlassbezogenen Anzeigepflichten in § 24 KWG normiert. Eine Zusammenstellung von wichtigen Meldepflichten für Institute mit Sitz in Deutschland ist auf der Homepage der Deutschen Bundesbank abrufbar.6
4
Im Gegensatz zu den vorgenannten Anzeige- und Meldepflichten richten sich die regulatorischen Offenlegungs- und Transparenzanforderungen vor allem an die Marktteilnehmer.7 Diese sollen die Marktdisziplin stärken.8 Anders als im Kapitalmarktrecht, bei dem Publizitätsvorschriften seit jeher den Kern der europäischen Kapitalmarktregulierung bilden9, sind die Transparenzpflichten im Bankenaufsichtsrecht erst verhältnismäßig spät in den Fokus der Harmonisierungsbemühungen gerückt. Diese gehen auf die Empfehlungen des Basler Ausschusses zurück.10 Seit Basel II bildet das Offenlegungsregime die dritte Säule der laufenden Bankenaufsicht („Pillar 3 Disclosure“).11 Die Prinzipien der Offenlegung gem. Säule 3 wurden vom Basler Ausschuss in einem im März 2017 veröffentlichten Rahmenkonzept konsolidiert.12 Im Dezember 2018 wurde dieses vom Basler Ausschuss erneut aktualisiert.13 Vgl. in Deutschland § 25 KWG (quartalsweise); Art. 99(1) CRR (mindestens jährlich). Beispiele: Unterschreiten einer Kernkapitalquote von 5,125 % (Art. 54(5) CRR); Mitteilung von Großkrediten (Art. 394 CRR); Anzeige der Absicht des Erwerbs von bedeutenden Beteiligungen gem. § 2c(1) KWG. Abrufbar unter: https://www.bundesbank.de/de/service/meldewesen/bankenaufsicht6 formular-center/meldungen/meldungen-zur-bankenaufsicht-612590. Zur Terminologie: Die Begriffe Transparenz, Offenlegung und Publizität werden hier sy7 nonym verwendet. Hierzu unten Rn. 7 ff. 8 Brinckmann, in: Veil (Hrsg.), European Capital Markets Law, 2. Auf. 2017, S. 263 ff.; 9 ders., in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 16. 10 Den Ausgangspunkt bildeten die „Core Principles“ des Basler Ausschusses vom September 1997, die die Bedeutung von Transparenz hinsichtlich der von Banken eingegangenen Risikopositionen betonen (vgl. Principle 21 Nr. 5). Hierauf aufbauend wurden von einer vom Basler Ausschuss eingesetzten Arbeitsgruppe die Vor- und Nachteile der aufsichtsrechtlichen Transparenzanforderungen untersucht, vgl. Basler Ausschuss, Enhancing Bank Transparency, September 1998. 11 Zum Drei-Säulen-Modell oben § 2 Rn. 9 ff. 12 Vgl. Basler Ausschuss, Standards – Pillar 3 disclosure requirements – consolidated and enhanced framework, März 2017. 13 Basler Ausschuss, Standards – Pillar 3 disclosure requirements – updated framework, Dezember 2018. 4 5
§ 13 Grundlagen
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Auf europäischer Ebene sind die Anforderungen an die Offenlegung insbesondere im 8. Teil der CRR (Art. 431–455) normiert und unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Sie werden durch verschiedene Durchführungsverordnungen (RTS und ITS) sowie Leitlinien der EBA konkretisiert.14 Die unionsrechtlichen Rahmenvorgaben setzen in weiten Teilen die Vorgaben des Basler Ausschusses um. Im Rahmen dieses Kapitels werden die konzeptionellen Grundlagen der regulatorischen Offenlegungsanforderungen erörtert. Im nächsten Kapitel werden die Anforderungen des 8. Teils der CRR überblicksartig vorgestellt. Die Anzeige- und Meldepflichten der Institute werden in den jeweiligen Fachkapiteln behandelt.
5
6
II. Regelungskonzepte 1. Stärkung der Marktdisziplin
Die regulatorischen Offenlegungsanforderungen bezwecken eine Stärkung der „Marktdisziplin“.15 Hierunter kann ein Überwachungs- bzw. Disziplinierungsmechanismus verstanden werden, der primär von den Marktteilnehmern ausgeht und über die allgemeinen Marktkräfte wirkt.16 Im ökonomischen Schrifttum wird zwischen direkten und indirekten Formen der Marktdisziplin unterschieden.17 Direkte Formen der Marktdisziplin gehen unmittelbar von den Marktteilnehmern aus (etwa den Aktionären, Einlegern bzw. sonstigen Gläubigern). Diese basieren auf dem von den Teilnehmern ausgeübten „Marktdruck“ und der damit einhergehenden Änderung von Zinsen oder Aktienkursen. Auch der Abzug von Kapital bzw. die Veräußerung von Aktien stellen direkte Formen der Marktdisziplin dar. Indirekte Formen der Marktdisziplin gehen von den Aufsichtsbehörden bzw. sonstigen staatlichen Stellen aus, die geänderte Kurse oder Zinssätze als Signal werten und daraufhin ggf. aufsichtsrechtliche Maßnahmen erlassen. Die Offenlegungsanforderungen sollen nach der Konzeption des Basler Ausschusses die Marktteilnehmer in die Lage versetzen, die von dem Institut eingegangenen Risiken bewerten zu können. Sie sollen zudem Anreize dafür schaffen, dass die Geschäftsleiter der Banken eine umsichtige Geschäftsführung verfolgen. Dies kann grafisch wie folgt veranschaulicht werden: Vgl. § 14. Erwägungsgrund (76) CRR. Vgl. nunmehr auch Erwägungsgrund (56) CRR II. Allgemein zum Konzept der Marktdisziplin Bliss, Market Discipline in Financial Markets, in: Berger et al. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Banking, 2. Aufl. 2015, S. 568–588. Vgl. ferner Stephanou, Rethinking Market Discipline in Banking, World Bank Policy Research Paper, März 2010 (abrufbar unter: https://elibrary.worldbank.org/doi/abs/10.1596/1813– 9450–5227): „Market discipline is the mechanism via which market participants monitor and discipline excessive risk-taking behavior by banks“. 17 Parwardara et al., The Impact of Pillar 3 Disclosure on Asymmetric Information and Liquidity in Bank Stocks: Multi-Country Evidence, SSRN Working Paper, 2015. 14 15 16
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292 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung Offenlegungsanforderungen
– legen offen
Regulatorisches Reporting (Eigenmittel, Risikomanagement, etc.) – Finanzberichterstattung – Etc.
Marktteilnehmer
Interne Governance
– Aktionäre – Einleger – Sonstige Gläubiger – Bondholder etc. – Gegenparteien – Analysten
– Governance Strukturen – Risikomanagement
– Eigenkapitalzusammensetzung – Risikoprofil
überwachen / beeinflussen
werten aus
Disziplinierungsmechanismen
üben aus
–
Zinsanpassungen – Aktienkurse – Wahrnehmung von Gläubigerund Aktionärsrechten – Exit (Abzug Einlagen, Kapital) – Reputationseffekte – Etc.
Abbildung 13.2: Wirkungsmechanismen der Markttransparenz.
10
Ökonomisch steht das Konzept der Stärkung der Markttransparenz im engen Zusammenhang mit dem Ziel des Abbaus von Informationsasymmetrien. Derartige Informationsasymmetrien zwischen den Instituten einerseits und den Einlegern/Investoren andererseits sind im Bankenbereich besonders ausgeprägt. Die Offenlegungsanforderungen zielen darauf ab, das Informationsgefälle zwischen den Marktteilnehmern und den Instituten zu begrenzen und damit die „Agenturkosten“ (agency-costs) der Stakeholder hinsichtlich der Überwachung der Geschäftstätigkeit der Bank und deren Geschäftsleitern zu verringern.18
11
Dieser Aspekt wird nun in der CRR II ausdrücklich hervorgehoben. In den Erwägungsgründen der CRR II heißt es hierzu: „Da ein wichtiger Grundsatz eines soliden Bankensystems darin besteht, den Markt mit aussagekräftigen und vergleichbaren Informationen über die gemeinsamen zentralen Risikoparameter der Institute zu versorgen, ist es von wesentlicher Bedeutung, Informationsasymmetrien so weit wie möglich zu verringern und die Vergleichbarkeit der Risikoprofile von Kreditinstituten innerhalb von Rechtsräumen und über Rechtsräume hinweg zu erleichtern. Der Basler Ausschuss hat im Januar 2015 die überarbeiteten Standards für die Offenlegung (Säule 3) veröffentlicht, um die Vergleichbarkeit, Qualität und Kohärenz der aufsichtsrechtlichen Offenlegungen für den Markt zu verbessern. Daher ist es angebracht, die bestehenden Offenlegungspflichten zu ändern, um diese neuen internationalen Standards einzuführen.“19 18 Im Zusammenhang mit der kapitalmarktrechtlichen Publizität Brinckmann, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 16 Rn. 20 ff. 19 Erwägungsgrund (56) CRR II.
§ 13 Grundlagen
293
2. Offenlegung und Informationseffizienz
Die Offenlegungsanforderungen sollen ferner zur Steigerung der Effizienz der Finanzmärkte beitragen.20 Im ökonomischen Schrifttum wird in diesem Zusammenhang zwischen einer allokativen, operativen und institutionellen Effizienz unterschieden.21 Die allokative Effizienz umschreibt die Grundfunktion eines jeden Kapitalmarktes, für einen möglichst effizienten Einsatz des von den Investoren zur Verfügung gestellten Kapitals zu sorgen. Die Kapitalmittel sollen in diejenigen Projekte fließen, in denen die Mittel volkswirtschaftlich am dringendsten benötigt werden. Transparenz- und Publizitätsvorschriften haben in diesem Zusammenhang die Funktion, Informationsasymmetrien zwischen den Unternehmen und den Marktteilnehmern abzubauen (s. o.).22 Die operative Effizienz beschreibt die Zielsetzung, dass die Abwicklung von Transaktionen möglichst geringe Transaktionskosten verursachen soll. Zu den Transaktionskosten zählen u. a. die Kosten der Informationsbeschaffung, der Informationsüberprüfung sowie der Informationsauswertung.23 Offenlegungsvorschriften sollen dazu beitragen, diese Informationskosten zu senken. Sie verringern die Beschaffungskosten, indem die Informationen einheitlich für alle Marktteilnehmer zur Verfügung gestellt werden. Sie senken die Kosten der Informationsüberprüfung und -auswertung, indem die Darstellung der offenzulegenden Informationen weitgehend vereinheitlicht wird (was die Vergleichbarkeit der Daten erhöht und deren Auswertung vereinfacht). Als Maßstab der institutionellen Effizienz wird typischerweise ein ungehinderter Marktzugang des jeweiligen Anbieters bzw. Nachfragers des Kapitals herangezogen. Indiz für einen effizienten Markt ist dessen Marktliquidität.24 Offenlegungsanforderungen werden in diesem Zusammenhang als ein Instrument zur Stärkung des Marktvertrauens (und damit der Marktliquidität) angesehen.
20 Vgl. die Übersicht bei Brinckmann, in: Veil (Hrsg.), European Capital Markets Law, 2. Auf. 2017, S. 263 ff. sowie ders., in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 16 Rn. 5 ff. 21 Die Debatte zusammenfassend Brinckmann, in: Veil (Hrsg.), European Capital Markets Law, 2. Aufl. 2017, S. 263 ff. sowie ders., in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 16 Rn. 5 ff. 22 Weiterführend zu den ökonomischen Zusammenhängen Brinckmann, in: Veil (Hrsg.), Europäisches und deutsches Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2022, § 16 Rn. 5 ff. 23 Gilson/Kraakman, 70 Virginia Law Review (1984), 549, 593 ff. 24 Zum Konzept der Marktliquidität vgl. § 9 Rn. 1.
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§ 14 Offenlegungsanforderungen Literatur: Vgl. § 13
I. Unionsrechtliche Regelungsvorgaben 1
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Die aufsichtsrechtlichen Offenlegungsanforderungen der Institute sind in Teil 8 der CRR geregelt (Art. 431–455 CRR). Sie sind damit unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. In einem ersten Teil werden der Anwendungsbereich, der Maßstab sowie die Häufigkeit und Mittel der Offenlegung behandelt (Art. 431–434 CRR). In einem zweiten und dritten Teil werden die Kriterien hinsichtlich der Transparenz und Offenlegung der Eigenmittel sowie der relevanten Risikopositionen geregelt (Art. 435–455 CRR). Die Offenlegungsanforderungen gehen weitgehend auf Empfehlungen des Basler Ausschusses („Pillar 3 Disclosure“) zurück.1 Die Offenlegungsanforderungen wurden mit Wirkung zum 29. Juni 2021 durch die CRR II reformiert und ergänzt. Die Anpassungen dienen im Kern drei Zielen. Erstens sollen die reformierten Säule-3-Standards des Basler Ausschusses umgesetzt werden.2 Zweitens sollen die Offenlegungsanforderungen innerhalb der Union weiter harmonisiert und standardisiert werden.3 Und schließlich soll drittens der Proportionalitätsgrundsatz innerhalb des Offenlegungsregimes gestärkt werden.4
II. Umfang der offenlegungspflichtigen Informationen 1. Grundsatz der Wesentlichkeit 3
Die Institute müssen die in Titel II des 8. Teils der CRR (Art. 435–451) genannten Informationen offenlegen. Es handelt sich hierbei insbesondere um Angaben zu den Risikomanagementzielen und -politik, zum Anwendungsbereich und Konsolidierungskreis, den Eigenmitteln und Eigenmittelanforderungen, zum Gegenparteiausfallrisiko, zum antizyklischen Kapitalpuffer, zu den Indikatoren der globalen Systemrelevanz, zu den verschiedenen Risikoarten, zu der Vergütungspolitik sowie zum Verschuldensgrad. Die Prinzipien der dritten Säule wurden im Jahre 2017 in einem einheitlichen Dokument 1 konsolidiert. Vgl. Basler Ausschuss, Standards – Pillar 3 disclosure requirements – consolidated and enhanced framework, März 2017. Erwägungsgrund (56) CRR II. 2 Erwägungsgrund (56) CRR II. 3 Erwägungsgrund (57) CRR II. 4
§ 14 Offenlegungsanforderungen
295
Die Offenlegungspflicht wird durch den Grundsatz der Wesentlichkeit begrenzt.5 Institute dürfen von der Offenlegung von Informationen absehen, wenn diese nicht als wesentlich anzusehen sind.6 Hierbei gelten Informationen dann als wesentlich, wenn ihre Auslassung oder fehlerhafte Angabe die Einschätzung oder Entscheidung eines Benutzers (users), der sich bei der wirtschaftlichen Entscheidung (economic decisions) auf diese Informationen stützt, ändern oder beeinflussen könnte. Das Wesentlichkeitsprinzip wurde in den Leitlinien der EBA näher konkretisiert.7 Diesen liegt ein „nutzenzentriertes“ und „dynamisches“ Regelungskonzept zugrunde:8 Entscheidend ist, ob die Information für einen (typischen) Nutzer potenziell wesentlich ist. Ob diese Information für das Institut selbst wesentlich ist, ist dagegen nicht relevant.9 Ob eine Information für einen Nutzer wesentlich ist, ist abhängig vom Kontext der Offenlegung zu bestimmen. Die Wesentlichkeit einer Information kann daher – je nach Entwicklung der Risiken – im Laufe der Zeit differenziert zu beurteilen sein. Auf welchen Nutzerkreis bei der Ermittlung der Wesentlichkeit abzustellen ist, geht aus den europarechtlichen Regelungsvorgaben nicht ausdrücklich hervor. Vor dem Hintergrund der mit den Offenlegungsvorschriften verfolgten Zielsetzung, die Marktdisziplin zu stärken, ist der maßgebliche Adressatenkreis grundsätzlich weit zu fassen: Das Leitbild umfasst daher – anders als etwa bei der Bestimmung der Wesentlichkeit für die Zwecke der externen Rechnungslegung – nicht nur Investoren in Eigenkapitalinstrumenten, sondern auch sonstige potenzielle Nutzer, wie etwa (potenzielle) Kunden, Einleger und auch weitere Stakeholder des Instituts.10 Es kann insoweit von einem Leitbild eines „verständigen Nutzers“ (reasonable users) gesprochen werden.
Art. 432(1) CRR. Ausnahmen gelten für Offenlegungen nach Art. 435(2) lit. c CRR (An5 gaben hinsichtlich des Umfangs und der Risikoberichts- und Messsysteme), Art. 437 CRR (Offenlegung von Eigenmitteln) bzw. Art. 450 CRR (Offenlegung der Vergütungspolitik). Art. 432(1) Unterabs. 1 CRR. Ausnahmen gelten für die Informationen gem. Art. 435(2) 6 lit. c CRR, Art. 437 (Eigenmittel) und Art. 450 CRR (Vergütungspolitik). Diese Angaben gelten stets als wesentlich. EBA, Leitlinien zur Wesentlichkeit, zu Geschäftsgeheimnissen und vertraulichen Infor7 mationen sowie zur Häufigkeit der Offenlegung gemäß den Artikeln 432 Absatz 1, 432 Absatz 2 und 433 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013, EBA/GL/2014/14, 23.12.2014. EBA/GL/2014/14 (Fn. 7), Nr. 12 lit. e. 8 EBA/GL/2014/14 (Fn. 7), Nr. 12 lit. e. und i. 9 10 Auf ein solches Verständnis deutet Art. 435(1) Satz 2 lit. f CRR hin, wonach die abzugebende Risikoerklärung die wichtigsten Kennzahlen und Angaben enthalten sollen, die „externen Interessenträgern“ einen umfassenden Überblick über das Risikomanagement des Instituts geben soll. Für ein weiteres Verständnis auch Hillen, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Art. 432 Rn. 3.
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296 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 2. Geschäftsgeheimnisse 7
Die Offenlegungspflichten werden zudem durch den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und sonstigen vertraulichen Informationen begrenzt.11 Informationen gelten als Geschäftsgeheimnis, wenn ihre Offenlegung die Wettbewerbsposition des Instituts schwächen würde.12 Dazu können auch Informationen über Produkte oder Systeme zählen, die – wenn sie Konkurrenten bekanntgemacht würden – den Wert der einschlägigen Investitionen des Instituts mindern würden.13 Vor dem Hintergrund des Sinn und Zwecks der Offenlegungsvorschriften ist diese Ausnahme grundsätzlich restriktiv auszulegen. Die Kriterien werden in den EBA-Leitlinien näher konkretisiert.14 Diese betonen, dass die Veröffentlichung einer Information nur in begründeten Ausnahmefällen unterbleiben sollte. Die Entscheidung, bestimmte Informationen aufgrund von deren Vertraulichkeit nicht zu veröffentlichen, ist zudem vom Institut zu begründen.15 3. Häufigkeit und Mittel der Offenlegung
8
Die Institute mussten die erforderlichen Angaben nach bisheriger Rechtslage „mindestens einmal jährlich“ veröffentlichen.16 Das Unionsrecht begnügte sich damit bislang grundsätzlich mit einer jährlichen Offenlegung.17 Allerdings waren die Institute dazu verpflichtet, zu prüfen, ob im Einzelfall eine unterjährige Offenlegung erforderlich ist. Die Kriterien, die bei dieser Prüfung heranzuziehen sind, knüpfen vor allem an die Institutsgröße an.
9
In den EBA-Leitlinien18 werden in diesem Zusammenhang die folgenden Konstellationen genannt, in denen eine unterjährige Offenlegung von den Instituten erwogen werden soll: (i) Das Institut ist eines der drei größten Institute in seinem Herkunftsmitgliedstaat, (ii) die konsolidierte Bilanzsumme des Instituts übersteigt EUR 30 Mrd., (iii) die Gesamtaktiva des Instituts übersteigen durchschnittlich über vier Jahre hinweg 20 % des durchschnittlichen BIP des Herkunftsmitgliedstaats, sowie (iv) die konsolidierten Risikopositionen des Instituts gem. Art. 429 CRR (Gesamtrisikopositionsgröße) übersteigen EUR 200 Mrd. oder eine entsprechende Summe in Fremdwährung unter Ansatz des von der EZB veröffentlichten Referenzwechselkurses, der zum Abschluss des Geschäftsjahres gültig ist.
11 Art. 432(2) und (3) CRR. Informationen nach Art. 437 CRR (Eigenmittel) und Art. 450 CRR (Vergütung) sind jedoch stets offenzulegen. 12 Art. 432(2) Unterabs. 2 Satz 1 CRR. 13 Art. 432(2) Unterabs. 2 Satz 2 CRR. 14 EBA/GL/2014/14 (Fn. 7), Nr. 15 f. 15 Art. 432(3) CRR. 16 Art. 433 Unterabs. 1 CRR (in der bis zum 28.6.2021 gültigen Fassung). 17 Das Basel-II/III-Rahmenwerk sieht für international tätige Banken demgegenüber grundsätzlich ein halbjährliches Offenlegungsintervall vor. 18 EBA/GL/2014/14 (Fn. 7), Nr. 18.
§ 14 Offenlegungsanforderungen
297
Durch die CRR II wurde mit Wirkung zum 28. Juni 2021 ein nach Bedeutung und Institutsgröße abgestuftes Regelungskonzept eingeführt. Das Unionsrecht differenziert hinsichtlich der Offenlegungsanforderungen nunmehr zwischen drei Kategorien von Unternehmen: große Institute19, kleine und nicht komplexe Institute20 sowie sonstige Institute21. Die umfangreichsten Anforderungen sind von großen Instituten zu erfüllen. Diese haben sämtliche in Teil 8 der CRR geforderten Angaben jährlich und bestimmte Angaben halbjährlich22 bzw. vierteljährlich23 zu erfüllen.24 Kleine und nicht komplexe Institute unterliegen demgegenüber einem deutlich abgespeckten Offenlegungsregime. Diese müssen lediglich einzelne der in Teil 8 der CRR genannten Angaben jährlich sowie bei Börsennotierung die Schlüsselparameter nach Art. 446 CRR halbjährlich veröffentlichen.25 Die von den übrigen Instituten zu erfüllenden Offenlegungsanforderungen sind strenger als die für kleine und nicht komplexe Institute (aber weniger umfangreich als die für große Institute).
10
Damit ein Institut als „kleines und nicht-komplexes Institut“ qualifiziert, müssen die in Art. 4 Abs. 1 Nr. 145 CRR aufgezählten Kriterien kumulativ erfüllt werden. Es handelt sich hierbei sowohl um quantitative Bedingungen (Gesamtwert der Vermögenswerte während eines Vierjahreszeitraums im Durchschnitt kleiner als EUR 5 Mrd., nur geringfügige Handelsbuchaktivitäten, Einhaltung von bestimmten Schwellenwerten bezüglich derivativer Positionen etc.) als auch qualitativer Kriterien (kein Einsatz von internen Modellen). Zudem kann die zuständige Behörde auf Basis der Analyse des Risikoprofils bestimmen, dass das Institut nicht als „kleines und nicht komplexes“ Institut einzuordnen ist. Umgekehrt kann sich auch das Institut gegen eine Qualifizierung als kleines und nicht komplexes Institut aussprechen („opt out“). Die Legaldefinition von „großen Unternehmen“ gem. Art. 4 Abs. 1 Nr. 146 CRR knüpft an Umstände an, die alternativ erfüllt werden können. Maßgebliche Kriterien sind der Gesamtwert der Vermögenswerte auf Einzelbasis oder konsolidierter Basis (EUR 30 Mrd.), die Einstufung als systemrelevantes Institut (G-SRI, A-SRI) oder die relative Größe im Mitgliedstaat (eines der drei größten Institute im jeweiligen Mitgliedstaat).
12
Hinsichtlich der Mittel der Offenlegung macht das Unionsrecht den Instituten nur wenige zwingende Vorgaben. Diese können grundsätzlich selbst entscheiden, in welchem Medium sie den regulatorischen Offenlegungspflichten nachkommen wollen.26 Im Zuge der Neufassung der Offenlegungsanforderungen durch die CRR II wurde allerdings klargestellt, dass die erforderlichen Informationen in einem elektronischen Format und in einem „eigenständigen Dokument“ offengelegt werden sollen, das eine „leicht zugängliche Quelle aufsichtli-
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Art. 4(1) Nr. 146 CRR i. V. m. Art. 434a CRR. Art. 4(1) Nr. 145 CRR i. V. m. Art. 434b CRR. Art. 434c CRR. Vgl. die in Art. 434c(1) lit. b CRR genannten Angaben. Vgl. die in Art. 434c(1) lit. c CRR genannten Angaben. Bestimmte Erleichterungen sind für große Institute vorgesehen, die nicht börsennotiert sind und zudem nicht als G-SRI eingestuft wurden (vgl. Art. 434c(2) CRR). 25 Art. 433b CRR. 26 Art. 434(1) Satz 1 CRR. 19 20 21 22 23 24
11
13
298 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung cher Informationen für den Nutzer darstellt“.27 In der Unternehmenspraxis erfolgt dies typischerweise in sog. „Pillar 3 Reports“, die auf der Homepage des jeweiligen Instituts bzw. der Institutsgruppe abrufbar sind. Das Offenlegungsformat wird allerdings zunehmend durch technische Durchführungsstandards der EBA vorgegeben (vgl. unten). 4. Zunehmende Harmonisierung der Anzeige- und Offenlegungspflichten durch Level-2-Gesetzgebung 15
Im Zuge der CRR II wurde die EBA zur Erarbeitung von technischen Durchführungsstandards zur Festlegung einheitlicher Offenlegungsformate mandatiert.28 Hintergrund war der Befund, dass die Offenlegungsstandards nur unvollständig harmonisiert und die Offenlegungsformate nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind. Die EBA hat im Juni 2020 einen umfassenden Entwurf von technischen Regulierungsstandards zur Vereinheitlichung der aufsichtlichen Offenlegungsanforderungen veröffentlicht (Rahmenverordnung nebst 29 Anhängen).29 Zeitgleich hatte die EBA umfangreiche technische Durchführungsstandards zur Vereinheitlichung der bislang eher rudimentär harmonisierten aufsichtsrechtlichen Meldepflichten veröffentlicht.30 Die EBA verfolgt das Ziel, das aufsichtsrechtliche Meldewesen stärker mit den Offenlegungsanforderungen zu verzahnen und ein „Single Rulebook im Bereich des Meldewesens“ zu etablieren.31 Die neuen technischen Durchführungsstandards wurden im März 2021 verabschiedet.32 27 Art. 434(1) CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). Alternativ können die Informationen auch in einem gesonderten Abschnitt offengelegt werden, der im Abschluss des Finanzberichts des jeweiligen Instituts enthalten oder diesem als Anhang beigefügt ist. 28 Art. 434a(1) CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 29 EBA, Final report – Final draft implementing technical standards on public disclosures by institutions of the information referred to in Titles II and III of Part Eight of Regulation (EU) No 575/2013, EBA/ITS/2020/04, 24.6.2020. 30 EBA, Final report – Draft implementing technical standards on supervisory reporting requirements for institutions under Regulation (EU) No 575/2013, EBA/ITS/2020/05, 24.6.2020. 31 EBA, Final report – Draft implementing technical standards on supervisory reporting requirements for institutions under Regulation (EU) No 575/2013 (Fn. 30), Rn. 2 („Single Rulebook at the reporting level“). 32 Durchführungsverordnung (EU) 2021/451 der Kommission vom 17.12.2020 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates auf die aufsichtlichen Meldungen der Institute und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 680/2014 bzw. Durchführungsverordnung (EU) 2021/637 der Kommission vom 13.3.2021 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die Offenlegung der in Teil 8 Titel II und III der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates genannten Informationen durch die Institute und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1423/2013 der Kommission, der Delegierten Verordnung (EU) 2015/1555 der Kommission, der Durchführungsverordnung (EU) 2016/200 der Kommission und der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2295 der Kommission.
§ 14 Offenlegungsanforderungen
299
III. Einzelne Offenlegungsanforderungen (Überblick) Das Unionsrecht normiert im zweiten Titel von Teil 8 der CRR (Art. 435–451) die „technischen Kriterien für Transparenz und Offenlegung“. Es werden in diesem Zusammenhang verschiedene Aspekte sowie Risikopositionen spezifiziert, die von den Instituten offengelegt werden müssen. Im Folgenden soll es genügen, überblicksartig die wichtigsten Aspekte ausgewählter Offenlegungsanforderungen zu skizzieren.33
16
1. Risikomanagementziele und -politik
Offenlegungspflichten bestehen zunächst hinsichtlich der vom Institut verfolgten Risikomanagementziele und -politik.34 Offenzulegen sind u. a. (i) die Strategien und Verfahren zur Steuerung der Risiken, (ii) die Struktur und Organisation der Risikomanagement-Funktion, (iii) der Umfang und die Art der Risikoberichts- und -messsysteme, (iv) Leitlinien für die Risikoabsicherung und -minderung, (v) eine vom Leitungsorgan genehmigte Erklärung zur Angemessenheit der Risikomanagementverfahren des Instituts, mit der sichergestellt wird, dass die eingerichteten Risikomanagementsysteme dem Profil und der Strategie des Instituts angemessen sind, (vi) sowie eine vom Leitungsorgan genehmigte Risikoerklärung, in der das mit der Geschäftsstrategie verbundene allgemeine Risikoprofil des Instituts knapp beschrieben wird.35 Darüber hinaus sind auch Aspekte der Corporate Governance der Institute Gegenstand der Offenlegungspflichten. Offengelegt werden sollen in diesem Zusammenhang u. a. (i) die Anzahl der von Mitgliedern des Leitungsorgans bekleideten Leitungs- und Aufsichtsfunktionen, (ii) die Strategie für die Auswahl der Mitglieder des Leitungsorgans, (iii) die verfolgte Diversitätsstrategie für die Auswahl der Mitglieder des Leitungsorgans, (iv) Angaben zu einem etwaigen separaten Risikoausschuss sowie (v) eine Beschreibung des Informationsflusses an das Leitungsorgan bei Fragen des Risikos.
17
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2. Eigenmittel und Eigenmittelanforderungen
Das Unionsrecht sieht ferner umfangreiche Offenlegungsanforderungen hinsichtlich der Eigenmittel des Instituts sowie der eingesetzten Methoden der Eigenmittelberechnung vor.36 Offenzulegen sind hierbei u. a. die jeweiligen
Für Einzelheiten wird auf die Kommentarliteratur verwiesen. Vgl. etwa Hillen, in: Boos/ Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Art. 435 ff. CRR. 34 Art. 435 CRR. 35 Art. 435(1) CRR. 36 Art. 437–438 CRR. 33
19
300 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung
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Kapitalpositionen37, eine Beschreibung der von dem Institut begebenen Kapitalinstrumente, die bei der Eigenmittelermittlung vorgenommenen Korrekturposten und Abzüge sowie eine Erörterung der Berechnungsgrundlagen der Kapitalquoten.38 Einzelheiten werden auf Stufe 2 des europäischen Gesetzgebungsverfahrens in einer Durchführungsverordnung konkretisiert.39 Hierdurch soll eine möglichst hohe Vergleichbarkeit der offenzulegenden Daten der jeweiligen Institute erreicht (und damit die Marktdisziplin gestärkt) werden. Ebenfalls von den Instituten offenzulegen ist der gewählte Ansatz zur Beurteilung der Angemessenheit des internen Kapitals nach Säule 2 (ICAAP).40 Diese Erläuterungen müssen insbesondere die eingesetzten unternehmensinternen Verfahren zur Bestimmung des internen Kapitals umfassen.41 3. Antizyklischer Kapitalpuffer
22
In den Offenlegungsberichten sind zudem Angaben zum institutsspezifischen antizyklischen Kapitalpuffer42 aufzunehmen.43 Anzugeben sind die geografische Verteilung der für die Berechnung des antizyklischen Kapitalpuffers wesentlichen Kreditrisikopositionen sowie die Höhe des institutsspezifischen Puffers. Einzelheiten werden in einer Durchführungsverordnung konkretisiert.44 4. Globale Systemrelevanz
23
Institute, die als „global systemrelevante Institute“ eingestuft werden (Art. 131 CRD), müssen jährlich die Werte der Indikatoren offenlegen, aus denen sich das Bewertungsergebnis der Institute ergibt.45 Die Kriterien zur Bestimmung der globalen Systemrelevanz sind außerordentlich komplex. Die Offenlegungsan37 Daher die Posten des harten Kernkapitals, zusätzlichen Kernkapitals, Ergänzungskapitals, etwaige Korrekturposten etc. 38 Art. 437(1) lit. a bis f CRR. 39 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1423/2013 der Kommission vom 20.12.2013 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die Offenlegungspflichten der Institute in Bezug auf Eigenmittel gemäß der VO (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates. Diese wurde mit Wirkung zum 28.6.2021 durch die Durchführungsverordnung (EU) 2021/637 abgelöst. 40 Art. 438 lit. a CRR. Dazu § 11. 41 Dazu § 11 Rn. 11 ff. 42 Dazu § 8 Rn. 77 ff. 43 Art. 440 CRR. 44 Delegierte Verordnung (EU) 2015/1555 der Kommission vom 28.5.2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Offenlegung von Informationen in Bezug auf die Einhaltung des vorgeschriebenen antizyklischen Kapitalpuffers durch die Institute im Einklang mit Artikel 440. Diese wurde mit Wirkung zum 28.6.2021 durch die Durchführungsverordnung (EU) 2021/637 abgelöst. Art. 438 lit. a CRR. Dazu § 11. 45 Art. 441(1) CRR.
§ 14 Offenlegungsanforderungen
301
forderungen werden in technischen Durchführungsstandards konkretisiert.46 Diese werden durch EBA-Leitlinien ergänzt.47 5. Verbriefungen
Die Institute müssen zudem umfangreiche Angaben zu den von ihnen gehaltenen Verbriefungspositionen tätigen.48 Diese Offenlegungsanforderungen wurden als Reaktion auf die Finanzkrise eingeführt. Sie gehen auf die vom Basler Ausschuss im Juli 2009 veröffentlichten Ergänzungen des Basler-II-Rahmenwerks zurück.49
24
Unter dem Schlagwort „Verbriefung“ (securitization) werden verschiedene Formen von komplexen Finanztransaktionen bezeichnet, bei denen illiquide Vermögenswerte (z. B. Hypothekenkredite, Autoleasingforderungen, Verbraucherdarlehen etc.) durch Emission von Wertpapieren handelbar gemacht und die damit verbundenen Ertragschancen und Risiken auf Investoren transferiert werden.50 Es können zwei Grundformen51 von Verbriefungen unterschieden werden: Bei sog. True-Sale-Verbriefungen werden – stark vereinfacht formuliert – die verbrieften Forderungen von dem Forderungsinhaber (dem „Originator“) an eine Verbriefungszweckgesellschaft (SPV) veräußert und übertragen.52 Das SPV refinanziert den Erwerb dieser Forderungen durch Ausgabe von forderungsbesicherten Wertpapieren (Asset-Backed Securities – ABS), die typischerweise in unterschiedlichen Tranchen (etwa „Senior-Tranche“, „Mezzanines-Tranche“, „Junior-Tranche“) unterteilt werden. Die Ansprüche der Investoren der ABS werden aus den auf die verbrieften Forderungen eingehenden Zahlungen beglichen, wobei zunächst die ABS der höchsten Tranche bedient werden (Wasserfallprinzip). Bei einer synthetischen Verbriefung kommt es, anders als bei einer True-Sale-Verbriefung, nicht zu einem tatsächlichen Rechtsübergang der verbrieften Forderungen auf das SPV. Vielmehr wird der Risikotransfer synthetisch durch den Einsatz von Kreditderivaten wie beispielsweise Credit Default Swaps (CDS) oder Credit-Linked Notes (CLN) abgebildet.53
25
Materiell-rechtliche Anforderungen an Verbriefungstransaktionen fanden sich bislang u. a. in Art. 242–270 (Eigenmittelunterlegung) bzw. Art. 404 ff. CRR
26
46 Delegierte Verordnung (EU) 1030/2014 der Kommission vom 29.9.2014 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf einheitliche Formate und Daten für die Offenlegung der Werte zur Bestimmung global systemrelevanter Institute gemäß der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates. Diese wurde inzwischen durch die Durchführungsverordnung (EU) 2021/1018 aufgehoben und ersetzt (vgl. Durchführungsverordnung (EU) 2021/1018 der Kommission vom 22.6.2021 zur Änderung der in der Durchführungsverordnung (EU) 2021/637 festgelegten technischen Durchführungsstandards im Hinblick auf die Offenlegung von Indikatoren der globalen Systemrelevanz und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1030/2014). 47 EBA, Revised guidelines on the further specification of the indicators of global systemic importance and their disclosure GL/2016/01, 13.1.2016. 48 Art. 449 CRR. 49 Dazu oben § 2 Rn. 8. 50 Guter Überblick bei Schwarcz, 85 Southern California Law Review (2012), 1282. 51 Vgl. aus jüngerer Zeit Hellgardt, EuZW 2018, 709. 52 Etwa durch Abtretung bzw. Vertragsübernahme der entsprechenden Positionen. 53 Vgl. etwa Hellgardt, EuZW 2018, 709, 710.
