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German Pages [281] Year 2020
ANGEWANDTE ETHIK
20
Henning Theißen
Ethik der Adoption
VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495820605
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B
Henning Theißen Ethik der Adoption
ANGEWANDTE ETHIK
A
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ANGEWANDTE ETHIK Herausgegeben von Nikolaus Knoepffler, Peter Kunzmann, Reinhard Merkel, Ingo Pies und Anne Siegetsleitner Wissenschaftlicher Beirat: Reiner Anselm, Carlos Maria Romeo Casabona, Klaus Dicke, Matthias Kaufmann, Jürgen Simon, Wilhelm Vossenkuhl, LeRoy Walters Band 20
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Henning Theißen
Ethik der Adoption
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Henning Theißen Ethics of Adoption The adoption of children is a quite rare phenomenon in terms of statistics, but it teaches important things about familial togetherness and belonging in general. With the divergence of the biological and social apsects of parenthood that is present in any adoption, it can also inform the understanding of stepfamilies, gay and lesbian families or other types of families included in the modern reality of family life. This problem oriented book is the first monograph on adoption ethics. It discusses the societal, philosophical, and structural framework of the adoption procedure and investigates in detail the moral conflicts which the respective parties of the adoption triangle (adopted child, birth family, and adoption family) may encounter in any adoption. As each of the chapters reveals, openness towards the particularities and peculiarities of the adopted child's background is crucial to happiness in adoptive family life.
The Author: Henning Theißen, b. 1974, is Associate Professor of Systematic Theology at the University of Greifswald. He studied Protestant theology and philosophy at the universities of Bochum, Tübingen, and Bonn and worked in the academy for more than a decade before accepting a Heisenberg Grant from the German Research Foundation (Deutsche Forschungsgemeinschaft). He was awarded Oberlin Innovation Prize for his initiative in adoption ethics.
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Henning Theißen Ethik der Adoption Die Adoption oder Annahme von Kindern ist in der Bundesrepublik, statistisch gesehen, ein seltenes Phänomen, an dem jedoch Wesentliches für das familiäre Zusammenleben überhaupt zu lernen ist. Das Auseinandertreten der biologischen, sozialen u. a. Aspekte des ElternKind-Verhältnisses (»gespaltene Elternschaft«), das die Adoption auszeichnet, ist auch für das Verständnis von Stief-, Patchwork-, Regenbogen- oder reproduktionsmedizinisch assistierten Familien wichtig, die alle zur modernen Familienwirklichkeit hinzugehören. Dieses Buch ist die erste Monographie zur Adoptionsethik. In problemorientiertem Zugriff werden die sozialphilosophischen und strukturellen Rahmenbedingungen der Adoptionspraxis vorgestellt und die möglichen ethischen Konfliktlagen aller am sog. Adoptionsdreieck Beteiligten (Adoptivkind, abgebende und annehmende Familie) diskutiert. Über die einzelnen Kapitel hinweg wird deutlich, dass Offenheit im Umgang mit der besonderen Herkunftsgeschichte adoptierter Kinder einen wesentlichen Schlüssel zum Gelingen adoptiven Familienlebens bildet.
Der Autor: Henning Theißen, Jg. 1974, studierte Evangelische Theologie und Philosophie in Bochum, Tübingen und Bonn und habilitierte sich im Jahre 2012 in Systematischer Theologie. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Mittelbau forscht und lehrt er gegenwärtig als außerplanmäßiger Professor und Heisenbergstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Greifswald. Für seine Initiative zur Adoptionsethik erhielt er vom Potsdamer Verein Oberlinhaus e. V. den Oberlin-Innovationspreis.
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Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2019 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-49074-7 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-82060-5
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Für Leonie, Johanna und Mereth
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Vorwort
Die Adoption oder Annahme von Kindern ist in der Wirklichkeit familiären Lebens in Deutschland ein seltenes Phänomen. Trotzdem kann man im Alltag immer wieder die Feststellung machen, dass Menschen, die man auf dieses Thema anspricht, mit dem einen oder anderen seiner Aspekte schon in Berührung gekommen sind. Die einen kennen eine Familie, die ein Kind oder mehrere adoptiert hat. Von heute Erwachsenen, die einst adoptiert wurden, erzählen die anderen, und obwohl beide Faktoren natürlich miteinander zusammenhängen, werden sie oft getrennt wahrgenommen. Die wenigsten können von Müttern berichten, die ein Kind zur Adoption freigegeben haben, doch scheint es, dass gerade dieser Gesichtspunkt die stärksten Emotionen weckt, die beim Thema Adoption sichtbar werden. Denn ihm steht die tief greifende Erfahrung ungewollter Kinderlosigkeit gegenüber, die ein erheblicher Anteil von Paaren im Laufe seines Zusammenlebens gemacht hat und die manche an die Möglichkeit einer Adoption denken lässt. Und selbst wem keine der hier genannten Fragestellungen über den Lebensweg gekommen ist, kann dem Thema Adoption seit einigen Jahren in zunehmendem Maße in der Öffentlichkeit der Medien begegnen, sei es, dass Prominente, die Kinder adoptiert haben, das Thema populär machten, sei es, dass die viel beachtete Einführung der »Ehe für alle« ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare mit sich brachte. Der Grund für die relativ große Verbreitung des Themas bei eigentlich doch seltenem Vorkommen des Phänomens dürfte darin zu suchen sein, dass die Adoption ein Vorgang ist, der die unterschiedlichsten Schichten des Menschseins anspricht und nicht auf die betroffenen Individuen beschränkt ist, sondern gesellschaftliche Auswirkungen hat. Vieles von dem, was in einer Gesellschaft die Auffassungen von Familie und familiärem Leben prägt, ist an den Familiengestalten abzulesen, die einen im Gesamtbild ausnahmehaften Weg gehen. Das gilt auch für die Adoption. Die Breite der Aspekte, die mit dem Adoptionsthema angespro9 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vorwort
chen sind, bedeutet auch, dass eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema eigentlich nur in interdisziplinärer Weise möglich ist und kaum die Angelegenheit eines Einzelnen sein kann. Dennoch lege ich mit diesem Buch einen Versuch vor, die Ethik der Adoption in monographischer Darstellung zu behandeln. Mein angestammtes Fachgebiet ist die systematische Theologie, zu der auch die Ethik gehört. Ich bin aber nicht der Meinung, dass der enzyklopädische Charakter der Theologie und ihrer Ethik oder auch der gesellschaftliche Auftrag der mit dieser Theologie arbeitenden Kirche ihr die Mittel in die Hand gäbe, das Thema Adoption allein aus eigener Expertise zu bearbeiten. Die ausdrücklich theologische Argumentation wird sich in meiner Darstellung auf Fragestellungen von eher allgemeiner Natur richten und in einem einzigen Kapitel des Buches konzentrieren, das noch dazu sein kürzestes ist. Freilich steckt implizit in diesem Buch vielleicht mehr Theologie, als mir selbst deutlich ist. Ich lege diese Ethik der Adoption auch als dreifacher Adoptivvater vor und bin zudem ehrenamtlich in die Strukturen der konfessionellen Adoptionsvermittlung involviert durch meine Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender des Evangelischen Vereins für Adoption und Pflegekinderhilfe e. V. (EVAP) mit Sitz in Düsseldorf. Dies offenzulegen schließt die Feststellung ein, dass die hier vorgetragenen Auffassungen nicht die Meinung des EVAP oder seiner Mitglieder, Angestellten und Vorstände oder seines Aufsichtsrats und der Mitglieder desselben wiedergeben, sondern mein eigenes Urteil darstellen, das ich ausschließlich selbst zu verantworten habe. Gleichzeitig versteht sich von selbst, dass mein Engagement für den EVAP in dieses Buch eingeflossen ist, weil es mir die Möglichkeit gegeben hat, in anderer Weise, als es durch Sekundärliteratur möglich ist, Einblick zu bekommen in das Gefüge der an einem Adoptionsgeschehen Beteiligten. Mein generelles Verständnis von Ethik ist dadurch mitgeprägt worden. In der professionellen Praxis wie in der wissenschaftlichen Reflexion kann Ethik nur dann die begründende Handlungsreflexion sein, als die sie wiederum begründete Handlungsempfehlungen aussprechen soll, wenn sie als Zusammenwirken unterschiedlicher Fachexpertisen gestaltet ist. Im Falle der Adoption betrifft das insbesondere die Psychologie und die Rechtswissenschaft, aber auch Gebiete wie die empirische Sozialforschung, Medizin und Erziehungswissenschaft. Keines dieser Fächer, selbst wenn es normativ arbeitet und in irgendeinem Sinne Verhaltensmaßregeln aufstellt, ist für sich allein Ethik, insbesondere kann der Bereich des Rechts, dem in unserer Ge10 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vorwort
sellschaft fraglos eine besondere Regulierungsautorität zukommt, nicht mit dem Gebiet der Ethik gleichgesetzt werden. Wenn in der folgenden Darstellung immer wieder der Unterschied zwischen Recht und Ethik betont und in gewisser Weise zu einem Pfeiler der Argumentation gemacht wird, dann deshalb, weil Ethik, wie ich sie begreife, die Aufgabe hat, auf die konkreten Problematiken und Handlungskonflikte, die sich bei einer gesellschaftlich relevanten Praxis wie der Adoption stellen können, an dem Ort zu antworten, wo sie sich stellen. Deshalb muss Ethik immer wieder hinter die im normierenden Interesse nötigen Generalisierungen und Abstraktionen des Rechts zurückfragen und vor allem das Handlungsfeld ausleuchten, auf dem die zur Debatte stehende Praxis angesiedelt ist. Ethik ist m. a. W. in meinen Augen zur Problemorientierung verpflichtet. Das ist der Grund, warum dieses Buch von einem fundamentalethischen ersten Teil eröffnet wird, der das Thema Adoption auf den konkreten gesellschaftlichen Praxisfeldern der Familienethik und ihrer Strukturen aufsucht. Daran schließt sich der zweite, materialethische Teil an, der auf die Hauptakteure und Beteiligten einer Adoption bezogen ist. Mit diesem problemorientierten Vorgehen verzichte ich darauf, – womöglich theologisch überformte – Leitbilder oder Grundregeln des Familienlebens an den Anfang zu stellen, an denen sich die Adoptionspraxis dann abarbeiten, aber auch messen lassen müsste. Ich bin überzeugt, dass die tragfähigste Orientierung in gesellschaftlich wie persönlich so komplexen Dingen wie der Adoption nicht aus solchen Idealen kommt, sondern aus dem Entdecken und Gewichten der Lebenswirklichkeit und ihrer unausgesprochenen Gesetzmäßigkeiten. Der problemorientierte Zugang bringt auch mit sich, dass dieses Buch nicht als Handbuch für Betroffene und Interessierte aufgebaut ist, sondern einer Sachlogik folgt. Über das Begriffsregister im Anhang können dennoch schnell die Stichwörter aufgefunden werden, zu denen ratsuchende Benutzerkreise beim Thema Adoption Auskunft brauchen. Bei der konsultierten Literatur anderer Fächer erhebe ich keinen Anspruch auf irgendwelche Vollständigkeit oder Repräsentativität. Während die juristische Behandlung der Adoption naturgemäß ständig im Fluss ist, habe ich auf dem Gebiet der empirischen Sozialwissenschaft qualitativen Untersuchungen, die meiner in der Textinterpretation geschulten Hermeneutik zugänglicher sind als die quantitative Forschung, wegen der ausführlicheren Behandlung von Fallbeispielen den Vorzug gegeben, auch wenn das hieß, ältere Untersuchungen stärker zu rezipieren, die zudem eher auf 11 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vorwort
Deutschland beschränkt sind. Letzteres entspricht jedoch dem Fokus des Buches auf der inländischen Ausgangslage. Auch in anderer Hinsicht sah ich mich bei der Anlage dieses Buches zur Stoffbeschränkung gezwungen. Beim Thema Adoption habe ich durchweg die sog. Volladoption eines minderjährigen Kindes in der Form der Fremdadoption vor Augen, bei der die annehmenden, zuvor ungewollt kinderlosen Eltern das Adoptivkind vorher nicht kennen. Stiefkindadoptionen und Adoptionsformen mit eingeschränkten Rechtswirkungen, die zusammen einen wichtigen Anteil der Adoptionen ausmachen, kommen nur am Rande vor, weil sie die ethische Problematik weniger tangieren. Aber auch auf manche Konstellationen, die ethisch höchst interessant wären, konnte ich hier nicht eingehen. Am meisten bedauere ich das beim Thema der Geschwisterdynamiken, die entstehen können, wenn in der annehmenden Familie schon leibliche Kinder vorhanden sind oder nachgeboren werden, aber auch dann, wenn nacheinander oder gleichzeitig (z. B. als Mehrlinge) Geschwister vermittelt werden. Die Vielzahl der möglichen Konstellationen ist beim Geschwisterthema so erheblich, dass es kaum möglich gewesen wäre, hier Verbindendes zu sagen, das auch noch substantiell sein soll. Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die Unterstützung und Kooperation vieler Menschen, denen ich herzlich danken möchte, ohne hier alle namentlich aufführen zu können. Nennen möchte ich insbesondere Monika Roth und Ursula Neuser, deren ebenso zielstrebige wie empathische Arbeit in der Adoptionsvermittlung mir ein ganz besonderer Ansporn gewesen ist, dieses über meine Fachgrenzen hinausgehende Projekt in Angriff zu nehmen und daran festzuhalten. Die Diskussionen im Aufsichtsrat des EVAP haben jedes Mal meine Perspektive auf das Thema Adoption neu bereichert, dafür bin ich allen Aufsichtsratsmitgliedern sehr dankbar. Ein großer Dank gilt Philipp Bode und insbesondere Ruth Denkhaus, die mit mir am Hannoveraner Zentrum für Gesundheitsethik der Evangelischen Akademie Loccum zwei Fachtagungen zu familienethischen und reproduktionsmedizinischen Themen veranstaltet haben. Diese Tagungen haben nicht nur meinen fachlichen Horizont erweitert, sondern mir auch viele lohnende Gesprächsmöglichkeiten über Fächergrenzen hinweg eröffnet. Bleibenden Eindruck hat bei mir auch die Mitwirkung an einem mehrjährigen internationalen Forschungskolloquium am Centre for Spirituality, Health and Disability des King’s College der Universität Aberdeen hinterlassen, meiner ersten Begegnung mit einer konzertierten akademischen Beschäftigung mit dem Thema 12 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vorwort
Adoption. Hier danke ich besonders den Leitern des Projekts, John Swinton und Brian Brock. Ich danke weiterhin Christina Schües und Oliver Hallich, die mir an verschiedenen Stellen meiner Arbeit an diesem Buch intensiven Austausch zu philosophischen Teilaspekten ermöglicht und eigene Texte zur Verfügung gestellt haben. Alexander Bagattini, Eva Schumann und ganz besonders meinem Freund Martin Langanke bin ich dankbar für manch kollegialen Austausch über verschiedenste Aspekte des Adoptionsthemas. Mein Dank gilt zudem Anne Käfer, die gemeinsam mit mir eine dreijährige Projektgruppe der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie e. V. geleitet hat. Hier konnte eine Reihe fundamentalethischer Fragen bearbeitet werden, von denen meine Beschäftigung mit dem Adoptionsthema sehr profitiert hat. Dankbar erwähne ich auch den Verein Oberlinhaus e. V. mit Sitz in Potsdam, der mir für eine Vorstudie zu diesem Buch den Oberlin Innovationspreis 2012 für Theologie und Diakoniewissenschaften verliehen hat. Weiterhin danke ich Inge Elsäßer sowie Cornelia Coenen-Marx und Ralph Charbonnier, die mir in ihren unterschiedlichen Funktionen beim EVAP bzw. im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland ermöglicht haben, den Austausch mit Kirche und Diakonie, der für mich als Theologen bei der Arbeit am Adoptionsthema unverzichtbar und anspornend zugleich war, zu intensivieren. Ich danke auch Lorenz Walch, der beim Abschluss der redaktionellen Arbeit an diesem Buch wichtige Dienste geleistet hat. Mein allerherzlichster Dank gilt den Zuschussgebern, deren großzügige Unterstützung die Drucklegung dieses Buches ermöglicht hat: der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Es ist mir eine große Freude, dass dieses Buch in der Reihe »Angewandte Ethik« erscheinen kann. Den Reihenherausgebern danke ich sehr herzlich für die Aufnahme in das Reihenprogramm. Mein Dank gilt außerdem den Mitarbeitenden des Verlags Karl Alber für die unkomplizierte Zusammenarbeit bei der Redaktion und Herstellung. Über allen Dank hinaus möchte ich sagen, dass es dieses Buch insbesondere nicht gäbe ohne die drei Kinder, die meiner Frau und mir geschenkt und anvertraut sind. Ihnen ist es gewidmet. Greifswald, den 17. Juli 2018
Henning Theißen 13
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Inhalt
Vorwort
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Fundamentalethischer Teil 1.
2.
Die Adoption im Orientierungsraum Familie . . . . . . . 1.1 Familie als sozialphilosophischer »Orientierungsraum« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Adoption als soziale Praxis . . . . . . . . . . . . 1.3 Adoption zwischen Kindeswohl und Kinderwunsch 1.3.1 Offenheit der Adoptionsform . . . . . . . . 1.3.2 Systemische Narration . . . . . . . . . . . 1.3.3 Wurzelsuche . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Adoption als Normvariante der Regelfamilie . . . 1.5 Konkurrierende Prinzipien der Elternschaft . . . . 1.6 Adoption und gespaltene Elternschaft . . . . . . . 1.7 Gespaltene Elternschaft in reproduktionstechnologischen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Donogene Insemination . . . . . . . . . . 1.7.2 Eizellspende . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.3 Leihmutterschaft . . . . . . . . . . . . . . 1.7.4 Embryonenadoption . . . . . . . . . . . . 1.8 Ergebnisse und Weiterführung . . . . . . . . . .
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24 28 30 32 33 37 38 40 46
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50 52 54 55 58 63
Der tiefere Sinn der Adoption . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Warum überhaupt nach dem Sinn der Adoption fragen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Direkte und indirekte religiöse Begründung . . . . .
68 68 74
15 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Inhalt
3.
Strukturen der Adoptionspraxis . . . . . . . . . . 3.1 Staatliche Mitwirkung . . . . . . . . . . . 3.2 Professionelle Adoptionsvermittlung . . . . 3.3 Vermittlung probater Adoptionsbefähigungen 3.4 Vermittelnde und positive Intervention . . .
. . . . 85 . . . . 87 . . . . 93 . . . 101 . . . . 106
Materialethischer Teil 4.
Das Adoptivkind . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Kindeswohl, Pflege und Adoption . . . . . . 4.2 Befähigungs- und bedürfnisethischer Zugang 4.3 Milchpulver, Windeln und Tragetuch . . . . 4.4 Liebe, Familie und Beruf . . . . . . . . . .
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5.
Die abgebenden Eltern . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Ethische Konflikte abgebender Mütter . . . . 5.2 Interventionismus und Handlungsalternativen 5.2.1 Babyklappe und vertrauliche Geburt . . 5.2.2 Abtreibung im Schwangerschaftskonflikt 5.3 Die ethische Bedeutung der Schwangerschaft . 5.4 Die ethische Bedeutsamkeit der leiblichen Väter 5.4.1 Gegenwärtige Ausgangslage . . . . . . 5.4.2 Diskussion von Reformmöglichkeiten .
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6.
Die annehmenden Eltern . . . . . . . . . . . . 6.1 Worauf beruht Elternschaft? . . . . . . . 6.2 Besonderheiten adoptiver Elternschaft . . 6.3 Welche besonderen Befähigungen brauchen Adoptiveltern? . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Leibliche Kinderlosigkeit . . . . . . 6.3.2 Seelische Uneitelkeit . . . . . . . .
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119 120 126 135 139
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145 146 153 153 157 161 170 171 175
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Anhang Abkürzungsverzeichnis
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Bibliographie . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . Internetlinks . . . . . . Personenregister Begriffsregister
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Fundamentalethischer Teil
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1. Die Adoption im Orientierungsraum Familie
Die Kindesannahme oder Adoption wird in diesem Buch als ethisches Problem behandelt. Damit wird – nach meiner Kenntnis zum ersten Mal im deutschen Sprachraum 1 – eine Adoptionsethik in monographischer Gestalt vorgelegt. Das Thema Adoption lässt sich aber gewiss nicht auf seine ethischen Aspekte einschränken. Ein Kind anzunehmen, ist ein Vorgang, der in der Regel bei allen Beteiligten als so grundlegend für die eigene Lebensgeschichte angesehen werden muss, dass eine derartige fachspezifische Begrenzung nicht gerechtfertigt wäre. Neben vielen rechtlichen und pädagogischen Fragen, die in den Ablauf einer Adoption unmittelbar hineinspielen, sind am Rande und als Rahmen auch Fragen der Sinngebung berührt, die religiöse Dimensionen aufweisen können. Letzterer Aspekt kommt dem Autor dieses Buches, der seiner Ausbildung nach christlicher Theologe ist, scheinbar entgegen. Er scheint sich auch im Aufbau des Buches zu spiegeln, der einen fundamentalethischen Teil (Kap. 1–3) zu den Grundsatz-, Rahmen- und Strukturfragen des Themas behandelt, ehe sich der materialethische Teil zu den konkreten Anwendungsfragen anschließt (Kap. 4–6). Es wäre jedoch ein Missverständnis, hinter der Fundamentalethik so etwas wie eine religiöse oder theologische Grundlegung zu vermuten. Tatsächlich beschränkt sich der fachliche Beitrag, den die Theologie zur Ethik der Adoption leisten kann, auf die Bearbeitung einiger größerer Sinnzusammenhänge, auf die die fundamentalethische Reflexion zur Adoption bezogen werden kann. Die Darlegung dieser Sinnzusammenhänge verlangt aber, dass zuerst und vorrangig das mit dem Thema Adoption abgesteckte Feld selbst abgeschritten wird. Die übergreifende Aufgabe der Adoptionsethik besteht darin, die Probleme, die bei der Annahme von Kindern möglicher- und tatsächlicherweise auftreten können, in ihren unterschiedlichen Handlungsfeldern und deren sinngebenden Konstituenten zu beschreiben und zu bearbeiten. Der zusammenfassende Rahmen hierfür ist die Familienethik, der ein erster fundamentalethischer Gedankengang 21 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
gewidmet ist (Kap. 1). Sie scheint als Theoriemodell geeignet, um sowohl die komplexen Handlungsfelder, auf denen sich Adoptionen abspielen, zu erfassen als auch den Anschluss für die Sinnfragen zu ermöglichen, die nicht abgelöst von der familienethischen Grundlegung behandelt werden können. Erst an folgender Stelle des Aufbaus sind darum die möglichen religiösen Aspekte des Adoptionsthemas zu würdigen (Kap. 2). Der familienethische Rahmen und der mögliche religiöse Sinnhorizont können sodann für die konkrete Anwendungsethik unter der Fragestellung zusammen- und weitergeführt werden, was zum Gelingen von Adoptionen erforderlich ist. Die Frage, was gelingende Adoptionen ermöglicht, leitet darum den dritten Schritt der fundamentalethischen Erwägungen an. Die Überlegungen laufen dabei auf den Begriff der »Befähigung« hinaus, der mit Blick auf die Adoption strukturell umrissen wird (Kap. 3). Dieser Kapitelaufbau, bei dem die theologische Fachperspektive des Autors im Hintergrund bleibt, erklärt sich aus der folgenden einfachen Beobachtung. Kinder als eigene anzunehmen, die das von Geburt nicht sind, ist kein religiöser Vorgang, sondern kommt in den unterschiedlichsten Kulturen vor, ohne dass eine der heute praktizierten sog. Weltreligionen eine besonders enge Affinität zu dieser Praxis besäße. 2 Im frühen Judentum wie im Islam ist die Adoption nahezu vollständig unbekannt, und ihr Eintreten in die jüdischchristliche Tradition Lateineuropas, wo sie trotz gewisser Randständigkeit im Mittelalter bis in unsere Neuzeit hinein anzutreffen ist, dürfte vorrangig mit Einflüssen der antik-römischen Kultur zusammenhängen. 3 Diese Einflüsse sind nicht religiöser Art, sondern folgen bestimmten Rechtsauffassungen. Tatsächlich wird die Adoption in Deutschland auch heute ungeachtet des jahrhundertelangen Abstands und mancher Sinnverschiebungen, die im Laufe ihrer Geschichte eingetreten sind, vorrangig als rechtlicher Vorgang aufgefasst. In Deutschland etwa ist die Adoption grundlegend im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 1741–1772 BGB) geregelt. Die religiösen Motive, die fraglos in die Praxis der Adoption hineinspielen können, betreffen das Verständnis der Familie, also eher den Rahmen des Adoptionsthemas als dieses selbst. Die Ausgestaltung von Adoptionen folgt heute neben rechtlichen insbesondere psychologischen und sozialwissenschaftlichen Standards von Kindesentwicklung und Familiengestalt, hat also normative und empirische Anteile. Religion und insbesondere Theologie, die sich mit der empirisch beobachtbaren Lebenswirklichkeit religiöser Praxis und deren normativen An22 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
sprüchen auf Lebensorientierung befassen, sind im Verhältnis zur Adoption vielleicht keine Fremden, nehmen ihr gegenüber aber eher die Beobachterperspektive eines Zaungastes ein. Ihr Berührungspunkt besteht in der Frage der Lebensorientierung, denn diese wird in ihrer wohl grundlegendsten Form im Rahmen von Familien geleistet, die aber zugleich der wichtigste primäre Träger religiöser Erziehung sind. Dieser familienethische, weil vom Phänomen und Begriff der Familie hergestellte Zusammenhang der Theologie mit dem Adoptionsthema zeigt schon an, dass seine fundamentalethische Reflexion vom Grundbegriff der Orientierung wird ausgehen müssen. Die Frage nach dem Beitrag, den (religiöse oder nichtreligiöse) (Lebens-)Orientierungen zum Thema Adoption leisten können, wird selten gestellt. Sie wäre aber bis vor kurzem scheinbar klar zu beantworten gewesen. Erst seit diese Antwort aus unterschiedlichen Gründen ihre Plausibilität eingebüßt hat, wird der Begriff der Orientierung als familienethischer Leitfaden für eine Ethik der Adoption aktuell. Unser erster Schritt muss also sein, eine Antwort zu rekonstruieren, die lange so selbstverständlich erschien, dass nach ihr nicht einmal gefragt werden musste. In Wahrheit ist sie sehr voraussetzungsreich. Es ist die Aufgabe dieses einleitenden Kapitels, diese Voraussetzungen a) offenzulegen und b) zu prüfen. Die Offenlegung (a) geschieht in Kap. 1.1–1.4 und gipfelt in der Aufstellung einiger familienethischer Qualitäten, die mit der Adoption verbunden sind, sich später aber auch allgemein familienethisch fruchtbar machen lassen werden (1.3.1–1.3.3). Anschließend ist die fällige Überprüfung (b) so zu leisten, dass Vergleichsgegenstände herangezogen werden, die gegenüber der Adoption analoge familienethische Ausgangsbedingungen aufweisen. Dabei handelt es sich um Familienformen, in denen die Elternschaft, die stets genetische, biologische, soziale und rechtliche Aspekte umfasst, in ähnlicher Weise aufgeteilt ist wie bei der Adoption, bei der die Erzeugenden des Kindes nicht mit seinen Erziehenden identisch sind. Einschlägig hierfür sind besonders Konstellationen, in denen Elternschaft durch die Anwendung von Reproduktionstechnologien konstituiert ist. Der Vergleich von adoptiver und reproduktionstechnologischer Form aufgeteilter oder ›gespaltener‹ Elternschaft wird unter Kap. 1.5–1.7 durchgeführt und schließt eine ethische Beurteilung einschlägiger Reproduktionspraktiken ein (1.7.1–1.7.4). 4 Der Schlussabschnitt des Kapitels (1.8) bietet einen zusammenfassenden Rückblick und leitet zum folgenden Kapitel über. 23 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
1.1 Familie als sozialphilosophischer »Orientierungsraum« Die unausgesprochene Bedeutung von (religiösen oder nichtreligiösen) Lebensorientierungen für die Praxis der Adoption lag lange Zeit in der Gesellschaftslehre oder Sozialethik. Weil die Adoption eine, wenngleich seltene und ausnahmehafte, Form ist, in der sich Familien konstituieren, hat sie an der sozialethischen Relevanz teil, die den Familien jedenfalls im freiheitlich-demokratischen Kontext generell zuerkannt wird. Die ethische Betrachtung der Adoption vollzieht sich traditionell im Raum der Familienethik. Familien sind primäre Räume der Orientierung, in denen den Individuen durch die Erziehung, die Kinder in ihren frühesten Sozialisationsphasen in aller Regel von den Eltern erfahren, neben materieller Fürsorge allerlei immaterielle Ressourcen vermittelt werden, die für das spätere Zusammenleben in der Gesellschaft unverzichtbar sind. Dazu zählen soziale Kompetenzen ebenso wie persönliche Überzeugungsmaßstäbe. Allerdings bilden diese Ressourcen keineswegs unmittelbar die Eckpunkte der politischen oder staatlichen Ordnung, in der die Individuen ihr späteres gesellschaftliches Zusammenleben realisieren. Sie folgen vielmehr den grundlegenderen, Fragen der existentiellen Gewissheit angesichts weltumspannender Infragestellungen menschlichen Daseins einschließenden Orientierungen. Da eine Teilmenge der in den Familien vermittelten Orientierungen mehr oder minder explizit religiöser Natur ist, hatten an dieser Stelle traditionell auch Religion und Theologie Anteil am hohen sozialphilosophischen Stellenwert der Familie. Bis hierher erschien die Angelegenheit lange Zeit so klar, dass sie kaum ausdrücklicher Thematisierung bedurfte. Die Frage nach der sozialethischen Relevanz der Familie (und mit ihr der Adoption) beantwortete sich auf einer Grundlagenebene menschlichen Zusammenlebens, zu deren Charakterisierung ich den Ausdruck »Orientierungsraum« gebrauche. Von einem »Orientierungsraum« und nicht einfach von inhaltlichen Orientierungen zu sprechen, bedarf dann allerdings einer Erklärung. Sie macht erst die umfangreichen Voraussetzungen der gegebenen Antwort sichtbar. Der Ausdruck klingt, als würden damit die Mechanismen der Weitergabe bestimmter Orientierungen, sog. Werte, beschrieben. Der Begriff des Orientierungsraums würde dann für einen konservativen Grundtyp von Sozialethik vereinnahmt (sog. Wertethik bei M. Scheler und anderen), er lässt sich jedoch genauso gut liberalen Theoriemodellen zuordnen, 24 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Familie als sozialphilosophischer »Orientierungsraum«
also den in der neuzeitlichen Sozialphilosophie dominierenden Vertragstheorien (Kontraktualismen). So wie ich von einem Orientierungsraum spreche, steht der Begriff tatsächlich jenseits der Alternative von konservativen und liberalen Positionen der sozialethischen Debatte. Das ist am Beispiel der Familie zu erläutern, da gerade sie in der Sozialphilosophie häufig als Schulbeispiel einer konservativen Wertethik angesehen und kritisiert wird. Einschlägig ist die Kritik von H. Arendt an dem bekannten Denkmodell, das das öffentliche Gemeinwesen (den Staat) im Bild der Familie (mit dem Machthaber als Landesvater) begreift. 5 Angesichts solch wirkmächtiger Stimmen versuche ich die sozialphilosophische Sonderstellung der Familie jenseits von Liberalismus und Konservatismus plausibel zu machen. Als »Orientierungsräume« der primären Sozialisation von Individuen wirken Familien entscheidend daran mit, die Grundlagen zu stiften, von denen der freiheitliche und demokratische Rechtsstaat nach dem bekannten Ausspruch E.-W. Böckenfördes lebt, die er aber nicht selbst schaffen kann. 6 Dass der Schutz und die Förderung der Familie in Deutschland Verfassungsrang (Art. 6 GG) haben, erklärt sich aus dieser Grundlagenbedeutung, die Familien als primäre Orientierungsräume besitzen. Das in Deutschland realisierte staatswissenschaftliche Modell konvergiert an dieser Stelle mit den Sozialethiken der Mehrheitskirchen im Land, die sowohl auf katholischer als auch evangelischer Seite den Mehrwert der in den Familien geleisteten Erziehung, Gewissensbildung und Fürsorge für das Gemeinwesen hervorheben. 7 Diese Konvergenz ist aber gerade kein Ausdruck einer christlichen Staatsauffassung, denn eine solche müsste die Religionsgemeinschaft und den Staat erst einmal als Rechtssubjekte voraussetzen, ehe zwischen ihnen irgendwelche inhaltlichen Übereinstimmungen festzustellen wären. Der einschlägige Art. 6 des deutschen Grundgesetzes begünstigt auch nicht etwa die kirchliche Familienauffassung. Vielmehr liegt die sozialphilosophische Grundlagenbedeutung der Familien in einem vorrechtlichen Bereich, den man allgemein als ethisch bezeichnen kann, aber keineswegs exklusiv religiös vereinnahmen darf. Die Unterscheidung von Recht und Ethik, die damit statuiert wird, ist für unsere ganze weitere Untersuchung von Bedeutung. Wichtigster Akteur des sozialphilosophischen Theoriebereichs im Vorfeld liberaler oder konservativer Wertauffassungen ist die Zivilgesellschaft. Sie hat jedoch in den Familien ihre basale Trägerstruktur, weil in ihnen die Individuen ihre primäre Sozialisation erfahren, 25 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
ehe sie die freiwilligen Zusammenschlüsse vereins- oder verbandsmäßiger Art bilden, in denen die Zivilgesellschaft charakteristischerweise agiert. Es ist ein liberaler Grundzug der kontraktualistischen Gesellschaftsauffassungen der Neuzeit, dass sie dem Bereich des Rechts und der staatlichen Ordnung einen solchen Bereich der Ethik und der zivilgesellschaftlichen Formationen vorordnen, in dem die Orientierungen generiert werden, die dann vom Recht zu ordnen sind. Bei dieser Ordnungsfrage zeichnen sich im engeren Sinne liberale politische Theorien dadurch aus, dass sie die inhaltliche Modifikation und Korrektur der vorgegebenen Orientierungen dem bloßen Verfahren der Rechtssetzung (»Rechtspositivismus«) zutrauen. Dass diese von den materialen Orientierungen abgekoppelte Behandlung der rechtlichen Verfahrensfrage unnatürlich sei, weil damit die den Orientierungen selbst innewohnende, teleologische Ausrichtung auf eine rechtsförmige Ausgestaltung unterlaufen werde, ist die wertkonservative Gegenposition zum Liberalismus, die Position des »Naturrechts«. 8 Die sozialphilosophische Grundlagenbedeutung der Familie ist von diesem liberal-konservativen Gegensatz unberührt, sodass die Familie für beide Positionen in Anspruch genommen werden kann, wie R. Anselm gezeigt hat. 9 Die Familie kann – eher konservativ – als öffentlich garantierter Hort des Privaten gesehen werden wie auch – typisch liberal – als Freiraum zur Verwirklichung individueller Lebensvorstellungen; sie bleibt aber in beiden Fällen der Raum, in dem über die Freiheit zur Gestaltung des Zusammenlebens und damit über dessen Gestalt entschieden wird. Darin besteht die Orientierungsleistung der Familie, dass die Orientierung, die sie ihren Angehörigen gibt, in Fragen des Zusammenlebens die Entscheidung für eine liberale oder aber eine konservative Position ermöglicht, selbst aber keiner von beiden zuzurechnen ist. Als Orientierung gilt in der Philosophie seit I. Kant eine Vernunftleistung, die einen noch nicht zur Gänze überblickten, womöglich auch gar nicht völlig überschaubaren Gegenstandsbereich umfassend, zugleich aber vorläufig erschließt. 10 Wer, so Kants Beispiel, die Himmelsrichtungen zu unterscheiden weiß, wird sich erst einmal mit Hilfe des Gegensatzes von Süd und Nord, Ost und West überall im Raum, also umfassend zurechtfinden. Orientierung in diesem Sinne baut sich über Alternativen auf, die als logische Gegensätze, jenseits derer es kein Drittes geben kann, Vollständigkeit besitzen. Ethische Orientierung wird dementsprechend durch Handlungsalter26 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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nativen vermittelt. Jede realisierte Handlungsoption schließt ihr Gegenteil aus und befreit mit der Stringenz dieses Entweder-Oder das Handeln vom Anschein des Zufälligen oder Dezisionistischen. Allerdings ist die Orientierung insoweit vorläufig, als die ausschließende Alternative der Handlungsoptionen begründbar sein muss. Damit ergibt sich eine Paradoxie. Die Orientierung selbst, d. h. das Überblick gewährende Moment an ihr kann sich, um die Begründbarkeit nicht aufs Spiel zu setzen, nie auf die Seite einer der beiden von ihr eröffneten Optionen schlagen, sondern muss deren Alternative gegenüber frei bleiben und stellt insoweit doch eine Ausnahme von deren Ausschließlichkeit dar. Wenn diese Ausnahme nicht die im Regelfall orientierende Leistung der Alternative, die auf Ausschließlichkeit (wie dem Entweder-Oder der Handlungsoptionen) beruht, eliminieren soll, muss für die Orientierung selbst eine andere logische Ebene als die der orientierenden Alternative angenommen werden. Das ist die Grundlagenebene, auf der in der Sozialphilosophie der Orientierungsraum Familie angesiedelt ist. Er vermittelt den Angehörigen der Familie die materiellen und immateriellen Ressourcen, die für ein sozialethisch wirksames Handeln erforderlich sind, ohne dass die Familie als solche in die Auseinandersetzung zwischen liberalen und konservativen Optionen oder Positionen der Sozialethik hineingezogen wird. Das gilt selbst dann, wenn ihre einzelnen Mitglieder in gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Fragen einander widersprechende Standpunkte vertreten. In der Familie werden Positionen, die sich in der öffentlichen Debatte ausschließen, nebeneinander akzeptiert und toleriert, ohne dass dies den Zusammenhalt der Familie oder ihre Orientierungsleistung für das gesellschaftliche Zusammenleben ernsthaft einschränkt. Diese Orientierungsleistung könnte man pointiert so charakterisieren: In der Regel orientiert sich menschliches Handeln an Alternativen, doch beruht deren grundlegende Orientierungsleistung auf Ausnahmen, die die Regel nicht bestätigen, sondern ihrerseits regulieren. Die Familie ist eine solche Ausnahme, nämlich die Ausnahme davon, dass sich die Handlungsoptionen sozialer Formationen ansonsten werthaften Alternativen (z. B. »liberal« – »konservativ«) zuordnen lassen. Gerade damit aber befähigt die Familie ihre Angehörigen dazu, die Entscheidungen, die im menschlichen Zusammenleben unausweichlich sind, in begründeter Weise zu treffen und so in einer von Alternativen gekennzeichneten, d. h. einer pluralen Gesellschaft zu leben. Gerade in einem pluralistischen Gesellschaftsmodell weist also die Familie 27 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
eine wichtige sozialphilosophische Orientierungsleistung auf und kann nicht als wertkonservatives Residuum vormoderner Gesellschaftsvorstellungen abgetan werden.
1.2 Adoption als soziale Praxis Was über die Familie als Orientierungsraum zu sagen ist, lässt sich auf die Adoption übertragen. Wenn die Familie den Individuen gerade dadurch als Schule für das soziale Miteinander dient, dass der im gesellschaftlichen Zusammenleben regelmäßige Konflikt in ihr grundsätzlich die Ausnahme ist, 11 so kann man in analoger Weise von der Adoption sagen, dass sie eine ausnahmehafte Form der Familie darstellt, an der zu lernen ist, was Familie in der Regel ist oder sein sollte. Dieses eigentümliche Verhältnis von Regel und Ausnahme bringt mit sich, dass Regelhaftigkeit hier keine normative Qualität ist, sondern die ethisch relevanten Eigenschaften einer sozialen Praxis beschreibt. Lehrreich für das Verständnis der Familie ist die Adoption überhaupt nicht als Maßstab dafür, wie Familie sein soll, sondern weil sie offen legt, was von einem solchen Maßstab in aller Regel schon vorausgesetzt wird, aber erst im Ausnahmefall, der die Adoption schon rein statistisch immer bleiben wird, ausdrücklich zum Thema wird. Diese Voraussetzung soll im vorliegenden Abschnitt unserer Überlegungen geklärt werden. Als Vorgang der Konstituierung einer bestimmten Familienform hat die Adoption an der sozialphilosophischen Bedeutung von Familie überhaupt teil. Wie die Familie ihren Angehörigen Handlungsorientierungen in sozialen Konflikten vermittelt, ohne selbst in dessen Alternativen aufzugehen, so steht auch die Adoption einerseits im Zwiespalt zweier sozialethischer Wertvorstellungen und gleichzeitig in einem anderen Sinne jenseits davon. Diese Paradoxie ist an der gesetzlichen Normierung der Adoption in Deutschland gut abzulesen, die 1976/77 durch eine komplette Novelle des Adoptionsrechts einen Paradigmenwechsel erfahren hat. 12 Er schlägt sich darin nieder, dass der rechtliche Begriff bis dato lautete »Annahme an Kindes statt«, während seit der dann eingetretenen Novelle von der »Annahme als Kind« die Rede ist. Wie die substitutive Formulierung (»an Kindes statt«) nahe legt, war das Adoptionsrecht bis 1976 nach den Bedürfnissen der annehmenden Eltern eingerichtet, die durch die Adoption eines frem28 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Adoption als soziale Praxis
den Kindes die Möglichkeit bekamen, den eigenen Mangel der Kinderlosigkeit bzw. eines fehlenden Erben auszugleichen. Sozialphilosophisch ordnet sich dieses Adoptionsrecht der Familie als privatem Bereich zu; trotz behördlicher Ausgestaltung der Adoptionsvermittlung war die Adoption selbst ein privatrechtlicher Vorgang, der kontraktualistisch (als Vertrag mit gerichtlichem Bestätigungsvorbehalt) geregelt wurde. 13 Seit 1977 ist die Adoption durchgängig dem Wohl des zu adoptierenden Kindes verpflichtet. Sie gleicht keine Mängel der annehmenden Familie aus, sondern behebt die mangelhafte Lebenssituation des Kindes durch Eingliederung in eine andere als die Herkunftsfamilie. Die sozialphilosophische Zuordnung besteht aufgrund der (ideellen, nicht rechtlichen) Anbindung an die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe, die mit dieser Kindeswohlorientierung einhergeht, zur Familie als Gegenstand der öffentlichen Fürsorge, was sich am deutlichsten darin niederschlägt, dass die Adoption durch einen Hoheitsakt rechtsgültig wird, indem sie eines gerichtlichen Beschlusses durch das Familiengericht (bis 2009: Vormundschaftsgericht) bedarf (§ 1752 Abs. 1 BGB). Private Adoptionsvermittlung wurde mit der Adoptionsnovelle von 1977 bis auf eng begrenzte Ausnahmen verboten (§ 5 AdVermiG); durchweg zuständig sind vielmehr eigene Vermittlungsstellen bei den Jugendämtern oder bei freien, meist konfessionellen Trägern. Mit einer Formulierung, die sich in der Adoptionsvermittlung seither verankert hat, kann man zugespitzt sagen: Ging es einst darum, durch die Adoption »Kinder für Eltern« zu suchen, so heißt es nun, »Eltern für Kinder« zu finden. Der Schwenk vom alten zum neuen Adoptionsrecht kommt einem Paradigmenwechsel gleich, was einschließt, 14 dass die alte Orientierung am Mängelausgleich der annehmenden Eltern neben der neuen Ausrichtung am Kindeswohl nicht mehr bestehen kann. Wer heute die Adoption mit dem Ansinnen betreibt, einen Erben zu finden, muss auf das Instrument der Volljährigenadoption ausweichen, das weiterhin existiert (§§ 1767–1772 BGB), aber von der Volladoption Minderjähriger getrennt zu betrachten ist. Nur um letztere geht es im vorliegenden Buch. Es ist aber schlecht zu bestreiten, dass die Adoption trotz, ja unbeschadet der obligaten Orientierung am Kindeswohl zugleich als Erfüllung eines Kinderwunsches verstanden werden kann, den die zuvor meistens ungewollt kinderlosen annehmenden Eltern jahrelang gehegt haben. Es darf als gesichert gelten, dass der Kinderwunsch das bei weitem vorrangige Adoptionsmotiv darstellt. Altruistische Motive wie der Wunsch, benachteiligten Kin29 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
dern (etwa in einem Kinderheim) zu helfen, was dem Kindeswohl auf den ersten Blick besser entspricht, sind zwar in der internationalen Forschung ebenfalls nachgewiesen, etwa im Blick auf die staatlichen Kinderheime im postsozialistischen Rumänien, wo die dirigistische Bevölkerungspolitik des Regimes Ceauşescu einen Überhang zu vermittelnder Kinder geschaffen hatte. 15 Durch qualitative Studien ist aber auch belegt, dass altruistische Motive allein als unzureichende Grundlage für eine Adoptionsvermittlung gelten. 16 Das lässt sich damit begründen, dass diese Motive für die Eltern-Kind-Bindung, die ein wesentliches Gelingenskriterium für Adoptionen darstellt, weniger gute Ausgangsbedingungen bieten als der Kinderwunsch. Altruismus richtet sich, wie der Name (nach dem französischen autrui) sagt, auf jedermann; Bindung in dem für unser Thema wesentlichen entwicklungspsychologischen Sinn ist aber nur an konkrete Individuen möglich. Im Ergebnis dieser Überlegungen ist die Adoption ungeachtet ihrer verpflichtenden Orientierung am Kindeswohl weiterhin auch am Kinderwunsch der annehmenden Eltern orientiert. Was sich in der Praxis im günstigsten Fall als Win-Win-Situation für die Eltern, die doch ein Kind bekommen, und das Kind, das doch in einer Familie aufwachsen kann, herausstellt, ist in ethischer Betrachtung ein Problem. Offensichtlich kann von »Orientierung« am Wohl des Kindes und am Wunsch der Eltern nicht in derselben Weise die Rede sein, denn die beiden Paradigmen stehen in sehr grundsätzlicher Konkurrenz zueinander. Orientierung muss in dem ersten Sinn etwas anderes heißen als in dem zweiten. Ein nahe liegender Lösungsansatz ist, beide so zu unterscheiden, dass das Kindeswohl eine normative (also auch gesetzlich regelbare) Voraussetzung (= Recht) darstellt, wohingegen der elterliche Kinderwunsch diejenige Art von Voraussetzung (= Ethik) benennt, die die Beteiligten befähigt, die Adoption in der Weise zu realisieren, wie es die normative Orientierung vorgibt. Dieser Spur folgen die weiteren Überlegungen dieses Kapitels.
1.3 Adoption zwischen Kindeswohl und Kinderwunsch Mit der »Befähigung« ist der Begriff benannt, der im Hintergrund unserer fundamentalethischen Betrachtung der Adoption stehen, im ersten Teil des Buches dargelegt und im zweiten Teil für die Adoptionssituation angewendet, teilweise (in Kap. 4) aber auch durch das 30 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Adoption zwischen Kindeswohl und Kinderwunsch
Konzept des Bedürfnisethik komplementär ergänzt werden wird. Was die Beteiligten in die Lage versetzt, bei der Adoption so zu handeln, dass diese tatsächlich ganz dem Kindeswohl dient, wie es das Adoptionsrecht seit 1976/77 vorschreibt, ist im Gegensatz zu dieser Vorschrift nicht gesetzlich normierbar, weil sich keine ›Positivliste‹ der dafür erforderlichen Qualifikationen oder Eigenschaften aufstellen lässt; man kann höchstens auf negativem Wege Ausschlusskriterien definieren, bei deren Vorliegen eine gelingende Adoption jedenfalls nicht in Frage kommt. Solche Ausschlusskriterien – z. B. Pädophilie bei Adoptivbewerbern – lassen sich zwar rechtlich kodifizieren, doch die inhaltlich positive Bestimmung der Befähigung liegt auf einer anderen, nämlich der ethischen Ebene, die wir schon in Kap. 1.1 als Grundlagenebene von der rechtlichen unterschieden haben. Für einen inhaltlich gefüllten Begriff von Befähigung ist die Einsicht ausschlaggebend, dass Kindeswohl und elterliche Wünsche auf der beschriebenen ethischen Grundlagenebene nicht die ausschließende Alternative darstellen, die zwischen dem alten und dem neuen Paradigma des Adoptionsrechts besteht. Gerade der Begriff des Kindeswohls, der das gegenwärtige Adoptionsrecht dominiert, verweist als sog. unbestimmter Rechtsbegriff auf solch inhaltliche Füllungen. Sie sind charakteristischerweise unterhalb der Schwelle gesetzlicher Regulierung angesiedelt, haben aber nachweislich die Novelle von 1976/77 mitbestimmt und sind als ethische Maßstäbe – nicht rechtliche Normierungen – weiterhin für das Gelingen der Adoptionspraxis bestimmend. Vieles davon findet sich in den »Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung« der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAGLJÄ) wieder, die seit ihrer Erstauflage 1982 immer wieder überarbeitet und fortgeschrieben worden sind (zuletzt 2014). 17 Diese Empfehlungen sind, wie der Begriff schon sagt, keine normative Grundlage, sondern eher eine Beschreibung von »best practice« im Adoptionshandeln und damit eine Quelle der ethischen Reflexion über Adoption. Sie geben an, unter welchen Voraussetzungen eine Adoption gelingen, also ganz dem Kindeswohl dienen kann, und folgen damit unausdrücklich unserer Fragestellung nach der »Befähigung« zur Adoption. Ich greife unter den denkbaren Befähigungen hier nur drei Gesichtspunkte heraus, die besonders deutlich mit dem rechtlichen Paradigmenwechsel der Adoptionsnovelle von 1976/77 verbunden sind. Sie bringen allesamt zur Geltung, dass Adoptivkinder in zwei Familiensystemen leben und alle Bemühung um ihr Wohl sich daran ausrichten muss. 18 31 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
1.3.1 Offenheit der Adoptionsform Die Adoption (im Sinne der Volladoption Minderjähriger) hebt alle verwandtschaftlichen Bande zwischen dem Adoptivkind und seiner leiblichen Herkunftsfamilie auf (§ 1755 BGB); das Kind wird in die annehmende Familie vollständig und gleichgestellt mit deren eventuell vorhandenen leiblichen Kindern eingegliedert (§ 1754 BGB). Diesem Interesse der Gleichstellung soll das 1977 neu geschaffene, sog. »Offenbarungs- und Ausforschungsverbot« (§ 1758 BGB) dienen, das jegliche Befugnis zur Offenlegung der Adoptionstatsache ausschließlich der annehmenden Familie anheimstellt. Kindesannahmen sind seither rechtlich grundsätzlich sog. Inkognito-Adoptionen, bei denen die abgebenden Eltern keine Kenntnis von der Identität der annehmenden haben. Dadurch soll verhindert werden, dass die in der Adoptivfamilie entstehende Eltern-Kind-Bindung durch Kontaktversuche seitens der leiblichen Eltern irritiert werden kann. Das Verbot zielt, wie diese Begründung zeigt, der Intention nach auf das Kindeswohl, denn die Adoptivfamilie sollte in ihrem Erscheinungsbild von einer leiblichen Familie möglichst wenig zu unterscheiden sein. Dieses Verständnis der Inkognito-Adoption wurde aber schon zur Zeit der Adoptionsnovelle mit dem Argument hinterfragt, dass im Gegenteil die alsbaldige Aufklärung des Kindes über seine Herkunft und Adoption dem Kindeswohl am besten diene, denn gerade so werde die gewünschte Selbstverständlichkeit des Adoptivstatus erreicht. Insbesondere blieben bei frühzeitiger Aufklärung die womöglich tiefgreifenden Vertrauens- und Persönlichkeitskrisen ausgeschlossen, die dem Kind aus einer unbeabsichtigten oder von Dritten bewusst herbeigeführten Offenlegung seiner von den Adoptiveltern verschwiegenen Adoption entstehen können. Ein offensives Aufklärungsbestreben auf der Linie dieses Arguments spricht aus den Adoptionsformen, die sich in schrittweiser Öffnung der Inkognito-Adoption seit 1977 eingebürgert haben, nämlich der halboffenen und der offenen Adoption. 19 Erstere wahrt weiterhin das de jure bestehende Inkognito, insofern der Fluss von Informationen, die eine Identifikation der Beteiligten erlauben, eine Einbahnstraße von den abgebenden zu den annehmenden Eltern bleibt. Letztere bekommen, schon damit sie das Kind bestmöglich über seine Herkunft aufklären können, alle Informationen, die der Vermittlungsstelle über die abgebenden Eltern bekannt sind, während diese keine Möglichkeit haben, Namen oder Adresse der Adoptiveltern zu 32 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Adoption zwischen Kindeswohl und Kinderwunsch
erfahren – insoweit wie bei der Inkognito-Adoption. Im Unterschied dazu treffen sich abgebende und annehmende Familie bei der halboffenen Adoption – meist im Zuge der Vermittlung des Kindes in die Adoptivfamilie – persönlich, jedoch moderiert durch die Vermittlungsstelle und auf neutralem Boden (z. B. in den Räumen der Vermittlungsstelle oder bei Neugeborenenadoptionen im Geburtskrankenhaus). Man redet sich nur mit Vornamen an und bleibt über die Vermittlung hinaus in Verbindung, indem etwa zum Jahrestag der Vermittlung oder, was besonders für die abgebenden Eltern psychologisch von Bedeutung ist, zum Geburtstag des Kindes Bilder und Briefe zum aktuellen Entwicklungsstand treuhänderisch über die Vermittlungsstelle ausgetauscht werden. All das soll die bloße Aufklärung über die Adoptionstatsache zu einem Gesamtbild über die Herkunft des Kindes erweitern, das dieses in sein im Laufe der Jahre wachsendes Selbstverständnis (»Identität«) 20 integrieren kann, und stellt sich so als Maßnahme im Interesse des Kindeswohls dar. Gleichzeitig soll aber auch den abgebenden Eltern die Möglichkeit geboten werden, durch den nachgehenden Informationsfluss für sich selbst die genauso identitätsrelevanten Fragen zu beantworten, wie die Adoptionsfreigabe in die eigene weitere Biographie, womöglich auch in ein späteres Leben mit weiteren Kindern, zu integrieren ist. Bei der offenen Adoption, die denselben Grundgedanken verpflichtet ist, wird der Austausch zwischen abgebender und annehmender Familie dadurch erheblich erweitert, dass die Vermittlungsstelle als Kontakt- und Pufferzone zwischen beiden Familien wegfällt, weil beide in wechselseitiger Kenntnis der jeweiligen Daten direkt miteinander kommunizieren und die Formen des Austauschs selbst festlegen. Eine offene Adoption ergibt sich regelmäßig, wenn ein vorheriges Pflegeverhältnis, bei dem der Kontakt zur leiblichen Familie obligat ist, in eine Adoption umgewandelt wird. Dies geschieht jedoch selten. 21
1.3.2 Systemische Narration Die kindeswohlorientierten Überlegungen seit der Adoptionsnovelle 1976/77 blieben bei der Form der Adoption nicht stehen. Offenheit im Adoptionshandeln wird nicht nur als Formfrage angesehen, sondern seit den 2000er Jahren als eine Befähigung der Beteiligten selbst, die immer dann in der Adoption praktiziert wird, wenn die Bereit33 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
schaft besteht, die unterschiedlichen Orientierungsräume der abgebenden und der annehmenden Familie mit ihren abweichenden sozioökonomischen Voraussetzungen, ihren womöglich divergierenden Wertvorstellungen und ihren im Verlauf der weiteren Entwicklung asymmetrisch auf das Adoptivkind einwirkenden Prägekräften zu akzeptieren und anzunehmen. 22 Abgebende Eltern bringen mit solcher Offenheit Vertrauen in das künftige Zuhause und damit wahrgenommene Verantwortung für den weiteren Weg ihres Kindes zum Ausdruck; annehmende Eltern werden in die Lage versetzt, ihrem Kind die unbekannte oder vornehmlich aus der Negativperspektive wahrgenommene Herkunft so nahe zu bringen, dass sie zum bejahbaren Bestandteil der eigenen Lebensgeschichte wird. Für das Adoptivkind selbst drückt sich diese Offenheit in der Fähigkeit aus, Bindungen zu den Adoptiveltern einzugehen, die mit den in der Herkunftsfamilie gemachten Bindungserfahrungen in einen Ausgleich treten können. Schon diese bindungstheoretisch motivierte Überlegung zur Offenheit als inhaltlichem, nicht formalem Aspekt der Adoption zeigt, dass mit dieser zweiten hier anzusprechenden Befähigung ein Sachverhalt angesprochen ist, der über die Zeit der unmittelbaren Adoptionsvermittlung hinausgeht. Zwar zielen auch die geöffneten Formen der Adoption auf eine umfassende, nur im Laufe langjähriger Persönlichkeitsentwicklung Frucht tragende Aufklärung des Adoptivkindes, doch reicht die inhaltliche Vertiefung dessen noch weiter. (Sie erübrigt sich deshalb auch nicht bei Kindern, die in einem Alter adoptiert wurden, in dem sie schon eine eigene Erinnerung an die Adoption entwickeln!) Es scheint naheliegend, dass Adoptiveltern die – von ihnen zweifellos bejahte – Aufklärung ihres Kindes an dessen Entwicklung ausrichten und deshalb den Zeitpunkt abwarten, an dem Kinder selbst zu fragen beginnen, »woher die Babies kommen«. Vorher, so die Logik hinter dieser Haltung, wäre ihnen der Unterschied zwischen leiblicher und adoptiver Kindschaft nicht recht klar zu machen und insbesondere die Bedeutung der leiblichen Mutter (häufig als »Bauch-Mama« oder ähnlich apostrophiert) nicht zu vermitteln. So offensichtlich diese nachvollziehbare Überlegung am Wohl des Kindes und den Gegebenheiten seiner Entwicklung orientiert ist, überlässt sie doch dem Kind die Initiative – und damit die Aufklärung mehr oder weniger dem Zufall, da das Kind über seinen Adoptivstatus erst einmal ahnungslos ist. 23 Im Sinne einer offensiven Aufklärungshaltung empfehlen Vermittlerinnen und Vermittler Adoptiveltern 34 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Adoption zwischen Kindeswohl und Kinderwunsch
demgegenüber, die besondere Herkunftsgeschichte der Kinder in einer entwicklungsgemäßen Weise von Anfang an zum Gegenstand der innerfamiliären Narration zu machen. Es ist z. B. eine verbreitete Praxis schon bei sehr kleinen Adoptivkindern, Fotoalben von der Geburtsklinik (bei Säuglingsadoptionen), dem Herkunftsort, den ersten Lebenszeiten (wenn im Zuge halboffener Adoption durch die abgebenden Eltern bereitgestellt, auch von vor der Vermittlung) anzulegen. Die Adoptionsaufklärung wird dann nicht über die eher der Erwachsenenperspektive folgende Rationalisierung des Unterschiedes von leiblicher und adoptiver Kindschaft eingeführt, sondern anhand von Bildern der individuellen Kindesgeschichte. Noch offensichtlicher ist die Annäherung an die Kindesperspektive, wenn Adoptionsvermittlerinnen und -vermittler abgebende Mütter zunehmend um die Überlassung von persönlichen Gegenständen (z. B. auf der Haut getragenen Kleidungsstücken) bitten, die bei Säuglingsvermittlungen eine auf Geruchs- und Tastsinn des Kindes aufbauende Verbindung zur Herkunftsfamilie noch vor dem Alter herstellen sollen, in dem Bilder und Erzählungen als Medien der Adoptionsaufklärung in Betracht kommen. Man sieht an dem zuletzt genannten Beispiel: Adoptionsaufklärung ist kein punktuelles Ereignis, sondern ein lebensbegleitendes Geschehen. Sie beginnt schon in der Frühphase der Adoptionspflege, in der das Kind nach erster, altersabhängig unterschiedlich langer Kontaktanbahnung bereits in der annehmenden Familie lebt, aber die Adoption noch lange nicht gerichtlich beschlossen ist (dies geschieht selten unter einem Jahr Adoptionspflege) und womöglich nicht einmal die verbindliche Adoptionseinwilligung der leiblichen Eltern 24 vorliegt (diese ist außer in den meist langwierigen Fällen einer gerichtlichen »Ersetzung« zwingend notwendig, aber frühestens acht Wochen nach Geburt möglich). Praktiken wie die beschriebenen können als Befähigungen bezeichnet werden, weil sie die Adoptivelten in die Lage versetzen, dem Kind seine eigene Identitätsgeschichte bestärkend nahezubringen und ihm insbesondere die Adoptionsfreigabe und den Übergang vom abgebenden in den annehmenden Orientierungsraum Familie zu plausibilisieren. 25 Mit einem zusammenfassenden Ausdruck, der in der systemischen Familienberatung zu Hause ist, wird z. B. in den Empfehlungen der BAGLJÄ von »Genogrammarbeit« gesprochen. 26 Im Genogramm wird die Herkunft eines Individuums (hier des Adoptivkindes) mit verbalisierenden und symbolisierenden Mitteln in ein 35 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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Gesamtbild gebracht, das es den Betroffenen erlaubt, eine zusammenhängende Geschichte ihrer eigenen Identität zu erzählen. Ich bevorzuge demgegenüber den Ausdruck »systemische Narration«. Der systemische Hintergrund erinnert daran, dass Adoptivkinder mit zwei Familiensystemen aufwachsen, deren abweichende »mind maps« sie im Interesse einer kohärenten eigenen Identitätserzählung auch dann aufeinander beziehen können müssen, wenn das Verhältnis beider asymmetrisch ist. Die abgebende Familie ist eher virtuell in Bildern und Geschichten, bei Kindern, die jenseits des Säuglingsalters vermittelt wurden, auch in Erinnerungen an – womöglich deprivierende – Erfahrungen präsent, während im gegenwärtigen Erleben und Alltag die annehmende Familie den ganzen Orientierungsraum des Kindes ausfüllt. Gerade auf diese Fälle aber zielt der systemische Charakterzug der erforderlichen Bemühungen um die familiäre Identität des Kindes, sodass systemische Narration in besonderem Maße die Befähigung der annehmenden Eltern fordert. Systemische Narration ist dabei viel mehr als ein formaler Vorgang der Adoptionsaufklärung oder eine punktuelle Informationsweitergabe. Sie ist neben ihrer biographischen Erstreckung ein Geschehen, in dem die Adoptiveltern mit ihrem Kind vor dem Hintergrund des doppelten Familiensystems, in dem es steht, interagieren. Systemische Narration bringt dem Kind seine unverwechselbar individuelle Weise des Eingebundenseins in familiäre Orientierungsräume so nahe, dass es identitätsbildend und -stärkend wirkt. Das verlangt von den Eltern eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Orientierungsraum Familie. Das betrifft insbesondere die Mechanismen der Bindung, die Kinder in Familien zu Eltern eingehen, denn Adoptivkinder werden beim Übergang von der abgebenden in die annehmende Familie mangels alternativer Vorerfahrung zunächst die Verhaltensweisen wiederholen, die sie in der Herkunftsfamilie kennengelernt haben. 27 Waren diese Erfahrungen deprivierend, weil z. B. die Eltern auf Bindungsangebote ihres Kindes nicht eingegangen sind, so wird das Verhalten des Kindes in der Adoptivfamilie die annehmenden Eltern vermutlich verunsichern, weil ihre in aller Regel stark auf das Kind eingehende Handlungsweise mit dem je nach Bindungsvorerfahrung reservierten bis abweisenden oder aber distanzlosen Verhalten des Kindes in keinerlei Übereinstimmung zu stehen scheint. In einer solchen Situation hilft nur die Bewusstmachung der beiden auf das Kind einwirkenden Familiensysteme und ihrer jeweiligen Bindungskonstellation. 36 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Adoption zwischen Kindeswohl und Kinderwunsch
Potenzielle Adoptiveltern nehmen die Auseinandersetzung mit diesen Fragen in aller Regel lange vor der Platzierung eines Kindes auf, da sie Teil der vorlaufenden psychosozialen Beratung von Adoptionsbewerbern ist, die diese durchlaufen, wenn die Vermittlungsstelle ihre Adoptionseignung prüft. Diese Beratung, aber auch die Praktiken, die wie die in diesem Abschnitt beschriebenen zur Verinnerlichung der Sachverhalte beitragen, die in der systemischen Narration versinnbildlicht werden können, sind Befähigungen zu einer kindeswohlorientierten sozialen Praxis und damit viel mehr als Add-ons zu einer auch ohnedies gelingenden Adoption. Sie sind nicht weniger als ethische Standards in der Adoptionspraxis.
1.3.3 Wurzelsuche Als letztes Beispiel soll hier die sog. Wurzelsuche thematisiert werden. Mit diesem Sammelbegriff wird eine Vielzahl von Aktivitäten bezeichnet, die Adoptivkinder im jugendlichen Alter, womöglich unterstützt durch die Adoptivfamilie und/oder die Vermittlungsstelle, unternehmen, um über die Kenntnis ihrer Herkunftsgeschichte hinaus in aktuellen Kontakt mit der leiblichen Familie zu treten. Die Wurzelsuche besitzt potenziell ethische Qualität für das Gelingen einer Adoption, weil sich die Bedeutung der Adoptionsaufklärung nicht bloß rückblickend auf die Vermittlung selbst beschränkt, sondern in die Zukunft des Adoptivkindes fortwirkt. Auch die Wurzelsuche lässt sich also (wie die systemische Narration) auf eine offensive Aufklärungshaltung zurückführen, da sie der Einsicht Rechnung zu tragen versucht, dass die Herkunft des Adoptivkindes bleibend zu seiner Identitätsgeschichte gehört – in der Praxis aber nicht vor der Zeit, die nach etablierten entwicklungspsychologischen Erkenntnissen für die Ausbildung der persönlichen Identität besonderes Gewicht hat: der Adoleszenz an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Die Wurzelsuche hat besondere Bedeutung bei zwischenstaatlichen Adoptionen, wo sie für die Adoptierten über die Identifikation der abgebenden Eltern hinaus das Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit einer ganzen Herkunftskultur, zu der das Adoptivkind in einer gewissen Weise gehört, einschließt (die Adoptiveltern haben bei einer solchen Adoption das Herkunftsland in aller Regel schon im Zuge der Vermittlung bereist). Direkte Kontakte Adoptierter mit ihren leiblichen Eltern im Herkunftsland sind eine Herausforderung gewor37 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
den, auch wenn sie einmalig bleiben, denn auch dann wirken sie nach. 28 Es versteht sich, dass dieses Feld der Adoptionspraxis mit zunehmender Globalisierung angesichts erhöhter Mobilität, aber auch angesichts der digitalen Informations- und Recherchemöglichkeiten in den sozialen Netzwerken erheblich an Bedeutung gewonnen hat und noch gewinnen wird, obwohl die Zahlen bei internationalen Adoptionen seit einiger Zeit – wie im Inland schon länger – rückläufig sind. Gewisse Vorläufer der Idee der Wurzelsuche lassen sich schon in der Adoptionsnovelle von 1976/77 erkennen. Neben der langen (hundertjährigen) Aufbewahrungspflicht von Adoptionsakten (§ 9b Abs. 1 AdVermiG), die der Information erwachsener Adoptierter dient, wurde seinerzeit ein Auskunftsrecht für die Adoptierten geschaffen, das diese ab vollendetem 16. Lebensjahr eigenständig über die Vermittlungsstelle wahrnehmen können (§ 9b Abs. 2 AdVermiG). Diese Maßnahme wurde fraglos im Interesse des Kindeswohls ergriffen. Wie bei der Adoptionsaufklärung generell ist auch hier anzunehmen, dass adoptierten Kindern und ihren Familien noch nicht mit punktueller Information gedient ist, sondern ein nachhaltiger Beratungsprozess angemessen ist, der wie bei der systemischen Narration das ganze Familiensystem adressiert. Neben der vorlaufenden psychosozialen Beratung, die den Eltern (annehmenden wie abgebenden!) dient, ist im Sinne des Kindeswohls eine nachgehende Beratung ethisch erstrebenswert, die ebenso die Eltern beider Familiensysteme, aber in besonderer Weise auch die Adoptierten selbst betrifft. Die Wurzelsuche ist diejenige Praxis, bei der am offensichtlichsten das erwachsen werdende Adoptivkind selbst treibende Kraft sein kann, aber auch auf Hilfe und Begleitung angewiesen bleibt.
1.4 Adoption als Normvariante der Regelfamilie Wir haben drei wichtige Befähigungen für ein Gelingen der sozialen Praxis der Adoption benannt. Betrachtet man die Praktiken der tendenziell offenen Form, der systemischen Narration und der Wurzelsuche, die sich in der Adoptionspraxis seit der rechtlichen Novelle von 1976/77 – mit einer Mehrzahl weiterer Praktiken, die hier außer Betracht bleiben müssen – etabliert haben, so fallen Gemeinsamkeiten ins Auge. Nicht nur, dass es sich bei allen dreien um Befähigungen handelt, die über rechtliche Normen hinaus einen Beitrag dazu leisten, dass Adoptionen so kindeswohlorientiert gelingen können, wie 38 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Adoption als Normvariante der Regelfamilie
die gesetzlichen Normen es vorschreiben – fast noch gewichtiger kommt hinzu, dass Offenheit für die Herkunft des Kindes einschließlich seiner abgebenden Familie, die systemische Arbeit an einer kohärent erzählbaren Identität des Adoptivkindes und die Entdeckung und Auseinandersetzung mit seinen eigenen Wurzeln solche Befähigungen sind, die in der Familie gelebt und vermittelt werden. Diese Praktiken haben nicht nur in sich ethischen Wert, sondern begründen zugleich den ethischen Stellenwert der Familie; sie tragen dazu bei, dass die Familie der Orientierungsraum ist, als der sie im Kontext freiheitlicher und demokratischer Gesellschaften und ihrer Sozialphilosophien gewürdigt wird. Die Beispiele der in Kap. 1.3 genannten Praktiken zeigen auch: Die Familie füllt diesen Orientierungsraum nicht per se aus; das bloße Zusammenleben von Eltern und Kindern erschließt noch keinen solchen orientierenden Raum, solange es nicht bestimmte Qualitäten wie die in Kap. 1.3 entfalteten Befähigungen aufweist, die mit dem Faktum der Familie noch nicht mitgegeben sind. Diese besondere Qualität von Familie mag sich in vielen denkbaren Familienkonstellationen weder bemerkbar machen noch vermisst werden, wenn sie fehlt; sie ist aber im Falle der Adoptivfamilie ein ausdrückliches Erfordernis, ohne das ein Gelingen der Adoption weit weniger wahrscheinlich ist. Die orientierende Qualität der Familie wird in und von ihr selbst erlernt, wenn sie dazu angeleitet wird, wie es im Verlauf der – ebenso vorlaufenden wie nachgehenden – Beratungen geschieht, die Familiensystemen im Kontext der Adoption zuteil wird oder doch aus ethischer Sicht in jedem Fall zuteil werden sollte. Um Familien die Eigenschaften zu verleihen, die sie als Adoptivfamilie zu einem Orientierungsraum im Sinne der hier beschriebenen Praktiken werden lassen, sind aus ethischer Sicht an jeder Adoption professionelle Vermittlerinnen und Vermittler zu beteiligen, die diese Beratung leisten. Auf die nähere Begründung dieses Zusammenwirkens professioneller Vermittlung mit den beteiligten Familien wird Kap. 3 dieses Buches noch genauer eingehen. Mit Blick auf die Befähigungen, die hier am Beispiel dreier Praktiken betrachtet wurden, genügt vorläufig der Hinweis, dass sie sich im Begriff der Beratung zusammenfassen lassen. Die Qualität der Familie, Orientierungsraum für das soziale Zusammenleben zu sein, macht aus faktisch existierenden Familien also keine irgendwie »besseren« Familien, sondern besteht schlicht, aber wirkungsvoll in der Beratung, die Familien in ein bewussteres Verhältnis zu ihren Orientierungen sowie zu anderen Ori39 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
entierungen setzt, die möglicherweise in anderen Familien (im Adoptionskontext konkret der Herkunftsfamilie) praktiziert werden. Familien im Kontext der Adoption erfahren diese Beratung regelmäßig, und auf diese Weise hat die Adoption ihren festen Platz im Orientierungsraum Familie, obwohl sie zahlenmäßig eine ausnahmehafte Form von Familie ist. Es scheint aber, dass gerade die Familienethik sich Rat bei den Ausnahmen von der »Regelform« der Familie holen kann. An der Ausnahme zeigt sich, was die Regel ist; in diesem ethisch orientierenden (nicht in einem rechtlich normierenden) Sinn wirkt die Adoption regulierend auf den Orientierungsraum Familie ein, weil sie immer schon zwei Familien als Orientierungsraum zusammenhalten muss. In stärker terminologischer Weise formuliert: Die Adoptivfamilie ist eine Normvariante der Familie, die sonst statistisch zumeist als eheliche Familie mit leiblichen Kindern konstituiert ist. D. h. in (mindestens) demselben Maß, wie diese regelmäßige Familienform orientierende Wirkung beanspruchen kann, trifft dies auch auf die Adoptivfamilie zu.
1.5 Konkurrierende Prinzipien der Elternschaft Trotz ihrer familienethischen Ausnahmestellung ist die Adoption nicht die einzige familiäre Normvariante, die für das Verständnis der Familie überhaupt wichtig ist. In den Orientierungsraum Familie gehören auch Phänomene wie die verschiedenen Formen der reproduktionsmedizinisch assistierten Familie oder die Regenbogenfamilie (= Familie aus einem homosexuellen Paar mit Kind oder Kindern). Die Adoption im Verhältnis zu diesen Familienformen zu erfassen, ist eine wichtige Aufgabe ihrer ethischen Beurteilung. Diese Aufgabe stellt sich schon deshalb, weil für nicht wenige potenzielle Adoptivbewerberpaare die Technologien der Reproduktionsmedizin eine mit der Adoption konkurrierende Möglichkeit darstellen, der ungewollten Kinderlosigkeit abzuhelfen. Aus der Sicht potenzieller Adoptiveltern – freilich nicht aus der Perspektive der abgebenden Eltern und ihres zu adoptierenden Kindes – kann die Adoption eine Option der Familiengründung neben den reproduktionsmedizinischen Angeboten darstellen. 29 Die Orientierung am Kindeswohl, die ethisch maßgeblich für alles Adoptionshandeln ist, wird damit zwar offensichtlich zugunsten des Kinderwunsches Erwachsener zurückgestellt. Dennoch ist eine vergleichende Betrachtung der verschiedenen Möglich40 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Konkurrierende Prinzipien der Elternschaft
keiten der Familiengründung auch ethisch sinnvoll, da das Kriterium des Kindeswohls bei den reproduktionsmedizinischen Praktiken genauso Berücksichtigung fordert; es wird also nicht einfach übergangen, wenn die Adoption mit Praktiken wie der Samenspende verglichen wird. Eine nähere Betrachtung der Debattenlage könnte vermutlich zeigen, dass die ethischen Standards der in Kap. 1.3 beschriebenen »Befähigungen« zur (gelingenden) Adoption allmählich in die Debatten um die modernen Reproduktionstechnologien unter Einschluss ihrer rechtlichen Regulierung »einwandern« und von da aus auf andere, auch leibliche Familienformen »ausstrahlen« können, wenngleich sie keineswegs überall übernommen werden. Dieser Spur sollen die folgenden Überlegungen nachgehen, soweit das im Rahmen dieser Darstellung machbar und sinnvoll erscheint. Eine umfassende ethische Würdigung der Palette reproduktionstechnologischer Angebote hingegen ist hier weder vorgesehen noch möglich. Ich nehme an, dass Adoption und Reproduktionsmedizin nicht in die Konkurrenz zueinander treten sollten, in der sie sich ungewollt kinderlosen Paaren oft präsentieren. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, entsteht der konkurrierende Eindruck erst vor dem Hintergrund eines idealistischen Trugbildes der Einheit von biologischer und sozialer Elternschaft, das jedoch in Wahrheit auf gegensätzliche Prinzipien jeder Elternschaft unter Einschluss der adoptiven wie der reproduktionsmedizinischen verweist. Die ethische Aufgabe besteht nicht in der Bewertung von Adoption und/oder Reproduktionsmedizin generell, sondern in der Gewichtung jener Prinzipien, die ich als Reproduktionsautonomie bzw. Kindeswohlorientierung bezeichnen werde, im Kontext des jeweiligen reproduktiven Verfahrens. Wenn die aus den familiensoziologisch wegweisenden Erzählinterviews mit Adoptiveltern gewonnene Ausgangsthese von Ch. Hoffmann-Riem zutrifft, dass Adoptionsbewerber die Normalität der leiblichen Regelform der bürgerlichen Kernfamilie (= heterosexuelles Paar mit gemeinsam leiblichem Nachwuchs) nachahmen, 30 müssten die seit ihrer Untersuchung überhaupt erst etablierten reproduktionsmedizinischen Technologien, die ungewollt kinderlose Ehepaare in Anspruch nehmen können, den Motivationen präsumtiver Eltern deutlich besser entsprechen. Die Hamburger Familiensoziologin Hoffmann-Riem führte ihre Untersuchung ab 1978 durch, also kurz nach der großen Adoptionsnovelle von 1976/77, aber noch mit Adoptivelternpaaren, die unter dem alten (kontraktualistischen) 41 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
Adoptionsrecht adoptiert hatten. 1978 war aber auch das Geburtsjahr des weltweit ersten in vitro gezeugten Babys. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) hat sich in den vierzig Jahren seither zur festen Größe der damals als eigene Disziplin noch unbekannten Reproduktionsmedizin entwickelt; in ihrer weitergeführten, die gezielte Vereinigung eines einzelnen Spermiums mit der hormonell stimulierten und operativ entnommenen Eizelle erlaubenden Form als Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ist sie derzeit der führende Standard in der Kinderwunschbehandlung. Die Zielgruppe dieser Methoden weist große Überschneidungen mit der der Adoptionsvermittlung auf; beides wird vornehmlich von ungewollt kinderlosen Paaren im reproduktionsfähigen Alter nachgefragt. Dass die Zahl der IVF- und ICSIAspiranten ungleich höher ist als die der Adoptionsbewerber, könnte man mit den jeweiligen »Erfolgschancen« zu erklären versuchen. Während die sog. Baby-take-home-Rate nach Embryonentransfer bei IVF/ICSI seit etlichen Jahren knapp ein Viertel der unternommenen Behandlungszyklen beträgt, 31 kommen im Inland auf ein zu vermittelndes Kind statistisch sieben registrierte Adoptionsbewerbungen. 32 Freilich sind die Verfahren trotz ihrer ähnlichen »Zielgruppen« viel zu unterschiedlich, um einen direkten Vergleich seriös erscheinen zu lassen. Der Vergleich kann sich in diesen Erfolgsraten ja nur auf das Ergebnis einer Kindesgeburt beziehen und muss so wichtige Faktoren wie die gesundheitlichen Voraussetzungen der Eltern und des ungeborenen Kindes außer Betracht lassen: Ehepaare, bei denen »nur« eine Eileiterverklebung die Schwangerschaft verhindert, haben ungleich bessere IVF-Chancen; und auch Adoptivbewerber, die ein Kind mit Behinderung annehmen wollen, werden fast sicher Eltern. Trotz dieser Einschränkungen ist eine Korrelation zwischen Adoptions- und IVF/ICSI-Zahlen angesichts des kontinuierlichen Rückgangs ersterer und der deutlichen Zunahmen letzterer wahrscheinlich. Die Gründe liegen weniger in den jeweiligen Erfolgsaussichten, sind dafür aber ethisch relevant. Sie beruhen in den Orientierungen, die ungewollt kinderlose Paare hinsichtlich ihrer angestrebten Elternschaft haben. Bei dem von Hoffmann-Riem mit empirischer Abstützung unterstellten Leitbild »leibliche Regelfamilie« ist IVF/ICSI trotz der medizintechnisch massiven Interventionen wie der äußeren Hormongabe zur Herbeiführung des Eisprungs deutlicher näher an diesem Leitbild (also »natürlicher«) als die Adoption. Das erleichtert die Entscheidung zugunsten von IVF/ICSI trotz 42 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Konkurrierende Prinzipien der Elternschaft
den damit aufgrund des strikten Behandlungsregimes und der einhergehenden mentalen Stresssituationen verbundenen Strapazen. Nicht wenige Paare wenden sich einer Adoption überhaupt erst nach längeren (erfolglosen) Versuchen reproduktionsmedizinischer Assistenz zu, wenn sie in einem Alter sind, das die Entstehung eines der leiblichen Familie analogen Eltern-Kind-Verhältnisses zumindest bei einer Säuglingsvermittlung bereits erschwert. Als wahrscheinlicher Grund, warum ungewollt kinderlose Paare IVF/ICSI gegenüber der Adoption bevorzugen, kommt vor allem die Kongruenz von biologischer und sozialer Elternschaft in ein- und demselben Elternpaar in Frage, die bei IVF/ICSI meist gewahrt ist, bei einer Adoption hingegen nie. Was aber lässt kongruente Elternschaft als vorzugswürdig erscheinen? In ihrer ethisch zugespitztesten Form wird kongruente Elternschaft von der katholischen Morallehre propagiert, die die Einheit von Geschlechtsakt und Zeugung in der Ehe im Verbund mit dem kirchenrechtlichen Scheidungsverbot zum Maßstab der Legitimität des ganz eheabhängig gedachten Elterndaseins erhebt; alles, was diese Einheit gefährdet – und dies betrifft bereits die technischen Mittel zur Empfängnisverhütung –, gilt im Grundsatz als ethisch illegitim. 33 Gerade weil diese strenge Form kongruenter Elternschaft immer weniger Zuspruch auch in der religiös gebundenen Bevölkerung findet, bedarf die Tatsache, dass das Modell als solches weiterhin derart hoch im Kurs steht, darüber hinausgehender Erklärung. Der Hinweis, dass die Kongruenz der verschiedenen Elternschaftsdimensionen das »Natürliche« sei, kann in Bezug auf IVF/ICSI, die ja hochgradig »künstliche« Prozeduren einschließen, kaum verfangen. Dass der Maßstab kongruenter Elternschaft weiterhin mutmaßlich viele ungewollt kinderlose Paare bei ihren Reproduktionsbestrebungen anleitet, ist auch deshalb erläuterungsbedürftig, da er in den durchschnittlichen Wertmaßstäben der bundesrepublikanischen Gesellschaft ansonsten keineswegs mehr unhinterfragt sein dürfte, wie das Beispiel der Stief- und der sog. Patchworkfamilien zeigt. Sie werden trotz bestehender Divergenzen zwischen biologischer und sozialer Dimension der Elternschaft derzeit weithin als gleichrangige Familien anerkannt. Die Adoption wird demgegenüber, folgt man den Forschungen von Hoffmann-Riem, 34 auch von Adoptiveltern selber nur als die zweitbeste Lösung angesehen, wie Familie sich konstituieren kann. Den hier bestehenden Wertungsunterschied kann man kaum da43 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
mit erklären, dass bei Adoptionen beiden sozialen Eltern die biologische Elternschaft fehlt, während in Stief- oder Patchworkfamilien wenigstens ein Elternteil auch biologisch Vater oder Mutter des Kindes ist. Zumindest begründet diese quantitativ größere Nähe zur kongruenten Elternschaft keinen qualitativen Vorzug, vielmehr folgen aus der damit gegebenen Asymmetrie des Verhältnisses beider Partner zum Kind neue, ethisch brisante Inkongruenzen unter den Partnern nach dem Motto: »Es ist ja nur mein, nicht dein richtiges Kind.« Würde die Regel gelten, dass Elternschaft in ihrer ethischen Wertigkeit steigt, wenn zumindest ein Partner biologischer und sozialer Elternteil ist, müsste zudem die Samenspende bei ungewollt kinderlosen Paaren höher im Kurs stehen als die Adoption. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; die Samenspende, die in Deutschland lange Zeit und mit eher mäßiger Resonanz an Ehefrauen zeugungsunfähiger Männer adressiert war, verdankt ihre jüngst deutlich gestiegene Bedeutung vielmehr der gleichgeschlechtlichen Regenbogenfamilie, in der sie in absehbarer Zeit die wichtigste Form der Familiengründung werden könnte (noch spielen mitgebrachte Kinder aus heterosexuellen Beziehungen eine große Rolle). 35 Gegengeschlechtliche Paare nehmen die Möglichkeit der Familiengründung durch Samenspende immer noch eher verhalten auf. Dass kongruente Elternschaft weiterhin der Maßstab für die vielen ungewollt kinderlosen Paare ist, die IVF/ICSI der Adoption vorziehen, während gleichzeitig Formen divergenter Elternschaft wie in Stief- oder Patchworkfamilien steigende Anerkennung genießen, dürfte in Wahrheit Gründe haben, die mit der Person der Eltern, in denen die einzelnen Dimensionen der Elternschaft konvergieren oder nicht konvergieren, nichts zu tun haben. Vielmehr macht es für die ethische Bewertung der Kongruenz oder Divergenz von biologischer und sozialer Elternschaft einen Unterschied aus, ob präsumtive Elternpaare ein Kind zu bekommen versuchen oder ob ein Kind bereits in einer Familiensituation lebt, deren Elternkonstellation sich aber ändert. In letzterem, dem vom Kind ausgehenden Fall verliert das Leitbild kongruenter Elternschaft an Bedeutung, während es die Reproduktionsbemühungen ungewollt kinderloser Paare maßgeblich anleitet. Diese Unterscheidung besagt, dass der Begriff kongruenter Elternschaft in gegensätzlicher Lesart verstanden werden kann, die entweder von den Eltern oder aber vom Kind ausgeht. Die erstrebte Kongruenz kann dann nicht allein in der Person der Eltern liegen. 44 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Konkurrierende Prinzipien der Elternschaft
Dass die verschiedenen Dimensionen der Elternschaft in der Person ein- und desselben Paares kongruieren, dass also die biologischen Eltern des Kindes auch die soziale Elternrolle wahrnehmen, ist als solches nicht ethisch vorzugswürdig. Biologische Eltern können ihren Kindern schlechte Eltern sein. Die ethische Qualität kongruenter Elternschaft, die ungewollt kinderlose Paare oft zu unterstellen scheinen, zeigt sich in Wahrheit erst in dem Verhältnis, das Eltern zu ihren Kindern eingehen. Auch hier lassen sich mit »nature« und »nurture« (Vererbung und Erziehung), den bestimmenden Makrofaktoren für die Entwicklung des Kindes, biologisches und soziales Element unterscheiden, zwischen denen Eltern in ihrem Verhältnis zum Kind eine Kongruenz schaffen können. Ethische Bedeutung hat der Begriff kongruenter Elternschaft nicht schon als Beschreibung des Sachverhalts, dass die biologischen mit den sozialen Eltern identisch sind, sondern erst dann, wenn er sich auf das Verhältnis der Eltern zum Kind und das adäquate Verhältnis von »nature« und »nurture« bezieht. Die Tatsache, dass kinderlose (insbesondere ungewollt kinderlose) Paare ein Verhältnis zum eigenen Kind allenfalls imaginativ eingehen können, macht es diesen Paaren nach meiner Auffassung schwer, im Voraus einen ethischen Maßstab für ihr Reproduktionsbestreben zu gewinnen. Ein Kind ist für sie vorerst nur das Produkt ihrer eigenen Vorstellungskraft. Das weckt eventuell bestimmte Phantasien hinsichtlich einer ethischen Reproduktionsautonomie, die über die rechtlich garantierte Freiheit von staatlicher Einflussnahme (z. B. Eugenik) auf Familiengründung und Fortpflanzung (»nature«) hinausgeht, indem sie auch das Aufwachsen des Kindes (»nurture«) ganz der elterlichen Autonomie und Freiheit unterstellt, sind es doch die Eltern, die ihre Kinder mit den materiellen und immateriellen Gütern ausstatten, die für ein gedeihliches Aufwachsen erforderlich sind. Im Verhältnis von »nature« und »nurture«, das den ethischen Indikator für das Vorliegen kongruenter Elternschaft bildet, richtet das Prinzip der Reproduktionsautonomie das Verhältnis der Eltern zum Kind, insbesondere auch ihr konkretes Verhalten, an den Eltern aus, wohingegen das Prinzip der Kindeswohlorientierung dem Kind den Vorrang gibt. Daher ist zu vermuten, dass bei der familienethischen Orientierung an der kongruenten Elternschaft eigentlich der Gegensatz dieser beiden Prinzipien zur Debatte steht.
45 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
1.6 Adoption und gespaltene Elternschaft Die geäußerte Vermutung lässt sich an der jüngeren rechtlichen und gesellschaftspolitischen Diskussion um die alternativen Familienformen von der Adoption über die assistierte Reproduktion bis zur Gametenspende überprüfen, da am Ausgangspunkt all dieser Formen für gewöhnlich die ungewollte Kinderlosigkeit von Paaren steht. Sie bildet ein wichtiges Motiv der Reproduktionsautonomie, während gleichzeitig die Adoption ausdrücklich und in ihrem Gefolge – wie wir sehen werden – auch die übrigen alternativen Familienformen unausdrücklich auf das Wohl des Kindes verpflichtet sind. Die ethische Betrachtung dieser Familienformen sollte also über die Gewichtung von Reproduktionsautonomie und Kindeswohlorientierung im Kontext der verschiedenen reproduktiven Verfahren Aufschluss geben. Da nach Ansicht von Rechtsexperten eine »große Lösung« wie beim österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetz (2015) für Deutschland nicht zu erwarten ist, bildet bis auf Weiteres das Embryonenschutzgesetz von 1990 (ESchG) die rechtliche Grundlage für die Beurteilung reproduktionsmedizinischer Praktiken, auch wenn etliche der heute gängigen Möglichkeiten damals noch nicht oder kaum im Blick waren. Das ESchG wurde geschaffen, um die gezielte Herstellung reproduktiv einschlägigen, menschlichen genetischen Materials für Forschungszwecke zu verhindern (§ 2 ESchG und § 1 Abs. 1 Ziff. 6 ESchG). Für unsere Fragestellung besonders einschlägig sind die folgenden Bestimmungen. Das ESchG verbietet (in § 1 Abs. 2 ESchG sowie § 1 Abs. 1 Ziff. 2 und 4–5 ESchG und § 2 Abs. 2 ESchG) die Anzüchtung menschlicher Embryonen zu anderen als reproduktiven Zwecken der Urheber des Gametenmaterials (gestattet also IVF/ ICSI), erlaubt aber die Bevorratung menschlicher Eizellen, wie sie z. B. von Frauen im gebärfähigen Alter vor bestimmten Tumoroperationen (Entfernung der Ovarien bei Eierstockkrebs) praktiziert wird, um anschließend mittels IVF/ICSI noch Kinder bekommen zu können. Eizellen – gleichgültig, ob bevorratet oder nicht – dürfen jedoch nicht gespendet werden (§ 1 Abs. 1 Ziff. 1 ESchG), sondern nur der Frau, von der sie stammen, nach extrakorporaler Befruchtung und Zellteilungen bis zum Embryonalstadium zwecks Herbeiführung einer Schwangerschaft implantiert werden. Gleichzeitig wird die Zahl der auf diese Weise zu erzeugenden Embryonen auf drei begrenzt (§ 1 Abs. 1 Ziff. 3–4 ESchG), um den weitestgehenden Rücktransfer in 46 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Adoption und gespaltene Elternschaft
den Uterus der Frau zu gewährleisten und das Problem ›überzähliger Embryonen‹, die als Träger des Keimguts von Mann und Frau bereits als deren gemeinsames Kind gewertet werden könnten, möglichst auszuschließen. In Deutschland sind damit Eizellspende und Leihmutterschaft rechtswidrig. Adoption und Samenspende sind vom ESchG nicht betroffen; die Embryonenadoption oder -spende war bei seiner Schaffung noch unbekannt. Die Rechtslage ist weitgehend eindeutig, ihre ethische Beurteilung strittig. Die unbestreitbare Ungleichbehandlung von (erlaubter) Samen- und (verbotener) Eizellspende lässt sich mit der im Vergleich zur Mutterschaft geringer veranschlagten ethischen Bedeutung der Vaterschaft, wie sie auch sonst im Familienrecht zu beobachten ist, 36 mehr schlecht als recht begründen. Denn das Argument ist zwiespältig. Aus Sicht der Reproduktionsautonomie benachteiligt es in den ungewollt kinderlosen Beziehungen eher die Frauen, denen bestimmte Wege zu einem Kind verschlossen werden, während zeugungsunfähige Ehemänner ihre biologische Vaterfunktion durch eine Samenspende substituieren lassen können. In kindeswohlorientierter Perspektive kann man dagegenhalten, der Ausschluss der Eizellspende solle dem im reproduktionsmedizinischen Kontext gezeugten Kind die Gewähr bieten, nur die Frau zur Mutter zu haben, die es als ihr »Fleisch und Blut« ausgetragen hat. In der juristischen Literatur ist von der Abwehr »gespaltener Elternschaft« die Rede. Positiv kann das als Aufwertung der neun Monate der Schwangerschaft verstanden werden, die als einzigartige, auf Seiten des Vaters analogielose Beziehung zwischen Mutter und Kind in der Tat von Bedeutung für die spätere Entwicklung des Kindes sind. Das ist als Kindeswohlargument höchst beachtlich (ich komme in Kap. 5.3 darauf zurück), sticht aber im reproduktionstechnologischen Kontext nicht gegen Eizellspende, da ja auch diese (in Deutschland verbotene) reproduktionsmedizinische Praxis eine Schwangerschaft einschließt, sondern nur gegen Technologien wie den bislang der literarischen Fiktion vorbehaltenen künstlichen Uterus, der nicht nur die Zeugung (wie bei IVF/ICSI), sondern gleich die ganze Schwangerschaft in den extrakorporalen Bereich verlagert. Die im ESchG ausgedrückte Ablehnung »gespaltener Elternschaft« lässt sich nur bei Hinzunahme weiterer Prämissen konsistent begreifen. Schon der Ausdruck »gespaltene Elternschaft« ist eigentlich irreführend, denn das ESchG richtet sich nicht gegen Divergenzen zwischen biologischer und sozialer Elternschaft, weil es die davon 47 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
regelmäßig betroffene Samenspende nicht antastet, sondern speziell gegen Fälle, bei denen genetische und biologische Elternschaft mit der rechtlichen konkurrieren. Das aber kann nur auf Seiten der Mutter zum Problem werden, da sich der Beitrag des biologischen Vaters mit der Bereitstellung seines genetischen Materials durch die Zeugung deckt, aber auch erschöpft. Eigentlich soll also die gespaltene Mutterschaft, bei der für dasselbe Kind zwei Frauen als rechtliche Mütter in Betracht kommen, 37 abgewehrt werden, wenn der Gesetzgeber einige Jahre nach dem ESchG erstmals 1998 in § 1591 BGB den scheinbar selbstverständlichen Grundsatz kodifizierte: »Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.« 38 Im reproduktionsmedizinischen Kontext ist aber nicht einmal dieser seit der römischen Antike (»mater semper certa est«) vertraute Grundsatz aus sich selbst verständlich, sondern nur zusammen mit der zusätzlichen Prämisse des sog. homologen Systems, wonach (neben anderen Implikationen) nur verheiratete – nach der Rechtslage von 1990: heterosexuelle – Paare Zugang zur (kassenfinanzierten) Reproduktionsmedizin haben und ein Kind im Rahmen dieser Homologie rechtlich nicht mehr als zwei Eltern haben kann. Unterstellt man hingegen mit der zum 01. 10. 2017 eröffneten »Ehe für alle« ein lesbisch verheiratetes Paar, so müssten zwei Mütter desselben Kindes auch rechtlich möglich sein können. Es ist nicht überraschend, dass im bundesdeutschen Familienethikdiskurs schon lange vor der »Ehe für alle« die erste Infragestellung des Verdikts gespaltener Mutterschaft von Seiten der Regenbogenfamilien kam. Will man die ethische Valenz der in Deutschland bestehenden rechtlichen Regelungen der reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten zur Überwindung ungewollter Kinderlosigkeit beurteilen, so sind die Regenbogenfamilien der dafür einschlägige Anschauungsgegenstand; sie sind die Ausnahme, die zum Prüfstein der Regel wird. Kinder in Regenbogenfamilien haben – auch ohne den Konflikt zwischen genetischer und biologischer um die rechtliche Elternschaft, den das ESchG bei Eizellspende unterstellt – regelmäßig zwei Personen desselben Geschlechts als Eltern. Die Regenbogenfamilie war lange Zeit als rechtlicher Begriff undenkbar, als ethische Größe aber höchst virulent, weil sie – wie auch die Adoption – niemals kongruente Elternschaft aufweist; die verschiedenen Aspekte des Elternseins konvergieren bei der Regenbogenfamilie nicht in demselben Menschenpaar. Die folgende öffentliche Begebenheit im Vorfeld der »Ehe für alle« verdeutlicht die Virulenz dieser Beobachtung. 48 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Adoption und gespaltene Elternschaft
In der heißen Phase des vorletzten Bundestagswahlkampfes war die deutsche Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel, deren Partei nach der von der rotgrünen Vorgängerregierung im Bund eingeführten Eingetragenen Lebenspartnerschaft (2001) lange Zeit Vorbehalte gegen eine volle Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der gegengeschlechtlichen Ehe hegte, am 09. 09. 2013 zu Gast in der Sendung »Wahlarena« der ARD. Auf die aus dem Publikum gestellte Frage, warum die CDU letzte Schritte einer solchen Gleichstellung nicht gehen wolle – konkret angesprochen war insbesondere ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für schwule (oder lesbische) Paare –, reagierte Merkel nach allgemeiner Einschätzung verunsichert mit dem Hinweis, dass sie Sorge um das gedeihliche Aufwachsen von Kindern in so einer elterlichen Verbindung habe. 39 Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Situation war groß 40 und mag den einige Jahre später eingetretenen Sinneswandel innerhalb der CDU mit vorbereitet haben. Tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt durch Fachuntersuchungen schon lange die Schlussfolgerung nahe gelegt, dass das Geschlecht und die sexuelle Orientierung der primären familiären Bezugspersonen für das Aufwachsen von Kindern keine entscheidende Rolle spielen. 41 Vieles spricht dafür, dass die aus ethischer Sicht wesentlichen Befähigungen, die erforderlich sind, um ein Kind gedeihlich aufwachsen zu lassen, Männern wie Frauen unterschiedslos gegeben sind. Ein Kind, das bei zwei Müttern aufwächst, ist dadurch – anders, als bei Schaffung des ESchG unterstellt wurde – ethisch nicht benachteiligt. Die möglicherweise fehlende gesellschaftliche Akzeptanz solcher Familien ist, wie sich – um ein anderes Beispiel zu nennen – in der Frage der Sukzessivadoption durch gleichgeschlechtliche Paare bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht Ende 2012 zeigte, kein ethisches, sondern ein politisches Argument, weil die ins Feld geführte Gefährdung des Kindeswohls durch soziale Stigmatisierung von Regenbogenfamilien mit politischen Mitteln bekämpft werden kann und muss. 42 Die geschilderten tagespolitischen Begebenheiten illustrieren, was ethisch als These gefasst werden kann: Man kann nicht mit Gründen des Kindeswohls gegen gespaltene Elternschaft argumentieren. Insoweit wäre es folgerichtig, wenn die »Ehe für alle« insbesondere Regenbogenfamilien neben dem gemeinschaftlichen Recht zur Adoption auch den Zugang zum homologen System der Reproduktionsmedizin erschlösse. Allerdings sind die Gründe für 49 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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diese Öffnung ebenfalls nicht von der Art des Kindeswohlarguments, sondern folgen der Logik der Reproduktionsautonomie. Wenn nämlich homo- ebensogut wie heterosexuelle Paare zur Elternschaft befähigt sind, erscheint es auf den ersten Blick als Gebot von Befähigungsgerechtigkeit, ihnen durch Adoptionsrecht und Reproduktionsmedizin rechtlich auch die Möglichkeit zum eigenen Kind zu verschaffen, die sie biologisch nicht haben.
1.7 Gespaltene Elternschaft in reproduktionstechnologischen Verfahren Im Gegensatz zu der zuletzt angestellten Vermutung liegt die ethische Valenz der Regenbogenfamilie nicht auf der Ebene der konkurrierenden Prinzipien von Kindeswohlorientierung und Reproduktionsautonomie, sondern bei weniger grundsätzlichen Fragen, die insbesondere das Verfahren betreffen, durch das in einer Regenbogenfamilie Elternschaft in der typischen Aufteilung ihrer Aspekte (genetisch, biologisch, sozial) etabliert wird. 43 Zu diesem Zweck verfolgt der vorliegende Abschnitt das Verfahren der Reproduktionstechnologien, die zur Etablierung derartiger Elternschaftskonstellationen führen (Samen- und Eizellspende sowie Leihmutterschaft und Embryonenadoption), bis zu dem Punkt, wo sich ein prinzipielles Patt zwischen Reproduktionsautonomie und Kindeswohlargumenten ergibt, weil erst dann die minder prinzipiellen Verfahrensfragen zutage treten. 44 Die Regenbogenfamilie demonstriert mit ihrer jüngsten Geschichte, dass die zentralen Befähigungen, deren es bedarf, um Eltern zu sein, keine Gegengeschlechtlichkeit voraussetzen, sie ist aber selbst keineswegs geschlechtsneutral. Regenbogenfamilien sind ein weibliches Phänomen, da die deutliche Mehrzahl der bis zu 21.000 Kinder, die in Deutschland im Jahre 2010 bei homosexuellen Paaren aufwuchsen, mit zwei Müttern zusammenlebten. 45 Das liegt teils daran, dass viele Regenbogenkinder aus früheren heterosexuellen Partnerschaften des einen Elternteils stammen, 46 also von diesem in die neue, nunmehr der sexuellen Orientierung entsprechende Beziehung mitgebracht werden und dabei wie auch im Kontext gegengeschlechtlicher Stief- und Patchworkfamilien überwiegend der Mutter folgen. Aber selbst wenn mittlerweile eine gestiegene rechtliche und gesellschaftliche Akzeptanz der Regenbogenfamilie derart vorlaufende 50 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Gespaltene Elternschaft in reproduktionstechnologischen Verfahren
Partnerschaften seltener machen sollte, 47 werden auch in absehbarer Zukunft weit weniger schwule Paare Kinder haben als lesbische. Das liegt nicht an den elterlichen Fähigkeiten von Männern im Vergleich zu denen der Frauen, sondern an den unterschiedlichen Möglichkeiten, wie Homosexuelle (im bundesdeutschen Kontext) Eltern werden können. Zwei kinderlose, aber zeugungsfähige Männer können nur durch Adoption gemeinschaftlich Eltern werden, doch einem gebärfähigen Frauenpaar steht darüber hinaus die Samenspende zu Gebote, während das Männerpaar nicht in entsprechender Weise auf die Leihmutterschaft zurückgreifen kann, da diese in Deutschland verboten ist. 48 Die hier bestehende männlich-weibliche Asymmetrie spiegelt die ungleiche Verteilung von genetischer und biologischer Elternschaft auf die Geschlechter, die uns schon im Blick auf das ESchG als ethisches Problem begegnete. Während sie aber bei den dort unterstellten heterosexuellen Paaren die unfruchtbaren Frauen benachteiligte, denen die Eizellspende verwehrt bleibt, während die Männer auf einen Samenspender ausweichen können, gereicht dieselbe Asymmetrie bei homosexuellen Paaren den Männern zum Nachteil, die keine Leihmutterschaft in Anspruch nehmen können, wohingegen lesbische Frauen auf die Samenspende zurückgreifen können. Um diese Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auszugleichen, könnte es aus Gründen der Reproduktionsautonomie als geboten erscheinen, mit der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften auch die vom ESchG unterlassene Gleichbehandlung der Reproduktionstechnologien zu verbinden und neben IVF/ICSI und Samenspende auch Eizellspende und Leihmutterschaft zu legalisieren. Hierfür spricht scheinbar auch, dass das konkurrierende familienethische Prinzip der Kindeswohlorientierung keine durchschlagenden Argumente gegen Eizellspende oder Leihmutterschaft liefert – jedenfalls dann nicht, wenn, wie in Kap. 1.6 thetisch festgestellt, ein Auseinandertreten der verschiedenen Aspekte von Elternschaft das gedeihliche Aufwachsen des Kindes grundsätzlich noch nicht gefährdet. Bei der Eizellspende ist die resultierende Elternschaftskonstellation derjenigen nach Samenspende vergleichbar, und die Leihmutterschaft führt insoweit zu einer der Adoption analogen Konstellation, als sie nach Freigabe des Kindes durch die gebärende Frau planmäßig in eine Adoption mündet. Bei der Eizellspende wie bei der Leihmutterschaft müssten demnach die Standards von ethisch allgemein als unbedenklich angesehenen Familienkonstellationen (nach Samen51 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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spende bzw. nach Adoption) forder-, aber auch erreichbar sein. Sprechen somit nicht sowohl reproduktionsautonome als auch kindeswohlorientierte Überlegungen für die Freigabe von Eizellspende und Leihmutterschaft? In Wahrheit wäre diese Schlussfolgerung jedoch übereilt. Die scheinbare Übereinstimmung zwischen Reproduktionsautonomie und Kindeswohlorientierung lässt sich sachgemäßer so auffassen, dass beide Prinzipien zu allgemein sind, um in der Frage der Legitimation der bislang verbotenen Praktiken von Eizellspende und Leihmutterschaft zu einer begründeten ethischen Entscheidung zu kommen. Mehr Erfolg verspricht die Einführung weniger allgemeiner Prinzipien, die zwischen Eizellspende und Leihmutterschaft ethisch zu differenzieren erlauben. Bei näherem Hinsehen zeigt sich dann, dass beide Praktiken neben gemeinsam geteilten ethischen Problemen auch deutlich unterschiedene Herausforderungen aufwerfen. Gemeinsam ist Eizellspende und Leihmutterschaft das Auftreten gespaltener Elternschaft in mehr oder weniger ausgeprägter Analogie zu Samenspende bzw. Adoption. Diesem Problem kann mit den Befähigungen, die anhand der Adoption in Kap. 1.3 entwickelt wurden, begegnet werden: Offenheit gegenüber der Herkunft des Kindes, systemische Narration und Wurzelsuche lassen einen Umgang mit Kindern aus Eizellspende oder Leihmutterschaft erwarten, der den Anforderungen an das Kindeswohl gerecht wird, weil er dessen besondere Herkunftsumstände würdigt. Differenzierter stellt sich das Problem jedoch dar, wenn die Rolle der am Familiensystem beteiligten Dritten einbezogen wird, die durch die Art der Familiengründung in das System eintreten, also die Rolle der Gametenspender bzw. der leiblichen Mütter. Paradigmatisch ist hierfür der ethische Diskurs um die Samenspende, die im Forschungskontext meist als Donogene Insemination (DI) bezeichnet wird. Sie ist (wie erwähnt) gegenwärtig das aufstrebende reproduktionsmedizinische Instrument im Kontext der Regenbogenfamilien, seit die Bedeutung mitgebrachter Kinder aus früheren heterosexuellen Beziehungen zurückgeht.
1.7.1 Donogene Insemination Die DI richtete sich in Deutschland lange Zeit ausschließlich an ungewollt kinderlose heterosexuelle Ehepaare, denen aufgrund der Zeugungsunfähigkeit des Mannes mit einer Samenspende geholfen wer52 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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den konnte. Im reproduktionsautonomen Interesse des Paares blieb der Spender anonym; die Zusicherung der Anonymität galt neben gesundheitlichen Grundstandards der Spender (meist junger Studenten) als wichtige Voraussetzung für deren Rekrutierung. Erst im letzten Jahrzehnt hat ausgehend von Großbritannien ein Umdenken im europäischen Umgang mit der DI eingesetzt, das als Prinzipienwechsel hin zu Kindeswohlargumenten gelten kann. Die Kenntnis der leiblichen Abstammung wird nunmehr durchweg höher gewichtet als die Schutzinteressen des Spenders, sodass Anonymitätszusagen gegenstandslos werden, und zwar auch rückwirkend. Eine regelrechte Vaterrolle des Spenders (etwa in Gestalt einer Erbberechtigung des Kindes oder eine Unterhaltsverpflichtung im Todesfall der sozialen Eltern) wird zwar weit überwiegend verneint, weil weder mit dessen noch mit den Intentionen des die Spende in Anspruch nehmenden Paares begründbar. Jedoch wird eine Basisverantwortung, durch die sich der Spender zur Verfügung halten muss, um dem Kind zur Befriedigung seines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung dienen zu können, inzwischen regelmäßig angenommen. 49 Offensichtlich sind bei dieser ethischen Praxis Spender vorausgesetzt, die sich an der DI aus weitgehend altruistischen Motiven beteiligen, weil sie kinderlosen Paaren zu einem Kind verhelfen wollen. Zwar ist empirisch gesichert, dass der messbare Hauptanreiz der meist studentischen Spender kontinuierlich und durch die vertretenen Bevölkerungsgruppen hindurch in der Aufwandsentschädigung bestand, die den jungen Männern geleistet wurde. 50 Doch schränkt das die altruistische Motivationslage nicht ernsthaft ein, solange die Entschädigungen geringfügig bleiben (bzw. in Fällen, wo sie z. B. den Umfang einer kostenlosen Urlaubsreise annehmen, als unverhältnismäßig in die Kritik geraten). 51 Insbesondere richtet sich das Eigeninteresse der DI-Väter nicht auf die Wahrnehmung eigener Ansprüche an das mit ihrer Hilfe gezeugte Kind (z. B. Umgang, Beteiligung an der Erziehung); vielmehr ist solchen Ansprüchen durch das Konstrukt der Samenbanken, die als professionelle Vermittlungsinstanzen zwischen Spender und präsumtive Eltern treten, von vornherein ein Riegel vorgeschoben. Deshalb ist die hier wiedergegebene ethische Einschätzung nicht auf Varianten von DI übertragbar, die außerhalb des Regimes der Samenbanken auf private Direktabsprache zwischen den späteren Eltern des Kindes und dem Spender als eines Bekannten der Eltern zurückgehen (sog. Becherspende). In solchen Fällen ist – ganz im Gegensatz zum professionellen DI-Regime – sehr 53 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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wohl mit einem Eigeninteresse des Spenders am Kind zu rechnen, der als Bekannter der Eltern auch mit diesen in regelmäßigem Kontakt stehen und im Familiensystem präsent sein, sich womöglich auch an der Erziehung wird beteiligen wollen. 52 All das kann, Konsens unter den Beteiligten vorausgesetzt, zwar als Erfüllung der Ansprüche verstanden werden, die das Prinzip der Kindeswohlorientierung an eine DI-Familie richtet; womöglich wird die besondere Herkunft des Kindes auf diese Weise sogar deutlicher zur Geltung kommen können als in einer professionell vermittelten DI. Kindeswohlargumente zugunsten der Becherspende als Variante der DI ergeben sich daraus dennoch in keinem Fall, da die eintretenden Eigeninteressen des Spenders offensichtlich einen fundamentalen Unterschied zum per se altruistisch geprägten Begriff der Spende ausmachen, als die jede DI ethisch aufgefasst werden muss. Das bloße Vorliegen von Eigeninteressen, die der Spender am zu zeugenden Kind hat, steht der Kindeswohlorientierung entgegen; zudem stellt sein Auftreten einen ethisch problematischen Eingriff in die Beziehung des Elternpaares dar. 53 Mag die Becherspende damit auch nicht völlig desavouiert sein, liegt hier doch ein Kategorienwechsel vor, der für die Frage nach den Vergleichspunkten, an die sich eine ethische Beurteilung der Adoption halten kann, von Bedeutung ist.
1.7.2 Eizellspende Die Bedeutung dieser Überlegungen wird sofort plastisch, wenn man die DI mit der Eizellspende vergleicht. Offenkundig sind alle DI-Argumente ohne große Schwierigkeiten auf die Eizellspende übertragbar mit dem einen Unterschied, dass die Gameten in diesem Fall nur durch operativen Eingriff (meist nach zusätzlicher hormoneller Stimulierung) gewonnen werden können, die persönliche Involvierung und auch Belastung der Spenderin also sehr viel höher ist als beim potenziellen DI-Vater, der lediglich eine Samenprobe abgibt. Das Dilemma von Altruismus und Eigeninteresse stellt sich dadurch schärfer als bei der DI, und zwar nicht in der Weise, dass der Einzellspenderin ein stärkeres Interesse an dem mit ihrer Hilfe zu zeugenden Kind zu unterstellen wäre, sondern so, dass diese ein berechtigtes Interesse an ihrem eigenen Wohlergehen in das Spendenprocedere einbringen kann. Wenn die gesundheitlichen Risiken bei einer lege artis abgenommenen Spende auch als sehr gut beherrschbar einge54 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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schätzt werden müssen, 54 ist doch klar, dass damit ein zusätzlicher ethischer Aspekt in die Beurteilung der Eizellspende Einzug hält, der bei der DI keine Rolle spielt. Bloße reproduktionsautonome Gleichbehandlung von Samen- und Eizellspende kann darum nicht die ethische Maxime sein. Für eine Legalisierung der Eizellspende ist vielmehr zu fordern, dass die Wohlergehensinteressen der Spenderin gewährleistet sind. Auf dieser Basis erscheint eine Gleichbehandlung mit der DI dann allerdings als ethisch geboten. 55
1.7.3 Leihmutterschaft Noch wichtiger als die Frage, ob die Eizellspende erlaubt werden sollte, ist der weitere ethische Vergleich mit der Leihmutterschaft. 56 Sie kann in verschiedensten Formen auftreten je nachdem, von wem das genetische Material des Kindes stammt. In all ihrer Bandbreite führt sie aber zu einer Elternschaftskonstellation, die in ethischer Perspektive der Adoption darin ähnelt, dass das Kind aus Leihmutterschaft anschließend zur Adoption an die Wunscheltern vermittelt werden muss, mögen diese oder zumindest ein Teil von beiden auch zugleich in genetischer Elternschaft zum Kind stehen (Leihmutterschaft in Verbindung mit IVF und/oder Samenspende). Insofern sind nicht Samen- und Eizellspende die nächstliegenden Vergleichsgegenstände der Leihmutterschaft, wohl aber treffen wir hier die Steigerung derselben ethischen Probleme an, die uns im Blick auf diese Formen der Gametenspende beschäftigten. Die Leihmutter ist durch das Austragen der Schwangerschaft auf derart intensive Weise mit dem Kind verbunden, dass bei der Frage ihrer berechtigten Eigeninteressen die Problematik einer Ausnutzung oder Ausbeutung der Leihmutter riesengroß wird. Die Ausbeutung kann wirtschaftlicher Art sein, wenn Frauen in finanziellen Notlagen die Leihmutterschaft wegen der gezahlten Entschädigung, die angesichts der persönlichen körperlichen wie mentalen Belastung erheblich sein muss, praktizieren oder gar dazu gedrängt werden. Man kann aber auch schon über Ausnutzung diskutieren, wenn einer Frau, die ein Kind neun Monate lang ausgetragen hat, überhaupt nur zugemutet wird, dieses Kind vereinbarungsgemäß Dritten als sozialen und rechtlichen Eltern zu überlassen. Die existenzielle Verbundenheit, in der die Leihmutter aufgrund der Schwangerschaft mit dem abzugebenden Kind steht, ist als so tiefgreifend einzuschätzen, dass sie eine vorher aus rationaler Er55 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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wägung getroffene Vereinbarung zur Kindesabgabe ohne Weiteres über den Haufen zu werfen vermag. Gerade angesichts dieser Ausnutzungsproblematik ist der Vergleich zwischen Leihmutterschaft und Adoption von Gewicht, und zwar ungeachtet dessen, dass die Abgabe des Kindes im ersten Fall gemeinhin als das Erwartete gilt, im zweiten aber als ›unnatürlich‹. Denn die abgebende Mutter bei einer Adoption befindet sich in einer ganz ähnlichen Konflikt- und Ausnahmesituation, in der die – nach eingehender und ergebnisoffener Beratung durch eine Adoptionsvermittlungsstelle getroffene – Freigabeentscheidung nicht nur rechtlich möglich, sondern auch ethisch anerkannt ist als die Form der Fürsorge für das Kind, die dieser Mutter in dieser Situation im Interesse des Kindeswohls, also nicht auf Affekt oder Augenblick beschränkt, möglich ist. Gleichzeitig sind genügend Fälle bekannt, in denen Schwangere, die zur Adoptionsfreigabe entschlossen waren, sich unter dem Eindruck der Geburt umentscheiden; auch dies ist eine Entsprechung zur Leihmutterschaft. Dass die Konfliktsituation im Falle der Leihmutter von dieser selbst herbeigeführt wurde, wohingegen sie die abgebenden Mütter im Adoptionsverfahren ungefragt heimsucht, kann nicht unmittelbar als Unterschied zwischen Adoption und Leihmutterschaft ins Feld geführt werden, da die Lage der Leihmutter bei Abschluss der Vereinbarung nicht entfernt mit der existentiellen Situation vergleichbar ist, in der sie es als frisch Entbundene nicht fertigbringt, das eben geborene Kind abzugeben. Die existentielle Eigenart der postpartalen Situation einer Leihmutter anzuerkennen, ist nur die Kehrseite dessen, dass im Schwangerschaftskonflikt die Adoption nicht als Alternative zum Schwangerschaftsabbruch erlebt wird, da sie die Geburt des Kindes voraussetzt, die für die betroffene Frau im konkreten Konflikt in unendlich unerreichbarer Ferne liegt. 57 M. a. W. in der existentiellen Zuspitzung der Situation der Schwangeren entsprechen sich Adoption und Leihmutterschaft tatsächlich. Die ethische Valenz der Schwangerschaft, uns als Kindeswohlargument schon bekannt, 58 begegnet uns hier als Argument der Reproduktionsautonomie wieder, demzufolge es ethisch alternativlos scheint, der Frau, die das Kind ausgetragen hat, zuzugestehen, dass sie es entgegen ihrer vertraglichen Zusicherung behält. 59 Wie schon bei der Regenbogenfamilie stehen wir damit auch bei der Leihmutterschaft vor dem Sachverhalt, dass die beiden familienethischen Prinzipien sich egalisieren, besser: dass eine rein prinzipienethische Lösung nicht zu finden ist. 60 56 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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Angesichts dieser Problematik wird von Befürwortern der Leihmutterschaft gegenwärtig so argumentiert, dass jegliche diesbezügliche Vereinbarung ganz auf die Freiwilligkeit der Leihmutter gebaut sein muss. Die Vereinbarung müsse ohne äußeren (wirtschaftlichen) Zwang, aber auch ohne inneren Zwang geschlossen werden, d. h. sie müsse eine ›existentielle Ausstiegsklausel‹ enthalten, die der Leihmutter das Recht garantiert, das Kind zu behalten, wenn sie dessen Abgabe nach der Geburt existentiell nicht übers Herz bringt. 61 In Wahrheit bringt die vorgebliche Freiwilligkeit der Leihmutterschaft, die sich in einer ›existentiellen Ausstiegsklausel‹ dokumentiert, aber nur zum Ausdruck, dass die Krisen, in die die Geburt Schwangere zu stürzen vermag, gerade nicht in einer juristisch wirksamen Vereinbarung vorweggenommen werden können. M. a. W. der Versuch, das prinzipielle Patt zwischen Reproduktionsautonomie und Kindeswohlorientierung mithilfe eines liberal anmutenden Kontraktualismus zu lösen, ist zum Scheitern verurteilt. Mögen sich die existentiellen Situationen der abgebenden Mutter im Adoptionsverfahren und der Leihmutter im Prinzip noch so sehr gleichen, so unterscheiden sich beide Konstellationen doch deutlich in ihrem verfahrensmäßigen Umgang mit der für die Schwangere prinzipiell gleichartigen Situation von Leihmutterschaft bzw. Adoption. Die Adoption ist eine Reaktion auf einen konkret eingetretenen Konflikt; die Leihmutterschaft hingegen ist der Versuch, diesen Konflikt abstrakt, in der Vertragsfreiheit der Beteiligten, vorwegzunehmen. Dieser Versuch muss misslingen, weil die existentielle Konfliktsituation die unterstellte Freiheit der Beteiligten mindestens teilweise aufhebt. Wie die abgebende Mutter reagieren wird, lässt sich vertraglich nicht antizipieren. Das erklärt, warum der verfahrensmäßige Umgang mit derartigen Konfliktsituationen den keinen Eigeninteressen folgenden Einbezug Professioneller – im konkreten Beispiel: der Vermittlungsstelle im Adoptionsverfahren – erforderlich macht. Der Kontraktualismus ist für den Umgang mit existentiellen Krisen, wie sie bei Schwangerschaftskonflikten, aber auch bei Vorgängen wie IVF/ICSI regelmäßig auftreten, ein untaugliches Instrument und seine liberale Voraussetzung selbstbestimmter Handlungsfreiheit bei den Beteiligten eine Chimäre. Das ist übrigens der Grund, warum die rechtsverbindliche (notariell beurkundete) Adoptionseinwilligung nicht vor Ablauf von acht Wochen nach der Geburt des Kindes möglich ist: Die abgebenden Eltern werden so vor Kurzschlusshandlungen geschützt, die womög57 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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lich nur auf einen Affekt in der aktuellen Krisensituation, die durch die Geburt des Kindes eingetreten ist, zurückgehen. Das Konstrukt der Leihmutterschaft kennt solche Vorkehrungen nicht. Damit fällt das ethische Urteil über die Leihmutterschaft, die stets auf Vereinbarung der Beteiligten hin geschieht, durchgängig negativ aus, allerdings nicht aus prinzipiellen, sondern aus Gründen der Verfahrensgerechtigkeit. Man kann die Leihmutterschaft verfahrenstheoretisch selbst im besten denkbaren Fall nicht mit dem Argument rechtfertigen, dass sie allseits auf freiwilliger Übereinkunft beruhe. Ihr Verbot besteht in den deutschen Gesetzen ethisch zu Recht.
1.7.4 Embryonenadoption Die Untauglichkeit des liberalen Kontraktualismus für Situationen von der Qualität existentieller Konflikte ist für einen weiteren reproduktionstechnologischen Vergleichspunkt der Adoption von Belang. Die Rede ist von der sog. Embryonenadoption, die auch als Embryonenspende bezeichnet wird. Das begriffliche Schwanken weist bereits auf die ethische Problematik dieser Technologie hin, die bei Schaffung des ESchG noch weitgehend unbekannt war. In der Sache handelt es sich bei den zu adoptierenden oder zu spendenden Embryonen um Überbleibsel aus IVF/ICSI-Prozeduren (»überzählige Embryonen«), die von den Paaren, aus deren Gameten sie entstanden sind, nicht mehr benötigt oder verwendet werden, meist weil deren Familienplanung abgeschlossen ist. Ein solches Überbleibsel wird bei der Embryonenadoption oder -spende einem anderen fortpflanzungswilligen Paar, das in der Regel ungewollt kinderlos sein wird, überlassen und der Frau wie bei IVF in die Gebärmutter zur Austragung der Schwangerschaft eingesetzt. Die annehmende Mutter ist in diesem Fall die biologische und soziale, aber nicht die genetische Mutter des Kindes, während der annehmende Vater einem Adoptivvater bei Fremdadoption gleicht. Schätzungen gehen von unter 20 Geburten aus, die in Deutschland auf diesem Wege erfolgt sind – bei einer allerdings über tausendmal höheren Zahl von Einheiten, die aus abgeschlossenen IVF-Prozeduren in Deutschland theoretisch für das Verfahren in Betracht kommen. 62 Der Transfer eines überzähligen Embryos nach abgeschlossener IVF auf eine andere Frau ist m. E. selbst nach dem international konkurrenzlos restriktiven ESchG nicht unmöglich, was vielleicht daran 58 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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liegt, dass bei dessen Schaffung die ideelle (aber irrige) Annahme zugrunde lag, es würden (wie in § 1 Abs. 1 Ziff. 3 ESchG grundsätzlich verlangt) tatsächlich immer alle bei einem IVF-Paar erzeugten Embryonen der betreffenden Frau auch eingesetzt. Neben verfahrensmäßigen Gründen für die Abweichung von dieser Norm 63 ist zu beachten, dass das fragliche Gametenmaterial bei der Embryonenadoption oder -spende in den meisten Fällen nicht aus einem Embryo besteht, sondern aus einer mit den männlichen Samen imprägnierten Eizelle, die zwar das verschmelzungsfähige genetische Material beider genetischen Elternteile enthält, aber mittels Tiefkühlung in flüssigem Stickstoff in einem Stadium konserviert wurde (sog. Kryokonservierung), in dem es sich biologisch nicht mehr um eine Eizelle und noch nicht um einen Embryo im Sinne der Definitionen des § 8 ESchG handelt. 64 Die Implantierung solch einer »imprägnierten Eizelle« bei einer anderen Frau als derjenigen, von der sie genetisch stammt, wäre als (genetisch-biologisch) gespaltene Mutterschaft nach ESchG verboten, wenn es sich nicht um bereits vorliegendes Material handelte; denn der Wortlaut des ESchG verbietet zwar die Erzeugung von Embryonen zu diesem fremdnützigen Zweck, nicht aber die Verwendung bestehenden Materials. Auf diese Feinheit stützt sich das Rechtsgutachten der Juraprofessorin M. Frommel, auf das sich der 2013 in Bayern gegründete Verein »Netzwerk Embryonenspende« beruft. 65 Der Deutsche Ethikrat hingegen hält in seiner Stellungnahme vom März 2016 die Verwendung solch imprägnierter Eizellen (die er »Vorkernstadien« nennt) für klar rechtswidrig. 66 Die Embryonenadoption oder -spende bewegt sich also in einer vom ESchG mehr oder minder offen gelassenen Grauzone mutmaßlicher Legalität, die vom »Netzwerk Embryonenspende« in Kooperation mit mehreren reproduktionsmedizinischen Zentren genutzt wird. Ob das am 20. 03. 2018 gefällte Urteil des Amtsgerichts Dillingen, wonach der Auftauvorgang der kryokonservierten imprägnierten Eizelle als Neustart eines Befruchtungsvorgangs und damit als geplante Erzeugung eines Embryos zum Zwecke der verbotenen Fremdimplantierung zu interpretieren ist, Bestand haben wird, bleibt angesichts der schon begrifflich m. E. fragwürdigen Begründung, die offensichtliche Wiederaufnahme als Neustart auffasst, abzuwarten. 67 Solange das Urteil aber in Kraft bleibt, ist die Embryonenspende in Deutschland verboten – nicht kraft Gesetzes, sondern durch Gerichtsbeschluss. Tatsächlich zeigen sich die ethischen Probleme der Embryonenadoption an der begrifflichen Oberfläche, allerdings an anderer Stelle 59 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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als vom Amtsgericht Dillingen unterstellt. Weder der Begriff der Spende noch der Adoption beschreibt die geschilderte Prozedur treffend. Der stets altruistische Begriff der Spende setzt neben der freien Verfügungsmöglichkeit des Spenders über die zu leistende Spende voraus, dass diese von einem gewissen intrinsischen Wert für den Spender ist, also nicht »from our disposables«, sondern »from our substance« kommt, wie D. P. Andrews sich ausdrückt. 68 Die Embryonenspende kann nicht beide Bedingungen gleichzeitig erfüllen, denn über die imprägnierte Eizelle können nur ihre genetischen Urheber gemeinsam verfügen; das aber werden sie bei einer Embryonenspende erst tun, wenn ihre eigene Familienplanung abgeschlossen ist und eine Einsetzung in die Gebärmutter der Frau (die dieser dann die alleinige Verfügungsgewalt gäbe) nicht mehr bevorsteht. In diesem Augenblick aber ist der intrinsische Wert der »überzähligen Embryonen« für das abgebende Paar hinfällig; es handelt sich nicht mehr um eine Spende im ethischen Sinne des Wortes. Der alternative Begriff der Adoption steht mit Blick auf »imprägnierte Eizellen« vor kaum geringeren Problemen, weil die Embryonenadoption anders als alle anderen Adoptivformen keine reaktive, sondern eine proaktive Handlungsweise ist, mit der ein Kind adoptiert wird, das noch gar nicht geboren ist, das vielmehr von der Frau, die seine Adoptivmutter werden soll, selbst ausgetragen wird. Ein solcher Vorgang kann nur mit deutlicher Sinnverschiebung als Adoption bezeichnet werden. Wenn ich im Folgenden dennoch von Embryonenadoption spreche, dann deshalb, weil der in Deutschland derzeit einzige Träger dieser Praxis, nämlich das erwähnte »Netzwerk Embryonenspende«, sich selbst ungeachtet seines Namens am ehesten mit der Adoptionspraxis vergleicht. 69 Dabei ist aufschlussreich zu sehen, dass die in Deutschland noch sehr junge Geschichte der Embryonenadoption in dieser ethischen Verfahrensfrage mit den Verfahrensstandards, die in der Adoption über einen längeren Zeitraum im Interesse des Kindeswohls entwickelt worden sind, quasi im Zeitraffer konfrontiert wird – und zu durchaus anderen ethischen Einschätzungen gelangt. Die vom Verein »Netzwerk Embryonenspende« als Gutachterin herangezogene Juraprofessorin beispielsweise argumentiert in ihren sonstigen Beiträgen für das Netzwerk vorrangig vom Standpunkt der Reproduktionsautonomie aus; 70 Kindeswohlaspekte finden sich in der Selbstdarstellung des Netzwerkes am ehesten noch im Argument der Lebensrettung, das vom Vorstand des Vereins gegen die Verwerfung 60 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Gespaltene Elternschaft in reproduktionstechnologischen Verfahren
der imprägnierten Eizellen ins Feld geführt wird. 71 Hingegen werden Aspekte, die für das Wohlergehen von Kindern aus Embryonenadoption in Analogie zu den in Kap. 1.3 erwähnten Befähigungen wichtig werden, ausgeklammert oder gezielt ausgeschlossen. Das »Netzwerk Embryonenspende« geht z. B. in seiner Verfahrensbeschreibung von einer »strikte« einzuhaltenden »Anonymität« der Spender aus 72 und sieht in der Tatsache, dass dann die Problemlagen abgebender Eltern im Verfahren der Embryonenadoption keine Entsprechung haben, weil die soziale Mutter das Kind ja selbst austrägt, ein positives Alleinstellungsmerkmal der Embryonenadoption gegenüber der herkömmlichen Adoption. 73 D. h. die besondere Herkunft des Kindes und die Tatsache der geteilten genetischen und biologischen Elternschaft werden gezielt ausgeblendet; vielmehr wird suggeriert, dass die Herkunftsgeschichte der embryonenadoptierten Kinder der eines leiblichen Kindes gleichartig sei. Damit werden Ausgangstatbestände, die für die Identitätsbildung des Kindes und sein persönliches Lebensnarrativ und auch juristisch im Sinne des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung wichtig sind, vernachlässigt. Die Embryonenadoption, wie sie sich in der Selbstdarstellung des »Netzwerks Embryonenspende« präsentiert, übergeht ethische Standards, die in anderen alternativen Familienformen, insbesondere der Adoption, über längere Zeiträume hinweg entwickelt wurden, und zeigt sich damit als nicht vorzugswürdige Praxis. Freilich hat keiner der genannten Mängel juristische Signifikanz; es gibt aus ethischer Perspektive keinen Grund, die Embryonenadoption a limine zu verbieten, wie es das Amtsgericht Dillingen nun unternommen hat. Die Probleme betreffen das Verfahren der Durchführung, wo insbesondere die Standards zu implementieren wären, die auf dem Gebiet der regulären Adoption längst zur Verfügung stehen: also neben der vorlaufenden psychosozialen Beratung aller Beteiligten (nicht nur der Annehmenden) insbesondere die verfügbaren Maßnahmen im Interesse des Kindeswohls wie in Kap. 1.3 beschrieben. Dass ein solcher Lernprozess möglich ist, bei dem neue Familienformen von historisch älteren Normvarianten profitieren, zeigt das Beispiel der Samenspende, die im Zuge der öffentlichen Debatte um DI zur Abkehr von früheren Anonymitätszusagen an die Spender und zu einer Kindeswohlsensibilität gefunden hat. Ähnliches dürfte für die Embryonenadoption unumgänglich sein. Hinzu kommt, dass die derzeitige Praxis rein kontraktualistisch geregelt ist, indem Annehmende einen Vertrag mit einem Kinder61 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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wunschzentrum schließen. Zwar ist auch das ›nur‹ eine Verfahrensfrage, doch zeigte die Diskussion um die Leihmutterschaft, dass Verfahrensprobleme durchaus ein generelles Verbot einer bestimmten Reproduktionstechnologie ethisch legitimieren können. Auch im Falle der Embryonenadoption erscheint es als denkbar, dass Beteiligte – und zwar hier eher die annehmenden als die abgebenden Eltern – aus einer existentiellen Konfliktlage (aufgrund des Leidensdrucks durch die ungewollte Kinderlosigkeit) heraus handeln, in der es im Eigeninteresse der Beteiligten geboten ist, jeder Nutzung der Reproduktionstechnologie eine psychosoziale Beratung voranzustellen, wie sie bei IVF/ICSI und Adoption obligat ist; bei der Adoption unterliegt die Trägerschaft dieser Beratung der Überwachung durch die öffentliche Hand und kann nur von staatlichen oder staatlich anerkannten Vermittlungsstellen vorgenommen werden. Das unterstreicht das Gewicht der ethischen Güter und den Belastungsdruck der Beteiligten, die hierbei auf dem Spiel stehen; immerhin geht es bei einer Adoption nicht nur um die Bewältigung existentieller Krisen der abgebenden und der annehmenden Eltern, sondern auch und vor allem um das Kind, das der Mittelpunkt jeder Adoptionspraxis ist. Eine Embryonenadoption mag ein geringeres psychosoziales Belastungspotenzial aufweisen; es ist aber doch so erheblich, dass eine einfach kontraktualistische Gestaltung des Vorgangs, die jederzeitige Selbstbestimmung der Beteiligten unterstellt, nicht ausreicht. Deshalb wäre auch für eine Embryonenadoption zu fordern, dass eine mögliche Vermittlung dieser vorgeburtlichen Adoptionen denselben Beratungsstandards unterworfen wird wie die nachgeburtliche Adoption. 74 Das würde als ersten Schritt verlangen, die Illusion aufzugeben, wonach die Embryonenadoption, weil die Mutter das adoptierte Kind ja austrägt, eine ganz gewöhnliche leibliche Elternschaft ist. Das »Netzwerk Embryonenspende« wirbt geradezu mit diesem Umstand, aber auch der Deutsche Ethikrat lässt keinerlei Bewusstsein dafür erkennen, welche Bedeutung die genetischen Eltern über eine bloße »Aufklärung« oder »Information« im Rahmen eines informationellen Selbstbestimmungsrechts hinaus für die Lebensgeschichte der Kinder haben können. 75 Weitere Schritte würden die Beantwortung der schwierigen Frage erfordern, wie eine Freigabe zur Embryonenadoption gestaltet werden kann, wenn die reguläre Adoption als Analogie immer nur nachgeburtlich und zum Schutz der Abgebenden unter Wahrung der Acht-Wochen-Frist möglich ist. Bei der aktuellen Rechtslage, die die Embryonenadoption einstweilen für verboten erklärt hat, ist freilich 62 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Ergebnisse und Weiterführung
kaum abzusehen, wie auch nur das nötige Klima für ein solches Umdenken geschaffen werden sollte. Mag man dies dem »Netzwerk Embryonenspende« und seinem Engagement auch kaum anlasten, weil es sich hier ja um einen Akteur auf diesem brisanten Feld handelt, so ist es doch ethisch gesehen enttäuschend, dass der zur sachlichen Expertise verpflichtete Deutsche Ethikrat sich bei seiner Gegenüberstellung von Embryonenadoption und nachgeburtlicher Adoption ebenfalls etliche klischeehafte Beobachtungen leistet. 76
1.8 Ergebnisse und Weiterführung Im Rückblick auf einige Normvarianten familiären Lebens und die verstärkt in ihrem Kontext relevanten Reproduktionstechnologien ergibt sich ein aufschlussreiches Gesamtbild von der Stellung der Adoption im Orientierungsraum Familie. Die Familie besitzt in der freiheitlichen Demokratie einen besonderen sozialphilosophischen Stellenwert als ethischer Orientierungsraum, der jeder rechtlichen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens vorausgeht. Als intergenerationelle Lebensform bringen Familien besonders durch die Erziehung von Kindern Befähigungen hervor, die für die Identität einer erzählbaren Lebensgeschichte von Individuen und damit für jeden sozialen Zusammenhalt unverzichtbar sind. Diese Orientierungsleistung wird gerade an ausnahmehaften Familienformen, in denen sie nicht in der bloßen Weitergabe traditioneller Werte bestehen kann, deutlich. Diese Ausnahmen sind deshalb nicht einfach als Abweichungen von einer postulierten Regelgestalt der gegengeschlechtlichen Ehe mit Kindern anzusehen, sondern stellen Normvarianten dar, die dasjenige, was sozialphilosophisch und ethisch von der Familie auszusagen ist, in derselben Weise erfüllen wie die Mehrheitsgestalt von Familie. Unter diesen Normvarianten sind diejenigen von besonderem ethischen Interesse, in denen – wie in Adoptiv- und Regenbogenfamilie – Elternschaft in Form einer Aufteilung (›Spaltung‹) ihrer verschiedenen (genetischen, biologischen, sozialen und rechtlichen) Aspekte realisiert ist. Bei deren ethischer Betrachtung ergibt sich das Folgende. Die Adoption, die gerade keine Reproduktionstechnologie, sondern eine soziale Praxis ist, hat über einen langen Zeitraum hinweg ethische Standards im Umgang mit den besonderen Elternschaftskonstellationen entwickelt, in denen Kinder unter den Bedingungen 63 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die Adoption im Orientierungsraum Familie
dieser Normvarianten familiären Lebens aufwachsen. Sie wurden in Kap. 1.3 anhand der Stichworte der Offenheit, der systemischen Narration und der Wurzelsuche entfaltet. Diese ethischen Standards oder »Befähigungen« erscheinen als geeignet, zwischen »nature« und »nurture«, zwischen Herkunfts- und Aufnahmekontext von (adoptierten) Kindern eine adäquate Balance herzustellen. Generell ist bei der ethischen Beurteilung gespaltener Elternschaft, die nicht nur in der Adoptiv-, sondern z. B. auch der Regenbogenfamilie regelmäßig gegeben ist, in analoger Weise eine prinzipielle Spannung zwischen Reproduktionsautonomie und Kindeswohlorientierung zu beobachten, die sich nicht auf der Ebene der Prinzipien auflösen lässt, sondern erst beim Blick auf die reproduktionstechnologischen Verfahren, die jeweils zur Entstehung gespaltener Elternschaft führen. Erst dann zeigt sich, dass alle reproduktionstechnologischen Verfahren Anteile von Konfliktbewältigung einschließen, die von der ungewollten Kinderlosigkeit der Paare, die Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen, über die Interessenkonflikte von Gametenspendern, die altruistisch und zugleich im Eigeninteresse (z. B. Interesse der Haftungsfreiheit bei Samenspendern) handeln, bis hin zu den existentiellen Notlagen von Leihmüttern reichen, die ein von ihnen geborenes Kind nicht abzugeben vermögen. Reproduktionsautonomie und Kindeswohlorientierung können zwar als familienethische Prinzipien aufgefasst werden, mit denen sich – meist mehr im politischen Diskurs als in konkreten ethischen Entscheidungssituationen – Maximalforderungen wie das »Recht auf ein eigenes Kind« (Reproduktionsautonomie) oder sog. Beststandards kindlichen Gedeihens (Kindeswohlorientierung) fordern lassen; in den genannten Konfliktsituationen aber verlieren sie ihre prinzipielle Bedeutung. Ihre liberale Voraussetzung, dass Menschen in familienethischen Entscheidungen in selbstbestimmter Handlungsfreiheit agieren, büßt an Plausibilität ein, wenn die Akteure einer Embryonenadoption oder Leihmutterschaft aus einer existentiellen Konfliktlage heraus handeln. In diesem Fall sind nachgeordnete ethische Standards erforderlich, die z. B. die Betroffenen vor Affekthandlungen schützen oder ihnen Berater und Sachwalter an die Seite stellen. Die vorlaufende psychosoziale Beratung im reproduktionstechnologischen Kontext ist das vielleicht wichtigste und zugleich alltägliche Beispiel solch zusätzlicher Standards, die bei der Regelfamilie nicht aufzutreten pflegen, bei Konstellationen gespaltener Elternschaft aber unverzichtbar erscheinen. Gehäuft und intensiv begegnen solche zusätzlichen Stan64 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Ergebnisse und Weiterführung
dards im Zusammenhang der Adoption: beispielsweise die AchtWochen-Frist, die abgebende Mütter vor Kurzschlussreaktionen bewahren soll, oder die obligate Einschaltung einer Adoptionsvermittlungsstelle, die eine professionelle Entlastung aller Beteiligten von ihrer existentiellen Beanspruchung verspricht. Gewiss verlangen nicht alle Formen gespaltener Elternschaft dieselbe Intensität derartiger Maßnahmen, aber es fällt auf, dass auch die Standards der Offenheit, der systemischen Narration und der Wurzelsuche, die in Kap. 1.3 entwickelt wurden, als Interventionen zur Bewältigung von Konflikten, die jeweils in der gespaltenen Elternschaft wurzeln, angesehen werden können. Familienethik unter den Bedingungen gespaltener Elternschaft ist insofern eine interventionistische Ethik, als sie mit dem Eingreifen professioneller Unbeteiligter in den grundsätzlich privaten Raum der Familienethik rechnet, um diesem angesichts bestimmter Konflikte die Wahrnehmung der sozialphilosophischen Orientierungsfunktion zu erleichtern, die der Familie in einer freiheitlichen Demokratie zuerkannt wird. Der Grad des Interventionismus kann bis zur staatlichen Ebene reichen wie im Falle der Adoption, die staatlich anerkannte Vermittlungsstellen verlangt, und kann sich im benachbarten Themenfeld der Pflege auch auf die Wahrnehmung des sog. Wächteramtes erstrecken, bei der z. B. im Zuge einer Inobhutnahme gefährdeter Kinder gegen den Willen der Familie gehandelt werden kann – in den allermeisten Fällen aber ist die Intervention weit niederschwelliger und konkretisiert sich in einer professionalisierten Beratung wie etwa bei IVF/ICSI oder DI. Ethisch entscheidend ist, dass das interventionistische Element unabhängig vom Grad seiner Ausprägung der strikt liberalen Ausgestaltung der Familienethik auf der Basis eines reinen Kontraktualismus korrigierend entgegenwirkt. Wer an einer Adoption beteiligt ist, ein reproduktionstechnologisches Verfahren durchläuft oder einen Schwangerschaftskonflikt erlebt, gerät leicht in Ausnahmesituationen, angesichts derer es unverantwortlich gegenüber den Betroffenen wäre, ihnen wie selbstverständlich freie Selbstbestimmung in dem Sinne zu unterstellen, dass sie zu jedem Zeitpunkt alle Folgen ihres Handelns überblicken könnten. Offensichtlich ist mit diesen Überlegungen in keiner Weise einer Bevormundung von Familien in den allerprivatesten Dingen ihres Lebens das Wort geredet. In den beschriebenen familienethischen Situationen tritt Interventionismus wie erwähnt in der Gestalt obligater Beratung auf und ist dann keine Beschneidung der Handlungs65 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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freiheit der Betroffenen, sondern ein Gebot der Fürsorge an ihnen zur (Wieder-)Gewährleistung der Handlungsfreiheit. Die familienethische Konstellation gespaltener Elternschaft, die bei Adoptiv- und Regenbogenfamilien regelmäßig auftritt, nötigt somit zur wenigstens teilweisen Revision des reproduktionstechnologischen Kontraktualismus, der auf selbstbestimmte Handlungsfreiheit in dem hier problematisierten Sinne angewiesen ist. Was aber folgt für die Familienethik allgemein aus einer solchen Kontraktualismuskritik, wenn diese am Spezialfall der gespaltenen Elternschaft gewonnen wurde? Hierauf ist zum Abschluss dieses Kapitels eine doppelte Antwort zu geben. Einerseits ist der Grad des Interventionismus, wie erwähnt, variabel; Konstellationen gespaltener Elternschaft bei einer (halboffenen) Adoption, wo die abgebenden Eltern im Verfahren leibhaftig präsent und persönlich beteiligt sind, werden in der Regel intensivere Beratung erforderlich machen als im reproduktionstechnologischen Kontext der DI-Behandlung einer lesbischen Regenbogenfamilie, wo der beteiligte Spendervater vorläufig virtuell bleibt. Insofern wird man nicht davon ausgehen, dass sich aus der obligaten Beratung bei der Adoption derselbe Beratungsbedarf für alle denkbaren Elternschaftskonstellationen ergibt. Gespaltene Elternschaft tritt auch im Kontext von Trennung und Scheidung auf, wenn nach Eingehen einer neuen Beziehung der Umgang des Kindes mit dem anderen leiblichen Elternteil zu regeln ist, ohne dass es immer einer Intervention (etwa durch das Familiengericht) bedürfte. Vollends wird man Familien mit kongruenter Elternschaft keine obligate Beratung abverlangen können, nur weil diese im Falle der Adoptivfamilie angezeigt ist. In all diesen Hinsichten ist Beratung eine Intervention für besondere Fälle. Andererseits wurde (in Kap. 1.4 und 1.5) bereits darauf hingewiesen, dass erstens die kongruente Elternschaft als solche kein familienethisches Qualitätsmerkmal ist und zweitens Adoptiv- und Regenbogenfamilie als Normvarianten familiären Lebens durchaus gewisse Orientierung auch für andere Familienformen bieten können. Wir konnten uns in Kap. 1.7 davon überzeugen, dass die Standards der Adoption auf andere Formen gespaltener Elternschaft angewandt werden können und sollten – bei der DI ist dies in den letzten Jahren bereits durch die Aufgabe der Spenderanonymität analog zur halboffenen Adoption geschehen. Die Embryonenadoption sollte, wenn sie denn in die Legalität zurückzukehren vermag, diesen Schritt ebenfalls vollziehen und die konzeptionelle Konfrontation mit der 66 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Ergebnisse und Weiterführung
Adoption fallen lassen. Die derzeit beim Bundesjustizministerium laufende Revision des Familienrechts rechnet durchaus grundsätzlich mit der Möglichkeit, bei allfälligen Regulierungen von Eltern-KindVerhältnissen neben dem Abstammungsrecht in bestimmten Konstellationen künftig vielmehr verstärkt das Adoptionsrecht in Anschlag zu bringen. 77 Es geht bei einer Übertragung von Adoptionsstandards auf andere familienethische Normvarianten freilich weniger um eine juristische Regulierung mit Zwangscharakter als vielmehr um eine ethische Orientierung. Sie geschieht, wie schon mehrfach angedeutet, vorrangig durch Beratung. Offenheit, systemische Narration und Wurzelsuche sind Maßnahmen, die bei der Adoption im Interesse des Kindeswohls ergriffen werden, um dem Kind die Identität einer von ihrer ersten Herkunft an erzählbaren Lebensgeschichte zu gewähren – das aber ist eine familienethische Befähigung, die völlig unabhängig vom Problem gespaltener Elternschaft in allen Familienformen erstrebenswert ist. Kundig in der familiären Bildung solch einer kindlichen Identität zu sein, ist ein Ziel, das Familien jeglicher Ausprägung verfolgen sollten. Allerdings lässt sich dieses Ziel, weil es originär zum vorrechtlichen Orientierungsraum Familie gehört, nicht mit rechtlich sanktioniertem Druck durchsetzen, sondern eben nur auf beratende Weise. Die Adoption, in deren familienethischer Sondersituation solche Beratung auch rechtlich verankert ist, erreicht hier zugleich eine Auswirkung auf den generellen Orientierungsraum Familie, doch ist diese Auswirkung selbst nicht rechtlicher Natur. Sie betrifft den tieferen Sinn der Adoption und damit einen Bereich, dem sich das folgende Kapitel unter theologischer Perspektive widmet – ist doch die Theologie als wissenschaftliche Reflexion von Religion diejenige Disziplin, die ihrer besonderen Qualifikation nach mit umfassenden Sinnzusammenhängen beschäftigt ist.
67 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
2. Der tiefere Sinn der Adoption
Wir haben im vorigen Kapitel den sozialphilosophischen Stellenwert der Adoption im Orientierungsraum Familie erörtert und sind auf Befähigungen gestoßen, die eine gelingende Adoption ermöglichen. Die Frage, worin dieses Gelingen beruht, wurde dabei nicht eigens erörtert. Sie stellt sich aber unausweichlich, wenn vom Sinn der Adoption die Rede ist. Die Ausführungen in diesem Kapitel werden darum in ihrem ersten Schritt einige Gesichtspunkte aus Kap. 1 in variierter Form aufgreifen, um in dieser Variation die Rede vom »Sinn der Adoption« in ihrer differenzierten Bedeutungsvielfalt darzulegen (2.1). Erst auf diesem Hintergrund lassen sich zwei grundsätzliche Möglichkeiten unterscheiden, wie ein tieferer, womöglich spezifisch religiöser Sinn von Adoption auf die soziale Praxis der Adoption bezogen werden kann, nämlich zum einen direkter und zum anderen indirekter Art (2.2).
2.1 Warum überhaupt nach dem Sinn der Adoption fragen? Bei der Vorstellung des theoretischen Rahmens, in dem die Adoption steht, wurde im zurückliegenden Kapitel deutlich, dass sie trotz ihrer gegenüber anderen Familienformen stärkeren gesetzlichen Reglementierung in erster Linie kein juristisches Phänomen ist, sondern eine soziale Praxis. Adoptionen gehören, wenn auch als vergleichsweise seltenes Phänomen, zur Wirklichkeit familialen Lebens in vielen Kulturen. Sie begründen immer einen familiären Zusammenhang zwischen dem Kind und den Annehmenden, und Familien genießen in der Gesellschaft unseres Landes wie in seiner Rechtsordnung ein hohes Sozialprestige, weil sie durch die Erziehung von Kindern die Orientierungen tradieren und praktizieren, die für den Zusammenhalt einer Gesellschaft unverzichtbar sind. Der besondere verfassungsrechtliche Schutz der Familie in Deutschland (Art. 6 GG) markiert die rechtliche Anerkennung ihrer herausragenden Bedeutung 68 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Warum überhaupt nach dem Sinn der Adoption fragen?
als fundamentaler Orientierungsraum und ist nicht etwa umgekehrt die Voraussetzung für diese Bedeutung. Die Zuordnung zur Sphäre von Familie und Erziehung beantwortet die Frage nach dem Sinn der Adoption aber noch nicht. In Gegenteil stellt sie sich nun sogar in der zugespitzten Form, welchen Sinn die Frage nach dem »Sinn der Adoption« überhaupt haben soll. Anscheinend liegt dieser Sinn doch klar zutage: Jede Adoption (außer der in unserem Zusammenhang gegenstandslosen Adoption Volljähriger, die traditionell der Sicherung einer Erbfolge dient) trägt ihren Sinn in sich selbst, weil das adoptierte Kind mit seinem Wohlergehen ihr einziger Zweck ist. Das ist juristisch anerkannt und kodifiziert im Begriff des Kindeswohls, dem alle Adoptionspraxis dienen und der alles Adoptionshandeln anleiten muss. Jeder Sinn der Adoption, übrigens auch jeder mögliche religiöse Sinn, der am Kind selbst vorbei- oder darüber hinausgeht, läuft Gefahr, die Orientierung am Kindeswohl preiszugeben, welch hochstehende Zwecke er auch immer verfolgen mag. Dieser scheinbar klare Sachverhalt wird dadurch kompliziert, dass gerade der Orientierungsraum Familie, dem wir im vorigen Kapitel großen Stellenwert für die Ethik der Adoption gegeben haben, mit dem Wohl des Kindes in Konflikt geraten kann. Das gilt nicht erst bei einer Herausnahme des Kindes aus seiner Ursprungsfamilie, wenn Gefahren durch Vernachlässigung oder Gewalt von der Familie bzw. den Eltern selbst ausgehen. In einem weniger handgreiflichen, aber umso grundlegenderen Sinn drohen Konflikte schon dann, wenn der Orientierungsraum Familie und das Wohl des Kindes gleichermaßen prinzipiell als Ausgangspunkt für die ethische Argumentation beansprucht werden. Adoptionen sind in öffentlicher Perspektive wie ein Instrument der Kinder- und Jugendhilfe, schaffen aber unbestreitbarerweise auch neue Familienkonstellationen, was aus der Privatsicht der Beteiligten im Vordergrund stehen dürfte. In diesem Gegenüber von Kind und Familie können wir schon deshalb keine prinzipielle Entscheidung treffen, weil eine Ethik der Adoption offensichtlich ein Stück Anwendungsethik darstellt und als solche nicht prinzipienethisch durchgeführt werden kann. 78 Wenn es aber ums Prinzip geht – was auf Deutsch ja nur heißt: um den Anfang –, verhalten sich die beiden genannten Kandidaten zueinander wie Henne und Ei. Zwar machen erst Kinder eine Familie zur solchen, die Familie ist aber als Orientierungsraum das Netz und Nest, aus dem Kinder hervorgehen. 69 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Der tiefere Sinn der Adoption
Diese Konkurrenz um den Anfang zeigt sich im Vorgang einer jeden Adoption, wenn man deren Anfang zu bestimmen versucht. Er liegt mit Sicherheit vor der Platzierung des Kindes in der Adoptivfamilie, denn diesem Ereignis gehen einerseits eine lange Beschäftigung der Adoptionsbewerber mit dem Thema und andererseits die Herkunftsgeschichte des Kindes in der abgebenden Familie voraus. Außer bei den ethisch vergleichsweise unkomplizierten Stiefkindadoptionen, bei denen ein Partner das Kind seines Partners aus früherer Verbindung adoptiert, 79 kennen Adoptierende das Kind, dessen Wohl die Adoption dienen soll, noch gar nicht, wenn es ihnen zu Beginn des Adoptionsverfahrens vermittelt wird. Sie können also nicht von Anfang an im besten Interesse genau dieses Kindes handeln, und für sie kann nicht dieses bestimmte Kind der Anfang des Adoptionsgeschehens sein, in dessen Zentrum es dann stehen soll. Dem entspricht auf juristischer Seite, dass das Kindeswohl ein sog. unbestimmter Rechtsbegriff ist, der für seine Realisierung keiner bestimmten Familie oder Familienform den Vorzug gibt. Dass der einzige Sinn der Adoption das adoptierte Kind selbst ist, wie es die Ausrichtung am Kindeswohl verlangt, kann von Adoptierenden nicht personalisiert (»genau dieses Kind«), sondern nur altruistisch (»jedes Kind, also auch dieses«) eingelöst werden und jedenfalls nicht ihre Motivlage wiedergeben, denn Eltern können sich nicht genau dieses Kind wünschen, das sie gar nicht kennen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine Paradoxie. Eltern können die unterschiedlichsten Motive haben, ein Kind allein um seiner selbst willen zu adoptieren. Der Altruismus – oder mit einem theologischen Begriff: die Nächstenliebe – ist nur eines der in der Praxis begegnenden Motive. Eltern werden auch dadurch zur Adoption motiviert, dass sie ihrer ungewollten Kinderlosigkeit ein Ende setzen oder ihre kriselnde Ehe kitten oder im Elterndasein ihr persönliches Glück finden wollen – um nur einige der in der Praxis begegnenden Motive zu nennen, 80 die übrigens auch in Kombination auftreten können. Zwischen dem stets gleichen, aber inhaltlich unbestimmten Worumwillen der Adoption (»Kindeswohl«) und den von Familie zu Familie wechselnden, konkreten Motiven für die Adoption ist also zu unterscheiden. Das ist ein erster Schritt zu einer ethischen Einschätzung der sozialen Praxis der Adoption. Nicht alle Adoptionsmotive erscheinen gleichermaßen vereinbar mit dem Kindeswohl. Eltern, die ein Kind als Kitt für die eigene Ehe adoptieren, handeln kaum im 70 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Warum überhaupt nach dem Sinn der Adoption fragen?
Interesse des Kindes. Freilich kann der hier bestehende Widerspruch den Eltern unbewusst bleiben. Er muss auch nicht ausschließender Natur sein. Das verbreitetste Adoptionsmotiv, die ungewollte Kinderlosigkeit, folgt zunächst den Bedürfnissen der annehmenden Eltern, die sich ein Kind wünschen, doch kann sich dieser Wunsch, sobald er sich verwirklicht, sehr wohl den Bedürfnissen des Kindes unterordnen, an dem sich die frisch gebackenen Eltern ganz und gar ausrichten. Umgekehrt können Herkunftseltern, die sich über die Unmöglichkeit, das Kind selbst aufzuziehen, im Klaren sind, entgegen einem verbreiteten Eindruck (»Rabeneltern«) mit der Freigabe zur Adoption vollauf den besten Interessen des Kindes dienen. Ob eine Adoption ihren einzigen Sinn, dass sie um des adoptierten Kindes willen geschieht, erfüllt, hängt also auch von den Motiven der – annehmend oder abgebend – an ihr Beteiligten ab. Zur Kindesannahme im Sinne des gerichtlichen Adoptionsbeschlusses muss die Annahme in dem weiteren Sinn hinzukommen, dass die Eltern das Kind in Kenntnis und Anerkenntnis seiner bleibend eigenen Herkunft als ihr eigenes bejahen und annehmen, obwohl es das dieser Herkunft nach nicht ist. Annahme in diesem zweiten Sinn ist umfassender als die gerichtlich bestätigte Adoption; sie schließt nicht nur die vielfältigen Tätigkeiten elterlicher Sorge für das Kind ein, sondern ist darüber hinaus die umfassende Integration des Kindes in den Orientierungsraum Familie, hängt aber von der Annahme in jenem ersten (juristischen) Sinn ab, da sie gleich ihr um des Kindes selbst willen geschieht. Was die Familie ist, in die das Kind integriert wird, orientiert sich also bereits an diesem Kind, noch ehe es in sie integriert ist. Das verlangt nicht die – wie erwähnt, in der Regel nicht gegebene – Kenntnis oder Bekanntschaft des Kindes, sondern richtet sich, dem vorgeordnet, auf ein verändertes und vertieftes Verständnis dessen, was Familie heißt. Die Familie bzw. die Aufnahme in ihren Orientierungsraum stellt dann keine »Stunde Null« in der Biographie des adoptierten Kindes dar, sondern ist ein Übergang von dem einen (abgebenden) Orientierungsraum in einen anderen, annehmenden Orientierungsraum. Orientiert sich die annehmende Familie in ihrem Verständnis dessen, was Familie ist und bedeutet, bereits vor der Adoption am anzunehmenden Kind, dann wird sie mit dem Kind auch dessen Herkunft in dem beschriebenen zweiten Sinn annehmen und in ihre eigene Auffassung von Familie aufnehmen. Sie wird den Übergang von dem abgebenden in den annehmenden Orientierungsraum so weich wie möglich gestalten. Allgemein gesprochen: Ein 71 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Der tiefere Sinn der Adoption
Kind zu adoptieren, begründet nicht nur einen familiären Zusammenhang, wie es bei der Geburt leiblicher Kinder auch der Fall wäre, sondern erweitert gleichzeitig den Begriff der Familie in einem über die leibliche Verwandtschaft der Generationen hinausgehenden Sinn. Der amerikanische Ethiker B. Waters spricht von einem »adoptiven Element«, das zu jeder Form der Eltern-Kind-Beziehung, also auch der leiblichen, hinzugehöre. 81 Man kann mit dem biblischen Römerbrief von einem regelrechten »Geist der Annahme« (»spirit of adoption«, Römerbrief 8,15) reden, der jegliche Form von Familie prägen soll. 82 Mit der Bioethikerin C. Wiesemann lässt sich »Vertrauen« 83 als die Substanz dieses »Geistes der Annahme« bestimmen. 84 ›Vertrauen‹ ist dabei nicht einfach mit ›Liebe‹ gleichzusetzen. Zwar enthält der Begriff der Liebe – nicht zuletzt als religiöser Begriff – fraglos wesentliche Anteile von Vertrauen, da insbesondere die Liebe unter Menschen als Vertrauensvorschuss in die Person des Anderen aufgefasst werden kann. Er enthält aber darüber hinaus auch eine Menge anderer Merkmale von der diakonisch-karitativ tätigen bis zu der im Gefühl empfundenen und der körperlich praktizierten, sexuellen Liebe; diese Vieldeutigkeit des Begriffs steht der konkreten Näherbestimmung, die für die Ermittlung eines tieferen Sinns der Adoption wesentlich wäre, im Wege. Aus diesem – vorrangig methodischen – Grund beziehe ich mich hier nicht auf den Liebesbegriff, sondern spreche von Vertrauen und Annahme. Die soziale Praxis der Adoption erweitert durch diesen Geist der Annahme den Sinn von Familie überhaupt. 85 Der Begriff bezeichnet eine auf dem Zusammenleben von Eltern und Kindern basierende Lebensform, die ihren Angehörigen als umfassender intergenerationeller Praxis- und Orientierungsraum unabhängig von allen öffentlichen Institutionen dient. Sie wird nicht ausschließlich durch verwandtschaftliche Bezüge konstituiert, sondern durch das unter ihren Angehörigen praktizierte Vertrauen im Geist der Annahme, der ihre Orientierungsleistung ausmacht. Dieser erweiterte Sinn von Familie ist der »Sinn der Adoption«, nach dem wir hier fragen. Ich fasse diese Ergebnisse zusammen und stelle sie in den größeren Rahmen einer ethischen Betrachtung der Adoption. Eine solche Betrachtung kann mit dem Prinzip des Kindeswohls und dem Orientierungsraum Familie unterschiedliche, ja gegenläufige Ansätze wählen, die miteinander in Konflikt geraten können. Dieser Konflikt lässt sich jedoch lösen, wenn die Situation von Adoptivkindern beispielund maßstabgebend für den Familienbegriff generell wird. Die De72 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Warum überhaupt nach dem Sinn der Adoption fragen?
finition der Familie wird so nicht auf verwandtschaftliche Bezüge eingeschränkt, ihre Orientierungsleistung hingegen über die alltagspraktische Sorge füreinander hinaus auf den Geist der Annahme ausgedehnt. Er ist nach der zitierten Äußerung von Waters ethisch ausschlaggebend für gelingende Orientierung in leiblichen wie in Adoptivfamilien. Der Begriff der Adoption bekommt hier einen doppelten Sinn. Er bezeichnet einerseits den Vorgang der Kindesannahme, der speziell auf adoptive Familienzusammenhänge bezogen ist, andererseits die vertrauensvolle Praktizierung des »Geistes der Annahme«, die in leiblichen wie nichtleiblichen Familien geschieht. Die Adoption in jenem ersten Sinn kann und muss rechtlich geregelt werden; in ihrem zweiten Sinn ist sie rechtlicher Regelung zwar zugänglich, doch nur in kritischem Sinn. Für die Adoption können Ausschlusskriterien wie etwa problematische Adoptionsmotive angegeben werden, die dem Geist der Annahme widersprechen, weil sie mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar sind, um dessentwillen alles Adoptionshandeln geschieht. Eine positive Bestimmung des Geistes der Annahme fällt deutlich schwerer, wenn sie wie die Negativbestimmungen ebenso als Entscheidungskriterium soll dienen können. Der schon gegebene Hinweis auf das Vertrauen als Substanz dieser Annahme eignet sich nicht als solches Kriterium. Dennoch ist Adoption, verstanden als »Geist der Annahme«, mehr als eine allgemeine Haltung oder folgenlose Gesinnung; sie ist im negativen wie im positiven Sinne eine Konkretion des Kindeswohls. Dieser Konkretion sollen die weiteren Überlegungen dieses Kapitels dienen. Der Geist der Annahme gibt grundsätzlich an, was – adoptierenden oder leiblichen – Eltern erlaubt, ihr Kind in umfassender Weise anzunehmen und ihm Vertrauen in dem doppelten Sinn zu schenken, dass sie es ihm entgegenbringen und es selbst dazu erziehen. Der alleinige, rechtlich aber unbestimmte Sinn der Adoption, dass sie dem Kindeswohl dient, wird durch die Gründe bestimmt, die Eltern diese vertrauensvolle Annahme ihres Kindes ermöglichen. Diese Frage nach den Gründen, auf und in denen eine gelingende Adoption beruht, unterscheidet die folgenden Überlegungen von Kap. 1.3, wo es um die Inhalte solchen Gelingens ging. Dieses wichtige erste Ergebnis lässt sich fortführen. Der Sinn der Adoption als Geist der Annahme tritt mit ihrem Worumwillen, dem Wohl des Kindes, nicht in Konkurrenz, sondern bestimmt es näher. Der Geist der Annahme ist also eine weitere, vertiefte Wortbedeu73 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Der tiefere Sinn der Adoption
tung des Ausdrucks »Adoption«. Wenn wir nach dem »Sinn der Adoption« fragen, sind nicht sog. Sinndeutungen oder Sinnstiftungen im Blick, die die Beteiligten dem Adoptionsgeschehen je nach ihren persönlichen Meinungen und Überzeugungen beilegen. Wir fragen nach dem »Sinn der Adoption«, um die Gründe zu ermitteln, die – leiblichen oder adoptiven – Eltern die ethisch umfassende Annahme ihrer Kinder ermöglichen. Diese Gründe sind im Folgenden darzulegen. An dieser Stelle des Buches kommt die mögliche religiöse Dimension des Adoptionsthemas zum Tragen und mit ihr die theologische Fachexpertise seines Autors. Doch auch damit sind keine spezifisch christlichen Sinndeutungen, die Anhängerinnen und Anhänger gerade dieser Religion der sozialen Praxis der Adoption geben, angestrebt, sondern die Auskunft darüber, was der Glaube dazu beiträgt, Eltern zu einer vertrauensvollen Annahme ihrer Kinder zu befähigen.