302 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung a. F. (Selbstbehalt). Der europarechtliche Regelungsrahmen wurde inzwischen sektorübergreifend in einer einheitlichen Verordnung geregelt.54 6. Vergütungspolitik 27
28
Ein weiterer wichtiger Bereich der Offenlegung betrifft die Institutsvergütung.55 Das Regelungssystem ist außerordentlich komplex und kann hier nur in den Grundzügen dargestellt werden.56 Normative Grundlage der Offenlegungspflicht ist Art. 450 CRR. Die Offenlegungsanforderungen beziehen sich auf die Vergütungspolitik und -praxis von Mitarbeitern, deren Tätigkeit sich „wesentlich auf das Risikoprofil“ auswirkt (sog. Risikoträger). Der relevante Mitarbeiterkreis wird durch einen risikoorientierten Ansatz bestimmt. Die maßgeblichen Kriterien wurden durch eine Delegierte Verordnung näher konkretisiert.57 Diese sieht vor, dass sich die Risikoträgereigenschaft alternativ aus qualitativen oder quantitativen Kriterien ergeben kann. Die qualitativen Kriterien stellen vor allem auf die gesellschaftsrechtliche Funktion sowie die Verantwortungsbereiche der jeweiligen Mitarbeiter ab.58 Ist eines dieser Kriterien erfüllt, gilt der jeweilige Mitarbeiter (unwiderleglich) als Risikoträger.59 Der Kreis der zwingend als Risikoträger zu berücksichtigenden Mitarbeitergruppen wurde inzwischen durch CRD V auf Ebene der Level-1Gesetzgebung bestimmt (vgl. § 12 Rn. 84). Die quantitativen Kriterien knüpfen an die absolute bzw. relative Höhe der Gesamtvergütung eines Mitarbeiters 54 Verordnung (EU) 2017/2402 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2017 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für Verbriefungen und zur Schaffung eines spezifischen Rahmens für einfache, transparente und standardisierte Verbriefungen und zur Änderung der Richtlinien 2009/65/EG, 2009/138/EG, 2011/61/EU und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 648/2012. 55 Art. 450 CRR. 56 Für Einzelheiten wird auf die in § 12 Fn. 151 genannten Darstellungen verwiesen. 57 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2021/923 der Kommission vom 25.3.2021 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards zur Festlegung der Kriterien für die Definition der Managementverantwortung, der Kontrollaufgaben, der wesentlichen Geschäftsbereiche und einer erheblichen Auswirkung auf das Risikoprofil eines wesentlichen Geschäftsbereichs sowie zur Festlegung der Kriterien für die Ermittlung der Mitarbeiter oder Mitarbeiterkategorien, deren berufliche Tätigkeiten vergleichsweise ebenso wesentliche Auswirkungen auf das Risikoprofil des Instituts haben wie diejenigen der in Artikel 92 Absatz 3 der genannten Richtlinie aufgeführten Mitarbeiter oder Mitarbeiterkategorien. Diese ersetzt die bisherige Delegierte Verordnung (EU) Nr. 604/2014 der Kommission vom 4.3.2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf technische Regulierungsstandards in Bezug auf qualitative und angemessene quantitative Kriterien zur Ermittlung der Mitarbeiterkategorien, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil eines Instituts auswirkt. 58 Art. 3 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 604/2014 bzw. Art. 5 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2021/923. 59 Vgl. Art. 3(1) CRR.
§ 14 Offenlegungsanforderungen
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an.60 Anders als bei den qualitativen Kriterien wird in diesen Fällen nur (widerlegbar) vermutet, dass es sich bei den Mitarbeitern um Risikoträger handelt.61 Die Institute können den Nachweis erbringen, dass die Tätigkeiten der Mitarbeiter im konkreten Fall trotz Überschreiten der quantitativen Schwellenwerte sich „nicht wesentlich“ auf das Risikoprofil des jeweiligen Instituts auswirken.62 Für solche Risikoträger sind umfangreiche qualitative und quantitative Angaben zu tätigen. In qualitativer Hinsicht müssen u. a. folgende Themen offengelegt werden: (i) Angaben zum Entscheidungsprozess, der zur Festlegung der Vergütungspolitik führt, sowie die Zahl der Sitzungen des für die Vergütungsaufsicht verantwortlichen Hauptgremiums, (ii) Angaben zur Verknüpfung von Vergütung und Leistung, (iii) die wichtigsten Gestaltungsmerkmale des Vergütungssystems, (iv) der vom Institut festgelegte Wert für das Verhältnis von fester und variabler Vergütung, (v) Angaben zu den Erfolgskriterien, anhand derer über den Anspruch auf Aktien bzw. die variablen Vergütungskriterien entschieden wird, sowie (vi) die wichtigsten Kriterien, Parameter und Begründungen für Systeme mit variablen Komponenten und sonstige Sachleistungen.63 In quantitativer Hinsicht sind Angaben u. a. zu den folgenden Themen zu machen: (i) zusammengefasste quantitative Angaben zu den Vergütungen, aufgeschlüsselt nach Geschäftsbereichen, (ii) zusammengefasste quantitative Angaben zu den Vergütungen, aufgeschlüsselt nach der Geschäftsleitung und den Risikoträgern, (iii) die Zahl der Personen, deren Vergütung sich im Geschäftsjahr auf EUR 1 Mio. oder mehr beläuft, (iv) sofern vom Mitgliedstaat bzw. der zuständigen Aufsichtsbehörde gefordert, die Gesamtvergütung jedes Mitglieds des Leitungsorgans oder der Geschäftsleitung.64 Einzelheiten hinsichtlich der qualitativen und quantitativen Offenlegungsanforderungen werden jeweils in technischen Durchführungsstandards65 bzw. Leitlinien der EBA näher konkretisiert.66 In Deutschland werden die Offenlegungsanforderungen durch die Institutsvergütungsverordnung näher konkretisiert.67 60 Art. 4 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 604/2014 bzw. Art. 6 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2021/923. 61 Vgl. den Wortlaut des Art. 4(1) Delegierte Verordnung (EU) Nr. 604/2014 („vorbehaltlich der Absätze 2 bis 5“) bzw. Art. 6(2) Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2021/923. 62 Art. 4(2)–(5) Delegierte Verordnung (EU) Nr. 604/2014 bzw. Art. 6(2) Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2021/923. 63 Art. 450(1) lit. a bis g CRR. 64 Art. 450(1) lit. h bis j CRR. 65 Durchführungsverordnung (EU) 2021/637 (Art. 17 nebst Anhängen). 66 EBA, Leitlinien für eine solide Vergütungspolitik gemäß Artikel 74 Absatz 3 und Artikel 75 Absatz 2 der Richtlinie 2013/36/EU und Angaben gemäß Artikel 450 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013, EBA/GL/2015/22, 27.6.2016. Am 2.7.2021 hat die EBA überarbeitete Leitlinien veröffentlicht, vgl. EBA, Guidelines on sound remuneration policies under Directive 2013/36/EU, EBA/GL/2021/04, 2.7.2021. 67 § 16 InstitutsVergV. Das Verhältnis der unionsrechtlichen und nationalen Regelungen wirft verschiedene Auslegungsprobleme auf. Vgl. dazu etwa Glasow, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsicht, 2. Aufl. 2020, § 12 Rn. 148 ff.
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304 Teil 4: Laufende Anforderungen an die Bankenaufsicht und Bankenregulierung 7. Verschuldung 30
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Die Anforderungen an die Offenlegung der Verschuldungsquote wurden weiter oben adressiert (§ 8 Rn. 95 ff.). Offenzulegen sind neben der Verschuldungsquote selbst u. a. (i) eine Aufschlüsselung der Gesamtrisikomessgröße, (ii) gegebenenfalls der Betrag der im Rahmen der Vorgaben der CRR bei der Berechnung der Verschuldensquote ausgenommenen Risikopositionen68, (iii) eine Beschreibung der Verfahren zur Überwachung des Risikos einer übermäßigen Verschuldung sowie (iv) eine Beschreibung der Faktoren, die während des Berichtszeitraums Auswirkungen auf die jeweilige offengelegte Verschuldungsquote hatten.69 Einzelheiten werden durch eine Durchführungsverordnung konkretisiert.70 Diese wird künftig durch die überarbeitete RahmenDurchführungsverordnung zur Harmonisierung der Offenlegungsanforderungen ersetzt.71 Im Zuge der Verabschiedung der CRR II sind Institute, die Teil 6 der CRR unterliegen, zudem zur Offenlegung ihrer Liquiditätsdeckungsquote, der strukturellen Liquiditätsquote und zu ihrem Liquiditätsmanagement verpflichtet.72 8. Offenlegung von Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsrisiken (ESG-Risiken)
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Neue Offenlegungspflichten werden durch die CRR II für bestimmte große Institute, die Wertpapiere emittieren, eingeführt. Derartige Institute müssen ab dem 28. Juni 2022 Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsrisiken (ESG-Risiken) einschließlich physischer Risiken und sog. Transitionsrisiken offenlegen.73 Die EBA wurde dazu mandatiert, einheitliche Begriffsbestimmungen für ESG-Risiken zu entwickeln.74 Der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 sieht ferner die Einführung einer behördlichen Meldepflicht hinsichtlich der ESG-Risiken des Instituts vor (vgl. Art. 430 Abs. 1(i) lit. h CRR in der Fassung des Kommissionsentwurfs).
Art. 451(1) lit. c CRR i. V. m. Art. 429(8), Art. 429a(1) CRR, Art. 429a(7) CRR. Art. 451(1) lit. a–e CRR (jeweils in der durch CRR II angepassten Fassung). Durchführungsverordnung (EU) 2016/200 der Kommission vom 15.2.2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die Offenlegung der Verschuldungsquote durch die Institute gemäß der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates. Inzwischen ersetzt durch die Durchführungsverordnung 2021/637 (dort insbesondere Art. 6 nebst Anhängen). 71 Vgl. oben Rn. 15. 72 Art. 451a CRR. 73 Art. 449a CRR. 74 Art. 98(8) CRD. 68 69 70
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305
IV. Fazit Seit Basel II bilden Offenlegungspflichten die dritte Säule der Bankenaufsicht. Diese dienen der Stärkung der Marktdisziplin und ergänzen die übrigen Instrumente der laufenden Bankenaufsicht von Säule 1 und Säule 2. Die Vorgaben des Basler Ausschusses wurden weitgehend vom europäischen Gesetzgeber übernommen. Die Transparenzvorschriften sind in der CRR geregelt und damit unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Es existieren allerdings in bestimmten Bereichen nationale Wahlrechte und Umsetzungsspielräume (etwa hinsichtlich der Offenlegung der Vorstandsvergütung). Auch das nationale Recht spielt daher weiterhin eine Rolle. Im Zuge der Verabschiedung der CRR II wurde das Offenlegungsregime in wesentlichen Teilen reformiert. Eine bedeutende Neuerung besteht in der Einführung eines nach der Größe und Bedeutung des Instituts abgestuften Regelungsansatzes.75 Hierdurch soll der Proportionalitätsgrundsatz gestärkt werden. Zudem wird eine stärkere konzeptionelle Verzahnung der Offenlegungsanforderungen mit dem (bislang weitgehend auf nationaler Ebene verorteten) Meldewesen bezweckt. Schließlich wurden der EBA weitreichende Kompetenzen zum Erlass von technischen Durchführungsstandards eingeräumt. Die Offenlegungsanforderungen wurden im Rahmen der Level-2-Gesetzgebung durch die im März 2021 verabschiedeten technischen Durchführungsstandards noch weiter vereinheitlicht. Die bestehenden Umsetzungsspielräume werden hierdurch allerdings nicht vollständig beseitigt.
75 Dieser Ansatz könnte sich als richtungsweisend für die weitere Entwicklung des europäischen Bankenaufsichtsrechts erweisen. Vgl. § 18 Rn. 15 ff.
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Teil 5: Gruppenaufsicht 1 1 § 15 Grundlagen Literatur: Binder, Jens-Hinrich, Pflichten- und Kompetenzkollisionen im Spannungsfeld von Bankenaufsichts- und Gesellschaftsrecht, ZGR 2013, 760–801; Dürselen, Karl E., Die Konsolidierung von Kreditinstituts- und Finanzholding-Gruppen im Rahmen des § 10a KWG, ZBB 1997, 345–364; Herdegen, Matthias, Bankenaufsicht im Europäischen Verbund, 2010; Hopt, Klaus J., Konzernrecht: Die europäische Perspektive, ZHR 171 (2007), 199–241; Jörgens, Stefan, Die koordinierte Aufsicht über europaweit tätige Bankengruppen, 2002; Kokemoor, Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis in Deutschland nach der fünften Novelle zum KWG, 1997; Koppensteiner, Hans-Georg, Bankenaufsicht und Bankengruppen, 1991; Lelyveld, Iman van/Schilder, Arnold, Risk in Financial Conglomerates, 2002; Mülbert, Peter O./Wilhelm, Alexander, Risikomanagement und Compliance im Finanzmarktrecht – Entwicklung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen, ZHR 178 (2014), 502–546; Negenborn, David, Bankgesellschaftsrecht und Sonderkonzernrecht, 2020; Renner, Moritz, Bankkonzernrecht, 2019; van de Sande, Carsten, Die Unternehmensgruppe im Banken- und Versicherungsaufsichtsrecht, 2003; Schieber, Jörg, Die Aufsicht über Finanzkonglomerate, 1998; Schneider, Thomas, Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen und bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen an Risikomanagement, 2009; Schön, Wolfgang, Organisationsfreiheit und Gruppeninteresse im Europäischen Konzernrecht, ZGR 2019, 343–378; Senger, Michael, Bankenaufsicht, Unternehmensverbindungen und Bankengruppen, 2004; Teichmann, Christoph, Die grenzüberschreitende Unternehmensgruppe im Compliance-Zeitalter, ZGR 2017, 485–508; Tröger, Tobias, Konzernverantwortung in der aufsichtsunterworfenen Finanzbranche, ZHR 177 (2013), 475–517; Vetter, Jochen, Zur Treuepflicht der abhängigen AG gegenüber dem herrschenden Unternehmen, Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 2020, S. 1065– 1085; Weber-Rey, Daniela/Gissing, Evgenia, Gruppen-Governance – das Gruppeninteresse als Teil des internen Governance-Systems im Finanzsektor, AG 2014, 884–891; Wundenberg, Malte, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012; Wymeersch, Eddy, Company groups in the face of prudential supervision, in: Schweizer, Rainer J. et al. (Hrsg.), Festschrift für Nicolas Druey zum 65. Geburtstag, 2002, S. 675– 690.
Einzelne Abschnitte des 5. Teils basieren auf Ausführungen bei Wundenberg, Compli1 ance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012. Dies gilt insbesondere für die Abschnitte § 15 Rn. 1–23 sowie § 16 Rn. 48–63, die zum Teil wörtlich oder sinngemäß einzelne Passagen aus dem vorgenannten Werk übernehmen (dort vor allem S. 147 ff., 171 ff., 206 ff.).
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Teil 5: Gruppenaufsicht
I. Einleitung 1
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Im Zentrum der bisherigen Erörterungen stand die Beaufsichtigung des individuellen Rechtsträgers. Die einzelnen Institute sind gem. Art. 6 Abs. 1 CRR verpflichtet, die bankaufsichtsrechtlichen Anforderungen „auf Einzelbasis“ einzuhalten. Institute sind allerdings typischerweise in Unternehmensgruppen bzw. Konzernverhältnissen eingebunden. Eine rein auf das Einzelinstitut orientierte Sichtweise würde der tatsächlichen Risikosituation nicht gerecht. Die einzelinstitutsbezogenen Anforderungen werden im Rahmen der „Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis“2 – hier auch als „Gruppenaufsicht“ bezeichnet – um gruppenbezogene Regelungen ergänzt. Mit diesen Schlagworten wird die Erweiterung der ursprünglich rein institutsbezogenen Aufsicht hin zu einer Regulierung und Beaufsichtigung von Institutsgruppen3 beschrieben.4 Dieser traditionell auf die Eigenmittel- und Großkreditkonsolidierung bezogene Ansatz hat sich inzwischen immer mehr zu einem Gesamtkonzept zur Regulierung von Unternehmensverbindungen im Bankensektor entwickelt. Im Zentrum der Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis steht die aufsichtsrechtliche Erfassung der Institutsgruppe als Risikoeinheit.5 Dem steht allerdings die aus gesellschaftsrechtlicher Sicht fortbestehende rechtliche Selbstständigkeit der einzelnen gruppenangehörigen Unternehmen gegenüber. Hieraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen der aufsichtsrechtlichen Einheitsbetrachtung einerseits und der – abhängig vom nationalen Gesellschaftsrecht fortbestehenden – rechtlichen Eigenständigkeit der Gruppenunternehmen andererseits. Dieses Spannungsverhältnis führt zu verschiedenen Auslegungs- und Anwendungsproblemen.6
II. Rechtsentwicklung und Regelungskonzepte 1. Rechtsentwicklung a) Basler Ausschuss für Bankenaufsicht 4
Wie in den meisten Gebieten der Bankenregulierung gingen maßgebliche Impulse der Rechtsentwicklung vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht aus. Der Basler Ausschuss hatte sich bereits in seinem ersten Grundsatzdokument, Dieser Begriff wird vom Gesetzgeber selbst verwendet. Vgl. Erwägungsgrund (37) sowie 2 Art. 4 Nr. 48 CRR („auf konsolidierter Basis“). Siehe ferner die Abschnittsüberschrift vor Art. 111 CRD („Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis“). Der Begriff der Institutsgruppe wird hier zunächst im untechnischen Sinne als Oberbe3 griff der verschiedenen aufsichtsrechtlichen Gruppenbegriffe verwendet, vgl. § 16 Rn. 5 ff. (Institutsgruppe, Finanzholding-Gruppe, gemischte Finanzholding-Gruppe, Finanzkonglomerat). Siehe hierzu monografisch Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Auf4 sicht über Bankengruppen, 2012, S. 147 ff. Siehe unten Rn. 12 ff. 5 Siehe § 16. 6
§ 15 Grundlagen
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dem Basler Konkordat von 1975,7 mit Fragen der Gruppenaufsicht beschäftigt. Im Zentrum stand zunächst die verfahrensrechtliche Koordination der nationalen Aufsicht bei der Überwachung grenzüberschreitend tätiger Bankkonzerne. Im Rahmen der Neufassung des Konkordats von 1983 wurde das Konzept der konsolidierten Bankenaufsicht dahingehend konkretisiert, dass im Geltungsbereich der Gruppenaufsicht sowohl die Mutterbanken als auch die Aufsichtsbehörden des Mutterlandes dazu verpflichtet sind, die Risiken gruppenweit zu überwachen und die Angemessenheit der Eigenmittel zu überprüfen.8 Bereits zuvor hatte der Basler Ausschuss in einem Grundsatzpapier von 1979 die Einführung eines Konsolidierungsverfahrens zur Verhinderung einer Mehrfachbelegung des haftenden Eigenkapitals gefordert.9 Ähnlich wie auf Ebene des Einzelinstituts wurde die traditionell quantitativ ausgerichtete Gruppenaufsicht Schritt für Schritt um qualitative Elemente ergänzt. Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung markierten die Empfehlungen zur „grenzüberschreitenden Aufsicht“ vom Oktober 1996. In diesem Papier wurde die konsolidierte Bankenaufsicht erstmals als ein umfassendes Aufsichtsverfahren definiert, bei dem sämtliche von einem Bankkonzern eingegangenen Risiken berücksichtigt werden müssen.10 Das Konzept einer umfassenden Gruppenaufsicht, die den Bankkonzern als wirtschaftliche Einheit erfasst, hatte sich damit als ein „elementarer Grundsatz“11 des Aufsichtsrechts etabliert. Die Gruppenaufsicht wurde durch die „Grundsätze für eine wirksame Aufsicht“12 (Core Principles) weiter ausgebaut, die u. a. Empfehlungen an die Ausgestaltung der konzernbezogenen Risikosteuerungssysteme enthalten.13 Das in den „Core Principles“ zum Ausdruck kommende Leitbild der Gruppenaufsicht spiegelt sich auch in der Basler Eigenkapitalvereinbarung wider: Nach der KonBasler Ausschuss, Report to the Governors on the supervision of banks’ foreign estab7 lishments, September 1975: Keine Bank soll durch Gründung von Zweigstellen oder Tochtergesellschaften der Aufsicht entgehen können. Vgl. hierzu auch die Folgedokumente mit gleicher Bezeichnung vom Mai 1983 sowie Juli 1992 (Konkordat von 1983 und 1992). Vgl. Basler Konkordat von 1983, S. 3: „Der Grundsatz der konsolidierten Bankenauf8 sicht besteht darin, dass die Mutterbanken und die Aufsichtsbehörden des Mutterlandes die Risiken – auch in Hinblick auf Risikokonzentrationen und Qualität der Aktiva – der Banken oder Bankengruppen, für die sie zuständig sind, sowie die Angemessenheit ihres Eigenkapitals auf der Grundlage der Gesamtheit ihrer Geschäfte, gleichgültig, wo diese abgewickelt werden, überwachen“. Basler Ausschuss, Konsolidierte Aufsicht über das internationale Geschäft der Banken, 9 März 1979, S. 1. 10 Basler Ausschuss, Grenzüberschreitende Bankenaufsicht, Oktober 1996, Anhang B, Rn. 2 (Hervorhebungen hinzugefügt). 11 So bereits der Basler Ausschuss, Konsolidierte Aufsicht über das internationale Geschäft der Banken, März 1979, S. 1. 12 Siehe dazu § 2 Rn. 3. 13 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang vor allem Grundsatz 12: Hiernach ist es ein wesentliches Element der Bankenaufsicht, dass Bankkonzerne auf konsolidierter Basis angemessen überwacht und die Aufsichtsvorschriften gegebenenfalls auf sämtliche Aspekte des Konzerns angewendet werden. Vgl. auch Rn. 22 der „Core Principles“ aus dem Jahre 2012.
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zeption des Basler Ausschusses sollen alle drei Säulen von Basel II/III nicht nur auf der Ebene des einzelnen Instituts, sondern auf „konsolidierter Basis“ auch auf Konzernebene Anwendung finden.14 b) Unionsrecht 7
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Die Empfehlungen des Basler Ausschusses zur Entwicklung einer Gruppenaufsicht wurden in weiten Teilen vom Unionsgesetzgeber aufgegriffen. So verabschiedete der Rat bereits 1983 die „Richtlinie über die Beaufsichtigung der Kreditinstitute auf konsolidierter Basis“,15 die sich allerdings darauf beschränkte, das grundlegende Prinzip der Kapitalkonsolidierung zu formulieren. Durch die Konsolidierung der „finanziellen Situation“ eines Mutterinstituts soll den Aufsichtsbehörden die Möglichkeit gegeben werden, die wirtschaftliche Gesamtsituation des Kreditinstituts fundiert zu beurteilen.16 Konkrete inhaltliche Anforderungen an das vom Mutterunternehmen durchzuführende Zusammenfassungsverfahren wurden erst durch die Konsolidierungsrichtlinie von 199217 sowie die Großkreditkonsolidierungsrichtlinie18 normiert. Hiermit wurde zum einen der Kreis der in die Konsolidierung einzubeziehenden Unternehmen neu gefasst. Zum anderen wurden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die sog. „Vollkonsolidierung“ als Regelverfahren zur Bestimmung der aggregierten Eigenmittel einzuführen.19 Einen wichtigen Schritt in der Weiterentwicklung der Gruppenaufsicht bildete die Verabschiedung der Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie von 2006. Die Bankenrichtlinie bündelte die einzelnen Anforderungen der Gruppenaufsicht und gewährte den Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen ein Wahlrecht, Tochterunternehmen von bestimmten Governance-Anforderungen sowie von den Eigenmittel- und Großkreditbestimmungen freizustellen (sog. waiver).20 Unter der Ägide der CRD/CRR wurde dieser Regelungsansatz fortgeführt. In der CRR werden die Anforderungen an die aufsichtsrechtliche Konsolidierung in einem eigenen Abschnitt (Art. 11–24 CRR) geregelt. Das Grundprinzip wird in Art. 11 CRR formuliert: Hiernach erfüllen die Mutterinstitute die dort näher spezifizierten aufsichtsrechtlichen Anforderungen auf Basis der „konso14 Basler Ausschuss, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Juni 2006, Rn. 20. 15 Richtlinie 83/350/EWG des Rates vom 13.6.1983 über die Beaufsichtigung der Kreditinstitute auf konsolidierter Basis, ABl. EG Nr. L 193, S. 18. 16 Art. 3 und 4 der Konsolidierungsrichtlinie von 1983. Vgl. hierzu Koppensteiner, Bankenaufsicht und Bankengruppen, 1991, S. 6 ff.; Hopt, ZHR 171 (2007), 199, 206 ff. 17 Richtlinie 92/30/EWG des Rates vom 6.4.1992 über die Beaufsichtigung von Kreditinstituten auf konsolidierter Basis, ABl. EG Nr. L 110/52, S. 52. 18 Richtlinie 92/121/EWG des Rates vom 21.12.1992 über die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten, ABl. EG Nr. L 029 vom 5.2.1993, S. 1. 19 Art. 5 der Konsolidierungsrichtlinie von 1992. 20 Das Unionsrecht wich damit erstmals für zwei Kernbereiche des Bankenaufsichtsrechts vom Grundsatz einer zwingenden Einzelinstitutsaufsicht ab. Zum waiver-Regime unter der Ägide der CRR unten Rn. 24 f.
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lidierten Lage“. Als konsolidierte Lage wird vom Unionsgesetzgeber eine solche Lage definiert, die sich ergibt, wenn die Anforderungen der CRR betreffend die Gruppenaufsicht so auf ein Institut angewendet werden, als bildete dieses Institut zusammen mit einem oder mehreren anderen Unternehmen „ein einziges Institut“ (Gedanke der Risikoeinheit).21 Wichtig ist, dass diese gruppenbezogenen Anforderungen grundsätzlich zusätzlich zur Einzelaufsicht zu erfüllen sind. Es kann insoweit von dem Grundsatz einer „Zwei-Ebenen-Aufsicht“ (dual-level-supervision) gesprochen werden.22 In der CRD werden in den Art. 111–127 die verfahrensrechtlichen Prinzipien der Beaufsichtigung der Institute auf konsolidierter Basis normiert, die insbesondere bei grenzüberschreitenden Gruppenstrukturen eine wichtige Rolle spielen. Art. 108 CRD sieht zudem vor, dass die Anforderungen an das aufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren grundsätzlich auf konsolidierter Basis zu erfüllen sind. Gleiches gilt im Ausgangspunkt gem. Art. 109 CRD für die Anforderungen an die Corporate Governance sowie das Compliance- und Risikomanagement. Durch CRD V/ CRR II wurden die Anforderungen an die Gruppenaufsicht in Teilen ergänzt und erweitert (vgl. dazu im Einzelnen § 16). 2. Regelungszwecke a) Mehrfachbelegung des haftenden Eigenkapitals
Die Vorgaben an die konsolidierte Bankenaufsicht dienten ursprünglich dem Zweck, eine Mehrfachbelegung des haftenden Eigenkapitals zu verhindern.23 Bereits im Jahre 1979 hatte in Deutschland die Studienkommission „Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft“ darauf hingewiesen, dass Banken durch die Gründung oder den Erwerb von Tochtergesellschaften „Kreditpyramiden“ aufbauen und damit die Eigenkapitalvorschriften umgehen können. Diesem Phänomen liegt folgender Mechanismus zugrunde: Erwirbt ein Institut eine Beteiligung an einem anderen Unternehmen oder gründet dieses eine Tochtergesellschaft, so führt dieser Vorgang aus Sicht der Muttergesellschaft lediglich zu einer Vermögensumschichtung auf der Aktivseite der Bilanz.24 Ihr Eigenkapital Vgl. Art. 4(1) Nr. 47 CRR. Dieser Begriff wird verwendet im Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Vorschriften zur Regelung der Anwendungsebenen der Bankenaufsicht, 5.8.2015 COM (2015) 388 final, Ziffer 2. 23 Basler Ausschuss, Konsolidierte Aufsicht über das internationale Geschäft der Banken, März 1979, S. 1. Vgl. auch RegBegr. zur 3. KWG-Novelle, BT-Drucks. 10/1441, S. 22 ff. (zum deutschen Recht). Aus dem Schrifttum siehe etwa Uwe H. Schneider, WM 1978, 1250, 1257; Dürselen, ZBB 1997, 345, 346; Kokemoor, Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis, 1997, S. 5 f.; Koppensteiner, Bankenaufsicht und Bankengruppen, 1991, S. 19; van de Sande, Die Unternehmensgruppe im Banken- und Versicherungsaufsichtsrecht, 2003, S. 233 ff.; Senger, Bankenaufsicht, Unternehmensverbindungen und Bankengruppen, 2004, S. 325 ff. 24 Vgl. Kokemoor, Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis, 1997, S. 5 f.; van de Sande, Die Unternehmensgruppe im Banken- und Versicherungsaufsichtsrecht, 2003, S. 235 ff.; Senger, Bankenaufsicht, Unternehmensverbindungen und Bankengruppen, 2004, S. 325 ff. 21 22
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ändert sich hierdurch nicht.25 Bei der gegründeten oder erworbenen Tochtergesellschaft wird die Beteiligung jedoch weiterhin auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen. Ohne Berücksichtigung der gruppeninternen Kapitalbeziehungen könnte das Beteiligungskapital damit doppelt sowohl von der Mutter- als auch der Tochtergesellschaft zur Unterlegung von Risikoaktiva verwendet werden. 11
Folgendes Beispiel soll diesen Zusammenhang illustrieren:26 Verfügt ein Institut über Eigenmittel in Höhe von EUR 1.000 Mio., so können nach den in § 8 dargestellten Grundsätzen – ohne Berücksichtigung der Kapitalpuffer bzw. etwaiger Kapitalzuschläge27 – „risikogewichtete Aktiva“ in Höhe von maximal EUR 12.500 Mio. unterlegt werden. Gründet die Bank mit einer Einlage von EUR 200 Mio. ein Tochterunternehmen, so erhöht sich ohne Berücksichtigung der Beteiligungsverhältnisse das zulässige Geschäftsvolumen der Institutsgruppe beträchtlich: Die Muttergesellschaft kann zusätzlich zur Beteiligung an der Tochtergesellschaft Risikopositionen in Höhe von maximal EUR 12.300 Mio.28 und die Tochtergesellschaft Risikopositionen in Höhe von maximal EUR 2.500 Mio.29 aufbauen. Obwohl sich das tatsächlich vorhandene Eigenkapital nicht erhöht hat, kann der aus Mutter- und Tochtergesellschaft bestehende Unternehmensverbund damit das zulässige Geschäftsvolumen um insgesamt EUR 2.300 Mio. erweitern.30 Durch die Pflicht zur Eigenmittelkonsolidierung soll eine solche Mehrfachbelegung des Eigenkapitals ausgeschlossen werden, indem die von der Muttergesellschaft gehaltenen Kapitalbeträge von den Eigenmitteln der gruppenangehörigen Unternehmen abgezogen werden.31
b) Gruppeninterne Ansteckungseffekte 12
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Spätestens seitdem die konsolidierte Aufsicht auch die qualitativen Anforderungen an das Compliance- und Risikomanagement der Institute erfasst, lassen sich die gruppenbezogenen Regelungen nicht mehr allein mit dem Ziel der Verhinderung einer Mehrfachbelegung des haftenden Eigenkapitals erklären. Ein weiterer Regelungszweck der Gruppenaufsicht besteht darin, die von der Institutsgruppe als wirtschaftliche Einheit ausgehenden Risiken zu erfassen und Ansteckungsgefahren innerhalb des Unternehmensverbundes zu begren-
25 Bilanzrechtlich handelt es sich um einen erfolgsneutralen Aktivtausch: Liquide Mittel werden in Beteiligungsvermögen umgeschichtet. 26 Vgl. zu einem ähnlichen Rechenbeispiel Senger, Bankenaufsicht, Unternehmensverbindungen und Bankengruppen, 2004, S. 341 ff. 27 Vgl. § 8. 28 Zur Verfügung stehende Eigenmittel (EUR 1.000 Mio.) – die für die Beteiligung an der Tochtergesellschaft zu unterlegende Eigenmittel (EUR 16 Mio.) = EUR 984 Mio. × 12,5 = EUR 12.300 Mio. 29 Einlage (EUR 200 Mio.) × (12,5) = EUR 2.500 Mio. 30 Maximale Risikoaktiva der Mutter (EUR 12.300 Mio.) + maximale Risikoaktiva der Tochter (EUR 2.500 Mio.) – maximale Risikoaktiva des Instituts ohne Beteiligungsgründung bzw. Beteiligungserwerb (EUR 12.500 Mio.) = EUR 2.300 Mio. 31 Im Fallbeispiel würde der auf die Tochter entfallende Kapitalanteil (EUR 200 Mio.) von dem zusammengefassten Eigenkapital in Höhe von EUR 1.200 Mio. subtrahiert. Das konsolidierte Eigenkapital der Gruppe beträgt somit EUR 1.000 Mio. Da dies den Eigenmitteln des Instituts vor Gründung der Tochter entspricht, wäre eine Mehrfachbelegung des Eigenkapitals ausgeschlossen.
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zen.32 Der Gesetzgeber reagiert damit auf das Phänomen, dass Missstände bei einem verbundenen Unternehmen auf andere Teile der Unternehmensgruppe übergreifen können. Auch in der Finanzkrise hat sich gezeigt, dass Risiken aus dem Bereich der Tochter- und Zweckgesellschaften häufig auf die Mutterbank „durchschlagen“ und damit den Fortbestand der gesamten Gruppe gefährden.33 Die Institutsgruppe wird vom Bankenaufsichtsrecht deshalb als Risikoeinheit angesehen.34 Die konsolidierte Bankenaufsicht soll dazu beitragen, die Integrität der Unternehmensgruppe zu schützen und damit das Vertrauen der Einleger zu stärken.35 aa) Gesellschaftsrechtliches Trennungsprinzip
Dass negative Entwicklungen bei einer Tochtergesellschaft auch Auswirkungen auf die übrigen Konzernunternehmen haben können, versteht sich wegen der rechtlichen Selbstständigkeit der gruppenangehörigen Unternehmen nicht von selbst. Denn Unternehmen einer Institutsgruppe sind nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen36 rechtlich selbstständige Rechtsträger.37 Jedes Konzern- bzw. Gruppenunternehmen haftet für seine Verbindlichkeiten selbst.38 Die Muttergesellschaft muss daher grundsätzlich nicht für die Verluste und Verbindlichkeiten ihrer Töchter einstehen. Etwas anderes gilt dann, wenn zwischen den Mutter- und Tochterunternehmen ein Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrag geschlossen wurde. 32 Basler Ausschuss, Grenzüberschreitende Bankenaufsicht, Oktober 1996, Anhang B, Rn. 3 („Ansteckungsrisiko“); Anhang 2(2) der Finanzkonglomerate-Richtlinie („Übergreifen auf andere Teile des Finanzkonglomerats“); Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag der Konsolidierungsrichtlinie von 1992, Amtsblatt Nr. C 102/19 (1991); RegBegr. zur 3. KWG-Novelle, BT-Drucks. 10/1441, S. 23 („Haftungsverbund“); RegBegr. zur 4. KWG-Novelle, BT-Drucks. 12/3377, S. 34 („Ansteckungsgefahr“). Vgl. ferner Tripartite-Bericht, Rn. 47. Siehe aus dem Schrifttum Gleeson, International Banking Regulation, 3. Aufl. 2018, Rn. 24.02 („key principle is that of contagion risk“); Herdegen, Bankenaufsicht im Europäischen Verbund, 2010, S. 14; Koppensteiner, Bankenaufsicht und Bankengruppen, 1991, S. 5 f.; Jörgens, Die koordinierte Aufsicht über europaweit tätige Bankengruppen, 2002, S. 144 ff.; Ohler, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, Band 2, 3. Auf. 2017, § 76 Rn. 63; Schieber, Die Aufsicht über Finanzkonglomerate, 1998, S. 94 ff.; van de Sande, Die Unternehmensgruppe im Banken- und Versicherungsaufsichtsrecht, 2003, S. 51 ff. 33 Vgl. hierzu etwa Basler Ausschuss, Guidelines Identification and management of step-in risk, Oktober 2017. Für Fallbeispiele Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 4 ff. 34 Vgl. bereits oben Rn. 3. 35 In diesem Sinne auch Basler Ausschuss, Grenzüberschreitende Bankenaufsicht, Oktober 1996, Anhang B Rn. 3 (S. 24). 36 Das Konzernrecht ist in Europa nicht harmonisiert. Es sind verschiedene Regelungskonzepte anzutreffen. Zum „Gruppeninteresse“ im Europäischen Konzernrecht zuletzt Schön, ZGR 2019, 343–378. 37 Vgl. § 15 AktG („rechtlich selbständige Unternehmen“). 38 § 1(1) Satz 2 AktG. Siehe auch BGH, Urteil vom 21.9.1981, II ZR 104/80, BGHZ 81, 311, 317 (Sonnenring); BGH, Urteil vom 24.1.2006, XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84, 98 (Rn. 57).