2.2 Direkte und indirekte religiöse Begründung Wir fragen nach dem »tieferen Sinn der Adoption« und blicken damit auch auf das christliche Verständnis dieser sozialen Praxis. Damit sind aber nicht die Maßgaben und moralischen Vorstellungen gemeint, die das Christentum seinen Anhängerinnen und Anhängern nahebringt oder abverlangt, wenn sie in der Lebensform der Adoptivfamilie leben. Zwar lassen sich mit einiger Wahrscheinlichkeit solche Vorstellungen für das Christentum wie für andere Religionen identifizieren auch miteinander ins Gespräch bringen. Ihre Ermittlung und selbst ihre Vergleichung bilden aber eine religionswissenschaftliche und nicht die ethische Aufgabe, der ich mich in diesem Buch widme. 86 Im Kontext einer ethischen Betrachtung der Adoption besteht ihr »Sinn« nach den bisherigen Überlegungen in den Gründen, die Eltern die umfassende und vertrauensvolle Annahme ihrer – leiblichen oder nichtleiblichen – Kinder ermöglichen. »Christlich« ist dieser Sinn, insofern diese Gründe im christlichen Glauben zu finden sind, sodass dieser einen Beitrag dazu leistet, Eltern zu einer solchen Annahme ihrer Kinder zu befähigen. Ob Eltern selbst christlich sind oder nicht, berührt den »christlichen Sinn« der Adoption nicht nachhaltig. Die folgenden Überlegungen stellen also keine religiöse »Klientelpolitik« dar, sondern sind ein bestimmter, nämlich hintergrundhafter Teil einer ethischen Betrachtung der Adoption. Damit wird die christliche 74 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Direkte und indirekte religiöse Begründung
Sinnperspektive in die Ethik der Adoption eingezeichnet, obwohl die Adoption als solche keine spezifisch christliche oder auch nur religiöse Praxis darstellt. Diese Einzeichnung scheint mir dadurch gerechtfertigt, dass man davon ausgehen darf, dass die Gründe, die das Handeln von Menschen in einem so grundlegenden Lebensbereich wie dem Orientierungsraum Familie anleiten, mindestens religiöse Implikationen haben werden oder direkt religiöser Natur sein können. Dass diese religiöse Begründungsleistung nur durch den »christlichen« Sinn der Adoption abgedeckt werden könne, die folgenden Überlegungen also keine Äquivalente in anderen Religionen besäßen, behaupte ich nicht. Ich stelle die christliche Sinnperspektive vor, weil sie die mir vertraute ist und weil sie die für eine Ethik der Adoption erforderliche Begründungslast zu tragen vermag. Diese Vorbemerkungen lassen ahnen, dass sich ihnen – zum einzigen Mal in diesem Buch – eine spezifisch theologische Argumentation anschließt. Weil das jedoch, wie gesagt, kein Akt religiöser »Klientelpolitik« ist, gehe ich methodisch so vor, dass die christlichen Vorstellungen, die zur Bestimmung des Sinns der Adoption einschlägig sind, aus der theologischen Fachterminologie in eine Sprache übersetzt werden, die für die ethische Betrachtung der Adoption anschlussfähig ist. Schon dieses methodische Verfahren lässt erahnen, dass die religiöse Begründung für die soziale Praxis der Adoption nicht auf direktem, sondern nur auf indirektem Wege möglich ist. Wir werden innerhalb der christlichen Religion und ihrer Theologie die Vorstellung des sog. Adoptianismus und der Inkarnation sowie schließlich der Rechtfertigung zu betrachten haben, um der Gründe ansichtig zu werden, die der christliche Glaube zur Ermöglichung der umfassenden »Annahme« von Kindern durch die Eltern beisteuern kann. Dabei sind hier mit den Eltern diejenigen gemeint, die im Ergebnis der Konstituierung des familiären Zusammenhangs die sozialen Eltern des Kindes sein werden (Juristen sprechen auch von »Wunscheltern«); das sind bei der Adoption die annehmenden Eltern. Dass bei einer Adoption daneben die abgebenden Eltern Teil der Betrachtung sind und bleiben müssen, wird bei der folgenden Betrachtung an entscheidender Stelle gewürdigt werden, aber erst in Kap. 5 dieses Buches eigens behandelt. Das Christentum ist nach traditioneller religionswissenschaftlicher Einteilung eine Erlösungsreligion. Nach den Worten ihres vielleicht bis heute bedeutendsten Theoretikers der Neuzeit, Friedrich Schleiermacher (1768–1834), zeichnet sich die christliche Religion 75 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Der tiefere Sinn der Adoption
dadurch aus, »daß alles in derselben bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung«. 87 Die wissenschaftliche Reflexion des christlichen Glaubens durch die Theologie ist daher in ihrem thematischen Zentrum Christologie (= Lehre von Jesus Christus). Schleiermachers unscharf klingende Formulierung, dass »alles« in diesem Glauben auf Jesus Christus bezogen werde, ist für das Thema Adoption aufschlussreich. Der neuzeitlich-christliche Erlösungsgedanke schließt der Sache nach eine Art christologischer Adoptionsvorstellung ein, bei der die Adoption (ganz im Sinne Schleiermachers) auf Jesus Christus bezogen wird, und zwar so, dass dabei der doppelte Sinn von Adoption, der im vorigen Abschnitt unserer Überlegungen herausgearbeitet wurde, abgedeckt ist. Nach dem ersten (buchstäblichen) Sinn von Adoption wird Jesus Christus als deren Objekt vorgestellt, indem er vom Gott Israels als dessen Sohn angenommen wird. Hierfür kann man sich auf eine Reihe neutestamentlicher Bibelstellen stützen. 88 Nach der erwähnten zweiten Sinnrichtung (»Geist der Annahme«) tritt Jesus Christus als Subjekt so in Erscheinung, dass er in seiner irdischen Wirksamkeit umfassende »Annahme« in einer Weise praktiziert, die die religiösen, ethnischen und sozialen Grenzziehungen seiner Zeit überwindet, indem er ohne Vorbedingungen insbesondere solche Menschen in seine Gemeinschaft aufnimmt, die von jedem gehaltvollen gemeinschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. 89 Der objektiv-subjektive Doppelsinn dieser Adoptionsvorstellung ist zwar in dieser Form in der altkirchlichen Theologiegeschichte nicht belegt, sondern stellt eine neuzeitliche Konstruktion dar. Sie spiegelt aber die im 5. Jahrhundert n. Chr. getroffene theologische Lehrfestlegung, dass Jesus Christus Gott und Mensch in einer Person sei (sog. Zweinaturenlehre). 90 Die antike Christentumsgeschichte kennt nur eine mit der Zweinaturenlehre nicht vereinbare adoptianische Christologie (auch: Adoptianismus), derzufolge Jesus Christus im Laufe seiner Wirksamkeit zum Sohn Gottes adoptiert wird – mit der Pointe, dass er nicht immer schon Gottes Sohn war. 91 Und im frühen Mittelalter findet sich die – im Gegensatz dazu nur auf der Grundlage der Zweinaturenlehre sinnvolle – Lehranschauung, dass Jesus, der natürlicherweise Gottes Sohn ist, in seiner menschlichen Natur von seinem sozialen Vater Joseph adoptiert wurde. 92 Beide Anschauungen wurden im ersten christlichen Jahrtausend weitgehend ins Häretische abgedrängt. 93 Sie lassen sich aber, wenn der Adoptionsgedanke in beiden Fällen als Annahme im vorhin hergeleiteten, 76 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Direkte und indirekte religiöse Begründung
umfassenden Sinne verstanden wird, durchaus mit der im Unterschied zum Adoptianismus als ›rechtgläubig‹ geltenden Vorstellung der Inkarnation (dt.: Fleischwerdung) zusammendenken. Die Adoption Jesu durch Gott bezeichnet dann ein ausdrückliches göttliches Bekenntnis zu Jesus, wie es die neutestamentlichen Evangelien bei der Schilderung der Jordantaufe Jesu zu Beginn seines öffentlichen Auftretens erwähnen (Matthäus 3,17; Markus 1,12; Lukas 3,22), d. h. Jesu göttliche Würde wird durch den Adoptianismus entgegen der Wahrnehmung, die dieser lange Zeit erfahren hat, nicht bestritten, sondern vielmehr bestätigt. Demnach nimmt der Sohn Gottes in dem doppelten Sinne Menschheit an, dass er sowohl als konkreter Mensch auf Erden existiert als auch die Menschheit als ganze in seine Gemeinschaft mit Gott aufnimmt. Der christliche Sinn der Adoption, also die christlichen Gründe, warum Eltern in der Lage sein sollten, Kinder in umfassend vertrauensvoller Weise anzunehmen, sind vor diesem Hintergrund in den hier skizzierten, theologiegeschichtlich nur zum Teil abgedeckten Vorstellungen des Adoptianismus und der Inkarnation zu suchen. Sie lassen sich aber, wie im Folgenden zu erläutern ist, nicht direkt auf die soziale Praxis der Adoption beziehen, sondern nur indirekt. Man muss daher direkte und indirekte Begründung einer sozialen Praxis unterscheiden, und der Unterschied beider Begründungsmodelle ist nicht bloß formal. Die direkte Handlungsbegründung legt ein bestimmtes Handlungsmuster als unmittelbar, d. h. unabhängig von den Handlungsbedingungen der konkreten Situation, zu reproduzierendes vor. Im indirekten Modell hingegen wirkt ein solches Handlungsmuster nur dadurch begründend, dass es die Möglichkeiten oder Ziele analoger Handlungen vorgibt. Der Unterschied kommt auch bei den christologischen Vorstellungen des Adoptianismus und der Inkarnation zum Tragen, wenn sie das Adoptionshandeln begründen sollen. Sowohl der adoptianische als auch der inkarnatorische Vorstellungskreis bringen bestimmte Bilder von Familie mit sich, die auf die Schlagworte der Gottesfamilie (familia dei) bzw. der Heiligen Familie gebracht werden können. Beide Bilder führen jedoch, wie die amerikanische katholische Theologin Jana M. Bennett gezeigt hat, zu einer Überforderung menschlichen Familienlebens, wenn sie dieses direkt begründen sollen. 94 In Anlehnung an bestimmte biblische Jesusworte, die die biologische Verwandtschaft Jesu gegenüber seiner ihm spirituell verbun77 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Der tiefere Sinn der Adoption
denen Jüngerschaft abqualifizieren (Markus 3,31–35), 95 wird mit dem Ausdruck der Gottesfamilie (familia dei) eine Gemeinschaft bezeichnet, die dieselbe Verbindlichkeit aufweist, die menschlichen Familien und den für sie typischen Pflichten zukommt, 96 aber im Unterschied zu diesen auf göttlicher Erwählung der Angehörigen statt auf Abstammung beruht. Verbindungsglied und Vergleichsmoment zwischen dieser Anschauung und dem Adoptianismus ist offensichtlich, dass die besondere Stellung Jesu als Sohn Gottes in gleicher Weise direkt auf ein göttliches Erwählungshandeln, eben die Adoption zum Sohn Gottes, zurückgeführt wird. Als Gottesfamilie werden sich daher solch religiöse Gemeinschaften verstehen, deren Angehörige sich als von Gott Erwählte begreifen. Wird nun aber die adoptianisch begründete Vorstellung der Gottesfamilie ihrerseits zur Begründung menschlichen Adoptionshandelns herangezogen, so wird die hinter ihr stehende Erwählung ihrer Exklusivität beraubt. Sie sollte ja eine Gemeinschaft begründen, die auf göttliches Schaffen und nicht auf menschliche Beschaffenheiten zurückgeht; als solche aber eignet sie sich grundsätzlich nicht zur Begründung menschlichen Handelns, auch nicht auf dem Gebiet der Adoption. Der Versuch, den Erwählungsgedanken vom Adoptianismus auf menschliche Adoptivfamilien zu übertragen, zerstört dessen eigene Grundlage. Wollte man die Adoptivfamilie tatsächlich auf der Grundlage des Konzepts der »Gottesfamilie« verstehen, so müsste man behaupten, die adoptierten Kinder seien der Familie von Gott geschenkt, und zwar nicht nur im Sinne einer religiösen Deutung, die der sozialen Praxis der Adoption gewissermaßen noch zusätzlich gegeben wird, sondern so, dass die Wahl genau dieser Eltern für genau dieses Kind als direkte göttliche Erwählung behauptet wird. Das ist, wenn es mehr sein soll als eine christliche Sinndeutung, die dem durchaus ohne religiösen Tiefsinn verstehbaren Geschehen der Adoptionsvermittlung beigelegt wird, 97 eine problematische Überhöhung der Adoption. Bennett warnt von einer Idolisierung der Familie, 98 die sich einstellt, wenn die Vorstellung der Gottesfamilie direkt eine bestimmte menschliche Familienform begründen soll. Was im Begriff der Gottesfamilie als göttlich eingeführt wurde, wird für menschliche Zwecke beansprucht und so zum Idol gemacht. Der Idolisierung der adoptianischen Gottesfamilie steht eine »Idealisierung« der Familie bei der Vorstellung der Inkarnation, also der Fleischwerdung des Gottessohnes in der Geburt Jesu, gegenüber. Das zugehörige Familienbild speist sich aus der biblischen Geburts78 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Direkte und indirekte religiöse Begründung
geschichte Jesu im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums und umfasst die sog. Heilige Familie mit Joseph als Vater, Maria als der Mutter Jesu und dem Kind Jesus selbst (Weihnachtsgeschichte in Lukas 2,1–21). Die Heilige Familie wird im Unterschied zur Gottesfamilie in keiner Weise als göttliche oder jenseitige Wirklichkeit verstanden, sondern in ihrer Diesseitigkeit, Armut und Niedrigkeit hervorgehoben, die mit den ärmlichen Geburtsumständen nach der biblischen Erzählung (Stall von Bethlehem) sowie insbesondere der im Anschluss geschilderten Flucht nach Ägypten gegeben sind. 99 Als Begründung realer Familienformen fundiert die Heilige Familie keine jenseitig erwählte Gemeinschaft, sondern dient als reales Vorbild, das im menschlichen Familienleben nachgeahmt werden soll. Gegen dieses Familienideal wendet Bennett ein, dass es die sozialen und wirtschaftlichen Härten der im Lukasevangelium vorgestellten Geburtsumstände Jesu idealisiere und so heutige Familien, die unter vergleichbaren Härten leiden, überfordere, wenn ihnen schlicht die Imitation der Heiligen Familie zugemutet wird. Die Idealisierung treffe besonders die Adoptivfamilie, die gewissermaßen als die »bessere« Familie erscheine, indem die Adoption als solche für gut erklärt und damit (womöglich ungewollt) unter Abblendung einer umfassenden Annahme auf ihren o. g. ersten Sinn des rechtlichen Vorgangs der Kindesannahme reduziert werde. 100 In keinem Fall taugt die biblisch geschilderte Christusfamilie – sei es als familia dei, sei es als Heilige Familie – als direkte Begründung der Form heutiger Adoptivfamilien. Wenn eine direkte Begründung der sozialen Praxis der Adoption mit den Vorstellungen von Adoptianismus und Inkarnation nicht in Frage kommt, legt sich ein indirekter Begründungsansatz nahe, der der Differenz zwischen dem Erlöser Christus und den Christen als Erlösten Rechnung trägt. Die Wahrung dieser Differenz kennzeichnet den indirekten Begründungsansatz. Das Bildfeld der Familie kann in religiöser Rede nicht von der Christologie auf die christliche Soziallehre übertragen werden. Das zeigt die für dieses Bildfeld besonders typische Vorstellung vom Kind Gottes, die, ohne Bild gesprochen, ein Leben in selbstverständlichem und unhintergehbarem Einklang mit Gottes Willen bezeichnet. Hinsichtlich dieses Einklangs besteht zwischen Christus und den Christen ein grundsätzlicher Unterschied, der in der theologischen Theoriebildung in der Unterscheidung von Natur und Gnade zum Ausdruck kommt. Jesus Christus wird deshalb als Gottes Sohn bezeichnet, weil er sich natürlicher Weise im Einklang mit Gottes Willen befindet, während dieser Einklang 79 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Der tiefere Sinn der Adoption
den Christen nur durch Gottes gnädiges Eingreifen zuteilwerden kann, das ihren eigenen Willen transformiert, der Gottes Willen immer mindestens potenziell entgegensteht. Für unseren Zusammenhang ist aufschlussreich, 101 dass die biblische und die theologische Tradition zur Bezeichnung der natürlichen, d. h. unhintergehbaren Gottessohnschaft Jesu das Bild der Jungfrauengeburt gebrauchen (Lukas 1,26–38 sowie in den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen), 102 das die übernatürliche Konstitutionsart dieses Eltern-Kind-Verhältnisses aussagt, während für die Christen als Kinder Gottes das Bild der Adoption Verwendung findet (Römerbrief 8,15; Galaterbrief 4,5; Epheserbrief 1,5). 103 Dieses Bild bezeichnet nicht den »natürlichen« Weg, Kind seiner Eltern zu werden, zielt aber auf die Gleichstellung der adoptierten mit den natürlichen Kindern aufgrund der gemeinsamen Erbberechtigung. 104 Den exzeptionellen Zu- oder Umständen der Geburt Jesu wird die Adoption der Christen als zielgerichteter Vorgang gegenübergestellt, was der Differenz zwischen immer schon mitgebrachtem und im Laufe des Lebens erst empfangenem Gotteseinklang bei Christus bzw. den Christen entspricht. Werden Christinnen und Christen in religiöser Rede als Gottes adoptierte Kinder angesprochen, so kommt in diesem Bild zum Ausdruck, dass die empfangene Gemeinschaft mit Gott Phasen und Bereiche ihres Lebens einschließt, in denen sie nicht, noch nicht oder teilweise nicht mit Gott im Einklang waren oder sind. Die Wahl des Bildfeldes macht sich zunutze, dass eine Adoption rückwirkend das ganze Leben der Adoptierten ab Geburt ergreift und so deren Herkunft integriert, anstatt sie aus dem Leben in der »neuen« Familie auszuschließen. Hierin unterscheidet sich die Vorstellung der Kinder Gottes vom religiösen Motiv der Bekehrung, die auf das Vorleben außerhalb der Religion nur im Modus der Konversionsbiographie Bezug nehmen kann. Indem das religiös gebrauchte Bild der Adoption das »Vorleben« der Adoptierten integriert, besitzt es einen relativen Eindeutigkeitsvorsprung gegenüber den Denkfiguren der Rechtfertigungslehre, die der lateineuropäischen Christenheit seit dem Aufkommen der Reformation, besonders prominent in der evangelischen »Apologie der Augsburgischen Konfession« (Art. 4; 1531) und im katholischen Rechtfertigungsdekret des Konzils von Trient (6. Session; 1547), 105 dazu diente, die Vorstellung der Christen als Kinder Gottes theologisch zu reflektieren. Die Rechtfertigungslehre erlangte dieselbe Eindeutigkeit erst 1999, als es durch eine »Gemeinsame Erklärung« 80 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Direkte und indirekte religiöse Begründung
von Katholiken und Lutheranern gelang, einen gut 400-jährigen Dissens über das Verhältnis der Kinder Gottes zu ihrem Leben vor und außerhalb der Gemeinschaft mit ihm in dem Sinne aufzuheben, dass sie ein simultanes Dasein als Sünder wie als Gerechtfertigte führen. 106 Seither besitzt die Rechtfertigungslehre die nötige Eindeutigkeit, um den »christlichen Sinn der Adoption« in der schon angedeuteten Weise indirekt begründen zu können. Die damit anvisierte Begründung stützt sich nicht direkt auf die Person Jesu Christi, die im Adoptianismus als Objekt und in der Inkarnation als Subjekt der Adoption erscheint, sondern auf das Werk Jesu Christi (so die theologische Terminologie), also auf die Heilsbedeutung, die er für Christinnen und Christen hat, indem sie durch ihn zu Kindern Gottes werden. Sie sind es allerdings nicht wie er kraft Jungfrauengeburt von Natur aus, sondern werden es erst durch Adoption, die auch ihr bisheriges Leben außerhalb der Gemeinschaft mit Gott unter die Perspektive des Lebens als Gottes Kinder rückt. Für Jesus Christus kommt eine analoge Adoption zum Sohn Gottes nicht in Betracht, da er unhintergehbar im Einklang mit Gott lebt und kein »Vorleben« außerhalb dessen kennt. Das Erfordernis, ein solches »Vorleben« zu integrieren, besteht nur für die Christen (nicht für Christus) und macht den Unterschied der indirekten gegenüber der direkten Form religiöser Begründung der sozialen Adoptionspraxis aus. Ich fasse die bisherigen Überlegungen zusammen und beziehe sie auf die Frage nach dem »tieferen Sinn der Adoption« zurück. Soll die religiöse Adoptionsvorstellung direkt (christologisch) zur Begründung menschlicher sozialer Praxis dienen, so wird sie auf die Person Jesu Christi bezogen, den Gott als seinen Sohn annimmt (Adoptianismus) und der als Mensch gewordener Gott (Inkarnation) seinerseits exkludierte Menschen annimmt. Dieser christologische Maßstab führt jedoch zu einer »Idolisierung« und »Idealisierung« der Familie (J. Bennett), die die menschliche und auch jede christliche Familienpraxis überfordern, weil sie der Tatsache nicht gerecht werden, dass Christinnen und Christen im Unterschied zu Jesus Christus nicht in unhintergehbarem Einklang mit Gottes Willen leben. Die indirekte Begründung trägt dieser Differenz Rechnung, indem sie die Adoptionsvorstellung nicht christologisch auf Jesus Christus, sondern rechtfertigungstheologisch auf sein Werk an den Christinnen und Christen bezieht, die zu einem Leben als Gottes Kinder adoptiert werden, das ihr Leben vor und außerhalb der Gemeinschaft einschließt. 81 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Der tiefere Sinn der Adoption
Als Begründung des menschlichen Adoptionshandelns kann diese rechtfertigungstheologische Vorstellung deshalb dienen, weil auch die soziale Praxis der Adoption die Herkunft des adoptierten Kindes außerhalb der Adoptivfamilie einschließt und in die Lebensgeschichte des adoptierten Kindes integriert bleiben lässt. Zwar ist die Adoption in ihrem ersten Sinn als rechtlich geregelte Kindesannahme ein vollständiger Transfer familiärer Beziehungen, der alle verwandtschaftlichen und erbrechtlichen Verhältnisse des adoptierten Kindes zu seiner Herkunftsfamilie zum Erlöschen bringt. 107 Der zweite, umfassende Sinn von Adoption als vertrauensvolle Annahme des Kindes würde aber massiv verletzt, wenn dem adoptierten Kind seine Herkunft vorenthalten und ihm damit die Möglichkeit genommen würde, diese konstruktiv in seine Lebensgeschichte einzubeziehen; tatsächlich wäre dadurch unmittelbar das Kindeswohl bedroht, dem auch die Adoption als Rechtsvorgang verpflichtet ist. In analoger Weise wäre es unbarmherzig und unchristlich, die soziale Praxis der Adoption direkt christologisch begründen zu wollen und mit den Bildern der familia dei oder der Heiligen Familie ein religiöses Bild und Vorbild von Familie aufzurichten, dem keine menschliche Familie genügen kann. Auch Adoptivfamilien können sich trotz der hohen Anforderungen, die ihnen in der Praxis oft abverlangt werden, auf keine Weise als »bessere« Familien verstehen. Eine tragfähige religiöse Begründung der sozialen Praxis ist nur auf dem beschriebenen indirekten Weg möglich, der die vertrauensvolle und vorbehaltlose Annahme der Herkunft des Kindes zum ethisch zentralen Bestandteil der Adoption macht. Wir können den »christlichen Sinn der Adoption« damit auf den Punkt bringen: Der christliche Glaube befähigt Eltern zu vorbehaltloser Annahme ihres Kindes, weil sie sich in diesem Glauben selbst in gleicher Weise von Gott angenommen wissen können. Diese Einsicht ist keinesfalls trivial, weil sie nur auf indirektem Wege möglich ist. Direkte religiöse Begründungsversuche verfehlen den Sinn der Adoption. Dies gilt auch für die vorschnelle Eintragung des Liebesbegriffs in die Sinnbestimmung der Adoption. Zwar kann man den eben hervorgehobenen Satz auch dahingehend abwandeln, dass Eltern sich durch ihren Glauben zur Adoption befähigt finden, weil sie sich selbst von Gott geliebt (statt: »angenommen«) wissen. Aber mit dem unschärferen Begriff der Liebe kommt gerade nicht zum Ausdruck, dass diese Glaubensgewissheit Eltern deshalb als Adoptiveltern befähigt, weil sie sie in die Lage versetzt, das zu adoptierende Kind 82 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Direkte und indirekte religiöse Begründung
mit seiner besonderen Herkunft anzunehmen. – Hinzu kommt eine weitere, ebenfalls nicht selbstverständliche Beobachtung, die in einer weltanschaulich pluralistischen Öffentlichkeit wie der bundesdeutschen unterstrichen zu werden verdient. Für die Schlüssigkeit der gegebenen Begründung im Rahmen einer ethischen Betrachtung der Adoption ist es unerheblich, ob diese oder jene konkreten Eltern tatsächlich gläubig sind und die wiedergegebene Glaubensauffassung persönlich bejahen. Ethisch maßgeblich ist allein die Fähigkeit der Eltern, die Herkunft ihres Kindes anzunehmen. Die christliche Religion kann hierfür Gründe namhaft machen, deren ethische Begründungsleistung nicht auf Angehörige der christlichen Religion beschränkt ist. Wenn Eltern anderer oder gar keiner religiösen Überzeugung zu derselben umfassenden Annahme ihrer Kinder fähig sind, ist das eine Bestätigung der hier gegebenen Begründung, ohne dass sich damit in irgendeiner Weise ein christlicher Anspruch auf Erziehungs- oder Familienvorstellungen anderer Religionen rechtfertigen ließe. Ich halte es für denkbar und wahrscheinlich, dass analoge Begründungen vom Standpunkt anderer Religion aus gegeben werden können, auch wenn ich mich hier als Theologe der christlichen Religion nur auf deren Begründungsleistung beziehe. Der »christliche Sinn der Adoption« ist aber zugleich allgemein der »tiefere Sinn« der Adoption, denn er soll begründen, was Eltern – gleichgültig, welcher Religion – zur Annahme ihrer Kinder befähigt; es geht nicht darum, irgendeine christliche Familienvorstellung zu legitimieren, hochzuhalten oder gar in einer interreligiösen Kontroverse um das beste Familienkonzept gegen die Anschauungen anderer Religionen in Stellung zu bringen. Derartiges aus der hier gegebenen Begründung herauszulesen, hieße wiederum indirekte mit direkter Begründung zu verwechseln und das Begründende (die Religion) unter der Hand zu dem umzufunktionieren, was begründet werden soll. Begründet wird letztlich immer nur die konkrete Bestimmung des vom bloßen Begriff her unbestimmten Kindeswohls, und eine solche Bestimmung ist ganz ohne jeglichen Rückgriff auf religiöse Begründungsmuster kaum zu gewinnen. Allerdings kann das religiöse Argument immer nur indirekter Natur sein und im Hintergrund der eigentlichen inhaltlichen Adoptionsethik bleiben. Der »tiefere Sinn der Adoption« gibt so dem Begriff des Kindeswohls eine erste Konkretion. Sie besagt, dass Adoptivkinder solche Kinder nicht nur waren, sondern sind und bleiben, die in zwei, wenngleich asymmetrisch zueinander stehenden Familiensystemen leben: 83 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Der tiefere Sinn der Adoption
dem der abgebenden und dem der annehmenden Familie. Im Hintergrund meiner Darstellung steht deshalb insbesondere im zweiten Teil dieses Buches das sog. Adoptionsdreieck mit dem Adoptivkind, der abgebenden und der annehmenden Familie als Eckpunkten. 108 Die von diesen Eckpunkten ausgehenden Linien schneiden sich jedoch in einem vierten Akteur, der alle drei überhaupt erst zusammenbringt, nämlich der Adoptionsvermittlung. Ihr widmet sich daher vor Einstieg in die dem Adoptionsdreieck folgenden Kapitel dieses Buches das nächste und letzte Kapitel des fundamentalethischen Teils.
84 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
3. Strukturen der Adoptionspraxis
Zu den Fundamentalfragen einer ethischen Betrachtung der sozialen Praxis der Adoption, denen sich der erste Teil dieses Buches widmet, gehört neben der sozialphilosophischen Einordnung (Kap. 1) und den Fragen der Sinngebung (Kap. 2) auch der ganze Bereich der Strukturen, in denen sich das Adoptionsgeschehen abspielt. Dieser Strukturfrage gelten die folgenden Überlegungen (Kap. 3). In der Literatur der verschiedenen Fächer, in denen zum Thema Adoption gearbeitet wird, hat sich die Rede von einer Struktur eingebürgert, die als Adoptionsdreieck bezeichnet wird. Durch den auch graphischen Einbezug in die »Empfehlungen«, die das bundesdeutsche Expertise- und Forschungszentrum Adoption (EFZA) im Herbst 2017 herausgab, hat das Adoptionsdreieck jüngst eine weitere Aufwertung erfahren. Um die Strukturfragen der Adoptionsethik einzuführen, beziehe ich mich der Einfachheit halber auf diese Graphik. 109 Von einem Adoptionsdreieck ist mit Blick auf die hauptsächlich Beteiligten die Rede, also das zu vermittelnde Kind sowie die abgebende und die annehmende Familie. In der vom EFZA verwendeten Graphik, einem mit der Spitze nach oben zeigenden, großen, gleichseitigen Dreieck, wird jede dieser drei Seiten durch ein eigenes, kleines, gleichseitiges Dreieck repräsentiert; das dem Adoptivkind zugeordnete Dreieck steht zuoberst. Alle drei bilden, indem sie sich an den Ecken berühren, ohne gemeinsame Seiten zu haben, das erwähnte große Dreieck mit einem ebenfalls dreieckigen Leerraum in der Mitte. Dieses vierte, gleich große, aber mit der Spitze nach unten zeigende Dreieck repräsentiert in der Graphik die Adoptionsvermittlungsstellen. Sie lassen sich keiner der drei beteiligten Seiten zuordnen, sondern stehen in der Mitte zwischen ihnen und haben mit allen dreien gemeinsame Seiten. Mit dieser Graphik ist Wesentliches über die Strukturen der Adoptionspraxis ausgesagt. Die drei beteiligten Seiten werden durch eine vierte, selbst unbeteiligte Größe, die Vermittlungsstelle, über85 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
haupt erst zueinander gebracht und im Prozess des Adoptionsgeschehens zusammengehalten. So gesehen steht die Vermittlungsstelle im Zentrum des Geschehens, aber nicht obenan, weil die Priorität allen Adoptionshandelns dem zu adoptierenden Kind gilt. Dass zur Vermittlungsstelle, graphisch abgebildet durch das innere, umgekehrte Dreieck, keine der drei Seiten des Adoptionsdreiecks gehört, symbolisiert ihre adoptionsethisch vielleicht wichtigste Eigenschaft: Die Vermittlungsstelle ist im Verfahren der Adoption nicht Beteiligte, obwohl sie – womöglich auch rechtlich konkret als (früher sog.) Amtsvormund nach der notariell beurkundeten Einwilligung durch die Herkunftseltern – Partei für das Kind ergreift. Sie ist unbeteiligt in dem Sinne, dass sie als öffentliche Stelle agiert, um den Wechsel, den das Adoptivkind vom Orientierungsraum der abgebenden in den der annehmenden Familie vollzieht, zu moderieren und zu kontrollieren. Man kann also nicht sagen, dass die Vermittlungsstelle außerhalb des Adoptionsdreiecks stünde. Die besondere Art ihrer Teilnahme am Adoptionsgeschehen drückt sich am besten in der Tatsache aus, dass sie in einem interfamiliären, aber nichtsdestoweniger familiären Geschehen als professionelle Kraft agiert. Die Professionalität der Vermittlung, die auch vom Adoptionsvermittlungsgesetz durch das sog. Fachkräftegebot festgeschrieben ist (§ 3 Abs. 1 AdVermiG), wird in diesem Kapitel den maßgeblichen Ansatzpunkt für die adoptionsethische Reflexion bieten. Vorher ist jedoch kurz auf mögliche Missverständnisse hinzuweisen, zu denen die vom EFZA verwendete graphische Veranschaulichung des Adoptionsdreiecks bei aller Sinnfälligkeit doch einlädt. Die gleichseitige Ausführung des Dreiecks legt gleichsam eine Achsensymmetrie oder »Augenhöhe« zwischen abgebender und annehmender Familie nahe, die weder der Praxis des Verfahrens noch dem Sinn der Adoption entspricht, durch die ja ein Kind von dem einen dauerhaft in den anderen familiären Orientierungsraum überführt werden soll; die abgebende Familie ist so gesehen immer in der schwächeren Position. Damit soll nicht bestritten werden, dass es oft ein Ausweis von innerer Stärke ist, wenn Mütter ihr Kind zur Adoption freigeben (leibliche Väter treten nur selten in Erscheinung). Hierauf wird Kap. 5.1 näher eingehen. Auch die Platzierung der Vermittlungsstelle in der Mitte der Graphik ist missverständlich, und zwar weniger, weil dadurch suggeriert würde, es ginge bei der Vermittlung von Adoptivkindern wesentlich um die vermittelnden Stellen selbst, als vielmehr deshalb, 86 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Staatliche Mitwirkung
weil die Mitwirkung staatlicher Stellen am Adoptionsgeschehen selbst Missverständnissen ausgesetzt ist. Dieses Problem verdient einen ersten eigenen Reflexionsgang.
3.1 Staatliche Mitwirkung Die Erwägungen zum Orientierungsraum Familie in Kap. 1 dieses Buches hatten eine wesentliche Grundlage in der juristischen Neuordnung der Adoption von 1976/77. Mit ihr wurde die Adoption aus dem Bereich des privaten Vertragsrechts und überhaupt des Kontraktualismus verbannt und dem hoheitlichen Bereich der familiengerichtlichen (seinerzeit: vormundschaftsgerichtlichen) Rechtsprechung unterstellt. Gleichzeitig wurde die Adoptionsvermittlung im privaten Bereich bis auf eng begrenze Ausnahmen abgeschafft und zu einer öffentlichen Aufgabe des Staates erklärt, die mehrheitlich durch professionell agierende Vermittlungsstellen in den Jugendämtern und Landesjugendämtern übernommen wird. Daneben agieren – in allerdings seit etwa der Jahrtausendwende deutlich rückläufiger Zahl – auch Vermittlungsstellen in freier Trägerschaft. Sie benötigen eine staatliche Anerkennung und dürfen aufgrund dieser eigenständig Vermittlungen vornehmen, arbeiten mit den Bewerbern aber als Vertragspartner im kontraktualistischen Sinne zusammen. Dadurch entsteht an einigen Punkten eine gewisse Gemengelage hinsichtlich der Strukturen, in denen sich die Professionalität der Vermittlung organisiert, die bei den dem generellen Fachkräftegebot unterliegenden freien Trägern in keineswegs geringerem Maße gegeben ist als auf staatlicher Seite. Die staatlichen Träger realisieren die professionelle Vermittlung auf behördlichem Wege, die freien Träger hingegen in aller Regel im Anschluss an einen der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, wobei die konfessionellen Verbände der Caritas (römisch-katholisch) und der Diakonie (evangelisch) zahlenmäßig tonangebend sind. Staatliche und freie Träger arbeiten nach § 2 Abs. 3 AdVermiG »partnerschaftlich« zusammen. 110 Der 1976 vorgenommene rechtliche Paradigmenwechsel könnte zu der Annahme verleiten, die Adoption sei auch in ethischer Hinsicht als eine öffentliche Aufgabe in staatlicher Verantwortung aufzufassen. Die obligate Kindeswohlorientierung allen Adoptionshandelns verstärkt diesen Eindruck, weil sie die Adoption mit auch ethisch nachvollziehbaren Gründen in die Nähe der Allgemeinen 87 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
Kinder- und Jugendhilfe rückt, die eine staatliche (in SGB VIII geregelte) Aufgabe ist. Der Staat hat sich in Wahrnehmung seines Wächteramtes um Kinder zu kümmern, die die ihnen gebührende Sorge in ihrer Familie nicht (mehr) erfahren, und er tut dies auf verschiedene Weisen, zu denen auch die Adoption zu zählen scheint; zu diesem Zweck beschäftigt die öffentliche Hand professionelle Adoptionsvermittlerinnen und -vermittler. Die skizzierte Annahme ist naheliegend, aber rechtlich wie ethisch unzutreffend. Das soll hier mit Blick auf gängige Formulierungen gerichtlicher Adoptionsbeschlüsse demonstriert werden, wo es etwa heißt: »Die Eheleute NN haben das Kind N als ihr Kind angenommen.« Nimmt man diese Formulierung ernst, so wird klar, dass die Adoption ein Vorgang ist, der sich im familiären Sektor abspielt. Die einzige Besonderheit ist, dass dieser Vorgang nicht intra-, sondern interfamiliär ist, weil hier zwei Familien in, wie beschrieben, asymmetrischer Interaktion miteinander stehen, die von staatlicher Seite lediglich im Kontext gesetzlicher und insoweit öffentlich konstituierter Rahmennormen moderiert wird. D. h. die Vermittlungsstellen platzieren das von seiner leiblichen Familie freigegebene Kind in einer anderen Familie, und das Familiengericht konstatiert nach abgeschlossener Adoptionspflegezeit nurmehr die bereits erfolgte Adoption in rechtlich unanfechtbarer Weise. 111 Der eigentlich adoptive Vorgang ereignet sich nicht auf öffentlicher Bühne, denn er besteht darin, dass zwischen dem Kind und seinen Adoptiveltern eine Eltern-Kind-Beziehung entsteht. Die Entstehung einer solchen Beziehung fällt in den großen Bereich der Erziehung und kommt inhaltlich dem am nächsten, was wir in Kap. 2.1 unter Rückgriff auf die religiöse Vorstellung von einem »spirit of adoption« (Römerbrief 8,15) als ›vertrauensvolle Annahme des Kindes‹ bezeichnet und penibel vom juristischen Sinn der Kindesannahme unterschieden haben. Im Rahmen der Strukturfrage zeigt sich nun das Gewicht dieser Begriffsdifferenzierung, die mehr als nur einen metaphorischen Tiefsinn offenlegt, der für die juristische, auf bestimmte Rechtsbegriffe (anstelle von Metaphern) angewiesene Betrachtung belanglos wäre. Der erzieherische Sinn der Annahme macht vielmehr auf eine Verlegenheit aufmerksam, in der sich jeder legalistische Umgang mit dem Adoptionsthema befindet. Ob und inwieweit eine Eltern-Kind-Beziehung entstanden ist und besteht, kann mit rechtlichen Mitteln nicht erfasst werden. Keine Familienrichterin und kein Familienrichter kann eine solche Bezie88 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Staatliche Mitwirkung
hung kraft Urteils hervorrufen, ja nicht einmal ihr Vorliegen mit den juristisch verfügbaren Methoden adäquat beurteilen. Stärkstes Indiz, auf das in gerichtlichen Adoptionsbeschlüssen denn auch gelegentlich, vermittelt über die (nach § 189 FamFG obligate) fachliche Äußerung der Vermittlungsstelle, abgehoben wird, ist noch die Konstellation des zwischen dem Kind und seinen Adoptiveltern beobachtbaren Bindungsverhaltens, das mehr oder weniger sicher sein kann. Aus Sicht der Bindungsforschung steht jedoch fest, dass Kinder auch dann eine starke Bindung zu ihren Eltern aufweisen können, wenn objektiv eine Situation der Kindeswohlgefährdung vorliegt und eine Herausnahme notwendig wird. 112 Da diese Situation und ihr Erfordernis der Vermittlung in eine Pflegefamilie mit der Situation eines Kindes in Adoptionspflege durchaus vergleichbar ist, liefert auch das Bindungsverhalten kein zuverlässiges Kriterium für die richterliche Feststellung im Adoptionsbeschluss. Die beschriebene Verlegenheit rechtfertigt nicht die Auffassung, dass der Adoptionsbeschluss, wenn er nicht auf jurisdiktionell handhabbaren Kriterien aufbaut, wohl wie ein sog. Sprechakt allein durch seinen Vollzug wirken müsse und das Kind dadurch zum Adoptivkind der annehmenden Eltern würde, dass das Familiengericht es so verfügt. Hiergegen spricht schon, dass Eltern und Kind bei dem in aller Regel nur schriftlich niedergelegten, also nicht etwa im Gerichtssaal feierlich verkündeten Beschluss überhaupt nicht anwesend sind, wesentliche Voraussetzungen eines Sprechaktes also nicht vorliegen. Vor allem aber verbietet der hier exemplarisch betrachtete Wortlaut diese sprachphilosophisch vielleicht verlockende Interpretation, die die Adoption zu einem staatlichen Instrument stempeln würde. Wenn das Familiengericht konstatiert, dass die Eheleute NN das Kind N angenommen haben, sind es offensichtlich diese Eheleute selbst, die die Adoption vollziehen, indem sie das Kind im »Geist der Annahme« erziehen. Sie machen sich damit zwar nicht selbst zu Eltern, weil auch ihr erziehendes Handeln nur den Charakter der stets reaktiven Annahme hat, konkret der Annahme eines Kindes, das ihnen anvertraut wurde. Die gewählte Formulierung zeigt aber doch mit hinreichender Deutlichkeit, dass der Vollzug des Adoptionshandelns durchweg im familiären Bereich verbleibt; dem Gericht und damit der staatlichen Seite bleibt nur die nachträgliche Feststellung. Die ganze Konstellation ist der staatlichen Mitwirkung an einer standesamtlichen Eheschließung vergleichbar, insofern es auch hier die Eheleute selbst sind, die einander heiraten und nicht etwa von 89 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
den Bediensteten des Standesamtes verheiratet werden; diese registrieren den Vorgang nur und stellen sicher, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten wurden. Nichts anderes leistet die staatliche Seite bei einer Adoption, nur dass hier mit dem Familiengericht und dem Jugendamt (bzw. der dort angesiedelten Adoptionsvermittlung) mehrere Stellen einbezogen sind. Das liegt daran, dass die Rahmenbedingungen bei der Adoption komplexer sind. Während bei einer Heirat das Standesamt nur negativ das Vorliegen möglicher Ehehindernisse ausschließen muss, ist das Familiengericht in der beschriebenen Verlegenheit, dass der Adoptionsbeschluss ein positives Eltern-Kind-Verhältnis zwischen den Annehmenden und dem zu adoptierenden Kind voraussetzt, dessen Vorliegen aber letztlich nicht gerichtsfest überprüft werden kann. Die Mittel, die dem Gericht zu Gebote stehen wie die Stellungnahme der Vermittlungsstelle, können auch bei Rückgriff auf noch so starke Indizien wie das Bindungsverhalten diese Verlegenheit nicht völlig beseitigen. Das ist bei ethischer Betrachtung auch nicht verwunderlich, denn in der Verlegenheit spiegelt sich nur, dass die Annahme des Kindes durch die Eltern, die das Gericht konstatieren soll, ihrer erzieherischen Beschaffenheit nach ein Akt des Vertrauens ist; Vertrauen aber lässt sich ethisch nicht anders bewähren und überprüfen als wiederum durch Vertrauen. Mit dem Rückgriff auf die Kategorie des Vertrauens und damit auf den Sinn der Adoption als Erziehung im »Geist der Annahme« haben wir den Grund dafür namhaft gemacht, dass die Adoption im ethischen Sinn keine öffentliche oder staatliche Aufgabe ist, sondern sich im familiären Bereich vollzieht. Wie in Kap. 1 ausgeführt, hat dieser adoptionsethische fundamentale Stellenwert der Familie insbesondere sozialphilosophische Relevanz, weil er die Familie als Orientierungsraum würdigt. Man würde diese orientierende Valenz der Familie nachträglich wieder aufs Spiel setzen, wenn man aufgrund ihrer zu einer institutionentheoretischen Begründung der Adoptionsethik kommen wollte. 113 Für die orientierende Bedeutung der Familie ist ihr institutioneller Charakter, der in familiensoziologischer Betrachtung gewiss zentral wäre, nachrangig. Diese vorausgehende Grundlagenüberlegung zur Mitwirkung inländischer staatlicher Stellen am Adoptionsgeschehen scheint angesichts dessen notwendig, dass besonders im internationalen Kontext das Interesse einer stärkeren staatlichen Mitwirkung an Adoptionen durchaus mit Gründen vertreten wird. Das betrifft einerseits die 2002 gefällte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschen90 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Staatliche Mitwirkung
rechte, wonach die staatlichen Stellen bei einer Adoptionsvermittlung verpflichtet sind, die objektiv am besten geeigneten Bewerber für ein zu adoptierendes Kind auszuwählen. 114 Andererseits ist der ganze Bereich zwischenstaatlicher Adoptionen tangiert, bei denen die Vereinbarkeit der im Herkunftsland geltenden Standards, nach denen die Vermittlung durchgeführt wird, mit den deutschen adoptionsrechtlichen Bestimmungen, denen die Adoption anschließend genügen muss, im Fokus steht; hier wird unter dem Stichwort einer Vermeidung sog. unbegleiteter Adoptionen derzeit die obligate Mitwirkung staatlicher Stellen schon im Vermittlungsverfahren diskutiert. 115 Die Überlegungen dieses Abschnitts zielen darauf, dass die staatliche Mitwirkung am Adoptionsgeschehen auf die Gewährleistung der Rahmenbedingungen bezogen, aber auch darauf beschränkt ist. Jugendämter und Familiengerichte können und müssen sicherstellen, dass die gesetzlichen Bestimmungen zur Adoption beachtet werden; sie können und müssen die Eignung der Bewerber prüfen, indem sie mögliche Hindernisse ausschließen, die in der Person der Bewerber liegen, und ihnen gleichzeitig durch intensive Beratung probate elterliche Fähigkeiten vermitteln; ebenfalls durch Beratung können und müssen sie abgebenden Familien die nötigen Entscheidungsgrundlagen in der Frage einer Adoptionsfreigabe und ihrer Konsequenzen vermitteln; durch die Auswahl von Adoptiveltern können und müssen sie schließlich die bestmögliche Konstellation schaffen, um für das zu adoptierende Kind den Übergang von dem einen in den anderen familiären Orientierungsraum ohne vermeidbare Härten zu gestalten. All das sind Rahmenbedingungen der Adoption, nicht mehr und nicht weniger. Für das Gelingen der Adoption können sie keine positive Gewähr bieten, weil sich dieses im familiären Bereich bei der Erziehung der Kinder entscheidet, die mehr oder weniger im »Geist der Annahme« geschieht. An diesem Punkt besteht für die staatlichen Gestaltungs- und Eingriffsmöglichkeiten eine Lücke – ethisch positiv gesprochen: eine Sphäre des Vertrauens –, die aus ethischen Gründen nicht durch eine Erhöhung oder stärkere Konkretion der Mitwirkung öffentlicher Stellen geschlossen werden kann. Der Grund, warum diese Lücke offen bleiben muss, lautet, dass der Staat zwar einen Auftrag hat, Voraussetzungen für eine gelingende Kindererziehung zu schaffen, aber keinen Auftrag, selbst die Kinder zu erziehen. Die Erziehung der Kinder ist vielmehr die zuerst den Eltern »obliegende Pflicht« und ihr »natürliches Recht«, wie man in Anlehnung an Art. 6 Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes (doch unter 91 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
Austausch der dortigen Reihenfolge beider Elemente) festhalten kann. Dass reichlich staatliche Erziehungseinrichtungen von den Kindertagesstätten über den gesamten Schul- und Hochschulsektor bis zu Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. Kinderheime) existieren, widerspricht dem nicht, denn sie alle richten sich auf Fragen der Bildung und den Umgang mit besonderen Voraussetzungen beim Zugang zu ihr. Der Erziehungsauftrag im hier beschriebenen Sinn reicht aber weiter und erfasst insbesondere die in Kap. 1 beschriebenen grundständigen Orientierungsleistungen, für die im Staat desselben Grundgesetzes der orientierende Freiraum der Familie ausgespart ist. Wollte man für die Situation der Adoption mit Verweis auf die besondere Ausgangslage der zu vermittelnden Kinder entgegen dieser familiären Prärogative einen ähnlich grundständigen Erziehungsauftrag des Staates annehmen, käme das einem höchst bedenklichen Systembruch gleich, wie man sich an der zugespitztesten Konsequenz verdeutlichen kann, die sich daraus für die Adoptionspraxis ziehen ließe, nämlich der staatlicherseits verfügten Adoption. Wie die inzwischen angelaufene Erforschung von Zwangsadoptionen in der DDR zeigt, 116 bestand die ideologische Motivation der im SED-Staat gepflogenen Praxis, Kinder von politisch unzuverlässigen Eltern (z. B. nach versuchter oder geglückter Republikflucht) zwangsweise an systemtreue Familien zu vermitteln, in der Umerziehung der Kinder. Formal wurde damit zwar ein Kindeswohlargument verfolgt, das jedoch in diesem Fall einer inhaltlichen Überprüfung nicht standhält. Der ethische Kardinalfehler liegt in der Annahme, dass sich die Kindeswohlsituation an politischen oder sonstigen Überzeugungen der Eltern ablesen lasse. Inhaltlich ist Umerziehung das glatte Gegenteil der in Kap. 1.3.1 beschriebenen adoptiven Offenheit für abweichende ethische Orientierungen der Herkunftsfamilie des Kindes. Zwar soll nicht behauptet werden, dass ein grundständiger staatlicher Erziehungsauftrag, wo er bestünde, unweigerlich zu Maßnahmen wie der Zwangsadoption ermächtigen würde, doch dass die Idee der Umerziehung die nächste oder übernächste Konsequenz eines solchen Erziehungsauftrags wäre, lässt sich nicht gut bestreiten. Das Extrembeispiel der Zwangsadoption wurde hier herangezogen, um die grundsätzlichen Probleme zu verdeutlichen, die sich generell mit der Forderung nach Beststandards in der Adoptionsvermittlung verbinden. Freilich zeigen sich diese Probleme weit weniger drastisch, wenn man solche Forderungen nicht an die mitwirkenden staatlichen Stellen und ihren vermeintlichen grundständigen Erzie92 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Professionelle Adoptionsvermittlung
hungsauftrag bezieht, sondern z. B. auf die erzieherischen Qualitäten der Adoptiveltern. Die Tatsache, dass eine durchgängige Überprüfung solch erzieherischer Eignung dem erziehungstragenden Moment des Vertrauens nicht gerecht würde, mahnt aber auch hier zur Vorsicht. In Kap. 6 werden wir dieser Frage weiter nachgehen und feststellen, dass von Adoptiveltern nicht mehr gefordert werden kann, als dass sie für die ihnen abverlangte Erziehungsaufgabe ›gut genug‹ sind. Wir können nach den vorgetragenen Erörterungen das folgende Ergebnis dieses Abschnitts festhalten. Die staatlichen Strukturen der Adoptionsvermittlung angemessen auszugestalten, verlangt eine ethische Differenzierung. Der Staat besitzt keinen grundständigen Auftrag zur Kindererziehung, sondern nur zur Gewährleistung der dafür förderlichen und erforderlichen Rahmenbedingungen. Auch die staatliche Mitwirkung kann sich nur auf diese Voraussetzungen der Adoption beziehen, nicht auf deren Gelingen. Dieses entscheidet sich im familiären Bereich, der dem staatlichen Zugriff grundsätzlich entzogen ist, an der elterlichen Erziehung der Kinder. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch damit, dass die rechtliche Ausgestaltung der Adoption dem Privatbereich der Vertragsfreiheit (Kontraktualismus) entzogen und dem hoheitlichen Aufgabenbereich der Familiengerichte zugeordnet ist, denn dieser rechtliche Aspekt gehört zu den umrissenen Voraussetzungen der Adoption; ihr anderer Gegenstandsbereich sind die Vermittlungsstellen bei den Jugendämtern. Im Hinblick auf die erzieherische Dimension jedoch stellt die staatliche Mitwirkung an der Adoption grundsätzlich eine Intervention dar, die begründungspflichtig ist. Diese Begründungsaufgabe ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.
3.2 Professionelle Adoptionsvermittlung Wenn im familienethischen Kontext von Intervention die Rede ist, fällt der Blick schnell auf zugespitzte Problemlagen wie Kindeswohlgefährdungen und andere Umstände, die eine Herausnahme des Kindes aus seiner Familie und die Inobhutnahme durch staatliche Stellen und/oder in einer Pflegefamilie erforderlich machen können. Damit wird für die Intervention aber eine Eingriffstiefe unterstellt, die nicht den Ausgangspunkt für die ethische Reflexion des Problems bilden sollte. Gewiss ist in bedrohlichen Fällen auch eine derart massive Intervention gut begründbar. Soll jedoch gelten, dass Interventionen in 93 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
den Bereich der Familie begründungspflichtig sind, so muss bei den geringsten denkbaren Eingriffstiefen angesetzt werden, da hier die höchsten Begründungslasten liegen. Im Adoptionskontext dürfte die mildeste Form der Intervention in der Strukturgegebenheit zu sehen sein, dass die staatliche Mitwirkung außer dem gerichtlichen Adoptionsbeschluss durch professionelle Vermittlerinnen und Vermittler geleistet wird. Wenn also die Vermittlung eine Voraussetzung der Adoption ist, wie im vorigen Abschnitt festgestellt, dann gehört auch die Professionalität der Vermittlung zu den Bedingungen der Adoptionspraxis. Die bloße Tatsache, dass die Vermittlerinnen und Vermittler sich hauptberuflich und als Expertinnen und Experten mit dem Thema Adoption beschäftigen, stellt bereits eine Intervention dar, weil es impliziert, dass die Beteiligten selbst nicht die nötigen Voraussetzungen mitbringen, damit eine Adoption zustande kommen kann. Professionelle Adoptionsvermittlung setzt das Faktum einer eigengearteten Berufsexpertise voraus, die sich von der Alltagsexpertise abhebt, die abgebende Familien einerseits und annehmende andererseits einfach deshalb mitbringen, weil sie selbst Familien sind und als solche leben. Wenn dies als Voraussetzung für eine Adoption nicht ausreicht, dann deshalb, weil am Adoptionsgeschehen typischerweise zwei Familien beteiligt sind, die aus dem eigenen Erleben gespeiste Alltagsexpertise aber ebenso typischerweise immer nur eine, nämlich die eigene familiäre Orientierung zugrundelegen kann. Der bei jeder Adoption nötige Prozess, für das zu vermittelnde Kind einen Übergang vom abgebenden zum annehmenden Orientierungsraum Familie zu gestalten, verlangt jedoch den Blick über die eigene Familienorientierung hinaus, und dieser wird am einfachsten aus der Perspektive des Unbeteiligten, sprich in professioneller Distanz eingenommen. Professionalität definiert sich geradezu durch die Fähigkeit, vom eigenen Erfahrungshorizont Abstand zu nehmen und andere Erfahrungen in den vorgegebenen Orientierungsraum zu integrieren. 117 Das Erfordernis der Professionalität ist in jedem Adoptionsgeschehen schon deshalb gegeben, weil abgebende und annehmende Familie, wie zu Beginn dieses Kapitels dargestellt, asymmetrisch daran beteiligt sind. Damit besteht jederzeit die Möglichkeit (die Gefahr?), dass Entscheidungen, die im Blick auf das zu adoptierende Kind gefällt werden, Konflikte zwischen den Familien mit sich bringen – spätestens dann ist eine unbeteiligte Instanz, die professionell am Adoptionsprozess mitwirkt, erforderlich. Typische Beispiele sind 94 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Professionelle Adoptionsvermittlung
Verzögerungen der Einwilligung in der Zeit der Adoptionspflege und die Regelung von postadoptiven Kontakten bei halboffenen Adoptionen. Hier geht es jeweils darum, beiderseitige Interessen und Ansprüche am Kind in einer für das Ineinandergreifen beider familiären Systeme förderlichen Weise aufeinander zu beziehen. Beides wird kaum gelingen ohne die professionelle Moderation der Vermittlungsstelle, die dann tatsächlich Züge einer Intervention aufweist, selbst wenn zumindest im Falle der verzögerten Adoptionseinwilligung die beiden Familien gar nicht selbst miteinander in Kontakt oder Konflikt kommen. Vielmehr macht gerade die Tatsache, dass die abweichenden Vorstellungen beider Seiten dasselbe Kind betreffen, den Konflikt aus und die Intervention erforderlich. Die Professionalität der Adoptionsvermittlung erschöpft sich nicht im Merkmal der Unbeteiligtheit, sondern schließt selbstverständlich eine umfangreiche Expertise ein, die die Vermittlerinnen und Vermittler für ihre Tätigkeit qualifiziert. In den Strukturen der Adoptionspraxis drückt sich dies im Fachkräftegebot aus, das die Träger der Adoptionsvermittlung trotz gewisser Ausnahmeregelungen, die aber nur von staatlichen, nicht von freien Trägern verfügt werden können, zwingt, entsprechendes Fachpersonal vorzuhalten. Weniger selbstverständlich dürfte sein, dass mit dem Fachkräftegebot auch gewisse Vorentscheidungen für die Art und Weise getroffen werden, wie die Vermittlungstätigkeit im Adoptionsgeschehen interveniert. Der inhaltliche und qualitative Abstand der professionellen Expertise, die Adoptionsvermittlerinnen und -vermittler der Alltagsexpertise von Beteiligten voraushaben, deutet darauf hin, dass die Intervention, mit der die Vermittlungsstellen an das zu adoptierende Kind und die abgebende wie die annehmende Familie herantreten, befähigender Natur sein wird. Mit dem Begriff der Befähigung stoßen wir auf einen Schlüsselterminus der Adoptionsethik, der uns in Kap. 1 schon begegnet ist und beim Durchgang durch das Adoptionsdreieck noch weiter beschäftigen wird. Wird Befähigung mit Adoption in Zusammenhang gebracht, so liegen dem einige Beobachtungen zugrunde, die für die Strukturen des Adoptionsgeschehens von Bedeutung sind. Dass Beteiligte die Voraussetzungen für eine gelingende Adoption einfach so mitbringen, kann nicht erwartet werden, obwohl an das zu vermittelnde Kind naturgemäß kaum Erwartungen gerichtet und von den (abgebenden wie annehmenden) Eltern – aus den in Kap. 3.1 angerissenen, originär ethischen Gründen und nicht etwa 95 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
aus Nachsicht oder Pragmatismus – keine Beststandards verlangt werden können. Elternsein verlangt selten mehr, als was Erwachsene, die Verantwortung für die nächste Generation zu übernehmen bereit sind, von Hause aus mitbringen. Wenn professionelle Intervention im Adoptionskontext dennoch die Regel ist, dann deshalb, weil die Situation für alle Beteiligten äußerst fordernd, womöglich (insbesondere für die abgebenden Eltern) existentiell bedrohlich ist. Von Müttern, die vor der schwierigen und irreversiblen Entscheidung der Adoptionseinwilligung stehen, kann man unter dem Druck dieser Lage nicht im Ernst fordern, jederzeit auf all ihre Befähigungen zugreifen zu können, die sie unter anderen Umständen vielleicht für so eine Entscheidung zur Verfügung hätten. In anderer Weise sind auch annehmende Eltern in einer solchen Situation in ihrer Urteilsfähigkeit potenziell ›gehemmt‹, schon weil sie klar Partei für das ihnen zu vermittelnde Kind ergreifen (eine Problematik, die bei Rücknahme der Freigabeentscheidung vor ihrer notariellen Beurkundung schnell zur existentiellen Krise werden kann). Das kann es Annehmenden in einer Krisensituation erschweren, die Offenheit für die Herkunft des Kindes einschließlich der Umstände, die zu seiner Freigabe führten, an den Tag zu legen, auch wenn sie diese Offenheit von ihrer allgemeinen Adoptionseignung her ansonsten besitzen. Situationsbedingt ist also davon auszugehen, dass in der akuten Vermittlungslage auf Seiten aller Beteiligten die Voraussetzungen für eine Adoption gegeben sein mögen, aber nicht unbedingt ›abrufbar‹ sind. Was abgebende oder annehmende Eltern an Befähigungen für ihre Rolle mitbringen, beruht auf Alltagserfahrung; die Vermittlung aber ist keine Alltagssituation. Deshalb kann sich auch die Intervention nicht darauf beschränken, die Alltagsexpertise der Beteiligten zu aktivieren, sondern muss sie proaktiv dazu befähigen, auch in einer relativen Ausnahmesituation noch als Eltern so handeln zu können, wie es ihnen im Alltag möglich ist. Da sich Ausnahmesituationen nur bedingt vorwegnehmen lassen, operiert die Intervention vorwiegend im Modus der Beratung, die mögliche und wahrscheinliche Herausforderungen für die Beteiligten benennt und so die Wahrnehmung für typische Reaktionsmuster auf solche Herausforderungen, aber auch die Bereitschaft zur Aktivierung bestimmter Bewältigungsstrategien stimuliert. Beratung dieser Art kann gesprächsweise, im Rollenspiel oder auch standardisiert durch Fragebögen (z. B.: »Welche gesundheitlichen Belastungen können Sie sich für ein anzunehmendes Kind vorstellen?«) geschehen – ihr gleichbleibendes Merkmal ist, 96 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Professionelle Adoptionsvermittlung
dass sie auf Vermittlung professioneller Expertise zielt und sich nicht mit der Aktivierung von Alltagsexpertise begnügen kann. Wer an einer Adoption beteiligt ist, muss über diese besondere Weise, Familie zu sein, anders und besser informiert sein als andere Menschen, obwohl z. B. Adoptiveltern nicht besser und vermutlich nicht einmal anders Eltern sind als andere Menschen. Adoptionsberatung ist Intervention befähigender Art und damit von anderen Beratungsweisen unterschieden. Auf den hier bestehenden Unterschied ist noch eigens einzugehen. Auf dem weiten Feld der Beratungstätigkeit gilt – durchaus in Spannung mit dem Wortsinn von ›Ratschlag‹ – die Grundregel, dass professionelle Beraterinnen und Berater sich mit konkreten Handlungsempfehlungen zurückhalten oder solcher gleich ganz enthalten, um nicht in die Selbstbestimmtheit der Entscheidung des oder der Beratenen einzugreifen. Beratung zielt im Grundsatz nicht auf Empfehlungen, sondern darauf, ihre Empfänger in die Lage zu versetzen, aufgrund der durch eine Beratung empfangenen Klarheit über Handlungsalternativen und ihre möglichen Konsequenzen zu einer selbstverantworteten Entscheidung zu finden. 118 Man kann diese grundsätzliche Vorstellung von Beratung, in der sich einmal mehr Unbeteiligtheit und professionelle Distanz spiegeln, nur sehr uneigentlich als ein Stück Befähigung verstehen, insofern die Beratenen ja nicht zu etwas in die Lage versetzt werden sollen, das ihnen ohne Beratung so nicht möglich gewesen wäre. – Anders bei der Adoptionsberatung. Befähigung gewinnt hier interventionistischen Sinn und bezeichnet ein In-die-Lage-Versetzen, bei dem den Beratenen Fähigkeiten vermittelt werden, die anderen Beratenen, die sich nicht in solcher Situation befinden, nicht nahegebracht würden. Man kann die Besonderheit der befähigenden Intervention in diesem terminologischen Sinn des Befähigungsbegriffs auch so charakterisieren, dass eine solche Intervention die gewöhnliche Annahme der Beratungspraxis in Zweifel zieht, wonach Menschen wirklich auf der Grundlage einer gediegenen Übersicht über die bestehenden Handlungsalternativen und deren Konsequenzen ihre Entscheidungen treffen. In Wahrheit handeln Menschen gerade in weitreichenden Entscheidungen weniger rational und viel impulsiver und intuitiver, als es das Beratungskonzept behauptet. Die Konflikt- oder Extremsituationen z. B. bei einer Adoptionsfreigabe sind ein Beispiel dafür. Dasselbe Problem besteht auch bei Beratungskonzepten, die (wie etwa eine systemische Beratung) davon ausgehen, dass sie bei den 97 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
Beratenen ›nur‹ eine Alltagsexpertise wachrufen, die auch ohne rationales Kalkül zu einer tragbaren Entscheidung kommt, da alle Menschen die geborenen Experten für ihre eigene Situation seien. Auch in eines Menschen ureigenster Situation kann es jedoch Situationen geben, die ihm fremd sind und durch die er sich fremd und allein aus eigenen Ressourcen zur Entscheidung und damit zum Handeln unfähig wird, wofür wiederum der Adoptionskontext Beispiele bereithielte. Wir werden auf den fraglichen Stellenwert familiärer Alltagsexpertise gegen Ende dieses Kapitels noch einmal stoßen. Gegenüber all diesen Ansätzen ist Befähigung als eine Form von Beratung zu verstehen, die dadurch interveniert, dass sie, zugespitzt gesagt, ›parteiisch‹ verfährt und in die Selbstbestimmtheit der Entscheidungsfähigkeit der Beratenen eingreift, indem sie deren eigene Ressourcen als unzureichend wahrnimmt und ihnen fremde andient. Dieser Sachverhalt steht im Hintergrund der ethischen Kategorie der Befähigungsgerechtigkeit, auf deren Ansatz – keineswegs auf einzelne Theoriekonzepte – hier in aller Knappheit einzugehen ist, damit die Grundintention dieses Konzepts hervortritt. 119 Im allgemeinen Ethikdiskurs stellt der befähigungsgerechte Ansatz, der sich mit den Namen der Philosophin M. C. Nussbaum und des Wirtschaftswissenschaftlers A. Sen verbindet (›capability approach‹), eine Korrektur an liberalen Kontraktualismen im Gefolge der Gerechtigkeitstheorie von J. Rawls dar. Rawls hatte über den sog. Urzustand, von dem all die typisch kontraktualistischen Gedankenexperimente zum bestmöglichen Zusammenleben ausgehen, einen »Schleier des Nichtwissens« gebreitet. 120 Unter diesem Schleier müssten, so eine der wenigen methodischen Prämissen von Rawls’ Theorie, alle vernünftigen Individuen Gerechtigkeitsregeln wählen, die bei den in der Realität fälligen Güterverteilungen den am stärksten Benachteiligten am meisten zugutekämen, weil sie ja, ohne es zu wissen, selbst zu diesen gehören könnten. Dieser in der Theorie vorweggenommene Mängelausgleich ist ein Moment des Rawls’schen Liberalismus, da er auf einem gewissen Eigennutzdenken des Einzelnen (konkret seiner Befürchtung, selbst ein Benachteiligter sein zu können) aufbaut. So erklärt sich aber auch, dass spätere Repräsentanten der politischen Philosophie gerade Rawls den Einwand der objektiv realen Chancenungleichheit entgegen halten konnten. 121 Für den klassischen Liberalismus, der in der Gleichheit der Möglichkeiten oder Chancen das Gegenmittel gegen Ungleichheit in der Wirklichkeit oder Realität sah, war der Einwand real ungleicher Chancen noch 98 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Professionelle Adoptionsvermittlung
in sich selbst widersprüchlich, eine Vermischung von Wirklichkeit (reale Ungleichheit) und Möglichkeit (Ungleichheit in den Chancen) gewesen. Rawls selbst hatte aber mit der – wenn auch bloß im Gedankenexperiment – zugestandenen Möglichkeit tatsächlicher Benachteiligung die Tür dazu aufgestoßen, kontextbedingte und für den Einzelnen unüberwindliche Einschränkungen schon in den Chancen oder Möglichkeiten (nicht erst in der Wirklichkeit) anzuerkennen. Wer (z. B. durch politische Umstände) objektiv benachteiligt ist, hat nichts von formell bestehender Chancengleichheit. Damit lag das erforderliche Argument bereit, um einseitige Interventionen zugunsten Benachteiligter zu legitimieren, die diese überhaupt erst zur Wahrnehmung ihrer Chancen befähigen und insofern nicht als ungerechte Bevorzugung, sondern im Gegenteil als Gerechtigkeit zu gelten haben. Gleiche Chancen, die dem klassischen Liberalismus als Inbegriff der Gerechtigkeit vorschweben, müssen dann erst einmal hergestellt werden, ohne dass die Intervention jedoch gleiche Güterverteilung aktiv herstellt. Ohne die in der Praktischen Philosophie diskutierten Grundbefähigungen (capabilities) hier inhaltlich in Augenschein nehmen zu müssen, kann man feststellen, dass jede derartige Befähigungsgerechtigkeit eine Form von Interventionismus darstellt, der über das bisher in diesem Abschnitt thematisierte Maß der Eingriffstiefe hinausgeht, insofern er einseitige Begünstigungen vornimmt, aber doch nur, um Chancengleichheit zu schaffen, und nicht im Interesse einer regelrechten Umverteilung der Güter. In der Politischen Philosophie steht der befähigungsgerechte Ansatz darum zwischen den sozialstaatlichen Konzepten des sog. Minimalstaats, der nur die zur Chancenwahrung des Einzelnen erforderlichen Grundrechte gewährleistet, und des Wohlfahrtsstaats, der auf reale und effektive Gleichheit unter den Bürgern zielt und dazu staatliche Maßnahmen vorsieht. Politisch schillert der befähigungsgerechte Ansatz zwischen liberalen Positionen, mit denen er die Begründungspflicht von Interventionen und den Fokus auf den Einzelnen teilt, und den Gegenentwürfen des Kommunitarismus, die den Gerechtigkeitsbegriff an mehr oder weniger ausgearbeitete Konzepte von Gemeinschaft und Gemeinwohl knüpfen und deshalb weniger Legitimationsbedarf für Eingriffe in Rechte Einzelner annehmen. Angesichts der geschilderten Zwischenstellung ist es verständlich, wenn z. B. P. Dabrock als derzeit führender theologisch-ethischer Vertreter der Befähigungsgerechtigkeit in Deutschland eine Mittel99 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
position vertritt. Dabrock zufolge bleibt der Gerechtigkeitsstandard gewahrt, wenn die fraglichen Befähigungen auf einem bestimmten Niveau eingefroren werden (Dabrock spricht von einem »cut-offPoint«), 122 dieses aber nicht pauschal nach Art eines Existenzminimums, sondern kontextsensibel bestimmt wird (die Rede ist von einem »decent minimum«). 123 Dabrocks Aufstellungen bieten auch für das Verständnis der Adoptionsvermittlung nützliche Bezugspunkte. Wenn Adoptionsberatung erforderlich ist, weil die Beteiligten nicht von sich aus die erforderlichen Fähigkeiten mitbringen, um als abgebende oder annehmende Eltern zu agieren, kann die hieran ansetzende Beratung als befähigende Intervention begriffen werden, die elterliche Fähigkeiten vermittelt. Dabei handelt es sich um ein einseitiges Eingreifen, das nicht allen Eltern zuteilwird, sondern speziell den an einer Adoption beteiligten. Weil damit lediglich der besonderen Adoptionssituation Rechnung getragen wird, angesichts derer die Betroffenen ohne Intervention objektiv schlechtere Chancen hätten, sich auf die Bedürfnisse des zu vermittelnden Kindes einzustellen, ist dieses einseitige Vorgehen keineswegs ungerecht, sondern folgt den Grundsätzen einer kontextsensiblen Befähigungsgerechtigkeit. Vor diesem Hintergrund nimmt der Begriff der Vermittlung, der das Mitwirken der unbeteiligten Professionellen an einer Adoption zusammenfassend beschreibt, eine doppelte Bedeutung an. Professionelle Adoptionsvermittlung geschieht einerseits zwischen den beiden beteiligten Familien, um relative Gegensätze, die in ihrem jeweiligen Verhältnis zu dem zu adoptierenden Kind begründet sind, auszugleichen; sie ist also Vermittlung im Sinne der Mediation. Die professionelle Beratung wirkt aber auch darin vermittelnd, dass sie den Beteiligten bestimmte, je nach konkreter Situation unterschiedliche Fähigkeiten mitteilt oder vermittelt, die diese nicht von Hause aus mitbringen oder doch zumindest in der akuten Vermittlungssituation nicht aus eigener Initiative zuverlässig abrufen können. In diesem Sinne ist Vermittlung Befähigung. Beide Momente, das mediatorische und das befähigungsgerechte, sind in der professionellen Adoptionsvermittlung so eng miteinander verbunden, dass man im doppelten Sinne von einer vermittelnden Intervention sprechen kann. Als solche ist sie – auch terminologisch – in ihrer Eingriffstiefe von weiterreichenden Interventionen unterschieden, nämlich solchen, die im sozialstaatlichen Gesamtkontext, dem Bezugsrahmen der Theorie der Befähigungsgerechtigkeit, regelrechte Umverteilun100 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vermittlung probater Adoptionsbefähigungen
gen darstellen und damit über Befähigungen hinausgehen würden. Wir werden sowohl auf diese weitergehenden Interventionen als auch auf den mediatorisch-befähigenden Doppelcharakter der Adoptionsvermittlung treffen, wenn wir uns im weiteren Verlauf dieses Kapitels den zwei Hauptaufgaben der Vermittlungstätigkeit zuwenden, die die charakteristischen Stufen eines durchschnittlichen (inländischen) Adoptionsgeschehens bilden, nämlich der Bewerberauswahl (3.3) und der konkreten Kindesplatzierung (3.4).
3.3 Vermittlung probater Adoptionsbefähigungen Betrachtet man die konkreten Instrumente, die Adoptionsvermittlerinnen und -vermittlern zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen, so ist ihre Tätigkeit zu großen Teilen Beratung. Dies gilt für die verschiedensten Felder ihrer Arbeit und betrifft sowohl den Umgang mit abgebenden Eltern als auch die Ermittlung geeigneter Adoptionsbewerber. Die konkrete Platzierung eines Kindes zur Adoptionspflege ist, auch wenn sie selbst deutlich stärker interveniert, als es eine Beratung tut, nur auf der Basis umfassender Beratung vorstellbar. Schließlich ist die nachgehende Begleitung der Beteiligten – um hier nur die unmittelbar operativen Aufgaben der Adoptionsvermittlung zu nennen – vielfach durch beratende Tätigkeit gekennzeichnet. Der vorliegende Abschnitt wendet sich speziell der Beratung von Adoptionsbewerbern zu, weil an ihr die charakteristisch ethische Problematik besonders deutlich hervortritt, mit der Adoptionsvermittlungsstellen bei der Ausübung ihrer beratenden Intervention häufig in Berührung kommen. Dass auch die Beratung abgebender Eltern ähnliche, ethisch relevante Merkmale aufweist, soll hier zumindest angemerkt sein, auch wenn dieser Bereich der Beratung im Folgenden nicht näher thematisiert wird. Der Begriff der Beratung spielt (neben dem der Unterstützung) im Adoptionsvermittlungsgesetz, der rechtlichen Grundlage der Vermittlungstätigkeit, und in den offiziellen »Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung« der BAGLJÄ eine tragende Rolle. Im vorigen Abschnitt konnten wir bereits feststellen, dass die Beratung im Kontext der Adoption – durchaus im Unterschied zu benachbarten familienethischen Tätigkeitsfeldern wie der Erziehungsberatung im Rahmen der Allgemeinen sozialen Beratung – befähigenden Charakter hat und insoweit eine zwar niederschwellige, aber doch qualifizierte Form 101 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
der Intervention darstellt, die wir im doppelten Sinne des Wortes als vermittelnd bezeichnet haben. Dieser Charakter der Adoptionsberatung wird im vorliegenden Abschnitt noch genauer bestimmt. Vor dem erwähnten Hintergrund ist ein empirisches Forschungsergebnis auffällig zu nennen, das die in den Anmerkungen dieses Buches schon erwähnte Essener Adoptionsstudie der späten 1980er Jahre bei ihren Befragungen von Adoptionsvermittlerinnen und -vermittlern erzielte. Die Mehrzahl der Befragten lehnte es seinerzeit ab, ihre beratende Tätigkeit auch nur teilweise als qualifizierend zu verstehen, sodass man sagen könnte, Vermittlungsstellen hätten die Aufgabe, »die Bewerber zur Übernahme von Elternaufgaben zu befähigen«. 124 Hier wird der Befähigungsbegriff ausdrücklich zurückgewiesen. Gewiss muss man dieses Forschungsergebnis in seinem Kontext würdigen. Befähigungsgerechtigkeit war im deutschen Sprachraum in den 1980er Jahren noch kein etablierter Terminus, und die Frage, die von den Interviewten in der zitierten Weise abschlägig beschieden wurde, brachte die Vermittlungstätigkeit in einen Zusammenhang mit therapeutischer Arbeit und so auch in die Nähe seelsorglicher Tätigkeit. Die Vermittlerinnen und Vermittler empfanden es als Zumutung, für die »Aufarbeitung« von persönlichen »Problemen« der Bewerber, die mit deren Bewerbungssituation zusammenhingen, zuständig sein zu sollen. 125 Doch auch dann, wenn man diesen Kontext in Rechnung stellt, bleibt festzustellen, dass die zitierte Ablehnung dazu führt, den Beratungsbegriff mit Blick auf Adoptiveltern bzw. -bewerber ganz auf die Überprüfung der elterlichen Eignung einzuschränken. Demgegenüber erbrachte die sog. Fuldaer Erklärung, die eine Konferenz konfessioneller Adoptionsvermittlungsstellen nur wenige Jahre (1994) später abgab, ein charakteristisch anderes Bild. Demzufolge verstand sich die konfessionelle Adoptionsvermittlung – mit einer Formulierung, die in der Theologie zur Umschreibung christlicher Essentials eingebürgert ist – als »Lebens- und Wesensäußerung« der christlichen Wohlfahrtspflege durch Diakonie (evangelisch) bzw. Caritas (katholisch). 126 Diese beträchtliche Aufwertung, die ja immerhin besagt, dass Diakonie und Caritas ohne dieses Aufgabengebiet nicht mehr sie selbst wären, wurde damit begründet, dass Adoptions- und Pflegekinderdienste nur integriert in den Rahmen der Allgemeinen Kinder- und Jugendhilfe und wie diese als umfassende Beratungs- und Unterstützungstätigkeit der Betroffenen zu verstehen seien. 127 Die Adoptionsvermittlung profitiert nach dieser Ar102 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vermittlung probater Adoptionsbefähigungen
gumentation von ihrer Einbettung in das Ganze der Kinder- und Jugendhilfe und wird dadurch unverzichtbar, weil diese im Ganzen unverzichtbar ist. In diesem Zuge können auch die Aufgaben und Eigenschaften der Beratung, die für dieses Ganze charakteristisch sind, auf die Adoption übertragen werden. Zur Beratung aber schreiben die Urheberinnen und Urheber der Fuldaer Erklärung ausdrücklich, dass der »der Gedanke der Qualifizierung« sie trage, 128 also das Konzept der Befähigung. Man steht damit vor dem Gesamtbild, dass noch in der jüngeren Vergangenheit eine Mehrheit der Adoptionsvermittelnden die Befähigung von Adoptiveltern ablehnte, während die Gruppe der konfessionell Gebundenen unter diesen Vermittlerinnen und Vermittlern sich mehrheitlich für die Befähigung als Leitvorstellung der Adoptionspraxis aussprach. Es liegt nahe, in der Befähigungsidee eine Art Alleinstellungsmerkmal der konfessionellen Adoptionsvermittlung zu sehen. Allerdings wäre diese Sichtweise, zumal im Rückblick auf einen gut zwanzig Jahre vergangenen Zustand, eher als historische Beschreibung akzeptabel. Hierbei hat die konfessionelle Vermittlung auf manchen Gebieten Standards der Adoptionspraxis gesetzt, die aber bald von der Masse der Vermittlungsstellen übernommen wurden. 129 Ein sachlicher Vorrang konfessioneller Vermittlung ergibt sich also ebensowenig 130 wie ein ethisch verwertbares Argument. Ein solches scheint jedoch greifbar, wenn man die hier aufgespießten Positionen aus der Essener Studie und der Fuldaer Erklärung auf das jeweilige Verständnis von Beratung zuspitzt. Wer die Qualifikation der Adoptionsbewerber aus ihrer obligaten Beratung heraushält, fasst diese Beratung als die vom Gesetz (§ 7 Abs. 1 AdVermiG) verlangte Überprüfung der elterlichen Fähigkeiten ohne Vermittlung derselben auf (in der Sprache des Gesetzestextes handelt es sich um »sachdienliche Ermittlungen«). 131 Diese Position lässt sich jedoch nur für die Überprüfung gewisser Ausschlusskriterien elterlicher Eignung durchhalten. Elternschaft ist aber keineswegs nur ein negatives Gut, das sich gar nicht inhaltlich bestimmen ließe. Zwar ist es richtig (und, wie wir in Kap. 6 sehen werden, auch adoptionsethisch wichtig), dass Elternschaft sich situationsgebunden bewährt und schon deswegen keine abschließende ›Positivliste‹ elterlicher Qualitätsmerkmale aufgestellt werden kann, anhand derer die Vermittlungsstellen geeignete Bewerber herausfiltern könnten. Dennoch sind über die Befähigungen, die zum Gelingen einer Adoption beitragen, selbstverständlich inhaltliche Aus103 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
sagen möglich, wie schon die Aufstellungen in Kap. 1.3 dieses Buches belegen. 132 Die Autorinnen und Autoren der Fuldaer Erklärung haben mit ihrer von der Vermittlergesamtheit abweichenden Auffassung offensichtlich stärker diesen inhaltlich-positiven Aspekt der Bewerberauswahl vor Augen und beziehen deshalb die Vermittlung von Fähigkeiten in die Beratung ein, müssen dabei aber der Tatsache Rechnung tragen, dass es im Adoptionskontext keine Vermittlung elterlicher Fähigkeiten ohne Überprüfung derselben geben kann. Das liegt an der »praktischen Erweisstruktur« dieser Fähigkeiten, die nicht in Kenntnis oder Wissen über psychische Dynamiken im Bindungsverhalten von zur Adoption freigegebenen Kindern bestehen, sondern in einer – sicherlich entsprechend informierten – Interaktion mit ihnen in der familiären Erziehungssituation. 133 Der hierfür nötige praktische Umgang mit Kindern fehlt Adoptionsbewerbern aber typischerweise fast immer, wenn sie sich als solche registrieren lassen, denn das weitaus überwiegende Adoptionsmotiv ist unverändert die ungewollte Kinderlosigkeit. In der Bewerbersituation, die den Auftakt zum Leben in der Adoptivelternrolle bildet, kann der Umgang mit eigenen Kindern daher nur imaginiert werden. In der späteren Adoptionspflegezeit, die im gerichtlichen Adoptionsverfahren der gutachtlichen Stellungnahme des beteiligten Jugendamtes und/oder der sonstigen Vermittlungsstelle zugrunde liegt, kann sicherlich auf reale Eltern-Kind-Interaktion Bezug genommen werden; in der Bewerbungssituation ist dies jedoch in aller Regel ausgeschlossen. Die Adoptionsvermittlungsstellen behelfen sich angesichts dieser Problematik auf wenigstens zwei Weisen. 134 Eine große Rolle spielt einerseits die Reflexion der Erfahrungen, die die Bewerberinnen und Bewerber selbst als Kind mit der erzieherischen Interaktionsweise ihrer Eltern gemacht haben. Unter anderem hierzu dient der sog. Lebensbericht, den die Bewerber individuell und persönlich verfassen müssen und der regelmäßiger Bestandteil der Eignungsprüfung von Adoptionsbewerbern ist; vielerorts ist der ganze Prozess der Bewerberauswahl als Seminar organisiert und dadurch von vornherein auf reflexive Arbeitsformen angelegt, die typischerweise in einer (Seminar-)Gruppe gleichartig Betroffener, also gemeinschaftlich, aber auch im Vergleich (gar Konkurrenz?) untereinander geschieht. Damit ist andererseits verbunden, dass die beschriebenen Interaktionsformen, wenn sie in der Adoptionsberatung auch nicht im Umgang mit einem realen Kind geübt werden können, z. B. im Rollenspiel ausagiert werden können. Bewerberpaare werden etwa aufgefordert, sich in unter104 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vermittlung probater Adoptionsbefähigungen
schiedliche Beteiligte des Adoptionsdreiecks hineinzuversetzen und typische Familienkonstellationen und -situationen unter sich (als Paar) und mit ihresgleichen (mit anderen Paaren) durchzuspielen. Das Bewerberpaar begibt sich dann zwar nur imaginativ in die Elternrolle, trotzdem ist diese keineswegs imaginär, sondern wird im Rollenspiel real erprobt. Da hierbei das Partnerschaftsverhalten der Bewerber meist als Indikator für spätere elterliche Interaktion der Betreffenden angesehen wird, 135 ist die Probe der Elternrolle nicht nur Einübung, sondern zugleich Prüfung im Sinne der ursprünglichen Wortbedeutung von »Probe«. Ebenso sind die Fähigkeiten, die Adoptionsbewerbern durch praktische Methoden wie das Rollenspiel vermittelt werden, buchstäblich ge- oder erprobte, also probate Fähigkeiten. Ihre Vermittlung ist zugleich ihre Überprüfung; erst beides zusammen füllt den Begriff der Beratung aus, wie er sich im Kontext der Bewerberauswahl darstellt. Wie dieser Seitenblick auf die konkrete Praxis der Bewerberauswahl zeigt, ist der Konnex der Befähigung von Bewerbern mit ihrer Überprüfung nicht auflösbar. Er kann und sollte aus ethischer Perspektive jedoch offengelegt werden, 136 d. h. Vermittlungsstellen täten nicht gut daran, mit einer versteckten Agenda zu arbeiten, indem sie Bewerber bei der Vorwegnahme von Elternsituationen in dem Glauben ließen, einfach nur kommende Erziehungsherausforderungen zu reflektieren, während in Wahrheit ihr Partnerschaftsverhalten als mögliches Ausschlusskriterium für Adoptionseignung auf dem Prüfstand steht. In dieser Weise doppelbödig zu beraten, würde die Vertrauensbasis angreifen, die nicht nur für die elterliche Aufgabe der Erziehung, sondern, dem sogar vorgeordnet, für die Beratung künftiger Eltern essentiell ist. Bewerberpaare sollten wissen, woraufhin sie im Zuge der Adoptionsvermittlung beraten und eben auch beobachtet werden. Durch empirische Forschung ist seit langem bestätigt, dass die Bewerber ihre derartige Beobachtung ohnehin ahnen und ihr Verhalten im Bewerbungsverfahren daraufhin einrichten, um ihre Erfolgsaussichten zu steigern. 137 Dass auch derart strategisches Verhalten auf Bewerberseite ethisch problematisch ist, weil es im ›Erfolgsfall‹ zu einer Selbsttäuschung der Eltern über ihre wahren Befähigungen führt, ist ebenso offensichtlich. Ich möchte vorschlagen, den Konnex der Vermittlung elterlicher Fähigkeiten mit deren Überprüfung als einen weiteren Beleg für die Doppelbedeutung des Begriffs der (Adoptions-)Vermittlung als Mediation und als Befähigung aufzufassen, denn das Element der Über105 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
prüfung, das sich auf den ersten Blick schlecht mit einer Mediation zu reimen scheint, ist bei genauerem Hinsehen doch nichts anderes als das. Indem Bewerber auf ihre elterlichen Fähigkeiten hin überprüft werden, wird das Set ihrer Befähigungen mit einem zwar unabgeschlossenen, aber doch inhaltlich bestimmbaren Katalog von Eignungskriterien abgeglichen und insoweit beide (jenes Set und dieser Katalog) miteinander vermittelt. Die Bewerberauswahl ist so gesehen Vermittlung im vollen (doppelten) Sinne des Wortes. Mag diese begriffliche Operation auch gekünstelt erscheinen, so erweist sie sich doch adoptionsethisch als hilfreich, wenn unsere Überlegung nun zum nächsten Schritt des Adoptionsgeschehens fortschreitet, der konkreten Platzierung eines zur Vermittlung anstehenden Kindes.
3.4 Vermittelnde und positive Intervention Es ist ein populärer Irrtum, der durch das trotz beiderseitigen Rückgangs immer noch bestehende Missverhältnis zwischen Bewerberzahlen und zu adoptierenden Kindern begünstigt wird, dass präsumtive Adoptiveltern nach durchlaufener Bewerberauswahl auf die Vermittlung oder Platzierung eines Kindes zu ›warten‹ hätten oder auch nur darauf ›warten‹ könnten. Abgesehen davon, dass man Bewerbern nur raten kann, nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur Aufnahme eines Kindes gegenüber der Vermittlungsstelle proaktiv anzumelden, anstatt einfach zu warten, befindet sich die umrissene Annahme auch deshalb im Irrtum, weil Wartezeiten als Vermittlungskriterium ausdrücklich ausgeschlossen sind. 138 Die Vermittlung eines zu adoptierenden Kindes erfolgt vielmehr nach einem Verfahren, das als Matching bezeichnet wird, also auf einer Passung (so die wörtliche Übersetzung) aufbaut. Hierbei werden Erwartungen, die die abgebenden Eltern an die Platzierung ihres Kindes haben, mit den Vorstellungen abgeglichen, die die Bewerberpaare bezüglich des von ihnen aufzunehmenden Kindes hegen. Die adoptionsethische Betrachtung erkennt hinter der Grundidee des Matching sogleich die Befähigung zur Offenheit wieder, die wir in Kap. 1.3.1 als Voraussetzung einer gelingenden Adoption bezeichnet haben, denn konkret handelt es sich dabei ja um Offenheit für die Herkunft des Kindes. Sie verbindet sich im Matching mit dem aus Gründen des Kindeswohls gegebenen Erfordernis, den Übergang von 106 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vermittelnde und positive Intervention
der abgebenden in die annehmende Familie für das Kind so weich wie möglich zu gestalten; deshalb wird dasjenige Bewerberpaar, dessen Vorstellungen den bei Abgabe bestehenden Erwartungen am besten entspricht, auch dasjenige sein, das den weichsten Übergang vom einen in den anderen Orientierungsraum verspricht. Ich erwähne diese durchaus am Tage liegenden Sachverhalte, weil sie als Explikation des scheinbar klaren, aber doch kaum operationablen rechtlichen Erfordernisses dienen können, dass ein Adoptivkind immer an die objektiv geeignetsten Elternbewerber vermittelt werden muss. 139 Stellt man die naheliegende Frage, wer denn die Geeignetsten sind bzw. wie man sie finden soll, so gibt die Methode des Matching die Antwort darauf. Sie ist auch sehr praktikabel, weil die Reflexion der Frage, was für ein Kind Eltern sich zur Annahme in eine eigene Familie vorstellen können, wesentlich zur Befähigung gehört, die Bewerbern im vorangegangenen Auswahlverfahren vermittelt worden ist. Abgebenden Eltern werden analoge Erwartungen entlockt, indem sie im Kontext der Freigabe bei Einschaltung der Vermittlungsstelle schon im Vorfeld der eigentlichen Kindesplatzierung, bei der zumindest halboffene Adoptionen meist zu einem Treffen mit den annehmenden Eltern führen, um Mitwirkung bei der Elternauswahl gebeten werden. Sie können z. B. Vorstellungen über die wünschenswert scheinende familiäre Konstellation der Adoptivfamilie (sollen die Annehmenden kinderlos sein oder schon – meist auch adoptierte – Kinder haben?) oder die Konfession der annehmenden Familie und viele andere Dinge äußern. So plausibel das Matchingverfahren im Grundsatz auch ist, erzeugt es doch einen gewissen ethischen Reflexionsbedarf. Zunächst fällt auf, dass den Erwartungen der abgebenden Eltern an die Situation der annehmenden Familie ein hoher Stellenwert zugesprochen wird. Hat eine abgebende Mutter beispielsweise den Wunsch, dass ihr Kind nur in eine Familie mit einem bestimmten religiösen Bekenntnis vermittelt wird, so wird das in aller Regel respektiert werden, also in der Praxis dieses Falles als Ausschlusskriterium anders-konfessioneller Bewerber wirken. Man kann diesen quasi normativen Stellenwert der Abgabeerwartungen als Konsequenz des faktischen Ungleichgewichts von ›Angebot‹ und ›Nachfrage‹ auf dem ›Adoptionsmarkt‹ begreifen, würde damit aber sachfremde Kriterien anlegen. Ethisch zielführender dürfte sein, einen faktisch normierenden Stellenwert solcher Erwartungen anzuerkennen. Man mag diesen hohen Stellenwert hinterfragen angesichts der Tatsache, dass die abgebenden Eltern 107 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
ja im Begriff sind, die Sorge für das betreffende Kind vollständig abzugeben – tatsächlich ruht sie erst mit der notariell beurkundeten Einwilligungserklärung –; ethisch adäquat dürfte jedoch die Sichtweise sein, dass diese relativ starke Einflussnahme der abgebenden Eltern mit der hohen Bedeutung des Herkunftskontexts begründet ist, dessen Respektierung eine wesentliche Befähigung auf Seiten der Adoptiveltern darstellt (Stichwort ›Offenheit‹). Nicht anders ist das Erfordernis eines weichen Übergangs von der Herkunfts- in die Adoptivfamilie begründet. Für die ethische Betrachtung ist wichtig festzuhalten, dass, wer diesen Normen zustimmt, im selben Atemzug auch sagt, dass eine herkunftsnahe Platzierung des Kindes den Vorzug vor der ›Verpflanzung‹ in einen völlig anderen Lebenskontext genießt. Nähe ist hier nicht in erster Linie räumlich zu verstehen und auch nicht als Ausdruck einer Milieubeschreibung. Mögliche Erwägungen, wie sich durch die Platzierung des Kindes das Inkognito der Adoption vor zufälligen oder gesuchten Begegnungen mit der abgebenden Mutter schützen lässt, verlieren in dem Maß an Plausibilität, wie die Einsicht in die Bedeutsamkeit offenen Umgangs mit der Kindesherkunft gewachsen ist und die halboffene Adoption sich durchgesetzt hat. Auch wird man, was mögliche Milieunähe angeht, aus dem Bestreben nach einem weichen Übergang selbstverständlich nicht folgern können, dass deprivierende Umstände, unter denen es zur Adoptionsfreigabe eines Kindes kam, in der Adoptionsfamilie in einem vergleichbaren Umfeld weiterzuführen seien. Herkunftsnahe Platzierung eines Adoptivkindes wird vielmehr grundsätzlich heißen, dass es sich tatsächlich um eine Vermittlung im Sinne der Mediation handelt, sodass durch die Adoption tatsächlich zwischen der abgebenden und der annehmenden Familie vermittelt wird. Ein wichtiges Kriterium hierfür wird sein, dass die Voraussetzungen für die in Kap. 1.3 genannten Faktoren gelingender Adoption bei der Platzierung absehbar gegeben sind, denn alle diese Faktoren zielen darauf, dass dem Kind bei der Entwicklung seiner Identität als Adoptivkind tatsächlich der doppelte Bezug zur Adoptivund zur Herkunftsfamilie gegenwärtig wird. Die Befähigung zu einer solchen Identitätsausbildung scheint der zusammenfassende Gesichtspunkt zu sein, auf den im Matchingverfahren zu achten ist. Mit den vorstehenden Überlegungen ist der Versuch unternommen, das für die Platzierung des Kindes maßgebliche Verfahren des Matching als ein Geschehen von Vermittlung im Sinne der Mediation aufzufassen. Vor dem Hintergrund von Kap. 3.3 muss sich sofort 108 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vermittelnde und positive Intervention
die Frage anschließen: Ist das Matching damit auch Vermittlung im doppelten Sinne von Überprüfung und Befähigung? Dass Mediation als Überprüfung bestimmt werden kann und umgekehrt, war bereits bei der Bewerberauswahl festzustellen und trifft auch hier zu. Denn da die Erwartungen der abgebenden Eltern aus guten ethischen Gründen (Herkunftssensibilität der Adoption) und nicht aufgrund ökonomischer Gegebenheiten (Asymmetrie von ›Angebot‹ und ›Nachfrage‹) de facto normierend wirken, kann man sagen, dass der Abgleich zwischen ihnen und den Vorstellungen der Adoptionsbewerber einer Überprüfung der letzteren gleichkommt. Handelt es sich beim Matching aber auch um eine Befähigung? Diese Frage scheint mir das ethisch ›heißeste Eisen‹ unter den Strukturfragen der Adoptionspraxis zu sein. Ein Rückblick auf die Passungskriterien (aus Kap. 1.3) zwischen den Abgabeerwartungen der leiblichen und den Vorstellungen der annehmenden Eltern erweckt den Anschein, als ob beim Matching von einer Befähigung des zu vermittelnden Kindes ausgegangen werden müsse, richten sich diese Kriterien doch darauf, dass das Kind in die Lage versetzt wird, eine eigene Identität unter Einschluss seiner doppelten Familiengeschichte zu entwickeln. Während die Bewerberauswahl mit einer Befähigung der Eltern (besonders der annehmenden) einhergeht, wäre dann das Matching mit einer Befähigung des Kindes verbunden. Was beim ersten Hören unspektakulär klingen mag, weil jede Adoption die Reaktion auf eine unvorhergesehene Notlage ist, in der für das Kind eine andere als seine Herkunftsfamilie gefunden werden muss, entwickelt erhebliche ethische Brisanz, wenn man den Fall unterstellt, dass Kinder in ihren Herkunftsumständen leidlich aufwachsen könnten, eine Adoption ihnen aber eine ungleich vorteilhaftere Ausgangslage für die Kindheits- und Jugendentwicklung verspräche. Dieser Fall ist in der inländischen Adoptionspraxis eher hypothetisch, spielt aber eine erhebliche Rolle in der zwischenstaatlichen Adoption 140 und, was für die Adoptionsethik fast noch mehr Auswirkungen hat, in der internationalen Forschung dazu. Dabei ist nicht an Adoptionsfreigaben im Sinne der klassischen Inlandsadoption zu denken, sondern vor allem an Kinder, die in ihrem Herkunftsland in Kinderheimen unter womöglich stark benachteiligenden Umständen leben, weil ihre zumeist schon kinderreichen Eltern aus vornehmlich wirtschaftlichen Gründen nicht auch noch für sie sorgen können. Nach der europäischen Wende 1989/90 machte in dieser Hinsicht besonders Rumänien mit negativen Schlagzeilen 109 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
von sich reden, wo unter dem kommunistischen Regime Kontrazeptiva effektiv, nämlich juristisch durch Verbot (inklusive Abtreibungsverbot) und ökonomisch durch entsprechende Steuerung des ja strikt planwirtschaftlich zentralistischen Systems eliminiert worden waren, um eine nationalökonomische Steigerung der Arbeits- und so der Wirtschaftskraft des Landes zu erzwingen. Das tatsächliche Ergebnis des eintretenden Bevölkerungszuwachses war unter anderem eine Verelendung von Familien, die schließlich die Unterbringung von Kindern in miserabel ausgestatteten und schlecht geführten staatlichen Heimen zur Folge hatte. Beim Blick auf Notlagen von derartiger systemischer Tragweite lässt sich die Äußerung von T. P. Jackson einordnen, wonach leidende Kinder in solchen Situationen aus ethischer und religiöser Sicht geradezu ein Recht darauf haben sollen, im Ausland adoptiert zu werden. 141 In den USA, dem größten ›Nehmerland‹ auf der Bühne zwischenstaatlicher Adoption, dürfte diese Auffassung mit mehr Beifall rechnen als an manch anderem Ort der Welt, doch zeigt sich ihre Brisanz sogleich am zugespitzten Beispiel der amerikanischen Baptistengruppe, die im Januar 2010 kurz nach dem verheerenden Erdbeben bei der Ausreise aus Haiti festgenommen wurde, weil sie minderjährige Erdbebenopfer bei sich hatte, für die sie – dem Selbstverständnis der Gruppe nach: aus Liebe – eine Adoption in den USA einleiten wollte. Dass dieses Vorgehen massiv illegal und trotz seiner vorgeblich noblen Motivation ethisch absolut verwerflich war, liegt angesichts der Eigenmächtigkeit der adoptionswütigen ›Helfer‹, die ohne jede öffentliche oder staatliche Begleitung und ungeachtet des Fehlens einer entsprechenden Freigabe aus dem Herkunftskontext der übrigens keineswegs durchweg verwaisten Kinder agierten, auf der Hand. 142 Vielleicht vermögen gerade so überspitzte Beispiele wie das genannte aus Haiti das Problembewusstsein dafür zu schärfen, welche ethische Qualität es hat, wenn die Platzierung eines zu vermittelnden Adoptivkindes als Befähigung seiner selbst, nämlich als Möglichkeit zu einem chancenreicheren Aufwachsen verstanden wird. Dabei geht es nicht einmal primär um die für sich genommen gravierende Gefahr, dass Mütter aus Ländern, die zu den notorischen Armenhäusern der Erde zählen, zu einer Adoptionsfreigabe gedrängt oder gelockt werden könnten, die ihren eigentlichen Vorstellungen von Elternschaft und Familie widerspricht. Die einschlägige Zielgruppe sind vielmehr Kinder, die mit Wissen und Einverständnis ihrer Eltern in kläglichen Umständen von Heimunterbringung leben und deren 110 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vermittelnde und positive Intervention
Auslandsadoption den Wünschen der Herkunftsfamilie durchaus entgegenkäme. Sollte man nicht in einem solchen Fall, der weiterhin kein Einzelfall ist, die (zwischenstaatliche) Adoption als eine »positive Intervention« begreifen können, die weit über das bisher thematisierte Maß von Intervention (professionelle Adoptionsvermittlung, befähigende Beratung) hinausgeht? Jetzt ginge es tatsächlich darum, im Sinne einer »Umverteilung« aktiv und steuernd Einfluss auf Adoptionsströme zu nehmen, die schon ohnedies im Bereich zwischenstaatlicher Adoption über den Globus branden. Die These der Adoption als »positiver Intervention« stammt von der niederländischen Adoptionsforscherin F. Juffer, 143 die ausgehend vom Beispiel rumänischer Heimkinder, aber auch deutlich darüber hinaus, auf breit gesicherter empirischer Basis von erstaunlichen Aufholjagden (»massive catch-up«) berichten kann, die derart zwischenstaatlich adoptierte Kinder im Vergleich zu ihren Altersgenossen hinlegen: Sie sind in allen relevanten Entwicklungsbereichen den im Herkunftsland verbliebenen früheren Peers weit voraus und stehen im neuen Heimatland hinter den dort einheimischen Gleichaltrigen kaum nennenswert zurück. Die Entwicklungsprognose solcher Kinder scheint bei massiven Deprivationserfahrungen wie im Fall der (fast schon chiffreähnlich herangezogenen) rumänischen Heimkinder umso klarer für die Bejahung solch positiver Intervention zu sprechen, als es sich zweifellos um ein Kindeswohlargument handelt, wenn mit derartigen Entwicklungsprognosen operiert wird (es geht auch hier nicht darum, einen ›Adoptionsmarkt‹ in hochtechnisierten Zivilisationen angesichts ihrer einhergehenden schwachen Geburtenrate mit Kindern zu versorgen). Juffer erntete jedoch deutlichen Widerspruch vom Vorgänger auf ihrem eigenen Lehrstuhl für Adoption Studies an der Universität Leiden. R. A. C. Hoksbergen, selbst ein Pionier der Forschung über rumänische Heimkinder, goss Wasser in den Wein der entwicklungsprognostischen Begeisterung, indem er auf die nachteiligen Auswirkungen der Adoptionsintervention hinwies. Neben der Kritik an Einzelresultaten seiner Forscherkolleginnen und -kollegen mahnte er die Langzeitperspektive der Adoptierten selbst an, die in der entwicklungsprognostischen Forschung naturgemäß keine große Rolle spielt. 144 Über das von Hoksbergen geltend Gemachte hinaus sind zudem Nachteile denkbar, die sich aus dem positiven Charakter der Intervention als Umverteilung ergeben. Hier handelt es sich nicht einfach um »negative« Schattenseiten der an sich begrüßenswerten 111 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
Adoptionseffekte, sondern um Schwierigkeiten, die allein schon aufgrund der Eingriffstiefe einer derartigen Intervention bestehen. Sie lassen sich auf das Stichwort vernachlässigter Herkunftsnähe bringen. Würde die zwischenstaatliche Adoption in einem Land, das größere Zahlen zu vermittelnder Kinder aufweist, tatsächlich zu einem entwicklungspsychologischen Steuerungsinstrument, so würde nicht nur zwangsläufig die Herkunftsidentität jedes der so adoptierten Kinder systematisch und systemisch geschwächt. Es käme vielmehr im Herkunftsland selbst es zu einem (wenn auch vielleicht zahlenmäßig begrenzten) Aderlass an der nachwachsenden Generation, den eine Gesellschaft, die wie die rumänische gerade die in ihrem Land Benachteiligten dieser Generation zur Aufarbeitung der eigenen jüngeren Vergangenheit braucht, kaum unbeschadet verkraften kann. Angesichts solcher Probleme gewinnt die Festlegung des Haager Adoptionsübereinkommens Plausibilität, die der Vermittlung im Herkunftsland die strikte Priorität vor der Auslandsadoption einräumt (Art. 4 Bst. b HAÜ). Bei der Frage, wie man eine positive Adoptionsintervention einschätzen soll, kann ein erneuter Blick auf die Befähigungsthematik helfen. Juffers Interventionsthese besagt, wie angedeutet, im Kern, dass in zwischenstaatlichen Vermittlungen ein entwicklungsprognostisch motiviertes Matching im Ausland eine Befähigung des Kindes selbst darstellt; man kann dagegenhalten mit dem Hinweis auf die im Verhältnis zum Herkunftskontext inadäquate Eingriffstiefe der Intervention. Gewichtet man diese argumentative Konfrontation mithilfe der Kategorien von Mediation und Befähigung, so macht dieser Einwand auf eine ethisch hochrelevante Problematik aufmerksam, die bei der Beurteilung des Matchingverfahrens oft übersehen wird – übrigens keineswegs nur bei der zwischenstaatlichen Adoption, sondern auch im Inland. Zu hinterfragen ist nämlich die Kategorienbildung, nach der im Matchingverfahren Abgabeerwartungen oder Annahmevorstellungen zustandekommen. Dieses Problem bedarf genauerer Betrachtung. Zwar ist das Matching formal bloß ein Abgleich der Vorstellungen annehmender Eltern an den Erwartungen der abgebenden. Die dabei angelegten Kriterien, die insbesondere Adoptionsbewerbern regelmäßig unter der Fragestellung vorgelegt werden, was für ein Kind und welche Vorgeschichte sie sich vorstellen könnten, sind aber keineswegs objektiv und ethisch alles andere als unschuldig. Gewiss sind objektivierbare Daten darunter wie die Frage nach dem Geschlecht 112 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vermittelnde und positive Intervention
oder der Hautfarbe des Kindes, doch schon indem Adoptionsbewerber sich beispielsweise auf einen Jungen festlegen oder schwarze Kinder ausschließen, tragen sie in das scheinbar rein formale Matchingverfahren höchst subjektive Wertungen ein. Das ist zweifellos ihr gutes Recht (wie auch die analogen Erwartungen auf Seiten der abgebenden Eltern) und ethisch solange unbedenklich, wie sich damit eine kritische Selbsteinschätzung der Bewerber ausdrückt, wo sie die Grenzen ihrer Befähigungen zum adoptiven Elternsein erreicht sehen. Wer beispielsweise – unter dem Stichwort »interracial adoption« ein großes Thema in den USA 145 – als weißes Bewerberpaar ein Kind asiatischer Herkunft kategorisch ausschließt, tut es nicht notwendigerweise aus einer rassistischen Haltung heraus, sondern weil die Betreffenden sich nicht der Situation aussetzen wollen, dass der Adoptionsstatus vom ersten Tag an für jedermann offen vor Augen liegt, wenn diese Eltern offensichtlich nicht die leiblichen Erzeuger des Kindes sein können. Das ist, wie gesagt, kein Problem von Rassismus, sondern eine ehrliche und wichtige Selbsteinschätzung der Bewerber über ihre eigenen Grenzen. Gut denkbar freilich, dass aus Sicht einer Vermittlungsstelle in einem solchen Fall auch der Offenheit für den Herkunftskontext Grenzen gesetzt sind, das betreffende Paar tatsächlich nicht für interracial adoption in Betracht kommt und ihm jedenfalls auf dieser Schiene kein Kind vermittelt wird. Wer sich ein offensichtlich adoptiertes Kind nicht vorstellen kann zu adoptieren, sollte vielleicht wirklich kein solches adoptieren. Das hier bestehende Problem reicht aber noch tiefer. Adoptionsbewerber werden auf den obligaten Fragebögen zu Erfassung ihrer Annahmevorstellungen nicht nur nach Daten wie Geschlecht und Hautfarbe gefragt, sondern insbesondere nach Faktoren, die die Herkunftsgeschichte eines zu vermittelnden Kindes betreffen. Damit sind in aller Regel Einschränkungen, Krankheiten oder Behinderungen gemeint, die ein Kind noch mitbringen »darf«, ehe sich seine potenziellen Adoptiveltern die Annahme nicht mehr vorstellen können. Bei den inländischen Bewerberseminaren nehmen die Diskussionen über kindliche Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, Hüftdysplasien, HIV-Infektionen (z. B. bei abgebenden Drogenabhängigen in Methadonsubstitution) 146 oder fötale Alkoholsyndrome keinen geringen Raum ein; im Auslandskontext steht der vergleichbare Themenkomplex meist unter der Überschrift sog. »special needs adoptions«; in deutschen Texten ist gelegentlich von »schwer vermittelbaren Kindern« die Rede. 147 All diese Faktoren beeinflussen offen113 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
sichtlich die Entwicklungsprognose der betreffenden Kinder und stehen schon dadurch in einem Zusammenhang mit den Matchingfaktoren, die Juffer zur Legitimation einer positiven Intervention heranzieht. Adoptionsbewerber fragen, wie sich ein Kind mit dieser oder jener Lernbehinderung aufgrund mütterlichen Alkoholmissbrauchs in der Schwangerschaft voraussichtlich entwickeln wird, und machen vom so womöglich (fehleranfällig genug) prognostizierten Schweregrad der Behinderung abhängig, ob sie sich vorstellen können, ein solches Kind zu adoptieren, oder nicht. Auf diese Weise stellen Adoptionsbewerber ›negative Hitlisten‹ von special needs auf, von denen einige als schwerwiegend oder nicht beherrschbar, andere als mit guter, womöglich professioneller Unterstützung kompensierbar gelten. Wie beim Beispiel des nur vermeintlichen Adoptionsrassismus ist auch hier zu unterstreichen, dass derartige Abstufungen für sich genommen ethisch unbedenklich sind. Sie haben insbesondere nichts mit Selektion in dem Sinne zu tun, dass Adoptionsbewerber Kinder mit bestimmten Behinderungen ablehnen oder Vermittlungsstellen die Kinder mit den besten Entwicklungsprognosen bevorzugt vermitteln würden. Will man von Selektion reden, so richtet sie sich auch hier eher an die Bewerber, die, indem sie eine bestimmte Behinderung zum Ausschlusskriterium machen, sich selbst aus dem Kreis potenzieller Eltern der betreffenden Kinder ausschließen. 148 Es ist ethisch wichtig zu sehen, dass die angedeuteten Abstufungen mehr oder weniger gravierender special needs derselben Logik unterliegen. Derartige Abstufungen sind nicht den Kindern inhärent, die die betreffenden Bedürfnisse (special needs) haben, sondern entstammen der Einschätzung, die potenziell annehmende Eltern von ihrer eigenen Befähigung zur Adoption unterhalten. S. Shea hat in einer qualitativen empirischen Studie kritisch unter anderem darauf hingewiesen, dass in der internationalen Adoptionspraxis Fälle belegt sind, in denen Bettnässen bei vierjährigen Kindern, die für eine Adoptionsvermittlung in Frage kommen, als Beispiel nicht nur für special needs, sondern für eine Behinderung gilt. 149 Gewiss kann Bettnässen ein Symptom einer behandlungsbedürftigen psychologischen Erkrankung sein, die besondere erzieherische Ansprüche stellt. Doch so sehr diese Erkrankung dann die Erkrankung des Kindes wäre, richten sich die daraus resultierenden Ansprüche immer an die Eltern. M. a. W. special needs sind zwar die Bedürfnisse des zu vermittelnden Kindes; darin aber einen Faktor zu sehen, der sich auf die Leichtigkeit 114 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Vermittelnde und positive Intervention
oder Schwere der Adoptionsvermittlung auswirkt, wie es die Rede von »schwer vermittelbaren Kindern« suggeriert, ist eine von dritter Seite an das Kind herangetragene Deutung. Wo dieser Unterschied nicht beachtet wird, kann die Kategorie der special needs adoption auf Adoptionsbewerber als self-fulfilling prophecy wirken. Hiergegen hat der aphoristische Grund- und Spitzensatz aller disability studies, dass Menschen nicht behindert sind, sondern dazu gemacht werden, seine kritische Berechtigung. 150 Diese Beobachtung lässt sich allgemein auf Entwicklungsprognosen als Kriterium für das Matching ausdehnen. Solche Prognosen sagen weniger über das zu vermittelnde Kind als vielmehr darüber aus, wo Erwachsene es sehen oder sehen wollen. Sofern das Adoptionsbewerbern dazu verhilft, ihre eigene Befähigung zur adoptiven Elternschaft einzuschätzen, ist gegen Entwicklungsprognosen als Hilfsmittel für das Matching nichts einzuwenden. Nur eine Befähigung des Kindes als Begründung für diese oder jene Platzierung zur Adoptionspflege lässt sich mit Entwicklungsprognosen nicht rechtfertigen. Wenn Befähigung im Kontext der Adoptionsvermittlung heißt, dass Beteiligten Fähigkeiten für eine Adoption vermittelt werden, die sie nicht schon von sich aus mitbringen, so ist augenblicklich klar, dass von einer Befähigung des zu adoptierenden Kindes in diesem Sinne keine Rede sein kann, denn die Behauptung, das zu vermittelnde Kind sei nicht in der Lage, adoptiert zu werden, also gleichsam nicht adoptionsfähig oder -würdig, würde die Herkunftssituation des Kindes systematisch missachten; sie wäre dann nur noch ein Mangelzustand, aus dem das Kind durch die Segnungen einer Adoption herauszuführen wäre. Abgesehen davon, dass damit die Adoption eines solchen Kindes hoffnungslos idealisiert, seine sog. special needs hingegen dämonisiert würden, wäre durch eine solche Auffassung jede konstruktive Einbindung der besonderen Herkunft in die eigene Identitätsgeschichte des Kindes zunichte gemacht. Das ist im Kern die Problematik, die kritisch gegen Juffers These von der positiven Adoptionsintervention zur Geltung zu bringen ist. Kehren wir von der These positiver Adoptionsintervention zur Frage des Matching zurück, so besteht zwischen seinen beiden Kriterien der Mediation und der Befähigung zwar keine Ausschließlichkeit, aber eine klare Hierarchie, die bei der Kindesplatzierung das Kriterium der Befähigung auf den zweiten Platz verweist. Sofern jede Adoption eine Lebenssituation verbessern soll, in der das zu vermittelnde Kind nicht bei seinen leiblichen Eltern leben kann, wird zwar 115 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Strukturen der Adoptionspraxis
die Vermittlung in Adoptionspflege in irgendeiner Weise auch prognostische Überlegungen zur Entwicklung des Kindes einschließen. Den Ausschlag für die Entscheidung zugunsten einer bestimmten Adoptivfamilie können Entwicklungsprognosen aber nicht geben. D. h. die »objektiv am besten geeigneten« Bewerber können nicht danach ausgewählt werden, was sie einem Kind »bieten können«, weil bei einem solchen Entscheidungskriterium die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes zum abstrakten Maßstab genommen würden, abgelöst von seiner konkreten Herkunft. Im Gegenüber von Mediation und Befähigung muss bei der Platzierung des Kindes zur Adoptionspflege das mediatorische Element den Vorzug bekommen. Schlagwortartig gesprochen, zählt Herkunftsnähe (in dem beschriebenen Sinne verstanden) beim Matching mehr als Entwicklungsprognosen. Nur wenn dies gewährleistet ist, kann auch von Befähigungsgerechtigkeit die Rede sein, da diese, wie dargestellt, nicht universell oder pauschal feststehenden Fähigkeiten verpflichtet ist, sondern kontextsensibel vorgehen muss. 151 Eine positive Adoptionsintervention weist diese Sensibilität nicht auf. Mit diesen Überlegungen erklärt sich, warum z. B. die wirtschaftliche Situation der Adoptionsbewerber zumindest bei inländischen Adoptionsvermittlungen keine wesentliche Rolle spielt; die »Empfehlungen« der BAGLJÄ verlangen nicht mehr, als dass das »Aufwachsen« des Adoptivkindes »ökonomisch abgesichert« sein muss. Dass damit kein positives Kindeswohlkriterium im Sinne der Konkretion eines unbestimmten Rechtsbegriffs ins Auge gefasst ist, erkennt man daran, dass die knappen Ausführungen hierzu nur Negativanzeigen bieten. 152 Insofern steht der wirtschaftliche Faktor einer Auffassung der Adoption als positive Intervention entgegen. Mit der Abwehr der positiven Interventionsthese bleibt die unvermeidlich interventionistische Struktur der Adoptionspraxis auf die beratende Vermittlung beschränkt, die annehmende (und, hier nicht näher behandelt, auch abgebende) Eltern für ihre Aufgaben befähigt, während sie mit Blick auf die zu vermittelnden Kinder die Aufgabe hat, einen weichen Übergang zwischen den beteiligten Familien zu vermitteln. Wenn also von einer Befähigung des Kindes auch keine Rede sein kann, so stellt sich doch die Frage, wie das Kindeswohl, dem ja alles Adoptionshandeln dienen soll, bei diesem Stellenwert inhaltlich konkretisiert werden kann. Wir treten damit in die materiale Adoptionsethik ein, die sich in drei Kapiteln den am Adoptionsdreieck beteiligten Seiten widmet. 116 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Materialethischer Teil
https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
4. Das Adoptivkind
Nach den Überlegungen zum familienethischen Rahmen (Kap. 1) und zum Sinngehalt der Adoption (Kap. 2) sowie zur Adoptionsvermittlung (Kap. 3) treten unsere Erörterungen mit dem vorliegenden Kapitel in die materiale Adoptionsethik ein. Das grundsätzliche Verständnis von Ethik, das diesem Buch zugrunde liegt und im Vorwort erläutert wurde, rückt diejenigen Problematiken ins Zentrum der Darstellung, die eine ausdrückliche Reflexion auf die Gründe unseres Handelns erforderlich machen, weil in den fraglichen Situationen nicht einfach aus Selbstverständlichkeit oder im Vertrauen auf eine Intuition entschieden werden kann. Im Einklang damit konzentriert sich die materiale Adoptionsethik in Kap. 4–6 dieses Buches auf solche Handlungsproblematiken, denen die am Adoptionsgeschehen direkt Beteiligten, also das zu adoptierende Kind (Kap. 4), die abgebenden (Kap. 5) und die annehmenden Eltern (Kap. 6) im Vorfeld, Verlauf und Nachgang einer Adoption begegnen können. Wie hieraus zu entnehmen ist, habe ich mich entschieden, den Stoff dieses materialethischen Teils in Orientierung am Aufbau des schon erwähnten sog. Adoptionsdreiecks anzuordnen. Die alternative Anordnung entlang dem typischen Ablauf einer Adoptionsvermittlung hätte dem Buch in diesem Teil eher Handbuch- oder Ratgebercharakter verliehen und wäre vielleicht für Teile der Leserschaft noch stärker benutzerfreundlich gewesen. Das Interesse einer ethischen Betrachtung muss jedoch den zugrunde liegenden Handlungsproblematiken gelten, die an der Oberfläche des Geschehensablaufs nicht immer offen zu Tage liegen. Es ist also denkbar, dass die materiale Adoptionsethik die scheinbar selbstverständliche Logik eines eingespielten Ablaufs von Adoptionen auch hinterfragen muss und manche Probleme, die das Adoptionsgeschehen den an ihm Beteiligten bereitet, sich in Wohlgefallen auflösen, während an anderer Stelle Schwierigkeiten nach Aufklärung verlangen, die bei Absolvierung der eingespielten Adoptionspraxis überhaupt nicht wahrgenommen werden. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass man derlei Entdeckun119 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
gen auf allen drei Seiten des Adoptionsdreiecks machen kann. Das gilt bereits für das uns in diesem Kapitel beschäftigende Thema, das zu adoptierende Kind und sein Wohlergehen im Adoptionsprozess. Ich gehe so vor, dass ich das mit der Kindeswohlthematik gegebene Problem zunächst eingrenze (4.1) und seinen Zugang bestimme (4.2), ehe eine inhaltliche Näherbestimmung vorgenommen wird (4.3). Sozialethische Anwendungsprobleme bilden den Abschluss des Kapitels (4.4).
4.1 Kindeswohl, Pflege und Adoption Alles adoptive Handeln hat dem Wohl des zu adoptierenden Kindes zu dienen. Diese Verpflichtung auf Kindeswohlinteressen ist gesetzlich festgelegt und hat auch unsere familienethischen Rahmenüberlegungen in Kap. 1 angeleitet. Die Befähigungen der Offenheit, der systemischen Narration und der Wurzelsuche, die wir als wesentlich für gelingende Adoptionen gekennzeichnet haben, folgten ebenfalls dem Kindeswohlinteresse. Sie ließen sich als gleichsam ›innere Gründe‹ der Adoptionsethik verstehen, die gewährleisten sollen, dass eine Adoption auch ihren ›äußeren Gründen‹, die sich rechtlich kodifizieren lassen, gerecht zu werden vermag. All das ändert aber nichts daran, dass das Kindeswohl, wie Juristen zu sagen pflegen, ein ›unbestimmter Rechtsbegriff‹ ist, dem die inhaltliche Füllung also nicht von Hause aus mitgegeben ist. Die Unbestimmtheit des Kindeswohlbegriffs ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass er, obwohl immer wieder als oberstes Prinzip der Adoptionspraxis eingeschärft, sehr wohl mit anderen Prinzipien, allen voran dem der Reproduktionsautonomie, in Konflikt geraten kann, wie ebenfalls in Kap. 1 festzustellen war. All das legt nahe, von einer prinzipienethischen Behandlung des Themas Kindeswohl Abstand zu nehmen und einer inhaltlichen Konkretion oder Füllung anhand der im Adoptionsgeschehen denkbaren Handlungsprobleme den Vorzug zu geben. Die inhaltliche Füllung des Kindeswohlsbegriffs ist trotz seiner juristischen Herkunft nur bedingt Aufgabe der Juristerei, sodass wir uns schon bei diesem Grund- und Schlüsselbegriff jeder Regulierung der Adoptionspraxis nach zusätzlichen Expertisen umschauen müssen. Die Differenz zwischen Recht und Ethik, die wir von Kap. 1 dieses Buches an sorgfältig auseinanderzuhalten hatten, ist gerade bei der vermeintlich so rechtsaffinen Kategorie des Kindeswohls zur 120 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Kindeswohl, Pflege und Adoption
Geltung zu bringen. Juristische Erkenntnis kann uns nicht sagen, was wir im Zusammenhang mit der Adoption unter Kindeswohl zu verstehen haben; vielmehr wird die Klärung eines ethischen Konzepts von Kindeswohl im Kontext der Adoption die Hauptaufgabe des Kapitels werden. Die rechtliche Unbestimmtheit des Kindeswohlbegriffs hat dazu geführt, dass jede inhaltliche Füllung auf einer Skala zwischen sog. Minimal- und Beststandards angesiedelt werden kann. Diese Skalierung ist ohne jede inhaltliche Aussagekraft, als methodischer Ansatz einer nicht rechtlichen, sondern ethischen Näherbestimmung dessen, was Kindeswohl heißt, aber doch nützlich, worauf die Juristin F. Wapler vor mehreren Jahren in einem Beitrag zur Ethik der Regenbogenfamilie hingewiesen hat. Ich greife einige von Waplers Beobachtungen auf, um sie freilich alsbald auf das Terrain der Adoptionsethik herüberzulenken. 153 Bei der Füllung des Kindeswohlbegriffs kann seine Einteilung in Minimal- und Beststandards hilfreich sein, wenn sie im Zusammenhang mit der Tatsache gesehen wird, dass inhaltlich unbestimmte Konzepte meist durch Ausschluss des Gegenteils näher bestimmt werden. Was Kindeswohl ist, würde sich so gesehen anhand der Kriterien einer Kindeswohlbeeinträchtigung ermitteln lassen. Hierbei markiert die sog. Kindeswohlgefährdung den Punkt, der ein staatliches Eingreifen in den sonst und grundsätzlich verfassungsrechtlich geschützten Grundrechtsbereich der familiären Erziehung rechtfertigt und sogar erforderlich macht. Wie in Kap. 1 schon bemerkt, hat der Staat das sog. Wächteramt wahrzunehmen, um ggf. durch Zwangsmaßnahmen (weitergehenden) Schaden von einem Kind abzuwenden, dessen Wohlergehen in seiner eigenen Familie konkret gefährdet ist. Bei der Wahrnehmung des Wächteramtes handelt es sich, in den Kategorien von Kap. 3 unserer Darstellung gesprochen, um eine positive Intervention mit erheblicher Eingriffstiefe, da sie in einen grundrechtlich geschützten Bereich interveniert, was im Falle unseres Beispiels nur mit Kindeswohlgründen legitimiert werden kann. Wir können also festhalten, dass sich die Interventionsproblematik als ethisch relevanter Bezugspunkt der ganzen Kindeswohlthematik schon jetzt abzeichnet. Wie Wapler weiter erläutert, muss sich angesichts dieser Problematik die Intervention auf einen Minimalstandard beschränken, der nicht mehr tut, als die unmittelbare Gefährdung des Kindeswohls abzuwehren; alles darüber hinausgehende staatliche Eingreifen wäre 121 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
schon wieder eine diesmal ungerechtfertigte Verletzung des familiären Bereichs. 154 In der Praxis wird diese Grundschwierigkeit zumeist so zu lösen gesucht, dass für betroffene Kinder Pflegeverhältnisse eingerichtet werden, in denen die konkrete Sorge für das Kind nicht in staatlicher Hand liegt, sondern in den Händen einer Pflegefamilie, jedoch mit der dauernden Option einer Rückführung des Kindes in die eigene Familie. Auf die nicht unerheblichen Probleme, die auch mit diesem zumindest grundrechtlich befriedigenden Modell einhergehen können, ist an anderer Stelle noch zurückzukommen. Gegenüber diesem bei der Pflege von Kindern zur Anwendung kommenden Minimalstandard stellt nach Waplers Darlegungen die Adoption eine Ausnahme dar, weil hier der Staat nicht bloß über das Konstrukt des Wächteramtes in die Erziehung eingreife, sondern in ureigenstem Auftrag, wie Wapler behauptet. 155 Die Adoption müsse deshalb Beststandards des Kindeswohls verpflichtet sein, was sich anscheinend an der schon erwähnten europäischen Rechtsnorm festmacht, dass für ein zu vermittelndes Kind stets die objektiv am besten geeigneten Bewerberpaare als Eltern auszuwählen sind. So plausibel Waplers Zuordnung von Minimal- und Beststandards zum ethischen Problem des Interventionismus ist, so entschieden muss ihrer Einschätzung der Adoption widersprochen werden. Unsere interventionistischen Überlegungen im Strukturkapitel dieses Buches ergaben (Kap. 3), dass weder für die Vermittlungstätigkeit noch für die Erziehung durch die Adoptiveltern Beststandards angelegt werden dürfen. In beiden Fällen würde die Adoption als Meliorisierung verstanden, die im ersten Fall den staatlichen Strukturen der Adoptionsvermittlung einen eigenen Erziehungsauftrag zubilligt und im letzteren Fall Kinder abgekoppelt von ihrer konkreten Herkunft als Gegenstände von Entwicklungsprognosen behandelt; beides missachtet kindliche Grundrechte in fundamentaler Weise. Wir sahen insbesondere, dass sich aus dem hoheitlichen Gerichtsvorbehalt, mit dem die rechtliche Regulierung der Adoption seit der großen Novelle von 1976//77 ausgestattet ist, und der einhergehenden Zurückdrängung des Kontraktualismus kein grundständiger staatlicher Erziehungsauftrag entnehmen lässt. Der Staat adoptiert und erzieht Kinder nicht selbst, sondern schafft nur die Voraussetzungen dafür. Damit fällt die entscheidende Stütze für Waplers Annahme dahin, dass bei einer Adoption schon aus Gründen der Rechtssystematik Beststandards des Kindeswohls in Anwendung zu bringen seien. Das gilt sowohl auf Seiten des Staates als auch der Adoptiveltern, die in 122 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Kindeswohl, Pflege und Adoption
Wahrheit, wie wir sahen, keine ›besseren‹ Eltern sein müssen, sondern nur ›gut genug‹. Der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgelegte Beststandard bei der Adoptionspraxis gilt nur für die Vermittlung oder Platzierung von Kindern, und diese ist, wie unsere ethische Betrachtung in Kap. 3.3 ergab, keine Befähigung des Kindes, sondern bloße Mediation zwischen den beteiligten Familien im Wege des sog. Matching zwischen Abgabeerwartungen und Annahmevorstellungen. Auch wenn Waplers Argumente nur teilweise Zustimmung finden können, ist ihre interventionistische Anbindung der ganzen Kindeswohlthematik methodisch äußerst fruchtbar für unsere ethische Erörterung. Denn mit der Differenzierung des Minimal- vom Beststandard des Kindeswohls werden zwei Hauptformen des Umgangs mit Kindeswohlgefährdungen, dem negativen Merkmal zur Näherbestimmung des Kindeswohls, sichtbar, die wir im Folgenden unterscheiden müssen. Da ist auf der einen Seite die Pflege, bei der Kinder aufgrund einer akuten, in der eigenen Familiensituation begründeten Einschränkung ihres Wohlergehens in einer anderen Familie »fremdplatziert« werden, wie der Fachausdruck lautet, und in ihr vorübergehend leben. Die betreffende Einschränkung braucht nicht immer eine von den leiblichen Eltern – durch Misshandlung oder Verwahrlosung – verschuldete Kindeswohlgefährdung darzustellen, sondern kann auch durch Krankheit der Eltern als Indikator für eine Kurzzeitpflege zustandekommen oder sich als Problemzuspitzung eines schon länger währenden Beratungsprozesses der Familie im Rahmen von Hilfen zur Erziehung ergeben und dann üblicherweise als Langzeitpflege gestalten. Typisch für die hier umrissene Pflegekonstellation sind jeweils die Inobhutnahme des Kindes durch staatliche Stellen mit, notfalls aber auch entgegen dem Willen den Eltern und die Platzierung in einer zuvor ausgesuchten Pflegefamilie. Deren Auswahl folgt ähnlichen Kriterien wie den in Kap. 3 für die Adoptionsvermittlung beschriebenen, allerdings besteht ein wichtiger Unterschied darin, dass die Pflege grundsätzlich die Rückkehroption in die leibliche Familie nach Beseitigung der Gründe für die interventionsveranlassende Kindeswohleinschränkung vorsieht, auch wenn diese meistens nicht realisiert wird. 156 Das richtet besondere Anforderungen an die in Kap. 1.3.1 thematisierte Offenheit der Pflegeeltern, da die leiblichen Eltern an der Sorge für das Kind beteiligt bleiben und entsprechende Herkunftskontakte vorzusehen sind oder im Konfliktfall ge123 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
richtlich geregelt werden, nicht selten zur Belastung aller Beteiligten und besonders des Kindes. Auf der anderen Seite steht die Adoption. Sie berührt sich nicht nur in der Organisation ihrer Strukturen oftmals mit der Pflege (wenn z. B. ein und dieselbe Abteilung des Jugendamtes beide Aufgaben versieht), sondern spricht sehr vergleichbare Bewerber an, die als Pflege- oder eben Adoptiveltern in Frage kommen. Die Ausgangslagen der betroffenen Kinder können sich vor allem, wenn ältere Kinder (jenseits des Säuglingsalters) zur Vermittlung kommen, ebenfalls sehr ähneln – auch hinsichtlich der Mitwirkung oder Nichtmitwirkung der leiblichen Eltern –, obwohl bei der Adoption eine Gefährdung des Kindeswohls, die zur Inobhutnahme führt, keineswegs vorauszusetzen ist; allerdings ist die Fortführung der leiblich familiären Konstellation auch bei der Adoption nicht angezeigt, sodass man auch hier von einer Einschränkung des Kindeswohls sprechen kann: In seiner Herkunftsfamilie bleiben kann das Kind nicht; insofern besteht auch im Blick auf das Kindeswohl mancher Berührungspunkt zwischen Pflege und Adoption. Dennoch sind beide Praktiken deutlich voneinander zu unterscheiden. Nicht nur, dass Pflege- eher selten in Adoptivverhältnisse überführt werden, obwohl viele Pflegen bei dauerhaft unzuverlässiger Situation in der Herkunftsfamilie in der annehmenden Familie de facto Strukturen ähnlich denen einer Adoption erzeugen. Die Pflege wird jedoch als Akutmaßnahme begründet, die in die staatliche Zuständigkeit (Wächteramt) fällt, weshalb an Pflegefamilien, die einen öffentlichen Auftrag subsidiär wahrnehmen, Pflegegeld gezahlt wird, das bei der Umwandlung in eine Adoption, die ein familienrechtliches Konstrukt ist, wegfiele. 157 Gewichtiger ist jedoch, dass die Adoption ihrer ganzen Absicht nach nicht auf dauernde Beteiligung der Herkunftsfamilie an der Sorge für das Kind zielt, sondern diese vollständig den Adoptiveltern überträgt. Der ethisch relevante Unterschied zwischen Pflege und Adoption liegt also insbesondere in der Rückkehrperspektive, die sich der Intention beider Formen nach – ungeachtet aller faktischen Analogien und sogar Überschneidungen – strikt gegensätzlich darstellt. Bei der Pflege als eigentliches Ziel immer am Horizont, ist die Rückführung bei einer Adoption gerade ausgeschlossen, sobald die Freigabe einmal notariell beurkundet und später die Adoption vom Familiengericht beschlossen ist. In der Forschung hat dieser Unterschied zu der Frage geführt, ob die Maßnahmen der familiären (d. h. nicht in einem Heim 124 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Kindeswohl, Pflege und Adoption
erfolgenden) Fremdplatzierung, die zur Reaktion auf Kindeswohleinschränkungen ergriffen werden können, zur Etablierung einer Ersatz- oder aber einer Ergänzungsfamilie führen. 158 Während erstere darauf zielt, die für das Kindeswohl einschlägigen (förderlichen oder bei Gefährdung abträglichen) Strukturen familiären Lebens dauerhaft durch die einer anderen Familie zu ersetzen, in die das Kind integriert wird, stellt die Ergänzungsfamilie ein Konstrukt vor, bei dem die Fremdplatzierung das System der Herkunftsfamilie weiterhin in ihre Sorge für das Wohlergehen des Kindes einbezieht. Die beiden Begriffe sind offensichtlich nicht deckungsgleich mit sozialer bzw. biologischer Elternschaft, sondern beschreiben unterschiedliche Ansätze in der Bewertung des Kindeswohls. So erklärt sich, dass in der Debatte um Fremdplatzierung für die Pflege erwogen wird, die Form der Ersatzfamilie anzustreben, um die o. g. Belastungen durch Herkunftskontakte zu minimieren, obwohl gerade für die Pflege der Einbezug der leiblichen Eltern und des kindlichen Umgangs mit ihnen kennzeichnend ist. Das gleichwohl anderslautende Urteil vor allem von entwicklungspsychologischer Seite, das Ersatzfamilien bei Pflege favorisiert, erklärt sich damit, dass die Ausbalancierung zweier Familiensysteme für Kinder, bei denen Deprivationserfahrungen den Grund zur Herausnahme aus der Herkunftsfamilie darstellen, eine Überforderung bei der notwendigen Verankerung in einem stabilen Familiensystem bildet. 159 So richtet sich die Unterscheidung von Ersatz- und Ergänzungsfamilie vorrangig auf die Pflege, ohne hier freilich in ihrer suggestiven Alternative wirklich weiterzuführen. Aber auch auf die Adoptivsituation ist die begriffliche Gegenüberstellung nicht wirklich anwendbar, denn obwohl die Adoption ihrer Form nach die leiblichen Eltern gerade aus der Sorge für das Kind herausnimmt, wäre es ethisch unzutreffend, in der Adoptiveine Ersatzfamilie zu sehen. Der Terminus wäre weniger wegen des Substitutcharakters problematisch, der zu suggerieren scheint, dass Adoptivfamilien für die betroffenen Kinder immer nur zweitbeste Lösungen sein könnten, als vielmehr deshalb, weil ja gerade die Adoption bei ihrer Bemühung um das Kindeswohl auf einen Einbezug der Herkunftsfamilie – nur nicht in der praktischen Ausübung der Sorge – gerichtet sein muss, also eine Ergänzungsfamilie. Die hier bestehende Überschneidung der klar unterscheidbaren Formen von Pflege und Adoption mit der Alternative von Ersatzund Ergänzungsfamilie produziert nur scheinbar eine ethische Gemengelage. In Wahrheit lässt sich daran genau ablesen, worin sich 125 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
die ethische Problematik des Kindeswohls bei der Adoption konzentriert. Wenn die Adoption ihrer Form nach Ersatz-, ihrem Kindeswohlinteresse nach aber Ergänzungsfamilie (wie die Pflege formell) ist, so ist anzunehmen, dass genau in dieser Schnittmenge die ethische Problematik des Kindeswohls angesiedelt ist, also in der Adoptionspflege, denn in ihr überschneiden sich Adoption und Pflege der Form nach und bis ins Terminologische hinein. Unsere Überlegungen zum Kindeswohl gelten in diesem Kapitel deshalb speziell der Zeit der Adoptionspflege, denn gerade hier stellt sich das adoptionstypische Phänomen der »doppelten Elternschaft« (Hoffmann-Riem) im Übergang zwischen abgebender und annehmender Familie als Anfrage an das Kindeswohl dar.
4.2 Befähigungs- und bedürfnisethischer Zugang Als Adoptionspflege (§ 1744 BGB: »Probezeit«) wird in den »Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung« der BAGLJÄ die Zeit ab der Vermittlung des Kindes in die Adoptivfamilie bis zum gerichtlichen Adoptionsbeschluss bezeichnet. Sie beträgt in der Regel (auch bei Säuglingsadoptionen) mindestens ein Jahr, bemisst sich aber nicht kalendarisch, sondern sachlich nach dem Zeitbedarf, den die Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses in der Adoptivfamilie erfordert. 160 Dieser Zeitraum stellt für alle Beteiligten eine Ausnahmesituation dar. Das gilt zunächst für die abgebenden Mütter oder Eltern. Sie haben entweder gegenüber der Vermittlungsstelle ihre Freigabeabsicht bekundet oder mussten (bei Adoptionen eher selten) erleben, dass das Kind im Zuge einer Auseinandersetzung mit den Behörden, im zugespitzten Fall gegen ihren elterlichen Willen, aus der Familie herausgenommen wurde. Im letzteren Fall ist der Charakter einer Ausnahmesituation offensichtlich. Er ist aber auch bei selbst erklärter Adoptionsfreigabe stets anzunehmen, da dieser nahezu immer ein hoch konfliktreicher und belastender, wenn auch nach außen womöglich gar nicht wahrnehmbarer Prozess der Entscheidungsfindung vorausgeht, wie in Kap. 5.1 noch näher zu erläutern sein wird. Hinzu kommt, dass die Ausnahmesituation mit der Freigabeentscheidung, die in der Übergabe des Kindes an die Vermittlungsstelle (bei Säuglingen häufig als Abschied auf der Neugeborenen- oder Entbindungsstation der Geburtsklinik) gipfelt, nicht beendet und insoweit auch 126 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Befähigungs- und bedürfnisethischer Zugang
noch nicht entschieden ist. Für den gerichtlichen Adoptionsbeschluss ist anschließend die schriftliche, notariell beurkundete Einwilligungserklärung zwingend vorgeschrieben, die zum Schutz vor Kurzschlusshandlungen frühestens acht Wochen nach Geburt des Kindes geleistet werden kann. In dieser Zeit setzt sich die Ausnahmesituation für die leibliche Mutter also fort, und selbst nach dem juristisch unumkehrbaren Ereignis ›Notartermin‹ berichten in der inzwischen unternommenen Forschung mit Betroffenen viele abgebende Mütter von jahrelang wiederkehrenden Belastungssituation wie während der Adoptionspflege, 161 unter Umständen vergleichbar einer posttraumatischen Belastungsstörung. 162 Die Adoptionspflege ist aber auch für die annehmenden Eltern eine Ausnahmeerfahrung, in der sich häufig die Anspannung jahrelanger Erwartung einer Adoptionsvermittlung mit der Überwältigung durch die Ankunft eines Kindes verbindet. Man sieht bereits hieran, dass die tatsächliche Erfüllung des so lange gehegten Begehrens von seiner gedanklichen Vorwegnahme, die im Bewerbungsverfahren und darüber hinaus im eigenen mentalen Erleben wiederholt durchgespielt worden sein dürfte, dramatisch abweichen kann. Wie Hoffmann-Riem schon in den 1980er Jahren zeigen konnte, spiegelt sich diese emotional explosive Konfrontation von Erwartung und Wirklichkeit häufig in sehr starken Empfindungen bei der Erstbegegnung mit dem zu vermittelnden Kind. Zumindest in den oft mit Jahren des Abstands geführten Erzählinterviews berichten Annehmende von überwältigenden Gefühlen in dieser Situation, die sie nicht selten auf eine persönliche Beziehung zu dem gerade erst kennen gelernten Kind deuten. Unmittelbar angesprochene Elterngefühle, eine spontane ›Liebe auf den ersten Blick‹ werden häufig berichtet, während Distanz und Reserve gegenüber dem Kind deutlich seltener vorzukommen scheinen, bei älteren oder behinderten Kindern aber vermehrt auftreten. 163 Aus ethischer Perspektive lässt sich einigermaßen zuverlässig sagen, dass dieses mentale Durcheinander, in dem sich annehmende Eltern mit Eintritt in die Adoptionspflege befinden, Spiegel einer Unsicherheit ist, die darin besteht, dass ihnen zwar mit der Platzierung des Kindes alle wichtigen Alltagsvollzüge der Versorgung des Kindes anvertraut werden, die Sorge der leiblichen Eltern aber erst nach Abgabe der notariell beurkundeten Einwilligung ruht (§ 1751 Abs. 1 BGB). In dieser Lage kann ein (Amts-)Vormund bestellt werden, um den Übergang der Sorge von den abgebenden auf die annehmenden Eltern vermittelnd (mediatorisch) zu gestalten, 127 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
d. h. konkret: 164 Während die annehmenden Eltern z. B. alle Gesundheitsbelange wie Arztbesuche in die Hand nehmen können und auch schon Kinder- oder Elterngeld bekommen, verlangen eher außeralltägliche Vorgänge wie z. B. eine Taufe, die über ein potenziell lebenslanges religiöses Bekenntnis mitentscheidet, die Mitwirkung (Zustimmung) der im Rechtssinne sorgeberechtigten Personen, also der leiblichen Eltern und/oder des Vormunds. Offensichtlich ist die in Entstehung begriffene Adoptivfamilie fragil, solange die Einwilligungserklärung nicht vorliegt und eine Rückführung des Kindes durch bloße Willenserklärung der leiblichen Mutter möglich ist, wenn nur an deren Ernsthaftigkeit kein sinnvoller Zweifel ist. Adoptiveltern sehen sich dadurch in den nicht nur emotionalen, sondern auch moralischen Zwiespalt gestürzt, zu dem bei ihnen angekommenen Kind eine emotionale Beziehung aufzubauen, die aber gleichzeitig unter dem Vorbehalt einer möglichen Rückführung steht. Weder lässt sich das eine bewusst steuern noch das andere willentlich zurückhalten. Die Problematik ist besonders dringend, wenn die abgebende Mutter den Notartermin hinauszögert oder gar nicht wahrnimmt und die Möglichkeit einer gerichtlichen Ersetzung der Einwilligung (nach § 1748 BGB) ins Auge gefasst wird, was sich – zumal, wenn der leibliche Vater bekannt und einzubeziehen ist – über Jahre dehnen kann. In solcher Lage können sich Adoptiveltern zwar mit der Erwägung trösten, dass jeder weitere Monat Adoptionspflege die Gefahr einer Rückführung senkt, weil er als Desinteresse der leiblichen Eltern am Kind ausgelegt werden kann, doch das ist ebenso eine sekundäre Rationalisierung wie die altruistisch geprägte Einsicht, dass selbst die kürzeste Adoptionspflege, die durch Rückführung beendet wird, dem Wohl des Kindes gedient haben wird. Die beschriebene Ausnahmesituation wird dadurch nur ansatzweise gelindert, denn sie liegt nicht auf rationaler oder willentlicher Ebene, sondern im eher emotionalen Bereich. Das ist gerade für die ethische Betrachtung der Adoptionspflege wichtig. Was die Ausnahmesituation der Adoptionspflege ethisch relevant macht, zeigt sich am deutlichsten beim Blick auf das zu vermittelnde Kind. Es ist in dieser Zeit buchstäblich im Übergang zwischen dem alten und dem neuen familiären Orientierungsraum, und obwohl diese Situation so überaus typisch für die Adoption ist, bietet sie als solche wohl am wenigsten Orientierung. Empirische Befunde zu frisch platzierten Kindern sind bei Säuglingsvermittlungen aufgrund des Alters der Betroffenen naturgemäß nicht aus der Betroffe128 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Befähigungs- und bedürfnisethischer Zugang
nenperspektive zu bekommen, aber schon Äußerungen älterer Kinder, die – dann besonders aus Heimen heraus – zur Vermittlung gelangen, geben eine Ahnung von der Exzeptionalität des Geschehens gerade für die Kinder. Qualitative Forschungen auf empirischer Basis legen nahe, dass Kinder, die übergangsweise in Einrichtungen leben, die Adoptionsvermittlung nicht nur sehr bewusst erleben, sondern auch zuvor schon als Möglichkeit für ihre eigene Zukunft im Blick haben, womöglich erstreben und jedenfalls ihr Verhalten darauf einrichten können. 165 Nur auf den ersten Blick schafft diese Konstellation eine Erleichterung für die Vermittlung, indem die Kinder sich sofort und bereitwillig den Adoptiveltern zuwenden. Tatsächlich macht insbesondere die Bindungsforschung, die in diesem Kontext schon in Kap. 1 zur Sprache kam, klar, dass das Verhalten der Kinder zu ihren Adoptiveltern zugleich eine Auseinandersetzung mit der früheren Beziehung zu den leiblichen Eltern ist. Strategien des Bindungsverhaltens, die in der leiblichen Familie angeeignet wurden, werden in der neuen Familie ausprobiert, sodass ein vermeintlich ›mit fliegenden Fahnen‹ geschehender Übergang zur Adoptivfamilie in Wahrheit ein komplizierter und doppelseitiger Vorgang ist, mit dem die Kinder zugleich ihre frühere Elternbeziehung bearbeiten. Die Ressourcen, auf die sie dabei zurückgreifen können, stammen immer aus den Erfahrungen, die die Kinder früher gemacht haben. Wenn diese Erfahrungen in einem Kontext der Vernachlässigung stattfanden, der schließlich zur Heimunterbringung geführt hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine positive Reaktion von Adoptiveltern auf das kindliche Verhalten im Erfahrungsschatz der Kinder gar nicht oder nur untergeordnet präsent ist; sie müssen sich also auf das, was auf den ersten Blick oder aus Sicht der Adoptiveltern wie unkomplizierte Verbundenheit wirkt, in Wahrheit neu einstellen und die Verhaltensmuster familiärer Bindung erst erarbeiten, selbst wenn die Adoptiveltern ihnen dies vielleicht viel leichter machen als leibliche Eltern in einem Kontext von Deprivation. Diese Bemerkungen zur Bindungsthematik mögen verdeutlichen, worin die ethische Problematik der Adoptionspflege für alle Beteiligten, am stärksten vermutlich für das Kind, besteht. Die Adoptionspflege ist eine Zeit von Beziehungsumbrüchen, die die abgebende Mutter und das Kind sehr real und die annehmenden Eltern zumindest als Bedrohung (in Gestalt einer Rückführung) erleben, aber auch sehr real verarbeiten müssen, damit sie in der Lage sind, auf das Bindungsverhalten eines Kindes so einzugehen, dass es eine sichere 129 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
Bindung an die Adoptiveltern gewinnen kann. Das kann gerade bei der längeren Herkunftsgeschichte älterer Adoptivkinder, die unausweichlich eine Reihe von Beziehungsabbrüchen einschließen wird, eine sehr anspruchsvolle Aufgabe sein – insbesondere deshalb, weil sie die Eltern emotional fordert, denn Bindung ist zwar ein Verhaltensmuster (keine Emotion), wird aber nicht rein willentlich gesteuert und ist zudem in tieferen anthropologischen Schichten als dem Willen verankert. Gleichzeitig verlangt ein bindungsfördernder Umgang mit dem Bindungsverhalten eines durch Beziehungsabbrüche belasteten Kindes nicht selten von Adoptiveltern, gegen ihr Gefühl zu handeln und z. B. scheinbare Zurückweisungen ihrer elterlichen Zuwendung durch das Kind in dem Wissen zu dulden, dass darin mangels alternativer Vorerfahrung das Bindungsverhalten aus der in der Herkunftsfamilie erlebten Konstellation zur Anwendung kommt – eine, kurzum, beiderseits belastende, eben ausnahmehafte Situation, wie sie nach unserer Einschätzung für die Zeit der Adoptionspflege kennzeichnend ist. Wenn die hier vorgetragenen Überlegungen Richtiges treffen, so ergibt sich für die adoptionsethische Einschätzung des Kindeswohls zweierlei. Erstens spitzt sich die Kindeswohlproblematik auf die Zeit der Adoptionspflege zu, in der sich die typischen und miteinander konkurrierenden Merkmale von Pflege und Adoption mischen, weil einerseits die Zielrichtung der Adoption auf ein eigenes Familiensystem ohne staatlichen Eingriff hinausläuft und andererseits der Einbezug der leiblichen Eltern wie bei einer staatlich verfügten Unterbringung in der Pflege andauert. Zweitens lässt sich mit dem Problem der Beziehungsabbrüche, das während der Adoptionspflege alle drei Seiten des Adoptionsdreiecks betrifft, endlich die inhaltliche Näherbestimmung des Kindeswohls vornehmen, die diesem von Natur aus unbestimmten Rechtsbegriff scheinbar nur ex negativo, durch den Ausschluss von Kindeswohlgefährdungen zu vermitteln ist. Wir können nun aber sagen, dass Bindung ein zentrales positives Moment des Kindeswohls darstellen muss und in der Adoptionspflegezeit vermutlich das für ein Gelingen der Adoption schlechthin zentrale. Als entwicklungspsychologische Aussage wäre die Feststellung, dass Bindung zentral zum Kindeswohl gehört, scheinbar banal, mindestens nicht originell, seit sich die Bindungsforschung ab den 1930er Jahren in Emanzipation von der psychoanalytischen Betrachtung der Kinder und Jugendlichen zu etablieren begann. In unserem Kontext aber geht es selbstverständlich nicht um einen Fachbeitrag zur Bin130 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Befähigungs- und bedürfnisethischer Zugang
dungsforschung, den ich nicht leisten kann, sondern um eine ethische Urteilsbildung. In diesem Rahmen bedeutet die Feststellung von Bindung als Zentralmoment von Kindeswohl zweierlei. Erstens ist eine inhaltlich positive Bestimmung des Kindeswohls in der Ethik entgegen der juristischen Ausgangslage möglich, und zweitens stellt das Bindungsverhalten von Kindern, das »biologisch fundiert« und experimentell überprüfbar ist, 166 eine universelle Größe dar, die für das Wohl aller Kinder auf der Welt unabhängig von der Situation ihres Aufwachsens und dem kulturellen Kontext in Anschlag zu bringen ist. Man kann sagen, Bindung sei für Kinder so basal, wie es z. B. Nahrung, Kleidung und Wohnung sind. Bindung rückt damit in eine Reihe mit den fundamentalsten Bedürfnissen von Menschen. Die beiden hier gewonnenen Ergebnisse sind von einiger ethischer Tragweite. Im fundamentalethischen Teil dieses Buches wurde das Konzept der Befähigungsgerechtigkeit favorisiert, das sowohl den vermittelnd interventionistischen Charakter der Adoption als auch die für ihr Gelingen grundlegenden Befähigungen herzuleiten erlaubt. Wenden wir uns jedoch dem Begriff des Kindeswohls zu, also einem Prinzipienbegriff der Adoptionsethik, so erweist sich der befähigungsgerechte Ansatz als nicht länger tragfähig, weil Kinder, wie in Kap. 3.4 dargestellt, nicht »unfähig« oder befähigungsbedürftig zur Adoption sein können. An seine Stelle tritt, wie die Konkretion des Kindeswohls durch Bindung zeigt, ein bedürfnisethisches Konzept. 167 Es unterscheidet sich in wichtigen Punkten vom Konzept der Befähigungsgerechtigkeit. Die Erörterung der Eingriffstiefe adoptiver Intervention in Kap. 3.2 zeigte uns, dass die inhaltlichen Standards der Befähigung nicht pauschal auf anthropologische Konstanten gebaut werden können, sondern kontextsensibel auf die jeweilige kulturelle Situation bezogen werden müssen, in der sich die Nutznießer einer befähigenden Intervention befinden. Das war insbesondere das Anliegen von Dabrocks befähigungsethischem Ansatz. Dem Ansatz wird damit ein gewisser Kulturrelativismus eingeschrieben, der sich nun im anderen Paradigma einer Bedürfnisethik als unplausibel erweist. Bedürfnisse wie Hunger und Durst oder eben das Bedürfnis nach Bindung sind universell und eine anthropologische Konstante. Betrachtet man die Konzepte der Befähigungs- und der Bedürfnisethik nebeneinander, so ist der konzeptionelle Unterschied deutlich; gleichzeitig aber können sie zusammengedacht werden, wenn sie auf unterschiedliche Problembereiche, die im Zuge eines Adoptions131 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
geschehens beide typischerweise begegnen, bezogen werden. Nahe liegend wäre die Annahme, die Bedürfnisse als die basalere Struktur aufzufassen, bei deren Gewährleistung die Befähigungen darauf aufbauen können. Im Kontext des Kindeswohls hieße das: Zuerst müssen Hunger und Durst gestillt sein und dem Kind sichere Bindung ermöglicht werden; anschließend kann es daran gehen, dass Eltern ihm mit den Befähigungen der Offenheit entgegentreten, die für die Identitätsbildung und allgemein die ethische Orientierung des Kindes wichtig sind. So verlockend diese Modifikation der sog. »Bedürfnispyramide« (A. Maslow) auch ist, harmonisiert sie Befähigungs- und Bedürfnisethik doch zu sehr bzw. vernachlässigt die unterschiedlichen Handlungsadressaten. Die im Adoptionsgeschehen kindeswohlrevelanten Bedürfnisse sind immer Bedürfnisse des Kindes, während die im Vermittlungsgeschehen in Betracht kommenden Befähigungen zwar genauso dem Kindeswohl zugutekommen sollen, aber charakteristischerweise den Eltern und nicht dem Kind selbst vermittelt werden, wie in Kap. 3.4 betont wurde. 168 Es kommt hinzu, dass auch die Stillung grundlegendster Bedürfnisse wie Hunger und Durst kaum von den Orientierungen zu trennen ist, die Eltern ihren Kindern selbst durch so universell bedurfte Güter wie Nahrung mitgeben, wenn sie z. B. als Vegetarier ihre Kinder pflanzlich ernähren und damit auch ethische Orientierung vermitteln. Das Vegetarierbeispiel wird uns Kap. 6 noch beschäftigen; hier ist vorläufig nur festzuhalten, dass die dabei bestehende Verbindung von Bedürfnissen (Nahrung) und Befähigungen (Orientierung) die unterschiedlichen Handlungsadressen nicht vereinerleit, denn die Orientierung von Kindern zum Vegetarismus richtet sich nicht auf das Adoptionsgeschehen (zu dem das Adoptivkind nicht befähigt werden muss oder auch nur kann), sondern geschieht zwar in seinem Kontext, aber auf eine spätere eigene ethische Urteilsbildung des Kindes hin. An den gegebenen Beispielen lässt sich einiges über das Verhältnis von bedürfnis- und befähigungsethischem Ansatz in der Adoptionsethik ablesen. Offensichtlich verlangen Bedürfnisse nach unmittelbarer Befriedigung, wohingegen Befähigungen auf einen längeren Zeitraum ausgerichtet sind und vornehmlich der späteren Entwicklung des Kindes zugutekommen. Derselbe Sachverhalt lässt sich mit den begrifflichen Mitteln von Kap. 3 auch interventionistisch erfassen. Die Bedürfnisbefriedigung stellt demnach eine unmittelbare Intervention dar, die damit in die Nähe der positiven Intervention rückt (etwa bei einer Kindesherausnahme, die meist ungestillte Bedürfnisse 132 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Befähigungs- und bedürfnisethischer Zugang
beim betroffenen Kind voraussetzen wird). Befähigungen sind im Gegenüber dazu vermittelnde Interventionen, die den Kindern nur über die Vermittlung der Eltern zuteilwerden. Man hat es also bei Bedürfnis- und Befähigungsethik mit zwei unterschiedlichen Vorgangsweisen bei der Gewährleistung des Kindeswohls zu tun, die deshalb auch nicht notwendig in Konkurrenz zueinander stehen. Beide zu differenzieren, scheint mir für jede Kindeswohlethik hilfreich, da diese zumindest in den normativ arbeitenden Disziplinen der Philosophie und der Juristerei häufig auf die Frage der Autonomie des Kindes fokussiert wird, die als Inbegriff und Zielstellung des Kindeswohls erscheint. Dem Wohl des Kindes dient demnach alles, was es im Verlauf seiner Entwicklung zu einem selbstbestimmten Leben befähigen wird. Bei dieser Herangehensweise, die z. B. in Sorgerechtsfragen und gerichtlichen Auseinandersetzungen um Umgang mit dem Kind nach einer Scheidung wichtig zu sein scheint, 169 fällt auf, dass sie einen eher befähigungsethischen Ansatz pflegt, der sich allein durch die Zukunftsorientierung auf das künftig selbstbestimmte Leben ergibt. Für unseren Kontext, der ja konkret die Adoptionspflege vor Augen hat, in der eine solche kindliche Selbstbestimmung nicht gegeben sein kann, ist der autonomieorientierte Zugang zwar nicht gegenstandslos, aber müsste mindestens durch unmittelbare bedürfnisethische Aspekte korrigiert werden. Zweifellos lassen sich unmittelbare Bedürfnisse in den autonomieorientierten Ansatz integrieren. So wird etwa, um ein Beispiel herauszugreifen, in den Forschungsergebnissen des DFG-Netzwerkes »Kindeswohl« wiederholt auf die hohe Kindeswohlbedeutung des zweckfreien frühkindlichen Spiels (»imaginative play«) abgehoben, das Erhebliches zur Entwicklung von Autonomie beiträgt, 170 und auch die unmittelbare (also aufschubfreie) Bedürfnisbefriedigung wird als ein die Kindheit auszeichnendes Merkmal mit ethischer Relevanz genannt (wenngleich durchaus auch kritisch diskutiert). 171 Doch sofern dies unter der Leitperspektive der künftigen Autonomie von Kindern geschieht, kann man fragen, inwieweit tatsächlich ein bedürfnisethischer Ansatz befolgt wird. Das zweckfreie Spiel etwa, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wird zumindest nachträglich doch einem Zweck unterstellt, wenn man es als förderlich für die spätere Autonomie ausgibt. Interessanterweise bietet sich gerade für dieses Beispiel auf bedürfnisethischer Grundlage auch eine alternative Erklärung an. Im Zusammenhang der Bindungstheorie ist nämlich dieses Spielverhalten, das Bindungsforscher als »Exploration« (= Ver133 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
halten zur Erkundung der kindlichen Umwelt) bezeichnen, komplementär und korrelativ mit dem Bindungsverhalten gekoppelt. Kleine Kinder spielen demnach nur dann in explorierender Weise, wenn sie durch eine sichere Bindung (i. d. R. an die Mutter) die Freiheit dazu haben, ihre Energien also nicht darauf verwenden müssen, sich der Bindung durch die elterliche Person zu vergewissern. Man erkennt sofort, dass das Spielverhalten bei dieser Betrachtung von der Verzweckung im Dienste der Autonomiegewinnung frei ist, weil es mit der durch sichere Bindung erlangten Freiheit selbst schon so etwas wie Autonomie in sich vollzieht. Bindung stellt hier also keineswegs Abhängigkeit und damit das Gegenteil von Autonomie vor, sondern ist im Gegenteil ein Verhalten, das die Kinder aktiv ergreifen, um sich ihrer Bindungsperson zu vergewissern. Im Ergebnis dieser Überlegungen führt unser Vorschlag, die Kindeswohlthematik für die Adoptionsethik auf die Zeit der Adoptionspflege zu fokussieren, zu einer alternativen Perspektive auf die Leitkategorie der (kindlichen) Autonomie, die hinter vielen Kindeswohldiskursen als Zielvorstellung steht. Sie trägt durch diese Stellung als Zielperspektive fast unbemerkt den Befähigungsansatz in die Adoptionsethik ein. Vor allem vor dem Hintergrund unserer Strukturüberlegungen (Kap. 3) scheint es jedoch erfolgversprechender, das Konzept der Befähigungsgerechtigkeit auf die am Adoptionsgeschehen beteiligten Erwachsenen zu beschränken und für das Kind vielmehr einen bedürfnisethischen Ansatz zu wählen. Neben vielen universellen Bedürfnissen, die lebenslang bestehen (Hunger, Durst usw.), ist Bindung ein Bedürfnis, das sich besonders in der Zeit der Adoptionspflege meldet und dort unmittelbare, also unverzügliche Intervention verlangt. In diesem Rahmen ist der Autonomiegedanke keinesfalls ausgeschlossen; er verliert jedoch seine alles beherrschende Stellung, insbesondere kann er nicht mehr dazu dienen, gegen andere ethische Güter ›ausgespielt‹ zu werden. Denn wie der Zusammenhang von Bindungs- und Explorationsverhalten beispielhaft zeigte, ist Autonomie im bedürfnisethischen Ansatz nicht mehr Zweck oder gar höchster Zweck, dem andere Güter als Mittel zu seiner Erreichung bedenkenlos untergeordnet werden könnten, sondern wird vielmehr gleichsam als Nebenprodukt wichtiger Bedürfnisstillungen realisiert, die aber neben der Autonomie ihren Eigenwert bewahren. Es wird dann auch möglich, weitere Konkretionen und Näherbestimmungen des Kindeswohls in der Adoptionssituation zumindest zu benennen, ohne dass sie in einem Inbegriff dieses Wohls 134 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Milchpulver, Windeln und Tragetuch
wie dem Autonomiegedanken untergehen. Diesen weiteren Konkretionen gilt der nächste Abschnitt des vorliegenden Kapitels.
4.3 Milchpulver, Windeln und Tragetuch Mit dem Schwenk von der Befähigungs- zur Bedürfnisethik, die für die adoptionsethischen Belange, die das Kind betreffen, leistungsfähiger scheint, haben wir den die philosophische Kindeswohldebatte beherrschenden Autonomiegedanken in eine Reihe gestellt mit den konkreten Bedürfnissen des Kindes in der Zeit der Adoptionspflege, unter denen die Bindung hervorsticht. Damit haben wir ein Problem in Angriff genommen, das die Medizinethikerin C. Wiesemann in ihrem ethischen Aufriss zur Kindeswohlthematik auf die hilfreichen Stichwörter des Objektivismus bzw. des Adultismus gebracht hat. 172 Der Begriff des Adultismus deckt sich mit der Schwierigkeit, die wir bei dem Bestreben ausmachen konnten, den befähigungsethischen Ansatz von den am Adoptionsgeschehen beteiligten Erwachsenen auf das zu adoptierende Kind auszudehnen: Der Begriff des Kindeswohls wird hierbei auf die Person bezogen, zu der sich das Kind zukünftig erst noch entwickeln soll, und von dieser Zweckgestalt (Teleologie) aus auf das Kind in seiner aktuellen Situation rückübertragen. Eine solche Kindeswohlethik kann Kinder nur als ›kleine Erwachsene‹ würdigen. So richtig es ist, dass diejenigen Güter, die das Kindeswohl ausmachen, nicht auf Kinder beschränkt sein müssen, sondern sich ebenfalls als gut für die Erwachsenen erweisen können, 173 erlaubt dies doch nicht, die besondere Situation methodisch zu übergehen, in der sich Kinder Erwachsenen gegenüber grundsätzlich befinden, mag man diese Situation nun eher durch Abhängigkeit bei noch nicht erreichter Autonomie oder aber durch Bindung als bereits gegebene Realisierung von Autonomie gekennzeichnet sehen. Gerade die Fixierung der Kindeswohldebatte auf den Autonomiebegriff ist ein Beispiel für den von Wiesemann kritisierten Adultismus. Das Gegenstück zum Adultismus bildet der Objektivismus, worunter Wiesemann das Bestreben versteht, eine ›Positivliste‹ zur inhaltlichen Füllung des Kindeswohlbegriffs anzugeben, der ja als solcher erst einmal unbestimmt ist. Der bedürfnisethische Ansatz, der in der Adoptionsethik z. B. auf das Bedürfnis der Bindung abhebt, kann als Versuch einer solchen Verobjektivierung angesehen werden. 135 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
Wiesemann kritisiert, dass dabei die aktuelle Erlebensperspektive des Kindes unterlaufen oder einem (vermeintlich) universellen Maßstab unterworfen wird; sie befürwortet also in gewisser Weise das kulturrelative oder kontextsensible Argument, das uns vom Ansatz der Befähigungsgerechtigkeit bekannt ist. Offensichtlich votiert Wiesemann damit für eine spezifisch kindliche Art von Autonomie, die das Kind an den Entscheidungen über sein Wohlergehen beteiligt sehen will. Dabei hat sie als Medizinethikerin Fälle wie den eines krebskranken Grundschulkindes vor Augen, das sich nach mehreren Rückfällen bewusst und in Kenntnis der (voraussichtlich tödlichen) Folgen gegen eine weitere kurative Therapie entscheidet und lieber sterben will. 174 Im Recht wird z. T. versucht, solche Problemkonstellationen (in der genannten entscheiden derzeit juristisch allein die Eltern) über sog. Teilmündigkeiten, wie sie z. B. als Religionsmündigkeit (mit 14 Jahren) schon länger bestehen, sensibler zu steuern. 175 Wiesemanns Objektivismuskritik ist ein Pendant dazu für die Ethik. Zwar scheint es, dass ausgerechnet das Bindungsbedürfnis dieser Kritik nicht unterliegt, da hier starke verhaltenswissenschaftliche Anhaltspunkte für das tatsächliche Erleben des Kindes gegeben sind, doch verdient Wiesemanns Einwand Gehör, dass viele Bedürfnisse, auf die eine Bedürfnisethik nun einmal abheben wird, bei der ethischen Handlungsempfehlung doch wieder mittelbar als Befähigungen der Eltern konzeptualisiert werden, die diese oder jene Fähigkeit mitbringen müssen, um bestimmte Bedürfnisse des Kindes zu befriedigen. Um in der Adoptionsethik sowohl dem Adultismus als auch dem Objektivismus zu entgehen, müssen wir fragen: Was (außer Bindung) brauchen Kinder speziell in der Situation der Adoptionspflege unmittelbar? Es sei mir gestattet, auf diese Frage mit einer persönlichen Erfahrung als Adoptivvater zu antworten. Als meine Frau und ich unser erstes Kind adoptierten, vergingen zwischen dem ersten Gespräch mit der Vermittlungsstelle und der Platzierung nur wenige Tage (eine Erfahrung, die etliche Bewerberpaare machen, wenn ihnen eine Vermittlung angeboten wird). Die Zeit, um die häusliche Situation auf den ›plötzlichen‹ Familienzuwachs einzustellen, war also knapp; langfristige Vorbereitungen hätten sich mit Blick auf die eigene Berufstätigkeit nicht empfohlen, da schon aus strategischen Gründen kaum ein Adoptionsbewerber seinem Arbeitgeber eine Elternzeit ankündigen möchte, von der sich nicht sagen lässt, ob und wann sie eintritt. Aus vergleichbaren Gründen gab es in unserer Wohnung auch noch kein 136 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Milchpulver, Windeln und Tragetuch
eingerichtetes Kinderzimmer. Bei der unvermeidlichen Frage, was genau alles vorzubereiten sei und was so ein Säugling brauche, war die Auskunft einer Freundin im Arztberuf hilfreich, die darauf hinwies, dass Kinder in den ersten Wochen außer Milchpulver und Windeln nicht viel benötigten. Im Rückblick auf jene ersten Wochen, die sehr heiße Sommertage waren, möchte ich ergänzen, dass nach einer gewissen Zeit noch das Tragetuch hinzutrat, das sich als unverzichtbar erwies, wenn wir mit unserem Kind bei allmählicher Abkühlung des Tages abends draußen spazieren gehen wollten und der mit Bettdecke ausgestattete Kinderwagen sich als zu heiß erwies. Für eine extensivere Nutzung des Tragetuches war es darüber hinaus hilfreich, wenn das Kind nach einiger Zeit seinen Kopf einigermaßen selbst halten konnte und nicht mehr völlig ins Tuch eingebunden werden musste. Soweit meine persönliche Erinnerung. Ich beanspruche nicht, mit der Nennung von Milchpulver, Windeln und Tragetuch Substantielles zur Kindeswohlthematik im Sinne eines Objektivismus beizutragen. Aber in bedürfnisethischer Hinsicht ist diese kleine Liste vielleicht doch ganz aufschlussreich. Zweifellos macht sie Dinge namhaft, die das Erleben des Kindes direkt betreffen, weil es sich um universelle und unmittelbare Bedürfnisse in der Adoptionspflegezeit handelt. Mögen die Bedürfnisse als solche (Hunger, Stoffwechsel, räumlich-körperliche Nähe zu den Eltern) auch nicht adoptionsspezifisch sein, so verbinden sie sich doch mit gewissen Modifikationen, die tatsächlich auf die Adoptionssituation hinwiesen. Da für Adoptivmütter die Möglichkeit, ihr Kind zu stillen, meistens ausfällt, 176 spielt Milchpulver eine größere Rolle als bei leiblichen Familien unter Einschluss der Konsequenz, dass die Versorgung der sog. Flaschenkinder auch den Vätern offensteht. Gleichzeitig kann man die bevorzugte Nutzung eines Tragetuches (anstelle eines Kinderwagens oder einer anderen Tragevorrichtung) im Falle einer Adoption damit erklären, dass so eine größere körperliche Nähe hergestellt wird, derer das Kind angesichts fehlenden Stillens womöglich umso stärker bedarf. 177 Sofern eine fortgesetzte Verwendung des Tragetuches voraussetzt, dass das Kind seinen Kopf selbst aufrecht halten kann, lässt sich in der bedürfnisethischen Dreierliste auch ein Bezug zur Autonomie des Säuglings herstellen … Die scheinbar lakonische Auflistung von Milchpulver, Windeln und Tragetuch verdeutlicht bei näherem Hinsehen, dass selbst so universelle Bedürfnisse wie diejenigen, die mit Hilfe dieser drei Dinge befriedigt werden können, nicht kontextlos auftreten oder gestillt 137 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
werden, sondern eine Situationsspezifik aufweisen, die z. B. Adoptiveltern Formen wie das Tragetuch finden lassen, um ihrem Kind körperliche Nähe zu geben, die eine leibliche Mutter über das Stillen herstellt (und deshalb vielleicht zum gemeinsamen Spazierengehen einen Kinderwagen bevorzugt). M. a. W. eine Konkretion der Bedürfnisse, die den Begriff des Kindeswohls bestimmen, scheint Wiesemanns Objektivismusverdacht schon im Ansatz auszuräumen, denn selbst universelle Bedürfnisse werden in konkreter Weise befriedigt, ohne dass dies einem Kulturrelativismus Raum gibt, der die Bedürfnisse als solche in Zweifel zöge. Im adoptionsethischen Kontext erscheint auch die weitergehende These diskussionswürdig, dass den kindlichen Bedürfnissen auf Seiten der Eltern nicht nur bestimmte Befähigungen entsprechen, vermittels derer sie jene Bedürfnisse stillen können, sondern auch elterliche Bedürfnisse, die auf diejenigen der Kinder gewissermaßen antworten. Ein solcher Konnex würde eine Situationsbindung auch der universellen Bedürfnisse herstellen und könnte so zur Näherbestimmung des Kindeswohlbegriffs beitragen. Für die konkrete Situation der Adoptionspflege in ihrer Verschränkung von Adoption und Pflege ist zu bedenken, dass hier der kindlichen Bindung auf Seiten der Eltern das sog. Commitment entspricht, mit dem die Eltern auf die personenspezifische Ausrichtung des Bindungsverhaltens reagieren. 178 Aus bindungstheoretischer Sicht besteht die Besonderheit von Adoption und Pflege gegenüber der Heimunterbringung daran, dass jene beiden familiären Formen der Fremdplatzierung den betroffenen Kindern die Bindung an eine bestimmte Autoritätsperson erlauben, was im Heim angesichts der Zahlenverhältnisse von Kindern und Betreuern nicht realisierbar ist. 179 Diese Bestimmtheit der Bindung spiegelt sich im Commitment in der mehr moralisch empfundenen als (wie die Bindung) biologisch grundierten Verpflichtung, in der sich Eltern gegenüber genau ihren Kindern sehen. Mit tugendethischen Begriffen könnte man dieses Entsprechungsverhältnis des Commitments so formulieren: Kindliche Bindung wartet auf elterliche Liebe. Liebe aber lässt sich, wie von bindungstheoretischer Seite bereitwillig eingestanden wird, nicht zum Pflichtkriterium machen, da sie ihrer Natur nach nur frei empfunden und gewählt sein kann. 180 Heißt das, dass eine Konkretion des Kindeswohls zwar für das Kind, aber nicht für diejenigen, die mit dem Kind umgehen, greifbar zu machen ist? Der Schlussabschnitt des vorliegenden Kapitels möchte diesem Eindruck entgegentreten. 138 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Liebe, Familie und Beruf
4.4 Liebe, Familie und Beruf Die Überlegungen dieses Kapitels waren der Versuch, das Problem der notorischen Unbestimmtheit des Kindeswohlbegriffs zu lösen. Dazu diente die Einschränkung auf die Situation der Adoptionspflege (4.1), aber auch der bedürfnisethische Ansatz beim Thema der Bindung (4.2), mit dessen Hilfe sich das Problem durch seine beiden Komplementärgestalten als Objektivismus bzw. Adultismus (Wiesemann) eingrenzen ließ (4.3). Wiesemanns Problemaufriss zielte konstruktiv auf eine Bestimmung des Kindeswohls, die mit dem Erleben des Kindes konform ist und dieses als »Sachwalter und Interpret[en]« seiner eigenen Interessen akzeptiert und ernst nimmt. Das ist ein zweifellos berechtigter Grundansatz, für Kinder zu Beginn der Adoptionspflege, die ab Geburt aufgenommen werden kann, aber oft nicht durchführbar. 181 Und auch Wiesemann selbst, die auf erlebnisgesättigte Wohlinteressen schwer kranker Kinder im Grundschulalter abhebt, muss einräumen, dass in derselben Altersklasse die Verweigerung einer Impfung, weil das Kind Angst vor der Spritze hat, kaum als kindeswohlorientiert gelten kann. 182 Ihr schwebt deshalb – vor allem im größeren Rahmen ihrer Eltern- und Kindschaftsethik – ein Denkmodell vor, in dem weder das autonome Kind noch der souveräne Erwachsene als isolierter Handlungsträger auftritt, sondern die Familie als eigener Akteur gewürdigt wird. 183 Das besondere Handlungskapital der Familie, das nur in ihrer typischen Weise der Interaktion ihrer Angehörigen mobilisiert und verflüssigt werden könne, begreift Wiesemann als ›Vertrauen‹, das dann z. B. auch erlauben soll, Kindeswohlkonflikte wie den der erwähnten Impfverweigerung aufzulösen. 184 Die im vorigen Abschnitt angestellten Überlegungen liefen, ausgehend von dem für Adoptionspflege schlüsselhaften kindlichen Bedürfnis nach Bindung und dem korrespondierenden elterlichen Commitment anscheinend auf vergleichbare Ergebnisse hinaus. Denn Commitment im Eltern-Kind-Verhältnis ist, tugendethisch reformuliert, kaum etwas anderes als Liebe, und diese wiederum ist ethisch vorläufig als Vertrauensvorschuss in die Person des Anderen zu bestimmen. 185 Das Bindungsbedürfnis, das den Kindeswohlbegriff bestimmen oder objektivieren soll, bekommt im zugewandten Vertrauen, das notwendig auf das in die Adoptivfamilie kommende Kind und in diesem Kommenden auf die Zukunft vorausgreift, ein quasi adultistisches Gegenüber, auch wenn der Vorschuss, den Eltern ihren Kindern entgegenbringen, indem sie sie lieben, nicht bis zur Schwelle des 139 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
Erwachsenwerdens vorgreifen muss; elterliche Liebe wird sich vielmehr darin zeigen, dass Eltern ihren Kindern zutrauen, was sie ihnen selbst weitergeben wollen; die Liebe der Eltern zum Kind baut insoweit auf elterlicher Selbstweitergabe auf, die immer sogleich Selbstbeschränkung einschließt, weil sie ja auf die konkrete Person des Kindes als Gegenüber der Eltern gerichtet ist. Es kommt im vorliegenden Kontext nicht darauf an, diese Strukturbeschaffenheit liebender Elternschaft, die uns in Kap. 6 beschäftigen wird, zu vertiefen. Entscheidend ist jetzt bei aller Berührung dieses tugendethischen Begriffs von Liebe mit Wiesemanns familienethischem Konzept des Vertrauens, dass die Entsprechung von Bindung und Commitment eine andere Handlungsstruktur darstellt als die ethische Kollektivperson Familie, die Wiesemann vorschlägt. Die Familie ist, wie in Kap. 1 dieses Buches entfaltet, in erster Linie ein Orientierungsraum, den als eigenständigen, gleichsam kollektiven Akteur zu begreifen hieße oder doch heißen könnte, das Kind mit seinen Bedürfnissen darin aufgehen zu lassen. Das wäre gerade unter Kindeswohlgesichtspunkten eine riskante ethische Strategie, da es bei Kindeswohlgefährdungen in aller Regel die eigenen Familien sind, aus denen das Kind herausgenommen werden muss. Das hier bestehende Problem wird ethisch m. E. zufriedenstellender gelöst, wenn man den für die Kindeswohlproblematik gewiss wesentlichen Begriff des Vertrauens an eine konkreter greifbare Handlungsstruktur knüpft, als sie von der Familie verkörpert wird. Mit der Entsprechung von Bindung und Commitment ist eine solche Struktur gegeben: Kinder äußern Bedürfnisse, auf die ihre Eltern reagieren und damit ebenfalls ihrem eigenen elterlichen Bedürfnis der Selbstweitergabe entsprechen. Diese duale oder reziproke Struktur hat den Vorzug, dass sie zu der Näherbestimmung des Kindeswohlbegriffs, der ja das ganze vorliegende Kapitel dienen soll, Wesentliches beitragen kann. Lässt sich das Kindeswohl im Kontext der Adoptionspflege insbesondere durch das kindliche Bedürfnis der Bindung konkretisieren und wird dieses von den Eltern mit liebendem Commitment beantwortet, so kann man der Folgerung die Zustimmung schwerlich verweigern, dass es dem Kindeswohl erheblich dienen wird, wenn Kinder nach der Platzierung in einer Adoptivfamilie eine verlässliche elterliche Bezugsperson haben, die sich ihnen zumindest in der Zeit der Adoptionspflege ganz widmet. Dies ist auch regelmäßig die (einzige) Anforderung, die die Vermittlungsstellen mit Blick auf die berufstätige Situation der annehmenden Eltern artikulieren. 186 140 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Liebe, Familie und Beruf
Hören wir dieses Erfordernis nun erneut im Kontext der Kindeswohlthematik, so verflüchtigt sich der Eindruck der Unbestimmtheit oder mangelnden Konkretion augenblicklich. Im Gegenteil ist mit dieser Forderung sofort der gesamte Themenbereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf dem Tisch, der zu den familienethisch sicherlich heikelsten Punkten der Sozialpolitik zählt. Ich habe dazu freilich nicht viel mehr als eine Art Nachbemerkung zu diesem Kapitel zu machen, da man mit diesem Thema allmählich den Bereich der Ethik in Richtung auf die Politik verlässt. Die Forderung, dass sich ein Elternteil während der Adoptionspflege ganz dem Kind widmen soll, ist familiensoziologisch nichts anderes als die Rehabilitierung des Partnerschaftsmodells mit einem Alleinverdiener und einem wesentlich erziehenden zweiten Elternteil. Es handelt sich um dasjenige Modell, das als sog. »Hausfrauenehe« in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus guten Gründen revidiert wurde. Wir können aber nun in kindeswohlethischer Perspektive sagen, dass die Revision nur insoweit berechtigt war, als sie geschlechterdiskriminierende Strukturen abbauen half, wonach automatisch der Frau die Erziehung und automatisch dem Mann das Geldverdienen zufiel. Diese Zuordnung ist in der Tat haltlos. Berechtigt bleibt aber die Annahme, dass zumindest für die Situation einer Adoptionspflege, in der das Bedürfnis der Bindung besonderes Gewicht hat, eine solche Aufgabenverteilung mit einem verdienenden und einem erziehenden Elternteil klare Vorzüge besitzt. Aufzugeben ist nur jede Koppelung dessen mit Genderfragen, vielmehr können Männer und Frauen in hetero- wie in homosexuellen Beziehungen diese Aufgabenverteilung vornehmen. Wird diese Entkoppelung klar, so zeigt sich auch, dass die Rehabilitierung des fraglichen Partnerschaftsmodells nichts mit politischem Konservatismus oder altväterlichen Familienvorstellungen zu tun hat; es handelt sich schlicht um die nicht ohne Aufgabenteilung zu beantwortende Frage, »wer die Brötchen verdient und wer sie schmiert«. 187 Was adoptionsethisch nicht geht, ist ein Doppelverdienermodell in Teilzeit oder gar Vollzeit bei Übertragung der Erziehung an eine dritte Person, die gar nicht adoptiert (z. B. Großeltern, Kindermädchen usw.). Insoweit signalisiert das Adoptionsthema deutliche Probleme mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist denkbar, dass bereits diese Überlegung, so gut sie auch durch adoptionsethische Erwägungen fundiert werden kann, sozialpolitischen Sprengstoff darstellt, weil sie überholten Rollenmustern 141 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
das Wort zu reden scheint. Letzteres ist aber nicht der Fall; es handelt sich vielmehr, wie in diesem Kapitel immer wieder betont, um eine ethische Beurteilung speziell der Adoptionspflege und ihrer besonderen Situation. Die Folgerung persönlich verlässlicher Elternpräsenz in der Adoptionspflege wird einsichtiger, wenn man ihr idealtypisch andere Muster der Bearbeitung des Dilemmas von Familie und Beruf an die Seite stellt, denen sich Paare mit Elternambitionen (adoptiv oder leiblich) gegenübergestellt sehen können. Die am weitesten gehende Lösung besteht sicherlich darin, auf eine der beiden Aufgaben, sei es Familie oder Beruf, dauerhaft zu verzichten. Berufstätige Doppelverdiener ohne Kinder wären ein Beispiel hierfür; Familien, in denen die Eltern keinen Beruf ausüben, das Gegenbeispiel. Bei diesen beiden Extremvarianten, die in der öffentlichen und politischen Debatte wohl nicht zufällig mit gelegentlich wohligem Gruseln gegenüber sog. DINKs (engl. Akronym für: double income, no kids) oder Familien aus sog. Problemmilieus betrachtet werden, 188 fällt auf, dass sie sich sogleich mit Zuordnungen in der sozialen Schichtung verbinden und schon deshalb kaum als sozialpolitisch oder gesamtgesellschaftlich lösungstauglich gelten können. Von einem gewissen ethischen Interesse sind Ansätze, die das Vereinbarkeitsproblem lösen wollen, indem sie die Familie als Beruf auffassen. Sie sind in der theologischen Ethik in relativ starkem Maße repräsentiert, weil sie die von M. Luther stammende Begriffsbildung des ›Berufs‹ aufnehmen, mit der der Reformator ständische Vorränge, die aus dem berufenen, d. h. einem Gelübde verpflichteten Mönchtum stammen, auf alle Stände der seinerzeit ständisch gegliederten Gesellschaft übertrug. 189 Für Luther besitzt daher auch die Wahrnehmung schlichtester familiärer Pflichten wie das in diesem Kapitel schon erwähnte Wickeln von Kindern die Dignität einer religiösen Berufung einschließlich der daran geknüpften ständisch begründeten Rechte, die für den Reformator nicht mehr besonderen Personenkreisen vorbehalten sein sollen. Von diesem demokratisierenden Impuls avant la lettre aus wurde dem Berufsgedanken eine gewisse Wirkung in der systemimmanenten Kritik an vorgegebenen Gesellschaftsordnungen und ihrer Verwandlung ›von innen heraus‹ 190 auch dann noch attestiert, als die ständische Gesellschaft spätestens nach der Französischen Revolution der Vergangenheit angehörte. Ein historisches Beispiel für Vertreter des Lebenskonzepts der »Familie als Beruf« stellt z. B. der Dichter und Theologe M. Claudius dar, der in seinem 142 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Liebe, Familie und Beruf
literarischen Schaffen die eigene Häuslichkeit thematisieren und feiern konnte. 191 Neben anderen ethischen Problematiken, die hier außer Betracht bleiben können, liegt eine Schwäche dieser Vorstellung von der Familie als Beruf darin, dass sie ganz auf die familiäre Alltagsexpertise setzt, was alle Strukturen professioneller Familienexpertise, die gerade für die Adoptionsethik, aber darüber hinaus auch für die Kindeswohlthematik unverzichtbar sind, desavouiert. Der nächstliegende und in der Gegenwart wohl auch häufigste Umgang mit dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besteht in einer seriellen Anordnung, bei der die Familiengründung hinter die berufliche Existenzsicherung verschoben wird. Diese Handhabung ist nicht bloß ein Merkmal bürgerlicher Ethik des 19. und 20. Jahrhunderts und auf deren Boden mit der erwähnten ›Hausfrauenehe‹ verbandelt, sondern begegnet gegenwärtig gerade in der fortpflanzungstechnologischen Errungenschaft des Social Freezing. Hierbei wird das Verfahren der Kryokonservierung von Eizellen, das aus der Familienplanung von z. B. krebskranken Frauen stammt, auf soziale Beweggründe ausgedehnt wie das Bestreben, als Frau nach einer beruflichen Karriere noch Mutter werden zu können, ohne mit den Wechseljahren an eine unverrückbare Grenze zu stoßen. Die Praxis nutzt medizinische Errungenschaften der IVF/ICSI und genießt als Lebensplanungsinstrument fortschreitende Verbreitung. Sekundär wirkt dieser Prozess auch auf die Adoptionspraxis ein, weil die so erreichte Verschiebung der Fruchtbarkeitsgrenze dazu geführt hat, in den BAGLJÄ-Empfehlungen auch die relativen Altersgrenzen für Adoptiveltern aufzuweichen, die sich ja an einem ›natürlichen‹ Eltern-Kind-Verhältnis orientieren. 192 Verschiebt sich dieses aber auf höhere Lebensalter (gleichgültig, ob im Kontext medizinisch angezeigter Eizellkryokonservierung oder des Social Freezing), dann zieht die Adoption gleichsam mit. Aus adoptionsethischer Sicht ist hierzu anzumerken, dass die Praxis des Social Freezing mit der Festlegung auf die Reihenfolge »erst Beruf, dann Familie« gewiss manch materielle Sicherheitsinteressen bedient, die einer Gewährleistung des Kindeswohls zuarbeiten können. Andererseits hat dieses zumindest in den hier betrachteten Kindheitsphasen nur wenig wirtschaftliche Anteile; viel wichtiger für das Kindeswohl sind die unmittelbaren Bedürfnisse, die in diesem Kapitel zur Sprache kamen – und Milchpulver, Windeln und Tragetuch kosten nicht allzu viel. Weniger polemisch gesagt: Die beim Social Freezing festgelegte 143 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Das Adoptivkind
Reihenfolge der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwingt Frauen, zuerst und vorrangig den Erfordernissen des Arbeitsmarktes zu gehorchen, um dann und in zweiter Linie auch noch Mutter werden zu können. Wie schon H. Haker deutlich gezeigt hat, 193 verfolgt eine solche Strategie – insbesondere, wenn z. B. Arbeitgeber die Kosten des Social Freezing übernehmen, um es attraktiver zu machen – Grundannahmen von familiärer Struktur, die tatsächlich eher der Hausfrauenehe ähneln, dann aber auch unter Fortschreibung der Geschlechterzuordnungen. Zwar haben wir auch bei den Bedürfnissen der Adoptionspflege gesehen, dass sie auf Zeit ähnliche Aufgabenteilungen verlangen, wie sie im Social Freezing durch die Reihenfolge »erst Beruf, dann Familie« festgelegt sind. Doch trägt beim Social Freezing immer noch ausschließlich die Frau die Last dieser Festlegung. In der Adoptionspflege ist dies nicht in gleicher Weise vorentschieden. Auch wenn Social Freezing und Adoption nicht dieselben Zielgruppen adressieren, kann man ethisch doch festhalten, dass die Zementierung der beruflichen Sicherung als Voraussetzung für die Familiengründung eine erhebliche Einschränkung in der angeblich dadurch geförderten Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutet. Die Anordnung, erst die berufliche Existenz zu sichern und dann die Familie zu gründen, ist nicht alternativlos. Es soll hier nicht behauptet werden, die Umkehrung der Anordnung würde das Vereinbarkeitsproblem mit einem Schlag lösen, aber die particula veri einer solchen Annahme lautet, dass frühe Elternschaft einer Grundannahme den Boden entzieht, ohne die das Vereinbarkeitsproblem an Dringlichkeit einbüßt. Diese Grundannahme lautet, dass die Familiengründung erst dann ethisch vertretbar sei, wenn ihr die entsprechende Basis in Gestalt der Absicherung eines wirtschaftlichen oder sozialen Status bereitet ist. Bereits der vorhin erwähnte Luther hat in seinen Schriften zu Ehe und Familie eine solche Haltung problematisiert. Sie gleicht dem Warten auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, da die vermeintliche Sicherheitsschwelle nie erreicht, die Garantie für die Gewährleistung des familiären Wohls (und des Kindeswohls) nie vorab gegeben werden kann. 194 Wenn der ethische Schlüssel zum Kindeswohl das elterliche Commitment ist, mit dem das kindliche Bedürfnis nach Bindung beantwortet wird, dann bedeutet dieses Commitment als Liebe, wie vorhin ausgeführt, einen Vertrauensvorschuss, der sich am grundlegendsten in der Bereitschaft äußert, Familie zu wagen. Kinder und ganz besonders Adoptivkinder dürfen von ihren Eltern das Vertrauen erwarten, dass dieses Wagnis gelingt. 144 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
5. Die abgebenden Eltern
Nach der Betrachtung des zu adoptierenden Kindes, das in der Praxis der Adoption wie in ihrer theoretischen Reflexion ganz und gar im Vordergrund stehen muss, wenden sich unsere Überlegungen in den beiden folgenden Kapiteln den am Adoptionsdreieck beteiligten Erwachsenen in der abgebenden (Kap. 5) bzw. annehmenden Familie (Kap. 6) zu. Der Begriff der Familie ist allerdings auf diese beiden Seiten, zwischen denen das Kind sich im Kontext der Adoption bewegt, kaum unterschiedslos anzuwenden. Während auf Seiten der abgebenden Familie meistens nur die Mutter in Erscheinung tritt, begegnen dem Kind in der annehmenden Familie praktisch ausnahmslos zwei Elternteile, mögen sie auch in der statistischen Mehrzahl der Adoptionsentscheidungen, die von deutschen Familiengerichten ausgesprochen werden, nicht in einem symmetrischen Verhältnis zum Kind stehen. Über 60 % dieser Entscheidungen betreffen Stiefkindadoptionen, bei denen nur der (Stief-)Vater adoptierend auftritt (bei lediglich gut 5 % der Stiefkindadoptionen ist die Mutter der adoptierende Teil). 195 Bei ethischer Betrachtung ist die Stiefkindadoption aber, obwohl zahlenmäßig der Mehrheitsfall, eine Randerscheinung, bei der sich die adoptionstypischen Probleme, die eine ethische Reflexion auf die Adoption überhaupt erst erforderlich machen, kaum zeigen. Sie treten vielmehr bei der Fremdadoption mit ihren stets gemeinsam adoptierenden Elternteilen auf, und die Tatsache, dass diesen beiden Elternteilen auf abgebender Seite im Normalfall, wie erwähnt, nur die abgebende Mutter gegenübersteht, stellt bereits eine dieser ethisch reflexionsbedürftigen Problematiken dar. Abgebende Familien sind zumindest in der konkreten Abgabesituation zumeist Einelternfamilien, auch wenn man nicht vergessen sollte, dass gerade die Konstellation der abgebenden Mutter zum leiblichen Vater des Kindes ausschlaggebend für die Freigabeentscheidung sein kann. In jedem Fall ist die Elternkonstellation in der abgebenden Familie ein eigenes Themenfeld, das mit der Elternbeziehung in der annehmenden Familie nur sehr begrenzt verglichen werden 145 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
kann. Hier ist gemeinschaftliches Handeln das Maß aller Dinge; rechtlich gehört es sogar zu den unverrückbaren Bedingungen der Volladoption Minderjähriger, dass diese Elternpaare, die ausnahmslos Ehepaare sind, ein Kind nur gemeinsam annehmen können, wie § 1741 Abs. 2 BGB festlegt. 196 In der oftmals komplexen und widersprüchlichen Situation einer abgebenden Familie hingegen müssen mütterliches und väterliches Handeln ethisch getrennt voneinander betrachtet werden, sodass die Rede von abgebenden Eltern häufig nur ein begriffliches Dach für zwei durchaus unterschiedliche Phänomene sein wird. Für das Arrangement dieses Kapitels ziehe ich aus diesen Überlegungen den Schluss, die ethischen Fragestellungen bezüglich abgebender Mütter bzw. Väter in eigenen Gliederungsschritten zu behandeln. Dabei wird den Müttern (5.1) mehr Gewicht zu geben sein, denn sie sind den in Betracht kommenden ethischen Problematiken (5.2) in besonderer Weise ausgeliefert, da sie durch die Schwangerschaft (5.3) auf ganz andere Weise mit dem zu adoptierenden Kind verbunden sind als die leiblichen Väter (5.4). Die Bestimmung des Begriffs der Elternschaft wird auf das folgende Kapitel über die annehmenden Eltern verschoben, wo der überindividuelle Begriff des Elternseins sein besseres Recht haben wird – auch wenn kein Zweifel sein kann, dass abgebende Mütter und Väter in einem ethisch hochvalenten Sinn als Eltern im Adoptionskontext in Erscheinung zu treten vermögen.