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Im Einzelnen ist zwischen der Art der Unternehmensverbindung zu differenzieren. In sogenannten faktischen Unternehmensverbindungen (bei Aktiengesellschaften vgl. §§ 311 ff. AktG) ist die Leitungsmacht des übergeordneten Unternehmens nicht durch einen Beherrschungsvertrag abgesichert. Die Geschäftsleiter der abhängigen Institute bleiben für die Leitung des Tochterunternehmens verantwortlich.39 Einen Vermögensausgleich schuldet das herrschende Unternehmen nach der Konzeption der §§ 311 ff. AktG lediglich dann, wenn es die abhängige Aktiengesellschaft zur Vornahme einer für sie nachteiligen Maßnahme veranlasst hat.40 In diesem Fall ist die Obergesellschaft verpflichtet, den Vermögensnachteil bis zum Ende des Geschäftsjahres auszugleichen. Anderenfalls haftet diese nach § 317 AktG für den entstandenen Schaden. Eine unmittelbare Einstandspflicht der Muttergesellschaft besteht nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen nur in eng umrissenen Sonderkonstellationen.41 Im Vertragskonzern (also bei Bestehen eines Beherrschungsbzw. Gewinnabführungsvertrags) ist das übergeordnete Unternehmen dagegen zum Verlustausgleich verpflichtet (§ 302 AktG).42 Der Abschluss von Ergebnisabführungsverträgen ist in der Regel steuerlich motiviert (steuerliche Organschaft). Es sind bankenaufsichtsrechtliche Besonderheiten bei Abschluss von Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträgen zu beachten.43 Im sog. Eingliederungskonzern44 steht die Konzernspitze für die Verbindlichkeiten ihrer Tochterunternehmen ein.
bb) Ansteckungskanäle 16
Dass Krisen und Missstände in der Tochtergesellschaft trotz der gesellschaftsrechtlichen Haftungstrennung auf die Muttergesellschaft übergreifen können, ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Es lassen sich direkte und indirekte Ansteckungseffekte unterscheiden.45
(1) Direkte Ansteckungseffekte 17
Direkte Ansteckungseffekte resultieren aus einer unmittelbaren Verbindung zwischen der Mutter- und der Tochtergesellschaft sowie deren Gläubigern. NeSo jedenfalls im Aktienkonzern (§ 76 AktG). Handelt es sich bei der abhängigen Gesellschaft um eine GmbH, greifen die Grundsätze des „Schädigungsverbotes“ nach den ITT-Grundsätzen (BGH, Urteil vom 5.6.1975, II ZR 23/ 74). 41 Vgl. hierzu Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 158 ff. (zur Frage der Fortgeltung des „qualifiziert faktischen Konzerns“ und den Grundsätzen der Existenzvernichtungshaftung). 42 Diese Vorschrift findet nach überwiegender Ansicht entsprechend Anwendung, wenn es sich bei dem abhängigen Unternehmen um eine GmbH handelt. 43 Zu den Auswirkungen auf die Anrechnung des harten Kernkapitals bereits oben § 8 Rn. 36 f. Aufsichtsrechtlich ist der Abschluss eines Beherrschungsvertrags zwar grundsätzlich zulässig. In Deutschland verlangt die BaFin allerdings, dass im Unternehmensvertrag klargestellt wird, dass die aufsichtsrechtliche Verantwortlichkeit des Tochtervorstands für die Einhaltung von Pflichten nach KWG/CRR unberührt bleibt. Hintergrund ist die aufsichtsrechtliche Vorgabe in § 25a(1) Satz 2 KWG, wonach die Geschäftsleiter für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation des Instituts verantwortlich sind. 44 §§ 319, 322(1) AktG (gesamtschuldnerische Haftung). 45 Vgl. hierzu auch Basler Ausschuss, Guidelines – Identification and management of stepin risk, Oktober 2017, Rn. 33 ff. 39 40
§ 15 Grundlagen
315
ben dem allgemeinen Beteiligungsrisiko, dass der Kapitalanteil an der Tochtergesellschaft an Wert verliert, sind in diesem Zusammenhang vor allem gruppeninterne Kreditverflechtungen zu nennen. Diese können in der Insolvenz des Tochterunternehmens einen erheblichen Abschreibungsbedarf bei der Muttergesellschaft hervorrufen und damit deren wirtschaftliche Existenz gefährden.46 Ansteckungsgefahren können ferner aus rechtsgeschäftlich begründeten Einstandspflichten resultieren. So wurden in Deutschland von der Regierungsbegründung zur dritten KWG-Novelle Patronatserklärungen als Haftungsgrund genannt.47 Unter diesem Oberbegriff werden alle Erklärungen einer Muttergesellschaft zusammengefasst, durch die diese zusagt, für eine nötige finanzielle Ausstattung der Tochterunternehmen zu sorgen. Derartige Einstandserklärungen finden sich mit abweichenden Formulierungen in den Geschäftsberichten vieler deutscher Banken.48 Sofern ein Tochterinstitut an der privaten Einlagensicherung teilnimmt, müssen von den Muttergesellschaften zudem regelmäßig Freistellungserklärungen abgegeben werden.49 Als verheerend haben sich in der Finanzkrise die bereits angesprochenen Kredit- und Liquiditätszusagen erwiesen, die vielfach von den Banken an ihre Tochter- und Zweckgesellschaften abgegeben wurden.50 Eine solche an die US-amerikanische Zweckgesellschaft „Rhineland Funding Capital Corporation LLC“ gewährte Liquiditätslinie in Höhe von EUR 8,1 Mrd. wurde der in Schieflage geratenen IKB-Bank zum Verhängnis: Nachdem Mitte 2007 der Subprime-Markt zusammenbrach und sich die Rhineland Funding nicht mehr selbst refinanzieren konnte, stand die IKB-Bank aufgrund der Liquiditätszusage für das Absatz- und Liquiditätsrisiko ihrer Zweckgesellschaft ein.51 Die negativen Entwicklungen auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt schlugen damit im vollen Umfang auf die deutsche Industriebank durch.
Konzerninterne Verflechtungen wurden der Hypo Real Estate Holding AG zum Verhängnis: Die Gesellschaften der HRE-Gruppe waren, wie aus dem Bericht des anlässlich der Rettung der Bank eingesetzten Untersuchungsausschusses hervorgeht, „wie bei anderen Bankkonzernen auch, durch konzerninterne Geschäfte miteinander verflochten“. Eine Teilinsolvenz der in die Krise geratenen Depfa Plc. schied daher aus. Vgl. BT-Drucks. 16/14000, S. 199. 47 RegBegr. zur 3. KWG-Novelle, BT-Drucks. 10/1441, S. 23. 48 Vgl. etwa den Geschäftsbericht der Deutschen Bank AG von 2018, S. 182: „Die Deutsche Bank AG trägt für die folgenden Tochtergesellschaften, abgesehen vom Fall des politischen Risikos, dafür Sorge, dass sie ihre vertraglichen Verbindlichkeiten erfüllen können“, abrufbar unter: https://www.db.com/ir/de/download/Jahresabschluss_und_Lagebericht_der_Deutsch en_Bank_AG_2018.pdf. 49 Erklärung gem. § 5(10) der Statuen des Einlagensicherungsfonds des Bundesverbands deutscher Banken. 50 Vgl. hierzu Basler Ausschuss, Enhancements to the Basel II framework, Juli 2009, Rn. 36 ff. 51 Die Erteilung der Kreditzusage war notwendig, um das für die Refinanzierung benötigte gute Rating der Rhineland Funding sicherzustellen. Vgl. für Einzelheiten den geänderten IKB-Lagebericht 2006/2007, S. 12 ff. 46
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Teil 5: Gruppenaufsicht
(2) Indirekte Ansteckungseffekte 20
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Mindestens ebenso bedeutend wie rechtsgeschäftlich begründete Einstandspflichten sind sog. „indirekte“ Ansteckungsrisiken. Hierunter können sämtliche informationsinduzierten Übertragungseffekte verstanden werden, die zu keinen unmittelbaren Vermögensverlusten führen, sondern vielmehr die Reputation des Mutterunternehmens gefährden. Sie werden vom Basler Ausschuss als Hauptgrund für die „zentrale Bedeutung“ der konsolidierten Bankenaufsicht genannt.52 Reputationsverluste, die durch einen Missstand bei der Tochtergesellschaft hervorgerufen werden, können die Existenz der gesamten Institutsgruppe gefährden. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Bankengruppe von den Marktteilnehmern oft als wirtschaftliche Einheit wahrgenommen wird.53 Zahlungsschwierigkeiten eines Tochterunternehmens können daher als Signal dafür gewertet werden, dass sich auch die Muttergesellschaft in Schwierigkeiten befindet.54 Der hiermit einhergehende Vertrauensverlust kann wiederum einen schlagartigen Liquiditätsabzug bei der Obergesellschaft hervorrufen, der in der Grundstruktur dem weiter oben beschriebenen „Bank Run“ entspricht.55 Das Mutterunternehmen wird daher oft freiwillig bereit sein, für die Verbindlichkeiten ihrer Tochter- und Zweckgesellschaften einzustehen, um ihre eigene Zahlungsfähigkeit zu sichern.56 Wie die Erfahrungen der Finanzkrise bestätigen, gilt dies auch dann, wenn keine rechtliche Zahlungspflicht besteht.57 Das gruppeninterne Ansteckungsrisiko geht aus diesem Grund über die gesetzliche Haftung hinaus.58
52 Basler Ausschuss, Grenzüberschreitende Bankenaufsicht, Oktober 1996, Anhang B Rn. 3 (S. 24): „Einer der Hauptgründe für die zentrale Bedeutung der konsolidierten Aufsicht ist die Gefahr eines gravierenden Vertrauensverlustes, wenn ein konzernverbundenes Unternehmen in Schwierigkeiten gerät. Dieses sog. Ansteckungsrisiko geht weit über die gesetzliche Haftung hinaus. Die konsolidierte Aufsicht trägt dazu bei, die Integrität des Konzerns und das Vertrauen in ihn zu schützen, sowohl bezüglich der beaufsichtigten als auch bezüglich der unbeaufsichtigten Konzernteile.“ (Hervorhebungen hinzugefügt). 53 RegBegr., BT-Drucks. 16/1335, S. 64: „[I]n der öffentlichen Wahrnehmung [steht] bei wirtschaftlichen Entscheidungen regelmäßig die Gruppe im Vordergrund“. 54 Lelyveld/Schilder, Risk in Financial Conglomerates, 2002, S. 11. Siehe auch Wymeersch, FS Druey, 2002, S. 675, 680. 55 Vgl. zu diesem Zusammenhang Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2007/2008, S. 127. Allgemein zum „Bank Run“ oben § 1 Rn. 20 ff. 56 Wymeersch, FS Druey, 2002, S. 675, 680 f. Vgl. auch Koppensteiner, Bankenaufsicht und Bankengruppe, 1991, S. 5; Schieber, Die Aufsicht über Finanzkonglomerate, 1998, S. 99 ff. 57 In der Finanzkrise sind zahlreiche Fälle bekannt geworden, in denen Muttergesellschaften auch ohne rechtliche Einstandspflicht ihre Tochter- und Zweckgesellschaften gestützt haben. Vgl. Basler Ausschuss, Proposed enhancements to the Basel II framework, Juli 2009, Rn. 48 ff.; FSA, DP 09/2, Rn. 6.3. (Box 6.1.) und Rn. 8.4. 58 So ausdrücklich Basler Ausschuss, Grenzüberschreitende Bankenaufsicht, Oktober 1996, Anhang B Rn. 3 (S. 24). Vgl. ebenfalls RegBegr. zur 3. KWG-Novelle, BT-Drucks. 10/1441, S. 23.
§ 15 Grundlagen
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Das Ausmaß der hier beschriebenen informationsbedingten Ansteckungsrisiken hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab:59 Von Bedeutung ist zum einen die Vertrauensanfälligkeit der nicht unmittelbar betroffenen Gruppenunternehmen. Sie wird bei solchen Instituten besonders hoch sein, die Fristentransformation betreiben und auf eine kurzfristige Refinanzierung ihrer langfristigen Aktiva angewiesen sind. Relevant ist zum anderen, wie gut die Marktteilnehmer über die tatsächliche wirtschaftliche Integration der konzernangehörigen Gesellschaften in den Unternehmensverbund informiert sind. Je zuverlässiger sie abschätzen können, dass eine Krise eines konzernverbundenen Unternehmens nicht auf die übrigen Gesellschaften übergreift, desto geringer werden die indirekten Ansteckungseffekte ausfallen. Haben die Gläubiger dagegen keinen vollständigen Einblick in die Konzernstruktur, kann es auch bei nahezu vollständiger wirtschaftlicher Trennung der Konzerngesellschaften für den einzelnen Marktteilnehmer rational sein, seine Vermögenswerte abzuziehen.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unabhängig von den Haftungsverhältnissen in Bankkonzernen die Risiken von Tochtergesellschaften auf die Konzernspitze „durchschlagen“ und damit den Bestand der gesamten Unternehmensverbindung gefährden können. Eine Muttergesellschaft wird es sich typischerweise wegen der zu erwartenden negativen Auswirkung auf deren Liquidität nicht erlauben können, eine Tochtergesellschaft insolvent gehen zu lassen. Die Institutsgruppe präsentiert sich damit trotz der rechtlichen Selbstständigkeit der verbundenen Unternehmen typischerweise als Risikoeinheit.
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III. Verhältnis von Einzelinstitutsaufsicht und Gruppenaufsicht Konzeptionell sind zwei verschiedene Ansätze einer konsolidierten Beaufsichtigung denkbar. Ein erster möglicher Ansatz besteht darin, die Unternehmensgruppe zusätzlich zu den jeweiligen Einzelinstituten zu beaufsichtigen (Soloplus-Modell bzw. Zwei-Ebenen-Aufsicht). Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen müssen hier sowohl auf Einzel- als auch auf Gruppenebene erfüllt werden. Ebenfalls denkbar ist, dass unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Einzelinstitutsaufsicht verzichtet wird. Bei einer solchen reinen Gruppenaufsicht sind die aufsichtsrechtlichen Vorgaben allein auf Gruppenebene zu erfüllen. Das geltende Recht verfolgt grundsätzlich den erstgenannten Ansatz (Soloplus-Modell). Eine Bankengruppe, die aus mehreren Instituten besteht, unterliegt generell60 Aufsichtsvorschriften sowohl auf Einzelbasis als auch auf konsolidierter Basis.61 Allerdings sieht der Unionsgesetzgeber bestimmte Konstellationen vor, bei denen die aufsichtsrechtlichen Anforderungen ausschließlich auf Gruppenebene erfüllt werden müssen (sog. waiver). So kann die zuständige BeÄhnlich Schieber, Die Aufsicht über Finanzkonglomerate, 1998, S. 96. Die Offenlegungsanforderungen gem. Teil 8 der CRR sind gem. Art. 6(3) CRR grundsätzlich nur auf Gruppenebene zu erfüllen. 61 Vgl. zu diesem Konzept Kommission, Bericht an das Europäische Parlament und den Rat über die Vorschriften zur Regelung der Anwendungsebenen der Bankenaufsicht, 5.8.2015 COM (2015) 388 final, Ziffer 2.1. 59 60
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Teil 5: Gruppenaufsicht
hörde eines Mitgliedstaats Tochterunternehmen oder sein Mutterunternehmen von Solvenzanforderungen auf Einzelbasis ausnehmen, wenn das Tochterunternehmen und sein Mutterunternehmen in demselben Mitgliedstaat niedergelassen sind, auf konsolidierter Basis beaufsichtigt werden und denselben Risikomanagementbestimmungen unterliegen und alle in Art. 7 CRR aufgeführten Bedingungen zur Gewährleistung einer angemessenen Verteilung von Eigenmitteln erfüllt sind.
§ 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht Literatur: Vgl. § 15.
I. Überblick über die unionsrechtlichen Regelungsvorgaben 1. Unionsrecht
Im Zuge der Verabschiedung des CRD/CRR-Pakets hat sich ein komplexes europäisches System der Beaufsichtigung und Regulierung von Unternehmensgruppen im Bankensektor herausgebildet. Die Regelungssystematik stellt sich überblicksartig wie folgt dar: Die Vorgaben an die Konsolidierung der quantitativen Anforderungen sowie der Offenlegungspflichten sind im 2. Kapitel des zweiten Titels der CRR normiert (Art. 11–24 CRR). Diese sind unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Die aufsichtsrechtlichen Konsolidierungsvorgaben der CRR erstrecken sich im Ausgangspunkt auf sämtliche in den vorangehenden Abschnitten erörterten Aspekte der quantitativen Aufsicht, namentlich die Anforderungen an die Eigenmittelausstattung1, die Großkredite2, die Verbriefungspositionen,3 die Liquidität4, die Verschuldungsquote5, bestimmte Meldepflichten6 sowie die Offenlegungsanforderungen7.8 Das aufsichtsrechtliche Grundprinzip wird in Art. 11 in Verbindung mit Art. 18 CRR normiert. Die dort genannten Institute sind verpflichtet, die aufsichtsrechtlichen Anforderungen in dem in Art. 18 CRR vorgesehenen Umfang „auf Basis der konsolidierten Lage“ zu erfüllen. Es handelt sich nach der Konzeption des Unionsgesetzgebers dabei um diejenige Lage, die sich ergibt, wenn die Anforderungen so auf ein Institut angewandt werden, als bildete dieses Institut zusammen mit einem oder mehreren anderen Unternehmen „ein einziges Institut“.9 Das Unionsrecht geht für die Zwecke der aufsichtsrechtlichen Konsolidierung damit von einer – aus dem Bilanzrecht bekannten – Einheitsbetrachtung aus.10 Art. 6–10 CRR sehen verschiedene waiver-Regelungen vor.
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Teil 2 und Teil 3 der CRR. Siehe § 8. Teil 4 der CRR. Siehe § 10. Verordnung (EU) 2017/2402. Siehe § 14 Rn. 24 ff. Teil 6 der CRR. Siehe § 9. Teil 7 der CRR. Siehe § 8. Teil 7a der CRR. Teil 8 CRR. Siehe § 13 und § 14. Vgl. Art. 6 CRR. Art. 4(1) Nr. 47 und 48 CRR. Vgl. § 15 Rn. 3.
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Teil 5: Gruppenaufsicht
Unter den dort genannten Voraussetzungen kann ein Institut teilweise von der Einzelaufsicht befreit werden. Die gruppenbezogenen Anforderungen an die Corporate Governance und das qualitative Risikomanagement sind überwiegend in der CRD geregelt und müssen von den Mitgliedstaaten in das jeweilige nationale Recht umgesetzt werden. Gem. Art. 108 Abs. 2 CRD verlangen die zuständigen Behörden von Mutterinstituten in einem Mitgliedstaat, die Pflichten nach Art. 73 CRD (aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren, ICAAP)11 auf konsolidierter Basis zu erfüllen. Gleiches gilt im Ausgangspunkt gem. Art. 109 Abs. 2 CRD auch für die qualitativen Governance- und Risikomanagementanforderungen.12 2. Nationales Recht
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Die unionsrechtlichen Vorgaben an die Eigenmittelkonsolidierung werden in Deutschland in § 10a KWG näher konkretisiert und zum Teil erweitert. Gruppenbezogene Anforderungen an das Compliance- und Risikomanagement sind insbesondere in § 25a Abs. 3 KWG in Verbindung mit MaRisk AT 4.5 normiert. Weitere gruppenbezogene Vorschriften finden sich etwa hinsichtlich der Vergütung (§ 27 Institutsvergütungs-VO) sowie der Geldwäscheprävention (§ 9 GwG).
II. Konsolidierungskreis und Konsolidierungsverantwortung 1. Überblick: Aufsichtsrechtliche Gruppe 5
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In der Unternehmenspraxis haben sich verschiedene Formen von Bankengruppen herausgebildet. Der Gesetzgeber differenziert in der Terminologie des deutschen Rechts zwischen Institutsgruppen, Finanzholding-Gruppen, gemischten Finanzholding-Gruppen sowie Finanzkonglomeraten (zum abweichenden Regelungszugriff des deutschen und europäischen Gesetzgebers noch unten Rn. 11 ff.). Die Grundform bildet die aufsichtsrechtliche Institutsgruppe.13 Es handelt sich hierbei um eine Unternehmensverbindung, an deren Spitze ein Institut steht und dieses ein Institut oder Finanzinstitut als Tochter hat oder eine Beteiligung an einem solchen Institut hält. Von der Institutsgruppe ist die Finanzholding-Gruppe zu unterscheiden. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass an der Spitze der Gruppe eine Finanzhol-
Siehe § 11. Vgl. Art. 109(2) CRD (Pflichten nach Titel VII Abschnitt 2). § 10a(1) KWG bzw. Art. 11(1), (3) i. V. m. Art. 18 CRR. Anders als im deutschen Recht wird der Begriff der „Institutsgruppe“ bzw. „Finanzholding-Gruppe“ vom europäischen Gesetzgeber nicht verwendet. 11 12 13
§ 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht
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dinggesellschaft steht.14 Anders als bei Institutsgruppen traf die Konsolidierungsverantwortung bei einer Finanzholding-Gruppe nach früherer Rechtslage nicht die an der Spitze stehende Finanzholdinggesellschaft, sondern das nachgeordnete Institut.15 Die Rechtslage wurde durch die CRR II allerdings dahingehend reformiert, dass nunmehr bestimmte Finanzholdinggesellschaften selbst zur Konsolidierung verpflichtet sind.16 Finanzkonglomerate sind Unternehmensverbindungen, bei denen mindestens ein Unternehmen der Versicherungsbranche und mindestens eines entweder der Banken- oder Wertpapierbranche mit jeweils „erheblichen“ Tätigkeiten angehört.17 Für derartige Finanzkonglomerate sieht die zuletzt im Jahre 2011 modifizierte Finanzkonglomeraterichtlinie eine zusätzliche Beaufsichtigung vor. Gemischte Finanzholding-Gruppen sind eine Unterform des Finanzkonglomerats, bei der an der Spitze der Unternehmensverbindung eine gemischte Finanzholdinggesellschaft steht. Es handelt sich hierbei nach der Definition des europäischen Gesetzgebers um ein nicht der Aufsicht unterliegendes Mutterunternehmen, das zusammen mit seinen Tochterunternehmen, von denen mindestens eines ein beaufsichtigtes Unternehmen mit Sitz in der Gemeinschaft ist, und anderen Unternehmen ein Finanzkonglomerat bildet.18
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Innerhalb der aufsichtsrechtlichen Gruppe können jeweils verschiedene (Teil-) Konsolidierungskreise bestehen. Auch ist möglich, dass beispielsweise innerhalb einer übergeordneten Institutsgruppe eine Finanzholding-Gruppe existiert, die gesondert konsolidiert werden muss. Es ist zudem zu beachten, dass die aufsichtsrechtliche Gruppe nicht notwendigerweise mit der Gruppe im Sinne des Bilanzrechts bzw. des jeweiligen Gesellschaftsrechts identisch ist (vgl. unten Rn. 26 ff.).
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In der CRR werden insbesondere die aufsichtsrechtlichen Konsolidierungspflichten hinsichtlich der Anforderungen gem. Säule 1 und 3 der Bankenaufsicht (Eigenmittelanforderungen, Offenlegungspflichten) geregelt. Diese sind unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Diese Anforderungen werden
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14 Der Begriff der Finanzholdinggesellschaft wird in Art. 4(1) Nr. 20 CRR definiert als ein „Finanzinstitut, das keine gemischte Finanzholdinggesellschaft ist und dessen Tochterunternehmen ausschließlich oder hauptsächlich Institute oder Finanzinstitute sind, wobei mindestens eines dieser Tochterunternehmen ein Institut ist“. Diese Definition wurde durch die CRR II dahingehend konkretisiert, dass Tochterunternehmen eines Instituts dann „hauptsächlich“ Institute oder Finanzinstitute sind, wenn mindestens eines dieser Tochterunternehmen ein Institut ist und wenn über 50 % des Eigenkapitals, der konsolidierten Bilanzsumme, der Einkünfte, des Personals des Finanzinstituts oder eines anderen von der zuständigen Behörde als relevant erachteten Indikators Tochterunternehmen zuzuordnen sind, bei denen es sich um Institute oder Finanzinstitute handelt. 15 Dazu unten Rn. 22 ff. 16 Art. 11(2) Satz 1 lit. a CRR (eine gem. Art. 21a CRD zugelassene Finanzholdinggesellschaft bzw. gemischte Finanzholdinggesellschaft). Siehe Rn. 22 ff. 17 Vgl. im Einzelnen die Definition in Art. 2 Nr. 14 der Richtlinie 2002/87/EG (modifiziert durch die Richtlinie 2011/89/EU). 18 Art. 2 Nr. 15 der Richtlinie 2002/87/EG.
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allerdings durch das nationale Recht konkretisiert und auch erweitert. Der Regelungszugriff des deutschen und europäischen Gesetzgebers weist erhebliche Unterschiede auf. Dies zeigt sich deutlich bei der Definition der gruppenrelevanten Sachverhalte. Im Gegensatz zum nationalen Recht verwendet der europäische Gesetzgeber die Begriffe „Institutsgruppe“ bzw. „FinanzholdingGruppe“ nicht, sondern bestimmt, welcher Rechtsträger für die Konsolidierung verantwortlich ist und welche Unternehmen in die konsolidierte Betrachtung einzubeziehen sind (vgl. unten Rn. 14 ff.). Konzeptionell setzt das Unionsrecht stärker als das nationale Umsetzungsrecht an den jeweiligen Pflichten der Mutter- und Tochtergesellschaften an. Das deutsche Recht orientiert sich demgegenüber tatbestandlich stärker an der jeweiligen Art der Unternehmensverbindung (Institutsgruppe, (gemischte) Finanzholding-Gruppe).19 Die Reichweite der gruppenbezogenen Anforderungen erfährt durch das nationale Recht zudem eine erhebliche Erweiterung, da diese eine Konsolidierungspflicht auch für „nationale“ Institute als übergeordnete Unternehmen einer Institutsgruppe statuiert, die keine Kreditinstitute im Sinne der CRR sind.20 Die divergierenden Regelungsansätze sind eine Konsequenz der bislang nicht vollständig harmonisierten Anforderungen an die Gruppenaufsicht. Hieraus resultieren verschiedene Auslegungsprobleme bei der Anwendung des nationalen und europäischen Rechts. Die Anwendungsprobleme werden dadurch verschärft, dass die tatbestandlichen Vorgaben sowohl des Unionsrechts als auch des Kreditwesengesetzes in technischer Hinsicht nicht vollständig geglückt sind.21 Im Zuge der Reform des CRD-IV/CRR-Regimes durch die CRR II wurde inzwischen eine Legaldefinition der „Gruppe“ in das europäische Aufsichtsrecht eingeführt.22 Es handelt sich hiernach um eine Gruppe von Unternehmen, von denen mindestens eines ein Institut ist und die aus einem Mutterunternehmen und seinen Tochterunternehmen oder aus Unternehmen besteht, die untereinander in der in Art. 22 der Bilanzrichtlinie bezeichneten Verbindung stehen. Dieser Gruppenbegriff baut auf dem Konzept der Gruppe im Sinne der Bilanzrichtlinie auf (mit der Modifikation, dass eines der gruppenangehörigen Unternehmen ein Institut im Sinne der CRR sein muss). Für die aufsichtsrechtliche Konsolidierung hat die Einführung der Legaldefinition der „Gruppe“ zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen. Denn der unionsrechtliche Konsolidierungskreis wird weiterhin durch Art. 11 in Verbindung mit Art. 18 CRR bestimmt. Die Legaldefinition kann allerdings zur Konkretisierung der Reichweite der gruppenbezogenen Anforderungen der CRD/CRR herangezo-
19 Hierauf zu Recht hinweisend Binder, in: Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020, § 16 Rn. 4. 20 § 10a(1) Satz 2 2. Halbsatz (Konsolidierungspflicht gem. § 1a KWG i. V. m. Art. 11 CRR). Zum Institutsbegriff des Kreditwesengesetzes vgl. § 7 Rn. 30 ff. 21 Vgl. zu den komplexen Begriffsbestimmungen im Unionsrecht Rn. 14 ff. Unschärfen ergeben sich in § 10a KWG dadurch, dass im Anwendungsbereich der Art. 11 ff. CRR die in § 10a KWG enthaltenen Regelungen z. T. deklaratorischer Natur sind. Kritisch auch Renner, Bankkonzernrecht, 2019, S. 153 ff. 22 Art. 4(1) Nr. 138 CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung).
§ 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht
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gen werden, die tatbestandlich an das Vorliegen einer „Gruppe“ anknüpfen (wie etwa die Vorgaben zum Gruppenprivileg bei den Mandatsbegrenzungen gem. Art. 91 Abs. 4 lit. a CRD, vgl. § 12 Rn. 36 ff.).
2. Konsolidierungsebenen
Die Konsolidierungspflichten werden im Ausgangspunkt durch Art. 11 ff. in Verbindung mit Art. 18 CRR bestimmt. Die unionsrechtlichen Regelungen sind außerordentlich komplex und rechtstechnisch nicht vollständig geglückt.23 Es sind zwei Problemkreise zu unterscheiden. Erstens: Auf welcher Ebene besteht eine Konsolidierungspflicht und welchem Rechtsträger ist die Konsolidierungsverantwortung zugewiesen (dazu unten Rn. 15 ff.)? Und zweitens: Welche Unternehmen sind in die aufsichtsrechtliche Konsolidierung jeweils einzubeziehen (dazu unten Rn. 26 ff.)?
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a) Mutterinstitute und Institutsgruppen aa) Konsolidierung auf Ebene des Mitgliedstaats
Als Grundform regelt Art. 11 Abs. 1 CRR die Konsolidierung auf Ebene des Mitgliedstaats. Begrifflich knüpft die Konsolidierungspflicht an das Vorliegen eines „Mutterinstituts in einem Mitgliedstaat“ an. Nach der Legaldefinition handelt es sich hierbei um (i) ein CRR-Institut in einem Mitgliedstaat, das (ii) ein CRR-Institut oder Finanzinstitut als Tochter hat oder eine Beteiligung24 an einem solchen CRR-Institut hält und (iii) nicht selbst Tochterunternehmen eines anderen, in demselben Mitgliedstaat zugelassenen CRR-Instituts oder einer in demselben Mitgliedstaat errichteten (gemischten) Finanzholdinggesellschaft ist.25 Es handelt sich bei dem Mutterinstitut in einem Mitgliedstaat somit um das oberste inländische Institut der Gruppe.26 Dies ergibt sich aus dem in der Legaldefinition enthaltenen Negativkriterium, wonach das Institut nicht selbst Tochterunternehmen eines anderen „in demselben“ Mitgliedstaat zugelassenen Instituts ist.27 „Mutterinstitute in einem Mitgliedstaat“ sind verpflichtet, sämtliche in den vorangehenden Kapiteln erörterten quantitativen Anforderungen der laufenden Bankenaufsicht – mit Ausnahme der Offenlegungs- und der Liquiditätsanfor23 Dies gilt insbesondere hinsichtlich der sperrigen Definitionsvorschriften, an denen die Konsolidierungspflichten anknüpfen und die zahlreiche Negativkriterien enthalten (vgl. unten Rn. 15). 24 Vgl. zum Begriff der Beteiligung Art. 4(1) Nr. 35 CRR. 25 Art. 4(1) Nr. 28 CRR. 26 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die anschauliche Darstellung bei Lendermann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 71 (201. AL Juli 2018). 27 Nach der Begriffsdefinition steht dem allerdings nicht entgegen, dass das übergeordnete Unternehmen eine gemischte Holdinggesellschaft gem. Art. 4(1) Nr. 22 CRR ist. So auch Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 19.
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derungen28, die grundsätzlich auf Ebene des EU-Mutterinstituts einzuhalten sind (s. u.) – auf konsolidierter Basis zu erfüllen. Materiell-rechtliche Konsolidierungspflichten bestehen insbesondere hinsichtlich der Eigenmittelanforderungen29, der Großkreditbestimmungen30 sowie der Vorgaben an die Verschuldungsquote31. Besonderheiten sind bezüglich der Verbriefungsanforderungen zu beachten.32 Das Mutterinstitut ist zudem für eine gruppenweite Erfüllung der ICAAP-Anforderungen gem. Säule 2 (Art. 73 CRD) verantwortlich.33 17
Nach bisheriger Rechtslage wurden von der Konsolidierungspflicht gem. CRR neben Kreditinstituten grundsätzlich auch Wertpapierfirmen erfasst.34 Im Zuge der Verabschiedung der Wertpapierfirmen-Verordnung35 können ab dem 26. Juni 2021 Mutterinstitute in einem Mitgliedstaat im Ausgangspunkt nur noch zugelassene CRR-Kreditinstitute bzw. gem. Art. 8a Abs. 3 CRD hierzu benannte Unternehmen mit Sitz in einem EWR-Mitgliedstaat sein.36 Wertpapierfirmen gelten ab diesem Zeitpunkt als Mutterfinanzholdinggesellschaften oder als Unions-Finanzholdinggesellschaften, wenn diese Wertpapierfirmen Mutterunternehmen eines Instituts oder einer CRR unterliegenden Wertpapierfirma nach Art. 1 Abs. 2 oder Abs. 5 der Wertpapierfirmen-Verordnung sind (vgl. Art. 10a CRR). Im übrigen gilt für Wertpapierfirmengruppen nunmehr ein eigenständiges Aufsichtsregime.
bb) Konsolidierung auf EWR-Ebene 18
Für die Liquiditätsanforderungen sowie die Offenlegungspflichten sieht das Unionsrecht eine Konsolidierung auf EWR-Ebene vor.37 Begrifflicher Anknüpfungspunkt ist jeweils das Vorliegen eines „EU-Mutterinstituts“. Nach der Legaldefinition handelt es sich hierbei um (i) ein Mutterinstitut in einem Mitgliedstaat, das (ii) nicht Tochtergesellschaft eines anderen, in einem Mitgliedstaat zugelassenen Instituts oder einer in einem anderen Mitgliedstaat errichteten (gemischten) Finanzholdinggesellschaft ist.38 Das EU-Mutterinstitut ist somit das oberste Unternehmen in der Gruppe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums.
Diese sind grundsätzlich auf Ebene des EU-Mutterinstituts zu erfüllen. Allerdings können Mutterinstitute in einem Mitgliedstaat unter den Voraussetzungen von Art. 13(1) Unterabs. 2 und Art. 13(2) Unterabs. 2 CRR unter bestimmten Voraussetzungen zur Teilkonsolidierung bestimmter Offenlegungspflichten verpflichtet sein. 29 Art. 11(1), Teil 2 und 3 CRR. 30 Art. 11(1), Teil 4 CRR. 31 Art. 11(1), Teil 7 CRR. 32 Art. 14 CRR. 33 Art. 107(2) CRD. 34 Daher Firmen im Sinne von Art. 4(1) Nr. 2 CRR in der bis zum Inkrafttreten der Wertpapierfirmen-VO geltenden Fassung. 35 Vgl. § 7 Rn. 45 ff. 36 Art. 4(1) Nr. 3 CRR (in der durch die Wertpapierfirmen-VO geänderten Fassung). 37 Art. 11(3), Teil 6 CRR (Liquidität); Art. 13(1), Teil 8 CRR (Offenlegung). Hierzu auch Lendermann, Beck/Samm/Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 74 f. (201. AL Juli 2018). 38 Art. 4(1) Nr. 29 CRR. 28
§ 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht
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Aus der Begriffsdefinition folgt, dass ein EU-Mutterinstitut zwingend zugleich auch ein „Mutterinstitut in einem Mitgliedstaat“ ist. EU-Mutterinstitute müssen somit die oben beschriebenen Konsolidierungspflichten gem. Art. 11 Abs. 1 CRR erfüllen. Begriffslogisch kann es innerhalb der EWR jeweils nur ein einziges EU-Mutterinstitut (wohl aber mehrere CRR-Institute in einem Mitgliedstaat) geben.
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cc) Ergänzungen durch das nationale Recht
Die gruppenbezogenen Anforderungen werden durch das nationale Kreditwesengesetz in Teilen erweitert. Konzeptioneller Ausgangspunkt ist der Begriff der Institutsgruppe. Diese besteht aus einem übergeordneten Unternehmen und einem oder mehreren nachgeordneten Unternehmen.39 Übergeordnete Unternehmen einer Institutsgruppe können gem. § 10a Abs. 1 Satz 2 KWG neben CRR-Instituten auch „nationale“ Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sein.40 Die Reichweite der Konsolidierungsverantwortung wird dadurch deutlich erweitert. Die BaFin kann im Einzelfall gem. § 11 Abs. 3 KWG zusätzliche Liquiditätsanforderungen aufstellen, die über die unionsrechtlichen Vorgaben hinausgehen. Die gruppenbezogenen Offenlegungsanforderungen werden im nationalen Recht durch § 26a KWG ergänzt. Das Kreditwesengesetz statuiert zudem weitreichende gruppenbezogene Anforderungen an das Compliance- und Risikomanagement (dazu unten Rn. 44 ff.).