5.1 Ethische Konflikte abgebender Mütter Den Anfang soll die Betrachtung typischer Situationen machen, in denen sich Mütter vorfinden, die sich für eine Adoptionsfreigabe ihres Kindes entscheiden. Man kann sich ohne viel Phantasie klarmachen, dass eine solche Entscheidung ethische Konflikte ebenso voraussetzt wie aufwirft, schon weil, umgangssprachlich geredet, kaum eine Mutter ihr Kind »einfach so« in andere Hände geben wird. Bereits die Tatsache, dass die Mütter dabei meist ohne den Vater des Kindes agieren, genügt, um eine Vielzahl von Situationen zu imaginieren, in denen die Freigabeentscheidung, so fern sie in den allermeisten Mutter-Kind-Konstellationen zu liegen scheint, nicht nur in den Bereich des Möglichen rückt, sondern eine echte Option wird, mit der Mütter das Beste für ihr Kind bewirken. Gerade die mit diesen 146 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Ethische Konflikte abgebender Mütter
Sätzen umrissenen Intuitionen können aber, wie nachdrücklich zu betonen ist, als solche keinerlei ethische Valenz beanspruchen. Sie bringen nicht mehr als die gesellschaftlich weit verbreitete – und zumindest in der jüdisch-christlichen Tradition auch religiös sanktionierte 197 – Überzeugung zum Ausdruck, dass keine Mutter unter normalen Umständen ihr Kind Anderen überlasse. Dass diese Intuition, die sich in dem drastischen Verdikt über abgebende Mütter als »Rabenmütter« äußert, für die ethische Reflexion nichts wert ist, erkennt man schon daran, dass sie ausschließlich von einem unterstellten Regelfall (»unter normalen Umständen«) aus urteilt, der schon rein begrifflich nicht beanspruchen kann, für eine Situation einschlägig zu sein, die offensichtlich Ausnahmecharakter hat. Nicht einmal die Folgerung, dass dieser Ausnahmefall ethisch gegenüber der Regel irgendwie »minderwertig« wäre, ist zulässig, wenn durch den Ausnahmecharakter der Situation, in der sich die abgebende Mutter befindet, jede Vergleichbarkeit mit der vorgeblichen Normalsituation in Frage steht. Folglich lassen sich aus der genannten Intuition auch keine ethischen Kriterien für die Auseinandersetzung mit der Situation abgebender Mütter gewinnen. Positiv ergibt sich vielmehr die Maxime, dass die ethische Problematik, die mit der besonderen Situation abgebender Mütter verbunden ist, zunächst einmal identifiziert werden muss. Hierin besteht die erste Aufgabe dieses Kapitels. Während man annehmen darf, dass eine Adoptionsfreigabe, wie in Kap. 1 dieses Buches schon erwähnt, häufig Antwort auf einen tiefgreifenden Konflikt ist, lässt sich nicht von vornherein unterstellen, dass dieser Konflikt ethischer Natur wäre. Sozialwissenschaftliche Befragungen von abgebenden Müttern 198 legen z. B. nahe, dass Partnerschaftskonflikte mit dem Vater des Kindes einen wesentlichen Anlass für Freigabeentscheidungen darstellen können, aber diese Konflikte sind eher psychosozialer oder emotionaler als ethischer Art. 199 Sie können jedoch ethische Relevanz bekommen, wenn sie, wie in Kap. 1 schon ausgeführt, existentielle Tragweite annehmen und die Mutter in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken, indem sie beispielsweise die Folgen ihrer Entscheidungen nicht mehr zu überblicken vermag oder sich in ihrem Lebensumfeld zwischen divergenten Loyalitäten hin- und hergerissen fühlt. Ein anschauliches Beispiel für die ethische Zuspitzung eines von Hause aus nicht ethisch geprägten Konflikts hat die schon erwähnte Essener Adoptionsstudie aus den späten 1980er Jahren sichtbar gemacht. 200 Das Beispiel betrifft, zunächst ohne Verbindung zur Ethik, 147 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
die sozialen Rollenmuster, denen sich junge Frauen in Bezug auf den Beruf einerseits und die Familie andererseits zuordnen, und dürfte auch unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dreißig Jahre später noch aktuell sein. Womöglich ist angesichts gesteigerter Individualisierung der Berufs- wie der Familienwelt sogar mit einer Verschärfung des damals beschriebenen Dilemmas zu rechnen. 201 Demnach hegen abgebende Mütter oft Vorstellungen vom Familienleben, die – womöglich konträr zu ihren eigenen Kindheitserfahrungen – dem Bild einer »vollständigen Familie«, also der Kernfamilie im soziologischen Sinne aus Vater und Mutter und ihrem ehelichen Kind, anhängen. 202 Gleichzeitig imaginieren sie für ihre persönliche Zukunft das Dasein einer berufstätigen Frau. Die simultane Realisierung beider Rollen ist ein Problem, das keineswegs nur spätere abgebende Mütter vor Heraus- oder Überforderungen stellt, doch macht sich die latente Unvereinbarkeit besonders dann bemerkbar, wenn die Jugendzeit der Betroffenen gleichsam »abgebrochen« wird. 203 Damit ist gemeint, dass die junge Frau in einem Alter schwanger wird, das den meisten Altersgenossinnen zum Ausprobieren der bloßen Voraussetzungen für die eine oder die andere Rolle dient, weil sie in der eigenen Familie sowohl materiellen wie immateriellen Rückhalt erfahren, der ihnen die Notwendigkeit eigener Erwerbsarbeit noch erspart bzw. eine Gestaltung erster Partnerschaften erlaubt, die noch gar keine dauerhafte Paarbeziehung und Familiengründung zum Ziel haben. Abgebende Mütter jedoch, die in dieser adoleszenten Lebensphase schwanger wurden, haben durch den eingetretenen ›Sprung‹ direkt ins Erwachsenenalter schlagartig beide Rollen zu bewältigen, wenn der Kindsvater bei der von der Mutter bislang imaginierten »vollständigen Familie« nicht mitmacht und die Mutter allein für den Lebensunterhalt des Kindes sorgen muss. Die Essener Forscher konnten anhand der geführten Interviews mit abgebenden Müttern zeigen, dass deren oft zu beobachtende, scheinbare Untätigkeit, die sich weder zu einer Freigabeentscheidung noch zu einem Leben mit dem Kind durchzuringen vermag, tatsächlich auf ein Hin und Her zwischen der Rolle der berufstätigen Frau und der treusorgenden Mutter zurückzuführen ist. 204 Die betroffenen Frauen sind in Wahrheit permanent mit Fragen der Handlungsplanung zur Bewältigung ihrer Konfliktsituation beschäftigt und vermögen die alternativen Szenarien auch durchaus einzuschätzen, bekommen aber buchstäblich nicht den Boden unter die Füße, um den entscheidenden Schritt in die eine oder andere Rich148 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Ethische Konflikte abgebender Mütter
tung zu tun. Der ursprüngliche Rollenkonflikt hat sich zu einem existentiellen Konflikt verschärft, der unmittelbar ethische Probleme aufwirft, weil er die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der betroffenen Frau aushebelt. Dieses hier in einiger Ausführlichkeit geschilderte Ergebnis korrigiert den populären Eindruck, wonach die Adoptionsfreigabe eine Bequemlichkeit seitens der abgebenden Mutter darstellt, die für die Folgen ihrer Schwangerschaft nicht die Verantwortung übernehmen, aber auch nicht für ein eigenes Auskommen als Alleinerziehende sorgen wolle oder könne. Im Studiendesign der Essener Forscher ist diese Erkenntnis in einen methodischen Rahmen eingebettet, der die ethische Betrachtung der Adoption und insbesondere die Situation abgebender Mütter generell unter der Perspektive der Realisierung von Handlungsalternativen wahrnimmt. 205 Doch gegenüber dieser Generalisierung ist unbeschadet der Bedeutung des geschilderten Ergebnisses Skepsis angebracht, wie sich schon bald zeigen wird. Die Ethik der Adoption geht auf keiner Seite des Adoptionsdreiecks darin auf, Handlungsmöglichkeiten zu entwerfen, zu sichten und zu bewerten, also letztlich die Frage zu beantworten: »Was soll ich (als Beteiligter am Adoptionsgeschehen) tun?« Gerade die Konflikte abgebender Mütter lehren, dass ein solcher Ethikbegriff zu unhinterfragt durchgängig die selbstbestimmte Entscheidungsgewalt und die souveräne Einsicht der Beteiligten in die Konsequenzen ihrer Handlungen voraussetzt. Diese Voraussetzung trifft in existentiellen Konfliktsituationen schlicht nicht zu. Wir stießen auf diese Schwierigkeit schon in Kap. 1 bei der Thematisierung der Leihmutterschaft, die deutlich machte, dass die ethische Problematik solcher Konflikte nicht im Paradigma der Selbstbestimmung lösbar ist. Es hilft nichts, Leihmüttern eine ›existentielle Ausstiegsklausel‹ zum Erhalt ihrer Handlungsfreiheit zuzugestehen, weil damit das Unmögliche versucht wird, existentielle Ausnahmesituationen in abstracto vorwegzunehmen. Diese Erkenntnis bildete in Kap. 1 das entscheidende Argument für eine gemäßigt interventionistische Modifikation der familienethischen Rahmenvoraussetzungen der Adoption. So sehr die Adoption im Orientierungsraum Familie an dem sozialphilosophischen Mehrwert partizipiert und von ihm profitiert, den liberal-kontraktualistische Gesellschaftstheorien der Familie im Vorfeld aller rechtlichen Ordnungselemente des sozialen Zusammenlebens einräumen, so sehr sind gerade in den Konfliktsituationen, die die Adoption zur Ausnahme von der Regelfamilie machen, Interventionen angezeigt, 149 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
die eine kontraktualistische Ausgestaltung der Adoption verbieten. In der Praxis zeigt sich diese interventionistische Formierung am sichtbarsten im unerlässlichen Einbezug staatlicher oder staatlich anerkannter Adoptionsvermittlungsstellen. Gleichzeitig haben wir besonders bei deren Behandlung (in Kap. 3) gesehen, dass die Intervention verhältnismäßig niederschwellig bleibt und sich vor allem als obligate Beratung der Beteiligten konkretisiert. Ein maßvoller Interventionismus vermag auch den ethischen Umgang mit den Konflikten abgebender Mütter anzuleiten. Wenn diese Konflikte, wie vorhin erwogen, auf einen »Abbruch« der Jugend, also eine Unregelmäßigkeit im Zeitverlauf der Identitätsgeschichte einer der am Adoptionsgeschehen Beteiligten zurückgeführt werden können, so stellt sich die nahe liegende Frage, an welcher Stelle des Konflikts, also zu welchem Zeitpunkt der Entwicklung, in der er sich aufgebaut hat, eine Intervention angezeigt ist. Formal lassen sich allgemein sehr späte von sehr frühen Interventionen unterscheiden. Spitzt sich etwa die lähmende Wirkung, die der beschriebene Rollenkonflikt auf nicht wenige abgebende Mütter ausübt, bis zu einer Vernachlässigung des Kindes zu, sodass dieses vom Jugendamt in einer Pflegefamilie fremdplatziert und von dieser womöglich später adoptiert wird, so wird man von einer späten, im ungünstigen Fall einer zu späten Intervention sprechen können. Auf der anderen Seite begegnete uns die Leihmutterschaft als die maximal frühe, im Blick auf ihre ethische Qualität als eine verfrühte Intervention, die den Konflikt einer Kindesabgabe vorlaufend durch einen Vertrag lösen will, schon ehe er überhaupt eingetreten sein kann. Es geht hier nicht darum, das intervenierende Handeln in dem einen oder anderen Fall zu loben oder zu tadeln, sondern nur um die Feststellung, dass frühe von späten Interventionen unterschieden werden können. Deshalb ist die Frage nach dem besten Zeitpunkt der Intervention bei einem Abgabekonflikt grundsätzlich sinnvoll. Die ethische Problematik zeigt sich darin, dass die Frage nach dem Interventionszeitpunkt mit den gängigen Prinzipien, die uns seit Kap. 1 dieses Buches immer wieder begegnet sind, nicht klar zu beantworten ist, sondern einmal mehr das schon bekannte Patt zwischen Kindeswohlargumenten und Reproduktionsautonomie eintritt. Im Sinne des Kindeswohls kann man für frühe Interventionen argumentieren, die dann allerdings jenseits bloßer Beratung bis zur Möglichkeit der Kindesherausnahme reichen. In der allgemeinen Kinderund Jugendhilfe sind die in SGB VIII geregelten sog. Frühen Hilfen 150 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Ethische Konflikte abgebender Mütter
zur Erziehung ein fester Begriff, 206 die durch das Aufstellen von kontrolliert umsetzbaren Hilfeplänen, mit denen sich behördliche Stellen beratend, aber auch in der häuslichen Gemeinschaft der Betroffenen unterstützend in die Erziehungsplanung der Familie mit Kindern unter drei Jahren (daher »frühe« Hilfen) einschalten, Kindeswohlgefährdungen möglichst zuvorkommen sollen. Diese Frühen Hilfen bilden offensichtlich einen Eingriff in die laut Verfassung »zuvörderst den Eltern« zukommenden Rechte und Pflichten der Erziehung, der nur mit Argumenten des Kindeswohls legitimiert werden kann; es versteht sich, dass demgegenüber Argumente des Reproduktionsautonomie in die entgegengesetzte Richtung weisen werden. Anstelle detaillierter Erörterung sei exemplarisch auf den Unterschied zwischen der deutschen und der schwedischen Situation verwiesen. In dem skandinavischen Land werden im Verhältnis zur Einwohnerzahl bis zu sechsmal mehr Kinder aus ihren Familien heraus in Obhut genommen als in Deutschland. 207 Hierzulande kommt es nicht deshalb weitaus seltener zu Kindesherausnahmen, weil das elterliche Erziehungsverhalten hier allgemein weniger Gefährdungen des Kindeswohls hervorriefe, sondern weil die schwedische Sozialgesetzgebung dem elterlichen Vorrang in der Erziehung keine so starke Stellung einräumt wie das deutsche Rechtssystem, das im eheabhängigen Familienrecht für Argumente der Reproduktionsautonomie grundsätzlich offener ist. Von den rechtsethischen Prinzipien beider Länder aus werden gleichartige Sachverhalte unter Umständen selbst dann unterschiedlich gewertet, wenn das Interventionsinstrumentarium in beiden Ländern das gleiche ist. Ethisch ergibt sich so gerade keine von der Rechtsordnung des jeweiligen Landes unabhängige, prinzipielle Orientierung. Das deutet an, dass eine prinzipienethische Lösung der Interventionsfrage nicht zu erwarten ist. Das Problem wird beim erneuten Blick auf die Situation abgebender Mütter deutlich. Gewichtige ethische Argumente könnten hier dazu führen, den Zeitpunkt der Intervention nahezu beliebig nach vorn zu verlagern. Die Konflikte, die eine Adoptionsfreigabe veranlassen, treten nur selten erst nach einer mehr oder weniger langen Zeit des gelingenden Zusammenlebens von Mutter und Kind durch von außen einbrechende Umstände wie Arbeitslosigkeit oder Scheitern der elterlichen Beziehung ein, sondern haben häufig schon vor der Geburt des Kindes als Schwangerschaftskonflikte bestanden. Aber auch diese können ihre Wurzeln weit vor Beginn der Schwangerschaft in einer instabilen Partnerbeziehung oder insbesondere der 151 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
fehlenden Unterstützung junger Schwangerer durch ihre Familien haben, sodass die Konfliktberatung auch diese Personenkreise einbeziehen müsste. Wie zudem das zitierte Beispiel der Rollenkonflikte zeigt, können Lebensmuster Konflikte auslösen, mit denen die abgebenden Mütter seit ihrer eigenen Kindheit konfrontiert sind. Ein Großteil der Ablehnung, die abgebenden Müttern entgegenschlägt, dürfte in Vorstellungen wie dem erwähnten Verdikt der »Rabenmutter« wurzeln, die noch weiter in die Vorzeit reichen und teils über Generationen hinweg tradiert worden sind. Eine beraterische Intervention, die dem entgegenwirken wollte, müsste nicht nur mindestens bei der Großelterngeneration heute Abgebender ansetzen, sondern auch weit über die betroffenen Familien hinaus in die gesellschaftliche Breite wirken. Ein echtes Interventionsinstrument, das einigermaßen erwartbare Erfolge verspräche, ist auf diesem weiten Feld vorverlagerter Intervention nirgends in Sicht. Angesichts dieser Schwierigkeit ist jedes ausgeweitete Verständnis von Intervention durch konkrete Handlungsalternativen auszutarieren, auf die hin in der Intervention beraten werden kann. In der Adoptionsvermittlung ist genau dies der Standard, nach dem im Umgang mit abgabewilligen Müttern verfahren wird. Die Beratung muss der betroffenen Frau Möglichkeiten aufzeigen, doch mit dem eigenen Kind zu leben, muss aber natürlich auch die Chancen einer Adoption darlegen, ohne die Sachentscheidung der Betroffenen in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen; nur die Entscheidungsgrundlage darf und soll die Beratung nach den »Empfehlungen« der BAGLJÄ bereitstellen. 208 Genau dieser Konnex von Intervention und Handlungsalternativen kann nun aber seinerseits der Vorverlagerung unterworfen werden. Eine Beratungsstelle will, wenn ihr ein Schwangerschaftskonflikt bekannt wird, der für ihre Tätigkeit von Bedeutung sein könnte, aus nachvollziehbaren Gründen nicht warten, bis das Kind geboren ist, sondern setzt früher ein. Was aber sind in diesen früheren Situationen eigentlich die Handlungsalternativen? Diese scheinbar triviale Frage steht hinter einigen, vor mehreren Jahren auch öffentlich stark diskutierten Maßnahmen, die zur Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten vorgeschlagen und eingeführt wurden, wie der sog. Babyklappe und der vertraulichen Geburt. Diese werden wir im Folgenden mitbedenken müssen.
152 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Interventionismus und Handlungsalternativen
5.2 Interventionismus und Handlungsalternativen Babyklappe und vertrauliche Geburt sind spektakuläre Maßnahmen neben einer sehr viel breiteren und ausgewogeneren Palette möglicher Interventionen, die grundsätzlich den gleichen Grundgedanken wie die Frühen Hilfen zur Erziehung verpflichtet sind, indem sie auf eine Stabilisierung insbesondere der häuslichen Situation Betroffener und ihres persönlichen Umfelds zielen. Diesen Grundansatz teilen Babyklappe und vertrauliche Geburt nicht, sondern suchen nach einer dauerhaften Entlastung der abgebenden Mütter. Dabei sind für unser ethisches Erkenntnisinteresse gerade die beiden genannten Interventionen aufschlussreich, weil sie regelmäßig mit einer Adoption des betroffenen Kindes einhergehen.
5.2.1 Babyklappe und vertrauliche Geburt In der Bundesrepublik Deutschland wurden Babyklappen 1999 eingeführt und erfuhren nach ca. zehn Jahren eine ethisch gewichtige, kritische Würdigung durch Expertisen aus dem Deutschen Jugendinstitut 209 und dem Deutschen Ethikrat, 210 sodass die Datenlage hier sehr gut dokumentiert ist. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich daher auf das für die ethische Argumentation im Zusammenhang mit der Adoption Wesentliche. Babyklappen sind eine technisch-organisatorische Einrichtung, die Müttern die anonyme Abgabe eines neugeborenen Kindes unter gesundheitlich einwandfreien Bedingungen ermöglichen sollen und die zu diesem Zweck ein schnelles Auffinden der abgelegten Kinder und seine sofortige Versorgung sicherstellen. Die Kinder sollen regelmäßig zur Inkognito-Adoption vermittelt werden. Das Angebot, das überwiegend im Anschluss an Krankenhäuser (nicht selten in konfessioneller Trägerschaft) eingerichtet wird, adressiert Mütter, die sich aus verschiedensten Gründen nicht in der Lage sehen, im Umfeld der Geburt mit ihrer eigenen Identität in Erscheinung zu treten, und die darum reguläre Hilfsangebote in Schwangerschaftskonflikten nicht wahrnehmen. Diese Zielgruppenadressierung und die organisatorische Nähe zu Krankenhäusern hat Babyklappen zu Beginn ihrer neueren Geschichte in die Nähe der anonymen Geburt gerückt, die von vereinzelten Krankenhäusern als eine gleichsam umfassendere Form der Babyklappe angeboten wurden, bei der auch die Entbindung 153 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
als der für das Wohlergehen von Mutter und Kind heikelste Teil des perinatalen Geschehensablaufs in professionelle Hände gelegt wird. Da eine professionell entbundene Geburt jedoch ansonsten auch die personenstandsrechtliche Meldung von Kind und Eltern verlangt, bewegte sich die anonyme Geburt von Anfang an in einem rechtlichen Graubereich. Erst nach der Expertise des Deutschen Ethikrates kam aus dessen Reihen 211 und zeitgleich durch die christliberale Bundesregierung die Initiative zu einer gesetzlichen Legitimation dieser Praxis auf, die nun als vertrauliche Geburt bezeichnet und zum 01. 01. 2014 eingeführt wurde. 212 Die personenstandsrechtliche Lücke der fehlenden Anzeige der Geburt wird bei diesem Modell durch eine Zeitverschiebung geschlossen, da die Anonymität nur vorübergehend ist, d. h. die personenidentifizierenden Daten werden den staatlichen Stellen später, wenn die perinatale Konfliktsituation überstanden ist, bekannt gemacht. Allerdings beträgt der Zeitraum bis dahin nicht etwa bloß ein Jahr, wie es aus den Reihen des Deutschen Ethikrates vorgeschlagen wurde, 213 sondern erstreckt sich bis zur eigenständigen Auskunftsberechtigung des vertraulich geborenen (und dann inkognito adoptierten) Kindes: Erst nach sechzehn Jahren wird die Anonymität behoben; bis dahin behelfen sich alle Beteiligten – auch die Standesämter! – mit Pseudonymen. Der Ansatz zu einer adoptionsethischen Beurteilung dieses Sachstands, die auch die geltende Rechtslage in Deutschland abbildet, liegt in einem offensichtlichen Manko gegenüber der Adoption: Während bei jeder Adoptionsvermittlung die besondere Herkunft des zu vermittelnden Kindes im Zentrum steht, wird diese bei Kindern, die aus Babyklappen oder nach vertraulicher Geburt zur Adoption vermittelt werden, schon durch das Szenario, das zur Adoption geführt hat, ausgeblendet. Die gesetzliche Regelung der vertraulichen Geburt, aber auch die Professionalität, die hinter einer Babyklappe stecken muss, damit diese vergleichsweise improvisierte Art der Erstversorgung von Kindern doch möglichst sicher gestaltet wird, lassen den Schluss zu, dass die Ausblendung des Herkunftskontexts gewollt ist. Damit wird dem Kind ein wichtiger Faktor seiner späteren Identitätsbildung dauerhaft vorenthalten – und zwar nicht nur im Falle der Babyklappe, sondern auch der vertraulichen Geburt, denn bis zum Alter von 16 Jahren, in dem die Adoptierten sich über ihre leibliche Abstammung informieren können, sind selbstverständlich alle wesentlichen Prozesse zur Entwicklung des identitätsbildenden Lebensnarrativs schon lange in Gang gesetzt, sodass die Herkunftsinformation viel 154 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Interventionismus und Handlungsalternativen
zu spät kommt. Die Vorenthaltung derart wichtiger Informationen ist ethisch höchst unbefriedigend und nur zu rechtfertigen, wenn durch sie ein größeres Übel vermieden wird. Dieses kann nicht in der Konfliktsituation der Mutter bestehen, da ja auch die Adoption nach regulärer Kindesfreigabe Antwort auf solche Konflikte ist. Mütterliche Konfliktlagen allein können also die Ausblendung der kindlichen Herkunft nicht rechtfertigen; dafür müssen gravierendere Probleme angenommen werden. Genannt wurden in diesem Zusammenhang regelmäßig die Gefahren der Kindesaussetzung und der Kindstötung, die durch die niederschwelligen, weil anonym wahrnehmbaren Angebote der Babyklappe und der vertraulichen Geburt verhindert werden sollten. Eine ethische Rechtfertigung dieser Angebote kann also nur über die Abwendung konkreter Gefahren für Leib und Leben des Kindes gelingen. Insbesondere der Deutsche Ethikrat gelangte bei seiner Stellungnahme zu keinem einhelligen Urteil in dieser Rechtfertigungsfrage. Obwohl die empirische Datenbasis klar zeigt, dass die Schaffung von Babyklappen zu keinem nachweisbaren Rückgang der zahlenmäßig erfassten Kindstötungen geführt hat, 214 verweigerte sich eine beachtliche Minderheit des Ethikrats in einem Sondervotum der ethischen Ablehnung mit dem Argument, dass die Handlungsalternative, vor der eine abgebende Mutter an der Klappe gestanden habe, nie mit Sicherheit ermittelt und darum eine Kindstötung, die nur durch die Nutzung der Babyklappe verhindert worden sei, auch nicht ausgeschlossen werden könne. 215 Der Einwand hinter diesem Sondervotum ist methodischer Art, sofern er mit dem Konzept der Handlungsalternative operiert, auf die sich ja die beratende Intervention, wenn sie nicht inoperationabel sein soll, beziehen muss. Allerdings bleibt die entscheidende Frage nach der Triftigkeit der unterstellten Handlungsalternative dabei unbeantwortet oder wird vielmehr mit Verweis auf die kontingente Situation der einzelnen Mütter als unbeantwortbar hingestellt. Tatsächlich ist die Datenlage jedoch gerade beim Problem der Kindstötung (sog. Neonatizid) aussagekräftiger, als das Sondervotum es wahrhaben will. Zunächst ist festzuhalten, dass sich das Problem tatsächlich auf den Neonatizid konzentriert, weil die Kindesaussetzung nur insofern als schlimmeres Übel im Vergleich zur Babyklappe in Betracht kommt, als sie eine Vernachlässigung mit Lebensgefahr im Verzuge (sog. Aussetzen zum Tode) 216 darstellt, wenn abgelegte Neugeborene z. B. der Unterkühlung ausgesetzt sind. Überleben aus155 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
gesetzte Kinder aber die unmittelbare Aussetzung (sog. Findelkinder), dann ist ihre Situation derjenigen nach Abgabe an der Babyklappe vergleichbar; diese kann also gegenüber einer (überlebten) Kindesaussetzung gar keine Verbesserung bringen, sondern nur gegenüber der Gefahr des Neonatizid. Die vom DJI vorgelegte Expertise zum Neonatizid zeigt aber mit großer Eindeutigkeit, dass Mütter, die ihre Kinder kurz nach der Geburt töten, bei aller Diversität der Fälle eine wesentliche gemeinsame Voraussetzung in großer Übereinstimmung mitbringen. 217 Es handelt sich praktisch ausnahmslos um Frauen, die ihre Schwangerschaft verheimlicht und verdrängt haben, deshalb vom Eintreten der Wehen zutiefst überrascht sind und bei der meist nicht oder nur unzureichend assistierten Geburt in höchste Panik geraten, in der sie dann ungeplant zu Täterinnen werden. Das panische und ungeplante Handeln nach verdrängter Schwangerschaft zeigt, dass diese Frauen auch durch anonyme Angebote nicht erreicht werden können, weil selbst die scheinbar niederschwellige Nutzung einer Babyklappe noch ein beachtliches Mindestmaß an koordiniertem Handeln bei der Mutter voraussetzt – von der mit vorausgehender Beratung verbundenen vertraulichen Geburt ganz zu schweigen. Die durchaus nennenswerte Nachfrage Letzterer bildet hierzu kein Gegenargument, da kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die anonym geborenen Kinder sonst in Lebensgefahr gewesen wären; 218 vielmehr passen die betreffenden Mütter gerade nicht zu dem skizzierten Täterinnenprofil. Dies gilt auch für die Babyklappen, in denen durchaus Kinder gefunden werden, die mutmaßlich mit professioneller Hilfe zur Welt gekommen sind; die betreffenden Mütter haben also sehr bewusst und planvoll gehandelt und liefern damit keine Anhaltspunkte, dass sie zur Gruppe derer gehört hätten, die ihrem Umgang mit der Schwangerschaft nach als Täterinnen einer Kindstötung in Betracht kämen. Im Ergebnis heißt dies, dass die vermeintliche Handlungsalternative von Babyklappe und Kindstötung unzutreffend und damit der einzig denkbare Legitimationsgrund für eine Ausblendung der Herkunft des (später zu adoptierenden) Kindes nicht gegeben ist. Der relative Erfolg in Gestalt der zahlenmäßigen Nutzung des Angebots kann hier so wenig wie bei der vertraulichen Geburt zur Rechtfertigung herangezogen werden. Das heißt natürlich nicht, dass Kinder, die in solchen Kontexten zur Adoption gelangen, nicht vermittelt werden dürften. Kinder, die einmal in eine solche Situation gelangt sind, bedürfen der gleichen sorgfältigen Praxis der Adoptionsvermitt156 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Interventionismus und Handlungsalternativen
lung wie bei regulärer Freigabe. Auch dürfen Mütter, die die Angebote nutzen, nicht unter Verdacht gestellt werden. Eine Fortführung der Angebote ist aber ethisch inakzeptabel, was im Falle der Babyklappe noch durch Verfahrensprobleme wie die Beweislast bei mütterlichem Rücknahmewunsch verschärft wird; 219 die betroffenen Frauen können und sollten in ihren Konfliktlagen auf die regulär bestehenden Hilfsangebote verwiesen werden. Dass ihnen dies auch zugemutet werden kann, zeigt die Tatsache, dass sie planvoll genug handelten, um die Klappe zu nutzen. 220 Das gilt nicht minder für vertraulich entbindende Mütter. Das Gesetz, das die Grundlage der vertraulichen Geburt bildet, bedarf aus ethischer Sicht der Revision oder noch besser: der Kassation. Es geht von falschen Handlungsalternativen aus. In ähnlicher Weise kann man die Sinnhaftigkeit der Babyklappe mit dem Argument bezweifeln, dass der erste Schritt einer anschließenden Adoptionsvermittlung in der Ermittlung der Mutter bestehen müsste; die notwendige Folge der Klappennutzung widerspricht also ihrem Ziel.
5.2.2 Abtreibung im Schwangerschaftskonflikt Zu den Motiven, die hinter der Schaffung von Babyklappe und vertraulicher Geburt stehen, gehört wesentlich der Wunsch nach Lebensrettung. Wenn er den typisch rekonstruierbaren Handlungsalternativen der Mütter, die nach der Geburt des Kindes die Angebote nutzen, auch nicht entspricht, ist er als mögliches Interventionsmotiv dennoch nicht völlig desavouiert, solange die Frage offen ist, ob die Perspektive der Adoption vorgeburtlich womöglich Abtreibungen verhindern kann. Nicht zuletzt diese Handlungsalternative von »Abgeben oder abtreiben?« (B. Wacker) 221 steht hinter dem Gesamtkonzept der erwähnten Essener Adoptionsstudie. 222 Ihre Macher können den Fall der »Erika E.« ins Feld führen, 223 einer minderjährigen Schwangeren, die gemeinsam mit ihrem Freund, dem Vater der Kindes, zunächst an Abtreibung dachte. Erika stand aber ganz unter dem ablehnenden Einfluss ihrer Familie, besonders ihres Vaters, der am liebsten über ihren Kopf hinweg eine Adoption durchgesetzt hätte, aber erkennen musste, dass er gegen Erikas Gefühle, die sie, teils aus Trotz, im Laufe der Schwangerschaft für ihr Kind entwickelte, nichts auszurichten vermochte. Die Handlungsalternative von Abtreibung und Adoption, unter deren Vorzeichen Erika ihre Schwangerschaft 157 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
in Erinnerung hat, 224 dürfte in diesem Fall nur bestanden haben, weil und solange die Minderjährige sich in der übermächtigen Hand ihres dominanten Vaters wähnte, sodass es zur Eintragung seiner Sichtweise in die Selbstwahrnehmung der Tochter kam. Schließlich tat Erika weder das eine noch das andere, sondern behielt das Kind und strebte mit ihrem Freund die Heirat an. 225 Tatsächlich dürfte der Fall »Erika E.« entgegen der Interpretationsabsicht der Studienautoren gegen die suggestive Alternative von Adoptionsfreigabe und Abtreibung sprechen, denn diese wurde in dem Moment hinfällig, als Erika in ihren aufkommenden Empfindungen für das Kind ihre eigene Einstellung fand und sich aus der Übermacht des väterlichen Einflusses befreite. Mittlerweile wurden gewichtige Indizien für die Annahme gefunden, dass der Versuch, Frauen durch die Eröffnung einer Adoptionsperspektive den Ausweg aus einem Schwangerschaftskonflikt zu weisen, im Ansatz verfehlt ist. Hierbei wird die Sichtweise Außenstehender (sei es der Familie der Schwangeren, sei es der Beratenden) an die Situation der Frau angelegt. In ihrem existentiellen Konflikt, der so gravierend ist, dass sie eine Abtreibung in Erwägung zieht, gehen die psychischen und mentalen Möglichkeiten der Schwangeren, sich dieser Perspektive auch nur zu öffnen, die ja erst Monate später zu einer Veränderung der Situation führen würde, gegen Null. Das Problem besteht, wie einige katholische Theologen 1994 herausarbeiteten, wesentlich (wenngleich nicht ausschließlich) in der Ungleichzeitigkeit der vermeintlichen Handlungsalternativen. 226 Während die Abtreibung eine sofortige Intervention darstellt, käme die Adoption erst in einem späteren Zeitraum zum Tragen, der in der Konfliktlage unabsehbar weit entfernt ist und sie darum nicht akut auflösen kann. Dabei kann man sogar noch davon absehen, dass eine Adoptionsfreigabe die betroffene Frau sicherlich noch lange Zeit beschäftigen würde – denn das wäre auch bei einer Abtreibung zu erwarten. Die Medizinethikerin C. Wiesemann hat in ihrer vielbeachteten Ethik der Mutterschaft zusätzlich darauf verwiesen, dass die beschriebene Ungleichzeitigkeit nicht einmal die ganze Problemtiefe auslotet. Könnte man den Schwangerschaftskonflikt als einen Zukunftskonflikt auffassen, weil er ja durch die bloße Vorstellung eines Lebens mit Kind ausgelöst wird, die den betroffenen Schwangeren schon jetzt so unerträglich ist, so könnte man wirklich auf die Möglichkeit Adoption verweisen, die eine Lösung des Zukunftskonflikts in völliger Gleichzeitigkeit verspricht, denn auch die Adoption erfolgt ja 158 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Interventionismus und Handlungsalternativen
erst in der Zukunft. Entgegen der Scheinlösung von Schwangerschaftskonflikten durch die Adoptionsmöglichkeit kommt Wiesemann deshalb zu der spiegelbildlichen These, dass die Abtreibung ethisch als Konfliktlösung möglich sein muss, zumal sie dem eigenen gegenwärtigen Erleben der Schwangeren entspricht, anstatt ihr eine »Ethik des Fremden« aufzuhalsen. Wiesemann vermag darin sogar einen Akt wahrgenommener mütterlicher Verantwortung zu erblicken, wenn dadurch einem wahrscheinlich nicht lebensfähigen Kind Schlimmeres erspart bleibt. 227 An Wiesemanns Argumentation, die die Parole der Adoption zur Lebensrettung auf den Kopf stellt – und zwar wie diese im Namen des Kindeswohls –, ist soviel richtig, dass das Lebensrettungsinteresse tatsächlich nicht zur adoptionsethischen Intervention berechtigt. Bei jedweder ethischen Betrachtung setzt die Adoption das (geburtliche) Leben des zu rettenden Kindes voraus, d. h. eine vorgeburtliche Adoption ist ethisch nicht zu rechtfertigen, wie wir uns in Kap. 1 anhand der Embryonenadoption überzeugen konnten. Lebensrettung ist nicht das Geschäft der Adoption; hierfür sind im Schwangerschaftskonflikt andere soziale Praktiken einschlägig, die freilich mit der Adoption gemeinsam haben, dass ihre Interventionsmöglichkeiten vor allem beratender Art sind. Das gilt auch im Kontext der Schwangerenkonfliktberatung, obwohl hier vom Standpunkt der Reproduktionsautonomie aus über eine pränatale Freigabemöglichkeit nachgedacht wurde. 228 Ebenfalls in Kap. 1 wurde aber schon am Beispiel der Leihmutterschaft deutlich, dass eine solche Form der Gleichzeitigkeit von Konflikt und Lösungsmöglichkeit die Situation der Schwangeren, die unter existentieller Belastung rechtsverbindlich die Freigabe verfügen soll, nur noch verschärfen würde. Wir können also festhalten, dass die eine Handlungsalternative »abgeben oder abtreiben« ebenso schief ist wie die andere »abtreiben oder austragen«, allerdings aus verschiedenen Gründen. Dass die Adoption keine Handlungsmöglichkeiten an die Hand gibt, um Abtreibungen zu verhindern, liegt an der Ungleichzeitigkeit beider Praktiken für das Erleben der Schwangeren. Dass aber auch die Alternative, das eigene Kind entweder auszutragen oder aber abzutreiben, Schwangeren im Konflikt zu keiner Handlungsentscheidung verhilft, liegt daran, dass diese Alternative zwar logisch unbestreitbar besteht, aber eben nicht als Handlungsalternative. Wer sich gegen eine in Erwägung gezogene Abtreibung entscheidet und das Kind weiter austrägt, handelt mit der Fortsetzung der Schwangerschaft nicht in der159 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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selben Weise, wie die Abtreibung ein konkrete Folgen hervorbringendes Handeln gewesen wäre, sondern stellt sich auf einen fortgehenden Prozess ein, der eher Widerfahrnis als Handlung ist. Insbesondere die veränderte Einstellung, die sich in der Entscheidung gegen die Intervention der Abtreibung ausdrückt, ist als solche keine Handlung, sondern kann allenfalls Handlungen motivieren. Eine Schwangere, die diese Entscheidung vollzieht, agiert im Sinne von Kap. 2 dieses Buches im Geiste der Adoption (»spirit of adoption«), vollzieht also in diesem Sinne die »Annahme« ihres Kindes, die für ein Austragen und eine mögliche spätere Freigabe zur Adoption eine Voraussetzung darstellt. Das ist in ethischer Hinsicht deshalb wichtig, weil es zeigt, dass die Adoptionsfreigabe im Schwangerschaftskonflikt zuerst diese Annahme des Kindes voraussetzt. 229 Pointiert gesagt: Eine Mutter, die ihr Kind zur Adoption im Rechtssinne freigibt, muss es vorher selbst im ethischen Sinne »adoptieren«. Von einer ›initialen Ablehnung‹ des Kindes, die angeblich hinter der Adoptionsfreigabe steht, 230 könnte also nur die Rede sein, wenn man das Verhältnis der Mutter zum Kind erst mit der Geburt anfangen ließe. Dieser Gesichtspunkt wird uns im weiteren Verlauf der Überlegungen noch näher beschäftigen. Das Verhältnis von Intervention und Handlungsalternative, vor dessen Hintergrund die Abtreibung im Schwangerschaftskonflikt hier bedacht wurde, bedarf im Rückblick auf diese Überlegungen der Differenzierung. Intervention im Sinne wirkungssetzender Handlungen ist zweifellos die Abtreibung, doch im Adoptionskontext begegnen Interventionen ansonsten nur in der gemäßigten Form der Beratung, deren Wirkungen von der anschließenden Entscheidung der beratenen Person (nicht eines vorlaufenden Entschlusses wie bei der Abtreibung) abhängen. Die Entscheidung, das Kind auszutragen, ist hingegen nicht in demselben Sinne als Handlung aufzufassen, sondern vollzieht sich auf der Ebene lebenstragender Überzeugungen, die wir in Kap. 2 dieses Buches der Religion zugeordnet haben. Die beratende Intervention im Schwangerschaftskonflikt wird sich angesichts dieser Differenzierungen andere Ziele stecken, als das Leben ungeborener Kinder zu retten. Sie wird beim Konflikterleben der Schwangeren ansetzen und hier neben all den Maßnahmen, die (analog zu den Frühen Hilfen nach der Geburt des Kindes) zur Verbesserung ihres (Er-)Lebensumfeldes verfügbar sind, an und mit den lebenstragenden Einstellungen der betroffenen Frau arbeiten. Die Alternative zur Abtreibung im Schwangerschaftskonflikt wird dann 160 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die ethische Bedeutung der Schwangerschaft
nicht die Abgabe (zur Adoption) sein, sondern die Annahme – nicht im Sinne einer Adoption, sondern als neu- oder wiedergewonnene positive Haltung zum Kind. Die Beratung kann diese Haltung natürlich nicht bewirken, aber die Voraussetzungen offen legen, die die Hinwendung zu einer solchen Haltung ermöglichen. Auf diese Weise kommt in der Schwangerenkonfliktberatung auch die Ethik zum Tragen, denn es geht hierbei um die ethische Bedeutung, die das bloße Austragen der Schwangerschaft hat.
5.3 Die ethische Bedeutung der Schwangerschaft In der menschlichen Fortpflanzung besteht eine Asymmetrie in der Beteiligung der Geschlechter, die den Menschen mit allen Säugetieren verbindet. Sie muss deshalb als naturgegebene Voraussetzung angesehen werden, was nicht heißt, sie im praktischen Umgang mit den sozialen und ethischen Fragestellungen der Fortpflanzung einfach hinzunehmen. Es gilt besonders in den Geisteswissenschaften als Binsenweisheit, dass natürliche Phänomene und die Natur überhaupt nur in kultureller Prägung vorliegen, also von den in einer Gesellschaft geteilten Werten und Überzeugungen abhängen und nicht in kristalliner Reinform herausdestilliert werden können. Selbst so unhintergehbar naturhafte Vorgänge wie Fortpflanzung und Geburt werden von kulturschaffenden Wesen, wie Menschen es sind, gestaltet und zeigen dann in den verschiedenen Kulturen höchst unterschiedliche Gesichter, die die Betrachterin daran zweifeln lassen, dass es so etwas wie ›die‹ Geburt überhaupt gibt. 231 Diese in den Geisteswissenschaften, wie erwähnt, äußerst beliebte kulturrelativistische Skepsis kann der Ethik eine detailreichere Anschauung ihrer Anwendungsgebiete verschaffen, noch mehr aber steht sie ihr bei der Beantwortung der Frage, was im Leben von Menschen als vorzugswürdig zu gelten hat, im Weg, weil die kulturalistische Argumentationsform dazu tendiert, die Vergleichbarkeit ihrer Gegenstände notorisch zu verneinen. Für eine Ethik der Adoption ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf diese ganz und gar hausgemachte Schwierigkeit zu lenken. Wir sind seit Beginn dieses Buches immer dann auf die Asymmetrie zwischen weiblicher und männlicher Beteiligung am Fortpflanzungsgeschehen gestoßen, wenn die Divergenz der verschiedenen Aspekte von Elternschaft zur Debatte stand, und haben daher allen Anlass, nach den naturhaften Bedingungen dieser Asym161 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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metrie zu fragen. Tückisch daran ist, dass sie sich noch nicht auf der Ebene des genetischen Materials und der genetischen Elternschaft zeigt, sondern die Ungleichbehandlung von Samen- und Eizellspende, auf die wir in Kap. 1 stießen, nur ein Indikator ist. Die natürliche Grundlage der Asymmetrie liegt vielmehr auf der Ebene biologischer Elternschaft, konkret ihrem sog. gestationalen Aspekt, der in dem bei Säugetieren dem weiblichen Geschlecht vorbehaltenen Austragen der Schwangerschaft beruht. Hierfür gibt es beim männlichen Geschlecht keine Entsprechung; vielmehr obwaltet zwischen den Geschlechtern bei der gestationalen Elternschaft eine klare Asymmetrie. Kurzum, die eigentlich schlichte Tatsache, dass Kinder von einer Frau geboren werden, setzt eine naturgegebene Asymmetrie zwischen weiblichen und männlichen Elternteilen, die auch mit der gewieftesten kulturwissenschaftlichen Gendertheorie nicht als soziales Konstrukt eskamotiert werden kann. Das ist zu betonen angesichts manch versponnener kulturtheoretischer Entwürfe, die Schwangerschaft und Geborensein im Ergebnis des befolgten Kulturalismus für ethisch irrelevant halten, aber auch angesichts der methodisch entgegengesetzten Versuche einer »Metaphysik der Geschlechter«, die das Natürliche als solches zur Norm erheben wollen. 232 Für die natürliche Unhintergehbarkeit des Geborenseins von einer Frau ist es im Übrigen unerheblich, ob die Geburt auf »natürlichem« Wege oder »künstlich« mittels Kaiserschnitt erfolgt, denn das natürliche Datum, das ethische Relevanz besitzt, ist allein das Austragen der Schwangerschaft. Nur die Erfindung eines – Gott bewahre! – künstlichen Uterus, die dann in der Tat reproduktive Symmetrie zwischen den Geschlechtern schüfe, könnte diese ethische Relevanz aufheben. Bis dahin ist es mehr als geboten, sich der ethischen Bedeutung der Schwangerschaft zuzuwenden. 233 Wie bedeutsam die Monate des intrauterinen Lebens für die spätere Entwicklung von Neugeborenen sind, ist seit Langem bekannt. Der noch im Jahre 2006 von sonst durchaus anerkannter philosophischer Stimme formulierte Satz: »Die Ungeborenen aber sind schlicht nicht« 234 stellt eine Entgleisung dar, die neben aller philosophischen und lebenswissenschaftlichen Facheinsicht auch den gesunden Menschenverstand brüskiert und nicht einmal mit dem juristischen Durchschnittsverständnis der Geburt als Beginn der Existenz der menschlichen Person entschuldbar ist. Da ungeborene Kinder noch nicht eigenständig leben, sondern in allem mit dem Organismus der Mutter verbunden sind, treffen grundsätzlich alle Einflüsse, denen 162 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die ethische Bedeutung der Schwangerschaft
das Leben der Mutter ausgesetzt ist, vermittelt und transformiert durch sie auch das Ungeborene. Im unmittelbar biologischen Bereich z. B. legt die Einsicht in diesen Zusammenhang Schwangeren den weithin zumindest theoretisch akzeptierten Verzicht auf gesundheitsschädliche Genussmittel wie Alkohol und Tabak nahe, die dem Kind im Mutterleib noch in weit höherem Maße gefährlich werden würden. Der fragliche Zusammenhang erstreckt sich noch weiter und schließt auch äußere Einflüsse ein, die die Schwangere nicht in körperlicher, sondern mentaler oder emotionaler Hinsicht betreffen. Man wird zwar nie von einem gradlinigen »Weiterreichen« solcher Umwelteinflüsse an das ungeborene Kind ausgehen können, da sie diesem durch die Mutter und vermittelt durch deren eigene Persönlichkeit zuteilwerden. Doch genau dieser Sachverhalt ist in der gegenwärtigen Philosophie unter dem erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommenen Stichwort der »Natalität« (H. Arendt) 235 in Anschlag gebracht worden, um die moralische Bedeutung der Schwangerschaft genauer zu bestimmen. Die Philosophin Ch. Schües argumentiert, dass die Geburt (noch nicht die Schwangerschaft) als das Zur-Welt-Kommen ein »Grund-Satz« in dem buchstäblichen Sinne sei, dass das Ungeborene damit grundlegend über den Graben zwischen einem stets (durch die Mutter) vermittelten und einem postnatalen, unmittelbaren und eigenen ›Sein in der Welt‹ hinwegsetzt. 236 Dabei ist die Zeit der Schwangerschaft für das Kind die Voraussetzung für dieses eigene Sein in der Welt, weil nur das Leben im Mutterleib ihm diese Unmittelbarkeit des Daseins vermittelt, die das Kind zu einem eigenen moralischen Subjekt macht. Die Schwangerschaft ist also, mit den Begriffen der klassischen Logik gesagt, nicht nur die ›notwendige Bedingung‹ (conditio sine qua non) moralischen Subjektseins, da nun einmal kein Kind ohne vorherige Schwangerschaft geboren wird, sondern diese ist die ›hinreichende Bedingung‹ (conditio per quam) für kindliche Subjektqualitäten ab Geburt. Das gibt der Schwangerschaft eine enorme ethische Bedeutung, denn die mit ihr gegebene, einzigartige Beziehung zwischen der werdenden Mutter und dem ungeborenen Kind ist jetzt nicht nur der Transmissionsriemen, über den potenziell krisenauslösende Umwelteinflüsse das Kind erreichen, sondern vielmehr die Quelle jeder moralischen Eigenständigkeit des Kindes. Schües’ Beispiel für diese Aufwertung sind so scheinbar elementare Vorgänge wie des Sinneswahrnehmung des Hörens. Dass es für die spätere Entwicklung des Neugeborenen bedeutsam ist, während 163 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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der Schwangerschaft die Stimme der Mutter zu hören, ist wohlbekannt; 237 weniger Beachtung findet meist die moralphilosophisch kaum weniger gewichtige Tatsache, dass diese hörende Sinneswahrnehmung dem Ungeborenen durch »ein besonderes akustisches Feld« vermittelt ist, nämlich buchstäblich den Mutterleib mit seinen »körperlichen Geräuschen«, in die die mütterliche Stimme für das ungeborene Kind eingebettet ist. 238 Schües bedient sich in dieser Heranziehung lebenswissenschaftlicher Beispiele einer Theoriesprache, die dem von E. Husserl in die Philosophie eingeführten phänomenologischen Ansatz verpflichtet ist. Zentrales Argument für die »moralphänomenologische Relevanz« der Schwangerschaft als Bedingung jenes mit der Geburt vollzogenen Grund-Satzes ist die (paradoxe) Vorstellung einer leibhaft(ig)en vermittelten Unmittelbarkeit, die Schües unter anderem der Leibphänomenologie von B. Waldenfels entnimmt. 239 Für eine ethische Betrachtung der Schwangerschaft, die Schües nicht als ihre ausdrückliche Aufgabenstellung ansieht, ist wichtig zu sehen, dass das Paradox einer Vermittlung von Unmittelbarkeit die fundamentalethische Fragestellung nach dem moralischen Status der Ungeborenen aufgreift und variiert. Im Vergleich mit diesem traditionellen Zugang wird das Neue deutlich, das die phänomenologische Vorgehensweise einer ethischen Würdigung des gestationalen Aspekts von Elternschaft zu geben vermag. Philosophische und theologische Ethik begründen den moralischen Status Ungeborener traditionell mithilfe des Begriffs der Personalität, die ihrerseits gern mit den Konzepten der »Menschenwürde« oder (von theologischer Seite) der »Gottebenbildlichkeit« des Menschen ›letztbegründet‹ wird. 240 Der Anspruch auf Letztbegründung ist dabei so zu verstehen, dass das aufgebaute Argument möglichst wasserdicht gegenüber Einwänden aufgrund des konkreten Einzelfalls gemacht werden soll; es geht also um eine kontextinvariant anwendbare Argumentation, die für alle Fälle ungeborenen Lebens Geltung besitzt. Diese Form von Letztbegründung unterscheidet sich von einer solchen, die lediglich beansprucht, den weltanschaulichen oder religiösen Hintergrund für ein ethisches Argument zu liefern, das auch ohne diesen schlüssig verstanden werden kann, weil es einem Bereich zugeordnet ist, in dem die verschiedenen Weltanschauungen und Religionen mit ihrem Gesamtdeutungsanspruch auf die Wirklichkeit (sog. comprehensive doctrine) sich überlappen (sog. overlapping consensus). Letzteres Modell, das mit dem ethi164 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die ethische Bedeutung der Schwangerschaft
schen Liberalismus eines J. Rawls, insbesondere seinem Spätwerk »Politischer Liberalismus« (orig. 1993, dt. 1998), verbunden ist, hält Fragen wie die nach dem Status des ungeborenen Lebens für begründungsoffen, weil nicht zum Kern der einzelnen Weltanschauung oder Religion gehörig, wohingegen Letztbegründungen in dem strikteren ersten Sinne des Ausdrucks davon ausgehen, dass derartige Fragen untrennbar zur religiösen Substanz und zum Wesensbestand der jeweiligen Weltanschauung gehören und mit entsprechender Trennschärfe beantwortet werden müssen. Beim Umgang mit dem ungeborenen Leben ist dann kein ethischer Beurteilungsspielraum jenseits der Alternative von Ge- und Verbot gegeben. Es ist hilfreich, sich die möglichen Einbettungen des Personalitätsarguments vor Augen zu führen, weil sich so die durchaus unterschiedlichen Füllungen erklären lassen, die der Begriff der Person in der ethischen Debatte über den Status des ungeborenen Lebens erfährt. Diese Debatte ist besonders in der jüngsten evangelischen Theologie unter der Fragestellung geführt worden, ob der Begriff der Person a) ein Substanz- oder b) ein Relationsbegriff ist, ob er also a) bestimmte Merkmale oder Eigenschaften der Träger von Personalität enthält, an deren Vorliegen sich eine konkrete Existenz als personal oder nicht-personal einstufen ließe – oder ob b) diese Einstufung von der Einbettung der fraglichen Existenz in ein Relationssystem abhängig ist, dessen Einzelglieder dadurch zu Personen werden, dass sie einander bestimmte Normen der Achtung und der Anerkennung gewähren und auferlegen, die ihre Relation zueinander auch dann bestimmen, wenn einzelne unter ihnen dafür keine Gewährleistung bieten. 241 Der Unterschied von substanz- und relationstheoretischem Zugriff dürfte jedoch für die Füllung des Personbegriffs nicht maßgeblich sein. Stets geht dieser Begriff vom erwachsenen und gesunden Menschen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte aus, der vermöge dieser Grundausstattung mit der Welt eigenständig in Beziehung zu treten vermag, also von der Situation des Subjektseins oder der Selbstbestimmung, in der Substanzbegriff (in Gestalt der Grundausstattung des Subjekts) und Relationsbegriff (in Form des subjektiven Weltbezugs) von vornherein miteinander verschränkt sind. Der Subjektivität oder Selbstbestimmung lassen sich die unterschiedlichen Merkmale zuordnen, die als Indikatoren von Personalität diskutiert werden wie das Vorhandensein von Sprache, Vernunft und insbesondere Bewusstsein. Das Problem dieses Ansatzes ist, dass auch weithin als solche an165 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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erkannte Personen im Sinne der Ausgangsdefinition die fraglichen Merkmale nicht immer aufweisen, wenn sie etwa kleine Kinder sind, schlafen oder irreversibel krank sind. Offensichtlich erfüllen auch Ungeborene im Mutterleib die Anforderungen dieses Personbegriffs nicht. Was heißt das für ihren moralischen Status und die daraus womöglich abzuleitenden konkreten Schutzansprüche? In vergangenen Jahrzehnten ist diese Frage in der akademischen und öffentlichen Debatte durch die ebenso suggestiven wie provokanten Vergleiche des moralischen Status von schwer behinderten Neugeborenen und von bestimmten Großaffenarten angeheizt worden. 242 Nur Ansätze sog. hermeneutischer Ethik, die (lediglich) auf das vertiefte Verstehen der Lebensführung zielen, können sich angesichts dessen mit der Auskunft begnügen, dass es sich bei den genannten Problemen um Ausnahmen vom Regelbegriff der Person handle, der dadurch nicht ernsthaft in Frage gestellt sei. Alle anderen Ethiktheorien werden zur Kenntnis nehmen müssen, dass erst bei Vorliegen von Problemen überhaupt ethischer Entscheidungsbedarf besteht und eine daraufhin spezifizierte Theorie erforderlich ist. Zumindest die skizzierte theologisch-ethische Debatte wird erst vor diesem Hintergrund voll verständlich. Die Definition von Personalität durch den Begriff der Schöpfung als lebensstiftender Anrede des Menschen durch Gott, wie sie für interpersonale Relationen typisch ist, aber auch der Einbezug ungeborener und kleiner Kinder in den skizzierten Personbegriff durch den Hinweis auf ihre kontinuierliche Entwicklung hin zur eigenständigen Person werden nun als Zusatzargumente identifizierbar, die unspezifischere Merkmale (z. B. Geschöpflichkeit) in den Begriff der Person aufnehmen als die ursprünglich enthaltenen (v. a. Bewusstsein). Dieses Vorgehen, das den Erfordernissen der Spezifizierung zur ethischen Beurteilung einer besonderen Gegebenheit offensichtlich entgegensteht und vielmehr darauf zielt, dem ursprünglich auf gesunde Erwachsene gemünzten Personbegriff zusätzliche Anwendungsgebiete (hier das Leben Ungeborener) zu erschließen, lässt die Vermutung einer Letztbegründungsstrategie im strikten Sinne des Begriffs zu. Der moralische Status des Ungeborenen wird dann als solcher zu einer Glaubensfrage – noch bevor das konkrete ethische Problem in den Blick genommen wird, das es mit Blick auf die Situation des Ungeborenen zu lösen gilt. Der uns hier interessierenden ethischen Situation Schwangerer in Konfliktsituationen wird man dabei gar nicht ansichtig; sie wird der größer dimensionierten Frage ›Leben retten oder zerstören?‹ untergeordnet, die wir 166 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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schon als untauglich zur ethischen Bearbeitung dieser Situation erkannt haben. Ein weiterer Hinweis, dass die traditionelle Frage nach der Personalität für die ethische Würdigung des Lebens Ungeborener wenig verspricht, ist darin zu sehen, dass die Praktische Philosophie, die weniger an den Letztbegründungsansätzen der Menschenwürde und der Gottebenbildlichkeit zu hängen scheint als die Theologie, inzwischen verstärkt dazu übergeht, von Individuen und nicht von Personen zu sprechen. 243 Es ist aufschlussreich, vor dem Hintergrund dieser problembelasteten Debattenlage das phänomenologische Argument, mit dem Schües die moralische Bedeutung der Schwangerschaft herleitet, näher ins Auge zu fassen. Schües setzt bei der Geburt als »GrundSatz« von vermittelten zum unvermittelten Sein des Kindes in der Welt ein. Letzteres ist nichts anderes als Individualität, die Schües nun da auf die Schwangerschaft als unabdingbare Voraussetzung zurückführen kann. Allerdings scheint dieses Argument von seinem phänomenologischen Theoriedesign her die Probleme der Personalitätsdebatte nur fortzuschreiben. Bei ihrem Gründervater Husserl sieht die Phänomenologie das Verhältnis von Welt und Individuum im Begriff der Intentionalität als im Bewusstsein gegeben an; die Phänomenologie scheint also die Bewusstseinsfixierung des Personalitätsdebatte nur noch zuzuspitzen. Und ist nicht die Schwangerschaft, wenn sie nach Schües dem Individuum die Voraussetzungen allen intentionalen Seins in der Welt gibt, der Musterfall eines Potentialitätsarguments, das die Situation Ungeborener ganz von ihrem postnatalen Zustand her begreift? Diese problematischen Folgerungen lassen sich vermeiden, wenn man die Situation Ungeborener nicht länger abgekoppelt von der Situation der Schwangeren betrachtet – was ohnehin kaum durchführbar ist, da die Schwangerschaft, wie Schües zeigt, ja die Situation der ständigen Vermitteltheit des kindlichen Lebens mit dem Leben der Mutter ist. Schües’ Hinweis, dass Individualität und moralisches Subjektsein positiv durch das Austragen der Schwangerschaft begründet sind, ist also ein im besten Sinne feministisches Argument, das die Besonderheit der Situation der Schwangeren als Frau betont. Feminismus meint hier keine politische Option, sondern eine theoretische Grundeinstellung; er trägt dem Sachverhalt, der zu Beginn dieses Kapitels als natürliche Asymmetrie der Geschlechter im Kontext der Fortpflanzung bezeichnet wurde, Rechnung. Berücksichtigt man diesen methodischen Feminismus angemessen, so besagt Schües’ These 167 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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vom positiven moralischen Wert der Schwangerschaft, dass Menschen (egal, welchen Geschlechts) nur deshalb Individuen, also eigenständige Einzelwesen mit einem eigenen Verhältnis zur gesamten umgebenden Welt (›Intentionalität‹), sein können, weil sie von einer Frau geboren sind. Die moralische Leitvorstellung der Individualität wird hier gerade ihrer Fixierung auf die Einzelperson und ihre Subjektivität entkleidet, die im traditionellen Begriff der Person so maßgeblich ist. Während die personalistische Tradition die moralische Qualität von Individuen auf deren Bewusstsein, Sprache und Vernunft baut, hält die phänomenologische Betrachtung dem die Quellen entgegen, aus denen Bewusstsein, Sprache und Vernunft in Wahrheit schöpfen. Diese Quellen sprudeln da, wo Menschen die Qualitäten, die sie zu eigenständigen Wesen machen, erstmals empfangen, nämlich im primären sozialen Miteinander der Familie und in besonderer Weise in der Angewiesenheit auf die Mutter. Die schon beobachtete ethische Aufwertung der Schwangerschaft ist zugleich eine Aufwertung der Rolle, die die Mutter dabei durch das bloße Austragen der Schwangerschaft spielt. Prinzipienethisch gesprochen, ist die Schwangerschaft eine Befähigung des ungeborenen Kindes. Sobald es jedoch geboren ist, existiert es als Individuum in der Welt, und dieser Wechsel drückt sich auch prinzipienethisch darin aus, dass ab der Geburt die Bedürfnisse des Kindes im Vordergrund stehen – also nicht irgendwelche Mängel, die durch Befähigung auszugleichen wären. 244 Natürlich wird dieser Impuls einer phänomenologisch begründeten Ethik der Schwangerschaft in die Situation der Schwangerenkonfliktberatung kaum direkten Einzug halten können oder sollen. Die geschilderte Aufwertung der Schwangerschaft aber, die sich im Anschluss an Schües formulieren ließ, dürfte für die Ethik einer solchen Beratung dennoch von Gewicht sein, denn sie rückt den Schwangerschaftskonflikt in ein anderes Licht. Viele Schwangerschaftskonflikte sind nicht durch das heranwachsende Ungeborene als solches ausgelöst; in der Entscheidung, die die Schwangere in ihrem Verhältnis zum Kind zwischen Annehmen und Ablehnen trifft, kulminiert vielmehr häufig eine Krise, die im Umfeld der Mutter ausgelöst und dann auf das Kind übertragen wurde, dem sie dieses Umfeld wie beschrieben vermittelt. Auslöser können materielle Nöte oder Gefühle der Überforderung angesichts der Elternaufgabe sein, aber insbesondere auch Ablehnung, die der Schwangeren von ihrer sie nicht unterstützenden Familie oder 168 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die ethische Bedeutung der Schwangerschaft
vom Vater des Kindes entgegenschlägt, der dieses vielleicht ablehnt und sich deshalb von der Mutter trennen will oder von dem die Mutter deshalb die Trennung befürchtet. 245 Diese Ablehnung kann sich auf das Kind fortpflanzen, das der Mutter nun buchstäblich un-erträglich wird, weil sie es z. B. mental nicht von dem Mann entkoppeln kann, der sie nach Zeugung des Kindes im Stich ließ. Die Schwangerenkonfliktberatung wird auf derart induzierte Konflikte mit unterschiedlichen Maßnahmen reagieren, die häufig auf eine Stabilisation des konfliktauslösenden Umfelds zielen werden. Gerade in den zuletzt beschriebenen Krisen aufgrund von Ablehnung könnte daneben aber auch Schües’ moralische Aufwertung der Schwangerschaft von Bedeutung für die Beratung sein. Sie beruht ja auf der positiven Valenz der unvergleichlich engen Vermittlungsbeziehung zwischen Schwangerer und Ungeborenem, die nicht nur Transmissionsriemen schädlicher Umwelteinflüsse ist, sondern auch als Quelle der Resilienz gegen konfliktauslösende Umfeldeinflüsse in Betracht kommt, wenn die Schwangere zu einer positiven Haltung zu ihrem ungeborenen Kind kommt oder zurückfindet. Dass dies möglich ist, beruht in der einzigartigen Bedeutsamkeit, die die Schwangere für ihr Kind besitzt, indem sie ihm nicht nur die Welt außerhalb des Mutterleibes, sondern auch die Voraussetzungen für ein eigenes Selbstsein in dieser Welt vermittelt. Diese mütterliche Bedeutung für das Kind reicht tiefer als alle schädlichen Einflüsse, die das Kind aus dem Umfeld der Mutter, aber immer nur in der Vermittlung durch sie erreichen könnten. Es scheint mir (außer bei Schädigungen durch physische Gewalt) eine ethisch gut begründete Hoffnung der Schwangerenkonfliktberatung zu sein, dass werdende Mütter, die ihr Kind innerlich annehmen, dadurch für es zu einem Bollwerk gegen alle Ablehnung werden, die es von außen aus dem Umfeld der Mutter treffen könnte. 246 Dass diese Hoffnung berechtigt ist, glaube ich daraus zu entnehmen, dass die Schwangerschaftskonflikte, die in der empirischen Forschung mit abgebenden Müttern zutage treten, häufig durch derartige Umfeldeinflüsse auf die Mutter ausgelöst zu sein scheinen. So benannte bereits die zu Beginn dieses Kapitels thematisierte Essener Adoptionsstudie einen ganzen Komplex konfliktauslösender Faktoren, die sowohl einzeln als auch in ihrem Zusammenwirken auf das nähere Umfeld der abgebenden Mutter zurückgeführt werden können. Ich rufe einige dieser Faktoren in Erinnerung: – inkompatible Rollenerwartungen abgebender Frauen an ihr Muttersein bzw. an ihre Berufstätigkeit, 169 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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eine fortbestehende Abhängigkeit von der eigenen Familie in Verbindung mit der Erwartung einer »vollständigen Familie« für das eigene Kind, – divergente Vorstellungen von der eigenen Partnerschaft zwischen der abgebenden Mutter und ihrem Partner. 247 Gewiss kann in all diesen Punkten die Beratung eine annehmende Haltung der Mutter zum Kind nicht bewirken, sie kann aber die Gründe stark machen, auf denen diese Haltung beruht, und damit den in allen genannten Faktoren steckenden Abhängigkeit der Mutter von ihrem Umfeld ein Selbstbild entgegensetzen, das auf der sozialen und ethischen Bedeutung beruht, die die Mutter durch das Austragen der Schwangerschaft für ihr Kind besitzt.
5.4 Die ethische Bedeutsamkeit der leiblichen Väter In diesem Kapitel wird die ethische Relevanz der abgebenden Eltern für den Adoptionsvorgang getrennt nach Müttern und Vätern behandelt. Das ist durch die zwischen den Geschlechtern bestehende Asymmetrie bei leiblicher Elternschaft bedingt, kommt aber auch bei der Frage rechtlicher Elternschaft voll zum Tragen. Zwar müssen bei einer Adoption grundsätzlich beide abgebenden Elternteile ihre notariell beurkundete Einwilligung erklären, doch schon die durch die Adoptionsvermittlungspraxis jederzeit bestätigte Beobachtung, dass meist nur abgebende Mütter in Erscheinung treten, deutet an, dass auch hier eine womöglich ethisch relevante Ungleichverteilung besteht. Sie hat, oberflächlich betrachtet, zunächst rechtliche Gründe, die hier in einem ersten Schritt thematisiert werden sollen, um vor diesem Hintergrund eine ethische Einschätzung vorzunehmen. Vorwegnehmend kann man sagen, dass der Unterschied von Recht und Ethik, der in Kap. 1.1 gewissermaßen das Portal dieses ganzen Buches bildete, wohl bei keinem Thema der Adoptionsethik so deutlich hervortritt wie bei der ethischen Relevanz der leiblichen Väter. Während die Mutter mit Ausnahme der in Kap. 5.2.1 beschriebenen Fälle feststeht und immer mit der Frau identisch ist, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB), kann die Vaterschaft bei einem zur Adoption vorgesehenen Kind rechtlich unklar sein.
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Die ethische Bedeutsamkeit der leiblichen Väter
5.4.1 Gegenwärtige Ausgangslage Das deutsche Familienrecht 248 ist generell auf der Institution der Ehe aufgebaut und geht auch in der Frage der Vaterschaft von einer Ehelichkeitsvermutung aus, d. h. ist die Mutter verheiratet, so ist ihr Ehemann eo ipso der rechtliche Vater des Kindes, auch wenn er nicht sein leiblicher Erzeuger ist (§ 1592 Abs. 1 BGB). Ist die Mutter unverheiratet (ledig, verwitwet oder geschieden), so kommt die Vaterschaft de jure auf dem Wege der Anerkennung (§ 1594 BGB) zustande, wenn eine entsprechende, notariell beurkundete Erklärung (§ 1597 Abs. 1 BGB) des betreffenden Mannes die Zustimmung der Mutter (und ggf. auch des Kindes) findet (§ 1595 BGB). Strittigen Fällen vorbehalten und deshalb der Ehelichkeitsvermutung und der Anerkennung nachgeordnet 249 sind die gerichtlichen Verfahren im Vaterschaftsrecht, nämlich das Verfahren zur Anfechtung (§ 1600 BGB) und das zur Feststellung der Vaterschaft (§ 1600d BGB). Offensichtlich führt nur letzteres zur Etablierung einer rechtlichen Vaterschaft, während das erste Berechtigten dazu dient, eine bestehende Vaterschaft eines sog. Scheinvaters (häufig des Ehemannes selbst) aufzuheben, um z. B. als anfechtender Ehemann ungerechtfertigte Pflichten gegenüber einem Kind, das nicht das eigene ist, abzulegen. Ein wichtiger juristischer Unterschied beider Verfahren ist, dass im Anfechtungsverfahren vorrangig die Ehelichkeitsvermutung gilt (§ 1600c Abs. 1 BGB), im demgegenüber nachgeordneten Feststellungsverfahren hingegen die Erzeugervermutung: Als Vater wird dann derjenige Mann vermutet, der seine biologische Vaterschaft glaubhaft macht, indem er sich zum Geschlechtsverkehr mit der Mutter im Empfängniszeitraum bekennt (§ 1600d Abs. 2 BGB). In der Praxis ist mit dem entsprechenden Fortschritt der Genetik freilich unbeschadet aller Vermutungen das abstammungsmedizinische Gutachten (hierzu § 1598a BGB) regelmäßig das Instrument der Wahl, auch wenn zu beachten ist, dass ohne Kooperation der Mutter, die zumindest die als Vater in Frage kommende(n) Person(en) benennen muss, in der Klärung der Vaterschaft wenig auszurichten ist. Seit 2013 kennt das bundesdeutsche Familienrecht zudem – nach Behebung einschlägiger Mängel, die von europäischen Gerichten gerügt worden waren – gewisse rechtliche Ansprüche leiblicher, nichtrechtlicher Väter auf den Gebieten von Umgang und Auskunft bezüglich ihres Kindes (§ 1686a BGB), die ebenfalls 2013 noch um die 171 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
Möglichkeit eines teilweisen oder alleinigen Sorgerechts für leibliche (nichtrechtliche) Väter ergänzt wurden (§ 1626a BGB). Mit dieser Reaktion auf den europäischen Einwand will der Gesetzgeber nicht die Stellung der Ehe schwächen, sondern die des Kindeswohls stärken. Einem Kind darf auch in einem eheabhängigen Familienrecht aus der Art und Weise, wie es geboren wurde (ehelich oder nicht), kein familienrechtlicher Nachteil erwachsen; ihm soll bei außerehelicher Geburt der leibliche Vater nicht vorenthalten werden, auf dessen Sorge eheliche Kinder selbstverständlich Anspruch haben. Das war ein Grundgedanke der deutschen Kindschaftsrechtsreform von 1998, 250 und analoge Überlegungen sind uns im Adoptionskontext unter dem Schlagwort des Rechtes auf Kenntnis der eigenen Abstammung begegnet. Die referierten vaterschaftsrechtlichen Bestimmungen gelten mit Ausnahme von §§ 1686a und 1626a BGB, die wegen des Erlöschens aller vorherigen Verwandtschaftsverhältnisse (§ 1755 BGB) nicht auf adoptierte Kinder anwendbar sind, auch im Adoptionskontext, kommen hier aber doch nicht in derselben Weise zur Geltung wie im leiblichen Kindschaftskontext bei unverheirateten Elternpaaren oder scheinehelichen Geburten (z. B. sog. »Kuckuckskinder«). Da Kinder nur extrem selten aus intakten Ehen oder Partnerschaften heraus zur Adoption freigegeben werden, spielen Ehelichkeitsvermutung, Anerkennung und Anfechtung der Vaterschaft kaum eine Rolle, außer wenn die außereheliche Vaterschaft für eine verheiratete Mutter gerade der Grund für die Freigabe ist, die außereheliche Beziehung also einschließlich ihrer Folgen »nur« als »Seitensprung« erscheinen soll und die Eltern ihre bestehende Ehe (womöglich eheliche Familie) aufrecht erhalten wollen. In solchen Situationen kann die Anfechtung der Ehelichkeitsvermutung mit dem Ziel der Feststellung des leiblichen Vaters zwecks Einwilligung beider leiblichen Elternteile eine (für die spätere Aufklärung allerdings sehr problematische) Option in der Adoptionsvermittlung sein. Weitaus häufiger dürfte in der Praxis die gerichtliche Ersetzung der väterlichen Einwilligung zur Adoption anzutreffen sein, die nach den gesetzlichen Bestimmungen außer bei schwerwiegender (meist psychischer) Erkrankung (§ 1748 Abs. 3 BGB) vor allem bei grober Pflichtverletzung oder beratungsresistenter Gleichgültigkeit des Elternteils gegenüber dem Kind (§ 1748 Abs. 1–2 BGB) zulässig ist. Praktisch ist die Ersetzung bei unfreiwilligen Inobhutgaben aufgrund von Kindeswohlgefährdung denkbar, wenn die Adoption den Vorstel172 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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lungen der leiblichen Eltern widerspricht; sie stellt dann aber kein väterspezifisches Problem dar und verweist zudem häufiger auf den Pflege- als den Adoptionskontext. Für die Adoption einschlägig ist hingegen der Fall eines bekannten (d. h. von der Mutter identifizierten), aber dauerhaft unauffindbaren Vaters, dem nach den gebotenen Suchbemühungen die Ersetzungsbedingung der Gleichgültigkeit attestiert werden kann. Freilich kann genau dieser Fall für die abgebende Mutter auch ein Motiv sein, den ihr bekannten Vater im Interesse des Kindes zu verschweigen, damit das Adoptionsverfahren nicht verschleppt wird. Bekanntlich würde der gerichtliche Adoptionsbeschluss die Einwilligungserklärung beider Eltern und diese wiederum die nötige Aufenthaltsermittlung eines bekannten Vaters und ggf. die Ersetzung seiner Einwilligung voraussetzen, wohingegen ein im Verfahren unauffindbarer leiblicher Vater nicht postadoptiv Umgang und Auskunft nach § 1686a BGB oder Sorgerecht nach § 1626a BGB erlangen kann, weil das Kind nach der Adoption, die alle vorherige Verwandtschaftsbeziehung löscht, in rechtlicher Hinsicht nicht mehr sein leibliches Kind ist. 251 Ich habe die Ausgangsbedingungen der vaterschaftsrechtlichen Situation in Deutschland hier unter Einschluss der auf europäischen Druck hin zustande gekommenen Stärkung der Rechte leiblicher, nichtrechtlicher Väter skizziert, obwohl diese, wie erwähnt, im Adoptionskontext gar nicht anwendbar sind. Erst in diesem Gesamtrahmen aber lässt sich die ethische Relevanz leiblicher Väter im Adoptionsgeschehen umfassend verstehen. Wir schreiten damit von der rechtlichen zur ethischen Betrachtung fort. Neben der seit 2013 ins deutsche Familienrecht eingezogenen rechtlichen Aufwertung derjenigen leiblichen Väter, die bis dato keinerlei rechtliche Anerkennung genossen, erscheint die für das gesamte Adoptionsrecht (im Sinne der Volladoption Minderjähriger) konstitutive Vorstellung, dass leibliche Elternschaft erlöschen kann, gewöhnungsbedürftig. In ethischer Hinsicht war ja mit Kap. 1 dieses Buches klar, dass die Herkunftsfamilie des Kindes ein bleibend wichtiger Faktor seiner Lebensgeschichte ist. Müsste dem nicht auch in rechtlicher Hinsicht Rechnung getragen werden? Derartige Überlegungen dürften das Positionspapier der BAGLJÄ zur »Weiterentwicklung des Adoptionsrechts« motiviert haben, das an verschiedenen Punkten und besonders bei der Stellung leiblicher Väter eine Reform fordert, die man dahingehend charakterisieren kann, dass hier ethische Standards der Adoption ins Recht implemen173 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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tiert werden sollen. Konkret sollen auch Zufallsväter, also solche, die erst nachträglich von ihrer Vaterschaft erfahren, weil sie nicht oder nicht mehr in einer Partnerbeziehung mit der Mutter leben, Zugang zum Adoptionsverfahren bekommen und durch die Vermittlungsstellen verpflichtend mitberaten werden, damit sie in die Sorge für das Kind eintreten oder sich mindestens als Ansprechpartner bei der Stillung des kindlichen Bedürfnisses nach Kenntnis der eigenen Abstammung bereithalten können. Der Pflichtcharakter dieser Beratung kommt nach den Vorstellungen der BAGLJÄ darin zum Tragen, dass ohne diese Beratung die notariell beurkundete Einwilligung nicht möglich sein soll. 252 Die zwischenzeitlich durch die Rechtsprechung eingetretenen Erleichterungen bei der Ersetzung der väterlichen Einwilligung zur Adoption sollen demnach aufgegeben und die vorgeburtliche Einwilligung, die für nichtrechtliche Väter (im Gegensatz zu rechtlichen Vätern) derzeit möglich ist (§ 1747 Abs. 3 Ziff. 1 BGB), abgeschafft werden. Für alle Väter – leibliche wie rechtliche, solche mit und solche ohne Sorgerecht – soll im Kontext der Adoptionseinwilligung die Acht-Wochen-Frist gelten, an die auch die Mütter gebunden sind. In diesem Zusammenhang werden vom EFZA, das kurz nach der BAGLJÄ zu vergleichbaren Punkten ähnlich votiert hat, auch Gesichtspunkte der Gleichbehandlung aller Väter nach dem Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ins Feld geführt. 253 Die ethische Linie hinter diesen rechtlichen Reformvorschlägen ist deutlich: Leibliche Väter sollen nicht erst im Nachhinein in den Adoptionskontext hineingeraten, sondern von Anfang an einbezogen werden. Die einschneidendste Maßnahme, die die BAGLJÄ fordert, ist deshalb die »konsequente Ermittlung von Vätern durch die Familiengerichte«, 254 ohne die z. B. eine verpflichtende Beratung, die dem Ersetzungsgrund der elterlichen Gleichgültigkeit gegen das Kind den Boden entziehen soll, nicht durchführbar ist. Die weitreichende Maßnahme lässt sich ethisch am ehesten mit der Rechtssicherheit begründen, die für die so abgewickelten Adoptionen zustande käme, denn wenn der leibliche Vater von Anfang an ins Verfahren einbezogen ist, kann er später keine übersehenen Ansprüche mehr geltend machen. Das Argument der Rechtssicherheit dient also den Adoptivfamilien. Das ist wichtig zu betonen, weil es zeigt, dass die Stärkung der leiblichen Väter im Interesse des Kindeswohls gesehen werden will. Es handelt sich hier wie bei den erwähnten §§ 1626a und 1686a BGB darum, dass einem Kind aus den konkreten Umständen seiner Geburt 174 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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kein familienrechtlicher Nachteil entstehen soll. Anders gesagt: Die rechtlichen Reformvorschläge wollen ethische Standards umsetzen. Das Kindeswohlinteresse der angestrebten rechtlichen Implementierung dieser Standards ist also ausdrücklich. Bei ethischer Betrachtung fällt aber doch auf, dass die einzelnen Maßnahmen zusammenfassend regelmäßig unter der Überschrift der »Rechte leiblicher Väter«, nicht etwa als Rechte der Kinder firmieren. 255 Das ist zumindest ein Warnzeichen, vielleicht ein Alarmsignal für eine untergründige Prioritätenverschiebung: Um wessen Rechte soll es hier in Wirklichkeit gehen? Nach welcher Rationalität werden Interessen des Kindeswohls eigentlich als Rechte ihrer Eltern, hier der leiblichen Väter realisiert? Man muss nicht die einschlägigen Internetforen besuchen, in denen getrennt lebende Väter ihrem Ärger über den ihnen gefühlt durch die Mütter vorenthaltenen Kindesumgang Luft machen, um diesen Schwenk vom Kindeswohl zur Reproduktionsautonomie bedenklich zu finden. Angesichts dieser Schwierigkeiten scheint es vernünftig, die vorgeschlagenen rechtlichen Implementierungen ethischer Standards genau auf Anzeichen des beschriebenen Schwenks vom Kindesrecht zum Elterninteresse zu prüfen. Ich komme bei Prüfung des Sachverhalts zu dem Ergebnis, dass der ethisch wünschenswerte verstärkte Einbezug leiblicher Väter wesentlich in deren eigenem Verantwortungsbereich liegt, was ich im Folgenden begründen möchte. In der Praxis sollte eine verstärkte Beteiligung leiblicher Väter nach meiner Einschätzung nur in Betracht kommen, wenn diese bis zur Adoptionsfreigabe gemeinsam mit der Mutter Verantwortung für das Kind übernommen haben.
5.4.2 Diskussion von Reformmöglichkeiten Das »Positionspapier« der BAGLJÄ lässt keinen Zweifel daran, dass seine rechtlichen Reformvorschläge sich der »Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder« verpflichtet sehen. Das Argument lautet analog zu §§ 1626a; 1686a BGB, dass Kinder unabhängig von den Umständen ihrer Geburt ein Anrecht auf ihren leiblichen Vater bis hin zum Umgang mit ihm haben, d. h. es wird implizit mit der Kongruenz von leiblicher und sozialer Elternschaft (letztere meint hier: Umgang) argumentiert, auch wenn die typischen Familienkonstellationen sowohl bei Trennung, Scheidung und Umgang als auch bei Adoption diese Kongruenz gerade nicht aufweisen. Erst das (un175 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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ausgesprochene) Kongruenzideal erklärt auch den Rückgriff auf das verfassungsmäßige allgemeine Gleichbehandlungsgebot, das nach Ansicht führender Familienrechtsexpertinnen 256 jegliche Abstufung von Vaterschaft problematisch macht, denn dieser Hinweis verfängt nur, wenn der rechtliche Begriff des Vaters kongruent gebaut ist, sodass schon die Differenzierung von leiblichem und sozialem Aspekt der Vaterschaft den Keim der Ungleichheit sät. Jede Abstufung von leiblicher gegenüber rechtlicher Vaterschaft (oder umgekehrt) droht dann dem Kind den Vater im kongruenten Vollsinne des Begriffs vorzuenthalten. Gegen dieses an der Oberfläche elternrechtliche (»Rechte leiblicher Väter«), tiefenstrukturell aber dem Interesse des Kindes an kongruenter Vaterschaft folgende Argument ist ethisch mit den Erwägungen aus Kap. 1 dieses Buches einzuwenden, dass kongruente Elternschaft als solche noch nicht ethisch vorzugswürdig ist. Die leiblichen Eltern sind nicht automatisch die besten sozialen Eltern eines Kindes. Um die Güte elterlicher Sorge einschätzen zu können, muss, wie bereits erwähnt, das konkrete Verhältnis betrachtet werden, in dem Eltern zu ihrem Kind stehen oder das sie, solange das Kind noch gar nicht auf der Welt ist, imaginativ zu ihm einnehmen (letzterer Gesichtspunkt ist bekanntlich ein wichtiges Instrument der Eignungsprüfung von Adoptionsbewerbern). 257 Ist dem aber so, dann sind Abstufungen im Begriff der Vaterschaft ethisch nicht nur zulässig, sondern geboten. Nur so ist es möglich, Konstellationen, in denen der Umgang des leiblichen Vaters dem Kindeswohl vorhersehbar abträglich ist, zuverlässig zu identifizieren und auszuschließen. Zwar wissen selbstverständlich auch alle Ansätze einer Stärkung leiblicher Vaterrechte um diese Gefahr, doch begegnen sie ihr nur mit einer einfachen Ausstiegsklausel, wonach leibliche Väter ihre Rechte nicht wahrnehmen dürfen, wenn dies mit dem Kindeswohl unvereinbar wäre. Doch dieser Lösungsversuch scheint mir rechtssystematisch unzureichend, weil er nur eine einfachgesetzliche Bestimmung aufbietet, um im Ernstfall ein väterliches Recht außer Kraft zu setzen, das auf sehr viel höherer Ebene angesiedelt ist und u. U., wie der Rekurs auf den Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG zeigt, zu den Grundrechten gehört. Zwar hat auch das auf Seiten des Kindes zu schützende Rechtsgut (z. B. die Unversehrtheit) Grundrechtsrang, doch bedeutet gerade dies, dass es im Ernstfall zwischen den Rechten leiblicher Väter und dem Kindeswohl zu einer schlichten Güterabwägung auf Grundrechtsebene kommt. Für diesen Fall bietet 176 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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die jetzt vorgeschlagene Adoptionsnovelle keinerlei Gewähr dagegen, dass die Abwägung auch einmal zugunsten des Vaters ausgehen könnte, selbst wenn absehbar ist, dass seine Vaterinteressen dem Kindeswohl schaden können. Um diesen offenbar unerwünschten worst case wirklich auszuschließen, bedürfte es entweder der im deutschen Rechtssystem inexistenten speziellen Kinderrechte, die im Unterschied zu den Grundrechten aller Personen das Kindsein als solches schützen. 258 Oder aber man nimmt, zumal der Kinderrechtsansatz für Deutschland nicht abzusehen ist, alternativ (aber im Ergebnis gleichbedeutend) ganz Abschied von der Vorstellung, dass Kindeswohlinteressen am besten auf dem (Um-)Weg über Elternrechte zu realisieren seien. Damit ist keineswegs einem staatlichen Interventionismus das Wort geredet. Die Alternative, die ich im Folgenden beschreiten möchte, sieht vielmehr vor, das prinzipienethische Ideal kongruenter Eltern- bzw. beim vorliegenden Thema: Vaterschaft preiszugeben und stattdessen problemorientiert zu einer Differenzierung der vielfältigen Situationen zu kommen, in denen die ethische Relevanz leiblicher Väter im Adoptionskontext zu würdigen ist. Es macht für den Verlauf der Adoption einen Unterschied aus, ob der leibliche Vater mit der abgebenden Mutter in einer Paarbeziehung lebt oder eine Zufallsbekanntschaft der in aller Regel unverheirateten Mutter ist und dann auch ein sog. Zufallsvater wird, der nur durch zufällige Umstände überhaupt Kenntnis von seiner Vaterschaft erlangt. Im letzteren Fall ist er ethisch einem DI-Vater vergleichbar, der keinerlei Interesse an der Wahrnehmung der Vaterrolle hat. Würden die Reformvorschläge der BAGLJÄ gesetzliche Realität, müsste der feste Freund einer abgebenden Mutter im Adoptionsverfahren genauso behandelt werden wie der Vater nach einem One-NightStand. Sehr viel sachgemäßer wäre es aber, im letzteren Fall nach Analogie der DI zu verfahren, bei der die leiblichen Erzeuger der Kinder sowohl von Sorgerecht als auch von Unterhaltspflicht ausgeschlossen, aber trotzdem nicht bar jeder Verantwortung sind, weil sie sich bereithalten müssen, um ihrem Kind bei der Erkenntnis seiner eigenen Herkunftsgeschichte zur Seite zu stehen. Im DI-Kontext wurde diese Lösung, die zugleich die früheren Anonymitätszusagen an Spender ablöste, wie in Kap. 1.7.1 dargestellt, zu Recht als Erfolg für das Kindeswohlinteresse gefeiert, weil damit gewährleistet ist, dass das Kind die Möglichkeit hat, seine spezifische Herkunft in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren. Es ist nicht einzusehen, warum dieses Modell nicht auch auf Zufallsväter angewandt werden 177 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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sollte; es wird sogar die Grundlage meiner folgenden Überlegungen bilden. Natürlich ist der »Zufallsvater« im Unterschied zum DI-Vater, der sich als Samenspender bei einem Fortpflanzungszentrum registrieren lassen muss, kein rechtstauglich bestimmter Begriff. Die hier vorgetragene Überlegung will aber auch zunächst gar keine operationalisierte Handhabe oder gar einen Gesetzesvorschlag fürs Adoptionsrecht bieten, sondern eine ethische Erwägung geltend machen. Demnach ist es angesichts der Diversität der Situationen, in denen leibliche Väter an Adoptionseinwilligungen und dem zugehörigen Adoptionsverfahren beteiligt sein können, notwendig und sinnvoll, Abstufungen in formaler wie inhaltlicher Hinsicht vorzunehmen. Die formale Seite betrifft die Zuordnung von Reproduktionsautonomie und Kindeswohlorientierung und besagt, dass die Beteiligung leiblicher Väter am Adoptionsgeschehen nur in dem Maße, wie sie als Pflicht (gegenüber dem Kind) bereits wahrgenommen worden ist, auch als Recht (des Vaters) ausgestaltet werden kann. Wie im Einzelnen noch zu begründen ist, scheint diese Lösung ethisch einer gleichsam automatischen Beteiligung der leiblichen und zugleich nichtrechtlichen Väter (die dann auch die gerichtliche, aber nur mit Unterstützung der Mutter durchführbare Ermittlung unbekannter und die Auffindung bekannter Väter verlangen würde) überlegen zu sein. Die inhaltliche Seite legt das Kriterium der Pflichtwahrnehmung fest, das im Maß der tatsächlich übernommenen Verantwortung für das Kind, also der Ausfüllung sozialer Elternschaft besteht. Dabei sind unterschiedliche Ausmaße der Beteiligung des leiblichen Vaters denkbar, die sich argumentativ grundlegend vom Verantwortungslevel eines Spendervaters herleiten. a) Die minimale väterliche Verantwortung ist mit dem Typus des DI-Vaters gegeben, d. h. kein Mann, der wissentlich oder unwissentlich ein Kind zeugt, kann sich der Verantwortung entziehen, diesem als Auskunftspartner über die eigene Abstammung zur Verfügung zu stehen. Das gilt wissentlich wie unwissentlich, schließt also ggf. auch für sog. Zufallsväter die Verantwortung ein, selbst aktiv der Frage nachzugehen, ob aus der eingegangenen Beziehung, wie flüchtig sie auch gewesen sein mag, ein Kind hervorgegangen ist. Die Aufnahme sexueller Kontakte ist selbst dann, wenn diese einmalig bleiben, ein zu intimer Vorgang, als dass man annehmen dürfte, dass daraus für den beteiligten Mann keinerlei Verpflichtungen gegenüber seiner Partnerin erwüchsen. Alle über dieses basale Maß hinausgehende Beteiligung leiblicher Väter an einer Adoption bemisst sich nach der 178 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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übernommenen väterlichen Verantwortung, wobei die Ehe mit der Mutter des Kindes als das Höchstmaß an Verantwortung anzusehen ist, weil sie die übernommene Pflicht auf Dauer stellt. Umgekehrt ist das Maß der Verantwortung umso geringer zu veranschlagen, je weniger die Partnerschaft dauerhaft ist oder gewesen ist. Einen Zufallsvater nicht stärker zur Verantwortung zu ziehen als einen DI-Vater, spiegelt zwar möglicherweise nicht die zwischen beiden Vatertypen abweichende Verantwortungsbereitschaft wider, denn mancher faktische One-Night-Stand dürfte mit der zumindest einseitigen Erwartung eingegangen worden sein, weit mehr zu sein als das, während DI-Väter von vornherein nicht von sozialen Vaterambitionen getrieben sind. Die verantwortungsethische Gleichbehandlung ist dennoch ethisch unproblematisch, sofern beim OneNight-Stand beiden Partnern unterstellt werden kann, dass sie in freiem Einvernehmen handelten und wissen konnten, was sie taten und mit welchen möglichen Folgen. Maßgeblich ist also nicht die Verantwortungsbereitschaft bei Zeugung des Kindes, sondern deren anschließende tatsächliche Übernahme. Die Analogie zwischen Zufallsund DI-Vater nur mit Rekurs auf die mutmaßlichen oder tatsächlichen Absichten beider, also auf dem Boden einer prinzipiellen Gesinnungsethik zu bestreiten, wäre mit dem problemorientierten Ansatz der hier verfolgten Adoptionsethik nicht in Einklang zu bringen. Der Verantwortungslevel eines DI-Vaters bildet eine eigenständige Form der Beteiligung des leiblichen (nichtrechtlichen) Vaters an der Adoption neben den denkbaren Formen seiner Mitwirkung an der rechtsverbindlichen Einwilligung. Der Bedeutsamkeit des leiblichen Vaters wird also nicht erst dann Genüge getan, wenn seine Stellung rechtlich gesichert wird. Vielmehr macht sich gerade auf dem DI-Verantwortungslevel, der die Bereitschaft des Vaters zur »Identifikationsfigur« (T. Fischer) für das Kind gewährleistet, die Gleichbehandlung nichtehelicher mit ehelichen Kindern geltend, die ethisch hinter dem Interesse der rechtlichen Aufwertung der leiblichen Väter steht. b) Dem Beteiligungsminimum auf dem Verantwortungslevel eines DI-Vaters steht ein anderer Typ des leiblichen Vaters gegenüber, der wie ein rechtlicher Vater an der Adoptionseinwilligung beteiligt werden kann, obwohl er nicht der Ehemann der Mutter ist. Voraussetzung hierfür ist, dass der leibliche Vater eine soziale Elternrolle gegenüber dem Kind ausfüllt. Der Weg zur Beteiligung ist dann die Anerkennung der Vaterschaft, wenn die Mutter unverheiratet ist; anschließend können beide leiblichen Eltern gemeinsam einwilligen. 179 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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Unterbleibt diese rechtliche Absicherung des leiblichen Vaters, ist seine Einwilligung (auch später) nicht möglich, ohne dass jedoch seine Verantwortung auf DI-Level davon tangiert wäre. c) Bei einer (nur de jure) verheirateten Mutter steht dem leiblichen Vater dieser Weg der Anerkennung erst seit 2004 offen, als der Kreis derer, die eine bestehende Vaterschaft anfechten können, bedingt auf die leiblichen Väter ausgedehnt wurde (§ 1600 Abs. 2 BGB). 259 Ihr vorheriger Ausschluss von der Anfechtungsberechtigung sollte die bestehende eheliche Familie schützen, womöglich auch vor Erbansprüchen von Kindern aus außerehelichen Lebensgemeinschaften abschirmen. Dies wird genau und nur in dem (bei der 2004 durchgeführten Novelle tatsächlich vorangegangenen) Fall gegenstandslos, dass die Ehe der Mutter nur auf dem Papier besteht, eine soziale Elternschaft des Scheinvaters folglich nicht vorliegt und deshalb auch keine eheliche Familie zu schützen ist. In der juristischen Kommentierung der seit 2004 bestehenden Regelung wird von M. Wellenhofer bemängelt, dass die enge Begrenzung der Anfechtung durch leibliche Väter auf diese Fallgruppe andere Konstellationen vernachlässige, in denen aus Gründen des Kindeswohls womöglich ebenfalls der leibliche Vater gegen den Scheinvater Zugang zur rechtlichen Vaterschaft verdiene. Das dafür angeführte Argument, dass der leibliche Erzeuger bei seiner Ausübung der Vaterschaft im Vergleich zum Scheinvater zusätzlich zur sozialen Elternschaft noch auf der genetischen Abstammung »aufbauen« könne, 260 stößt allerdings auf die schon genannten ethischen Relativierungen der bloßen (verhaltensunabhängigen) kongruenten Elternschaft. Diese Begründung weitergehender Stärkung der leiblichen Vaterstellung gegenüber dem Scheinvater ist nicht überzeugend, schon gar nicht mit Blick auf die Adoption, in deren Rahmen die maximale juristische Beteiligung des leiblichen Vaters in seiner Mitwirkung an der Einwilligung besteht. Der im Umgangsrecht häufige Fall, dass ein nichtrechtlicher Vater jahrelang für ein Kind sorgt, das ihm dann nach Scheitern der Partnerschaft vorenthalten wird, wird im Adoptionskontext kaum je vorkommen, da selbst bei Vermittlung älterer Kinder in aller Regel eine frühe Beeinträchtigung im Eltern-Kind-Verhältnis vorangeht. In den – nicht häufigen, aber durchaus praxisrelevanten – Fällen einer nurmehr de jure verheirateten Mutter, die das freizugebende Kind in einer fortbestehenden außerehelichen Partnerschaft bekommen hat, muss der leibliche Vater, um mit einwilligen zu können, zuvor über Anfechtung und Anerkennung die rechtliche Vaterschaft 180 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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erlangen, was in der Regel den Abschluss des Adoptionsverfahrens verzögern wird, das zwar mit der Inpflegegabe des Kindes ohne die Einwilligungen begonnen, 261 aber gerichtlich erst nach ihnen beendet werden kann. Ob dieser Verfahrensnachteil vom Vorzug der Beteiligung des leiblichen Vaters aufgewogen wird, hängt von der Kooperationsbereitschaft der Beteiligten ab. Insbesondere ist der leibliche Vater immer dann, wenn seine Beteiligung den Weg über die Vaterschaftsanerkennung nehmen muss, auf die Zustimmung der leiblichen Mutter angewiesen, die fraglich werden kann, sollte z. B. die Mutter inzwischen die Partnerschaft mit dem leiblichen Vater beendet haben. Aus diesem Risiko die Notwendigkeit eines von der Mutter unabhängigen Beteiligungsrechts der leiblichen Väter abzuleiten, wie es der Logik von Wellenhofers Darlegungen entspräche, wäre nachvollziehbar, wenn (wie bei den von Wellenhofer diskutierten Fallkonstellationen) eine mehrjährige väterliche Sorge für das Kind vorausgegangen wäre. Dies ist jedoch, wie eben ausgeführt, bei Adoptionsfreigaben, deren Geschichten häufig bald nach der Geburt beginnen, typischerweise nicht der Fall; häufig wird sich daher der fragliche Zeitraum auf die Schwangerschaft konzentrieren, in der der Vater der Mutter zur Seite stehen kann. Da er in dieser Zeit seine elterliche Verantwortung nur gemeinsam mit der Mutter wahrnehmen kann, ist die relative Abhängigkeit des leiblichen Vaters von der Kooperation der abgebenden Mutter durchaus begründet. d) Gerade in diesem Kontext ist auch die Möglichkeit zu bedenken, dass leibliche Väter durch ihre wahrgenommene Verantwortung für das Kind bei der Mutter eine Revision der Adoptionsfreigabe anstoßen, sodass es zur Einwilligung in die Adoption gar nicht mehr kommt, sondern die Mutter das bereits in Adoptionspflege platzierte Kind zu sich zurücknimmt. Das wäre eine Art von väterlicher Beteiligung, die über das bisher Beschriebene hinausgeht, indem sie den Rahmen der Adoption sprengt; das Kind bliebe dann bei seinen leiblichen Eltern. Dieser Fall, so selten er auch sein mag, zeigt am deutlichsten, dass es bei der Beteiligung leiblicher Väter nicht in erster Linie auf die Rechtsstellung ankommt, denn in dem beschriebenen Beispiel könnte der leibliche Vater sehr wohl ›nur‹ der Freund der Mutter sein, der in keinerlei rechtlichem Verhältnis zu ihr oder dem Kind steht und trotzdem im ethischen Vollsinne als dessen Vater zu betrachten wäre. Die abgestufte Beteiligung leiblicher Väter weist gegenüber dem Vorschlag der BAGLJÄ sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede 181 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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auf. Ähnlich ist das Bestreben, leibliche Väter frühzeitig in das Adoptionsgeschehen einzubeziehen, und ähnlich ist auch die darin implizierte Kritik am systematischen Prä, das das geltende Familienrecht im Konfliktfall Scheinvätern gegenüber leiblichen Vätern einräumt. Ein wesentlicher Unterschied des hier vorgetragenen Vorschlags besteht in der inhaltlichen Anbindung der Beteiligung an die soziale Vaterverantwortung, wohingegen die BAGLJÄ das Beteiligungsrecht aus der leiblichen Abstammung entnimmt. Damit geht ein zweiter wichtiger Unterschied einher, der jedes Beteiligungsrecht leiblicher Väter an ihre wahrgenommene Beteiligungspflicht bindet. Das erinnert an die auf europäischen Druck zustande gekommene Aufwertung des leiblichen (nichtrechtlichen) Vaters in § 1686a BGB, wo es heißt, dass ein solcher Vater Umgang mit und Auskunft über sein Kind bekommen kann, wenn er »ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat«. Zu dieser Formulierung ist zweierlei zu bemerken. Statt von »Interesse« am Kind, was eine elternrechtliche Herangehensweise suggeriert, sollte erstens von übernommener Verantwortung für das Kind die Rede sein. Zweitens macht die perfektische Ausdrucksweise (»gezeigt hat«) klar, dass eine Beteiligung des leiblichen Vaters am Adoptionsgeschehen ethisch nur auf Pflichten gebaut werden sollte, die er in der Vergangenheit bereits erfüllt hat. Bloße Absichtserklärungen zur Teilnahme an der Sorge für das Kind – die durchaus »ernsthaft« im Sinne dieses freilich unbestimmten Rechtsbegriffs aus dem Gesetzeswortlaut sein können – reichen in keinem Fall aus, um einem leiblichen Vater, der bisher offensichtlich desinteressiert war, eine Beteiligung am Adoptionsgeschehen einzuräumen. Das Desinteresse etwa eines Zufallsvaters entspricht vielmehr der Gleichgültigkeit, die bei einem rechtlichen Vater den Ansatzpunkt zur Ersetzung der Einwilligung nach § 1748 BGB bieten würde; es ist nicht einzusehen, warum die Beteiligung leiblicher Väter an diesem Punkt an ein niedrigeres Maß sozialer Elternschaft geknüpft werden sollte als beim rechtlichen Vater. Das Kriterium der bereits früher übernommenen Verantwortung erscheint in dieser Perspektive als ethische Konkretion des rechtlichen Reformvorschlags, leibliche Väter möglichst frühzeitig ins Adoptionsverfahren einzubeziehen. Hierzu sind allerdings zwei Klarstellungen erforderlich. Erstens darf der Einbezug des leiblichen Vaters, der in einer Vielzahl von Fällen den Verantwortungslevel eines DI-Vaters nicht übersteigen wird, den Fortgang des Adoptionsverfahrens nicht hemmen oder aufhalten; dies wäre erst statthaft, wenn der 182 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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leibliche (durch Anerkennung und ggf. vorangehende Anfechtung) auch rechtlicher Vater würde. Dass zweitens die Zeiträume, in denen sich leibliche Väter in der Verantwortung für ihr Kind bewährt haben können, bei der Vermittlung von Säuglingsadoptionen sehr kurz sein können, spricht nicht gegen diese Konkretion. Vielmehr ist die Schwangerschaft als ganz wesentlicher Teil zu diesem ›Bewährungszeitraum‹ hinzuzurechnen, entstehen doch in ihr nicht wenige Partnerschaftskonflikte, die Schwangere zu einer Freigabeentscheidung bewegen. Die Vielzahl und Diversität dieser Konflikte ist ein starkes Argument, die Möglichkeiten zur Beteiligung leiblicher Väter am Adoptionsgeschehen nicht über den Leisten des nur vermeintlich eindeutigen Kindeswohlarguments zu schlagen, wenn in bestimmten typischen Situationen deutlich ist, dass eine solche Beteiligung gerade nicht zum Besten des Kindes wäre. Häufiger als der Zufallsvater und der mit der abgebenden Mutter in fester Partnerschaft lebende, aber nicht mit ihr verheiratete Vater dürften Konstellationen sein, in denen sich der ›Beziehungsstatus‹ der Mutter zum Vater mit Eintritt und/oder Bekanntwerden der Schwangerschaft signifikant verändert. Ich nenne nur die vielleicht prominentesten Beispiele. Wenn a) der Vater in Reaktion auf die Schwangerschaft mit Trennung von der Mutter droht oder wenn (spiegelbildlich dazu) b) die Mutter den Vater über das Kind an sich zu binden oder c) die Beziehung zu ›kitten‹ versucht, aber auch dann, wenn d) nach erfolgter Trennung die Mutter ambivalente Gefühle gegenüber einem Kind entwickelt, das sie ungewollt immer mit dem früheren Partner verbindet – dann sind in all diesen Fällen Zweifel angebracht, ob es im Sinne des Kindeswohls wäre, einem nach der Geburt des Kindes eingetretenen Sinneswandel des leiblichen Vaters nachzukommen und ihn konstitutiv in das Adoptionsverfahren einzubeziehen. Zwar wird man das emotionale Schwanken zwischen Annahme und Ablehnung des Kindes, das kennzeichnend für so manche Schwangere in Konfliktsituationen ist, 262 in vergleichbarer Weise auch dem Vater zugestehen können, doch ist dies zu unterscheiden von einer geänderten Sinneshaltung, die ihn erst nach der Geburt des Kindes ergreift. Der ethisch sensible Zeitrahmen für die Bewährung der väterlichen Verantwortung beginnt im Adoptionskontext m. a. W. in der Zeit der Schwangerschaft.
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Die abgebenden Eltern
Im Ergebnis dieser Überlegungen kristallisiert sich eine Faustregel heraus, die besagt, dass sich die Verantwortungswahrnehmung des leiblichen Vaters an seinem Verhalten zur abgebenden Mutter ablesen lässt. Wie ist diese Regel einzuschätzen? Gewiss trägt sie der eher auf der Ebene volkstümlicher moralischer Konventionen angesiedelten Annahme Rechnung, dass ein Kindsvater, der seine schwangere Partnerin »sitzen lässt«, sich eben dadurch als sozialer Vater des Kindes disqualifiziert und man im Zweifel weder dem Kind noch der Mutter einen Gefallen tut, indem man ihn zur Wahrnehmung seiner Vaterverantwortung mehr oder minder zwingt. Der kindeswohlorientierte Einwand, dass auch in diesem Fall dem Kind nicht der leibliche Vater vorenthalten werden dürfe, ist berechtigt, wird aber bereits auf dem Verantwortungslevel eines DI-Vaters, der sich zur Verfügung hält, um das Kind über seine Herkunftsgeschichte aufzuklären, befriedigt; gerade hierfür ist es wesentlich, dass dieser Verantwortungslevel eine eigene Form der Beteiligung des leiblichen Vaters konstituiert. Ethisch ist es in Analogie zur DI ausreichend, wenn der persönliche Beitrag eines leiblichen Vaters zur Herkunftsaufklärung des Kindes (deutlich) später erfolgt als die Aufklärung über das Faktum der besonderen Herkunft selbst. Das Familiengericht sollte jedenfalls in solchen Fällen keineswegs regelhaft mit der Ermittlung der Vaterschaft befasst werden. Es könnte sie ohnehin nicht ohne die Unterstützung der Mutter herausfinden, und die hoheitlichen Machtmittel, die ihm dafür zur Verfügung ständen, indem etwa die Ermittlung des Vaters als Voraussetzung für den Adoptionsbeschluss aufgefasst würde, wären wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung des Adoptionsverfahrens für das Kindeswohl wohl abträglicher als der Ausschluss des leiblichen Vaters aus dem gerichtlichen Verfahren. Ein zweiter im Adoptionsdreieck denkbarer Einwand ist zu würdigen. Er variiert den kindeswohlbegründeten ersten Einwand, diesmal aber mehr aus der Perspektive der Mutter. Den leiblichen Vater aus Gründen des Kindeswohls von weitergehender Beteiligung an der Adoption oberhalb des DI-Verantwortungslevels auszuschließen, kann zu Lasten der abgebenden Mutter gehen, an der alle Verantwortung, die der Vater nicht übernimmt, ›hängen bleibt‹. So gesehen, wäre die genannte Faustregel gegen ihre Intention geradezu eine Einladung an leibliche Väter zur Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Kind, da sie bei deren Vorliegen ethisch nicht zur Verantwortung zu ziehen wären. Das Gegenargument, dass die abgebende Mutter ihre Interes184 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die ethische Bedeutsamkeit der leiblichen Väter
sen nicht minder als der leibliche Vater dem Kindeswohl unterordnen und darum die häufig alleinige Belastung hinnehmen müsse, wäre ein naturalistischer Fehlschluss, der die natürlicherweise asymmetrische Beteiligung der Geschlechter an der Fortpflanzung zur ethischen Norm erhöbe. Die Verantwortung im Schwangerschaftskonflikt fiele dann ausschließlich der Mutter zu – und wäre es nur die Verantwortung (die gerechterweise nicht allein der Frau aufgebürdet werden darf), durch Anwendung geeigneter Verhütungsmittel gar nicht erst schwanger zu werden. Damit die Fortpflanzungsasymmetrie der Geschlechter ethisch nicht einseitig zu Lasten der Schwangeren geht, muss im Adoptionsdreieck an dieser Stelle zwischen den beteiligten Seiten interveniert werden. In Kap. 3 kam in solcher Interventionsfunktion die Adoptionsvermittlungsstelle in Betracht; jetzt ist es die Schwangerenkonfliktberatung, die aus Gründen der Befähigungsgerechtigkeit zur beratenden und unterstützenden Intervention angehalten ist, wenn Schwangere schon vor der Geburt die Unterstützung des Kindsvaters verlieren. Die ethisch richtige Antwort auf die Fortpflanzungsasymmetrie besteht in einer Intervention, die – ob in der Schwangerenkonfliktberatung oder der Adoptionsvermittlung – vorrangig den leiblichen Müttern zugutekommt, denn sie sind gegenüber den Vätern in der objektiv stärker hilfsbedürftigen Situation. Mag in der abgebenden Familie auch de facto das Kind am stärksten der Hilfe bedürfen, so lässt sich doch mit der prinzipienethischen Orientierung am Kindeswohl in aller Regel keine Entscheidung in der Frage herbeiführen, ob die Intervention zugunsten des Vaters oder der Mutter ausfallen soll, damit sie möglichst dem Kind zugutekommt. Deshalb verdient hier das problemorientierte Kriterium der bereits wahrgenommenen Verantwortung den Vorzug, das grundsätzlich der Mutter die erste Stelle einräumen und den Vater oberhalb des DIVerantwortungslevels nur nach seiner wahrgenommenen partnerschaftlichen (also gemeinsam mit der Mutter ausgeübten) Beteiligung an der Verantwortung einbeziehen wird. Eine gleichrangige Beratung der leiblichen Väter verpflichtend einzuführen, wie es der BAGLJÄ vorschwebt, wäre ein Verstoß gegen das Gebot der Befähigungsgerechtigkeit und würde das in vielen Schwangerschaftskonflikten gegebene Machtgefälle zwischen den Partnern 263 zu Ungunsten der Frau verstärken. Leibliche Väter sollten bei einem Schwangerschaftskonflikt Beratung in Anspruch nehmen können, doch die Norm ihrer weitergehenden Beteiligung am Adoptions185 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die abgebenden Eltern
geschehen kann nicht die Absolvierung einer Beratungspflicht sein, wie es sich im Falle der von der BAGLJÄ angeregten rechtlichen Weiterentwicklung darstellen würde; vielmehr hängt diese Beteiligung davon ab, wie die Väter in der Schwangerschaft ihre partnerschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Mit diesen Überlegungen wird insgesamt das im Positionspapier der BAGLJÄ tragende Ansinnen zurückgewiesen, ethische Standards zu verrechtlichen. Es ist grundsätzlich problematisch, weil es den vom Recht zu unterscheidenden und ihm vorausliegenden Bereich der Ethik negieren würde. Mit alldem bestätigt sich die aufgestellte Faustregel, dass die Bedeutsamkeit der leiblichen Väter für die Adoption an ihrem Verhältnis zur Mutter abgelesen werden kann. Damit kommt zum Schluss dieses Kapitels ein Element gemeinschaftlichen Handelns der abgebenden Eltern zum Tragen, also ein Kriterium, das auf Seiten der annehmenden Familie durchweg anzutreffen ist. Ihr wenden wir uns im folgenden Schlusskapitel dieses Buches zu.
186 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
6. Die annehmenden Eltern
Mit der Hinwendung zu den annehmenden Eltern erreichen unsere Überlegungen die dritte und letzte Seite des sog. Adoptionsdreiecks. Die Vermutung, dass die Veranschaulichung des Adoptionsgeschehens in diesem geometrischen Bild anfällig für Missverständnisse ist, beschlich uns schon bei seiner Einführung in Kap. 3. Beim thematischen Übergang von den abgebenden zu den annehmenden Eltern setzt sich diese Beobachtung fort. Wir konnten feststellen, dass auf Seiten der abgebenden Familie eine ethisch höchst relevante Asymmetrie zwischen väterlicher und mütterlicher Beteiligung an der Adoption und konkret am Freigabegeschehen zu beobachten ist. Ohne diese Asymmetrie wären die spezifischen Konflikte abgebender Mütter so wenig sichtbar zu machen wie die väterspezifischen ethischen Problemlagen vieler abgebender Familien. Demgegenüber zeigt sich nun bei den annehmenden Eltern der entgegengesetzte Sachverhalt. Paare, die als Adoptiveltern ein Kind annehmen, agieren typischerweise gemeinschaftlich. Insoweit besteht eine Asymmetrie nicht nur auf Seiten der abgebenden Eltern, sondern auch zwischen den abgebenden Eltern auf der einen und den annehmenden auf der anderen Seite der Adoptionsdreiecks. Es wäre irreführend, hier eine »Gleichseitigkeit« (oder geometrisch: Gleichschenkligkeit) zu unterstellen; vielmehr sind die ethischen Probleme, die sich bei einer Adoption auf Seiten der annehmenden Eltern stellen, von anderer Art als bei den abgebenden Eltern. Wenn diese einfache, aber gar nicht so selbstverständliche Beobachtung den Eingang zum letzten Kapitel dieses Buches bildet, so ist auch hier ein Missverständnis von vornherein abzuwehren. Die Feststellung, dass Adoptiveltern im Unterschied zu abgebenden Eltern in aller Regel gemeinschaftlich agieren, ist ein ethisch relevanter Faktor, stellt aber kein ethisches Urteil in dem Sinne dar, dass die annehmenden Eltern in irgendeinem Sinne die »besseren« Eltern wären. Es wäre voreilig anzunehmen, dass Adoptiveltern durch ihre bloße Zweizahl einem Mangel abhülfen, an dem das Adoptivkind des187 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
halb litte, weil in seinem präadoptiven Leben nur ein einziger Elternteil, eben die abgebende Mutter, in Erscheinung trat. Das gemeinschaftliche Auftreten annehmender Eltern als Regelfall ist vielmehr ein empirisch konstatierbares Faktum, das wesentlich damit zusammenhängen dürfte, dass nach geltendem Recht Ehepaare in Deutschland ein Kind nur gemeinschaftlich annehmen können (§ 1741 Abs. 2 BGB) und die Bewerber um eine Fremdadoption weit überwiegend Ehepaare sind. Zwar können auch Einzelpersonen ein Kind adoptieren, und diese Fälle machen sogar die Mehrheit der in Deutschland gerichtlich ausgesprochenen Adoptionen aus, doch handelt es sich dabei fast durchweg um Stiefkindadoptionen, die in dieser Adoptionsethik immer nur beiläufig, freilich nicht ›stiefmütterlich‹ behandelt wurden, weil bei diesen Stiefkindern der ethisch ausschlaggebende Adoptionsanlass, das Fehlen sozialer Eltern, nicht besteht. Ethische Relevanz kann die Feststellung, dass Adoptiveltern regelmäßig gemeinschaftlich agieren, vor diesem Hintergrund erst bekommen, wenn man nach den Sachgründen fragt, die hinter der gesetzlichen Bestimmung stehen, dass Ehepaaren nur eine gemeinschaftliche Adoption möglich ist. Offensichtlich wird hier vorausgesetzt, dass es dem Wohl des zu adoptierenden Kindes dienlicher ist, wenn sich seine Eltern die ihm zukommende Sorge teilen, als wenn sie in den Händen nur eines der beiden Partner liegt. Das ist kein Verdikt gegen alleinerziehende Elternteile, die mangels Partner von dieser Begründung vielmehr unbetroffen sind, sondern besagt, dass Paare, in deren häuslicher Gemeinschaft Kinder leben, auch gemeinschaftlich für diese Kinder Sorgen tragen sollten. Damit sind keine ethischen Maßgaben über die Rollenverteilungen aufgerichtet, nach denen sich z. B. Erwerbsarbeit und Familienarbeit, wirtschaftliche Vorsorge und erzieherische Fürsorge in einem Haushalt den einzelnen Familienangehörigen zuordnen lassen; insofern wird damit der sog. Hausfrauenehe, die von der deutschen Sozialgesetzgebung vor Jahrzehnten aus (sehr guten) Gründen der Gleichberechtigung von Mann und Frau als Orientierungsmaßstab aufgegeben wurde, keine ethische Absage erteilt. Die Bevorzugung gemeinschaftlicher Sorge für die Kinder transportiert aber doch die ethische Einsicht, dass in einer bestehenden, konkret: in häuslicher Gemeinschaft lebenden Partnerschaft Kinder nicht nur die Angelegenheit des einen Partners sein können, weil dann die Gefahr drohen würde, dass die innerhalb der Paarbeziehung dann grundsätzlich ungleiche Stellung zum Kind zu einer Bedrohung für dessen Stellung auch zu demjenigen Partner 188 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
wird, der sich für das Kind zuständig fühlt. Es könnte sonst der Fall eintreten, dass der elterliche Teil des Paares, um die Beziehung zu seinem dem Kind fernstehenden Partner nicht zu gefährden, die elterliche Verantwortung vernachlässigt. Diese Gefahr, die immer dann besteht, wenn Paare in der Frage des Kinderwunsches uneins sind oder wenn Alleinstehende mit Kind einen neuen Partner finden, wird im Adoptionskontext minimiert, wenn Ehepaaren nur die gemeinschaftliche Adoption erlaubt ist. Auch die Zuspitzung auf Ehepaare ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Zwar ist unbestritten, dass auch nichtverheiratete Paare alle Anforderungen erfüllen können, die sich an das elterliche Leben mit einem Kind und insbesondere an die gemeinschaftliche Sorge für es richten, doch ist ebenso unbestreitbar, dass die Ehe die rechtlich zumindest einigermaßen materialisierbare Gewähr dafür bietet, dass diese Gemeinschaftlichkeit des Paares auch von der Dauer sein wird, die für die Erziehung und Sorge um ein Kind naturgemäß nötig ist. So offensichtlich Ehen scheitern und geschieden werden können, so berechtigt ist es doch aus ethischer Perspektive, wenn der Gesetzgeber diese relative Gewähr der Dauer verlangt und die gemeinschaftliche Adoption Ehepaaren vorbehält. 264 Hält man die bisherigen Beobachtungen fest, so ergibt sich ein doppeltes Resultat. Inhaltlich ist zu konstatieren, dass die bei den Fremdadoptionen faktisch konstatierbare Regel gemeinschaftlichen Agierens der annehmenden Eltern eine ethische Basis besitzt mit dem Merkmal dauerhafter, gemeinschaftlicher Sorge für das zu adoptierende Kind. Dieses Merkmal bildet die ethische Grundlage für die gesetzliche Bestimmung, dass Ehepaare nur gemeinschaftlich und dass nur Ehepaare gemeinschaftlich adoptieren können. Als Fehlanzeige ist festzuhalten, dass diese ethische Fundierung keinerlei Rekurs auf das Geschlecht der Adoptierenden vornimmt. In dieser Hinsicht bestehen also keine Beschränkungen, was die Fehlanzeige in ein positives Resultat verwandelt. Wie an anderer Stelle dieses Buches schon dargelegt, entspricht es der Kindeswohlorientierung vollauf, wenn gleichgeschlechtliche Paare, die standesamtlich getraut sind, als annehmende Eltern auftreten. Es ist insoweit eine ethisch vollauf zu bejahende Konsequenz aus der sog. »Ehe für alle«, dass schwulen und lesbischen Paaren, sofern sie die Ehe geschlossen haben, eine gemeinschaftliche Adoption offensteht. 265 Aus dieser einleitenden Überlegung ergibt sich, dass die ethische Valenz der annehmenden Eltern im Adoptionsgeschehen in ihrem gemeinschaftlichen Handeln wurzeln muss. Worin aber besteht das 189 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
gemeinschaftliche Moment dieses Handelns? Die Beantwortung dieser Frage wird im ersten Abschnitt dieses Kapitels erlauben zu bestimmen, worauf Elternschaft beruht 266 (6.1). Hieran schließen sich die nötigen Spezifizierungen für adoptive Elternschaft an (6.2). Erst auf dieser Grundlage verspricht es Ertrag, analog zu den vorangegangenen Kapiteln zu fragen, welche konkreten Befähigungen annehmenden Eltern das Gelingen ihres adoptierenden Tuns erlauben (6.3).
6.1 Worauf beruht Elternschaft? Aus ethischer Sicht sollten Eltern die Sorge für ihre Kinder stets gemeinschaftlich wahrnehmen. Wenn diese Maxime Alleinerziehende, die ohne Partner leben und deshalb nicht gemeinschaftlich elterliche Verantwortung tragen können, weder ausschließen noch diskriminieren soll (indem z. B. ihre Elternschaft bloß als abgeleiteter Fall von der Norm paarweiser Elternschaft anerkannt wird), dann muss das gemeinschaftliche Moment des Elternseins über das elterliche Handeln, in dem zwei gemeinsam agieren können, hinausgehen. Wir müssen also hinter die Handlungsebene zurückgehen und die Frage beantworten: Worauf beruht Elternschaft, wenn sie als gemeinschaftliche Relation beider Elternteile zum Kind aufgefasst werden soll? Es ist mehr als naheliegend, Elternschaft vorrangig als Abstammungsbeziehung und nicht in erster Linie als (durch Handeln übernommene) Verantwortung zu denken, denn Nachwuchs kommt bei Säugetieren, zu denen bekanntlich auch die Menschen zählen, nur ins Dasein durch die Verschmelzung von Gametenmaterial je eines Exemplars von beiden Geschlechtern der jeweiligen Spezies. Elternschaft ist sogar der primordiale Fall der Abstammungsbeziehung, da eine engere Filiation als das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern nicht denkbar ist. 267 Die betreffenden Individuen sind also insofern gemeinschaftlich Eltern, als das Kind in der beschriebenen ursprünglichen Weise nur mit genau diesen beiden verwandt ist. Trotzdem wäre es mindestens ungenau zu behaupten, dass das gemeinschaftliche Moment des Elternseins verwandtschaftlicher Natur wäre, denn in ihrer Gemeinschaft zueinander (nicht zum Kind) sind die Eltern normalerweise gerade nicht verwandt. Die Tatsache, dass die Eltern-Kind-Relation und die elterliche Paarrelation sich gegensätzlich zum Prädikat der Verwandtschaft verhalten, gewinnt ethische Relevanz, sollte zwischen beiden Relationen 190 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Worauf beruht Elternschaft?
ein normativer Zusammenhang bestehen. Unterstellt man, dass die hierfür erforderliche Pflichtenbegründung nicht schon durch Rekurs auf eine übergeordnete, moralisch gebietende Instanz wie Gott, das Gewissen oder das Gesetz zustande kommt, sondern die Realisierung von Gütern oder mindestens die Abwehr von Übeln verlangt, weil ethisch nur geboten sein kann, was gut oder gerecht ist, so scheint ein solcher Zusammenhang tatsächlich zu bestehen. Das sog. Inzestverbot schließt gemeinschaftliche Elternschaft von Individuen, die (eng) miteinander verwandt sind, aus und gewährleistet so die grundlegende Unterscheidung zwischen Abstammung und Heirat (Verwandtschaft und Verschwägerung) als zweier getrennter Säulen von Familienethik. Erstere ist genetisch determiniert, für die Beteiligten nicht wählbar und dementsprechend asymmetrisch (»filiativ«) in ihrer Stellung zueinander; bei letzterer begegnen sich die Betreffenden ›auf Augenhöhe‹, ist doch ihr Verhältnis zueinander durch Trieb und Neigung sowie insbesondere voluntaristisch durch den Entschluss zum gemeinsamen Leben bestimmt. Das Gesamtgebäude einer Familienethik kann erst dann aufgeführt werden, wenn Elternschaft gemeinschaftlich verstanden wird und sich so im Elternpaar die Säulen von Abstammung und Heirat als Eltern-Kind-Relation bzw. Partnerschaftsbeziehung treffen; für ein elterliches Individuum ist das nicht möglich. Dabei legen sich Genetizismus und Voluntarismus als Hauptkandidaten für die Beantwortung der Frage nahe, worauf Elternschaft ethisch beruht. 268 Die Plausibilität der beschriebenen Ausgangskonstellation steht und fällt mit der normativen Stringenz des Inzestverbots, das die prinzipielle Trennung von Abstammung und Heirat gewährleistet. Diese Trennung stellt als solche freilich kein pflichtenbegründendes Gut dar, vielmehr bezieht das Inzestverbot seine Normativität prima vista aus der Vermeidung von erbbiologischen Risiken oder Übeln, die nach allgemeiner Erfahrung (freilich vor allem auf dem Gebiet der Tierrassenzucht) durch Inzest oder (systematische) Inzucht gegeben sind. Selbst wenn man die statistische Signifikanz dieser Risiken gering sein sollte, 269 folgt daraus nicht, dass ein kulturabhängig begründetes Inzestverbot rein konventioneller Natur wäre und z. B. mit Rekurs auf die sexuelle Selbstbestimmung ausgehebelt werden könnte. Vielmehr ist die beschriebene Zweistämmigkeit der Familie aus Abstammung und Heirat aus ethnologischer Sicht in allen Kulturen anzutreffen und kann daher als universelle Struktur gelten, die als solche durch das Inzestverbot geschützt wird und ohne deren 191 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
Schutz der Orientierungsraum Familie nicht existieren könnte. Dass das strafrechtliche Inzestverbot in § 173 StGB mit dem Auseinanderhalten der beiden Säulen ›Abstammung‹ und ›Heirat‹ letztlich das familiäre Zusammenleben (und nicht die ›Volksgesundheit‹) schützen soll, wird immerhin auch vom Deutschen Ethikrat anerkannt, der 2014 in einer einschlägigen Stellungnahme die strafrechtliche Freigabe des Inzest mit Argumenten der sexuellen Selbstbestimmung vorgeschlagen hat, sofern sichergestellt ist, dass die Betroffenen (zumeist erwachsene Geschwister) schon lange nicht mehr in derselben Familie zusammenleben. 270 Auch wenn dies rechtlich m. E. eine Fehleinschätzung seitens des Ethikrats darstellt, kann man doch festhalten, dass die Inzestproblematik unabhängig von der strafrechtlichen Frage jedenfalls die ethische Exponiertheit der Elternschaft unterstreicht, in deren Doppelbeziehung zum Kind und untereinander sich Abstammung und Heirat treffen. Hier liegt auch die relative Berechtigung des ehebasierten Familienverständnisses im deutschen Rechtskontext. Die familienethische Sonderstellung der Elternschaft legt die Annahme spezifisch »familiärer Pflichten« nahe, also solcher, die nicht auf Freundschaftspflichten oder allgemein soziale Obligationen zurückgeführt werden können. Die Existenz solcher Pflichten wurde in dem einschlägigen Forschungsprojekt, das M. Betzler und B. Bleisch zwischen 2010 und 2014 durchgeführt haben, 271 teils emphatisch bejaht, teils grundsätzlich bezweifelt; entsprechend disparat stellt sich die materiale Ausbeute in Gestalt eines familiären Pflichtenkatalogs dar. Man kann diese teilweise Fehlanzeige nicht damit erklären, dass Elternschaft, wie in Kap. 3.2 schon angedeutet, keine ›Positivlisten‹ kennt. Das unbefriedigende Ergebnis dürfte vielmehr damit zusammenhängen, dass die »speziellen Güter«, die nur innerhalb der Familie sollen gewährt und erlangt werden können, 272 in ihrem Potenzial zur Pflichtenbegründung äußerst schillernd sind. So ist z. B. die Pflicht zur Versorgung Abhängiger, die im Eltern-Kind-Verhältnis besteht, zwar in der Tat nicht innerhalb einer Freundschaftsethik begründbar, wo strenge Reziprozität herrscht, wohl aber als Teil allgemeiner sozialer Pflichten. 273 Umgekehrt kann man fragen, ob die Pflicht erwachsener Kinder, ihre alten Eltern zu versorgen, nicht vielmehr Teil gesellschaftlicher Konvention ist, die als solche gerade keine im strengen Sinne pflichtenbegründende Wirkung zu entfalten vermag. 274 Gerade ambitionierte Theorien familiärer Pflichten befinden sich hier in einem Dilemma. Der Anspruch eines familienspezi192 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Worauf beruht Elternschaft?
fischen Gutes, das eine bestimmte Pflicht begründen soll, führt dazu, dass alternative Lösungen, die das betreffende Gut auch nur teilweise außerhalb der Familie zu realisieren erlauben, schon deshalb ethisch abqualifiziert werden müssen. Einfache und sogar alltägliche Gegenbeispiele wie die häusliche Versorgung alter Eltern durch ambulante Pflegedienste oder eine individuell bezahlte Betreuerin, wenn die erwachsenen Kinder weit entfernt wohnen, werfen die Frage auf, ob der Versuch, eine Liste familiärer Güter aufzustellen, aus denen sich entsprechende Pflichten für Eltern (oder andere Familienangehörige) ableiten lassen, nicht schon im Ansatz verfehlt ist, weil sie die Individualität der einzelnen Familiensituation übergeht oder über den Leisten einer allgemeinen Gütertheorie schlägt. 275 Wir stoßen damit auf eine Frage, die uns bereits in Kap. 3 beschäftigt hat und die sich nun für die ethische Begründung von Elternschaft als zentral erweist. Im Zuge der Eignungsprüfung von Adoptionsbewerbern lassen sich zwar gewisse Ausschlusskriterien benennen, deren Vorliegen die Betreffenden als adoptive Eltern disqualifiziert. Es gelingt aber nicht, unabhängig von einer konkreten Vermittlungssituation die gleichsam objektiv ›besten‹ Eltern zu bestimmen. Dieser Anspruch auf Beststandards des Kindeswohls ist nur im Blick auf ein bestimmtes zu vermittelndes Kind, also in einer individuellen Familiensituation, im Wege das Matching einzulösen und besteht hier sogar von Rechts wegen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine doppelte Pflichtenbegründung der Elternschaft, die auf verschiedenartigen Güterbegriffen aufbaut. Auf den ersten Blick ist Elternschaft ein solches Gut, für dessen Vorliegen nur Ausschlusskriterien angegeben werden können, aber keine Positivlisten, die unbesehen auf die individuelle Situation einer bestimmten Familie anwendbar wären. Dem steht die anderslautende Beobachtung zur Seite, dass anhand von Minimalstandards des Kindeswohls eine Reihe von universellen ›Sockelgütern‹ wie Nahrung, Kleidung, Wohnung und insbesondere Bindung benannt werden kann, deren Bereitstellung die Pflicht aller Eltern ungeachtet der konkreten Familiensituation ist. Um in dieser ambivalenten Konstellation Klarheit zu erlangen, ist wesentlich zu sehen, dass die Kombination von universellen Sockelgütern und dem Gut individueller Elternschaft mit dem Nebeneinander von genetizistischer und voluntaristischer Begründung der Elternschaft gekoppelt ist. Da die genannten Sockelgüter universell sind, kann ihre elterliche Bereitstellung von allen übernommen wer193 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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den, die die soziale Elternrolle auszufüllen bereit sind; hier wirkt der willentliche Entschluss begründend für Elternschaft. Elternschaft in einer individuellen Familiensituation zu begründen, setzt hingegen das Eingehen auf die Gründe der Individuation (principium individuationis) voraus. Diese Gründe liegen – wie in Kap. 5.3 ausgeführt – für das Kind im biologischen Vorgang der Geburt, mit der es ein moralisches Individuum wird; insoweit ist das Gut der Elternschaft grundsätzlich genetizistisch begründet. Der Zusammenhang beider Begründungsformen lässt sich mit dem Duisburger Philosophen O. Hallich, der auf anderen Argumentationswegen ebenfalls beim genetizistischen und beim voluntaristischen Begründungsansatz für Elternschaft landet, näher bestimmen. 276 Elterliche Verantwortung, wie Hallich allgemeiner anstelle von »Pflicht« sagt, besteht demnach vorrangig aus genetizistischen Gründen, weil die (leiblichen) Eltern am Kind mit ihrem eigenen Gametenmaterial beteiligt sind. Elternverantwortung wäre so gesehen ein verlängerter Spezialfall von Eigenverantwortung, unterscheidet sich aber von derjenigen Eigenverantwortung, die alle als Subjekte ihres Handelns aufgrund der durch ihr Tun verursachten Folgen haben, denn die Beteiligung, die Eltern durch Zeugung bzw. Empfängnis sowie im Falle der Mutter noch durch Austragen der Schwangerschaft an der Geburt (als principium individuationis) des Kindes aufweisen, unterscheidet sich ihrer Art nach von einer Ursache: 277 Weder Zeugung noch Empfängnis noch Schwangerschaft sind nach Hallich in hinreichend eindeutigem Sinne ursächlich dafür, dass dieses Kind auf der Welt ist. Hingegen haben alle, deren Gametenmaterial an der Geburt eines Kindes beteiligt ist, sofern diese Beteiligung nicht gegen ihren ausdrücklichen Willen mit Zwang oder Hinterlist geschah, 278 Verantwortung für das so geborene Kind. Insbesondere Männer, die außerhalb oder innerhalb einer Paarbeziehung ein Kind zeugen, können sich dieser Verantwortung nicht mit dem Argument entziehen, sie hätten bei ihrer Sexualpartnerin ja gar keine Schwangerschaft gewollt. Das Beispiel zeigt, dass das voluntaristische Argument der Selbstbestimmung nicht den Begründungsanfang für die ethische Basis der Elternschaft bilden kann. Die Grundlage muss der Genetizismus bilden, der zudem das Wahrheitsmoment des Selbstbestimmungsarguments in gewisser Weise sogar besser zur Geltung bringt, weil die genetische Grundlage der Elternschaft ja in der elterlichen Selbstbeteiligung am Kind durch das vererbte genetische Material besteht. 194 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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Die hier skizzierte Begründung würde sich freilich im Biologistischen erschöpfen, wenn damit eine schroffe Alternative von Genetizismus und Voluntarismus aufgerichtet wäre. Hallichs argumentative Leistung dürfte darin zu sehen sein, dass er diese Alternative überwindet und den Voluntarismus nachgeordnet in seine »Verteidigung des Genetizismus« 279 integriert. Dazu dient ihm ein Gedankenexperiment: Wenn ein zeugungsunfähiger Mann durch die Hodentransplantation eines Organspenders in die Lage versetzt wird, Kinder zu zeugen, ist dann der (bereits tote) Organspender als Vater der vom Empfänger gezeugten Kinder anzusehen, weil ja sein Gametenmaterial verwendet wurde? Hallich verneint diese Frage mit dem Argument, dass mit der von beiden Männern willentlich verfügten oder im Falle eines Spenderausweises mindestens ausdrücklich gebilligten Übertragung des Hodens der Organspender aufhört, dessen Besitzer zu sein. 280 M. a. W. genetizistisch begründete Elternschaft ist willentlich übertragbar, sodass im geschilderten Experiment allein der Organempfänger als Vater seiner Kinder anzusehen ist. Man kann sich leicht überzeugen, dass Hallichs Argument in höchstem Maße einschlägig für die Adoptionsethik ist, stellt doch die Adoption ebenfalls eine willentliche Übertragung von genetizistisch begründeter Elternschaft dar in Analogie zu dem Fall, den Hallich in seinem Gedankenexperiment zur Hodentransplantation entwirft. Wir erhalten damit die gleiche doppelte Begründung von Elternschaft, die uns soeben bei der gütertheoretischen Pflichtenbegründung von Elternschaft begegnet ist. Elternschaft beruht vorrangig auf genetizistischer Selbstbeteiligung der Eltern, kann aber nachrangig auch willentlich auf andere übertragen werden. Der Vorzug dieser doppelten Begründung besteht in ihrer Abstufung – vorrangig genetizistisch, nachrangig voluntaristisch –, wie besonders dann deutlich wird, wenn man das Argument auf den gütertheoretischen Rahmen der elterlichen Pflichtenbegründung zurückbezieht. In diesem Rahmen kann man geradezu von einem Gut der leiblichen Elternschaft sprechen. 281 Damit ist gemeint, dass Eltern ihren Kindern etwas von sich selbst mitgeben, Elternschaft also im Gut der Selbstweitergabe beruht. Sie schließt aber, wie sogleich zu entfalten, als Weiter-, ja Weggabe des elterlichen Selbst immer auch Selbstzurücknahme ein und ist nicht mit jenen verfehlten »Lebensprojekten« 282 zu verwechseln, bei denen Eltern in ihrem Kind sich selbst – d. h. in aller Regel: die von ihnen selbst versäumten Träume oder verpassten Möglichkeiten – verwirklichen wollen nach dem Motto: 195 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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»Mein Kind soll es einmal besser haben als ich«, denn diese selbstverwirklichende Selbstweitergabe besitzt einen unausrottbaren Hang zum Egoismus. Dieser ist jedoch ausgeschlossen, wenn Elternschaft als Selbstweitergabe gemeinschaftlich begriffen wird, wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, denn diese gemeinschaftliche Selbstweitergabe besteht in der Vererbung des genetischen Materials in seinem nur sehr bedingt vorhersehbaren Zusammenwirken väterlicher und mütterlicher Mitgift und eignet sich daher nicht für individuelle elterliche Selbstprofilierung. Allerdings erschöpft sich die gemeinschaftliche Selbstweitergabe nicht im Genetischen, sondern schließt auf seiner Grundlage allerlei Voluntaristisches ein, das die Eltern ihren Kindern ebenfalls von sich selbst, jedoch verknüpft mit verschiedensten Umwelteinflüssen, mit- und weitergeben. Diese willentliche Form elterlicher Selbstweitergabe betrifft besonders die Überzeugungen und ethischen Orientierungen, die wir in Kap. 1 dieses Buches als Hauptgrund für den sozialphilosophischen Stellenwert der Familie herausgestellt haben, ist aber keineswegs darauf beschränkt. Vielmehr ist schon die Gewährung universeller Sockelgüter wie Nahrung, deren alle Kinder bedürfen, untrennbar mit der Weitergabe moralischer Orientierungen verbunden, die das jeweils konkrete Elternpaar auszeichnen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Vegetarismus, der in einem Atemzug mit der Versorgung durch Nahrung die Kinder auch mit der Überzeugung versorgt, dass tierische Produkte als Nahrung ethisch kritikwürdig seien. Dabei ist der Verzicht auf solche Produkte nur ein Beispiel für die allgemeiner und grundsätzlich zu verstehende Selbstzurücknahme, die zu jeder ethisch verantworteten Elternschaft gehört, nicht obwohl, sondern weil sie elterliche Selbstweitergabe ist. Der Zusammenhang von Selbstweitergabe und Selbstzurücknahme wird glänzend auf den Punkt gebracht in einer Formulierung von J. Giesinger, die die hier bestehende Innenspannung kaum noch ahnen lässt: »Viele [potenzielle Eltern] betrachten eigene Kinder als wesentlich für ihr Leben und sind bereit, ihre eigenen Interessen zugunsten der Kinder zurückzustellen.« 283 Die hier angestellte Überlegung lässt sich gütertheoretisch verallgemeinern. Elternschaft beruht ethisch auf der elterlichen Selbstweitergabe an das Kind in Gestalt von materiellen Gütern (insbesondere Vererbung) und immateriellen Gütern (insbesondere Überzeugungen), die auf ein selbstbestimmtes Leben des Kindes zielen, aber im Modus der Weitergabe jedes Lebensprojekt einer Selbstverwirk196 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Worauf beruht Elternschaft?
lichung, sei es auf Seiten der Eltern oder des Kindes, kritisch begrenzen. Die güterethische Begründung hierfür lautet – im Anschluss an die Bedürfnisethik von W. Kamlah –, dass mit der Gewährung von Gütern auch der ethisch angemessene Umgang mit ihnen gewährleistet werden muss. Dieser Umgang kann selbst als das wichtigste Gut gelten, das auch dann noch genutzt und genossen werden kann, wenn die einzelnen (insbesondere materiellen) Güter nicht oder nur unzureichend gegeben sind. Auf diese Weise scheidet die vorhin schon kritisierte Selbstverwirklichung als Motiv für die Eltern wie auch als Ziel für die Kinder aus der Ethik der Elternschaft aus, weil sie nichts anderes wäre als Gütermaximierung im Dienste eines blanken Vitalismus, der die gerade im familiären Zusammenleben mit Kindern essentielle Bedürftigkeit der Menschen verleugnet. 284 Nicht minder bedeutsam dürfte sein, dass die abgestuft genetizistisch-voluntaristische Begründung von Elternschaft eine Schwierigkeit alternativer gütertheoretischer Begründungsansätze vermeidet. Folgt man etwa J. Millum, so hat Elternschaft ihren Grund in dem Engagement, das Eltern in das Gedeihen des Kindes investiert haben. 285 C. Wiesemann optiert in gewiss anderen philosophischen Traditionslinien als Millum dennoch im Ergebnis vergleichbar dafür, Elternschaft auf Verantwortung aufzubauen: »Zu Eltern wird man in einem Prozess der Verantwortungsübernahme.« 286 Der Reiz solcher Ansätze ist, dass derart verantwortliches Engagement als ein Gut verstanden werden kann und darum grundsätzlich messbar ist. Es ist dann auch möglich, im Konfliktfall z. B. nach einer Trennung und Wiederverpartnerung eines Elternteils konkurrierende Elternschaftsprätendenten in ihren Ansprüchen und Rechten gegeneinander abzuwägen und zu einer möglichst gerechten Entscheidung zu kommen. In ähnlicher Absicht haben wir selbst in Kap. 5.4 das bereits bewiesene Engagement leiblicher Väter als Kriterium ihrer Beteiligung am Adoptionsgeschehen oberhalb des DI-Verantwortungslevels heranzuziehen versucht. Allerdings ging es dabei speziell um leibliche Väter, was dem vorrangig genetizistischen Begründungsansatz entspricht. Fehlt dieses vorrangige Moment oder wird, wie bei Millum, allgemein durch Engagement für das Kind ersetzt, so kommen neben den leiblichen Eltern auch allerlei andere Personen vorrangig als Eltern in Betracht, die sich, wie Kindermädchen oder Ärzte und Pflegende in einer Phase ernsthafter Krankheit, mit nicht weniger Einsatz um das Kind kümmern. Wenn Millums Aussageabsicht auch kaum dahingeht, solchen Personen Elternschaft zu197 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
zusprechen, so wird man doch festhalten müssen, dass die abgestufte Begründung der Elternschaft, wie wir sie bei Hallich antrafen, das überzeugendere Theoriemodell darstellt. Es erlaubt, ohne Hinzunahme der oft problematischen Kategorie des ›Natürlichen‹ von einer vorrangigen Begründung der Elternschaft auszugehen und trotzdem solche Konstellationen zu integrieren, die als Normvarianten anzusehen sind. Wie sich schon in Kap. 1 zeigte, ist diese doppelte Beschreibungsfähigkeit für die Adoptionsethik wichtig, wenn wir uns mit ihr einer Situation von Elternschaft zuwenden, in der die eben auf den Schild gehobene, abgestufte Begründung durch Selbstweitergabe und Selbstzurücknahme nur in variierter Form gegeben ist.
6.2 Besonderheiten adoptiver Elternschaft In ethischer Hinsicht beruht Elternschaft vorrangig auf der Selbstweitergabe erwachsener Personen an Individuen der nachfolgenden Generation. Dieses Ergebnis der Überlegungen im vorigen Abschnitt scheint auf den ersten Blick kaum über die These E. Eriksons hinauszuführen, dass die ›Generativität‹ oder psychosoziale Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme für die nächste Generation als Anzeichen der voll entwickelten psychischen Identität anzusehen sei. 287 Demgegenüber ist zu betonen, dass Selbstweitergabe im Sinne des ethischen Elternschaftsbegriffs ihre biologisch materielle Basis in der Weitergabe des elterlichen Gametenmaterials hat und erst auf dieser Grundlage psychosozial determinierende Vermögen wie den Willen einbezieht. Die hiermit gegebene Abstufung von Genetizismus und Voluntarismus löst nun aber ethischen Reflexionsbedarf aus, wenn man sie auf die Normvariante adoptiver Elternschaft bezieht. Sie ist aufgrund der beschriebenen Abstufung als willentliche Übertragung der genetizistisch begründeten Elternschaft zu verstehen, aber wird sie damit selbst zu einer genetischen Elternschaft? In Hallichs wohlkonstruiertem Beispiel der Hodentransplantation ist das der Fall, da der Empfänger des gespendeten Organs auch Besitzer des damit empfangenen Gametenmaterials wird. Aber die genetische Vaterschaft, die der Empfänger in diesem Beispiel zu einem nach der Transplantation gezeugten Kind unterhält, beruht auf der Kategorie des Besitzes von empfangenem Gametenmaterial, ist also in erster Linie ein rechtliches Verhältnis, das nichts daran ändert, dass die genetische Be198 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Besonderheiten adoptiver Elternschaft
schaffenheit dieses Materials auch weiterhin nicht der sonstigen Genetik des Empfängers entspricht, sondern als Hybridgebilde zu beschreiben ist. Es ist also zwar rechtlich möglich, von einer Übertragung nicht nur der genetizistisch begründeten Elternschaft, sondern tatsächlich der genetischen Elternschaft selbst zu sprechen. In ethischer Perspektive bleibt diese Sichtweise aber gekünstelt und insoweit unbefriedigend. Hier werden dieselben Bedenken wach, die sich ethisch angesichts der Vorstellung melden, dass leibliche Verwandtschaft völlig erlöschen kann – einer für das Adoptionsrecht konstitutiven und unaufgebbaren Vorstellung, die man rechtlich sogar noch dahingehend erweitern kann und muss, dass Adoptivväter in rechtlicher Hinsicht nicht von leiblichen Vätern zu unterscheiden sind. 288 Die ethische Betrachtung, die in diesem Buch angestellt wird, muss sich jedoch auf die Feststellung beschränken, dass im Falle der Adoption Elternschaft, die bei den leiblichen Eltern genetizistisch begründet ist, durch einen willentlichen Entschluss auf die Adoptiveltern übertragen wird, die daraus resultierende adoptive Elternschaft jedoch ohne genetische Grundlage ist. Was Adoptiveltern von sich selbst an ihre Kinder weitergeben, ist niemals Erbmaterial im biologischen Sinne. Die scheinbar triviale Feststellung, dass der Adoptivelternschaft die erbbiologische Materialbasis fehlt, hat eine beachtliche güterethische Tragweite. Denn mit diesem Fehlen kommt die einzige materielle Grundlage der elterlichen Selbstweitergabe in Fortfall. Zwar geben adoptive ebenso wie leibliche Eltern ihren Kindern eine Vielzahl materieller Güter, die für die Bedürfnisse des Kindes ähnlich grundlegend sind, etwa Nahrung oder Kleidung, doch geben sie in diesen materiellen (Sockel-)Gütern nicht sich selbst, sondern eindeutig etwas von ihnen Verschiedenes. Die elterliche Selbstweitergabe beschränkt sich im Falle der Adoption auf die immateriellen Güter der Überzeugungen und Orientierungen, auch wenn diese, wie das Vegetarierbeispiel lehrte, mit materiellen Gütern untrennbar verknüpft sein können. Kein materielles Gut jedoch, das Adoptivkinder von ihren adoptiven Eltern empfangen können, vermag ihnen etwas von diesen Eltern selbst zu geben. Das ist bei leiblichen Kindern aufgrund der vererbten genetischen Ausstattung anders. Adoptiveltern haben ihrem Kind bei dessen Geburt nichts zu vererben, sondern erst bei ihrem eigenen Tod, und dann in einem ganz anders »materiellen«, nämlich finanziellen Sinne. Das Fehlen der materiellen – d. h. hier: genetischen – Basis der 199 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
adoptiven Elternschaft ist der Grund für ein adoptionsethisch höchst bedeutsames Phänomen, auch wenn dieses gar nicht auf Adoptivfamilien beschränkt ist. Es besteht darin, dass die elterliche Selbstweitergabe, die für die Entwicklung der Kinder so prägend und wesentlich ist, gelegentlich durch eine materielle – d. h. hier: finanzielle – Zuwendung ersetzt oder ergänzt wird, die nach landläufiger Vorstellung bei Kindern, die in Adoptivfamilien aufwachsen, ausgeprägter sein soll als in leiblichen Familien. Wirtschaftliche Absicherung der kindlichen Entwicklung ist einem gängigen Klischee zufolge, das in den Vorstellungen über die Situation von Adoptivkindern auch bei professionellen Vermittlungen anzutreffen (gewesen) 289 ist, ein durchgehendes Merkmal der adoptiven Familiensituation. Zwar trifft es zu, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Adoptivkinder vor der Vermittlung Erfahrungen der auch wirtschaftlichen Deprivation hat machen müssen, also in unterschiedlicher Hinsicht benachteiligt ist, und dass annehmende Eltern selten der Unterschicht angehören, doch spielen diese wirtschaftlichen Gesichtspunkte im Vermittlungsverfahren nur eine ganz untergeordnete Rolle. Die Voraussetzung der meisten Adoptionsvermittlungsstellen, dass in der annehmenden Familie ein gesichertes Einkommen vorhanden sein muss, artikuliert in einer Verknüpfung von Information und Kontrolle, die uns aus Kap. 3.3 bekannt ist, vielmehr die Erwartung, dass tunlichst nur ein Adoptivelternteil berufstätig sein und der andere zumindest während der meist mindestens einjährigen Adoptionspflegezeit zuhause sein und sich ganz dem Kind widmen soll. Es wäre ein ethisches Fehlurteil, adoptive Elternschaft danach zu bemessen, was die Annehmenden dem Kind im Vergleich zu seiner womöglich wirtschaftlich benachteiligten Herkunftssituation ›bieten können‹. In Kap. 3 haben wir diese besonders bei der internationalen Adoption in nicht zu unterschätzendem Maße anzutreffende Auffassung unter dem Stichwort der »Adoption als positive Intervention« problematisiert (Kap. 3.4). Jetzt können wir die elternethischen Gründe der Problematik gewissermaßen ›nachliefern‹. Es ist eine Binsenweisheit über das Eltern-Kind-Verhältnis, dass materielle Zuwendung persönliche Selbstweiter- und -hingabe nicht wirklich ersetzen kann, weil sie die entwicklungspsychologisch entscheidende Bindung des Kindes an die Eltern nicht zu erzeugen vermag. Tatsächlich begegnet eine solche Substituierung, bei der Eltern z. B. durch Geschenke aller Art (Kleidung, Ausstattung des Kinderzimmers …) ihr womöglich schlechtes Gewissen angesichts fehlender 200 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Besonderheiten adoptiver Elternschaft
gemeinsamer Zeit mit dem Kind zu beruhigen versuchen, aber wohl nur selten in Reinform. Was hingegen in vielen – beileibe nicht nur adoptiven – Familiensituationen alltäglich sein dürfte, ist die Aufladung von materiellen Zuwendungen wie Geschenken durch eine symbolische Deutung, die ihnen die persönliche Note einer Selbstweitergabe verleihen soll. Und sofern das nicht in der eben kritisierten substituierenden Absicht geschieht, lässt sich kaum bestreiten, dass derart symbolische Güter der zwischen Eltern und Kind entoder bestehenden Bindung tatsächlich förderlich, zumindest aber nicht abträglich sein können. Wir sind auf solche Symbolgüter bereits in Kap. 1.3 gestoßen am Beispiel des Kleidungsstücks, das die leibliche Mutter auf der Haut getragen hat und bei Freigabe des Kindes der Adoptionsvermittlungsstelle überlässt, damit es dem Säugling, der den Geruch der Mutter daran wahrnimmt, einen Eindruck von seiner Herkunft vermittelt. Obwohl durchaus materiell – d. h. hier: olfaktorisch – kodiert, ist der Wert, den ein solches Kleidungsstück für das Adoptivkind besitzt, symbolischer Art, denn das betreffende T-Shirt (oder was immer es ist) symbolisiert für das Kind die Mutter, und zwar auch dann noch, wenn es nach Monaten oder Jahren in die Waschmaschine der Adoptivfamilie wandert, den Muttergeruch verliert und scheinbar austauschbar zusammengelegt zwischen seinesgleichen im kindlichen Kleiderschrank liegt. Traditionsbehaftete Gegenstände, persönliche Erinnerungsstücke oder Geschenke von ideellem Wert, also kurzum: symbolische Güter dieser oder anderer Art kommen in wohl jeder Familie (egal, ob leiblich oder adoptiv) vor und mahnen zur Vorsicht vor allzu schnellen Verdikten über den elternethischen Wert oder Unwert materieller Zuwendung. Zuwendung in Gestalt materieller Güter dient in einer Eltern-Kind-Beziehung nicht bloß zur Kompensation persönlicher Selbstweitergabe, sondern kann, sofern sie nicht substituierend geschieht, zu deren tragfähigem Symbol werden. Das gilt auch und gerade dann, wenn die elterliche Selbstweitergabe sonst keine materielle Basis hat, d. h. im Falle der Adoption, bei der die Adoptiveltern ihrem Kind nichts im genetischen Sinne vererben können. Symbolische Güter besitzen dieses Potenzial, weil sie (im Gegensatz zu fest definierten Zeichen) dasjenige, was sie symbolisieren, immer nur in einem gegebenen Interpretationsrahmen repräsentieren, d. h. in unserem Falle: innerhalb der konkreten familiären Beziehungen. Damit also beispielsweise ein gegenständliches Geschenk für den oder die Beschenkten zum Symbol der es schenkenden Person werden kann, 201 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
muss mit seiner Übergabe in irgendeiner Form die Geschichte miterzählt werden, die schenkende und beschenkte Person mit diesem Gegenstand und der so beide miteinander verbindet. Erst in diesem gemeinsamen Horizont kann der geschenkte Gegenstand zum Symbol der mit dem Geschenk intendierten Selbstweitergabe werden. Dieser allgemein symboltheoretische Sachverhalt lässt sich für die elternethische Situation einer Adoptivfamilie zuspitzen. Für die Adoptivfamilie gilt, dass Elternschaft in ihr stets ein negatives Gut ist, weil die elterntypische Selbstweitergabe an die Kinder in ihrem Fall regelmäßig ohne positive materielle Basis in Gestalt der genetischen Vererbung auskommen muss. Bei leiblichen Eltern gilt die gemeinsame genetische Basis als positives Kriterium, das die Vermutung elterlicher Eignung bis zum Erweis des Gegenteils begründet. Leibliche Eltern genießen also einen relativen Vertrauensvorsprung bei der Erziehung ihrer Kinder, der auch ethisch damit begründbar ist, dass Elternschaft auf Selbstweitergabe beruht. Trotz der schon mehrfach erwähnten Tatsache, dass leibliche Eltern ihren Kindern auch schlechte Eltern sein können, ist jener Vertrauensvorschuss gerechtfertigt, weil die Alternative in der Freigabe eines rigorosen Interventionismus bestünde, der dazu führen würde, Eltern ihre Kinder wegzunehmen, wenn für diese andernorts günstigere Entwicklungsbedingungen für ein gedeihliches Aufwachsen bestehen. 290 Damit würde nicht nur dem Orientierungsraum Familie, der aus sozialphilosophischen wie rechtsstaatlichen Gründen vor äußerem Zugriff besonders geschützt ist, ein Beststandard des Kindeswohls auferlegt, sondern auch die familiäre Privatsphäre ausgehebelt, da solche Interventionen ja nur bei dauernder Überwachung der kindlichen Entwicklung möglich wären. Im Vergleich mit diesen schweren Eingriffen in die Familie und ihren gesamtgesellschaftlichen Rahmen bildet der womöglich ungedeckte Scheck des Vertrauensvorschusses in leibliche Eltern eindeutig das kleinere Übel; Interventionen der beschriebenen Art sind dann nur ausnahmsweise, nämlich bei konkreten Kindeswohlgefährdungen möglich. Formuliert man denselben Sachverhalt nicht von der Ausnahme, sondern der Regel her, so ergibt sich, dass Eltern aus ethischen Gründen nicht abverlangt werden kann, die bestmögliche Form der Elternschaft an den Tag zu legen; Eltern müssen vielmehr nur »gut genug« sein. Dies ist im übrigen auch ein Ergebnis des erwähnten Projekts »Familiäre Pflichten«. 291 Die Interventionsfrage stellt sich aber erneut beim Blick auf Adoptiveltern. Ihre Elternschaft ist ein negatives Gut, da ihr die ge202 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Besonderheiten adoptiver Elternschaft
netische Basis und damit die Rechtfertigung für den beschriebenen Vertrauensvorschuss fehlt. Dieses Fehlen rechtfertigt generell eine Intervention, die bei leiblichen Eltern nicht zur Regel gemacht werden kann. Sie fällt aber nicht so gravierend aus wie im vorigen Absatz beschrieben, sondern besteht – wie wir es für Interventionen im Adoptionskontext grundsätzlich feststellen konnten – in einer obligaten Beratung. Adoptive Elternschaft kann aus ethischer Sicht nicht erlangt werden, ohne dass die betreffenden Paare vorher eine qualifizierte Beratung durchlaufen haben, die anschließend auch in ihrem Fall vorlaufendes Vertrauen in die elterlichen Fähigkeiten legitimiert. Die Beratung der Adoptiveltern besteht in der Vermittlung elterlicher Fähigkeiten und realisiert als solche die Befähigungsgerechtigkeit, die nach unseren Überlegungen aus Kap. 3 den ethischen Maßstab der Adoptionsvermittlungstätigkeit bildet. Wenn unsere Aufmerksamkeit im vorliegenden Kapitel den annehmenden Eltern (und nicht der Adoptionsvermittlungsstelle) gilt, verdienen diese Überlegungen noch weitere Entfaltung. Es ist eine augenfällige Besonderheit adoptiver Elternschaft, dass sie eine aufwändige Eignungsprüfung voraussetzt, der leibliche Eltern sich nicht unterziehen müssen. Dieser Sachverhalt wird von Adoptionsbewerbern nicht selten als ungerecht empfunden, da die anschließenden Herausforderungen der sozialen Elternschaft bei adoptiven wie leiblichen Eltern durchaus vergleichbar sind. Hinzu kommt, dass Fälle massiver elterlicher Vernachlässigung von Kindern, die dann publik werden, wenn die betroffenen Kinder nicht nur verwahrlosen, sondern dadurch schlimmstenfalls zu Tode kommen, ehe eine öffentliche Stelle einschreitet, immer wieder den Ruf nach einem »Elternführerschein« wecken, den auch leibliche Eltern als Eignungsnachweis erbringen sollten. Sie würden damit, so ein denkbarer Legitimationsgrund, ja keinen stärkeren Zumutungen ausgesetzt als Adoptiveltern. Abgesehen davon, dass die praktische Umsetzung eines »Elternführerscheins« ähnlich invasive Interventionen mit sich bringen müsste wie die eben zurückgewiesenen, ist grundsätzlich einzuwenden, dass die Ungleichbehandlung von leiblichen und adoptiven Eltern an dieser Stelle kein ethisches Problem aufwirft, weil die jeweils gegebenen Voraussetzungen unterschiedlich sind. Der Status adoptiver Elternschaft als negatives Gut rechtfertigt nicht nur, sondern fordert sogar die beratende Intervention, um Adoptionsbewerber als Eltern so vertrauenswürdig zu machen, wie es leibliche Eltern auf203 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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grund ihrer genetischen Verbindung mit dem Kind sind. Wenngleich beides kein Garant für ein gedeihliches Aufwachsen des Kindes ist, steht doch bei der Adoptionsbewerberberatung das Bestreben im Vordergrund, potenziellen Adoptiveltern die Fähigkeiten zu vermitteln, die ihnen erlauben, auf die besondere Situation einzugehen, in der sich Adoptivkinder dadurch befinden, dass die Faktoren, die bei leiblichen Familien Elternschaft konstituieren, in ihrem Fall auf zwei Familien verteilt sind. D. h. die Beratung zielt in wesentlichen Punkten auf die Befähigungen ab, die wir in Kap. 1.3 als Bedingungen für gelingende Adoptionen benannt haben, und ist insoweit Befähigungsgerechtigkeit. Adoptionsbewerbern das Durchlaufen einer solchen Beratung abzuverlangen, ist also im Vergleich zu leiblichen Eltern nicht ungerecht, sondern im Gegenteil gerecht, nämlich befähigungsgerecht. Wenn Adoptiveltern trotzdem das Empfinden haben, für ihr Elternsein mehr leisten zu müssen als leibliche Eltern, dürfte dieser Eindruck mit der Tatsache zusammenhängen, dass die Beratung im Vorfeld der Adoption untrennbar mit einer Eignungsprüfung verbunden ist. Es handelt sich hierbei in der Tat um eine weitere Besonderheit adoptiver Elternschaft, die wir unter dem Stichwort der »Vermittlung probater Adoptionsbefähigungen« in Kap. 3.3 bereits dargestellt haben. Was dort festgehalten wurde, soll nun auf seine Bedeutung für annehmende Eltern zugespitzt werden.
6.3 Welche besonderen Befähigungen brauchen Adoptiveltern? Annehmende Eltern und solche, die es werden wollen, können Elternschaft nur als negatives Gut, d. h. ohne genetische Basis, realisieren und bedürfen deshalb der qualifizierten Beratung, die sie zur Wahrnehmung von Elternschaft unter diesen negativen Eingangsvoraussetzung befähigt. Beratung mit dem Anspruch der Befähigung vermittelt probate elterliche Fähigkeiten, also solche, die zugleich mit ihrer Vermittlung überprüft werden. Adoptionsbewerber sollten sich klar machen, dass dieser Konnex wegen der Praxisnatur dieser Fähigkeiten, die nur in der realen elterlichen Interaktion bestehen können, notwendig und nicht etwa ungerecht ist. Es ist – zumindest im Ausschlussverfahren anhand von Negativkriterien – möglich, das Vorliegen solcher Fähigkeiten zu überprüfen, ohne sie den Überprüften zu vermitteln. Man kann diese Fähigkeiten jedoch nicht vermitteln, 204 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Welche besonderen Befähigungen brauchen Adoptiveltern?
ohne sie damit zugleich zu überprüfen. Der hier bestehende Konnex spiegelt bloß die in Kap. 3.2 herausgearbeitete Doppelbedeutung von Vermittlung als Befähigung und als Mediation. Adoptiveltern sollten sich darüber hinaus die folgende Implikation des Konzepts der Adoptionsberatung klar machen. Weil in der Beratungssituation keine Interaktion mit einem realen Kind möglich ist, tritt ihr Partnerschaftsverhalten an deren Stelle und wird zum Eignungskriterium für adoptive Elternschaft. Auch das ist sachgemäß, insofern diese, wie zu Beginn des Kapitels betont, ja gemeinschaftlich ausgeübt wird. Wie das Paar miteinander umgeht, ist deshalb ein ausgezeichneter Indikator für die Gemeinschaftlichkeit einer potenziellen Elternschaft. Schließlich sollte man sich vor Augen führen, dass auch die Kriterien, die aus dem Partnerschaftsverhalten abzulesen sind, keine Positivliste elterlicher Eignung aufstellen, sondern eher geeignet sind, gewisse Ausschlussgründe zu überprüfen. Zeigt etwa einer der beiden Bewerber ein besonders dominantes Verhalten in der Partnerschaft, so ist zu befürchten, dass es auch um die gemeinschaftliche Sorge für ein Adoptivkind nicht zum Besten stünde. Wenn sich laut diesen Überlegungen auch kein Katalog elterlicher Qualitäten aufstellen lässt, soll zum Abschluss dieses Buches dennoch die Frage gestellt werden, welche konkreten Befähigungen im Zuge der qualifizierten und qualifizierenden (befähigenden) Beratung, die die Adoptionsbewerber durchlaufen, mit erwartbarer Wahrscheinlichkeit zum Gelingen der Adoption beitragen werden. Das Ziel dieser Überlegungen ist nicht eine Positivliste ›durch die Hintertür‹. In Entsprechung zu Kap. 1.3, wo sich in einer Win-Win-Situation Gesichtspunkte möglicher Konvergenz von Kindeswohl und Kinderwunsch zeigten, sollen auch die folgenden Befähigungen aus den Desideraten der Adoptionsberatung entnommen werden, wo sie wie ausgeführt zugleich der Überprüfung der Adoptionsbewerber dienen. Während jedoch die Befähigungen in Kap. 1.3 von der Adoption auf andere Familienformen auszustrahlen vermochten, steht im Folgenden die Besonderheit der adoptiven Elternschaft im Fokus. Das verdient vorab benannt zu werden, denn die Gesichtspunkte, die ich ein wenig entfalten möchte, lassen sich auf Formulierungen bringen, die in durchaus allgemeinmenschlicher und keineswegs adoptionsspezifischer Weise ein Leben von Adoptiveltern als Menschen mit Leib (6.3.1) und Seele (6.3.2) bezeichnen. Inwieweit Adoptiveltern diese
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generellen anthropologischen Bestimmungen auf besondere Weise ausfüllen können, sollen die folgenden Überlegungen erläutern.
6.3.1 Leibliche Kinderlosigkeit In der Beratung von Adoptionsbewerbern sind die Interaktionsformen, mit denen die Bewerberpaare ihre potenzielle elterliche Rolle erproben, wie erwähnt verbunden mit der i. d. R. in einem Lebensbericht festzuhaltenden Reflexion früherer Erfahrungen mit der Eltern-Kind-Interaktion. 292 Diese Erfahrungen betreffen nicht nur die Erziehung, die die Bewerber selbst als Kinder erfahren haben, sondern auch die eigene Geschichte von Partnerschaft sowie partnerschaftlicher Liebe und Sexualität, schon weil das Verhalten in der Paarbeziehung als Indikator für die spätere Ausfüllung der Elternrolle gilt. Es kommt aber hinzu, dass die Reflexion der eigenen Partnerschaft die Bewerber auch mit dem Thema der eigenen ungewollten Kinderlosigkeit konfrontiert, deren Klärung als wichtige Voraussetzung elterlicher Eignung angesehen wird. 293 Zwar wirkt auch diese Klärung wieder vorrangig im Ausschlussmodus: Wenn ein Paar die Unmöglichkeit, selbst Kinder zu bekommen, nicht verarbeitet hat und das potenzielle Adoptivkind als Substitut für ein leibliches Kind betrachtet, stehen die Chancen schlecht, dass es die für eine gelingende Adoption erforderliche Offenheit für die Herkunft des Kindes aufbringen wird. Aus Sicht der Adoptionsvermittlungsstelle kann dies ein K.-o.-Kriterium sein. 294 Die so induzierte Beschäftigung mit der ungewollten Kinderlosigkeit hat aber daneben auch eine positive Funktion, weil sie die Aufmerksamkeit der Bewerber auf ihre Adoptionsmotive lenkt. Die Klärung der Gründe, warum Bewerberpaare ein Kind adoptieren wollen, erscheint vielleicht zunächst wie eine Pflichtübung für die Adoptionsberatung, hat aber auch eine nicht zu unterschätzende ethische Relevanz, die eigene Betrachtung verdient. Wir haben einige der häufigsten und wichtigsten Adoptionsmotive in Kap. 1 bereits gestreift und im Spannungsfeld von Kindeswohl und (elterlichem) Kinderwunsch verortet (Kap. 1.3). Für die sozialphilosophische Betrachtung jenes Kapitels ergab sich eine Win-WinSituation, in der Kinder, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können, vom Kinderwunsch unfruchtbarer Paare profitieren und umgekehrt. In den Adoptionsmotiven scheinen sich die ungewollte Kinderlosigkeit und das altruistische oder philanthropische Ideal, be206 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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nachteiligten Kindern zu helfen, zu ergänzen. Bei näherem Hinsehen werden jedoch manche Inkommensurabilitäten offenbar. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass ein altruistisches Hilfedenken als Adoptionsmotiv von nicht wenigen Vermittlungsstellen skeptisch beäugt wird, was auch ethisch dadurch begründet ist, dass Altruismus schon rein begrifflich (anders als die jüdisch-christliche Vorstellung der Nächstenliebe) keine personale Ausrichtung besitzt und damit im Grunde schlecht zu einer Adoption passt, die von den annehmenden Eltern Offenheit für dieses bestimmte Kind verlangt. Natürlich wird man einwenden, dass auch der Wunsch nach einem Kind ähnlich unpersönlich ist; sogar ein Wunschkind ist von seinen Eltern nicht als dieses Individuum gewollt oder gewünscht worden, weil sie es schlicht nicht kennen konnten, bevor es ins Dasein kam. R. Bittner hat mit diesem nüchternen Argument, aber rhetorisch wirkungsvoll darauf aufmerksam gemacht, dass der Versuch, in der Person des Kindes (womöglich ab Geburt) zwingende Gründe für die elterliche Liebe ausfindig zu machen, zum Scheitern verurteilt ist und entsprechende Redeweisen ethisch nicht belastbar sind. 295 Dem ist für das Thema Adoption zuzustimmen: Liebe, die sich auf zwingende Gründe stützen und folglich mit Gründen erzwungen werden könnte, ist keine Liebe. Vom Begriff des Altruismus bliebe dann nur der Aspekt der Wohltätigkeit übrig; diese ist aber als Adoptionsmotiv zu schwach, da sie vielerlei Hilfsvollzüge zugunsten benachteiligter Kinder einschließt, zu denen gewiss nicht vorrangig, womöglich gar nicht Adoption gehört. Ist damit auch der Kinderwunsch als Adoptionsmotiv desavouiert? Macht man sich die Mühe, beim Adoptionsmotiv ›Kinderwunsch‹ ebenso genau hinzuschauen wie beim Altruismus, so stößt man auf eine wichtige ethische Feinheit. Viele adoptionswillige Paare werden auf die Frage, warum sie ein Kind adoptieren wollen, antworten: »Weil wir kein leibliches bekommen können.« 296 Hört man diesen Satz wörtlich, so enthält er eine sog. Ellipse oder Auslassung, denn in dieser Auskunft wird das eigentlich handlungsmotivierende Moment ausgelassen. Nicht der Kinderwunsch, sondern die ungewollte Kinderlosigkeit, also nicht das Gewünschte, sondern das Un- oder Nichtgewollte soll der Grund für das Adoptionsbestreben sein. Wie ist das zu verstehen? Ich diskutiere zwei Möglichkeiten. Man könnte erstens bei elliptischer Lesart der paraphrasierten Motivangabe folgern, dass die Adoption sogar von denen, die sie anstreben, nur als zweitbeste Lösung zur Behebung eines Mangels 207 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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(Kinderlosigkeit) gewollt wird, aber nicht um ihrer selbst willen. Dies hat Hoffmann-Riem in ihrer wegweisenden Untersuchung für die von ihr interviewten Adoptivfamilien konstatiert. 297 Damit wird adoptiven Eltern attestiert, dass sie die leibliche Familie für erstrebenswerter und in irgendeinem Sinne ›besser‹ halten als die Adoptivfamilie. Zurückhaltender als diese These, die über von Hoffmann-Riems Forschungen hinaus erhebliche Wirkung in der öffentlichen Deutung der Adoption erlangt hat, ist die Feststellung, dass Adoptionsbewerber, die ihre leibliche Kinderlosigkeit als Adoptionsmotiv angeben, jedenfalls unterstellen, dass es gut oder ein Gut ist, Kinder zu haben. Ob dies auf leiblichem Wege ›besser‹ geschieht als adoptiv, kann offen bleiben; entscheidend ist die unterstellte Güte des Familiendaseins, aus der dann auch die Güte, mindestens aber ethische Akzeptanz der Adoption als Weg zu diesem Familiendasein folgt. Doch genau hier liegt das ethische Problem von Adoptionsmotiven, das durch deren eingehende Selbstklärung deutlich werden kann. Die amerikanische katholische Theologin J. M. Bennett, die uns schon in Kap. 2 begegnete, hat die wie selbstverständlich unterstellte Güte der Adoption zum Ausgangspunkt für eine grundsätzliche Kritik der Vorstellung genommen, die Adoption sei, wie es der lateinische Wortsinn (ad-optare) suggeriert, eine Wahl zugunsten des oder der Adoptierten. Den Zusammenhang beider Gesichtspunkte (Güte und Wahl) wird nun klar. Wer es als unbedingtes Gut ansieht, Familie zu haben, wird auch die Adoption als Weg der Familiengründung gutheißen und damit unterstellen, die Ad-option sei auch eine Option, nämlich eine Option der Familiengründung und das Mittel der Wahl bei ungewollter Kinderlosigkeit. Wäre dem so, dann stünde die Adoption in einer Reihe mit den Reproduktionstechnologien, die wir in Kap. 1.7 behandelt haben. 298 Das Ergebnis dieser Behandlung lautete aber durchgängig, dass die Adoption ethische Standards setzt, die die genannten Technologien in ihrem eigenen ethischen Interesse nur übernehmen können – und dass diese Technologien, wenn sie die Adoptionsstandards subjektiv nicht übernehmen wollen (wie derzeit das »Netzwerk Embryonenspende«) oder objektiv nicht übernehmen können (wie die Leihmutterschaft), als ethisch fragwürdig anzusehen sind. Die Adoption fungierte in dieser Betrachtung m. a. W. als ethischer Gradmesser für die assistierte Reproduktion. Das heißt gerade nicht, dass sie wie diese als Mittel der Familiengründung einzuschätzen wäre. Vielmehr wirkt die Adoption gegenüber diesen reproduktionsmedizinischen Familiengründungsmitteln zwecksetzend, indem 208 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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sie ihnen ethische Maßstäbe verschafft. Einer dieser Maßstäbe betrifft das Autonomiekonzept, das uns im Begriff der Reproduktionsautonomie immer wieder begegnete und das sich in der Vorstellung einer selbstbestimmten Entscheidung als Wahlhandeln ausdrückt. Fraglos enthält auch jede Adoption Anteile solchen Wahlhandelns, allerdings kaum auf Seiten der annehmenden Eltern, da bei einer Adoption bekanntlich nicht ein Kind für oder von Eltern ausgewählt wird, sondern Eltern für ein Kind. Die Auswahl wird durch die Vermittlungsstellen getroffen, und zwar, wie in Kap. 3 zusammenhängend dargestellt, durch Matching, bei dem die Bedürfnisse des Kindes und die Vorstellungen der abgebenden Eltern mit den Vorstellungen der als annehmende Eltern zur Verfügung stehenden Adoptionsbewerber in die größtmögliche Übereinstimmung gebracht werden. Adoption kann aufgrund des Matchingvorgangs, der über die Platzierung des zu vermittelnden Kindes entscheidet, zwar als Wahlvorgang beschrieben werden, doch die wählende Beteiligung der annehmenden Eltern beschränkt sich darauf, anzugeben, was für eine Adoptionssituation sie mit ihren eigenen elterlichen Befähigungen für vereinbar halten. Genau betrachtet werden dabei weder Kinder noch Eltern (aus)gewählt, sondern bestimmte Eltern-Kind-Konstellationen, die sich aufgrund der Bedürfnisse des konkreten Kindes ergeben könnten, abgewählt, bis das so ermittelte Bewerberpaar die relativ beste Passung verspricht. Mit einer Wahl im Sinne des Autonomiegedankens hat das wenig und auf Seiten der annehmenden Eltern nichts zu tun; für sie handelt es sich um eine kritische Prüfung ihrer elterlichen Befähigung, die ihnen durch die Adoptionsberatung vermittelt wurde – ganz im Sinne der schon beschriebenen Verknüpfung von Mediation und Überprüfung. Im Ergebnis dieser Kritik am Autonomiegedanken muss man feststellen: Adoptiveltern wählen ihr Kind nicht, sondern nehmen es an und stellen sich auf es ein. Adoptionshandeln ist ein reaktives Handeln. Dies zu beachten, ermöglicht (wie in Kap. 2 schon dargestellt) eine Entlastung von überfordernden Familienkonzepten, die sich aus der Unterstellung ergeben, dass es per se gut sei, Familie zu haben. Die Gefahren der »Idealisierung« wie der »Idolisierung« der Familie (J. M. Bennett) bestehen immer dann, wenn Adoptionsmotive zur direkten Begründung des Adoptionshandelns der annehmenden Eltern dienen sollen. Motive, die auf einem Wunschbild von Familie aufbauen, sind besonders anfällig, weil sie nahe legen, dass der Wunsch bei entsprechendem Engagement zum Gegenstand 209 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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der Wahl wird, sodass man ihm selbsttätig nachstreben kann. Es ist demgegenüber ethisch sensibler, beim Adoptionsbegehren auf die leibliche Kinderlosigkeit als Motiv zu rekurrieren; das entspricht dem immer nur reaktiven, eben annehmenden Handeln der Adoptiveltern am besten. Damit wird neben dem elliptischen Verständnis eine zweite Lesart der verbreiteten Auskunft möglich, dass Paare sich deshalb um eine Adoption bewerben, weil sie kein leibliches Kind bekommen können. Leibliche Kinderlosigkeit ist als solche, da ungewollt, kein familiäres Wunsch- und Idealbild, dessen Realisierung die betroffenen Paare anschließend überfordern müsste, sondern benennt eine Realität, aus der heraus die Bewerber sich der Möglichkeit einer Adoption öffnen: Wäre dieser Mann zeugungsfähig und könnte diese Frau schwanger werden, so gäbe es keinen Grund, an eine Adoption zu denken. Damit ist – im Gegensatz zur elliptischen Lesart dieses Motivs – kein Werturteil darüber verbunden, ob es gut ist oder nicht, Kinder zu haben. In gewisser Weise bleiben Paare, die dieses Motiv für eine Adoption angeben, bei sich selbst stehen, nehmen ihre ungewollte Lage hin und stellen sich aufgrund dieser Voraussetzung die Frage, ob sie Adoptiveltern für ein Kind sein können. Der Wunsch nach einem Kind redet dabei so wenig mit wie der Unwille über die Kinderlosigkeit. Paare in dieser Bewerbersituation stellen sich vielmehr auf beides ein und nehmen damit am ehesten die Haltung ein, die zur adoptiven Elternschaft befähigt. Man kann dann tatsächlich sagen, dass leibliche Kinderlosigkeit eine Befähigung zur adoptiven Elternschaft darstellt – nicht im Sinne einer gesetzlich regelbaren Bedingung (die die Kinderlosigkeit bis zur Adoptionsnovelle 1976 war), sondern als Ausdruck einer geklärten Balance von Kinderlosigkeit und Kinderwunsch. In gewisser Weise treten die betreffenden Paare dann sogar klarer in ihrem Selbst hervor, als es aufgrund eines autonomen Selbstkonzepts möglich wäre. Wie diese adoptionsfähige Haltung des Selbst näher zu beschreiben ist, soll der folgende Abschnitt erörtern.