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b) Finanzholding-Gruppe aa) Konsolidierung auf Ebene des Mitgliedstaats
Analog zur Institutsgruppe sieht Art. 11 Abs. 2 Satz 1 CRR für FinanzholdingGruppen eine Konsolidierung auf Ebene des Mitgliedstaats vor. Begrifflicher Anknüpfungspunkt ist das Vorliegen einer (gemischten) „Mutterfinanzholdinggesellschaft in einem Mitgliedstaat“. Die „Mutterfinanzholdinggesellschaft in einem Mitgliedstaat“ wird definiert als eine (i) Finanzholdinggesellschaft41, die (ii) nicht Tochterunternehmen eines im selben Mitgliedstaat zugelassenen Instituts oder einer im selben Mitgliedstaat errichteten Finanzholdinggesellschaft oder gemischten Finanzholdinggesellschaft ist.42 Anders als bei Institutsgruppen oblag die Konsolidierungsverantwortung bei Finanzholding-Gruppen bislang nicht der Finanzholdinggesellschaft als des aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive obersten Unternehmens, sondern gem. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 CRR in der bis zum 27. Dezember 2020 gültigen Fassung grundsätzlich dem CRR-Institut, das von der (gemischten) Mut-
39 40 41 42
§ 10a(1) Satz 2 KWG. Zum Institutsbegriff im KWG vgl. oben § 7 Rn. 30 ff. Vgl. Art. 4(1) Nr. 20 CRR. Vgl. Art. 4(1) Nr. 30 CRR.
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Teil 5: Gruppenaufsicht
terfinanzholdinggesellschaft in einem Mitgliedstaat kontrolliert wird.43 Der Grund hierfür ist, dass die Finanzholdinggesellschaft prinzipiell bislang keiner unmittelbaren unionsrechtlichen Beaufsichtigung unterlag.44 Es kam in der Finanzholding-Gruppe nach bisheriger Rechtslage damit zu einem Auseinanderfallen der aufsichtsrechtlichen Konsolidierungsverantwortung und gesellschaftsrechtlichen Leitungsmacht.45 Nach neuer Rechtslage wird den gem. Art. 21a CRD (in Deutschland: § 2f KWG) zugelassenen (gemischten) Finanzholdinggesellschaften selbst eine Konsolidierungsverantwortung zugewiesen.46 Nach der Vorstellung des europäischen Gesetzgebers soll hierdurch gewährleistet werden, dass die Anforderungen auf konsolidierter Basis innerhalb der gesamten Gruppe durchgesetzt werden können.47 Die Konsolidierungspflicht besteht gem. Art. 11 Abs. 2 lit. a CRR allerdings nur für zugelassene (gemischte) Mutterfinanzholdinggesellschaften in einem Mitgliedstaat. Bei einer nicht zulassungspflichtigen Holdinggesellschaft, die die Voraussetzungen des Art. 21a Abs. 4 CRD bzw. § 2f Abs. 4 KWG erfüllt (vgl. § 7 Rn. 41 ff.), bleibt es dabei, dass ein nachgeordnetes CRRInstitut für die Wahrnehmung der Aufsichtsanforderungen auf konsolidierter Basis verantwortlich ist.48 bb) Konsolidierung auf EWR-Ebene
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Analog zur Institutsgruppe sieht das Unionsrecht auch für FinanzholdingGruppen eine Konsolidierung auf EWR-Ebene für die Liquiditäts- und Offenlegungsanforderungen vor. Begrifflicher Anknüpfungspunkt ist das Vorliegen einer „EU-Mutterfinanzholdinggesellschaft“.49 Auch hier oblag die Konsolidierungsverantwortung bislang grundsätzlich dem Institut, das von der EUMutterfinanzholdinggesellschaft kontrolliert wird. Im Zuge der Verabschiedung der CRR II wurde eine Konsolidierungspflicht von EU-Mutterfinanzholdinggesellschaften eingeführt, sofern diese nach Maßgabe von Art. 21a CRD (in Deutschland: § 2f KWG) zulassungspflichtig sind (siehe oben Rn. 24).
43 Siehe hierzu auch Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 54. 44 Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 54. 45 Sofern nicht nach nationalem Recht die Finanzholdinggesellschaft als übergeordnetes Unternehmen bestimmt wurde, vgl. § 10a(2) Satz 2 KWG in der bis zum 28.12.2020 gültigen Fassung. 46 Vgl. Art. 11(2) lit. a CRR. Zur Zulassungspflicht bereits § 7 Rn. 41 ff. 47 Erwägungsgrund (3) CRD V. 48 Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 79. 49 Art. 4(31) CRR. Diese wird wie folgt definiert: „Eine Mutterfinanzholdinggesellschaft in einem Mitgliedstaat, die nicht Tochterunternehmen eines in einem Mitgliedstaat zugelassenen Instituts oder einer anderen, in einem Mitgliedstaat errichteten Finanzholdinggesellschaft oder gemischten Finanzholdinggesellschaft ist“.
§ 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht
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3. Konsolidierungskreis und Konsolidierungsverfahren
Der aufsichtsrechtliche Konsolidierungskreis wird im Ausgangspunkt durch Art. 18 ff. CRR bestimmt. Er weicht in verschiedener Hinsicht von der Gruppe im bilanz- bzw. gesellschaftsrechtlichen Sinne ab.
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a) Einbezogene Unternehmen
Unterschiede zwischen dem bilanz- und aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis bestehen zunächst hinsichtlich der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen (in der Terminologie des KWG: der nachgeordneten Unternehmen). Dem aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis liegt ein branchenbezogener Ansatz zugrunde: In diesem sind grundsätzlich lediglich Institute, Finanzinstitute sowie Anbieter von Nebendienstleistungen einzubeziehen.50 Der aufsichtsrechtliche Konsolidierungskreis ist prinzipiell enger als der Konsolidierungskreis im Bilanzrecht, in dem grundsätzlich sämtliche Tochterunternehmen unabhängig von deren Branchenzugehörigkeit zu konsolidieren sind.51 Das Unionsrecht sieht zudem bestimmte Ausnahmeregelungen bezüglich der in die aufsichtsrechtliche Konsolidierung einzubeziehenden Unternehmen vor.52
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Anbieter von Nebendienstleistungen werden als Unternehmen definiert, deren Haupttätigkeit im Besitz oder in der Verwaltung von Immobilien, der Verwaltung von Datenverarbeitungsdiensten oder einer ähnlichen Tätigkeit besteht, die im Verhältnis zur Haupttätigkeit eines oder mehrerer Institute den Charakter einer Nebentätigkeit hat.53 Die Konsolidierung soll sicherstellen, dass betriebsbedingte Dienstleistungen, die organisatorisch in eigene Rechtsträger ausgegliedert sind, nicht dem aufsichtsrechtlichen Zugriff entzogen sind.54
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b) Konsolidierungsverfahren
Das Konsolidierungsverfahren hängt von der „Intensität“ der jeweiligen Gruppenverbindung ab. Es lassen sich – je nach Art der Gruppenzugehörigkeit – die Vollkonsolidierung (full consolidation), die anteilsmäßige Konsolidierung (Quotenkonsolidierung, proportional consolidation) sowie die Äquivalenzmethode (At-Equity-Methode, equity method) differenzieren.55
Art. 18(1), (8) CRR i. V. m. Art. 111 CRD. Vgl. IAS 27; § 294(1) HGB. Dazu auch Lendermann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG/ CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 159. (201. AL Juli 2018). 52 Art. 20 CRR. Vgl. hierzu auch EZB, Leitfaden zu im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräumen, März 2016, S. 18 f. (zu Art. 19(2) CRR). 53 Art. 4(1) Nr. 18 CRR. Der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 sieht vor, dass Anbieter von Nebendienstleistungen künftig als „Finanzinstitute“ qualifizieren und damit (zwingend) in den Konsolidierungskreis einzubeziehen sind (vgl. Art. 4(1) Nr. 18 und 26 CRR in der Fassung des Kommissionsentwurfs). 54 Zu den bestehenden Auslegungs- und Abgrenzungsproblemen Lendermann, in: Beck/ Samm/Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 180 ff. (201. AL Juli 2018). 55 Vgl. EBA, Final report: Regulatory Technical Standards on the methods of prudential consolidation under Article 18 of Regulation, EBA/RTS/2021/04, 15.4.2021. 50 51
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Teil 5: Gruppenaufsicht
aa) Vollkonsolidierung 30
Als Regelfall sieht Art. 18 Abs. 1 Satz 1 CRR eine Vollkonsolidierung von Tochterunternehmen vor. Nach dem Prinzip der Vollkonsolidierung werden dem konsolidierenden Unternehmen die Eigenmittel des Tochterunternehmens – unabhängig von der tatsächlich gehaltenen Beteiligung – in voller Höhe zugerechnet.56 bb) Anteilsmäßige Konsolidierung
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Als Ausnahme vom Regelfall der Vollkonsolidierung erlaubte Art. 18 Abs. 2 CRR a. F. unter bestimmten Voraussetzungen eine anteilsmäßige Konsolidierung. Dies setzte eine Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde voraus.57 Im Zuge der Verabschiedung der CRR II wurde die Möglichkeit einer anteilsmäßigen Konsolidierung gem. Art. 18 Abs. 2 CRR gestrichen. Die verpflichtende Quotenkonsolidierung ist weiterhin für eine Sonderkonstellation vorgesehen (Gemeinschaftsunternehmen gem. Art. 18 Abs. 4 CRR).58 cc) Äquivalenzmethode
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Bei Beteiligungen oder sonstigen Kapitalbeziehungen, für die keine zwingende Konsolidierung gem. Art. 18 Abs. 1–4 CRR vorgesehen ist, entscheiden die zuständigen Behörden, ob und in welcher Form die Konsolidierung zu erfolgen hat.59 Die zuständigen Aufsichtsbehörden können insbesondere die Anwendung der Äquivalenzmethode gestatten oder vorschreiben.60 Dies spielt insbesondere bei solchen Minderheitsbeteiligungen61 oder Kapitalbeziehungen eine Rolle, die nicht als Tochtergesellschaft qualifizieren. Im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus sieht die EZB62 vor, dass bei Minderheitsbeteiligungen grundsätzlich die Äquivalenzmethode anzuwenden ist.63
56 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass das Mutterunternehmen gegenüber dem Tochterunternehmen die Kontrolle ausüben kann. Rechtspolitisch war der Einsatz der Vollkonsolidierungsmethode umstritten. Vgl. etwa Kokemoor, Die Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis, 1997, S. 13, 41 ff., 47 ff. 57 Art. 18(2) CRR a. F. sprach insoweit von einer „Gestattung“. Die Voraussetzungen ergaben sich aus Art. 18(2) Satz 2 CRR a. F. 58 Der Gesetzgeber spricht bei Art. 18(4) CRR n. F. nunmehr von einer „proportionalen Konsolidierung“. Vgl. zur Konsolidierung von Gemeinschaftsunternehmen Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 123 ff. Vgl. hierzu nunmehr auch EBA/RTS/2021/04 (Fn. 55), S. 17 ff. 59 Art. 18(5) Satz 1 CRR. Vgl. hierzu nunmehr auch EBA/RTS/2021/04 (Fn. 55), S. 17 (Art. 4). 60 Art. 18(5) Satz 2 CRR. Vgl. in Deutschland die konkretisierenden Regelungen in § 32 SolvV. 61 Die „Beteiligung“ ist in Art. 4(1) Nr. 35 CRR legaldefiniert. 62 EZB, Leitfaden der EZB zu im Unionsrecht eröffneten Optionen und Ermessensspielräumen, November 2016, S. 69. 63 Die Anwendung der Äquivalenzmethode ist ferner in den Fällen des Art. 18(7) CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung) vorgesehen.
§ 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht
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Anders als bei der Vollkonsolidierung bzw. anteilsmäßigen Konsolidierung wird bei der Äquivalenzmethode grundsätzlich keine Konsolidierung der externen Positionen beim Mutterinstitut vorgenommen.64 Art. 18 Abs. 5 Satz 3 CRR stellt klar, dass die Anwendung der Äquivalenzmethode nicht dazu führt, dass die betreffenden Unternehmen in die Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis einbezogen werden.
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c) Mutter-Tochter-Beziehung
Die aufsichtsrechtliche Konsolidierung knüpft im Ausgangspunkt65 an das Vorliegen einer Mutter-Tochter-Beziehung an. Die Legaldefinition des Begriffs des Tochterunternehmens verweist auf die Definition in Art. 22 der Bilanzrichtlinie.66 Darüber hinaus werden auch Unternehmen einbezogen, auf die das Mutterunternehmen „tatsächlich einen beherrschenden Einfluss ausübt“.67 Die Definition des Tochterunternehmens wirft komplexe Anwendungs- und Auslegungsprobleme auf. Zunächst stellt sich hinsichtlich des Verweises auf Art. 22 Abs. 1 und Abs. 2 der Bilanzrichtlinie die Frage, ob dieser als ausschließlicher Verweis auf den Richtlinientext zu verstehen ist oder aber ob die jeweilige Umsetzung in dem betreffenden Mitgliedstaat maßgeblich ist.68 Sowohl der Gesetzeswortlaut als auch teleologische Argumente (Verwirklichung eines Single Rulebooks) sprechen im Grundsatz für die erstgenannte Auslegungsvariante (exklusiver Verweis auf die Bilanzrichtlinie). Dies gilt zumindest für die in Art. 22 Abs. 1 der Bilanzrichtlinie aufgeführten Tatbestände, die von den Mitgliedstaaten zwingend ins nationale Recht umgesetzt werden müssen. Es handelt sich hierbei um folgende Anknüpfungstatbestände: (i) Halten einer Stimmrechtsmehrheit; (ii) Recht der Bestellung oder Abberufung der Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans oder (iii) beherrschender Einfluss aufgrund eines Vertrags oder Satzungsbestimmungen. Im Rahmen der Äquivalenzmethode wird die Beteiligung in der Bilanz des Mutterinstituts als Vermögensposition ausgewiesen. Vgl. für Einzelheiten Lendermann, in: Beck/Samm/ Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 205 m. w. N. (201. AL Juli 2018). 65 Dies gilt zumindest bei der Vollkonsolidierung. 66 Art. 4(1) Nr. 16 lit. a CRR verweist auf ein Tochterunternehmen im Sinne der Art. 1 und 2 der Richtlinie 83/349/EWG. Diese Richtlinie wurde inzwischen aufgehoben und durch die Richtlinie 2013/34/EU ersetzt. In dem Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 wird klargestellt, dass dieser Verweis als ein solcher auf die Richtlinie 2013/34/EU zu verstehen ist. 67 Art. 4(1) Nr. 16 lit. b CRR. Der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 sieht vor, dass für die Bestimmung der Mutter-Tochter-Beziehung auf den Kontrollbegriff gem. der Bilanzrichtlinie abzustellen ist (vgl. Rn. 35). 68 Zum Streitstand vgl. Lendermann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 209 (201. AL Juli 2018) (dies offen lassend). Sich für einen exklusiven Verweis auf den Richtlinientext aussprechend Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 113; a. A. Auerbach/Hannemann/ Kempers, Schwennicke/Auerbach, KWG, 4. Aufl. 2021, § 10a KWG Rn. 60. 64
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Teil 5: Gruppenaufsicht
Hinsichtlich der in Art. 22 Abs. 2 der Bilanzrichtlinie genannten Anknüpfungstatbestände ist die Rechtslage differenzierter zu beurteilen. Hiernach „können“ die Mitgliedstaaten jedem ihrem Recht unterliegenden Unternehmen die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses ebenfalls vorschreiben, wenn (i) das Mutterunternehmen einen beherrschenden Einfluss auf oder die Kontrolle über ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) „ausüben kann“ oder „tatsächlich ausübt“ oder (ii) das Mutterunternehmen und ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) unter einheitlicher Leitung des Mutterunternehmens stehen.
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Soweit die Bilanzrichtlinie den Mitgliedstaaten Ausübungsoptionen gewährt, ist der Verweis auf Art. 22 Abs. 2 der Bilanzrichtlinie dahingehend zu interpretieren, dass dieser sich auf die jeweilige Umsetzung der Option in dem betreffenden Mitgliedstaat bezieht.69 In Deutschland wurde Art. 22 der Bilanzrichtlinie in § 290 HGB umgesetzt. Maßgeblich für das Bestehen einer Mutter-Tochter-Beziehung ist hiernach, dass das Unternehmen mittelbar oder unmittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Der nationale Gesetzgeber hat somit das in Art. 22 Abs. 2 lit. a der Bilanzrichtlinie eingeräumte Wahlrecht dahingehend ausgeübt, dass die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses genügt. Dies gilt grundsätzlich auch für die aufsichtsrechtliche Betrachtung. Ein beherrschender Einfluss ist anzunehmen, wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die Finanz- oder Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens dauerhaft zu bestimmen, um aus dessen Tätigkeit Nutzen zu ziehen. Im Ausgangspunkt wird man sich – sowohl für bilanzrechtliche als auch für aufsichtsrechtliche Zwecke – zur Konturierung dieses Begriffs an den Grundsätzen orientieren können, die zu § 15 ff. AktG für das Gesellschaftskonzernrecht entwickelt wurden.70
III. Inhaltliche Anforderungen 39
Die verantwortlichen Institute71 haben im Rahmen ihrer Konsolidierungsverantwortung die jeweiligen aufsichtsrechtlichen Pflichten „auf Basis der konsolidierten Lage“ zu erfüllen. Die einschlägigen gruppenbezogenen Anforderungen sind hiernach so auf das Institut anzuwenden, als bilde dieses Institut zusammen mit den übrigen gruppenangehörigen Unternehmen ein einziges Institut (Fiktion der rechtlichen Einheit).72 Insbesondere hinsichtlich der quaSo wohl auch die herrschende Ansicht im Schrifttum. Vgl. Lendermann, in: Beck/Samm/ Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 209 (201. AL Juli 2018); Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 114. 70 Für das Bilanzrecht in diesem Sinne Hachmeister, in: Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Aufl. 2020, § 290 HGB Rn. 62 ff. (allerdings auch auf Unterschiede hinweisend). 71 Vgl. Rn. 15 ff. 72 Art. 4(1) Nr. 47 CRR. 69
§ 16 Grundzüge der Gruppenaufsicht
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litativen Anforderungen an die Geschäftsorganisation wirft diese Fiktion komplexe Auslegungsfragen auf. Die inhaltlichen Anforderungen werden im Folgenden exemplarisch anhand von zwei Themenkomplexen illustriert, nämlich der Eigenmittelkonsolidierung einerseits und der Umsetzung eines gruppenweiten Compliance- und Risikomanagements andererseits. 1. Eigenmittelkonsolidierung
Das Grundprinzip der Eigenmittelkonsolidierung besteht darin, für die Zwecke der Kapitalkonsolidierung die gruppeninternen Positionen innerhalb der Gruppe zu eliminieren.73 Dies hat im Grundsatz auf Basis der Vollkonsolidierung zu erfolgen.74 Auf welche Art und Weise die Konsolidierung vorzunehmen ist, ist in der CRR allerdings nur schemenhaft geregelt. Als Konsolidierungsverfahren kommen die Konzernabschlussmethode und die Aggregationsmethode in Betracht.
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a) Konzernabschlussmethode
Gem. Erwägungsgrund (39) CRR soll die Bilanzierungstechnik für die Berechnung der Eigenmittel entweder den Bestimmungen der Bilanzrichtlinie oder der IFRS-Verordnung (VO (EG) Nr. 1606/2002) Rechnung tragen. Hieraus wird gefolgert, dass die regulatorische Eigenmittelkonsolidierung nach Maßgabe von bilanzrechtlichen Grundsätzen erfolgen soll. Dies bedeutet, dass im Ausgangspunkt der bilanzrechtliche Konzernabschluss für die regulatorische Konsolidierung maßgeblich ist. Dies entspricht auch der vom deutschen Gesetzgeber in § 10a Abs. 5 KWG getroffenen Regelung. Hiernach hat der konsolidierungsverpflichtete Rechtsträger (in der Terminologie des KWG das „übergeordnete Unternehmen“) der Institutsgruppe, der bilanziell zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet ist, den bilanzrechtlichen Konzernabschluss grundsätzlich bei der Ermittlung der zusammengefassten Eigenmittel und Risikopositionen zugrunde zu legen.75 Sofern die Berechnung der konsolidierten Eigenmittel auf Basis der Konzernabschlussmethode erfolgt, muss der bilanzrechtliche Konzernabschluss für die Zwecke der regulatorischen Konsolidierung übergeleitet werden. Anpassungsbedarf resultiert aus dem divergierenden bilanzrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis: Zum einen sind solche Unternehmen zu deLendermann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 235 ff. (201. AL Juli 2018) (mit anschaulicher Darstellung der Konsolidierungsverfahren); im Zusammenhang mit der handelsbilanzrechtlichen Konsolidierung vgl. Stenzel/Hachmeister, in: Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Aufl. 2020, § 297 HGB Rn. 115 ff. 74 Siehe oben Rn. 30. 75 § 10a(5) Satz 1 KWG. Dazu auch Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 142. Allerdings räumt das KWG einen Übergangszeitraum von fünf Jahren nach Entstehen der aufsichtsrechtlichen Konsolidierungspflicht ein. 73
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Teil 5: Gruppenaufsicht
konsolidieren, die zwar in den bilanzrechtlichen, nicht aber in den regulatorischen Konsolidierungskreis fallen (etwa da es sich hierbei nicht um Institute, Finanzinstitute bzw. Anbieter von Nebendienstleistungen handelt).76 Umgekehrt müssen Unternehmen, die aufsichtsrechtlich zu konsolidieren sind, aber nicht zum bilanzrechtlichen Konsolidierungskreis gehören, herausgerechnet werden.77 Die Überleitung erfolgt entweder nach der „retrospektiven“ oder der „prospektiven“ Methode.78 Weitere Anpassungen sind u. a. hinsichtlich des Konsolidierungsverfahrens und der Berücksichtigung von Minderheitsbeteiligungen erforderlich.79 b) Aggregationsmethode 43
Bei der Aggregationsmethode sind in einem ersten Schritt die Eigenmittel und die maßgeblichen Risikopositionen der Gruppe zusammenzufassen und in einem zweiten Schritt die gruppeninternen Positionen davon abzuziehen.80 Die Aggregationsmethode basiert auf den Jahresabschlüssen der einzelnen Unternehmen, die Teil der Gruppe sind.81 2. Compliance- und Risikomanagement a) Überblick
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Auch die qualitativen Anforderungen an die Geschäftsorganisation sind grundsätzlich auf Gruppenebene einzuhalten.82 Die unionsrechtlichen Regelungsvorgaben geben das Pflichtenprogramm nur grob vor. Gem. Art. 108 Abs. 2 CRD verlangen die zuständigen Behörden von Mutterinstituten in einem Mitgliedstaat die ICAAP-Anforderungen (Art. 73 CRD) auf konsolidierter Basis zu erfüllen. Gleiches gilt im Ausgangspunkt gem. Art. 109 Abs. 2 CRD auch für die in Art. 74 ff. CRD normierten Anforderungen an die Geschäftsorganisation sowie die Vergütung der Institute.83 § 10a(5) Satz 4 KWG. § 10a(5) Satz 5 KWG. Für Einzelheiten vgl. die ausführliche Darstellung bei Lendermann, in: Beck/Samm/ Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 238 (201. AL Juli 2018); vgl. ferner Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 143. 79 Für Einzelheiten Lendermann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 238 ff. (201. AL Juli 2018). 80 § 10a(4) Satz 1 und 2 KWG. 81 Für Einzelheiten wird auf die Kommentar- und Handbuchliteratur verwiesen. Vgl. Lendermann, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG/CRR, Art. 11, 24, 49, 81–88, 325 CRR, Rn. 260 ff. (201. AL Juli 2018); Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 145 ff. (jeweils m. w. N.). 82 Monografisch hierzu Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 147 ff. 83 Gem. Art. 109(2) CRD schreiben die zuständigen Behörden „den unter diese Richtlinie fallenden Mutter- und Tochterunternehmen vor, die Pflichten nach Abschnitt II [Art. 73 ff. CRD] auf konsolidierter oder teilkonsolidierter Basis zu erfüllen, zu gewährleisten, dass die 76 77 78
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In Deutschland sieht § 25a Abs. 3 KWG vor, dass die für das Einzelinstitut anwendbaren Anforderungen an die Geschäftsorganisation für Institutsgruppen, Finanzholding-Gruppen und gemischte Finanzholding-Gruppen sowie Unterkonsolidierungsgruppen nach Art. 22 CRR mit der Maßgabe „entsprechend“ gelten, dass die Geschäftsleiter des übergeordneten oder zur Unterkonsolidierung verpflichteten Unternehmens für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation der Institutsgruppe, Finanzholding-Gruppe, gemischten Finanzholding-Gruppe oder der Unterkonsolidierungsgruppe verantwortlich sind.84 Aus verschiedenen Gründen lassen sich die qualitativen Anforderungen an die Geschäftsorganisation allerdings nur mit Einschränkungen auf die Gruppenebene übertragen.85 Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die aufsichtsrechtliche Gruppe nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen kein eigenständiges Rechtssubjekt ist.86 Die rechtliche und organisatorische Eigenständigkeit der Tochtergesellschaften wird auch im Geltungsbereich der Gruppenaufsicht re-
Regelungen, Verfahren und Mechanismen des Abschnitts II kohärent und gut ineinander grei84 fen und alle für die Aufsicht relevanten Daten und Informationen vorgelegt werden können. Sie stellen insbesondere sicher, dass die unter diese Richtlinie fallenden Mutter- und Tochterunternehmen solche Regelungen, Verfahren und Mechanismen in ihren nicht unter diese Richtlinie fallenden Tochterunternehmen anwenden. Diese Regelungen, Verfahren und Mechanismen müssen ebenfalls kohärent und gut ineinander greifen, und die betreffenden Tochterunternehmen müssen ebenfalls alle für die Aufsicht relevanten Daten und Informationen vorlegen können“. 84 Die Anforderungen gem. § 25a(3) KWG werden durch die gruppendimensionalen Sorgfaltspflichten der Geschäftsleiter des übergeordneten Unternehmens gem. § 25c(4b) KWG ergänzt. 85 Dazu im Zusammenhang mit den Anforderungen an das gruppenweite Compliance- und Risikomanagement gem. § 25a KWG Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 168 ff. 86 Dies entspricht der inzwischen wohl einhelligen Ansicht in der konzernrechtlichen Literatur. Vgl. zur komplexen Diskussion um das Leitbild des Konzerns als wirtschaftliche oder organisatorische Einheit aus deutscher Sicht statt vieler Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1996, S. 20 ff. Der Wortlaut des § 25a(3) KWG ist daher missverständlich: Anders als der Gesetzestext suggeriert, richten sich die materiell-rechtlichen Anforderungen nicht an die „Institutsgruppe“, sondern vielmehr an das übergeordnete Unternehmen und dessen Geschäftsleiter. Denn da die Gruppe keine eigene Rechtspersönlichkeit aufweist, kann sie auch nicht Adressat aufsichtsrechtlicher Pflichten sein. Rechtsdogmatisch lassen sich jedenfalls die eigenkapitalbezogenen Konsolidierungsvorschriften als Zurechnungstatbestände begreifen: Der Obergesellschaft werden die konsolidierten Eigenmittel, die gehaltenen Risikopositionen, die vergebenen Großkredite sowie die von den Tochtergesellschaften gehaltenen Beteiligungen zugerechnet. Auf dieser Basis wird ermittelt, ob die Gruppe als wirtschaftliche Einheit insgesamt über angemessene Eigenmittel verfügt. Vgl. Bork, ZGR 1994, 237, 265 sowie Wiedemann, Unternehmensgruppe, 1988, S. 18 ff., 24 (der die Eigenmittelkonsolidierung als Beispiel einer konzernrechtlichen „Zusammenrechnung“ anführt). Dieser Ansatz lässt sich auf § 25a(3) KWG jedoch nicht ohne weiteres übertragen, da diese Vorschrift vom übergeordneten Unternehmen mehr als eine rechnerische Zusammenfassung von quantitativ bezifferbaren Kennzahlen und Risikopositionen verlangt.
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spektiert.87 Hieraus folgt, dass die für das Einzelinstitut geltenden Organisationsanforderungen nur in modifizierter Form auf die Gruppenebene projiziert werden können.88 b) Inhaltliche Anforderungen 47
Die inhaltlichen Anforderungen werden im Unionsrecht nicht näher konturiert und richten sich nach der Ausgestaltung im nationalen Recht. In Deutschland werden die aufsichtsrechtlichen Erwartungen in § 25a Abs. 3 KWG bzw. § 25c Abs. 4b KWG sowie in den von der BaFin veröffentlichten „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk) näher konkretisiert. Auf europäischer Ebene hat die EBA Leitlinien an die Governance auf Gruppenebene in der aktuellen Fassung ihrer SREP-Guidelines aufgenommen.89 Die gruppenbezogenen Anforderungen werden nachfolgend überblicksartig skizziert. Insgesamt kann festgehalten werden, dass das Aufsichtsrecht den übergeordneten Unternehmen und dessen Geschäftsleitern gruppenbezogene Steuerungspflichten auferlegt, die deutlich über das allgemeine gesellschaftsrechtliche Pflichtenprogramm hinausgehen. aa) Risikotragfähigkeit der Gruppe
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Zentrale Zielsetzung des Risikomanagements ist die Gewährleistung der Risikotragfähigkeit der Gruppe.90 Zu diesem Zweck ist ein gruppenweiter Prozess zur Sicherung der Risikotragfähigkeit einzurichten.91 Zur Beurteilung der Risikotragfähigkeit haben sich die Geschäftsleiter der Muttergesellschaft einen Überblick über das Gesamtrisikoprofil der Gruppe zu verschaffen. Die vom übergeordneten Unternehmen zu berücksichtigenden Risiken werden durch den Grundsatz der Wesentlichkeit begrenzt.92 bb) Organisationsanforderungen (1) Formulierung einer Geschäfts- und Risikostrategie
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Die Geschäftsleitung des übergeordneten Unternehmens hat eine Geschäftsstrategie und eine dazu konsistente Risikostrategie festzulegen („gruppenweite Strategien“).93 Diese haben den Rahmen für die strategische Ausrichtung der 87 In Deutschland folgt dies auch aus § 25a(1) Satz 2 KWG, wonach der Geschäftsleiter jedes einzelnen Instituts für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation „seines“ Instituts verantwortlich bleibt. 88 Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 168 ff. 89 EBA, Guidelines on common procedures and methodologies for the supervisory review and evaluation process (SREP) and supervisory stress testing, EBA/GL/2014/13, Juli 2018, Ziffer 5. 90 § 25a(3) i. V. m. § 25a(1) Satz 3 KWG; § 25c(4b) Satz 2 Nr. 2 KWG; MaRisk AT 4.5. Rn. 3 Satz 2. 91 MaRisk AT 4.5. Rn. 3. 92 § 25c(4b) Nr. 1 KWG; MaRisk AT 4.5. Rn. 1 Satz 2. 93 § 25c(4b) Satz 2 Nr. 2 KWG; MaRisk AT 4.5. Rn. 2.
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gruppenangehörigen Unternehmen vorzugeben. Nicht verlangt wird, dass die Muttergesellschaft die Konzernstrategie einseitig diktiert.94 Gefordert ist vielmehr, dass sie die strategische Ausrichtung der Gruppe mit den Tochtergesellschaften „abstimmt“.95 Das übergeordnete Unternehmen hat für die Umsetzung der gruppenweiten Strategien „Sorge zu tragen“.96 Die Strategien sind zu diesem Zweck innerhalb der Institutsgruppe zu kommunizieren. (2) Einrichtung eines internen Kontrollsystems (a) Anforderungen an die Ablauforganisation
Gem. § 25a Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 KWG sowie § 25c Abs. 4b Satz 2 Nr. 3 KWG ist auch auf Gruppenebene ein internes Kontrollsystem einzurichten. AT 4.5. Rn. 4 MaRisk stellt klar, dass das übergeordnete Unternehmen „angemessene ablauforganisatorische Vorkehrungen“ zu treffen hat. Hiermit ist gemeint, dass die Prozesse sowie die damit verbundenen Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten, Kontrollen und Kommunikationswege innerhalb der Gruppe klar zu definieren und abzustimmen sind.97 Das übergeordnete Unternehmen verfügt hinsichtlich der konkreten Umsetzung der gruppenweiten Organisationsanforderungen jedoch über einen Gestaltungsspielraum. So ist es nicht notwendig, dass alle gruppenangehörigen Unternehmen identisch organisiert sind, sofern dies der Wirksamkeit des Risikomanagements nicht entgegensteht.
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(b) Risikosteuerung und Risikocontrolling
Kernelement des gruppendimensionalen Risikomanagements sind Risikosteuerung- und Risikocontrollingprozesse, die gewährleisten, dass wesentliche Risiken auch auf Gruppenebene identifiziert, beurteilt, gesteuert, überwacht und kommuniziert werden.98 Im Rahmen des Risikomanagements sind von dem übergeordneten Institut wechselseitige Abhängigkeiten und gruppeninterne Verflechtungen zu erfassen. Zu diesem Zweck sind auf Gruppenebene regelmäßig angemessene Stresstests durchzuführen.99 Ähnlich wie auf Einzelinstitutsebene werden dem übergeordneten Unternehmen hinsichtlich der gruppenweiten Risikoerfassung und Risikosteuerung keine konkreten Organisationsvorgaben gemacht. Weder aus dem nationalen bzw. europäischen Recht noch den Empfehlungen des Basler Ausschusses geht 94 Allerdings von einem „stärker zentralisierenden Konzernmodell“ in Bankengruppen ausgehend Renner, Bankkonzernrecht, S. 297 und passim. 95 MaRisk AT 4.5. Rn. 2 Satz 2. 96 § 25c(4b) Satz 2 KWG; MaRisk AT 4.5. Rn. 2 Satz 3. 97 Vgl. hierzu nunmehr § 25c(4b) Satz 2 Nr. 3 lit. a KWG. 98 § 25a(3) i. V. m. (1) Satz 3 Nr. 1 lit. b KWG; § 25c(4b) Satz 2 Nr. 3 lit. e–f KWG; MaRisk AT 4.5. Rn. 5. Vgl. auch Basler Ausschuss, Principles for enhancing corporate governance, Oktober 2010, Rn. 75. 99 § 25c(4b) Satz 2 Nr. 3 lit. f KWG; MaRisk AT 4.5. Rn. 5 Satz 2.
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explizit hervor, in welchem Umfang die Tochtergesellschaften in die Kontrollsysteme der Obergesellschaft integriert sein müssen. Aus der Formulierung, dass die Risikosteuerungs- und Risikocontrollingprozesse die nachgeordneten Unternehmen lediglich „einbeziehen“ und diese nicht vollständig „einschließen“ oder „erfassen“ müssen, kann jedoch gefolgert werden, dass die BaFin keine vollumfängliche Einbindung der Tochterunternehmen in die Gruppenstruktur verlangt.100 Wichtiger Bestandteil eines gruppendimensionalen Risikomanagements ist ein gruppenweites Risikoreporting. Die Geschäftsleiter des übergeordneten Unternehmens müssen sicherstellen, dass in angemessenen Abständen, mindestens aber vierteljährlich, auf Gruppenebene seitens der Geschäftsleitung gegenüber dem Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan über die Risikosituation der Gruppe einschließlich einer Beurteilung der Risiken berichtet wird.101 Die Bedeutung eines funktionsfähigen Berichtswesens wird auch in zahlreichen Stellungnahmen des Basler Ausschusses betont.102
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Das gruppeninterne Reporting hat sich in der Finanzkrise als Schwachstelle erwiesen.103 Gem. dem Grünbuch der Kommission zur Corporate Governance in Finanzinstituten waren selbst hochentwickelte Finanzinstitute mitunter nicht in der Lage, Konzernverpflichtungen wirksam verfolgen zu können.104 Die Kommission führt dies auf eine ungenügende Vernetzung der Informationssysteme zurück.
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Aus dem Verweis in § 25a Abs. 3 auf § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. b KWG geht hervor, dass das Kreditwesengesetz vom übergeordneten Unternehmen auch eine angemessene gruppenweite Risikosteuerung verlangt. Dies wird dahingehend konkretisiert, dass die Geschäftsleiter des übergeordneten Unternehmens dafür Sorge tragen sollen, dass das interne Kontrollsystem der Gruppe eine Risikocontrolling-Funktion und eine Compliance-Funktion sowie Risikosteuerungs- und -controllingprozesse zur Identifizierung, Beurteilung, Steuerung, Überwachung und Kommunikation der „wesentlichen Risiken“ und damit verbundener Risikokonzentrationen umfasst. Wie auf der Ebene des Einzelinsti-
100 In diesem Sinne auch Braun, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 5. Aufl. 2016, § 25a Rn. 712 ff. 101 § 25c(4b) Satz 2 Nr. 3 lit. c KWG. 102 Vgl. etwa Basler Ausschuss, Principles for enhancing corporate governance, Oktober 2010, Principle 8 Rn. 97 (risk reporting systems should aggregate information to provide a firm-wide, integrated perspective on risk). 103 Vgl. etwa den Krisenbericht der Senior Supervisors Group, Risk Management Lessons from the Global Banking Crisis of 2008, 2009, S. 14 f., der als Grund für das Versagen der Risikomanagement-Systeme einen mangelhaften Informationsaustausch zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen der Konzerne anführt. In diesem Sinne ebenfalls Kommission, Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik, KOM (2010) 284, S. 8; FSA, The supervision of Northern Rock: a lesson learnt review, März 2008, S. 97 ff. 104 Kommission, Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik, KOM (2010) 284, S. 8.
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tuts kommen als Steuerungsinstrumente etwa gruppenweite Limitsysteme sowie gruppenweite Stresstests105 in Betracht.106 c) Reichweite der gruppenweiten Organisationspflichten
§ 25a Abs. 3 Satz 2 KWG stellt klar, dass für die Zwecke der gruppenweiten Organisationspflichten zu einer Gruppe auch solche Tochterunternehmen zählen, die an sich weder dem CRD/CRR-Regime noch dem deutschen Kreditwesengesetz unterliegen. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin erstreckt sich die Reichweite des Risikomanagements auf „alle wesentlichen Risiken der Gruppe unabhängig davon, ob diese von konsolidierungspflichtigen Unternehmen begründet werden oder nicht“.107 Auch Industrieunternehmen sind demnach in das Risikomanagement einzubeziehen, soweit diese unter Risikogesichtspunkten für die Gruppe „wesentlich“ sind.108 Vor dem Hintergrund des Normzwecks, Ansteckungsgefahren innerhalb des Unternehmensverbundes zu begrenzen, erscheint dieser Ansatz konsequent. Er steht im Grundsatz auch im Einklang mit den unionsrechtlichen Regelungsvorgaben.109 Dennoch ist dieser Ansatz nicht unproblematisch, da hiermit eine erhebliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs der gruppenweiten Organisationspflichten einhergeht. Zumindest mittelbar werden damit auch nicht regulierte Unternehmen faktisch von gruppenbezogenen aufsichtsrechtlichen Organisationsanforderungen erfasst.110
105 EBA, SREP Guidelines (Fn. 89), Ziffer 5.10 lit. g (zu gruppenweiten Stresstests). 106 Schneider, Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen und
bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen an Risikomanagement auf Gruppenebene, 2009, S. 126. In den Grundsätzen zur „Verbesserung der Basel II Rahmenvereinbarung“ vom Juli 2009 werden gruppenweite Limitsysteme ausdrücklich als integraler Bestandteil des „bankinternen Einschätzungsprozesses“ genannt. Basler Ausschuss, Enhancements to the Basel II framework, Juli 2009, Rn. 15, 20 f., 33 (specific firm-wide prudential limits on the principal limits relevant to a bank’s activities). 107 MaRisk AT 4.5 Rn. 1 Satz 2. 108 Ausführlich zum Grundsatz der „Wesentlichkeit“ Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 98 f., 164 f., 171 f. 109 Das Unionsrecht sieht in Art. 109(2) Satz 2 CRD vor, dass die Mutter- und Tochterunternehmen sicherstellen, dass diese „Regelungen, Verfahren und Mechanismen in ihren nicht unter diese Richtlinie fallenden Tochterunternehmen anwenden“. Zudem ordnet Art. 109(2) Satz 3 CRD an, dass diese „Regelungen, Verfahren und Mechanismen ebenfalls kohärent und gut ineinandergreifen [müssen], und die betreffenden Tochterunternehmen ebenfalls alle für die Aufsicht relevanten Daten und Informationen vorlegen können [müssen].“ Auf dieser Linie liegt auch Art. 11(1) Satz 3 CRR, wonach Mutterinstitute in einem Mitgliedstaat sicherstellen, dass „die nicht unter diese Verordnung [CRR] fallenden Tochterunternehmen Regelungen, Verfahren und Mechanismen schaffen, die eine ordnungsgemäße Konsolidierung gewährleisten“. 110 Kritisch hierzu Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 165 f. (zu § 25 a KWG a. F.). Nemeczek/Pitz, in: Binder/Glos/Riepe (Hrsg.), Handbuch Bankenaufsichtsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 150 sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Infektion nicht regulierter Tochterunternehmen“.
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3. Durchsetzungsmöglichkeiten a) Gesellschaftsrechtliche Grundlagen 58
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Vor dem Hintergrund der weitreichenden aufsichtsrechtlichen Steuerungsverantwortung des konsolidierungsverantwortlichen Unternehmens stellt sich die Frage, inwieweit ein gruppenweites Compliance- und Risikomanagement gesellschaftsrechtlich durchgesetzt werden kann. Die gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten hängen maßgeblich vom nationalen Gesellschaftsrecht sowie der Art der Unternehmensverbindung ab.111 Aus der Perspektive des deutschen Gesellschaftsrechts ist die Durchsetzbarkeit der aufsichtsrechtlichen Vorgaben weitgehend gesichert, wenn die Unternehmensverbindung durch einen Beherrschungsvertrag legitimiert ist.112 An gesellschaftsrechtliche Grenzen können aufsichtsrechtliche Vorgaben der Gruppenaufsicht dagegen insbesondere in faktischen Aktienkonzernen stoßen. Hier wird das Tochterunternehmen von dessen Vorstand „unter eigener Verantwortung“ geleitet (§ 76 Abs. 1 AktG). Dem Mutterunternehmen steht kein rechtlich abgesichertes Weisungsrecht zur Verfügung, mit dem es Maßnahmen des Compliance- und Risikomanagements bei dem Tochterunternehmen erzwingen kann. Der Tochtervorstand ist unter den Voraussetzungen der §§ 311 ff. AktG lediglich berechtigt, nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen aber nicht verpflichtet, sich Anordnungen der Muttergesellschaft zu beugen. Besondere Herausforderungen ergeben sich zudem in solchen Fallkonstellationen, in denen das aufsichtsrechtlich „übergeordnete“ Institut aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive nachgeordnet ist (wie nach bisheriger Rechtslage bei Finanzholding-Gruppen, bei denen grundsätzlich das Tochterinstitut für die aufsichtsrechtliche Konsolidierung verantwortlich ist). Das Verhältnis der Vorschriften der qualitativen Gruppenaufsicht und des nationalen Gesellschaftsrechts wirft außerordentlich komplexe Fragen auf. Nach der bis zum Inkrafttreten des CRD-IV-Umsetzungsgesetzes geltenden Textfassung sah § 25a Abs. 1a Satz 2 KWG in Verbindung mit § 10a Abs. 12 Satz 2 KWG vor, dass das übergeordnete Unternehmen zur Erfüllung seiner aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen nur insoweit auf das nachgeordnete Un111 Zum Verhältnis des Gesellschaftskonzernrechts und Aufsichtsrechts hat sich im deutschen Schrifttum eine intensive Diskussion entzündet. Vgl. hierzu monografisch Schneider, Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen und bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen an Risikomanagement auf Gruppenebene, 2009; Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 147 ff. sowie zuletzt die Monografien von Renner, Bankkonzernrecht, 2019, S. 257 ff. und passim sowie Negenborn, Bankgesellschaftsrecht und Sonderkonzernrecht, 2020, S. 221 ff. und passim. Siehe ferner Binder, ZGR 2013, 760–801; Mülbert/Wilhelm, ZHR 178 (2014), 502 ff.; Teichmann, ZGR 2017, 485, 492 ff.; Tröger, ZHR 177 (2013), 475–517; Vetter, FS Krieger, 2020, S. 1065, 1074 ff.; Weber-Rey/Gissing, AG 2014, 884–891. Die Debatte zusammenfassend Binder, in: Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020, § 16 Rn. 42 ff. 112 §§ 291, 308 AktG (Weisungsrecht).
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ternehmen einwirken darf, soweit dem das „allgemein geltende Gesellschaftsrecht“ nicht entgegensteht. Zugleich verpflichtete § 25a Abs. 1a Satz 2 KWG in Verbindung mit § 10a Abs. 13 Satz 2 KWG die nachgeordneten Unternehmen, dem übergeordneten Unternehmen die für die Zusammenfassung erforderlichen Informationen zu übermitteln. Beide Vorschriften wurden im Zuge des CRD-IV-Umsetzungsgesetzes gestrichen, ohne dass die gesetzgeberische Intention aus der Gesetzesbegründung hervorgeht.113 Hieraus wurden im Schrifttum verschiedene Schlussfolgerungen gezogen: Zum Teil wird weiterhin von einem „Vorrang des Gesellschaftsrechts“ ausgegangen.114 Andere Autoren gehen dagegen davon aus, dass § 25a Abs. 3 KWG als lex specialis das allgemeine Gesellschaftsrecht überlagert und verdrängt.115 Richtigerweise dürften die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an das Compliance- und Risikomanagement im Sinne eines „Optimierungsgebotes“ auszulegen sein (s. u. Rn. 63).116 b) Informationsbeschaffung
Eine wichtige Bedeutung bei der Erfüllung der gruppenbezogenen Anforderungen kommt einem funktionierenden Informationsaustausch zwischen den gruppenverbundenen Unternehmen zu. Das Unionsrecht sieht in diesem Zusammenhang vor, dass die aufsichtsunterworfenen Mutter- und Tochterunternehmen eine angemessene Organisationsstruktur und geeignete interne Kontrollmechanismen errichten, um sicherzugehen, dass die für die Konsolidierung erforderlichen Daten ordnungsgemäß verarbeitet und weitergeleitet werden.117 Hieraus kann eine Kooperationsverantwortung der gruppenverbundenen Unternehmen abgeleitet werden.118 Nach früherer Rechtslage sah das Kreditwesengesetz (§ 25a Abs. 1a Satz 2 in Verbindung mit § 10a Abs. 13 Satz 2 KWG in der Fassung vor Inkrafttreten des CRD-IV-Umsetzungsgesetzes) ausdrücklich vor, dass die nachgeordneten Unternehmen die für die Erfüllung der gruppenweiten Anforderungen benötigten Informationen weiterleiten müssen (s. o. Rn. 59). In der aktuellen Fassung des Kreditwesengesetzes findet sich keine entsprechende Vorschrift. Gleichwohl lässt sich aus allgemeinen Grundsätzen sowie der Regelungssystematik des Unionsrechts eine Weiterleitungspflicht (und ein hiermit korrespondierender
113 Die Gesetzesbegründung ist widersprüchlich. Dazu Renner, Bankkonzernrecht, 2019,
S. 269. 114 In diesem Sinne etwa Hellstern, in: Luz, KWG, 3. Aufl. 2015, § 25a Rn. 34. 115 In diesem Sinne etwa Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 512 f. Ähnlich Renner, Bankkonzern-
recht, 2019, S. 269 ff. und passim. 116 Dazu bereits auf Basis des bisherigen Rechts Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 203 ff. 117 Art. 11(1) Satz 2 CRR (bezüglich der Konsolidierungspflichten der CRR). Vgl. ferner Art. 109(2) Satz 3 CRD. 118 Kooperationspflichten können sich ggf. auch aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ergeben. Zu diesem Konzept Vetter, FS Krieger, 2020, S. 1065, 1077 ff.
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zivilrechtlicher Auskunftsanspruch) herleiten.119 Es kann insoweit von einer Modifikation bzw. Überlagerung des Gesellschaftskonzernrechts durch das Aufsichtsrecht gesprochen werden. Auch das Datenschutzrecht und das Bankengeheimnis stehen dem Informationsaustausch nicht entgegen, sofern die Daten zur Wahrnehmung der aufsichtsrechtlichen Konsolidierungsverantwortung erforderlich sind. Dies gilt zumindest dann, wenn eine Datenweitergabe nicht auf anonymisierter Art und Weise erfolgen kann.120 Es wäre allerdings wünschenswert, wenn der Gesetzgeber die rechtlichen Vorgaben an den gruppenweiten Informationsfluss präzisieren und damit für Rechtsklarheit sorgen würde. c) Maßnahmen der Risikosteuerung 62
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Weder das Unionsrecht noch das nationale Aufsichtsrecht gewährt dem übergeordneten Unternehmen besondere Eingriffsrechte, um die aufsichtsrechtlichen Anforderungen innerhalb der Gruppe durchsetzen zu können. Das verantwortliche Unternehmen ist zur Umsetzung der Organisationspflichten somit im Ausgangspunkt auf die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten angewiesen. In welchem Verhältnis die aufsichtsrechtlichen Vorgaben an die gruppenweite Risikosteuerung zu den (insbesondere im faktischen Aktienkonzern) beschränkten gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten stehen, wird unterschiedlich bewertet.121 Gesellschaftsrechtliche Grenzen können sich insbesondere aus dem konzernrechtlichen Schutzsystem der §§ 311 ff. AktG ergeben (Möglichkeit eines Vermögensausgleichs bei nachteiligen Maßnahmen). Nach dem bisherigen Recht stellte das Kreditwesengesetz ausdrücklich klar, dass das übergeordnete Unternehmen zur Erfüllung seiner aufsichtsrechtlichen Pflichten nur insoweit auf das nachgeordnete Unternehmen einwirken darf, soweit dem nicht die allgemeinen Vorgaben des Gesellschaftsrechts entgegenstehen.122 Das derzeitige Recht enthält keine derartige Vorrangklausel mehr. Hieraus wird von einigen Autoren der Schluss gezogen, dass die aufsichtsrechtlichen Regelungen der Gruppenaufsicht die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben im Konfliktfall verdrängen bzw. überlagern.123 Einen einseitigen Anwendungsvorrang des Aufsichtsrechts gegenüber dem Gesellschaftsrecht wird man dem gel119 Vgl. dazu auf Basis der bisherigen Rechtslage Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 178 ff. Auf Basis des derzeit geltenden Rechts Renner, Bankkonzernrecht, 2019, S. 268 ff. Hierauf deutet etwa die Regelung in Art. 11(1) Satz 2 CRR bzw. Art. 109(2) CRD hin. Vgl. ferner § 10(2) Satz 3 KWG. 120 Vgl. hierzu § 10(2) Satz 3 KWG (tatbestandlich allerdings sehr eng; personenbezogene Angaben, die zur Ermittlung von Ausfallrisiken benötigt werden). 121 Vgl. die in Fn. 111 genannten Literaturnachweise. Vgl. für einen Überblick über den Diskussionsstand Negenborn, Bankgesellschaftsrecht und Sonderkonzernrecht, 2020, S. 306 ff. 122 Vgl. § 25a(1a) Satz 2 KWG i. V. m. § 10a(13) Satz 2 KWG. Gesellschaftsrechtliche Schranken können sich im faktischen Aktienkonzern etwa aus §§ 311 ff. AktG ergeben, wenn der Nachteil mangels Quantifizierbarkeit nicht ausgeglichen werden kann. 123 Bereits auf Basis des bisherigen Rechts Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 512 f.; dem Ansatz grundsätzlich folgend Renner, Bankkonzernrecht, 2019, S. 268 ff.
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tenden Recht allerdings nicht entnehmen können, zumal es an einer tragfähigen normativen Grundlage für die Anerkennung eines solchen absoluten Geltungsvorrangs fehlt.124 Richtigerweise dürften die aufsichtsrechtlichen Vorgaben an das gruppenweite Compliance- und Risikomanagement im Sinne eines „Optimierungsgebotes“ zu verstehen sein.125 Sie verlangen eine möglichst weitgehende Verwirklichung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen im Rahmen der gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten. Eine im Vordringen befindliche Literaturansicht nimmt in diesem Zusammenhang (mit unterschiedlichen Begründungsansätzen) eine punktuelle Verdrängung der gesellschaftsrechtlichen Schranken an, wenn und soweit dies zur Umsetzung der aufsichtsrechtlichen gruppenweiten Steuerungspflichten erforderlich ist.126 Die Diskussion ist allerdings noch im Fluss.127
IV. Waiver-Regelungen Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen sind grundsätzlich sowohl auf Einzelals auch auf Gruppenebene zu erfüllen.128 Unter bestimmten Voraussetzungen können die Mitgliedstaaten bzw. die zuständigen Behörden einzelne Tochtergesellschaften von der Anwendung der Pflichten auf Einzelebene befreien (waiver). Beispielsweise sieht Art. 7 Abs. 1 CRR vor, dass Mitgliedstaaten Tochterunternehmen eines Instituts von der Anwendung von bestimmten Anforderungen der CRR ausnehmen können, wenn sowohl das Tochterunternehmen als 124 Insoweit ebenfalls Binder, in: Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020, § 16 Rn. 44. Dies wird in der Sache auch durch die jüngsten Gesetzesentwicklungen im Zusammenhang mit der Einführung von Konsolidierungspflichten für Finanzholdinggesellschaften gestützt (vgl. Rn. 22 ff.). Triebfeder für die Einführung entsprechender Konsolidierungspflichten war die Überlegung, dass die aufsichtsrechtlichen Anforderungen in der Gruppe umgesetzt werden müssen. So setzt die Zulassung voraus, dass es angemessene und geeignete „interne Vereinbarungen“ innerhalb der Gruppe gibt, alle Tochterunternehmen zu steuern und die festgesetzten Strategien innerhalb der Gruppe durchzusetzen (vgl. § 7 Rn. 44). Der europäische Gesetzgeber setzt damit einerseits den Trend fort, den übergeordneten Unternehmen eine aufsichtsrechtliche Steuerungsverantwortung für die gruppenangehörigen Unternehmen aufzuerlegen. Andererseits zeigt der Verweis auf die genannten „internen Vereinbarungen“, dass dem Aufsichtsrecht bewusst ist, dass die Umsetzung der Anforderungen abhängig von den gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten vom übergeordneten Unternehmen unter Umständen nicht erzwungen werden kann. 125 Ausführlich zu diesem Konzept Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 204 ff. 126 In diesem Sinne etwa Negenborn, Bankgesellschaftsrecht und Sonderkonzernrecht, 2020, S. 315 ff. (teleologische Reduktion der §§ 311 ff. AktG zur Herstellung von „praktischer Konkordanz“); ähnlich auch Binder, in: Hopt/Binder/Böcking (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2. Aufl. 2020, § 16 Rn. 44. In der Sache dürfte dieses Konzept der Herstellung von „praktischer Konkordanz“ zu ähnlichen Ergebnissen führen wie bei der hier vertretenen Lösung (Optimierungsgebot). 127 Vgl. die Nachweise in Fn. 111. 128 Art. 6(1) CRR. Vgl. § 15 Rn. 24 f.
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auch das Institut von dem betreffenden Mitgliedstaat zugelassen und beaufsichtigt wird, das Tochterunternehmen in die konsolidierte Beaufsichtigung des Mutterunternehmens einbezogen ist und die Bedingungen von Art. 7 Abs. 1 lit. a–d CRR erfüllt sind.
V. Fazit 65
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Die einzelinstitutsbezogenen Anforderungen werden im Rahmen der „Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis“ um gruppenbezogene Regelungen ergänzt. Die traditionell auf die Eigenmittel- und Großkreditkonsolidierung bezogene Gruppenaufsicht hat sich inzwischen zu einem Gesamtkonzept zur Regulierung von Unternehmensverbindungen im Bankensektor entwickelt. Im Zentrum der Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis steht die aufsichtsrechtliche Erfassung der Institutsgruppe als Risikoeinheit. Dem steht allerdings die aus gesellschaftsrechtlicher Sicht fortbestehende rechtliche Selbstständigkeit der einzelnen gruppenangehörigen Unternehmen gegenüber. Die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze werden in Teilbereichen durch das Aufsichtsrecht überlagert bzw. modifiziert. Es hat sich ein „Sonderkonzernrecht für Institutsgruppen“ herausgebildet, das wesentliche Bereiche des Bankenaufsichtsrechts erfasst.
Teil 6: Rückblende und Ausblick Literatur: Alexander, Kern/Fisher, Paul G., Banking Regulation and Sustainability, SSRN Working Paper, 2019 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_ id=3299351); Carvalho, Ana Paula Castro/Hohl, Stefan/Raskopf, Roland/Ruhnau, Sabrina, Proportionality in banking regulation: a cross-country comparison, FSI Policy Paper, August 2017 (abrufbar unter: https://www.bis.org/fsi/publ/insights1.pdf); Ferrarini, Guido/Recine, Fabio, The Single Rulebook and the SSM, in: Busch, Danny/Ferrarini, Guido (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Kapitel 5; Hemeling, Peter, Europäische Finanz- und Kapitalmarktregulierung auf dem Prüfstand, ZHR 181 (2017), 595– 602; Joosen, Bart et al., Stability, Flexibility and Proportionality: Towards a Two-Tiered European Banking Law?, SSRN Working Paper, 2018 (abrufbar unter: https://papers. ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3128304); ders./Lehmann, Matthias, Proportionality in the Single Rulebook, in: Chiti, Mario Pilade/Santoro, Vittorio (Hrsg.), The Palgrave Handbook of European Banking Union Law, 2019, S. 65–88; Kaufhold, Ann-Katrin, Instrumente und gerichtliche Kontrolle der Finanzaufsicht, Die Verwaltung 49 (2016), 339– 368; dies., Einheit in Vielfalt durch umgekehrten Vollzug?, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85–110; Lehmann, Matthias, Single Supervisory Mechanism Without Regulatory Harmonisation? Introducing a European Banking Act and a ‚CRR Light‘ for Smaller Institutions, EBI Working Paper Series, 2017 (abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2912166); Stöhr, Alexander, Kleine Banken – Too Small to Survive? – Ein Plädoyer für proportionale Regulierung, WM 2019, 993–999 (Teil 1) bzw. 1041–1046 (Teil 2); Veil, Rüdiger et al., Nachhaltige Kapitalanlagen durch Finanzmarktregulierung, 2019; Vossen, Konrad, Rechtsschutz in der europäischen Bankenaufsicht, 2020; Wilmarth, Arthur E., A Two-Tiered System of Regulation is Needed to Preserve the Viability of Community Banks and Reduce the Risks of Megabanks, 2015 Michigan State Law Review 249–370.
§ 17 Resümee: Gegenwärtiger Stand des Single Rulebooks I. Single Rulebook und Bankenunion 1. Überblick: Erreichtes und Unerreichtes 1
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Als Reaktion auf die Finanzkrise wurde die europäische Finanzmarktarchitektur auf eine neue Grundlage gestellt. Als eines der Kernanliegen der PostFinanzkrise-Gesetzgebung verfolgte der europäische Gesetzgeber das Ziel, den rechtlichen Rahmen für Banken und Finanzdienstleister in einem einheitlichen Regelwerk (Single Rulebook) zu harmonisieren. Dieses ehrgeizige Projekt ist inzwischen weit vorangeschritten. Mit der Verabschiedung des CRD-IV/CRRPakets im Jahre 2013 wurden nahezu sämtliche Bereiche des materiellen Bankenaufsichtsrechts auf europäischer Ebene harmonisiert. Das CRD/CRRRegime wurde durch etwa 100 Durchführungsrechtsakte auf Ebene von Level 2 sowie durch vielfältige Leitlinien und Empfehlungen der EBA auf Ebene von Level 3 konkretisiert. Es wurden zudem unzählige Q&As sowie weitere Verlautbarungen der EBA, EZB und der Kommission (Peer-Reports, Leitlinien, Opinions, Aufsichtshandbücher etc.) veröffentlicht. Das Recht der Bankenaufsicht und der Bankenregulierung hat sich damit zu einem genuin europäischen Rechtsgebiet entwickelt.1 Dieser Prozess wurde durch das am 16. April 2019 verabschiedete Bankenpaket (CRD V, CRR II, BRRD II, SRM II) weiter vorangetrieben. Zudem hat die Kommission im Oktober 2021 den Entwurf eines Bankenpakets zur weiteren Harmonisierung des Aufsichtsrechts veröffentlicht. Einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung des europäischen Bankenaufsichtsrechts markierte die Umsetzung der Bankenunion. Zwar ist es für eine abschließende Bewertung dieses umfangreichen Gesetzgebungspakets noch zu früh. Es lässt sich jedoch festhalten, dass mit Wirkung vom 2. November 2014 im Geltungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus bedeutende Institute erstmals einer unmittelbaren europäischen Aufsicht unterstellt wurden. Gleichwohl: Ein echtes „Single Rulebook“ für Kreditinstitute in Europa besteht bis dato noch nicht.2 Erstens setzt sich das Regelwerk auf europäischer Ebene derzeit noch aus einer Kompilation verschiedener Regelwerke – der CRD-IV/V-Richtlinie und der CRR-I/II-Verordnung hinsichtlich des mateProphetisch vor dem Hintergrund der in der Frühphase nur schleppend vorankommen1 den Bankrechtsharmonisierung die Einschätzung von Peter Troberg, seinerzeit Mitarbeiter der Kommission, im Jahre 1972: „[D]ie Zähigkeit dieses Ringens um ein Minimum an Gemeinsamkeiten zeigt, daß große Dinge zu bewegen sind“, Troberg, ZfgK 76, 588, 592. Vgl. dazu § 4. 2
§ 17 Resümee: Gegenwärtiger Stand des Single Rulebooks
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riellen Bankenaufsichtsrechts, der SSM-Verordnung hinsichtlich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus sowie der in diesem Buch nicht näher behandelten BRRD-Richtlinie, SMR-Verordnung und der Einlagen-Richtlinie hinsichtlich der Bankenabwicklung und der Einlagensicherung, jeweils nebst Durchführungsverordnungen – zusammen. Eine einheitliche Kodifikation in einem übergreifenden „Rulebook“ existiert daher noch nicht. Zweitens basiert das Unionsrecht derzeit auf einem komplexen System von zum Teil mindestharmonisierenden, zum Teil vollharmonisierenden Vorgaben. Auch innerhalb der per se vollharmonisierend konzipierten CRR-Verordnung werden den Mitgliedstaaten bzw. den zuständigen Behörden verschiedene Optionen und Umsetzungsspielräume gewährt. Drittens sind in den Mitgliedstaaten zum Teil noch divergierende Aufsichtspraktiken anzutreffen. Viertens ist die europäische Harmonisierung hinsichtlich des inhaltlichen Anwendungsbereichs beschränkt. Namentlich fokussieren sich die europäischen Vorgaben im Grundsatz auf Kreditinstitute im Sinne der CRR.3 Auch die Sanktionen sind zum Teil noch im Recht der Mitgliedstaaten beheimatet. Schließlich beschränkt sich die Harmonisierung fünftens im Kern auf den Bereich der formellen und materiellen Bankenaufsicht (sowie der hier nicht näher behandelten Bankenabwicklung und Einlagensicherung). Die Ausgestaltung des Bankvertrags- und des Bankengesellschaftsrechts (einschließlich des Konzernrechts), soweit nicht vom Aufsichtsrecht überlagert, verbleibt grundsätzlich in der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Harmonisierung der Bankenaufsicht gleichwohl sehr weit fortgeschritten ist – auch im Vergleich zu den benachbarten Rechtsgebieten wie dem Kapitalmarktrecht, dem Versicherungsaufsichtsrecht oder dem Investmentrecht. Dies gilt insbesondere im Geltungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus.
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2. Konzept des Single Rulebooks und Stand der Harmonisierung
Nach gegenwärtigem Stand wird das Schlagwort des Single Rulebooks vom europäischen Gesetzgeber und den europäischen Aufsichtsbehörden in zweifacher Hinsicht verwendet: zum einen im Sinne einer regulatorischen Leitidee, wonach die Finanzmarktregulierung soweit möglich durch Unionsrecht (und zwar in der Form von unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbaren Verordnungen) geregelt und durch die europäischen Aufsichtsbehörden konkretisiert werden soll, und zum anderen als Beschreibung des europäischen Normbestandes im Bereich der Finanzmarktregulierung. Dieser umfasst insbesondere das CRD-IV/CRR-Paket nebst den Durchführungsverordnungen (Level 1 und 2), die von der EBA erlassenen konkretisierenden Leitlinien und Empfehlungen In den Mitgliedstaaten (namentlich in Deutschland) ist traditionell ein deutlich weiterge3 hendes Konzept des „Kreditinstituts“ anzutreffen als in Art. 4(1) Nr. 1 CRR vorgegeben, vgl. § 7 Rn. 36 ff.
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Teil 6: Rückblende und Ausblick
(Level 3) sowie die weiteren Verlautbarungen der europäischen Behörden, die eine Angleichung der nationalen Auslegungs- und Verwaltungspraxis bezwecken sollen. Die Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts ist in verschiedenen Bereichen unterschiedlich weit vorangeschritten. Die in den vorangehenden Kapiteln hierzu behandelten Aspekte müssen nicht noch einmal en detail nachgezeichnet werden. Es genügt die Feststellung, dass insbesondere hinsichtlich der in der CRD normierten Regelungsbereiche – die im Gegensatz zu den in der CRR geregelten Pflichten in das nationale Recht umgesetzt werden müssen – in den Mitgliedstaaten zum Teil abweichende Konzepte anzutreffen sind. Exemplarisch können in diesem Zusammenhang die Anforderungen an die Zulassung von Banken, die Governance-Anforderungen sowie die Prüfung der Geeignetheit der Leitungsorgane genannt werden. Insgesamt ist festzustellen, dass nach derzeitigem Stand ein gewisses „Ungleichgewicht“ besteht zwischen den nur recht rudimentär harmonisierten Anknüpfungstatbeständen/Erlaubnispflichten einerseits und den sehr granular geregelten Anforderungen an die laufende Bankenaufsicht andererseits.4 Dieses Ungleichgewicht wurde auch durch das im April 2019 verabschiedete Bankenpaket nicht behoben. 3. Zunehmende Zentralisierung der Aufsicht und Rechtskontrolle im Anwendungsbereich des SSM; Rolle des EuGH
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Die Einführung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus hat zu einer stärkeren Zentralisierung der Aufsicht bei der EZB geführt.5 Dieser Trend hin zu einer stärkeren Zentralisierung der Aufsichts- und Rechtskontrolle wurde durch verschiedene Entscheidungen des EuGH gestärkt. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Leitentscheidungen des EuGH in der Rechtssache L-Bank (zur Kompetenzverteilung zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden) sowie Berlusconi (zur Kompetenzverteilung zwischen dem EuG/EuGH und den nationalen Gerichten).6
II. Herausforderungen 1. Komplexität 8
Das geltende Regime ist durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet.7 Diese ergibt sich zunächst aus dem schieren Regelungsumfang: Die CRR-Verordnung umfasst bereits auf Level 1 deutlich über 500 Textseiten.8 Der Umfang hat im Siehe oben § 7 Rn. 18 ff. Zu den Einzelheiten § 6. Vgl. § 6 Rn. 41 ff. bzw. § 6 Rn. 142 ff. Vgl. oben im Zusammenhang mit der Eigenmittelregulierung § 8 Rn. 8. In der aktuellen Ausgabe der Beck-Texte zum Bankrecht (47. Aufl.) insgesamt ca. 650 Seiten. 4 5 6 7 8
§ 17 Resümee: Gegenwärtiger Stand des Single Rulebooks
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Zuge der jüngeren Gesetzgebungsreformen (CRD V/CRR II) noch weiter zugenommen. Es ist zu erwarten, dass der Regelungsumfang im Zuge der Umsetzung der Kommissionsvorschläge vom Oktober 2021 weiter ansteigen wird. Die bereits auf Level 1 recht granular ausgeformten Regelungsvorgaben wurden auf Ebene von Level 2 und Level 3 durch ein immer dichter gewobenes Netz von detaillierten Durchführungsverordnungen, Leitlinien und Empfehlungen ausgeformt.9 Nach Schätzungen sind Unternehmen in der Finanzbranche mit Texten zur Finanzmarktregulierung im Umfang von 35.000 Seiten konfrontiert.10 Nicht nur kleineren Instituten dürfte es schwerfallen, diese rechtlichen Anforderungen vollständig zu erfassen. Die Regelungsflut ist für die Marktteilnehmer zudem mit erheblichen Umsetzungskosten verbunden. Komplexität resultiert ferner aus den verschiedenen Regelungsebenen, die von den Marktteilnehmern angewendet werden müssen. So müssen Kreditinstitute11 in Deutschland weiterhin die Vorgaben des Kreditwesengesetzes beachten, die durch verschiedene Merkblätter und Verlautbarungen der BaFin konkretisiert werden. Gleichzeitig sind diese mit den unmittelbar geltenden Anforderungen der CRR (und den hierzu erlassenen Durchführungsverordnungen) sowie den von der EBA, EZB und der Kommission erlassenen Leitlinien, Empfehlungen, Q&As und sonstigen Verlautbarungen konfrontiert. Hierbei kommt es an verschiedenen Stellen zu Doppelregelungen sowie zu widersprüchlichen Anforderungen auf nationaler und europäischer Ebene.12 Dies führt zu Rechtsunsicherheit bei der Rechtsanwendung.
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2. Rechtsdurchsetzung (insbesondere Rolle der EZB)
Im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus ist die EZB für die Durchsetzung des Single Rulebooks maßgeblich (mit-)verantwortlich.13 Sie wendet hierbei neben dem einschlägigen Unionsrecht auch nationale Rechtsvorschriften an, mit denen europäische Richtlinien umgesetzt bzw. Wahlrechte ausgeübt werden. Wie in den vorstehenden Kapiteln näher ausgeführt wurde, führt die Zentralisierung der Aufsicht bei der EZB hinsichtlich bedeutender Institute im Euroraum vor dem Hintergrund des bislang nicht vollständig harmonisierten materiellen Aufsichtsrechts zu verschiedenen Abstimmungsproblemen.14 Die EZB hat prinzipiell das Recht aller 21 teilnehmenden
Siehe oben § 4 Rn. 23 ff. Hemeling, ZHR (181), 2017, 595 (Stand 2015). Dies gilt gem. § 1a KWG auch dann, wenn diese nicht als CRR-Institut i. S. v. Art. 4(1) Nr. 3 CRR qualifizieren. 12 Vgl. etwa § 12 Rn. 36 ff. (zu den Anforderungen an die Eignung von Leitungsorganen; die bestehenden Abstimmungsprobleme wurden im Rahmen der jüngsten Gesetzgebungsentwicklungen allerdings entschärft). 13 Siehe oben § 6. 14 Vgl. § 6 Rn. 76 ff. 9 10 11
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Teil 6: Rückblende und Ausblick
Mitgliedstaaten15 zu beachten. Im Einzelfall kann es schwierig sein, zu beurteilen, welche Aufsichtskompetenzen von der EZB und welche Kompetenzen von den nationalen Aufsichtsbehörden wahrzunehmen sind.16 3. Verhältnis der EBA und EZB; Bedeutung von Soft Law 11
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Auf institutioneller Ebene ergeben sich Herausforderungen hinsichtlich der Abgrenzung der Verantwortlichkeiten zwischen der EBA und der EZB. Im Ausgangspunkt scheinen die Kompetenzen der EBA und der EZB klar verteilt: Der EBA sind vor allem Rechtsetzungskompetenzen zugewiesen (Vorbereitung von Level-2-Maßnahmen und Ausarbeitung von Leitlinien und Empfehlungen auf Ebene von Level 3). Die EZB ist demgegenüber primär als Aufsichtsinstanz konzipiert.17 Seitdem der einheitliche Aufsichtsmechanismus seine Arbeit aufgenommen hat, hat allerdings auch die EZB verschiedene Rechtsakte, Verlautbarungen und Merkblätter veröffentlicht. Auch die EZB ist somit an der Konkretisierung und Weiterentwicklung des Single Rulebooks beteiligt.18 Für die Weiterentwicklung des Single Rulebooks spielt das Soft Law eine wichtige Rolle (Leitlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 16 Abs. 3 EBA-VO, Q&As, Peer-Reports, Opinions, sonstige Verlautbarungen der EBA und der EZB). Dies wirft komplexe Legitimationsfragen auf.19 Dies gilt insbesondere dann, wenn in den Verlautbarungen Anforderungen an die Institute gestellt werden, die keine unmittelbare Grundlage im europäischen Richtlinien- und Verordnungsrecht haben.20 Zwar ist derartiges Soft Law nicht unmittelbar rechtsverbindlich.21 Für die Rechtspraxis haben die Verlautbarungen aber eine sehr hohe faktische Bindungswirkung, zumal die Aufsichtsbehörden die Einhaltung dieser Vorgaben erwarten.22
15 19 Euro-Staaten sowie bis dato zwei weitere teilnehmende Mitgliedstaaten (Bulgarien, Kroatien). 16 Vgl. § 6 Rn. 76 ff. 17 Zu den begrenzten Rechtsetzungskompetenzen § 6 Rn. 95 ff. 18 Vgl. § 6 Rn. 108 ff. 19 Vgl. etwa § 6 Rn. 108 ff. 20 Vgl. etwa im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Leitungsorgane und die Corporate Governance § 12 Rn. 27 ff. (zu den unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern). 21 Zu den Rechtswirkungen § 4 Rn. 13 ff. und § 4 Rn. 76 ff. 22 Sofern die zuständigen Aufsichtsbehörden sich nicht ausdrücklich gegen eine Übernahme von Leitlinien und Empfehlungen gem. Art. 16(3) der EBA-VO entschieden haben. Dazu § 4 Rn. 13 ff.