6.3.2 Seelische Uneitelkeit Die Beschäftigung mit den eigenen Adoptionsmotiven kann potenziell annehmenden Eltern besonders gut vor Augen führen, dass sie mit der Annahme eines Kindes kein neues Familienmitglied aus- oder 210 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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hinzuwählen (ad-optieren), sondern sich auf ein Kind einstellen, das schon da war, ehe es sie zur Familie gemacht hat. Adoption – das kann niemanden überraschen – ist auf Seiten der annehmenden Eltern buchstäblich eine Frage der Einstellung. Was die Einstellung des Sich-Einstellens auf ein Kind jedoch für die Adoptiveltern mit sich bringt, scheint erstaunlich selten gefragt zu werden. Es liegt einigermaßen auf der Hand, was aus dieser Einstellung folgt, nämlich insbesondere die Fähigkeit zur Offenheit (Kap. 1.3.1), die für das Gelingen von Adoptionen unabdingbar ist. Davon unterscheidet sich jedoch die Frage, was diese Einstellung immer schon mit sich bringt. Anders gesagt: Wenn adoptierendes Handeln auf Seiten der annehmenden Eltern reaktives Handeln ist, was in ihnen (nicht auf Seiten des Kindes) löst dann diese Reaktion aus? Wir fragen damit nach der Gesamtverfasstheit der Eltern, die sie zur Annahme eines Kindes befähigt; wir fragen nach ihrem ›adoptiven Selbst‹ und bedienen uns dazu des klassischen anthropologischen Platzhalters für das Selbst, nämlich der Seele. Besser als das Konzept des Selbst bringt der Begriff der Seele zum Ausdruck, dass die gesuchte anthropologische Gesamtverfasstheit nicht in einem Prinzip menschlicher Selbstbewegtheit aufgeht. So sehr die Seele auch das ist, weil sie das Prinzip aller Bewegung des Leibes bildet, 299 ist sie doch darüber hinaus auch der Resonanzraum eines von ihr verschiedenen Gegenübers, an dem sie sich überhaupt erst als Selbstbewegung erfährt. 300 Die Unsterblichkeit der Seele, die philosophisch den Ausgangspunkt alles Nachdenkens über die Seele darstellt, ist – unabhängig davon, ob ihr Begriff als religiöse Ewigkeit gefüllt oder bloß als unendliche Dauer verstanden wird – zuallererst Ausdruck dieses für die Seele lebensnotwendigen Gegenübers. Ohne es und damit ohne die Möglichkeit der Erfahrung könnte die Seele zwar vielleicht ohne Ende sein, sie verlöre aber ihren Anfang, weil sie ohne Erfahrung nicht mehr Prinzip (lat. principium = Anfang) der Selbstbewegtheit wäre, die immer als Bewegung muss erfahren werden können. M. a. W. der Begriff der Seele schließt das in der Rede vom Selbst lauernde Missverständnis aus, als ob die gesuchte Gesamtverfasstheit menschlichen Daseins ohne ein distinktes Gegenüber auskommen, also reine Selbsttätigkeit oder Autonomie sein könnte. Kehren wir von diesem kurzen Ausflug in die Metaphysik zur Situation annehmender Eltern zurück, so ist auf das Forschungsprojekt zur Ethik der Adoption zu verweisen, das J. Swinton und B. Brock am Centre for Spirituality, Health and Disability der Uni211 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
versität Aberdeen seit 2010 veranstaltet haben. Die 2018 veröffentlichten Forschungsergebnisse dieses Projekts machen eine Reihe von Vorschlägen, wie der ›Resonanzraum‹ beschrieben werden kann, der gegeben sein muss, damit Adoptionsbewerber die seelische Resilienz entwickeln, die für eine gelingende Kindesannahme erforderlich ist. Unter den Vorschlägen sind dezidiert theologische Konzepte wie das der Schöpfung, das den Ursprung der Seele im göttlichen Schöpfer bezeichnet und damit gewährleistet, dass Adoptiveltern ihre Kinder nicht als ihre Geschöpfe, sondern als ihnen zu einem gemeinsamen geschöpflichen Leben anvertraut betrachten. 301 Auch psychologische Konzepte wie das der sozialen Gruppenidentität nach H. Tajfel sind vertreten, 302 um die Gesamtverfasstheit annehmender Eltern offen für die Herkunftsfamilie ihres Kindes zu halten, die dann im Sinne der Theorie als Gruppe verstanden werden kann. Über die Fächergrenzen hinweg werden hermeneutische Modelle diskutiert wie das der identitätsbildenden »story«, das erklärt, wie Adoptiveltern ihre seelische Gesamtverfasstheit gerade durch die Geschichte formen, die sie mit ihrem Kind verbindet. 303 Was all diese Vorschläge vereint, ist eine gewisse seelische Uneitelkeit. Sie gibt nicht nur allen Vorstellungen elterlicher Selbstverwirklichung im Kind den Abschied – ein solcher Abschied ist, wie in Kap. 6.1 gesehen, auch für leibliche Eltern unabdingbar. Die fragliche Uneitelkeit reicht weiter und entzieht auch jeder Auffassung den Boden, die Elternschaft als ein »Lebensprojekt« begreifen will. Das betrifft die Selbstweitergabe, die für jede Elternschaft grundlegend ist, aber bei Adoptiveltern ohne genetische Basis bleiben muss; salopp gesagt: Wer ein Kind adoptieren will, darf keine großen Stücke auf sein »eigen Fleisch und Blut« halten. Der Drang, die eigenen Gene weiterzugeben, der evolutionsbiologisch den stärksten Antrieb zur Fortpflanzung und Arterhaltung darstellen soll, ist bei einer Adoption nicht nur nichts wert, sondern schadet eher. Adoptionsbewerber sollten die Elternschaft, die sie anstreben, aber auch deshalb nicht als Lebensprojekt begreifen, weil sie es ab dem ersten Beratungsgespräch hinnehmen und annehmen müssen, dass ihr privates Leben dem prüfenden Blick professioneller Adoptionsvermittlerinnen und -vermittler ausgesetzt wird. Dass ein solcher Eingriff in die Privatsphäre gerade im Vergleich mit leiblichen Eltern, die nichts Vergleichbares erdulden müssen, ein Ausdruck von Befähigungsgerechtigkeit sein soll, weil er den potenziellen Adoptiveltern Fähigkeiten zur Elternschaft gegenüber Kindern vermittelt, die nicht ihre leiblichen sind, 212 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Welche besonderen Befähigungen brauchen Adoptiveltern?
wird nur akzeptieren, wer in einem grundlegenden Sinne seelisch uneitel ist. Die erforderliche Auseinandersetzung mit eigener ungewollter Kinderlosigkeit, auch in der relativen Öffentlichkeit der Adoptionsberatung, wo dies kränkend wirken kann, gehört ebenfalls zur seelischen Uneitelkeit, die insgesamt ein gesundes Maß an Frustrationstoleranz einschließt. Uneitelkeit kennzeichnet die Gesamtverfasstheit annehmender Eltern aber auch noch in einem abschließenden Sinn, der auf die besonders im religiösen Barock wirksam gewordene Bedeutung des Ausdrucks ›eitel‹ als ›vergeblich‹ bezogen ist. Damit ist gemeint, dass die Adoptionsberatung auch dann nicht eitel oder vergeblich ist, wenn sie erfolglos bleibt, also kein Kind da ist, für das diese Bewerber als Elternpaar in Betracht kämen und diese folglich allein bleiben. Man erkennt an diesem belastenden Fall den Abstand der Adoption von einem jeglichen »Lebensprojekt« der Elternschaft vielleicht am deutlichsten. Wenn Lebensprojekte nicht zur Ausführung gelangen, kommt das einem im Ganzen gescheiterten Leben gleich. Würde die Adoption zu einem solchen Projekt stilisiert, das über Wohl und Wehe der Bewerber in ihrem ganzen Leben entscheidet, so wäre das schon angesichts der statistischen Aussichten, als Bewerber tatsächlich in den Genuss einer Vermittlung zu kommen, fatal. Leider muss man feststellen, dass bestimmte Reproduktionstechnologien, die sich gerade auch Adoptionsbewerbern anfangs (unsachgemäßerweise) als Alternative oder Konkurrenz zur Adoption darstellen können, den Anschein eines solchen »Projekts« erwecken können. Die ebenso eng wie streng getakteten Abläufe, die etwa das IVF/ICSI-Regime seinen Nutzerinnen bis weit in deren Alltag und Privat- sowie Intimleben vorgibt, können allein durch die damit verbundene Geschäftigkeit den Eindruck erwecken, hier werde Elternaspiranten die Möglichkeit geboten, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Das ist angesichts der statistischen Erfolgschancen auch dieser Praktiken eine Täuschung, die als Enttäuschung umso bodenloser ausfallen kann, je weniger die Anbieter dieser Technologien ein Scheitern derselben aufzufangen wissen und dann die Betroffenen mit ihrer seelischen Not allein lassen. 304 Es soll nicht verschwiegen werden, dass auch die Adoptionsbewerbung analoge Nöte hervorrufen kann, besonders wenn nach einer zustande gekommenen Vermittlung die abgebende Mutter ihre noch nicht notariell fixierte Zusage zurückzieht und das Kind zu sich nimmt. 305 Ein grundlegender ethischer Unterschied scheint mir aber 213 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Die annehmenden Eltern
darin zu bestehen, dass die Adoption kein Projekt zur Familiengründung, sondern in aller Regel durch leibliche Kinderlosigkeit motiviert ist (6.3.1). Scheinbar ist diese Motivbestimmung rein negativer Art: Sie bestreitet eine qualifizierte Wahlmöglichkeit für Adoptiveltern und betrachtet die bloße Abwesenheit von Kindern als hinreichenden Grund für das Bestreben, ein solches zu adoptieren. Tatsächlich ist Kinderlosigkeit als Motivation adoptiver Elternschaft jedoch von eminent positiver Art, wie sich im Folgenden am Begriff der Selbstweitergabe zeigen lässt, der im Zentrum unserer begrifflichen Erörterung der Elternschaft stand (6.1). Der positive Sinn leiblicher Kinderlosigkeit verbindet sich dabei mit einem ebenso positiven Sinn von seelischer Uneitelkeit. Bekanntlich können Adoptiveltern von sich selbst ihren Kindern nur immaterielle Güter weitergeben wie ihre Überzeugungen oder gewisse ethische Orientierungen. Sie geben damit aber tatsächlich etwas von ihrem Selbst oder, wie wir nun sagen können, ihrer Seele weiter. Wenn wir nun die seelische Verfasstheit von Adoptiveltern durch den Begriff der Uneitelkeit charakterisiert haben, so stand dabei eine bestimmte Einstellung im Vordergrund. Die in diesem Sinne uneitle Seele lässt sich von den bei einer Adoptionsbewerbung zu erwartenden Ein- und Angriffen in die Privatheit oder auf den Stolz, die nach gängiger Auffassung die Haltung von Eltern im Verhältnis zu ihren Kindern prägen, nicht beeindrucken oder niederdrücken. Uneitel ist eine solche Seele, weil sie das, was sie in einer zukünftigen Elternschaft von sich selbst an ihre Kinder weiterzugeben hofft, ohnehin nicht sich selbst zuschreibt. Jeder Privatanspruch oder Stolz auf das, was Eltern von sich selbst weitergeben, ist einer uneitlen Seele also ohnehin fremd; was sie weitergibt, hat sie vielmehr selbst empfangen. Wir können mit dieser Überlegung auf das Ergebnis von Kap. 2 dieses Buches zurückgreifen, wo der Glaube an ein göttliches Angenommensein als religiöse Befähigung zur gelingenden Annahme von Kindern erschien. Die Vorstellung seelischer Uneitelkeit transportiert einen ganz ähnlichen Gedanken: Kinder annehmen zu können, setzt voraus, dass die potenziellen Adoptiveltern sich selbst, ihre seelische Gesamtverfasstheit als etwas Empfangenes annehmen und bejahen können. Der religiöse Anklang, der zwischen der Vorstellung »seelischer Uneitelkeit« in diesem Kap. 6 und dem ausdrücklich religiösen »tieferen Sinn« der Adoption in Kap. 2 schwingt, ist durch die Sache bedingt. Es würde nicht ausreichen, von einem uneitlen Selbstbewusst214 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Welche besonderen Befähigungen brauchen Adoptiveltern?
sein potenzieller Adoptiveltern zu sprechen, weil der Begriff des Selbst, wie schon angedeutet, nicht die Konnotation eines Resonanzraums für ein distinktes Gegenüber enthält, die aber für die Seele als Gesamtverfasstheit des menschlichen Lebens konstitutiv ist. Ohne ein solches Gegenüber kann die Seele nicht das Prinzip menschlicher Selbstbewegtheit sein. Ohne ein solches Gegenüber, von dem sie sich selbst empfängt, hätte die Seele daher auch nichts von sich selbst weiterzugeben. Für die Adoptionsethik ist dabei nicht entscheidend, ob dieses Gegenüber der Seele als göttlicher Schöpfer aufgefasst wird, wie es in der christlichen Religion der Fall ist. Eine religiöse oder spirituelle Grundierung der seelischen Uneitelkeit wird jedoch nicht in Abrede zu stellen sein. Das aber heißt, dass neben allen in diesem Kapitelabschnitt erörterten Faktoren auch die religiöse Spiritualität eine wichtige Befähigung zu einer gelingenden Kindesannahme darstellt. Paare, die ein Kind adoptieren wollen, müssen ihre eigene Gesamtverfasstheit religiös oder spirituell begreifen können, um dem Kind, das sie möglicherweise annehmen, etwas von sich selbst weitergeben können, das sie selbst auch nur empfangen haben. Sie müssen in der Lage sein, das Geschenk des Lebens ihrem Kind begreiflich zu machen, das selbst wie ein Geschenk zu ihnen gekommen ist. Das setzt auf Seiten der Eltern eine uneitle Seele, es setzt Spiritualität und Religion voraus. Die spirituelle Qualität seelischer Uneitelkeit hat aber noch eine weitere Bedeutung angesichts dessen, dass längst nicht alle Adoptionsbewerber tatsächlich ein Kind annehmen. Dass das Leben in der Hoffnung auf Elternschaft auch dann nicht eitel oder vergeblich ist, wenn diese Hoffnung sich nicht erfüllt, dürfte ebenfalls am ehesten einer religiösen Seele eingängig sein, die nicht nur das Leben von Kindern, sondern auch ein um diese wesentliche Hoffnung des Erwachsenseins gebrachtes Leben als Geschenk annehmen und bejahen kann.
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Anmerkungen
Die sehr empfehlenswerte Sachbuchdarstellung von Barbara Sichtermann/Claus Leggewie, Das Wunschkind. Adoption und die Familie von heute, München 2003 enthält de facto eine Menge ethischer Urteile zu wichtigen Fragen rund um die Adoption, ist aber keine ethische Untersuchung, sondern im ganzen kultur- und gesellschaftstheoretisch ausgelegt und eher essayistisch geschrieben, was die Lektüre besonders eingängig macht. – Gut begründete ethische Urteile zu vielen Aspekten der Adoption finden sich auch in dem Werk von Peter Hillegaart (Hg.), Adoption – Kindeswohl und Kinderwunsch (Beiträge sozialer Arbeit der Diakonie, Bd. 2), Stuttgart 1990, dem allerdings als Sammelband der Impetus einer zusammenhängenden Darstellung der mit dem Thema Adoption gegebenen Problemkonstellation naturgemäß abgeht. 2 Die Kulturgeschichte der Adoption ist noch nicht hinreichend im Zusammenhang erforscht, geschweige denn handbuchartig dargestellt worden. Nützliche Hinweise, auf die sich auch meine Darstellung stützt, bietet aber der Überblick in der vom Bundesfamilienministerium zur Zeit des ersten Kabinetts Kohl in Auftrag gegebenen empirischen Adoptionsstudie, die von Forscherinnen und Forschern der seinerzeitigen Gesamthochschule Essen (inzwischen aufgegangen in der Universität Duisburg-Essen) durchgeführt wurde, vgl. Egon Golomb/Helmut Geller, Adoption zwischen gesellschaftlicher Regelung und individuellen Erfahrungen (Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften, Bd. 6,1), Essen 1992, 55–84. (Diese Studie ist als qualitative Forschung wegen ihrer ausführlichen Fallinterpretation trotz inzwischen fraglos veränderter Methodendiskussion weiterhin aufschlussreich.) Die Autoren gehen von einem traditionell ethnologischen Zugang aus, fokussieren dann aber auf das europäische Traditionsgebiet mit einzelnen Bemerkungen zu verschiedenen Religionen. Zumindest Ansätze zu einer religionsvergleichenden Sicht bieten die theologischen Beiträge zu Judentum (M. J. Broyde) sowie römisch-katholischem (L. S. Cahill) und protestantischem Christentum (S. G. Post) in dem Band: Timothy P. Jackson (Hg.), The Morality of Adoption. Social-Psychological, Theological, and Legal Perspectives (Religion, Marriage, and Family), Grand Rapids (Michigan) 2005, hier 128–187. 3 Für den biblischen Bereich vgl. die Spezialuntersuchung von James M. Scott, Adoption as sons of God. An exegetical investigation into the background of υἱοθεσία in the Pauline corpus (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, Bd. II/48), Tübingen 1992. 4 Nicht alle Reproduktionstechnologien führen zu gespaltener Elternschaft. Die In-vitro-Fertilisation und ihre Weiterentwicklungen sind darauf der Technologie nach, die sich ursprünglich an grundsätzlich fruchtbare (Ehe-)Paare wendet, nicht 1
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Anmerkungen angelegt und werden deshalb hier nicht eigens zum Vergleich herangezogen. Auch die sequentielle Elternschaft, die in Stieffamilien oder anderen Formen der Wiederverpartnerung von Elternteilen nach einer Trennung vor allem als ein Problem der Wahrnehmung von Erziehungsaufgaben (›soziale Elternschaft‹) auftritt, bleibt hier außer Betracht, weil sich ihr ethisches Problempotenzial vor allem aus der vorangegangenen Trennung ergibt und jedenfalls auf der Ebene der Partnerschaft zu suchen ist. Bei sequentieller Elternschaft liegt also kein originär elternschaftliches Problem vor. 5 Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben [amerik. 1958; dt. 1960] (Serie Piper, Bd. 217), München 1981, 30 brandmarkt das »tiefe Mißverständnis«, das dem ganzen christlichen Mittelalter bei der Rezeption der antiken (aristotelischen) Gesellschaftsauffassung unterlief, als das Politische mit dem Sozialen gleichgesetzt wurde und z. B. bei Thomas von Aquin eine Analogie zwischen dem »Oberhaupt eines Haushalts« und dem »Oberhaupt eines Königreiches« behauptet wurde. 6 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht (suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Bd. 163), Frankfurt 1976, 42–64, hier 60: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« Dass das Theorem bei Böckenförde selbst auf individuelle und gemeinschaftliche Moral, womöglich ein bestimmtes Ethos, setzt, die Religionen aber von der Gewährleistung jener Voraussetzungen eher ausgeschlossen sieht, muss erwähnt werden. 7 Auf evangelischer Seite ist z. B. auf die Familiendenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland von 2013 (Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2013, z. B. 77–87 = Ziff. 60–70) zu verweisen, die mit dem Leitbegriff einer Care-Ethik arbeitet, um die nicht dem gewöhnlichen Arbeitsmarkt zuzuordnenden Arbeiten und Leistungen zu erfassen, die Familien auf dem Gebiet von Sorge und Fürsorge erbringen. Auf katholischer Seite ist die im Zweiten Vatikanischen Konzil in einer Vielzahl der Konzilsdokumente ausgeführte Lehre vom sog. Laienapostolat hervorzuheben, der wesentlich von den Familien mit wahrgenommen wird, die dadurch die katholische Wahrheit in der Welt promulgieren (vgl. z. B. die dogmatische Konstitution über die Kirche »Lumen Gentium«, Ziff. 35 = Heinrich Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping hg. von Peter Hünermann, Freiburg 371991, Nr. 4161). 8 Ich reformuliere mit diesen Überlegungen die in der Praktischen Philosophie gängige Unterscheidung von Gerechtem und Gutem (»the right and the good«), vermeide aber den Begriff des Guten, der in der Theoriedebatte meist – ob zu Recht, kann hier offen bleiben – mit kontextinvarianten Moralkriterien assoziiert wird. Für den sozialphilosophischen Theorietypus ist die Frage entscheidend, ob der Begriff der Gerechtigkeit, der seit J. Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit (1971, dt. 1975) im Zentrum der Debatte steht, lediglich als Erreichung eines zuvor schon definierten Guten bestimmt wird (so die »teleologischen« Ethikmodelle nach der Einteilung des analytischen Philosophen W. K. Frankena) oder nicht. Meine Unter-
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Anmerkungen scheidung liberaler von konservativen Theorietypen am Leitfaden der Frage, inwieweit vorrechtliche Orientierungen der Modifikation zugänglich sind, nimmt diese entscheidende Frage auf. 9 Vgl. zum Folgenden Reiner Anselm, Von der Öffentlichkeit des Privaten zu den individuellen Formen familialen Zusammenlebens. Aspekte für eine evangelische Ethik der Familie, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik, Bd. 51, Jg. 2007, 292–305. 10 Vgl. Immanuel Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren? [1786], in: ders., Werke in zwölf Bänden, hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt 1968, Bd. 5, 265– 283. 11 Mit dieser Feststellung soll die Familie keineswegs zum (klein-)bürgerlichen Idyll verklärt werden. Auch als sozialphilosophisches Grundlagenphänomen sind Familien in ihren konkreten Beziehungsgefügen insoweit fragile Gebilde, als Konflikte in ihnen unausweichlich sind. Die Aussage, dass Konflikte in der Familie nicht Regel, sondern Ausnahme sind, erklärt sich aber einfach dadurch, dass Familien, in denen der Konflikt die Regel ist, die Tendenz zum Zerbrechen aufweisen. Zur Regel wird der Konflikt für gewöhnlich dann, wenn der Familie Strategien zu seiner erfolgreichen Bearbeitung fehlen. 12 Die Novelle betraf neben der Neufassung der Adoptionsparagraphen im BGB insbesondere die Schaffung des Adoptionsvermittlungsgesetzes (AdVermiG) vom 02. 07. 1976, mit dem öffentliche Vermittlungsstellen, die freilich auch vorher schon agiert hatten, obligat für das Zustandekommen der Adoption wurden. Das gleichzeitig verabschiedete Adoptionsgesetz regelte nur Übergangsfragen. 13 § 1741 BGB lautet i. d. F. vom 01. 01. 1900: »(1) Wer keine Abkömmlinge hat, kann durch Vertrag mit einem Anderen diesen an Kindesstatt annehmen. (2) Der Vertrag bedarf der Bestätigung durch das zuständige Gericht.« Vorausgesetzt sind also i. d. R. erwachsene Adoptierte. Das änderte sich freilich schon vor der großen Adoptionsnovelle, als i. d. F. vom 01. 07. 1970 die Kindesadoption zum gesetzlichen Regelfall wurde. 14 So jedenfalls beim exklusivistischen Paradigmenbegriff, den Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen [amerikanisch 1962], Frankfurt 1967 als wissenschaftstheoretische Kategorie in die Debatte eingeführt hat. Kuhns Standardbeispiel lautet, dass die Newton’sche Mechanik mit der Quantenmechanik unvereinbar ist. 15 Durch Verbot der Abtreibung und Verbannung von Verhütungsmitteln erzwang das Regime 1966 eine starke Bevölkerungszunahme. Der Vorgang erreichte in Deutschland eine größere Öffentlichkeit durch den Fernsehfilm von Florin Iepan, Das Experiment 770. Gebären auf Befehl, den der Fernsehsender Arte am 12. 01. 2005 ausstrahlte. Auf den Vorgang kommt Kap. 3.4 dieses Buches zurück. Die auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder bezogene Adoptionsforschung nahm nach 1990 durch die Beschäftigung mit dem Ergehen der rumänischen Heimkinder, die jene diktatorische Vorgehensweise produzierte, einen wichtigen Aufschwung. Führende Adoptionsforscher in diesem Zusammenhang waren und sind N. Rutter und R. Hoksbergen. 16 Im Rahmen der in Anm. 2 erwähnten Essener Adoptionsstudie äußerten die befragten Adoptionsvermittlerinnen und -vermittler starke Vorbehalte gegenüber altruistischen oder sozialkaritativen Adoptionsmotiven, die sie als nicht authentisch einstuften, sondern eher als Selbstbewerbung zur Erhöhung der Vermitt-
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Anmerkungen lungschancen abbuchten, vgl. Angelika Wittland-Mittag, Adoption und Adoptionsvermittlung. Selbstverständnis von Adoptionsvermittlerinnen und -vermittlern (Sozial-, Politk- und Wirtschaftswissenschaften, Bd. 6,3), Essen 1992, hier 187. 17 Vgl. zum Folgenden: Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung, 7., neu bearbeitete Fassung 2014, beschlossen auf der 117. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter vom 12. bis 14. November 2014 in Schwerin, online: http://www.bagljae.de/downloads/120_empfehlungen-zur-adoptionsver mittlung_2014.pdf (27. 06. 2018). 18 Damit gebe ich die These wieder, die Christa Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind. Familienleben mit doppelter Elternschaft (Übergänge, Bd. 8), München 1984 unter Verwendung einer 1946 von René König geprägten Formel (»doppelte Elternschaft«) in die Forschung eingebracht hat. (Diese Untersuchung, die in einer philosophisch-phänomenologischen Schriftenreihe erschienen ist, wurde bei Erscheinen für ihre methodische Implementierung des Erzählinterviews in die Familiensoziologie gelobt und ist trotz ihres Alters über Fächergrenzen hinweg wegen der Tiefe und Tragweite ihrer Interpretationen weiterhin bedeutsam.) 19 Vgl. hierzu z. B. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 38–40. Volker Krolzik, Konfessionelle Pflegekinder- und Adoptionsdienste im Wandel, in: Jacqueline Kauermann-Walter/Volker Krolzik (Hg.), Pflegekinder- und Adoptionsdienste – Lebens- und Wesensäußerung der Caritas und Diakonie (Wittlaerer Reihe, Bd. 2), Idstein 1996, 20–29, insbesondere 21 f. weist auf die pionierartige Rolle der konfessionellen Adoptionsvermittlung bei der halboffenen Adoption in den 1970er Jahren hin. Als Schrittmacher für eine offene Adoption tritt z. B. Haro Schreiner, Adoption – warum nicht offen?, Idstein 1993 auf. 20 Das auf Initiative des dritten Kabinetts Merkel gegründete Expertise- und Forschungszentrum Adoption (EFZA) beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) schlägt in seinem Dossier »Adoptionen in Deutschland« vor, von »Adoptividentität« zu sprechen (Dossier Adoptionen in Deutschland. Bestandsaufnahme des Expertise- und Forschungszentrums Adoption, hg. vom Deutschen Jugendinstitut, München 2017, online: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2017/EFZA_dossier_ lang.pdf [03. 07. 2018], 90 f.), um die Besonderheit der Faktorenkonstellation zum Ausdruck zu bringen, die im Falle eines adoptierten Individuums in die Identitätsbildung einfließt. M. E. sagt aber der hier verwandte (psychologische) Begriff der Identität immer schon Fallbesonderheit aus, so dass die Näherbestimmung dieser Identität als »adoptiv« eher irreführende Assoziationen weckt. Vor allem legt der Ausdruck nahe, die Identität sei in dieser Hinsicht maßgeblich durch das Adoptiertwerden und nicht genauso durch das Freigegebenwerden zur Adoption bestimmt. Letzteres ist aber trotz der asymmetrischen Konstellation zwischen abgebender und annehmender Familie der prägende Herkunftsfaktor, auf den sich auch die Adoption selbst beziehen muss. 21 Den Gründen für die seltene Umwandlung (nur 3 % der Adoptionen gehen aus einer Pflege bei denselben Eltern hervor: [Ina Bovenschen/Paul Bränzel/Sabine Heene/Fabienne Hornfeck/Selina Kappler/Heinz Kindler/Maria Ruhfaß,] Empfehlungen des Expertise- und Forschungszentrums Adoption zur Weiterentwicklung des deutschen Adoptionswesens und zu Reformen des Adoptionsrechts [hg. vom DJI], 2017, 83) ging das EFZA nach (85 f.) mit dem Ergebnis, dass bei den Betei-
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Anmerkungen ligten divergente Interessen bestünden: Leibliche Eltern scheuen womöglich die Adoption wegen ihrer Endgültigkeit; annehmende schrecken vor der Umwandlung einer Pflege in eine Adoption wegen des einhergehenden Verlusts des Pflegegeldes zurück; Vermittlungsstellen propagieren die Umwandlung nicht. 22 Diese These steht (mit vermittlungstheoretischer Begründung) im Zentrum meines Aufsatzes: Henning Theißen, Evangelische Offenheit im Interesse des Kindeswohls. Adoption als Thema der theologischen Ethik, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik, Bd. 58, Jg. 2014, Heft 2, 124–135. Mir waren seinerzeit die Beiträge von D. M. Brodzinsky noch nicht bekannt, der mit entwicklungspsychologischen Argumenten in einem ganz vergleichbaren Sinne für Offenheit in der Adoption plädiert und damit ebenfalls nicht nur die Frage der Adoptionsform meint. Vgl. David M. Brodzinsky, Reconceptualizing Openness in Adoption. Implications for theory, research, and practice, in: David M. Brodzinsky/Jesús Palacios (Hg.), Psychological Issues in Adoption. Research and Practice, Westport (Connecticut) 2005, 145–166. 23 Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind, 226 f., die den Sachverhalt grundlegend reflektiert, meint, die Eltern begäben sich ohne Not in eine defensive Position, obwohl ihnen gerade bei der Aufklärung die Initiative gebühre, um Offenlegungen von Seiten Dritter zuvorzukommen. 24 Ich spreche mit dem juristischen Terminus des § 1747 BGB von einer »Einwilligung«, wenn die notariell beurkundete Erklärung der leiblichen Eltern gemeint ist, aber von »Freigabe«, wenn es sich um die vorangehende Entscheidung dafür handelt, die bereits die Platzierung des Kindes in der annehmenden Familie auszulösen vermag. Letztere ist ethisch das fundamentalere Datum, obwohl im Erleben der Beteiligten wie auch in rechtlicher Hinsicht die Einwilligung schwerer wiegt. Das liegt daran, dass die Einwilligung unwiderruflich ist und stets konkret auf eine bestimmte annehmende Familie zielt (wenngleich diese für die Abgebenden meist inkognito bleibt); eine »Blanko-Freigabe« zur Adoption gibt es juristisch und praktisch nicht. 25 Roland Schleiffer, Fremdplatzierung und Bindungstheorie, Weinheim 2015, 198 schreibt zutreffend, dass es eine Hauptverantwortung von Adoptiveltern sei, ihrem Kind eine plausible Geschichte über seine Herkunft anzubieten. 26 So Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 47; 67. 27 Vgl. zu dieser Problematik z. B. Schleiffer, Bindungstheorie, 156–162 (am Beispiel von Pflegekindern) oder Adoptionen in Deutschland, hg. vom DJI, 80–85 (am Beispiel von Adoptivkindern). 28 Vgl. hierzu aus juristischer Sicht Monika Pfaffinger, Geheime und offene Formen der Adoption. Wirkungen von Informationen und Kontakt auf das Gleichgewicht im Adoptionsdreieck (Zürcher Studien zum Privatrecht, Bd. 198), Zürich 2007, 404–411. Generell plädiert Pfaffinger für die halboffene Adoption als künftige Regelform (a. a. O., 472). 29 Dies wird mit Gründen einer teleologischen Ordnungsethik energisch bestritten von Brent Waters, Belonging. A Theological and Moral Inquiry into Adoption, in: John Swinton/Brian Brock (Hg.), A Graceful Embrace. Theological Reflections on Adopting Children (Theology in Practice, Bd. 4), Leiden 2018, 57–68, hier 67 f. 30 Die Studie von Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind, beschreibt den Erlebnisweg annehmender Eltern vom dem seitens der betreffenden Paare erwarteten
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Anmerkungen »Normalitätsmuster« (26) leiblicher Kernfamilie aus als »Verlaufskurve weg vom Normalitätsmuster« (27) und kann deshalb später die Eltern-Kind-Beziehung in der Adoptivfamilie unter der Leitperspektive der »Normalisierung« beschreiben: Wie gelangen Adoptivfamilien dazu, sich selbst als Familien zu begreifen? Hoffmann-Riem kommt zu dem Ergebnis, dass mit der »Normalisierung als ob«, die am Schema der leiblichen Kernfamilie hängen bleibt, und der (von Hoffmann-Riem favorisierten) »Normalisierung eigenen Typs«, die sich als Normvariante begreift, zwei grundsätzliche Formen von Adoptivfamilien existieren, deren Unterscheidbarkeit mit der Bereitschaft und Praxis der sog. Adoptionsaufklärung korreliert sei (vgl. zusammenfassend 260–262). 31 Ich beziehe mich zum einen auf die Angaben des Münchner Reproduktionsmediziners Ulrich Noss, Möglichkeiten und Grenzen der In-vitro-Fertilisation. Einblick in die Praxis der assistierten Reproduktionsmedizin, in: Stephan E. Müller/Ingolf Schmid-Tannwald/Otto P. Hornstein (Hg.) Unerfüllter Kinderwunsch. Assistierte Fortpflanzung im Blick von Medizin und Ethik (Glaube und Ethos, Bd. 5), Berlin 2008, 9–40. Eher etwas ungünstigere Zahlen ergibt zum anderen die jüngere Aufstellung von Heribert Kentenich/Alexander Jank/Claus Sibold/Andreas Tandler-Schneider, Aktueller Stand der Reproduktionsmedizin, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, Bd. 62, Jg. 2016, Heft 2, 75–89, hier 77, die ca. 32 % Schwangerschaftsrate nach IVF/ICSI die Geburtenrate von ca. 20 % gegenüberstellt. Aus diesen Quoten bestimmt sich übrigens die herkömmlicherweise von den gesetzlichen Krankenkassen gegenfinanzierte Anzahl von Behandlungszyklen: Wenn die Geburtenwahrscheinlichkeit nach Embryonentransfer bei einem Viertel liegt, sind statistisch gesehen vier Behandlungszyklen nötig, um ein Kind zu bekommen. 32 Die Angabe entstammt dem Dossier Adoptionen in Deutschland, hg. vom DJI, 12. 33 Diese in solenner Form insbesondere im päpstlichen Lehrschreiben Johannes Pauls II. Donum vitae (1987) fixierte Auffassung liegt auch noch dem (theologischen) Ethikkonzept zugrunde, das sich mehrheitlich in dem in der vorvorigen Anm. erwähnten Band Müller/Schmid-Tannwald/Hornstein (Hg.), Unerfüllter Kinderwunsch artikuliert. Dabei greift Donum vitae für die zitierte Einheitlichkeitsvorstellung übrigens auf Äußerungen von Pius XII. aus dem Jahre 1951 zurück. Die neuere lehramtliche Publikation Dignitas personae (= Veröffentlichungen des Apostolischen Stuhls, Bd. 183, 2008) nimmt diesen Ansatz nicht zurück, lässt aber in stärkerem Maße nichttheologische Problemfaktoren zur Geltung kommen. Übrigens ist mit diesen Bemerkungen von meiner Seite aus keineswegs ein »Bashing« katholischer Sexual- und Familienethik beabsichtigt, sondern vielmehr der problematisierende Hinweis auf eine m. E. generell fragwürdige Moralisierung der besonderen Situation familienethischer Normvarianten. Ganz analoge Probleme zeigen sich auch in anderen christlichen Konfessionen, etwa bei dem hoch angesehenen theologischen Ethiker D. S. Browning. Brownings Adoptionsethik zielt auf eine christliche Liebespflicht zur Adoption elternloser Kinder in Analogie zur leiblichen Familie und stützt sich zu diesem Zweck durchgehend auf naturrechtliche Argumente, die neben einem Vorrang der »intakten« und »ehelichen« Familie (Don S. Browning, Adoption and the Moral Significance of Kin Altruism, in: Jackson [Hg.], Morality of Adoption, 52–77, hier 55 f.) insbesondere sog. »premoral
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Anmerkungen goods« umfassen. Zu ihnen zählt Browning »kin altruism« (58), also die mit Argumenten evolutionärer Psychologie abgestützte Annahme einer Form von Nächstenliebe (altruism), die sich natürlicherweise auf Verwandte (kin altruism) richte. Problematisch erscheint mir daran die Verknüpfung der Adoptionsethik mit einer Diagnose familienethischen Sittenverfalls. 34 Vgl. Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind, 30; 33. 35 Auf den ganzen ethischen Themenkomplex der Regenbogenfamilie geht Kap. 1.6 näher ein. 36 Ich nenne nur ein Beispiel aus dem Adoptionsrecht. Derzeit können leibliche Väter, die sich nicht rechtlich die Sorge für das zu vermittelnde Kind mit dessen Mutter teilen, vorgeburtlich in eine Adoption einwilligen (§ 1747 Abs. 3 Ziff. 1 BGB), was sonst immer nur unter Wahrung der Acht-Wochen-Frist nach Geburt möglich ist (§ 1747 Abs. 2 BGB). 37 Die Adoption, bei der aus ethischer Sicht mit der abgebenden und der annehmenden Mutter ebenfalls zwei Frauen für die Mutterfunktion in Betracht kommen, wirft dieses Problem aus rechtlicher Sicht nicht auf, da die Adoption sämtliche Verwandtschaftsverhältnisse zur Herkunftsfamilie zum Erlöschen bringt; Adoptivkinder haben also in rechtlicher Hinsicht nur eine, die annehmende Mutter. Aus ethischer Sicht ist das eine unzulässig verkürzte Betrachtungsweise, wie in diesem Buch noch oft zu betonen sein wird. 38 Zum Zusammenhang dieser Vorschrift mit dem Problem gespaltener Mutterschaft vgl. die Ausführungen von Marina Wellenhofer zu § 1591 BGB in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 9: Familienrecht II. §§ 1589– 1921. SGB VIII, 7. Auflage, München 2017, hier 28 Rn. 3. Wellenhofer lässt erkennen (im Einklang mit ihren systematischen Erwägungen zum Familienrecht allgemein im selben Kommentarband, 16–25), dass nicht die Tatsache der gespaltenen Mutterschaft abzuwehren ist, sondern die Ungleichbehandlung der von dieser Tatsache betroffenen Personen. 39 Die Sequenz ist online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=vqWWlLeWrs (28. 06. 2018). 40 Vgl. z. B. aus der Pressebericherstattung: https://www.zeit.de/politik/deutsch land/2013-09/merkel-wahlkampf-wahlarena/komplettansicht (28. 06. 2018). 41 In einem Überblick über empirische Befragungen von sog. geplanten (d. h. durch Samenspende entstandenen) lesbischen Familien mit verschiedenen Alterskohorten der betroffenen Kinder berichten Joanna E. Scheib/Paul D. Hastings, Lesbische Mütter und ihre Kinder aus Spendersamen. Familiendynamische Prozesse, kindliche Entwicklung und langfristige Entwicklungen [übers. von Astrid Hildenbrand], in: Dorett Funcke/Petra Thorn (Hg.), Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern. Interdisziplinäre Beiträge zu einer neuen Lebensform, Bielefeld 2010, 285– 318, dass diese Kinder in wesentlichen Faktoren wie der kindlichen Bindungssicherheit und der Verhaltensauffälligkeit »natürlich« gezeugten Kindern in heterosexuellen Familien frappant ähneln; Abweichungen ergäben sich praktisch ausnahmslos bei erst spät erfolgender Aufklärung der Kinder über ihre Zeugungsumstände. In dieser Hinsicht schneiden lesbische Familien bei Scheib/Hastings sogar besser ab als Samenspenderkinder in heterosexuellen Familien, wo eher die Möglichkeit gegeben ist, dass eine Offenlegung unterbleibt. Scheib/Hastings beziehen allerdings den möglichen Umgang mit dem Samenspender, weil hierfür keine psychologisch-
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Anmerkungen diagnostischen Standardinstrumente zur Verfügung stehen, höchstens am Rande ein und sehen hier ein gewisses »Risiko« schwer abschätzbarer Familiendynamiken (311 f.). 42 In der erwähnten Verhandlung am 18. 12. 2012 hatte der Vertreter des Deutschen Familienverbands, Klaus Zeh, (als einziger) auf eine solche Stigmatisierungsgefahr hingewiesen, ohne jedoch Gehör zu finden, vgl. http://www.sueddeutsche. de/politik/verhandlung-am-bundesverfassungsgericht-kritik-an-eingeschraenk tem-adoptionsrecht-fuer-homosexuelle-1.1553689 (29. 06. 2018). 43 Nicht auf dem Verfahren, sondern den (empirisch noch unzureichend erforschten) mittel- bis langfristigen Folgen für das Selbstverständnis der Kinder und ihre Beziehungen zu den Eltern liegt der Akzent des Buches von Wolfgang Oelsner/ Gerd Lehmkuhl, Spenderkinder. Künstliche Befruchtung, Samenspende, Leihmutterschaft und die Folgen. Was Kinder fragen werden. Was Eltern wissen sollten, Mundelfing 2016. 44 Auf die auch am Sachbuchmarkt höchst erfolgreiche Darstellung von Andreas Bernard, Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie. Samenspender, Leihmütter, Künstliche Befruchtung, Taschenbuchausgabe Frankfurt 2015 kann ich im Rahmen dieser Adoptionsethik nicht näher eingehen, da der Zuschnitt von Bernards Buch bei aller inhaltlichen Berührung mit meinem Kap. 1.7 kaum kommensurabel ist. Bernard schreibt als Kulturwissenschaftler ausgehend von Fallgeschichten, deren soziokulturellen Kontext er aufwändig unter Einbezug äußerst lehrreicher historischer Rückblenden rekonstruiert; er bietet aber höchstens implizit ethisch einschlägige Erwägungen und Gesichtspunkte. Bernards kulturphilosophische Gesamtthese, dass die Anwendung der neuen Reproduktionstechnologien gleichwohl die althergebrachte »Ordnung der Familie« (soziologisch gesprochen, wäre das die Kernfamilie) höchst souverän, aber in der Sache eben doch konventionell zu übernehmen versuche (v. a. 475 ff.), ist wie die analoge These Hoffmann-Riems zur Adoption als »Familienleben mit doppelter Elternschaft«, die in Kap. 1.5 vorgestellt wurde, nur ethische Problemanzeige. 45 Die Angaben basieren auf einer Hochrechnung des sog. Mikrozensus von 2007 auf die Bundesebene, die Bernd Eggen, Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften ohne und mit Kindern. Soziale Strukturen und künftige Entwicklungen, in: Funcke/Thorn (Hg.), Gleichgeschlechtliche Familie, 37–60, hier 50 darstellt. 46 Diese (am Mikrozensus nicht ablesbare) Information stammt aus der von Eggen, Lebensgemeinschaften, 52 referierten Studienlage. Ähnlich urteilen Scheib/Hastings, Lesbische Mütter, 290. 47 So die Vermutung von Eggen, Lebensgemeinschaften, 55 f. 48 Auch Marina Rupp/Andrea Dürnberger, Wie kommt der Regenbogen in die Familie? Entstehungszusammenhang und Alltag von Regenbogenfamilien, in: Funcke/Thorn (Hg.), Gleichgeschlechtliche Familie, 61–95, hier 70 finden für schwule Paare »die Hürden deutlich höher als für Frauen«. 49 Meine Darstellung schließt sich an die einschlägige Untersuchung von Tobias H. J. Fischer, Ethische Probleme der Donogenen Insemination (Medizin – Technik – Ethik, Bd. 2), Kassel 2012 an. Fischer argumentiert, dass das Verfahren der DI den Verzicht auf soziale Elternschaft einschließt (42 f.), während genetische Elternschaft »nicht delegierbar« ist (49). Es bleibt eine Verantwortung des Samenspenders als »Identifikationsfigur« (129) für das mit seinem Zutun gezeugte Kind.
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Anmerkungen Für beide Motive vgl. Fischer, Insemination, 61. Beispiele für diese Problematik sowie mögliche Abhilfen diskutiert Fischer, Insemination, 63–65. 52 Dass bei der Becherspende auch gewisse medizinische Probleme hinzukommen können, gibt Fischer, Insemination, 126 zu bedenken. 53 Für mich nicht nachvollziehbar ist die Argumentation von Anne Meier-Credner, Was bedeutet Embryonenadoption aus der Perspektive der entstehenden Menschen?, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, Bd. 62, Jg. 2016, Heft 2, 151–164, die Eigeninteressen des Spenders mit einem methodischen Kniff aus der ethischen Situation hinauskomplimentiert, indem sie die Perspektive des Kindes einzunehmen beansprucht. Die Vertreterin der Interessenvereinigung »Spenderkinder« (152) zieht der Embryonenadoption die Samenspende mit dem Argument geringerer »Künstlichkeit« (155) vor, denn Kinder aus Samenspenden dürften »sich zumindest vorstellen können, dass sie ebenso auf natürlichem Wege hätten gezeugt werden können, wenn ihre Mutter mit dem Spender Geschlechtsverkehr gehabt hätte« (155). Abgesehen von dem hier durchschlagenden Naturalismus, der zudem noch als Kindeswohlperspektive ausgegeben wird, ist vor allem die Leichtfertigkeit abzulehnen, mit der hier die partnerschaftsethische Relevanz sexueller Beziehungen behandelt wird. Sollten Kinder es nach Meier-Credner etwa »natürlich« finden, wenn ihre Mutter, die in einer (gegen- oder gleichgeschlechtlichen) Partnerschaft lebt, mit einem außenstehenden Mann geschlafen hätte, nur um schwanger zu werden? Wenn Meier-Credner aber an eine alleinstehende Mutter denken sollte, fragt man sich ganz analog, welche Rolle diese ihrem Sexualpartner zugedacht hat, wenn sie ihn nur als Mittel zum Zweck der Empfängnis einspannt. MeierCredner verlässt sich blind auf die rechtlichen Kategorien, die die Becherspende in der Tat wie Geschlechtsverkehr mit dem Spender auffassen (dankenswerter Hinweis von Bettina Heiderhoff). Recht ist aber noch keine Ethik! 54 Zu beachten ist allerdings, dass für die Empfängerin der gespendeten Eizelle in der möglichen Schwangerschaft das Risiko einer u. U. bedrohlichen Blutdruckveränderung (Gestose in Gestalt einer Eklampsie) erhöht sein kann. Den Hinweis verdanke ich einem Vortrag von Cordula Schippert bei der Fachtagung »Verantwortliche Elternschaft. Interdisziplinäre Perspektiven auf Gameten- und Embryonenspende« am ZfG Hannover am 08./09. 09. 2016. 55 Die Gleichbehandlung von Eizell- und Samenspende wird von vielen Stimmen aus unterschiedlichen Disziplinen gefordert, vgl. z. B. juristisch: Wellenhofer, Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 9, 7. Aufl., 45 f.; reproduktionsmedizinisch: Kentenich/Jank/Sibold/Tandler-Schneider, Reproduktionsmedizin, 84 f.; ethisch: Claudia Wiesemann, Von der Verantwortung, ein Kind zu bekommen. Eine Ethik der Elternschaft, München 2006, 146 f. 56 Die folgenden Überlegungen stehen im Gespräch mit den Gesichtspunkten, die die gründliche Untersuchung von Christine Schließer, Körperlichkeit und Kommerzialisierung. Zur theologisch-ethischen Problematik der Leihmutterschaft, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, Bd. 62, Jg. 2016, Heft 2, 107–120 namhaft gemacht hat, kommen aber zu abweichenden Ergebnissen. 57 Diese Problematik wird in Kap. 5.2.2 ausführlicher behandelt. 58 S. o. Kap. 1.6 dieses Buches. 50 51
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Anmerkungen Schließer, Leihmutterschaft, 117 f. kommt in ihrem wohlerwogenen Gesamturteil zu der Auffassung, dass die Leihmutterschaft bei Einhaltung einer Vielzahl von verbindlich beratend vorgenommenen Absicherungen gegen die Ausbeutungsgefahr unter dieser wesentlichen Bedingung, dass die Austragende eine Behaltensoption hat, ethisch tolerabel wäre, auch wenn sie mit einer Art Dammbruchargument (»Schutzschild«) daraus keine rechtlichen Konsequenzen ziehen will. 60 Das ist kritisch auch gegen Wiesemann, Verantwortung, 147–149 zu sagen, die das Problem der Kommerzialisierung der Leihmutterschaft prinzipienethisch über den Begriff der »Eltern-Kind-Beziehung« (147; 149) lösen will. Ihr zufolge ist die Wurzel des Problems in einer Individualisierung der Reproduktionsethik zu sehen, die nur von der »Schwangeren« und dem »Embryo«, aber nicht von »Mutter« und »Kind« als Beziehungstermini spricht (29; 20). Wo letzteres aber ernstgenommen wird, so Wiesemann, sei die immer nur im Beziehungsgeflecht wahrnehmbare Verantwortung das beste Bollwerk gegen eine Abkoppelung des Kindes von der Mutter zur Ware Embryo. 61 Grundzüge dieser Argumentation begegnen, wie in der vorvorigen Anm. dargestellt, auch bei Schließer, Leihmutterschaft. 62 In seiner einschlägigen Äußerung nennt der Deutsche Ethikrat allein für die netzwerkartig zum Zweck der Embryonenspende zusammengeschlossenen fortpflanzungsmedizinischen Zentren geschätzte 33.500 kryokonservierte Einheiten, die sich allerdings im Verhältnis 28.500:5.000 in zwei Klassen aufteilen, deren Unterschied wir uns widmen müssen (Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung. Stellungnahme, hg. vom Deutschen Ethikrat, o. O. 2016, 12 Anm. 7, online: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnah men/deutsch/stellungnahme-embryospende-embryoadoption-und-elterliche-ver antwortung.pdf [30. 06. 2018]). 63 Vgl. hierzu die (z. T. juristisch abgesegneten) Praxisbeispiele in: Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung, hg. vom Deutschen Ethikrat, 44, wo mit medizinischen Gründen (z. B. erwartbarer Untergang in vitro angesetzter Kulturen, so dass womöglich weniger als drei Einheiten zum Transfer verfügbar wären) argumentiert wird. 64 Auf diese Gruppe der kryokonservierten Einheiten entfällt die in der vorvorigen Anm. erwähnte Zahl 28.500; die Zahl 5.500 bezieht sich auf Embryonen im strikten Sinne von § 8 ESchG. 65 Das juristische Gutachten von Monika Frommel ist online verfügbar unter: https://www.netzwerk-embryonenspende.de/recht/gutachten_frommel_embry onenspende.pdf (30. 06. 2018). 66 Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung, hg. vom Deutschen Ethikrat, 37–41. Der Ethikrat widmet sich dabei auch der in der vorigen Anm. erwähnten Argumentation Frommels. In der Sache hält er die Verwendung imprägnierter Eizellen zur Embryonenspende, nämlich das dafür erforderliche »Auftauen« und »Weiterkultivieren« der kryokonservierten Einheit, für ein »Befruchten« im Sinne von § 1 Abs. 1 Ziff. 2 ESchG (38), wohingegen Frommel auf die gesamte »Befruchtungskaskade« (Frommel, Gutachten, 3) abstellt, die nur fortgesetzt werde; für die juristische Beurteilung komme es auf den strafrechtlich einwandfreien Beginn derselben an (3). Begrifflich – und es handelt sich hier ange59
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Anmerkungen sichts der reproduktionstechnologischen Antiquiertheit des ESchG vielfach um terminologische Probleme – erscheint mir eher Frommel konsistent. 67 Zum Dillinger Amtsgerichtsurteil (das sich innerhalb der in der vorigen Anm. dargestellten Auseinandersetzung implizit gegen Frommel dem Deutschen Ethikrat anschließt) vgl. die folgenden Hinweise online: https://www.netzwerk-embry onenspende.de/aktuell/Wunscheltern-Wartezeiten.pdf (30. 06. 2018). 68 Vgl. Dale P. Andrews, Why is Adoption Such a Difficult Choice? A Practical Theological Inquiry, in: Swinton/Brock (Hg.), Graceful Embrace, 131–142, hier 138 in einem allerdings adoptionsethischen, nicht reproduktionsmedizinischen Kontext. 69 Der Vergleich dokumentiert sich insbesondere in den Antworten des Netzwerkes auf seine FAQs, vgl. https://www.netzwerk-embryonenspende.de/Haeufig_ gestellte_Fragen_zur_Embryonenspende_in_Deutschland.pdf (30. 06. 2018), wo von einem »großen Unterschied zur Adoption« (aufgrund der biologischen Mutterschaft der spendenehmenden Mutter durch die Schwangerschaft) die Rede ist. 70 Ein Beispiel bietet der Text von Monika Frommel, Embryonenschutz und Elternschaft, online: https://www.novo-argumente.com/artikel/embryonenschutz_ und_elternschaft (30. 06. 2018). 71 Das Schreiben vom 27. 03. 2018, mit dem das »Netzwerk Embryonenspende« seine Interessenten auf das Dillinger Amtsgerichtsurteil aufmerksam macht, sieht z. B. als Konsequenz dieses Urteils den Zwang, »mögliches Leben zu vernichten« (https://www.netzwerk-embryonenspende.de/aktuell/Wunscheltern-Wartezeiten. pdf [30. 06. 2018]). 72 Vgl. https://www.netzwerk-embryonenspende.de/verfahren/verfahren.html (30. 06. 2018). Der Deutsche Ethikrat hingegen kann sich eine anonyme Embryonenspende wegen der Umgehung des kindlichen Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung nicht vorstellen, sondern schlägt analog zur Adoption neben Inkognito- auch halboffene Formen vor (ohne allerdings die Analogie zu realisieren), vgl. Embryospende, Embryoadoption und verantwortliche Elternschaft, hg. vom Deutschen Ethikrat, 104. 73 So in der erwähnten Beantwortung der FAQs vom 01. 08. 2015, 2 (https://www. netzwerk-embryonenspende.de/Haeufig_gestellte_Fragen_zur_Embryonenspen de_in_Deutschland.pdf [30. 06. 2018]). Hier heißt es: »Adoptivkinder machen die Erfahrung, dass ihre Eltern sie[,] kurz nachdem sie auf die Welt kamen oder geraume Zeit danach[,] von der Mutter weggegeben werden [sic!; sc. haben]. Dies kann eine massive Kränkung bedeuten, ein Gefühl des Verlassenseins, der Lieblosigkeit und des Abgelehntwerdens durch die genetisch[en] und zum damaligen Zeitpunkt auch sozialen Eltern. Dagegen werden bei der Embryonenspende bereits die Keimzellen beider Eltern mit großem persönlichen Einsatz gewonnen, um einem ersehnten Wunschkind das Leben zu schenken. Die Abgabe des Embryos erfolgt daher nicht aus mangelnder Liebe und Vernachlässigung, sondern im Gegenteil, als fürsorgliche Alternative zum Absterben des Embryos, um ihm ein Zurweltkommen zur [sic!] ermöglichen. Dem annehmenden Paar erlaubt die Embryoannahme, Schwangerschaft und Geburt zu erleben, die nicht nur einen sehr frühzeitigen Bindungsaufbau zwischen Mutter und Kind ermöglicht, sondern eine einzigartige, exklusive biologische Ver-
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Anmerkungen bindung der Empfängermutter zum Kind schafft, so wie es herkömmliche Adoptiveltern nicht erleben können. In all dem sehen wir einen großen Unterschied zur Adoption.« 74 An diesem Punkt ist die Stellungnahme des Ethikrats zu begrüßen, der die hoheitlichen Standards der Adoption auf die Embryonenadoption übertragen will (Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung, hg. vom Deutschen Ethikrat, 99). Verräterisch ist hier allerdings die Formulierung, durch den Gerichtsbeschluss würden die Eltern der jeweils adoptierten Kinder »›ausgewechselt‹« (auch wenn der Ethikrat diesen Ausdruck in Anführungszeichen setzt). 75 Die einschlägigen Ausführungen des Ethikrats gipfeln in dem eben nur scheinselbstverständlichen Satz: »Sie [die »Empfängermutter«] wird zu dem von ihr geborenen Kind aller Voraussicht nach ganz selbstverständlich die Haltung einer Mutter einnehmen« (Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung, hg. vom Deutschen Ethikrat, 97). Wäre all das wirklich so selbstverständlich, müsste man schreiben: »die Haltung der Mutter«. Ahnt der Ethikrat hier, dass es eben noch eine zweite Frau gibt, die – genetische – Mutterqualität für das Kind hat? Wenn ja, warum trägt er diesem Faktum nirgends Rechnung? Kritisch sei hier auch noch einmal an die Rede von den ›ausgewechselten‹ Eltern (vorige Anm.) erinnert! 76 Neben der in der vorigen Anm. genannten Problematik ist kritisch auf einige Idealisierungen der annehmenden und sowie Schematisierungen der abgebenden Familie zu verweisen. So heißt es etwa: »Das nach Embryoadoption auf die Welt kommende Kind ist von Anfang an ein Wunschkind; bei der Minderjährigenadoption wird das Kind dagegen nicht selten aufgrund von Überforderung abgegeben oder ist gar wegen Misshandlung durch seine Eltern zuvor in Obhut genommen worden.« (Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung, hg. vom Deutschen Ethikrat, 97) Der Satzteil vor dem Semikolon unterschlägt das elterliche Leid infolge vorangegangener ungewollter Kinderlosigkeit (für das »Netzwerk Embryonenspende« eine zwingende Voraussetzung für den Erhalt einer Embryonenspende!), dessen psychologische Dynamik den durch Embryonenadoption zu erfüllenden Kinderwunsch durchaus kompromittieren kann (überzogene Erwartungen an das Kind usw.); der Wunschkindstatus ist also kein Kindeswohlgarant. Der Satzteil nach dem Semikolon vermag die Freigabeentscheidung nicht als Übernahme von Verantwortung für das zu adoptierende Kind zu würdigen und leistet mithin wenig für einen Abbau der Stigmatisierung abgebender Mütter. Bei Inobhutnahmen nach Kindesmisshandlung wäre für eine anschließende Adoption zudem zu bedenken, dass die möglicherweise fehlende Einwilligung der misshandelnden Eltern (die dann gerichtlich zu ersetzen wäre) eher ein Pflegeverhältnis mit allenfalls vager Adoptionsperspektive nahelegen würde. Die Beispiele lassen sich noch vermehren. An der wohl einzigen Stelle, an der sich der Ethikrat der kindlichen Einstellung zu den genetischen Eltern widmet, wird die Embryonenadoption mit einer regulären Adoption verglichen, bei der das Kind wisse, »dass sich seine biologische Mutter gegen einen Schwangerschaftsabbruch und für sein Leben entschieden hat, um es gleich nach Geburt zur Adoption freizugeben« (98). Dieser Finalsatz (»um zu …«) lässt die problematische Alternative von Abtreibung versus Adoption aufleben, die in Kap. 5.2.2 dieses Buches Gegenstand der Kritik sein wird. 77 Für Hinweise auf diesen Sachverhalt danke ich Eva Schumann.
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Anmerkungen Prinzipienethische Interessen prägen des Forschungsdesign der in Kap. 1 erwähnten Essener sozialwissenschaftlichen Untersuchung mit, vgl. insbesondere Golomb/Geller, Adoption, 9–55. Die Autoren spannen das Thema in die vom katholischen Naturrecht beeinflusste Debatte um das Prinzip »Lebensschutz« (15 ff.) ein, indem sie davon ausgehen, dass eine verantwortungsethische, nicht auf »[r]echtlich-mechanistische Sozialtechnik« (29) eingeschränkte Aufwertung der sozialen Praxis der Adoption die Möglichkeit eröffne, in akuten Schwangerschaftskonflikten langfristige Perspektiven gegen Abtreibung zu entwickeln. Es waren wiederum katholische Autoren, die den Nachweis geführt haben, dass dieses prinzipielle Einspannen von Adoption für die Schwangerenkonfliktberatung den konkreten Konflikterfahrungen der Schwangeren nicht gerecht wird (vgl. Walter Bechinger/Bernd Wacker [Hg.], Adoption und Schwangerschaftskonflikt. Wider die einfachen Lösungen [Schriften der Rabanus-Maurus-Akademie, Bd. 6], Idstein 1994). Näheres hierzu findet sich in Kap. 5.2.2 dieses Buches. 79 Das ethische Hauptproblem bei Stiefkindadoptionen sind Beteiligung und Ausschluss des nach der Trennung allein (d. h. ohne das Kind) zurückbleibenden leiblichen Elternteils. Die Integration des Kindes in die Stieffamilie der neuen Partnerschaft des mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils (fast immer der Mutter) darf nicht gegen den leiblichen Vater gerichtet sein, der vom Umgang mit dem Kind ausgeschlossen werden soll. Stiefkindadoptionen machen in Deutschland mehr als die Hälfte der Adoptionen aus und verlangen schon deshalb die Aufmerksamkeit der Forschung, obwohl sie ethisch auf fast nur dieses eine Problem fokussierbar sind. Zur Stiefkindadoption vgl. auch das EFZA-Dossier Adoptionen in Deutschland, hg. vom DJI, 10; 26; 56 u. ö. 80 Vgl. die bei Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 220 f. mitgeteilten empirischen (qualitativen) Befunde zu vorkommenden Adoptionsmotiven (hier unter der Perspektive problematischer Motivationen). 81 Brent Waters, The Family in Christian Social and Political Thought (Oxford Studies in Theological Ethics), Oxford 2007, 199: »there is an adoptive element in every parent-child relationship«. 82 Vgl. Jeanne Stevenson Moessner, The Spirit of Adoption. At Home in God’s Family, Louisville (Kentucky) 2003, die freilich eine eher direkte religiöse Begründung (s. dazu Kap. 2.2) der Adoption vor Augen hat. 83 Bei Wiesemann, Verantwortung, wird der Vertrauensbegriff auch deshalb als ethisches Kriterium ins Feld geführt, weil er ein Beziehungsbegriff ist, der den wirklichen Gegebenheiten familiären Lebens besser entsprechen soll als eher abstrakte Statuskriterien der individuellen Persönlichkeit. Damit geht allerdings bei Wiesemann tendenziell, doch recht grundsätzlich eine Aufwertung der Familie als Anfangspunkt ethischer Begründung einher, was sich bei den angedeuteten Konflikten zwischen Familie und Kindeswohl ungünstig auswirken kann. 84 Die Polemik von Browning, Kin Altruism, hier 53 f. gegen das Konzept der »acceptance« (= Annahme) als Generalschlüssel der Familienethik richtet sich gegen die Vorstellung von Empathie und ist eher ein Ausdruck eines generellen (aber kaum begründeten) Ressentiments theologischer Ethik gegen bestimmte psychologische Ansätze in der Seelsorge als ein Sachargument. 85 Dieser Gedanke bestimmt – in Auseinandersetzung mit B. Waters und J. M. Bennett – auch ohne ausdrücklichen Rekurs auf Römerbrief 8,15 meinen im Jahre 78
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Anmerkungen 2010 entstandenen Beitrag: Henning Theißen, Adoption in Christian Social Ethics. Reflections from a German Perspective, in: Swinton/Brock (Hg.), Graceful Embrace, 87–106, hier 93–98. 86 Zum Desiderat einer religionsvergleichenden und allgemeiner kulturgeschichtlichen Erforschung der Adoption s. Anm. 2 dieses Buches. 87 Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31). Erster und zweiter Band, hg. von Rolf Schäfer, Berlin 2008, 93,18 f. (Leitsatz § 11). 88 Herausgehoben sind die Schilderungen der Taufe Jesu im Jordan, bei der eine göttliche Himmelsstimme erwähnt wird, die den Getauften als »Sohn«/»Kind« oder »Knecht« anspricht (Matthäus 3,17; Markus 1,11; Lukas 3,22), was im Rückgriff auf Stellen wie insbesondere Psalm 2,7 (»Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt«) oder Jesaja 42,1 (»Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat«) eine Vielzahl alttestamentlich-frühjüdischer Konnotationen zur Erwartung einer Heilsbringergestalt erlaubt. Sie werden schon in den neutestamentlichen Schriften (z. B. dem Hebräerbrief) theologisch weitergeführt. 89 Die neutestamentliche Exegese beobachtet dieses Grenzen öffnende Verhalten Jesu besonders in seinen »Gleichnisreden«, seinen »Mahlgemeinschaften« mit Benachteiligten und seinen als »Wunder« geschilderten Krankenheilungen, vgl. z. B. Jürgen Becker, Jesus von Nazaret, Berlin 1996, 176 ff.; 194 ff.; 211 ff. (Zitate aus den Abschnittsüberschriften). 90 Den Rahmen hierfür bildet die Formulierung im Beschluss des Konzils von Chalkedon (451 n. Chr.): »ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt« (zit. nach Denzinger/Hünermann, Kompendium, 142 f. = Nr. 302). 91 Vgl. Winrich A. Löhr, Art. Adoptianismus I, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Bd. 1, 1998, 123, der den Adoptianismus als eine Christologie kennzeichnet, »die Jesus Christus als durch den Hl. Geist von der Jungfrau geborenen, bes. frommen Menschen auffaßt, der bei der Jordantaufe pneumatisch begabt wurde […]. Von Adoption ist explizit nicht die Rede.« 92 Vgl. Winrich A. Löhr, Art. Adoptianismus II, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Bd. 1, 1998, 123 über die spanischen Bischöfe Elipandus von Toledo und Felix von Úrgel im 8. Jahrhundert n. Chr.: »nach der göttlichen Seite sei Christus natürlicher Sohn, nach seiner menschlichen Seite Adoptivsohn«. 93 Vgl. Löhr in dem in den beiden vorigen Anmerkungen genannten Artikel. 94 Vgl. zum Folgenden Jana Marguerite Bennett, Why Christians Should (Not) Choose Adoption, in: Swinton/Brock (Hg.), Graceful Embrace, 36–56, hier 39–45 (»The Idol of Human Adoption?«). Zur dahinterstehenden Familientypologie der familia dei und ihrer familienethischen Beanspruchung vgl. Jana Marguerite Bennett, Water is Thicker Than Blood. An Augustinian Theology of Marriage and Singleness, Oxford 2008, hier 116–122. Auf eine theologisch annehmbare, weil indirekte (sog. eschatologische) Begründung mittels der familia dei, die sich de facto als Relativierung der menschlichen Familienbande auswirkt, weist Isolde
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Anmerkungen Karle, Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe, Gütersloh 2014, 188 f. hin. 95 An der fraglichen Bibelstelle wird von Jesus Folgendes erzählt: »Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.« 96 Dass es familientypische Pflichten gibt, die aus der Struktur der Familie resultieren und nicht allgemeinethisch begründet sind, wird hier vorausgesetzt. Zur Diskussion vgl. Monika Betzler/Barbara Bleisch (Hg.), Familiäre Pflichten (suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Bd. 2120), Frankfurt 2015. Der Band wird in Kap. 6.1 näher diskutiert. 97 Das werden die Ausführungen zum sog. Matching, der Methode der Kindesplatzierung, in Kap. 3.4 zeigen. 98 Vgl. Bennett, Why Choose Adoption, 39 ff.: »The Idol of Human Adoption?« 99 Die Geburt Jesu in Bethlehem wird im Matthäusevangelium (Matthäus 2,5 f.) als Erfüllung einer alttestamentlichen Prophetie über diesen Ort (Micha 5,1) eingeführt; ebenso die Flucht nach Ägypten (Matthäus 2,14 f.) mit Bezug auf das prophetische Gotteswort Hosea 11,1 (»Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen«). Im Neuen Testament wird Jesu Geburt historisierend einerseits (Lukas 2,2) mit dem judäischen (nicht galiläischen) Provinzialzensus (»Schätzung«) durch den Prokurator (»Statthalter«) Quirinius (nicht durch Kaiser Augustus) im Jahre 6 n. Chr. und andererseits (Matthäus 2,1) mit der Herrschaft Herodes des Großen (39–4 v. Chr.) verknüpft, dem die Schilderung den (historisch nicht belegbaren) sog. Kindermord von Bethlehem anlastet (Matthäus 2,16); er habe den Anlass zur Flucht nach Ägypten gebildet. Nach Auffassung der heutigen Bibelwissenschaft besitzen diese schriftgelehrten Kombinationen keine historische Belastbarkeit, wie schon die chronologische Unvereinbarkeit zeigt. 100 Vgl. Bennett, Why Choose Adoption, 37: »I worry, however, that the theological visions offered about adoption are not able to go far enough in their critique and engagement with contemporary prejudices about adoption, precisely they already presume adoption is a good.« 101 Die folgende Argumentation zum Verhältnis von Adoption und Jungfrauengeburt habe ich zusammenhängend und mit Einzelnachweisen der theologischen Quellen entfaltet in: Henning Theißen, Gottes Geburt in der Seele. Historische und systematische Zusammenhänge von Schleiermachers Wiedergeburtslehre, in: Arnulf von Scheliha/Jörg Dierken (Hg.), Der Mensch und seine Seele. Bildung – Ästhetik – Frömmigkeit. Akten des Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft Münster, September 2015 (Schleiermacher-Archiv, Bd. 26), Berlin 2017, 379–392. 102 Das sog. Apostolische Glaubensbekenntnis, dessen wichtigste, mit Markell von Ankyra (341 n. Chr.) verbundene Vorform lange bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. zurückdatiert wurde, taucht in der maßgeblichen Textform in vorkarolingischer Zeit »in Südwestfrankreich« auf und ist kirchengeschichtlich vor allem als Tauf-
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Anmerkungen bekenntnis in der abendländischen Kirche wichtig. Hier heißt es von Jesus Christus, er sei »empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria« (lat.: conceptus est de spiritu sancto, natus ex Maria virgine). Das in der Ostkirche tonangebende und im Abendland als Messbekenntnis liturgisch zentrale sog. Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 381 formuliert so: Christus hat »Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden« (lat. incarnatus est de spiritu sancto et Maria virgine et homo factus est). (Vgl. Adolf-Martin Ritter, Das Apostolicum. Einleitung, in: Irene Dingel [Hg. im Auftrag der EKD], Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, Göttingen 2014, 37– 41, besonders 40; Adolf-Martin Ritter, Das Nicäno-Constantinopolitanum. Einleitung, in: a. a. O., 45–48). 103 Die Bibelstellen zur Adoption sind erläuterungsbedürftiger als die zur Jungfrauengeburt, da die gängigen deutschen Bibelübersetzungen den terminologischen Sinn des Ausdrucks als »Adoption« nicht wiedergeben; vgl. aber zu den sprachlichen Zusammenhängen die schon erwähnte Untersuchung von Scott, Sons of God. 104 Der Gedanke der Erbberechtigung ist bei Paulus, der von den neutestamentlichen Autoren am meisten mit der Adoptionsvorstellung arbeitet, in Galaterbrief 3 f. zentral (z. B. Galaterbrief 4,7 in Auslegung der Rede von der Adoption zwei Verse zuvor: »So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott«). Sie wird dort aber auf die »legitime« Nachkommenschaft Abrahams in Gestalt der Väter des Volkes Israel (im Unterschied zu Abrahams Erstgeborenem Ismael, dem Stammvater, auf den sich insbesondere auch die muslimische Gemeinschaft beruft) zugespitzt (Galaterbrief 4,21–31). Das scheint auf den ersten Blick der Adoptionsvorstellung entgegen zu arbeiten. Paulus ist sich aber gerade beim Verhältnis der Christen zu Abraham bewusst, dass es auf einer Kindschaftsbeziehung basiert, die von der »legitimen« Abrahamskindschaft der Israeliten zu unterscheiden ist, weil sie ohne das Merkmal der Beschneidung zustandekommt und allein im »Glauben« besteht (vgl. Römerbrief 4,11: »Das Zeichen der Beschneidung aber empfing er [sc. Abraham in Genesis 17] als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er [in Genesis 15,6] hatte, als er noch nicht beschnitten war. So sollte er ein Vater aller werden, die glauben, ohne beschnitten zu sein, damit auch ihnen die Gerechtigkeit zugerechnet werde«). Diesen Unterschied stellt Paulus in Römerbrief 9–11, dem Grundtext seiner Auffassung vom Verhältnis zwischen den Christen und dem Gottesvolk Israel, im Bild des Vergleichs eines natürlichen Ölbaumes (= Israel) und seiner ihm aufgepfropften Zweige (= nichtjüdische Christen) dar (Römerbrief 11,17–24) und bestätigt damit seinen grundsätzlichen Anspruch, den Christusglauben zu den Nichtjuden (genauer: zu den heidnischen Sympathisanten des Judentums im Umfeld der antiken Synagogen) zu tragen, nicht zu den Judenchristen. Unter diesen Voraussetzungen bilden Glaube und Adoption also für Paulus eine Strukturanalogie. 105 Vgl. Dingel (Hg.), Bekenntnisschriften, 266–397 (Apol. IV); Denzinger/Hünermann, Kompendium, 502–521, Nr. 1520–1583 (Tridentiner Dekret de iustificatione); hier begegnet in Nr. 1524 auch die Vorstellung, Rechtfertigung sei die Adoption »verlorener« Adamskinder als Kinder Christi. 106 Der Annex zur sog. Gemeinsamen Offiziellen Feststellung der Gemeinsamen
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Anmerkungen Erklärung zur Rechtfertigungslehre nennt unter Nr. 2c) die reformatorische Erkennungsformel sola fide (= [das Heil wird erlangt] allein durch den Glauben) als Konsensgegenstand zwischen Katholiken und Lutheranern, nachdem im Text der Gemeinsamen Erklärung selbst (Nr. 26) diese Formel noch ausschließlich den Lutheranern zugeordnet war; vgl. Harding Meyer/Damaskenos Papandreou/Hans Jörg Urban/Lukas Vischer (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, Bd. III, Paderborn 2003, 419–441, hier 426 (Gemeinsame Erklärung, Nr. 26) bzw. 439 (Annex, Nr. 2c). Auf diese Feinheit wies Ingolf U. Dalferth in einem Beitrag »Einheit in Verschiedenheit. Ein neues ökumenisches Dokument zur Rechtfertigungslehre« für die Neue Zürcher Zeitung vom 08. 06. 1999 hin, online: http:// www.kirchen.ch/pressespiegel/nzz/0096.htm (25. 07. 2018). 107 So die Bestimmung in § 1755 BGB. 108 Die Einführung des Adoptionsdreiecks in den theoretischen Diskurs verbindet sich u. a. mit den Forschungen von H. D. Grotevant, wie Mary Stewart Van Leeuwen/Gretchen Miller Wrobel, The Moral Psychology of Adoption and Family Ties, in: Jackson (Hg.), Morality of Adoption, 3–31, hier 24–30 darlegen. Mit seiner so selbstverständlich scheinenden Einführung relativierten sich demnach die Schulgegensätze zwischen den von den beiden Autorinnen dieses Grundlagenartikels repräsentierten Psychologieansätzen, die zuvor in der Adoptionsforschung führend waren (hierzu 4–9): Der Behaviorismus begriff Adoption als Erziehung Nichtverwandter und sah darin einen Beleg für den Vorrang von nurture vor nature, während die evolutionäre Psychologie (evolutionary psychology; nicht gleichzusetzen mit developmental psychology = Entwicklungspsychologie, der insbesondere die adoptionsethisch hoch relevante Bindungsforschung entstammt) adoptives Elternverhalten grundsätzlich auf Aspekte von nature zurückzuführen versuchte. 109 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Adoptionen in Deutschland, hg. vom DJI, 51 Abb. 11. 110 Mit der »partnerschaftlichen« Zusammenarbeit zwischen staatlichen und freien Trägern geht einher, dass das Verhältnis beider, rechtlich betrachtet, nicht dem sonst im Sozialstaat geltenden Subsidiaritätsgrundsatz folgt. Ihm gemäß nehmen Akteure und Verbände der Zivilgesellschaft in institutionell geregelter Weise staatliche Aufgaben wahr und erhalten dafür vom Staat, den sie so entlasten, Kompensationen, meist in Gestalt von Refinanzierung. Der aus der katholischen Soziallehre (O. v. Nell-Breuning) stammende Subsidiaritätsgrundsatz ist nach staatswissenschaftlicher Systematik nicht anwendbar auf hoheitliche Aufgaben, die nur von Behörden wahrgenommen werden können. Behördlichen Charakter haben zivilgesellschaftliche Träger sozialstaatlicher Leistungen auch bei Anbindung an die Wohlfahrtsverbände, die öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus besitzen, in keinem Fall. Da die rechtliche Ausgestaltung der Adoption mit der erwähnten Novelle von 1976/77 an zentralem Punkt hoheitlich ausgestaltet wurde (Gerichtsvorbehalt für den Adoptionsbeschluss), ist die Aufgabe einer Eingliederung der Adoptionsstrukturen in das subsidiäre Sozialstaatsgefüge, die verständlicherweise besonders von freien Trägerverbänden katholischer Konfession (Sozialdienst katholischer Frauen, SkF) angeregt wird, kompliziert (vgl. den mit »Absicherung der Adoptionsdienste«
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Anmerkungen überschriebenen Bericht über Verbandsbestrebungen beim SkF in: Jahresbericht 2016, hg. vom Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e. V., Dortmund o. J. [2017], 13). Das AdVermiG jedenfalls ist nicht Teil der Gesetzgebung zur subsidiär organisierten Kinder- und Jugendhilfe, sondern steht von der Gesetzessystematik (§ 68 Nr. 12 SGB I) her eigenständig neben dem dafür einschlägigen SGB VIII. Die in diesem Kapitel zu bedenkende Tatsache aber, dass mit dem Familiengericht und der Vermittlungsstelle zwei höchst unterschiedliche Behörden an der Adoptionspraxis mitwirken, scheint in der Frage der Subsidiarität eine differenzierende Betrachtung nahezulegen, die an die Vermittlungsstellen keine behördlichen Erfordernisse anlegt. Offensichtlich ist das hoheitliche Handeln de facto ganz auf das Gericht beschränkt; die Tatsache, dass Vermittlungsstellen eine generelle Nichteignung von Bewerberpaaren feststellen können und diese Feststellung ein Verwaltungsakt und als solcher hoheitlicher Natur und den Behörden vorbehalten ist, spielt aus noch darzulegenden Gründen für die Praxis der Adoption keine Rolle. (Für den Hinweis auf die in diesem Absatz dargestellten Sachverhalte speziell zur Gesetzessystematik danke ich Monika Roth, Düsseldorf, die mich mit der entsprechenden rechtlichen Einschätzung der BAGLJÄ bekannt gemacht hat.) Dass bei der Auslandsvermittlung diskutiert wird, die generelle Eignungsprüfung, die bislang von anerkannten freien Auslandsvermittlungsstellen vorgenommen werden kann, letztverantwortlich den staatlichen Trägern vorzubehalten, um angesichts sinkender Adoptionszahlen bei einem möglichen zukünftigen Rückgang der Vermittlerkapazitäten in freier Trägerschaft das Auslandsangebot generell weiter zu gewährleisten (vgl. Weiterentwicklung des Adoptionsrechts. Positionspapier, beschlossen auf der 122. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter vom 26. bis 28. April 2017 in Saarbrücken, hg. von der BAGLJÄ, online: http://www.bagljae.de/content/empfehlungen/ [25. 07. 2018], 10–12), muss im Zusammenhang damit gesehen werden, dass einerseits die Auslandsadoption von Gesetzes wegen keine Pflichtstruktur darstellt (anders als die Inlandsvermittlung nach § 9a AdVermiG), andererseits die staatlichen Träger sich »fast vollständig« aus der Auslandsvermittlung zurückgezogen haben (a. a. O., 7). 111 Dass die BAGLJÄ in einem 2017 veröffentlichten Diskussionspapier ein behördliches Anfechtungsrecht von Adoptionsbeschlüssen fordert (Weiterentwicklung 2017, hg. von der BAGLJÄ, 22), ist zunächst einmal eine Forderung pro domo, da mit den Behörden, die sollen anfechten dürfen, die Vermittlungsstellen selbst gemeint sind, die ja von der BAGLJÄ repräsentiert werden. (Ob die freien Träger, die ja, wie bei der vorigen Anm. ausgeführt, keine Behörden sind, dieses Recht nach den Vorstellungen der BAGLJÄ auch bekommen sollen, geht aus dem Text nicht eindeutig hervor.) Damit fangen die Probleme aber auch erst an: Wie sollen die Vermittlungsstellen als nicht parteilich Beteiligte ein Anfechtungsrecht haben können, da sie doch durch den Adoptionsbeschluss nicht in ihren eigenen Rechten tangiert werden können, die nur Verfahrensrechte sind? Hier droht der Grundsatz verletzt zu werden, dass nur klageberechtigt sein kann, wer selbst betroffen ist. Die BAGLJÄ argumentiert, dass in vielen Adoptionsverfahren ihrer gutachtlichen Expertise nicht das nötige Gehör geschenkt und so de facto das Kindeswohl gefährdet werde, weil die Richterinnen und Richter die fachlichen Hinweise in den Wind schlügen. Das wäre in der Tat ein gravierendes, auch ethisches Problem. Es kann aber nicht mit einem Anfechtungsrecht für die Vermittlungsstellen bearbeitet wer-
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Anmerkungen den, weil dadurch ein auf persönlicher Ebene liegendes Problem (Beweisaufnahme durch die konkrete richterliche Person) auf institutioneller Ebene »gelöst« würde: Wer aber garantiert, dass nicht auf Seiten der Vermittlungsstelle analoge Unzulänglichkeiten wiederum auf persönlicher Ebene (bei den Vermittlerinnen und Vermittlern) auftreten? Insbesondere aber würden die Vermittlungsstellen, wenn sie anfechten könnten, schleichend zur beteiligten Partei des Verfahrens gemacht, was auf ihrer Seite die Fundamentalvoraussetzung der staatlichen Mitwirkungsstrukturen am Adoptionsgeschehen untergrübe. Professionelle Adoptionsvermittlung kann es nur mit parteilich unbeteiligten Vermittlungsstellen geben! 112 Hierauf weist Schleiffer, Bindungstheorie, 35 hin. 113 Einer der konzeptionellen Mängel der Essener Adoptionsstudie besteht in der zumindest die theoretische Grundlegung (Bd. 1), weniger die Ergebnisdarstellung (Bd. 2–5), überbordend prägenden Institutionenethik, die zudem stark mit theologischen Vorannahmen behaftet ist. Die Autoren sprechen sich hier in m. E. höchst problematischer Weise für eine auf die »Mutteridee« (98) und die »Natürlichkeit der Blutsbande« (88) zentrierte Institution der ehelichen Familie aus, die nicht von anderen Modellen (gemeint ist besonders die heterosexuelle Beziehung ohne »Trauschein«) »konkurrenziert« werden dürfe (105). »Alternativen zur natürlichen, d. h. blutsmäßigen Familie als Institution sollten daher eng begrenzt bleiben« (106). Der heißeste Konkurrent dieser Familieninstitution sei die Adoption, die die Autoren nur durch das institutionell »abstraktere« »Versprechen« (sc. relativ besserer Elternschaft für die betroffenen Kinder) begründet sehen (106). Mit diesen Äußerungen fällt die Essener Adoptionsstudie weit hinter die seinerzeit schon einige Jahre vorliegende Einsicht Hoffmann-Riems in die Eigengeartetheit der Adoptivfamilie zurück und bringt sich (m. E. gerade theologisch) in die Nähe einer Selbstdisqualifikation, auch nur über Adoption mitreden zu können. Einziger Lichtblick ist, dass diese steilen Ansprüche der Studie von ihren eigenen Ergebnissen eher widerlegt als eingelöst werden. Es ist ein Gebot der Fairness zu erwähnen, dass sich die evangelisch-theologische Familienethik im kirchlichen Umfeld mit der kritischen Selbstrevision ihrer institutionenethischen Grundlegung (was nicht deren Abrogation meint!) ähnlich schwer getan hat; eigentlich ist diese erst mit der Debatte um die einschlägige EKDOrientierungshilfe von 2013 wirklich in Gang gekommen (vgl. Autonomie und Angewiesenheit). Vgl. insgesamt meinen Beitrag: Henning Theißen, Lebensnah – liebestoll. Wohin steuert die sexualethische Debatte im evangelischen Deutschland?, in: Gdański Rocznik Ewangelicki, Bd. 9, Jg. 2015, 185–198. 114 Urteil des Straßburger EuGHMR vom 26. 02. 2002, vgl. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 50. 115 Vgl. hierzu Weiterentwicklung 2017, hg. von der BAGLJÄ, 16 f. Das Ansinnen eines Verbots unbegleiteter Adoptionen (d. h. nicht von staatlichen Vermittlungsstellen moderierter Adoptionen) ist aus ethischer Sicht zu unterstützen. 116 Vgl. außer (teils frühen) Erlebnisberichten wie Ines Veith, Gebt mir meine Kinder zurück. Zwangsadoption in der ehemaligen DDR (Goldmann Taschenbücher, Bd. 12388), München 21991 oder Heidrun Groth, Zwangsadoption. Eine Spurensuche in Ostdeutschland, o. O. 2013 die juristische Untersuchung von Andreas Botthof, Perspektiven der Minderjährigenadoption (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht, Bd. 316), Tübingen 2014, die das Thema
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Anmerkungen Zwangsadoption (allerdings außerhalb der DDR) in rechtshistorischer Perspektive aufarbeitet. Neuerdings kommt eine Untersuchung aus dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) hinzu: Dimension und wissenschaftliche Nachprüfbarkeit politischer Motivation in DDR-Adoptionsverfahren, 1966–1990. Vorstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Potsdam 2018, online: https://mbjs.brandenburg.de/media_fast/6288/zzf-vorstudie_politisch_mo tivierte_adoptionen.pdf (06. 07. 2018), die als Machbarkeitsstudie für ein größeres Forschungsprojekt noch wenig inhaltliche Aspekte bearbeitet, aber bereits den Umerziehungsgedanken als Theoriefigur des anvisierten Forschungsdesigns namhaft macht (29; 42). 117 Diese Begründung für das Erfordernis professioneller Vermittlungstätigkeit habe ich an anderer Stelle ausführlicher entfaltet: Theißen, Evangelische Offenheit, 128–130. 118 Z. B. darf die Beratung abgebender Mütter keine Vorfestlegung auf die Freigabe des Kindes enthalten, sondern muss die Chancen, dass das Kind doch in seinem Herkunftskontext aufwächst, genauso prüfen (vgl. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 42 f.). 119 Vgl. zum Folgenden: Peter Dabrock, Befähigungsgerechtigkeit. Ein Grundkonzept konkreter Ethik in fundamentaltheologischer Perspektive. Unter Mitarbeit von Ruth Denkhaus, Gütersloh 2014, 140–189. 120 John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit [amerik. 1971], übers. von Hermann Vetter (suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Bd. 271), Frankfurt 1975, 159– 166. 121 Anders rekonstruiert Dabrock, Befähigungsgerechtigkeit, 144–148 den Diskurs: Rawls sei von den Vätern des Minimalstaats, allen voran R. Nozick, »Egalitarismus« vorgeworfen worden, dem aus dieser Perspektive ein liberales Leistungsdenken abhelfen müsse. 122 So Dabrock, Befähigungsgerechtigkeit, 148; 174. 123 So Dabrock, Befähigungsgerechtigkeit, 174 Anm. 145 und speziell zur Kontextsensibilität: 178 f. 124 So Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 357. 125 Vgl. Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 357. 126 So schon ausweislich des Titels der einschlägigen Publikation: KauermannWalter/Krolzik (Hg.), Adoptionsdienste; der Text der Abschlusserklärung der in Fulda durchgeführten Konferenz: 60 f. 127 In der »Fuldaer Erklärung« heißt es (Kauermann-Walter/Krolzik [Hg.], Adoptionsdienste, 60): »Die traditionsreichen Vermittlungsstellen sind vielseitig arbeitende Beratungsdienste geworden. […] Damit sind [sie] […] Lebens- und Wesensäußerung der Kirchen.« Die hier gegebene Begründung habe ich in meinem Beitrag zum Oberlin Innovationswettbewerb ausführlicher analysiert: Henning Theißen, Evangelische Adoptionsvermittlung und das Ethos des Geburtsgedächtnisses, in: Matthias Fichtmüller (Hg.), Interdisziplinäre Beiträge für eine innovative Diakonie. Arbeiten der Finalteilnehmer für den Oberlin-Innovationspreis 2012, Potsdam 2013, 9–37, hier 12–14 (hier fehlt allerdings die kritische Auseinandersetzung mit der Subsidiaritätsproblematik). Auf die in diesem Beitrag dokumentierten Forschungen greife ich im Folgenden wiederholt zurück. 128 Mit diesem Begriff fasste A. Windheuser bei der erwähnten Fuldaer Tagung das
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Anmerkungen abschließende der Tagungsresultate zusammen (Kauermann-Walter/Krolzik [Hg.], Adoptionsdienste, 59). 129 Ansätze solch einer historischen Darstellung finden sich bei Krolzik, Konfessionelle Adoptionsdienste, besonders 21 f. 130 Die Rede Windheusers von einem »Glaubwürdigkeitsvorsprung« der konfessionellen Adoptionsvermittlungen (Kauermann-Walter/Krolzik [Hg.], Adoptionsdienste, 58) richtet jedenfalls hohe Ansprüche auf. 131 Der fast polizeilich klingende Begriff ist vor dem Hintergrund dessen zu sehen, dass die Vermittlungsstelle aus staatswissenschaftlicher Sicht (aber vielleicht auch nur aus solcher) dem Familiengericht zuarbeitet. 132 Die hier bestehende Asymmetrie zeigt sich auch im Recht. Vermittlungsstellen können ungeeigneten Bewerbern eine entsprechende Ausschlussmitteilung machen und müssen dies dann in Form eines Verwaltungsaktes tun, der mit Rechtsbehelfsbescheid zu versehen ist. Die positive Eignungsmitteilung stellt hingegen keinen Verwaltungsakt dar (ist also auch nicht gerichtlich verwertbar), eben weil Elterneignung keine ›Positivlisten‹ von Kriterien kennt, wohl aber handfeste Ausschlussgründe. So nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 11. 03. 1983 (bestätigt vom Verwaltungsgericht Sigmaringen vom 25. 09. 2008 bzw. Verwaltungsgericht München vom 27. 04. 2005; vgl. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 66 mit Anm. 27 bzw. 65 Anm. 25 nebst Nennung der Aktenzeichen); zum ganzen Kontext vgl. Theißen, Adoptionsvermittlung, 16 f. – In der Praxis ist die formelle Ablehnung freilich recht selten mit dem Ergebnis, dass Vermittlungsstellen gelegentlich Bewerber registrieren, die für eine tatsächliche Kindesplatzierung praktisch nicht in Frage kommen (dies bestätigen Befragungsergebnisse bei Vermittlungsstellen, vgl. Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 246). 133 Mit dem Begriff der »praktischen Erweisstruktur« wie auch der ganzen Herleitung des Konzepts einer »Vermittlung probater elterlicher Fähigkeiten« greife ich auf meine schon erwähnte Studie Theißen, Evangelische Offenheit, 129–131 zurück. 134 Die folgenden Angaben stützen sich auf die von Vermittlungsseite gemachten Angaben zur eigenen Kriterienbildung und -anwendung in der Überprüfung der Bewerberpaare (vgl. Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 213–224). Vgl. auch Theißen, Adoptionsvermittlung, 17–20 sowie Henning Theißen/Martin Langanke, Ethische Probleme der Sukzessivadoption, in: PFAD. Fachzeitschrift für die Pflegeund Adoptivkinderhilfe, Bd. 27, Jg. 2013, Heft 2, 22 f. 135 Bei Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 217 wird eine Vermittlungsstelle mit der Einschätzung zitiert, dass dem Kind von Seiten seiner Adoptiveltern Partnerschaft »vorgelebt« werden würde und auch deshalb das Paarverhalten der Bewerber in Betracht komme. 136 So die These meines Beitrags: Theißen, Evangelische Offenheit. 137 Vgl. Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind, 68 sowie v. a. 85–110, jeweils unter dem Stichwort »strategischer Interaktion« seitens der Adoptionsbewerber; vgl. auch 119 (»Steuerungsversuch«). 138 Vgl. die Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 51 sowie 67. 139 Auf das diesbezügliche Urteil des EuGHMR aus dem Jahr 2002 wurde schon hingewiesen.