§ 18 Reformperspektiven I. Übersicht Der europäische Rechtsrahmen wurde durch das am 16. April 2019 verabschiedete Bankenpaket in Teilen ergänzt und reformiert.1 Die Gesetzesreformen zielen allerdings primär darauf ab, die im Nachgang der Finanzkrise bereits beschlossenen Gesetzgebungsreformen zu finalisieren.2 Eine konzeptionelle Neuausrichtung ist damit nicht verbunden. Sie ist in naher Zukunft auch nicht zu erwarten. Auch der Kommissionsentwurf des Bankenpakets vom Oktober 2021 bezweckt keine grundlegende Neujustierung des Aufsichtsregimes. Vor dem Hintergrund des bislang nur in Teilbereichen vollständig verwirklichten Projektes des Single Rulebooks3 stellt sich in mittel- bis langfristiger Perspektive die Frage, ob der derzeitige Status quo weiterentwickelt werden sollte. Im Folgenden sollen mögliche Reformansätze zur Diskussion gestellt werden.
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II. Reformansätze des Status quo 1. Mix von Richtlinien- und Verordnungsrecht
Das europäische Recht ist bislang durch einen Mix von Richtlinien- und Verordnungsrecht geprägt. Die Unterteilung ist nicht immer systematisch überzeugend. So ist nicht unmittelbar einleuchtend, wieso die Mindestkapitalanforderungen in der unmittelbar geltenden CRR, die Kapitalpufferregeln dagegen in der CRD normiert sind (und somit von den Mitgliedstaaten in das nationale Recht umgesetzt werden müssen).4 Das Harmonisierungsinstrument der Richtlinie hat gegenüber der Verordnung den Vorteil, dass die europäischen Vorgaben an die nationale Gesetzessystematik und – entsprechende Umsetzungsspielräume vorausgesetzt – an die Besonderheiten des nationalen Bankenmarktes angepasst werden können. Dieser Gleiches gilt für die hier nicht näher behandelte BRRD sowie die Einlagen-RL. Die Post-Finanzkrise-Reformagenda wurde allerdings durch CRD V/CRR II noch nicht vollständig in das Unionsrecht überführt. Die im Oktober 2021 von der Kommission veröffentlichten Vorschläge zur Umsetzung der Vereinbarung des Basler Ausschusses vom Dezember 2017 wurden bis dato noch nicht umgesetzt. Vgl. oben § 4 Rn. 1 ff. Dazu auch Lehmann, Single Supervisory Mechanism Without Re3 gulatory Harmonisation? Introducing a European Banking Act and a ‚CRR Light‘ for Smaller Institutions, EBI Working Paper Series, 2017, S. 3 (unfulfilled project). Dies gilt umso mehr, seitdem der im Zuge der Verabschiedung der CRR II eingeführte 4 Puffer für global systemrelevante Institute hinsichtlich der Verschuldungsquote nun in der CRR normiert ist. 1 2
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Teil 6: Rückblende und Ausblick
Vorteil der Flexibilität wird allerdings mit verschiedenen Nachteilen erkauft.5 Je größer die nationalen Umsetzungsspielräume sind, desto weniger kommen die Vorteile eines harmonisierten europäischen „Single Rulebooks“ zum Tragen. Das Nebeneinander von Richtlinien- und Verordnungsrecht geht ferner mit einem Verlust an Überschaubarkeit der Rechtsordnung und einer Zunahme der Komplexität der Rechtsanwendung einher. Vor diesem Hintergrund ist zu erwägen, das europäische Aufsichtsrecht weitgehend durch Verordnungen zu regeln.6 Dem ließe sich entgegenhalten, dass gerade die bislang in der CRD geregelten Rechtsmaterien – wie das Erlaubnisverfahren und die Governance-Anforderungen – noch nicht vollständig harmonisiert sind und zudem in das nationale Gesellschaftsrecht eingreifen. Allerdings werden bereits heute zahlreiche Governance-Anforderungen auf Stufe 2 des europäischen Gesetzgebungsverfahrens durch unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbare Verordnungen konkretisiert. Die Harmonisierung des europäischen Bankenaufsichtsrechts durch Verordnungsrecht erscheint vor diesem Hintergrund durchaus konsequent. In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass im Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus die EZB die europäischen Richtlinien entsprechend der nationalen Umsetzung in dem jeweiligen Mitgliedstaat anzuwenden hat.7 Dies ist mit zahlreichen Anwendungsproblemen verbunden.8 Diese Probleme würden entschärft, wenn das Single Rulebook weitgehend durch unmittelbar anwendbares Verordnungsrecht geregelt würde. 2. Abbau von Optionen und Wahlrechten
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Das CRD/CRR-Regime enthält derzeit eine Vielzahl von nationalen Umsetzungsspielräumen, Optionen und Wahlrechten (nachfolgend einheitlich als „Wahlrechte“ bezeichnet).9 Diese richten sich zum Teil an die Mitgliedstaaten, zum Teil an die zuständigen Behörden.10 Auch nach Verabschiedung des Bankenpakets (CRD V/CRR II) haben diese Wahlrechte überwiegend weiter Bestand. Die bestehenden Wahlrechte sind in Wissenschaft und Aufsichtspraxis kritisiert worden.11 Denn diese konterkarieren den Regelungsgedanken eines harmonisierten, europäischen Single Rulebooks. In der Tat sprechen gewichtige Zu den verschiedenen Harmonisierungskonzepten § 4 Rn. 38 ff. Hierzu noch unten Rn. 42 ff. Vgl. § 6 Rn. 76 ff. Vgl. § 6 Rn. 76 ff. Vgl. § 4 Rn. 48 ff. sowie Anhang 1 und 2. Zur Bedeutung dieser Unterscheidung § 4 Rn. 48 ff. bzw. § 6 Rn. 76 ff. Aus Sicht der Aufsichtsbehörden Enria, The Single Rulebook in banking: is it ‚single‘ enough?, S. 4 ff. (abrufbar unter: https://eba.europa.eu/documents/10180/1208645/2015+09+ 28+-+Single+Rulebook+at+UniPadova.pdf).
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Gründe dafür, das bestehende Gestrüpp von nationalen Wahlrechten einzudämmen. Zwar trifft es zu, dass der Bankensektor in Europa erhebliche nationale und regionale Unterschiede aufweist.12 Die divergierenden Geschäftsmodelle erfordern eine differenzierte aufsichtsrechtliche Betrachtung. Dies kann allerdings auch durch eine stärker prinzipienorientierte und am Proportionalitätsgrundsatz ausgerichtete Regulierung gewährleistet werden (vgl. dazu noch unten Rn. 15 ff. und Rn. 50 ff.).13 Das undurchsichtige Geflecht von nationalen Wahlrechten befördert eine Zersplitterung des Rechtsregimes und führt zu einer zusätzlichen Komplexität bei der Rechtsanwendung. Freilich kann die Einräumung von Wahlrechten im Einzelfall gerechtfertigt sein, wenn die Eigenarten des nationalen Bankensektors Sonderregelungen erfordern. Gleichwohl sollte der derzeitige Stand auf Basis einer umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse kritisch überprüft werden. Im Anwendungsfeld des einheitlichen Aufsichtsmechanismus hat sich die Problematik hinsichtlich der Behördenwahlrechte insoweit relativiert, als die Kompetenz zur Ausübung dieser Wahlrechte grundsätzlich bei der EZB liegt.14 Soweit sich die Wahlrechte an die Mitgliedstaaten richten, bleibt die EZB allerdings an die Ausübung dieser Wahlrechte durch den jeweiligen Mitgliedstaat gebunden. Dies geht mit komplexen Auslegungsfragen einher.15 Auch dies spricht perspektivisch für eine Eingrenzung der bestehenden nationalen Wahlrechte.
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3. Harmonisierung der Erlaubnistatbestände
Die Definition des Kreditinstituts basiert auf der Begriffsbestimmung der Bankrechtskoordinierungsrichtlinie von 1977.16 Sie hat somit seit über 40 Jahren Bestand. Das Banken- und Finanzsystem hat sich seither rasant entwickelt. Es könnte erwogen werden, den Katalog der europäischen Erlaubnistatbestände näher zu harmonisieren. In den Mitgliedstaaten sind derzeit verschiedene Regelungskonzepte anzutreffen.17 Dies betrifft erstens die Frage, ob neben Kreditinstituten im europäischen Sinne – also Institute, die kumulativ das Einlagen- und Kreditgeschäft betreiben – auch weitere Unternehmen als Kreditin-
12 Umfassende Nachweise bei EZB, Report on Financial Structures, Oktober 2017, S. 21 ff. und passim (abrufbar unter: https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/reportonfinancial structures201710.en.pdf). 13 Ähnlich Enria, The Single Rulebook in banking: is it ‚single‘ enough? (Fn. 11), S. 4 ff. 14 § 6 Rn. 87 ff. 15 § 6 Rn. 87 ff. 16 Vgl. § 7 Fn. 41. 17 Dazu etwa EBA, Report to the European Commission on the perimeter of credit institutions established in the Member State, 27.11.2014, Rn. 9 (abrufbar unter: https://www.eba.eu ropa.eu/documents/10180/534414/2014+11+27+-+EBA+Report+-+Credit+institutions.pdf). Vgl. ebenfalls den Befund der EZB, Leitfaden zur Beurteilung von Zulassungsanträgen, Januar 2019, S. 10 (Rn. 4.1.).
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stitute qualifizieren (und damit einer Bankenaufsicht unterliegen).18 So werden in Deutschland über die CRR hinaus auch solche Unternehmen als Kreditinstitute definiert, die lediglich das Kreditgeschäft (aber kein Einlagengeschäft) betreiben.19 Unterschiede bestehen zweitens hinsichtlich der Auslegung der durch das Unionsrecht nur generalklauselartig vorgegebenen Erlaubnistatbestände (Einlagengeschäft, Kreditgeschäft).20 Gerade in Deutschland ist in diesem Zusammenhang die Tendenz zu beobachten, dass die Aufsichtsbehörden die Anknüpfungstatbestände in einem äußerst weiten Sinne interpretieren.21 Schließlich bestehen drittens Unterschiede hinsichtlich des territorialen Anwendungsbereichs.22 Die bislang eher rudimentäre Harmonisierung der Erlaubnistatbestände dürfte auf divergierende Regelungstraditionen in den Mitgliedstaaten zurückzuführen sein. Die derzeitige Rechtslage führt allerdings zu verschiedenen Folgeproblemen.23 Im Geltungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus resultieren aus der nationalen Regelungsvielfalt zudem Abgrenzungsprobleme hinsichtlich der Kompetenzen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden.24 4. Formalisierung des Prozesses der Gesetzeskonkretisierung auf Ebene von Stufe 3 und Stufe 4
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In dem Prozess der Konkretisierung des Single Rulebooks spielt „Soft Law“25 eine entscheidende Rolle. Dies erfolgte bislang allerdings weitgehend ohne gesicherte rechtliche Grundlage. Lediglich für den Erlass von Empfehlungen und Verlautbarungen i. S. v. Art. 16 EBA-VO sah das Unionsrecht detaillierte Rahmenvorgaben vor. Hinsichtlich der übrigen Verlautbarungen der europäischen Aufsichtsbehörden (Q&As, Empfehlungen, Reports etc.) enthielt das Unionsrecht keine Regelungen. Dies führte zu Intransparenz und Legitimationsproblemen sowie zu Unterschieden bei der „Umsetzung“ der Verlautbarungen in die nationale Aufsichtspraxis.26 Durch die ESA-Änderungsverordnung vom 18. Dezember 2019 wurde nunmehr auch der Erlass von Q&As sowie die Veröffentlichung von Stellungnahmen als Konvergenzinstrumente im europäischen Sekundärrecht erwähnt.27 Allerdings bleiben die Vorgaben hinsichtlich des Erlasses dieser Instrumente 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
§ 7 Rn. 31 ff. Vgl. die Übersicht über die in Europa anzutreffenden Modelle in § 7 Rn. 31 ff. Vgl. § 7 Rn. 19 ff. § 7 Rn. 21 ff. § 7 Rn. 98 ff. Dazu bereits § 7 Rn. 20 ff. und 58 ff. Vgl. etwa § 7 Rn. 58 ff. Vgl. § 4 Rn. 13 ff., 76 ff. Dazu § 4 Rn. 13 ff. § 5 Rn. 29 f.
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weiterhin blass. Vor diesem Hintergrund ist zu erwägen, das Verfahren der Veröffentlichung von europäischem Soft Law sowie deren Rechtswirkungen näher zu regeln. Dies könnte etwa durch eine Anpassung der ESA-Verordnung erfolgen. Das hätte den Vorteil, dass der Prozess der Verabschiedung der entsprechenden Verlautbarungen für die Marktteilnehmer transparenter und das Verfahren für deren „Umsetzung“ in die nationale Verwaltungspraxis vereinheitlicht würde. 5. Stärkung des Proportionalitätsprinzips
Im Nachgang der Finanzkrise hat die Komplexität der Regulierung erheblich zugenommen.28 Gleichzeitig hat sich der Berichts- und Dokumentationsaufwand der Institute beständig erhöht. Dies stellt insbesondere kleinere Institute vor erhebliche Herausforderungen.29 Vor diesem Hintergrund haben sowohl Stimmen in der Wissenschaft30 als auch Vertreter von Aufsichtsbehörden31 und Bankenverbänden32 gefordert, dem Proportionalitätsprinzip stärkeres Gewicht beizumessen.33 In die gleiche Kerbe schlagen die Empfehlungen der „High-Level Expert Group on Sustainable Finance“ vom Januar 2018.34 Diesen Forderungen nach einer Stärkung des Proportionalitätsgrundsatzes ist zuzustimmen. § 17 Rn. 8 f. Vgl. hierzu das im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken erstellte Gutachten von Hackethal/Inderst, Auswirkungen der Regulatorik auf kleinere und mittlere Banken am Beispiel der deutschen Genossenschaftsbanken, 2015 (abrufbar unter: https://www.bvr.de/p.nsf/0/EA57402CCD1BAC9FC1257ECF00349466/$file/ GUTACHTEN-BVR2015.pdf). 30 Vgl. etwa Joosen et al., Stability, Flexibility and Proportionality: Towards a two-tiered European Banking Law?, SSRN Working Paper, 2018; Joosen/Lehmann, in: Chiti/Santoro (Hrsg.), The Palgrave Handbook of European Banking Union Law, 2019, S. 65–88; Stöhr, WM 2019, 993–999 bzw. Stöhr, WM 2019, 1041–1046. Rechtsvergleichender Überblick bei Carvalho et al., Proportionality in banking regulation, 2017. 31 Vgl. etwa den Bericht der EBA Banking Stakeholder Group, Proportionality in Bank Regulation, 2015. Im Kontext der Vergütungsanforderungen EBA, Report: Review of the Application of the Principle of Proportionality to CRD Remuneration Provisions: The EBA’s response to European Commission letter, 21.11.2016 (EBA-Op-2016–20). Zur small banking box vgl. die Rede von Andreas Dombret, vormaliges Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank vom 29.6.2017 (abrufbar unter: https://www.bundesbank.de/de/presse/reden/ auf-dem-weg-zu-einer-small-banking-box-welches-geschaeftsmodell-braucht-welche-regulie rung-711042). Die BaFin hat im Januar 2019 eine Konferenz zum Thema Proportionalität veranstaltet. Die Unterlagen sind abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veranstal tungen/DE/190124_proportionalitaet.html%20. 32 Vgl. das von verschiedenen europäischen Bankenverbänden unterzeichnete Diskussionspapier zum Thema „proportionality in banking regulation“ (abrufbar unter: https://banken verband.de/media/files/2019_03_26_Proportionality_eng_V6_1_eayqNis.pdf). 33 Allgemein zum Proportionalitätsgrundsatz § 4 Rn. 68 ff. 34 In diesem Bericht hat sich die Expertenkommission für eine differenziertere Anwendung des Basel-III-Rahmenwerks auf kleinere Banken ausgesprochen (vgl. S. 68 und S. 70 des Berichts). Der Expertenbericht ist abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/ 180131-sustainable-finance-final-report_en.pdf. 28 29
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Zwar ist der Proportionalitätsgrundsatz bereits im geltenden CRD/CRRRegime an verschiedenen Stellen verankert.35 Allerdings hat die immer granularer erfolgende Konkretisierung der regulatorischen Anforderungen auf Stufe 2 und 3 des europäischen Gesetzgebungsprozesses dazu geführt, dass kaum Anwendungsspielraum für die Anwendung des Proportionalitätsprinzips verbleibt. Durch die Verabschiedung des Bankenpakets im April 2019 wurden erste Schritte zur Stärkung des Proportionalitätsgrundsatzes unternommen. Allerdings beschränken sich diese bislang auf Einzelaspekte, insbesondere das Offenlegungs- und Liquiditätsregime.36 Für eine Stärkung des Proportionalitätsprinzips sprechen verschiedene Gründe. Wie bereits erwähnt, ist die Bankenlandschaft in Europa außerordentlich divers.37 Insbesondere in Deutschland, Österreich und Italien existiert eine Vielzahl von kleineren, überwiegend lokal operierenden Kreditinstituten.38 Andere Mitgliedstaaten wie beispielsweise Frankreich oder die Niederlande sind durch einen stärker konzentrierten Bankensektor geprägt. Im Ausgangspunkt sind sämtliche Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, unabhängig von deren Größe und regionalem Tätigkeitsbereich, denselben Vorgaben des Single Rulebooks unterworfen. Diese müssen damit grundsätzlich alle Anforderungen des Basel-III-Rahmenwerks (entsprechend der Umsetzung im europäischen Recht) einhalten, obgleich der Basler Ausschuss dieses vor allem für international tätige Banken konzipiert hat.39 Dies führt dazu, dass kleinere Institute überproportional eine Regulierungslast tragen, sofern dem Proportionalitätsprinzip nicht sachgerecht Rechnung getragen wird.40 Rechtstechnisch kann das Proportionalitätsprinzip auf verschiedene Art und Weise in das Regelwerk implementiert werden. Eine erste Möglichkeit besteht in der Verwirklichung einer stärker prinzipienorientierten Regulierung, die „gleitende“ Anforderungen aufstellt und den Behörden einen größeren Spielraum bei der Anwendung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben gewährt.41 Eine Vgl. etwa § 4 Rn. 68 ff. § 14 Rn. 10 ff. (Differenzierung zwischen „großen“ und „kleinen und nicht-komplexen“ Instituten) bzw. § 9 Rn. 21 (vereinfachte strukturelle Liquiditätsquote für kleine und nichtkomplexe Institute). 37 Vgl. die Nachweise in Fn. 12. Siehe ferner die Angaben im Bericht der EZB, LSI supervision within the SSM, November 2017 (abrufbar unter: https://www.bankingsupervision.euro pa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.reportlsisupervision2017.en.pdf). 38 Nach den Statistiken der EZB gab es in Deutschland Ende 2016 insgesamt 1.600 LSI. Vgl. die Nachweise im Bericht der EZB (Fn. 37), S. 6. 39 Vgl. etwa Ziffer 10.1 des konsolidierten Basler Rahmenwerks: „This framework will be applied on a consolidated basis to internationally active banks“. 40 Ökonomischer Hintergrund ist, dass bestimmte Anforderungen (wie etwa Meldepflichten) Fixkosten verursachen, die nicht (bzw. nicht proportional) von der Größe des Instituts abhängen. Bezogen auf den Umsatz sind die Compliance-Kosten bei kleineren Instituten daher überproportional hoch (im Vergleich zu großen Instituten). 41 Zahlreiche Anwendungsbeispiele finden sich in den von der BaFin erlassenen Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), etwa hinsichtlich des in diesem Rundschreiben verankerten Grundsatzes der Wesentlichkeit. 35 36
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zweite Möglichkeit ist die Einräumung von Ausnahme- und Befreiungsvorschriften von einzelnen Anforderungen, etwa für bestimmte „weniger bedeutende“ Institute. Als dritte Möglichkeit könnte ein eigenständiges „abgespecktes“ Regime für kleine Kreditinstitute erwogen werden. Ähnliche Vorschläge werden unter den Schlagworten „small banking box“ bzw. „two-tier banking regime“ diskutiert.42 Vorbildwirkung könnte hier das neue Regelungsregime für Wertpapierfirmen haben (IFD/IFR), das ein eigenständiges Regelwerk für kleinere Wertpapierfirmen geschaffen hat.43 Als Inspirationsquelle könnte ferner die Rechtsentwicklung in der Schweiz dienen. Die eidgenössische Finanzaufsicht FINMA hat mit Wirkung zum 1. Januar 2020 das sog. „Kleinstbankenregime“ umgesetzt.44 Vgl. zu möglichen Ansätzen zur Stärkung des Proportionalitätsprinzips noch unten (Rn. 50 ff.). Wichtig ist, dass eine Stärkung des Proportionalitätsprinzips nicht bedeutet, dass die aufsichtsrechtlichen Anforderungen der Institute generell abgesenkt werden. Vielmehr würden die Anforderungen stärker an das tatsächliche Risikoprofil der Institute angepasst. Ziel ist also eine möglichst „kongruente“, das heißt an den tatsächlich von einem Institut ausgehenden Risiken orientierte Regulierung bzw. Aufsicht. Im Schrifttum wurde auf mögliche Konflikte zwischen dem Regelungskonzept des Single Rulebooks und dem Proportionalitätsgedanken hingewiesen.45 In dieser Allgemeinheit trifft dies nicht zu. Mit der Verwirklichung eines Single Rulebooks verfolgt der Unionsgesetzgeber das Ziel, ein harmonisiertes europäisches Regelwerk zu schaffen. Dies bedeutet aber nicht, dass sämtliche Institute identischen Regelungen unterliegen müssen. Im Gegenteil dürfte eine sachgerechte Umsetzung des Proportionalitätsprinzips eine Grundvoraussetzung dafür sein, dass ein harmonisiertes Regelwerk auf europäischer Ebene ungeachtet der diversen Bankenlandschaft in effizienter und sachgerechter Art und Weise geschaffen (und die Einhaltung dieser Regelungen von Behörden überwacht) werden kann.
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6. Einheitlicher Aufsichtsmechanismus
Die Errichtung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus markierte einen bedeutenden Meilenstein in der Entwicklung des europäischen Aufsichtsrechts. Die bisherigen Erfahrungen sind überwiegend positiv zu bewerten.46 Allerdings wurde das Regelwerk in großer Eile verfasst. An verschiedenen Stellen kommt 42 Zur small banking box vgl. Dombret (Fn. 31). In diesem Sinne ebenfalls Joosen et al., Stability, Flexibility and Proportionality: Towards a two-tiered European Banking Law?, SSRN Working Paper, 2018. Für ein Sonderregime für kleine Banken auch Stöhr, WM 2019, 993–999 bzw. Stöhr, WM 2019, 1041–1046. Aus US-amerikanischer Sicht Wilmarth, 2015 Michigan State Law Review 249–370. 43 Vgl. § 7 Rn. 45 ff. 44 Abrufbar unter: https://www.finma.ch/de/news/2019/11/20191127-mm-kleinbanken regime. 45 Vgl. die Nachweise bei Joosen/Lehmann, in: Chiti/Santoro (Hrsg.), The Palgrave Handbook of European Banking Union Law, 2019, S. 65, 71 ff. 46 Vgl. § 6.
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eine Weiterentwicklung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus in Betracht. Einige mögliche Reformansätze sollen im Folgenden kurz umrissen werden. a) Kompetenzgrundlagen; Anwendungsbereich 22
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Die Errichtung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus wirft komplexe Legitimationsfragen auf.47 Ob Art. 127 Abs. 6 AEUV eine hinreichende Kompetenzgrundlage für den einheitlichen Aufsichtsmechanismus bildet, wird kontrovers beurteilt. Das BVerfG hat entschieden, dass die Regelungen zur europäischen Bankenunion bei strikter Anwendung nicht kompetenzwidrig sind.48 Nicht ohne Grund wurden Zweifel geäußert, ob die von den europäischen Gerichten zugrunde gelegte Auslegung hinsichtlich der Kompetenzverteilung innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (L-Bank-Entscheidung) diesem Maßstab gerecht wird.49 Es könnte erwogen werden, die Bankenunion auf eine solidere primärrechtliche Grundlage zu stellen. Hierdurch würden die aus den begrenzten Kompetenzvorschriften resultierenden Auslegungsprobleme entschärft. Ein zweiter Aspekt betrifft den Anwendungsbereich des einheitlichen Aufsichtsmechanismus. Im Ausgangspunkt werden lediglich CRR-Kreditinstitute vom persönlichen Anwendungsbereich erfasst. Mit Wirkung zum 26. Juni 2021 wurde der Anwendungsbereich auf bestimmte bislang als Wertpapierfirmen qualifizierte Unternehmen ausgedehnt.50 Zumindest für diese Institute werden die bisherigen Abgrenzungsprobleme hinsichtlich der Befugnisse der nationalen Aufsichtsbehörden und der EZB entschärft. b) Rechtsetzungskompetenzen der EZB
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Im Schrifttum wurde vorgeschlagen, die Rechtsetzungskompetenzen der EZB auszubauen.51 Die Einräumung von genuinen Gesetzgebungskompetenzen, die über die bereits existierenden Rechtsetzungsbefugnisse der EZB hinausgehen52, erscheint derzeit nicht geboten. Allerdings könnte erwogen werden, die Mitwirkungs- und Anhörungskompetenzen der EZB innerhalb des europäischen Gesetzgebungsprozesses zu stärken.53 Dies könnte eine bessere Abstimmung zwischen den Verlautbarungen der EBA und der EZB ermöglichen.
Vgl. oben § 6 Rn. 8. BVerfG, Urteil vom 30.7.2019, 2 BvR 1685/14 bzw. 2 BvR 2631/14. Vgl. 6 Rn. 40 ff. § 6 Rn. 20. Vgl. Ferrarini/Recine, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Rn. 5.57 ff. 52 Zu den Rechtsetzungskompetenzen § 6 Rn. 95 ff. 53 Einen gewissen Einfluss übt die EZB derzeit dadurch aus, dass ein Vertreter der EZB Mitglied im Rat der Aufseher der EBA ist. Dieser hat allerdings kein Stimmrecht. 47 48 49 50 51
§ 18 Reformperspektiven
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c) Rechtsdurchsetzungskompetenzen der EZB
Ein weiterer Aspekt betrifft die Rechtsdurchsetzung. Nach derzeitiger Rechtslage ist die EZB zur Durchsetzung des Unionsrechts bzw. des auf Unionsrecht beruhenden nationalen Rechts berufen.54 Es ist zu erwägen, die Durchsetzungskompetenzen der EZB auf weiteres nationales Recht auszudehnen, das im Zusammenhang mit der prudentiellen Aufsicht steht.55 Hierfür lassen sich gewichtige Gründe anführen. Das derzeitige Regime führt zu komplexen Abgrenzungsproblemen zwischen den Befugnissen der nationalen Behörden und der EZB.56 Dies kann bei den Marktteilnehmern zu Rechtsunsicherheit führen und bei den Aufsichtsinstanzen eine Verantwortungsdiffusion begünstigen. Freilich wäre die Ausdehnung der Rechtsdurchsetzungskompetenzen der EZB auch mit Nachteilen verbunden. Denn solange das materielle Recht nur unvollständig harmonisiert ist, müsste die EZB in einem noch größeren Umfang als bisher die Vorgaben des nationalen Rechts der teilnehmenden Mitgliedstaaten beachten und durchsetzen. Die hiermit verbundenen Probleme könnten möglicherweise durch eine Weiterentwicklung der Rechtsschutzmöglichkeiten abgemildert werden (s. u.).
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d) Rechtsschutz im einheitlichen Aufsichtsmechanismus
Der wohl dringendste Reformbedarf besteht hinsichtlich des Systems des Rechtsschutzes im einheitlichen Aufsichtsmechanismus. Nach derzeitiger Rechtslage existiert in verschiedenen Konstellationen ein frappierendes Rechtsschutzdefizit der betroffenen Institute und der Marktteilnehmer.57 Hinzu kommt, dass die europäischen Gerichte über keine ausreichenden Ressourcen verfügen, um einen effektiven und zeitnahen Rechtsschutz gegenüber belastenden Aufsichtsbeschlüssen der EZB zu gewährleisten.58 Es kommen verschiedene Ansätze zur Weiterentwicklung des Rechtsschutzsystems in Betracht. In der Literatur wurde vorgeschlagen, das bestehende System des administrativen Überprüfungsausschusses (Administrative Board of Review) auszudehnen und ein Tribunal mit eigenständigen judikativen Kompetenzen zu etablieren.59 Die Schaffung eines solchen „Tribunal of Financial Supervisory and Resolution Affairs“ hätte mehrere Vorteile. Vor allem könnten die europäischen Gerichte (EuG und EuGH) hinsichtlich der Überprüfung von Aufsichtsbeschlüssen der EZB entlastet werden. Ein solches Tribunal für das Dazu § 6 Rn. 76 ff. Dies bereits auf der Grundlage der lex lata befürwortend Lackhoff, Single Supervisory Mechanism, 2017, Rn. 429. Allgemein zur Ausdehnung des „umgekehrten Vollzugs“ auf weitere Bereiche des Unionsrechts Kaufhold, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 66 (2018), 85, 96 ff. 56 Dazu bereits oben Rn. 12. 57 Dazu § 6 Rn. 115 ff. 58 Zumal die europäischen Gerichte ggf. auch nationales Recht berücksichtigen müssen, vgl. dazu § 6 Rn. 127 ff. 59 Arons, in: Busch/Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, 2. Aufl. 2020, Rn. 3.99. 54 55
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Teil 6: Rückblende und Ausblick
Finanzwesen müsste freilich in das bestehende nationale und europäische Rechtsschutzregime eingefügt werden. In materieller Hinsicht könnte ferner erwogen werden, den Rechtsschutz auf die Anfechtung von Realakten sowie von Verlautbarungen der nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden (Soft Law) auszudehnen.60 Ein weiterer Aspekt betrifft die Anwendung des nationalen Rechts durch die europäischen Gerichte. Dies ist im geltenden System des einheitlichen Aufsichtsmechanismus angelegt und nicht per se problematisch. Allerdings werden hierdurch verschiedene Anwendungs- und Abstimmungsprobleme ausgelöst.61 Es könnte vor diesem Hintergrund erwogen werden, die nationalen Gerichte im System des europäischen Rechtsschutzes stärker einzubinden. Dies könnte etwa durch Einführung eines „umgekehrten Vorabentscheidungsverfahrens“ erfolgen.62 Ein solches Verfahren würde die EZB verpflichten, die mitgliedschaftlichen Gerichte darüber zu konsultieren, wie streitentscheidende nationale Regelungen zu interpretieren sind.63 7. FinTechs und Regulatory Sandboxes
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Der Finanzsektor ist im Wandel. Die Geschäftsmodelle von traditionellen Kreditinstituten werden zunehmend von FinTech-Unternehmen herausgefordert. Die Europäische Kommission und die EBA haben jeweils Strategiepapiere zur Förderung von innovativen Wachstumsunternehmen vorgelegt.64 Bislang sieht das europäische Recht allerdings keine Erleichterungen für Wachstumsunternehmen im Finanzbereich vor.65 Insbesondere die strengen Erlaubnispflichten können Innovationspotentiale im Finanzsektor hemmen.66 Verschiedene Jurisdiktionen bzw. Aufsichtsbehörden haben vor diesem Hintergrund sog. „regulatorische Sandkästen“ (regulatory sandboxes) entwickelt, die jungen Unternehmen in Wachstumsmärkten die Möglichkeit geben sollen, unter teilweiser Befreiung von Erlaubnispflichten innovative Geschäftsmodelle zu testen. Das europäische Recht sieht bislang kein „Sonderrecht“ für Wachstumsunternehmen im Finanzbereich vor. Es wäre zu erwägen, die Möglichkeit der Etablierung von regulatorischen Sandkästen auf europäischer Ebene zu verankern. Der konkrete Einsatz derartiger „Sandkästen“ könnte den nationalen Aufsichtsbehörden überlassen bleiben. Dies würde einen regulatorischen Wettbewerb zwischen den jeweiligen Dazu § 6 Rn. 133. Dazu § 6 Rn. 127 ff. Dies wurde vorgeschlagen von Kaufhold, Die Verwaltung 49 (2016), 339, 364 ff. Hierauf aufbauend Vossen, Rechtsschutz in der europäischen Bankenaufsicht, 2020, S. 259 ff. 63 Dazu bereits § 6 Fn. 282. 64 Dazu § 7 Rn. 4. 65 Vgl. allerdings das Merkblatt der EZB zu den Erlaubnispflichten für FinTech-Unternehmen (§ 7 Rn. 4). 66 Dazu § 7 Rn. 4. 60 61 62
§ 18 Reformperspektiven
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Aufsichtsbehörden befördern. Freilich ist der Einsatz von regulatorischen Sandkästen mit verschiedenen Herausforderungen verbunden. Insbesondere wäre ein ausreichender Anleger- und Funktionsschutz sicherzustellen. 8. Bankenregulierung und Nachhaltigkeit (Sustainable Finance)
Die Behandlung von „Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsrisiken“ (ESG-Risiken) bzw. „Nachhaltigkeitsrisiken“ spielt in der Finanzmarktregulierung eine immer größere Rolle.67 Den Ausgangspunkt der Entwicklung bildete das Pariser Übereinkommen vom 12. Dezember 2015. Dieses sieht u. a. vor, dass „die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung“ (Art. 2 Abs. 1 lit. c des Pariser Übereinkommens).68 Die Kommission hat eine Expertengruppe zur „Sustainable Finance“ (High Level Group – HLEG) eingesetzt. Diese hat in ihrem am 31. Januar 2018 veröffentlichten Abschlussbericht69 verschiedene Empfehlungen für den Bankensektor unterbreitet.70 Auf dieser Basis hat die Kommission einen Aktionsplan zur „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ erarbeitet.71 Dieser Aktionsplan sieht u. a. die Einführung von Maßnahmen zur „Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in den Aufsichtsvorschriften“ vor.72 Die Kommission wird ausweislich des Aktionsplans prüfen, ob „mit Klima- und anderen Umweltfaktoren verbundene Risiken in die Risikomanagementstrategien der Institute und die potenzielle Feinabstimmung der Kapitalanforderungen von Banken als Teil der Eigenkapitalverordnung und der Eigenkapitalrichtlinie mit einbezogen werden können“. Durch das Bankenpaket vom April 2019 wurden bereits einzelne Nachhaltigkeitsbelange in das Single Rulebook implementiert. Zudem wurde die EBA mandatiert, zu überprüfen, ob weitere Regelungen zur Berücksichtigung von ESG-Risiken in das europäische Regelwerk aufgenommen werden sollen. Der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 sieht die Einführung einer Rechtspflicht vor, ESG-Risiken im Rahmen des Risikomanagements systematisch zu erfassen und solche Risiken offenzulegen. In Deutschland hat die BaFin am
67 Veil et al., Nachhaltige Kapitalanlagen durch Finanzmarktregulierung, 2019; Alexander, Principles of Banking Regulation, 2019, Rn. 13.1 ff. 68 Abrufbar unter: https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klima schutz/paris_abkommen_bf.pdf. 69 High Level Group on Sustainable Finance, Final Report 2018 (abrufbar unter: https:// ec.europa.eu/info/sites/info/files/180131-sustainable-finance-final-report_en.pdf). 70 S. 69 des Berichts. 71 Kommission, Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums, 8.3.2018, COM(2018) 97 final. 72 Maßnahme 8 des Aktionsplans.
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Teil 6: Rückblende und Ausblick
20. Dezember 2019 ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht.73 36
Gem. Art. 98 Abs. 8 CRD (in der durch CRD V ergänzten Fassung) prüft die EBA, ob ESG-Risiken im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens einbezogen werden können. Die EBA arbeitet gem. Art. 434a CRR technische Durchführungsstandards zur Festlegung einheitlicher Offenlegungsformate (einschließlich der Offenlegung von ESG-Risiken) aus. Schließlich überprüft die EBA gem. Art. 501c CRR, ob sich eine spezielle aufsichtliche Behandlung von Risikopositionen empfiehlt, die mit ökonomischen oder sozialen Zielen in Zusammenhang stehen.
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Die EBA hat inzwischen einen ambitionierten Arbeitsplan zur Sustainable Finance veröffentlicht, der bis zum Jahre 2025 abgearbeitet werden soll.74 Die von der EBA in diesem Zusammenhang zu überprüfenden Themen decken breite Teile der Bankenregulierung ab (etwa die Berücksichtigung von ESG-Risiken bei der Risikogewichtung für die Zwecke der Eigenmittelunterlegung gem. Säule 1, Auswirkungen von ESG-Risiken auf das institutsinterne Risikomanagement und Stresstests, Reform der Offenlegungsanforderungen). Inzwischen ist auch die EZB tätig geworden und hat im November 2020 einen Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken veröffentlicht.75 Diese Entwicklungen werfen komplexe Fragen auf. So existiert bislang keine allgemein anerkannte Definition der „Nachhaltigkeit“ bzw. der von der „Sustainable Finance“ verfolgten Regelungsziele.76 In der aktuellen Diskussion stehen vor allem Risiken aus dem Klimawandel im Fokus. Von den Aufsichtsbehörden wird zum Teil allerdings ein sehr viel weitergehendes Konzept der „Nachhaltigkeit“ zugrunde gelegt.77 Zu klären ist ferner, ob das rechtspolitische Anliegen der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken mit den traditionellen Regelungszielen der Bankenregulierung (Einlegerschutz und Systemschutz) kompatibel ist. Die Diskussion steht hier noch am Anfang.78
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73 Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_ Nachhaltigkeitsrisiken.pdf?__blob=publicationFile&v=9. 74 EBA, Action Plan on Sustainable Finance, 6.12.2019 (abrufbar unter: https://eba.euro pa.eu/sites/default/documents/files/document_library//EBA%20Action%20plan%20on% 20sustainable%20finance.pdf). 75 EZB, Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken – Erwartungen der Aufsicht in Bezug auf Risikomanagement und Offenlegungen, November 2020 (abrufbar unter: https://www.ban kingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.202011finalguideonclimate-relatedandenviron mentalrisks%7E58213f6564.de.pdf). 76 Vgl. Alexander/Fisher, Bank Regulation and Sustainability, SSRN Working Paper, 2019, S. 16 (no common definition of key terms). 77 Vgl. etwa BaFin, Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, 20.12.2019, S. 9 (wonach sich Nachhaltigkeit nicht auf Klimafragen erschöpfen darf, sondern auch andere ökonomische und soziale Trends berücksichtigen muss). Auch der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 geht von einem weiten Begriffsansatz aus (vgl. Art. 4(1) Nr. 52 lit. d/e CRR in der Fassung des Kommissionsentwurfs). 78 Vgl. die in Fn. 67 und Fn. 76 genannten Diskussionsansätze.
§ 18 Reformperspektiven
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9. Auswirkungen der Covid-19-Epidemie
Seit Ausbruch der weltweiten Covid-19-Epidemie befindet sich der Bankensektor in einem Ausnahmezustand.79 Das System der Bankenregulierung, wie es durch die Post-Finanzkrise-Gesetzgebung geschaffen wurde, wird durch die Covid-19-Epidemie einer großen Belastungsprobe unterzogen. Die nationalen und europäischen Akteure (Gesetzgeber, Aufsichtsbehörden, Standardsetzer) haben verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors zu sichern.80 Neben gewährter Flexibilität hinsichtlich der Aufsichtsprozesse (Verschiebung von Stresstests, Duldung der Unterschreitung bestimmter Kennziffern) sind etwa Anpassungen bei den antizyklischen Kapitalziffern zu nennen.81 Das europäische Parlament hat im Lichte der Covid-19-Epidemie zudem einzelne Anpassungen des CRR-Regimes beschlossen, die bereits kurz nach Ausbruch der Epidemie von der Kommission im April 2020 empfohlen wurden (sog. quick fix).82 Eine entsprechende Änderungsverordnung wurde inzwischen verabschiedet.83 Diese sieht u. a. vor, dass Anteile an ausgefallenen Krediten, die staatlich garantiert sind, von einem Eigenkapitalabzug für einen bestimmten Zeitraum befreit sind.84 Zudem soll die Einführung des Puffers für global systemrelevante Institute bis Januar 2023 aufgeschoben werden.85 Es zeichnet sich ferner ab, dass die Umsetzung der noch ausstehenden Basel-Reformen vom Dezember 2017 vor dem Hintergrund der Covid-19-Epidemie um voraussichtlich zwei Jahre verschoben wird.86 79 Vgl. zu den Auswirkungen der Covid-19-Krise das Papier der EBA, The EU Banking Sector: First Insights into the Covid-19 Impacts, Thematic Note, EBA/REP/2020/17. Vgl. für eine hilfreiche Gesamtübersicht über die von den verschiedenen Akteuren getroffenen Maßnahmen EBI, Report on the ‚Pandemic Crisis-related‘ Economic Policy and Financial Regulation Measures: International, EU and Euro Area Levels (standing as of 1.5.2020) (abrufbar unter: https://ebi-europa.eu/wp-content/uploads/2020/04/EBI-Covid-Report-as-of-01.05.2020. pdf) sowie EBA, Report on the implementation of selected Covid-19 policies, EBA/REP/ 2020/39, 21.12.2020. 80 Die von der EBA bzw. EZB getroffenen Maßnahmen sind auf deren Homepages zusammengefasst, vgl. https://eba.europa.eu/coronavirus bzw. https://www.ecb.europa.eu/home/ search/coronavirus/html/index.en.html. Die EBA hat einen ausführlichen Bericht zu ausgewählten Covid-19-Aspekten erstellt, vgl. EBA Report on the implementation of selected Covid-19 policies, EBA/REP/2020/19, 7.7.2020. 81 Vgl. hierzu § 8 Rn. 80. 82 European Parliament legislative resolution of 18 June 2020 on the proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulations (EU) No 575/2013 and (EU) 2019/876 as regards adjustments in response to the COVID-19 pandemic (COM(2020)0310 – C9–0122/2020 – 2020/0066(COD)). 83 Verordnung (EU) 2020/873 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.6.2020 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 575/2013 und (EU) 2019/876 aufgrund bestimmter Anpassungen infolge der COVID-19-Pandemie („Corona-Änderungs-VO“). 84 Art. 47c(4) CRR in der Fassung der Corona-Änderungs-VO. 85 Vgl. § 8 Rn. 97. 86 Der Kommissionsentwurf vom Oktober 2021 sieht die stufenweise Einführung eines „Output-Floors“ ab 2025 vor.
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Teil 6: Rückblende und Ausblick
Es ist derzeit noch nicht absehbar, welche Auswirkungen die Covid-19-Epidemie in mittel- und langfristiger Sicht auf den europäischen Bankensektor und den regulatorischen Rechtsrahmen hat.
III. Verabschiedung eines konsolidierten European Banking Act? 42
Als „große Lösung“ käme die Verabschiedung eines Europäischen Bankengesetzbuches (European Banking Act) in Betracht.87 Bei einem solchen Ansatz würden die bislang noch in mehreren Rechtsakten verteilten Vorschriften (CRD-Richtlinie und CRR-Verordnung, ggf. SSM-Verordnung sowie unter Umständen die BRRD-RL/SRM-VO bzw. die Einlagenrichtlinie) in einem einheitlichen Rechtstext (und zwar in einer unmittelbar geltenden Verordnung) gebündelt. Dies könnte den Marktteilnehmern den Zugang zur Rechtsmaterie erleichtern und die Komplexität der Rechtsanwendung reduzieren. Zugleich könnten die vereinzelt noch bestehenden Abstimmungsprobleme zwischen den verschiedenen Rechtsakten vermieden und der EZB die Aufsicht im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus erleichtert werden. Freilich würde dieses Vorhaben komplexe rechtspolitische und rechtstechnische Herausforderungen aufwerfen (s. u.). 1. Umfang und Anwendungsbereich
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Zu klären wäre zunächst, welche Themenbereiche von einem solchen European Banking Act erfasst werden sollten. Gegenstand wären zumindest diejenigen Bereiche der materiellen Bankenregulierung, die derzeit in dem CRD/CRRRegime adressiert werden. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob alle Aspekte, die bislang in der CRD adressiert sind, sinnvoll in einer unmittelbar geltenden Verordnung geregelt werden können. Dies dürfte zu bejahen sein.88 Es könnte sich anbieten, auch die bislang in der SSM-VO normierten Grundsätze des einheitlichen Aufsichtsmechanismus in den European Banking Act zu integrieren.89 Ob auch die zweite und dritte Säule der Bankenunion (also das Abwicklungsregime und die Einlagensicherung) aufgenommen werden sollten, wäre zu ergründen.90
87 Die Idee der Verabschiedung eines European Banking Act wurde von Lehmann ins Spiel gebracht. Vgl. Lehmann, Single Supervisory Mechanism Without Regulatory Harmonisation? Introducing a European Banking Act and a ‚CRR Light‘ for Smaller Institutions, EBI Working Paper Series, 2017, S. 3 (unfulfilled project). 88 Dazu bereits oben Rn. 5. 89 Diese würden freilich nur für Institute im Anwendungsbereich des SSM Anwendung finden. 90 Dagegen könnte die enorme Komplexität eines solchen Vorhabens sprechen. Denn die Vorgaben der Bankenabwicklung greifen in das Insolvenzrecht ein. Dieses ist bislang nur teilweise harmonisiert. Eine Richtlinie könnte hier weiterhin besser als Harmonisierungsinstrument geeignet sein (sofern die Anforderungen nicht bereits in der SSM-VO geregelt sind).
§ 18 Reformperspektiven
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Selbst ein so verstandenes Europäisches Bankengesetzbuch würde weiterhin nur einen Ausschnitt der für die Institute relevanten Themen behandeln. Nicht erfasst wären u. a. die Vorgaben an die Geldwäsche etc., für deren Durchsetzung (bislang) die nationalen Behörden zuständig sind.91
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Ferner stellt sich die Frage des sachlichen, persönlichen und geografischen Anwendungsbereichs. In der wissenschaftlichen Diskussion wurde vorgeschlagen, ein eigenes Bankengesetzbuch für Institute im Euro-Raum zu verabschieden.92 Dies würde die Chancen der politischen Durchsetzbarkeit erhöhen, allerdings zu einer unerwünschten Rechtszersplitterung zwischen den Eurostaaten und den sonstigen EU-Mitgliedstaaten führen. Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs könnte eine Diskussion darüber erfolgen, ob sich die Harmonisierung – wie bislang – nur auf CRR-Institute beschränken soll (oder ob diese auch weitere Unternehmen erfassen soll, vgl. oben Rn. 10 ff.).
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2. Granularität
Eine weitere Frage betrifft die Granularität eines konsolidierten European Banking Act. Derzeit ist bereits bei den Level-1-Rechtsakten (CRD/CRR) eine hohe Granularität und Detailtiefe anzutreffen.93 Denkbar wäre es, dass sich der europäische Gesetzgeber bei einer Verabschiedung eines konsolidierten Europäischen Bankengesetzbuches stärker als bislang auf die Normierung der aufsichtsrechtlichen Grundprinzipien beschränkt. Ein solcher stärker prinzipienorientierter Ansatz könnte verschiedene Vorteile haben. Ein wesentliches Problem des Status quo ist, dass die Rechtstexte einer permanenten Reform unterworfen sind, zumal bereits auf Stufe 1 Detailprobleme adressiert werden. Die Verhandlungen zwischen dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parlament haben sich als komplex und zeitaufwendig erwiesen.94 Ein „schlankerer“ Ansatz könnte dazu beitragen, eine gewisse „Dauerhaftigkeit“ der Level-1-Maßnahmen sicherzustellen. Dies könnte auch der Zugänglichkeit und Verlässlichkeit des Rechts (und damit letztlich der Rechtssicherheit) dienen. Sofern sich das Gesetzbuch auf eine Normierung der Grundprinzipien beschränken sollte, stellt sich die Frage der Konkretisierung auf Ebene von Level 2 und Level 3. Die bislang veröffentlichten Rechtstexte könnten auch unter der Ägide eines konsolidierten europäischen Bankengesetzbuches vermutlich überwiegend weitergeführt werden.
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3. Harmonisierungsniveau; Verhältnis zum nationalen Recht
Zu diskutieren wäre ferner das Verhältnis des European Banking Act zum nationalen Recht. Um das Regelungsziel der Verwirklichung eines Single Rule91 Zur Stärkung der Kompetenzen der EBA hinsichtlich der Durchsetzung der geldwäscherechtlichen Anforderungen vgl. § 5 Rn. 40 ff. 92 Lehmann (Fn. 3), S. 17. 93 Dazu § 4 Rn. 9. 94 Dies zeigte sich zuletzt bei der Verhandlung des CRD-V/CRR-II-Regimes.
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Teil 6: Rückblende und Ausblick
books zu realisieren, müsste das Regelwerk als eine unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbare Verordnung ausgestaltet sein. Dies bedeutet allerdings nicht, dass dem nationalen Recht keine Bedeutung mehr zukommen würde. So wird es in Einzelbereichen vermutlich unausweichlich sein, den Mitgliedstaaten nationale Wahlrechte einzuräumen.95 Nationalgesetzliche Regelungen können insbesondere dort sinnvoll sein, wo das Aufsichtsrecht – wie etwa bei den Vorgaben an die Banken-Governance – in enger Verbindung mit dem noch nicht näher harmonisierten Gesellschaftsrecht steht. Es stellt sich jeweils die Frage, ob die europäischen Vorgaben vollständig maximalharmonisierend ausgestaltet werden sollten (oder ob in bestimmten Bereichen weitergehende nationale Regelungen weiterhin zulässig sind). 4. Proportionalitätsgrundsatz; Erleichterungen für kleine Institute (small banking box)
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Eine große Bedeutung kommt der Umsetzung des Proportionalitätsgrundsatzes im Single Rulebook zu (dazu bereits oben Rn. 15 ff.). Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob kleineren Instituten zusätzliche Erleichterungen gewährt werden sollen. Wie bereits ausgeführt, sprechen gewichtige Gründe dafür, das Proportionalitätsprinzip im europäischen Bankenaufsichtsrecht zu stärken. Denn das Basel-III-Regime wurde vom Basler Ausschuss vor allem für international tätige Banken entwickelt.96 In Europa sind die Anforderungen des Basler Rahmenwerks (entsprechend der Umsetzung im Unionsrecht) dagegen im Grundsatz von allen Kreditinstituten einzuhalten. Dies birgt insbesondere für kleinere Institute erhebliche Belastungen. Es ist eine offene Frage, wie eine proportionale Regulierung und Aufsicht innerhalb eines europaweit harmonisierten Single Rulebooks am besten umgesetzt werden kann. Konzeptionell sind drei Ansätze denkbar: Möglich wäre zunächst, dass ein reformierter „European Banking Act“ auf einem stärker prinzipienbasierten Rahmenwerk aufbaut. Dieses würde es sowohl den Instituten als auch den Aufsichtsbehörden erlauben, die Anforderungen stärker situationsbasiert (unter Berücksichtigung des tatsächlichen Risikoprofils des Instituts) anzuwenden. Ein zweiter Ansatz besteht darin, „kleinere“ Institute von bestimmten Anforderungen freizustellen. Bei einem noch ambitionierteren dritten Ansatz würde für „kleine“ Kreditinstitute (ähnlich wie dies nach Inkraftreten des IFR/IFD-Regimes bei Wertpapierfirmen der Fall ist) ein eigenständiges Regelungsregime geschaffen. Im Ergebnis würde dies auf ein zweispuriges Bankenregime („two-tier banking regime“) hinauslaufen.97
95 96 97
Dazu bereits oben Rn. 7 ff. Dazu bereits oben Rn. 17. Hierzu die Nachweise oben Rn. 18.
§ 18 Reformperspektiven
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Es sollte nicht verschwiegen werden, dass die Umsetzung von Erleichterungen für kleinere Institute schwierige Folgefragen aufwirft. Dies gilt zunächst für die Kriterien, mit denen „kleine“ bzw. „weniger komplexe“ Institute von „größeren“ Instituten abgegrenzt werden (vgl. dazu noch unten Rn. 54). Hinzu kommt, dass auch Zusammenbrüche von verhältnismäßig kleinen Instituten negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben können.98 Der Gesetzgeber steht vor der Herausforderung, die verschiedenen rechtspolitischen Anliegen (Vermeidung einer Überregulierung bzw. Benachteiligung von kleineren Instituten, Sicherung eines angemessenen Einleger- und Systemschutzes) miteinander in Ausgleich zu bringen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Einführung von Erleichterungen für „kleine Banken“ unerwünschte Klippeneffekte nach sich ziehen und die Gefahr von „regulatorischer Arbitrage“ begründen kann.99
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In mittelfristiger Perspektive dürfte es am erfolgversprechendsten sein, verschiedene Ansätze zu kombinieren. Ausgangspunkt könnte eine Rückbesinnung auf eine stärker prinzipienorientierte Regulierung sein. Dies gilt insbesondere in Bereichen der qualitativen Bankenaufsicht (aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren, Governance-Anforderungen). Die Einführung eines eigenständigen europäischen Regelwerks für kleinere Institute wäre außerordentlich aufwendig und dürfte auch nicht erforderlich sein. Denn Erleichterungen für kleinere Institute können auch innerhalb eines einheitlichen Regelwerks implementiert werden. Denkbar wäre etwa, dass in den einzelnen Gesetzesabschnitten angeordnet wird, welche Vorschriften nicht (bzw. nur in modifizierter Form) auf kleinere Institute Anwendung finden. Dieser Ansatz wurde im Zuge der Verabschiedung der CRD V/CRR II bereits für einzelne Bereiche der europäischen Bankenregulierung eingeführt (Berechnung der NSFR100, Offenlegungsanforderungen101, Kapitalerhaltungspuffer102). Dieser Regelungszugriff könnte auch auf weitere Bereiche des Bankenaufsichtsrechts ausgedehnt werden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Definition von „kleineren“ Instituten. Im geltenden Bankenaufsichtsrecht finden sich in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Ansätze, um zwischen Banken von unterschiedlicher Größe und Risikostruktur zu differenzieren.103 Im Zuge der Verab-
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98 Joosen et al., Stability, Flexibility and Proportionality: Towards a Two-Tiered European Banking Law?, 2018, S. 20 f.; Dombret (Fn. 31), Nr. 5 („too many to fail“). 99 Stöhr, WM 2019, 1041, 1042. 100 Art. 428ai CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 101 Dazu § 14 Rn. 10 ff. 102 Art. 129(2) CRD (in der durch CRD V ergänzten Fassung). 103 Vgl. exemplarisch die folgenden Beispiele: (i) Unterscheidung von „bedeutenden“ und „weniger bedeutenden“ Instituten für die Zwecke des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (§ 6); (ii) besondere Anforderungen für global systemrelevante Institute (G-SRI) bzw. für andere systemrelevante Institute (A-SRI) für die Zwecke der Eigenmittelunterlegung und Kapitalpuffer (vgl. § 8); (iii) die Differenzierung von vier Kategorien durch die EBA für die Zwecke des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens (§ 11); (iv) die Aufstellung von besonderen Governance-Anforderungen für Institute von „erheblicher Bedeutung“ (vgl. § 12); (v) die Einführung von Definitionen zur Bestimmung von „kleinen und nicht komplexen Instituten“ sowie „großen“ Instituten durch die CRD V/CRR II (vgl. hierzu im Fließtext).
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Teil 6: Rückblende und Ausblick
schiedung von CRD V/CRR II wurden erstmals Definitionen zur Bestimmung von „kleinen und nicht komplexen Instituten“104 bzw. „großen Instituten“105 in das europäische Recht eingeführt (vgl. § 14 Rn. 12 f.). In der weiteren Diskussion wird zu ergründen sein, ob diese Definitionen eine sinnvolle Abgrenzung der verschiedenen Institutstypen erlauben.
104 Art. 4(1) Nr. 145 CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung). 105 Art. 4(1) Nr. 146 CRR (in der durch CRR II angepassten Fassung).
Anhänge 1. CRD: Systematik und Umsetzung11 Beschreibung
Artikel CRD
Ausführungsgesetzgebung und Merkblätter EU (Auswahl)
Umsetzung Deutschland (Auswahl)
Merkblätter Deutschland (Auswahl)
Titel I: Gegenstand, Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen – Anwendungsbereich – Begriffsbestimmungen – CRD V: Ausnahmen für bestimmte Förderinstitute
1–3
– Diverse Vorschriften (u. a. §§ 1, 7a, 44a, 53b KWG) – Anforderungen gelten in Deutschland grundsätzlich nicht nur für CRR-Institute, sondern für sämtliche Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute (vgl. § 1a KWG)
– Merkblätter zu den erlaubnispflichtigen Bankgeschäften und Finanzdienstleistungen
Titel II: Zuständige Behörden – Befugnisse der zuständigen Behörde – Zusammenarbeit innerhalb der EU
4–7
– § 6 KWG
Vgl. die Zusammenstellung der Umsetzung der CRD IV/CRR in den Mitgliedstaaten auf 1 der Homepage der EBA (abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/supervisory-conver gence/supervisory-disclosure/options-and-national-discretions).
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Anhänge
Beschreibung
Artikel CRD
Ausführungsgesetzgebung und Merkblätter EU (Auswahl)
Umsetzung Deutschland (Auswahl)
Merkblätter Deutschland (Auswahl)
Titel III: Voraussetzungen für den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten Kapitel 1: Allgemeine Voraussetzungen für den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten – Zulassungsvoraussetzungen – Geschäftsorganisation – Anfangskapital – Verweigerung/Entzug der Zulassung
8–21
– Art. 8(2) und (3): RTS und ITS – Merkblatt EZB
– CRD V: Zulassungspflicht für bestimmte Finanzholdinggesellschaften
21a
– § 2f KWG
– § 32 ff. KWG – Kreis der Erlaubnispflichten in Deutschland weiter gefasst als unionsrechtlich vorgeschrieben
– Merkblatt zum Erlaubnisverfahren – Merkblätter zu den erlaubnispflichtigen Bankgeschäften und Finanzdienstleistungen
Kapitel 2: Qualifizierte Beteiligung an einem Kreditinstitut – Inhaberkontrollverfahren
22–27
– 22(9): ITS – Joint Guidelines
– § 2c KWG – Inhaberkontrollverordnung
– BaFinMerkblatt
Titel IV: Anfangskapital von Wertpapierfirmen Aufgehoben im Zuge der Verabschiedung der IFD/IFR TITEL V: Bestimmungen über die Niederlassung und den freien Dienstleistungsverkehr Kapitel 1: Allgemeine Grundsätze – Allgemeine Grundsätze
33–34
– §§ 24a KWG, 53b KWG
Kapitel 2: Niederlassungsrecht von Kreditinstituten – EU-Zweigstellen-Pass
35–38
– Art. 35(5), (6): RTS, ITS
– §§ 24a KWG, 53b KWG
Kapitel 3: Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs – EU-DienstleistungsPass
39
– Art. 35(4),(5): RTS, ITS
– §§ 24a KWG, 53b KWG
369
1. CRD: Systematik und Umsetzung Beschreibung
Artikel CRD
Ausführungsgesetzgebung und Merkblätter EU (Auswahl)
Umsetzung Deutschland (Auswahl)
Merkblätter Deutschland (Auswahl)
Kapitel 4: Befugnisse der zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats – Befugnisse der zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats
40–46
– § 53b KWG
TITEL VI: Beziehung zu Drittländern – Allgemeine Anforderungen bezüglich Beziehungen zu Drittländern
47–48
– § 53c, d KWG
TITEL VII: Beaufsichtigung Kapitel 1: Grundsätze der Beaufsichtigung – Befugnisse und Pflichten; bedeutende Zweigstellen
49–52
– Art. 50(6): RTS – Art. 50(7): ITS
– §§ 8, 8f, 53b KWG und weitere Vorschriften
– Informationsaustausch
53–62
– § 9 KWG
– Pflichten der Zuständigkeit für die Pflichtprüfung
63
– § 29 KWG
– Aufsichtsbefugnisse, Sanktionsbefugnisse
64–72
– § 56 KWG
Kapitel 2: Überprüfungsverfahren – Beurteilung der Angemessenheit des internen Kapitals
73
– Diverse Merkblätter der EBA, EZB und BaFin
– § 25a KWG
– MaRisk – Leitfaden Risikotragfähigkeit
– Regelungen, Verfahren und Mechanismen der Institute – Insbesondere Grundsätze der internen Unternehmensführung, Corporate
74–96
– Zahlreiche Merkblätter
– 25a–d KWG – § 26a KWG – Institutsvergütungs-VO
– MaRisk – Zahlreiche weitere Leitfäden
370
Anhänge
Beschreibung
Artikel CRD
Ausführungsgesetzgebung und Merkblätter EU (Auswahl)
Umsetzung Deutschland (Auswahl)
Merkblätter Deutschland (Auswahl)
– Prozesse der aufsichtsrechtlichen Überprüfung und Bewertung (SREP)
97–107
– Diverse Merkblätter der EBA, EZB und BaFin
– § 6b KWG – § 25a KWG
– MaRisk – Zahlreiche weitere Leitfäden
– CRD V: Säule 1-Plus Kapitalanforderungen
104a CRD V
– § 6c KWG
– Anwendungsebenen
108–110
– § 10a KWG
Governance, Compliance und Risikomanagement, Vergütungsregelungen
Kapitel 3: Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis – Grundsätze für die Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis
111–127
– § 8a ff. KWG – § 25a KWG – § 44 KWG Kapitel 4: Kapitalpuffer
– Kapitalpuffer
128–142
– §§ 10c ff. KWG
TITEL VIII: Bekanntmachungen – Bekanntmachungen
143–144
TITEL IX: Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte – Zahlreiche Ermächtigungen der Kommission zum Erlass von Delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtakten
145–149
TITEL X: Änderung der RL 2002/87/EG – Änderung der RL 2002/87/G
150 TITEL XI: Übergangs- und Schlussbestimmungen
2. CRR: Systematik und Wahlrechte
371
2. CRR: Systematik und Wahlrechte 2 (Auswahl)23 Beschreibung
Artikel CRR
Wahlrechte: Adressat und Ausübung/weitergehende nationale Vorschriften (Auswahl) 3
Teil 1: Allgemeine Bestimmungen Titel I: Gegenstand, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen – Gegenstand, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
1–5
– Anforderungen gelten auch für „nationale“ Institute, die keine CRR-Kreditinstitute sind (§ 1a KWG)
– Behandlung indirekter Beteiligungen an Immobilien
4(2)
– Adressat: Zuständige Behörde/Mitgliedstaat – DE: (–)
Titel II: Anwendungsebenen – Einführung der Anforderungen auf Einzelbasis
6–10
– Aufsichtliche Konsolidierung bei signifikantem Einfluss
11–24 Teil 2: Eigenmittel
Titel I: Bestandteile der Eigenmittel – Kernkapital
25
– Hartes Kernkapital
26–50
– Zusätzliches Kernkapital
51–60
– Ergänzungskapital
61–71
– Eigenmittel
72
– Berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (CRR II)
72a ff.
– Allgemeine Anforderungen
73–80
Vgl. die Zusammenstellung der Umsetzung der Optionen und Wahlrechte in den Mit2 gliedstaaten auf der Homepage der EBA (abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/super visory-convergence/supervisory-disclosure/options-and-national-discretions). (Vereinfachende) indikative Darstellung basierend auf den Angaben auf der Homepage 3 der EBA (vgl. Fn. 2).
372
Anhänge
Beschreibung
Artikel CRR
Wahlrechte: Adressat und Ausübung/weitergehende nationale Vorschriften (Auswahl) 3
Titel II: Minderheitsbeteiligungen und durch Tochterunternehmen begebene Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals und des Ergänzungskapitals – Minderheitsbeteiligungen und durch Tochterunternehmen begebene Instrumente
81–88
Titel III: Qualifizierte Beteiligungen außerhalb des Finanzsektors – Qualifizierte Beteiligungen außerhalb des Finanzsektors
89–91
– Risikogewichtung und Verbot von qualifizierten Beteiligungen außerhalb des Finanzsektors
89(3)
– Adressat: Zuständige Behörde – DE: (+) – SSM: (+)
Teil 3: Eigenmittelanforderungen Titel I: Allgemeine Anforderungen, Bewertung und Meldung – Mindesthöhe der Eigenmittel
92–98
– Berechnung und Meldepflichten
99–101
– Handelsbuch
102–106 Titel II: Eigenmittelanforderungen für das Kreditrisiko
– Allgemeine Grundsätze
107–110
– Standardansatz
111–141
– Risikopositionen bei gedeckten Schuldverschreibungen
129(1)
– IRB-Ansatz
142–191
– Verlustquote bei Ausfall (immobilienbesicherte Risikopositionen)
164(5)
– Kreditrisikominderung
192–241
– Verbriefung
242–270
– Gegenparteiausfallrisiko
271–311
– Adressat: Zuständige Behörde – DE: (+)
– Adressat: Zuständige Behörde – DE: (–) – SSM: (+)
2. CRR: Systematik und Wahlrechte
373
Beschreibung
Artikel CRR
Wahlrechte: Adressat und Ausübung/weitergehende nationale Vorschriften (Auswahl) 3
– Verwendung von Schätzwerten
284(4)
– Adressat: Zuständige Behörde – DE: (–) – SSM: (+)
Titel III: Eigenmittelanforderungen für das operationelle Risiko – Allgemeine Grundsätze für die Verwendung der verschiedenen Ansätze
312–314
– Basisindikatormethode
315–316
– Standardansatz
317–320
– Fortgeschrittene Messansätze
321–324
Titel IV: Eigenmittelanforderungen für das Marktrisiko – Allgemeine Bestimmungen
325
– Methoden der Berechnung der Marktpreisrisiken gem. CRR II
325a ff. CRR II
– Eigenmittelanforderungen an das Positionsrisiko
326–350
– Aufrechnung von Positionen in Wandelanleihen
327(2)
– Eigenmittelanforderungen für Fremdwährungsrisiko
351–354
– Eigenmittelanforderungen für das Warenpositionsrisiko
355–361
– Verwendung interner Modelle zur Berechnung der Eigenmittelanforderungen
362–377
– Adressat: Zuständige Behörde – DE: (–) – SSM: (+)
Titel V: Eigenmittelanforderungen für das Abwicklungsrisiko – Eigenmittelanforderungen für das Abwicklungsrisiko
378–380
Titel VI: Eigenmittelanforderungen für CVA-Risiko – CVA-Risiko
381–386
374
Anhänge
Beschreibung
Artikel CRR
Wahlrechte: Adressat und Ausübung/weitergehende nationale Vorschriften (Auswahl) 3
Teil 4: Großkredite – Großkreditregime
387–403
– Beschlussanforderungen etc.
– Obergrenze für Großkredite
395(1) Unterabs. 3
– Adressat: Zuständige Behörde – DE: (–) – SSM: (+)
– Diverse Ausnahmemöglichkeiten von verschiedenen Risikopositionen für die Zwecke der Großkreditberechnung
400(2)
– Adressat: Zuständige Behörde – DE: (+) (bezüglich einzelner Tatbestände) – SSM: (+)
Teil 5: Risikopositionen aus übertragenen Kreditrisiken Aufgehoben Teil 6: Liquidität Titel I: Begriffsbestimmungen und Liquiditätsdeckungsanforderungen – Begriffsbestimmungen und Liquiditätsdeckungsanforderungen
411–414
– Stabile Refinanzierung
413(3) bzw. 413(4) CRR II
– Adressat: Mitgliedstaaten – DE: (–)
Titel II: Liquiditätsmeldungen – Liquiditätsmeldungen
415–426
– Liquiditätsabflüsse
420(2)
– Adressat: Zuständige Behörde – DE: (–) – SSM: (+)
Titel III: Meldung betreffend die stabile Finanzierung – Meldung betreffend die stabile Finanzierung
427–428
– Strukturelle Liquiditätsquote (CRR II)
428a ff. CRR II
Teil 7: Verschuldung – Vorgaben hinsichtlich der Verschuldungsquote
429–430
– Verbindliche Verschuldungsquote (CRR II)
429a ff. CRR II
2. CRR: Systematik und Wahlrechte Beschreibung
Artikel CRR
375
Wahlrechte: Adressat und Ausübung/weitergehende nationale Vorschriften (Auswahl) 3
Teil 8: Offenlegung Titel I: Allgemeine Grundsätze – Allgemeine Grundsätze
431–434
Titel II: Technische Kriterien für Transparenz und Offenlegung – Technische Kriterien für Transparenz und Offenlegung
435–451
Titel III: Anforderungen an die Verwendung bestimmter Instrumente und Methoden – Anforderungen an die Verwendung bestimmter Instrumente und Methoden
452–455
Teil 9: Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte – Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte
456–464
Teil 10: Übergangsbestimmungen, Berichte, Prüfungen und Änderungen Titel I: Übergangsbestimmungen – Eigenmittelanforderungen
465–482
– Bestandsschutz für Kapitalinstrumente
483–491
– Übergangsbestimmungen für die Offenlegung von Eigenmitteln
492
– Großkredite, Eigenmittelanforderungen, Verschuldung und Basel IUntergrenze
493–501
– Zahlreiche Befreiungsvorschriften bezüglich der Großkreditberechnung
493(3)
– Adressat: Mitgliedstaaten – DE: + (Großkredit-VO)
Titel II: Berichte und Überprüfungen – Berichte und Überprüfungen
502–519 Titel III: Änderungen
– Änderungen
520 Teil 11: Schlussbestimmungen
– Schlussbestimmungen
521
376 Beschreibung
Anhänge Artikel CRR
Wahlrechte: Adressat und Ausübung/weitergehende nationale Vorschriften (Auswahl) 3
Anhänge Anhang I: Einstufung außerbilanzieller Geschäfte Anhang II: Arten von Derivategeschäften Anhang III: Posten, die der zusätzlichen Meldung von liquiden Aktiva unterliegen Anhang IV: Europäische Entsprechungstabelle
3. Aufsichtsmodell in den Mitgliedstaaten
377
3. Aufsichtsmodell in den Mitgliedstaaten 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Land
System
Behörden4
Belgien
Funktionaler Ansatz (Twin Peaks)
– Belgische Nationalbank: Prudentielle Aufsicht über Finanzdienstleister5 – Belgische Finanzmarktaufsichtsbehörde (De Autoriteit voor Financiële Diensten en Markten): Marktaufsicht und Kundenschutz6
Bulgarien
Institutioneller Ansatz (Hybrid)
– Bulgarische Nationalbank (Българска народна банка): Bankenaufsicht7 – Bulgarische Finanzaufsichtskommission (Комисия за финансов надзор): Wertpapier- und Versicherungsaufsicht8
Dänemark
Integrierter Ansatz
– Finanstilsynet: Banken, Wertpapierfirmen, Versicherungen9
Deutschland
Integrierter Ansatz
– Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: (BaFin) Bankenaufsicht (zusammen mit der Deutschen Bundesbank, Wertpapier,-Versicherungs- und Fondsaufsicht)10 – Deutsche Bundesbank: Operative Bankenaufsicht (u. a. laufende Prüfungen, Meldewesen)11
Estland
Integrierter Ansatz
– Finantsinspektsioon (Estländische Finanzaufsichtsbehörde): Banken, Wertpapierfirmen, Versicherungen, Investmentfonds12
Finnland
Integrierter Ansatz
– Finanssivalvonta (Finnische Finanzaufsichtsbehörde): Banken-, Wertpapier-, Versicherungs- und Fondsaufsicht13
Die Links erfolgen jeweils auf die englische Sprachfassung (bzw. die deutsche, sofern ver4 fügbar). Etwaige Aufsicht über Zahlungsdienstleistungsinstitute bzw. E-Geld-Institute wird nicht gesondert aufgeführt. https://www.nbb.be/de. 5 https://www.fsma.be/en. 6 http://www.bnb.bg/?toLang=_EN&toLang=_EN. 7 http://www.fsc.bg/en/. 8 https://www.finanstilsynet.dk/en.aspx. 9 10 https://www.bafin.de/DE/Startseite/startseite_node.html. 11 https://www.bundesbank.de/de/. 12 https://www.fi.ee/?lang=en. 13 http://www.finanssivalvonta.fi/en/About_us/Supervised/Pages/supervisedentities.aspx.
378
Anhänge
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Land
System
Behörden
Frankreich
Funktionaler Ansatz (Twin Peaks)
– L’Autorité de contrôle prudentiel et de résolution (ACP) (der französischen Zentralbank unterstellt): Prudentielle Banken- und Versicherungsaufsicht, Geldwäscheaufsicht, Bankenabwicklung14 – Autorité des marchés financiers (AMF): Wertpapieraufsicht15
Griechenland
Institutioneller Ansatz
– Griechische Zentralbank (Τράεζα της Ελλάδος): Banken- und Versicherungen16 – Hellenische Kapitalmarktkommission (Ειτροή Κεφαλαιαγοράς): Wertpapieraufsicht17
Irland
Integrierter Ansatz
– Central Bank of Ireland: Aufsicht über Banken und andere Finanzinstitutionen18
Italien
Institutioneller Ansatz
– Banca d’Italia (italienische Zentralbank): Bankenaufsicht19 – Commissione Nazionale per le Società e la Borsa (Consob): Wertpapieraufsicht20 – Il sito ufficiale dell’Istituto per la vigilanza sulle assicurazioni (IVASS): Versicherungsaufsicht
Kroatien
Institutioneller Ansatz
– Hrvatska Narodna Banka (kroatische Nationalbank): Bankenaufsicht21 – Hrvatska agencija za nadzor financijskih usluga (HANFA – kroatische Finanzaufsichtsbehörde): Wertpapier-, Versicherungs-, Fondsaufsicht22
Lettland
Integrierter Ansatz
– Finansu kapitala tirgus komisija (Finanz- und Kapitalmarktkommission): Banken-, Wertpapier-, Versicherungs-, Fondsaufsicht23
Litauen
Integrierter Ansatz
– Litauische Zentralbank (Lietuvos bankas): Banken-, Wertpapier-, Versicherungs-, Fondsaufsicht24
Luxemburg
Institutioneller Ansatz
– Commission de Surveillance du Secteur Financier (CSSF)25: Aufsicht über Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, Investmentfonds sowie bestimmte weitere Unternehmen im Finanzsektor
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
https://acpr.banque-france.fr/en. https://www.amf-france.org/en_US/. https://www.bankofgreece.gr/en/homepage. http://www.hcmc.gr/en_US/web/portal/home. https://www.centralbank.ie/about. http://www.bancaditalia.it/homepage/index.html?com.dotmarketing.htmlpage.language=1. http://www.consob.it/web/consob-and-its-activities. http://www.hnb.hr/en/core-functions/supervision. https://www.hanfa.hr/about-us/. http://www.fktk.lv/en/. https://www.lb.lt/en/. http://www.cssf.lu/de/.