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Anmerkungen 140 Die gängigere Redeweise von der »internationalen Adoption« ist zumindest aus deutscher Perspektive ungenau, da der Adoptionsvorgang immer nach dem Recht des Herkunftslandes abläuft und die dort gültige Adoption dann in einem zweiten Schritt im deutschen Rechtssystem naturalisiert werden muss. Insofern liegt – mit Ausnahme des Haager Adoptionsübereinkommens (HAÜ) von 1993, das allerdings keine völkerrechtliche Rechtsquelle, sondern ein internationaler Vertrag mit einer wachsenden Zahl an Unterzeichnerstaaten ist – kein wirklich internationales Prozedere vor, sondern ein zweistufiger Prozess, der unterschiedliche Adoptionsregimes (mediatorisch) vermittelt und insoweit zwischenstaatlich, nicht international abläuft. 141 Vgl. Timothy P. Jackson, Suffering the Suffering Children. Christianity and the Rights and Wrongs of Adoption, in: Jackson (Hg.), Morality of Adoption, 188–207, hier 203: »right […] to be adopted«. 142 Vgl. z. B. die seinerzeitige Presseberichterstattung von Andreas Mink: https:// www.nzz.ch/kinderraub_im_auftrag_gottes-1.5040146 (25. 07. 2018). 143 Vgl. Marinus van IJzendoorn/Femmie Juffer, The Emmanuel Miller Memorial Lecture 2006. Adoption as intervention. Metaanalytic evidence for massive catchup and plasticity in physical, socio-emotional, and cognitive development, in: Journal of Child Psychology and Psychiatry, Bd. 47, Jg. 2006, 1227–1245. 144 Vgl. René A. C. Hoksbergen, Adoptie: een positieve interventie? Reactie op de artikelen ›Adoptie als interventie‹ van Van IJzendoorn en Juffer, in: Kind en Adolescent, Bd. 30, Jg. 2009, Heft 1, 4–15, besonders 13. 145 Vgl. z. B. Sandra Patton-Imani, Navigating Racial Routes in: Jackson (Hg.), Morality of Adoption, 78–113. 146 Herkömmlicherweise galten zumindest von Heroin Drogenabhängige, denen aufgrund ihrer Sucht die adäquate Versorgung eines Kindes oft kaum möglich sein wird, nicht als typischer Fall abgebender Mütter, da die Betroffenen bei fortgesetztem Drogenkonsum keinen Eisprung mehr haben. Dieser kehrt jedoch bei Methadonsubstitution zurück. 147 Z. B. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 23; 65. 148 Für hilfreiche Hinweise zu diesem Themenkomplex danke ich J. Swinton (vgl. auch Theißen, Adoption in Christian Social Ethics, 100). 149 Vgl. Sarah Shea, Theological Reflection on Inter-country Adoptions of Special Needs Children from Mainland China, in: Swinton/Brock (Hg.), Graceful Embrace, 161–182, hier 165 f. 150 Der Vorschlag des EFZA, statt von »special needs« von »special home finding« zu sprechen (Adoptionen in Deutschland, hg. vom DJI, 54), mag in der gelehrten Welt zu einem begrüßenswerten Umdenken beitragen, ist aber ansonsten eher Sprachkosmetik. 151 Hierin hat das in Kap. 3.2 ansatzweise vorgestellte befähigungsgerechte Konzept von P. Dabrock eine seiner Pointen. 152 So Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 60. Die Ausschlusskriterien sind »Transferleistungen« und »Privatinsolvenz«, also konkrete Armutsindikatoren. 153 Vgl. zum Folgenden Friederike Wapler, Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, in: Funcke/ Thorn (Hg.), Gleichgeschlechtliche Familie, 115–159. 154 Zum Minimalstandard vgl. Wapler, Lebensgemeinschaften, 128 f.
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Anmerkungen 155 Vgl. Wapler, Lebensgemeinschaften, 133: »Die Adoption geschieht duch richterliches Dekret […], also durch staatlichen Akt. Handelt der Staat selbst gegenüber dem Kind, so ist er nicht auf das Wächteramt aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG beschränkt, sondern muss die sachlich beste Lösung für das betroffene Kind anstreben.« Waplers Pointe lautet (im thematischen Kontext der Regenbogenfamilie), dass Beststandards immer nur im Einzelfall zu ermitteln seien und deshalb keine ganze Personengruppe (wie z. B. lesbische oder schwule Paare) von der Adoptionsmöglichkeit ausgeschlossen werden dürfe (133 f.). 156 Nach den Angaben bei Adoptionen in Deutschland, hg. vom DJI, 30 werden höchstens 5 % der Pflegekinder zurückgeführt. 157 Die Positionspapier Weiterentwicklung 2017, hg. von der BAGLJÄ, 15 schlägt vor, bei Kindern mit special needs, deren Pflegeverhältnis in eine Adoption umgewandelt wird, den Eltern das Pflegegeld zu belassen. Diese diskussionswürdige Maßnahme wäre freilich gegen die Möglichkeit abzuwägen, dass die Pflege für Elternpaare auch zum (Teil-)Lebenserwerb werden kann. 158 Vgl. hierzu zusammenfassend und mit Literaturangaben Schleiffer, Bindungstheorie, 162–168. 159 Z. B. zitiert Schleiffer, Bindungstheorie, 164 f. zustimmend Autoren, die die drastische Beschränkung oder gar Abschaffung von Herkunftskontakten bei Pflegeverhältnissen fordern. Der Grund dafür liegt in den Bindungskonflikten, die solche Kontakte bei Kindern erzeugen können. 160 Vgl. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 69. 161 Vgl. die rückblickenden Schilderungen fünf abgebender Mütter in der erwähnten Essener Adoptionsstudie: Helmut Geller, Frauen in existentiellen Konflikten. Entscheidungsprozesse um die Adoptionsfreigabe von Kindern (Politik-, Sozialund Wirtschaftswissenschaften, Bd. 6,5), Essen 1992. In seiner eigenen Ergebniszusammenfassung (Golomb/Geller, Adoption, hier 240–280) weist Geller auf einige methodisch wichtige Asymmetrien hin. So verstärke die häufige soziale Ablehnung der Entscheidung die isolierende Rückzugstendenz der abgebenden Mütter, durch die sie für Hilfsangebote nahezu unerreichbar werden. Psychologisch sei die nachgehende Beschäftigung der abgebenden Mütter mit dem Kind einem Trauerprozess vergleichbar, doch werde ihnen die Empathie nicht entgegengebracht, die Hinterbliebene regelmäßig erfahren (272 f.). 162 Steck, Adoption, 41 bestätigt Gellers qualitative Ergebnisse (s. vorige Anm.) und untermauert sie mit Rekurs auf quantitative Forschung, die von »langandauernden somatischen, psychischen, psychosomatischen und sozialen Auswirkungen« der Adoptionsfreigabe ausgeht. Schließlich sieht auch das EFZA-Dossier (Adoptionen in Deutschland, hg. vom DJI, 52) in der einschlägigen Forschung klare Hinweise auf psychische und soziale Langzeitfolgen, an denen abgebende Eltern laborieren (genannt werden z. B. Stigmatisierung und Vorurteile). Die einschlägige Untersuchung von Christine Swientek, Die »abgebende Mutter« im Adoptionsverfahren. Eine Untersuchungen zu den sozioökonomischen Bedingungen der Adoptionsfreigabe, zum Vermittlungsprozess und den psychosozialen Verarbeitungsstrategien, Bielefeld 1986 hebt die finanziellen oder familiären Zwangslagen abgebender Mütter hervor, die sich verzerrend auf die Freiwilligkeit der Freigabeentscheidung, aber auch noch auf spätere Bewältigungsstrategien auswirken
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Anmerkungen können, und macht damit einen wichtigen Gesichtspunkt geltend, der uns auch in der ethischen Betrachtung beschäftigen wird. 163 Vgl. Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind, 156–158. 164 Vgl. zu den folgenden Beispielen auch die Ausführungen der Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 69 f. In der Regel nimmt dann die vorgesetzte Person der staatlichen Adoptionsvermittlungsstelle die Vormundschaft wahr. 165 Instruktiv sind die Schilderungen bei Geller, Frauen in Konflikten, 279–345 (Fallbeispiel »Doris D.«). 166 Ich zitiere Schleiffer, Bindungstheorie, 25, der u. a. das Experiment der sog. Fremden Situation schildert (33–36). Hierbei werden Kinder im bindungssensiblen Alter für kurze Zeiträume wiederholt von der Bindungsperson (i. d. R. der Mutter) getrennt und in ihrem Verhalten bei Weggang und Wiederkehr der Mutter beobachtet. Die Beobachtung richtet sich dabei auf zwei Verhaltenssysteme, nämlich neben dem der Bindung auch auf das des sog. explorativen Spiels (der wesentlichen Lern- und Entwicklungsvoraussetzung von Kindern): Nur wenn Bindung hinreichend gesichert ist, haben die Kinder Ressourcen für das Spiel. Deshalb zeigt sich sichere Bindung z. B. in Weinen beim Weggang der Mutter, aber schneller Rückkehr zum Spiel, wenn sie wieder da ist. Abweichende Verhaltensweisen wie ein scheinbar selbstsicheres Spiel des Kindes auch beim Weggang der Mutter, dem das Kind in Wahrheit infolge frustrierter Vorerfahrungen keine Bindungsangebote mehr macht, oder auch ein unaufhörliches Ringen um die Mutter, das kein Spiel mehr erlaubt, lassen auf das Fehlen sicherer Bindung schließen. 167 Für klärende Hinweise zum Verhältnis von Befähigungs- und Bedürfnisethik danke ich Martin Langanke. 168 Bei aller plakativen Anschaulichkeit ist daher eine Maxime wie diejenige B. Brechts »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral« wenig hilfreich. 169 Vom Autonomiegedanken sind insbesondere die Bestimmungen in SGB VIII geleitet, nämlich der »Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit« (§ 1,1 SGB VIII). Zur Problematik dessen vgl. Harry Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille. Psychologische und rechtliche Aspekte, München 22007, hier 49–53, besonders 50. 170 Vgl. Alexander Bagattini/Colin Macleod (Hg.), The Nature of Children’s WellBeing. Theory and Practice (Children’s Well-Being: Indicators and Research, Bd. 9), Dordrecht 2015, hier z. B. 51 (A. Gheaus), 60 (C. Macleod), 82 (M. Betzler), 100 (A. Skelton), 138 (M. Clayton, hier nebst »adventure« und »creativity«) – und das in einem autonomietheoretischen Rahmen in Teil I des Buches (»Children’s Well-Being and Autonomy«). Die kindeswohlspezifische Pointe dieses Autonomiediskurses soll u. a. der Begriff der (kindlichen) Verletzlichkeit (vulnerability) darstellen, um den sich besonders die beiden Herausgeber kümmern. 171 So von Anthony Skelton, Utilitarianism, Welfare, Children, in: Bagattini/Macleod (Hg.), Children’s Well-Being, 85–103, der aus utilitaristischer Perspektive die sog. desire theory der Wunsch- und Bedürfnisbefriedigung als Quelle des Glücks aber zurückweist (98) und die (durchaus zweckfreie) Kultivierung der eigenen kindlichen Fähigkeiten, die für das Verfolgen von Wünschen relevant wären, an die Stelle setzt (101). 172 Vgl. zum Folgenden: Claudia Wiesemann, Kindeswohl – Ein Problemaufriss
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Anmerkungen aus der Perspektive der Medizinethik, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, Bd. 62, Jg. 2016, Heft 3, 235–244. 173 Das veranschaulicht überzeugend Anca Gheaus, The ›Intrinsic Goods of Childhood‹ and the Just Society, in: Bagattini/Macleod (Hg.), Children’s Well-Being, 35– 52. 174 Vgl. Wiesemann, Kindeswohl, 239. Wiesemann zielt ethisch darauf, dass das Kind selbst »Sachwalter und Interpret« (241) seiner eigenen Angelegenheiten sein sollte. 175 Einsichten in diesen Themenbereich verdanke ich einem unveröffentlichten Vortrag von Eva Schumann an der Universität Münster am 25. 03. 2017 in der im Vorwort dieses Buches erwähnten WGTh-Projektgruppe. 176 Es sind Fälle bekannt, in denen es Adoptivmüttern gelang, durch ausdauernde Stimulierung eine eigene Milchproduktion anzuregen und ihr Kind tatsächlich zu stillen. 177 Fakt ist, dass Adoptiveltern von Säuglingen, die ihr Kind in der Geburtsklinik kennen lernen, von Vermittlungsstellen durchaus zu engem Körperkontakt mit dem Säugling ermuntert werden, der dessen je nach den Vermittlungsumständen in den ersten Lebensstunden oder -tagen womöglich stärker entbehren musste als Kinder, die bei ihren leiblichen Eltern bleiben. 178 Die Kategorie des Commitment führe ich hier im Anschluss an Schleiffer, Bindungstheorie, 169 u. ö. ein. Gemeint ist grundsätzlich die elterliche Entsprechung zur individuellen Definiertheit der selektiven Bindung beim Kind. 179 Zu den systembedingten Grenzen der Bindungsentwicklung bei Heim- oder Pflegeunterbringung vgl. Schleiffer, Bindungstheorie, 100–149: Im Heim ist die sog. selektive Bindung an genau eine Person erschwert, weil Peers, denen definitionsgemäß die Überlegenheit einer Bindungsperson fehlt, diese Funktion nicht übernehmen können (137 f.) und auch quasi-familiale Strukturen nicht etabliert werden können, denn sie würden den Einbezug körperlicher Nähe als Realisierung von Bindung einschließen müssen, dem aber im Heimkontext der Ruch des »›[Ü]bergriffigen‹« anhaftet (147). – In einer Pflegefamilie wiederum stellt sich durch die obligaten Herkunftskontakte das Problem der »[U]nsichere[n] Elternschaft« (168 ff.), das die Bindungskonzepte nachteilig zu beeinflussen vermag. 180 Vgl. Schleiffer, Bindungstheorie, 212. 181 Dies ist aufgrund der realen Benachteiligungen, also gerechtigkeitsethisch gesprochen: der Chancenungleichheiten anzunehmen, die Kinder gegenüber Erwachsenen aufweisen. Die uns aus Kap. 3.1 bekannte, befähigungsethisch motivierte Annahme wirklich ungleicher Möglichkeiten stand im Hintergrund der im Vorwort dieses Buches erwähnten WGTh-Projektgruppe, vgl. Anne Käfer/Henning Theißen (Hg.), In verantwortlichen Händen. Unmündigkeit als Herausforderung für Gerechtigkeitsethik (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, Bd. 55), Leipzig 2018. Im vorliegenden Buch wird jedoch mit Blick auf Kinder für diese befähigungsethisch bestimmte Ausgangslange eine bedürfnisethische Lösung gesucht. 182 Vgl. zu diesem Beispiel Wiesemann, Kindeswohl, 237. 183 Anstöße zur diesbezüglichen Gewichtung der Familie verdanke ich Katharina Beier durch ihren unveröffentlichten Vortrag bei der Tagung »Familie und Repro-
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Anmerkungen duktionsmedizin. Ethische, theologische und politische Aspekte« im ZfG Hannover am 05. 06. 2014. 184 Zur monographischen Umsetzung dieses Konzepts vgl. Wiesemann, Verantwortung. 185 Zur methodischen Grenze dieser Begriffsbestimmung s. o. Kap. 2.1. 186 Die einschlägige Formulierung der Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 59 lautet, dass das Kind »besonders für das erste Jahr nach Aufnahme« die »ungeteilte Zuwendung einer Bezugsperson« haben soll, d. h. für einen Elternteil ist eine Berufstätigkeit in dieser Phase de facto ausgeschlossen. 187 Ich zitere Eggen, Lebensgemeinschaften, 57, der mit diesen Worten im Rahmen eines funktionalistischen Kindeswohlarguments unterschiedliche Rollenwahrnehmungen bei gleichgeschlechtlichen Paaren beschreibt, und zwar ohne jeden Rekurs auf Geschlechtlichkeit und Genderfragen: »Nach den Grundsätzen gelingender Erziehung brauchen Kinder zumindest eine Person, die sie um ihrer selbst Willen liebt, also grundsätzlich weder zwei Personen, noch Vater und Mutter« (58). Allerdings scheint mir hier bei aller berechtigten Entkoppelung von elterlichem Geschlecht und elterlicher Aufgabe die Gemeinschaftlichkeit des elterlichen Handelns doch zu kurz zu kommen. Gleichzeitig sollte der Verweis auf Eggen deutlich machen, dass an Diskussionen um »Herdprämie« oder »Hausfrauenehe« nichts gelegen ist. 188 Für den medialen Aspekt der Thematik kann auf die frühere Sendereihe »Familien im Brennpunkt« des Senders RTL verwiesen werden, die als »Doku-Soap« auftritt, aber ein »gescriptetes« Format darstellt (vgl. Maya Götz/Andrea Holler/ Christine Bulla/Simone Gruber, Wie Kinder und Jugendliche Familien im Brennpunkt verstehen. Forschungsbericht zur Studie »Scripted Reality: Familien im Brennpunkt«, hg. von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2012, online: lfmpublikationen.lfm-nrw.de/modules/pdf_download.php?pro ducts_id=278 [03. 07. 2018]). 189 Maßgebliche Quellen dieser sog. Berufsethik, die bis heute ein fester Topos in der lutherischen Theologie ist, sind Luthers Auslegung der Zehn Gebote »Von den guten Werken« (1520), sein Gutachten über die Mönchsgelübde »De votis monasticis« (1521) und in stärker binnentheologischem Zusammenhang die Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen in der Reformschrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« (1520). 190 Hierfür ist die von Luther testamentarisch angelegte Schrift »Bekenntnis« als Schlussteil seiner antireformierten Polemik »Vom Abendmahl Christi« (1528) mitverantwortlich, wo Luther neben den bestehenden Ständen und Ordnungen den »Orden der christlichen Liebe« einführt, der an keinen der bestehenden Stände gebunden sei (Martin Luther, Werke, Abt. I, Bd. 26, 505,11 f.). 191 Im postsäkularen Kontext ist z. B. der vom amerikanischen Postliberalismus beeinflusste, aber auch M. Claudius in Erinnerung rufende Lutheraner Bernd Wannenwetsch, Von Wert und Würde der Familie, in: Hans Günther Krüssselberg/Heinz Reichmann (Hg.), Zukunftsperspektive Familie und Wirtschaft. Vom Wert von Familie für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, Grafschaft 2002, 343–358 ein gegenwärtiges Beispiel für das Konzept der Familie als Beruf, mit dem christliche Familienvorstellungen für anstehende sozialpolitische Verteilungskämpfe günstig positioniert werden sollen. Ich sehe allerdings kaum, mit welchem anderen
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Anmerkungen politischen Pfund als der einen oder anderen Form von »Herdprämie« man hier wuchern will. 192 Sichtbar wird das allerdings nur beim Vergleich der Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 53 mit der Vorgängerversion von 2009, wo ein maximaler Altersabstand zwischen Eltern und Kind von vierzig Jahren angegeben wurde, offensichtlich am Durchschnittszeitpunkt des Eintritts der Wechseljahre orientiert (vgl. Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung, 6., neu bearbeitete Fassung 2009, beschlossen auf der 107. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 04. bis 06. November 2009 in Hamburg, München 2010, online: http://www.bagljae.de/assets/downloads/5b362538/109_empfehlungen-adop tionsvermittlung_2009.pdf [03. 07. 2018], 25). 193 Vgl. Hille Haker, Kryokonservierung von Eizellen – Neue Optionen der Familienplanung? Eine ethische Bewertung, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, Bd. 62, Jg. 2016, Heft 2, 121–132, insbesondere 130 mit wünschenswerter Deutlichkeit. 194 Nachdem Luther gegen Ende seiner Schrift »Vom ehelichen Leben« (1522; drei Jahre vor seiner eigenen Heirat mit Katharina von Bora) die Geburt und Erziehung von Kindern das »Allerbeste im ehelichen Leben« genann hat, muss er zum Schluss einer »großen, starken Einrede« entgegentreten; sie lautet: »Ja, sagen sie, es wäre gut, ehelich zu werden; wie soll ich mich aber ernähren?« Luthers Antwort auf diese Einrede lautet, dieselbe sei »Unglaube und Zweifel an Gottes Güte und Wahrheit«, denn die mit dieser ›Versorgungsmentalität‹ argumentieren, wollen, ehe sie heiraten, »zuvor des Gutes sicher sein, von dem sie Essen, Trinken und Kleider nehmen«; das aber widerspreche Gottes Gebot und Verheißung, die im Deutschen sprichwörtlich geworden sind: »Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen« (Genesis 3,19). So Martin Luther, Vom ehelichen Leben, hg. von Oswald Bayer, in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 3, Frankfurt 1982, (165) 166–199, hier 197 (in der Kritischen Gesamtausgabe der Werke Luthers, der WA = Weimarer Ausgabe, entspricht dem Abt. I, Bd. 10/III, 302). Auf den theologischen Kontext dieser Aussagen ist aufmerksam zu machen: Die biblische Belegstelle aus der Sündenfallgeschichte dient Luther dazu, die Ehe als eine Sündern gebotene (sog. infralapsarische) Lebensform plausibel zu machen, die keine sakramentale (= heilsvermittelnde) Qualität besitzt. Das ist im Kontext der (in Kap. 4.4 schon erwähnten) Kritik am römischen Klerus zu sehen, aus dem Luther sich eben 1522 zu befreien im Begriff war: Ein Jahr zuvor hatte er die Mönchsgelübde verworfen, 1525 legte er die Kutte endgültig ab und heiratete selbst die frühere Nonne Katharina von Bora. Angesichts dieser zeitgeschichtlichen Kontexte sollte eine heutige Theologie aus der biblischen Herleitung der zitierten Ausführungen Luthers nicht die Behauptung der Ehe als sog. Schöpfungsordnung entnehmen! 195 Die Prozentangaben sind zur Häufigkeit von Stiefkindadoptionen dem Positionspapier Adoptionsrecht, hg. von der BAGLJÄ, 5 bzw. zur anteiligen Häufigkeit adoptierender Stiefmütter den Empfehlungen 2017, hg. vom DJI, 70 entnommen. 196 Diese rechtliche Restriktion ist auch ethisch gut begründbar. Eine wichtige Voraussetzung für die Adoptionseignung ist, worauf in Kap. 6 noch einzugehen sein wird, die partnerschaftliche Stabilität der Annehmenden. Wird es hierfür auch nie volle Gewähr geben – schließlich können auch die Paarbeziehungen von Adoptiveltern scheitern –, so tut der Gesetzgeber in seiner Regulierung der Adoptions-
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Anmerkungen bedingungen (hier § 1741 Abs. 2 BGB) doch gut daran, die standesamtliche Registrierung, also die öffentliche Verbindlichkeit der Partnerschaft zum unverzichtbaren Kriterium solcher Stabilität zu erheben und die gemeinschaftliche Adoption, die ethisch immer wünschenswert ist, sobald sich zwei als Paar zusammenlebende Personen die Sorge für das Kind teilen, nur verheirateten Paaren zu gestatten, diesen aber auch keine andere als die gemeinschaftliche Adoption zu gestatten. Es ist also ethisch legitim, dass Paare, die ohne staatliche Registrierung zusammenleben, rechtlich nicht gemeinsam als Adoptierende auftreten können, übrigens auch nicht auf Umwegen analog zur Sukzessivadoption, da diese nach § 1742 BGB ebenfalls Verheirateten vorbehalten ist. In der Praxis ist auch die Chance für eine Adoption durch nur einen Partner eines nicht verheirateten Paares Null. 197 Vgl. die biblische Textstelle Jesaja 49,15, ein Gotteswort an die von den Babyloniern eroberte Stadt Jerusalem: »Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.« 198 Vgl. zum Folgenden die qualitative Studie von Geller, Frauen in Konflikten, die in gewisser Weise die Pionierarbeiten von Ch. Swientek auf dem Gebiet der Forschung mit abgebenden Müttern beerbt. 199 Das EFZA nennt in seinem Dossier mit Verweis auf einschlägige Forschungen folgende Motivkomplexe, die Schwangere bzw. abgebende Mütter die Freigabe in Erwägung ziehen lassen: »psychiche[.] Krankheiten […] sozioökonomische Mängel und fehlende soziale Unterstützung bis hin zu dem Gefühl der Überforderung durch ein Kind« (Adoptionen in Deutschland, hg. vom DJI, 51). Speziell die Armutsproblematik, die eine Freigabe begründen kann, wird näher bei Geller, Frauen in Konflikten, 118–122; 422 f. am Beispiel »Brigitte B.« behandelt. 200 Im Folgenden stütze ich mich auf die Analyse von »zwei grundverschiedenen Leitbildern« (sc. Ehefrau und Mutter einerseits, eigenständig Berufstätige andererseits), die die Macher der Essener Adoptionsstudie bei einer Gruppe von insgesamt 38 befragten Frauen, die allerdings nicht alle die Adoptionsfreigabe gewählt haben, ausmachen konnten (vgl. Geller, Frauen in Konflikten, 420 f., Zitat 420). 201 Die unveränderte Aktualität der Vereinbarkeitsfrage von Familie und Beruf zeigte sich uns in Kap. 4.4. 202 So mit Geller, Frauen in Konflikten, 416 u. ö. sowie Golomb/Geller, Adoption, 242 f. 203 So Geller, Frauen in Konflikten, 421. 204 Dies betrifft besonders den Fall der »Annette A.«, vgl. Geller, Frauen in Konflikten, 32–45 sowie Golomb/Geller, Adoption, 241 f. mit Hinweis darauf, dass die Adoption von den betroffenen Müttern in der Schwangerschaft meist gar nicht als akzeptabel (»unzulässige Zumutung«, 242) in Erwägung gezogen wird, da die »Einheit von Gebären und Aufziehen« (241) von den Betroffenen internalisiert worden ist. 205 Vgl. insbesondere Geller, Frauen in Konflikten, 424–432 unter dem Stichwort »Entscheidungsprozesse«. Der diesbezügliche Anspruch wird noch zugespitzt, wenn die Entscheidungen, die Frauen im Schwangerschaftskonflikt treffen, als »Gewissensentscheidung« eingestuft werden (428 f. mit Bezug auf den Fall »Doris D.«, die im Interview davon berichtet hatte, vor der letztlichen Entscheidung [sc.
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Anmerkungen in ihrem Fall: das Kind zu behalten] eine tiefgreifende Selbstentfremdung gespürt zu haben [312: »Das bist Du nicht mehr«]). 206 Die 2009 geprägte Begriffsdefinition des älteren Terminus ist auf der Homepage des Nationalen Zentrums für Frühe Hilfen nachlesbar: https://www.fruehehilfen. de/fruehe-hilfen/was-sind-fruehe-hilfen/ (03. 07. 2018). 207 Vgl. z. B. die folgende, vom DLF am 24. 01. 2016 veröffentlichte Reportage: Susanne Nessler/Christine Westerhaus, Wenn Eltern ihren Kindern schaden, online: https://www.deutschlandfunkkultur.de/raus-aus-der-familie-wenn-eltern-ihrenkindern-schaden.1076.de.html?dram:article_id=343427 (04. 07. 2018), aus der auch die angegebene Zahl stammt. 208 Vgl. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 43. 209 Vgl. Neonatizid. Expertise im Rahmen des Projekts »Anonyme Geburt und Babyklappen in Deutschland«. Fallzahlen, Angebote, Kontexte, erstellt von Theresia Höynck/Ulrike Zähringer/Mira Behnsen, hg. vom Deutschen Jugendinstitut, München o. J. [2011], online: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/Projekt_ Babyklappen/Berichte/Expertise_Neonatizid.pdf (04. 07. 2018). 210 Vgl. Das Problem der anonymen Kindesabgabe. Stellungnahme, hg. vom Deutschen Ethikrat, Berlin 2009. 211 Vgl. Kindesabgabe, hg. vom Deutschen Ethikrat, 93 f. (Empfehlung der Schaffung eines entsprechenden Gesetzes); vgl. aber auch 95–97 (Minderheitsvotum von Axel W. Bauer und Ulrike Riedel gegen die Gesetzesempfehlung). 212 Rechtliche Grundlage ist das »Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt« vom 28. 08. 2013, mit dem u. a. das Schwangerschaftskonfliktgesetz und das Personenstandsgesetz geändert wurden. 213 Vgl. Kindesabgabe, hg. vom Deutschen Ethikrat, 94. 214 Vgl. Neonatizid, hg. vom DJI, 63. 215 Vgl. Kindesabgabe, hg. vom Deutschen Ethikrat, 98 f. (Sondervotum von Anton Losinger, Eckhard Nagel, Peter Radtke, Eberhard Schockenhoff, Erwin Teufel, Kristiane Weber-Hassemer). Das Argument, »nie mit letzter Sicherheit […] die Alternative zu der gewählten Handlung« zu kennen, findet sich auch im Mehrheitstext der Stellungnahme (81). 216 Vgl. z. B. Kindesabgabe, hg. vom Deutschen Ethikrat, 22. 217 Vgl. zu dieser im Folgenden dargestellten Übereinstimmung Neonatizid, hg. vom DJI, 36; 62 sowie Kindesabgabe, hg. vom Deutschen Ethikrat, 22–24. 218 Hierauf weist zu Recht auch die theologisch-ethische Dissertation zum Thema Babyklappe von Lynn Clare Schnigula, Leben schützen – nicht durch Anonymität, sondern vor und aus der Anonymität. Eine ethische Beurteilung von Babyklappe und anonymer Geburt im Kontext von Hilfen für Schwangere und Mütter in Not (Ethik in Forschung und Praxis, Bd. 12), Hamburg 2013, hier 183; 214 hin. Schnigula schließt sich im Ergebnis ansonsten der Empfehlung der vertraulichen Geburt (im Gegensatz zur anonymen Geburt) an (272–275), urteilt also in der Sache wie der Deutsche Ethikrat. 219 Einige Problempunkte werden in Kindesabgabe, hg. vom Deutschen Ethikrat, 21 f. angerissen; in anderem Zusammenhang fällt auch das Stichwort »Kinderhandel« (80), der nicht zuverlässig genug ausgeschlossen sei. 220 Vor allem dieses Argument nötigt mich, meine frühere, verhältnismäßig günstige Einschätzung der Babyklappen, die 2012 ohne Kenntnis der DJI-Expertise zum
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Anmerkungen Neonatizid formuliert wurde (vgl. Theißen, Adoptionsvermittlung, 33 f.), zurückzunehmen. 221 Vgl. Bernd Wacker, Abgeben statt abtreiben? Zur Analyse eines Schlagworts, in: Stimmen der Zeit, Nr. 212, Jg. 1994, 7–36. 222 Vgl. Golomb/Geller, Adoption, 15–31 (»Lebensschutz durch Lebensperspektive«), obwohl im selben Band die Aporien dieser Position durchaus gesehen werden (251). 223 Vgl. zu diesem Fall Geller, Frauen in Konflikten, 346–407, besonders 346–348 zur familiären Ausgangskonstellation. 224 Vgl. zum Umschwung von der Abtreibungs- zur Adoptionsidee besonders Geller, Frauen in Konflikten, 356 f. 225 Vgl. Geller, Frauen in Konflikten, 385 f. 226 Vgl. die Beiträge in dem Band von Walter Bechinger/Bernd Wacker (Hg.), Adoption und Schwangerschaftskonflikt. Wider die einfachen Lösungen (Schriften der Katholischen Akademie Rabanus Maurus), Idstein 1994, hier besonders JeanPierre Wils, Adoption statt Abtreibung. Eine ethische Perspektive? Fundamentalethische Thesen, in: a. a. O., 27–31, zum Problem der Ungleichzeitigkeit v. a. 29 f. 227 Das Argument bei Wiesemann, Verantwortung, 45 (Zitat) lautet, dass die unvergleichlich enge Relation der Mutter zum Ungeborenen keine individualistische Ethik dulde, die die Interessen der Mutter oder aber auch die des ungeborenen Kindes vom jeweils anderen ablöse. Die angemessene relationale Ethik geht ihres Erachtens von der Verantwortung aus, die die Schwangere für das Kind übernimmt, was im Beispiel einer »schwerwiegende[n], mit dem Leben nicht vereinbare[n] Behinderung wie zum Beispiel eine[r] Anenzephalie« (47) heißen kann, dass die Mutter aus Verantwortung für das Kind die Abtreibung wählt (48). Es ist deutlich, dass dieses Argument vor allem auf die Überwindung einer methodischen Problematik zielt und nicht vorrangig ein Votum zur Abtreibung im Schwangerschaftskonflikt darstellt. 228 Dies geschieht nicht nur im Rahmen eines liberalen Individualismus, sondern auch von konfessionell katholischer Perspektive aus, wie bei Darlene F. Weaver, Embryo Adoption Theologically Considered. Bodies, Adoption, and the Common Good, in: Sarah Vaughan Brakman/Darlene F. Weaver (Hg.), The Ethics of Embryo Adoption and the Catholic Tradition, Dordrecht 2007, 141–159, die die Embryonenadoption aus der Sexual- in die Gemeinwohlethik verlagert, wo es legitim sei, dass die Annehmenden sich durch die Adoptionshandlung selbst zu Eltern machen (155). 229 Hierauf weist Anneliese Ullrich, Adoption – eine Alternative im Schwangerschaftskonflikt? Erfahrungen und Überlegungen aus der Arbeit des Sozialdienstes katholischer Frauen, in: Bechinger/Wacker (Hg.), Adoption und Schwangerschaftskonflikt, 91–103 hin. 230 In die Richtung dieses Schlagwortes weist z. B. Christine Swientek, Ich habe mein Kind fortgegeben. Die dunkle Seite der Adoption (rororo Taschenbücher, Bd. 5119), Reinbek 1982. Das Buch trägt auf der anderen Seite viel zur Dekonstruktion der vermeintlichen handlungsleitenden Alternativen bei. 231 Vgl. Fritz Stolz, Art. Geburt (religionswissenschaftlich), in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Bd. 3, 2000, 518 f., hier 518: »Die menschliche G[eburt] gilt – wie der Tod – in keiner menschlichen Gesellschaft als ein ›natür-
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Anmerkungen licher‹ Vorgang, sondern ist ein Ereignis, das kulturell (und rel[igiös]) bearbeitet und verarbeitet wird.« 232 Ich denke einerseits an die ethisch bewusstlose »negative Gynäkologie« bei Peter Sloterdijk, Sphären, Bd. I: Blasen, Frankfurt 1998, 275–296 und andererseits an die ontologisierenden Geschlechterrollen bei Ferdinand Ulrich, Der Mensch als Anfang. Zur philosophischen Anthropologie der Kindheit (Kriterien, Bd. 16), Einsiedeln 1970. 233 Vgl. zum Folgenden auch meinen Beitrag: Henning Theißen, Natalität – eine noch junge Begriffskarriere in der Anthropologie, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie, Bd. 54, Jg. 2012, Heft 3, 285–311. 234 Zitiert ist Ludger Lütkehaus, Natalität. Philosophie der Geburt (Die Graue Reihe, Bd. 47), Zug 2006, 86. 235 Zum Natalitätsbegriff bei Arendt vgl. Theißen, Natalität, 286–293 sowie Karin Ulrich-Eschemann, Vom Geborenwerden des Menschen. Theologische und philosophische Erkundungen (Studien zur Systematischen Theologie und Ethik, Bd. 27), Münster 2000, 25–55. 236 Vgl. Christina Schües, Philosophie des Geborenseins (Alber Philosophie), Freiburg 2008, hier 289–301 (»Geburt als Bedingung von Intentionalität – Der GrundSatz«). 237 Vgl. dazu auch Wiesemann, Verantwortung, 31, die als Beispiel mütterlicher Kindesverantwortung schon vor der Geburt die anrührende Praxis anführt, »dem Kind etwas vorzusingen«. 238 So Schües, Philosophie des Geborenseins, 292. 239 Vgl. Schües, Philosophie des Geborenseins, 301 (Zitat) bzw. 305 (Rekurs auf Waldenfels). 240 Ein Beispiel für eine solche Letztbegründungsstrategie bieten die theologischen Abschnitte in der erwähnten Dissertation von Schnigula, Babyklappen, z. B. 177– 180. 241 Einschlägige Beiträge der Kontrahenten sind die folgenden: Eilert Herms, Menschenwürde, in: Klaus-Martin Girardet/Ulrich Nortmann (Hg.), Menschenrechte und europäische Identität – die antiken Grundlagen, Stuttgart 2005, 183–214 (Vertreter der Position a) bzw. (als Vertreter der Position b) Johannes Fischer, Menschenwürde und Anerkennung. Zur Verwendung des Menschenwürdebegriffs in der Debatte über den Status des vorgeburtlichen Lebens, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik, Bd. 51, Jg. 2007, Heft 1, 24–39 sowie Johannes Fischer, Zur Relativierung der Menschenwürde in der juristischen Debatte, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik, Bd. 54, Jg. 2010, Heft 1, 3–8. 242 Prominenter Autor in dieser Debatte war der Ethiker P. Singer. 243 Mir steht insbesondere Wiesemann, Verantwortung, vor Augen, die nach eingehender Kritik der Personenkategorie das Individuum als Verbindung des menschlichen Genoms mit einer prinzipiell unteilbaren Gestalt definiert (64). 244 Diese Überlegungen schließen an die Ausführungen in Kap. 4.2 zur Befähigungs- und Bedürfnisethik an. Die Anschlussfrage, wie auf dieser Grundlage die kulturphilosophische These A. Portmanns vom Menschen als Mängelwesen (und der Kultur als Ausgleich dieser Mängel, so A. Gehlen) zu beurteilen ist, muss hier auf sich beruhen.
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Anmerkungen 245 Ausführlicher haben wir uns den möglichen Motiven von Schwangerschaftskonflikten in Kap. 5.1 gewidmet. 246 Vgl. hierzu nochmals die Ausführungen von Ullrich, Erfahrungen und Überlegungen. 247 Vgl. Geller, Frauen in Konflikten, 408–421. 248 Zu allen das Familienrecht betreffenden Ausführungen in diesem Kap. 5.4 sind als grundsätzliche Hintergrundliteratur zu vgl. die Ausführungen von Marina Wellenhofer in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., Bd. 9, München 2017, 16–51; 154–164. 249 Hinweise auf die damit eröffnete Kaskade vaterschaftsrechtlicher Grundsätze verdanke ich dem unveröffentlichten Vortrag von Bettina Heiderhoff, Auswirkungen der Reproduktionsmedizin auf das Familienrecht, gehalten bei der Fachtagung »Familie und Reproduktionsmedizin. Ethische, theologische und politische Aspekte« am ZfG Hannover am 05. 06. 2014. 250 Vgl. hierzu Wellenhofer in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., Bd. 9, 17. 251 Es wäre also irrig anzunehmen, dass der Begriff der leiblichen Vaterschaft, der auf europäischen Druck hin ins deutsche Familienrecht eingebaut wurde, gewissermaßen außerhalb des rechtlichen Vaterschaftsbegriffs stünde; er ist vielmehr selbst ein bestimmter Rechtsbegriff. Leibliche Eltern sind nach der Adoption rechtlich gesehen in keiner Weise mehr die Eltern ihres Kindes, sondern nurmehr die »Abgebenden«. 252 Die erfolgte Beratung soll »Bedingung für die Möglichkeit der notariellen Erklärungen« werden, so Weiterentwicklung des Adoptionsrechts, hg. von der BAGLJÄ, 20. Hier wird auch der im Folgenden thematisierte Sachverhalt verhandelt. 253 So die Empfehlungen 2017, hg. vom DJI, 67 f. mit Rekurs auf die für das DJI erstellte Studie von Friederike Wapler/Wibke Frey, Die Ersetzung der Einwilligung in die Adoption. Rechtslage und Reformbedarf. Eine Expertise für das Expertiseund Forschungszentrum Adoption (EFZA), München o. J. [2017], online: https:// www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2017/Wapler_Frey_Ersetzung_Einwilli gung_in_Adoption.pdf (19. 07. 2018). 254 So Weiterentwicklung 2017, hg. von der BAGLJÄ, 20. 255 Im »Positionspapier« der BAGLJÄ liest man unter Ziff. 4.7 als erste »Empfehlung« zu diesem Thema das Folgende. »Um die Rechte der Kinder zu stärken […], ist es erforderlich, die Rechte von leiblichen und rechtlichen Vätern […] zu stärken […]« (Weiterentwicklung 2017, hg. von der BAGLJÄ, 20, dort auch die weiteren Zitate). Undiskutiert vorausgesetzt wird also, dass diese Väter die Sachwalter der Rechte ihrer Kinder sind. Der erläuternde Begleittext räumt aber selbst ein, dass das nur eine Möglichkeit und nicht schon die Wirklichkeit ist: »Die Praxis zeigt immer wieder, dass sich auch bei Männern nach der Geburt eines Kindes ein Bewusstseinswandel vollziehen kann [!]; Männer, die ursprünglich bereit waren, auf ihr Kind zu verzichten, wollen ihre Rechte als Vater doch wahrnehmen.« Abgesehen davon, dass die Rede von Verzichtsbereitschaft hier ein Euphemismus für Desinteresse sein dürfte, fällt auf, dass der mögliche »Bewusstseinswandel« sich doch nur auf die Rechte des Vaters und nicht auf die dadurch vorgeblich zu stärkenden Rechte des Kindes richtet. Ganz zu schweigen davon, dass in einer Vielzahl
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Anmerkungen praktischer Fälle das Ringen der Väter um ihr Kind zugleich und womöglich vorrangig ein nachträglicher Rosenkrieg mit der Mutter oder Stellvertreterkrieg für einen solchen sein kann. 256 Vgl. die oben erwähnte Expertise von F. Wapler und W. Frey. 257 Zu diesem imaginativen Eltern-Kind-Verhältnis s. o. Kap. 3.2. 258 Vgl. zu diesem Thema u. a. aus (theologisch-)ethischer Perspektive Frank Surall, Ethik des Kindes. Kinderrechte und ihre theologisch-ethische Rezeption (Forum Systematik, Bd. 31), Stuttgart 2009. 259 Vgl. hierzu Wellenhofer in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., Bd. 9, hier 154–156. 260 Wellenhofer in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., Bd. 9, hier 157 zu § 1600 Rn. 12–15. 261 Vgl. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 45. 262 Zu diesem Schwanken s. o. Kap. 5.2. 263 Ein eindrucksvolles Beispiel für ein solches Machtgefälle ist der bei Geller, Frauen in Konflikten, 31–96 geschilderte Fall »Annette A.«, hier 53 f. 264 Mit demselben Argument lässt sich grundsätzlich auch ein auf Ehepaare beschränkter Zugang zur kassenfinanzierten Reproduktionsmedizin ethisch begründen. 265 Hingegen kann man mit dem Argument der Gemeinschaftlichkeit der Sorge ethisch nicht begründen, dass auch unverheiratete Paare (egal, ob gleich- oder gegengeschlechtlich) gemeinsam müssten adoptieren können. Ihnen fehlt die relative Gewähr der Dauer ihrer Gemeinschaftlichkeit durch die Ehe. Das ethisch berechtigte Erfordernis einer Gleichstellung von nichtehelichen mit ehelichen Kindern verfängt hier ebenfalls nicht, da es bei der Adoption ja darum geht, bereits geborenen Kindern die relativ beste Möglichkeit des Aufwachsens bei sozialen Eltern zu geben; es handelt sich nicht um einen Anspruch auf Gleichstellung nichtehelicher mit ehelichen Paaren. 266 Für im Mailverkehr ausgetauschte Anregungen zu dieser Frage danke ich Ruth Denkhaus. 267 Damit ist nicht bestritten, dass leibliche Geschwister in ihrer genetischen Ausstattung stärker übereinstimmen als jedes von ihnen mit einem der Elternteile. (Für diesbezügliche Hinweise danke ich Lorenz Walch.) 268 Ich variiere mit dem Rekurs auf Verschwägerung und Verwandtschaft die Unterscheidung von »Geschlechterpolarität« und »Generationenhierarchie«, die (in Modifikation älterer ethnologischer Konzepte) in der Familiensoziologie herangezogen wird, um die Struktur der sog. Kernfamilie auf verschiedenste Normvarianten von Familie übertragen zu können, so z. B. bei Dorett Funcke/Petra Thorn, Statt einer Einleitung: Familie und Verwandtschaft zwischen Normativität und Flexibilität, in: Funcke/Thorn (Hg.), Gleichgeschlechtliche Familie, 11–33, hier 22. 269 In eine erbbiologische Debatte kann ich mich mangels Kompetenz nicht begeben. 270 Vgl. Inzestverbot. Stellungnahme, hg. vom Deutschen Ethikrat, Berlin 2014, online: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/ deutsch/stellungnahme-inzestverbot.pdf (06. 07. 2018), hier 72–77, besonders 76 zum wesentlichen Argument, dass ein »›tatsächlich gelebter Familienverbund‹« schon lange nicht mehr bestehen darf; vgl. 51 zum Schutz eines solchen Verbunds
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Anmerkungen als eigentlichem Sinn der Strafbarkeitsbestimmung. Es fällt auf, dass der Ethikrat die erbbiolologische Problematik zwar behandelt und deren Signifikanz schon für einmaligen (nicht intergenerationell fortgesetzten) Inzest hoch beziffert (vgl. 57 f.), aber in seinen eigenen Empfehlungen (72–77) darauf gar nicht mehr eingeht. Hier steht vielmehr die sexuelle Selbstbestimmung im Vordergrund. Das passt dazu, dass in den Empfehlungen – bemerkenswert für einen Ethikrat – nur auf die Frage der Strafbarkeit von Inzest abgehoben wird und eine davon unterscheidbare ethische Urteilsbildung unterbleibt. Insbesondere unterschätzen die Autoren m. E., dass die Bindungswirkung der Familie ihre Mitglieder über die Zeit des intergenerationellen Zusammenlebens hinaus verpflichtet, wie sich jedermann bei einem Familientreffen, besonders einer Hochzeit, Taufe oder Trauerfeier überzeugen kann. 271 Vgl. zum Folgenden Betzler/Bleisch (Hg.), Familiäre Pflichten. 272 Hierauf konzentriert sich Simon Keller, Vier Theorien filialer Pflichten, in: Betzler/Bleisch (Hg.), Familiäre Pflichten, 231–259, der seine »Spezielle-GüterTheorie« (245–259) auf einen äußerst steilen Begriff der entsprechenden Pflichten aufbaut, die »unbefristet, andauernd und anspruchsvoll« sein müssen. Dass hier »Idealisierung« und »Idolisierung« der Familie (s. o. Kap. 2.1) drohen, liegt auf der Hand. 273 Ursula Wolf, Erzeugen familiäre Beziehungen einen eigenen Typ spezieller Verpflichtung?, in: Betzler/Bleisch (Hg.), Familiäre Pflichten, 128–146 lässt nach sorgfältigen Begriffsdifferenzierungen am ehesten die »Übernahme der Verantwortung für ein abhängiges Wesen« (146), das im Rahmen eines absichtsvollen »kontinuierliche[n] Zusammenleben[s]« (137; sc. der Eltern) »faktische Anwesenheit im Haushalt« (140) aufweist, als originär familiäre Pflicht gelten. Das schließt erwachsene Kinder aus, Haustiere aber, bei denen »der moralische Punkt« »derselbe« sei (139), ausdrücklich ein. So klar die Rekonstruktion ist, scheint mir aber das eigentlich pflichtbegründende Moment der Abhängigkeit ein nicht spezifisch familiäres zu sein und die erforderliche »faktische Anwesenheit« ein Zusatzargument – mit der für die Adoptionsethik wichtigen Implikation, dass ein Findelkind einen Grenzfall bilden müsste, den Wolf jedoch eingeschlossen sehen will (139). 274 Diesen Einwand artikuliert mit großem rhetorischen Geschick Rüdiger Bittner, Große Kinder, in: Betzler/Bleisch (Hg.), Familiäre Pflichten, 217–228, hier 226 f., wo Bittner der von ihm abgewiesenen Position »Platonismus« vorwirft: Sie richte eine »Idee« von pflichtgemäßem oder gutem Verhalten auf, an der dann die Taten der Einzelnen gemessen werden, wo doch in Wahrheit die Taten ihre Güte nur in sich selbst tragen könnten. 275 Man kann hier auch auf die theologisch begründete Position von Bennett, Thicker Than Blood, 116–134 verweisen, die unter der Überschrift »Households Expanding« einen über die Verwandtschaft hinausgehenden Sinn von Familie vorschlägt. 276 Das folgende Argument verdanke ich der Behandlung von »Theories of Parental Responsibility« in dem Beitrag von Oliver Hallich, Embryo donation or embryo adoption? Conceptual and normative issues, in: Bioethics 32 (2018) 1–8, DOI: 10.1111/bioe.12515, den er mir freundlicherweise vor Publikation zur Verfügung gestellt hat. Hallich hat das Argument auch bei der Fachtagung »Verantwortliche
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Anmerkungen Elternschaft. Interdisziplinäre Perspektiven auf Gameten- und Embryonenspende« am Hannoveraner ZfG am 08./09. 09. 2016 vorgetragen. 277 Der kritischen Analyse des Kausalismus gilt Hallichs besondere Aufmerksamkeit in dem in der vorigen Anm. erwähnten Text. 278 Eines der weniger konstruierten Beispiele hierfür ist die Verwendung einer (z. B. im Kontext von IVF) entnommenen Eizelle zur Herbeiführung einer Schwangerschaft bei einer anderen Frau (verboten nach § 1 Abs. 1 Ziff. 6 ESchG). 279 So Abschn. 4 bei Hallich, Embryo Adoption, 4 ff. (»A Defense of Geneticism«). 280 Hallich, Embryo donation, 6 schreibt: »The genetic material then belongs to B [sc. Organempfänger] who, after the transplantation, has property claims over the gametes.« 281 Das folgende Argument habe ich in Referaten in der Greifswalder Vortragsreihe »Universität im Rathaus« am 02. 06. 2014 und bei der Tagung »Familie und Reproduktionsmedizin. Ethische, theologische und politische Aspekte« am ZfG Hannover am 05. 06. 2014 entfaltet. 282 Dass Johannes Giesinger, Elterliche Rechte und Pflichten, in: Betzler/Bleisch (Hg.), Familiäre Pflichten, 107–127 in einem sonst besonnen und klar argumentierenden Text Elternschaft wiederholt als »Lebensprojekt« (113; 121) bezeichnet, bringt einen m. E. unangebrachten Ton von wahlweise Lifestyle oder Technizismus in die Darstellung. Dabei ist Giesinger klar, dass elterliche Selbstverwirklichung – er spricht angemessener von »[e]xpressive[r] Freiheit« (119 ff.) der Eltern – nicht auf Kosten des Kindes gehen darf, schon weil Elternrecht im Grundsatz »elterliche Rechte als Rechte zur Erfüllung von Pflichten« meint (diese gelungene Formulierung: 120). 283 Giesinger, Elterliche Rechte, 113. 284 Ich beziehe mich mit diesen Bemerkungen auf Wilhelm Kamlah, Philosophische Anthropologie. Sprachliche Grundlegung und Ethik, Mannheim 1973, hier 145–182 (»Eudämonistische Ethik«), zunächst 154 f. zur Kritik des Vitalismus und darüber hinaus 93–102 zur »Grundnorm« der Bedürftigkeit. Zentral ist schließlich für Kamlah, dass die »Hilfe«, die die Philosophie angesichts der Erfahrung bieten kann, bestimmte, »zu einem lebenswerten Leben« fehlende, aber »angebbare« Güter zu entbehren, selbst »kein angebbares Gut neben anderen« sein kann, sondern eine »›Einstellung‹« sein muss, die man »seinem Leben gegenüber« einnimmt (alle Zitate 149) und die Kamlah als »Gelöstheit« bezeichnet (159 u. ö.). Als Theologe höre ich hier die paulinische Redensart »Haben, als hätte man nicht« (1. Korintherbrief 7,29) mit. 285 Vgl. Joseph Millum, The Moral Foundations of Parenthood, New York (New York) 2018, 3 zur Einführung der nach Elternrechten und -verantwortlichkeiten differenzierten Gesamtthese des Buches: »I argue that parental rights are acquired through the performance of parental work, which, roughly, is work directed at the flourishing of the child. […] I argue that parental responsibilities are acquired through the performance of certain voluntary acts that signify the taking on of parental reponsibilities.« Bei dieser sachlichen Vorordnung elterlicher Verantwortung vor elterliche Rechte ist zu bedenken, dass innerhalb letzterer nach Millum die fundamentalen Elternrechte diejenigen sind, »which are grounded in interests of the parents« (ebd.) – im Unterschied zu abgeleiteten Elternrechten (»derivative parental rights, which are grounded in other considerations, particularly the claims
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Anmerkungen of the child«, ebd.). Kindeswohlorientierung und Reproduktionsautonomie überschneiden sich hier. 286 Wiesemann, Verantwortung, 33. Dabei ist zu betonen (wie an anderer Stelle dieses Buches schon entfaltet), dass Verantwortung von Wiesemann als interpersonaler Beziehungsbegriff aufgefasst wird, was vor allem eine Gegenposition zur Vereinzelung der ethischen Subjekte sein will, in der Wiesemann das Grundübel vieler familienethischer Missstände erblickt. 287 Vgl. Erik H. Erikson, Kindheit und Gesellschaft, übers. von Marianne EckardtJaffé, Stuttgart 131999, 241–268 (»Die acht Lebensphasen des Menschen«), hier 261 f.: »Zeugende Fähigkeit gegen Stagnation«. 288 Jedenfalls dann, wenn man den extrem seltenen Fall einer Aufhebung der Adoption »von Amts wegen« aus »schwerwiegenden Gründen« nach § 1763 BGB (wie z. B. Verurteilung der Adoptiveltern zu Haftstrafen; vgl. Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 133) außer Betracht lässt, bei der die Elternschaft an die leiblichen Eltern zurückfallen kann. 289 Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 174–176 dokumentiert entsprechende Äußerungen von Seiten der Adoptionsvermittlungen. 290 Zum Extremproblem der Zwangsadoption wurde bereits in Kap. 3.1 Stellung genommen. 291 So Giesinger, Elterliche Rechte, 118 mit Rekurs auf Forschungen von H. Brighouse und A. Swift. Harry Brighouse/Adam Swift, Berechtigte Parteilichkeit von Eltern [übers. von Erich Ammereller/Fritz Krämer], in: Betzler/Bleisch (Hg.), Familiäre Pflichten, 175–216 leiten das Ergebnis im theoretischen Rahmen einer Theorie spezieller Güter her, füllen diese aber (anders als der schon erwähnte Keller) nicht mit einer inhaltlichen, sondern relationalen Bestimmung aus, wenn sie von einer »Beziehungsgütertheorie« (189 u. ö.) ausgehen, bei der das nur zwischen Familienangehörigen zu erlangende Gut in deren Interaktion selbst besteht (Beispiel ist etwa, »den eigenen Kindern vor dem Einschlafen etwas vorzulesen und sie in die Kirche mitzunehmen«, 192). Das hat zur Folge, dass elterliche Parteilichkeit dann ethisch illegitim wird, wenn sie nicht mehr die Wahrnehmung der innerfamiliären Beziehung zum Ergebnis hat, sondern »unfaire Chancenvorteile« der eigenen Kinder im Vergleich zu denen anderer Familien (210). 292 Zu Inhalt und Formalia des Lebensberichts vgl. auch Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 62 bzw. 137. 293 Unterbleibt diese Klärung oder ist sie nicht abgeschlossen, liegt nach Vermittleransicht, die sich in den Jahrzehnten kaum verändert haben dürfte, regelmäßig ein ernsthaftes Adoptionshindernis vor, vgl. Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 221 und Empfehlungen 2014, hg. von der BAGLJÄ, 52 bzw. 63, wo das Thema jeweils an erster Stelle der Anforderungen an Bewerberpaare bzw. deren Vorbereitungsseminare steht. 294 So nach Wittland-Mittag, Adoptionsvermittlung, 222. Die Konsequenz, dass Adoptiveltern gesetzlich zur Aufklärung ihrer Kinder verpflichtet werden sollten (vgl. Weiterentwicklung 2017, hg. von der BAGLJÄ, 18), wäre allerdings im Ernstfall nicht staatlich durchsetzbar, da niemand Aufklärungen wollen kann, die Offenlegungen durch Außenstehende gleichen. Gemeint ist vermutlich, dass die Vermittlungsstellen verpflichtet werden sollen, den Bewerbern die Aufklärung einzuschärfen.
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Anmerkungen Vgl. Bittner, Große Kinder, hier 217–220. Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind, 24 ff. hat von den für ihre Studie interviewten Paaren wiederkehrende Formulierungen gehört, die sie auf die Formel eindampft: »Wir wollten ein Kind.« Diese Äußerung ist aber, wie im weiteren Textverlauf sofort deutlich werden wird, von der hier präsentierten gar nicht so weit entfernt, da Hoffmann-Riem im selben Atemzug betont, dass Adoptionsbewerber gerade zu Beginn ihrer Auseinandersetzung mit dem Adoptionsthema dazu neigen, die leibliche Kernfamilie imitieren zu wollen. 297 Vgl. Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind, 30; 33. 298 Es ist ein ethischer Hauptmangel des Buches von Steck, Adoption, die reproduktionstechnologische Anbindung der Adoption unkritisch fortzuschreiben, z. B.: 8: »Adoption und Reproduktionsmedizin stehen heute Elternpaaren mit ungewollter Kindlosigkeit [sic!] als Möglichkeit zur Verfügung, ihren Kinderwunsch zu erfüllen.« 299 So in der abendländischen Philosophiegeschichte aufgrund der aristotelischen Tradition durchgehend und in Mitteleuropa aufgrund der scholastischen Denktradition des Mittelalters insbesondere. 300 Mit der raumtheoretischen Fassung des Seelenbegriffs lehne ich mich an Tilman Beyrich, Theosphären. Raum als Thema der Theologie, Leipzig 2011, 102– 207 an. 301 So insbesondere Hans G. Ulrich, Entrusted for Creaturely Life Within God’s Story – The Ethos of Adoption in Theological Perspective, in: Swinton/Brock (Hg.), Graceful Embrace, 69–86, aber auch Brian Brock, On Language, Children and God. Naming, Dominion and Domination, in: a. a. O., 15–35 mit Rekurs auf einen spezifischen Aspekt der biblischen Schöpfungsgeschichte, nämlich die Benennung der Mitkreaturen durch Adam (Genesis 2,19 f.). Der strikt theologische (Gott vorbehaltene) Schöpfungsbegriff wird zur Vorstellung vom Menschen als Co-Kreator geöffnet von Andrews, Difficult Choice, 131; 137 u. ö. 302 Vgl. William McAlpine, Identity and the Adoption Triad, in: Swinton/Brock (Hg.), Graceful Embrace, 143–160, hier 145. 303 So Andrews, Difficult Choice, 139–141 und, in direkt theologischer Ableitung, Karin Ulrich-Eschemann, The Importance of Knowing Where You Come from, in: Swinton/Brock (Hg.), Graceful Embrace, 107–118. 304 Bei der ethischen Diskussion, wer zum Kreis derer zu zählen ist, die eine kassenfinanzierte Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen dürfen, wird zwar subtil darüber diskutiert, ob diese Medizin, wenn sie im Erfolgsfall zwar Kinderlosigkeit, aber nicht Unfruchtbarkeit behebe, wirklich ein Leiden heile (und damit als Therapie gelten könne) oder ob das eigentliche Leiden an der Kinderlosigkeit nicht vielmehr psychologischer statt reproduktionsmedizinischer Behandlung bedürfe; so Jochen Sautermeister, Identität im Werden – Herausforderungen der Fortpflanzungsmedizin aus theologisch-ethischer Sicht, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, Bd. 62, Jg. 2016, Heft 2, 91–106, besonders 97 f. zum »übermächtigen Kinderwunsch« (98). Über die mit IVF/ICSI einhergehenden seelischen Belastungen der Bewerberpaare liest man hingegen besonders in der theologisch-ethischen Literatur wenig (z. B. ist diese Problematik in der fast 700 Seiten starken Untersuchung von Marco Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht. In-vitro-Fertilisation in theologischer Perspektive [Ethics in Theological Discourse, Bd. 15], Zürich 2008 295 296
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Anmerkungen im Wesentlichen in Vor- und Nachwort ausgelagert). Sautermeisters genannter Artikel bildet diesbezüglich eine Ausnahme (a. a. O., 99 f.), auch wenn Seelsorge und Reproduktionsmedizin im Ganzen seines Textes eine relative (und relativ unproduktive) Konkurrenz eingehen. 305 Es schmälert den Aussagewert der Fallbeispiele in Birgit Beierling, Adoption als sozialer Prozess – Erfahrungen und Probleme von Adoptiveltern (Sozial-, Politikund Wirtschaftswissenschaften, Bd. 6,4), Essen 1992, dass in keiner der interviewten Familien eine Rücknahme des Kindes durch die Mutter vorkam. Dasselbe gilt für die aus dem amerikanischen Evangelikalismus berichtende Studie von Ryan Noel Fraser, The Spiritual Narratives of Adoptive Parents. Constructions of Christian Faith Stories and Pastoral Theological Implications (American University Studies, Bd. VII/332), New York (New York) 2013.
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Anhang
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Abkürzungsverzeichnis
a. a. O. Abb. Abs. Abt. AdVermiG amerik. Anm. Apol. ARD Art. Aufl.
am angegebenen Ort Abbildung Absatz Abteilung Adoptionsvermittlungsgesetz amerikanisch Anmerkung Apologie des Augsburgischen Bekenntnisses (1531) Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Artikel Auflage
BAGLJÄ Bd. BGB BGBl. bzw.
Bundesarbeitsgemeinschaft (der) Landesjugendämter Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt beziehungsweise
CDU
Christlich Demokratische Union Deutschlands
DDR ders. DFG d. h. DI DINK DJI DLF dt.
Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutsche Forschungsgemeinschaft das heißt Donogene Insemination double income, no kids Deutsches Jugendinstitut Deutschlandfunk deutsch
EFZA EKD ESchG EuGHMR e. V. EVAP
Expertise- und Forschungszentrum Adoption Evangelische Kirche in Deutschland Embryonenschutzgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte eingetragener Verein Evangelischer Verein für Adoption und Pflegekinderhilfe e. V.
257 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Abkürzungsverzeichnis f./ff. FamFG FAQ
folgend/e Familienverfahrensgesetz frequently asked questions
GG
Grundgesetz
HAÜ Hg. HIV
Haager Adoptionsübereinkommen Herausgeber Humanes Immundefizienz-Virus
ICSI i. d. F. i. d. R. IVF
Intracytoplasmatische Spermieninjektion in der Fassung in der Regel In-vitro-Fertilisation
Jg.
Jahrgang
Kap.
Kapitel
lat.
lateinisch
m. a. W. m. E.
mit anderen Worten meines Erachtens
n. Chr. Nr.
nach Christus Nummer
o. g. o. J. o. O. orig.
oben genannt ohne Jahresangabe ohne Ortsangabe original
RTL
Radio Télévision Luxembourg
s. sc. SED SGB SkF sog. StGB
siehe scilicet (lat. für »nämlich«) Sozialistische Einheitspartei Deuschlands Sozialgesetzbuch Sozialdienst katholischer Frauen sogenannt Strafgesetzbuch
u. a. übers. USA usw. u. U.
unter anderem übersetzt Vereinigte Staaten von Amerika und so weiter unter Umständen
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Abkürzungsverzeichnis v. v. a. v. Chr. vgl.
von vor allem vor Christus vergleiche
WGTh
Wissenschaftliche Gesellschaft für Theologie e. V.
z. B. ZfG Ziff. zit. z. T. ZZF
zum Beispiel Zentrum für Gesundheitsethik Ziffer zitiert zum Teil Zentrum für Zeithistorische Forschung
259 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
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Personenregister
Ammereller, Erich 252 Andrews, Dale P. 60, 227, 253 Anselm, Reiner 26, 219 Arendt, Hannah 25, 163, 218, 247 Augustus 231
Cahill, Lisa S. 217 Charbonnier, Ralph 13 Claudius, Matthias 142, 242 Clayton, Matthew 240 Coenen-Marx, Cornelia 13
Bagattini, Alexander 13, 240 f. Bauer, Axel W. 245 Bayer, Oswald 59, 243 Bechinger, Walter 246 Becker, Jürgen 230 Behnsen, Mira 245 Beier, Katharina 241, 254 Beierling, Birgit 254 Bennett, Jana Marguerite 77–79, 81, 208 f., 229–231, 250 Bernard, Andreas 224 Betzler, Monika 192, 231, 240, 250– 252 Beyrich, Tilman 253 Bittner, Rüdiger 207, 250, 253 Bleisch, Barbara 192, 231, 250–252 Bode, Philipp 12 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 218 von Bora, Katharina 243 Botthof, Andreas 235 Bovenschen, Ina 220 Bränzel, Paul 220 Brakman, Sarah Vaughan 246 Brecht, Bertolt 240 Brighouse, Harry 252 Brock, Brian 13, 211, 221, 227, 230, 238, 253 Brodzinsky, David M. 221 Browning, Don S. 222 f., 229 Broyde, Michael J. 217 Bulla, Christine 242
Dabrock, Peter 99 f., 131, 236, 238 Dalferth, Ingolf U. 233 Denkhaus, Ruth 12 Denzinger, Heinrich 218, 230, 232 Dettenborn, Harry 240 Dingel, Irene 232 Dürnberger, Andrea 224 Eckardt-Jaffé, Marianne 252 Eggen, Bernd 224, 242 Elipandus von Toledo 230 Elsäßer, Inge 13 Erikson, Erik H. 198, 252 Felix von Úrgel 230 Fichtmüller, Matthias 236 Fischer, Tobias H.J. 179, 224 f., 247 Frankena, William K. 218 Fraser, Ryan Noel 254 Frey, Wibke 248 f. Frommel, Monika 59, 226 f. Funcke, Dorett 223 f., 238, 249 Gehlen, Arnold 247 Geller, Helmut 217, 229, 239 f., 244, 246, 248 f. Gheaus, Anca 240 f. Giesinger, Johannes 196, 251 f. Girardet, Klaus-Martin 247 Götz, Maya 242 Golomb, Egon 217, 229, 239, 244, 246
273 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Personenregister Grotevant, Harold D. 233 Groth, Heidrun 235 Gruber, Simone 242 Haker, Hille 144, 243 Hallich, Oliver 13, 194 f., 198, 250 f. Hastings, Paul D. 223 f. Heene, Sabine 220 Heiderhoff, Bettina 225, 248 Herms, Eilert 247 Herodes der Große 231 Hildenbrand, Astrid 223 Hillegaart, Peter 217 Höynck, Theresia 245 Hoffmann-Riem, Christa 41–43, 126 f., 208, 220–224, 235, 237, 240, 253 Hofheinz, Marco 253 Hoksbergen, René A.C. 111, 219, 238 Holler, Andrea 242 Hoping, Helmut 218 Hornfeck, Fabienne 220 Hornstein, Otto P. 222 Hünermann, Peter 218, 230, 232 Husserl, Edmund 164, 167 Iepan, Florin 219 IJzendoorn, Marinus van 238 Jackson, Timothy P. 110, 217, 222, 233, 238 Jank, Alexander 222, 225 Johannes Paul II. 222 Juffer, Femmie 111 f., 114 f., 238 Käfer, Anne 13, 241 Kamlah, Wilhelm 197, 251 Kant, Immanuel 26, 219 Kappler, Selina 220 Karle, Isolde 231 Kauermann-Walter, Jacqueline 236 f. Keller, Simon 250, 252 Kentenich, Heribert 225 Kindler, Heinz 220 Kohl, Helmut 217 Krämer, Fritz 252
Krolzik, Volker 220, 236, 237 Kuhn, Thomas S. 219 Langanke, Martin 13, 237, 240 Leggewie, Claus 217 Lehmkuhl, Gerd 224 Löhr, Winrich A. 230 Losinger, Anton 245 Lütkehaus, Ludger 247 Luther, Martin 81, 142, 144, 232 f., 242 f. McAlpine, William 253 Macleod, Colin 240 f. Markell von Ankyra 231 Meier-Credner, Anne 225 Merkel, Angela 49, 220 Meyer, Harding 233 Millum, Joseph 197, 251 Mink, Andreas 238 Moessner, Jeanne Stevenson 229 Müller, Stephan E. 222 Nagel, Eckhard 245 von Nell-Breuning, Oswald 233 Nessler, Susanne 245 Neuser, Ursula 12 Nortmann, Ulrich 247 Noss, Ulrich 222 Nozick, Robert 236 Nussbaum, Martha C. 98 Oelsner, Wolfgang 224 Palacios, Jesús 221 Papandreou, Damaskenos 233 Patton-Imani, Sandra 238 Pfaffinger, Monika 221 Pius XII. 222 Portmann, Adolf 247 Post, Stephen G. 217, 242 Quirinius 231 Radtke, Peter 245 Rawls, John 98 f., 165, 218, 236 Reichmann, Heinz 242
274 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Personenregister Riedel, Ulrike 245 Ritter, Adolf Martin 232 Roth, Monika 12, 234 Ruhfaß, Maria 220 Rupp, Marina 224 Rutter, Nicholas 219 Sautermeister, Jochen 253 f. Schäfer, Rolf 230 Scheib, Joanna E. 223 f. Scheler, Max 24 von Scheliha, Arnulf 231 Schippert, Cordula 225 Schleiermacher, Friedrich 75, 230 f. Schleiffer, Roland 221, 235, 239–241 Schließer, Christine 225 f. Schmid-Tannwald, Ingolf 222 Schnigula, Lynn Clare 245, 247 Schockenhoff, Eberhard 245 Schreiner, Haro 220 Schües, Christina 13, 163 f., 167–169, 247 Schumann, Eva 13, 228, 241 Scott, James M. 217, 232 Sen, Amartya 98 Shea, Sarah 114, 238 Sibold, Claus 222 Sichtermann, Barbara 217 Singer, Peter 247 Skelton, Anthony 240 Sloterdijk, Peter 247 Steck, Barbara 239, 253 Stolz, Fritz 246 Surall, Frank 249 Swientek, Christine 239, 244, 246 Swift, Adam 252 Swinton, John 13, 211, 227, 230, 238, 253 Tajfel, Henri 212 Tandler-Schneider, Andreas 222, 225 Teufel, Erwin 245
Theißen, Henning 221, 230 f., 235– 238, 241, 246 f. Thomas von Aquin 218 Thorn, Petra 223, 224, 238, 249 Ullrich, Anneliese 246, 248 Ulrich, Ferdinand 247 Ulrich, Hans G. 253 Ulrich-Eschemann, Karin 247, 253 Urban, Hans Jörg 233 Van Leeuwen, Mary Stewart 233 Veith, Ines 235 Vetter, Hermann 236 Vischer, Lukas 233 Wacker, Bernd 157, 229, 246 Walch, Lorenz 13, 249 Waldenfels, Bernhard 164 Wannenwetsch, Bernd 242 Wapler, Friederike 121–123, 238 f., 248 f. Waters, Brent 72 f., 221, 229 Weaver, Darlene F. 246 Weber-Hassemer, Kristiane 245 Weischedel, Wilhelm 219 Wellenhofer, Marina 180 f., 223, 225, 248 f. Westerhaus, Christine 245 Wiesemann, Claudia 72, 135 f., 138– 140, 158 f., 197, 225 f., 229, 240– 242, 246 f., 252 Wils, Jean-Pierre 246 Windheuser, Annelie 236 f. Wittland-Mittag, Angelika 220, 229, 236 f., 252 Wolf, Ursula 250 Wrobel, Gretchen Miller 233 Zähringer, Ulrike 245 Zeh, Klaus 224
275 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Begriffsregister
Abtreibung 16, 56, 110, 157–160, 219, 228 f., 246 Acht-Wochen-Frist 62, 65, 174, 223 Adoptianismus 75–79, 81, 230 Adoption 28–30, 38–40, 66 f., 68–74, 82–84 – halboffene Adoption 32 f., 35, 66, 95, 107 f., 220 f., 227 – Inkognito-Adoption 32 f., 108, 153 f., 221, 227 – interracial adoption 113 – offene Adoption 32 f., 38, 107 f., 220 f. – special needs adoption 113, 115 – Stiefkindadoption 12, 70, 145, 188, 229, 243 – Sukzessivadoption 49, 237, 244 – unbegleitete Adoption 91, 235 – zwischenstaatliche Adoption 38, 90, 112, 114, 200, 238 Adoptionsdreieck 84–86, 95, 105, 116, 119 f., 130, 145, 149, 184 f., 187, 233 Adoptionsmotive 22, 29 f., 41, 92, 70 f., 73, 104, 110, 206–210, 214, 219, 229, 236 Adoptionspflege 35, 88 f., 95, 101, 104, 115 f., 126–130, 133–144, 181, 200 Adoptionsvermittlung 29 f., 57, 65, 85–116, 122,126–130, 132, 185, 206–210, 234 f., 237, 239, 241, 252 – in freier Trägerschaft 29, 87, 95, 153, 233 f. – in staatlicher Trägerschaft 87
Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG) 29, 38, 86 f., 101, 103, 219, 234 Adultismus 135 f., 139 Alkohol 113 f., 163 Altruismus 29 f., 53 f., 60, 64, 70, 128, 206 f., 219, 223, 229 Armut 55, 57, 79, 109, 200, 238 f., 244 Asymmetrie 34, 36, 44, 51, 83, 88, 94, 109, 161 f., 167, 170, 185–187, 191, 220, 237, 239 Aufklärung 32–38, 62, 172, 184, 221– 223, 252 Autonomie 41, 45–47, 50 f., 56 f., 60, 64, 120, 133–137, 150 f., 159, 175, 178, 209, 211, 218, 235, 240, 252 Babyklappe 16, 152–157, 245, 247 Bedürfnis(-ethik) 28, 31, 71, 100, 114, 126–144, 168, 174, 196 f., 199, 209, 240 f., 247, 251 Befähigung(-sethik/-sgerechtigkeit) 22, 27, 30 f., 33–39, 41, 49–52, 61, 63 f., 67 f., 74, 82 f., 95–116, 123, 126–135, 168, 185, 190, 203–215, 236, 238, 240 f., 247 Behinderung 42, 113–115, 127, 166, 246 Beratung 35, 37 f., 61–67, 91, 96–105, 150, 152, 159–161, 168–170, 172– 174, 185 f., 203 f., 205 f., 209, 212 f., 229, 236, 248 Beruf 16, 59, 94, 139–144, 148, 169, 200, 232, 242, 244 Bewerberauswahl 101, 104–106, 109, 205
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Begriffsregister Bindung (attachment) 30, 34, 36, 89 f., 104, 125, 129–141, 144, 193, 200 f., 221, 223, 227 f., 233, 235, 239–241 Commitment 138–140, 144, 241 Demokratie 23–25, 39, 63, 65, 142 Donogene Insemination (DI) 41, 44, 47 f., 51–55, 61, 64–66, 177–180, 182, 184 f., 197, 223–225 – Becherspende 53 f., 225 Ehe 43, 48 f., 63, 70, 144, 171 f., 179 f., 189, 217, 231, 243, 249 – »Ehe für alle« 9, 48 f., 189 – Hausfrauenehe 141–144, 188, 242 Einwilligung 35, 57, 86, 95 f., 108, 127 f., 170–174, 178–182, 221, 228, 248 Eizelle, imprägnierte 59–61, 226 Eizellspende 15, 47 f., 50–55 Elternschaft 40–46, 190–198 – abgebende Eltern 29, 32–40, 56 f., 60–62, 65 f., 70 f., 75, 84–86, 91, 94–96, 100 f., 106–109, 112 f., 116, 126–129, 145–188, 209, 213, 220 f., 223, 228, 236, 238 f., 244, 248 – annehmende Eltern 32–38, 40, 43, 71 f., 74–76, 82–86, 88–90, 93–97, 100, 102, 104–109, 113–116, 122, 124, 126–130, 140, 143–146, 170, 186–215, 220 f., 223, 227 f., 243, 246 – biologische Elternschaft 23, 41, 43– 51, 58 f., 61, 63, 77, 125, 162 f., 171, 198 f., 212, 227 f. – genetische Elternschaft 23, 48, 50 f., 55, 58–63, 162 f., 180, 191, 194–201, 212, 224, 227 f. – gespaltene Elternschaft 15, 23, 46– 52, 59, 64–67, 217, 223 – gestationale Elternschaft 162–164 – kongruente Elternschaft 43–45, 48, 66, 176 f., 180 – leibliche Elternschaft 32, 35, 37, 62, 66, 115, 123–130, 129, 172 f., 176,
179, 181, 194–197, 206, 212, 221, 229, 241, 248, 252 – rechtliche Elternschaft 23, 48, 55, 63, 170–186, 198, 248 – sequentielle Elternschaft 218 – soziale Elternschaft 23, 41–45, 47 f., 53, 55, 58, 61, 63, 75 f., 125, 148, 175 f., 178–182, 184, 188, 194, 203, 218, 224, 227, 249 Embryonenadoption/-spende 15, 47, 50, 58–66, 159, 208, 225–228, 246, 251 Embryonenschutzgesetz (EschG) 46– 49, 51, 58 f., 226 f., 251 Entwicklung 30, 33, 35, 37, 45, 47, 111–116, 122, 125, 130, 132, 200, 202, 219, 221, 233, 240 Ersetzung 35, 128, 172–174, 182, 213, 248 Erziehung 23, 25, 45, 53 f., 63, 68 f., 83, 88–93, 101, 104 f., 121–123, 141, 151, 153, 189, 202, 206, 218, 233, 236, 240, 242 f. – Umerziehung 92, 236 Fachkräftegebot 86 f., 95 Familie(-nethik) 21–28, 66 f. – Ergänzungsfamilie 125 f. – Ersatzfamilie 125 – Familie und Beruf 141–144 Feminismus 167 Findelkind 156 Fortpflanzung, assistierte s. Reproduktionstechnologie Freigabe 33, 35, 51 f., 56, 62, 71, 91, 96 f., 107–110, 124, 126, 145–149, 151, 155, 157–160, 172, 175, 181, 183, 187, 192, 201 f., 221, 228, 236, 239, 244 Frustrationstoleranz 213 Fuldaer Erklärung 102–104, 236 Gameten 46, 52, 54 f., 58 f., 64, 190, 194 f., 198, 225, 251 Geburt 154, 159, 161–170 – vertrauliche/anonyme Geburt 153–157
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Begriffsregister Genetizismus 191, 194 f., 198 Geschlecht 43 f., 48–51, 63, 112 f., 141, 144, 161 f., 167–171, 185, 189 f., 223–225, 238, 242, 247, 249 Geschwister 12, 192, 249 Gesinnungsethik 179 Gütertheorie 45, 62, 98 f., 132, 134 f., 176, 191–201, 214, 250–252 – negative Güter 31, 103, 114, 123, 202–204 – Sockelgüter 131, 193, 196, 199 – symbolische Güter 201 f. Haager Adoptionsübereinkommen (HAÜ) 112, 238 Herausnahme 69, 89, 93, 125, 132, 150, 151 Herkunft 29, 32–40, 52, 54, 61, 64, 67, 70 f., 80, 82 f., 86, 91 f., 96, 106– 116, 120–125, 130, 154, –156, 173, 177, 184, 200 f., 206, 212, 220–223, 236, 238–241 Homosexualität 9, 40, 48–51, 66, 141, 189, 223 f., 239, 245 Imagination 45, 105, 133, 176, 249 Infertilität s. Unfruchtbarkeit Inkarnation 75–79, 81 Institutionenethik 235 Intervention 43, 65 f., 93–102, 106– 116, 121–123, 131–134, 149–160, 177, 185, 200, 202 f., 238 Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) 42–44, 46 f., 51, 57 f., 62, 65, 143, 213, 222, 253 In-vitro-Fertilisation (IVF) 42–44, 46 f., 51, 57 f., 62, 65, 143, 213, 217, 222, 253 Inzest 191 f., 249 f. Jungfrauengeburt 80 f., 230–232 Kernfamilie 41, 148, 222, 224, 249, 253 Kinderlosigkeit, ungewollte 9, 16, 29, 40, 46, 48, 62, 64, 70 f., 104, 206– 210, 213 f., 228, 253
Kinder- und Jugendhilfe 29, 69, 88, 92, 102 f., 150, 234 – Frühe Hilfen 150 f., 153, 160, 245 Kindesaussetzung 155 f. Kindeswohl 28–33, 40–45, 49 f., 69 f., 120–137, 172, 175, 217, 221, 225, 228 f., 234, 240–242, 252 – als unbestimmter Rechtsbegriff 31, 70, 120 – Beststandard 64, 92, 96, 121–123, 193, 202, 239 – Minimalstandard 121 f., 193, 238 Kindeswohlgefährdung 49, 89, 93, 121–125, 130, 140, 151, 172, 202 Kindschaftsrecht 172 Kindstötung s. Neonatizid Kommunitarismus 99 Konflikt 56 f., 65, 151–153, 157–161, 229, 244–246, 248 Konservatismus 25, 141 Kontraktualismus 25 f., 29, 41, 57 f., 61 f., 65 f., 87, 93, 98, 122, 149 f. Kryokonservierung 59, 143, 243 Kulturrelativismus 131, 138 Lebensbericht 104, 206, 252 Leib/Seele 155, 164, 174, 185, 202, 205 f., 210–215, 221, 230 f., 244, 248, 253 Leihmutterschaft 15, 47, 50–52, 55– 58, 62, 64, 149, 150, 159, 208, 224– 226 Lesbischsein s. Homosexualität Liberalismus 25 f., 98 f., 165, 242 Liebe 16, 72, 82, 110, 127, 138 f., 144, 206 f., 227, 231 Matching 106–109, 112–116, 123, 193, 209, 231 Mediation 100, 105 f., 108 f., 112, 115 f., 123, 205, 209 Methadon 113, 238 Minimalstaat 99, 236 Mutterschaft 15, 47 f., 50–52, 55–59, 62, 64, 149 f., 158 f., 208, 223–227
278 https://doi.org/10.5771/9783495820605 .
Begriffsregister Natalität 163 f., 167 f., 247 Naturalismus 185, 225, 238 – Nature and nurture 45, 64, 233 Neonatizid 155 f., 245 f. Normvariante 15, 38, 40, 61, 63 f., 66 f., 198, 222, 249 Objektivismus 135–139 One-Night-Stand 177, 179 Orientierung 21–28, 66 f., 70–73, 79– 82, 142 f., 160 f., 163 f., 210–215, 218 f., 235 Partnerschaft 49–51, 87, 105, 141, 147 f., 170, 172, 179–183, 185 f., 188, 191, 205 f., 218, 225, 229, 233, 237, 244 – Eingetragene Lebenspartnerschaft 49 Patchworkfamilie 43 f., 50 Personalität 70, 164–168, 207, 252 Pflege 33, 89, 93, 120–126, 130, 138, 150, 173, 193, 197, 220 f., 228 Phänomenologie 164, 167 f., 220 Platzierung 37, 70, 86, 101, 106–110, 115 f., 123, 125, 127, 136, 138, 140, 209, 221, 231 Pluralismus 27, 85 Politik 23, 26 f., 30, 46, 49, 64, 74 f., 92, 98 f., 141 f., 165, 167, 217 f., 223 f., 229, 236, 239, 242 f., 248, 251, 254 Positivliste 31, 103, 135, 192 f., 205, 237 Prinzip(-ienethik) 40–45, 50–58, 64, 69, 72, 120, 131, 150 f., 168, 177, 179, 185, 191, 211, 215, 226, 229, 247 Problemorientierung 11, 177, 179, 185 Professionalität 39, 53 f., 57, 65, 86– 88, 93–97, 100, 111, 114, 143, 154, 156, 200, 212, 235 f. Psychologie 10, 22, 30, 33, 37, 112, 114, 125, 130, 200, 212, 217, 220 f., 223 f., 228 f., 233, 239 f., 253 – Behaviorismus 233
– Entwicklungspsychologie 30, 37, 112, 125, 130, 200, 221, 233 – evolutionäre Psychologie 223, 233 Rechtfertigung 21, 58, 75, 80–83, 89, 115, 121 f., 155 f., 159, 202 f., 232 f. Rechtspositivismus 26 Regenbogenfamilie 40, 44, 48–50, 52, 56, 63–66, 121, 223 f., 239 Religion 21–25, 43, 67–69, 72, 74–83, 88, 108, 110, 128, 136, 142, 147, 160, 164 f., 211, 213–215, 217 f., 229 f., 232, 246 f., 254 Religionswissenschaft 74 f., 246 Reproduktionsautonomie 41, 45–47, 50–57, 60, 64, 120, 150 f., 159, 175, 178, 209, 252 Reproduktionsmedizin/-technologie 222 Rückführung 96, 122, 124, 128 f., 181 Samenspende s. Donogene Insemination Scheinvater 171, 180 Scholastik 253 Schwangerenkonfliktberatung 159, 161, 168 f., 185, 229 Schwangerschaft 42, 46 f., 55–58, 65, 114, 146, 149, 151–153, 156–170, 181, 183, 185 f., 194, 222, 225, 227– 229, 244, 246, 248, 251 Schwangerschaftsabbruch s. Abtreibung Schwulsein s. Homosexualität Selbstweitergabe 140, 195–202, 212, 214 Social Freezing 143 f. Sozialethik 24 f., 27 f., 120 Sozialgesetzbuch (SGB) 88, 150, 223, 234, 240 Sozialstaat 99 f., 233 Spiritualität s. Religion Sprechakt 89 Staat 23, 25 f., 30, 37, 45, 62, 65, 87– 95, 99, 100, 109–112, 121–124, 130, 150, 154, 177, 202, 218, 233–240, 242, 244, 252
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Begriffsregister Stieffamilie 43 f., 50, 145, 218, 229 Story 212, 253 Subsidiarität 124, 233 f., 236 Theologie 21–24, 67, 70, 74–77, 79– 83, 99, 102, 142, 158, 164–167, 208, 212, 217, 221 f., 225, 227, 229, 230 f., 235 f., 238, 241–243, 245– 251, 253 f. Unfruchtbarkeit 51, 206 Uterus, künstlicher 47, 162 Utilitarismus 240 Vaterschaft 47, 170–174, 176–181, 184, 198, 248 Vegetarismus 132, 196, 199 Verantwortung(-sethik) 34, 53, 159, 175, 177–186, 189 f., 194, 197 f.,
224–226, 228 f., 242, 246 f., 250– 252 Verhütung 43, 185, 219 Vermittlung 93–118, 127, 131, 133, 243 Voluntarismus 191, 193–198 Vorkernstadium s. Eizelle, imprägnierte Vormund 29, 65, 86 f., 127 f., 240 Wächteramt 65, 88, 121 f., 124, 239 Wertethik 24 f. Wiedergeburt 70, 232 Wohlfahrt 87, 99, 102, 233 Zivilgesellschaft 25 f., 233 Zufallsvater 177–179, 182 f. Zwangsadoption 92, 235 f., 252
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