3. Aufsichtsmodell in den Mitgliedstaaten
379
26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
Land
System
Behörden – Le Commissariat aux Assurances: Versicherungen26 – Banque centrale du Luxembourg (BCL): Unterstützende Rolle bei der Bankenaufsicht
Malta
Integrierter Ansatz
– Malta Financial Services Authority: Banken-, Wertpapier-, Versicherungs- und Fondsaufsicht27
Niederlande
Funktionaler Ansatz (Twin Peaks)
– De Nederlandsche Bank (niederländische Zentralbank): Prudentielle Aufsicht sowie sog. „Integritätsaufsicht“28 über Banken, Wertpapierfirmen, Versicherungsunternehmen und weiteren Finanzdienstleistern29 – Autoriteit Financiële Markten (niederländische Finanzmarktaufsichtsbehörde): Marktaufsicht (conduct supervision)30
Österreich
Integrierter Ansatz
– Österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA): Banken-, Wertpapier-, Versicherungs- und Fondsaufsicht
Polen
Integrierter Ansatz
– Komisja Nadzoru Finansowego (polnische Finanzaufsichtsbehörde): Banken-, Wertpapier- und Versicherungsaufsicht
Portugal
Institutioneller Ansatz
– Banco de Portugal (Zentralbank): Banken- und Versicherungsaufsicht31 – Comissão do Mercado de Valores Mobiliarios: Wertpapieraufsicht32 – Instituto de Seguros de Portugal (ISP): Versicherungsaufsicht33
Rumänien
Institutioneller Ansatz
– Banca Naţională a României: Bankenaufsicht34 – Comisia Naţională a Valorilor Mobiliar: Wertpapieraufsicht – Comisia de Supraveghere a Asigurărilor: Versicherungsaufsicht
Slowakei
Integrierter Ansatz
– Národná banka Slovenska (slowakische Zentralbank): Banken-, Wertpapier-, Versicherungs-, Fondsaufsicht35
Slowenien
Institutioneller Ansatz
– Banka Slovenije (slowenische Zentralbank): Bankenaufsicht36
26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
http://www.caa.lu/. https://www.mfsa.com.mt/. Hierzu zählt etwa die Geldwäscheaufsicht. https://www.dnb.nl/en/home/index.jsp. https://www.afm.nl/en. https://www.bportugal.pt/en. http://www.cmvm.pt/en/Pages/homepage.aspx. http://www.asf.com.pt/EN. http://wwfw.bnr.ro/Home.aspx. https://www.nbs.sk/en/home. https://www.bsi.si/en.
380
Anhänge
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
Land
System
Behörden – Agencija za trg vrednostnih papirjev (Behörde für Wertpapieraufsicht): Wertpapier- und Fondsaufsicht37 – Agencija za zavarovalni nadzor (Behörde für Versicherungsaufsicht): Versicherungsaufsicht38
Spanien
Institutioneller Ansatz
– Banco de España (spanische Zentralbank): Bankenaufsicht39 – Comisión Nacional del Mercado de Valores (CNMV): Wertpapieraufsicht40 – Dirección General de Seguros y Fondos de Pensiones (DGFSP): Versicherungsaufsicht41
Schweden
Integrierter Ansatz
– Finansinspektionen: Banken-, Wertpapier- und Versicherungsaufsicht42
Tschechische Republik
Integrierter Ansatz
– Česká národní banka (Tschechische Nationalbank): Banken-, Wertpapier-, Versicherungs-, Fondsaufsicht43
Ungarn
Integrierter Ansatz
– Ungarische Zentralbank (Magyar Nemzeti Bank): Banken-, Wertpapier-, Versicherungs-, Fondsaufsicht44
Vereinigtes Königreich45
Funktionaler Ansatz (Twin Peaks)
– Financial Conduct Authority (FCA): Marktaufsicht über Finanzdienstleister46 – Prudential Regulation Authority (PRA) (eine Tochtergesellschaft der Bank of England): Prudentielle Aufsicht über Kreditinstitute, bestimmte Wertpapierfirmen, Versicherungsunternehmen47
Zypern
Institutioneller Ansatz
– Zypriotische Zentralbank (Kεντρική Τράεζα της Κύρου [griech.], Kbrs Merkez Bankas [türk.]: Bankenaufsicht.48 – Zypriotische Börsen- und Wertpapieraufsichtsbehörde (Ειτροή Κεφαλαιαγοράς [griech]): Börsen- und Wertpapieraufsicht49
https://www.a-tvp.si. https://www.a-zn.si/en/. https://www.bde.es/bde/en/. https://www.cnmv.es/portal/home.aspx?lang=en. http://www.dgsfp.mineco.es. https://www.fi.se/en/. https://www.cnb.cz/en/. http://www.mnb.hu/en/supervision. Im Zuge des Brexit ist das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausgetreten. Nach Ablauf der Übergangsperiode am 31.12.2020 ist das Vereinigte Königreich zu einem Drittstaat geworden. 46 https://www.fca.org.uk. 47 https://www.bankofengland.co.uk/prudential-regulation. 48 https://www.centralbank.cy/en/home. 49 https://www.cysec.gov.cy/en-GB/home/. 37 38 39 40 41 42 43 44 45
4. Handlungsinstrumente der EZB im Anwendungsbereich des SSM
381
4. Handlungsinstrumente der EZB im Anwendungsbereich des SSM Instrument
Rechtsgrundlage
Bindungswirkung
Adressat
Beschreibung
Verordnung
– Art. 132(1) AEUV – Art. 288(2) AEUV – Art. 4(3) SSM-VO
Unmittelbar rechtsverbindlich
Offen
– Abstrakt-generelle Rechtsnormen – Stark eingeschränkte Verordnungskompetenz
EZBAufsichtsbeschluss
– Art. 288(4) AEUV – Art. 4(3) Unterabs. 2 SSM-VO – Art. 2 Nr. 26 SSM-RVO
Unmittelbar rechtsverbindlich für den Adressaten
Beaufsichtigte Unternehmen/ Personen
– Einzelfallbezogene Regelung in Ausübung von Aufsichtsaufgaben – Funktional mit Verwaltungsakt vergleichbar
Beschluss (nicht adressatenbezogen)
– Art. 288(4) AEUV – Art. 4(3) Unterabs. 2 SSM-VO
Unmittelbar rechtsverbindlich
NA
– Funktional mit Verordnung vergleichbar
Anwendung im Einzelfall
– Art. 288(4) AEUV (str.) – Art. 6 Abs. 3 u. a. SSM-VO
Rechtsverbindlich für NCA
NCA
– Anweisung im Rahmen der direkten Aufsicht (verwaltungsinternes Steuerungsinstrument)
Allgemeine Weisungen
– Art. 288(4) AEUV (str.) – Art. 6 Abs. 5 lit. a SSM-VO
Rechtsverbindlich für NCA
NCA
– Anweisung im Rahmen der indirekten Aufsicht (verwaltungsinternes Steuerungsinstrument)
Leitlinien
– Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 1 SSM-VO
Rechtsverbindlich für NCA
EZB/NCA
– Typischerweise abstrakt-genereller Natur – Gem. EZB lediglich Zielvorgaben (gewähren den NCA Umsetzungsspielräume)
Empfehlungen
– Art. 288 Abs. 5 AEUV – Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 1 SSM-VO
Nicht rechtsverbindlich
NCA/Institute
– Obwohl nicht rechtsverbindlich ggf. von den nationalen Gerichten bei der Auslegung zu berücksichtigen
Weitere SoftLaw-Instrumente
Annexkompetenz (str.)
Grundsätzlich nicht rechtsverbindlich
Offen
– Konkretisierung der Verwaltungspraxis
382
Anhänge
5. Überblick über Eigenmittelbestandteile (Auswahl) Hartes Kernkapital (Art. 28 CRR)
Zusätzliches Kernkapital (Art. 52 CRR)
Ergänzungskapital (Art. 63 CRR)
Verlustteilnahme – Vorrangig zur Verlustdeckung heranzuziehen (i) – Nachrangigkeit bei Insolvenz oder Liquidation gegenüber allen Ansprüchen (j)
– Nachrangigkeit bei Insolvenz oder Liquidation gegenüber Instrumenten des Ergänzungskapitals (d)
– Nachrangigkeit gegenüber den sonstigen nicht-nachrangigen Instrumenten (d)
– Keine Besicherung bzw. sonstige Vereinbarungen, die den Instrumenten einen höheren Rang verleihen (e,f)
– Keine Besicherung bzw. sonstige Vereinbarungen, die den Instrumenten einen höheren Rang verleihen (e,f)
– Anteilsmäßiger Anspruch auf lediglich den Liquidationsüberschuss (k) – Keine Besicherung bzw. sonstige Vereinbarungen, die den Instrumenten einen höheren Rang verleihen (l,m)
Dauerhaftigkeit – Zeitlich unbefristete Kapitalbereitstellung (e)
– Zeitlich unbefristete Kapitalbereitstellung/keine Tilgungsanreize (g)
– Ursprungszeit von mindestens 5 Jahren (g)
– Verringerung oder Rückzahlung des Kapitals grds. nur im Rahmen eines Abwicklungsverfahrens bzw. unter den strengen Voraussetzungen der Art. 77, 78 CRR mit Zustimmung der Behörde (f)
– Verringerung oder Rückzahlung des Kapitals grds. nur im Rahmen eines Abwicklungsverfahrens bzw. unter den strengen Voraussetzungen der Art. 77, 78 CRR mit Zustimmung der Behörde (j)
– Verringerung oder Rückzahlung des Kapitals vor Ablauf von fünf Jahren grds. nur im Rahmen eines Abwicklungsverfahrens bzw. unter den strengen Voraussetzungen der Art. 77, 78 CRR mit Zustimmung der Behörde (j)
– Keine Erwartungen einer etwaigen vorzeitigen Rückzahlung (g)
– Kündigung/Rückzahlung nur unter den Voraussetzungen des Art. 77 sowie grds. frühestens nach fünf Jahren
– Keine Anreize zur Tilgung bzw. Rückzahlung vor Fälligkeit (h)/Ausübung von vorhandenen Kündigungsoptionen liegt im Ermessen des Emittenten (i)
– Keine Hinweise, dass Behörde Antrag auf Kündigung stattgeben könnte
– Keine Erwartung, dass Institut vorzeitig Kapital zurückzahlen wird (k)
5. Überblick über Eigenmittelbestandteile Hartes Kernkapital (Art. 28 CRR)
Zusätzliches Kernkapital (Art. 52 CRR)
383
Ergänzungskapital (Art. 63 CRR)
Flexibilität – Keine Ausschüttungspflicht/ volle Ermessensfreiheit (h) (v)
– Ermessen des Instituts, Ausschüttungen der Instrumente ausfallen zu lassen (l) (iii)
– Keine Vorzugsbehandlung bezüglich Ausschüttungen (h) (i)
– Ausschüttungen hängen – Auszahlungen hängen nicht nicht von der Bonität des Invon der Bonität des Instituts stituts bzw. deren Mutter ab bzw. deren Mutter ab (m) (l) (i)
– Ausschüttungen nur aus ausschüttungsfähigen Posten (h) (ii)
– Ausschüttungen nur aus ausschüttungsfähigen Posten (l) (i)
– Kein Recht, planmäßige künftige Auszahlungen zu beschleunigen (l)
– Keine Obergrenze oder andere Beschränkungen (h) (iii) – Auszahlungshöhe basiert grds. nicht auf dem Ausgabepreis der Instrumente (h) (iv) – Ausfall von Ausschüttungen stellt keinen Ausfall des Instituts dar Effektive Kapitalaufbringung – Kapitalmittel eingezahlt (b)
– Kapitalmittel ausgegeben und eingezahlt (a)
– Kapitalmittel ausgegeben und eingezahlt (a)
– Weder direkt noch indirekt durch Institut finanziert (b)
– Weder direkt noch indirekt durch Institut finanziert (c)
– Weder direkt noch indirekt durch Institut finanziert (c)
– Nicht durch Tochtergesellschaft o. ä. erworben (b)
– Nicht durch Tochtergesellschaft o. ä. erworben (b)
Trigger Event/Umwandlungsmechanismus – N/A
– Eintritt eines Auslösungsereignisses führt zur Herabschreibung bzw. Umwandlung in Instrumente des harten Kernkapitals (n) – Auslösungsereignis grds. bei Unterschreiten einer Kernkapitalquote von 5,25 % (Art. 54(1) lit. a CRR)
– N/A
384 Hartes Kernkapital (Art. 28 CRR)
Anhänge Zusätzliches Kernkapital (Art. 52 CRR) Weitere Kriterien
– Instrumente mit Zustimmung der Eigentümer/Geschäftsleitung direkt begeben (a) – Qualifiziert als Eigenkapital im bilanzrechtlichen und insolvenzrechtlichen Sinne (c) – Eindeutiger und getrennter Bilanzausweis (d)
Ergänzungskapital (Art. 63 CRR)
Sachverzeichnis Die fett gesetzte Zahl verweist auf den Paragraphen, die mager gesetzte Zahl auf die Randnummer.
Administrativer Überprüfungsausschuss 6 116 ff. Allgemeinwohlinteressen 7 82 ff. Anbahnungsinstitut 7 116 Anrechnungserlaubnis 8 33 Ansteckungseffekte – direkte 1 24, 15 17 ff. – indirekte 1 24, 15 20 ff. – gruppeninterne 15 12 ff. Anteilsmäßige Konsolidierung 16 31 Äquivalenzmethode 16 32 ASF 9 19 f. Aufsichtsbeschlüsse 6 101 Aufsichtsgesellschaftsrecht 12 12, 12 86 Aufsichtsgremium 6 63 ff. Aufsichtsmodelle 5 43 ff. – Funktionaler Ansatz 5 53 ff. – Institutioneller Ansatz 5 45 ff. – Integrierter Ansatz 5 49 ff. Aufsichtsrat – Unabhängige Mitglieder 12 27 ff. Aufsichtsrechtliches Überprüfungsverfahren 11 1 ff. – Janusköpfige Zielrichtung 11 4 – Vier zentrale Grundsätze der aufsichtsrechtlichen Überprüfung 11 5 f. Auslegung – Bedeutung von Soft Law 4 76 ff. – Unionsrechtliche Grundsätze 4 71 ff. BaFin – Entstehung 2 61 – Modell 5 56 Bail-in 8 104 Bank – Begriff 1 2 – Funktionen 1 12 ff. – siehe auch Institut, Kreditinstitut Bank Run 1 20 ff.; 9 3 Bankenaufsicht – Begriff 1 7 ff. – Core Principles 2 3
– Ziele 1 26 ff. – siehe auch Bankenregulierung Bankenaufsichtsrecht – Dualistische Zielkonzeption 1 27 – siehe auch Bankenaufsicht Bankenregulierung – Abgrenzung Bankenaufsicht 1 7 ff. – Begriff 1 7 ff. – makroprudenzielle 1 41 ff. – mikroprudenzielle 1 41 ff. – präventive 1 33 ff. – protektive 1 38 ff. – Ziele 1 26 ff. Bankenunion – Entwicklung 2 47 ff.; 6 2 ff. – Perspektiven 18 1 ff. – Stand 17 1 ff. – siehe auch einheitlicher Aufsichtsmechanismus; einheitliche Bankenabwicklung; Single Resolution Fund Bankerlaubnis – Anspruch 7 51 – Grenzüberschreitende Sachverhalte 7 65 ff. – Grundlagen 7 1 ff. – Kreditinstitute 7 18 ff. – Sanktionen 7 120 ff. – Territorialprinzip 7 98 ff. – Unterlagen 7 64 – Verfahren 7 58 ff. – Versagungsgründe 7 52 ff. – Wertpapierfirmen 7 33 ff. Bankgeschäfte 7 30 ff. Bankinterner Einschätzungsprozess 11 1 ff. Basel I 2 4 Basel II 2 7 ff. Basel III 2 10 ff. Basel IV 2 13 Basler Ausschuss für Bankenaufsicht – Basel I 2 4; 8 1 ff. – Basel II 2 7 ff.; 8 5 ff. – Basel III 2 10 ff.; 8 6 ff.
386
Sachverzeichnis
– Basel IV 2 13 – Bedeutung 2 1 ff. Basler Konkordat 15 4 BCCI-Richtlinie 2 28 Bedeutende Institute – Abgrenzungskriterien (Governance) 12 25 ff. – Abgrenzungskriterien (SSM) 6 31 ff. – Abgrenzungskriterien (Vergütung) 12 79 ff. – Direkte Aufsicht 6 47 ff. – Herabstufung 6 40 ff. Beschlüsse – der EZB 6 100 Betragstransformation 1 13 Binnenmarkt – Regelungsziel 1 29; 3 6 ff. Bitcoin 7 40 Bonus Cap 12 78 BRRD 2 50 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – siehe BaFin Clawback 12 80 CoCo-Bonds 8 41 ff. Common procedure – siehe Gemeinsame Verfahren Compliance – in der Gruppe 16 44 ff. – siehe auch Governance-Anforderungen Comply or explain – Leitlinien und Empfehlungen 4 14 – Maßnahmen des ESRB 5 6 Cooke-Ratio 8 1 Corporate Governance 12 1 ff. – Ausschüsse 12 21 ff. – Besonderheiten bei Banken 12 8 ff. – Definition 12 1 f. – Diversität 12 34 ff. – Dualistisches System 12 19 – Leitungsorgan 12 20 – Monistisches System 12 19 – Rahmenvorgaben 12 13 ff. – Regelungskonzepte 12 4 ff. – Sanktionen 12 60 ff. – Unabhängige Aufsichtsratsmitglieder 12 27 ff. – Vergütungsanforderungen 12 65 ff. – siehe auch Leitungsorgan; Vergütungsanforderungen Covid-19-Epidemie – Kapitalanforderungen 8 72
– Quick fix 2 59 – Zukunftsfragen 18 39 ff. CRD I 2 34 CRD II 2 43 CRD III 2 43 CRD IV – Entwicklung 2 44 ff. – Systematik 4 23 ff. – siehe auch CRR CRD V – Entwicklung 2 51 ff. – Kommissionsentwurf 2 52 CRD VI – Kommissionsentwurf 2 56 ff. CRR – Entwicklung 2 43 ff. – Systematik 4 23 ff. CRR II – Entwicklung 2 51 ff. – siehe auch CRD V CRR III – Kommissionsentwurf 2 56 ff. De-Larosière-Bericht 1 27; 2 39 ff. Delegierte Rechtsakte 3 11 Diversität 12 34 ff. Dotationskapital 7 69 Downgrading 6 40 ff. Drei-Säulen-Modell 2 8 ff. Drittstaatenregime – MiFID II 7 110 ff. – Zweigstellen 7 105 ff. Dualistisches System 12 19 Durchführungsrechtsakte 3 11 EBA – Aufgaben 5 23 ff. – Binnenorganisation 5 12 ff. – Entstehung 2 42; 5 1 ff. – Reform 5 19 ff. – Ziele 5 21 ff. Effet-utile-Grundsatz 4 86 Eigenmittel 8 1 ff. – Arten 8 24 ff. – Berechnung 8 44 ff. – Entwicklung 8 1 ff. – Funktion 8 9 ff. – IRB-Ansatz 8 62 ff. – Kreditrisiken 8 53 ff. – Risikogewichtung 8 44 ff.; 8 54 ff. – Standardansatz 8 59 ff. Eigenmittelkonsolidierung 16 40 ff. – Aggregationsmethode 16 43
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– Konzernabschlussmethode 16 41 ff. Einheitlicher Aufsichtsmechanismus – Aufsichtsgremium 6 62 ff. – Bedeutende Institute 6 30 ff. – Entwicklung 2 47; 6 2 ff. – Gemeinsame Aufsichtsteams (JSTs) 6 69 ff. – Kompetenzfragen 6 2 ff.; 18 22 f. – Kompetenzverteilung 6 40 ff. – Organisationsstruktur 6 61 ff. – Rechtsgrundlagen 6 2 ff. – Reformperspektiven 18 21 ff. – Regelungsziele 6 2 ff. – Supervisory Board 6 62 ff. – Trend zur Zentralisierung 17 7 – Zusammenarbeit 6 27 ff. – Zuständigkeit 6 15 ff. – siehe auch Bankenunion Einlagengeschäft 7 20 ff. Einlagensicherungssystem 1 22, 39 Einlegerschutz 1 31 EIOPA 2 42 Ergänzungskapital 8 43 Ergebnisabführungsvertrag 8 36 ff. Erlaubnis – siehe Bankerlaubnis Erlaubnistatbestände – Finanzdienstleistungen 7 33 ff. – grenzüberschreitende 7 65 ff. – Kreditgeschäft 7 18 ff. – Reform 18 10 ff. – Wertpapiergeschäft 7 33 ff. Erste Bankrechtskoordinierungsrichtlinie 2 22 ff. Erste Konsolidierungsrichtlinie 2 23 ff. ESG-Risiken 14 32; 18 33 ff. ESMA 2 42 EU – Grundfreiheiten 3 20 ff. – Verträge 3 1 ff. EuGH – Auslegung 4 71 ff. – Rechtsschutz 6 127 ff. EU-Mutterfinanzholdinggesellschaft 16 25 EU-Mutterinstitut 16 18 f. EU-Pass 2 25; 7 65 ff. – Grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr 7 93 ff. – Grundsatz gegenseitiger Anerkennung 7 66 – Herkunftslandkontrolle 7 66 – Zweigstelle 7 75 ff.
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– siehe auch Notifizierungsverfahren Europäische Zentralbank – siehe EZB Europäischer Ausschuss für Systemrisiken 2 42; 5 4 ff. Europäisches Finanzaufsichtssystem 5 1 ff. European Banking Act 18 42 ff. – als Reformkonzept 18 42 ff. – Granularität 18 46 ff. – Harmonisierungsniveau 18 48 f. – Umfang 18 43 ff. Externe Effekte – Begriff 1 25 EZB – Anwendbares Recht 6 49, 76 ff. – Aufsichtsbefugnisse 6 26 ff. – Aufsichtsbeschlüsse 6 100 – Aufsichtsgremium 6 63 ff. – Befugnisse 6 47 ff. – Beschlüsse 6 100 ff. – Direkte Aufsicht 6 47 ff. – Direktorium 6 73 ff. – Empfehlungen 6 107 – Gemeinsame Aufsichtsteams (JSTs) 6 69 ff. – Generaldirektion 6 68 ff. – Handlungsinstrumente 6 95 ff. – Indirekte Aufsicht 6 53 ff. – Leitlinien 6 105 ff. – Leitungsverantwortung 6 29 – Rechtsschutz 6 115; 18 27 ff. – Rechtssetzungskompetenzen 6 95 ff.; 18 24 – Selbsteintrittsrecht 6 45 – Verordnungen 6 95 ff. – siehe auch einheitlicher Aufsichtsmechanismus Flexibility Package 8 88 Financial Services Action Plan 2 30 ff. Financial Stability Board 2 16 f. Finanzholding – Konsolidierung 16 22 – Zulassungspflicht 7 41 ff. Finanzholding-Gruppe – Begriff 16 7 – Konsolidierungspflicht 16 22 ff. Finanzinstrument 7 38 ff. Finanzkrise – Gesetzgebungsreformen 2 37 ff. – Ursachen 2 40 Fin-Tech 7 4; 18 30 ff.
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Fit-and-proper-Test 12 36 ff. – siehe auch Corporate Governance, Leitungsorgane Freistellung 7 115 ff. Fristentransformation 1 14, 17 Funktionenschutz 1 26 ff. Gegenseitige Anerkennung – Prinzip 2 26; 7 72 ff. – siehe auch EU-Pass Gemeinsame Aufsichtsteams 6 69 ff. Gemeinsame Leitlinien 12 15 ff. Gemeinsame Verfahren 6 46 ff. Geschäftsgeheimnisse 14 7 Gesetzgebungsakte 3 9 ff. Gold Plating – Begriff 4 40, 6 82 – Anwendung durch EZB 6 80 ff. Going concern 8 9 Gone concern 8 9 Governance-Anforderungen 12 1 ff. – gruppenbezogene 16 57 ff. – siehe Corporate Governance Grenzüberschreitender Marktzugang – Dienstleistungsverkehr 7 93 ff. – Tochtergesellschaft 7 67 ff. – Zweigstelle 7 69 – siehe auch EU-Pass; Notifizierungsverfahren Große Unternehmen 14 13 Großkredite 10 1 ff. – Ausnahmen 10 20 ff. – Meldepflichten 10 30 – Obergrenze 10 16 ff. – Organisatorische Anforderungen 10 28 ff. – Schattenbanken 10 19 Grundfreiheiten – Dienstleistungsfreiheit 3 23 ff. – Kapitalverkehrsfreiheit 3 21 – Niederlassungsfreiheit 3 21 ff. Gruppenaufsicht 15 1 ff.; 16 1 ff. – Ansteckungskanäle 15 16 ff. – Compliance 16 44 ff. – Durchsetzung im Konzern 16 58 ff. – Eigenmittelkonsolidierung 16 40 ff. – Grundlagen 15 1 ff. – Konsolidierungskreis 15 5 ff.; 16 26 ff. – Konsolidierungsverfahren 16 29 ff. – Rechtsentwicklung 15 4 ff. – Regelungsvorgaben 16 1 ff. – Risikomanagement 16 44 ff. – Verhältnis Einzelaufsicht 15 24 ff.
– Vollkonsolidierung 16 30 Gruppenprivileg 12 38 Harmonisierungskonzepte 4 40 ff. – Perspektiven 18 1 ff. – Stand 17 5 ff. – siehe auch Mindestharmonisierung, Vollharmonisierung Heimatlandkontrolle – Grundsatz 2 25 Herkunftslandkontrolle 7 65 ff. Hybridkapital 8 38 ff. ICAAP 11 1 ff. IFD/IFR 2 54 ff., 7 45 ff. Informationsasymmetrien 13 10 Informationseffizienz 13 12 ff. – allokative 13 13 – institutionelle 13 15 – operative 13 14 Institut – bedeutende 6 30 ff. – Begriff 7 6 ff. – siehe auch Kreditinstitut Institutsfiktion 7 106 Institutsgruppe – Begriff 16 6 ff.; 16 20 f. – Konsolidierungsverantwortung 16 15 ff. Investmentgesellschaft – Begriff 1 1 IRB-Ansatz 8 62 ff. Joint Guidelines 12 15 ff. Joint Supervisory Teams (JSTs) 6 69 ff. Kapitalanforderungen – Säule 1 8 15 ff. – Säule 2 11 1 ff. – siehe auch Eigenkapital Kapitalerhaltungsplan 8 93 ff. Kapitalpuffer 8 70 ff. – Antizyklischer Kapitalpuffer 8 77 ff. – Ausschüttungsbeschränkungen 8 91 ff. – Kapitalerhaltungsplan 8 93 ff. – Kapitalerhaltungspuffer 8 76 f. – Puffer für systemrelevante Institute 8 81 ff. – Systemrisikopuffer 8 85 ff. Kapitalquoten 8 22 ff. Kapitalzuschläge 11 13 ff. Kernkapital – hartes 8 29 ff. – zusätzliches 8 38 ff.
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Key function holders 12 47 ff. Kleine Institute 14 10 ff. Klumpenrisiko 10 1 Komplexität 4 68 f.; 8 8; 8 57; 17 8 f. Konsolidierte Aufsicht – siehe Gruppenaufsicht Konsolidierungskreis 16 5 ff. Konzentrationsrisiko 10 1 Kooperationsverantwortung – in der Gruppe 16 60 Kreditgeschäft 7 27 ff. Kreditinstitut – bedeutendes 6 30 ff. – Begriff 1 1, 7 18 ff., 7 27 ff. Kreditrisiko 8 48 ff.; 8 53 ff. Kreditwesengesetz – Entwicklung 2 60 ff. Kryptogeschäft 7 40 Kundengruppe 10 14 Lamfalussy-Verfahren 4 5 ff. – Stufe 1 4 7 ff. – Stufe 2 4 10 ff. – Stufe 3 4 13 ff. – Stufe 4 4 21 f. L-Bank-Entscheidung 6 41 ff. LCR 9 6 ff. Leitlinien und Empfehlungen – Bedeutung für Auslegung 4 76 ff. – Rechtsnatur 4 13 ff.; 4 77 ff. Leitungsorgan 12 20; 12 36 ff. – Anforderungen 12 36 ff. – Aufgaben 12 50 ff. – Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen 12 39 ff. – Kollektive Eignung 12 44 ff. – Mandatsbegrenzungen 12 36 ff. – Pflichten 12 50 ff. – Überprüfung Eignung 12 54 ff. – Zeitliche Verfügbarkeit 12 36 ff. Liquidität 9 1 ff. Liquiditätsanforderungen 9 1 ff. Liquiditätsdeckungsziffer 9 4; 9 6 ff. Liquiditätsinkongruenz 9 3 Liquiditätspuffer 9 10 ff. Liquiditätsrisikomanagement 9 22 Maastricht-Vertrag 3 1 Malus-Regelung 12 80 Mandatsbegrenzungen 12 36 ff. MaRisk 12 17 Marktdisziplin 13 7 ff. Marktliquiditätsrisiko 8 1
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Marktpreisrisiko 8 49 Markttransparenz 13 1 ff. Marktzugang – siehe Bankerlaubnis Mehrfachbelegung Eigenkapital 15 10 ff. Meldepflichten 13 1 ff. MiFID I 2 35 MiFID II – Entwicklung 2 46 Mindestharmonisierung – Konzept 4 40 ff. Monistisches System 12 19 Moral Hazard 1 43 MREL 8 104 ff. Mutterfinanzholdinggesellschaft in einem Mitgliedstaat 16 22 ff. Mutterinstitut in einem Mitgliedstaat 16 15 ff. Nachhaltigkeit 18 33 ff. Nichtigkeitsklage 6 132 Nominierungsausschuss 12 22 ff. Notifizierungsverfahren – Grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr 7 93 ff. – Rechtsfolgen bei Verstoß 7 96 f. – Zweigstellen 7 53 ff. – siehe auch EU-Pass NSFR9 15 ff. Offenlegungsanforderungen 13 1 ff.; 14 1 ff. – Eigenmittelanforderungen 14 19 ff. – ESG-Risiken 14 32 – Grundsätze 13 1 ff. – Häufigkeit und Mittel 14 8 f. – Kapitalpuffer 14 22 ff. – Level-2-Gesetzgebung 14 15 – Regelungsvorgaben 14 1 ff. – Risikomanagement 14 17 ff. – Verbriefungen 14 24 ff. – Vergütung 14 27 ff. – Verschuldung 14 30 f. – Wesentlichkeitsgrundsatz 14 3 ff. Operationelles Risiko 8 51 f. Optimierungsgebot 16 63 Optionen und Wahlrechte – Bindung (EZB) 6 87 ff. – Systematik 4 50 ff. Organisationspflichten – gruppenbezogene 16 44 ff. – siehe auch Governance-Anforderungen Output Floor 8 66 ff.
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Passive Dienstleistungsfreiheit 7 119 ff. Pillar-3-Disclosure 13 4; 14 1 Prinzipal-Agenten-Theorie 12 6 f. Prinzipienorientierte Regulierung 4 61 ff. Proportionalitätsgrundsatz – Grundsätze 4 68 ff. – Liquiditätsregime 9 21 – Offenlegungsregime 14 10 ff. – Reformüberlegungen 18 15 ff. – Vergütungsregime 12 79 ff. – Wertpapierfirmen 18 50 Q&As – Bedeutung 4 16 ff. – Rechtsnatur 4 80 ff. Quick fix 2 59 Rechtsschutz – Gegen Maßnahmen der EZB 6 115 ff. – mehrstufiges Verfahren 6 140 ff. Refinanzierungsrisiko 9 2 Reformperspektiven 18 1 ff. Regulatory Sandbox 7 4; 18 31 f. Residualkompetenzen 7 86 ff. Reverse Solicitation 7 115 ff. Richtlinie 3 16 ff. Risikoausschuss 12 22 ff. Risikoeinheit 15 3 Risikogewichtung 8 44 ff.; 8 54 ff. Risikomanagement – ICAAP 11 1 ff. – in der Gruppe 16 44 ff. – siehe auch Governance-Anforderungen Risikoreduzierungsgesetz 2 62 Risikoträger 12 79 ff.; 14 28 ff. Risikotragfähigkeit – Gruppe 16 48 – Konzept 11 11 ff. Risikotransformation 1 15 Römische Verträge 3 1 RSF 9 20 Säule-1-plus-Konzept 11 16 ff. Schattenbank 10 19 Schlüsselpositionen 12 47 ff. Segré-Bericht 2 18 ff. Single Rulebook – Bausteine 4 23 ff. – Entwicklung 2 43 ff.; 4 1 ff. – Herausforderungen 17 8 ff. – Konzept 4 1 ff. – Perspektiven 18 1 ff. – Stand 17 1 ff.
Single Resolution Fund 2 47 ff. Single Resolution Mechanism 2 47 ff. Small banking box 18 50 ff. Soft Law 4 14 ff.; 4 34; 6 93 f.; 6 108 ff.; 17 11 f.; 18 13 ff. Solo-plus-Aufsicht 15 25 Sonderkonzernrecht – für Institutsgruppen 16 66 Squam-Lake-Arbeitsgruppe 8 41 SREP 10 1 ff. SRM-Verordnung 2 50 SSM – siehe einheitlicher Aufsichtsmechanismus SSM-Rahmenverordnung – Entwicklung 2 50; 6 2 ff. SSM-Verordnung – Entwicklung 2 50; 6 2 ff. Stabile Refinanzierung 9 19 Standardansatz 8 59 ff. Strukturelle Liquiditätsquote 9 15 ff. Supervisory Board 6 63 ff. Sustainable Finance 18 33 ff. Systemrisiko – Begriff 1 23 ff., 41 ff. – sektorbezogenes 1 43 – strukturelles 1 43 – zeitlaufbezogenes 1 43 – siehe auch Ansteckungseffekte Territorialprinzip 7 98 ff. TLAC 8 104 ff. Tochterunternehmen – Begriff 16 34 ff. Transparenzanforderungen 13 4 ff. Trennungsprinzip – bei der EZB 6 61 ff. – gesellschaftsrechtliches 15 14 f. – prozessuales 6 127 ff. Twin-Peaks-Modell 5 53 Überlagerung – des Gesellschaftsrechts 12 12; 12 86 – des Konzernrechts 16 61 Überkreuzzusammenrechnung 12 38 Vergütungsanforderungen 12 65 ff. – FSB-Prinzipien 12 66 – Offenlegung 14 27 ff. – Rechtsgrundlagen 12 70 ff. – Risikoträger 12 79 ff. – Variable Vergütung 12 77 ff. Vergütungsausschuss 12 22 ff. Verordnung 3 13 ff.; 6 96 ff.
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Verschuldenspuffer 8 94 Verschuldungsquote 8 95 ff. – Berechnung 8 99 ff. – Entwicklung 8 95 f. – Meldepflicht 8 101 – Offenlegungspflicht 8 102 f.; 14 30 f. Versicherungsunternehmen – Begriff 1 6 Verständiger Nutzer 14 6 Vollharmonisierung – Konzept 4 43 ff. Vollkonsolidierung 16 30 Wahlrechte 4 48 ff.; 6 87 ff.; 10 20 ff.; 12 79 f.; 14 34; 16 8; 16 38; 17 10; 18 7 ff.
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Waiver 15 25; 16 64 Watch-the-watchers-Modell 6 53 Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik 2 36 Weisung 6 100 Wertpapierfirma – Begriff 1 4, 7 37 ff. – Eigenes Aufsichtsregime 2 54 ff.; 7 45 ff. – Kategorisierung 7 45 ff. Zahlungsunfähigkeitsrisiko 9 2 Zulassung – siehe Bankerlaubnis Zweigstellen 7 68 ff. Zweite Bankrechtskoordinationsrichtlinie 2 26